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German Pages [292] Year 2012
© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570234 — ISBN E-Book: 9783647570235
Jüdische Religion, Geschichte und Kultur
Herausgegeben von Michael Brenner und Stefan Rohrbacher Band 18
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Julia Haarmann
Hüter der Tradition Erinnerung und Identität im Selbstzeugnis des Pinchas Katzenellenbogen (1691 – 1767)
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-57023-4 ISBN 978-3-647-57023-5 (E-Book) Umschlagabbildung: Artist: Johann Conrad Weiss, Goblet for the Schwabach Burial Society banquet. B88.0434 Photo Israel Museum, Jerusalem, by Ofrit Rozenberg Ben-Menachem 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: Konrad Triltsch, Print und digitale Medien GmbH, Ochsenfurt Druck und Bindung: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Annäherungen an das Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Entwicklungslinien und Umbrüche im aschkenasischen Judentum des 17. und 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . 1.3 Kontexte gegenwärtiger Forschungsdiskussionen . . . . 1.3.1 „Identität“ in kulturwissenschaftlicher Perspektive 1.3.2 Kulturelles Gedächtnis und „Gedächtniskisten“ . . 1.3.3 Tendenzen der Selbstzeugnisforschung . . . . . .
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2. Biographische Skizze von Pinchas Katzenellenbogen . . . . . . . . 2.1 Familiärer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Ritualmordbeschuldigung gegen den Vater (1699) . . . . 2.3 Das jüdische Fürth, Ort der Kindheit und Jugend . . . . . . . 2.4 Studienzeit in Prag, Fürth und Nikolsburg . . . . . . . . . . . 2.5 Das jüdische Schwabach, Wirkungsfeld des Vaters . . . . . . . 2.6 Rabbinate in Wallerstein, Leipnik, Marktbreit und Boskowitz 2.7 Lebensabend in Schwabach . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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28 28 33 35 48 49 52 60
3. Charakterisierung des Werkes Yesh Manchilin . . . . . . . . . . 3.1 Quellenlage und Überlieferungssituation . . . . . . . . . . . 3.2 Struktur des Manuskripts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Tabellarische Übersicht über den Inhalt von Yesh Manchilin 3.4 Die Schreibsituation des Autors . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Yesh Manchilin als ethisches Testament . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Ethische Testamente als superego-documents . . . . . 3.5.2 Explizite Vorbilder für Yesh Manchilin . . . . . . . . . 3.5.3 Der testamentarische Charakter von Yesh Manchilin .
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62 62 63 67 72 76 76 79 90
4. Traditionen und Bräuche. Hüter gemeinsamer Normen „Die wahre Lehre kommt aus dem Mund des Vaters“ . 4.1.1 Bräuche, die der Autorität des Vaters folgen . 4.1.2 Abweichungen von der Lehre des Vaters . . . 4.1.3 Yesh Manchilin als Familien-Minhagim-Buch 4.1 Vererbte Bräuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Fastenbräuche zur Jahrzeit . . . . . . . . . .
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96 97 101 108 114 115 116
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Inhalt
4.2.2 Bräuche und erprobte Mittel zur Abwehr von Gefährdungen des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4.2.3 Weisungen zum Umgang mit Sterben und Totengedenken 141 4.2.4 Das Lebensvorbild als Weisung . . . . . . . . . . . . . . . 150 5. Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Die ehrbare Abstammung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 „Das Verdienst eurer Vorfahren“. Geschichten der Vorväter . 5.2.1 Geschichten über das Königtum Saul Wahls . . . . . . . 5.2.2 Geschichten über Pinchas Horowitz . . . . . . . . . . . 5.2.3 Der Kiddusch HaSchem des Großonkels Pinchas Katzenellenbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Zur Frömmigkeit des Onkels Sa’adja Jesaja . . . . . . . 5.3 Schiduchim zum Erhalt der Ehrbarkeit der Familie . . . . . . 5.3.1 Wundergeschichten über die Wahrung des „heiligen Samens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Katzenellenbogens Eheschließungen . . . . . . . . . . . 5.3.3 Eheschließungen für Katzenellenbogens Kinder und für seine Schwester . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4 Die Gefahr der Versündigung durch sexuelle Begierden 5.3.5 Katzenellenbogens Hochachtung gegenüber Frauen . . 5.4 „Bei meinen Vätern will ich liegen“. Die Wahl des Sterbeortes
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153 153 160 161 166
. 167 . 170 . 172 . 173 . 178 . . . .
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6. Der Wert der Gelehrsamkeit. Hüter gemeinsamen Wissens . . . . . 6.1 Ausbildung und Studium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Ausbildung bis zur Bar Mizwa . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Studium in Fürth, Prag und Nikolsburg . . . . . . . . . . 6.2 Tägliches Lernen als Ausdruck von Frömmigkeit . . . . . . . . 6.2.1 Lernen und das Andenken Verstorbener . . . . . . . . . . 6.2.2 Katzenellenbogens Mnemotechnik . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Katzenellenbogens Lerngewohnheiten als Richtlinien für die Nachkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Der Konflikt zwischen dem Rabbinat und dem Ideal des Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Kritik an der Ordnung des Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Exkurs: Verbreitete Kritik an Lernmethoden jener Zeit . . 6.5 Katzenellenbogens Bibliothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.1 Der Zugriff auf Bücher als Voraussetzung zum Studium . 6.5.2 Inhaltliche Schwerpunkte von Katzenellenbogens Bibliothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.3 Der materielle Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.4 Exkurs: Vergleichbare private Büchersammlungen im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
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7. Resümee. Hüter der Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 8. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 8.1 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 8.2 Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 9. Personen- und Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
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Vorwort Die vorliegende Studie wurde im Sommersemester 2011 unter dem Titel „,Damit es der folgenden Generation Zeichen und Vorbild sei.‘ Die Bewahrung von Traditionen, Erinnerungen und Werten als cultural gatekeeping in den Selbstzeugnissen von Pinchas Katzenellenbogen und Jakob Emden“ an der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung ist der Text vor allem um die Ausführungen zu Jakob Emden gekürzt worden, so dass ein handliches Buch entstehen konnte. Die Ergebnisse meines Vergleiches zwischen Katzenellenbogen und Emden hoffe ich in Kürze an anderer Stelle zu veröffentlichen. Blicke ich auf die Entstehung vorliegender Arbeit zurück, so gilt mein herzlicher Dank zunächst meinem Doktorvater Stefan Rohrbacher, der ihre Entstehung in allen Phasen maßgeblich unterstützt hat. Sein steter Rat und seine große Geduld waren für mich von unschätzbarem Wert. Dagmar BörnerKlein, der ich ebenfalls zu Dank verpflichtet bin, hat freundlicherweise das Zweitgutachten übernommen. Besonders gefreut hat mich, dass Michael Brenner und Stefan Rohrbacher die Arbeit in die Reihe „Jüdische Religion, Geschichte, und Kultur“ aufgenommen haben. Dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht möchte ich meinen Dank für die umsichtige Betreuung des Buchprojektes aussprechen. Nicht nur in Düsseldorf, sondern auch in der Bibliothek der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, der Widener Library der Harvard University (Cambridge/ MA) sowie in den Bibliotheken der Hebräischen Universität (Jerusalem) habe ich ausgezeichnete Bedingungen für meine Studien vorgefunden. Mit Rat, Hinweisen und Fragen haben zahlreiche Freundinnen und Freunde die Entstehung dieser Studie begleitet. Ihnen allen gilt mein Dank, auch wenn ich hier stellvertretend nur meinen Schwiegervater, sel.A., erwähne, der durch das Korrekturlesen meiner Arbeit die Zahl der noch verbleibenden Fehler deutlich minimiert hat. Meinem Mann und meiner Familie danke ich für die fortwährende Unterstützung und den beharrlichen Zuspruch. Gewidmet ist dieses Buch unserem Sohn Joshua, der nur wenige Tage nach meiner Disputation zur Welt kam. Hamburg, im April 2012
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Julia Haarmann
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1. Annäherungen an das Thema 1.1 Erkenntnisinteresse Diese Dinge schreibe ich nieder in dieses Buch zur Erinnerung, damit es der folgenden Generation Zeichen und Vorbild sei. (Yesh Manchilin, § 65, 166)
Aus der Frühen Neuzeit ist eine Reihe von Selbstzeugnissen jüdischer Provenienz überliefert.1 In vorliegender Untersuchung soll mit dem Selbstzeugnis Yesh Manchilin des Rabbiners Pinchas Katzenellenbogen (1691 – 1767) eines von ihnen näher in den Blick genommen werden.2 Gefragt wird nach der Bedeutung dieses Werkes im Hinblick auf die Weitergabe und Bewahrung von Traditionen, Erinnerungen und Werten im aschkenasischen Judentum des 18. Jahrhunderts. In Katzenellenbogens Yesh Manchilin, so die These, geht es im Kern um die Verschriftlichung eigener Geschichte(n) und normativer Verhaltensweisen für die nachfolgenden Generationen. Auf diese Weise soll Identitätsstiftendes auf Zukunft hin und für einen größeren Trägerkreis bewahrt werden. Katzenellenbogen erweist sich bei der Abfassung von Yesh Manchilin als ein Hüter der Tradition. Der Auswahl- und Konservierungsprozess von Informationen, die aus Sicht Katzenellenbogens konstitutive Bedeutung haben und die durch Yesh Manchilin bewahrt werden sollen, lässt sich dabei mit dem Begriff cultural gatekeeping3 umschreiben. Es geht um die Überlieferung und 1 Vgl. die Auflistung einer Auswahl der bekanntesten Texte bei Arroyo, Autobiographik, 165 f, die bis zum 18. Jahrhundert von zwanzig Texten spricht, oder bei Mintz, Table, 7. Hinzu kommt eine große Zahl von Selbstzeugnissen unterschiedlicher Textgattungen, darunter z. B. ethische Testamente, die bislang nur ansatzweise in den Blick genommen wurden. 2 Dass eine wissenschaftliche Untersuchung von Yesh Manchilin bislang noch ausstand, wurde bereits mehrfach angemahnt. So schreibt Hundert, History, 262, in einem Beitrag über die jüdische Geschichte Polens über Yesh Manchilin: „This fascinating Hebrew work has not attracted the attention it deserves. It will prove invaluable to those interested in social and cultural aspects of the history of the Jews in East Central Europe in the eighteenth century.“ Ähnlich äußert sich Schacter, History, 445, wenn er schreibt: „The extremely significant Sefer yesh manhilin by R. Pinchas Katzenellenbogen […] has only recently begun to receive the attention it richly deserves.“ Auch Gries, Book, 57, hat unlängst den Wert einer wissenschaftlichen Analyse dieses Werkes bekräftigt: „Katzenellenbogen’s Yesh manhilin is a goldmine still awaiting researchers.“ 3 Der Begriff cultural gatekeeping stammt aus der modernen Kommunikationswissenschaft. Er wurde ursprünglich 1947 von dem Psychologen Kurt Lewin geprägt, der mit dem Konzept des
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Annäherungen an das Thema
Bewahrung dessen, was auf Zukunft hin Bestand haben soll. Cultural gatekeeping meint demnach die von Katzenellenbogen bei der Niederschrift seines Werkes verfolgte Intention von Identitätswahrung, ohne dass die Kategorie „Identität“ für den Verfasser selbst schon ein definierter Begriff gewesen wäre. Dennoch fungiert Katzenellenbogen (reflektiert oder auch unreflektiert) als Hüter (gatekeeper) seiner jeweiligen Traditionen, Erinnerungen und Werte (und damit seiner Identität), die er für die Zukunft bewahrt wissen will. Die Kontinuität von Traditionen, Erinnerungen und Werten war für Katzenellenbogen nicht selbstverständlich, da historische Ereignisse und Entwicklungen einschneidende Veränderungen in den Lebensbedingungen nach sich zogen. Nicht zuletzt der Abbruch von Erinnerungsketten wie auch die Pluralisierung von Traditionen standen im aschkenasischen Judentum des 18. Jahrhunderts vor Augen. Dabei gehen die Gefahren des Abbruchs von Traditionen, Erinnerungen und Werten, denen sich Katzenellenbogen durch sein cultural gatekeeping jeweils mittelbar bzw. unmittelbar entgegenstellt, nicht primär von der nichtjüdischen Umwelt aus, sondern sind vielmehr in innerjüdischen Diskursen jener Zeit verortet. In dem Selbstzeugnis von Katzenellenbogen, so wird sich im Verlauf der Untersuchung des Textes zeigen, lassen sich im Einzelnen drei Bereiche erkennen, die jeweils im Sinne eines cultural gatekeeping „gehütet“ werden, da ihnen offenbar identitätsstiftende Bedeutung zukommt: Erstens geht es um die Weitergabe von Traditionen bzw. Bräuchen (vgl. Kapitel 4). Die von den Vätern gepflegten Bräuche werden als normativ gegenüber anderen Ausprägungen der Tradition sanktioniert. Yesh Manchilin liest sich dabei in Teilen gleichsam als eine Art Familien-Minhagim-Buch, das den Vorrang der familiären Tradition betont. Zweitens geht es in Yesh Manchilin um die Bewahrung familiärer Erinnerungen und die damit verbundene Zugehörigkeit zur Familiengeschichte (vgl. Kapitel 5). In ausführlichen genealogischen Verortungen und mit zahlreichen lebensgeschichtlichen Details schreibt sich Katzenellenbogen jeweils in den Kontext seiner ehrbaren familiären Abstammung ein. Dieses Bewusstsein soll gatekeepers die Schlüsselposition einzelner Entscheidungsträger in sozialen Gruppen verdeutlicht hat. David M. White übertrug den Begriff wenig später auf den Prozess der Nachrichtenauswahl und nutzte ihn zur Bezeichnung von Individuen, die innerhalb eines Massenmediums Positionen bekleiden, in denen sie über die Aufnahme bzw. Ablehnung einer potentiellen Kommunikationseinheit entscheiden können. Gatekeeping wird als gleichbedeutend mit einer Begrenzung der Informationsmenge verstanden, d. h. mit der Auswahl von als kommunikationswürdig erachteten Themen. Die gatekeeper („Torhüter“) entscheiden, welche Ereignisse zu öffentlichen Ereignissen werden und welche nicht. Auf diese Weise tragen die gatekeeper zur Formung des Gesellschafts- bzw. Weltbildes der Rezipienten bei. Vgl. Kunczik, Journalismus, 192ff; Burkart, Kommunikationswisschaft, 276ff und Prer, Publizistik, 128 ff. – Der Begriff des cultural gatekeeping, der für vorliegende Untersuchung des Selbstzeugnisse von Pinchas Katzenellenbogen übernommen werden soll, stammt aus einem Beitrag im Harvard Magazin über die Arbeit des New York Times Book Review Editors Barry Gewen. Vgl. Lumenello, New York Times, 4 f und 20.
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Entwicklungslinien im aschkenasischen Judentum des 17. und 18. Jh.
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an die nachfolgende Generation vererbt werden. Die mögliche Auslöschung solchen Familienwissens durch Verfolgung und Pogrome stand zu dieser Zeit, nicht zuletzt durch die Chmielnicki-Pogrome 1648/49, als reelle Gefahr vor Augen. Drittens schließlich widmet sich Katzenellenbogen in seinem Selbstzeugnis ausführlich dem Wert der traditionellen Gelehrsamkeit (vgl. Kapitel 6). Der eigene Bildungsweg wird ebenso als Ausdruck besonderer Ehrbarkeit dargestellt wie das lebenslange Festhalten am Ideal des Lernens. In der Vernachlässigung des Quellenstudiums, wie sie im 18. Jahrhundert zunehmend verbreitet war, sieht Katzenellenbogen eine Gefahr, der er sich für seine Nachkommen entgegenstellt. Diese drei Bereiche, das Bewahren von Bräuchen und Tradition, die Weitergabe von Familienerinnerungen sowie die Verteidigung des Wertes traditioneller Gelehrsamkeit sind in Yesh Manchilin nicht voneinander zu trennen, sondern, ganz im Gegenteil, immer eng aufeinander bezogen. Dennoch lassen sie sich, wie die Analyse zeigen wird, als differenzierbare Schwerpunkte feststellen. Darüber hinaus ist es grundlegendes Anliegen dieser Untersuchung, Katzenellenbogens Yesh Manchilin, das bislang nur in einer hebräischen Edition vorliegt und von der Forschung kaum Beachtung gefunden hat,4 umfassend darzustellen und einem weiteren Leserkreis Einblick in dieses Selbstzeugnis zu vermitteln.
1.2 Entwicklungslinien und Umbrüche im aschkenasischen Judentum des 17. und 18. Jahrhunderts Die Geschichte des aschkenasischen Judentums im 17. und 18. Jahrhundert ist seit langem Gegenstand zahlreicher Forschungsdiskussionen. Prägte Heinrich Graetz dieser Epoche noch die Überschrift „Allgemeine Verwilderung in der Judenheit“ auf,5 so setzen sich in der neueren Diskussion zunehmend sehr viel differenziertere Wahrnehmungen einer Epoche am Übergang zwischen Mit4 Bislang stand Yesh Manchilin fast ausschließlich im Blickpunkt von Forschungen, die diesen Text neben Werken anderer Verfasser für ihre spezifischen Fragestellungen herangezogen und sich nur mit Einzelaspekten des umfassenden und vielseitigen Selbstzeugnisses von Pinchas Katzenellenbogen beschäftigt haben. Vgl. z. B. Gries, Book, 57ff, dessen Interesse der Bibliothek Katzenellenbogens gilt, sowie Liberles, Schwelle, 21ff, der Yesh Manchilin neben vielen anderen autobiographischen Texten als Quelle für die Alltagsgeschichte der deutschen Juden in der vorund frühmodernen Zeit befragt. Auch Forschungen zur Rolle der Magie und der Ba’alei Schem im 17. und 18. Jahrhundert dient Katzenellenbogens Text als Quelle. Vgl. Rosman, Founder, 14ff; Etkes, Makom [hebr.], 77ff; Etkes, Besht, 14ff und Hundert, Jews, 147 ff. 5 Graetz, Geschichte 10, 294 und 339.
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Annäherungen an das Thema
telalter und Neuzeit durch.6 Nur stichwortartig sollen hier einige der Themen skizziert werden, die die Situation der aschkenasischen Juden im 17. und 18. Jahrhundert maßgeblich mit geprägt und damit auch die Lebenssituation von Pinchas Katzenellenbogen zumindest indirekt mit bestimmt haben.7 Auch wenn hier der Begriff „Umbruch“ benutzt wird, um die Veränderungen der jüdischen Lebensbedingungen zu charakterisieren, so soll doch keineswegs der Eindruck entstehen, dass es sich dabei immer um zeitlich eindeutig zu definierende Ereignisse handelt, durch welche jüdisches Leben von einem Tag auf den anderen in neue Bahnen gelenkt wurde. Vielmehr handelt es sich dabei zumeist um langwierige historische Prozesse, die sich regional bedingt in unterschiedlicher Geschwindigkeit vollziehen konnten und deren Auswirkungen im genannten Zeitraum allmählich sichtbar wurden. Solche „Umbrüche“ und Entwicklungslinien in der Geschichte und Gesellschaft des aschkenasischen Judentums im 17. und 18. Jahrhundert, die sich zuweilen auch krisenhaft zuspitzen konnten, sind u. a. auf folgenden vier Ebenen festzustellen: Zunächst lässt sich, erstens, auf politischer Ebene ein Umbruch für jüdisches Leben in Aschkenas erkennen. Dabei kam es nach Jahren der Verfolgung und Vertreibung in den deutschen Landen mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges zunächst zu einer gewissen Stabilisierung jüdischen Lebens durch die 6 Dabei konzentrierte sich die Diskussion, die beispielsweise bei Battenberg, Juden, 59ff, anschaulich nachgezeichnet wird, lange auf die Suche nach einer vermeintlichen Zäsur zwischen Mittelalter bzw. Vormoderne und Neuzeit. Gemeinhin wurde der Beginn der Neuzeit für die jüdische Geschichte später angesetzt als es für die Geschichte der christlichen Umwelt üblich ist. Letzten Endes ging es dabei um die Frage, wann die jüdische Gemeinschaft begonnen habe, aus ihrer traditionellen, ausschließlich religiös bestimmten und von der nichtjüdischen Gesellschaft weitgehend abgeschlossenen Lebensform auszubrechen und sich der europäischen Gesellschaft und Kultur gegenüber zu öffnen. Der Sichtweise der beiden Gründungsväter der modernen jüdischen Historiographie, Heinrich Graetz und Simon Dubnow, folgend, überwog dabei in der Forschungsgeschichte zunächst lange Zeit die Tendenz, eine solche postulierte Zäsur zwischen Mittelalter und Neuzeit erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts anzusetzen. Diese Betrachtungsweise wurde erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts revidiert. Benzion Dinur war der erste, der zu der Erkenntnis gelangte, dass auch von Graetz und Dubnow vernachlässigte Faktoren Berücksichtigung finden müssten, um der historischen Wirklichkeit gerecht zu werden. Statt von einem Kulturbruch innerhalb der jüdischen Gesellschaft auszugehen, rückt nunmehr ein allmählich fortschreitender Transformationsprozess in den Blick, der den Weg in die Moderne bereitet. Wie beispielsweise Israel, Jewry, 1, argumentiert, hatte dabei insbesondere der Zeitraum von 1650 bis 1713 einen tiefgreifenden und ausgeprägten Einfluss auf die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen des Judentums im deutschen Raum. Schochat, Ursprung, 18ff, verweist auf die Zeit zwischen 1700 und 1750, während der Veränderungen auf geistig-religiösem Gebiet die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts anbrechende Haskala vorbereiteten. Vgl. zur Diskussion um eine Periodisierung der jüdischen Geschichte auch Graetz, Zäsur, 1 ff. Zu Periodisierungsproblemen in der nichtjüdischen Geschichte vgl. außerdem Boockmann, Einführung, 13 ff. 7 Für ausführlichere Darstellungen dieser Zeit, wie sie hier nicht geleistet werden können, vgl. u. a. die Überblickswerke von Meyer, Geschichte; Herzig, Geschichte; Schochat, Ursprung; Battenberg, Zeitalter I; Battenberg, Zeitalter II; Battenberg, Juden und Israel, Jewry.
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Entwicklungslinien im aschkenasischen Judentum des 17. und 18. Jh.
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Neuzulassung in Städten, Neugründungen größerer Gemeinden und die Etablierung eines ländlichen Judentums. Durch die Pogrome des ChmielnickiAufstands 1648/49 kam es gleichzeitig aber zu einem vermehrten Zustrom jüdischer Flüchtlinge aus dem Osten, die von schrecklichen Massakern unter der jüdischen Bevölkerung berichteten. Im Verlauf des ukrainischen Kosakenaufstands des Bogdan Chmielnicki gegen die polnische Magnatherrschaft wurden hunderte von jüdischen Gemeinden in der Ukraine und in Polen vernichtet.8 Ganze Familienzweige waren ausgelöscht worden und es ergab sich die Notwendigkeit, in besonderen Memorbüchern die Namen derer festzuhalten, die sonst dem Vergessen anheim zu fallen drohten.9 Die verheerenden Folgen der Pogrome des Chmielnicki-Aufstands stellten somit auch die Zuverlässigkeit der mündlichen Vererbung von Familienwissen in Frage. So schreibt Sabbatai Scheftel Horowitz in seinem ethischen Testament von der Gefahr, dass Familienketten nicht mehr bekannt sind und somit letztlich sogar Inzest droht.10 Die Familienbeziehungen aufzuschreiben und für die Nachkommen festzuhalten spiegelt also unmittelbar sein Bemühen wider, dem Verlust des Familiengedächtnisses und somit dem Verlust der Familienidentität entgegenzuwirken.11 Nicht zuletzt die geplante Vertreibung der Juden aus Böhmen und Mähren durch Maria Theresia 1744/45 musste 8 Die Erhebung der Kosaken unter Bogdan Chmielnicki forderte ebenso wie der russisch-polnische Krieg (1654 – 1667) und der polnisch-schwedische Krieg (1655 – 1660) unter den Juden zahlreiche Opfer. Den Angaben von Ioffe, Juden, 377, zufolge, wurden allein zwischen 1648 und 1658 in der Ukraine, in Polen, Weißrussland und Litauen ungefähr 700 jüdische Gemeinden zerstört und kamen nach unterschiedlichen Berechnungen zwischen 100.000 und 180.000 Juden ums Leben. 9 Das Memorbuch ist ein Erzeugnis der synagogalen Literatur und hat seinen Ursprung in der Zeit des ersten Kreuzzugs von 1096, als die rheinischen Judengemeinden den Verfolgungen der Kreuzfahrer zum Opfer fielen und Tausende den Märtyrertod erlitten. Die Namen der Märtyrer wurden von den Gemeinden gesammelt und ihnen an den Sabbatgottesdiensten ein feierliches Seelengedächtnis bereitet. Auf dieselbe Weise wurde angesichts der vielen weiteren blutigen Verfolgungen während der nächsten Jahrhunderte verfahren. Als die Namen der Opfer zu zahlreich wurden, ging man dazu über, für das synagogale Seelengedächtnis nur Orts- statt Personenlisten aufzustellen. Um die Namen auf Dauer zu bewahren, legte Isaak ben Samuel aus Meiningen 1296 anlässlich der Einweihung einer Synagoge in Mainz als erster ein eigenes Memorbuch an. Doch erst seit etwa 1600 wurde das Anlegen von Memorbüchern ganz allmählich zu einem sich verbreitenden Phänomen. Neben den Märtyrerlisten, in denen auch die von den Verfolgungen des Chmielnicki-Aufstands betroffenen Orte mit aufgenommen wurden, verzeichneten die Gemeinden in ihren Memorbüchern die Namen der Verstorbenen, die um das Wohl ihrer Gemeinde bemüht gewesen waren und die ebenfalls regelmäßig im Gottesdienst verlesen wurden. Ein dritter Hauptteil der Memorbücher ist schließlich der Liturgie gewidmet und beinhaltet u. a. verschiedene sabbatliche Gebete. Vgl. Weinberg, Untersuchungen, 253ff; Weinberg, Memorbuch, 9ff sowie weiterhin Heimann-Jelinek, Memorbücher, 27ff und Purin, Memorbuch, 47 ff. 10 Zu ethischen Testamenten vgl. ausführlich unter 3.5.1 bzw. unter 4. 11 Vgl. Bar-Levav, When, 56: „He records his family tree to his sons, commanding them to pass this knowledge on to their sons and their offspring. This is his way of responding to his fear of the loss of family memory and identity.“
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Annäherungen an das Thema
dabei die Sorge vor vermehrten antijüdischen Pogromen auch in deutschen Landen verstärken.12 Auch ein zweiter Umbruch, der für die Bedingungen jüdischen Lebens in Aschkenas prägend war, ist zunächst auf politischer Ebene zu verorten, führte aber auch zu Veränderungen im sozialen und kulturellen Leben: Die zentralistischen Strukturen der neu entstandenen absolutistischen Staatsgebilde führten ganz allmählich zu einer zunehmenden Beschränkung der jüdischen Gemeindeautonomie. Zeitgleich förderte die merkantilistische Wirtschaftspolitik, ebenso wie der nach Reformation und Religionskriegen einsetzende Säkularisierungsprozess, eine wachsende Eingliederung der Juden in das allgemeine Leben. Neben der alten, auf traditioneller Gelehrsamkeit beruhenden Elite des Judentums entstand hierbei eine neue Wirtschaftselite, die im Westen vornehmlich im Fernhandel aktiv wurde, während sie in Zentraleuropa in Gestalt des Hoffaktorentums in Erscheinung trat. Sie spielte insofern eine ambivalente Rolle für die Wahrung traditioneller jüdischer Identität, als sie einerseits die Konstituierung der Gemeinden und die Wiedererrichtung der religiösen Institutionen erleichterte und somit einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der innerjüdischen Tradition leistete. Andererseits leistete sie jedoch auch der Ausbildung oligarchischer Führungsstrukturen und dem Nepotismus Vorschub und war daher durchaus mitverantwortlich für den Niedergang der traditionellen jüdischen Gemeindeautonomie.13 Die Angehörigen dieser neuen Wirtschaftselite waren auch die ersten, die zunehmend damit begannen, ihren Lebensstil an denjenigen der nichtjüdischen Umwelt anzupassen. Die geschäftlichen Beziehungen zu Nichtjuden beförderten mehr und mehr Kontakte auch auf gesellschaftlicher Ebene. Besonders sichtbar wurde die Annäherung an die Umgebung durch die Nachahmung von Kleidung und Mode sowie durch das Erlernen weltlicher Sprachen wie des Deutschen und des Französischen oder Italienischen. Dieses war zunächst durch geschäftliche Notwendigkeiten motiviert, wurde aber schon bald zum festen Bestandteil der Erziehung und versprach großes Ansehen zumindest in bestimmten Kreisen der jüdischen Gesellschaft, ohne dass damit ein praktisches Ziel verbunden war.14 Nicht selten wurden hierfür christliche Hauslehrer beschäftigt. In 12 Nachdem Maria Theresia, die Tochter und Nachfolgerin Kaiser Karls VI., während des Österreichischen Erbfolgekrieges (1740 – 1745) den Großteil Schlesiens verloren hatte, nahm sie 1744 Gerüchte um eine jüdische Kollaboration mit den preußischen Truppen zum Anlass, die Vertreibung der Juden aus Brünn und Olmütz zu verfügen. Im Dezember 1744 erließ sie einen generellen Ausweisungsbefehl für die böhmischen Juden und dehnte diesen im darauf folgenden Jahr auf Mähren und Schlesien aus. Erst nach diplomatischer Intervention von jüdischer Seite und Protesten von christlichen Einwohnern, die katastrophale Auswirkungen für die Wirtschaft des Landes voraussahen, wurde das Vertreibungsdekret für Mähren am 15. Mai 1745 wieder rückgängig gemacht. Vgl. Drabek, Juden, 131ff; Hecht u. a., Österreich, 104 f und 115 sowie den Überblick bei Breuer, Frühe Neuzeit, 149 f. 13 Vgl. hierzu Graetz, Zäsur, 5 ff. 14 Die jüdische Kauffrau Glückel Hameln (1645/46 – 1724) berichtet in ihren Memoiren, dass ihre Stiefschwester fließend Französisch gesprochen habe. Vgl. Hameln, Memoiren, 32 f. Über
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Entwicklungslinien im aschkenasischen Judentum des 17. und 18. Jh.
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Fortsetzung solcher Eingliederungstendenzen jüdischen Lebens in die umgebende Gesellschaft folgt schließlich das Aufkommen der Haskala, der jüdischen Aufklärungsbewegung, im Westen und im Gegenzug das Erstarken des Chassidismus im osteuropäischen Bereich. Neben diesen Umbrucherscheinungen aus dem politischen Bereich ist, drittens, eine zunächst interne Erschütterung des aschkenasischen Judentums zu erwähnen: Der 1665/66 aufkommende Sabbatianismus provozierte einen anhaltenden Streit mit der Orthodoxie, deren Autoritäten grundlegend in Frage gestellt wurden. Nicht zuletzt der Sabbatianismus führte damit zu einer Legitimitätskrise des Rabbinats. Streitigkeiten zwischen verschiedenen rabbinischen Autoritäten und der inflationäre Gebrauch von Bann und Gegenbann verstärkten den zunehmenden Verlust rabbinischer Autorität.15 Viertens, schließlich, ist eine weitere Umbrucherscheinung innerhalb der jüdischen Gemeinden zu erwähnen: Die durch die Drucktechnik ermöglichte massenhafte Verbreitung von Schriften führte, wie Bar-Levav darlegt, zu einer neuen Bedeutung und zu einer Pluralisierung der Bräuche bzw. Minhagim: „The influence of printing, leading to an expansion of the circle of regular readers, strongly informs their spiritual hunger. […] The technological innovation of the printing press did not simply provide a means for disseminating existing work and ideas, but also created new tastes and markets motivating cultural change.“16 Vor diesem Hintergrund ist auch die Popularisierung von Kabbala und „Wunderwissen“, die das 17. und 18. Jahrhundert in Aschkenas prägte, maßgeblich mit auf den Buchdruck zurückzuführen.17 Als Fazit dieser kurzen Schlaglichter auf historische Entwicklungslinien lässt sich festhalten: Jenseits aller pauschalisierenden Periodisierungsmodelle, die der Vielfalt jüdischen Lebens nicht gerecht werden können, ist diese Epoche gerade in ihrem Facettenreichtum zu betrachten.18 Methodisch steht
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ihren Vater, den Juwelenhändler und Pfandleiher Juda Joseph schreibt Glückel, dass er seine Kinder, „sowohl Söhne als Töchter, hat lernen lassen himmlische und weltliche Dinge.“ ebd., 22. Vgl. zur Annäherung an die nichtjüdische Umwelt ausführlich. Schochat, Ursprung, 86 ff. Battenberg, Integration, 437ff weist darauf hin, dass sich nicht nur in den Kreisen der neuen wirtschaftlichen Elite, sondern auch bei der jüdischen Unterschicht, den sogenannten Betteljuden, deren Anteil über ein Viertel der jüdischen Gesellschaft ausmachte, eine Annäherung an die entsprechenden Schichten der nichtjüdischen Umwelt beobachten lässt. Vgl. Abramsky, Crisis, 14: „One of the most characteristic features of the history of the Jews in eighteenth-century Europe is growing criticism of rabbis and communal leadership.“ Zur Funktion des Banns als Sanktionsmittel bei Verstößen gegen die religiösen oder moralischen Grundsätze vgl. bezogen auf die sephardische Gemeinde Amsterdams in der Frühen Neuzeit Kaplan, Herem, 108 ff. Bar-Levav, Ritualisation, 81 f. Vor allem seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erlebte das hebräische Druckwesen in Deutschland einen enormen Aufschwung. Eine wachsende Zahl hebräischer und jüdischer Bücher und Schriften verließ die Druckereien und fand weite Verbreitung. Vgl. Schmelzer, Printing, 370. Vgl. Hundert, Spirituality, 93 ff. Vgl. Wilke, Kultur, 44 ff.
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die Geschichtswissenschaft demnach, wie Feiner zu Recht betont, vor der Aufgabe, „die dramatische Geschichte des säkularen und des religiösen Erlebens in der Begegnung des Judentums mit der Moderne von innen her nachzuerzählen.“19 Es muss also darum gehen, auf die Stimmen der Beteiligten zu hören, in deren verschiedene Wahrnehmungs- und Erfahrungswelten einzudringen und die „verschiedenen Identitäten, Spannungen, Konflikte und Kulturkämpfe zu kartieren, die die Mosaiksteine des historischen Bildes sind.“20 – Dieser Aufgabe stellt sich vorliegende Untersuchung, indem sie das Selbstzeugnis von Pinchas Katzenellenbogen als einen solchen Mosaikstein in den Blick nimmt und eingehend analysiert.
1.3 Kontexte gegenwärtiger Forschungsdiskussionen 1.3.1 „Identität“ in kulturwissenschaftlicher Perspektive Der Frage nach „Identitäten“ kommt in der kulturwissenschaftlichen Forschung seit einiger Zeit besonderes Gewicht zu.21 Identität, in kulturhistorischer Perspektive, ist immer in einem Beziehungsgefüge zu verstehen, in dem Identität und Alterität einander gegenüber stehen. Identität erweist sich als Fähigkeit, sich immer wieder von anderen sozialen Größen zu unterscheiden (Alterität) und dabei selbst als soziale Größe kontinuierlich über die Zeiten hinweg erkennbar zu bleiben.22 Dabei stellt sich die Größe Identität freilich als Konstrukt dar, das jeweils historisch gewachsen und von historischen Prozessen geprägt ist.23 Nach Zirfas und Jörissen erscheint Identität entsprechend „weniger als ein fest umrissenes Konzept oder Modell, sondern als ein phänomenologisches Prisma, ein problematisierendes Diskursfeld, das unterschiedliche Fragen aufwirft und ebenso unterschiedliche Antworten inauguriert.“24 Demzufolge ist Identität nicht präzise definierbar, sondern vielmehr in ihrem jeweiligen Kontext zu beschreiben. Identität ist kein singuläres Bewusstsein, sondern entsteht im Zusammenspiel einer Vielzahl heterogener Selbst- und Fremdwahrnehmungsformen.25 Will man die Bedeutung einer bestimmten Identität verstehen, bedarf es daher „der Rekonstruktion ihrer 19 20 21 22
Feiner, Begegnung, 106 f. Ebd., 122; vgl. hierzu auch Lowenstein, Religion, 127 f. Vgl. Zirfas/Jçrissen, Phänomenologien, 7. Vgl. Landwehr/Stockhorst, Einführung, 194. Zirfas und Jörissen weisen darauf hin, dass Authentizitäts- und Identitätswünsche steigen, wenn das jeweilige Umfeld als fremd und anders wahrgenommen wird. „Identität wird immer dann wichtig, wenn Differenz aufscheint.“ Zirfas/ Jçrissen, Phänomenologien, 12. 23 Vgl. Landwehr/Stockhorst, Einführung, 193. 24 Zirfas/Jçrissen, Phänomenologien, 11. 25 Vgl. ebd., 20.
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historischen Entstehung und der Diskurse, die auf den Vorgang der Identitätsbildung eingewirkt haben.“26 Im Fragehorizont der Kulturgeschichte verfügt dabei jedes Individuum nicht nur über eine einzige Identität, sondern vielmehr über „mehrere, sich ergänzende und überschneidende Identitäten.“27 Neben der „subjektiven Identität“ besitzt ein Individuum meist mehrere „kollektive Identitäten“, die sich zunächst als Einbindungen in Gruppenzusammenhänge umschreiben lassen.28 Auch für Katzenellenbogen wird sich entsprechend zeigen: Die Einbindung in Traditions- und Gruppenzusammenhänge der Familie und der Gemeinde sind grundlegende Faktoren, die Identität entstehen lassen. „Kollektive Identität“, so Landwehr, entsteht „durch den gedanklichen Rückbezug einer Gruppe auf sich selbst, das heißt durch die gemeinsame Reflexion auf die mit anderen geteilten tradierten […] Grundlagen der eigenen Existenz.“29 Neben einer generellen kulturellen Verbundenheit spielen dabei laut Landwehr folgende Faktoren eine grundlegende Rolle:30 Erstens tragen soziale Formationen wie gemeinsame Abstammung zur Identitätsbildung bei. Zweitens festigen gemeinsame Interaktionsformen wie anerkannte Handlungsweisen, Umgangsformen, Regeln und Gesetze das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit. Drittens schließlich stärken auf Vereinbarung beruhende Kommunikationsformen, wie z. B. Zeichenpraktiken, Sprache und Wissensbestände, die von allen Mitgliedern eines Kollektivs geteilt werden, dessen Zusammengehörigkeitsgefühl. Auch bei Katzenellenbogen wird sich dementsprechend zeigen, dass es immer wieder um die soziale Formation, um gemeinsame Interaktionsformen und um gemeinsame Wissensbestände geht. Dabei ist entscheidend für die kollektive Identität noch nicht allein das Vorhandensein von gemeinsamen Traditionen, „sondern das kollektive Bewusstsein von ihnen als gemeinsamen Traditionen.“31 Eben darum geht es Katzenellenbogen in seiner Funktion als Hüter der Tradition.
1.3.2 Kulturelles Gedächtnis und „Gedächtniskisten“ Im Gegensatz zu individuellen, zeitlich begrenzten Gedächtnisinhalten lässt sich bei kollektiven, überzeitlichen Gedächtnisinhalten mit Aleida und Jan Assmann von einem „kulturellen Gedächtnis“ sprechen.32 In einem solchen kulturellen Gedächtnis sammeln sich Wissensbestände an, die den inneren 26 27 28 29 30 31 32
Landwehr/Stockhorst, Einführung, 194 f. Ebd., 196. Vgl. ebd., 197. Ebd., 197. Vgl. zum Folgenden ebd., 198. Ebd., 198. Vgl. zur Definition des Begriffs „kulturelles Gedächtnis“ Assmann, Gedächtnis, 19 ff. Vgl. außerdem Assmann, Erinnerungsräume, 13.
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Zusammenhang einer sozialen Gruppe ausmachen. Mit Yerushalmi ist auf die zentrale Bedeutung hinzuweisen, die dem kollektiven Gedächtnis für das Überleben der jüdischen Identität in der Diaspora zukommt. Das historische Bewusstsein über eine gemeinsame Vergangenheit und die beständige Aktualisierung der Erinnerung hieran sind bestimmend für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Identität.33 Da, wie Aleida Assmann darlegt, aber nicht nur im menschlichen, sondern auch im kulturellen Gedächtnis chronischer „Platzmangel“ herrscht, kommt den Auswahlprozessen besondere Bedeutung zu, die darüber entscheiden, was im identitätsfundierenden kulturellen Gedächtnis bewahrt wird und was nicht.34 Assmann spricht hier von „Gedächtniskisten“, die als Aufbewahrungsorte die begrenzte Aufnahmefähigkeit des kulturellen Gedächtnisses veranschaulichen.35 Dabei lässt sich m. E. das hier untersuchte Selbstzeugnis Katzenellenbogens eben genau in diesem Sinne als „Gedächtniskiste“ verstehen. Der Autor dieser Gedächtniskiste fungiert beim Abfassen seines Werkes (reflektiert oder auch unreflektiert) als Hüter des identitätsstiftenden Wissens und der Erinnerungen, die er für die Zukunft bewahrt wissen will. Das Festhalten bestimmter Erinnerungen und Traditionen dient dabei dem Festhalten an einer bestimmten kollektiven Identität.36
1.3.3 Tendenzen der Selbstzeugnisforschung Die Anfänge der wissenschaftlichen Erforschung von Selbstzeugnissen reichen im deutschsprachigen Raum bis ins ausgehende 19. Jahrhundert zurück.37 In der Tradition Jacob Burckhardts, der in seiner Kultur der Renaissance in Italien das Interesse am „modernen Individuum“ als Gegenstand historischer Forschung erweckt hat, wurde autobiographisches Schreiben lange als wichtiges Indiz für die Konstitution des modernen, von sozialen und religiösen Bindungen befreiten Individuums am Beginn der Frühen Neuzeit betrachtet.38 Diese These liegt auch dem umfangreichen, 1907 begonnenen 33 Vgl. Yerushalmi, Zachor, 43 – 63. Zur identitätsstiftenden Bedeutung von Erinnerung im Judentum vgl. auch Niethammer, Identität, 338 ff. 34 Vgl. Assmann, Erinnerungsräume, 123: „Je knapper die Speicherkapazität bemessen ist, desto entschiedener die Auswahl und desto wertvoller der Inhalt.“ 35 Vgl. ebd., 114 ff. 36 Vgl. Bell, Identity, 17: „Engagement with the past could be a powerful tool for locating authority (to challenge or uphold it), mediating relationships, and dictating proper behavior.“ 37 Einen Überblick über die Geschichte der Autobiographie-Forschung seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts bietet Niggl in seiner Anthologie Niggl, Autobiographie. 38 Vgl. Burckhardt, Kultur, v. a. 303 ff. Zur Bedeutung Burckhardts v. a. für die geistesgeschichtliche Perspektive in der Erforschung autobiographischer Texte vgl. z. B. Jancke, Autobiographie, 2.
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Werk Georg Mischs zur Geschichte der Autobiographie zugrunde,39 die dieser als „Geschichte des menschlichen Selbstbewußtseins“ verstanden wissen wollte.40 Sie wird bis in die jüngste Zeit hinein aufgegriffen, etwa durch Richard van Dülmen, der die Frühe Neuzeit als Epoche der Entstehung moderner Individualität charakterisiert und autobiographisches Schreiben als eng mit diesem Prozess verknüpft sieht.41 Fragen, die im Umfeld dieser geistesgeschichtlich geprägten Forschungstradition stehen, wurden auch auf einer von Kaspar von Greyerz, Hans Medick und Patrice Veit im Oktober 1998 veranstalteten Tagung zum Thema Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500 – 1800) zur Diskussion gestellt.42 Im Zentrum dieser Forschungsperspektive steht eine präzise Definition des Gattungsbegriffs der Autobiographie. Moseley beispielsweise plädiert dafür, Rousseau als Gründungsvater der modernen Autobiographie zu verstehen,43 deren Gattungsmerkmale er wie folgt umreißt: „Autobiography […] functions primarily as an introspective, self-reflective mode of literary discourse. […] For the autobiographer, the significance of the other is determined solely by the role that he or she plays in the formation of the self […] The autobiographer does not portray a pre-determined self or being, but rather tracks an open-ended process of becoming.“44
„Autobiographie“, „Ego-Dokument“ und „Selbstzeugnis“ Während sich diese Forschungstradition überwiegend an dem engeren Gattungsbegriff der „Autobiographie“ orientiert, arbeitet ein anderer Zweig der neueren Selbstzeugnisforschung mit einem wesentlich offeneren Gattungsbegriff der „Ego-Dokumente“.45 Der Begriff Ego-Dokument wurde in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts von dem niederländischen Historiker Jacques Presser geprägt und etwas später von Rudolf Dekker für die Geschichtswissenschaft nutzbar gemacht. Neben Autobiographien werden hier auch Tagebücher, Memoiren, Reiseberichte und Briefe mit einbezogen, in denen eine 39 Vgl. Misch, Geschichte. 40 Niggl, Einleitung, 2. 41 Vgl. van Dlmen, Entdeckung, 85ff und van Dlmen, Ich, 1 ff. Zur Kritik an diesem Individualisierungskonzept vgl. die Rezension von Jancke, Richard van Dülmen, 297 ff. 42 Vgl. insbesondere die Einleitung des hierzu erschienenen gleichnamigen Tagungsbands, Brndle u. a., Texte, 3 ff. 43 Vgl. Moseley, Origins, 6. 44 Ebd., 7 f. 45 Parallel lässt sich auch, vor allem im englischsprachigen Bereich, bisweilen ein gleichermaßen inflationärer Gebrauch des Begriffes Autobiographie feststellen, der weit über den engeren, ursprünglichen Gattunsbegriff hinaus Texte in diese Kategorie subsumiert, in denen „ein Selbst“ zur Sprache kommt. Ebd., 4, spricht in diesem Zusammenhang von einer drohenden Erosion der gattungsgeschichtlichen Definition von Autobiographie: „The problem with all this, however, is that it becomes increasingly unclear what exactly is being talked about.“ (Ebd., 3).
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Person über ihre Taten, Gedanken und Gefühle schreibt.46 Dank dieses erweiterten Gattungsbegriffs konnten auch mittelalterliche und frühneuzeitliche Texte verstärkt in den Blick genommen werden, deren Genese aus Wirtschaftsbuch, Genealogie oder Familienbuch noch deutlich erkennbar ist.47 Winfried Schulze hat zu Beginn der 90er Jahre für eine noch umfassendere Deutung dieses Begriffes plädiert. Neben freiwilligen Selbstäußerungen möchte er auch solche Ego-Dokumente mit einbeziehen, die im Rahmen administrativer, jurisdiktioneller oder wirtschaftlicher Vorgänge entstanden sein können.48 Der Begriff der Ego-Dokumente ist allerdings nicht frei von Kritik geblieben, die seiner durchgängigen Etablierung im Wege steht. Gerade die Vielfalt an Textformen, die sich unter diesem Begriff subsumieren lassen, birgt die Gefahr einer gewissen Beliebigkeit und mangelnden Präzision in sich. Letzteres impliziert, dass die Eigenarten unterschiedlicher Textformen, die ihrerseits bereits wichtige Auskünfte über den Akt der Autorschaft, insbesondere über seine Schreibmotivation, bereitstellen, nicht mehr genügend berücksichtigt werden.49 Ein ebenfalls in der Forschung gebräuchlicher Begriff ist der Terminus „Selbstzeugnis“. Als wichtigstes Kriterium für diesen Terminus setzt Benigna von Krusenstjern in Abgrenzung zu Schulze die freiwillige Selbstthematisierung an.50 Kaspar von Greyerz argumentiert schließlich, dass der Terminus Selbstzeugnis für die vielfältigen Formen von Selbstäußerung gerade in der Frühen Neuzeit, die sich mit ihren Eigenarten in keinen anderen Gattungsbegriff einfügen lassen, angemessener ist als die übrigen terminologischen Alternativen.51 46 Vgl. Dekker, Introduction, 7 und von Greyerz, Ego-Documents, 277 ff. 47 Vgl. von Krusenstjern, Buchhalter, 139. 48 Vgl. Schulze, Annäherung, 21. Ebd., 28, liefert folgende Definition des Begriffs Ego-Dokument, die sich als vorläufig versteht: „Gemeinsames Kriterium aller Texte, die als Ego-Dokumente bezeichnet werden können, sollte es sein, daß Aussagen oder Aussagenpartikel vorliegen, die – wenn auch in rudimentärer und verdeckter Form – über die freiwillige oder erzwungene Selbstwahrnehmung eines Menschen in seiner Familie, seiner Gemeinde, seinem Land oder seiner sozialen Schicht Auskunft geben oder sein Verhältnis zu diesen Systemen und deren Veränderungen reflektieren. Sie sollten individuell-menschliches Verhalten rechtfertigen, Ängste offenbaren, Wissensbestände darlegen, Wertvorstellungen beleuchten, Lebenserfahrungen und -erwartungen widerspiegeln.“ 49 Die Kritik an dem Begriff Ego-Dokument wurde zuletzt von von Greyerz, Ego-Documents, 277ff, zusammengefasst. Amelang, Spanish, 69, bezeichnet ihn als „a general, catch-all category, one which dredges up practically everything in its nets.“ Er warnt davor, verschiedene Textformen wie Autobiographie, Tagebuch, Brief, Memoiren etc. als eins zu behandeln: „The problem lies not only in that these words do not mean the same thing. Instead, one has carefully to distinguish their meanings if any sense is to be made of the act of authorship.“ Eine Distanzierung von dieser Begrifflichkeit findet sich u. a. auch in den Arbeiten von Gabriele Jancke. Vgl. z. B. Jancke, Autobiographie, 7. 50 Vgl. die ausführliche Erörterung dieses Terminus bei von Krusenstjern, Selbstzeugnisse, 462ff, sowie ihre Definition in von Krusenstjern, Zeit, 18 f. 51 Vgl. von Greyerz, Ego-Documents, 281. Zur Diskussion über die Begrifflichkeit vgl. auch Herzberg, Autobiographik, 17 ff.
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Konstruktion und Kommunikation der eigenen Lebensgeschichte Angeregt durch struktur- und mentalitätsgeschichtliche Fragestellungen kam es in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts zu einem wachsenden Interesse an den Lebenswelten und subjektiven Wahrnehmungsweisen historischer Akteure.52 Gerade für solche Fragestellungen wurde der Wert autobiographischer Zeugnisse als Quelle neu erkannt und durch veränderte methodische Ansätze zugänglich und nutzbar gemacht. So gehen neue methodische Ansätze für die Interpretation von Selbstzeugnissen zunächst vor allem auf Natalie Zemon Davis, James Amelang und Gabriele Jancke zurück und wurden von der Berliner DFG-Forschungsgruppe „Selbstzeugnisse in transkultureller Perspektive“ unter der Leitung von Claudia Ulbrich weitergeführt.53 Sie begreifen autobiographisches Schreiben als kommunikatives Handeln in Beziehungskontexten. In deutlicher Abgrenzung zum Burckhardtschen Konzept gehen sie davon aus, dass für die Frühe Neuzeit nicht von einem autonomen Individuum gesprochen werden kann, sondern Menschen dieser Zeit gerade dann als Individuen fassbar werden, wenn sie im Gegenüber zu anderen und mit ihren sozialen Beziehungen wahrgenommen werden. Aus diesem Grund werden von der neuen Forschungsrichtung Selbstzeugnisse nicht allein als Produkte selbständiger Individualitäten, sondern vor allem auch als Produkte der jeweiligen soziokulturellen Kontexte, in denen sie entstanden sind, behandelt.54 Weitgehender Konsens herrscht außerdem darüber, dass jede Form von schriftlicher Selbstäußerung eine absichtsvolle Gestaltung bzw. eine ReKonstruktion der eigenen Person ist und somit mehr Information über die Wahrnehmung des schreibenden als über die des beschriebenen Ichs vermittelt.55 Piller verweist in diesem Zusammenhang zu Recht auf die Bedeutung der sprachlichen Diskurse, in denen Erfahrungen jeweils zum Ausdruck gebracht werden: „Auch in Selbstzeugnissen weist das Meiste, was als ,Erfahrung‘ eines sprechenden Subjekts erscheint, zurück auf die diskursiven Bedingungen, die diese Erfahrungen formten.“56 52 Vgl. Jancke, Autobiographie, 7ff und von Greyerz, Ego-Documents, 275. 53 Vgl. Davis, Bindung; Amelang, Flight und Jancke, Autobiographie. Vgl. zu den Ergebnissen der Forschungsgruppe um Claudia Ulbrich den Sammelband Jancke/Ulbrich, Individuum. Vgl. zur neuesten Entwicklung der Selbstzeugnisforschung von den 1980er Jahren bis in die Gegenwart auch den kurzen Abriss von von Greyerz, Ego-Documents, 275 ff. 54 Vgl. Fulbroock/Rublack, Relation, 269. 55 „Sich-Erinnern ist eine aktive Tätigkeit, keine automatische Handlung. Und diese Tätigkeit schließt die Gegenwart oder einen Teil der Gegenwart beim Hervorholen, bei der Rekonstruktion der Vergangenheit mit ein.“ Bertaux/Bertaux-Wiame, Erinnerung, 150. Vgl. u. a. auch Safley, Got, 113 und Rutz, Ego-Dokument, 17. Schulze, Annäherung, 25, hingegen warnt: „Der konstruktive Charakter von Lebensläufen in autobiographischen Texten ist vielfach zu beobachten und kann ihren Quellenwert mindern oder doch relativieren.“ 56 Piller, Körper, 13.
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Geht es im Selbstzeugnis um die Konstruktion eigener Lebensgeschichte so ist bei der Analyse zwischen dem Inhalt des Werkes und der Schreibsituation des Autors zu differenzieren: „Autobiographical writing is based on a blending of two events – the past which is related (the ,narrated event‘), and the present events – the circumstances in which the author writes down his or her recollections (the ,narrative event‘).“57 Mit dieser Differenzierung verweist Miron auf ein grundlegendes Charakteristikum, das der Quellengattung der Selbstzeugnisse zu Eigen ist und das von Lejeune als „autobiographischer Pakt“ beschrieben wird.58 Gemeint ist damit, dass Subjekt und Objekt des Textes in der Person des Verfassers zusammenfallen, der Verfasser also sich selbst zum Thema seiner Niederschrift macht. Deshalb müssen bei der Analyse dieser Texte jeweils beide Ebenen in den Blick genommen werden. Erstens gilt es, die im Text mitgeteilte biographische Vergangenheit zu. Dabei ist zu beachten, dass die lebensgeschichtlichen Details, über die berichtet wird, nicht als getreue Widerspiegelung der Wirklichkeit verstanden werden können, sondern in ihrer Auswahl und Darstellung von einer jeweiligen Ich-Konstruktion bzw. einem Bild, das der Autor bewusst oder unbewusst von sich zeichnet, bestimmt sind. Um diese Ich-Konstruktion zu entschlüsseln, muss sich die Aufmerksamkeit, zweitens, auch auf den Moment der autobiographischen Niederschrift, der von Miron eben als narrative event bezeichnet wird, konzentrieren: „Alle biographischen Inhalte und Konstruktionen sind von dieser Ebene aus und damit in ganz persönlichen Situationen oder sozialen Kontexten formuliert.“59 Diese zweite Ebene des autobiographischen Schreibens, die in vorliegender Untersuchung als „Schreibsituation“ benannt werden soll, umfasst „sowohl Haltungen des gegenwärtigen Menschen zu seiner jüngeren oder ferneren Vergangenheit als auch Absichten, Fähigkeiten und Strategien, sich in einer gegenwärtigen Situation zu verhalten, an der direkt oder indirekt auch andere Menschen – etwa im unmittelbaren Gegenüber als Publikum – beteiligt sind.“60 Auf dieser Ebene werden lebensgeschichtliche Details, Auffassungen, Gedanken und Erfahrungen also nicht nur indirekt vermittelt. Vielmehr wird der Verfasser durch sein Schreiben in einem bestimmten Moment oder einer bestimmten Phase seines Lebens unmittelbar als handelndes Individuum greifbar. Die Autoren, so Jancke, „treffen Entscheidungen, worüber sie schreiben und wie sie das tun; sie wählen aus ihrem Material aus und fügen es zu einem mehr oder weniger bewusst, mehr oder weniger routiniert gestalteten Text zusammen; sie orientieren sich in ihrer Schreibsituation und oft gegenüber einem erwarteten Publikum; sie bewegen sich in Handlungsräumen von Normen, Erwartungen, Traditionen und Schreibgewohnheiten mit ihren eigenen Absichten und Kompetenzen – 57 58 59 60
Miron, Autobiography, 253. Vgl. Lejeune, Pakt, 13 ff. Jancke, Autobiographie, 25. Ebd., 26.
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kurz, sie agieren in einer sozialen Welt von Vorgaben und Möglichkeiten.“61 Neuere Forschungen untersuchen autobiographisches Schreiben daher auch als Akt kommunikativen Handelns. Entsprechend bezeichnet Tersch das narrative event bzw. die Schreibsituation auch als „Kommunikationssituation“.62 Jancke spricht vom Autor als einem „kommunikativen Ich“.63 Die im autobiographischen Text dargelegte biographische Vergangenheit ist nämlich nicht losgelöst von der Gegenwart der Verfasser und ihres Kontextes, aus dem heraus sie sich zur Niederschrift ihres Textes entschließen, zu behandeln.64 Die Untersuchung jüdischer Selbstzeugnisse Zahlreiche Editionen autobiographischer Texte jüdischer Provenienz seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert bezeugen das schon früh erwachte Interesse an diesen Werken.65 Allerdings weisen diese frühen Editionen häufig starke Eingriffe der Herausgeber in den ursprünglichen Textaufbau auf, so dass dieser entstellt und die Authentizität des Textes kaum mehr zu erfassen ist.66 Erste wichtige Ansätze, frühneuzeitliche jüdische Selbstzeugnisse mit den Methoden der modernen Selbstzeugnisforschung zu erschließen, wurden vor allem von Gabriele Jancke und Natalie Zemon Davis in ihren Untersuchungen der Selbstzeugnisse von Glückel Hameln, Leone da Modena und Josel Rosheim unternommen.67 Dabei handelt es sich um Einzelanalysen besonders her-
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Jancke, Diskussion392. Vgl. Tersch, Vielfalt, 80. Vgl. Jancke, Diskussion, 392. Vgl. ebd., 393. Um nur einige Beispiele zu nennen, sei hier auf Megillat Sefer von Jakob Emden (1697/98 – 1776) verwiesen, das in Teilen bereits 1810 und weitgehend vollständig erstmals von Kahana 1897 ediert wurde. Kahana hat 1911 auch die autobiographischen Aufzeichnungen Chaje Jehuda des venezianischen Rabbiners Leone da Modena (1571 – 1648) als erster in Gänze herausgegeben, die bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts das Interesse jüdischer Gelehrter auf sich gezogen hatten. Die Erinnerungen der jüdischen Kauffrau Glückel Hameln (1646 – 1724) wurden erstmals 1896 von Kaufmann, 1910 von Pappenheim und 1913 von Feilchenfeld veröffentlicht. Auszüge der Memoiren des Dov Ber Bolechow (1723 – 1805) haben 1913 Marmorstein und 1916 Lewin publiziert, bevor Vishnitzer 1922 erstmals das gesamte Werk herausgab. Schließlich seien hier die Erinnerungen des Ascher Levy angeführt, die 1913 von Ginsburger herausgegeben wurden. Vgl. zum editorischen Interesse an jüdischen Selbstzeugnissen seit dem späten 19. Jahrhundert auch Arroyo Kosˇenina, Phantasie, 55 f. Einen Überblick über die Probleme und Richtungen bei der wissenschaftlichen Erforschung jüdischer Selbstzeugnisse bietet Hofmeister, Probleme, 209 ff. 66 Vgl. Arroyo Kosˇenina, Phantasie, 55 f: „Die skrupellose Eingriffsfreude, Textteile zu unterschlagen, neu anzuordnen oder zu emendieren, mag sich von dem Bewußstein nähern, als Schreiber und Editor autobiographischer Schriften offenbar zugleich als Hüter über jüdische Kollektividentität zu wachen, daß die Priorität des Kollektiven über dem Individuellen oder Persönlichen nicht verletzt werde.“ 67 Vgl. zu Glückel Hameln z. B. Davis, Religion; Davis, Glikl; Davis, Arguing sowie Jancke,
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Annäherungen an das Thema
vorstechender Texte, die in der Forschung viel Aufmerksamkeit erhalten hatten.68 Systematische Untersuchungen jüdischer Selbstzeugnisse wurden bislang vor allem von Mintz (1989), Stanislawski (2004) und zuletzt von Moseley (2006) vorgelegt.69 Bei diesen einschlägigen Untersuchungen herrscht die Tendenz vor, autobiographisches Schreiben eng verbunden mit der Ausbildung eines modernen, autonomen Individuums zu sehen und es daher vornehmlich nach dem Grad der jeweilig zu Tage tretenden Selbstreflexion und Individualität zu bewerten. Autobiographie wird in diesen Untersuchungen mit Lejeune definiert als eine retrospektive „Prosaerzählung einer tatsächlichen Person über ihre eigene Existenz, wenn sie den Nachdruck auf ihr persönliches Leben und insbesondere auf die Geschichte ihrer Persönlichkeit legt“.70 Wie Lejeune sieht auch Moseley das Erscheinen der Confessions von Rousseau (1782) als Ausgangspunkt für die Entwicklung der modernen Autobiographie sowohl innerhalb der christlichen als auch der jüdischen Gesellschaft.71 Die Lebensbeschreibung von Salomon Maimon (1792/ 93) betrachtet Moseley als erstes Beispiel für die moderne jüdische Autobiographie, deren weitere Entwicklung sich vor allem in der osteuropäischen Haskala des 19. Jahrhunderts vollzog.72 Mintz hingegen bringt einen umfassenderen Begriff autobiographischen Schreibens in Anschlag und findet damit die Ursprünge jüdischen autobiographischen Schreibens zumindest ansatzweise schon früher, nämlich seit der Renaissance des 16. Jahrhunderts.73
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Sichronot. Zu Leone da Modena vgl. Davis, Ruhm und zu Josel Rosheim die Untersuchung von Jancke, Autobiographie, 35 – 43. Vor allem die Erinnerungen Glückel Hamelns haben seitens der Forschung in vielerlei Hinsicht Beachtung gefunden. Neben den bereits genannten Untersuchungen vgl. vor allem die Beiträge des aus einer internationalen Konferenz im Jahr 1996 hervorgegangenen Sammelbandes: Richarz, Kauffrau. Vgl. darüber hinaus u. a. Awerbuch, Lebensverständnis, 127ff; Hummel, Memoiren, 7ff; Turniansky, Erzählungen, 121ff und Lurz, Gottesdienst, 213 ff. Vgl. außerdem Turnianskys umfassende Einleitung zu ihrer hebräischen Übersetzung von Glückels Erinnerung: Hameln, Zikhronot, 9 ff. Vgl. Mintz, Table; Stanislawski, Jews und Moseley, Origins. Lejeune, Pakt, 14. Vgl. Moseley, Autobiography, 30 f. Vgl. auch Mintz, Table, 6 f; Schulte, Lebensgeschichte, 136. Vgl. Moseley, Autobiography, 16 ff. – Frühere Texte als Autobiographien zu bezeichnen, stellt laut Moseley eine anachronistische Projektion moderner Kategorien auf Texte der Vergangenheit dar. Vgl. Moseley, Origins, 77. Der jüdische literarische Diskurs vor Rousseau steht, so Moseley, nicht nur in keiner Kontinuität mit Autobiographien im definierten Sinne, sondern ist vielmehr als „anti-autobiographical“ zu bezeichnen. Ebd., 175. Je deutlicher Texte aus der Zeit vor Rousseau nämlich in der ersten Person erzählt auf das Selbst des Verfassers rekurrieren (und sich damit dem autobiographischen Paradigma annähern), desto später wurden sie publiziert und überhaupt erst im ausgehenden 19. Jahrhundert in den Diskurs eingebracht. Vgl. ebd., 175 f. Als Beispiel nennt Moseley hier Modenas zu Beginn des 17. Jahrhunderts verfasste autobiographische Schrift Chaje Jehuda, die in Gänze erst 1911 publiziert wurde. Eine neue Edition und Übersetzung bietet Cohen, Autobiography. – Zur Lebensbeschreibung Salomon Maimons vgl. auch Schulte, Lebensgeschichte, 135ff und Feiner, Maslul [hebr.], 43 ff. Vgl. Mintz, Table, 7.
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Kontexte gegenwärtiger Forschungsdiskussionen
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Stanislawski schließlich geht noch weiter, indem er seine Darstellung über „Autobiographical Jews“ bereits bei Josephus’ Vita beginnen lässt.74 Insgesamt fällt freilich auf, dass bislang überwiegend nur im engeren Sinne autobiographische Texte im Zentrum des Interesses stehen. Andere Formen jüdischer Selbstzeugnisse wurden zwar schon für alltags- oder sozialgeschichtliche Arbeiten herangezogen, bisher jedoch kaum als eigene Quellengattung in den Mittelpunkt einer Untersuchung gestellt, deren Interesse sich gerade an der betont subjektiven Perspektive dieser Texte orientiert. Chajes weist zu Recht darauf hin, dass zahlreiche vor- und frühmoderne Formen jüdischer Selbstäußerung jedoch gerade auch unter diesem Gesichtspunkt untersucht werden müssen.75 Seit dem 16. Jahrhundert ist eine Anzahl von Texten verschiedener Gattungen überliefert, die in einzelnen Aspekten mit späteren Autobiographien vergleichbar sind, ohne jedoch im engeren Sinne den Kriterien dieser Kategorie zu genügen.76 Diese Texte dürfen in der Analyse nicht anachronistisch den Kriterien modernen autobiographischen Schreibens unterworfen werden, sondern müssen vielmehr aus sich selbst und ihrer Zeit heraus verstanden werden. Chajes verdeutlicht dies u. a. am Beispiel der ethischen Testamente, die er mit Bar-Levav als eine der Wurzeln der modernen jüdischen Autobiographie begreift.77
74 Vgl. Stanislawski, Jews, 23. 75 Vgl. Chajes, Accounting, 1 ff. 76 Hierzu zählen u. a. die Texte von Josel Rosheim („Sefer HaMikne“), Abraham Yagel („Gei Hizzayon“), Yomtov Lipmann Heller („Megillat Ejva“), Ascher Levy („Sefer Sikhronot“), Leon Modena („Chajje Jehuda“), Isaak min HaLevijim („Medaber tahapukhot“), Anonymus (Sefer HaSikhronot“), Glückel Hameln („Zikhroynes“), Jakob Emden („Megillat Sefer“), Dov Ber Bolechow („Sikhronot“), Aaron Isaak („Spielbiografi“). Vgl. auch die Auflistungen bei Mintz, Table, 7 und Arroyo, Autobiographik, 165 f. Ebd., 161ff, möchte in Bezug auf diese Texte eher von einem autobiographischen Modus denn von einem Genre sprechen. 77 Vgl. Chajes, Accounting, 1ff und Bar-Levav, When, 57: „Ethical Wills are one of the internal sources of Jewish autobiography.“ Auf die Notwendigkeit, ethische Testamente, „deren Inhalt über den reinen Besitztransfer hinausgeht“, als Selbstzeugnisse zu betrachten und verstärkt in den Blick zu nehmen, verweist auch Ries, Individualisierung, 86. Dennoch ist es anachronistisch, Katzenellenbogens ethisches Testament als „Autobiographie“ zu bezeichnen, wie es zuweilen geschieht. So etwa bei Rosenfeld, Entwicklungen, 32 und in der deutschen Ausgabe von Kaplan, Geschichte, 42.
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2. Biographische Skizze von Pinchas Katzenellenbogen 2.1 Familiärer Hintergrund Pinchas Katzenellenbogen stammt aus einer alten und angesehenen, vor allem in den Ländern Ost- und Zentraleuropas weit verzweigten Familie, die unter ihren Angehörigen zahlreiche Rabbiner aufzuweisen hat.1 Ihren Namen trägt sie nach der im heutigen Rhein-Lahn-Kreis gelegenen Stadt Katzenelnbogen,2 die während des Mittelalters Stammsitz des gleichnamigen Grafengeschlechts war. Im Jahr 1312 erhielt Graf Diether von Katzenelnbogen von Kaiser Heinrich VI. als Dank für seine Dienste die Stadtrechte für Katzenelnbogen sowie die Erlaubnis, zwölf Juden in der Stadt aufzunehmen und zu besteuern. 1330 erneuerte Ludwig der Bayer dieses Recht und gestattete Graf Wilhelm und dessen Erben, auf dem Gebiet der inzwischen geteilten Grafschaft vierundzwanzig jüdische Familien anzusiedeln.3 Unter diesen frühen Siedlern haben sich vermutlich die Vorfahren von R. Meir ben Isaak Katzenellenbogen, bekannt unter dem Akronym Maharam,4 befunden. Pinchas Katzenellenbogen gibt ihn als den Kopf seiner Ahnenkette an, dem er in siebter Generation folgte.5 Den Angaben Rosensteins zufolge reiste Rabbi Isaak, der Vater von Meir Katzenellenbogen, zu Beginn des 15. Jahrhunderts von Katzenelnbogen ins Elsass und heiratete dort eine Tochter Jehiel Lurias, des späteren Rabbiners in Brest-Litowsk. Wegen der fortwährenden Judenverfolgungen im Elsass kehrten sie gemeinsam nach Katzenelnbogen zurück, wo vermutlich 1482 ihr Sohn Meir zur Welt kam.6 Im Jahr 1484 wurden die Juden aus Katzenellenbogen 1 Eine ausführliche genealogische Auflistung der Familie Katzenellenbogen bringt Eisenstadt, Sefer [hebr.], 82 – 135. 2 Wollsteiner, Übersicht, 8 f, nennt als wahrscheinlichste Deutung dieser Ortsbezeichnung die Ableitung von dem Namen „Melibokus“, mit dem eine an der Bergstraße gelegene Höhe bezeichnet und aus dem im Laufe der Zeit „Elnbogen“ wurde. Die ersten beiden Silben „Katzen“ leiten sich dagegen von „Chatten“, der mittelalterlichen Bezeichnung für „Hessen“ ab, so dass der Ortsname „Katzenelnbogen“ als „Melibokus der Chatten“ gedeutet wird. 3 Vgl. im Vorwort von Feld zu Yesh Manchilin, 23. Vgl. außerdem ebd., 9; Avneri, Germania, 391; Meyer, Juden, 75 und Michael, Katzenellenbogen, 19. 4 Das Akronym ergibt sich aus dem hebräischen Ehrentitel Morenu we Rabenu HaRav Rabbi („Unser Lehrer und Meister, Rabbi“) und dem ersten Buchstaben des Namens Meir. 5 Vgl. YM, § 4, 73. 6 Vgl. Rosenstein, Chain, 11 und ihm folgend Meyer, Juden, 76. Hinsichtlich des Geburtsjahres des Maharam herrscht Uneinheitlichkeit. Wie Rosenstein und Meyer geben auch Wollsteiner, Übersicht, 8 und Feld in seinem Vorwort zu Yesh Manchilin, 23, diesbezüglich das Jahr 1482 an.
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Familiärer Hintergrund
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ausgewiesen. Ob auch die Familie von Meir Katzenellenbogen zu den Vertriebenen gehörte, oder ob sie den Ort schon früher verlassen hatte, bleibt unklar. Meir Katzenellenbogen studierte zunächst in Prag bei dem berühmten Rabbiner und Talmudisten Jakob Pollak. Anschließend wandte er sich nach Italien, wo er in Padua als Schüler in der Jeschiwa von Jehuda ben Elieser Minz7 lernte und dessen Enkelin Hanna heiratete. Im Jahr 1525, nach dem Tod seines Schwiegervaters Abraham ben Jehuda Minz, folgte Meir Katzenellenbogen diesem in seinem Amt als Rabbiner der aschkenasischen Gemeinde in Padua, das er bis zu seinem Tod versah. Zugleich war er Oberrabbiner der Juden in der venezianischen Republik. Unter seinen Zeitgenossen galt Meir Katzenellenbogen bzw. Meir Padua, wie er nach seinem Wirkungsort auch genannt wurde, als großer talmudischer Gelehrter und als wichtige Autorität in halachischen Fragen. Er stand in Korrespondenz mit Mose Isserles, Salomo Luria und anderen berühmten Gelehrten seiner Zeit.8 Auch unter Katzenellenbogens weiteren Vorfahren, den Nachkommen des Maharam, finden sich zahlreiche Rabbiner und jüdische Gelehrte.9 Samuel Jehuda Katzenellenbogen (1521 – 1597), der Sohn des Maharam, folgte seinem Vater in dessen Amt als Rabbiner in Padua und Venedig. Er war der Verfasser vieler talmudischer Werke und stand der Talmudschule in Venedig vor, aus der zahlreiche bedeutende Rabbiner seiner Zeit hervorgegangen sind.10 Zu den prominentesten Mitgliedern aus Katzenellenbogens Familie zählt weiterhin Saul Wahl, ein Enkel des Maharam und Sohn von Samuel Jehuda Katzenellenbogen. Von Italien aus wandte er sich nach Polen, wo er sich in BrestLitowsk niederließ und die Tochter des angesehenen Gemeindeführers David Drucker heiratete. Der Legende nach wurde Saul Wahl im Jahr 1587 für einen
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Michael, Katzenellenbogen, 19 und Tal, Katzenellenbogen, 19, nennen hingegen das Jahr 1473 als Geburtsjahr. Eine gewisse Unklarheit besteht auch hinsichtlich des Geburtsortes. Entsprechend den Angaben bei Rosenstein und Meyer wird in der Literatur mehrheitlich Katzenelnbogen als Geburtsort des Maharam genannt. Vgl. u. a. Eisenstadt, Sefer [hebr.], 82; Kahan, Anaf [hebr.], 31; Wollsteiner, Übersicht, 8 f; Feld in seinem Vorwort, 23 und zuletzt auch Michael, Katzenellenbogen, 19. Dagegen gibt Tal, Katzenellenbogen, 19, Prag als Geburtsort des Maharam an. Jehuda Minz (1408, Mainz–1509, Padua), ging 1462, nach der Vertreibung der Juden aus Mainz, nach Italien. Er erhielt das Rabbinat in Padua und stand dort einer bedeutenden Jeschiwa mit zahlreichen Schülern vor. Vgl. Wollsteiner, Übersicht, 7; Rosenstein, Chain, 11 f und im Vorwort von Feld zu Yesh Manchilin, 24. Vgl. zum Maharam Eisenstadt, Sefer [hebr.], 82; Kahan, Anaf [hebr.], 31 f; Wollsteiner, Übersicht, 8ff; Zinberg, History 4, 125 f; Rosenstein, Chain, 11 f; Elbaum, Petichut [hebr.], 34ff; Meyer, Juden, 76 f; Tal, Katzenellenbogen, 19 f und im Vorwort von Feld zu Yesh Manchilin, 23 ff. Ein Stammbaum der Familie Katzenellenbogen, ausgehend von Meir Padua, ist abgedruckt bei Lçwenstein, Kurpfalz, 322 f. Darin sind auch Katzenellenbogens Nachfahren bis in die dritte Generation verzeichnet. Zu ihnen zählt u. a. Gabriel Riesser, der sich im 19. Jahrhundert als Verfechter für die jüdische Gleichberechtigung in Deutschland einen Namen machte. Vgl. Eisenstadt, Sefer [hebr.], 82 f; Kahan, Anaf [hebr.], 31; Wollsteiner, Übersicht, 11 f; Rosenstein, Chain, 13ff sowie das Vorwort von Feld zu Yesh Manchilin, 23.
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Biographische Skizze von Pinchas Katzenellenbogen
Tag zum König von Polen ernannt.11 Als weitere Vorfahren Katzenellenbogens in direkter väterlicher Linie folgen Meir Katzenellenbogen (ca. 1565 – 1631), Rabbiner in Brest-Litowsk, der 1623 an der Gründung der litauischen Landessynode beteiligt war. Er war in erster Ehe mit Hinde, der Tochter des mit Mose Isserles verschwägerten Pinchas Horowitz verheiratet. Dieser Ehe entstammte sein Sohn Mose ben Meir Katzenellenbogen (1590 – 1643), Rabbiner in Chelm.12 Saul Katzenellenbogen (1617 – 1691), Pinchas Großvater und Urenkel des erwähnten Saul Wahl, wirkte zunächst als Rabbiner in Brody und folgte ca. 1672 seinem Vater im Rabbinat der Gemeinde Chelm. 1682 wurde er Rabbiner in Pinczow und füllte diesen Posten bis zu seinem Tod im Jahr 1691 aus. Er war außerdem Mitglied der Vierländersynode,13 zu deren Sitzungen er von 1680 bis 1690 als Delegierter der Krakauer Gemeinde entsandt wurde, die zu dieser Zeit keinen eigenen Rabbiner hatte.14 Saul Katzenellenbogen war zweimal verheiratet. Feld gibt an, dass seine erste Frau eine Tochter von Chajim Jona Teomim gewesen ist, der den Talmudkommentar Kikoyon d’Jona verfasst hat und als Rabbiner in Grodno, Pinsk und Metz wirkte. Diese Annahme findet sich jedoch nirgends bestätigt.15 Seine zweite Frau war Jente, eine Tochter von Jakob Schor, der das Rabbinat in Lublin bekleidete.16 11 Vgl. zu Saul Wahl und der Legende über sein Königtum ausführlich unter 5.2.1. 12 Vgl. zu Meir ben Saul Katzenellenbogen und zu seinem Sohn Mose ben Meir Katzenellenbogen Eisenstadt, Sefer [hebr.], 85 und 89; Kahan, Anaf [hebr.], 32; Edelmann, Ner [hebr.], 93; Wollsteiner, Übersicht, 17 f und Rosenstein, Chain, 22ff, sowie das Vorwort von Feld zu Yesh Manchilin, 21 f. Zu Pinchas Horowitz vgl. ausführlicher auch unter 5.2.2. 13 Die Vierländersynode (hebr. N9JL4 F5L4 7F9/Wa’ad arba arazot), auch „Vierländerrat“ oder „Judenreichstag“ genannt, trat als über den Bereich der Gemeinde hinausgehendes Selbstverwaltungsorgan der jüdischen Bevölkerung Polens und Litauens erstmals 1581 in Lublin zusammen. Sie setzte sich zusammen aus den vier Provinzialvertretungen der jüdischen Gemeinden Großpolen, Kleinpolen, Ruthenien und Litauen, die bereits zwischen 1518 und 1522 durch König Sigismund I. eingerichtet worden waren, um das Steuerwesen effektiver zu gestalten. Die Vierländersynode war zuständig für alle Aspekte jüdischen Lebens. Neben Steuerfragen befasste sie sich u. a. mit sozialen und wirtschaftlichen Belangen, mit dem Verhältnis zur nichtjüdischen Umwelt und mit der Eingliederung jüdischer Flüchtlinge aus anderen Ländern. In der Regel tagte die Synode ein- bis zweimal jährlich in Jaroslaw oder in Lublin, wobei die Zahl der Delegierten aus den Provinzialvertretungen und aus den von den Provinzialvertretungen unabhängigen Gemeinden (Posen, Krakau, Przemys´l) etwa 25 betrug. Aus diesem Kreis wurden ein Vorsitzender, ein Schatzmeister, ein Schtadlan (Fürsprecher vor dem polnischen Sejm) sowie ein Schreiber rekrutiert. Um die Steuereintreibung zu erleichtern, wurde 1623 die litauische Vertretung aus der Vierländersynode gelöst und bildete von da an einen eigenen litauischen Judenreichstag. 1764 wurden beide Reichstage aufgelöst. Vgl. Haumann, Ostjuden, 29ff; Haumann, Polen, 231 f und Battenberg, Zeitalter I, 229 ff. 14 Zu Saul Katzenellenbogen vgl. Eisenstadt, Sefer [hebr.], 94; Edelmann, Ner [hebr.], 95; Wollsteiner, Übersicht, 18 und Rosenstein, Chain, 32, sowie das Vorwort von Feld zu Yesh Manchilin, 20 f. 15 Vgl. im Vorwort von Feld zu Yesh Manchilin, 21 sowie unter dem Registereintrag zu Saul Katzenellenbogen, 534. Lçwenstein, Familie, 348 f, nennt drei Töchter Chajim Jona Teomims, von denen jedoch keine mit Saul Katzenellenbogen verheiratet war. Eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen den Familien Katzenellenbogen und Teomim besteht jedoch insofern, als
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Familiärer Hintergrund
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Aus dieser Ehe ging Pinchas Vater Mose ben Saul Katzenellenbogen (1670 – 1743) hervor, der 1670 in Pinczow zur Welt kam.17 Katzenellenbogens Mutter war Sara Lea, die Tochter des ebenfalls einem alten und weitverzweigten Gelehrtengeschlecht entstammenden Elieser Heilbronn,18 der 1648 im polnischen Jaroslaw geboren wurde. Nach dem frühen Tod seines Vaters Mordechai Heilbronn von Jaroslaw wuchs Elieser, wie Katzenellenbogen berichtet, bei seinem Onkel Hirsch Busker im damals zu Wolhynien/Polen, heute zur Ukraine gehörenden Dubno auf. Zusammen mit Naphtali Katz, der später ein bekannter Kabbalist und Rabbiner u. a. in Ostrow, Posen und von 1704 bis 1711 in Frankfurt am Main war,19 studierte er zunächst bei R. Josia in Przemys´l und besuchte dann die Talmudschule von Saul Katzenellenbogen, dem Vater seines späteren Schwiegersohns Mose Katzenellenbogen, in Pinczow. Anschließend heiratete er Nechama, die Tochter Hirsch Buskers. Einige Jahre lebten sie im Haus seines Onkels, dann übernahm Elieser Heilbronn Rabbinatsstellen in Meseritsch, Tomaszow und zuletzt in Fürth, wo er am 19. Tischri 1700 verstarb.20 Mose Katzenellenbogen und seine Frau ließen sich nach ihrer Hochzeit im Jahr 1685 in Dubno nieder.21 Dort kam am Freitag, dem 26. Elul 1691,22 Pinchas als ältester Sohn und zweites der insgesamt sechs Kinder seiner Eltern zur
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der erwähnte Chajim Jona Teomim mit Bele, der Tochter des Meir Katzenellenbogen und Enkelin Saul Wahls verheiratet war. Vgl. ebd., 346 f. Vgl. Eisenstadt, Sefer [hebr.], 94; Edelmann, Ner [hebr.], 95; Wollsteiner, Übersicht, 18; Rosenstein, Chain, 33; im Vorwort von Feld zu Yesh Manchilin, 21 sowie unter dem Registereintrag zu Saul Katzenellenbogen, 534. Zu Mose ben Saul Katzenellenbogen vgl. Eisenstadt, Sefer [hebr.], 100; Lçwenstein, Fürth II, 119ff; Edelmann, Ner [hebr.], 95; Wollsteiner, Übersicht, 22 f und, allerdings nicht frei von Fehlern, Rosenstein, Chain, 35. Vgl. außerdem im Vorwort von Feld zu Yesh Manchilin, 19 f. Der Familienname Heilbronn weist auf die gleichnamige Stadt hin, in der sich im Mittelalter eine nicht unbedeutende jüdische Gemeinde befand. Der Name erscheint in verschiedenen Formen wie Heilbronn, Heilprun, Heilprin, Heilpern, Halpern und Alpern, den verschiedenen Ländern entsprechend, in denen er vertreten ist. Vgl. Rottenberg, Finding, 240 f. Vgl. zur familiären Herkunft von Elieser Heilbronn den Überblick von Eisenstadt, Sefer [hebr.], 57 – 75 sowie Lçwenstein, Fürth I, 172. Zur Biographie von Naphtali Katz vgl. Perles, Geschichte, 92 f. Vgl. YM, § 58, 156 f. Vgl. zu Elieser Heilbronn Eisenstadt, Sefer [hebr.], 63; Brann, Sammlung, 397 f; Lçwenstein, Fürth I, 172 f; Edelmann, Ner [hebr.], 95 f und Blume, Friedhof, 90 f. Juden sind in der ehemals polnischen Stadt Dubno seit dem 16. Jahrhundert bezeugt. Die älteste erhaltene Grabinschrift auf dem jüdischen Friedhof datiert aus dem Jahr 1581. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wirkte Jesaja Horowitz, der Verfasser von Shne Luhot HaBrit als Rabbiner in Dubno. Am Vorabend der Chmielnicki-Aufstände lebten dort ca. 2000 Juden, die jedoch im Zuge der Unruhen zum größten Teil ermordet wurden, weil ihnen die Zuflucht in der Festung der Stadt von den Polen verwehrt wurde. Schon kurze Zeit später etablierte sich unter dem stadtherrlichen Schutz der Prinzen Lubomirksi aufs neue eine jüdische Gemeinde in Dubno. Vgl. Slutsky/Spector, Dubno, 33. Das jüdische Datum entspricht dem 20. September 1691.
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Biographische Skizze von Pinchas Katzenellenbogen
Welt.23 Seine Brüder waren Elieser Katzenellenbogen (1700 – 1771), Rabbiner in Bamberg und Hagenau im Elsass und Naphtali Hirsch Katzenellenbogen (ca. 1715 – 1800), der von 1741 an als Rabbiner in Mergentheim wirkte und 1763 zum Oberrabbiner der kurpfälzischen Juden mit Sitz in Leimen berufen wurde. Mit diesem Titel verband sich auch das Amt des Oberrabbiners an der Moses-Lemle-Klaus, einer der größten Jeschiwot der Region, in Mannheim, wohin er seinen Sitz 1768 verlegte.24 Ein dritter Bruder war offenbar Salomo Salman Katzenellenbogen, der in Yesh Manchilin jedoch keine Erwähnung findet.25 Des weiteren hatte Katzenellenbogen zwei Schwestern.26 Die um drei Jahre ältere Bela Katzenellenbogen27 heiratete im Jahr 1706 Meir Halevi, den Sohn des gelehrten Isaak Seligmann, der Gemeindevorsteher in Zeckendorf war.28 Seine zweite Schwester war Rachel Sara. Katzenellenbogens Angaben nach wurde sie am 10. Adar 1695 in der Gemeinde Podhajce geboren,29 wo Mose Katzenellenbogenzu dieser Zeit als Rabbiner tätig war. Katzenellenbogen berichtet, dass sie 1712 in Frankfurt an der Oder Chajim Katzenellenbogen, den Sohn von Katzenellenbogens Onkel Sa’adja Jesaja Katzenellenbogen heiratete.30 An anderer Stelle nennt Katzenellenbogen als Ehemann seiner Schwester Joseph Jossel aus Schwabach.31 Möglicherweise war sie mit diesem in zweiter Ehe verheiratet. Katzenellenbogen zufolge ging aus dieser Ehe ihr im Jahr 1727 geborener Sohn Abraham Schwabach hervor, der später der Schwiegersohn des mährischen Landesrabbiners in Nikolsburg, Gerson ben Mose Pullitz wurde.32 Löwenstein gibt hingegen an, dass Rachel Sara wahr23 Vgl. YM, § 58, 156 f. Vgl. auch bei Eisenstadt, Sefer [hebr.], 108 und Edelmann, Ner [hebr.], 96. 24 Zu Elieser und Naphtali Hirsch Katzenellenbogen vgl. Eisenstadt, Sefer [hebr.], 108 f; Lçwenstein, Kurpfalz, 240ff; Lçwenstein, Fürth II, 120; Wollsteiner, Übersicht, 23 f; Brocke/Carlebach, Handbuch 1/2, 516; Gotzmann, Autonomie, 465ff sowie die Genealogien der Familie Katzenellenbogen von Lçwenstein, Kurpfalz, 322f. Zur Moses-Lemle-Klaus in Mannheim vgl. außerdem Preuss, Juden, 16 ff. 25 Vgl. Eisenstadt, Sefer [hebr.], 109. In der übrigen Literatur und auch von Feld in seinem Apparat zu Yesh Manchilin wird Katzenellenbogens dritter Bruder, Salomo Salman Katzenellenbogen, zumeist nicht erwähnt. Auch in den genannten Genealogien ist er nicht verzeichnet. 26 Vgl. auch ebd., 109. 27 Katzenellenbogens Angaben zufolge wurde sie im Monat Aw des Jahres 1688 geboren (vgl. YM, § 58, 156 und § 61, 159). 28 Vgl. YM, § 131, 224. Lçwenstein, Fürth II, 120 f, gibt an, dass Isaak Seligmann einer Gruppe von Frommen angehörte, die Nathan von Gaza als Propheten verehrte. Er starb hochbetagt im Jahr 1709. Katzenellenbogen nennt als Todesjahr 1729 (vgl. YM, § 33, 112 f). Da er aber als Geburtsjahr 1630 und als Sterbealter etwa 80 Jahre angibt, liegt hier offenbar ein Irrtum vor. 29 Vgl. YM, § 61, 159. 30 Vgl. YM, § 14, 86. Zu Sa’adja Jesaja Katzenellenbogen vgl. Eisenstadt, Sefer [hebr.], 100. 31 Vgl. YM, § 170, 265. 32 Vgl. YM, § 170, 265. Gerson ben Mose Pullitz bekleidete von 1758 – 1772 das Amt des mährischen Landesrabbiners mit Sitz in Nikolsburg. Vgl. Klenovsky´, Sites, 14. Seine Grabinschrift findet sich abgedruckt bei Feuchtwang, Epitaphien, 379. Eisenstadt, Sefer [hebr.], 107, gibt demgegenüber an, dass Chajim Katzenellenbogen, der Sohn von Sa’adja Jesaja, eine Tochter von Gerson ben Mose Pullitz geheiratet habe.
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Die Ritualmordbeschuldigung gegen den Vater (1699)
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scheinlich mit dem Dajan Isachar Niederwerrn verheiratet war. Im Jahr 1766 soll sie gemeinsam mit ihren Töchtern Jente und Chaja in Fürth wohnhaft gewesen sein.33
2.2 Die Ritualmordbeschuldigung gegen den Vater (1699) 1694 übernahm Mose Katzenellenbogen das Rabbinat in der Gemeinde Podhajce in Galizien und ließ sich dort mit seiner Familie nieder.34 Um das Schawuot-Fest des Jahres 1699 herum35 kam es in Podhajce jedoch zu Ritualmordbeschuldigungen gegenüber der jüdischen Gemeinde, in deren Folge auch Mose Katzenellenbogen in Haft genommen wurde.36 Katzenellenbogen schildert die Geschehnisse folgendermaßen: Im Sommer des Jahres 1699, nahe Schawuot, wurden Verleumdungen über die Juden in der Gemeinde Podhajce gebracht, als man einen unbeschnittenen Jungen ermordet und verwundet nahe der Gemeinde Podhajce fand. Gegen die Juden in dieser Gemeinde wurden Ritualmordvorwürfe laut. Sofort begann man, die Juden der Gemeinde festzunehmen. So geschah es auch meinem Vater, dem Aw Beth Din und heiligen Lehrer, sel.A. (YM, § 60, 158)
Insbesondere in den südöstlichen Gebieten von Polen-Litauen wurden die Juden im Nachklang der Chmielnicki-Progrome seit Mitte des 17. Jahrhunderts zunehmend verfolgt.37 Immer wieder kam es zu Ritualmordanklagen. Laut Guldon/Wijaczka gab es in Polen im 17. Jahrhundert dreiunddreißig solcher Prozesse.38 1633 hatte König Wladislaw IV. verfügt, dass Juden, die dem Vorwurf des Ritualmords oder der Hostienschändung ausgesetzt waren, beim Magistrat in Haft genommen und ihre Fälle vor einem Tribunal mit königlichem Gesandten verhandelt werden sollten.39 Katzenellenbogen beschreibt jedoch, dass der Ritualmordvorwurf gegen seinen Vater und gegen weitere Gemeindeglieder beim Fürsten der Gemeinde in Podhajce und nicht in Lublin verhandelt wurde.40 Es ist zu vermuten, dass weitere ähnliche Fälle bei lokalen Instanzen „verhandelt“ wurden und nicht vor das eigentlich zustän33 Vgl. Lçwenstein, Fürth II, 120 f und 137. 34 Vgl. YM, § 59, 157. 35 Das Schawuot-Fest wird jährlich am 6. und in der Diaspora zusätzlich am 7. Siwan gefeiert. Im Jahr 1699 entsprach dieses Datum dem 3. und 4. Juni. 36 Vgl. hierzu auch bei Eisenstadt, Sefer [hebr.], 100; Edelmann, Ner [hebr.], 95; Wollsteiner, Übersicht, 22 f; Rosenstein, Chain, 35 und im Vorwort von Feld zu Yesh Manchilin, 19 f. 37 Vgl. Guldon/Wijaczka, Accusation, 119. 38 Vgl. ebd., 139. Auch Hundert, Jews, 72, verweist auf die Untersuchung von Guldon/Wijaczka, spricht aber von Prozesszahlen „in the low twenties“, jeweils im 17. wie auch im 18. Jahrhundert. Die Liste von Guldon/Wijaczka möchte Hundert um einen Fall aus dem Jahr 1718 erweitern. 39 Vgl. Guldon/Wijaczka, Accusation, 102. 40 Vgl. YM, § 60, 158 f.
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Biographische Skizze von Pinchas Katzenellenbogen
dige Tribunal kamen. Die Prozesszahlen von Guldon/Wijaczka, in denen auch der von Katzenellenbogen bezeugte Fall aus Podhajce im Jahre 1699 keine Berücksichtigung findet, dürften demnach noch um einiges höher anzusetzen sein, als es die bislang ausgewerteten Quellen ergeben haben.41 Katzenellenbogens Darlegung über die vorgesehene Verfahrensweise bei Ritualmordanklagen bestätigt jedenfalls das, was Guldon/Wijaczka über den königlichen Erlass von 1633 sagen, demzufolge die Verfahren zentral und nicht vor Ort durchgeführt werden sollten: Und die Sache verhielt sich [nach folgendem Schriftwort]: ,Aber Schmach für die Völker ist die Sünde.‘ [Prov 14,34]42 Wer vor ihrem Gutsherren Gericht steht, weil man eine Lügen-Anschuldigung gegen ihn erhebt, [ist es sein Erlass] sie ins Gefängnis zu führen, und ihr Gesetz schreibt vor, sie vor das Tribunal nach Lublin zu bringen, und keiner, der dorthin kommt, kehrt wieder zurück. (YM, § 60, 158)
Nachdem Mose Katzenellenbogen auf ein Gnadengeheiß des Fürsten hin aus dem Gefängnis entlassen worden war, verließ er Podhajce Anfang August 169943 und wandte sich vermutlich nach Tomaszow, wo er bereits seine Ehefrau und seine beiden Töchter im Haus ihres Vaters Elieser Heilbronn, der dort zu dieser Zeit Rabbiner war, in Sicherheit gebracht hatte.44 Über Umwege traf gegen Ende des Jahres auch Pinchas bei seinem Großvater in Tomaszow ein. Zuvor war er in Lemberg im Haus seiner Tante Margale, der Schwester seiner Mutter, und deren Mann, dem Gemeindevorsteher R. David ben Ephraim, in Lemberg untergekommen.45
41 Wie ebd., 139, einräumen, sind bislang vornehmlich antisemitische Schriften als Quellen für die Ritualmord Prozesse erschlossen worden. 42 Die Übersetzung des Halbverses N4ü; A=B4@ 7E ;9 erhält in der rabbinischen Auslegung allerdings auch noch eine ganz andere Bedeutung. Statt 7E ; mit „Schmach“ zu übersetzen, wird dabei die geläufigere Bedeutung „Gnade“ zu Grunde gelegt. In bBB 10b legt Rabbi Elieser den Vers demnach folgendermaßen aus : N9B94M 7E;9 8K7J @? – N4ü; A=B94@ 7E;9 95 @76N8@ 4@4 C=M9F AD=4M ,C8@ 498 4ü; C=M9F A=5?9? =759F. „,Auch Gnade ist für die Völker Versündigung‘: Jede Gerechtigkeit und Gnade, die die Götzendiener tun, ist ihnen zur Versündigung, denn sie tun sie nur, um sich dadurch zu erhöhen.“ – Wenn, was nicht abwegig erscheint, Katzenellenbogen diese Auslegungstradition des Verses zumindest als Doppeldeutigkeit mit einspielt, wendet er sich damit sehr deutlich auch gegen den polnischen Gutsherren, der sich als vermeintlich gnädig in seinem Urteil erwiesen hat. Diese „Gnade“ beruhte allerdings nur auf seiner eigenen Überheblichkeit, sich selbst zum Richter zu machen. 43 In Yesh Manchilin heißt es, dass er Podhajce am Sabbat Chason, d. h. am Sabbat vor dem 9. Aw, oder am Sabbat Nachamu, d. h. am Sabbat nach dem 9. Aw des Jahres 1699 verließ. Dies entspricht dem 1. oder 8. August. 44 Vgl. YM, § 69, 170 f und § 61, 159. 45 Vgl. YM, § 61 – 63, 159 ff. Bei Eisenstadt, Sefer [hebr.], 66, sind außer Katzenellenbogens Mutter nur Jachet, bzw. Lea, jedoch keine weiteren Kinder Elieser Heilbronns und seiner Frau Nechama verzeichnet.
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Das jüdische Fürth, Ort der Kindheit und Jugend
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2.3 Das jüdische Fürth, Ort der Kindheit und Jugend Ende des Jahres 1699 erhielt Elieser Heilbronn Nachricht, dass er zum Rabbiner in der Gemeinde Fürth gewählt worden war.46 Gemeinsam mit seinem Schwiegersohn Mose Katzenellenbogen machte er sich auf die Reise von Tomaszow nach Fürth, das sie im Monat Nissan des Jahres 1700 erreichten. Der Schilderung seines Enkels nach wurde Elieser Heilbronn dort mit großen Ehren empfangen: Ich habe gehört wie sie von der großen Ehre erzählten, die ihm dort erwiesen worden war und dass sie ihm zu seinen Ehren entgegen zogen mit hunderten von Wagen und Hörnern, darunter die Großen und Wichtigen der Gemeinde und die Bachurim. Am oben erwähnten Donnerstag kamen sie dort an. Und am Sabbat Wajikra hielt mein Großvater R. Leiser seine erste Predigt. In meinem Besitz befindet sich eine Handschrift von ihm, in der er die Geschenke auflistet, die er an diesem Sabbat empfangen hatte. Darunter waren silberne Gegenstände sowie verschiedene Haushaltsgegenstände im Wert von einigen hundert Reichstalern, Silber, Gold und Edelsteine. (YM, § 70, 171)
Pinchas, seine beiden Schwestern, seine Mutter und seine Großmutter Nechama, die Frau von Elieser Heilbronn, verließen Tomaszow zu Beginn des Frühjahrs 1700 und reisten über Breslau und Prag, wo sie Rosch HaSchana verbrachten, nach Fürth, das sie am Vorabend des Jom Kippur erreichten.47 Zu dieser Zeit beherbergte der fränkische Marktflecken Fürth bereits eine bedeutende jüdische Gemeinde. Sie blieb bis ins 19. Jahrhundert hinein die größte jüdische Ansiedlung in Bayern.48 Eine Voraussetzung für den Aufstieg Fürths zu einem Zentrum des süddeutschen Judentums lag in seiner geographischen Lage am Schnittpunkt dreier Territorien und der sich daraus ergebenden sogenannten Dreiherrschaft über den Marktflecken, die sich das Domstift Bamberg, die Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach und die Freie Reichsstadt Nürnberg teilten und die von der ständigen Konkurrenz zwischen den drei Territorialherren geprägt war. Eine erste Ansiedlung von Juden ist für die Jahre zwischen 1440 und 1442 belegt, als mindestens vier jüdische Geldhändler in dem mittelfränkischen Ort wohnhaft waren. Für das 15. Jahrhundert ist letztmals 1454 ein Fürther Jude bezeugt. Zu einer dauerhaften Ansiedlung von Juden kam es in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als der Ansbacher Markgraf Georg der Fromme 1528 gegen die Zahlung beträchtlicher Abgaben und zunächst zeitlich für sechs Jahre befristet die Juden Perman und Uriel in Fürth aufnahm. Dies bedeutete insofern einen Affront, als der Nürnberger Rat die Juden 1498/99 aus der Stadt verbannt hatte und auch 46 Vgl. YM, § 69, 170. 47 Vgl. YM, § 74 f, 173 f. Der Vorabend von Jom Kippur war am Abend des 22. September 1700. 48 Vgl. Renda, Gemeinde, 239.
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Biographische Skizze von Pinchas Katzenellenbogen
innerhalb des reichsstädtischen Territoriums keine jüdische Ansiedlung zuließ. Gegen den Protest des Nürnberger Rats nahm der Markgraf 1537 auch den reichen Juden Michel von Dornberg auf, der sich neben hohen Zahlungsleistungen dazu verpflichten musste, in Fürth ein Haus zu bauen. Während der Markgraf in der Folgezeit zurückhaltender mit der Schutzerteilung für Juden verfuhr, begann spätestens seit den 50er Jahren des 16. Jahrhunderts auch die Domprobstei Bamberg, Juden in Fürth anzusiedeln und ermöglichte damit die rasche Bildung einer Gemeinde, für deren Entwicklung vor allem die Nähe der bedeutenden Handelsstadt Nürnberg eine wesentliche Voraussetzung war, mit deren Bürgern die Fürther Juden einen blühenden Handel betrieben.49 Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war die jüdische Gemeinde durch die Ansiedlungspraxis der Domprobstei soweit angewachsen, dass sie sich die zentralen Gemeindeeinrichtungen schaffen konnte.50 Nachdem die unter ansbachischem Schutz stehenden Juden ihre Toten jahrzehntelang auf dem weit entfernten jüdischen Friedhof in Baiersdorf und die dompröbstlichen Schutzjuden ihre Toten im noch weiter entfernten Schnaittach begraben hatten, erwarben letztere im Jahr 1607 in Fürth ein Grundstück zur Schaffung einer eigenen Begräbnisstätte, die auch von der Ansbacher Judenschaft in Fürth benutzt werden durfte. 1653 wurde der Friedhof zum ersten Mal vergrößert und mit einer Mauer umgeben.51 Außerdem machte das Anwachsen der jüdischen Gemeinde den Bau einer ersten Gemeindesynagoge notwendig. Zu Beginn der jüdischen Ansiedlung wurden Gottesdienste wohl in Privathäusern abgehalten. Im Jahr 1617 konnte dann die baulich der Prager PinkasSynagoge nachempfundene sogenannte Altschul und spätere Hauptsynagoge Fürths eingeweiht werden. Sie war die erste von vier Synagogen, die in dem am Stadtrand gelegenen sogenannten Schulhof, dem religiösen Zentrum der Fürther Juden errichtet wurden. Neben den Synagogen waren hier auch andere Einrichtungen jüdischen Lebens wie u. a. Lehrhäuser, Mikwen und Gemeindeverwaltung vereint.52 Als ersten Fürther Rabbiner nennt Löwenstein den seit 49 Vgl. ebd., 239; Renda, Jerusalem225 f; Renda, Judengemeinde, 9ff; Rohrbacher, Entstehung, 37 und Eberhardt/Purrmann, Fürth, 266. 50 Bei ebd., 320, werden für das Jahr 1566 ca. 70 Personen angegeben. Ohm, Fürth, 8, nennt für das Jahr 1600 in Fürth 22 jüdische Familien neben 321 christlichen Familien. Nach den Angaben bei Blume, Friedhof, 51, zählte Fürth im Jahr 1601 ca. 160 jüdische Einwohner. 51 Zum alten jüdischen Friedhof in Fürth vgl. ebd., 22ff; Eberhardt/Purrmann, Fürth, 268; Haenle, Geschichte, 182 f; Renda, Friedhof, 247 und Ohm, Ort, 20 ff. Bei Blume und Eberhardt findet sich ein Kupferstich Johann Alexander Boeners abgebildet (das Original befindet sich im Stadtarchiv Fürth, Boener 12), der eine Ansicht des alten Friedhofs aus dem Jahr 1705 mit Taharahaus für die Leichenwaschung sowie einem dem selben Zweck dienlichen Ziehbrunnen zeigt. Zu dieser Zeit war auch Pinchas Katzenellenbogen mit seiner Familie in Fürth ansässig. 52 Zu Altschul und Schulhof, die 1938 während der „Reichskristallnacht“ zerstört wurden, vgl. Berthold-Hilpert, Synagogen, 8 f; Ohm, Zeugen, 42; Renda, Ansicht, 247 f; Renda, Judengemeinde, 17 f und Eberhardt/Purrmann, Fürth, 268 ff. Bei letzteren sind verschiedene Stiche aus dem 18. Jahrhundert abgedruckt, die das Innere und Äußere der Altschul und des
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Das jüdische Fürth, Ort der Kindheit und Jugend
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ca. 1607 amtierenden Simson ben Joseph. Ihm folgte 1628 der aus Prag stammende Sabbatai Scheftel Horowitz im Amt, dessen Vater Jesaja Horowitz der Verfasser des Shne Luhot HaBrit war.53 Auch soziale Einrichtungen wurden gegründet, darunter 1653 ein direkt an den jüdischen Friedhof angrenzendes jüdisches Hospital. Als eines der ersten in Deutschland diente dieses sogenannte Hekdesch als Krankenhaus, Altersheim, Armenhaus und als Herberge für durchreisende Glaubensgenossen.54 Es ist anzunehmen, dass auch Mose Katzenellenbogen hier versorgt wurde, als er sich 1733 zur Behandlung einer schweren Krankheit für einige Wochen von Schwabach nach Fürth begab, „wo es“, den Worten seines Sohnes Pinchas nach, „viele Ärzte gab“.55 Zu neuen Zuwächsen der jüdischen Gemeinde kam es, als vor allem die Bamberger Dompröbste, aber auch die Ansbacher Markgrafen ab Mitte des 17. Jahrhunderts weitere jüdische Familien aufnahmen, um die durch den Dreißigjährigen Krieg verursachten Bevölkerungsverluste auszugleichen. Im Gegensatz zu den unter ansbachischem Schutz stehenden Gemeindegliedern profitierten die dompröbstlichen Juden dabei von der Gemeindeordnung, die der Domprobst 1652 für seine Untertanen in Fürth erlassen hatte. Da den Juden in Fürth der Haus- und Grunderwerb nicht verweigert wurde, waren sie rechtlich vollkommen in die Bürgergemeinde integriert und teilten gleichermaßen deren Rechte und Lasten. Hierzu gehörte u. a. auch das Recht, zwei Deputierte in die Gemeindeversammlung entsenden zu dürfen.56 Die relativ günstigen rechtlichen Bedingungen für die jüdische Ansiedlung in Fürth spiegeln sich auch in der Wohnsituation wider. Die Juden lebten nicht abgesondert in einem Ghetto, sondern mitten unter den christlichen Bürgern, wovon noch heute die Spuren von Mesusoth an zahlreichen Häusern in der Fürther Altstadt zeugen.57 Die Vertreibung der Juden aus Wien und anderen Orten der Habsburgermonarchie durch Kaiser Leopold I. im Jahr 1670 bedeutete eine neuerliche Stärkung der jüdischen Gemeinde, da sich etliche der Flüchtlinge, darunter einige wohlhabende und angesehene Familien, in Fürth niederließen und durch Gelehrsamkeit und Sozialprestige die Anziehungskraft des Ortes erhöhten.58 Bedingt durch die demographische Ent-
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Schulhofs zeigen, so wie es zur Zeit Katzenellenbogens ausgesehen haben muss. Habel, Denkmäler, XXXVI, zeigt einen Plan des südlichen Teils der Fürther Altstadt, auf dem die Bauten der jüdischen Gemeinde vor 1938, darunter das Gebäudeensemble des jüdischen Schulhofs sowie der alte jüdische Friedhof, deutlich markiert sind. Vgl. Lçwenstein, Fürth I, 154ff und Bato, Rabbiner, 22. Vgl. Eberhardt/Purrmann, Fürth, 272 und mit einer vor dem Jahr 1927 entstandenen Fotografie des Hekdesch Blume, Friedhof, 9. Einen Überblick über die in der Gemeinde vorhandene Infrastruktur gibt auch Schwierz, Zeugnisse, 163 ff. YM, § 54, 147 f. Vgl. zu dieser Stelle auch Lçwenstein, Fürth II, 120. Vgl. Eberhardt/Purrmann, Fürth, 272; Renda, Jerusalem, 227; Renda, Judengemeinde, 17 f und Renda, Gemeinde, 239. Vgl. Ohm, Zeugen, 42 f und Habel, Denkmäler, XIX. Vgl. Eberhardt/Purrmann, Fürth, 272; Renda, Flugblatt, 244; Renda, Jerusalem, 228; Renda, Judengemeinde, 18 f und Kaufmann, Vertreibung, 191.
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wicklung59 wurden im Laufe des ausgehenden 17. und im 18. Jahrhundert weitere religiöse Einrichtungen geschaffen, darunter verschiedene Lehrhäuser und Druckereien, die den Ruf Fürths in der jüdischen Welt festigten.60 1697 wurde außerdem unmittelbar an die Altschul angrenzend eine zusätzliche Gemeindesynagoge, die sogenannte Kahlschul oder auch Neuschul eröffnet, da aufgrund des starken Wachstums des jüdischen Bevölkerungsanteils während des 17. Jahrhunderts die Altschul zu klein geworden war, um an den hohen Feiertagen alle Gottesdienstbesucher zu fassen.61 Amtsvorgänger von Katzenellenbogens Großvater Elieser Heilbronn im Fürther Rabbinat war seit ca. 1694 Mose Wolf, der von Minsk, wo er zuvor das Rabbinat bekleidet hatte, nach Fürth berufen wurde. Dafür jedoch, ob er die Stelle in Fürth überhaupt angetreten und wie lange er dort amtiert hat, gibt es Löwenstein zufolge keine Belege.62 Auch die Amtszeit Elieser Heilbronns in Fürth war nicht von langer Dauer. Ein halbes Jahr nach seiner Ankunft im Nissan des Jahres 1700 kam er am fünften Tag des Sukkot-Festes, dem 19. Tischri 170063, unvermittelt ums Leben, als er in seinem Wohnhaus eine Treppe hinunter stürzte. Am 21. Tischri wurde er auf dem alten jüdischen Friedhof in Fürth begraben.64 Er ist mit einem Jiskor-Eintrag verzeichnet im Memorbuch der Fürther Altschul.65 59 Für das Jahr 1715 sind bei Eberhardt/Purrmann, Fürth, 320, ca. 400 – 450 jüdische Familien als in Fürth wohnhaft angegeben. Blume, Friedhof, 51, nennt ca. 2100 jüdische Einwohner. Im Jahr 1706 waren es erst ca. 700, so dass sich die jüdische Bevölkerung innerhalb von knapp zehn Jahren etwa verdreifacht hat. 60 An Lehrhäusern aus dieser frühen Zeit sind zu nennen die Schneiorsche Schul aus dem Jahr 1687/88, die 1707 eingerichtete Bermann-Fränkelsche Schul, aus der vermutlich die berühmte Fürther Talmudschule erwuchs, sowie die im gleichen Jahr gegründete Gabrielschul des Bamberger Hoffaktors Gabriel Hirsch Fränkel. Vgl. Eberhardt/Purrmann, Fürth, 272ff; Berthold-Hilpert, Synagogen, 5 und 7ff; Wilke, Talmud, 64 f und Rosenfeld, Talmudschule, 82 ff. Zur Gabrielschul vgl. auch Rosenfeld, Gabriel-Schul, 11 ff. Die Brüder Joseph und Abraham Schneior gründeten 1691 in der heutigen Königstraße 75 die erste hebräische Druckerei in Fürth, die hebräische und deutsche Druckwerke sowohl religiöser als auch profaner Art hervorbrachte. Weitere Druckereien kamen im Laufe des 18. Jahrhunderts hinzu. Vgl. zu den hebräischen Druckereien in Fürth Lçwenstein, Fürth III, 1ff; Rosenfeld, Flugblatt, 8 f; Renda, Jerusalem, 234; Ohm, Fürth, 11 f und Eberhardt/Purrmann, Fürth, 274. 61 Vgl. zur Neuschul ebd., 273 und 275, mit der Abbildung eines Stichs von Alexander Boener aus dem Jahr 1705, der den großen Steinbau der Altschul, es war der zweitgrößte Bau nach der Fürther Michaeliskirche, und den einfachen Fachwerkbau der Neuschul nebeneinander zeigt. Vgl. außerdem Renda, Ansicht, 247 f (ebenfalls mit einer Abbildung des Boener Stichs) und Berthold-Hilpert, Synagogen, 9. 62 Vgl. Lçwenstein, Fürth I, 170 f. Vgl. zu Mose Wolf außerdem Eisenstadt, Sefer [hebr.], 78 f. 63 Das jüdische Datum entspricht dem 2. Oktober 1700. 64 Vgl. Lçwenstein, Fürth I, 172 f. Die näheren Umstände des Todes von Elieser Heilbronn blieben lange unklar. Vgl. Rosenfeld, Entwicklungen, 32. Katzenellenbogens Bericht in Yesh Manchilin bringt hier Aufklärung. Vgl. YM, § 75 – 78, 174 ff. Die Übersetzung eines kleinen Teils der Passage, in der Katzenellenbogen den Unfall beschreibt, findet sich auch bei ebd., 32. Katzenellenbogens genaue Beschreibung des Hauses, in dem sich neben der Wohnung Elieser Heilbronns auch die Wohnung des Chasan sowie Räumlichkeiten für die Gemeinde befanden
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Nachfolger von Elieser Heilbronn wurde noch im selben Jahr Bermann Fränkel, der das Amt des Oberrabbiners in Fürth bis zu seinem Tod 1708 versah.66 Im Zuge der Vertreibung der Juden aus Wien war er 1670 als junger Mann mit seinem Vater David Isaak Seckel Fränkel und dessen Geschwistern nach Fürth gekommen. Aufgrund seines hohen Ansehens in der Gemeinde war er 1686 bereits zum Rabbinatsassessor und 1693 zum Oberrabbiner von Schnaittach und des Fürstentums Ansbach berufen worden. 1707 gründete er in seinem Wohnhaus gegenüber der Altschul ein Lehrhaus und hinterließ testamentarisch dieses Gebäude sowie Kapital zur Unterhaltung seiner Klaus. Daraus erwuchs später vermutlich die berühmte Fürther Jeschiwa, die zahlreiche Schüler und berühmte Talmudlehrer nach Fürth brachte.67 Mit der Familie Bermann Fränkels war auch das Wiener Memorbuch nach Fürth gekommen. Es wurde nach dem Tod Bermann Fränkels in der von ihm gestifteten Klaus verwahrt und fortgeführt.68 Nach dem Tod seines Schwiegervaters blieb Mose Katzenellenbogen mit seiner Familie in Fürth, wo er als Talmudlehrer im Beth HaMidrasch von Abraham Schneior lebte und wirkte.69 Abraham Jakob ben Salomon Schneior hatte das Lehrhaus kurz vor seinem Tod am 6. Adar 1700 gestiftet und in seinem Testament eine größere Geldsumme zu dessen Verwaltung hinterlas-
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(vgl. v. a. YM, § 77, 175), legt die Vermutung nahe, dass diese sich im Gebäude der Neuschul auf dem Gelände des jüdischen Schulhofs befand. Vgl. hierzu Habel, Denkmäler, XXXIX, der die Neuschul als „zweigeschossigen Fachwerkbau“ beschreibt, „der vor allem die Wohnungen des Rabbiners und des Vorsängers sowie wahrscheinlich einen kleineren Synagogenraum […] im Obergeschoß enthielt.“ Die Grabinschrift Elieser Heilbronns ist wiedergegeben bei Brann, Sammlung, 408, der irrtümlich aber den 21. Tischri als Todestag angibt, sowie bei Lçwenstein, Fürth I, 220 und zuletzt bei Blume, Friedhof, 90 f. Letztere zeigt außerdem eine 1933 aufgenommene Fotografie des Grabsteins, der in der NS-Zeit zerstört wurde. Vgl.Lçwenstein, Memorbücher, 94. Allerdings bekleidete Bermann Fränkel die Stelle des Oberrabbiners in Fürth nach dem Tod von Elieser Heilbronn lediglich vertretungsweise. Offizieller Rabbiner war er nie. Lçwenstein, Fürth I, 174, vermutet, dass dieses möglicherweise dem Einfluss seines Vetters und Gegners Elkan Fränkel zuzuschreiben war, der als Günstling und Hofjude des Markgrafen Wilhelm Friedrich von Ansbach auch in Gemeindeangelegenheiten Einfluss hatte. Vgl. außerdem Ziemlich, Bücherconfiscation, 463 f. Laut Renda, Abgängern, 263, entstand die Fürther Jeschiwa wohl bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als nach den Pogromen des Chmielnicki-Aufstandes bedeutende Talmudgelehrte als Flüchtlinge nach Westeuropa kamen. Ihre eigentliche Fundierung als Talmudhochschule lässt sich aber, so Renda, auf die Stiftung Bermann Fränkels zurückführen. Zu Bermann Fränkel und der von ihm gestifteten Klaus vgl. Lçwenstein, Fürth I, 174 f; Kaufmann, Vertreibung, 191 f; Berthold-Hilpert, Synagogen, 10; Preuss, Juden, 21 f; Eberhardt/Purrmann, Fürth, 275; Renda, Abgängern, 263; Haenle, Geschichte, 169 f und Breuer, Frühe Neuzeit, 203. Zum Wiener Memorbuch vgl. Purin, Memorbuch, 47ff und Lçwenstein, Memorbuch, 272 ff. Bermann Fränkel starb am 16. Tischri (30. September) 1708 in Fürth und wurde dort am selben Tag auf dem alten jüdischen Friedhof begraben. Die Grabinschrift sowie eine Fotografie des während des Nationalsozialmus zerstörten Grabsteins sind abgedruckt bei Blume, Friedhof, 92 ff. Vgl. Lçwenstein, Fürth II, 119 f und 142 f sowie Rosenfeld, Talmudschule, 82.
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sen. Dafür sollte in dem Lehrhaus ein Klausrabbiner mit seiner Frau wohnen und mit mindestens acht Talmudschülern unentgeltlich studieren. Schon sein Vater, der Hoffaktor und Vorsteher Salomon Fromm, genannt Schneior, hatte 1687/88 am heutigen Königsplatz 5 ein Wohnhaus mit Privatsynagoge errichten lassen, die gleichzeitig als Klaus diente. Nach seinem Tod im Jahr 1692 ging das Haus auf seinen Sohn Abraham und seinen Schwiegersohn Isaak Seligmann über.70 Ein Eintrag im Memorbuch der Fürther Altschul nennt „den hochgelehrten R. Abraham, Sohn des Vorstehers R. Salomon Schneior, der seine ganze Lebenszeit mit frommen Thaten verbrachte und in seinem Hause ein Bet hamidrasch errichtete, wo er allen Denjenigen, die in demselben studirten, aus eigener Tasche den Lebensunterhalt gewährte, wie er auch zu dessen immerwährender Erhaltung ein bedeutendes Kapital gestiftet.“71 Wie in vielen anderen Gemeinden Deutschlands und Europas erlebte die messianische Begeisterung auch in Fürth einen Höhepunkt mit dem Auftreten des vermeintlichen Messias Sabbatai Zwi.72 Nach dessen Apostasie lebten 70 Eberhardt/Purrmann, Fürth, 272 f, nehmen an, dass Isaak Seligmann identisch ist mit Eisik Bing, der mit Jiskah, der Tochter von Salomon Schneior verheiratet war und 1720 hochbetagt in Fürth verstarb. Zu Eisik Bing vgl. Lçwenstein, Fürth II, 75 f. Vor allem in späterer Zeit wurde die Synagoge daher häufig auch Eisik-Schul genannt. Zur Schneiorschen Schul bzw. Eisik-Schul vgl. ebd., 141ff; Preuss, Juden, 21; Berthold-Hilpert, Synagogen, 5 und Eberhardt/ Purrmann, Fürth, 272 f. 71 Zit. nach Lçwenstein, Memorbücher, 94. 72 Sabbatai Zwi kam 1626 als Sohn einer Familie aschkenasischer Abstammung in Smyrna zur Welt. In der rabbinischen und der talmudischen Literatur bewandert, zeigte er sich, wie viele seiner Zeitgenossen, gleichermaßen von der lurianischen Kabbala angezogen. Als charismatische Persönlichkeit versammelte er schon früh Geichgesinnte um sich. Nach Stationen in Saloniki, Konstantinopel und Kairo ließ er sich in Jerusalem nieder. Mehrfach reiste er von dort aus als Gesandter der jüdischen Gemeinde nach Ägypten, wo er in Kontakt zu dem Kabbalisten Nathan von Gaza kam. Dieser überzeugte Sabbatai Zwi davon, der lang erwartete Messias zu sein und dies 1665 in Smyrna öffentlich zu proklamieren. Vgl. zur Biographie Sabbatai Zwis ausführlich bei Scholem, Sabbatai Sevi, 103 – 198 und Goldish, Career, 470 ff. Damit löste er sowohl unter den aschkenasischen als auch unter den sephardischen Juden ganz Europas eine Welle der Begeisterung aus. Scholem, Redemption, 86, schreibt: „The Messianic revival of 1665 – 66 spread to every sector of the Jewish people throughout the Diaspora.“ Zur europaweiten Verbreitung der messianischen Erregung vgl. außerdem Freimark, Dreigemeinde, 197. Der enorme Erfolg, den die messinanische Bewegung um Sabbatai Zwi erlebte, ist zu großen Teilen durch die weite Verbreitung der lurianischen Kabbala zu erklären, die ihrerseits eingewoben war in eine messianisch geprägte Weltsicht und damit den Boden für das Auftreten Sabbatai Zwis als Messias bereitet hat. Eine weitere wichtige Rolle spielten die vorangegangenen gewaltsamen Verfolgungen im Zuge des Chmielnicki-Aufstandes, die von vielen als die Geburtswehen des Messias gedeutet wurden. Vgl. Scholem, Sabbatai Sevi, 15ff und 77ff sowie Scholem, Redemption, 87 ff. Als Sabbatai Zwi im September 1666 auf Druck der osmanischen Herrschaft zum Islam übertrat, verebbte die messianische Erregung an der Oberfläche zwar schnell. Auf religiös-theologischem Gebiet hinterließ sie jedoch tiefgreifende Spuren, die das traditionelle Judentum bis ins nächste Jahrhundert hinein mit schweren Herausforderungen konfrontierten. Ein hartnäckiger Kern an Gläubigen lebte im Geheimen fort und stellte eine explosive Oppositionsgruppe dar. Scholem, Redemption, 79, schreibt: „The Sabbatian movement in its various shadings and configurations persisted with remarkable obstinacy among
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seine Anhänger dort im Geheimen fort. Ende des 17. Jahrhunderts galt die Fürther Gemeinde „als eine Bastion sabbatianischer Häresie.“73 Katzenellenbogen gibt in Yesh Manchilin über diese Dinge keine direkte Auskunft. Er erwähnt allerdings, dass sein Vater in Fürth Kontakt zu Abraham Rovigo hatte, der einer der wichtigsten Wortführer der sabbatianischen Bewegung in Italien war74 und um die Jahreswende 1700/01 gemeinsam mit seinem Schüler Morcertain sectors of the Jewish people for approximately 150 years after Sabbatai Zevi’s conversion.“ Diese sogenannten Kryptosabbatianer gefährdeten den traditionellen, durch Rabbinat und Halacha bestimmten Rahmen der Gemeinde, da sie die messiansische Zeit mit dem Auftreten Sabbatai Zwis für angebrochen und damit die Halacha und sämtliche Gebote der Tora für aufgehoben erachteten. Solch antinomistische Tendenzen standen in schärftstem Gegensatz zur traditionellen rabbinischen Autorität. Aus diesem Grund mussten die kryptosabbatianischen Kreise von den traditionellen jüdischen Autoritäten als nicht gering einzuschätzende Gefahr betrachtet und ihr Einfluss mit allen Mitteln unterbunden werden. Vgl. Scholem, Redemption, 79: „As long as Sabbatianism remained a vital force within the Jewish ghetto, threatening to undermine the very existence of rabbinic Judaism, its opponents labored ceaselessly to root it out and systematically destroyed whatever of its writings came into their possession.“ Einen weiteren Höhepunkt erlebte die messianische Bewegung, als Jehuda Chassid, Oberhaupt einer der sabbatianischen Sekten, im Jahr 1700 mit seinen Anhängern von Polen nach Palästina zog. Im Frühjahr 1700 hielt Jehuda Chassid sich auch in Fürth auf, um Pilger für seine Wallfahrt ins Heilige Land zu werben und Geld für dieses Unternehmen zu sammeln. Vgl. Doktr, Missionar, 272. Zu Jehuda Chassid und seiner „Heiligen Bruderschaft“, mit der er sich schließlich in Jerusalem niederließ, vgl. auch Benayahu, Chewra [hebr.], 133 ff. Um dieselbe Zeit kamen auch Mose Katzenellenbogen und sein Schwiegervater Elieser Heilbronn nach Fürth. Pinchas Katzenellenbogen, der mit dem Rest der Familie Fürth erst zu Jom Kippur desselben Jahres erreichte, berichtet in Yesh Manchilin jedoch nichts von diesem Aufenthalt Jehuda Chassids in Fürth. 73 Doktr, Missionar, 270. Vgl. außerdem Scholem, Sabbatai Sevi, 556 und Scholem, Rovigo, 501. Im benachbarten Schwabach ließ sich Anfang 1676 der als aktiver Sabbatianer bekannte Rabbiner Beer Eibeschütz Perlhefter nieder, nachdem er zuvor dem christlichen Orientalisten und Hebraisten Johann Christoph Wagenseil als Privatlehrer gedient hatte. Zwischen 1676 und 1681 lehrte Perlhefter im Lehrhaus Abraham Rovigos in Modena, wo er um eine Aktualisierung der sabbatianischen Theologie bemüht war. 1681 kehrte er nach Schwabach zurück, geriet dort aber in eine Auseinandersetzung mit der jüdischen Gemeinde, die 1682 eskalierte, so dass er sich schließlich nach Prag zurückzog. Vgl. hierzu David, Korrespondenz, 43 f und Riemer, Hebraisten, 163 ff. Zu Perlhefters Verhältnis zum Sabbatianismus und zu Abraham Rovigo vgl. außerdem Tishby, Maggid [hebr.], 26ff und Scholem, Kabbalah I, 275. 74 Scholem, Mystik, 352, zählt Abraham Rovigo und seinen Schüler Mordechai Aschkenasi neben Abraham Cardoso, Nechemia Chajon, Jonathan Eibeschütz und anderen zu den „hervorragendsten Repräsentanten einer sabbatianischen Kabbala von mehr oder weniger deutlich häretischem Charakter.“ Rovigo wurde um 1650 in Modena geboren. In Venedig studierte er bei Mose Zacuto Kabbala. Aus einer vermögenden Familie stammend, konnte er sich ungehindert seinen Studien widmen. Schon als junger Mann wurde er von der messianischen Begeisterung, die das Auftreten Sabbatai Zwis hervorrief, ergriffen und hielt bis zu seinem Tod an dem Glauben an dessen messianische Mission fest. Als Förderer des Sabbatianismus versammelte er in Italien einen geheimen Kreis von Anhängern um sich und korrespondierte mit anderen Führern der Bewegung. 1675 erkannte er Nathan von Gaza in einem begeisterten Brief als wahren Propheten an. Nach seinem Aufenthalt in Fürth 1700 – 1701 reiste er 1702, begleitet von seiner Familie und einem Kreis von Schülern, ins Heilige Land, wo er in Jerusalem eine Jeschiwa gründete, deren Mitglieder fast ausschließlich Anhänger der sabbatianischen Bewegung waren.
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Biographische Skizze von Pinchas Katzenellenbogen
dechai ben R. Jehuda Löw Aschkenasi nach Fürth kam. In dem von Abraham Schneior gestifteten Lehrhaus versammelte Rovigo während seines einjährigen Aufenthalts in der Gemeinde einen ausgewählten Kreis von Schülern um sich, mit denen er die Kabbala studierte75 und zu denen offenbar auch Mose Katzenellenbogen gehörte, der in demselben Lehrhaus tätig war : Zu jener Zeit hielt sich in der Gemeinde Fürth ein Mann auf von besonderer Wohltätigkeit. Ein heiliger und geläuterter Mann, der an die Tora des Herrn und an ihre Geheimnisse glaubte. Alle Frommen unter den Lernenden und alle Dissidenten, die sich unter ihnen befanden, gingen zu ihm, um aus seinem Brunnen das Wasser des Lebens zu schöpfen, die Weisheit der Kabbala, ihm zum Ruhm. Auch mein Vater, das Andenken des Gerechten zum Segen und zum Leben in der kommenden Welt, diente ihm [als Schüler]. Alle Schriften des Ari [Isaak Luria], sein Andenken zum Segen, hatte er kopiert, das Sefer Ozerot Chajim und das Sefer HaKavvanot, das ist die Wahrheit. Und er wurde unser weiser Lehrer Abraham Rovigo, das Andenken des Gerechten zum Segen, genannt und sein Verdienst wird uns auf ewig erhalten bleiben. (YM, § 6, 74)
Offenbar wurde Rovigo zumindest von einem Teil der Gelehrten in Fürth, den „Frommen unter den Lernenden“, wie Katzenellenbogen diese exklusive Gruppe umschreibt, mit Begeisterung empfangen.76 Zu den Anhängern Rovigos zählte neben Mose Katzenellenbogen auch der 1671 in Neuhaus im Aischgrunde geborene und seit Ende des 17. Jahrhunderts in Fürth wohnhafte Mordechai ben Mose Schemaja, der später zum Christentum konvertierte und sich Philipp Ernst Christfels nannte.77 Den Aufzeichnungen seines Sohnes nach nahm dieser Mordechai mit zwei weiteren Juden Unterricht bei Rovigo, der mit seinen Schülern im Sohar gelesen habe.78 Des Weiteren gehörte Mordechais Lehrer Hirsch Fromm, ein Bruder von Abraham Schneior, dem Stifter des Lehrhauses, in dem Mose Katzenellenbogen Talmudlehrer war, zu diesem Kreis. Hirsch Fromm, der von einigen seiner Glaubensgenossen für einen Ketzer gehalten wurde, scheint ebenfalls in judenchristlichen Kreisen verkehrt zu haben. Später stand er in engem Kontakt zu den Missionaren des Institutum Judaicum.79
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Unter ihnen befand sich auch R. Jehuda, der Onkel von Jakob Emdens Vater Zwi Hirsch Aschkenasi. Mehrere Reisen führten Rovigo erneut nach Europa. Er starb 1713 während eines Aufenthalts in Mantua. Vgl. Scholem, Rovigo, 500 f; Scholem, Kabbalah I, 275 sowie Schacter, Jacob Emden, 387ff und 461 ff. Vgl. Doktr, Missionar, 273. Vgl. Rosman, Founder, 20. Schon während seiner Zeit als Rabbiner in verschiedenen kleinen deutschen Gemeinden hatte Mordechai ben Mose Schemaja vermutlich begonnen, sich für das Christentum zu interessieren und Kontakt zu christlichen Gelehrten und Geistlichen aufgenommen. Vgl. zu seiner Person ausführlich bei Ziemlich, Bücherconfiscation, 457ff und Doktr, Missionar, 269 ff. Vgl. ebd., 273. Das 1728 in Halle/Saale von Johann Heinrich Callenberg gegründete Institutum Judaicum war eine pietistisch geprägte Einrichtung zur Judenmission. Vgl. zur Geschichte des Institutum
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Auch an Rovigos Schüler Mordechai Aschkenasi aus Lemberg, der mit ihm nach Fürth gekommen war, erinnert sich Katzenellenbogen: Sein Schüler, der ihm diente, war unser Meister, R. Mordechai aus der Gemeinde Lemberg. Er fühlte sich der Lehre seines Meisters und seinem Glauben so sehr verbunden, dass ihm ein Maggid in Gestalt seines Meisters, dem weisen und vollkommenen R. Abraham Rovigo erschien. Er lernte mit ihm die Weisheit der Kabbala und offenbarte ihm Geheimnisse, bis er ein Buch über verschiedene Abschnitte des Sohar schrieb, das Eschel Avraham genannt wurde, nach seinem erwähnten Meister. All dies erfuhr ich von meinem Vater, dem frommen Meister, das Andenken des Gerechten zum Segen und zum Leben in der kommenden Welt, denn ich wusste, dass der besagte R. Mordechai kein Weiser und nicht bewandert war im Talmud. Aber vom Himmel war es ihm vergönnt, dass er einem Großen der Generation diente, einer Säule der Welt, unserem heiligen Lehrer und Meister R. Abraham, das Andenken des Gerechten zum Segen. Ich kannte ihn [R. Mordechai] von meiner Jugend an. Er hatte ein Ehrfurcht gebietendes Äußeres wie ein Engel Gottes und war schon sehr alt. Jeden Sabbat ging ich zu ihm, damit er mich segnete. (YM, § 6, 74)
Mordechai Aschkenasi war selber kein Gelehrter. Durch die enge Verbindung zu seinem Meister Abraham Rovigo war er jedoch, so will es Katzenellenbogen von seinem Vater gehört haben, mit Hilfe eines himmlischen Maggids in die Geheimnisse der Kabbala eingeweiht worden.80 Auf diese Weise hatte er selber den Status einer verehrungswürdigen und ehrfurchtgebietenden Persönlichkeit erlangt, von der der junge Katzenellenbogen sich wöchentlich den Segen holte und die einen solchen Eindruck bei ihm hinterlassen hat, dass er sich fast sechzig Jahre später noch daran erinnert und diese Erinnerung an seine Nachkommen weitergeben will. Mordechai Aschkenasi wird in Katzenellenbogens Schilderung zwar nicht als Ba’al Schem benannt, doch ähnelt seine Beschreibung den anderen Ba’alei Schem, von deren Kenntnissen der praktischen Kabbala Katzenellenbogen sich Rat und Hilfe im Kampf gegen Krankheiten und andere Übel verspricht.81 Anlass für den Aufenthalt Abraham Rovigos und Mordechai Aschkenasis in Fürth war die dortige Drucklegung der von Katzenellenbogen erwähnten Judaicum ausführlich bei Rymatzki, Pietismus, 35 ff. Zu Hirsch Fromm vgl. Ziemlich, Bücherconfiscation, 459; Lçwenstein, Fürth II, 143 und Doktr, Missionar, 270 ff. 80 Vgl. hierzu Scholem, Kabbalah I, 275: „Revelations of heavenly maggidim, who confirmed Shabbetai Zevi’s supernal rank and the legitimacy of his mission and also added new interpretations of the Zohar and other kabbalistic matters, were then common.“ 81 Für Rosman, Founder, 21, ist die Gestalt Mordechai Aschkenasis „an indication that there was a respectable place in eighteenth-century Ashkenazic society for nonrabbinic, spiritualist figures. Such men, regarded as possessing both a special relationship with the divine and Kabbalistic knowledge not available simply by virtue of rabbinic studies, could exercise a powerful spiritual influence over Talmudists and plebeians alike.“ Neben Mordechai Aschkenasi nennt Katzenellenbogen u. a. die Ba’alei Schem Joseph aus Jerusalem und Benjamin Beinish, auf deren besondere Kenntnisse er zurückgreift. Vgl. YM, § 22ff, 95 ff.
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Biographische Skizze von Pinchas Katzenellenbogen
Schrift Eschel Avraham,82 die Rovigos von Mordechai Aschkenasi redigierte Kommentare zum Sohar umfasste. 1701 wurde Eschel Avraham von Mordechai Aschkenasi in Fürth herausgegeben.83 Auch in Katzenellenbogens Bibliothek war dieses Werk vorhanden, wie sein Bücherverzeichnis belegt.84 Aufgrund seines messianisch geprägten Inhalts führte es in Fürth offenbar zu einigem Aufruhr, vor allem unter den orthodoxen Kreisen. Doktr zufolge wurde das Buch mit einem Fluch belegt und Rovigo selber mitsamt seinem Schüler aus der Stadt verwiesen.85 In Yesh Manchilin finden diese Ereignisse jedoch keinerlei Erwähnung.86 Neben dem Kontakt zu Abraham Rovigo erwähnt Katzenellenbogen auch die Verbindung zu dem gelehrten Isaak Seligmann, der in dem selben Lehrhaus tätig war, dem sein Vater seit seiner Ankunft in Fürth vorstand und dessen Sohn Meir im Jahr 1706 Katzenellenbogens Schwester Bela heiratete.87 Isaak Seligmann war Vorsteher in Zeckendorf.88 Katzenellenbogen berichtet über ihn, dass er innerhalb von vier Tagen das Buch Or Ne’erav, eine Einführung in die Kabbala, von Mose Cordovero abgeschrieben habe.89 Der 82 Vgl. YM, § 6, 74. 83 Es erhielt Approbationen u. a. noch von Katzenellenbogens Großvater Elieser Heilbronn, der kurz darauf verstarb, von Bermann Fränkel, von David Oppenheim in Nikolsburg und von Abraham Broda in Prag. Vgl. Lçwenstein, Fürth III, 21. 84 Vgl. YM, Reschimat HaSefarim, 45. Die Einleitung von Eschel Avraham war außerdem abgedruckt in einer Ausgabe von Mose Cordoveros Or Ne’erav (Fürth 1701), die sich ebenfalls in Katzenellenbogens Besitz befand. Vgl. YM, Reschimat HaSefarim, 51. 85 Vgl. Doktr, Missionar, 275 f. 86 Unerwähnt bleibt in Yesh Manchilin auch die kurz nach diesen Vorfällen im Jahr 1702 in Fürth stattfindende Bücherkonfiskation, nachdem der inzwischen zum Christentum konvertierte Philipp Ernst Christfels eine Synagoge in Fürth inspiziert und dabei im Keter Joseph, einem Kommentar zu den Psalmen, Formulierungen entdeckt hatte, die seinem Dafürhalten nach dem christlichen Glauben abträglich waren. Darauf hin kam es zu einer umfassenden Untersuchung jüdischer Bücher durch eine Kommission, bei der insgesamt 18 Bücher requiriert wurden, die angeblich Lästerungen des Christentums enthielten. Letztendlich gelang es der Kommission jedoch nicht, in den requirierten Büchern Gotteslästerungen nachzuweisen und die Untersuchung wurde schließlich eingestellt. Vgl. zur Bücherkonfiskation in Fürth ebd., 278ff und ausführlich auch Ziemlich, Bücherconfiscation, 457 ff. 87 Vgl. YM, § 131, 224. 88 Gemeinsam mit Simon Akiba Bär, der als Wiener Exulant von 1682 – 1688 als Unterrabbiner in Zeckendorf lebte, gab er das midraschische Sammelwerk Pi Schnajim (Sulzbach 1702) heraus. Vgl. Kaufmann, Vertreibung, 203; Eckstein, Geschichte, 68 f und 168; Lçwenstein, Fürth II, 120 f sowie Groiss-Lau, Landgemeinden, 17 und 30. Zur jüdischen Gemeinde in Zeckendorf vgl. Hager/Haas, Zeckendorf, 221 ff. 89 Vgl. YM, § 33, 112. Der Kabbalist Mose ben Joseph Cordovero (1522 – 1570) war sephardischer Herkunft. Sein Geburtsort ist unbekannt. Seit 1540 lebte er in Safed, wo er auch starb. Er war ein Schüler Joseph Karos und Lehrer Isaak Lurias. Zu seinen kabbalistischen Hauptwerken zählen Tomer Dewora, Pardess Rimmonim und Elima Rabbati. Das hier erwähnte Werk Or Ne’erav wurde erstmalig 1587 von Cordoveros Sohn Gedalja in Venedig herausgegeben. Den von Katzenellenbogen in Yesh Manchilin beigefügten Bücherverzeichnissen ist zu entnehmen, dass er die zweite Auflage dieses Werks besaß, die 1701 von Mordechai Aschkenasi, dem Verfasser des Eschel Avraham, in Fürth veröffentlicht wurde und die auch die Einleitung des erwähnten Eschel
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Bruder von Isaak Seligmann, so berichtet Katzenellenbogen an anderer Stelle, habe für seinen Vater nach den Anweisungen von Samuel Kaidanover zwei Ringe angefertigt, die vor Krankheit und Unreinheit schützen sollten.90 Isaak Seligmann starb 1709 in hohem Alter.91 Den Angaben Löwensteins nach gehörte er einer Gruppe an, die den Sabbatianer Nathan von Gaza als Propheten verehrten.92 1664 fertigte Isaak Seligmann im Lehrhaus des Abraham Schneior in Fürth Kopien von lurianischen Schriften an und schrieb auch die zwei Jahre später eintreffenden Bußandachten Nathan von Gazas ab.93 Das schön geschriebene Manuskript weist, so Scholem, darauf hin, dass die Abschrift auf dem Höhepunkt der messianischen Begeisterung hergestellt wurde und der Name des Propheten in dem Lehrhaus zu dieser Zeit hoch angesehen war.94 Die heute in der Bodleiana in Oxford befindliche Handschrift Isaak Seligmanns (Hs. Oxford, Neubauer 1794) enthält auch eine auf hebräisch geschriebene Notiz Katzenellenbogens, die dieser Jahre später dem Manuskript Seligmanns beigefügt haben muss und in der er vermutet, dass Isaak Seligmann seine Kopie der Bußpredigten Nathans nach der Vorlage von Schriften angefertigt habe, die sich im Besitz Rovigos befanden, als dieser sich in Fürth aufhielt.95
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Avraham beinhaltete. Vgl. YM, Reschimat HaSefarim, 51 sowie Gries, Book, 62 und Lçwenstein, Fürth III, 112. Vgl. YM, § 20, 94. Vgl. Lçwenstein, Fürth II, 121. Katzenellenbogen nennt als Todesjahr 1729, scheint sich hier aber zu irren, da er schreibt, dass Seligmann 1630 geboren und ca. 80 Jahre alt wurde. Vgl. YM, § 33, 112. In Katzenellenbogens Notiz auf einer von Seligmann angefertigten Abschrift der Bußpredigten Nathan von Gazas, benennt er das Todesjahr Seligmanns korrekt mit 1709. Vgl. ebd., 200. Vgl. ebd., 120 f und 143. Sowohl ebd., 120 f, 143 und 199 als auch Scholem, Sabbatai Sevi, 556, geben an, dass Isaak Seligmann bereits 1664 in dem Lehrhaus von Abraham Schneior wirkte. Dies erstaunt insofern, als dieses Lehrhaus den Angaben von Eberhardt/Purrmann, Fürth, 272, nach, wie bereits erwähnt, erst 1687/88 in dem von Salomon Fromm erbauten Haus am heutigen Königsplatz 5 entstand und erst 1692 in die Hände von Salomons Sohn Abraham überging. Vgl. Scholem, Sabbatai Sevi, 556. Katzenellenbogens Notiz zur Handschrift Isaak Seligmanns ist abgedruckt bei Lçwenstein, Fürth II, 199 f. Dass Katzenellenbogen diese Notiz der Handschrift Seligmanns sehr viel später zugefügt hat wird dadurch deutlich, dass er schreibt, Isaak Seligmann sei bereits ein alter Mann gewesen, als er selber sich noch in jugendlichem Alter befand. Tishby, Iggerot [hebr.], 80, datiert Katzenellenbogens Notiz auf das Jahr 1756. Außerdem erinnert Katzenellenbogen darin an eine Begebenheit, als ihm Abraham Rovigo zur Zeit seines Aufenthalts in Fürth im Traum erschienen sei und die er als Erwachsener rückblickend (irrtümlich) auf das Jahr 1705 oder 1706 datiert (tatsächlich muss sich diese Begebenheit 1700 oder 1701 zugetragen haben, bevor Rovigo und Mordechai Aschkenasi Fürth verlassen mussten). Denselben Traum von Abraham Rovigo gibt Katzenellenbogen ganz ähnlich auch in Yesh Manchilin wieder. Vgl. YM, § 6, 74. Nach Scholem, Sabbatai Sevi, 556, irrt Katzenellenbogen, wenn er davon ausgeht, dass Rovigo eine Abschrift von Nathans Manual mit nach Fürth gebracht hätte. Die Schrift des Manuals sei identisch mit den von Seligmann 1664 kopierten lurianischen Traktaten, und die beiden Texte seien, so Scholem, ungefähr zur gleichen Zeit und nicht in einem Abstand von über dreißig Jahren entstanden. Vgl. hierzu auch Tishby, Iggerot [hebr.], 79ff, der auch auf Scholems Kritik
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Biographische Skizze von Pinchas Katzenellenbogen
Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass messianisches Gedankengut auch nach der Apostasie von Sabbatai Zwi in Fürth verbreitet war und dass auch Mose Katzenellenbogen mit dessen Anhängern in Kontakt stand. Obwohl Katzenellenbogen hier nur sehr vorsichtig formuliert und die Verbindung seines Vaters zum Kreis um Abraham Rovigo ausschließlich durch dessen kabbalistische Interessen motiviert beschreibt, so muss es dennoch als naheliegend erscheinen, dass Mose Katzenellenbogen dem sabbatianischen Milieu in Fürth zuzuordnen ist oder zumindest deutlich mit diesem sympathisiert hat. Katzenellenbogens Zurückhaltung bei der Darstellung dieser Angelegenheit ist sicherlich nicht zuletzt durch den großen zeitlichen Abstand von über fünfzig Jahren zu erklären, der zwischen dem Zeitpunkt der Niederschrift von Yesh Manchilin und den rückblickend geschilderten Ereignissen liegt. War das Festhalten am sabbatianischem Gedankengut um die Jahrhundertwende herum noch durchaus verbreitet gewesen, so hatten sich die Dinge in der Zwischenzeit deutlich gewandelt. Vor allem in Folge des sogenannten Hamburger Rabbinerstreits (1751 – 1756) zwischen den bedeutenden Gelehrten R. Jakob Emden96 und R. Jonathan Eibeschütz,97 dessen
an der Glaubwürdigkeit von Katzenellenbogens Aussagen über die Herkunft der Handschrift eingeht. 96 Jakob Emden (1698, Altona–1776, Altona), der Sohn von Zwi Hirsch Aschkenasi, Oberrabbiner der Dreigemeinde Altona-Hamburg-Wandsbek, zählt zu den größten Talmudgelehrten seiner Zeit. Neben dem traditionellen Wissensgut verfügte er über weitreichende Kenntnisse außerhalb des jüdischen Bildungskanons und wird daher oft als Vorläufer der jüdischen Aufklärung gesehen. Tatsächlich blieb er aber zeitlebens einem strengen Traditionalismus treu. Aufgewachsen in Altona und Amsterdam, lebte er nach seiner ersten Hochzeit zunächst mit seiner Familie in Ungarisch-Brod (Mähren). Seinen Lebensunterhalt bestritt er u. a. als Kaufmann. Von 1729 bis 1732 bekleidete er sein einziges Amt als Rabbiner in der Gemeinde Emden. Anschließend ließ er sich in seiner Geburtsstadt Altona wieder, wo er mit Erlaubnis des dänischen Königs 1743 eine hebräische Druckerei errichtete, in der er auch seine eigenen Werke veröffentlichte. Wie sein Vater Zwi Aschkenasi verstand sich auch Emden als erbitterter Kämfer gegen den Sabbatianismus. In seinem autobiographischen Werk Megillat Sefer (1751/52 – 1766) gibt er hierüber ausführlich Auskunft. Seine Auseinandersetzung mit Jonathan Eibeschütz im Hamurger Rabbinerstreit muss sicherlich als Höhpeunkt seines diesbezüglichen Engagements betrachtet werden. Zu Jakob Emden vgl. Brmer, Emden, 68 f und ausführlich vor allem die umfassende Biographie von Schacter, Jacob Emden. 97 Jonathan Eibeschütz (1690/95, Krakau oder Pinczow–1764, Altona), wie Emden einer der anerkanntesten Gelehrten seiner Zeit, erhielt seine Ausbildung an verschiedenen Jeschiwot u. a. in Prossnitz, Holleschau und Wien. Im Alter von achtzehn Jahren war er bereits Vorsitzender des rabbinischen Gerichts in Jungbunzlau. Seit 1714 hielt er sich dauerhaft in Prag auf, wo er zunächst als Prediger und Lehrer an der dortigen Talmudhochschule tätig war und 1736 zum Mitglied des rabbinischen Gerichtshofs ernannt wurde. 1741 übernahm er das Amt des Oberrabbiners in der Gemeinde Metz. Von 1750 bis zu seinem Tod lebte er in Altona, wo er als religiöses Oberhaupt der jüdischen Dreigemeinde Altona-Hamburg-Wandsbek amtierte. Als profunder Kenner der jüdischen Mystik wurde er schon seit seiner Zeit in Prag verdächtigt, ein Anhänger des 1676 verstorbenen Pseudomessias Sabbatai Zwi zu sein. Zu seinen erbittertesten Gegnern gehörte Jakob Emden, der Eibeschütz der Ketzerei beschuldigte und damit den Hamburger Rabbinerstreit auslöste. Emdens Versuche, Eibeschütz Absetzung als Oberrabbiner
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Das jüdische Fürth, Ort der Kindheit und Jugend
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Auswirkungen die jüdischen Gemeinden ganz Europas schwer erschüttert hatten, war die sabbatianische Bewegung weithin diskreditiert worden.98 Entsprechend distanziert stellt Katzenellenbogen seine eigene Haltung gegenüber Sabbatai Zwi dar, indem er kritisch hinterfragt, wie Sabbatai Zwi als Messias gelten könne, da weder der Tempel noch Jerusalem wieder aufgebaut seien, wie es der Verheißung nach in den Tagen der Wiederkunft des Messias geschehen solle:99 Was aber tun wir mit jenen, die an Sabbatai Zwi glauben etc. und die meinen, dass die Tage des Messias bereits gekommen seien? Wenn dem so wäre, wo aber ist dann, um unserer Sünden willen, unser Tempel und unsere Herrlichkeit und Jerusalem, die Stadt unserer Heiligkeit und unserer Ehre, die von uns genommen wurde usw.? (YM, § 241, 331)
Eine andere Notiz Katzenellenbogens auf den von Isaak Seligmann kopierten Bußpredigten Nathan von Gazas, die Tishby wiedergibt, stammt aus dem Jahr 1759. Sie bestätigt schließlich das ambivalente Verhältnis Katzenellenbogens zur sabbatianischen Bewegung: Einerseits scheut er sich nicht, die Abschrift der sabbatianischen Texte durch Zeckendorf zu kommentieren, andererseits betont er aber ausdrücklich, dass er Nathan von Gaza für einen „Lügenpropheten“ hält. Jeglichen Verdacht, der offenbar bestanden haben muss, dass er und sein Vater selber Sabbatianer waren, weist Katzenellenbogen in scharfem Ton von sich: Und weil ich in diesem Buch [der von Zeckendorf abgeschriebenen Bußpredigt Nathan von Gazas] gesehen habe, heißt es dort über den Propheten Nathan, dass er zu erwirken scheiterten zwar, doch gelang es Eibeschütz zeitlebens nicht, seine Gegner von seiner Unschuld zu überzeugen. Vgl. Brmer, Eibeschütz, 64 f und Zinberg, History 6, 192 ff. 98 Nicht lange nach seinem Amtsantritt in Altona wurde Eibeschütz beschuldigt, Amulette sabbatianischen Inhalts für Wöchnerinnen ausgestellt zu haben. Dieser Verdacht wurde von Jakob Emden bestätigt, der Eibeschütz im Februar 1751 öffentlich als Ketzer bezeichnete. Vom Gemeindevorstand, der hinter dem Oberrabbiner stand, mit dem Bann belegt, sprach Emden daraufhin den Gegenbann aus. Der Streit eskalierte, als beide Parteien begannen, sich der Unterstützung außen stehender Rabbiner zu versichern und es zu einer Spaltung der Dreigemeinde in Parteigänger Emdens und Eibeschütz kam. Im Mai 1751 sah Emden sich gezwungen, nach Amsterdam zu fliehen. Von dort aus setzte er sich mit Briefen und Flugschriften, die er an zahlreiche jüdische Gemeinden Europas versandte, gegen seinen Gegner zur Wehr, während Eibeschütz Anhänger vor allem in Osteuropa hinter sich versammelte. Damit überstritt der Streit, der sich bisher fast ausschließlich als interne Angelegenheit der Dreigemeinde dargestellt hatte, deren Grenzen und bezog jüdische Gemeinden und Rabbiner ganz Europas, schließlich auch der Türkei und Palästinas, mit ein. Zum Hamburger Rabbinerstreit (bzw. Amulettenstreit) vgl. u. a. Brilling, Rabbinerstreit, 232 f, Graupe, Entstehung, 86 f sowie das entsprechende Kapitel bei SCHACTER, Jacob Emden, 370 – 498. 99 Der Hoffnung auf den Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem und auf die Wiederkunft des Messias wird z. B. im Achtzehengebet (auch Tefilla oder Amida genannt), dem zentralen Bestandteil des täglichen Gottesdienstes, Ausdruck verliehen. Vgl. hierzu u. a. Fohrer, Glaube, 67 ff.
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Biographische Skizze von Pinchas Katzenellenbogen
ein wahrer Prophet sei. […] Tatsächlich aber hat er Lügen über Sabbatai Zwi, sein Name werde ausgelöscht, geweissagt und großen Schaden angerichtet. Und damit ich nur ja nicht verdächtigt werde und irgendein Verdacht auf mich fällt, der Herr behüte, dass auch ich einer von ihnen sei, es sei ferne, solches sei ferne von der Nachkommenschaft meines Vaters, unseres heiligen Meister, sel.A.100
2.4 Studienzeit in Prag, Fürth und Nikolsburg Da Katzenellenbogens Ausbildung und seine Studienzeit in Fürth, Prag und Nikolsburg an anderer Stelle ausführlich behandelt werden, sollen hier nur kurz die wichtigsten Stationen dieses Lebensabschnitts umrissen werden.101 Bedingt durch die vielfachen Ortswechsel der Familie, wurde Katzenellenbogen seit 1696, als er im podolischen Podhajce, wo sein Vater zu dieser Zeit Rabbiner war, den Cheder besuchte, zunächst von verschiedenen Melamdim unterrichtet. Nachdem sich die Familie 1700 in Fürth niedergelassen hatte, wo Katzenellenbogen 1703 seine Bar Mizwa feierte, übernahmen schließlich sein Vater und der Fürther Rabbiner Bermann Fränkel seine weitere Ausbildung. Im Elul 1708 schickte Mose Katzenellenbogen ihn nach Prag, wo er im Haus seines Verwandten Jakob Schulhof und dessen Sohn Jona Unterkunft fand.102 Hier studierte er an den miteinander konkurrierenden, aber gleichermaßen bedeutenden Jeschiwot des böhmischen Landesrabbiners Abraham Broda und des Prager Gemeinderabbiners David Oppenheim sowie bei Brodas Schüler Samuel Krakauer. Als Abraham Broda Prag im Frühjahr 1709 verließ, um das Rabbinat in Metz zu übernehmen und auch David Oppenheim sich nach dem Tod seines Schwagers Hirsch Hannover längere Zeit nicht in Prag aufhielt, kehrte Katzenellenbogen im Herbst 1709 nach Fürth zurück. Dort setzte er seine Studien während des Winters 1711 bei Baruch Rapoport fort, der seit 1710 als Nachfolger des verstorbenen Bermann Fränkel das Rabbinat in Fürth bekleidete.103 Anschließend schickte ihn sein Vater nach Nikolsburg, wo er im Sommer 1711 und im Winter 1712 an der berühmten Jeschiwa des mährischen Landesrabbiners Gabriel Eskeles studierte, bis ihm Jakob Oettingen im Adar 1712 einen Schiduch mit seiner Tochter Sara Rachel anbot.104 100 Zit. nach Tishby, Iggerot [hebr.], 80. Eigene Übersetzung aus dem Hebräischen. 101 Vgl. hierzu ausführlich unter 6.1. Dort finden sich auch die einzelnen Verweise zu den entsprechenden Belegstellen in Yesh Manchilin. 102 Die Tochter von Katzenellenbogens Ur-Ur-Großvater Meir, dem Sohn von Saul Wahl, hatte Chajim Jona Teomim, den Verfasser des Werkes Kikoyon d’Jona geheiratet und aus dieser Verbindung war Jakob Schulhof hervorgegangen. Vgl. Lçwenstein, Familie, 346ff und Rosenstein, Chain, 167. 103 Zu Baruch Rapoport vgl. Lçwenstein, Fürth I, 177 ff. 104 Unter einem Schiduch versteht man die Vermittlung einer Eheverbindung bzw. die Vereinbarungen, die zwischen dem Vater des Bräutigams und dem Vater der Braut im Vorfeld der
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Das jüdische Schwabach, Wirkungsfeld des Vaters
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Mit seinem Abschied aus Nikolsburg und der Hochzeit mit seiner Frau Sara Rachel, Anfang Cheschwan 1713, war der grundlegende Abschnitt von Katzenellenbogens Studienzeit beendet. Während der folgenden zweieinhalb Jahre lebte er gemeinsam mit seiner Frau, mit der zusammen er die beiden Töchter Jenta (geb. zu Pessach 1716105) und Bela (geb. am 27. Cheschwan 1718106) bekam, im Haus seines Schwiegervaters Jakob Oettingen in Oettingen.107
2.5 Das jüdische Schwabach, Wirkungsfeld des Vaters Vom Sommer 1715 bis Ende 1719 stand Katzenellenbogen eigenen Angaben nach der Jeschiwa im Beth Midrasch seines Vaters Mose in Schwabach vor.108 Dieser war 1715 zum Landesrabbiner der Markgrafschaft Ansbach mit Sitz im südlich von Fürth gelegenen Schwabach berufen worden.109 Dort waren bereits im 14. Jahrhundert Juden ansässig.110 Nach einer Unterbrechung Mitte des 16. Jahrhunderts wurden Juden seit 1591 wieder zugelassen. Zu dieser Zeit bestand offenbar auch schon eine Synagoge.111 Nach den verheerenden Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges wurden für den Wiederaufbau der
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Hochzeit u. a. über die Höhe der Mitgift, über den Ehevertrag, sowie über Ort und Zeitpunkt der Hochzeit getroffen werden. Vgl. YM, § 24, 98. Vgl. YM, § 24, 98. Vgl. YM, § 180, 274. Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Oettingen vgl. u. a. Hager/ Berger-Dittscheid, Oettingen, 522ff und Ostenrieder, Geschichte, 121 ff. Vgl. YM, § 180, 274. Vgl. Lçwenstein, Fürth II, 120. Während das mittelalterliche Rabbinat eine städtische Institution war, verlagerte sich der Schwerpunkt jüdischen Lebens nach der Vertreibung der Juden aus den Städten im 15. und 16. Jahrhundert auf das Land. Um der zunehmenden Zerstreuung und Vereinzelung entgegenzuwirken, wurde seit dem späten 16. und frühen 17. Jahrhundert die neue Organisationsform der Landjudenschaften gegründet. Sie waren autonome Selbstorganisationen der Juden in den Territorialstaaten des Deutschen Reichs und gewährleisteten bis zur Emanzipationszeit auf Landesebene ein selbständiges innerjüdisches Leben. Zugleich kamen sie dem Interesse der Territorialherren an einer landesweiten Institution entgegen, das vor allem in der Zentralisierung der Steuererhebung begründet lag. Als religiöser Führer der Gemeinschaft und Richter in innerjüdischen Streitigkeiten fungierte der Landes- oder Oberrabbiner bzw. Aw Beth Din. Vgl. zur Entstehung der Landjudenschaften und Landesrabbinate ausführlich Brocke/Carlebach, Handbuch 1/1, 43ff; Baer, Gemeinde, 20ff; Cohen, Entwicklung, 222ff; Battenberg, Zeitalter I, 242ff; Breuer, Frühe Neuzeit, 195ff; Rohrbacher, Organisationsformen, 137ff und Berthold-Hilpert, Land, 11 ff. Vermutlich ließen sich in Folge der antijüdischen Ausschreitungen in Nürnberg 1348, die zur Vertreibung der jüdischen Einwohner der Reichsstadt führten, auch Juden im benachbarten Schwabach nieder. Vgl. Ehrenpreis/Wendehorst, Schwabach, 23 f. Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Schwabach vgl. auch Kuhn, Geschichte, 30ff und Berger-Dittscheid, Schwabach, 614 ff. Vgl. Ehrenpreis/Wendehorst, Schwabach24 f; Haenle, Geschichte, 50 und BergerDittscheid, Schwabach, 614 f.
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Biographische Skizze von Pinchas Katzenellenbogen
Stadt und ihrer Infrastruktur neben ca. 500 Hugenotten auch Juden angesiedelt. Vor allem im 17. und 18. Jahrhundert gewann Schwabach für die jüdische Minderheit an Attraktivität. Dies lag nicht zuletzt am Wachstum der Stadt und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, die sich aus der Nähe zur fränkischen Metropole Nürnberg, der Lage an überregionalen Handelsstraßen und der markgräflichen Wirtschaftspolitik ergab. Zu einer größeren Einwanderungswelle kam es nach der Vertreibung der Juden aus Wien. Ihren Lebensunterhalt verdienten sich die Juden in Schwabach vor allem mit dem Handel von Schmuck und Pferden, dem Hausier- und dem Kleinhandel, daneben aber auch mit Geld- und Pfandgeschäften.112 1687 konnten ein neuer Synagogenbau sowie gegenüber ein Haus für den Rabbiner und etwas später auch eine Jeschiwa errichtet werden.113 Als Begräbnisstätte diente den Schwabacher Juden vom 17. Jahrhundert an der jüdische Friedhof in Georgensgmünd, obwohl dieser vier Gehstunden von Schwabach entfernt lag.114 Ein Rabbiner ist in Schwabach erstmals 1664 namentlich nachweisbar. Er hatte zunächst jedoch nur eine lokale Funktion. Erst 1708/09, nach dem Tod Bermann Fränkels und der Ernennung seines Neffen Hirsch Fränkel zum Landesrabbiner, wurde der Sitz des Ansbacher Landesrabbinats von Fürth nach Schwabach verlegt und der Schwabacher Rabbiner war damit gleichzeitig als Landes- bzw. Oberrabbiner für die ganze Markgrafschaft zuständig.115 1714, also etwa um die Zeit, als Mose Katzenellenbogen das Amt des Landesrabbiners übernahm und auch Pinchas sich dort niederließ, umfasste der Amtsbereich des markgräflichen Landesrabbinats insgesamt 49 Ortschaften mit ca. 500 Familien.116 Mit dreißig als steuerbar gemeldeten Familien117 war Schwabach zu dieser Zeit neben der 112 Vgl. ebd., 615 f. 113 Dieser im Nordosten der Stadt gelegene Komplex mit Synagoge, Rabbinerhaus und Religionsschule (heute Synagogengasse 5, 6 und 7; bis ins 19. Jahrhundert hinein trug sie den Namen Judenschulgäßchen) bildete seit dem 17. Jahrhundert das religiöse Zentrum der jüdischen Gemeinde von Schwabach. Die Gebäude sind noch heute weitgehend erhalten. Die alte Synagoge konnte dem Zuwachs der Gemeinde allerdings nicht ausreichend Raum bieten und wurde daher 1800 durch einen Neubau ersetzt. Möglicherweise wurden aber die Fundamente und der Sockel des Vorgängerbaus für den Neubau benutzt. Vgl. Berger-Dittscheid, Synagogen, 128 f; Schwierz, Zeugnisse, 193 und Kuhn, Geschichte, 31. In dem 1726 errichteten Wohnhaus in der Synagogengasse 10 wurde 2001 außerdem eine Laubhütte wiederentdeckt, die offenbar aber erst 1795, also etwa fünfzig Jahre nach dem Tod von Mose Katzenellenbogen, nachträglich eingebaut wurde. Vgl. Twiehaus, Laubhütte, 144. 114 Vgl. Berger-Dittscheid, Schwabach, 615 und Kuhn, Geschichte, 30. Da es vielen Gemeinden nicht möglich war, einen eigenen Friedhof anzulegen, wurden sogenannte Verbandsfriedhöfe geschaffen, auf dem die umliegenden Gemeinden ihre Toten bestatteten konnten. Vgl. Sçrries, Kulturgeschichte, 80. 115 Vgl. Ehrenpreis/Wendehorst, Schwabach, 23ff; Berthold-Hilpert, Land, 14 und Berger-Dittscheid, Synagogen, 113 f. 116 Vgl. Berthold-Hilpert, Land, 15 und Berger-Dittscheid, Schwabach, 616. Bei Haenle, Geschichte, 139, sind die einzelnen Orte mitsamt der Zahl der in ihnen wohnhaften jüdischen Familien aufgeführt. 117 Nach Berger-Dittscheid, Schwabach, 616, ist anzunehmen, dass mindestens die doppelte Anzahl jüdischer Familien in Schwabach lebte.
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Das jüdische Schwabach, Wirkungsfeld des Vaters
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größten jüdischen Gemeinde in Fürth eines der Zentren jüdischer Ansiedlung in der Markgrafschaft. Fürth hatte einen eigenen Oberrabbiner, der dem Landesrabbiner nicht unterstellt war. In seiner geographischen Ausdehnung reichte der Amtsbereich des Landesrabbinats von Thalmässing im Südosten, über Treuchtlingen im Süden, Crailsheim und Creglingen im Westen bis nach Prichsenstadt und Sommerach im Norden. Zu den Aufgaben und Kompetenzen des Landesrabbiners, wie sie eine Verordnung der markgräflichen Regierung aus dem Jahr 1707 aufführt, zählten u. a. Verordnungen über die Durchführung des Gottesdienstes, Trauungen und Scheidungen, Inventuren und Teilungen in Erbschaftsfällen, das Aufsetzen von Heirats- und Kindverträgen sowie die innerjüdische Rechtsprechung in Schuld- oder Zivilklagen, wobei der Landesrabbiner Geld- oder Bannstrafen verhängen konnte, um seine Urteile durchzusetzen.118 Antijüdische Verleumdungen und stereotype Beschuldigungen, zu denen es in der Markgrafschaft Ansbach auch während der Zeit, in der Mose Katzenellenbogen dort als Landesrabbiner amtierte, immer wieder kam, werden von Katzenellenbogen nicht thematisiert.119 Mose Katzenellenbogen versah das Amt des ansbachischen Landesrabbiners bis zu seinem Tod am 20. Tischri 1743. Obwohl die Verstorbenen der jüdischen Gemeinde Schwabachs in der Regel wie erwähnt auf dem jüdischen Friedhof in Georgensgmünd begraben wurden,120 wurde Mose Katzenellenbogen auf dem alten jüdischen Friedhof in Fürth neben dem Grab seines Schwiegervaters Elieser Heilbronn und seiner 1740 in Fürth verstorbenen Frau Sara Lea beigesetzt.121 118 Vgl. Berthold-Hilpert, Land, 14 f und Ehrenpreis/Wendehorst, Schwabach, 29. 119 Von 1727 – 29 führte bspw. ein antijüdisches Lied über eine angeblich in Schwabach vorgefallene Entweihung des Karfreitags in ganz Franken zu Verfolgungen. Vgl. Haenle, Geschichte, 129 f; Ehrenpreis/Wendehorst, Schwabach, 30 und Berger-Dittscheid, Schwabach, 618. Möglicherweise fanden solche Vorfälle in Schwabach keinen Eingang in Yesh Manchilin, weil sie Katzenellenbogens Leben anders als die Anschuldigungen gegen seinen Vater 1699 in Podhajce, die weitreichende Konsequenzen für die ganze Familie nach sich zogen, nicht mehr unmittelbar betrafen, da er um diese Zeit bereits Rabbiner in Marktbreit war. Von der Geringschätzung der Juden auch schon in früherer Zeit zeugt der um 1500 entstandene Dreikönigsaltar in der evangelischen Pfarrkirche von Schwabach. Das auf ihm u. a. dargestellte Motiv der Grablegung Mariens zeigt, wie die beteiligten Jünger eine an ihrer Kopfbedeckung erkennbare Gruppe von Juden zu Boden treten. Vgl. ebd., 614. 120 Vgl. Kuhn, Geschichte, 30. 121 Vgl. Lçwenstein, Fürth II, 120, bei dem auch die Inschrift vom Grab Mose Katzenellenbogens abgedruckt ist. Der Grabstein selber wurde, ebenso wie der Grabstein von Elieser Heilbronn und dessen Tochter Sara Lea, zwischen 1938 und 1945 zerstört. Eine Fotografie, die Hugo Heinemann zwischen 1930 und 1935 gemacht hat und die mir freundlicherweise von Frau Gisela N. Blume zur Verfügung gestellt wurde, zeigt den Stein Mose Katzenellenbogens jedoch in unmittelbarer Nähe zum Grab seines Schwiegervaters und seiner Ehefrau gelegen. Die Gräber befanden sich auf dem ältesten Teil des jüdischen Friedhofs in Feld A040 des bei Blume, Friedhof, 78, abgedruckten Lageplans des Friedhofs. Vgl. die Angaben von ebd., 91, zur Lage des Grabes von Elieser Heilbronn und Sara Lea.
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Biographische Skizze von Pinchas Katzenellenbogen
Aus der Amtszeit von Mose Katzenellenbogen in Schwabach ist ein Pokal der dortigen Chewra Kadischa erhalten, dessen Deckelfigur Mose Katzenellenbogen als Patron der Bruderschaft zeigt. Auf dem zugehörigen Schild findet sich eine Aufschrift, die Namen und Titel Mose Katzenellenbogens und darüber hinaus auch den Namen seines Sohnes Pinchas nennt. Der Pokal stammt aus dem Jahr 1718/19, als auch Pinchas noch in Schwabach wohnhaft und tätig war. Heute befindet er sich im Israel-Museum in Jerusalem.122 Er wird ausführlich im Katalog des Jewish Museum in London beschrieben, wo er sich zuvor als Leihgabe von Simon Brueckheimer befand. Dort ist auch die Aufschrift abgedruckt. Sie lautet: Der Rabbiner und Vorsitzende des Gerichts im Land Ansbach, unser Lehrer und Meister R. Mose, Sohn des Rabbiners und unseres frommen Rabbiners und Meisters R. Saul, sel.A., aus dem Haus Katzenellenbogen und sein Sohn, unser Lehrer und Meister, R. Pinchas, der Barmherzige möge ihn behüten und erlösen. – [Darunter steht:] „Und es stand kein Mann auf wie Mose.“ [Dtn 34,10]123
2.6 Rabbinate in Wallerstein, Leipnik, Marktbreit und Boskowitz Nach seiner Zeit als Talmudlehrer in der Jeschiwa von Schwabach wirkte Katzenellenbogen etwa 45 Jahre lang als Rabbiner in verschiedenen Gemeinden in Deutschland und Mähren. Die historischen Bedingungen, die Katzenellenbogen an den verschiedenen Orten vorgefunden und unter denen er gewirkt haben dürfte, sollen im Folgenden kurz umrissen werden.
Wallerstein Zu Beginn des Jahres 1720, in den Tagen zwischen Rosch HaSchana und Jom Kippur, trat Katzenellenbogen seine erste Stelle als Rabbiner in der Gemeinde Wallerstein an.124 Die Wurzeln dieser in unmittelbarer Nähe zur Reichsstadt Nördlingen und heute im Landkreis Donau-Ries gelegenen Gemeinde, die seit 1603 Sitz des Landesrabbiners der Grafschaft Oettingen-Wallerstein war,125 reichen bis ins Mittelalter zurück. Spätestens seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts waren Juden in Wallerstein, das seit ca. 1250 im Besitz der 122 Vgl. Kuhn, Tod, 312. Eine Fotografie des Pokals, die am 5. 8. 1929 von Theodor Harburger angefertigt wurde, als sich der Pokal noch im Besitz der Chewra Kadischa von Schwabach befand, ist abgebildet bei Harburger, Inventarisation, 698 f. Vgl. die Abbildung auf dem Umschlag dieses Buches. 123 Vgl. Barnett, Catalogue, 106 ff. 124 Vgl. YM, Einleitung, 67; § 136, 232; § 150, 246; § 180, 274 und § 223, 309. 125 Vgl. Brocke/Carlebach, Handbuch 1/1, 62.
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Rabbinate in Wallerstein, Leipnik, Marktbreit und Boskowitz
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Grafen und späteren Fürsten von Oettingen-Wallerstein war und 1500 zum Markt erhoben wurde, ansässig.126 Die Gemeinde wuchs, als zu Beginn des 16. Jahrhunderts viele Juden, die aus den umliegenden Reichsstädten Nördlingen, Bopfingen und Donauwörth vertrieben worden waren, Aufnahme fanden. Ein erster Rabbiner ist namentlich um die Mitte des 16. Jahrhunderts mit Mose HaLevi Heller Wallerstein (1517 – 1600) nachweisbar, dessen Enkel, der berühmte Talmudgelehrte und spätere Oberrabbiner von Wien, Prag und Krakau, Yomtov Lipmann Heller (1578 – 1654) ebenfalls in Wallerstein geboren wurde.127 Für das Jahr 1688 sind in Wallerstein 37 jüdische Familien belegt, die im sogenannten „Judenhof“, am südöstlichen Ortsrand wohnten, wo sich auch die seit 1679 nachweisbare Synagoge befand. Noch zu Katzenellenbogens Zeit bestand diese offenbar aus einem kleinen Betsaal im Turm des sogenannten „Judentores“. Pläne für einen Neubau der Synagoge und des Judentores, der den beengten Verhältnissen, unter denen die wachsende jüdische Gemeinde ihre Gottesdienste feiern musste, Abhilfe schaffen sollte, sind erst für das Jahr 1725 erhalten.128 Während der kurzen Zeit, die Katzenellenbogen das Amt des Landesrabbiners in Wallerstein versah, betreute er auch die in Pflaumloch und Oberdorf ansässigen Juden. Bald nachdem am 8. Adar 1720 seine Frau Sara Rachel bei der Geburt ihres dritten Kindes starb, verließ Katzenellenbogen die Gemeinde.129 Leipnik Am 9. Schevat 1721 heiratete Katzenellenbogen seine zweite Ehefrau Olek Sara. Sie war die Enkelin seines ehemaligen Lehrers, des mährischen Landesrabbiners Gabriel Eskeles, der bereits 1718 gestorben war und in Nikolsburg, seiner letzten Wirkungsstätte, begraben ist.130 Die Hochzeit fand in der mährischen Gemeinde Schaffa statt, wo Katzenellenbogens Schwiegervater Jakob Eskeles zu dieser Zeit Rabbiner war.131 Sein Bruder war Bär Eskeles, der 126 Nach Fassl, Kultur, 24, ist eine jüdische Gemeinde in Wallerstein möglicherweise bereits im Jahr 1298 belegt. Auch nach Schwierz, Zeugnisse, 279, bestand eine jüdische Gemeinde vermutlich schon vor 1348, die im Zuge der Pestverfolgungen 1348 – 1350 jedoch zu großen Teilen ermordet wurde. 127 Zu Yomtov Lipmann Heller vgl. die ausführliche Monographie von Davis, Yom-Tov Lipmann Heller. 128 Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Wallerstein vgl. Hager/Berger-Dittscheid, Wallerstein, 530ff und Schwierz, Zeugnisse, 279 f. 129 Vgl. Hofmann, Landrabbinat, der darauf hinweist, dass die Verhältnisse und die Bedeutung des Wallersteiner Rabbinats vor allem zu Beginn des 18. Jahrhunderts bislang wenig erforscht ist; ein Umstand, der u. a. darauf zurückzuführen ist, dass viele Archivalien im Zweiten Weltkrieg und in der Shoa verloren gegangen sind. 130 Vgl. Klenovsky´, Sites, 68 und Rosenstein, Chain, 410. 131 Vgl. den Eintrag von Feld zu Jakob Eskeles im Register zu YM, 520. Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Schaffa vgl. Alt, Geschichte, 513ff und Gold, Gedenkbuch, 106.
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Biographische Skizze von Pinchas Katzenellenbogen
seinem Vater nach dessen Tod im Jahr 1718 im Amt des mährischen Landesrabbiners nachgefolgt war. Zusammen mit seiner zweiten Frau hatte Katzenellenbogen zwei Söhne, Jakob und Gabriel, sowie die vier Töchter Rachel, Rebekka Esther, Hindel und Lea.132 Nur wenige Wochen nach seiner Hochzeit übernahm Katzenellenbogen das Rabbinat in der etwa 230 km südöstlich von Prag gelegenen mährischen Gemeinde Leipnik.133 Hillel zufolge hatte er es nicht zuletzt seiner durch die Heirat erworbenen Verwandtschaft mit dem mährischen Landesrabbiner zu verdanken, dass er als noch junger Rabbiner auf diesen angesehenen Rabbinerposten berufen wurde. Seit 1710, nach dem Abgang von Rabbiner Hiller Münz, war dieser zunächst unbesetzt geblieben bzw. während der Vakanz von dem aus einflussreicher Familie stammenden R. Jehuda Löw ausgefüllt worden, der schließlich aber dem Druck aus Nikolsburg zu Katzenellenbogens Gunsten weichen musste.134 Bereits seit dem 15. Jahrhundert waren Juden in Leipnik ansässig, die sich überwiegend im Handel betätigten. Das Judenregal lag zunächst in der Hand des Königs. Erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kamen die Juden unter den Schutz der lokalen Herrschaft. Eine Synagoge wird erstmalig im Jahr 1540 erwähnt, bestand wahrscheinlich aber schon früher. Ein Rabbinat existierte seit dem späten 16. Jahrhundert. Es wurde von bedeutenden Rabbinern bekleidet, darunter Mose Samson Bacharach (1632 – 1644), der während des Dreißigjährigen Kriegs zwei Bußgebete verfasste, in denen er die Leiden der Juden in dieser Zeit schildert und die bis ins 20. Jahrhundert hinein am Gedenktag des schwedischen Einfalls am 17. Tammus 1643 gebetet wurden. Der gleichnamige Enkel von Jesaja Horowitz, dem Verfasser des berühmten Shne Luhot HaBrit, wirkte hier von 1658 – 1673 ebenfalls als Rabbiner.135 Nach dem Dreißigjährigen Krieg erlebte die jüdische Gemeinde raschen Zuwachs. Auch einige der 1670 durch Leopold I. aus Wien vertriebenen Juden 132 Vgl. die Aufzählung von Feld in seiner Einleitung zu YM, 16. Katzenellenbogens ältester Sohn Jakob studierte in Frankfurt bei Oberrabbiner Jakob Poppers. Nachdem er zunächst Rabbiner in Ungarisch-Ostra (Mähren) gewesen war, wurde er 1764 auf das Landesrabbinat nach Oettingen im Ries berufen. Eine Kopie des diesbezüglichen Schreibens des Rabbinats an seinen Sohn Jakob fügt Katzenellenbogen in sein Yesh Manchilin unter § 242, 331 f ein. Er bekleidete dieses Amt dreißig Jahre lang bis zu seinem Tod im Jahr 1795. Jakobs Sohn Pinchas Katzenellenbogen wurde sein Nachfolger im Rabbinat. Ein anderer Sohn, Elieser, heiratete die Tochter des holsteinischen Oberrabbiners Raphael Cohen und war Gemeindevorsteher in Hamburg. Er war der Vater des Politikers Gabriel Riesser. Zu Jakob Oettingen und seinen Nachkommen vgl. Mller, Beiträge II, 138 und Brocke/Carlebach, Handbuch 1/2, 516 ff. Katzenellenbogens zweiter Sohn Gabriel nannte sich nach seinem Geburtsort Marktbreit. Er war Gemeindevorsteher in Nikolsburg und Kassenvorsteher der dortigen Talmud-Tora-Schule. Vgl. Feld in seiner Einleitung zu YM, 19. Vgl. auch bei Eisenstadt, Sefer [hebr.] , 117. 133 Unter YM, § 32, 107, schreibt Katzenellenbogen, dass seine Hochzeit am Donnerstag des Wochenabschnitts Bo stattgefunden habe und er am Donnerstag des Wochenabschnitts Mischpatim, der drei Wochen später verlesen wird, nach Leipnik kam. 134 Vgl. Hillel, Rabbiner, 81 ff. 135 Vgl. ebd., 58 ff.
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Rabbinate in Wallerstein, Leipnik, Marktbreit und Boskowitz
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ließen sich in Leipnik nieder.136 Hillel gibt an, dass es im Jahr 1700 in Leipnik „43 besetzte Judenhäuser und ein ödes Haus, einen Tempel, ein Gemeindehaus, einen Friedhof […], ein Spital und ein Schlachthaus“ gab.137 1723 wurde den Juden erlaubt, auf den freien Jahrmärkten Handel zu treiben und auch Handwerke auszuüben.138 Leipnik zählte neben Nikolsburg, Boskowitz und einigen weiteren Gemeinden zu den wichtigsten Zentren jüdischer Gelehrsamkeit in Mähren.139 Katzenellenbogen hält fest, dass er sich in Leipnik sehr wohl gefühlt habe, weil es dort eine Jeschiwa gab, „in der die Weisen lehrten“ und weil man dort, so schreibt er, nach seiner Lehre verlangte.140 Nichtsdestotrotz währte seine Zeit in Leipnik nicht lange. Eigenen Angaben nach übernahm er auf Wunsch seines Vaters hin, der ihn in seiner Nähe wissen wollte, bereits zu Schawuot 1722 das Rabbinat in der südöstlich von Würzburg am Main gelegenen unterfränkischen Gemeinde Marktbreit, die dem Fürstentum Schwarzenberg zugehörig war.141
Marktbreit Auch die Entstehung der jüdischen Gemeinde von Marktbreit reicht ins ausgehende 15. Jahrhundert zurück. 1487 ist eine Niederlassung von Juden in dem fränkischen Marktflecken erstmals erwähnt. Sie wurde unterbrochen, als sich die Dorfgemeinde 1553 vom Ortsherren Georg Ludwig von Seinsheim gegen eine Weinsteuer auf ewige Zeit Judenfreiheit zusichern ließ. Erst im Laufe des Dreißigjährigen Krieges kam es zu einem Wandel in dieser Judenpolitik. Zwischen 1636 und 1642 wies der Würzburger Bischof Franz von Hatzfeld zur Deckung der beträchtlichen Kriegsschulden gegen hohes Schutzgeld fünf jüdische Familien mit etwa zwanzig Personen in Marktbreit ein. Weitere Familien wurden zugelassen, nachdem der Ort 1643 unter Schwarzenbergische Herrschaft fiel. Bereits 1644 erließ Graf Johann Adolph von Schwarzenberg ungeachtet der Beschwerden durch die Geistlichkeit und durch die christlichen Gewerbetreibenden einen Schutzbrief mit umfassenden Pflichten und Rechten für die Juden in der Grafschaft Schwarzenberg, der ihnen u. a. erlaubte, in ihren Orten einen Rabbiner einzustellen und eine Synagoge zu errichten. Zugleich wurden sie mit zahlreichen Abgaben und 136 Vgl. Kaufmann, Vertreibung, 186. 137 Hillel, Geschichte, 302. 138 Zur Geschichte der Juden in Leipnik vgl. ebd., 301ff; Gold, Gedenkbuch, 77 und Fiedler, Sights, 104 f. 139 Vgl. Parˇk, History, 17. 140 Vgl. YM, 67. 141 Vgl. Katzenellenbogens Einleitung zu YM, 67. Katzenellenbogen schreibt, dass er zu Schawuot 1722 das Rabbinat in Marktbreit übernahm. Den Angaben von Hillel, Geschichte, 304 und Gold, Gedenkbuch, 77, nach, wirkte er jedoch von 1721 – 1723 in Leipnik.
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Biographische Skizze von Pinchas Katzenellenbogen
Steuern belegt. Eine erste Synagoge wurde im 17. Jahrhundert in unmittelbarer Nähe des Seinsheimer Schlosses erbaut. Die jüdischen Bewohner Marktbreits betätigten sich überwiegend im Handel, vor allem mit Wein, Obst, Vieh und Krämerwaren. Ein Drittel der 1656 in Marktbreit selbständigen Händler waren Juden, zwei davon wurden aufgrund ihrer Beziehungen und ihres Kapitals als Großhändler bezeichnet. Den zahlreichen Versuchen von Rat und christlicher Handelsschaft, gegen die als Konkurrenz empfundene jüdische Niederlassung vorzugehen, war jedoch kein Erfolg beschieden. Im Jahr 1703 war die Zahl der jüdischen Schutzverwandten auf zwanzig Familien mit über 150 Personen angewachsen, die sich von den Juden in den umliegenden Gemeinden durch ihren relativen Wohlstand unterschieden. Etwa die Hälfte von ihnen gehörte den Familienverbänden der Oppenheimer und Wertheimer an, die verwandtschaftlich mit den kaiserlichen Oberhoffaktoren Samuel Oppenheimer und Samson Wertheimer in Wien verbunden waren. Letzterer war der Bruder von Samuel Emanuel Wertheimer, dem Gemeindeältesten und Obervorgeher in Marktbreit. Er ließ 1718 am Markt ein prächtiges Gebäude mit Kaufläden errichten, dass noch heute erhalten ist. Samson Wertheimer finanzierte auch den Bau einer neuen Synagoge, nachdem die alte 1714 durch einen Brand zerstört worden war. Der neue Bau wurde 1717, also etwa fünf Jahre bevor Katzenellenbogen das Rabbinat übernahm, eingeweiht. Neben einem Betraum verfügte er über ein Gemeindehaus, einen Vorbau mit Wohnung für einen jüdischen Lehrer, ein Ritualbad und einen Schulraum, in dem auch die Kinder aus den Nachbarorten unterrichtet werden konnten. Da die zentrale Lage der alten Synagoge am Marktplatz oft zu Feindseligkeiten seitens der christlichen Bewohner geführt hatte, weil sich das rituelle Zeremoniell sowie die Feste und Feiern mitten im Ort abgespielt hatten, wurde für den Bau der neuen Synagoge ein Grundstück an der Pförtleinsgasse im ruhigeren Südosten des Ortes gewählt.142 Auch in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts drängten der Rat und die christlichen Händler und Kaufleute die schwarzenbergische Herrschaft wiederholt dazu, die Freiheiten der Juden einzuschränken und diese nach Möglichkeit sogar ganz zu vertreiben. Dennoch kam es zu keiner Ausweisung. Stattdessen wuchs die jüdische Gemeinde weiter an und zählte 1728 bereits 115 jüdische Familien. Etwa seit der Jahrhundertwende hatte Marktbreit sich zu einer der bedeutendsten jüdischen Gemeinden der Region entwickelt. 1687 war sie zum Sitz eines Ober- bzw. Landesrabbinats und des Bezirksvorstehers für die schwarzenbergischen Juden geworden.143 Auch Katzenellenbogen versah in 142 Im Jahr 1885 erfolgte eine umfassende Erneuerung der Synagoge. 1938 wurde während des Novemberpogroms die Inneneinrichtung der Synagoge weitgehend zerstört. Das Gebäude blieb erhalten und wurde 1945 zu einem Wohn- und Geschäftshaus umgebaut. Heute noch sichtbar ist die Ostfassade mit dem Mauervorsprung für den Aron HaKodesch und darüber ein zugemauertes Rundfenster. Vgl. Schwierz, Zeugnisse, 96. 143 Vgl. Brocke/Carlebach, Handbuch 1/1, 61.
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Rabbinate in Wallerstein, Leipnik, Marktbreit und Boskowitz
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Marktbreit das Amt des Schwarzenbergischen Landesrabbiners. In der Einleitung zu Yesh Manchilin schreibt er, dass er nach Marktbreit kam, um dort als Aw Beth Din in den Schwarzenbergischen Ländern zu wirken.144 Regelmäßig fanden in Marktbreit jüdische Landtage stand, die in Yesh Manchilin jedoch keine Erwähnung finden.145 Insgesamt betrachtet lässt Katzenellenbogen seine Zeit als Rabbiner in Marktbreit in keinem guten Licht erscheinen. Rückblickend klagt er über die mangelnde Frömmigkeit der Gemeinde, über das Fehlen einer Jeschiwa und über die Vielzahl von Aufgaben, die ihm kraft seines Amtes oblagen und die ihm kaum Raum ließen, um sich mit dem Studium der heiligen Schriften zu beschäftigen. Dennoch blieb er fast drei Jahrzehnte lang an diesem Ort, an dem fünf seiner Kinder geboren wurden. Erst sieben Jahre nach dem Tod seines Vaters verließ er diesen ungeliebten Posten, um am Sabbat Nachamu des Jahres 1750 das Rabbinat in der 170 km südöstlich von Prag und ca. 30 km nördlich von Brünn gelegenen mährischen Gemeinde Boskowitz und damit die letzte offizielle Position zu übernehmen, die er bis zum Jahr 1764 innehatte.146
Boskowitz Katzenellenbogen schreibt, dass er dem Wechsel auf das Rabbinat in Boskowitz hoffnungsvoll entgegen sah, weil er dort sein Alter an einem Ort verbringen konnte, an dem „Weise und Schriftgelehrte lebten“.147 Tatsächlich war die jüdische Gemeinde in Boskowitz vom 17. bis 19. Jahrhundert eine der größten und bedeutendsten Mährens und galt neben Nikolsburg, Kremsier, 144 Vgl. YM, Einleitung, 67. Der Landesrabbiner wurde nach seiner wichtigsten Funktion Aw Beth Din, d. h. Vorsitzender des jüdischen Gerichts, benannt. Vgl. Cohen, Entwicklung, 227 und Breuer, Frühe Neuzeit, 195. 145 Als „Judenlandtag“ (hebr. jom hawa’ad) wurden die turnusmäßig alle drei Jahre, meist jedoch nach Bedarf stattfindenden und in der Regel drei bis vier Tage dauernden Versammlungen aller steuerpflichtigen Familienhäupter einer Landjudenschaft bezeichnet. Auf ihnen wurde über die Verteilung von Steuern und weiterer gemeinschaftlicher Abgaben entschieden, es wurden Verordnungen religiösen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Charakters erlassen und die verschiedenen Funktionsträger der Landjudenschaft gewählt. Vgl. Rohrbacher, Organisationsformen, 146 f; Cohen, Entwicklung, 228 und Breuer, Frühe Neuzeit, 192 f. Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Marktbreit vgl. Wenzel, Gemeinde, 6ff; Wenzel, Marktbreit, 132ff und Schwierz, Zeugnisse, 96. 146 Als Sabbat Nachamu („Tröstet“) wird der Sabbat nach dem 9. Aw bezeichnet, weil die Haftara Jes 40,1 – 26 mit dem Wort „Tröstet“ beginnt und eine Botschaft des Trostes und der Verheißung enthält. Vgl. Fohrer, Glaube. Im Jahr 1750, in dem Katzenellenbogen seiner eigenen Auskunft nach das Rabbinat in Boskowitz übernahm (vgl. YM, Einleitung, 68), fiel der Sabbat Nachamu auf den 13. August. Nach den Angaben bei Gold, Boskowitz, 127; Gold, Gedenkbuch, 17; Brnsky´, Zid, 250 und Sixtov, Synagogue, 59 amtierte Katzenellenbogen erst seit 1751 als Rabbiner in Boskowitz. 147 Vgl. YM, Einleitung, 68.
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Biographische Skizze von Pinchas Katzenellenbogen
Prossnitz, Ungarisch-Brod sowie Leipnik als Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit.148 Obwohl schon aus früherer Zeit vereinzelt Juden erwähnt werden, begann sich eine jüdische Gemeinde erst seit Mitte des 15. Jahrhunderts zu entwickeln.149 Ausgangspunkt war die Vertreibung der Juden unter König Ladislaus aus den königlichen Städten Brünn, Olmütz, Iglau und Znaim im Jahr 1454, in deren Folge sich Juden in den umliegenden Orten, darunter auch in dem günstig an der alten Handelsroute von Mähren nach Böhmen und Schlesien gelegenen Boskowitz, niederließen. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts verfügte die Gemeinde bereits über eine Synagoge und einen südwestlich der Stadt gelegenen Friedhof.150 Zu dieser Zeit lebten die Juden größtenteils zwischen dem Boskowitzer Marktplatz und dem Burgberg, noch nicht strikt von der christlichen Bevölkerung getrennt. Erst nach 1727 entstand im Zuge der antijüdischen Politik Kaiser Karls VI., die auch das Leben der jüdischen Gemeinde in Boskowitz beeinflusste, eine separierte Judenstadt, die seit 1753 bzw. 1756, der Zeit also, während der Katzenellenbogen mit seiner Familie bereits in Boskowitz wohnte, durch zwei Tore von der übrigen Stadt getrennt wurde. Das Ghetto wurde nicht zuletzt wegen der mit den beschränkten Ansiedlungsmöglichkeiten verbundenen räumlichen Enge und den schlechten hygienischen Verhältnissen wiederholt von Seuchen und Feuersbrünsten heimgesucht. Trotz der Separierung nahmen die Juden am Leben im christlichen Teil der Stadt teil, indem sie etwa auf dem Marktplatz Handel trieben, oder auch ihre Festzüge zu den herrschaftlichen Festtagen organisierten. Ein weiterer Ausdruck der antijüdischen Politik Karls VI. war das sogenannte Familiantengesetz, das in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts die Zahl der jüdischen Familien in Boskowitz auf 326 festlegte. Einer Volkszählung nach lebten im Jahr 1727 insgesamt 1531 Juden in Boskowitz. 1748, kurz bevor Katzenellenbogen in die Gemeinde kam, waren es 1379 und im Jahr 1764, dem Jahr, als er Boskowitz wieder verließ, waren es 1101 Juden neben 2121 christlichen Bewohnern der Stadt. Sie waren überwiegend im Handel und im Handwerk tätig, wobei letzteres allein dem jüdischen Verbrauch diente und überwiegend mit den Kultusbedürfnissen der Gemeinde zusammenhing. Die jüdischen Händler verkauften ihre Waren nicht nur auf dem Markt in Boskowitz, sondern auch nach Brünn und in weiter entfernte Gegenden wie Schlesien und Ungarn. Allerdings wurden auch hier die Rechte der Juden oft eingeschränkt und ihr Handel untergraben. Eine weitere Erwerbsquelle stellte 148 Vgl. Parˇk, History, 17 und Kahane, Boskovice, 97. 149 Gold, Boskowitz, 123 und Gold, Gedenkbuch, 12, vermutet aufgrund eines aus dem Jahr 1069 datierenden jüdischen Grabsteins, dass eine jüdische Ansiedlung bereits im 11. Jahrhundert bestand. Dem widerspricht jedoch Brnsky´, Zid, 319, der nachweisbare Belege für einen Juden in Boskowitz erst aus der Mitte des 14. Jahrhunderts nennt. 150 Vgl. zu den Anfängen der jüdischen Gemeinde in Boskowitz Gold, Boskowitz, 123; Gold, Gedenkbuch, 12; Parˇk, History, 11; Fiedler, Sights, 46; Brnsky´, Zid, 319 und Sixtov, Synagogue, 8.
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Rabbinate in Wallerstein, Leipnik, Marktbreit und Boskowitz
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das Pachten herrschaftlicher Betriebe wie Potaschsiebereien und Branntweinhäusern dar.151 Obwohl die jüdische Gemeinde der adeligen Herrschaft und dem christlichen Stadtrat unterlag, verfügte sie über eine gewisse Autonomie. Sie war ein Glied der mährischen Judenschaft und hatte ihre eigenen Vertreter in der Versammlung der Landesältesten.152 An der Spitze der Gemeinde stand der Rabbiner mit dem Rabbinatsgericht für die Kultussachen und für die Regelung innerjüdischer Streitigkeiten. Jährlich wurden ein oder zwei Judenrichter und verschiedene Gemeindefunktionäre gewählt.153 Die älteste Synagoge in Boskowitz, die sogenannte Synagoga minor, stammt bereits aus dem 16. Jahrhundert. Sie befand sich in einem Gebäude in der heutigen Traplova (Traplgasse 7), das zugleich als Beth HaMidrasch diente und die berühmte Jeschiwa beherbergte. Sie war zeitweise die bedeutendste Jeschiwa in Mähren und zog Talmudschüler von weither, u. a. aus Polen und Deutschland nach Boskowitz. In einem unterhalb des Straßenniveaus gelegenen Saal fand eine etwa hundertköpfige Schülerzahl Platz. Nach dem zweiten Weltkrieg verfiel das Gebäude und wurde 1954 abgerissen.154 Im angrenzenden Gebäude (Traplgasse 5), das 1980 allerdings durch einen Neubau ersetzt wurde, befand sich bis ins 19. Jahrhundert hinein möglicherweise die Rabbinerwohnung, in der vielleicht auch Pinchas Katzenellenbogen mit seiner Familie gelebt hat.155 Fast gegenüber und somit in unmittelbarer Nähe wurde 1639 durch den italienischen Baumeister Sylvester Fiota, der sich in Boskowitz niedergelassen hatte, eine neue Synagoge im Renaissance-Stil errichtet, die 1698 erweitert wurde. Die Wandgemälde in den Innenräumen dieser sogenannten Synagoga major stammen aus dem beginnenden 18. Jahrhundert, mussten aber nach einem Brand 1772 restauriert werden. Weitere Umbauten im neo-gotischen Stil folgten im 19. Jahrhundert. Die Synagoge blieb während des Zweiten Weltkriegs erhalten. Nach 1989 wurde sie renoviert, wobei auch die Barockmalereien mit den hebräischen Inschriften restauriert wurden und heute wieder zu sehen sind.156
151 Vgl. Brnsky´, Zid, 319 ff. 152 Im Gegensatz zu den Landjudenschaften in Deutschland, die Vereinigungen von Individuen waren und zu deren Zusammenkünften alle Familienoberhäupter persönlich erscheinen mussten, waren die autonomen jüdischen Institutionen in den osteuropäischen Ländern, d. h. die sogenannte Vierländersynode in Polen und Litauen sowie die böhmische und die mährische Landjudenschaft, Gemeindeverbände, bei deren Zusammenkünften nur die Vorsteher bzw. Delegierten der Gemeinde anwesend zu sein brauchten. Vgl. Cohen, Entwicklung, 225 und Breuer, Frühe Neuzeit, 189. 153 Vgl. Brnsky´, Zid, 329. Gold, Boskowitz, 124ff bietet eine Auflistung der Landesältesten, Judenrichter, Rabbiner und weiteren Bediensteten der Gemeinde seit dem 17. Jahrhundert. 154 Vgl. zur Synagoga minor ebd., 130; Gold, Gedenkbuch, 17; Sixtov, Synagogue, 8; Brnsky´, Zid, 179 f und Wilke, Talmud, 49. 155 Vgl. Brnsky´, Zid, 327. 156 Zur neuen Synagoge von Boskowitz vgl. ausführlich v. a. Sixtov, Synagogue, 9 ff. Vgl. au-
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Biographische Skizze von Pinchas Katzenellenbogen
2.7 Lebensabend in Schwabach Während seiner letzten Jahre in Boskowitz trafen Katzenellenbogen verschiedene Schicksalsschläge. 1758 starb seine Tochter Rebekka Esther bei der Geburt eines Sohnes, der kurz danach ebenfalls verstarb. Ein Jahr später musste er seine zweite Ehefrau Olek zu Grabe tragen. Auch sein eigener Gesundheitszustand verschlechterte sich, so dass er 1764 sein Amt niederlegte, Boskowitz verließ und offenbar in Schwabach ansässig wurde.157 Wie er dort seine letzten Lebensjahre verbrachte, bleibt im Dunkeln. Einem Eintrag im Sterberegister der israelitischen Kultusgemeinde Fürth ist zu entnehmen, dass Pinchas Katzenellenbogen nach christlichem Datum am 4. Oktober (d. h. am 11. Tischri) 1767 gestorben ist und am darauffolgenden Tag (d. h. am 12. Tischri) in Fürth, wie es sein Wunsch war, begraben wurde. Dort befanden sich bereits die Gräber seiner Eltern und seines Großvaters mütterlicherseits, Elieser Heilbronn.158 Der im Register angegebene Sterbeort ist schwer zu identifizieren, es könnte sich dabei aber um eine verschriebene Form von Schwabach handeln. Eine Abweichung von der christlichen Datierung findet sich in den hebräischen Anmerkungen zum Sterbe- und Begräbnistag. Letzteren zufolge ist Katzenellenbogen bereits einen Tag früher, nämlich am Jom Kippur, d. h. am 10. Tischri (3. Oktober), verstorben und am folgenden 11. Tischri (4. Oktober) bestattet worden. Es ist anzunehmen, dass dem jüdischen Schreiber dieses Sterberegistereintrags eher ein Fehler beim Festhalten des allgemeinen als beim Festhalten des jüdischen Datums unterlaufen ist. Der Grabstein von Pinchas Katzenellenbogen ist leider nicht erhalten und auch auf den 80 Fotografien, die Hugo Heinemann zwischen 1930 und 1935 auf dem ältesten Teil des alten jüdischen Friedhofs in Fürth angefertigt hat, nicht zu identifizieren.159 Möglicherweise war der Stein zu diesem Zeitpunkt bereits durch Verwitterung unleserlich geworden oder aber er befand sich in einem
ßerdem die Angaben bei Gold, Boskowitz, 130; Gold, Gedenkbuch, 17; Fiedler, Sights, 46 sowie Brnsky´, Zid, 164ff und 326 f. 157 Vgl. das Vorwort von Feld zu YM, 11. 158 Das Sterberegister der israelitischen Kultusgemeinde Fürth aus den Jahren 1662 – 1929 wird heute im Staatsarchiv Nürnberg, JM107 – 117 Rep. 515/7, aufbewahrt. Der Eintrag zu Pinchas Katzenellenbogen findet sich in JM108 (1749 – 1790) unter der Eintragsnummer 7287. Zu Katzenellenbogens Wunsch, bei seinen Vätern begraben zu werden, vgl. unter 5.4. 159 Hugo Heinemann hatte im April 1930 den Auftrag erhalten, den alten jüdischen Friedhof in Fürth zu dokumentieren. Den Anstoß hierzu hatte der Verleger Adolph Simon Ochs zusammen mit dem Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern gegeben, nachdem er 1930 mit einer Delegation seiner New York Times nach Fürth gekommen war, um die Gräber seiner Vorfahren zu besuchen. Vgl. Blume, Friedhof, 23 und 46.
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Lebensabend in Schwabach
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Bereich des Friedhofs, der von Heinemann vor seiner erzwungenen Emigration 1935 nicht mehr fotografiert werden konnte.160
160 Von letzterem geht Gisela N. Blume aus, die den alten jüdischen Friedhof in Fürth nahezu vollständig erschlossen und dokumentiert hat. Von Frau Blume habe ich diesbezüglich wertvolle Hinweise erhalten, für die ich sehr dankbar bin. Da in Fürth Familienmitglieder für gewöhnlich beieinander begraben wurden, vermutet Frau Blume das Grab von Pinchas Katzenellenbogen in dem von Heinemann nicht mehr erforschten Feld Z40, das direkt an Feld A40 angrenzt, auf dem Katzenellenbogens Eltern und sein Großvater begraben liegen. M.E. erscheint diese Vermutung plausibel. Vgl. hierzu den Lageplan des Friedhofs bei ebd., 78.
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3. Charakterisierung des Werkes Yesh Manchilin 3.1 Quellenlage und Überlieferungssituation Katzenellenbogen hat im Laufe seines Lebens eine Vielzahl von Schriften verfasst. Darunter finden sich zahlreiche Chidduschim zu Traktaten der Mischna und zu Halachoth, sowie Responsen und Predigten.1 Unter diesen religiösen Texten sticht Yesh Manchilin als sehr persönliches und daher auch nicht für eine breitere Öffentlichkeit bestimmtes Werk hervor. Katzenellenbogen hat Yesh Manchilin für den innerfamiliären Kreis seiner Kinder und Nachkommen geschrieben. Eine Veröffentlichung des Manuskripts war von ihm nicht beabsichtigt. Heute befindet sich das Manuskript von Yesh Manchilin, das insgesamt 110 Blätter umfasst, in der Bodleian Library in Oxford (MS Mich. 296).2 Verschiedene Versuche, die in hebräischer Kursive verfasste Handschrift zu kopieren, scheiterten an dem schlechten Zustand, in dem Schrift und Papier sich befinden. Das Papier ist beidseitig beschrieben und die Tinte häufig verwischt, wodurch die Lesbarkeit immens erschwert wird. Da Katzenellenbogen zum Zeitpunkt der Niederschrift bereits weitgehend erblindet war, sind seine Schriftzeichen oftmals wacklig und schwer zu deuten. Das Hebräisch, das er verwendet, ist an die talmudische Sprache angelehnt, weist aber zahlreiche Abweichungen in Numerus und Genus sowie in der Verwendung der Verbstämme auf, die für Texte aus dieser Zeit jedoch nicht ungewöhnlich sind.3 Bereits im Jahr 1854 hatte Zwi Hirsch Edelmann in Gedulat Schaul versucht, Katzenellenbogens Handschrift zu kopieren, war jedoch nur bei einem 1 Die Handschriften vieler seiner Werke sind heute in der Bodleian Library in Oxford erhalten. Vgl. u. a. A=M97;9 N9ML7 (Ms. Heb.e. 2/130); N9LüH89 N9@6B ,8L9N8 @F N9ML7 ,A=M97; (Ms. Heb.f. 3/117; 1716 – 1721); E„M8 @F A=M97; (MS Mich. 220/Cat. Neubauer 1018); E“M5 A=L?:D8 A=B?; NB=ML (MS Mich. 53/Cat. Neubauer 524); C6=95D@DJK @94M C5 8MB C5 E;DH N4B N959MN9 N9@4M (Ms Heb.e. 1/ 130). Eine Auflistung von Katzenellenbogens Werken findet sich außerdem bei Edelmann, Ner [hebr.], 96, sowie in Felds Vorwort zu YM, 11 f. Katzenellenbogen selber zählt eine Reihe seiner Werke in einem Brief auf, den er im Elul 1759 an seinen Sohn Jakob schreibt und in Yesh Manchilin überträgt. Vgl. YM, § 136, 231 f. 2 Eine von mir eingesehene Kopie des Manuskripts befindet sich im Institute of Microfilmed Hebrew Manuscripts in der Jüdischen Nationalbibliothek in Jerusalem. 3 An verschiedenen Stellen klagt Katzenellenbogen über gesundheitliche Beschwerden wie die zunehmende Schwäche seiner Augen und das Zittern seiner Hände, die ihm das Schreiben zu einer großen Anstrengung und teilweise sogar ganz unmöglich machten. Vgl. u. a. YM, § 136, 229 und Ma’asse kol-Jom, 346. Vgl. zum schlechten Zustand und zu den sprachlichen Auffälligkeiten des Manuskripts auch die Anmerkungen von Feld im Vorwort zu seiner Edition von Yesh Manchilin, 12 f.
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Struktur des Manuskripts
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Bruchteil des Textes erfolgreich.4 Erst 1986 gelang es Isaak Dov Feld in Jerusalem erstmals, das Manuskript zu bearbeiten, mit einem Apparat zu versehen und nahezu vollständig herauszugeben.5 Die Stellen, an denen eine Entzifferung der Handschrift nicht möglich war, wurden von ihm durch Auslassungszeichen kenntlich gemacht. Felds Angaben nach umfassen sie ca. 2 % der Handschrift.6 Darüber hinaus wurden von Feld, wie für vorliegende Untersuchung anhand des Manuskripts überprüft werden konnte, keine weiteren Eingriffe in den Text, dessen Aufbau und Struktur unternommen, und die Eigenarten des Textes blieben bewahrt. Felds Edition von Yesh Manchilin ist bislang die einzige geblieben.
3.2 Struktur des Manuskripts Das überlieferte Manuskript besteht aus verschiedenen Teilen. Das von Katzenellenbogen als Yesh Manchilin betitelte eigentliche Werk umfasst neben einer Einleitung insgesamt 246 Paragraphen unterschiedlicher Länge (Manuskript Blatt 38 – 104; YM, 67 – 341). Bis einschließlich § 96 wurden diese Paragraphen von Katzenellenbogen selber inhaltlich durch ein Register erschlossen (Manuskript Blatt 110). Danach brechen die Registereinträge ab, sie werden jedoch von Feld in seiner Edition entsprechend den Angaben Katzenellenbogens für die restlichen Paragraphen fortgesetzt (YM, 483 – 505).7 Diesem Kernstück des Manuskripts sind verschiedene Textstücke und Textfragmente voran- bzw. nachgestellt, auf die Katzenellenbogen innerhalb seines Erzählflusses wiederholt rekurriert. Offenbar werden sie von ihm als dem Hauptwerk zugehörig bzw. als Ergänzung desselben verstanden. Zu nennen ist hier zunächst eine detaillierte Aufstellung der Bücher und Handschriften, die sich im Besitz Katzenellenbogens befanden und von denen er einen Teil seinem Sohn Jakob zu dessen Hochzeit im Jahr 1748 überlassen hat (A=LHE8 NB=ML/Reschimat HaSefarim; Manuskript Blatt 1 – 5; YM, 41 – 51).8 Eigenen Angaben zufolge hat Katzenellenbogen diese Liste 1760 mit Hilfe des gelehrten Schochet R. Simcha in Boskowitz zusammengestellt.9 4 Vgl. Edelmann, Gedulat Sha’ul [hebr.]. 5 Vgl. Katzenellenbogen, Yesh Manchilin. Wenn im Folgenden aus der Edition von Feld zitiert bzw. auf andere Weise auf den Text hingewiesen wird, wird diese abgekürzt mit YM sowie der dazugehörigen Stellenangabe angegeben werden. Zur Edition von Feld vgl. auch Rosenfeld, Entwicklungen, 32. 6 Vgl. die Angaben von Feld im Vorwort zu YM, 12 f. 7 Vgl. hierzu die Angaben von Feld in seinem Vorwort zu YM, 12 sowie im Register, 490. 8 Katzenellenbogen schreibt, er habe seinem Sohn Jakob die Bücher im Jahr 1747 übergeben. Feld weist jedoch darauf hin, dass hier das Jahr 1748 gemeint sein müsse, da die Bücher ein Geschenk zu Jakobs Hochzeit waren, die im Jahr 1748 in der Gemeinde Kalisch gehalten wurde. Vgl. YM, Reschimat HaSefarim, 41. Vgl. ausführlich zu Katzenellenbogens Büchersammlung unter 6.5. 9 Vgl. Felds Vorwort zu YM, 12 und YM, HaTsava’a Scheli, 54. Möglicherweise ist der von Kat-
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Charakterisierung des Werkes Yesh Manchilin
Dem eigentlichen Werk vorangestellt ist weiterhin Katzenellenbogens materielles Testament, in dem er am 2. Schevat 1759 die Weitergabe seiner Besitztümer, insbesondere seiner Bibliothek, regelt. Ein am 21. Kislew 1759 angefügter Zusatz verzeichnet die Änderungen in der Erbfolge, die sich aus dem Tod von Katzenellenbogens zweiter Ehefrau Olek ergeben (=@M 8499J8/ HaTsava’a Scheli; Manuskript Blatt 6 – 8; YM, 52 – 55). Sodann folgt im Manuskript ein Brief, den Katzenellenbogens Vater seinem Sohn am 3. Adar 1714 aus der Gemeinde Fürth nach Oettingen geschickt hat, wo Katzenellenbogen zu dieser Zeit mit seiner ersten Frau im Haus seines Schwiegervaters Jakob Oettingen lebte (Manuskript Blatt 8; YM, 56 – 5910). In diesem Brief erörtert Mose Katzenellenbogen ausführlich ein Problem, auf das sein Sohn beim Studium der Schriften von R. Nissim ben Ruben Gerondi (RaN), eines Talmudkommentators aus dem 14. Jahrhundert, gestoßen ist. Er unterrichtet seinen Sohn außerdem über Neuigkeiten aus der Gemeinde und fügt auf dessen Anfrage hin eine ausführliche Genealogie der Familie Katzenellenbogen bei. Ein weiteres Textfragment überwiegend genealogischen Inhalts ist mit dem Titel Die Äste am Baum der Väter überschrieben (N9548 IF =HDF/Anafei Etz HaAwot; Manuskript Blatt 9; YM, 64 – 66). In ihm zeichnet Katzenellenbogen die entfernte verwandtschaftliche Verbindung seiner Familie mit der Familie von R. Jona Teomim, dem Verfasser des Werkes Kikoyon d’Jona nach.11 Den einleitenden Worten dieses Textstückes nach lässt sich vermuten, dass Katzenellenbogen es ursprünglich als Beginn seines Sefer Yesh Manchilin verfasst hat, denn es heißt dort: Heute, am Sonntag den 27. Tammus 1747, habe ich mit diesem Buch begonnen, das ich Yesh Manchilin nenne. Und der Herr […] möge es mir vergönnen, diese Sammlung Yesh Manchilin zu verfassen, in Fülle und zur Freude, Amen. So sagt der höchste Gott, der Höchste der Höchsten. (YM, Anafei Etz HaAwot, 64)
Erstaunlich ist der frühe Zeitpunkt, den Katzenellenbogen für die Niederschrift dieses Fragments nennt, denn in der sich anschließenden Einleitung zu Yesh Manchilin gibt er an, erst im Jahr 1758, d. h. über zehn Jahre später, nachdem er bereits mehrere Jahre als Rabbiner in Boskowitz gewirkt hat, mit der Arbeit an diesem Werk begonnen zu haben. Entweder hat er sich also bereits zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt, als er noch Rabbiner in Marktbreit war, mit dem Gedanken getragen, ein solches Werk zu verfassen und hat dieses Vorhaben dann doch erst sehr viel später verwirklicht, oder zenellenbogen genannte Schochet Simcha identisch mit einem von Gold, Boskowitz, 128, für das Jahr 1764 in Boskowitz erwähnten Schochet oder Schamasch namens Simcha. 10 Feld fügt in seiner Edition (YM, 60 – 63) noch einen weiteren Brief von Mose Katzenellenbogen an seinen Sohn Pinchas ein, der im Manuskript jedoch nicht enthalten ist. Auch dieser Brief befindet sich in der Bodleian Library in Oxford (MS Mich. 479). 11 Zur Familie Teomim sowie zu ihrer verwandtschaftlichen Verbindung mit der Familie Katzenellenbogen vgl. Lçwenstein, Familie, 341 ff.
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Struktur des Manuskripts
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aber ihm ist, wie Feld vermutet, bei der Datierung ein Irrtum unterlaufen.12 Dieses Textstück bricht jedenfalls abrupt inmitten des Erzählflusses ab. Eine Fortsetzung scheint nicht vorhanden. Auf den folgenden beiden Blättern des Manuskripts findet sich die eigentliche Einleitung Katzenellenbogens zu seinem Werk, in der er seine Motivation zur Niederschrift desselben darlegt (L5;B8 NB7K8/Hakdamat HaMechaber ; Manuskript Blatt 10 – 11; YM, 67 – 69). Nach dieser Einleitung ist in das Manuskript ein längeres Textstück eingefügt, das nicht aus der Feder Katzenellenbogens stammt. Auf dem Titelblatt ist es als Buch über die Rettung Israels (@4LM= N9F9M= LHE/Sefer Jeschu’oth Israel; Manuskript Blatt 11 – 37; YM, nicht ediert) überschrieben. Als Verfasser zeichnet Katzenellenbogens Schwiegersohn Benjamin Israel Fränkel, Sohn des Nikolsburger Gemeindevorstehers Israel Fränkel, der als Datum für die Niederschrift den 12. Kislew 1757 angibt.13 Weiter unten auf dem Titelblatt hat sich Mose Arie Fränkel, der Sohn von Benjamin Fränkel, als weiterer Verfasser eingetragen, der die Aufzeichnungen seines Vaters am 26. Cheschwan 1781 in Oettingen fortgeführt hat. Offenbar handelt es sich bei diesem Schriftstück um eine Megilla,14 die die Erinnerung an die Errettung der jüdischen Gemeinden in Mähren, Böhmen und Schlesien vor der drohenden Ausweisung durch Maria Theresia wachhalten sollte. Anders als bei den bereits beschriebenen Bestandteilen des Manuskripts rekurriert Katzenellenbogen nirgends auf dieses Sefer Jeschu’oth Israel, das zumindest teilweise erst mehrere Jahre nach seinem Tod fortgeschrieben wurde. Es erscheint daher nicht ausgeschlossen, dass dieses Textstück erst später, möglicherweise von Nachkommen Katzenellenbogens, dem Manuskript von Yesh Manchilin beigefügt wurde und in keinem direkten Zusammenhang zu diesem steht. Feld lässt es bei seiner Edition von Yesh Manchilin jedenfalls unberücksichtigt bzw. beschränkt sich darauf, in seinem Apparat kurz darauf zu verweisen.15 An diesen Zusatz zum Manuskript schließen sich die 246 Paragraphen von 12 Vgl. YM, Anafei Etz HaAwot, 64, FN 1. 13 Benjamin Israel Fränkel war der Ehemann von Katzenellenbogens jüngster Tochter Lea. Die Hochzeit fand statt am 3. Elul 1758. Vgl. YM, § 136, 231. 14 In Anlehnung an die Esther-Rolle (Megillat Esther), die an die Errettung der babylonischen Juden vor den Racheplänen Hamans erinnert, waren im frühneuzeitlichen Aschkenas FamilienMegillot verbreitet, die über ein widerfahrenes Unglück eines oder mehrerer Familienmitglieder und deren Errettung aus demselben berichteten. So wie die Esther-Rolle jedes Jahr zu Purim verlesen wird, wurden auch die Familien-Megillot alljährlich zu einem festen Termin vorgetragen. Vgl. Chajes, Accounting, 7 und Moseley, Origins, 147 ff. Ein bekanntes Beispiel für eine solche Megilla ist die Megillat Eivah von Yomtov Lipmann Heller aus dem 17. Jahrhundert. Vgl. Kisch, Megillat Eba, 421ff und Davis, Yom-Tov Lipmann Heller, 192 ff. Ein anderes Beispiel ist die von Jost, Familien-Megillah, 41ff, herausgegebene Megilla, die Isaak Behrens aus Hannover, ein Schwager David Oppenheims, im Jahr 1738 verfasst hat. Im Fall des Sefer Jeschu’ot Israel steht keine Einzelperson im Mittelpunkt, sondern es geht um die Errettung aller Juden Mährens, Böhmens und Schlesiens vor den Vertreibungsplänen Maria Theresias. 15 Vgl. im Apparat (A=D54 =K9@;) von Feld zu YM, § 136, 461.
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Charakterisierung des Werkes Yesh Manchilin
Katzenellenbogens Yesh Manchilin an (Manuskript Blatt 38 – 104; YM, 71 – 341). Auch hier wird der weitgehend chronologisch fortlaufende Erzähltext häufig dadurch unterbrochen, dass Katzenellenbogen eine Vielzahl von Briefen, die er empfängt oder selber schreibt, zuweilen auch ganze Korrespondenzen, sowie Kopien aus anderen Werken, Abschriften fremder Testamente, Grabinschriften und Ähnliches einfügt, um, wie er schreibt, „den Wert dieses Erinnerungsbuches zu erhöhen.“16 Im Manuskript (Blatt 105 – 107) folgen auf die 246 Paragraphen verschiedene Zahlenlisten und Berechnungen, die Feld in seiner Edition unberücksichtigt gelassen hat. Dem eigentlichen Werk nachgestellt findet sich schließlich ein weiteres Textstück mit dem Titel Tägliche Dinge (A9= @? 8MFB/Ma’asse kol-Jom; Manuskript 108 – 109; YM, 341 – 346). Es ist untergliedert in sechs Abschnitte, die Katzenellenbogen am 27. und am 28. Cheschwan 1760 niedergeschrieben hat, nachdem im Jahr zuvor seine zweite Ehefrau Olek gestorben war und er davor bereits seine Tochter Rebekka Esther im Kindbett verloren hatte. Auch gesundheitlich scheint Katzenellenbogen zu diesem Zeitpunkt sehr angeschlagen gewesen zu sein, weshalb er befürchtete, die Arbeit an Yesh Manchilin nicht fortsetzen zu können. Den eigenen näherrückenden Tod vor Augen verzeichnet Katzenellenbogen auf diesen wenigen Seiten penibel seine täglichen Verrichtungen und folgt damit den Anweisungen der Weisen, des eigenen Todes zu gedenken:17 Ich denke an den Tag meines Todes, so wie es unsere Weisen gesagt haben [bSchab 153a]: Man bedenke jeden Tag, dass man vielleicht sterben könnte.18 Und um des
16 YM, § 38, 118. 17 Da Katzenellenbogen dieses Textstück nicht lange vor der Vollendung seines 70. Lebensjahres niederschreibt, spielt hier möglicherweise auch die in der Frühen Neuzeit verbreitete Vorstellung von den sieben Lebensstufen eine Rolle, derzufolge das menschliche Leben in sieben verschiedene Stufen gegliedert ist, wobei die siebte Lebensstufe die des Todes ist. von Greyerz, Passagen, 9ff, weist darauf hin, dass diese Vorstellung ihren Niederschlag auch in den Selbstzeugnissen dieser Zeit Niederschlag gefunden hat. Er nennt u. a. das Beispiel des Ulmer Stadtbaumeisters Joseph Furttenbach (1591 – 1667), der die Arbeit an seiner Lebensschreibung in seinem 63. Lebensjahr niederlegte und diesen Schritt mit der Überzeugung begründete, dass sein Tod auf Grund seines Alters kurz bevorstehen müsste. Auch Ulrich Bräker (1735 – 1798) zitiert auf dem Titelblatt seines Tagebuchs aus dem 90. Psalm, in dem es heißt: „Unser Leben währet siebzig Jahre.“ (Ps 90,10). Im Judentum scheint eine solche Vorstellung ebenfalls nicht unbekannt gewesen zu sein, denn die jüdische Kauffrau Glückel Hameln notiert in ihren Erinnerungen mit Bezug auf den genannten Psalm: „Es besteht all unser Übel- und Wohlleben in dieser Welt nur für eine kleine Zeit. Des Menschen Leben ist gesetzt auf siebzig Jahre, wie bald sind die hin. Wieviel hunderttausend Menschen sind, die lange auch das nicht erreichen; aber das Jenseits ist immer und ewig.“ Hameln, Memoiren, 2. 18 Vgl. hierzu bSchab 153a, wo es in einer Barraita heißt: Rabbi Elieser sagt: Kehre einen Tag vor deinem Tod um. Seine Schüler fragten Rabbi Elieser : Und wie weiß man, an welchem Tag man sterben wird? Da antwortete er ihnen: Deshalb kehre heute um, vielleicht stirbst du bis morgen, und betreibe jeden Tag Umkehr (=5L N4 9=7=B@N 9@4M .ýNN=B =DH@ 7;4 A9= 59M :LB94 L:F=@4 =5L
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Übersicht über den Inhalt von Yesh Manchilin
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eigenen Endes zu gedenken, möge man an jedem Tag aufschreiben, was sich an diesem ereignet habe. (YM, Ma’asse kol-Jom, 341)
3.3 Tabellarische Übersicht über den Inhalt von Yesh Manchilin Inhaltlich lassen sich für Yesh Manchilin drei thematische Schwerpunkte feststellen. Katzenellenbogen schreibt zunächst über in seiner Familie tradierte Bräuche. Anschließend geht er ausführlich auf seine familiäre Herkunft ein. In diesem Zusammenhang schildert er nicht nur Details aus dem Leben seiner Vorfahren, sondern auch aus seiner eigenen Biographie. Sein drittes wichtiges Thema betrifft schließlich den Wert der traditionellen Gelehrsamkeit. Diese inhaltliche Gliederung des Werkes spiegelt sich zu großen Teilen in dessen Aufbau wider, wobei es jedoch im Laufe von Katzenellenbogens Erzählfluss immer wieder auch zu Überschneidungen und Vermengungen der Themenbereiche kommt. Im Folgenden sind einzelne Bestandteile des Manuskripts mitsamt ihren inhaltlichen Gewichtungen und, soweit dieser zu bestimmen ist, auch dem Zeitpunkt ihrer Niederschrift tabellarisch zusammengefasst: Manuskript
Datum
Thema
Reschimat HaSefarim
1760
Bücherverzeichnis
HaTsava’a Scheli
2. Schevat 1759 bzw. 21. Kislew 1759 Brief des Va- 3. Adar 1714 ters Anafei Etz HaAwot
27. Tammus 1747 ?
Yesh 1758 – 1764 Manchilin Hakdamat 1758 HaMechaber
Inhalt
Auflistung der Bücher und Handschriften, die er 1748 seinem Sohn Jakob überlassen hat sowie derjenigen, die in eigenem Besitz geblieben sind Materielles Testament Regelung von materieller Hinterlassenschaft, insbesondere der Bibliothek
talmudische Erörterung; Nachrichten aus Fürth; Genealogie der Familie Katzenellenbogen Versuch einer Einlei- Nachweis der verwandtschaftlichen Bezietung hung zwischen den Familien Katzenellenbogen und Teomim
Einleitung des Verfassers
Motivation und Intention für die Niederschrift von Yesh Manchilin
9=B= @? 4JBD9 ,L;B@ N9B= 4BM A9=8 59M= ,C?M @?9 :C8@ LB4 – ?N9B= A9= 98:=4 F79= A74 =?9 :L:F=@4 859MN5.).
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Charakterisierung des Werkes Yesh Manchilin
(Fortsetzung) Manuskript
Datum
Sefer Je12. Kislew schu’ot Israel 1757 bzw. 26. Cheschwan 1781
Thema
Inhalt
Megilla über die Errettung der Juden
Verfasst von Benjamin Israel Fränkel und seinem Sohn Mose Arie Fränkel über die Errettung der Juden in Mähren vor der drohenden Vertreibung durch Maria Theresia 1744/45. [Wurde von Feld nicht in seine Edition von YM aufgenommen.]
Yesh Manchilin § 1 – 48 (Traditionen und Bräuche) § 1–4 Grundlegendes
§ 5 – 13
§ 14 – 18
§ 19 – 32
§ 33 – 47
Von der väterlichen Autorität bei der Ausübung verschiedener Bräuche: „Auf den Spuren des Vaters wandle ich…“ Umgang mit TräuNamensvers (§ 5 – 6 & 11); Träume als men Lenkung aus dem Himmel (§ 7 – 10); vom Umgang seines Vaters mit Träumen (§ 12 – 13) Umgang mit Heiligen Warnung vor der praktischen Kabbala; Namen und luriani- Testament von Saul Katzenellenbogen; Bräuche von Sa’adja Jesaja Katzenellenboscher Kabbala gen; Befürwortung einer Beschäftigung mit lurianischer Kabbala (§ 17 f) Erprobte Heilmitteln Wundermittel aus dem Notizbuch von Mose Katzenellenbogen (§ 19 – 22); praktische vom Vater und aus Kabbala (§ 23); Wundermittel des Ba’al anderen Quellen Schem Benjamin Beinish zur Erleichterung für die Frauen bei der Niederkunft (§ 24; vgl. § 31) 8. Tischri 1758 Einschub: Rückblick auf Katzenellenbogens (§ 25) 67. Geburtstag am 26. Elul 1758 (§ 25) Wundermittel gegen Fieber und Zahnschmerzen überliefert durch die Handschrift des Arie Jehuda Löw (§ 26 f); Testament des Menachem Mendel (Verfasser von Zemach Zedek/28 §) (K7J ;BJ f) 13. Cheschwan Einschub: Vorausdeutung des Todes von 1758 (§ 30) Tochter Rebekka Esther (§ 30); Wundermittel des Ba’al Schem Benjamin Beinish zur Erleichterung für die Frauen bei der Niederkunft (§ 31); glückliche Niederkunft von Ehefrau Olek; Tod von Tochter Rebekka Esther im Kindbett (§ 32) GebetsgewohnKatzenellenbogens eigene Autorität bzw. heiten und Fasten nicht vom Vater tradierte Bräuche und ihre Herleitung; lurianische Kabbala (§ 33 – 37)
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Übersicht über den Inhalt von Yesh Manchilin
69
(Fortsetzung) Manuskript
Datum 17. Cheschwan 1759 (§ 38)
§ 48
Thema
Inhalt Fastengewohnheiten von Großvater, Vater und von ihm selbst (§ 38 – 43); „Wundergeschichte“ über den Kiddusch HaSchem von Großonkel Pinchas (§ 44); eigene Fastenbräuche und Essgewohnheiten; Beschreibung körperlicher Gebrechen und angewandte Heilmittel; Fastenbräuche aus dem Testament von Jona Landsofer (§ 45 – 47) Absichtsbekundung, die von den Vätern und anderen Autoritäten übernommenen Bräuche an die Nachkommen zu tradieren
Yesh Manchilin § 49 – 179 (Familienerinnerungen) § 49 – 57 Geschichten der Vor- Geschichten über Katzenellenbogens Vorfahr Saul Wahl (§ 50 – 54); Geschichte über väter den Schiduch des Vaters von Zwi Hirsch Aschkenasi (§ 55 f); Erklärung, warum er seine Nachkommen an die Geschichten der Vorväter erinnert (§ 57) § 58 – 179 7. Adar 1759 Chronologie über das Geburt und Kindheit in verschiedenen Geeigene Leben von der meinden Polens bis 1700 (§ 58 – 63) (§ 59) Geburt bis zur ersten Hochzeit (1691 – 1713) 13. Adar 1759 Einschub: Bericht über rätselhafte Todes(§ 64 – 67) fälle, die sich im Adar 1759 in Boskowitz ereignet haben und ihre Lösung mittels eines Traums (§ 64 – 67) Studium bei verschiedenen Lehrern und bei seinem Vater in Fürth 1700 – 1705 (§ 68 – 80); Plan von Mose Katzenellenbogen über einen Schiduch seines Sohnes und über dessen weitere Ausbildung (§ 81 – 85); Studium in Prag bei David Oppenheim, Abraham Broda und Samuel Krakauer 1708 – 1709 (§ 86 – 104) Einschub: Ehrerweisungen an Gabriel Eskeles (§ 105ff) Studium in Prag 1709 (§ 108 f); Verhandlungen über mögliche Schiduchim in Prag 1709 (§ 110 – 114); „Brauch der Väter“ Prag 1710 (§ 115); Verhandlungen über Schiduchim und Geschichten der Vorväter Prag 1709 (§ 116 – 119) 2. Aw 1759 Einschub: Auslegung des Targums von (§ 120 f) Jonathan ben Usiel zur Parascha Lech Lecha durch Katzenellenbogens Freund R. Hilman 50 Jahre und 6 Monate vor diesem Eintrag, d. h. im Jahr 1709 (§ 120 f)
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Charakterisierung des Werkes Yesh Manchilin
(Fortsetzung) Manuskript
Datum 4. Aw 1759 (§ 124)
3. Elul 1759 (§ 136 f)
frühestens 14. Tischri 1759 (§ 158 – 161)
Thema
Inhalt Verhandlungen über Schiduchim, Studium in Prag und Geschichten der Vorväter 1710 (§ 122 – 125); verschiedene Berechnungen; Kommentar zum Targum Jonathan ben Usiels (§ 126ff); Rückkehr nach Fürth 1710; Lernen für die Seele des verstorbenen David Lichtenstadt (§ 129 f); Brauch zur Schreibweise des Namens Pinchas (§ 131); Geschichten um Pinchas Horowitz (§ 132 – 135) Brief an Sohn Jakob u. a. über die Arbeit an Yesh Manchilin, seinen Wunsch nach Fürth zurückzukehren, den Tod seiner Tochter Rebekka Esther und seines Enkels Jakob, Gedanken an den eigenen Tod, Auflistung eigener Werke Als Talmudschüler in Fürth, dem zahlreiche Schiduchim angeboten werden 1710 (§ 138 f); Aufenthalt in Prag auf der Reise nach Nikolsburg 1711; erneut Studium bei Samuel Krakauer ; Begegnung mit Jonathan Eibeschütz (§ 140 – 145); Weggang aus Prag (§ 146 f); Ankunft in Nikolsburg bei Gabriel Eskeles (§ 148); Schiduchim mit seiner ersten und seiner zweiten Ehefrau (§ 149 – 155); Studium bei Gabriel Eskeles in Nikolsburg (§ 156 f) Einschub: Tod und Beerdigung seiner zweiten Ehefrau Olek (§ 158 – 161) Geschichte einer Proselytin in Nikolsburg 1712 (§ 162); Studium bei Gabriel Eskeles in Nikolsburg 1711/12 (§ 163 – 179)
Yesh Manchilin § 180 – 226 (Der Wert der Gelehrsamkeit) § 180 – 201 Lernplan für das Stu- Lernplan für das Studium der Mischna dium der Mischna (§ 180 f); Korrespondenz mit Vater über 1713 – 1751/52 Lasten des Rabbinats (§ 182ff); Lernplan für das Studium der Mischna nach dem Tod der Mutter Sara Lea 1740 – 1747 (§ 185); Methoden für das Memorieren der Mischna (§ 186 – 201) § 202 – 226 Lernen nach dem Studium des Sefer Edut Ja’akov und des Studium der Mischna Sefer Jezira (§ 202 f); Resümee des bereits Gelernten, „damit niemand meint, ich hätte nichts erreicht, der Herr behüte“ (§ 204 f) 27. Tevet 1760 Beschäftigung u. a. mit dem Sefer Jezira, dem Orach Chajim und mit Isaak Luria (§ 210 f) (§ 206 – 220); tägliche Gepflogenheiten des Studiums und des Gebets (§ 221 f); verschiedene Bräuche, die Tefillin zu legen (§ 223 – 226)
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Übersicht über den Inhalt von Yesh Manchilin
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(Fortsetzung) Manuskript
Datum
§ 227 – 245 Schevat 1760 ? (§ 230)19 frühestens 18. Tammus 1760 (§ 232)20 10. Tevet 1760
frühestens 13. Tischri 1760 (§ 237)22
frühestens 19. Siwan 1764 (§ 242ff)
frühestens 6. Kislew 1761 (§ 245) § 246
Thema
Inhalt
Verschiedene Abschriften
Brief des Nachmanides an seinen Sohn über die Tugend der Demut (§ 227ff) Zwei Briefe an Bruder Naphtali Hirsch über den Tod seiner Tochter und seiner Ehefrau, den Wunsch nach Fürth zu kommen (§ 230ff); Klagelied für Onkel Sa’adja Jesaja und Bericht über Besuch an dessen Grab in Holleschau am 28. Ijjar 1760 (§ 233 f) Korrespondenz mit seinem Schwager R. Löw Sulzberger21 aus dem Jahr 1759 (§ 235 f) Schreiben an Salomon Bär, Vorsteher der Gemeinde Fürth, mit Bitte um dortige Aufnahme (§ 237); Nachtrag zur Korrespondenz mit R. Löw Sulzberger (§ 238); Rückbesinnung auf Gedanken, die er vierzig Jahre zuvor geäußert hat (§ 239 f); Zweifel an Messianität von Sabbatai Zwi (§ 241) Schreiben der Gemeindeführer in Oettingen an Sohn Jakob, dem sie das dortige Rabbinat anbieten (§ 242); Schreiben der Gemeindeführer in Oettingen an Katzenellenbogen (§ 243 f) Lektüre im Gebetbuch Or HaJaschar von Meir Papiers (§ 245) Schluss mit Verweis auf den Sohar, Parascha Pinchas
19 Unter Abschnitt 6 in YM, Ma’asse kol-Jom, 346 schreibt Katzenellenbogen am 28. Cheschwan (d. h. am 7. November) 1760 (5521): „Ich unterbrach meine Arbeit an dem Erinnerungsbuch Yesh Manchilin jedoch nicht und schrieb weiter bis zu § 230 Ende Schevat [d.h. etwa Mitte Februar] des vergangenen Jahres (d. h. 5520].“ Da das jüdische Neujahr (Rosch HaSchana) am 1. Tischri gefeiert wird, der im jüdischen Kalenderjahr 5521 auf den 11. September fiel, fiel der Schevat des vergangenen Jahres (5520) auf die Zeit vom 19. Januar bis 17. Februar 1760. 20 Datum, an dem Katzenellenbogen den zweiten Brief an seinen Bruder schickt. Wie bereits erwähnt, schreibt Katzenellenbogen im Cheschwan 1760 unter Ma’asse kol-Jom, 346, dass er die Arbeit an Yesh Manchilin seit Ende Schevat 1760, nachdem er noch § 230 niedergeschrieben hat, unterbrechen musste. Daher ist anzunehmen, dass er den zweiten Brief an seinen Bruder, der vom 18. Tammus (d. h. vom 2. Juli) 1760 datiert, erst nach Cheschwan 1760 eingefügt hat, als er die Arbeit an Yesh Manchilin wieder aufnehmen konnte. 21 Katzenellenbogen nennt Löw Sulzberger als Ehemann seiner Schwester Rachel Sara. Dies erscheint insofern etwas unklar, da Rachel Sara zunächst mit Chajim, dem Sohn von Sa’adja Jesaja Katzenellenbogen verheiratet war. Vgl. YM, § 14, 86. Unter YM, § 170, 265, hingegen schreibt Katzenellenbogen, dass seine Schwester die Ehefrau von Joseph Rosel Schwabach und ihr gemeinsamer Sohn Abraham Schwabach war. Möglicherweise war Löw Sulzberger bereits der dritte Ehemann von Katzenellenbogens Schwester. 22 Vermutlich hat Katzenellenbogen diesen Brief aber erst nach Cheschwan 1760 in Yesh Manchilin eingefügt.
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Charakterisierung des Werkes Yesh Manchilin
(Fortsetzung) Manuskript
Datum
Thema
Ma’asse kol-Jom §1 27. Cheschwan 1760 §2
§3 § 4f
§6
28. Cheschwan 1760
Inhalt
Tagesablauf von drei Uhr morgens bis zehn Uhr abends mit dem Schwerpunkt Gebet, Lernen und berufliche Pflichten Schilderung des rituellen Händewaschens zum Schacharit und verschiedene Chillukim hierzu Verschiedene Gebete morgens u. a. beim Waschen des Gesichts Lernpensum, das er an diesem Vorabend des Sabbat, dem 28. Cheschwan 1760 absolviert morgendliches Studium der Mischnajot; – Körperbetrachtung (Kautabak als erprobte Medizin); Ankündigung das Ma’asse kolJom sowie Yesh Manchilin aufgrund schwindender Kräfte nicht weiter fortführen zu können
3.4 Die Schreibsituation des Autors Bereits 1755, als Katzenellenbogen 64 Jahre alt ist, äußert er den Wunsch, ein Testament für seine Kinder zu verfassen und ihnen darin „Worte der Moral“ zu hinterlassen, „damit auch sie auf guten Wegen wandeln“.23 Tatsächlich beginnt er jedoch erst im Jahr 1758 mit der Arbeit an Yesh Manchilin, wie er in der Einleitung zu diesem Werk schreibt. Eine konkretere Bestimmung des Datums nimmt er nicht vor, sondern verweist lediglich darauf, dass der hebräische Zahlenwert des Titels der Jahreszahl 1758 entspricht.24 Katzenellenbogen nennt das jüdische Jahr 5518 als Zeitpunkt, zu dem er mit der Arbeit an Yesh Manchilin beginnt. Auf die christliche Zeitrechnung übertragen umfasst dieses Jahr den Zeitraum vom 15. September 1757 bis zum 2. Oktober 1758. Da Katzenellenbogen diese Datumsangabe nicht konkretisiert, ist es natürlich möglich, dass er die Arbeit an Yesh Manchilin bereits im letzten Viertel des Jahres 1757 begonnen hat. Die auf die Einleitung folgenden Paragraphen sind jedoch sehr zeitnah aufeinander folgend im Oktober und November 1758 entstanden. Daher ist anzunehmen, dass Katzenellenbogen nach der Nieder23 Vgl. YM, § 40, 120. 24 Vgl. YM, Einleitung, 67 und 69. Allerdings ist Katzenellenbogen bei der Berechnung des hebräischen Zahlenwertes des Titels Yesh Manchilin (C=@=;DB M=) offenbar ein Fehler unterlaufen. Tatsächlich ergibt die Summe der einzelnen Zahlenwerte nur 508 und nicht 518, wie es für die Jahreszahl nach der kleinen Zählung (ohne Tausender) eigentlich sein müsste.
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Die Schreibsituation des Autors
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schrift der Einleitung nicht ein ganzes Jahr verstreichen ließ, bis er mit der eigentlichen Arbeit an diesem Werk begonnen hat. Als naheliegender erscheint, dass die Einleitung ebenfalls 1758 und in zeitlicher Nähe zu den daran anschließenden Abschnitten entstanden ist. Katzenellenbogen lebt 1758, als er mit dem Werk beginnt, in der mährischen Gemeinde Boskowitz, in der er von 1750 bis 1764 das Amt des Rabbiners bekleidete. In seiner Einleitung blickt er zurück auf die bisherigen Stationen seines beruflichen Werdegangs und sieht sich in Boskowitz an dem Ort angelangt, an dem er in seinem Alter wirken möchte.25 Sein ganzes Leben hat Katzenellenbogen der Tora gewidmet und noch immer steht er inmitten der Erfüllung seiner religiösen und rabbinischen Pflichten. „Ich stehe auf meinem Wachtposten“, schreibt Katzenellenbogen, „und verrichte meine Arbeit. Heilige Arbeit und die Tora des Herrn, alle Tage und in aller Aufrichtigkeit.“26 Zugleich bemerkt er jedoch, dass seine Kräfte allmählich schwinden und sein gesundheitlicher Zustand schlechter wird. Im Alter von etwa 67 Jahren gewinnen die Gedanken an den eigenen Tod zunehmend Präsenz und lassen in ihm den Entschluss reifen, sein schon früher geäußertes Vorhaben endlich in die Tat umzusetzen und seinen Kindern mit Yesh Manchilin ein Testament als eine Art geistiges Erbe zu hinterlassen. „Ich kenne den Tag meines Todes nicht“, schreibt Katzenellenbogen und sieht die Zeit für gekommen, „ein Testament zu machen und meines Endes zu gedenken.“27 Katzenellenbogen schreibt sein Werk nicht auf einmal nieder, sondern arbeitet daran abschnittsweise über mehrere Jahre hinweg. Seine beruflichen Pflichten als Rabbiner lassen ihm nicht viel Zeit für die Niederschrift dieses persönlichen Werkes. Mehrfach entschuldigt er sich dafür, dass die Angelegenheiten der Gemeinde ihn neben dem Studium der Heiligen Schriften immer wieder von seiner Beschäftigung mit Yesh Manchilin ablenken und einem schnelleren Voranschreiten dieses Werkes entgegenstehen. Zu den Hohen Feiertagen des Jahres 1758 etwa muss er seinen Erzählfluss abrupt unterbrechen, „weil die Leute für den Minjan zu mir in mein Haus kommen, um die Bußgebete und das Schacharit zu beten.“28 Auch seine gesundheitlichen Beschwerden hindern ihn an einer konstanteren Arbeit an Yesh Manchilin: In meinem Alter lassen meine Kräfte nach. Das Licht meiner Augen ist nicht mehr bei mir und es fällt mir schwer, zu schreiben. Vor allem bin ich mit Hilfe des Herrn beschäftigt mit meinen Studien und auch mit der Notwendigkeit meine Arbeit zu verrichten. Sowohl die Arbeit für die jenseitige Welt als auch für die diesseitige Welt, denn ich muss die Angelegenheiten der Gemeinde regeln und derlei Beschäftigungen
25 26 27 28
Vgl. YM, Einleitung, 67 f. YM, Einleitung, 68. YM, Einleitung, 69. YM, § 25, 100.
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Charakterisierung des Werkes Yesh Manchilin
nachgehen. Und die Zeit ist nicht damit einverstanden, dass ich an jenen Tagen, da ich von allen Seiten angegangen werde, in dieses Buch schreibe. (YM, § 49, 143)
Zuweilen unterbricht Katzenellenbogen seinen Erzählfluss, um Gedanken und Begebenheiten, darunter oft familiäre Ereignisse oder Vorkommnisse in der Gemeinde, einzufügen, die sich unmittelbar zugetragen haben oder die ihn gegenwärtig beschäftigen. Meist sind solche Einschübe und Unterbrechungen des Erzählflusses mit einem Datum versehen, so dass sich das Fortschreiten des Werkes weitgehend nachvollziehen lässt. Ein erster datierter Einschub erfolgt am 8. Tischri 1758, als Katzenellenbogen unter § 25 seine Beschreibung der familiären Bräuche unterbricht, um an seinen 67. Geburtstag zurückzudenken. Bis zu § 230, unter dem er Ende Schevat 1760 einen Brief an seinen Bruder Naphtali einfügt, scheint Katzenellenbogen in regelmäßigen Abständen die Arbeit an Yesh Manchilin fortgeführt zu haben. Anschließend kommt es zu einer längeren Unterbrechung des Schreibprozesses, wobei offenbar zunächst nicht abzusehen war, ob Katzenellenbogen sein Werk überhaupt würde zu Ende führen können. In Ma’asse kol-Jom schreibt er : Heute, am 27. Cheschwan 1760, richtete ich meine Aufmerksamkeit sogleich beim Aufstehen darauf, dass es mir nicht gelungen war, zu beenden, was ich begonnen hatte, nämlich dieses Testament Yesh Manchilin. Die Unglücksfälle, die seit Adar vergangenen Jahres über mich gekommen sind, haben mich daran gehindert. (YM, Ma’asse kol-Jom, § 1, 341)
Offenbar sind es die gesundheitlichen Einschränkungen und die zunehmende körperliche Schwäche, die ihn an der Fortführung seines Werkes hindern. Einen Tag später, am 28. Cheschwan 1760, heißt es in Ma’asse kol-Jom: Am 12. Tischri 1758 starb mir meine Tochter Rebekka Esther, der Friede sei mit ihr. Sie besaß alle guten Eigenschaften und war sehr aufrichtig. Wegen unserer vielen Sünden ging sie von uns, und ihr Sohn Jakob, der Friede sei mit ihm, starb kurz nach ihr, wie oben erwähnt. Und zu Beginn des Jahres 1759, am 13. Tischri, wurde mir meine Pracht genommen, die Krone meines Hauptes und meine Geliebte, meine reine, weise und bescheidene Frau Olek Sara, der Friede sei mit ihr, wie oben erwähnt. Ich unterbrach jedoch meine Arbeit an dem Erinnerungsbuch Yesh Manchilin nicht, sondern schrieb weiter bis zum § 230 Ende Schevat des vergangenen Jahres, als die Strenge des Gesetzes mich wegen unserer vielen Sünden schließlich besiegte. (YM, Ma’asse kol-Jom, § 6, 345 f)
Aus gesundheitlichen Gründen beendet Katzenellenbogen nach diesem Eintrag abrupt auch die Niederschrift von Ma’asse kol-Jom, obwohl er sie eigentlich „an diesem und am nächsten sowie am darauf folgenden Tag“ fortzuführen beabsichtigt hatte.29 Trotzdem gelingt es Katzenellenbogen, seinem Werk nach und nach noch 29 YM, Ma’asse kol-Jom, § 6, 345.
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Die Schreibsituation des Autors
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sechzehn weitere Paragraphen hinzuzufügen. Dabei fällt auf, dass der zeitliche Abstand zwischen den einzelnen Einträgen deutlich größer wird. Hatte er die ersten 230 Paragraphen wahrscheinlich von etwa Mitte 1758 bis Anfang 1760, also über einen Zeitraum von ca. anderthalb, höchstens zweieinhalb Jahren hinweg verfasst,30 so benötigt er für die letzten sechzehn Paragraphen nahezu vier Jahre.31 Auffällig ist weiterhin, dass er sich bei diesen Abschnitten überwiegend auf die Abschrift verschiedener, teils aktueller, teils älterer Korrespondenzen beschränkt, ohne darüber hinausgehend noch viel eigenen Text zu formulieren. Hierzu fehlt es ihm offenbar an der notwendigen Kraft, wie die Worte bestätigen, mit denen er § 235 einleitet: Heute, am 10. Tevet des Jahres 1761, habe ich keine Kraft, mich weiter zu kasteien. Daher kopiere ich, was mir mein Schwager geschrieben hat […] am Vorabend des Sabbat Nasso im Jahr 1759. (YM, § 235, 324)
Katzenellenbogens letzter Eintrag (YM, § 246, 341) ist nicht datiert. Unter den Paragraphen 242 bis 244 hat er allerdings zwei Schreiben eingefügt, in denen die Vorsteher der Gemeinde Oettingen seinem Sohn Jakob das dortige Landesrabbinat antragen und die als Datum den 19. Siwan 1764 tragen. Katzenellenbogens letzter Eintrag ist vermutlich nicht viel später, sicherlich jedenfalls noch im selben Jahr entstanden. Hierfür spricht neben seinem sich verschlechternden Gesundheitszustand auch der Umstand, dass sein Umzug nach Schwabach, der wohl noch 1764 erfolgt ist, und dessen Vorbereitung er ausführlich dokumentiert hat,32 keine Erwähnung mehr findet. Erzählzeit und erzählte Zeit liegen bei diesen letzten Abschnitten offenbar dicht beieinander. Einiges spricht schließlich dafür, dass Katzenellenbogen seinem Werk mit § 246 einen bewussten Abschluss gesetzt hat und nicht beabsichtigte, Yesh Manchilin danach noch fortzusetzen. Er schreibt in diesem kurzen Paragraphen, dass er „als letztes“ darauf hinweisen möchte, was im Sohar unter der Parascha Pinchas geschrieben steht.33 Die Parascha beginnt mit einem Zitat aus Prov 1,8: ý=54 LE9B =D5 FBM (Höre mein Sohn auf die Weisung deines Vaters). Dieser grundlegende Gedanke, der die gesamte Zielrichtung von Katzenellenbogens Werk bestimmt, findet sich schon in der Einleitung formuliert und bildet dadurch, dass auf ihn hier nun auch abschließend ver30 Zweieinhalb Jahre, wenn er mit der Niederschrift bereits im September 1757 begonnen hätte, was aber eher als unwahrscheinlich erscheint. 31 Der erste eindeutig datierbare Eintrag nach der Unterbrechung ist § 235, den Katzenellenbogen am 10. Tevet 1760 eingefügt hat. Unter § 232 findet sich ein Brief, den er am 18. Tammus 1760 an seinen Bruder Naphtali geschrieben hat. Da Katzenellenbogen in Ma’asse kol-Jom, § 6, 346 aber, wie bereits gesehen, am 28. Cheschwan rückblickend schreibt, dass er die Arbeit an Yesh Manchilin seit Ende Schevat 1760 unterbrochen hat, muss davon ausgegangen werden, dass er diesen Brief erst nachträglich zu einem späteren Zeitpunkt (d. h. nach dem 28. Cheschwan 1760) in Yesh Manchilin eingefügt hat. 32 Vgl. u. a. YM, § 230 – 232 und § 237. 33 YM, § 246, 341.
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Charakterisierung des Werkes Yesh Manchilin
wiesen wird, gewissermaßen einen Rahmen, der das ganze Werk umschließt. Hierzu passt schließlich ein anderer Vers, der in derselben Parascha ebenfalls aus dem Sprüchebuch (Prov 8,21) zitiert wird und abschließend noch einmal auf den Titel verweist, den Katzenellenbogen seinem Werk gegeben hat : M= =584 @=;D8@ (Dass ich Besitz vererbe allen, die mich lieben). Mit diesem Wort, das jedenfalls für die kundigen Leser mit anklingt, wenn Katzenellenbogen die Parascha Pinchas zitiert, schließt sich der Bogen zur grundlegenden Intention des Werkes mit dem Titel C=@=;DB M= (Yesh Manchilin).
3.5 Yesh Manchilin als ethisches Testament 3.5.1 Ethische Testamente als superego-documents In der Forschung werden Testamente, „die in erster Linie als moralische, ethische oder religiöse Hinterlassenschaft ohne Nachlaßregelung an die Nachkommen“ zu bewerten sind,34 als „ethical wills“ bzw. als „ethische Testamente“ bezeichnet. In ihnen hinterlässt der Verfasser anstelle oder aber zusätzlich zu seinen materiellen Besitztümern ethisch-moralische Instruktionen für seine Nachkommen.35 Bar-Levav verweist auf den ewigen Wert einer solchen Hinterlassenschaft gegenüber einem materiellen Erbe, das vergänglich ist.36 Ihren Verfassern dienten diese Testamente dazu, ihre Identität und ihr Andenken über den Tod hinaus zu bewahren, oftmals in Zeiten äußerer oder innerer Krisen.37 Insofern gewähren sie uns Einblicke in die Art und 34 Zrn, Gemeinde, 204. 35 Vgl. Bar-Levav, When, 46. 36 Vgl. ebd., 55: „Such a will is eternal and therefore a true inheritance, as compared to an ephemeral material heritage.“ Diesen Gedanken, das ein materielles Erbe immer flüchtig und vergänglich bleibt, während dem ethischen Vermächtnis eines Vaters an seine Kinder ewige Gültigkeit zukommt, formuliert Ende des 16. Jahrhunderts bereits Abraham Horowitz in seinem ethischen Testament Yesh Nohalin. 37 „The need to preserve identity is felt more urgently in times of crisis; such a crisis can be the outcome of an outer catastrophe, or an inner feeling of absence.“ ebd., 57. Ähnlich schreibt Tersch, Vielfalt, 86, bezüglich des Verfassens autobiographischer Texte: „Epochale Katastrophen wie Pestepidemien, Kriege und Revolutionen gehören zu den wichtigsten Anstößen für die Produktion von autobiographischen Texten, was für das 17. Jahrhundert ebenso gilt wie für die beiden Weltkriege.“ Vgl. hierzu auch Schulze, Annäherung, 19 und Dekker, Ego-Dokumente, 36. Auch der im Laufe des 18. Jahrhunderts fortschreitende gesellschaftliche Wandel, der sich vor dem Hintergrund der veränderten wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse sowie unter dem Einfluss des aufklärerischen Gedankenguts vollzog und eine zunehmende Öffnung gegenüber der nichtjüdischen Gesellschaft mit sich brachte, bot vor allem in orthodoxen Kreisen Anlass zur Sorge um die Wahrung der eigenen Identität. Deutlich zum Ausdruck kommt diese Sorge in dem ethischen Testament, das der fromme Celler Hoffaktor Isaac Jacob Gans (1723/34 – 1798) im Jahr 1793 verfasst. Im Bewusstsein über die Gefahren, die der geschäftliche Umgang mit Nichtjuden und die geistige Auseinandersetzung mit neuen Strömungen innerhalb
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Yesh Manchilin als ethisches Testament
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Weise, in der jüdische Identität in der Vergangenheit konstruiert und formuliert wurde.38 Ethische Testamente gelten als „sub-genre“39 der sog. jüdischen ethischen Literatur.40 Letztere ist zwar in der traditionellen Literatur von Talmud und Midrasch verwurzelt, doch formte sie sich erst im Mittelalter zu einem eigenen Genre innerhalb der jüdischen Literatur heraus, dessen Ziel es war, praktische Anleitungen für das soziale und religiöse Alltagsleben bereitzustellen.41 Verschiedene Einflüsse, zum einen aus der jüdischen Philosophie, dem aschkenasischen Chassidismus und der Kabbala, zum anderen aber auch aus der muslimischen und der griechischen Kultur, spielten hierbei eine wesentliche Rolle.42 Vor diesem Hintergrund verbreiteten sich seit dem 11. Jahrhundert neben verschiedenen anderen literarischen Formen, die zur Erfüllung dieses ethischmoralischen Zwecks entwickelt wurden,43 auch die ethischen Testamente in den jüdischen Gemeinden Europas und erlangten schnell den Stellenwert eines unabhängigen jüdischen Genres.44 Vorläufer solcher Testamente sind bereits aus biblischer und talmudischer Zeit bekannt.45 Ihre spezifische Ausprägung als literarische Textform gewannen sie jedoch erst zwischen dem 11.–13. Jahrhundert.46 Seine Blütezeit erlebte das Verfassen ethischer Testamente im 17. und 18. Jahrhundert. In dieser Zeit gelangten die Texte immer häufiger zum Druck und sind in wachsender
38 39 40 41
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des Judentums, insbesondere mit den Schriften Moses Mendelssohns für das traditionelle Judentum bedeutete, hält Gans seine Kinder darin zur Gottesfurcht an und hinterlässt ihnen klare Instruktionen für einen im traditionellen Sinn rechtschaffenen Lebenswandel. Vgl. zum ethischen Testament von Isaac Jacob Gans Streich, Hoffaktor, 79 ff. Bar-Levav, When, 57. Ebd., 46. Abrahams, Jewish, 436, schreibt, „the express directions of fathers to their children and of aged teachers to their disciples, constitute an important branch of Jewish ethical literature.“ Über ethische Testamente im Mittelalter vgl. Bar-Levav, Story, 146: 8B6B N@F5 4=8 LE9B8 N9LHE 95 49LK@ @=;N8M 8:B LN9= 59ü9 8D9M 8=8= LHE8 N4 A==EM 4L9K8M ý?@ NH49M 4=8 ,N=5=üBL9HEDLü [Die ethische Literatur hat eine transformierende Tendenz, sie ist bestrebt, dass der Leser, der das Buch zu Ende gelesen hat, anders und besser ist, als der Leser, der das Buch zu lesen begann.] Vgl. Dan, Wills, 74; Bar-Levav, When, 46 und Abrahams, Jewish, 446. Vgl. Dan, Literature, 526 und Dan, Wills, 74. Vgl. Bar-Levav, When, 46. Als prominentes Beispiel aus biblischer Zeit ist neben anderen der Segen Jakobs über seine zwölf Söhne zu nennen (Gen 49). Weitere Beispiele finden sich in den Apokryphen, darunter z. B. das vierte Kapitel aus dem Buch Tobias. Die talmudische Literatur beinhaltet eine Vielzahl aggadischer Passagen, in denen die Weisen ihren Schülern auf dem Sterbebett letzte Anweisungen hinterlassen. Eine Auswahl dieser Passagen hat Abrahams im ersten Kapitel seiner Anthologie ethischer Testamente zusammengestellt. Vgl. Abrahams, Hebrew, 2 – 30. Vgl. außerdem Abrahams, Jewish, 447 – 451 und Dan, Wills, 74. Zu den frühesten überlieferten Testamenten zählen die Texte von Salomo ibn Gabirol (11. Jh.), Eliezer ben Isaac aus Worms (11. Jh.) und Jehuda ibn Tibbon (12. Jh.). Vgl. Abrahams, Jewish, 451ff und Dan, Wills, 75. Zu den Testamenten von Eliezer ben Isaac aus Worms und Jehuda ibn Tibbon vgl. auch Abrahams, Hebrew, 31 – 49 und 51 – 92.
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Zahl überliefert.47 Innerhalb einzelner Familien entwickelte sich das Verfassen ethischer Testamente regelrecht zu einem Brauch, der über Generationen hinweg gepflegt wurde.48 In der Regel wurden die Testamente von ihren Verfassern in bereits fortgeschrittenem Alter niedergeschrieben, wenn der eigene Tod näherrückte. Oder sie wurden im Vorfeld einer längeren und gefährlichen Reise verfasst, angesichts derer der Verfasser Sorge tragen musste, seine Angehörigen möglicherweise nicht wiederzusehen.49 Zuweilen wurden sie aber auch schon lange vor dem Ableben ihrer Autoren oder auch abschnittsweise über einen längeren Zeitraum hinweg geschrieben.50 Fast ausnahmslos wurden die Testamente nicht in der Umgangssprache, sondern in Hebräisch verfasst51 und beinhalteten in der Regel kurze und präzise Anweisungen für ein moralisch einwandfreies Verhalten.52 Diese Anweisungen erhalten vor dem rabbinischen Grundsatz, dass die Weisungen der Verstorbenen zu befolgen sind (bGit 14b), besonderes Gewicht: NB8 =L57 A==K@ 89JB. Die meisten dieser Texte dienten ausschließlich dem privaten Gebrauch und waren an die eigenen Nachkommen bzw. den engeren Familienkreis oder an ausgewählte Schüler gerichtet.53 Sie wurden entweder gar nicht oder erst nach dem Ableben ihrer Verfasser von deren Nachkommen veröffentlicht.54 Nur wenige Testamente waren schon von ihren Verfassern für ein breiteres Publikum und eine Veröffentlichung bestimmt. Zuweilen bedienten sich die Verfasser auch lediglich der besonderen äußeren Form und Eigenarten dieser 47 Vgl. Abrahams, Jewish, 473 und Bar-Levav, When, 47. 48 Dan, Wills, 75. Prominentes Beispiel hierfür sind die Testamente der Familie Horowitz, die während des 16. und 17. Jahrhunderts von drei aufeinander folgenden Generationen verfasst wurden. Vgl. hierzu auch Bar-Levav, When, 54ff und Abrahams, Hebrew, 250 ff. 49 Vgl. Abrahams, Jewish, 439. 50 Vgl. ebd., 440. 51 Ebd., 465 und Bar-Levav, When, 47. Eine Ausnahme hiervon bilden die auf Jiddisch verfassten Erinnerungen Glückel Hamelns. Auf die Verwandtschaft zwischen Glückels Erinnerungen und der Gattung der ethischen Testamente verweisen u. a. Chajes, Accounting, 2; Biale, Eros, 277; Fine in seiner Einleitung zu Abrahams, Hebrew, 22 ff. Ähnlich auch Moseley, Origins, 158, der Glückels Erinnerungen als „mosaic of established Jewish genres and sub-genres of Gluckel’s period“ bezeichnet, darunter „the ,Ethical Will‘ (Tsava’ah), the Tekhines, the Sefer musar (,Book of Moral Instruction‘), the ,Family Scroll‘, and the Yiddish Mayse bukh (,Story Book‘). Dass Glückel ihre Erinnerungen auf Jiddisch verfasst hat, ist allerdings nicht das Ergebnis einer bewussten Wahl Glückels, sondern eher eine Folge der geschlechtsspezifisch divergierenden Erziehungsideale und Zugangsvoraussetzungen zu den Bildungsinstitutionen jener Zeit. Glückel verfügte zwar über Hebräischkenntnisse, doch war sie trotz ihrer guten Bildung wohl wie die meisten jüdischen Frauen ihrer Zeit nicht in der Lage, in Hebräisch, der Sprache der gelehrten Männer, zu lesen, geschweige denn zu schreiben. Vgl. Ries, Individualisierung, 102 und Jancke, Sichronot, 95 ff. 52 Vgl. Dan, Literature, 526. 53 Vgl. Abrahams, Jewish, 440 f. 54 Jona Landsofer beugte von vornherein eigenmächtigen Übergriffen vor, indem er zu Lebzeiten festlegte, welche Teile seines Werks veröffentlicht werden durften und welche nicht. Vgl. ebd., 470.
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Textgattung, um ein ethisches Werk im allgemeineren Sinn zu verfassen: „Frequently, the ,will‘ is nothing but a literary clich, and quite often was applied to short ethical works not really intended as ,wills‘.“55 Ein Beispiel hierfür ist das Shne Luhot HaBrit von Jesaja Horowitz. Zwar hat Horowitz sein Werk auf den ersten Blick in der Form eines ethischen Testaments an seine Kinder gerichtet, seine Intention zielte zugleich aber auf ein sehr viel breiteres Publikum und umfasst auch inhaltlich ein weiteres Spektrum.56 Ethische Testamente werden auch als Vorform jüdischen autobiographischen Schreibens verstanden. Als gemeinsames Element von beidem nennt Bar-Levav den didaktischen Zweck, den die Verfasser dieser Textgattungen verfolgen, sowie den moralistischen Schwerpunkt, den sie dabei setzen und mit Hilfe der Schilderung persönlicher bzw. autobiographischer Erlebnisse und Erfahrungen zu veranschaulichen suchen.57 Diese Übereinstimmung verweist auf einen wesentlichen Zug der literarischen Konstruktion jüdischer Identitäten schon seit dem Mittelalter : „its moral-collective rather than its individual focus.“58 Ethische Testamente haben dementsprechend nicht nur einen persönlichen Anspruch, sondern vor allem auch einen ethischen Anspruch gegenüber anderen. Mit Bar-Levav lässt sich daher pointiert formulieren: „In that sense, ethical wills are not egodocuments but rather superego-documents.“59 Auch Yesh Manchilin ist in diesem Sinne als superego-document zu verstehen, da es Katzenellenbogen gerade nicht primär um das einzelne Individuum geht, sondern um die Traditionskette seiner Familie, als deren Hüter er in Erscheinung tritt. 3.5.2 Explizite Vorbilder für Yesh Manchilin Bei der Niederschrift von Yesh Manchilin beruft sich Katzenellenbogen vor allem auf drei ethische Testamente, die er als Vorbild und Rechtfertigung für sein eigenes Werk anführt. An erster Stelle nennt er das Shne Luhot HaBrit und das Sefer Yesh Nohalin, beides Schriften, die von Mitgliedern der Familie Horowitz verfasst wurden und auf die Katzenellenbogen in seiner Einleitung direkten Bezug nimmt, wo es heißt: Ich möchte ein Testament schreiben für meine Söhne und Nachkommen, sie seien gesegnet und der Herr beschütze sie, wie ich es gesehen habe bei den Großen des Landes, so bei unserem großen Meister, dem Verfasser von Shne Luhot HaBrit, der damit eine große Tat für den Himmel getan hat, indem er dieses Buch verfasste, und 55 56 57 58 59
Dan, Literature, 526. Vgl. auch Dan, Wills, 75. Vgl. ebd., 75 und Gdemann, Quellenschriften, XXII. Bar-Levav, When, 57. Vgl. auch Tersch, Vielfalt, 81. Bar-Levav, When, 57. Ebd., 47. Ethische Testamente haben eher einen „moralisch-kollektiven“, als einen „individuellen“ Fokus. Vgl. ebd., 57.
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es ist wie ein Testament für seine Söhne und Nachkommen. Und so tat es auch sein Sohn, der Verfasser von Vavei HaAmudim, der auch ein Testament verfasst hat, das Sefer Yesh Nohalin, um seinen Söhnen die Erinnerung zu vererben, damit sie auf die Stimme ihrer Väter hören und den Verdienst und die Lehren ihrer Väter bewahren. (YM, Einleitung, 69)
Shne Luhot HaBrit Das Shne Luhot HaBrit, auf das Katzenellenbogen sich zunächst beruft, gilt als ethisches Hauptwerk von Jesaja Horowitz. Es ist ein Kompendium der jüdischen Religionslehre und ihrer Gebote, in dem Halacha, Homilie und Kabbala kombiniert sind, um Direktiven für eine ethisch-moralische Lebensführung zu geben.60 Horowitz (1565 – 1630) hatte seine religiöse Ausbildung in Krakau u. a. bei R. Meir aus Lublin erhalten und war gleichermaßen in der Halacha und der Kabbala bewandert. Er wirkte zunächst als Rabbiner in verschiedenen Städten Wolhyniens und war dann von 1606 – 1614 Oberrabbiner in Frankfurt am Main. Nachdem die Juden während des Fettmilchaufstands 1614 aus Frankfurt vertrieben worden waren, kehrte er in seine Geburtsstadt Prag zurück, wo er als Oberrabbiner und Vorsteher der Talmudschule hohes Ansehen genoss. 1621 verließ er Prag, um nach Erez Israel zu gehen. Als Rabbiner der dortigen aschkenasischen Gemeinde ließ er sich zunächst in Jerusalem, später in Safed nieder. 1630 starb er in Tiberias.61 Horowitz hat mit der Niederschrift von Shne Luhot HaBrit 1621 begonnen, kurz bevor er sein Amt als Rabbiner in Prag niedergelegt hatte und nach Palästina ausgewandert war. 1623 stellte er es in Jerusalem fertig. Obwohl er es ursprünglich nur für seine Kinder und deren Nachkommen bestimmt hatte, richtet er sich darin zugleich an ein breiteres Publikum.62 1648 wurde das Werk dementsprechend erstmalig von seinem Sohn Sabbatai Scheftel Horowitz in Amsterdam veröffentlicht. Seither ist es in zahlreichen Auflagen erschienen und hat weite Verbreitung gefunden.63 Bar-Levav beschreibt das umfangreiche Werk, dessen Erstausgabe im Druck 852 Seiten umfasst, als „very extensive ethical will, encompassing much of his [the author’s] lifetime literary productivity.“64 In der Vorrede zum Werk seines Vaters fasst Sabbatai Scheftel Horowitz dessen Intention wie folgt zusammen: Immer hat er seine Söhne und sein Haus dazu angehalten den Weg des Herrn zu bewahren und ihm treu zu bleiben, er sei gesegnet. Als in ihm der Gedanke reifte, nach Erez Israel zu gehen, hat er deshalb schnell damit begonnen, ein Werk für seine 60 Vgl. Ben-Sasson, Horowitz, 535. 61 Zu Jesaja Horowitz vgl. Zinberg, History 6, 114 – 120; Fraenkel-Goldschmidt, Religion, 105 f; Klemperer, Rabbis, 48ff sowie Ben-Sasson, Horowitz, 534 – 537. 62 Vgl. Gdemann, Quellenschriften, XXII. 63 Vgl. Zinberg, History 6, 115ff und Ben-Sasson, Horowitz, 535. 64 Bar-Levav, When, 56.
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Söhne und ihre Nachkommen und für die Nachkommen ihrer Nachkommen bis in Ewigkeit zu verfassen, damit sie ein Erinnerungsbuch haben sollten, das auch die Erhaltung der Gebote und ihrer Feinheiten beinhaltet.65
Jesaja Horowitz hat Shne Luhot HaBrit offenbar in Anbetracht seiner bevorstehenden Abreise nach Palästina und der damit verbundenen Trennung von seinen Kindern verfasst. Mit seinem Werk wollte er ihnen und ihren Nachkommen einen moralischen Wegweiser und ein Erinnerungsbuch hinterlassen. Auch hier begegnet dieselbe Bezeichnung „Sefer Zikheron“, die Katzenellenbogen alternativ zum Begriff „Testament“ für sein Yesh Manchilin wählt. Dies verweist auf Parallelen, die vor allem hinsichtlich der Schreibintention zwischen beiden Werken bestehen. Die bevorstehende Trennung von Kindern und Kindeskindern vor Augen – bei Horowitz durch den Aufbruch nach Israel, bei Katzenellenbogen durch Krankheit und Tod – soll die Erinnerung im jeweiligen Werk als Testament weitergegeben bzw. vererbt werden. Beiden Autoren geht es darum, den künftigen Generationen gewissermaßen eine Lebenshilfe darzubieten, damit diese auf geraden Wegen wandeln sollen wie schon ihre Vorväter. Dabei soll das Andenken ebendieser Vorfahren über Generationen hinweg bewahrt werden.
Yesh Nohalin Dieselbe Intention schreibt Katzenellenbogen dem Verfasser des Sefer Yesh Nohalin zu, auf das er ebenfalls schon in der Einleitung zu Yesh Manchilin direkten Bezug nimmt. Auch dieser habe sein Werk als Testament verfasst, um seinen Söhnen die Erinnerung zu vererben, damit sie auf die Stimme ihrer Väter hören und den Verdienst ihrer Väter und die Lehren ihrer Väter bewahren. (YM, Einleitung, 69)
Wieder finden sich hier konkrete Handlungsanweisungen verbunden mit dem Wunsch, das eigene Andenken über den Tod hinaus bewahrt zu wissen. Als Verfasser des Sefer Yesh Nohalin nennt Katzenellenbogen Sabbatai Scheftel Horowitz, den Sohn von Jesaja Horowitz, der auch das ethische Traktat Vavei HaAmudim verfasst hat.66 Tatsächlich aber geht das Werk ursprünglich auf dessen Großvater Abraham Horowitz (ca. 1550 – 1615) zurück. Dieser hatte in der Jeschiwa von Mose Isserles in Krakau studiert und galt als einer der bedeutendsten Talmudgelehrten seiner Zeit.67 Das Sefer Yesh Nohalin hatte Abraham Horowitz Ende des 16. Jahrhunderts als Testament für seine Nachkommen geschrieben und 1598 fertig gestellt. Zinberg beschreibt es als Tes65 Horowitz, Luhot [hebr.], Vorrede von Sabbatai Scheftel Horowitz zum Werk seines Vaters. 66 Vgl. Ben-Sasson, Horowitz, 535; Horovitz, Rabbinen, 49ff; Gdemann, Quellenschriften, 112ff und Lçwenstein, Fürth I, 155. 67 Vgl. Zinberg, History 6, 50 – 57.
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tament, „which the aged Horowitz left for his children and in which he gives them ethical instruction and teaches them how to follow the right path and not stumble.“68 Abrahams Sohn Jakob, der Bruder von Jesaja Horowitz, verfasste ein eigenes Testament, indem er das Werk seines Vaters durch Anmerkungen und Glossen ergänzte und fortschrieb.69 1615 wurden beide Testamente zusammen von ihm erstmalig in Prag herausgegeben. Abrahams Enkel Sabbatai Scheftel Horowitz führte die familiäre Tradition fort. Sein Testament, in dem er u. a. Angaben zu seiner familiären Herkunft macht und seinen Kindern moralische Empfehlungen hinterlässt, erschien zunächst 1690 in Frankfurt an der Oder und wurde dann der zweiten Ausgabe von Yesh Nohalin beigefügt, die 1701 in Amsterdam gedruckt wurde und alle drei Testamente vereinte.70 Es ist anzunehmen, dass Katzenellenbogen sich auf eben diese Ausgabe bezieht, da er Sabbatai Scheftel Horowitz als Verfasser von Yesh Nohalin angibt, dessen Testament hier erstmalig im Zusammenhang mit dem Testament seines Onkels und seines Großvaters unter diesem Titel erschienen ist. Das Sefer Yesh Nohalin gewann schnell große Popularität und erlebte zahlreiche weitere Drucklegungen.71 Indem Katzenellenbogen für sein eigenes Werk den Titel Yesh Manchilin wählt, knüpft er auch formell ganz bewusst an das Sefer Yesh Nohalin an, wie die folgenden Worte aus seiner Einleitung belegen: Ich nenne dieses Buch Yesh Manchilin, weil es den Söhnen vererbt werden soll. Der oben genannte Autor nannte es Yesh Nohalin, weil es aus der Sicht der Söhne etwas von den Vätern zu erben gibt. Und ich nenne es Yesh Manchilin, aus der Sicht des Vaters, der etwas vererbt. (YM, Einleitung, 69)
Beide Titel sind an halachische Phrasen aus der Mischna angelehnt. Sie finden sich im Traktat Baba Batra, wo sie im weiteren Kontext des Erbschaftsrechts stehen:
68 Ebd., 56. 69 Vgl. Gdemann, Quellenschriften, 119 f. 70 Vgl. Bar-Levav, When, 54 f; Dan, Wills, 75; Abrahams, Hebrew, 250 f und Lçwenstein, Fürth I, 156. 71 Vgl. Bar-Levav, When, 55. Chajes, Accounting, 6, weist darauf hin, dass Yesh Nohalin zahlreichen Verfassern von ethischen Testamenten als Vorbild diente und sie in ihrem Tun beeinflusste. Auch Glückel Hameln waren zumindest Ausschnitte daraus bekannt, denn sie zitiert in ihren Erinnerungen daraus bzw. gibt wieder, „was ich in dem Buche ,Jesch nauchalin‘ in der Ausgabe des Gaon Rabbi Jesaias gefunden habe, welches man mir auf deutsch vorgelesen hat.“ Hameln, Memoiren, 249. Glückel nennt hier irrtümlich Jesaja Horowitz als Herausgeber. Sie verwechselt ihn mit seinem Bruder Jakob Horowitz, der 1615 das Werk seines Vaters mit seinen eigenen Anmerkungen versehen herausgebracht hat. Vgl. zu diesem Irrtum auch Hameln, Zikhronot, 478, FN 605. Auch an anderer Stelle verweist Glückel auf das Sefer Yesh Nohalin und gibt für ihre Kinder eine Geschichte daraus wieder: „Solches werdet ihr lesen aus der Geschichte mit dem Arzt, eine Geschichte, die ich gefunden habe in dem Buche des Gaon Rabbi Abraham, Sohn des Sabbathai Levy, die er in seinem Moralbuch geschrieben hat.“ Hameln, Memoiren, 7.
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C=@=;DB 4@9 C=@;9D 4@ C=@;9D 4@9 C=@=;DB C=@=;DB 4@9 C=@;9D M=9 C=@=;DB9 C=@;9D M= C=@=;DB9 C=@;9D 548 CB C=;489 548 N4 A=D589 A=D58 N4 548 C=@=;DB9 C=@;9D 9@49 C=@=;DB 4@9 C=@;9D N9=;4 =D59 9NM4 N4 M=489 9B4 N4 M=48 C=@;9D 4@9 C=@=;DB A48 =;49 8@F5 N4 8M489 8=D5 N4 8M48 C=@=;DB 4@9 C=@;9D 4@ A48 CB A=;489 [a] Es gibt Erbende, die auch vererben. [b] Und es gibt Erbende, die nicht vererben, [c] und Vererbende, die nicht erben, [d] und Nicht-Erbende, die nicht vererben. [a] Und dies sind die, die sowohl eine Erbschaft empfangen [können], als auch etwas vererben [können]: Der Vater [erbt von oder vererbt an] die Söhne und die Söhne [erben von oder vererben an] den Vater; und [auch] die Brüder väterlicherseits erben oder vererben. [b] Der Mann [erbt von seiner] Mutter [ohne an sie zu vererben]; und der Mann [erbt von seiner] Frau [ohne an sie zu vererben]; und die Söhne der Schwestern erben, aber vererben nicht. [c] Die Frau [vererbt an die] Söhne [ohne selber erben zu können], und die Frau [vererbt an] ihren Mann [ohne selber erben zu können]; und auch die Brüder mütterlicherseits vererben, aber erben nicht. [d] Und die Brüder erben von der Mutter nicht und vererben [an sie auch] nicht. (mBB 8,1; vgl. auch bBB 108a)
Mit der Wahl ihres jeweiligen Titels weisen die beiden Verfasser auf den testamentarischen Charakter ihrer Werke hin und legen dar, dass es sich in beiden Fällen um eine Erbschaft im engeren halachischen Sinn handeln soll. Horowitz’ Titel impliziert dabei, dass es etwas zu erben bzw. eine Hinterlassenschaft zu empfangen gibt. Katzenellenbogen hingegen betont stärker die Sicht des Vererbenden, der eine Hinterlassenschaft an seine Nachkommen weitergibt.72 Derekh Tovim Eine dritte Anregung für die Niederschrift von Yesh Manchilin hat Katzenellenbogen bereits im Jahr 175573 durch das Testament von Jona Landsofer (1678 – 1712) erfahren. Dieser wurde als Sohn des Schreibers Elia Bunzlau und seiner Frau Gitel Brandeis, einer Urenkelin des Jehuda Löw ben Bezalel, in Prag geboren. Wie schon sein Vater und sein Großvater betätigte er sich als Schreiber und hat seinen Namen vermutlich dieser beruflichen Tätigkeit zu 72 Vgl. zum Titel auch den Vers in Prov 8,21, der, wie Feld in seinem Apparat zu YM, § 246, 482 darlegt, in dem von Katzenellenbogen am Abschluss seines Werkes zitierten Sohar-Abschnitt zur Parascha Pinchas angeführt wird: M= =584 @=;D8@ (Dass ich Besitz vererbe allen, die mich lieben). 73 Eigenen Angaben zufolge hat Katzenellenbogen erst im Jahr 1758 mit der Niederschrift von Yesh Manchilin begonnen. Die hier zitierten Worte, in denen er sein Vorhaben, seinen Kindern ein Testament zu hinterlassen, ankündigt, hat er offenbar 1755, im Alter von 64 Jahren, geschrieben und erst später unter § 40 in Yesh Manchilin übertragen.
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verdanken. In seiner Jugend war Landsofer Schüler von Abraham Broda in Prag. Er war sowohl im Talmud als auch in der Kabbala bewandert und Autor verschiedener Schriften.74 Katzenellenbogen schreibt, dass er gemeinsam mit Landsofers Sohn Menachem in der Jeschiwa von Samuel Krakauer gelernt habe.75 In diesem Zusammenhang berichtet er auch von einer persönlichen Begegnung mit Jona Landsofer, zu der es kam, als Samuel Krakauer diesen gemeinsam mit seinen Schülern an einem Sabbat aufgesucht hatte, um von ihm Erklärungen über die Halacha zu hören. Katzenellenbogen schildert diese Begegnung als ein für ihn unrühmliches Ereignis, da er und ein Mitschüler sich über die Worte Landsofers amüsiert hatten und hierfür von ihrem Lehrer Samuel Krakauer zurecht gewiesen wurden. Katzenellenbogens Reue über diesen Vorfall begleitete ihn über viele Jahre hinweg. Landsofers Testament wurde erstmalig 1717 zusammen mit dem Testament seines Freundes und Zeitgenossen Mose Chassid unter dem Titel Derekh Tovim in Frankfurt am Main gedruckt.76 Sein Testament besteht aus 37 kurzen Paragraphen, in denen er sich mit ethischen-moralischen Wegweisungen für ein gottgefälliges Leben an seine Kinder und weiteren Nachkommen richtet. Das Testament von Sabbatai Scheftel Horowitz und ähnliche Schriften, die aus der gleichen Zielsetzung heraus geschrieben wurden, sind ihm bekannt. Er hebt aber ausdrücklich den Vorrang hervor, den die persönliche Rede des Vaters an den Sohn gegenüber solchen Worten hat, die aus fremden Büchern übernommen werden.77 Offenbar ist es gerade diese Betonung eines besonderen familiären Bandes zwischen Vater und Sohn, die Katzenellenbogen auch für sich beanspruchen will, wenn er das Testament von Jona Landsofer als Vorbild für sein eigenes angibt, denn er schreibt: Ich will meinen Kindern nach meinem Tod Worte der Moral hinterlassen, damit auch sie auf guten Wegen wandeln, wie ich es gesehen habe in einem Buch gering an Umfang aber reich an Wert, das sich Derekh Tovim nennt. Es ist das Testament des frommen und berühmten R. Jona aus Prag, sel.A., der nach dem Namen seiner Familie Landsofer genannt wurde. Er hat schöne und gute Worte geschrieben. Zu Beginn schreibt er : ,Ich hatte den Gedanken, meinen Söhnen den Weg zu weisen, den sie gehen sollten und die Taten, die sie mit Hilfe des Herrn, Er sei gesegnet, tun sollten. Und obwohl die Bücher voll sind mit solchen Worten usw. Aber trotzdem ist es meine Meinung, dass der Sohn sich nach seinem Vater sehnt und dessen Worte
74 Zu Landsofer vgl. Abrahams, Hebrew, 285ff; Lçwenstein, Familie, 356ff und Ben-Menahem, Landsofer, 478. 75 Vgl. YM, § 95, 190. 76 Beide waren zusammen von ihrem Lehrer Abraham Broda nach Wien geschickt worden, um dort an Disputationen mit Sabbatianern teilzunehmen. Vgl. Abrahams, Hebrew, 285 und BenMenahem, Landsofer, 478. Zum Testament von Mose Chassid vgl. außerdem Gdemann, Quellenschriften, 137 ff. 77 Vgl. hierzu auch Abrahams, Hebrew, 285 f und Gdemann, Quellenschriften, 127.
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besser in seine Ohren dringen und sich in seinem Herzen festsetzen.‘ Und daher kam auch mir der Gedanke. (YM, § 40, 119 f)
Auch hinsichtlich seiner Fastengewohnheiten dient Katzenellenbogen das Testament Jona Landsofers als Vorbild, aus dem er für seine Kinder ganze Passagen in sein eigenes Erinnerungsbuch überträgt und auf diese Weise der hohen Wertschätzung, die er gegenüber Landsofer empfand, Ausdruck verleiht.78 Weitere von Katzenellenbogen zitierte Testamente Neben den drei erwähnten Testamenten, die Katzenellenbogen ausdrücklich als Vorbild für die Abfassung seines eigenen Werkes angibt, verweist er in Yesh Manchilin auf zahlreiche weitere Testamente sowohl von Mitgliedern seiner eigenen Familie als auch von außerhalb dieses Kreises stehenden Personen. Das Schreiben von Testamenten, so wird deutlich, war zu jener Zeit eine verbreitete Praxis und unterlag bestimmten Konventionen. Unter § 28 fügt Katzenellenbogen das Testament des aus Krakau stammenden Menachem Mendel Krochmal (ca. 1600 – 1661) ein, der zunächst Rabbiner in Kremsier und in Prossnitz war, bevor er von 1648 bis zu seinem Tod als mährischer Landesrabbiner in Nikolsburg gewirkt hat. Er war der Verfasser der Responsensammlung Zemach Zedek.79 Katzenellenbogens Angaben zufolge gelangte das Testament über eine Handschrift von Menachem Mendels Urenkel Arie Jehuda Löw in seine Hände, der der Großvater von Katzenellenbogens Schwiegersohn R. Simon, dem Ehemann seiner Tochter Rebekka Esther und von 1720 – 1740 Rabbiner in Boskowitz war.80 Als Katzenellenbogen im Elul 1758 einen Brief seiner Tochter Rachel aus Prag erhielt, in dem sie ihn um Hilfe bat wegen eines Fiebers, unter dem sie längere Zeit zu leiden hatte, suchte Katzenellenbogen in der Handschrift Arie Löws nach einem Heilmittel und stieß dabei zufällig auf das erwähnte Testament von Menachem Mendel Krochmal.81 Katzenellenbogen nennt dieses zwar nicht explizit als Vorbild, das den Anstoß für die Niederschrift seines eigenen Werkes gegeben hat, er lobt es jedoch und möchte es in seinem Erinnerungsbuch in vollem Umfang wiedergeben: Wie phrasenreich und angenehm sind die Worte, die ich geschrieben fand in dem Buch unseres oben erwähnten Meisters R. Jehuda Löw, sel.A. Denn ich fand darin das Testament des Gaon und Verfassers des Buches Zemach Zedek. Auch dieses will ich im 78 Vgl. YM, § 47, 141 f. 79 Vgl. Feuchtwang, Epitaphien, 370; Gold, Kremsier, 297; Goldschmied, Geschichte, 501; Klenovsky´, Sites, 13; Battenberg, Juden, 51 und Veselsk/Vrbkov, Juden, 25. 80 Vgl. YM, § 26, 101 und § 28, 102. Zu Arie Jehuda Löw vgl. Gold, Boskowitz, 126 f; Gold, Gedenkbuch, 12ff; Brnsky´, Zid, 250 und Sixtov, Synagogue, 58. 81 Vgl. YM, § 26, 100 ff.
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Erinnerungsbuch wiedergeben als Testament. Dies sind die Worte des genannten Buches Buchstabe für Buchstabe. (YM, § 28, 102)
Nach dieser Einleitung fügt Katzenellenbogen den gesamten Wortlaut des als Akrostichon verfassten Testaments in sein eigenes Werk ein.82 Krochmal hinterlässt seinen Kindern darin genaue Anweisungen, wie hinsichtlich seines Todes, der Beerdigung und der anschließenden Trauerzeit zu verfahren sei. Wie Katzenellenbogen nennt Krochmal als unmittelbaren Anlass dafür, sein Testament zu formulieren und seinen Kindern darin letzte Weisungen auf den Weg zu geben, körperliche Gebrechen und das Gewahrwerden seines bevorstehenden Todes: Meine Kinder, weil ihr seht, wie mich meine Kräfte und meine Stärke verlassen und ich mich nicht mehr mit Worten zu erklären vermag, lest doch und erfüllt meine Bitte und lasst es nicht daran mangeln, denn dies ist mein Teil meiner schweren Arbeit und Mühe bis ich zu meinem Sterbebett gekommen bin, meinem Land und meiner Grenze. Hört doch auf meine Stimme. Geht, meine Söhne, hört mich, denn Gottesfurcht will ich euch lehren. (YM, § 28, 102)
Auch unter den Mitgliedern von Katzenellenbogens Familie war das Verfassen von Testamenten offenbar eine verbreitete Praxis. In Yesh Manchilin finden sich zahlreiche Verweise auf solche Texte. Teilweise lagen sie Katzenellenbogen selber vor, teilweise hat er von ihnen aus Erzählungen gehört. Meist spielen dabei als Motiv für das Erstellen eines letzten Willens Krankheit und Gedanken an die Vergänglichkeit des Lebens eine tragende Rolle. Auch für Katzenellenbogens Vater Mose bieten sie den Anlass, sein Testament zu machen, das er, den möglichen Tod vor Augen, nicht selber niederschreibt, sondern seinem Sohn vom Krankenlager aus diktiert. Pinchas Katzenellenbogen berichtet hierüber mit folgenden Worten: Dieses vernahm ich im Jahr 1733 aus dem Mund meines heiligen Vaters, des frommen Gaon, als ihn die Hand des Herrn getroffen hatte und er voller Schmerzen ans Bett gefesselt lag in der Gemeinde Fürth, wo es viele Ärzte gab. Er war sehr über sich verzweifelt.83 Ich kam aus Marktbreit, um ihn zu besuchen und blieb drei Wochen lang. Und als ich allein mit ihm war, machte er sein Testament. Er diktierte es mir und ich schrieb es auf. Danach unterbreitete er mir flüsternd diese Sache und sagte zu 82 Vgl. YM, § 28, 102 ff. 83 Der Wohnsitz von Mose Katzenellenbogen befand sich zu dieser Zeit in Schwabach, wo er von 1715 – 1743 Rabbiner war. Vermutlich hat sich der erkrankte Mose Katzenellenbogen nach Fürth begeben, weil dort bereits seit 1653 eines der ersten jüdischen Hospitäler in Deutschland gegründet worden war. Vgl. zum Fürther Hospital Blume, Friedhof, 9. Katzenellenbogen hinterlässt jedoch in Yesh Manchilin keine näheren Angaben hierzu. Tatsächlich ist Mose Katzenellenbogen von seiner Krankheit wieder genesen und starb erst etwa zehn Jahre apäter am 20. Tischri 1743. Vgl. hierzu auch Lçwenstein, Fürth II, 120, der die Inschrift vom Grabstein Mose Katzenellenbogens auf dem alten jüdischen Friedhof in Fürth wiedergibt. Feld nennt im Vorwort zu Yesh Manchilin irrtümlich das Jahr 1744 als Todesjahr. Vgl. das Vorwort von Feld zu Yesh Manchilin, 20.
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mir : damit du weißt, was mit unserem Vorfahr, dem Nagid Saul Wahl, sel.A., geschah. (YM, § 54, 147 f)
Der Wortlaut des Testaments ist in Yesh Manchilin nicht überliefert, so dass sich keine Aussagen über dessen Art und Inhalt machen lassen. Es fällt aber auf, dass Katzenellenbogen direkt im Anschluss an die oben zitierten Worte eine Geschichte über seinen Vorfahren Saul Wahl (ca. 1541 – 1617) einfügt, die sein Vater ihm vom Krankenbett aus erzählt haben soll.84 Aus Katzenellenbogens Schilderung wird zwar nicht ersichtlich, ob er diese Ahnengeschichte noch als integralen Bestandteil des Testaments seines Vaters verstanden wissen will. Indem er aber seinem Vater diese Worte auf dem Krankenbett in den Mund legt, stellt er einen engen Zusammenhang zwischen Vermächtnis und Familienerinnerung her und hebt damit die Bedeutung hervor, die er der Tradierung und Bewahrung des innerfamiliären Andenkens über Generationen hinweg zuschreibt. Die Vorahnung seines bevorstehenden Todes hat offenbar auch Katzenellenbogens Großvater mütterlicherseits, Elieser Heilbronn, dazu bewogen, kurz vor seinem unerwarteten Ableben ein Testament aufzusetzen. Ohne auf den Inhalt dieses Testaments einzugehen, schildert Katzenellenbogen die „wundersam“ erscheinenden Umstände von dessen Entstehung: Offensichtlich wusste der besagte Gerechte, dass er im Laufe jener Tage sterben würde. Und dies ist dafür der Beweis, denn fünf Monate nach seinem Tod, im Monat Adar, fand sich […] sein Testament (es befindet sich jetzt in meinen Händen unter meinen Schriften), das er am Montag, dem Abend von Sukkot des Jahres 1701 verfasst hat, obwohl er erst 52 Jahre alt war. Daher ist ersichtlich, dass er voll tiefen Glaubens war, denn er wusste, dass der Herr, Er sei gesegnet, sein Leben beenden würde. In seinem Herzen war er voller Glauben. (YM, § 76, 175)
Mehrfach erwähnt Katzenellenbogen auch das Testament seines Großvaters väterlicherseits, R. Saul ben Mose Katzenellenbogen, der Rabbiner in Brody, Chelm und seit 1682 im polnischen Pinczow gewesen war, wo er 1692 verstarb. Sein Testament lag Katzenellenbogen offenbar nicht selber vor, er gibt jedoch weiter, was er aus den Erzählungen seines Onkels Sa’adja Jesaja, dem Bruder seines Vaters, darüber erfahren hat. Es sind vor allem inhaltliche Instruktionen, die Saul Katzenellenbogen seinen Kindern hinterlassen hat, und die sein Enkel wiederum für seine eigenen Kinder zur Erinnerung aufschreibt. Katzenellenbogen nennt die Warnung seines Großvaters hinsichtlich des Umgangs mit den sogenannten Heiligen Namen. „Lasst uns zurückkehren zum 84 Von Saul Wahl berichtet die Legende, dass er für einen Tag König von Polen gewesen sein soll. Die genaueren Umstände dieser Begebenheit, wie Katzenellenbogen sie von seinem Vater sowie von einem Fremden aus Brest-Litowsk gehört haben will, schildert er ausführlich unter YM, § 50 – 53, 143 ff. Den Angaben bei Abrahams, Jewish, 475, zufolge, hat auch Saul Wahl ein Testament hinterlassen, das von Katzenellenbogen jedoch nicht erwähnt wird, was den Schluss nahe legt, dass er von dessen Existenz wahrscheinlich nicht gewusst hat.
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Testament meines Großvaters, des frommen R. Saul, sel.A.,“ schreibt Katzenellenbogen, „der seinen Nachkommen aufgetragen hat, sich nicht mit den Heiligen Namen zu befassen.“85 Diese testamentarische Weisung von Katzenellenbogens Großvater wurde von seinen Nachkommen offenbar als autoritativ empfunden. Katzenellenbogen fügt hinzu, dass weder sein Onkel noch sein Vater diese Warnung je missachtet hätten, „weil uns dies mein Großvater R. Saul aufgetragen hatte.“86 An anderer Stelle erwähnt Katzenellenbogen, dass sein Großvater Saul seine Kinder in seinem Testament dazu angehalten hatte, jedes Jahr am 19. Ijjar zu fasten. Dieses war die Jahrzeit für seinen jüngsten Bruder Pinchas, der 1676 als Märtyrer zu Tode gekommen war.87 Auch Katzenellenbogen macht sich dieses testamentarische Geheiß seines Großvaters zu eigen, obwohl er „gar nicht dazu verpflichtet war, weil er es nur seinen Kindern, nicht aber seinen Enkeln aufgetragen hatte.“88 Aber um der „Ehre des Gerechten willen“,89 nach dessen Namen er benannt worden war, nahm Katzenellenbogen das Gelübde auf sich, bis er nach Marktbreit kam, wo er von seinen Pflichten als Rabbiner stark belastet war und im Jahr 1724 das Gelübde schließlich löste.90 Als weiteres Testament, das aus der Feder eines Familienmitglieds stammt, nennt Katzenellenbogen das Testament jenes gleichnamigen Großonkels Pinchas. Nachdem man ihn zu Unrecht beschuldigt hatte, in der polnischen Gemeinde Tomaszow, wo er lebte, Diebesgut gekauft zu haben, wurde er 1676 in Lublin zum Tode verurteilt und verbrannt. Katzenellenbogen befindet sich zwar nicht mehr im Besitz des Testamentes. Von seinem Vater will er jedoch erfahren haben, dass sein Großonkel dieses am Tag seines Todes einem anwesenden Schtadlan diktiert und darin vor allem Vorkehrungen getroffen habe, um eine angemessene Wiederverheiratung seiner jungen Ehefrau zu gewährleisten: Aus dem Mund meines heiligen Vaters, sel.A., hörte ich, dass mein heiliger Großonkel, der bereits erwähnte R. Pinchas, sel.A., eine Frau aus berühmter Familie hatte, eine Tochter von Großen Israels. Und an jenem heiligen Sabbat, an dem er ermordet wurde, wie oben erwähnt, war ein Schtadlan bei ihm, ein großer Israels zu jener Zeit. Ihm befahl er folgendes und sein Testament fand ich im Haus des R. David Wischnitz, der gegen Ende seines Lebens in der Gemeinde Eisenstadt lebte. Er war der Schwiegersohn von R. Mose, der Rabbiner in der Gemeinde Olkusch und der Sohn unseres Meisters, des heiligen Pinchas, sel.A., war, der Herr möge die Blutschuld an
85 YM, § 15, 87. 86 YM, Register zu § 15, 410. Vgl. hierzu außerdem YM, § 14, 81ff und § 16, 88 f. 87 Katzenellenbogen schildert die näheren Umstände vom Tod seines Großonkels, wie sein Vater sie ihm berichtet hat, unter YM, § 44, 133 f. 88 YM, § 43, 132. 89 YM, § 43, 132. 90 Vgl. YM, § 43, 132 f.
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ihm ahnden.91 Aber das Testament verlor ich aus meinen Händen. Doch nach den Worten meines Vaters, sel.A., bat er durch den erwähnten Schtadlan die Oberhäupter des Vierländerrates in Polen, dass sie ein Auge auf seine Frau haben sollten, die nun eine verlassene und junge Witwe war, und dass sie sie ihrer Ehre entsprechend verheiraten sollten. (YM, §113, 208)
In Katzenellenbogens Besitz befindet sich auch das Testament von Jechiel Reiss, der der Großvater seines Schwiegervaters Jakob Oettingen gewesen war. Katzenellenbogen hat das Testament von Jechiel Reiss Tochter erhalten und seither bei sich verwahrt: Mein Schwiegervater war ein großer Gelehrter und stammte aus einer vornehmen Familie, sowohl vonseiten seines Vaters als auch vonseiten seiner Mutter Scheinle, der Friede sei mit ihr. Sie war die Tochter von Großen aus dem Land Aschkenas und die Tochter des berühmten Nagid Jechiel Reiss, sel.A. Von ihr bekam ich das Testament ihres genannten Vaters, sel.A., das ich noch immer besitze und das vom Mittwoch, dem 8. Siwan 1663 stammt. (YM, § 154, 252)
Unter § 227, schon gegen Ende seines Werkes, fügt Katzenellenbogen schließlich ein weiteres Testament ein, das nicht aus dem Kreis seiner eigenen Familie entstammt und zeitlich ins 13. Jahrhundert zurückreicht. Es ist ein Brief, den der spanische Arzt und Rabbiner Mose ben Nachman (Nachmanides, 1194 – 1270) aus seinem Exil in Palästina an seinen ältesten Sohn Nachman nach Katalonien geschickt hat.92 Im Jahr 1263 hatte Nachmanides auf Geheiß von König Jakob I. von Aragn an der Talmuddisputation von Barcelona gegen seinen christlichen Widerpart, den Apostaten Paolo Christiani, teilgenommen, in deren Folge er vom König verbannt worden und 1267 nach Palästina geflohen war. Von dort schrieb er verschiedene Briefe an seine Söhne, die er in Spanien zurücklassen musste.93 Der bekannteste dieser Briefe, „which may be considered as a sort of ethical will“94, ist jener, den Katzenellenbogen in Yesh Manchilin zitiert.95 Er wurde mehrfach gedruckt und hat
91 David ben Jehuda aus Wischnitz (auch bekannt als David Pollak, aufgrund seiner Herkunft wurde er aber David Wischnitz genannt) war bis zu seinem Tod im Jahr 1755 Rabbinatsassessor in Eisenstadt. Er war verheiratet mit Chwolisch, der Tochter des R. Mose, Rabbiner in Olkusch, und Enkelin des ermordeten Pinchas Katzenellenbogen. Ihr gemeinsamer Sohn war Pinchas ben David. Alle drei wurden auf dem alten jüdischen Friedhof in Eisenstadt begraben. Vgl. Wachstein, Grabinschriften, 109 f und 114 f sowie Wachstein, Urkunden, 550. Zu Mose, dem Sohn des „heiligen Pinchas“, vgl. auch Eisenstadt, Sefer [hebr.], 101. 92 Bar-Levav, When, 46, weist auf die enge Beziehung von Briefen und ethischen Testamenten hin: „A closely related genre to ethical wills is epistolary writing.“ Vgl. auch Lawrence Fine in seiner Einleitung zu Abrahams, Hebrew, 5 und 8. 93 Vgl. Schechter, Nachmanides, 82ff und Abrahams, Hebrew, 94 f. 94 Schechter, Nachmanides, 87. 95 Der volle Wortlaut dieses Briefes bzw. Testaments ist auch bei Abrahams, Hebrew, 95ff abgedruckt.
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Charakterisierung des Werkes Yesh Manchilin
auch in Gebetbücher Einfang gefunden.96 Katzenellenbogen kopiert den vollen Wortlaut dieses Briefes97 und leitet ihn mit folgenden Worten ein: Ich will hier an die Worte unseres gerechten Meisters R. Mose ben Nachman, sel.A., erinnern, der uns den aufrechten Weg lehrte, den wir in Demut gehen sollen. Ich will hier seinen Brief kopieren, den er über die Weisheit der Demut geschrieben hat. Er ist mir sehr geläufig, weil ich ihn täglich aufsage. Deshalb will ich ihn hier auch wiedergeben. Den Brief hat Nachmanides, sel.A., an seinen Sohn nach Katalonien geschickt und darin über die Demut und Gottesfurcht geschrieben. Und er hat ihm aufgetragen, ihn einmal in der Woche mündlich vorzutragen, damit auch die anderen mit seinem Sohn zusammen daraus lernen sollten. Aber auch, damit er ihn auswendig lernen sollte, um in seiner Jugend in Gottesfurcht erzogen zu werden. Er versicherte ihm, dass ihm an dem Tag, da er ihn verlese, aus dem Himmel Antwort gegeben würde, was er auch frage, und dass er von aller Not befreit und ihm versichert werden würde, dass er ein Sohn der kommenden Welt sei. (YM, § 227, 314)
In seinem Testament, das Abrahams eine „eulogy of humility“ nennt98, preist Nachmanides die Demut als höchste Tugend und gibt seinem Sohn Instruktionen, wie er durch angemessenes Verhalten im Umgang mit anderen Menschen, durch das Studium der Tora und durch das Gebet zu einem Leben in Demut gelange. Zum Schluss ermahnt er ihn, diesen Brief einmal wöchentlich zu lesen und sich an die Anweisungen zu halten. Obwohl an seinen Sohn adressiert, war er nicht ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt, „moreover, its brevity has tended to popularise it.“99 Auch Katzenellenbogen schreibt, dass er den Brief mehrere Jahre lang regelmäßig laut gelesen habe100 und fügt ihn in sein Erinnerungsbuch, um seine Kinder daran Anteil haben zu lassen. 3.5.3 Der testamentarische Charakter von Yesh Manchilin Katzenellenbogen bezeichnet sein Werk mehrfach ausdrücklich als Testament (8499J/Tsava’a). In seiner Einleitung zu Yesh Manchilin, in der er seine Motive für die Niederschrift des Werkes darlegt, schreibt er : Der Herr, Er sei gesegnet und gesegnet sei Sein großer Name, hat mir all diese Tage vergönnt, in denen ich alt geworden bin. Ich aber kenne den Tag meines Todes nicht und so ist der Zeitpunkt gekommen, ein Testament zu machen und an mein Ende zu denken, so wie es über unseren Vater Abraham, der Friede sei mit ihm, heißt: ,Denn 96 Vgl. ebd., 95. Katzenellenbogen bezieht sich offenbar auf eine 1708 in Amsterdam gedruckte Fassung. Vgl. YM, § 227, 314, FN 1. 97 Vgl. YM, § 227, 314 f. 98 Abrahams, Jewish, 455. 99 Ebd., 455. 100 Vgl. YM, § 229, 316.
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dazu habe ich ihn auserkoren, dass er seinen Kindern befehle und seinem Hause nach ihm, dass sie des Herrn Wege halten.‘ [Gen 18,19] (YM, Einleitung, 69)
Ähnlich formuliert Katzenellenbogen an anderer Stelle: Nachdem ich nun, der Herr sei gesegnet, in die Jahre gekommen und 64 Jahre alt bin, rückt der Tag meines Todes näher und ich will mein Testament machen. Bei meinem Leben habe ich die Vergnügungen der Welt, ihre Nichtigkeit und ihren Wahn immer verabscheut. Nur die Liebe des Herrn begehrte ich. Ihm wollte ich dienen. An Seiner heiligen Tora und Seinen Geboten hatte ich immer Gefallen und um sie bemühte ich mich von meiner Jugend an bis jetzt mit all meiner Kraft. Und es ist für mein Alter angemessen, dass ich an Seinem Zeugnis festhalten will. Und ich will meinen Kindern nach meinem Tod Worte der Moral hinterlassen, damit auch sie auf guten Wegen wandeln. (YM, § 40, 119 f)101
Intention und Adressaten von Katzenellenbogens Text treten aus diesen Worten deutlich hervor. In Anbetracht seines fortgeschrittenen Alters und im Bewusstsein des näher rückenden Zeitpunktes seines Todes möchte Katzenellenbogen seinen Kindern ein Testament hinterlassen.102 Mit dem Begriff „Testament“ meint er jedoch nicht die schriftliche Regelung seines materiellen Nachlasses. Vielmehr will er seinen Kindern und Nachkommen mit Yesh Manchilin ein geistiges Vermächtnis in Form eines ethischen Testaments hinterlassen. Sein eigenes Leben als im religiösen Sinne vorbildlich darstellend, möchte er ihnen ethisch-moralische Wegweisungen an die Hand geben und sie dazu auffordern, dass sie auch nach seinem Tod ein dem religiösen Ideal entsprechendes Leben führen sollten: Ich habe die Tora gelernt, die rituellen Reinigungsvorschriften beachtet und bin in der Mikwe eingetaucht. […] Und mit Hilfe des Herrn beschäftigte ich mich mit der Tora Tag und Nacht. Von Seiner Tora wich ich nicht ab. […] Auch errichtete ich um mich herum Zäune, damit ich nicht strauchelte und scheiterte und nicht zu viel aß und trank […]. Auch vom Spiel hielt ich mich fern, entsprechend dem moralischen Inhalt des heiligen Gaon und Verfassers von Beth Yosef, bekannt durch sein Buch Maggid Mescharim.103 […] Meine lieben Kinder und Nachkommen, möget ihr 101 Diese Worte, in denen Katzenellenbogen seine Absicht ankündigt, ein Testament für seine Kinder verfassen zu wollen, hat er eigenen Angaben zufolge bereits im Jahr 1755 niedergeschrieben und sie später in sein Yesh Manchilin übertragen. Vgl. YM, § 40, 119 und im Register zu § 40, 487. 102 Preuss, Juden, 59, weist darauf hin, dass die „Beschreibung der Vergänglichkeit des Menschen und der Ungewissheit der Todesstunde als Einleitung zu Testamenten zum üblichen Repertoire gehört.“ 103 Gemeint ist Joseph Karo (1488, Toledo–1575, Safed). Karo war Halachist und Verfasser des Schulchan Aruch. Sein eigentliches Hauptwerk, aus dem der Schulchan Aruch ein Auszug ist, ist der Kommentar Beth Yosef zu den Arba Turim, einem halachischen Kompendium des Jakob ben Ascher (1280, Deutschland–1340, Toledo), das schnell uneingeschränkte Autorität erlangte. Es wurde von den bedeutendsten Halachisten kommentiert und war das Vorbild für Karos Schulchan Aruch. Karos Maggid Mescharim ist ein kabbalistisches Werk und enthält
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Charakterisierung des Werkes Yesh Manchilin
wandeln nach meiner Gerechtigkeit. Und Gott sei meine Hilfe. Er ist der Gott meiner Väter, der mir immer ein Retter war und immer sein wird. Und Er sei der Retter meiner Kinder und Kindeskinder. (YM, § 40, 120 f)
Das Anliegen, seinen Kindern ein ethisches Testament zu hinterlassen, wird von Katzenellenbogen biblisch begründet durch den oben bereits zitierten Vers aus Gen 18,19, in dem Gott Abraham aufträgt, seinen Kindern und seinem Haus zu befehlen, die Wege des Herrn zu halten.104 Abrahams weist darauf hin, dass die hebräische Wurzel 89J (eigentlich etw. befehlen/anordnen) des hier verwendeten Verbs häufig im übertragenen Sinne ausgelegt und im Sinne von „ein Testament machen“ interpretiert wurde.105 Das eigene Haus zu bestellen bzw. ein Testament zu hinterlassen käme insofern einem göttlichen Gebot gleich. Tatsächlich bezeichnet Katzenellenbogen sein Tun in seiner Einleitung auch als eine religiöse Pflicht für meine Söhne und Nachkommen. Möge es sie den Weg lehren, den ich von meinem Vater, dem frommen Gaon, sel.A., empfangen habe. Auch ich wandere auf den Spuren meiner Väter. Und es sei mir zum guten Gedächtnis nach meinem Tode. (YM, Einleitung, 69)
Katzenellenbogens Adressaten sind zunächst und vor allem also seine Kinder und deren Nachkommen. Sie spricht er in seinem Schreiben immer wieder direkt als die Empfänger seines Vermächtnisses an. Ob Katzenellenbogen über diesen eng definierten und rein familiär ausgerichteten Personenkreis hinaus auch ein größeres Publikum bzw. eine mögliche Veröffentlichung seines Werkes intendiert haben könnte, lässt sich dem Werk selber nicht entnehmen, erscheint aber als unwahrscheinlich. Neben dem Begriff „Testament“ (8499J) verwendet Katzenellenbogen häufig auch die Bezeichnung „Erinnerungsbuch“ (C9L?: LHE/Sefer Zikheron) für sein Werk.106 „Diese Angelegenheit schreibe ich in dieses Buch, euch zur Erinnerung“ ist eine Wendung, die häufig begegnet.107 Immer wieder geht es ihm dabei zunächst um die Bräuche, die innerhalb der Familie gepflegt und tradiert werden. „Da ich an den Tag meines Todes denke,“ schreibt Katzenellenbogen,
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Tora-Auslegungen und Offenbarungen, die Karo nachts durch einen himmlischen Mentor empfangen haben soll. Vgl. zu Karo Zinberg, History 5, 28ff und Zinberg, History 6, 37 ff. Vgl. YM, Einleitung, 69. Abrahams schreibt bezüglich Gen 18,19, diese Stelle „has been made the basis of an actual rubric, to be found in modern Jewish codes, enjoining on every father, as a bounden duty, to leave moral exhortations for his children’s guidance.“ Abrahams, Jewish, 448. Vgl. auch Abrahams, Hebrew, xxiii. Vgl. Abrahams, Jewish, 448. Alternativ verwendet er auch die determinierte Form (C9L?:8 LHE) oder die Pluralform (N9D9L?:8 LHE). Vgl. hier YM, § 38, 118. Oft heißt es auch: „Deshalb will ich euch diese […] Geschichte nicht vorenthalten und daran erinnern in meinem Buch, damit diese Sache von Generation zu Generation erinnert wird.“ (Vgl. z. B. YM, § 66, 167 und § 173, 268).
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beschäftige ich mich mit verschiedenen Werken, darunter einem, das ich Yesh Manchilin nenne. Darin schreibe ich verschiedene Gebräuche, Gesetze und Belehrungen auf. (YM, § 136, 231)
Der in der Familie bzw. vor allem durch den Vater vererbten Tradition hinsichtlich der Ausübung bestimmter Bräuche gebührt dabei absoluter Vorrang gegenüber anderen, hiervon abweichenden Traditionen, denn Katzenellenbogen betont: Ich halte an den Gebräuchen und Gesetzen fest, die ich gehört habe aus der Lehre meines Vaters Mose, auch wenn sie abweichen von den Gebräuchen der anderen. (YM, Register zu § 4, 483)
Ein weiterer Themenbereich, an den Katzenellenbogen erinnern möchte, betrifft die Familie sowie die Lebensgeschichten und Geschicke seiner Vorfahren, die er über sieben Generationen zurückverfolgt bis zu Meir Padua, dem Stammvater der Familie: Und nun will ich euch erzählen, was alles gewesen ist. Ich will an die Taten der Großen erinnern, unter denen ich aufwuchs, mit Hilfe des Herrn, Er sei gesegnet und gesegnet sei Sein großer Name. Ich will alles erzählen, was ich weiß, von allen Geschehnissen seit meiner Kindheit. Das Heil des Herrn habe ich gesehen. Und ich will von den wunderbaren Dingen berichten, die meinem Vater, dem frommen und heiligen Gaon, widerfahren sind und auch, was ich mit eigenem Auge gesehen habe. Und ich habe die Ehre des Herrn gesehen. Es sind in der Tat Geschichten von großen Wundern, die der Herr vollbracht hat, sowohl an unseren Vätern als auch an den Großen, unter denen ich aufwuchs, bis heute. Und in allem habe ich das Heil des Herrn, Er sei gesegnet und gesegnet sei Sein großer Name, gesehen. Und ich will dem Herrn danken und singen und ich will von all Seinen Wundern erzählen, die Er voller Gnade vollbracht hat alle Tage. Und ich will sie in diesem Buch festhalten zur Erinnerung für meine Nachkommen über Generationen hinweg. (YM, § 49, 143)
Zum Themenbereich der Familie gehört auch Katzenellenbogens Darstellung seines eigenen Lebens, wobei ihm insbesondere die verschiedenen Stationen seiner religiösen Ausbildung sowie die Bemühungen um angemessene Eheschließungen als wichtig erscheinen. Ein letzter Schwerpunkt ist schließlich dem Bereich des Lernens und dem persönlichen Studium gewidmet. Am eigenen Beispiel demonstriert Katzenellenbogen eingehend, was und wie gelernt werden soll: Ich will euch, meinen lieben Kindern und Nachfahren mitteilen, wie Gott mir geholfen hat beim auswendig lernen aller Traktate der Mischna, damit dieses mir mit Hilfe des Herrn zum Nutzen sei, meine Seele rein bleibe und die Gerechtigkeit vor mir wandle. Dies will ich euch zu Ohren kommen lassen von Anfang an bis zu meinem Ende, mit Hilfe meines Gottes, meines Retters. Und du, Herr, bist mein Schutz. Du stärkst mich mit Deiner Tora und mit dem Dienst an Dir jeden Tag, bis zum Tag meines Todes. (YM, § 49, 143)
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Charakterisierung des Werkes Yesh Manchilin
Das Ziel, das Katzenellenbogen verfolgt, scheint ein doppeltes zu sein. Zum einen möchte er, wie er schreibt, „seine Nachkommen erinnern“, d. h., das in der Familie gepflegte Brauchtum, die Geschichten der Vorväter sowie die richtige Ordnung des Lernens weiter tradieren, um mit Hilfe dieses Vorbilds auch seine Kinder „auf geraden Wegen wandeln zu lassen und den Herrn und Schöpfer zu preisen.“108 Entsprechend begründet er seine Beschäftigung mit Yesh Manchilin in einem Brief, den er am 3. Elul 1759 an seinen Sohn Jakob richtet und in sein Werk einfügt. Dort heißt es: Ich möchte darin meine Erinnerungen festhalten für die nächste Generation solange ich dies noch kann, denn ich bin alt und die Zeiten ändern sich. (YM, § 136, 229)
Gleichzeitig möchte Katzenellenbogen die Erinnerung an die eigene Person und an die Vorfahren im Gedächtnis der Nachkommen wach halten, um selber nicht in Vergessenheit zu geraten. Er schreibt: Jetzt, da ich ins Alter komme und mein Tod näher rückt, möchte ich, soweit es meine Kraft erlaubt, niederschreiben was ich hinter mir lasse, für meine Kinder und Nachkommen zum Gedächtnis und als Zeichen. (YM, § 204, 293)
Das eigene Andenken und das Andenken der Familie soll über die nachfolgenden Generationen hinweg bewahrt werden. Offenbar ist sich Katzenellenbogen der Vergesslichkeit bewusst, durch die bewährte Erfahrungen und Traditionen schon nach kurzer Zeit verloren zu gehen drohen. Die schriftliche Fixierung und Tradierung an die nächste Generation erhält daher umso größeres Gewicht. Dies wird beispielsweise deutlich anhand eines mit magischen Kräften ausgestatteten und vom Vater geerbten Rings, der zunächst jedoch für ihn wertlos geworden war, wie er schreibt, da er vergessen hatte wie und wofür der Ring anzuwenden sei. Erst das Auffinden der schriftlichen Aufzeichnungen hierüber im Notizbuch (EKDH/Pinkas) seines Vaters brachte ihn zurück auf den Wert dieses „wunderbaren Ringes.“ Katzenellenbogen selbst vererbt den Ring daher ausdrücklich zusammen mit der schriftlichen Erläuterung und Gebrauchsanweisung, die allein den Wert auch für die nächsten Generationen bewahren kann.109 Daneben scheint Katzenellenbogen Yesh Manchilin auch für sich selbst als eine Art Tagebuch zu nutzen. Als ihm 1758 in der Nacht von Rosch HaSchana der Vers „Und du legst mich in des Todes Staub (Ps 22,16)“ in den Sinn kommt, versteht er diesen als Omen für die Zukunft und notiert ihn mit folgenden Worten in Yesh Manchilin, um zu sehen, auf welche Weise sich seine Bedeutung enthüllen würde:
108 YM, Register zur Einleitung, 483. 109 Vgl. YM, § 20, 93 f.
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Yesh Manchilin als ethisches Testament
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Ich vollendete meine Absicht, mir dies ins Erinnerungsbuch zu schreiben und zu gucken, was in diesem Jahr mit Hilfe Gottes geschehen würde. (YM, § 30, 107)
Sein Erinnerungsbuch dient ihm hier als eine Art Pinkas. Solche Pinkassim wurden zunächst überwiegend als Geschäfts- oder Kassenbücher genutzt und finanzielle Transaktionen darin verzeichnet. Erst seit dem 16. Jahrhundert lassen sich daneben zunehmend auch persönliche Eintragungen feststellen, in denen von Träumen, Verfehlungen und anderen der Erinnerung würdigen Ereignissen die Rede ist. Dabei wurde die Bezeichnung Pinkas zuweilen auch durch den Begriff Erinnerungsbuch (C9L?: LHE/Sefer Zikheron) ersetzt.110 Auch Katzenellenbogens Vater Mose hielt, wie schon erwähnt, in solch einem Pinkas verschiedene Dinge, darunter Wunder- und Heilmittel, genealogische Angaben über seine familiäre Herkunft und andere Details aus der Familiengeschichte schriftlich fest, um sie nicht dem Vergessen anheim fallen zu lassen, in erster Linie aber wohl, um sie sich selbst zu merken.111 Er rät seinem Sohn, es ihm gleich zu tun.112 In Yesh Manchilin vermischen sich nun diese beiden Ebenen, wobei eindeutig festzustellen ist, dass es Katzenellenbogen vorrangig darum geht, Erinnerungen als eine Art geistiges Erbe für seine Kinder aufzuschreiben. Ungewöhnlich für die ansonsten eher kurzen ethischen Testamente113 ist freilich der Umfang, den Katzenellenbogens Werk insgesamt hat. Die gedruckte Ausgabe von Yesh Manchilin umfasst 346 Seiten (ohne den Anhang des Herausgebers). Darüber hinaus fällt auch der sehr ausführliche persönliche Inhalt des Werkes auf, was für ethische Testamente eher unüblich ist.114 Die ausführliche Schilderung persönlicher Erlebnisse und Erfahrungen dient Katzenellenbogen immer wieder zur Illustration seiner didaktischen Absichten. In diesem Sinne ist Yesh Manchilin als ethisches Testament mit autobiographischen Zügen zu verstehen. Katzenellenbogen entwirft durch sein Schreiben ein bestimmtes Bild von sich selbst. Die Konstruktion dieses Bildes verbindet sich mit der Intention, als Hüter für die nachfolgende Generation Grundlegendes zu bewahren und auf Zukunft hin festzulegen (cultural gatekeeping).
110 Zu Pinkassim vgl. Chajes, Accounting, 10 ff. 111 Vgl. u. a. YM, § 19 – 22, 93ff und § 136, 230. 112 In dem Brief, den Mose Katzenellenbogen am 5. Adar 1714 seinem Sohn aus Fürth schreibt, und der dem Manuskript von Yesh Manchilin beigeordnet ist, breitet er vor diesem ausführlich die Namen seiner Vorfahren aus und fordert ihn anschließend auf: „Schreibe sie dir vorläufig in dein Notizbuch [pinkas], so wie es dein Vater Mose getan hat.“ (YM, 59) 113 Vgl. zum üblicherweise geringen Umfang von ethischen Testamenten Dan, Literature, 526: „Ethical ,wills‘ usually refer to short, concise works in which the main principles of moral behavior are expounded.“ 114 Vgl. Bar-Levav, When, 47: „Only in some [ethical wills] do authors speak directly about themselves, and even then they do so in just a few short paragraphs.“
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4. Traditionen und Bräuche. Hüter gemeinsamer Normen Den ersten inhaltlichen Schwerpunkt in Yesh Manchilin bildet die Wiedergabe verschiedener Bräuche, die von Katzenellenbogen praktiziert werden und die er an seine Nachkommen weitergeben will. Er verwendet dabei den umfassenden Begriff „Minhagim“,1 um die Sitten und Gebräuche zu beschreiben, die für sein Leben prägend sind. Im Allgemeinen bedeutet Minhag „Brauch“ und ist von der Wurzel nhg („führen, lenken, sich betragen“) abzuleiten: „By definition, a minhag is a prevalent religious practice or usage not enjoined by normative regulations, in contradistinction to din, which is a normative prescription. Often, however, such usages assumed the status of normative regulations.“2 Charakteristisch für einen Minhag ist, dass er nur an einem Ort bzw. nur für eine bestimmte soziale Gruppe gilt und gerade keine universelle Gültigkeit beanspruchen muss. Hierin liegt ein spezifischer Unterschied zur allgemeinen und für alle verbindlichen Halacha. Ein Ortsbrauch (Minhag HaMaqom; Minhag HaMedina) kann eine rabbinisch fixierte Halacha zwar verdrängen (8?@8 @ü5B 68DB), allerdings handelt es sich in diesen Fällen um erschwerende Minhagim, die über die Halacha Hinausgehendes festlegen.3 Solche erschwerenden Bräuche haben dabei in gewisser Hinsicht Ähnlichkeit zu einem Gelübde. Im Unterschied zu einem freiwilligen Gelübde bindet der Minhag allerdings nicht nur ein Individuum, sondern eine ganze soziale Gruppe. Ferner bindet der Minhag nicht nur für die Gegenwart, sondern er bindet auch die folgenden Generationen.4 Bräuche leben von ihrer Tradierung von einer Generation zur nächsten. So ist für das spätmittelalterliche Aschkenas eine große Verbreitung von Minhagim-Büchern (Sifre Minhagim) prägend, die die jeweiligen Minhag-Traditionen eines Ortes (bzw. einer sozialen Gruppe) zusammenfassen und für die
1 Vgl. YM, § 48, 142. 2 Ta-Shma, Minhagim, 278. 3 Vgl. Lehnardt, Minhag, 50 und auch schon Guttmann, Stellung, 238. – Vgl. grundlegend auch Carlebach, Wesen, 351: „Nur solange der Minhag das religiöse Leben, wie es Tora und Talmud fordern und begründen, fördert und hebt, hat er verpflichtende, obsiegende Kraft.“ Oder, noch präziser : „Der Minhag hat am Din [d.h. an der Halacha] seine Grenze.“ ebd., 337. 4 Vgl. ebd., 346 f. Vgl. auch Elon, Minhag, 276: „The halakhic validity of a custom that prohibited what was legally permissible was justified by regarding this as a form of vow undertaken by the public, and the sanction against breaking such a custom as akin to that of the prohibition against breaking a vow.“ (Vgl. bNed 15a).
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Zukunft festhalten wollten.5 Seit mittelalterlicher Zeit werden in solchen Minhagim-Büchern lokale Bräuche gesammelt und erklärt.6 Im Abfassen von Minhagim-Büchern lässt sich das Bestreben der Verfasser erkennen, sich mit ihren Lehren an ein breiteres Publikum und nicht nur an einige wenige rabbinische Schüler zu richten.7 Vor allem der erste Teil von Yesh Manchilin (§ 1 – 47) ist fast ausschließlich dem Themenkomplex der Bräuche vorbehalten, doch finden sich auch im weiteren Verlauf des Werkes immer wieder Beispiele, in denen Katzenellenbogen bestimmte Bräuche, die von seiner Familie, seinen Lehrern oder auch nur von ihm selbst ausgeübt werden, für seine Nachkommen zur Erinnerung niederschreibt. Katzenellenbogen betont dabei immer wieder die Bedeutung, die die Vererbung dieser Traditionen durch den Vater hat.
„Die wahre Lehre kommt aus dem Mund des Vaters“ Katzenellenbogen schreibt an seine „lieben Kinder und Nachkommen“ von Bräuchen, die er zum großen Teil von seinem Vater übernommen hat, sowie von einigen wenigen, die er durch andere Autoritäten begründet sieht: Ich will vor euch alle Bräuche ausbreiten, an die ich mich mit Hilfe des Herrn gehalten habe, und von denen ich die meisten von meinem Vater, dem frommen Gaon empfangen habe. Und auch ein wenig davon, wie ich sie nach meiner Ansicht befolgte. Und es gibt unter ihnen auch solche, die ich in heiligen Büchern gefunden habe, mit denen ich mich immer unterhalte. Und auch etwas von dem Verhalten des frommen Gaon R. Gabriel8, sel.A., bei dem ich war, um seine Ansicht zu lernen, und er mochte mich sehr. (YM, § 48, 142)
An vielen Stellen scheint Katzenellenbogen wichtiger als die inhaltliche Darstellung einzelner Bräuche jeweils der Hinweis auf ihre innerfamiliäre Tradierung von einer Generation zur nächsten zu sein. Die Bräuche haben einen durch die Familie bestimmten autoritativen Charakter, wobei vor allem der väterlichen Autorität eine besondere Bedeutung zukommt. Das Bewusstsein einer solchen Traditionskette bzw. dieses Generationen übergreifende familiäre Band an seine Kinder und Nachkommen zu vermitteln, ist ein vor5 Vgl. ebd., 276: „Custom, because of its spontaneous and undirected nature, sometimes calls for a measure of supervision and control.“ Zur schriftlichen Kodifizierung von Minhagim seit dem späten Mittelalter vgl. auch Wilke, Kultur, 69. 6 Vgl. Pollack, Explanation, 208. 7 Vgl. Ta-Shma, Minhagim, 279. 8 Gemeint ist Gabriel Eskeles, der von 1709 – 1718 Rabbiner in Nikolsburg war. Vgl. Klenovsky´, Sites, 14. Er war Katzenellenbogens Lehrer als dieser sich 1711/12 in Nikolsburg aufhielt und der Vater von Katzenellenbogens zweitem Schwiegervater Jakob Eskeles.
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Traditionen und Bräuche. Hüter gemeinsamer Normen
dringliches Anliegen Katzenellenbogens bei der Niederschrift von Yesh Manchilin, das sich bereits in seiner Einleitung formuliert findet: Möge es sie [seine Kinder und Nachkommen] den Weg lehren, den ich von meinem Vater, dem frommen Gaon, sel.A., empfangen habe. Und auch ich wandere auf den Spuren meiner Väter. (YM, Einleitung, 69)
Die Bedeutung, die Katzenellenbogen der Tradierung des Brauchtums für die Erhaltung eines solchen innerfamiliären Bandes zuweist, wird schon dadurch ersichtlich, dass Katzenellenbogen sein Werk mit der Aufzählung von drei Bräuchen beginnt, die mein Vater, der Rabbiner und heilige Gaon, der fromme Aw Beth Din, das Andenken des Gerechten sei gesegnet, zu tun pflegte: Sich nicht den Bart zu rasieren, den Kiddusch erst nach dem Händewaschen zu sprechen und sich in der Stunde des Kidduschs so hinzustellen, wie es Maimonides, sel.A., getan hat. (YM, Register zu § 1, 483)
Der Umstand, dass Katzenellenbogens Vater diese Bräuche bereits von seinen Vorfahren übernommen hat, verleiht ihnen einen autoritativen Charakter, auch gegenüber abweichenden Meinungen hinsichtlich der Ausführung dieser Bräuche. Katzenellenbogen begründet sein eigenes Festhalten an diesen ausgewählten Bräuchen sowie die Aufforderung an seine Kinder, ebenfalls an diese Familientradition anzuknüpfen, indem er der Argumentation seines Vaters folgt, dessen Worte er gleich zu Beginn des ersten, auf die Einleitung folgenden Paragraphen zitiert und ihnen dadurch besonderes Gewicht verleiht: Dies ist es, was mein Vater mir geschrieben hat, der Gaon Aw Beth Din, unser Lehrer und Rabbiner Mose, das Andenken des Gerechten sei gesegnet: Siehe, ich sage dir, warum ich mir nicht den Bart rasieren will. Denn so habe ich es empfangen von meinem Vater, dem frommen Rabbiner, das Andenken des Gerechten zum Segen, des frommen Lehrers und Meisters, sein Andenken möge leben in der kommenden Welt.9 Und warum sollte ich davon abweichen? Und auch, dass ich meinen Bart mit meinen Händen glätten will, um die Haare von der Lippe zu entfernen.10 Damit halte ich daran fest, was im Sohar geschrieben ist. Und auch R. Beinish, der Ba’al Schem, hat mich hierüber gefragt und dies war meine Antwort. Weil mehr als zwei Drittel meiner Tage vergangen sind und ich es nicht getan habe, so werde ich es auch für den Rest meines Lebens nicht tun, ohne hierfür ein Gelübde abzulegen. Und hat nicht R. Isaak Luria geschrieben, dass man den Kiddusch am Abend des heiligen Sabbat vor dem Hän9 Gemeint ist hier Katzenellenbogens Großvater väterlicherseits, Saul ben Mose Katzenellenbogen (1617 – 1691), der in Brody, Chelm und in Pinczow als Rabbiner gewirkt hat. 10 Feld, der Herausgeber von Yesh Manchilin, weist darauf hin, dass selbst der große Kabbalist Isaak Luria das Haar an seinen Lippen mit einer Schere stutzte, wenn es ihm hinderlich beim Essen war. Katzenellenbogens Vater Mose nahm es also bei der Ausübung des Verbots, sich den Bart zu rasieren, noch genauer als dieser große Kabbalist. Vgl. YM, § 1, 71.
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dewaschen spricht. Auch diesbezüglich hat man mich gefragt, warum ich dies nicht so mache.11 Und ich habe gesagt, dass ich die Lehre meines Vaters, das Andenken des Gerechten sei gesegnet, nicht verlasse. Und auch ich stehe zur Stunde des Kiddusch nach Art des Maimonides, sel.A.12 Alles so, wie ich es so von meinem Vater, das Andenken des Gerechten sei gesegnet, empfangen habe. Und warum sollte ich davon abweichen, denn er war doch ein großer Chassid13 und hat den Geonim der Welt gedient. Und siehe, so waren auch sein Vater und der Vater seines Vaters Geonim und ich wandele auf ihren Spuren. […] Soweit seine Worte. Und auch ich wandele bezüglich all des Gesagten auf ihren Spuren. (YM, § 1, 71 f)
Selbst gegenüber anerkannten Autoritäten wie Isaak Luria14 oder auch dem sog. Ba’al Schem Benjamin Beinish15 erweist sich die familiäre Traditionslinie als stärker. Das Festhalten daran gilt für Katzenellenbogen als Erfüllung eines 11 Der Kiddusch ist ein Segensspruch, der am Vorabend des Sabbat über einem Glas Wein gesprochen wird, um den Sabbat zu heiligen. Üblicherweise wäscht man sich nach dem Kiddusch die Hände zur ersten Sabbatmahlzeit. Dies ist eine rituelle Waschung, da der häusliche Altar seit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels dessen Altar symbolisiert, so dass wie einst für die Priester das Waschen erforderlich ist. Vgl. Fohrer, Glaube, 81 und Lau, Juden, 126 f. Offenbar war es in der Familie Katzenellenbogens jedoch üblich, sich bereits vor dem Kiddusch die Hände zu waschen. 12 Mose ben Maimon (1135 – 1204), genannt auch Maimonides bzw. RaMBaM, wirkte als Philosoph, Rechtsgelehrter und Arzt. Er war Verfasser zahlreicher Schriften, darunter rabbinische Responsen und medizinische Werke. Als sein halachisches Hauptwerk gilt der Kodex Mischne Tora (1180), der nach dem Vorbild der Mischna den ganzen kasuistischen Traditionsstoff systematisch ordnen sollte. Sein philosophisches Hauptwerk ist der More Newuchim (1190), das als bedeutendstes Werk der jüdischen Religionsphilosophie des Mittelalters gilt. Es wurde 1204 von Samuel ibn Tibbon aus dem Arabischen ins Hebräische übersetzt. Maimonides Leichnam wurde in Tiberias bestattet. 13 Die Bezeichnung Chassid meint hier das Attribut einer besonderen Frömmigkeit. 14 Isaak ben Salomo Luria (1534 – 1572) war ein bedeutender Kabbalist. In der jüdischen Tradition ist Luria auch unter dem ehrenvollen Beinamen HaAri (der Löwe) bekannt. Dieses Akronym setzt sich aus den hebräischen Initialen für HaElohi Rabbi Yizhak (der göttliche Rabbiner Isaak) zusammen. Luria wurde in Jerusalem geboren und kam nach dem Tod seines Vaters mit seiner Mutter nach Kairo, wo er sich bereits mit der Kabbala beschäftigte. 1569/70 ging er mit seiner Familie nach Safed. Dort studierte er zunächst zusammen mit Mose Cordovero die Kabbala und versammelte nach Cordoveros Tod selber Schüler um sich, deren bedeutendster Chajim Vital war. Lurias Bedeutung entstammt seiner Neuinterpretation der praktischen und theoretischen Kabbala, der er eine neue, messianische Ausrichtung verlieh. Seine Lehre, die er mündlich überlieferte, wurde von Chajim Vital aufgezeichnet und verbreitet. Zu Luria vgl. Scholem, Mystik, 267 – 314. 15 Gemeint ist Benjamin Beinish HaKohen von Krotoszyn (ca. 1670–ca. 1725), ein wandernder Gelehrter und Kabbalist, der kein Gemeindeamt innehatte. Rosman, Founder, 22, bezeichnet ihn als „one of the most famous ba’alei shem of the early eighteenth century.“ Benjamin Beinish war der Verfasser des Sefer Imtahat Binyamin (Wilhermsdorf, 1716), in dem er u. a. magische Praktiken zur Behandlung von Krankheiten und anderen Gefahren beschreibt. Im Jahr 1720 hielt er sich in Katzenellenbogens Haus in der Gemeinde Wallerstein auf. Katzenellenbogen gibt verschiedene Wundermittel wieder, die er von ihm übernommen hat. Vgl. § 22, 24 und 31. Vgl. zu Benjamin Beinish außerdem Hundert, Jews, 149 f; Etkes, Makom [hebr.], 88ff sowie Etkes, Besht, 27 ff.
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Gebotes und ist ein Zeichen besonderer Frömmigkeit, Heiligkeit und Weisheit: Aus den Worten meines Vaters sel.A. wird seine große Frömmigkeit, Heiligkeit und Weisheit ersichtlich, weil er sich in diesen drei genannten Dingen nicht von den Bräuchen seiner Vorväter, der Geonim sel.A., fortbewegen wollte, um das Gebot zu erfüllen: Verlass nicht das Gebot deiner Mutter [Prov 1,8]. Und er hielt sein ganzes Leben lang daran fest. (YM, § 2, 72)
Die besondere Bedeutung der innerfamiliären Traditionskette ist für Katzenellenbogen durch die hohe und vornehme Herkunft von Katzenellenbogens Familie begründet, die sich bis zu Meir Padua und dessen Sohn Samuel Jehuda Padua ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Diese ehrwürdige Herkunft ist auch in Fragen des Brauchtums entscheidend, weil in umstrittenen Fragen, wie Katzenellenbogen sagt, hier die letztgültige Autorität zu finden ist: Am Kopf unserer Ahnenkette steht der Gaon Meir von Padua, sel.A., dem ich in der achten Generation folge, und alle sind Heilige und Geläuterte, große Lichter und Geonim gewesen, die die Erde und die darin Wohnenden erleuchtet haben. Der Herr gibt euch und euren Söhnen den Verdienst eurer Vorfahren weiter. Manchmal gibt es deshalb Gesetze oder Bräuche, die von der Meinung der anderen abweichen; und ich, wenn ich weiß, wie der Brauch meines Vaters, des frommen Gaon, sel.A. war, so verlasse ich die Lehre meines Vaters nicht, denn die wahre Lehre kam aus seinem Munde und er hat sie von seinen großen Vätern empfangen. Und es haben doch der Gaon R. Meir Padua und sein Sohn der Gaon Jehuda Padua Briefe ausgetauscht mit R. Mose Isserles und mit R. Salomo Luria, wie in ihren Responsen beschrieben ist. Daher kam mir die Idee zu diesem Werk, niederzuschreiben ihre Bräuche im Lernen und im Gebet, wie es R. Salomo Luria getan hat […]. So will auch ich es tun und der Herr wird mir helfen. (YM, § 4, 73)
Um die Bräuche seiner durch vornehme Abstammung ehrbaren Familie zu bewahren, entschließt Katzenellenbogen sich, deren Vorbild zu folgen und die Bräuche in Yesh Manchilin für seine Nachkommen aufzuzeichnen. Die Verbindlichkeit des in der Familie gepflegten Brauchtums tritt beispielsweise auch in § 115 hervor. Katzenellenbogen schildert hier eine Begebenheit aus der Zeit, als er in Prag studiert und häufig im Haus seines entfernten Verwandten R. Jakob Schulhof und dessen Sohn R. Jona Schulhof zu Gast ist.16 Zu Schemini Azeret17 des Jahres 1710 lädt Jakob Schulhof auch 16 Jakob Schulhof war der Sohn von R. Chajim Jona Teomim, dem Verfasser des Kikoyon d’Jona. Dieser wiederum war der Schwager von Pinchas Ur-Großvater R. Mose ben Meir, der als Rabbiner in Chelm gewirkt hatte. Er war verheiratet mit Bele, der Tochter von Meir Wahl Katzenellenbogen und Enkelin von Saul Wahl. Sein Sohn Jakob Teomim war verheiratet mit Jitle, einer Tochter von R. Anschel Schulhof in Prag, weshalb sich auch Jakob den Namen Schulhof beilegte. Zur Familie Teomim vgl. Lçwenstein, Familie, 346 – 348. 17 Als Schemini Azeret bezeichnet man das „Fest des achten Tages“, das unmittelbar auf die sieben
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Pinchas Onkel Sa’adja Jesaja ein, der sich zu dieser Zeit ebenfalls in Prag aufhält, bei ihm zu essen. Pinchas schreibt: Ich redete auf meinen Onkel ein und schließlich war er bereit, am Feiertag Schemini Azeret bei ihm zu essen unter der ausdrücklichen Bedingung, dass man in der Sukka esse, so wie wir es zu tun pflegten und wie es der Brauch war von R. Mose Isserles, dessen Worte zum Schulchan Aruch, Orach Chajim [§ 668] lauteten: Außerhalb des Landes [Israel] isst man während der Nacht und am Tag in der Sukka. Und R. Mose Isserles korrigierte seine Worte nicht und entsprechend seines Kommentars pflegte man sich zu verhalten. (YM, § 115, 209 f)
Ähnlich schreibt Katzenellenbogen über seinen Vater, dass dieser, als er im Haus von Jakob Schulhof wohnt, gerne auf die Einladung von Abraham Broda eingeht, zu Schemini Azeret bei ihm in seiner Sukka zu speisen: Mein Vater sagte ihm zu, weil er bei R. Jakob Schulhof, sel.A., wohnte, der zu Schemini Azeret nicht in der Sukka zu speisen pflegte. Daher nahm er wegen des Brauchs unserer Väter gerne die Einladung des Oberhauptes der Jeschiwa an, bei ihm in der Sukka zu essen. (YM, § 90, 185)
Katzenellenbogen hebt hier hervor, dass es im Gegensatz zu den Gepflogenheiten im Hause Jakob Schulhofs in seiner Familie üblich ist, auch zu Schemini Azeret die Mahlzeiten in der Sukka einzunehmen. Seine Familie folgt damit dem Brauch, den Mose Isserles in seinem Kommentar zum Schulchan Aruch festgeschrieben hat. Das Festhalten an diesem Brauch, der innerhalb der Familie über Generationen hinweg gepflegt wurde, ist so vordringlich, dass Katzenellenbogens Onkel der Einladung in das Haus von Jakob Schulhof, in dem dieser Brauch offenbar nicht gepflegt wurde, nur unter der Bedingung nachkommen kann, dass das Mahl entgegen der Gewohnheit der Hausherren in der Sukka stattfindet. Auf diese Weise begründet Katzenellenbogen, dass sein Vater zu Schemini Azeret erleichtert die Einladung in das Haus von Abraham Broda annimmt, in dem dieser Brauch ebenfalls aufrecht erhalten wird. 4.1.1 Bräuche, die der Autorität des Vaters folgen Die väterliche Autorität bei der Ausübung verschiedener Bräuche ist ein immer wiederkehrendes und wichtiges Motiv in Yesh Manchilin. Formelhaft kommt sie an verschiedenen Stellen zum Ausdruck, wenn es z. B. heißt: Tage des Sukkot-Festes folgt, jedoch ein eigenständiges Fest ist, dessen biblische Quellen in Lev 23,36 und Num 29,35 liegen. Da an diesem Feiertag das Gebot nicht mehr gilt, in der Laubhütte zu wohnen, muss ein Festhalten daran nicht als halachisches Gesetz, sondern vielmehr im Sinne eines Brauches verstanden werden, der keine universelle Geltung hat, sondern nur von bestimmten Gruppen als für sich verbindlich anerkannt wird. Zu Schemini Azeret vgl. Fohrer, Glaube, 108ff und Lau, Juden, 212 f.
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Traditionen und Bräuche. Hüter gemeinsamer Normen
In allen großen und kleinen Dingen wich ich nicht von dem ab, was mein Vater, sel.A., mir auftrug. Seinem Ratschlag folgte ich. Alles, was er mir schrieb, befolgte ich und auf seine Stimme hörte ich. (YM, § 114, 209)
Das Legen der Tefillin Als Katzenellenbogen seine erste Anstellung als Rabbiner in der Gemeinde Wallerstein innehat,18 wendet er sich mit einer Frage nach den vorgeschriebenen Worten für das Legen der Tefillin nach Art des Rabbenu Tam19 an seinen Vater, der ihm in einem Brief Antwort gibt. Katzenellenbogen richtet sich nach dem Ratschlag seines Vaters, geht aber noch darüber hinaus. Während dieser beim Legen der Tefillin nur zwei Abschnitte des Schema Israel sagt, pflegt Katzenellenbogen auch das Kaddisch zu sagen […] und auch die ganze Ordnung des Schema mit allen 248 Worten […], denn ich richtete mich damals auch nach den Tefillin Raschis, wie es der Brauch in der Gemeinde Nikolsburg war. (YM, § 223, 309 f)
Eine erschwerende und weiter reichende Tradition als die des Vaters ist kein Widerspruch zur Lehre und Autorität des Vaters. Der weitergehende Brauch war in der Gemeinde Nikolsburg üblich, wo Katzenellenbogen etwa vom Ijjar 1711 bis zum Adar 1712 bei Gabriel Eskeles studiert hatte.20 Katzenellenbogens Anfrage an seinen Vater und die Wiedergabe von dessen Antwort in Yesh Manchilin macht den autoritativen Charakter deutlich, den er der Meinung seines Vaters zuweist.
18 Katzenellenbogen wirkte dort von 1719 – 1720 als Rabbiner. Vgl. § 136, 232; § 150, 246; § 180, 274; § 223, 309. 19 Jakob ben Meir (um 1100 – 1171), genannt Rabbenu Tam, war ein bedeutender Talmudgelehrter und Enkel des Salomo ben Isaak (Raschi). Er galt in West- und Mitteleuropa als größter Gelehrter seiner Zeit und ist der Verfasser des Sefer HaJaschar, in dem einige seiner Responsen sowie Novellen zum Talmud vereint sind. Das Legen der Tefillin nach Art des Rabbenu Tam bzw. des Raschi bezieht sich auf die Reihenfolge der vier einzelnen Bibeltexte (Ex 13,2ff; Ex 13,11ff; Dtn 6,4ff; Dtn 11,13ff), die in die vier einzelnen Zellen der Kopftefillin gesteckt werden. Üblicherweise folgt die Reihenfolge, in der die Tefillin angelegt werden, der Entscheidung Raschis (1040 – 1105). Sie beginnt links und endet rechts. Ganz strenge Juden legen die Tefillin jedoch auch nach der Art von Rabbenu Tam, der eine andere Ordnung in den Kopftefillin einführte. Ihm folgend enthält die dritte Kapsel das Zitat aus Dtn 11,13ff und die vierte Kapsel, die nach außen liegt, den Text aus Dtn 6,4 ff. Vgl. ebd., 22. 20 Katzenellenbogen berichtet auch von anderen Bräuchen, bei denen ihm Gabriel Eskeles als Vorbild dient. Vgl. z. B. unter YM, § 174, 269 einen Brauch, der das Segnen der Sabbatlichter beim Anzünden betrifft.
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Warnung vor dem Umgang mit den „Heiligen Namen“ Ein weiteres Beispiel für die entscheidende väterliche Autorität beim Befolgen von Bräuchen ist Katzenellenbogens warnende Haltung in Bezug auf die Beschäftigung mit den sogenannten Heiligen Namen. Gemeint sind die Gottesnamen, denen in der volkstümlichen jüdischen Tradition magische Kräfte zugeschrieben werden.21 Bereits Katzenellenbogens Großvater Saul Katzenellenbogen hatte in seinem Testament eine Bestimmung getroffen, die vorsah, dass seine Kinder und Nachkommen „sich niemals mit den Heiligen Namen“ beschäftigen sollten.22 Katzenellenbogen bekräftigt diese Warnung durch die Wiedergabe einer Begebenheit, die sein Onkel Sa’adja Jesaja ihm über Naphtali Katz erzählt hat, dessen Schwiegersohn er war und dem eine besondere Affinität zur praktischen Kabbala nachgesagt wurde.23 Die Geschichte liefert ein Beispiel für die in den Heiligen Namen verborgene Macht, vor allem aber für die Gefahren, denen sich jene aussetzen, die sich dieser Macht bedienen:24
21 Der Glaube an eine solche Macht der Gottesnamen entspringt allerdings weniger einer magischen Theorie, als vielmehr einer Theologie, deren Ziel die Betonung der Ehre Gottes und seiner Einzigkeit ist. Die den Gottesnamen zugeschriebene Macht wird als Beweis für die Größe Gottes und seine überirdische Allmacht verstanden. Die Wurzeln dieser Namenstheologie liegen bereits in den Schriften der frühen Hechalotmystik begründet. Im Mittelalter wurde sie vor allem durch die Chassidei Aschkenas aufgegriffen. Das aus dem 12./13. Jahrhundert stammende Sefer Chassidim, das als Volksbuch für den einfachen und frommen Juden weite Verbreitung fand, spricht ausführlich von der Verfügbarkeit der Gottesnamen und ihrer wundermächtigen Wirkung. Zugleich wird in ihm vor möglichen Gefahren gewarnt, die der Umgang mit den Heiligen Namen nach sich ziehe und die etwa in einer Verkürzung des Lebens oder in der Rache der mit den Namen ebenfalls heraufbeschworenen Engel und Dämonen bestehen könne. Somit ergibt sich ein zwiegespaltenes Bild hinsichtlich der Heiligen Namen, die auf der einen Seite positiv als Zeichen für die Allmacht Gottes gezeichnet werden, vor deren Benutzung auf der anderen Seite jedoch wegen der damit verbundenen Gefahren nachdrücklich gewarnt wird. Vgl. Grçzinger, Wundermänner, 190 ff. Zu den Gefahren, die einer Beschäftigung mit den Gottesnamen zugeschrieben werden, vgl. auch Nigal, Magic, 4 und Trachtenberg, Magic, 83: „An element of danger was recognized in the indiscriminate handling of such powerful forces – like charges of dynamite, they could destroy the unwary magician.“ 22 YM, Register zu § 14, 484. Vgl. zu dieser Weisung Saul Katzenellenbogens an seine Nachfahren auch Etkes, Makom [hebr.], 78 f und Etkes, Besht, 15. 23 Vgl. zu Naphtali Katz’ Interesse an der praktischen Kabbala bei Liebes, Profile, 208; Etkes, Makom [hebr.], 87 und Grçzinger, Legenden, 179ff, der einige Legenden aufzählt, in denen Naphtali Katz magische Fähigkeiten zugeschrieben werden. 24 Hundert beschreibt ein zur damaligen Zeit allgemein verbreitetes Bewusstsein für die Gefahren, die von der Beschäftigung mit den Heiligen Namen ausgehen konnten. Vor der Beschäftigung mit den Namen wurde gewarnt. Jedoch, so Hundert, Jews, 149: „Precisely the dangerous quality of the magic was an integral part of its attractiveness.“ Vgl. außerdem Rosman, Founder, 24: „Contact with the Divine, while helpful to others, can be dangerous to the practitioner. One can be easily consumed in the fire of holiness.“
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Einmal des Nachts sagte er [Naphtali Katz] zu seinem jungen Diener : Geh in mein Zimmer und bring mir das Buch, das auf dem Tisch liegt. Aber hüte dich davor, das Buch zu öffnen und schaue nicht hinein. Der Diener ging ohne böse Absicht und die Angelegenheit erschien ihm etwas lächerlich und er sagte zu sich: warum soll ich mich davor hüten, wie mir unser großer Meister gesagt hat und was sollte mir passieren, wenn ich das Buch öffnete. Und er ging ohne böse Absicht und öffnete das Buch und er sah darin einige Namen geschrieben. Und im selben Moment, da er hineinsah, wurde er närrisch und es bemächtigte sich seiner der Geist der Torheit (und ich weiß nicht, ob er nur hineingesehen oder aber auch einige der Namen gelesen hat). Und sofort füllte sich das Zimmer mit bösen Geistern. Und als unser heiliger Meister merkte, dass sich der Knabe länger aufhielt, eilte er selber in das Zimmer und erschrak sehr, als er sah, dass das Zimmer voller böser Geister war. Und unser heiliger Meister musste all seine Tricks, all seine Weisheit und die Heiligen Namen aufbringen, bis er die Geister aus dem Zimmer vertrieben hatte. Und er reinigte es, bis seine anfängliche Reinheit und Heiligkeit wieder hergestellt war. Doch an dem jungen Dienstboten hing weiterhin ein böser Geist. Und um das, was mein Onkel lang erzählte, kurz zu fassen: der junge Dienstbote wurde von den bösen Geistern verfolgt, bis er nirgendwo mehr Ruhe fand. Nur wenn er in das Zimmer des Schwiegervaters meines Onkels, des heiligen Gaon, sel.A., kam, fand er Ruhe, weil er ihn noch einmal mit den Heiligen Namen behandelte und ihn läuterte, so dass er Ruhe fand. Doch wenn der junge Diener das Zimmer des Schwiegervaters verließ, kamen die bösen Geister, ihn zu quälen und zu verfolgen. Und so erzählte mir mein Onkel, sel.A.: Eine Erneuerung dessen sah ich, als derselbe junge Dienstbote in mein Haus und in das Zimmer, in dem ich war, kam und er dort Ruhe fand, obwohl ich mich nicht mit den Heiligen Namen beschäftigte, wie es uns unser Vater, sel.A., aufgetragen hatte. Dennoch staunte ich, als ich sah, dass überall, wo der junge Dienstbote hinging, er keine Ruhe fand, außer, wenn er zu mir in mein Zimmer kam und auch, wenn er zu meinem Schwiegervater ins Zimmer kam, der ihn mit den Heiligen Namen behandelte. Doch ist dieses keine so große Neuerung wie jene, dass er Ruhe fand, wenn er zu mir ins Zimmer kam, da ich mich nicht mit den Heiligen Namen beschäftigte, weil mir mein Vater dies so aufgetragen hatte. (YM, § 15, 87 f)
Um die Warnung seines Großvaters zu unterstreichen, führt Katzenellenbogen auch verschiedene andere verbreitete Werke an, darunter das Sefer Pelach HaRimon von Menachem Asaria di Fano25 und das Sefer Chassidim, die sich zu den bestehenden Gefahren im Umgang mit den Heiligen Namen äußern. Aus letzterem zitiert Katzenellenbogen, dass derjenige, der sich mit den „bösen Geistern“ einlässt, mit schwerwiegenden Konsequenzen und möglicherweise sogar mit einem vorzeitigen Ende seines Lebens rechnen muss: 25 Der aus Italien stammende Menachem Asaria di Fano (1548 – 1620) beschäftigte sich von seiner Jugend an mit der Kabbala und war ein großer Anhänger der Lehre Isaak Lurias, die er in zahlreichen Werken und in seiner Jeschiwa, die junge Männer nicht nur aus Italien, sondern auch aus Deutschland und Polen anzog, propagierte. Er stand in regelmäßigem Schriftkontakt mit Mose Cordovero. Vgl. Zinberg, History 4, 122 f.
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Und ich füge euch hinzu zu den Worten des Testaments meines Großvaters sel.A. und schreibe euch, was am Ende des Sefer Chassidim geschrieben steht: Die bösen Geister heften sich nur an denjenigen, der sich mit ihnen beschäftigt. So wie z. B. er und seine Väter Amulette schrieben oder sich mit Geisterbeschwörung und Traumdeutung beschäftigten. Daher beschäftigte sich niemand damit und behauptete auch keiner, dass man durch Geisterbeschwörung und Amulette die Seele öffne, denn dieses ist keine Wissenschaft, da sie das Leben der Nachkommen verkürzt wie es heißt [Dtn 18,13]: Makellos ist der, der nichts tut außer zu beten und um Erbarmen zu bitten. Soweit die Worte des Sefer Chassidim. (YM, § 16, 88)
Ausdrücklich benennt Katzenellenbogen also das Risiko, das diejenigen eingehen, die sich zu sehr mit der Magie beschäftigen und verweist auf das schlimme Schicksal, das auch bekannte Personen aus seinem näheren Umfeld getroffen hat, nachdem sie sich darauf eingelassen haben. Auf diese Weise tradiert Katzenellenbogen die Warnung seines Großvaters anschaulich an seine eigenen Kinder weiter und fordert sie auf, sich von den Heiligen Namen fernzuhalten: Ich Geringer weiß und kann bezeugen, dass auch ich Männer kannte, die sich mit den Namen auskannten und sich mit ihnen zu ihrer Zeit beschäftigten. Ich weiß, dass viele, oder sogar alle von ihnen nicht auf reinem Wege verstorben sind. Einige haben sich selbst geschädigt, andere haben ihre Tage verkürzt und wieder anderen waren keine Nachkommen vergönnt. Selbst jener Gerechte, jener heilige und geläuterte Mann, unser großer Rabbiner der Gaon R. Naphtali Katz, sel.A., wurde am Ende seiner Tage geschädigt, als die Härte des Gesetzes ihn traf.26 Und sie traf auch die Kinder seiner Kinder, die starben usw. […] Deshalb will ich nicht zögern, diese Dinge aufzuschreiben zur Erinnerung für die kommenden Generationen, damit sie lernen und auch, damit sie verstehen und lehren. (YM, § 16, 89)
Die ausdrückliche und eindeutige Warnung wird von Katzenellenbogen also uneingeschränkt an seine Nachkommen weitergegeben. Doch trotz dieser Warnung und trotz seines Bewusstseins über die Gefahren, die der Gebrauch der Heiligen Namen mit sich führen kann, ist die Faszination, die sie auf ihn ausüben, unverkennbar.27 So gibt Katzenellenbogen zu, sich in Ausnahmefällen selber der wirksamen Kräfte der Heiligen Namen bedient zu haben, wenn er etwa im Register zu § 23 andeutet:
26 Vermutlich spielt Katzenellenbogen hier darauf an, dass im Haus von Naphtali Katz im Jahr 1711 der große Frankfurter Ghettobrand ausgebrochen war und er der Legende nach vergeblich versucht hatte, das Unglück durch seine Beschwörungen zu verhindern. Naphtali Katz kam ins Gefängnis und verlor seinen Posten als Rabbiner der Gemeinde in Frankfurt am Main. Vgl. Grçzinger, Wundermänner, 191; Grçzinger, Legenden, 188 und Liebes, Profile, 208. Katzenellenbogen erwähnt den Brand auch unter YM, § 143, 239. 27 Vgl. zu Katzenellenbogens ambivalenter Haltung gegenüber der praktischen Kabbala auch Zinger, Hearts, 88.
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Ich selber habe nie die Heiligen Namen benutzt, bis auf ein geringfügiges Mal auf Geheiß des hervorragenden Ba’al Schem R. Joseph aus Jerusalem. (YM, Register zu § 23, 485)
Insbesondere wenn es darum geht, Heilmittel gegen Krankheiten oder gegen Unreinheit zu beschaffen, greift Katzenellenbogen im Zweifelsfall doch auf die Dienste verschiedener Ba’alei Schem und deren Kenntnisse über die Heiligen Namen zurück.28 Ein ähnlicher Zwiespalt ist im Blick auf seinen Vater erkennbar, von dem Katzenellenbogen zunächst schreibt, dass er sich, wie auch sein Bruder Sa’adja Jesaja, an die Weisung im Testament ihres Vaters gehalten und es vermieden hätte, sich mit den Heiligen Namen zu beschäftigen, „weil uns dies mein Großvater R. Saul aufgetragen hatte.“29 Doch kurz darauf schon äußert sich Katzenellenbogen zu den Kenntnissen seines Vaters auf dem Gebiet der Heiligen Namen und verrät, dass sein Vater ihm in seinem Notizbuch wundersame Heilmittel überliefert hat, die auf dem richtigen Umgang mit diesen Namen beruhten.30 Er schreibt: Ich weiß, dass mein Vater, der fromme Gaon, sehr bewandert war und große Kenntnisse der heiligen und reinen Namen hatte. (YM, 17, 89)
Katzenellenbogen versucht diesen Widerspruch durch die fließenden Übergänge zwischen der praktischen Kabbala bzw. dem magischen Wissen und der verbreiteten lurianischen Kabbala zu erklären, deren Studium er befürwortet: Auf jeden Fall soll man sich von jenen Heiligen Worten fernhalten, die mit der praktischen Kabbala in Verbindung stehen. Hingegen soll man in den Büchern der richtigen Kabbala lernen, die uns in der heiligen Schrift von Isaak Luria überliefert sind, denn obwohl auch darin Heilige Namen zu finden sind, ist über diese nichts gesagt und nichts angeordnet. (YM, § 17, 89)
Sein Vater habe sich, so Katzenellenbogen, in die lurianische Kabbala vertieft und darüber auch Kenntnisse der Heiligen Namen gewonnen, deren Faszination auch auf Katzenellenbogen selbst ausstrahlt.31 Dies ist sicherlich auch vor dem Hintergund zu betrachten, dass die praktische Kabbala allgemein starke Anziehungskraft auch auf die gelehrte Elite der jüdischen Gesellschaft jener Zeit ausübte.32 Ehrfurcht gegenüber Ba’alei Schem und ihrem Wissen auf 28 Vgl. zu den magischen Wundermitteln, die Katzenellenbogen verschiedentlich einsetzt auch die Ausführungen unter 4.2.2 sowie bei Etkes, Makom [hebr.], 77 ff. 29 YM, Register zu § 15, 484. 30 Vgl. YM, § 19 – 22, 93 ff. 31 Wie Hundert, Jews, 148, beschreibt, wurde im 18. Jahrhundert das esoterische Wissen der Kabbala weithin nicht von dem Bereich der Magie unterschieden: „Magic was one dimension of esoterism, of Kabbalah.“ Dies lässt sich, so Hundert, auch in den Darstellungen von Katzenellenbogen erkennen: „The author of Yesh manhilin did not distinguish between his father’s knowledge of Lurianic Kabbalah and his familiarity with ,names‘“. 32 Vgl. Rosman, Founder, 20: „While not all rabbis were Kabbalistic adepts, they were generally
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der einen, Skepsis und Kritik bzw. die Angst vor nicht einzuschätzender Gefahr auf der anderen Seite, kennzeichnen die ambivalente Einstellung, die nicht nur in Katzenellenbogens Familie sondern allgemein gegenüber der praktischen Kabbala vorherrschend war und die in Yesh Manchilin zum Ausdruck kommt.33 Sowohl Mose Katzenellenbogen als auch sein Sohn waren davon überzeugt, dass es wichtig war, um die Heiligen Namen und die ihnen innewohnende Macht zu wissen. Beide waren zu einem gewissen Grad mit ihnen vertraut und durchaus bereit, ihr Wissen weiterzugeben und wenn es notwendig war, auch anzuwenden. Daneben bleibt jedoch die uneingeschränkte Warnung von Katzenellenbogens Großvater Saul bestehen, die auch weiterhin an die Nachkommen tradiert wird. Die väterliche (bzw. auch großväterliche oder familiäre) Autorität wird dadurch bekräftigt und soll auch für die kommenden Generationen gewahrt bleiben.
Schreibweise seines Namens Die Autorität des Vaters ist weisend, selbst gegenüber einem Detail in der Krakauer Ausgabe des Schulchan Aruch aus dem Jahr 1617. Katzenellenbogen beschreibt verschiedene Bräuche hinsichtlich der hebräischen Schreibweise seines Namens Pinchas und erklärt: Ich schreibe mich aber ohne Jod, weil mein Vater, der fromme Gaon, sel.A., mich so angewiesen hat, da es in unserer erhabenen Familie üblich war, alle, die diesen Namen trugen, ohne Jod zu schreiben. Schaue ich aber am Ende des Schulchan Aruch, Jore De’a [Druck Krakau], so heißt es dort: Vollendet am 25. Tevet des Jahres 1617 hier in der Gemeinde Krakau unter Beteiligung bei der heiligen Arbeit durch R. Samuel, den Sohn des großen Gaon und Fürsten, des frommen und vollkommenen R. Pinchas Horowitz, sel.A. Und siehe, der Name Pinchas ist dort mit Jod geschrieben. Und er war der Schwiegervater des Gaon Aw Beth Din von der Gemeinde Brest, des R. Meir, sel.A., und dieser war der Sohn unseres Herrn und berühmten Vorfahren R. Saul Wahl, sel.A. Aber mein Vater hielt daran fest, dass all unsere Familienangehörigen, die den Namen Pinchas trugen, sich ohne Jod schrieben. Aber am Ende der erwähnten Stelle des Schulchan Aruch wird das Jod geschrieben. Möglicherweise ist dies ein Fehler des Druckers. […] Die Ansicht meines Vaters ist die entscheidende. (YM, § 131, 225) admirers of the masters of Kabbalah and believers in its theurgic efficacy.“ Zur Verbreitung der Kabbala vgl. auch Elbaum, Petichut [hebr.], 184, 219 f und 353. Auch Etkes, Makom [hebr.], 77 f, weist darauf hin, dass der Glaube an die Wirkungskraft „magischer Praktiken“ keinesfalls auf die unteren Schichten der jüdischen Gesellschaft beschränkt, sondern auch unter der gelehrten Elite verbreitet war, und dass das Wissen hierüber gerade innerhalb der rabbinischen Kreise von Generation zu Generation weitergegeben wurde. 33 Vgl. Rosman, Founder, 20ff und Etkes, Makom [hebr.], 85 f.
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4.1.2 Abweichungen von der Lehre des Vaters Bisweilen erscheinen jedoch auch Widersprüche bzw. Spannungen zwischen dem als unbedingt vorbildlich und nachahmenswert dargestellten Verhalten seines Vaters und Katzenellenbogens eigenem Verhalten. Katzenellenbogen verschweigt nicht, dass er Bräuche zuweilen nach eigener Ansicht befolge bzw. die Entscheidungen anderer Autoritäten dabei ebenfalls berücksichtige.34 Dies trifft besonders auf drei Bereiche zu: Das Ablegen von Gelübden, den Umgang mit Träumen und Fastengewohnheiten. Dabei werden die Abweichungen zumeist nicht reflektiert, so dass das Verhalten seines Vaters auch nicht grundsätzlich hinterfragt, sondern vielmehr weiterhin als maßgeblich beschrieben wird. Umgang mit Gelübden Mose Katzenellenbogen hat davor gewarnt, Gelübde abzulegen. Mit einem solchen Gelübde (L7D/Neder) oder Eid ist in der jüdischen Tradition nach Dtn 6,13 und Dtn 10,20 die Bekräftigung einer Behauptung bzw. die Selbstverfluchung des Schwörenden gemeint, sofern er die Unwahrheit sagt oder das Versprochene nicht einhält.35 Katzenellenbogen schreibt diesbezüglich über seinen Vater, dass er sehr vorsichtig war und niemals leichtfertig Gelübde ablegte. Er nahm dies sehr genau und schrieb: Ich werde für den Rest meines Lebens kein Gelübde ablegen. Dies zeugt von großer Tüchtigkeit und Enthaltsamkeit. Von seinen Worten lernen und übernehmen wir die große Lehre, vorsichtig gegenüber Gelübden zu sein. Und so halte ich es, auch wenn ich mir manchmal etwas auferlege, sei es hinsichtlich der Erfüllung der Gebote oder aber hinsichtlich des Studiums eines bestimmten Lernstoffes. In jedem Fall sage ich: Ich nehme es auf mich ohne Gelübde. (YM, § 2, 72)
Katzenellenbogen beteuert zwar, durch das Vorbild seines Vaters Vorsicht in Bezug auf das leichtfertige Ablegen von Gelübden gelernt zu haben. Dennoch scheint er von der Praxis, Gelübde abzulegen, etwa um am Jahrtag verstorbener Verwandter zu fasten, regen Gebrauch gemacht zu haben. So schildert er beispielsweise auch ausfürhlich, wie er sich von diesen schließlich wegen körperlicher Schwäche und beruflicher Belastung wieder befreien muss.36
34 YM, § 48, 142. 35 Vgl. Illian, Eidesleistung, 138. 36 Vgl. z. B. YM, § 43, 133 und § 45, 137.
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Umgang mit Träumen Träumen wurde in der Frühen Neuzeit eine besondere Bedeutung zugemessen, da sie als Kontakt zum Übernatürlichen gedeutet werden konnten.37 Auch aus rabbinischer Tradition kommt der Deutung von Träumen besondere Relevanz zu. So heißt es im Traktat Berakhot im Namen von R. Chasda: „Ein Traum, der nicht gedeutet wird, ist wie ein Brief, der nicht gelesen wird.“38 Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Brisanz, die jeder Beschäftigung mit Träumen innewohnen musste, denn, so heißt es ebenfalls schon in bBer 55b: „Jeder Traum folgt seiner Deutung“39, d. h. wie man den Traum deutet, so wird er sich auch erfüllen.40 Katzenellenbogen schildert eine ganze Reihe von Träumen, die von besonderer Bedeutung für ihn sind. Im Traum wird ihm beispielsweise sein Namensvers offenbart, der für ihn eine grundlegende Bedeutung für sein Leben erhält. Katzenellenbogen schildert, wie er im Alter von 12 oder 13 Jahren in der Tora nach einem Vers gesucht hat, der mit dem Anfangsbuchstaben seines Namens beginnen und mit dem letzten Buchstaben seines Namen enden sollte. Er lebte damals in Fürth, wo sein Vater Talmudlehrer im Beth Midrasch war. Dort hielt sich zu dieser Zeit auch Abraham Rovigo auf, der dem jungen Pinchas, wie dieser rückblickend schreibt, im Traum erschien: In jenen Tagen, als ich, wie oben beschrieben, damit beschäftigt war, in den heiligen Büchern nach einem Vers mit meinem Namen zu suchen, lag ich einmal, und da geschah es, dass mir im Traum der heilige R. Abraham Rovigo, sel.A., erschien. Sein heiliger Mund sprach zu mir und er rief mich bei meinem Namen: Pinchas, du möchtest den Vers deines Namens wissen. Höre auf meine Stimme, ich will dir folgenden Vers zum Guten raten: Der Herr erlöst die Seele seiner Knechte, und alle, die auf ihn trauen, werden frei von Schuld sein. (Ps 34,23) Und er sagte mir : Auch, wenn dieser Vers nicht mit dem letzten Buchstaben deines Namens endet, so finden sich doch alle Buchstaben deines Namens in diesem Vers. (YM, § 6, 74)
Zahlreiche weitere Träume, die Katzenellenbogen schildert, folgen unterschiedlichen Mustern. In einzelnen Fällen lösen die Träume für Katzenellenbogen ein Problem, das ihn beschäftigt und für das er unmittelbar keinen Rat weiß. So erscheint ihm beispielsweise das entscheidende Urteil im Streitfall um einen Schochet, dem vorgeworfen wird, sein Handwerk nicht den hala37 Vgl. Trachtenberg, Magic, 233: „It was in dreams that the supernatural world communicated directly with the natural; its knowledge of the future could most readily be transmitted to men through this medium.“ 38 Vgl. bBer 55a: 4=LKB 4@7 4NL64? – LMHB 4@7 4B@; :47E; 5L LB4. 39 Vgl. bBer 55b: 8H8 L;4 A=?@98 N9B9@;8 @?. – R. Elieser belegt diesen Grundsatz mit einem Verweis auf Josephs Traumdeutungen in Gen 41,13: „Und wie er es uns deutete, so ist’s gekommen“ (8=8 C? 9D@ LNH LM4? =8=9). 40 Vgl. ebd., 235 ff.
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chischen Regeln gemäß zu versehen, im Traum.41 An anderer Stelle erhält Katzenellenbogen durch einen Traum den Hinweis darauf, dass ungeklärte Todesfälle in der Gemeinde Boskowitz auf einen Verurteilten zurückzuführen sind, der seinem Urteilsspruch nicht nachgekommen ist und keine Reue über sein Vergehen gezeigt hat.42 Darüber hinaus bewahren Träume Katzenellenbogen entweder vor Bösem oder vor sündhaftem Verhalten.43 Träume offenbaren ihm schließlich immer wieder eine Vorsehung.44 Katzenellenbogen zeigt sich einer untergründigen Botschaft von Träumen gegenüber also durchaus als zugänglich und empfänglich. Er schildert, wie ihm mittels seiner Träume Rat und Hilfe in verschiedenen Lebenslagen zuteil werden. Umso erstaunlicher ist es daher, dass er unter § 12 alles vorher Gesagte scheinbar in Frage zu stellen scheint, wenn er behauptet: Und nun meine lieben Kinder und Nachkommen, glaubet nicht, dass ich mich auf Träume stütze und meine, dass sie die Wirklichkeit widerspiegeln. (YM, § 12, 79)
Diese Aussage steht in deutlichem Widerspruch zu seinen Ausführungen während der vorangegangenen Paragraphen und an anderen Stellen von Yesh Manchilin. Sie lässt sich jedoch dadurch erklären, dass er auch in Bezug auf den Umgang mit Träumen das Beispiel seines Vaters als unbedingt maßgeblich darstellen möchte, unabhängig davon, ob sein eigenes Verhalten, so wie er es geschildert hat, diesem Vorbild zu entsprechen vermag. Mose Katzenellenbogen lehnte es ab, Träumen eine besondere Bedeutung zuzumessen. Über das Verhältnis seines Vaters zu Träumen schreibt Pinchas Katzenellenbogen: Mein Vater, der große Weise und Fromme, sel.A., meinte, dass die Worte der Träume nicht der Wirklichkeit entsprachen und man sich nicht auf sie stützen sollte. Niemals habe ich gesehen, dass er sich mit Fasten kasteit hätte, um zu träumen, und ich kann mich nicht erinnern, dass er Gutes von Träumen hielt […]. Im Gegenteil, er sagte, dass niemand eine Lösung dadurch finden würde, dass er an den Herrn der Träume glaube, denn wenn er dies täte, hätte er keine Ruhe mehr vor dem Herrn der Träume und dieser würde ihn mit vielen Träumen stören. Doch wenn der Herr der Träume sehen würde, dass seine Träume nicht beachtet werden, dann hätte er Ruhe und könnte all seine Tage in Freude verbringen. Wenn aber die Träume beachtet würden, dann hätte er keine Ruhe mehr und seine Tage wären voller Kummer und Seufzer. Es
41 Vgl. YM, § 8, 75 – 78. Vgl. zu diesem Streit, der sich während Katzenellenbogens Zeit als Rabbiner in der Gemeinde Leipnik im Jahr 1722 zwischen dem dortigen More Zedek, der dem Rabbiner in Belangen des rituellen Gesetzes, wie der Aufsicht über die Kaschrut, den Sabbat, die rituellen Gebete etc. assistieren sollte sowie der übrigen Gemeinde zugetragen hat, vgl. ausführlich bei Rosman, Founder, 31 f. 42 Vgl. YM, § 64 f, 162 ff. 43 Vgl. z. B. YM, § 7, 75 und § 9, 78. 44 Vgl. z. B. YM, § 13, 81.
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bliebe ihm nur noch, seine Hoffnung auf den Herrn zu setzen, dass dieser ihm Erlösung und Erleichterung bringe. (YM, § 12, 79).
Auch entgegen den Gewohnheiten seines Schwiegervaters Elieser Heilbronn, in dessen Haus Katzenellenbogens Vater nach seiner Heirat zunächst mit seiner Frau lebt, beharrt Mose Katzenellenbogen auf einer strikten Warnung vor der Beschäftigung mit Träumen. Seinem Sohn Pinchas erzählt er von einer „wundersamen Begebenheit“45 aus dieser Zeit, die Pinchas folgendermaßen festhält: Sein Schwiegervater beachtete die Worte der Träume und kasteite sich oft, um zu träumen. Fast jeden Tag träumte er, während mein Vater auf seiner Meinung beharrte und es bei all seiner Weisheit nicht zuließ, dass sein Herz auf seine Träume achtete, wie oben gesagt. Und als einmal nachts irgendein Traum zu meinem Vater kam, begann er mit seinem Traum zu sprechen und sagte: Herr der Träume, warum kommst du zu mir mit deinen Träumen? Du weißt doch, dass ich überhaupt nicht auf deine Worte achte. Nimm deine Worte fort von mir und bring sie zu meinem Schwiegervater. Und nachdem er aus seinem Schlaf erwacht war, betete er und erinnerte sich überhaupt nicht mehr an seinen Traum. Aber nach dem Morgengebet kam sein Schwiegervater und sagte zu ihm: Mose, ich habe geträumt. Sofort begann mein Vater zu lachen und antwortete ihm: Ich sage meinem Schwiegervater, was er geträumt hat. Mein Schwiegervater sagte zu ihm: Sage es mir. Und sofort sagte er ihm, was er geträumt hatte und es entsprach der Wahrheit. Darüber staunte sein Schwiegervater und sagte zu ihm: Woher weißt du, was ich geträumt habe. Du bist wie ein Prophet usw. Mein Vater antwortete ihm: Es ist so, dass ich den Herrn der Träume zu meinem Schwiegervater geschickt habe. Und das ist es, was ich in meinem Traum gesagt habe: Gehe von mir und gehe zu meinem Schwiegervater, der auf deine Worte achtet. Soweit die Geschichte, die mir mein Vater erzählte. Sie ist wirklich wunderbar und von daher rührt seine Meinung, dass ein Mensch, der sein Herz auf die Worte seiner Träume richtet, keine Ruhe haben wird vor dem Herrn der Träume. Nur, wer sie nicht beachtet und sein Vertrauen auf den Herrn setzt, den wird er retten schützen und seine Tage stärken. (YM, § 12, 79 f)
Katzenellenbogen widerspricht der ablehnenden Haltung seines Vaters hinsichtlich der Beschäftigung mit Träumen nicht. Ohne es ausdrücklich zu formulieren, ändert Katzenellenbogen jedoch Grundlegendes. Während sein Vater zwischen dem Vertrauen auf Gott und dem Glauben an Träume einen unüberwindbaren Widerspruch sieht, findet Katzenellenbogen sein Gottvertrauen gerade durch die verschiedenen Träume, die ihm begegnen, bestätigt. Dieses wird von ihm jedoch nicht in Worte gefasst, sondern lässt sich lediglich den Erzählungen seiner eigenen Erfahrungen mit Träumen entnehmen. Ausdrücklich, und als für ihn und seine Nachkommen verbindlich, lässt er
45 YM, Register zu § 12, 484.
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aber die Worte seines Vaters bestehen, aus dessen Mund auch hier die wahre Lehre dringt. Dabei scheint auch Mose Katzenellenbogen in seiner ablehnenden Haltung gegenüber Trauminterpretationen nicht vollständig konsequent gewesen zu sein. Neben der schroffen Zurückweisung scheint auch Katzenellenbogens Vater bisweilen einen offeneren Umgang mit Träumen praktiziert zu haben. Pinchas berichtet: Auch dies war seine Art: Manchmal, wenn er einen guten Traum gehabt hatte, erzählte er uns diesen Traum. Ich erinnere, dass er einmal am Sabbat Mittagsschlaf hielt. Er muss zu dieser Zeit etwa 35 Jahre alt gewesen sein. Als er aus seinem Schlaf erwachte, sagte er zu mir : Höre mein Sohn, in meinem Traum habe ich folgenden Vers gesagt: Nimm mich nicht weg in der Hälfte meiner Tage (Ps 102,25). Und er schien sich darüber zu freuen. Offensichtlich war es seine Absicht, mir den Traum zu erzählen, wie es im Traktat Berakhot heißt (bBer 55a): R. Chasda sagte: Ein Traum, der nicht gedeutet wird, ist wie ein Brief, der nicht gelesen wird. Und es ist üblich, dass ein Mann, der seinen Traum erzählen möchte, gut daran tut, ihn seinen Lieben zu erzählen und ihn zum Guten hin zu lösen, damit er bestehen bleibt. (YM, § 13, 80)
Trotz seiner generellen Warnung davor, Träumen zu viel Bedeutung zu zuweisen, scheint sich also auch Mose Katzenellenbogen dennoch mit ihnen auseinandergesetzt zu haben. Hierin folgt ihm auch sein Sohn Pinchas.
Fastengewohnheiten Hinsichtlich seiner Fastengewohnheiten46 findet sich die Spannung zwischen seiner eigenen Ansicht und der Ansicht seines Vaters etwas deutlicher formuliert, denn Katzenellenbogen spricht die diesbezüglich bestehende Meinungsverschiedenheit mit seinem Vater direkt an. „Um den Wert dieses Erinnerungsbuches zu erhöhen“,47 fügt Katzenellenbogen unter § 38 einen Brief ein, den sein Vater ihm mehr als zwanzig Jahre zuvor,48 im Tevet des Jahres 1737 aus der Gemeinde Schwabach geschickt hat. Darin fordert Mose Katzenellenbogen seinen Sohn zu einem maßvolleren Umgang mit seinen Fas46 Das Fasten gilt in jüdischer Tradition schon seit biblischer Zeit als Ausdruck besonderer Frömmigkeit und als Zeichen für Umkehr und Reue (vgl. z. B. Jona 3,5ff). Auch die Trauer über persönliche Verluste (z. B. Fasten zur Jahrzeit Verstorbener) oder über Katastrophen in der jüdischen Geschichte bietet oftmals den Anlass für einen zeitweiligen Verzicht auf Nahrung. Eine erste Erwähnung fester Fastentage findet sich bei Sach 8,19. Das Fasten ist weiterhin wichtiger Bestandteil verschiedener Feiertage, wie z. B. des Jom Kippur und des 9. Aw, an dem der zweimaligen Zerstörung des Tempels gedacht wird. 47 YM, § 38, 117. 48 Zu Beginn des Paragraphen nennt Katzenellenbogen das genaue Datum von dessen Niederschrift: „Heute, am Montag, den 17. Cheschwan des Jahres 1759, da ich in alten Schriften suche, habe ich eine Schrift meines Vaters, des Gaon Aw Beth Din, sel.A. gefunden.“ (YM, § 38, 117).
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tengewohnheiten auf, da sowohl er selbst als auch seine Gemeinde unter den harten Kasteiungen, denen Katzenellenbogen sich unterwarf, zu leiden hätten. „Siehe, es beschweren sich Leute aus deiner Gemeinde über dich“, schreibt Mose Katzenellenbogen in seinem Brief, weil du dir durch das tägliche Fasten Entbehrungen auferlegst, so dass du ein schwacher Mann bist. Und es gibt viele Mühen, die du erträgst, und deshalb kommt auch manchmal der Zorn über dich und dieses ist sehr schwer im Rabbinat. (YM, § 38, 117)
Auch um das gesundheitliche Befinden seines Sohnes zeigt Mose Katzenellenbogen sich besorgt und blickt dabei auf Erfahrungen zurück, die er selber in jüngeren Jahren gemacht hat, als er sich ähnlich strengen Kasteiungen unterworfen hat. Um seinen Sohn davon abzubringen, verweist er auf das Beispiel seines Schwiegervaters. Dieser habe sich nach seiner Hochzeit über die Maßen kasteit, bis wiederum sein Schwiegervater ihn dazu gebracht hatte, sein Gelübde zu lösen und das Fasten zu beenden. Aus der Schlussfolgerung, die Mose Katzenellenbogen hieraus zieht, dringt wiederum der besondere Vorrang, der der väterlichen Autorität gegenüber geltend gemacht wird, denn in dem Schreiben an seinen Sohn heißt es: Und wenn er auf die Stimme seines Schwiegervaters gehört hat, der nicht sein Vater und nicht sein Lehrer war, warum hörst du dann nicht auf meine Stimme, der ich dein Vater bin und dein Lehrer, von dem du deine ganze Tora gelernt hast. (YM, § 38, 117)
Im selben Paragraphen fügt Katzenellenbogen auch die Antwort ein, die er seinem Vater auf dessen Schreiben hin sandte und in der er dessen Vorwürfe zu entkräften und das eigene Verhalten zu rechtfertigen versucht, indem er betont, dass weder seine Gesundheit noch sein Amt durch das Fasten belastet würden. Im Gegenteil belaste der übermäßige Genuss von Nahrung seinen Verstand viel stärker als der Hunger. Sein Fasten sei zudem nicht zu streng durchgeführt, denn er habe sich daran gewöhnt, jeden Tag in der Stunde meiner Erholung Kaffee mit geschlagenem Eigelb zu trinken, denn dies stärkt alle meine Glieder mit Hilfe des Herrn. […] [Im Winter hingegen,] wenn die Tage kurz sind und ich am Tage esse, vergeht jeder Tag, ohne dass ich etwas tue. Und an Chanukka und zu Neumond esse ich erst am Abend etwas, damit nicht der ganze Tag verloren ist. (YM, § 38, 118)
Bei aller Rechtfertigung seines eigenen Verhaltens gegenüber den Sorgen und Vorwürfen seines Vaters fällt auf, dass Katzenellenbogen auch hier der Mahnung seines Vaters nicht explizit widerspricht, sondern vielmehr betont, dass dessen Sorgen sich als unbegründet erwiesen, da er sein Fasten in gebührlichem Ausmaß betreibe und damit weder seine Gesundheit noch sein Leistungsvermögen schädige. Katzenellenbogen zeigt sich auch hier darum bemüht, das Einvernehmen zwischen der Ansicht seines Vaters und seiner ei-
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Traditionen und Bräuche. Hüter gemeinsamer Normen
genen Position hervorzuheben und die unbedingte Autorität seines Vaters unangetastet zu lassen. Er schreibt: Siehe, dies sei dir als gutes Zeichen für meine Zurückhaltung bezüglich der Meinung meines Vaters, des Gaon Aw Beth Din, sel.A., dass er nicht sage, ich würde nicht auf seine Worte hören, der Herr behüte. Und ich will in meiner Unschuld gehen, meine Arbeit zu verrichten und auf die Lehre meines Vaters hören, warum sollte ich von ihr abweichen, denn sie ist doch die Krone meines Hauptes und meine Ehre. Und der Herr behüte ihn und lasse ihn leben und reich werden im Lande und er blicke auf seine Nachkommen mit Freude und er freue sich an ihnen und sie sollen sich an seiner Ehre erfreuen während all ihrer Tage und gute und angenehme Jahre und Frieden sollen sie dir hinzufügen vom Himmel bis in Ewigkeit, Amen. Soweit. Und diese Angelegenheit schreibe ich in dieses Buch, euch zur Erinnerung, meine lieben Kinder, weise Worte. (YM, § 38, 118)
4.1.3 Yesh Manchilin als Familien-Minhagim-Buch Die Maxime der bindenden Autorität des Vaters sichert, so lässt sich festhalten, nicht zu letzt auch dem Werk Yesh Manchilin als Testament an seine Nachkommen unbedingte Autorität zu. Dennoch, so lässt sich an den Spannungen zwischen Katzenellenbogens eigenem Verhalten und den Bräuchen des Vaters erkennen, friert die Autorität die Tradition nicht statisch ein, sondern lässt Raum für kreative und diskursive Fortschreibungen.49 Yesh Manchilin lässt sich als eine Art Familien-Minhagim-Buch verstehen, in dem Katzenellenbogen die für die Identität seiner Familie prägenden Minhagim an seine Nachkommen vererbt. In diesem Sinne dient Yesh Manchilin dem Ziel, die Familienidentität durch gemeinsame Bräuche zu prägen und zu sichern.50 Katzenellenbogen stimmt hier mit einem Grundanliegen des von ihm verehrten R. Isaak Luria überein, der festgelegt hat, dass jeder den Traditionen und Bräuchen seiner Vorfahren folgen soll, auch wenn er an einen anderen Ort kommt, an dem andere Bräuche gelten.51 Identität wird in erster Linie genealogisch geprägt und gebildet.52 Neben dem Ortsbrauch (Minhag HaMaqom) gibt es daher auch einen primär genealogisch veran49 Vgl. zur rabbinischen Hermeneutik, die in ähnlicher Weise vorgeht und aus alten Traditionen immer wieder Neues hervorbringen kann, ohne die Autorität der Tradition dabei in Frage zu stellen, Stemberger, Schriftauslegung, 75 ff. 50 Vgl. zur Kodifizierung von Gesetzen bzw. Bräuchen Davis, Reception, 252: „Broadly speaking, legal codification can have either of two opposite effects. It can erase local differences and serve a universalizing goal. Or, by giving local differences written form and official sanction, it can serve to defeat universalizing trends in the law, and preserve and foster a sense of local or regional identity.“ 51 Vgl. ebd., 256. 52 Vgl. ebd., 256.
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Vererbte Bräuche
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kerten Familienbrauch (Minhag Awot; vgl. bBeiza 4b).53 Diese Art von spezifisch familiär geprägtem Brauchtum ist für Katzenellenbogen in seinem ethischen Testament immer wieder von zentraler Bedeutung. So schreibt er als Hüter der Tradition die Familienbräuche auf, um sie für zukünftige Generationen zu bewahren und als autoritativ festzulegen. Diese Intention bzw. dieser Vorgang entspricht dem, was hier als cultural gatekeeping bezeichnet wird.
4.1 Vererbte Bräuche Katzenellenbogen vermittelt sowohl Bräuche, die er von seinen Vorfahren übernommen hat, als auch eigene Lebenserfahrungen, die er an seine Nachkommen weitergeben will. Nur zum Teil handelt es sich hierbei also um Bräuche im oben definierten Sinn, die einer festgelegten Form folgen. Auch für seine individuellen Erfahrungen, die er „vielfach erprobt und bewährt“ gefunden hat, beansprucht Katzenellenbogen, dass seine Nachkommen ihm auf seinen Wegen folgen sollen. Grundsätzlich sind also beides, Bräuche wie auch individuelle Lebenserfahrungen, daher im Sinne von Weisungen an die Nachkommen zu verstehen. Pollack unterscheidet allgemein zwischen drei verschiedenen Kategorien von Bräuchen in der jüdischen Tradition: Erstens gibt es Bräuche, die die Ernährung betreffen. Daneben gibt es, zweitens, Bräuche, die zur Abwehr von Dämonen und bösen Mächten dienen. Davon zu unterscheiden sind schließlich, drittens, rituelle Bräuche, die beispielsweise die jeweils üblichen Riten im Fall von Geburt, Heirat oder Sterben ausmachen.54 Auf entsprechende Weise lassen sich auch die von Katzenellenbogen darlegten Bräuche und Erfahrungen kategorisieren. Zum einen schreibt er ausführlich von seinen Fastengewohnheiten (vgl. 4.2.1). Ferner geht es um die Abwehr gegenüber Gefährdungen, nämlich einerseits Gefährdungen des physischen Lebens durch Krankheit, sowie andererseits Gefährdungen des geistig-religiösen Lebens durch Unreinheit (vgl. 4.2.2). Schließlich geht es um den angemessenen Umgang mit Tod, sowie um das Gedenken der Verstorbenen (vgl. 4.2.3). Insbesondere in diesen drei Bereichen, die den Alltag bestimmen und die auch in anderen Selbstzeugnissen dieser Zeit immer wieder thematisiert werden,55 gibt Katzenellenbogen seinen Nachkommen Weisung. Es geht bei diesen Fragen, so könnte man sagen, um eine Art „folk religion“, die sich im 53 Vgl. ebd., 257. 54 Vgl. Pollack, Folkways, xiv. 55 Vgl. Piller, Körper, 4, in Bezug auf Selbstzeugnisse des 18. Jahrhunderts: „Fundamentale körperliche Ereignisse wie Geburten, Krankheiten oder Todesfälle gehören zu den mitteilungsund erinnerungsrelevanten Ereignissen und fanden damit Eingang in die Texte. Aber auch Fragen nach der richtigen Erziehung, der Pflege oder Gesunderhaltung, die alltäglichen Techniken und Praktiken des Körpers sind Gegenstand des Schreibens.“
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jüdischen Alltag der Frühen Neuzeit neben den halachischen Codices herausbildete: „Although comprehensive codes such as Joseph Karo’s Shulh. an Arukh […] set out to cover every aspect of the life of the Jew, there was sufficient room for unofficial […] beliefs and practices. The reality of daily life, the deep religious beliefs of the common people, and close contact with the host societies and their varied cultures gave rise to popular beliefs, patterns of behavior, customs and practices, and the production of religious artifacts that could not be always accounted for in the ,official‘ halakhic sources.“56 4.2.1 Fastenbräuche zur Jahrzeit Katzenellenbogen schreibt, wie bereits dargestellt, ausführlich über seine Fastengewohnheiten und -bräuche. Aus dem Briefwechsel mit seinem Vater aus dem Jahr 1737 geht hervor, dass er sich vor allem in jüngeren Jahren harten Kasteiungen und strengen Fastenregeln unterworfen hat. Mit zunehmendem Alter und in Folge immer stärkerer körperlicher Beeinträchtigungen fällt es ihm jedoch schwerer, an diesen Gewohnheiten wie früher festzuhalten. Katzenellenbogen blickt auf seine Fastengewohnheiten zu den verschiedenen Zeiten seines Lebens zurück. Er rechtfertigt sich vor seinen Kindern dafür, dass er im Alter einen sehr viel maßvolleren Umgang mit dem Fasten pflegen muss, als er es in seiner Jugend getan hat. Hierfür verweist er auch auf die Worte der Weisen: Im Jahr 1714, als ich 22 Jahre alt war, kasteite ich mich mit Fasten zum Zweck der Umkehr, und meine Seele ertrug dies mit Behagen. […] Auch im Jahr 1737 fastete ich an den meisten Tagen und aß meist überhaupt nichts, bis ich eine Schwäche des Herzens verspürte, wie man aus den Worten meines Vaters und an meiner Antwort an ihn aus dem Jahr 1737 unter § 38 ersehen kann. Und über all dies haben bereits unsere Weisen, sel.A., nachgedacht – wahre Worte! Sie sagen [mJeb 16,3]: „Es ist nicht jeder Mensch und jeder Ort und jede Stunde gleich.“ Das soll heißen, dass nicht nur jeder Mensch nicht gleich ist, sondern auch, dass der Mensch selber nicht zu allen Zeiten gleich ist. Und so war es auch mit mir. In meinen jungen Jahren sehnte meine Seele sich danach zu fasten zum Zwecke der Umkehr. Und auch im Jahr 1737, als ich 45 Jahre alt war und die meisten meiner Jahre bereits vergangen waren. Und dann gab es solche Jahre, ca. zehn oder zwölf, in denen ich überhaupt nicht fastete, […] wegen zu großer Schwäche. So ist es auch jetzt in meinem Alter, da meine Kräfte schwinden und vor allem seit jener Zeit, da das Licht meiner Augen schwächer wird. (YM, § 45, 135)
Ausführlich beschäftigt Katzenellenbogen sich mit dem Brauch, den Jahrtag verstorbener Verwandter durch Fasten zu heiligen. Sein Großvater Saul Katzenellenbogen hatte seinen Kindern in seinem Testament aufgetragen, all56 Sabar, Childbirth, 369.
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jährlich des Todestages seines Bruders Pinchas, der als Märtyrer gestorben war, durch Fasten zu gedenken.57 Katzenellenbogen hebt hervor, dass auch er sich dieser Bürde unterwarf, obwohl er nicht dazu verpflichtet war, denn sein Großvater hatte seine Weisung nur an seine Kinder, nicht aber an seine Enkel gerichtet. Da er aber nach seinem Großonkel benannt worden war, verspürte er diesem gegenüber eine besondere Verpflichtung und hielt sich streng an die Worte seines Großvaters. Im Jahr 1724 jedoch fiel der Todestag seines Großonkels auf den Vorabend des Sabbat. Katzenellenbogen hielt sich damals in der Gemeinde Michelbach auf, wo er mit einer Erbschaftsangelegenheit beschäftigt war. Er schreibt: Und es fiel mir schwer, bis zur Nacht zu fasten. Und wegen der Ehre des Sabbats und wegen der Ehre des ehrwürdigen Hausherren, in dessen Haus ich zu Gast war, sowie wegen meiner Schwäche und all der Mühen, befreite ich mich von dem Gelübde. (YM, § 43, 133)
Auch der Jahrzeit seiner Mutter pflegte Katzenellenbogen regelmäßig am 12. Adar durch Fasten zu gedenken. Allerdings wurde das Einhalten dieses Fastentages durch den Umstand erschwert, dass die jüdische Tradition auch für den darauf folgenden Tag, den 13. Adar, einen Fastentag vorsieht, an dem das sogenannte Esther-Fasten begangen wird.58 Im Jahr 1757 fühlt Katzenellenbogen sich in seiner Gesundheit bereits so sehr angegriffen, dass er sich gezwungen sieht, sich von dem Gelübde, den Jahrtag seiner Mutter Sara Lea durch Fasten zu begehen, zu lösen: Ich habe mein Gelübde gelöst, damit ich nicht zur Jahrzeit meiner Mutter, der Rabbanit, der Friede sei mit ihr, am 12. Adar des Jahres 1757 zu fasten brauchte, da es mir schwer fiel, an zwei aufeinander folgenden Tagen zu fasten, denn am 13. Adar war das Fasten der Esther. Auch im darauf folgenden Jahr 1758 war ich zur Jahrzeit am 12. Adar schwach und es fiel mir schwer zu fasten. Und da ich das Gelübde zu fasten schon gelöst hatte, fastete ich zu dieser Jahrzeit nicht, denn ich befand mich bereits in weit fortgeschrittenem Alter und meine Kräfte ließen nach, weshalb es besser für mich war, nicht zu fasten. Und damals konnte ich zur Zeit des Fastens in der Tora lernen, an deren Gesetzen mein Herz hing, was mir nun nicht möglich war, wenn ich fastete, da mein Kopf und mein Herz nicht bei mir waren und ich nicht die Kraft hatte, in der Tora zu lernen. (YM, § 47, 141) 57 Vgl. zum Tod seines Großonkels Pinchas YM, § 44, 133 ff. 58 Das Esther-Fasten (Ta’anit Esther) findet am 13. Adar, dem Vortrag des Purimfestes statt, das am 14. und 15. Adar zum Andenken an die Rettung der Juden zur Zeit des persischen Königs Ahasveros gefeiert wird. Mit Hilfe eines königlichen Erlasses wollte der Großwesir Haman die Juden am 13. Tag des 12. Monats (Adar) vernichten, was nur durch die mutige Intervention Esthers beim König verhindert werden konnte. Das Esther-Fasten wird am 13. Adar gehalten, weil der Festlegende nach Esther an diesem Tag vor ihrem entscheidenden Gang zum König die Juden zu einem dreitägigen Fasten aufforderte. Vgl. Fohrer, Glaube, 144 f und Lau, Juden, 233 ff.
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Katzenellenbogen wiegt das Aufgeben des Fastens dadurch auf, dass es ihm so wenigstens möglich sei, in der Tora zu lernen und damit ein grundlegendes Gebot zu erfüllen, was ihm sonst aufgrund mangelnder Kraft nicht möglich wäre. Außerdem rechtfertigt er sein Verhalten durch das sorgfältige Abwägen zwischen der jeweiligen Bedeutung der beiden Fastentage, wobei er zu folgendem Schluss gelangt: Da es mir schwer fiel, an zwei aufeinander folgenden Tagen zu fasten, befreite ich mich von meinem Gelübde an der Jahrzeit zu fasten, denn dieses ist nur ein Brauch entsprechend einem Gelübde. So heißt es in Schawuot [bSchaw 20a; vgl. auch bNed 12a]: „Wie Gelübde am Todestag des Vaters usw.“ Aber das Esther-Fasten habe ich gehalten, da es aus der Kabbala stammt und ein sehr alter Brauch ist. (YM, § 45, 137)
Der Umstand, dass das Esther-Fasten ein sehr alter Brauch ist, wiegt für Katzenellenbogen also schwerer, als das Fasten, das auf einem Gelübde beruht. Sein Nachdenken hierüber mündet schließlich in der Niederschrift einer eigenen Response zu diesem Thema, die er in Yesh Manchilin festhält. Ihr zufolge ist es möglich, sich von Fastentagen, die auf einem persönlichen Gelübde beruhen, wie z. B. das Fasten zur Jahrzeit, zu befreien, wenn etwa eine Krankheit vorliegt. Das Fasten zur Jahrzeit werde grundsätzlich nämlich weniger streng gehandhabt, als beispielsweise das Esther-Fasten.59 Als Vorbild für einen angemessenen Umgang mit dem Gebot zu fasten gelten Katzenellenbogen schließlich die Worte, die Jona Landsofer seinen Kindern in seinem Testament hinterlässt: Wie sehr muss der Mensch sich vorsehen, die Genüsse zu segnen und wie sehr muss er darauf achten, sie im richtigen Ausmaß zu segnen. Sicherlich ist es üblicher zu essen, als zu fasten. Und ich schätze es nicht gering, nicht zu fasten, denn noch kann der Mensch dies nicht unterscheiden, bis der Herr seine Augen zukünftig mit großen Verbesserungen erhellt und vor allem muss man seinen Körper verbessern mit Dingen, die ihn stärken, damit der Mensch gesund ist für den Gottesdienst. Daher ist der Herr zweifellos zufrieden damit und selbst ein reuiger Sünder fastet nicht in solcher Askese, es sei denn er fühlt, dass sein Trieb Oberhand gewinnt und er sich dadurch beruhigen muss. […] Aber es ist gut für den Menschen, sich an kleine Kasteiungen zu gewöhnen. Doch auch dabei achte man darauf, dass sie nicht zu schwer seien, damit sie, Gott behüte, kein Hindernis sind oder vergessen werden. Deshalb wähle man lieber leichte Dinge, wie zum Beispiel an den Feiertagen darauf zu verzichten Obst zu essen, oder, so ähnlich, Wein zu trinken. Und dies alles ohne Gelübde, damit es ihm immer zur Erinnerung der Sünden sei. Und es ist es wert, an allen Tagen zu fasten, wie geschrieben steht, dass unsere Weisen sehr viel fasteten, selbst wegen kleiner Sünden. Um so mehr wir, die wir zweifellos mehr Sünden auf uns geladen haben und wir denken, wir sind schwach und glauben, wir hätten keine Kraft zu fasten und keine Kraft, uns selbst zu kasteien. Daher müssen wir unserer Seele ein 59 Vgl. YM, § 46, 137 f.
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wenig die Begierden vorenthalten und ihr nicht alles geben, was sie begehrt, damit wir uns ein wenig an unsere Sünden erinnern und deshalb heißt es: Und meine Sünde ist immer vor mir (Ps 51,5). Soweit seine Worte. Und wisset, dass all seine Worte richtig sind, weshalb ich sie euch nicht vorenthalten habe. (YM, § 47, 141 f)
4.2.2 Bräuche und erprobte Mittel zur Abwehr von Gefährdungen des Lebens
Über die mittelalterliche „Geschichte des Körpers“ schreiben Le Goff und Truong: „Im Mittelalter erfaßte jede Krankheit das gesamte Sein und hatte ihre eigene Symbolik.“60 Dies lag zunächst und vor allem darin begründet, dass „es den Körper für sich allein […] damals nicht [gab]; er war immer von der Seele durchdrungen, und ihr Heil hatte absoluten Vorrang. Deshalb war die Medizin in erster Linie eine Medizin der Seele, die den Körper durchzog, ohne sich je auf ihn zu beschränken.“61 Eine Medizin, die ohne die Hilfe Gottes auszukommen meinte, gab es im Mittelalter daher im Grunde nicht. Vor diesem Hintergrund mussten es gerade die kirchlichen Autoritäten sein, die der Medizin in der christlichen Gesellschaft eine größere Würde und Verbreitung verleihen konnten: „Die Medizin für die Seelen übernahm gleichzeitig die Aufgabe, die leidenden Körper zu heilen.“62 Erst im 17. Jahrhundert, so Le Goff und Truong, änderte sich dieses Paradigma schrittweise.63 Auch für das Welt- und Körperbild, in dem Katzenellenbogen als Jude des 18. Jahrhunderts lebt, ist Vergleichbares festzustellen: Fragen, die den Körper und die Gesundheit betreffen, sind immer auch religiöse Fragen bzw. Fragen nach übernatürlichen Mächten. Die Ursache für körperliches Leiden und Krankheit werden weithin im Bereich des Übernatürlichen verortet: „Supernatural agency is the most commonly designated cause of disease.“64 Entsprechend wird auch Schutz vor Krankheit sowie Linderung von Krankheit in aller Regel mit magischen Mitteln erreicht. Alle Bemühung um Schutz des Lebens ist immer auch Auseinandersetzung mit übernatürlichen Mächten und letztlich mit Gott, der hinter aller Heilung steht und der für alle Heilung zu preisen ist. Alle Anstrengungen um Schutz des Lebens bei Geburt und Krankheit laufen, auch für Katzenellenbogen, neben medizinischer Kenntnis somit immer auch auf Gebete oder auf magische Prozeduren hinaus.65 Gerade 60 61 62 63 64
Le Goff/Truong, Geschichte, 118. Ebd., 118. Ebd., 130. Vgl. ebd., 130. Trachtenberg, Magic, 198. Vgl. hierzu auch Zinger, Hearts, 69: „Religious worldviews have a great effect on the way that people view their bodies and on their medical outlook.“ 65 Vgl. Jtte, Contacts, 149, über die Kunst jüdischer Krankenheilung im 17. und 18. Jahrhundert: „Jewish healers practiced medicine in an era dominated by the antagonistic forces of magic and science.“ Vgl. hierzu auch Zinger, Hearts, 65. Zur ebenfalls bestehenden Koexistenz natürlicher und übernatürlicher Behandlungsmethoden in der christlichen Gesellschaft vgl. Jtte, Ärzte, 148 ff.
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dem Gebet bzw. den magischen Riten wird die jeweils entscheidende Kraft zur Heilung beigemessen.66 Dies gilt für gelehrte Kreise ebenso wie für die Vertreter einer volkstümlichen Frömmigkeit.67 Das Wissen um solche magischen Praktiken und um die damit verbundenen Ba‘alei Shem ist, wie in Yesh Manchilin deutlich wird, auch für Katzenellenbogen fester Bestandteil der familiären Tradition, die von Generation zu Generation weitergegeben und bewahrt werden musste.68 So bezieht sich ein Großteil der von Katzenellenbogen vermittelten Bräuche sich auf die Abwehr gegenüber den Gefährdungen des physischen Lebens durch Krankheit und Geburt. Geburt Die Geburt eines Kindes war im 18. Jahrhundert eine sowohl für die Mutter wie auch für das Kind gefährliche Situation.69 Ohne ärztlichen Beistand waren die werdenden Mütter allein auf die Erfahrungen und auf die Hausmittel der sie umgebenden Familie angewiesen: „Trying to fight these phenomena, folk beliefs and traditions gave rise to many customs and practices, amulets and talismans, incantations and conjurations – all of which aimed to protect the 66 Vgl. Trachtenberg, Magic, 200: „Medieval remedies, whatever their therapeutic value, were often accompanied by incantations, which were regarded as the effective agent in the cure.“ 67 Vgl. Etkes, Makom [hebr.], 77 und 101ff sowie Etkes, Besht, 14. 68 Vgl. zu verbreiteten Bezugsquellen magischer Heilmittel Etkes, Makom [hebr.], 83 f. Vgl. zur Bedeutung des Titels Ba’al Schem in der damaligen Zeit Hundert, Jews, 143: „A ba’al shem, or ba’al shem tov, was a person who knew the secret names of God and could manipulate them to serve his desires. He was familiar also with the ,other side‘ and knew how to combat the demons and other evil forces resident there. He could see into the future and visualize what was happening far away. Often he was a healer who knew the power of certain herbs and other plants. […] He could prepare amulets and charms that would make a person invisible, ensure that a barren woman would conceive, protect a woman in childbirth, cure the sick, or safeguard a traveler on his journey.“ Zum Phänomen der Ba’alei Schem im aschkenasischen Judentum des 17. und 18. Jahrhunderts vgl. außerdem Grçzinger, Wundermänner, 190ff; Etkes, Makom [hebr.], 69ff und Rosman, Founder, 17 ff. 69 Sabar, Childbirth, 370, schreibt, wenn auch für eine andere Region, so aber doch für vergleichbare Zustände zur damaligen Zeit: „Statistics from eighteenth-century France show that about 250 babies out of 1,000 did not survive their first year, and only about 575 out of 1,000 reached the age of five; the number[s] of deaths was even larger among the lower classes, who were generally not included in these records.“ Piller, Körper, 137, spricht von ähnlichen Zahlen bei der Neugeborenensterblichkeit: „Die Neugeborenensterblichkeit (1. Lebensmonat) lag im Europa des 17./18. Jahrhunderts bei durchschnittlich 15 bis 18 %. Etwa 25 % der Kinder starben, bevor sie das erste Altersjahr erreichten.“ Wie ebd., 139 f, weiterhin darstellt, sind die Zahlen, die man zur Müttersterblichkeit angegeben findet, sehr unterschiedlich und lassen sich daher nur schwer auf eine genaue Größe festlegen: „Die Beobachtung, dass die meisten [sic!] Frauen ihre oft zahlreichen Geburten überstanden, ist irritierend, vermittelt doch der Blick in die Forschungsliteratur den Eindruck einer hohen Müttersterblichkeit.“ Wenn auch zweifelsohne „die meisten“ Frauen die Geburten überlebten, so steht außer Frage, dass eine Geburt zur damaligen Zeit nicht nur für das neugeborene Kind, sondern ebenso für jede werdende Mutter als lebensbedrohende Situation erfahren wurde.
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mother, and even more so the baby.“70 Gerade in diesem Bereich bezogen dabei Bräuche und Schutzmaßnahmen für Mutter und Kind ihre Autorität durch die Verankerung in der jüdischen Tradition.71 Katzenellenbogen hatte zwei Ehefrauen und war der Vater von acht Kindern, darunter sechs Töchtern, die zum Teil wiederum Kinder gebaren. Seine erste Frau Sara Rachel sowie seine Tochter Rebekka Esther verstarben beide im Kindbett. Die mit der Geburt verbundenen Schwierigkeiten und Gefahren stehen ihm daher aus eigener Erfahrung vor Augen und er beschreibt sie ausführlich. Veranlasst durch die eigenen negativen Erfahrungen macht Katzenellenbogen sich Gedanken und sucht zum einen nach Deutungsmustern, die das Leiden und die Gefährdung der Frauen bei der Geburt begreifbar machen. Zum anderen sucht er aber auch nach Mitteln, mit deren Hilfe sich die genannten Beschwerden voraussehen und nach Möglichkeit lindern bzw. ganz beheben lassen. Dabei greift er vor allem auf die wundersamen Fähigkeiten des berühmten, als Ba’al Schem wirkenden R. Benjamin Beinish, dem Verfasser von Imtahat Binyamin, zurück und hält seine Ratschläge, nach eigener Erprobung, für seine Kinder und Nachkommen fest. Hinsichtlich der Deutung der Schmerzen und Beschwerden der Frauen bei der Geburt schließt sich Katzenellenbogen zunächst der verbreiteten Erklärung an, dass keine Frau den Geburtswehen zu entkommen vermag, und dies liegt an dem Fluch, der Eva getroffen hat: Unter Schmerzen sollst du deine Kinder gebären [vgl. Gen 3,16] – und daher gibt es die Geburtswehen. Diese treffen die Frauen, nicht die Männer. (YM, § 24, 98)
Katzenellenbogen hat jedoch beobachtet, dass nicht alle Frauen gleichermaßen von Beschwerden geplagt sind und sucht daher nach Ursachen hierfür. Aus dem Buch Sefer Toldot Adam von Mose ben Eliahu Galina, in dem verschiedene Heilmittel überliefert sind,72 übernimmt er eine Theorie, nach der sich erkennen lassen soll, „ob eine Frau einen schmalen Muttermund hat oder nicht“73 und ob sie dementsprechend Schmerzen bei der Geburt erleiden wird oder nicht. Katzenellenbogen zitiert für seine Kinder aus besagtem Buch: Wenn die Finger der Frau kurz sind, wird sie unter Schmerzen gebären und dies hängt damit zusammen, dass die Weisen das Ausmaß der Spalte des Muttermundes prüfen und als Längenmaß dient der erste Abschnitt des Mittelfingers, weil er der längste Finger der Hand ist und damit das Regelmaß ist usw. Und hieraus erkannte ich, dass der Kern dieser Geschichte eine große Wundergeschichte ist, eine Geschichte von der Erschaffung des Menschen durch wunderbare Weisheit. Und nicht jeder Mensch ist gleich, wie es in Sanhedrin heißt, wo von der Größe des Königs aller Könige, vom 70 71 72 73
Sabar, Childbirth, 371. Vgl. ebd., 371. Mose ben Eliahu Galina, Sefer Toldot Adam, Konstantinopel 1515. YM, Register zu § 24, 485.
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Heiligen, gelobt sei Er, usw. gesprochen wird, dass Er geformt hat jeden Menschen nach dem Bild des ersten Menschen, dass aber keiner von ihnen seinem nächsten ähnelt. Und so ist es auch bei den Frauen. Obwohl sie alle nach dem Bild von Eva geformt sind, sind sie nicht alle gleich. Es gibt welche unter ihnen mit wenig Erbarmen, die unter Schmerzen gebären und es gibt welche unter ihnen, denen größeres Erbarmen zu Teil wird und die keine Schmerzen haben beim Gebären. Das ausschlaggebende Zeichen, um dies zu wissen, ist das Zeichen der Finger der Frau. Wenn diese kurz sind, wird sie unter Schmerzen gebären und andersherum. (YM, § 24, 98)
Die Worte dieses Buches findet Katzenellenbogen bei seiner ersten Frau bestätigt. Er schreibt: Als ich die Finger ihrer Hand mit den Fingern meiner Hand maß und ihr Mittelfinger nicht bis zum Ende des meinigen reichte, wusste ich, dass sie unter Schmerzen gebären würde. (YM, § 24, 98)
Wie Katzenellenbogen berichtet, brachte Sara Rachel tatsächlich unter Schmerzen und großer Gefahr ihre beiden Töchter Jenta und Bela zur Welt und verstarb schließlich kurze Zeit nachdem sie am 27. Kislew 1719 einen Sohn tot geboren hatte im Kindbett.74 Auch bei seiner Tochter Rebekka Esther sieht Katzenellenbogen mit seiner „Diagnostik“ eine ähnliche Gefährdung angezeigt. Als sie schwanger ist und er feststellt, dass ihre Finger kurz sind, versucht Katzenellenbogen daher schon frühzeitig Vorkehrungen zu treffen, um ihr eine leichtere Niederkunft zu verschaffen: Als die Tage ihrer Niederkunft näher rückten im Monat Tischri, teilte ich diese Sache meinem Schwiegersohn, R. Simon, mit. Und ich sagte zu ihm, er solle viel beten, dass sie eine leichte Niederkunft haben möge, mit Hilfe des Herrn. (YM, § 32, 99)
Nachdem Rebekka Esther zunächst einen gesunden Sohn zur Welt bringt und Katzenellenbogen seinem Dank und Preis hierfür breiten Raum gibt,75 überkommt sie etwas später doch noch das Fieber. Ausführlich und sehr emotional beschreibt Katzenellenbogen die Höhen und Tiefen ihres Leidens, das Bangen und die Gebete für ihre Genesung. Nach der anfänglichen Freude über die glückliche Geburt traf uns die Strenge des Gesetzes und unsere Freude verging uns, weil die Hitze über sie kam und die Milch sie schmerzte wegen unserer Sünden. Und zu Jom Kippur war ihr Zustand sehr gefährlich. Und der Ausgang von Jom Kippur war die Nacht vor der Beschneidung und es schien, als würde es ihr etwas besser gehen und sie sagte zu ihrer Mutter, dass sie sich zu Ehren der Beschneidung anziehen wolle. Und ich und mein Schwiegersohn lernten bei der Wöchnerin, um auf sie zu achten, bis nach Mitternacht und wir sagten das Schema auf neben ihrem Bett und dann ging ich 74 Vgl. YM, § 24, 99. 75 Vgl. YM, § 32, 110.
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schlafen. Ich hatte erst wenige Stunden geschlafen, als man mich weckte und ich sah, dass die Kranke Fieber hatte und in gefährlichem Zustand war. Und ich versuchte ihre Seele zu erlösen mit all ihren besonderen Absichten. Am Morgen ging ich nur in Sabbatkleidern in die Synagoge. Und ich wurde dadurch geehrt, dass ich zum Paten ernannt wurde d. h., dass ich auf einem Stuhl sitzen und das Baby bei seiner Beschneidung festhalten sollte. […] Nach dem Gebet sagte ich das Krankengebet auf mit einem Minjan und einer Bibel in der Hand, nach dem aschkenasischen Brauch, wie es in den aschkenasischen Gebetbüchern gedruckt ist mit Tränen und bitterlichem Weinen und mit Almosen zur Wohltätigkeit. Und anschließend ging ich nach Hause. Und während des ganzen Tages lastete die Krankheit auf ihr und das Essen zum Ausgang des Sabbats76 nahmen wir im Minjan in einem anderen Zimmer ein und in der Nacht des heiligen Sabbat, dem 12. Tischri, war sie kurz bei Bewusstsein und sie bemühte sich, sich selbst zu stärken und gesund zu werden, um ihre Mutter nicht zu erschrecken. Und einmal, als sie sich aufregte, weil die Krankheit auf ihr lastete, kam ihre Mutter zu ihr und sie umarmte ihre Mutter mit beiden Armen und sagte zu ihr : Mutter, sorge und fürchte dich nicht, denn ich bin nicht krank und Gott wird mir helfen. Und als ich schlafen ging in dieser Nacht des heiligen Sabbat, weckte mich kurz vor Mitternacht mein Schwiegersohn, weil die Krankheit schwer auf ihr lastete. Und er rief und versammelte einen Minjan und sie begannen, Psalmen aufzusagen in einem anderen Zimmer, damit sie ihre Ruhe hatte. Doch als sie dies hörte, sagte sie zu ihrem Ehemann, dass sie die Psalmen vor ihr in ihrem Zimmer aufsagen möchten, denn dieses wolle ihre Seele und dadurch käme sie zur Ruhe. Und sie sagten die Psalmen in dem Zimmer, in dem sie lag und wir sagten verschiedene Namen bis drei Stunden nach Mitternacht. Und dann legte sich die Krankheit wieder schwer auf sie und sie begann, mit bitterer Stimme zu schreien und sagte ihr Sündenbekenntnis auf. Danach sagte sie: Herr, unser Gott im Himmel, Gott unserer Väter Abraham, Isaak und Jakob, schicke mir heilige Hilfe, denn von Dir kommt Rettung und es gibt für den Menschen keine Medizin außer Dir, gerechter Herr, denn Du bist die Rettung, hilf mir wegen des Verdienstes unserer Väter in unseren heiligen Familien, die im Lande sind. Und heile mich um des Kindes willen, das ich geboren habe usw. Und sie schrie mit bitterer Stimme, seufzte und stöhnte, so dass alle, die es hörten, Tränen vergossen ohne Unterbrechung und alle brachen in großes und bitteres Weinen aus usw. Und am heiligen Sabbat Ha’asinu, dem 12. Tischri 1758, zwischen der dritten und vierten Stunde, verließ sie ihre Seele in Heiligkeit und Reinheit und unsere Herzen und Geister brachen. (YM, § 32, 111)
Trotz allen Hoffens und Bangens, trotz aller Gebete, Psalmen und Almosen, mit denen Katzenellenbogen und sein Schwiegersohn um das Leben Rebekkas ringen,77 bewahrheitet sich für Katzenellenbogen auch im Fall seiner Tochter 76 Feld weist darauf hin, dass es hier wahrscheinlich „am Abend des heiligen Sabbat“ heißen muss, da die Beschneidung am Freitag, dem Abend des heiligen Sabbat stattgefunden hatte. Vgl. § 32, 111. 77 Trachtenberg, Magic, 169, weist darauf hin, dass die Rezitation von Gebeten und Psalmen während der Geburt primär ein verbreitetes Mittel zur Abwehr von Dämonen war : „The woman
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mit deren Tod kurz nach ihrer Niederkunft seine Deutung, dass sich anhand der Länge der Finger die Gefährdung bei der Geburt schon im Vorhinein erkennen lässt.78 Auch bei seiner zweiten Frau Olek hatte Katzenellenbogen die beschriebene Theorie bereits dadurch bestätigt gefunden, dass sie ihre Tochter Rachel am 10. Tevet 1721 gesund zur Welt brachte. Zuvor hatte Katzenellenbogen an ihr das gute Zeichen gesehen, das ich aus dem Buch Sefer Toldot HaAdam kannte, das nämlich die Finger ihrer Hände lang waren und tatsächlich, trotz aller Beschwerden, die sie hatte, so verlief die Geburt anschließend jedoch reibungslos mit Hilfe des Herrn. (YM, § 32, 109)
In Anbetracht der traurigen Erfahrungen die Katzenellenbogen diesbezüglich in seiner eigenen Familie machen muss, ist sein Interesse daran groß, Abhilfe hinsichtlich der Gefahren zu schaffen, welchen die Frauen bei der Niederkunft ausgesetzt waren. Wie schon erwähnt, wendet sich Katzenellenbogen hierfür vor allem an R. Benjamin Beinish, den Verfasser von Imtahat Binyamin, der sich 1720, nach dem Tod seiner ersten Frau Sara Rachel, bei ihm in der Gemeinde Wallerstein aufhält und den Katzenellenbogen als Ba’al Schem Tov bezeichnet.79 Von ihm erhält Katzenellenbogen zweierlei Mittel, welche die Beschwerden der Frau bei der Geburt erträglich machen sollten: Das eine waren Namen, eingeflochten auf ein weißes Stück Flachs, fünf Finger und einen Daumen breit und ca. sieben Finger lang. Und in seiner Handschrift war auf der einen Seite ,innen‘ geschrieben, als Zeichen, dass diese Seite auf den Bauchnabel der gebärenden Frau gelegt werden müsse. Und auf der anderen Seite stand geschrieben ,außen‘, als Zeichen, dass diese Seite außen sein müsse. Und an beide Seiten machte er selber in seiner Ehre zwei Schlingen aus Flachs, um in diese zur Verbindung einen Strick aus Flachs zu stecken. Und dieses Stück Stoff wurde der Frau auf den Bauchnabel gelegt und mit dem Strick dort verbunden, damit es nicht vom Bauch fiel und dieses muss man sehr beachten, dass man das Stück Stoff erst auf den Bauch legt, wenn die Geburt beginnt und sofort weiß die Gebärende, wann die Geburt beginnt. Man muss auch aufpassen, dass, sofort, wenn das Neugeborene kommt und sowohl die Frau als auch das Neugeborene belästigt werden durch die Schmerzen, die Frauen, in childbirth was closely guarded; men were stationed in the house who prayed for her and her child, and recited various Psalms that were believed to be effective against the spirits.“ 78 Möglicherweise wurde Rebekka Esther dem in Boskowitz bestehenden Brauch folgend auf einem eigens für die Wöchnerinnen vorgesehenen Teil des jüdischen Friedhofs begraben. Ein Hinweis auf diesen Brauch findet sich bei Kahane, Boskovice, 97. Dies war keineswegs unüblich und ist dadurch zu erklären, dass die im Wochenbett Verstorbenen sich nicht mehr der anschließend vorgeschriebenen rituellen Reinigung in der Mikwe unterziehen konnten. Auch auf dem alten jüdischen Friedhof in Fürth wurden die Wöchnerinnen aus diesem Grund in einem besonderen Bereich innerhalb der westlichen Mauer begraben, wo wegen des nahen Flusses der Grundwasserspiegel höher stand und sie dadurch gewissermaßen eine Reinigung im natürlichen Wasser erfuhren. Vgl. Blume, Friedhof, 39. 79 Vgl. YM, Register zu § 24, 485.
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die dabei stehen, die Namen mit dem oben genannten Stück Stoff entfernen, sobald die Geburt beginnt, da es sonst eine große Gefahr gibt, dass nämlich die Därme der Frau nach dem Kind austreten. Dieses ist tatsächlich einmal passiert und eine Frau daran gestorben, dass ihr die Därme austraten. Deshalb muss man gut darauf aufpassen, das Stück Stoff rechtzeitig zu entfernen, dann wird die Frau schmerzfrei und erfolgreich gebären mit Hilfe Gottes. (YM, § 24, 99)
Außerdem erhält Katzenellenbogen von Benjamin Beinish kleine Zettel, auf denen in assyrischer Schrift Heilige Namen geschrieben sind, die Katzenellenbogen zwar wiedergibt, dabei aber zugleich ausdrücklich betont, dass er diese Namen nur in Ausnahmefällen benutzt, wenn eine schwere Geburt zu erwarten ist. Die Zettel, auf bestimmte Weise angeheftet an das Bett der Gebärenden, sollten dieser helfen, ihr Kind ohne größere Beschwerden zur Welt zu bringen.80 Katzenellenbogen benutzt diese Hilfsmittel nicht nur im privaten Gebrauch, sondern wendet sie auch in seiner Funktion als Rabbiner an, um Frauen aus seiner Gemeinde bei der Niederkunft zu unterstützen. Sowohl in Leipnik und Marktbreit, wie später auch in Boskowitz erprobt er sie verschiedentlich und ist damit nach eigenen Angaben so erfolgreich, dass auch von außerhalb Hilfsgesuche an ihn gerichtet werden: Unser Lehrer und Meister R. Isaak Wolf bat mich um diese Namen, als er in Deutz wohnte und seine Tochter kurz vor der Geburt war. Ich schickte sie ihm, er aber schickte sie mir nicht zurück. (YM, § 31, 108)
Offenbar war es keineswegs einfach, an solche Wundermittel zu gelangen. Katzenellenbogen schreibt, dass trotz seiner Bitte, die Zettel mit den Namen, die der Ba’al Schem R. Beinish ihm gegeben hatte, nach der Geburt an ihn zurückzugeben, einige diese zerrissen und er Schwierigkeiten hatte, sich neue zu beschaffen: Ich suchte jemanden, der assyrische Buchstaben schreiben konnte und erlaubte, die oben genannten Namen auf Pergament zu schreiben. Und siehe, obwohl sie inzwischen alt sind, helfen sie mit Hilfe des Herrn wie am Anfang.“ (YM, § 31, 108)
Krankheit Verfasser von Selbstzeugnissen im 17. und 18. Jahrhundert schreiben oft eingehend über Krankheiten. Die Erfahrung von Krankheit und Tod wurde zu dieser Zeit als integraler Bestandteil des täglichen Lebens wahrgenommen.81 80 Vgl. YM, § 31, 107 f. Vgl. hierzu auch Trachtenberg, Magic, 201: „Sometimes the mere repetition of a magic name is sufficient to effect the cure, or the name is inscribed directly upon the person of the invalid, or is brought into action by means of a specially prepared amulet.“ 81 Vgl. Zinger, Hearts, 61. Wie Katzenellenbogen berichten etwa auch Glückel Hameln und Jakob Emden in ihren Selbstzeugnissen ausführlich über Krankheiten, an denen sie selber und ihre
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So sind Krankheiten in zahlreichen Selbstzeugnissen „ein dominantes Thema der Selbstdarstellung“, schreibt Tersch.82 Piller spricht allgemein von Krankheiten als „einschneidende[n] körperliche[n] Erlebnisse[n]“, die oft als „erinnerungs- und mitteilungsrelevant“ erachtet werden. Wenn solche Erlebnisse in Selbstzeugnissen Niederschlag finden, so Piller, „strukturieren“ sie oftmals „die Erinnerungen und prägen in diesem Sinne das, was als verdichtete Erfahrung – als Erfahrungsschatz – in den Texten aufgehoben ist.“83 Demgegenüber fällt in Yesh Manchilin auf, dass es Katzenellenbogen weniger um den Bericht über die Krankheiten an sich geht, sondern dass für ihn zunächst und vor allem die zur Linderung der Krankheiten erprobten Mittel sowie deren Tradierung und Vererbung von Interesse sind. Neben der Beschreibung der Krankheiten ist es ihm also in erster Linie wichtig, seinen Kindern Mittel weiterzugeben, mit denen sich verschiedenen Krankheiten vorbeugen lässt bzw. die den Heilungsprozess voranbringen. Die Mittel und Maßnahmen, die er vererbt, sind erprobt und von ihm als bewährt empfohlen.84 Katzenellenbogen bezieht dabei seine medizinischen Kenntnisse und sein Wissen über Heilmittel aus verschiedenen Quellen, darunter aus medizinischen Büchern, die seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert zunehmend in Umlauf waren. Neben dem bereits erwähnten Sefer Toldot Adam von Mose ben Eliahu Galina und Imtahat Binyamin von Benjamin Beinish, aus denen Katzenellenbogen konkrete Ratschläge bezieht, weist das Verzeichnis seiner Bücher eine Reihe weiterer Werke über Medizin und Heilmittel auf, die sich offenbar in seinem Besitz befanden.85 Eine weitere Quelle, aus der Katzenellenbogen seine Kenntnisse von Wundermitteln schöpft, ist das Notizbuch seines „frommen Vaters“. In ihm hat Mose Katzenellenbogen Heilige Namen aufgezeichnet und Methoden, mit denen sich verschiedene Krankheiten bekämpfen lassen.86 Katzenellenbogen übermittelt seinen Kindern daraus ein wundersames Mittel für ein Kind, das an Epilepsie leidet; und zwar einen Ring aus reinem Silber, in den die Heiligen Namen eingraviert sind. (YM, Register zu § 20, 485)
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Verwandten immer wieder zu leiden hatten und durch die sie zahlreiche Angehörige verloren haben. Vgl. z. B. Emdens Schilderung vom Verlust seiner zwei ersten Ehefrauen und einer Reihe seiner Kinder in Megillat Sefer, Kahana, 160 f. Tersch, Vielfalt, 88. Piller, Körper, 16. Vgl. hierzu auch Zinger, Hearts, 67. Darunter u. a. Shem Tov Katan (Sulzbach 1706), Sefer Zekhira (Hamburg 1709), Minchat Ya’akov Selet (Wilhermsdorf 1731) sowie Ma’asse Tuvia (Venedig 1707) von Tobias HaCohen, der den Doktortitel an der Universität in Padua erworben hatte. Vgl. YM, Reschimat HaSefarim, 41 ff. Das Interesse an solchen Werken auch aus der Feder nichtjüdischer Autoren war offenbar weit verbreitet. Jakob Emden etwa nennt als eine Triebfeder für sein mühsames Erlernen des lateinischen Alphabets den Wunsch, sich mit dem medizinischen Wissen der nichtjüdischen Umwelt vertraut zu machen. Vgl. Emden, Megillat Sefer/Ed. Kahana, 96 ff. Vgl. YM, § 19, 93 und das Register zu § 19, 485.
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Dieses Mittel, das „erprobt und erfahren“ ist, hat Mose Katzenellenbogen offenbar von Zwi Hirsch Kaidanover87 übernommen, „der ein großer Experte auf dem Gebiet der Amulette ist.“88 Katzenellenbogen gibt an, dass Zwi Hirsch Kaidanover sich im Jahr 1704 oder 1705 im Haus seines Vaters aufgehalten habe und sein Vater um diese Zeit einen solchen Ring mit Heiligen Namen zum Schutz gegen Epilepsie anfertigen ließ. Katzenellenbogen berichtet weiter : Und dieser Ring, in dessen Innenseite die oben erwähnten Namen eingraviert waren, gelangte nach dem Tod meines Vaters in meine Hände, doch hatte ich vergessen, wozu er diente, bis ich etwa zwei Tage später fand, was im Notizbuch meines Vaters geschrieben stand und ich sah, dass er wunderbar war. Und im vergangenen Monat gab ich ihn meinem geliebten Sohn R. Gabriel aus Nikolsburg. […] Und ich ehrte meinen Sohn mit oben erwähntem Ring. Und ich erzählte ihm die Geschichte von den Fingern89 meines heiligen Vaters und schrieb für ihn ab, alles was in oben erwähntem Buch stand, damit er sich daran erinnert. (YM, § 20, 94)
Sowohl den Ring als auch die schriftliche Gebrauchsanweisung dazu aus der Tradition des Vaters vererbt Katzenellenbogen seinem Sohn. Darüber hinaus beschreibt er Ring und Wirkung, wie ihm von seinem Vater übermittelt und durch die Autorität von Zwi Hirsch Kaidanover bestätigt wurde, um auch seine übrigen Kinder und Nachkommen darüber in Kenntnis zu setzen. Neben der Tradierung des Wirkmittels an sich vermittelt Katzenellenbogen seinen Kindern also auch die Bedeutung der schriftlichen Fixierung familiären Traditionen. Als eine weitere Quelle, aus der er Heilmittel zur Behandlung von Krankheiten schöpft, nennt Katzenellenbogen eine Handschrift von Arie Jehuda Löw, der bis 1740 Rabbiner in Boskowitz war. Sie gelangt durch seinen Schwiegersohn Simon, den Enkel Arie Jehuda Löws, in seine Hände, als er auf der dringenden Suche nach einem Mittel gegen Fieber ist. Im Elul 1758 hat Katzenellenbogen einen Brief seiner verwitweten Tochter Rachel aus Prag erhalten, in dem sie ihm verzweifelt von einem Fieber berichtet, das sie seit geraumer Zeit regelmäßig befällt und gegen das bislang kein Mittel geholfen hat. Katzenellenbogen zitiert den Brief seiner Tochter. Ausführlich schildert sie darin ihre Leiden und die bis dahin vergeblichen Versuche, Abhilfe zu schaffen: 87 Zwi Hirsch Kaidanover wurde in Wilna geboren. Seine religiöse Ausbildung erhielt er durch seinen Vater Aaron Samuel Kaidanover und Joseph ben Jehuda, der Rabbiner in Minsk und Verfasser von Yesod Yosef war. Ende des 17. Jahrhunderts ging Kaidanover mit seiner Familie nach Frankfurt, wo er 1705 sein Kav HaYashar, das er noch in Wilna fertiggestellt hatte, zunächst auf hebräisch, später u. a. auch auf jiddisch veröffentlichte, und das große Popularität erlangte. Kaidanover starb 1712. Zu Kaidanover und sein Kav HaYashar vgl. Zinberg, History 6, 158ff und Idel, Rabbi, 123 – 133. 88 YM, § 20, 93. 89 Katzenellenbogen bezieht sich hier auf die näheren Umstände bei der Anfertigung des Ringes.
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Der Herr gebe mir die Gesundheit meines Körpers zurück. Ich habe mit Hilfe des Herrn verschiedenartige Medizin versucht mit einer Kur, die mir der Arzt gegeben hat, aber wegen unserer vielen Sünden hat es nichts genutzt und das Fieber kehrte zurück schlimmer als zuvor. Und ich habe angefangen Medizin zu nehmen von R. Salman90, dem hiesigen Arzt und es hat, mit Hilfe des Herrn, einige Male geholfen. Aber wegen unserer vielen Sünden kam es zurück am vergangenen Freitag um drei Uhr nach Mitternacht und ist bis gestern, dem heiligen Sabbat um elf Uhr abends nicht mehr von mir gewichen. Wider meinen Willen sitze ich daher und hoffe, dass es nicht wiederkommen wird in der Nacht von Rosch HaSchana, und wenn es kommen wird, Gott behüte, werde ich am ersten Tag von Rosch HaSchana nicht in die Synagoge gehen und keine Bußgebete sprechen können. Der Herr gebe mir gute Nachricht mit Hilfe des Herrn. Nun sind fünfzehn Monate seit Beginn meiner Krankheit vergangen und auch hier stand der Herr mir mit großer Gnade bei wegen des Verdienstes meiner Väter, denn er gab mir die Kraft, dass ich die Angelegenheiten in meinem Haus beaufsichtigen und ein wenig meinen Pflichten nachkommen konnte, auch dies ist zum Guten, er sei gesegnet, auch wenn es mir schwer fällt. Ich hoffe, dass der Herr in seinem Erbarmen mich retten wird. Und ich hoffe, dass die Tage des Winters nicht zu hart werden, so der Herr will, denn die Tage des Winters sind hart für Fieberkranke und die Medizin nützt weniger. Der Herr helfe mir. (YM, § 26, 101)
Von ihrem Vater erhofft sich die Kranke im weiteren Verlauf des Briefes Beistand durch seine Gebete, während sie ihren Bruder Gabriel darum bittet, für sie nach Wien zu gehen, um den dortigen Ärzten ihren Fall zu schildern und ihr nach Möglichkeit neue Medikamente zu schicken.91 Katzenellenbogen berichtet nicht, ob sein Sohn dieser Bitte nachgekommen und zu welchen Ergebnissen er dabei gelangt ist. Stattdessen schildert er, wie er selber, „mit Gottes Hilfe“, nach einem Mittel für Fieberkranke forscht und dabei in der Schrift des Arie Jehuda Löw fündig wird. Folgendes wundersam-magisches Mittel überträgt er daraus in sein Werk: Ein Fieberkranker muss sich einen Topf und einen Deckel zum vollen Preis kaufen, wie ihn der Verkäufer verlangt. Und er muss in den Topf 77 kleine Beeren zählen und dabei sagen: ,Nicht eins, nicht zwei, usw. bis 77.‘ Und danach muss der Fieberkranke in den Topf auf die Beeren urinieren, den Deckel auf den Topf legen und ihn mit Lehm befestigen. Dann muss er den Topf mitsamt seinem Inhalt an einem Ort tief im Boden vergraben, über den niemand hinweg geht, z. B. neben einer Mauer oder ähnlichem. Und dieses Mittel ist versucht und erprobt mit Hilfe des Herrn. (YM, § 26, 101)
Katzenellenbogen gibt über den Ausgang der Krankheit seiner Tochter keine weitere Auskunft. Wichtiger scheint ihm an dieser Stelle zu sein, die Heilmethode, die er der Schrift seines Vorvorgängers im Boskowitzer Rabbinat übernommen hat, als „erprobtes Mittel“ für seine Nachkommen festzuhalten.92 90 Vgl. zu dem Arzt R. Salman aus Prag im Apparat von Feld zu § 26, 406. 91 Vgl. YM, § 26, 101. 92 Von einem weiteren, nicht minder wundersamen Mittel gegen Fieber erfährt Katzenellenbogen
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Der Schrift von Arie Jehuda Löw entnimmt Katzenellenbogen zudem ein Mittel, das gegen Zahnschmerzen helfen soll: Bei Zahnschmerzen nehme man einen Teller aus Holz und schreibe im Kreis folgende Worte: […] Derjenige, den es schmerzt, nehme ein Messer in seine Hand und frage, ob der Schmerz oben oder unten sei. Wenn er oben ist, steche er mit der Spitze in jeden einzelnen Buchstaben von oben hinein. Wenn er aber unten ist, steche er in jeden einzelnen Buchstaben von unten hinein. Und so steche er rundherum und sage die oben genannte Beschwörung und bei jedem Mal frage man ihn, ob der Schmerz aufgehört habe. Aber niemand sollte dieses mehr als einmal am Tag tun und es sollten auch keine Schwangeren oder kleinen Kinder tun, denn das wäre gefährlich. Soweit die Schrift des oben genannten Raws, Buchstabe für Buchstabe abgeschrieben. (YM, § 27, 102)
Die besondere Wertschätzung, die er den Worten des früheren Rabbiners seiner Gemeinde entgegenbringt, begründet Katzenellenbogen, indem er schreibt: Die Worte von Arie Jehuda Löw, sel.A., waren in meinen Augen Worte der Kabbala. Er hatte sie von seinen heiligen, großen Vätern empfangen aus dem Land Israel. Deshalb will ich euch nicht vorenthalten, was ich in seiner Schrift gefunden habe. (YM, § 27, 102)
Grundsätzlich lässt sich erkennen, dass die Heilmittel, die Katzenellenbogen sowohl aus dem Notizbuch seines Vaters, als auch aus den Aufzeichnungen des ehemaligen Boskowitzer Rabbiners übernimmt, ihre hohe Bedeutung jeweils dadurch erhalten, dass sie von einer Generation zur nächsten weiter gegeben werden. Die Tradierung und das Vererben der erprobten Mittel steht im Zentrum seines Interesses. Dieses Interesse an der Tradierung von Heil- und Wundermitteln, das Katzenellenbogen mit vielen seiner jüdischen Zeitgenossen teilt, ist sicherlich auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass Juden zu dieser Zeit noch der Zugang zu universitärer Bildung, auch im medizinischen Bereich, fast grundsätzlich verwehrt war.93 Die Weitergabe von Wissen musste daher zwangsläufig andere Wege nehmen.94 Körperwissen sowie Mittel und Verfahren zur Linderung von Krankheit wurden daher im jüdischen Kontext meist vom Vater zum Sohn weiter vererbt.95 Auch Katzenellenbogen selbst durch eine Frau, deren Mann bereits zum vierten Mal in Folge an Fieber erkrankt war und vor Schwäche kaum noch sprechen konnte. Auch dieses Mittel verzeichnet Katzenellenbogen. Vgl. YM, § 26, 102. 93 Während in Padua bereits 1409 ein jüdischer Student in Medizin graduieren konnte, wurde in Prag erst 1721 einem Juden ein Studienabschluss gewährt. Vgl. Jtte, Contacts, 142 f. 94 „Since by law Jews were generally not permitted to attend university, the ordinary channels of medical instruction were closed to them.“ Ebd., 142. 95 Vgl. ebd., 143, zur Ausbildung jüdischer Ärzte dieser Zeit: „Evidence from Frankfurt am Main and towns along the Rhine suggests that a Jewish physician frequently inherited […] the medical practice from a close relative such as a father or an uncle.“
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bezieht seine Kenntnisse auf diesem Gebiet entweder aus Familientraditionen, die ihm von seinem Vater vererbt wurden, oder von anderen Lehrern und Autoritäten, soweit sich deren Mittel jeweils in ihrer Erprobung bewährt haben. Die Inanspruchnahme tradierter Heil- und Wundermittel sowie „moderner“ medizinischer Dienstleistung schloss sich allerdings keineswegs aus, sondern wurde gleichermaßen in Anspruch genommen.96 Dies zeigt sich etwa am Beispiel von Katzenellenbogens Vater Mose, der sich im Jahr 1733 schwer erkrankt nach Fürth wandte, „wo es viele Ärzte gab“, um professionelle ärztliche Hilfe zu erhalten.97 Es ist anzunehmen, dass er sich dort in dem bereits 1653 am Rande des alten jüdischen Friedhofs errichteten jüdischen Hospital, dem sogenannten Hekdesch, aufhielt, zu dessen Personal ein Arzt, ein Chirurg, eine Hebamme sowie mehrere Hilfskräfte gehörten.98 Bereits seit 1640 praktizierte als erster jüdischer Arzt in Fürth auch schon Dr. Löw, der zugleich Apotheker war und dessen medizinische Kompetenzen durch eine Prüfung vor dem kaiserlichen Leibarzt in Wien bestätigt worden waren.99 Katzenellenbogen beschreibt auch seine eigene Krankheiten und die Heilmethoden, mit denen er sich zu kurieren versucht, mit erstaunlicher Genauigkeit. Dabei fällt auf, dass er bei sich selbst weniger auf tradierte und magische, als auf modernere Mittel zurückgreift. Vor allem mit zunehmendem Alter machen sich bei Katzenellenbogen immer mehr körperliche Beschwerden bemerkbar, die ihn stark beeinträchtigen. Ende 1754 sind es neben Schmerzen an Kopf, Herz und Eingeweiden, die ihn zeitweilig ans Bett fesseln, insbesondere seine Augen, um die er sich sorgt. Seine Sehkraft verschlechtert sich merklich und macht ihm das Schreiben fast unmöglich. In seiner Verzweiflung reist Katzenellenbogen nach Wien, „um irgendeine Medizin gegen meine Plagen zu finden.“100 Dort sucht er zwei Ärzte auf, die sich auf Augenheilkunde spezialisiert haben, ihm letztlich aber nicht helfen können, sondern ihm statt dessen eine weitere Verschlechterung seines Zustands prognostizieren. Katzenellenbogen aber „hörte nicht auf ihre Worte und glaubte nicht an sie, denn ich vertraute auf Gott, den Gott meiner Väter, der auch mein Gott, mein Retter und meine Hilfe ist.“101 Alle Heilungsversuche schlagen jedoch fehl. Hilfe erhält Katzenellenbogen erst, als sein Schwager Arie Jehuda Löw Eskeles ihm im Namen eines Arztes von einer Medizin berichtet, deren Anwendung und Wirkungsweise Katzenellenbogen ausführlich darstellt. „Mit Hilfe des Herrn“ heile diese Medizin 96 Vgl. Zinger, Hearts, 74: „Just as faith in the influence of God and the influences of the demons on man’s body did not contradict the belief in classical medical theories, so the acceptance of Kabbalistic principles did not lead to abandonment of the medical principles of the time.“ 97 Vgl. YM, § 54, 147 f. 98 Vgl. zum jüdischen Hospital in Fürth Eberhardt/Purrmann, Fürth, 272 und Blume, Friedhof, 9. Hier ist auch eine Fotografie des Hekdesch aus dem Jahr 1927 abgebildet. 99 Vgl. Jegel, Kampf, 149ff; Lçwenstein, Fürth II, 65 und Blume, Friedhof, 9. 100 YM, § 45, 135. 101 YM, § 45, 136.
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den Körper von dem Eiter und den Winden, die ihn quälen und dazu führen, dass die Dämpfe ins Gehirn steigen, denn sie verursachen die Qualen und die Krankheit und den Schmerz von Kopf und Herz. […] Und daher kämen auch die Qualen an den Augen. Doch wenn man den Eiter entferne, würden die Schmerzen an den Gliedern und auch an den Augen verschwinden. […] Es ist eine kleine und einfache Medizin, nämlich die Blüte eines Korns, das man Blaukorn nennt. Man nehme es zwischen Daumen und Zeigefinger und bringe Wasser in einem kleinen Topf zum Kochen und gebe das erwähnte Blaukorn in das Wasser, wenn es siedet und bedecke den Topf, damit es ein bisschen kocht. Dann nehme man den Topf von dem Feuer und trinke es wie Tee. Und das Gute ist, dass man es ohne Zucker trinkt. Wenn man aber möchte, kann man auch etwas Zucker hinzu tun. Es nützt und reinigt den Körper von dem Eiter und heilt die Eingeweide. Und damit die Medizin auch für die Augen hilft, nehme man das kochende Wasser mit dem oben erwähnten Korn darin und verhülle seinen Kopf mit einem Laken oder Tuch und halte den Kopf über das kochende Wasser, so dass der Dunst von dem siedenden Korn in die Augen steigt und dies ist eine erprobte Medizin. (YM, § 45, 136)
Katzenellenbogen schreibt, dass dieses Mittel ihm tatsächlich Erleichterung verschafft und dass es darüber hinaus zuweilen auch bei Durchfall hilfreich sei. Im Laufe des Jahres 1756 lassen auch die Schmerzen seiner Augen nach, doch fürchtet er, dass eine regelmäßige Behandlung der Augen mit dem Dunst auf Dauer schädlich sein könnte. So belässt er es dabei, kochendes Wasser mit dem Korn täglich zu trinken. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit des heilsamen Blaukorns, die seiner Gesundheit zuträglich ist, entnimmt er einem kleinen, im Jahr 1691 in Frankfurt am Main gedruckten Buch mit dem Titel Ma’asse HaShem: Und zwar nehme man jeden Morgen von dem oben genannten Korn soviel, wie man zwischen zwei Fingern halten kann in den Mund und behalte es dort, bis es feucht wird und man lutsche dieses Getränk und schlucke es dann mit der Kehle und es ist eine Medizin, die den Körper und die Gedärme reinigt und die Würmer entfernt. Man behalte es etwa. eine Viertelstunde im Mund und schlucke es danach mit der Kehle. Und dies ist eine Medizin, die man, mit Hilfe des Herrn, nach dem, was in den oben genannten kleinen Band steht, mindestens an dreißig Tagen im Jahr anwenden soll. Und auf diese Weise erhielt ich mit Hilfe des Herrn, Er sei gesegnet, meine Gesundheit zurück und ich fühlte keine Schmerzen mehr in meinen Augen. (YM, § 45, 137)
Schließlich schreibt Katzenellenbogen auch davon, dass sowohl sein Vater wie er selbst unter Hämorrhoiden zu leiden hatten.102 Zur Abhilfe der Schmerzen und Beschwerden, die diese verursachten, weiß Katzenellenbogen verschiedene Mittel. So pflegt er
102 Vgl. YM, § 87, 183. Katzenellenbogen verwendet die Bezeichnung „goldene Ader“, wenn er von diesem Leiden spricht.
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jeden Tag, in der Stunde meiner Erholung, Kaffee mit geschlagenem Eigelb zu trinken. Dies stärkt alle meine Glieder, mit Hilfe des Herrn. Und seit ich mich so verhalte, verspüre ich keinen Schmerz und keine Schwäche des Herzen und keinen Kopfschmerz. Auch der Schmerz meiner Hämorrhoiden verschwindet, mit Hilfe des Herrn. (YM, § 38, 118)
In Ma’asse kol-Jom beobachtet und beschreibt Katzenellenbogen dieses Leiden ausführlicher, das ihn offenbar einen großen Teil seines Lebens begleitet hat, und spart dabei auch intime Details nicht aus. Eingebunden in eine Schilderung seines Tagesablaufs und seiner Studien notiert er am 28. Cheschwan 1760: Danach verrichtete ich meine Bedürfnisse und bemerkte eine Blutung, die, mit Hilfe des Arztes, eine vollkommene Medizin für den Körper ist, wie die Ärzte sagen. Während meiner Jugend hatte ich starke Blutungen, die von einer goldenen Ader herrührten. Später, mit zunehmendem Alter, wurden die Blutungen weniger und erfolgten nur noch tröpfchenweise. Und jetzt, da ich alt bin, hören die Blutungen zuweilen ganz auf, so wie bei den Frauen im Alter die Menstruation aufhört. Auch mein Vater, unser heiliger und frommer Meister, sel.A., hatte in seiner Jugend eine goldene Ader, aber nach fünfzig Jahren versiegte die Quelle und er litt an Schmerzen […]. An mir aber ist es denjenigen zu segnen, der mich mit Hilfe des Herrn an die erwähnte Medizin gewöhnt hat. Denn manchmal spüre ich, wie das Blut kommt und es scheint mir, dass dieses dadurch verursacht wird, dass ich mich daran gewöhnt habe, immer ein bisschen Gras, das man Tabak nennt, zu kauen. Der Speichel, der dabei entsteht, ist ein wenig bitter, aber er lindert die Leiden. Vor über zwanzig Jahren habe ich gehört, dass man in London auf Geheiß der Ärzte diesen bitteren Speichel schluckt. Und es ist eine erprobte Medizin. (YM, Ma’asse kol-Jom, § 6, 344 f)
Als wirksam gegen die Beschwerden nennt Katzenellenbogen also ein von Ärzten in London empfohlenes Mittel. Daneben gilt sein Lob jedoch gleichermaßen Gott, dem er die Erleichterung von seinen Leiden zuschreibt. Medizinische Erkenntnis ist bei Katzenellenbogen immer wieder untrennbar mit der religiösen Weltsicht verbunden.
Deutung von Krankheit und Sterben Trotz aller Gebete, Wundermittel, Arzneien, Kuren und ärztlichen Weisungen ist es nicht immer möglich, Krankheiten und andere Gefährdungen des Körpers zu besiegen und Leben zu bewahren. Auch unzeitgemäßer Tod ist daher eine Erfahrung, die Katzenellenbogen wie seinen Zeitgenossen im familiären und sozialen Umfeld begegnet. Vielfach berichtet er von Todesfällen, die sich in seinem engsten Familienkreis, in der weiteren Verwandtschaft oder in seiner Gemeinde ereignen. Katzenellenbogen führt Erklärungs- und Deutungsmuster an, die Krankheit und Tod in das religiös geprägte Weltbild
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einzuordnen versuchen und diesen Erfahrungen in gewisser Hinsicht einen Sinn zuschreiben. Wie die Genesung von schwerer Krankheit als Wunder und Gnade Gottes gedeutet wird, so wird in der Regel auch der Tod als schicksalsbedingt und als ein Ergeben in den Willen Gottes dargestellt.103 Verschiedentlich schildert Katzenellenbogen, wie ihm das zukünftige Schicksal eines nahe stehenden Menschen in Form einer Vorsehung offenbart wird, deren Erfüllung nicht lange auf sich warten lässt. Im Traum wird ihm der bevorstehende Tod von Jakob Eskeles, dem Vater seiner zweiten Ehefrau Olek angekündigt. Zusammen mit seiner Familie reist Katzenellenbogen im Ijjar des Jahres 1722 von der Gemeinde Leipnik nach Marktbreit, wo er zu Schawuot das Amt des Rabbiners übernehmen soll. Die Familie unterbricht ihre Reise in der mährischen Gemeinde Schaffa, um Katzenellenbogens Schwiegervater zu besuchen, der dort als Rabbiner tätig ist. Zum Zeitpunkt des Besuchs leidet Jakob Eskeles jedoch an einer Lungenkrankheit, die ihn stark beeinträchtigt. Nach zwei Tagen setzt die Familie ihre Reise dennoch fort. Katzenellenbogen erinnert sich: Am heiligen Sabbat, dem 8. Ijjar, sah ich im Traum meinen Schwiegervater, sel.A., doch hatte ich vergessen, wie er aussah. Ich weiß nur, dass mir bei meinem Erwachen folgender Vers einfiel: Du hast die Tage seiner Jugend verkürzt (Ps 89,46). Ich erschrak darüber sehr und all meine Glieder zitterten. Und eure Mutter, die kluge Rabbinerin, sah in mir die Zeichen von Furcht und Schrecken. Sie fragte mich, warum zitterst du, aber ich sagte es ihr nicht. Und wegen unserer großen Sünden starb am darauf folgenden Sabbat der heilige Rabbiner, mein ehrwürdiger Schwiegervater R. Jakob, sel.A., am 11. Ijjar.104 Wir kamen aus Schwabach zu Ehren meines Schwiegervaters und erzitterten noch einmal, dass er am heiligen Sabbat, dem 11. Ijjar, verstorben war. Und eure Mutter, meine Ehefrau, die Rabbanit, saß dort sieben Tage lang Trauer für ihren Vater sel.A. Dann erzählte ich ihr, warum ich gezittert hatte, und sie erinnerte sich an das Zittern, das mich an jenem Sabbat befallen hatte […], und ich verstand, dass ich ein schlechtes Omen für ihren Vater gesehen hatte. (YM, § 13, 81)
Durch ein ähnliches Vorzeichen wird Katzenellenbogen seiner Darstellung nach auch der Tod seiner Tochter Rebekka Esther angekündigt. Erst rückblickend vermag er jedoch, dieses Zeichen richtig zu deuten. Unter § 30, den Katzenellenbogen am 13. Cheschwan, also etwa einen Monat nach dem Tod seiner Tochter niederschreibt, berichtet er, wie ihm in der Nacht von Rosch HaSchana des Jahres 1758 ein Bibelvers in den Sinn gekommen sei, der ihn zunächst in Unruhe versetzt habe: 103 Vgl. zur Fügung in den Willen Gottes angesichts von Schicksalsschlägen auch van Dlmen, Kultur, 213. 104 Feld weist darauf hin, dass Jakob Eskeles am 15. Ijjar verstorben sein muss, wenn er seinem Schwiegersohn am heiligen Sabbat, dem 8. Ijjar im Traum erschienen sein soll und er am darauf folgenden heiligen Sabbat, also sieben Tage später, verstorben ist. Vgl. § 13, FN 2.
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In der Nacht von Rosch HaSchana erwachte ich aus meinem Schlaf eine Stunde nach Mitternacht und mir fiel folgender Vers in den Mund: „Und du legst mich in des Todes Staub.“ (Ps 22,16) Ich erschrak über dieses Bild, doch sofort sagte ich in meinem Herzen, dass ich auf Gottes Gnade vertraue jeden Tag.105 Und ich sagte mir folgende Verse auf: „Der Herr behütet die Unmündigen; wenn ich schwach bin, so hilft er mir usw.“ (Ps 116,6) bis zum Schluss des Psalms. Und ich vollendete meine Absicht, mir dies ins Erinnerungsbuch zu schreiben und zu gucken, was in diesem Jahr mit Hilfe Gottes geschehen würde. (YM, § 30, 107)
Katzenellenbogen bezieht den Vers zunächst auf sein eigenes Schicksal, beschwichtigt jedoch die beängstigende Wirkung, die er auf ihn ausübt, durch eine Rückbesinnung auf sein tiefes Gottvertrauen. Er hält den Vers aber für bedeutsam genug, um ihn als göttliches Zeichen für das beginnende neue Jahr zu verzeichnen und zu sehen, auf welche Weise er sich bewahrheiten würde. Die Antwort erhält er, als seine Tochter Rebekka Esther am 12. Tischri 1758 bald nach der Geburt ihres Kindes stirbt. Im Rückblick erkennt Katzenellenbogen den Vers als Vorzeichen für den Tod seiner Tochter : Nach ihrem Tod erzählte ich meinen Familienmitgliedern von dem Vers, der mir am ersten Tag von Rosch HaSchana in den Mund gefallen war : „Und du legst mich in des Todes Staub.“ Ich hatte gedacht, dass die Bibel dies über mich gesagt hätte, wegen meiner vielen Sünden. Und nun sah ich, dass die Hand des Herrn nach meiner Tochter, der Freude meines Herzens gegriffen hatte. (YM, § 32, 112)
Ebenso als „vom Himmel vorbestimmt“,106 wenngleich auch nicht durch ein vergleichbares Omen angekündigt, beschreibt Katzenellenbogen den unerwarteten Tod seines Großvaters Elieser Heilbronn, nachdem dieser soeben sein Amt als Rabbiner in der Gemeinde Fürth angetreten hatte. Wie bereits erwähnt, kam Elieser Heilbronn zu Sukkot des Jahres 1700 ums Leben, als er in seinem Haus eine Treppe hinab stürzte. Von seinem Vater erfährt Katzenellenbogen die Umstände, die zu dem tödlichen Sturz geführt haben sollen und schreibt sie für seine Nachkommen zur Erinnerung nieder. Kurz vor dem tödlichen Sturz seines Großvaters war bereits seine Großmutter auf derselben Treppe zu Fall gekommen. Anschaulich schildert Katzenellenbogen: In der ersten Nacht des Sukkot-Festes wollte meine Großmutter, der Friede sei mit ihr, […] vom Haus zur Sukka gehen. In der Nähe dieser Tür war eine Treppe, die in ein unteres Zimmer führte, in dem der Chasan wohnte. Eine Kerze brannte auf dem Geländer dieser Treppe, doch plötzlich fiel meine Großmutter, die Rabbanit, die Treppe hinunter nach unten auf den Boden und trug einige Wunden in ihrem Gesicht und Beulen an ihrem Kopf davon. Und sie schrie mit bitterer Stimme. Und als sie 105 Katzenellenbogen spielt hier auf seinen Namensvers an (Ps 34,23: Der Herr erlöst die Seele seiner Knechte, und alle, die auf ihn trauen, werden frei von Schuld sein), der ihm im Traum zugefallen ist. Vgl. YM, § 6, 74. 106 YM, § 78, 176.
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aufgestanden war und ins Haus ging sagte sie, sie hätte gespürt, wie irgendjemand sie mit starker Hand gepackt und die Treppe hinunter nach unten geworfen hätte. Und wir alle staunten über diese Sache. (YM, § 77, 175)
Den Worten von Katzenellenbogens Großmutter zufolge sei es ein böser Geist gewesen, der in dem Durchgang zwischen Haus und Sukka gewohnt und sie gestoßen habe. Die Existenz dieses Geistes wird durch weitere Zeugen in Gestalt eines Hausdieners und des späteren Fürther Rabbiners Baruch Rapoport107 bestätigt. Letzterem sei der böse Geist in der Sukka erschienen: Er war nach polnischem Brauch gekleidet und sagte zu ihm: Schalom Rabbiner! Und dieser antwortete ihm: Fort mit dir, du Unreiner! Und als er den Gemeindeführern davon berichtete, bauten sie ihm eine andere Sukka. (YM, § 77, 176)
Derselbe böse Geist soll nun auch für den unerwarteten Tod Elieser Heilbronns verantwortlich gewesen sein. Katzenellenbogen berichtet von diesem wie folgt: In der Mitte der Nacht des heiligen Sabbat zwischen den Feiertagen von Sukkot stand mein Großvater, der Gaon R. Leiser auf, um seine Notdurft zu verrichten. Er war ein sehr schwerer Mann und wurde geplagt (dem Gerücht zufolge von eben demselben oben erwähnten bösen Geist), bis er nach unten fiel. Und die Ärzte und Spezialisten bemühten sich, ihn wieder ins Leben zu holen, doch war es vom Himmel her bestimmt, dass die Medizin nichts nützte. Und am oben genannten heiligen Sabbat, den 19. Tischri 1701108, verließ ihn gegen Mittag seine Seele in Heiligkeit und Reinheit. (YM, § 78, 176)
Das unerwartete Ableben Elieser Heilbronns, das nicht durch vorangegangene Krankheit angekündigt wird, sondern ihn mitten aus dem Leben reißt, nachdem er gerade sein neues Amt angetreten hat, wird hier durch das Einwirken eines übernatürlichen Wesens in Gestalt eines bösen Geistes erklärt und begreifbar gemacht. Obwohl nicht vorhersehbar, wird auch hier der Tod als von Gott vorherbestimmt beschrieben. Katzenellenbogen erkennt eine Vorahnung des Großvaters darin, dass dieser kurz vor dem Unglück sein Testament verfasst hat.109 Das göttliche Walten, das in das Leben der Menschen eingreift, vollzieht sich jedoch nicht willkürlich und ohne Grund. Katzenellenbogen sucht Erklärungen, welche bisweilen die Schicksalsschläge, die ihn und andere ereilen auch durch menschliches Fehlverhalten begründen. „Wegen unserer vielen Sünden“ ist eine Formel, die häufig angesichts erlittenen Leids erscheint, und mit der Katzenellenbogen auch das Schicksal seiner Tochter zu erklären und 107 Zu Baruch Rapoport vgl. Lçwenstein, Fürth I, 177 ff. 108 Katzenellenbogen irrt sich hier hinsichtlich der Jahreszahl, denn Elieser Heilbronn verstarb bereits im Jahr 1700. 109 Vgl. YM, § 76, 175.
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zu deuten versucht.110 Katzenellenbogen belässt es jedoch nicht bei der Nennung dieser Formel, sondern schildert eine wundersame Begebenheit, um das Schicksal seiner Tochter in einen größeren Sinnzusammenhang einordnen zu können. Er berichtet davon, dass sich im Jahr 1758 neben dem Tod seiner Tochter Rebekka Esther und ihres neugeborenen Sohnes ungewöhnlich viele weitere Todesfälle in Boskowitz ereigneten und die Gemeinde in Unruhe und Verzweiflung versetzten. In dieser Situation erinnert sich Katzenellenbogen an ein Vorkommnis, von dem er 40 Jahre zuvor in der Gemeinde Glogau gehört hatte. Auch dort war es zu einer Reihe von Todesfällen gekommen und die Gemeinde wusste sich nicht zu helfen. Die Angelegenheit habe sich schließlich auf wundersame Weise dadurch gelöst, dass einer der Toten auferstanden sei und den Obersten der Gemeinde im Traum kundgetan hätte, welche Sünde in ihr herrschte und wie diese Schuld wieder gut zu machen sei. Auf diese Weise habe die Gemeinde damals gerettet werden können. Katzenellenbogen schreibt von der großen Verzweiflung, die ihn angesichts der Geschehnisse in Boskowitz überkommt: Ich konnte nicht schlafen wegen des großen Kummers in meinem Herzen und ich sprach zu meinem Herzen wie folgt: Wehe mir, denn in unseren Tagen herrscht große Sorge in unserer Gemeinde. Und wir wissen nicht, was wir tun sollen und ein Gerechter ist nicht unter uns und wir finden keine Medizin. Kein Gerechter ist unter uns, dem aus dem Himmel offenbart werden könnte, worin unsere Schuld besteht und wie wir sie wieder gut machen können. Vielleicht wird sich der Herr des Erbarmens unserer erbarmen. Und barmherzig wird Er unsere Schuld sühnen und uns nicht verderben, der Hüter Israels und der Hüter des Glaubens. (YM, § 64, 164)
Auf ähnliche Weise wie in der Gemeinde Glogau finden schließlich auch die Todesfälle in der Gemeinde Boskowitz aus Katzenellenbogens Sicht eine Klärung. Er berichtet von einem Mann, der ihn aufsucht, um ihm von einem Traum zu erzählen. In diesem sei ihm die Ursache für das Unglück, das über die Gemeinde Boskowitz gekommen ist, offenbart worden. Schuld an den Todesfällen sei die nicht näher erläuterte „böse Tat“ eines gewissen Abraham gewesen, den das Gericht dazu verurteilt hatte „dass er nicht in der Tora lesen dürfe und nicht geläutert würde, bevor er Reue gezeigt hätte.“111 Abraham aber hätte keine Reue gezeigt und das Gericht habe es versäumt, ihn dazu zu zwingen. Katzenellenbogen fügt hinzu, dass er sogleich, als er von diesem Traum hörte, die notwendigen Schritte zur Klärung des Sachverhalts einleitete und die Gemeinde Boskowitz damit endlich zur Ruhe kam. Er schreibt: 110 Vgl. YM, § 32, 111. Vgl. zu der verbreiteten religiösen Weltdeutung, derzufolge es in Gottes Macht steht diejenigen zu heilen, die auf geraden Wegen wandeln, während er sündiges Verhalten mit Unglück und Krankheit ahndet auch Zinger, Hearts, 69 und Bell, Identity, 22: „Through the early modern narratives, the language of ,our sins‘ was common and rather formulaic.“ Bell verweist allerdings zu Recht darauf, dass die Verwendung solch formelhafter Floskeln komplexere Deutungsschemata der Vergangenheit keinesfalls ausschließen. 111 YM, § 65, 164.
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Und der Herr führte alles zum Guten mit Hilfe Gottes. Und Er ist barmherzig und sühnt usw. Und die Zeit führte es zum Guten und all dieses schreibe ich auf in dieses Erinnerungsbuch, damit es den folgenden Generationen als Zeichen diene. (YM, § 65, 166)
Abwehr von Unreinheit Neben dem Bemühen um Schutz gegen die Bedrohungen des physischen Lebens stehen bei Katzenellenbogen gleichermaßen die erprobten Mittel zum Schutz vor ritueller Verunreinigung. Auffälligerweise beschäftigt sich Katzenellenbogen dabei nicht mit Fragen der Kaschrut etc. Beim Schutz vor ritueller Verunreinigung geht es ihm vielmehr fast ausschließlich um Mittel zur Bewahrung vor einer nur bedingt vermeidbaren Unreinheit, die durch den Ausfluss von Körperflüssigkeiten entsteht, nämlich die Unreinheit in Folge von Samenerguss (=LK/keri).112 Rituelle Verunreinigung, so Biale, hat im Judentum letztlich immer etwas mit Kontakt zum Bereich des Todes zu tun.113 Samen und Menstruationsblut versinnbildlichen das, woraus neues Leben entsteht. Der Ausfluss dieser Körperflüssigkeiten führt deshalb zu ritueller Unreinheit, da ihr Verlust als Verlust potentiellen Lebens den betroffenen Menschen mit dem Tod in Verbindung bringt.114 Bei ritueller Verunreinigung durch Samenerguss bricht demnach die Sphäre des Todes mitten ins Leben.115 Gegen diese Bedrohung des Lebens vererbt und tradiert Katzenellenbogen seinen Söhnen erprobte Mittel. Sie sollen einer rituellen Verunreinigung, die Folge eines ohne die Anwendung der Wundermittel unvermeidbaren körperlichen Prozesses ist, vorbeugen. Die Angst vor der Verunreinigung durch nächtlichen Samenerguss erhielt im 17. und 18. Jahrhundert, so Hundert, „almost obsessive attention“:116 Insbesondere beeinflusst durch den Sohar wurde die Unreinheit durch keri zu einer der schlimmsten Verunreinigungen: „The author of Zohar saw nocturnal emission as sexual contact with female demons and worthy of utter con112 Vgl. Biale, Eros, 28, zum Hintergrund der rituellen Verunreinigung durch den Ausfluss von Körperflüssigkeiten: „In the priestly cult the only fluids that create impurity are those that come from the procreative organs: semen, menstrual blood, and also discharges from genital diseases.“ 113 Vgl. ebd., 28: „The most extreme source of impurity is a human corpse (Numbers 19:11 – 22). All lesser impurities can be understood as lesser forms of death.“ 114 Vgl. ebd., 29: „The priests seem to have believed that a man who has ejaculated temporarily loses his vital power ; the impurity he acquires symbolizes a brief loss of fertility, which was the symbolic equivalent of death.“ 115 Vgl. ebd., 28: „It may be a vital life force that symbolizes death when it is not in its proper place.“ 116 Hundert, Jews, 131. Vgl. auch ebd., 132: „Entire books were devoted to the subject of keri, and it is addressed in virtually every work of moral and ethical guidance published in that period.“
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demnation.“117 Laut einer verbreiteten, auf Gen 6,2ff118 und auf den Sohar zurückzuführenden Tradition herrschte eine beträchtliche Angst vor Hybridwesen aus Mensch und Dämon. Hiermit verband sich die Vorstellung, dass sich ein Dämon des nächtlichen Samenergusses bemächtigen konnte, um damit solch ein Hybridwesen zu zeugen.119 Trachtenberg weist darauf hin, dass beispielsweise in der Horowitz Familie gerade diese Angst vor den dämonischen Hybridwesen die großen Anstrengungen zur Vermeidung von nächtlichem Samenerguss erklärt, die sich sowohl in Yesh Nohalin als auch in Shne Luhot HaBrit formuliert finden.120 Auch bei Katzenellenbogen, der sich an den beiden genannten Werken auch in anderer Hinsicht orientiert, ist dieser Gedanke möglicherweise ein entscheidender Grund dafür, dass er sich gerade um die Vermeidung dieser Form von Unreinheit sorgt. Katzenellenbogen schildert verschiedene Situationen, in denen er der Gefahr einer rituellen Verunreinigung durch Samenerguss selber ausgesetzt ist, aber jedes Mal auf wundersame Weise davor errettet wird. So berichtet er z. B. von einem großen Ereignis […], das mir geschehen ist und Gott kam mir zur Hilfe, mich zu bewahren und zu retten vor der Schande der Unreinheit in der Nacht von Jom Kippur, als ich in der Gemeinde Leipnik war im Jahr 1724.121 Ich schlief auf meinem Bett, und war nahe daran, mich zu verunreinigen und die Nacht des Jom Kippur zu entweihen doch siehe, es rief mich der Gaon, der Fromme R. Gabriel sel.A. und er rief mich bei 117 Ebd., 134. 118 Über die Verbindung zwischen göttlichen Wesen und Menschen heißt es dort: „Da sahen die Gottessöhne, wie schön die Töchter der Menschen waren, und nahmen sie sich zu Frauen, welche sie wollten. […] Zu der Zeit und auch später noch, als die Gottessöhne zu den Töchtern der Menschen eingingen und sie ihnen Kinder gebaren, wurden daraus die Riesen auf Erden.“ 119 Vgl. Trachtenberg, Magic, 51: „It was generally agreed that man’s nocturnal emissions often result from the efforts of the demons to arouse his passions, and that these provide the seed from which the hybrid offspring are born.“ Vgl. hierzu auch Zinger, Hearts, 74. Neben der im kabbalistischen Gedankengut verbreiteten Furcht, dass mit Hilfe des Samenergusses Dämonen erzeugt werden könnten, nennt Zinger weiterhin die ebenfalls geläufige Vorstellung, dass auf diese Weise die Erlösung der Welt verzögert würde: „Seminal emission was believed to lead to the creation of new demons and the strengthening of the domain of darkness (sitra achra), halting the process of tikkun olam (perfecting the world) and the coming of the geulah (redemption).“ 120 Vgl. Trachtenberg, Magic, 282. – Vgl. zu den von Jesaja Horowitz in Shne Luhot HaBrit vorgesehenen Sühnemaßnahmen im Falle einer Verunreinigung bei Hundert, Jews, 135: „Horowitz emphasized the requirement to repeat the acts of penitence according to the number of times the sin had been committed. In this case, the sinner’s life would likely end before the penitence was complete. The Holy One, however, considers intention, and if the penitent died before achieving atonement, God would add the person’s thoughts to his deeds and consider his intentions to have been fulfilled. The prescribed penance was ritual immersion and eightyfour fasts annually in accordance with a tradition attributed to Isaac Luria.“ 121 Feld weist darauf hin, dass Katzenellenbogen diesen Traum bereits im Jahr 1722 gehabt haben muss, da er zu Schawuot des Jahres 1722 bereits nach Marktbreit kam. Oder er hatte den Traum nicht in Leipnik, sondern bereits in Marktbreit. Vgl. § 9, 78, FN 1.
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meinem Namen: Pinchas, steh auf, und sofort stand ich auf, zitternd, doch von der Verunreinigung errettet, dieser Sünde an diesem heiligen und schrecklichen Tag; und ich lobte und dankte und pries den großen und schrecklichen Gott, der mit mir war und mich behütet hat. (YM, § 9, 68)
Der göttliche Beistand und sein ehemaliger Lehrer in Nikolsburg, der Großvater seiner zweiten Ehefrau, Gabriel Eskeles, der ihm im Traum erscheint, sind es hier, die ihn vor der „Schande der Unreinheit“ bewahren. Um solchen Gefährdungen nicht schutzlos ausgeliefert zu sein, sammelt Katzenellenbogen für seine Söhne verschiedene magische Mittel, mit deren Hilfe sich der Gefahr einer rituellen Verunreinigung vorbeugen lassen soll. Er berichtet, dass sein Vater neben dem schon erwähnten Ring, der gegen Epilepsie schützen sollte, auch einen weiteren Ring aus Silber anfertigen und auch in diesen bestimmte Heilige Namen eingravieren ließ. Dieser zweite Ring sollte seinen Sohn vor der Unreinheit durch Samenerguss schützen. Katzenellenbogen schreibt: Während meiner Jugend trug ich den Ring am Finger meiner rechten Hand. Nach etwa drei Jahren fragte ich meinen frommen Vater nach dem Ring, und er erzählte mir, was er mit dem Ring gemacht hatte. (YM, § 20, 94)
Während Mose Katzenellenbogen in seinem Notizbuch festgehalten hatte, wie mit dem Ring gegen Epilepsie zu verfahren sei, verliert er über die Bewandtnis des zweiten Ringes kein Wort. Pinchas Katzenellnbogen erklärt sich dies dadurch, dass sein Vater auch dieses Mittel von Zwi Hirsch Kaidanover übernommen und dieser darüber bereits ausführlich in seinem Sefer Kav HaYashar geschrieben hat: Und da dies also im Sefer Kav HaYashar verzeichnet ist, meinte mein Vater vielleicht, dass er es euch nicht noch einmal zur Erinnerung aufschreiben müsste, sondern nur die Sache mit dem anderen Ring, die ich nicht im Sefer Kav HaYashar gefunden habe. (YM, § 21, 95)
Katzenellenbogen selber hingegen hält es für angebracht, die genaueren Angaben über die Bewandtnis des Rings sowie ein weiteres Mittel gegen Samenerguss aus dem Fundus Zwi Hirsch Kaidanovers für seine Kinder schriftlich zu bewahren, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Zu diesem Zweck zitiert er aus dem genannten Werk: Ich suchte in seinem Sefer Kav HaYashar, dessen Name ihm zum Ruhm gereicht […], denn darin sind gute und wertvolle Worte. Ich fand die Begebenheit mit dem Ring im zweiten Teil, Kap. 80. Dort heißt es: Kommt und seht eine passende Geschichte, die ich mit Gottes Hilfe allen erzählen will, die gottesfürchtig sind und Gott darum bitten, dass er sie vor der Sünde des Samenergusses bewahren möge. Den ersten Teil habe ich schon in Kapitel zwei erzählt (die wunderbaren Worte des Propheten Elia, der dem Rabbiner aus dem Haus Joseph einen Rat gegeben hat, damit er nicht in Sünde falle), dass nämlich ein Mann, bevor er schlafen geht, das Antlitz seines Vaters zeichnen
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solle. Das zweite Mittel ist, dass man einen Ring aus reinem Silber macht und in ihn jene Namen eingraviert, die ich von dem heiligen Mann R. Joel, Ba’al Schem aus der Gemeinde Samosz erhalten habe, nämlich folgende […]. Und wenn man den Silberring gemacht und graviert hat, tauche man ihn in die Mikwe […] (Und der Goldschmied muss ein Jude sein und die Anfertigung des Ringes und seine Gravierung müssen an einem Tag des Fastens und des Bades erfolgen, denn er muss vor dem Ring eintauchen). Und danach kann man ihn an seiner Hand tragen und überall hin gehen und man kann sicher sein, dass man vor der Sünde des Samenergusses bewahrt bleibt. Und man wird wohnen und auf seinem Lager liegen in Sicherheit und ohne Sünde. Soweit seine Worte. (YM, § 21, 95)
Obwohl auch sein Vater also zumindest von einem dieser Mittel wusste und es auch angewandt hat, schreibt Katzenellenbogen die genauen Anweisungen zur Anwendung aus dem Werk Zwi Hirsch Kaidanovers ab. Dem Notizbuch seines Vaters kann er aber noch ein weiteres wundersames Mittel entnehmen, mit dem es möglich sein soll, der Verunreinigung durch Samenerguss vorzubeugen: Dies fand ich im Notizbuch meines Vaters geschrieben […], weshalb ich es hier für euch wiedergebe: Ein wunderbares Mittel gegen Samenergüsse, das mir von dem hervorragenden Richter R. Chajim, sein Fels und Erlöser behüte ihn, aus Burg Constadt [das heutige Wołczyn in Polen] geschickt wurde. Am Neumondabend, an einem Tag, an dem du gefastet hast, musst du zu einem Friedhof gehen und Gras, das du auf dem Grab irgendeines Toten findest, wer es auch sei, nehmen. Und während du es entwurzelst und ausreißt musst du sagen: ,Herr der Welt, es sei Dein Wille, mein Gott und Gott meiner Väter, dass dieses Gras, das ich genommen habe, mich befähigt, nach meinem Willen zu tun. Denn so wie dieses Gras gewachsen ist auf dem Grab eines Toten, der nicht mehr wachsen und herauskommen und Samen von sich geben kann, so werden meine Glieder und meine Nieren, mein Geist und meine Seele gestählt und von meiner Kraft isoliert, dass sie keinen Samen mehr hervorbringen. Wie auch die Toten nicht mehr wachsen und keinen Samen hervorbringen, so mögen jetzt auch meine Erde und meine Luft, mein Wasser und Feuer nicht wachsen und keinen Samen hervorbringen während der ganzen Zeit, da das Gras über mir ist und ich mit meiner Frau keinen Beischlaf habe.‘ Damit also seine Erde, seine Luft, sein Wasser und sein Feuer nicht Samen hervorbringen, außer er hat Beischlaf mit seiner Frau. Und er muss den Toten, der in dem Grab liegt, um Verzeihung bitten und sagen: ,Siehe, ich bitte dich um Verzeihung, dass ich von deinem Grab Gras nehme.122 Ich tue dies nicht um meiner Ehre willen und auch nicht, um dich gering zu schätzen, Gott behüte. Ich tue es, um dem Herrn mit meinem ganzen Herzen und meiner ganzen 122 Die Aufforderung, den Toten um Verzeihung zu bitten, wenn Gras von seinem Grab entnommen wird, lässt sich dadurch erklären, dass die Würde des Friedhofs als Ort der Trauer durch verschiedene Regeln und Gebote gewahrt werden soll. Hierzu zählt insbesondere das Gebot, dass man von einem Grab nichts genießen darf, da dieses sonst zum Gebrauchsgegenstand herabgewürdigt würde. Dieses Genussverbot beinhaltet vor allem, dass man außer zu Heilzwecken keine Pflanzen vom Grab reißen darf. Vgl. hierzu Kuhn, Tod, 335.
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Seele zu dienen und damit mich nicht äußere Kräfte durch Samenerguss verunreinigen im Schlaf, sei es am Tage oder in der Nacht. Und der Wille des Königs der Könige, des Heiligen, Er sei gesegnet, sei mit dir, damit es etwas nütze. Und auch du, Geist der Reinheit, stehe im Gebet neben dem König der Könige, dem Heiligen, Er sei gesegnet, um für mich zu beten, denn mein einziges Ziel ist es, im Schlaf die Unreinheit von mir fern zu halten, Amen.‘ Und er trage das Gras bei sich Tag und Nacht, außer in der Zeit, da er Beischlaf mit seiner Frau hat. (YM, § 22, 95 f)
Katzenellenbogen begnügt sich jedoch nicht damit, dieses Mittel aus dem Notizbuch seines Vaters zu übertragen. Auch im Buch Imtahat Binyamin von Benjamin Beinish findet er dasselbe Mittel zur Vermeidung von Samenergüssen beschrieben, allerdings in einem Detail gegenüber der Beschreibung seines Vaters präzisiert. Katzenellenbogen hält es daher für notwendig, auch diese Präzisierung der Anweisung seines Vaters für seine Kinder festzuhalten, der zufolge das Gras nicht nur in irgendeiner Weise bei sich zu tragen ist, sondern um den Hals gehängt werden soll. Nachdem er aus dem Notizbuch seines Vaters zitiert hat fügt er daher ein: Aber das Buch Imtahat Binyamin schließt wie folgt: Und er entwurzele das Gras, […], und er hänge es um seinen Hals, so wird er keine Begierde und kein Sinnen darüber mehr verspüren. (YM, § 22, 96)
4.2.3 Weisungen zum Umgang mit Sterben und Totengedenken Katzenellenbogen geht ausführlich auf Todesfälle in seiner Familie und näheren Umgebung ein. Er beschreibt dabei oft detailliert den Verlauf von Sterbebegleitung und Totengedenken. Hinter all diesen Beschreibungen lässt sich sicherlich auch ein appellativer Ton vermuten, mit dem er seinen eigenen Nachkommen Anweisungen für den Fall seines eigenen Ablebens gibt. Dies ergibt sich einerseits aus der hohen Lobpreisung für alle Bemühungen um das Totengedenken. Andererseits spricht auch die detaillierte Nennung der jeweiligen Riten und Bräuche für einen Weisungscharakter, den er diesen beimessen möchte. Neben den Anweisungen, die Katzenellenbogen seinen Nachkommen indirekt vermittelt, ist ein wichtiger Aspekt des Totengedenkens für ihn die gute Erinnerung, in der ihn die Nachkommen auch nach seinem Tod behalten sollen. Schon in der Einleitung seines Werkes bringt er die Hoffnung zum Ausdruck, dass seine Kinder, so wie er, auf den Wegen der Väter wandeln und ihm dies „zur guten Erinnerung nach meinem Tode“ sei.123 123 YM, Einleitung, 69. Eine ähnliche Vorstellung, in der der Verstorbene durch das Gedenken seiner Nachkommen gleichsam Unsterblichkeit erlangt, bringt auch Abraham Horowitz in Yesh Nohalin zum Ausdruck, wenn er in Anlehnung an bJeb 97a(L57 A=LB94M ;„N @? L5K5 N95597 9=N9NHM ,8:8 A@9F5 9=HB 8F9BM) davon spricht, dass sich die Lippen eines Verstorbenen im Grab bewegen, wenn er zum Guten erwähnt wird. Vgl. Horowitz, Yesh Nohalin [hebr.], 3a.
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Allgemein spricht Bar-Levav von einer weitgehenden „Ritualisierung“ des Lebens im 17. und 18. Jahrhundert. Zu dieser Zeit, so Bar-Levav, wurden eine Reihe von Riten und Bräuchen neu eingeführt, die vor allem auch den Bereich von Tod und Sterben mit betrafen: „These new rituals should be viewed as part of a socioreligious process undergone by Jewish society in that period. This process, which might be called ,Ritualization of Life‘, saw the creation, collection, and formulation of new rituals that reshaped the religious existence of Jewry. […] Among those newly reinforced ritualized domains, the place of the new death rituals was central.“124 Entsprechend erlebte auch ein neues literarisches Genre im 17. und 18. Jahrhundert seine Blütezeit, das sich in erster Linie dem Umgang mit Krankheit und Tod widmete. Bücher wie das um 1615 erstmalig gedruckte Ma’ane Laschon, das Ma’avar Yabbok von Aaron Berechia aus Modena, das Sefer HaChajim und auch das Shne Luhot HaBrit von Jesaja Horowitz erlebten bis ins 19. Jahrhundert hinein eine Vielzahl von Neuauflagen und spiegeln das große Interesse an Fragen nach der „richtigen“ Form des Sterbens wider.125 Auch Katzenellenbogen erwähnt bei seinen Ausführungen zum Totengedenken, dass er auf diese Bücher zurückgreift.
Sterben und Begräbnis Ausführlich erzählt Katzenellenbogen vom Sterben und vom Begräbnis seiner Tochter Rebekka Esther und vor allem von seiner zweiten Ehefrau Olek, die er beide innerhalb eines Jahres in der Gemeinde Boskowitz zu Grabe tragen musste. Neben der tiefen Trauer, die Katzenellenbogen in Anbetracht dieser Verluste empfindet, und der er breiten Raum gibt, schildert er die Rituale, mit denen zunächst das Sterben der beiden Frauen begleitet wird und die sodann bei ihrem Begräbnis vollzogen werden. Als Katzenellenbogens Tochter nach der Geburt ihres Sohnes von einem schweren Fieber befallen wird, rezitiert er gemeinsam mit seinem Schwiegersohn und einem Minjan im Krankenzimmer Psalmen und Gebete.126 Nachdem Rebekka Esther im Angesicht des Todes das Sündenbekenntnis 124 Bar-Levav, Ritualizing, 155. Zu jüdischen Riten und Bräuchen in Verbindung mit Tod, Beerdigung und Trauer vgl. auch Bender, Beliefs, 317 ff. 125 Vgl. Bar-Levav, Ritualisation, 74: „The new genre of books for the sick and the dying was a major vehicle for the promotion of the new death rituals, essentially ,inventing‘ a Jewish tradition.“ Vgl. zu diesem Genre außerdem Bar-Levav, Ritualizing, 155ff, Goldberg, Crossing, 101ff sowie Preuss, Juden, 38 f. 126 Es war üblich, dass sich um den Kranken bzw. Sterbenden ein Minjan, d. h. die zum Gottesdienst unerlässliche Versammlung von mindestens zehn Männern, einfand, der dem Sterbenden bis zum Hinscheiden Gebete und im Augenblick des Todes dann das Schema Israel vorsprach. Vgl. hierzu Ehl u. a., Judenfriedhöfe, 7. Vgl. auch Bar-Levav, Ritualizing, 158: „Many of the deathbed rituals are intended to empower the positive forces in the situation, for example by requesting the presence of a minyan, a quorum of ten (in which, according to talmudic sources, dwells the divine presence, the Shekhinah).“
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gesprochen hat, verstirbt sie am 12. Tischri 1758.127 Am darauf folgenden Tag, den 13. Tischri, wird sie beerdigt. Besondere Ehrerbietung erweisen ihr Vater und ihr Ehemann ihr, indem sie an ihrem Grab das Zidduk HaDin128 beten, so wie es in den Ture Zahaw129 geschrieben steht, dass man es aufsagen kann für einen Großen und sie war in unseren Augen so wichtig wie ein Großer in der Tora. Und ich hielt für sie Totenklage, denn sie war derer würdig. Ich begann mit dem Vers des Herrn, der uns ein passendes Geschenk gemacht hat. Und der Herr hat sie von uns genommen aus seinem guten Willen. Gesegnet sei der Richter der Wahrheit und Gott des Glaubens. (YM, § 32, 111 f)
Noch ausführlicher als den Tod seiner Tochter, schildert Katzenellenbogen über mehrere Paragraphen hinweg den Tod seiner Ehefrau Olek. Sie stirbt am 13. Tischri des Jahres 1759, fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem Tod ihrer Tochter Rebekka Esther. Bereits am 1. Tevet, dem Vorabend von Jom Kippur, geht es Olek in Folge einer nicht näher beschriebenen Krankheit so schlecht, dass sie, den Tod vor Augen, daran denkt, nach ihrem Sohn Gabriel in die Gemeinde Nikolsburg schicken zu lassen. Zunächst überwiegen ihre Bedenken, dass man am Abend von Jom Kippur keinen Boten schicken könnte. Doch als ihre Krankheit am Jom Kippur wieder schlimmer wurde, schickte sie einen Nichtjuden fort zu ihrem geliebten Sohn, damit es ihr vergönnt sei, ihn vor ihrem Tod noch einmal zu sehen. (YM, § 158, 256)
Am Ausgang von Jom Kippur bittet Olek ihren Mann, für sie zusammen mit zehn Schülern das Krankengebet aufzusagen. Katzenellenbogens Schwiegertochter Kila, die Frau seines Sohnes Gabriel, empfängt den Brief ihrer Schwiegermutter aus Boskowitz. Sie zögert zunächst, ihrem Mann davon zu berichten, da sie ihn zu den Feiertagen ungern fern ihres Hauses weiß, besinnt sich dann aber, so schildert Katzenellenbogen, 127 Vgl. Bar-Levav, Ritualisation, 75 f: „As found in the Ma’avar Yabbok and other examples of the genre, rituals for the sick and dying contain prayers, scriptural readings, and confessions. The confessions are not personal in nature, but are patterned on the confession offered on the Day of Atonement. The scriptural passages that are read serve a dual function: in line with magical traditions, they contain verses and psalms with protective qualities; at the same time their content conveys a message of hope and consolation.“ Vgl. zur bis heute üblichen Vorbereitung auf den Tod „durch Beten, Sündenbekenntnis, Reue und Glaubensbekenntnis, insbesondere das Schema Jisrael“ Fohrer, Glaube, 157 und auch Lau, Juden, 343. 128 Das Zidduk HaDin („Rechtfertigung des göttlichen Urteils“) war ein zentrales Element des mittelalterlichen Begräbnisrituals. Vgl. Brocke/Mller, Haus, 71. Ausgehend von dem in der Mischna formulierten Gebot, beim Hören einer schlechten Nachricht den Richter der Wahrheit zu preisen (mBer 9,2), wird in bBer 59b der Lobpreis der göttlichen Gerechtigkeit für den Moment vorgesehen, in dem man die Nachricht vom Tod des Vaters empfängt. Wie Kraemer, Meanings,136, darlegt, hat der Brauch dann in nachtalmudischer Zeit Eingang in das Beerdigungsritual gefunden. 129 Die Ture Zahaw sind ein Kommentar zum Schulchan Aruch, den David ben Samuel HaLevi, nach den Anfangsbuchstaben seines Werkes Taz genannt, im 17. Jahrhundert verfasst hat. Vgl. Zinberg, History 6, 65 f.
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voller Weisheit: Wie kann ich solches tun, das ich doch sicherlich mein Leben lang bereuen werde. (YM, § 158, 257)
Ihr Mann berät sich mit seinem Neffen Abraham Schwabach und mit Gerson ben Mose Pullitz, der von 1758 bis 1772 mährischer Landesrabbiner war und seinen Sitz in Nikolsburg hatte.130 Beide sind der Meinung, dass er den Willen seiner Mutter erfüllen sollte. Als Katzenellenbogens Sohn schließlich in Boskowitz eintrifft, hat sich der Zustand seiner Mutter weiter verschlechtert. Katzenellenbogen schreibt: Er kam in das Zimmer, in dem seine Mutter lag. Und auch ich ging in das Zimmer und erschrak über ihren schlimmen Zustand. Meine Frau lag auf dem Rücken mit dem Gesicht nach oben und ihre Augen standen weit und schwer hervor durch die Krankheit. Aber trotzdem sprach sie mit leiser und schwacher Stimme viel mit ihrem geliebten Sohn, der ihr verschiedene Fragen stellte, die sie beantwortete. Und die Frauen, die bei ihr saßen, fragten sie: Warum weinst du nicht, da nun dein Sohn gekommen ist. Sie aber antwortete: warum sollte ich weinen, vielmehr freue ich mich, dass es mir vergönnt ist, meinen Sohn mit Hilfe des Herrn noch einmal zu sehen, bevor ich sterbe. Und tatsächlich, begann sie allmählich zu sterben und wir gingen in ein anderes Zimmer. (YM, § 158, 257)
Als Katzenellenbogen sieht, dass seine Frau im Sterben liegt, versammelt er zehn Schüler, um in jenem Zimmer zu lernen und während der Stunde ihres Sterbens alles Notwendige zu sagen aus dem Kitzur Ma’avar Yabbok, dem Kitzur Shne Luhot HaBrit, dem Sefer HaChajim und aus einem kleinen Buch mit dem Namen Leviat Chen,131 bis sich zum Einbruch der Nacht des fünften Tages, dem 13. Tischri, ihr Licht verdunkelte und ihre Seele in Heiligkeit und Reinheit von ihr ging und sie ihre ewige Ruhe fand und wir weinten und waren voller Trauer. (YM, § 159, 257)
Katzenellenbogens Worten ist seine tiefe Betroffenheit über diesen zweiten schweren Schicksalsschlag innerhalb kurzer Zeit deutlich anzumerken. Als am nächsten Tag die Beerdigung seiner Frau stattfindet, sieht er sich nicht in der Lage, aus eigener Kraft den Weg zum Friedhof zu bewältigen: Am nächsten Tag, den 13. Tischri, war die Beerdigung der zarten und bescheidenen Rabbanit und man brachte sie zum Friedhof. Ich aber war nicht im Stande, dorthin zu gehen, deshalb brachte man mich auf einem Wagen. Und so wie ich im vergangenen Jahr für meine Tochter, der Friede sei mit ihr, das Zidduk HaDin gesagt hatte, so sagte ich es auch jetzt an diesem Tag, auch wenn es die Tage waren, an denen man das Zidduk HaDin nicht sagt. Aber ich und mein Sohn R. Gabriel sagten das Zidduk HaDin zu ihrem Tod, wie ich schon gesagt habe. Und ich predigte über sie Worte, die ihrer Ehre entsprachen und hielt eine Trauerrede für sie. Und der Herr erlöse mich 130 Zu Gerson ben Mose Pullitz vgl. Klenovsky´, Sites, 14. 131 Leviat Chen von Emmanuel Benevento wurde erstmals 1557 in Mantua gedruckt.
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von all meinem Leid und Er tröste mich mit dem Trost Zions und Jerusalems noch in unseren Tagen, Amen. So sagt unser Gott und Schöpfer, der Himmel und Erde gemacht hat. (YM, § 160, 258)
Katzenellenbogen schreibt seinen Kindern auch den Text, den er auf den Grabstein seiner Frau eingravieren lässt, und der sowohl ihre als auch seine eigene vornehme Abstammung nachzeichnet.132
Beten und Lernen für das Seelenheil der Verstorbenen Nach kabbalistisch geprägter Auffassung im 17. und 18. Jahrhundert beginnt das Totengedenken mit dem Sterbetag und gliedert sich zeitlich durch mehrere Einschnitte:133 Die Zeit zwischen Sterben und Begräbnis ist eine besonders prekäre Zeit, „in der die Seele (MHD) noch um die unbestattete Leiche schwebt und ihren irdischen Rastplatz im Grab noch nicht erreicht hat.“134 Die ersten dreißig Tage nach dem Tod, die sog. Schloschim, sind die „vorgesehene Trauerzeit für alle Verwandten mit Ausnahme der Eltern“.135 Am ersten Jahrzeittag, so die verbreitete Vorstellung, wird die Seele in das irdische Paradies aufgenommen.136 Erst mit der Ankunft des Messias schließlich ist der Zeitpunkt erreicht, an dem die Toten auferstehen werden.137 Grundlegend für das Totengedenken ist dabei die in der kabbalistischen Lehre vom Tikkun begründete Annahme einer hohen Verantwortung der Lebenden auch noch 132 Vgl. YM, § 161, 258 f. 133 Aus kabbalistischer Sicht, besteht die Seele aus drei Teilen, nämlich Nefesh (MHD), Ru’ah (;9L) und Neshama (8BMD): „The nefesh […] is to be found in every man, for it enters him at the moment of birth and is the source of his animal vitality. […] The ru’ah […] is aroused at an unspecified time when a man succeeds in rising above his purely vitalistic side. […] The neshama […] is aroused in a man when he occupies himself with Torah and its commandments, and it opens his higher powers of apprehension, especially his ability to mystically apprehend the Godhead and the secrets of the universe.“ Scholem, Kabbalah II, 652 f. Im Moment des Sterbens teilen sich diese drei Teile der Seele auf und folgen unterschiedlichen Wegen. 134 Preuss, Juden, 41. – Die Nefesh bleibt demnach zunächst in der Nähe des Leichnams, „wandering between house and grave for seven days, then departing, though it is not entirely gone until one year is up.“ (Goldberg, Crossing, 140). Die Ru’ah, die entsprechend ihren Verdiensten ins irdische Paradies aufsteigt (vgl. ebd., 87) bleibt immer auch an das Grab des Verstorbenen gebunden: „The ru’ah. […] never detaches itself entirely from its terrestrial garb, or from its husk, which is found at the cemetery and is inhabited by malevolent powers of the soul.“ (ebd., 140). Die Neshama, schließlich, kehrt direkt zu ihrem Ursprungsort zurück, der göttlichen Gegenwart, der Shekhina. (ebd., 87). Vgl. zu vergleichbaren Vorstellungen in der christlichen Tradition Caciola, Spirits, 66 ff. 135 Preuss, Juden, 41. 136 Vgl. ebd., 40. Der jährlich wiederkehrende Jahrzeittag wurde in der Regel als Gedenktag an die Verstorbenen begangen und durch Friedhofsbesuch, Gebete und das Entzünden eines Gedenklichts geweiht. Vgl. Ehl u. a., Judenfriedhöfe, 9. Vgl. hierzu auch Kuhn, Tod, 332. 137 Vgl. Preuss, Juden, 43.
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für die Verstorbenen: „Living people are able to assist and improve the situation of the soul of the deceased by performing certain rituals for his or her sake. The process of tikkun, literally correction or repair of one’s soul, […] is therefore prolonged, since it can be done by the living for the sake of the dead.“138 Beim Totengedenken sind immer wieder drei Aufgaben für die Hinterbliebenen vorgesehen, die dem Seelenheil des Verstorbenen zuträglich sind:139 Zum einen geht es um Gebete für das Wohl der Seele des Verstorbenen.140 Zum anderen geht es um ein Lernen, das für das Wohl der Seele des Verstorbenen „in der Regel vom Sterbetag bis zum ersten Jahrzeittag dauern“ sollte.141 Schließlich kommt auch dem Fasten eine besondere Bedeutung für das Totengedenken zu. Auch in Yesh Manchilin spiegelt sich diese Auffassung und Dreiteilung des Gedenkens in Gebet, Lernen und Fasten für die Seele der Verstorbenen. Katzenellenbogen nennt die Psalmen und Gebete, die am Sterbebett und am Grab der Verstorbenen zumeist im Minjan rezitiert werden. Besondere Bedeutung weist er auch dem Lernen für das Seelenheil der Verstorbenen zu. Schließlich schreibt er, dass sein Vater ihm 1710 als eine Mizwa aufträgt, täglich vier Mischnajot zu Ehren der Seele des verstorbenen Jünglings David Lichtenstadt zu lernen.142 Später, beim Tod seiner Mutter, legt Katzenellenbogen sich selber eine solche Mizwa auf: Seit dem Tag, an dem sie verstarb, am Abend des heiligen Sabbat, dem 12. Adar 1740, legte ich mir wieder einen festen Studienplan zurecht, um täglich Mischnajot zu lernen zum Nutzen ihrer Seele. Ich begann also wieder damit, Mischnajot auswendig zu lernen. Und der Herr, er sei gesegnet, half mir dabei, bis ich im Jahr 1747 bewandert war in allen Ordnungen der Mischna. (YM, § 185, 278)
Anweisungen an die Nachkommen, für das Seelenheil der Verstorbenen aus Talmud und Mischna zu lernen, finden sich in vielen ethischen Testamenten 138 Bar-Levav, Ritualizing, 157. 139 Vgl. auch die Charakterisierung von Kammeier-Nebel/Fischer, Familie, 66, zum vorreformatorischen christlichen Totengedenken, bei dem ebenfalls ein wesentlicher Aspekt darin lag, „daß die Lebenden das Seelenheil der Verstorbenen noch posthum fördern könnten. So war der Tod keine unerbittliche Grenze zwischen Diesseits und Jenseits, sondern eine Art Zwischenzustand vor dem Letzten Gericht, der eine Vermittlung zwischen Lebenden und Toten erlaubte, ja, zur gesellschaftlichen Verpflichtung machte.“ van Dlmen, Kultur, 217, weist darauf hin, dass im christlichen Volksglauben bis in die Frühe Neuzeit hinein noch die Vorstellung vorherrschend war, „daß jede Seele nach dem Tode noch einige Zeit in einem Zwischenreich sich aufhalte, das nicht identisch war mit dem Fegefeuer.“ – Vgl. auch mit Blick auf die jüdische Gesellschaft Bell, Identity, 72: „The boundaries between the worlds of the living and dead were very fluid in late medieval and early modern society. A delicate balance existed between the two worlds; the dead continued […] to remain a part, indeed an integral component, of the living community.“ 140 Vgl. Preuss, Juden, 40 ff. 141 Ebd., 40. 142 Vgl. YM, § 130, 224.
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aus dieser Zeit.143 Zwar formuliert Katzenellenbogen keine vergleichbaren Vorschriften an seine Nachkommen, fordert sie durch sein Vorbild aber indirekt dazu auf, es ihm nach zu tun. Lernen ist, wie schon an dieser Stelle deutlich wird, spirituelle Technik und nicht nur ein intellektueller Vorgang.144
Zur Bedeutung des Grabes Der Besuch am Grab Verstorbener ist ein Thema, das häufiger erscheint. Katzenellenbogen erwähnt beispielsweise, dass er sowohl im Jahr 1747 als auch im Jahr 1748 die Gräber seines Großvaters Saul Katzenellenbogen und Aaron Teomims145 in der Gemeinde Pinczow besucht hat, als er sich mit seinem Sohn Jakob auf der Durchreise befand.146 Ebenfalls im Jahr 1748 sucht er in Brod „ihr zu Ehren“ das Grab seiner Großmutter Jente und ihrer Schwester, sowie das Grab der Witwe von Naphtali Katz auf.147 Allgemein kommt im Aschkenas des 18. Jahrhunderts dem Ort des Grabes beim Totengedenken eine besondere Bedeutung zu.148 Das Grab ist der bleibende Ort „der physischen Gegenwart des Körpers. Es vertritt nach dem Tod die Präsenz des Menschen selbst, in dem zu Lebzeiten Geist und Materie vereint waren und die auch noch im Grab ihren Berührungspunkt behalten.“149 In ihrer neuen Existenzweise, so Grözinger, bleiben die Toten „Glieder der synagogalen Gemeinde“.150 Der Besuch am Grab Verstorbener bedeutet eine besondere Ehrerweisung derselben. Dies wird besonders in Bezug auf Katzenellenbogens Onkel Sa’adja Jesaja deutlich. Katzenellenbogen schreibt, dass es ihm schon seit langem ein 143 Vgl. Abrahams, Jewish, 469, der mit Blick auf ethische Testamente schreibt, dass „many again leave specific directions as to the reading of the Mishnah and Talmud during the year of mourning; the orders vary very greatly in detail, but the main idea is the same.“ Vgl. auch die diesbezüglichen Anweisungen im Testament von Naphtali Katz bei Bar-Levav, Ritualizing, 165 f. Ein weiteres Beispiel hierfür findet sich im Testament des 1728 in Altona verstorbenen Issachar Bär, der es seinen Söhnen als heilige Pflicht auferlegt, täglich etwas zu lernen. Das Testament ist abgedruckt bei Kaufmann, Isachar Bär, 268 – 272, darin 271. 144 Vgl. Preuss, Juden, 64: „Durch die Verbindung der Tätigkeit des Lernens mit dem Schicksal der Seele in der jenseitigen Welt wird der Fokus weg vom Lernen als intellektueller Tätigkeit hin zu einer spirituellen Technik, die ihren Beitrag zur Heilung der Welt leistete, verschoben.“ 145 Aaron Teomim kam 1690 gewaltsam ums Leben, als er Rabbiner in Krakau war. Katzenellenbogen schildert die Umstände seines Todes unter § 118, 212. Vgl. zu Aaron Teomim auch Lçwenstein, Familie, 344. 146 Vgl. YM, § 85, 181 und § 118, 212 f. 147 Vgl. YM, § 56, 153. 148 Der Besuch am Grab der Verstorbenen galt in der Regel einem doppelten Ziel. Zum einen sollte Fürbitte für die Verstorbenen gehalten werden, zum anderen sollten diese aber vor allem auch um ihre Fürsprache in einer Not, die einen selbst getroffen hat, gebeten werden. Vgl. hierzu Kuhn, Tod, 336 f und 341 f. 149 Grçzinger, Totenruhe, 267. 150 Ebd., 267.
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Anliegen gewesen sei, das Grab seines Onkels in der Gemeinde Holleschau zu besuchen, wo dieser zuletzt als Rabbiner gewirkt hatte.151 Als er sich 1748 vorübergehend in Leipnik aufhielt, war es sein festes Vorhaben, von dort aus weiter in die Gemeinde Holleschau zu gehen, zu Ehren des gerechten Rabbiners und Gaon R. Sa’adja Jesaja. Doch der Himmel ließ es nicht zu, denn es regnete in Strömen, so dass es mir unmöglich war, zu jener Zeit in die Gemeinde Holleschau zu gehen. Und während der ganzen Zeit, die ich hier in der Gemeinde Boskowitz bin, seit dem Sabbat Nachamu im Jahr 1750 bis jetzt wollte ich in die Gemeinde Holleschau gehen zu Ehren meines Onkels, sel.A. Doch erst Ende des vergangenen Ijjar war es mir möglich. Gesegnet sei der Herr, der mir gnädig ist und mich diese Mizwa hat erfüllen lassen. (YM, § 234, 324)
Am 18. Tammus 1760 schreibt Katzenellenbogen seinem Bruder Naphtali Hirsch in einem Brief, dass er endlich seiner „festen Absicht nachgekommen und in die Gemeinde Holleschau gefahren“ ist, „wo mein Onkel, der Gaon Aw Beth Din R. Sa’adja Jesaja, sel.A., seine Ruhe gefunden hat.“152 Er erinnert an die Ehre meines Onkels, denn ich habe ihm gedient, als ich in der Gemeinde Prag war im Sommer 1709. Und er war mir ein treuer Freund und Begleiter in meiner Jugend. Und im Jahr 1722, als ich in der Gemeinde Leipnik war, hatte ich großen Anteil daran, dass der Gaon R. Sa’adja Jesaja, sel.A., von der Gemeinde Meseritsch in die Gemeinde Holleschau kam mit Hilfe des Herrn.153 Und nun, da ich alt geworden bin, bin ich ihm zu Ehren hierher, an den Ort seiner Ruhestatt gekommen, heute, am Mittwoch, den 28. Ijjar 1760, und stehe an seinem Grab. […] Und dies sei hier als mein Zeichen, dass ich hier war, ich, der Sohn seines Bruders, der junge Pinchas, Sohn des frommen Gaon und Aw Beth Din im Land Ansbach, R. Mose, sel.A., aus dem Haus Katzenellenbogen, der ich nun in der Gemeinde Boskowitz wohne. (YM, § 233, 323)
Das Verständnis des Grabes als eines Ortes, an dem der Verstorbene auch über seinen Tod hinaus präsent ist, da ein Teil seiner Seele hier dauerhaft verhaftet bleibt, zeigt sich für Katzenellenbogen in einer Begebenheit aus Prag.154 Als er sich im Kislew 1748 in Prag aufhält, sucht er dort das Grab Jona Landsofers auf und bittet ihn um Verzeihung, dass er mir meine Torheit vergeben möchte, dass ich seine Ehre durch das Zucken meiner Lippen verletzt hatte. Und die Sünde war immer mit mir. (YM, § 108, 203). 151 Sa’adja Katzenellenbogen war von 1723 – 1726 Rabbiner in Holleschau. Vgl. Freimann, Geschichte, 240. 152 YM, § 232, 321. 153 Unter YM, § 14, 82 berichtet Katzenellenbogen, wie sein Onkel Sa’adja Jesaja durch seine Vermittlung das Rabbinat in der Gemeinde Holleschau erhielt. 154 Der Besuch am Grab bietet Gelegenheit zur Begegnung zwischen Lebenden und Toten. Schuld den Toten gegenüber kann durch Gebete abgegolten werden. Vgl. zu den entsprechenden christlichen Ansichten Kammeier-Nebel/Fischer, Familie, 67.
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Katzenellenbogen spielt hier auf die bereits erwähnte Begebenheit aus seiner Studienzeit in Prag an, als er sich über eine Halachaauslegung Jona Landsofers amüsiert hatte und dafür von seinem damaligen Lehrer Samuel Krakauer zurecht gewiesen worden war.155 Erst viele Jahre nach diesem Vorfall findet er am Grab Jona Landsofers Gelegenheit, diesen um Vergebung zu bitten und sich endlich von der Schuld, die er seither mit sich trug, zu befreien. Auch Mose Katzenellenbogen bittet am Grab eines verstorbenen Jünglings um Vergebung, den die Fürther Gemeinde im Jahr 1710 trotz seiner schweren Krankheit fortgeschickt hatte.156 Um Krankheit und Tod von der Gemeinde fernzuhalten und um Vergebung für diese Schuld zu bitten, sandte Mose Katzenellenbogen R. Simon, den Onkel des Verstorbenen, dass er in die Gemeinde Nikolsburg an das Grab des erwähnten Jünglings David Lichtenstadt gehen und dort diesen um Verzeihung bitten und für das Aufsteigen seiner Seele ins Paradies beten solle. (YM, § 129, 224)
Das Schreiben, in dem Mose Katzenellenbogen den Verstorbenen um Verzeihung bittet, befindet sich noch im Besitz von Katzenellenbogen. In ihm ist die Sühneleistung verzeichnet, die zur Wiedergutmachung und zur Ehre der Seele des Verstorbenen geleistet werden sollte. Auch seinem Sohn hatte Mose Katzenellenbogen diese Mizwa auferlegt. Zur Erinnerung für seine Nachkommen gibt dieser sie wieder : Und in dieser Bitte um Verzeihung steht geschrieben, dass von jenem Tag an zwölf Monate lang täglich vier Mischnajot gelernt werden sollten zur Ehre seiner Seele. Und mein Vater, sel.A., trug auch mir die Mizwa auf, jeden Tag vier Mischnajot zu lernen zu Ehren des oben erwähnten Jünglings [David Lichtenstadt]. (YM, § 130, 224)
Der regelrechte Vollzug der Bräuche durch die Hinterbliebenen An mehreren Stellen wird deutlich, welcher Einfluss den Verstorbenen auf die Hinterbliebenen gerade in Bezug auf die Erfüllung von Geboten und Bräuchen zuteil wird. Insbesondere am Beispiel des Gebots der Leviratsehe157 und der dazu gehörigen Bräuche, wird diesem Gedanken in Yesh Manchilin Ausdruck verliehen. Katzenellenbogen berichtet von einer Proselytin, der er 1712 in 155 Vgl. YM, § 108, 202 f. 156 Vgl. zu dieser Begebenheit unter YM, § 129, 223 f. 157 Die Leviratsehe, auch Schwagerehe, bezeichnet nach Dtn 25,5 – 10, die Pflichtehe zwischen der Witwe eines sohnlos verstorbenen Mannes mit einem Bruder des Verstorbenen. Dahinter steht der Gedanke, den Namen des Verstorbenen zu erhalten und ihm Nachkommenschaft zu bereiten, da der erste Sohn, der aus der Schwagerehe hervorgeht, als der Sohn des verstorbenen Bruders gelten soll. Verweigert der Schwager die Leviratsehe, so muss er sich durch die Zeremonie der Chaliza (Schuhausziehen) von dieser Pflicht lösen. Die Frau wird damit frei, einen anderen zu heiraten. Vgl. auch Fohrer, Glaube, 153.
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Nikolsburg begegnet. Von ihr erfährt er, dass sie mit einem Juden aus Triesch in Mähren verheiratet war und mit diesem bis zu seinem Tod in Amsterdam gelebt hatte: Ihr Mann aber starb, ohne Söhne zu hinterlassen. Und es lag daher an ihr, sich von der Verpflichtung zur Leviratsehe mit ihrem Schwager, dem Bruder ihres Mannes, zu befreien, der in der Gemeinde Triesch lebte. Doch die Reise von Amsterdam nach Triesch, um sich dort von der Leviratsehe zu befreien, war weit und sehr beschwerlich und gefährlich. Daher entschied sie schließlich für sich: Siehe, ich werde alt und ich möchte eigentlich nicht noch einmal heiraten. Es ist besser für mich, einem Handwerk der Frauen nachzugehen und Wäscherin zu werden und mit anderen Frauen in einem jüdischen Haus in Amsterdam zu leben, damit ich mein Auskommen habe und mich bis an mein Lebensende ernähren kann. Was soll ich mich in Gefahr bringen und den weiten Weg unternehmen, nur um mich von der Leviratsehe zu lösen. So waren ihre Überlegungen und so hielt sie es auch einige Zeit lang. Doch ihr Mann, sel.A., ließ ihr keine Ruhe und er ließ sie wissen, dass er keine Ruhe finden würde, bis sie sich von der Leviratsehe befreit hätte. Daher hatte sie keine Wahl und musste sich die Füße wund laufen und den weiten Weg zurücklegen, um in die Gemeinde Triesch zu gelangen. Und dort bat sie, dass ihr Schwager sie von der Leviratsehe befreien möge. Doch hatte sie nicht die notwendigen Mittel. […] Daher war sie gezwungen, nach Nikolsburg zu kommen. Und sie wollte auch noch nach Wien gehen um wie eine Bettlerin zu sammeln, damit sie sich von der Leviratsehe befreien und an ihren Ort zurückkehren konnte. Und dies erscheint mir wie eine wunderbare Geschichte, die zeigt, wie viel Macht dieses große Gebot hat, dass ihr Mann keine Ruhe finden konnte, bis sie sich von der Leviratsehe befreit hatte. Und die Erfüllung eines solchen Gebotes ist nichts Schlechtes, denn auf dem ganzen weiten Weg ist ihr nichts Schlimmes und kein Missgeschick widerfahren, denn die Macht des Gebotes hat sie geschützt. (YM, § 162, 259 f)
Katzenellenbogen erscheint diese Geschichte so wunderbar, dass er sie für seine Nachkommen „in diesem Erinnerungsbuch festhalten möchte.“158 In ihr wird deutlich, dass ein nicht ordnungsgemäßer Vollzug der Gebote bzw. der dazugehörigen Bräuche die Totenruhe stört.
4.2.4 Das Lebensvorbild als Weisung Den Weisungscharakter für die Nachkommen erhält Yesh Manchilin an vielen Stellen durch die Schilderung von Vorbildern. So zitiert Katzenellenbogen auch das Testament von Menachem Mendel Krochmal in vollem Umfang. In diesem Testament legt Krochmal fast ausschließlich genaue Anweisungen für seine Kinder nieder, wie sie im Fall seines Todes verfahren sollen. Nach einigen 158 YM, § 162, 259.
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einleitenden Worten formuliert Krochmal die Anweisungen an seine Kinder in Form eines Akrostichons:159 4 Weint nicht zu sehr an meinem Bett, denn dort finde ich meine Ruhe. 5 Weint so, wie es angemessen ist über die Abwesenheit eures Volkes, denn weit ist es von euch, eure Seele zu laben. 6 Der Herr möge es euch vergelten, wie die Weisen sagen, wenn ihr länger als drei Tage weint. 7 Sündigt nicht in euren Herzen. Nehmt euren Lohn in Stille von eurem Vater. 8 Die Dienenden und die Singenden. Die Leute seien mit mir voller Jubel und voller Freude, bis ich in meiner Ruhestatt liege. 9 Mit ihnen zusammen tragt mein Bett, meine Söhne, damit ich euch vor Augen habe. : Außer euch beschäftige sich niemand mit mir, die Leute können nur helfen, das Grab zu füllen. ; Grabt mein Grab ein wenig von den anderen Gräbern entfernt und zerstreut Staub, den ich aus dem Land Israel habe, darin. ü Ein Mann tut gut daran, sich nach seinem Tod zum Gespött zu machen und er ist barmherzig, wenn er seine Sünden sühnt und keinen Zorn erweckt. = Macht nur einen Nachruf auf mein Leben und nichts weiter, denn dies behagt mir nicht. ? Schreibt an die Gemeinden, die unter meiner Aufsicht standen, dass ich befohlen habe, dass nirgends eine Totenklage angestimmt werden solle. @ Legt keine Bücher auf mein Bett zum Leidwesen, denn ein sterbender Mann braucht Freiheit. B Stellt einen großen Stein in Richtung Zion auf mein Grab und ritzt in dieser Sprache meinen Namen zur Erinnerung ein. D Hier liegt begraben der Rabbiner des Landes und Aw Beth Din der Stadt. Seine Seele ruhe unter den Flügeln der Schechina, unser Lehrer Raw R. Menachem Mendel war sein Name. Er ist gestorben und in seine Welt gegangen an dem und dem Tag in dem und dem Monat. Er ruhe auf seinem Lager und an seinem Ort. E Macht keine Zeichen der Trauer in meinem Haus und auch nicht in der Gemeinde oder in meiner Jeschiwa. F Zwölf Monate sollt ihr trauern und jeden Tag Mischnastellen wiederholen. H Ein Kapitel am Morgen und ein Kapitel am Abend zusammen mit drei Lernenden und einem Rabbiner. J Wohltätig sollt ihr sein und drei versorgen mit fünf Rheinischen Talern für jeden nach dem Gesetz. K Haltet abends und nachts Wache im Gebetshaus mir zur Freude und dem Herrn zur Genugtuung. L Ich habe viele gesehen, die sich um des Kaddischs willen stritten. Ihr sollt das nicht tun. Seid rein und heilig. 159 Den Anweisungen an seine Nachkommen folgen ein nach den Anfangsbuchstaben seines Namens formuliertes Gebet aus Psalmworten sowie ein weiteres ausführliches Gebet, ebenfalls in Form eines Akrostichons. Vgl. YM, § 28, 104 f.
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M Lernt 37 Halachoth aus dem Schulchan Aruch. Alle Halachoth über die Trauer und die dazugehörigen Erklärungen. N Seid vorsichtig bei allem, was zu entscheiden ist. Und nehmt die Trauer nicht leicht durch zweifelhafte Methoden und ihr werdet dem Herrn, eurem Gott, anhängen. (YM, § 28, 102 f)
Die Anweisungen Krochmals spiegeln auch die Themen wider, denen sich Katzenellenbogen beim Umgang mit Sterben und Totengedenken immer wieder widmet.160 Es geht um das Gebet für die Verstorbenen, um das Lernen zum Wohl der Seele des Verstorbenen, um Almosen sowie um eine angemessene Form der Trauer.161 Die lobende Wiedergabe des Testaments von Krochmal, so wird deutlich, dient Katzenellenbogen jedenfalls dazu, seinen Nachkommen auf diesem Weg Anweisungen für die Sterbebegleitung und das Totengedenken auch nach seinem Ableben zu hinterlassen. Hier wie auch an anderer Stelle dient Katzenellenbogen vor allem das Vorbild als Medium, um Weisungen über die gemeinsamen Traditionen und Bräuche der Familie sowie die damit verbundenen Normen an die Nachkommen zu vererben.
160 Das Testament Krochmals ist kein singuläres Phänomen, sondern steht im Kontext der komplexen Ritualisierung der Sterbebegleitung und des Totengedenkens im 17. und 18. Jahrhundert. Auch in anderen ethischen Testamenten dieser Zeit finden sich ähnliche bzw. teilweise noch präzisere Anweisungen für das Verhalten der Nachkommen während der Sterbephase und des Totengedenkens. Vgl. Bar-Levav, Ritualizing, 156 f: „As the death rituals became more complex, the preparation acquired a different kind of meaning and significance.“ Testamentarische Vorkehrungen für den eigenen Todesfall zu treffen und bestimmte Trauerrituale festzulegen, war zu dieser Zeit durchaus üblich. Auch Naphtali Katz (1645 – 1719) hält in seinem Testament genaue rituelle Anweisungen hinsichtlich seines Ablebens für seine Nachkommen fest. Obwohl diese Anweisungen in erster Linie auf ihn persönlich ausgerichtet waren, fanden sie weite Verbreitung, da sein Testament mehr als zwanzigmal gedruckt wurde und große Popularität erlangte. Vgl. zum Testament von Katz bei ebd., 155 ff. 161 Offenbar wurden die testamentarischen Weisungen Menachem Mendel Krochmals von seinen Nachkommen als autoritativ empfunden. Jedenfalls findet sich der Wortlaut, den Krochmal in seinem Testament für seine Grabinschrift festlegt, ebenso auf seinem Grabstein wieder und ist noch heute auf dem jüdischen Friedhof in Mikulov (ehemals Nikolsburg) zu sehen. Die Grabinschrift ist außerdem abgedruckt bei Feuchtwang, Epitaphien, 373. Ein Bild von Krochmals Grab findet sich bei Klenovsky´, Sites, 67. – Im Testament von Naphtali Katz deutet allerdings die Androhung des Banns gegenüber denen, die bestimmten Anweisungen des Testaments nicht folgen, wohl doch auch darauf hin, dass bisweilen testamentarische Verfügungen auch nur mit einer gewissen Nachlässigkeit befolgt wurden (- so jedenfalls die Angst von Katz). Vgl. hierzu Pollack, Folkways, 41: „Inasmuch as Jewish social life was not a voluntary form of association, its cohesiveness was strengthened through such controls.“
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5. Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte Ein zentrales Thema, dem Katzenellenbogen sich neben den Bräuchen immer wieder ausführlich widmet, betrifft die eigene Familiengeschichte. Im Vordergrund steht dabei die Kette seiner Ahnen, die Katzenellenbogen bis ins 16. Jahrhundert hinein zurückverfolgt. Dabei geht es ihm um die Betonung der ehrbaren Abstammung (vgl. 5.1), um die „verdienstvollen“ Geschichten über seine Vorfahren (vgl. 5.2), sowie um die Sicherung der ehrbaren Familientradition auch für die Zukunft durch eine entsprechende Heiratsstrategie (vgl. 5.3). Das Bewusstsein der Zugehörigkeit und das Band der Familie überdauern auch den Tod. Als Katzenellenbogen sein eigenes Ende nahen fühlt, möchte er an den Ort zurückkehren, an dem er aufgewachsen ist, um dort „bei seinen Vätern zu liegen.“ (vgl. 5.4)
5.1 Die ehrbare Abstammung Wie Preuß betont, gilt allgemein in der jüdischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts der fromme, religiöse Lebenswandel als Ideal jüdischer Ehrvorstellungen. Dabei sind Gottesfurcht und Ehrenhaftigkeit „fast ununterscheidbar miteinander verwoben. Die eine ist ohne die andere nicht zu denken. Ein an der Einhaltung der Gebote orientierter Lebenswandel führte zu gesellschaftlicher Anerkennung und Wertschätzung.“1 Dementsprechend wird ein besonders ehrbarer Familienhintergrund durch die Abstammung von religiös gelehrten und daher geachteten Personen geprägt.2 Die gesellschaftliche Anerkennung, die eine solche Herkunft mit sich bringt, tritt bei Katzenellenbogen u. a. deutlich hervor, wenn er die Zuneigung, die sein Lehrer Abraham Broda und andere Gelehrte3 ihm entgegenbringen, nicht unmittel1 Preuss, Krone, 73. 2 Das Bewusstsein von Verwandtschaft ist grundlegend für die eigene Bedeutung im sozialen Umfeld. Vgl. Gotzmann, Autonomie, 544. So finden sich „in nahezu allen Quellen zur frühneuzeitlichen Geschichte […] zahllose Hinweise auf die Bedeutung von Verwandtschaftsverhältnissen.“ ebd., 545. 3 Katzenellenbogen nennt hier u. a. Naphtali Katz, der der Schwiegervater seines Onkels Sa’adja Jesaja war, sowie Baruch Rapoport, der von 1710 – 1746 Rabbiner in Fürth war (vgl. YM, § 105, 198). Zu Baruch Rapoport vgl. auch Lçwenstein, Fürth I, 177 ff.
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154 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte bar auf die eigene Leistung, sondern insbesondere auch auf seinen familiären Hintergrund zurückführt. Er schreibt: Es war nichts Neues, dass er [Abraham Broda] sich mir verbunden fühlte, doch tat er es nicht wegen meiner Ehre, sondern wegen der Ehre meines Vaters, unseres heiligen Rabbiners, sel.A., und wegen der Ehre unserer erhabenen Familie, deren Ansehen, mit Hilfe des Herrn, groß war. (YM, § 105, 198)
An zahlreichen Stellen und in verschiedenen Kontexten fügt Katzenellenbogen seine Familiengenealogie ein und hebt damit seine ehrbare Herkunft hervor. Auch sein Vater hat die weit zurück reichende Ahnenkette der Familie ausführlich in seinem Notizbuch aufgezeichnet und gibt diese Aufzeichnungen für seinen Sohn in einem Brief wieder, den er ihm am 5. Adar 1714 aus Fürth in die Gemeinde Oettingen schickt, wo Katzenellenbogen zu dieser Zeit mit seiner ersten Frau im Haus seines Schwiegervaters Jakob Oettingen lebt. Katzenellenbogen stellt diesen Brief seinem eigentlichen Werk voran. In ihm schreibt sein Vater:4 Und weil du den Namen meiner Mutter wissen willst, will ich dir kurz die Namen meiner Familie aufschreiben. Und wenn der Herr mich am Leben lässt, so will ich in mein Notizbuch auch die Nachkommen meiner Familie aufschreiben. Den Namen meines Vaters kennst Du. Er war der fromme Gaon R. Saul [1], sel.A., Rabbiner in der Gemeinde Pinczow. Und meine Mutter war die fromme Jente, der Friede sei mit ihr. Und der Vater meines Vaters war R. Mose [2], sel.A., Rabbiner in Chelm. Seine Frau die Rabbanit war Sara, der Friede sei mit ihr. Sie war die Tochter des Gaon R. Beinish aus Posen. Und der Vater seines Vaters war R. Meir [3], sel.A., Rabbiner in BrestLitowsk. Seine Frau war die Rabbanit Hinde, der Friede sei mit ihr. Sie war die Tochter von R. Pinchas Horowitz aus Krakau, der der Schwager war von R. Mose Isserles, sel.A. Und sein Vater war der berühmte Saul Wahl [4], dessen Frau Debora Drucker, der Friede sei mit ihr, war, die Tochter von R. David Drucker aus Brest-Litowsk. Und sie wurde nach dem Namen ihrer Familie Drucker genannt. Sein Vater war der Gaon R. Samuel Jehuda Padua [5] und dessen Vater war der Gaon R. Meir Padua [6]. Die Namen ihrer Frauen kenne ich leider nicht, aber mich dünkt, dass die Frau des Gaon R. Jehuda Padua Henle hieß, der Friede sei mit ihr.5 Der Vater meiner Mutter war der Gaon R. Jakob Schor aus Brest-Litowsk. Seine Frau war die Rabbanit Hanna, der Friede sei mit ihr, die Tochter des Vorstehers R. Jesaja, der der Sohn des R. Mose Leisersch aus Wilna war. Und sein Vater war der Gaon R. Salman Schor aus Lublin (der Rabbiner in der Gemeinde Brest-Litowsk). Und seine Frau war die Rabbanit Henle, die Tochter von Saul Wahl. Und sein Vater war der Gaon R. Hirsch Schor aus Brest-Litowsk. Seine Frau war die Rabbanit Rebekka, der Friede sei mit ihr. Und sein 4 Für eine bessere Übersichtlichkeit sind die männlichen Vorfahren Katzenellenbogens in direkter Linie in folgendem Zitat mit den Ziffern 1 – 6 gekennzeichnet. 5 Hier irrt Mose Katzenellenbogen sich. Tatsächlich war Henle, die Tochter des Rabbiners Abraham Minz in Padua, die Ehefrau des Meir Padua. Die Frau seines Sohnes Samuel Jehuda hieß Abigail. Vgl. Wollsteiner, Übersicht 11 f und Rosenstein, Chain, 12 und 14.
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Die ehrbare Abstammung
155
Vater war der Gaon R. Salman Schor aus Mähren. Mein Schwiegervater war der Gaon R. Elieser, sel.A. Seine Frau, meine Schwiegermutter, die Rabbanit, war Nechama, der Friede sei mit ihr. Sein Vater war der gelehrte R. Mordechai aus Jeroslaw. Seine Frau war Beile, der Friede sei mit ihr, die Tochter von R. Löw Ribiditscher aus Przemys´l. Sein Vater war der fromme R. Itzek aus Satanow, sel.A. Und seine Frau war Esther, der Friede sei mit ihr, die Schwester von R. Nachman, sel.A., aus Brod. Und ihr Vater hieß R. Hirtz aus Satanow. Sein Vater war R. Leiser Aschkenasi und seine Frau Margela, der Friede sei mit ihr, die Tochter des Gaon R. Hirsch Schor, sel.A., der schon oben erwähnt wurde. Und sein Vater war R. Mose Aschkenasi, sel.A., der Schwiegervater von Gaon R. Samuel Edels. Und sein Schwiegervater war R. Mose Lipschitz, Rabbiner in Brest-Litowsk und Verfasser des Sefer Zikheron Mose. Und der Vater meiner Schwiegermutter war R. Hirsch Busker aus Dubno. Seine Frau war Rachel, der Friede sei mit ihr, die Tochter von R. Löw Busker, Sohn von R. Mordechai Busker, der der Bruder war vom Gaon R. Cheika aus Grodno, sel.A.,6 dem Sohn von R. Samuel Schachor aus Luboml. Und sein Vater war auch der oben erwähnte R. Itzek aus Satanow, denn der Vater meines Schwiegervaters und der Vater meiner Schwiegermutter waren Brüder. Und die Frau von besagtem R. Löw Busker war Lea, wie der Name meiner Frau. (YM, Brief des Vaters, 58 f)
Im damaligen Kontext als besonders ehrenvoll galt innerhalb dieser Ahnenreihe vor allem die Abstammung von Meir Padua und seinem Sohn, sowie die direkte Verwandtschaft zu Saul Wahl. Katzenellenbogens Vater Mose bemüht sich darüber hinaus, eine zumindest entfernte Verwandtschaft zu Mose Isserles nachzuweisen. Mose Isserles gilt als eine der bedeutendsten rabbinischen Autoritäten des 16. Jahrhunderts:7 „Eine ,edle‘ familiäre Herkunft [war] einer der Garanten des sozialen Status, und eine Abstammung vom ReMA versprach ein besonders hohes Prestige.“8 Katzenellenbogen selber be6 R. Cheika aus ist offenbar identisch mit dem 1675 verstorbenen R. Chajim Cheika Halevy Ish Horowitz. Unklar bleibt hingegen, ob R. Mordechai Busker tatsächlich ein Bruder von R. Cheika war, wie Mose Katzenellenbogen angibt. Vgl. hierzu den Stammbaum unter : http:// www.microtarget.com/HorowitzAssociation/ 7 Mose ben Israel Isserles (1525 od. 1530, Krakau–1572, Krakau), bekannt auch unter dem Akronym ReMA, wirkte als Rabbiner und bedeutende halachische Autorität in Krakau. Von ihm sind zahlreiche Responsen und Briefwechsel mit den wichtigsten halachischen Autoritäten seiner Zeit, darunter auch mit dem Stammvater von Katzenellenbogens Familie, R. Meir Padua und seinem Sohn Jehuda Padua (vgl. YM, § 4, 73), überliefert. Isserles ist der Verfasser halachischer, kabbalistischer, philosophischer und naturwissenschaftlicher Arbeiten und wurde von seinen Zeitgenossen als „Maimonides des polnischen Judentums“ bezeichnet.. Zu seinen wichtigsten Werken zählen sein Kommentar Darschei Yosef zum Beth Yosef des Joseph Karo sowie sein Kommentar zum Schulchan Aruch, der erstmals zusammen mit diesem als Mappa (Decke) in der Ausgabe des Schulchan Aruch abgedruckt wurde, die 1578 – 1580 in Krakau erschien. Dabei berücksichtigte Isserles ergänzend vor allem die deutsch-polnischen Bräuche und machte mit diesen Zusätzen den aus der sephardischen Tradition stammenden Schulchan Aruch auch im aschkenasischen Judentum zum maßgeblichen Kodex. Zu Mose Isserles vgl. Zinberg, History 6, 29 – 39. Zu Isserles Kommentar zum Schulchan Aruch vgl. auch Davis, Reception, 259 – 265 und Reiner, Elite, 96 ff. 8 Feiner, Moses Mendelssohn, 27.
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156 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte schränkt sich zumeist darauf, die achtgliedrige Verwandtschaftskette von Meir Padua bis zu sich selbst nachzuzeichnen und dabei zu betonen, dass Meir Padua und sein Sohn Jehuda Padua im Schriftverkehr mit Mose Isserles und Salomo Luria9 standen:10 Am Kopf unserer Ahnenkette steht der Gaon Meir von Padua sel.A., dem ich in der achten Generation folge, und alle sind Heilige und Geläuterte, große Lichter und Geonim gewesen, die die Erde und die darin wohnenden erleuchtet haben. Der Herr gibt euch und euren Söhnen den Verdienst eurer Vorfahren weiter. […] Und es haben doch der Gaon R. Meir Padua und sein Sohn der Gaon Jehuda Padua Briefe ausgetauscht mit R. Mose Isserles und mit R. Salomo Luria. (YM, § 4, 73)
In anderem Zusammenhang gibt Katzenellenbogen die Ahnenkette folgendermaßen wieder, in der er in „achter Generation“, oder wie es hier in den Worten und aus der Sicht des Vaters Mose Katzenellenbogen heißt, an „siebter Stelle“, auf Meir Padua folgt:11 Ich bin von heiliger und reiner Abstammung, vom Gaon R. Meir aus Padua. Und als zweites nach ihm kam der Gaon R. Jehuda aus Padua. Und als drittes folgte ihm der berühmte Nagid R. Saul Wahl. Und als viertes kam der Gaon R. Mose, sel.A., der Aw Beth Din in Chelm war. Und als fünftes folgte ihm mein Vater, sel.A., der berühmte R. Saul. Und ich bin der sechste nach R. Meir aus Padua. Und du mein Sohn, folgst ihm an siebter Stelle. (YM, § 79, 177)
In der ausführlichen Genealogie, die Katzenellenbogens Vater niederlegt hat, fällt auf, dass die männlichen Vorfahren fast ausschließlich Gelehrte und Rabbiner und deren Ehefrauen zumeist die Töchter von Gelehrten und Rabbinern gewesen sind. Dies entspricht einer, wie Preuß darstellt, zu dieser Zeit weit verbreiteten Praxis, bei der Aufzeichnung der familiären Genealogie eine rabbinische Traditionskette zu imitieren.12 Neben der Verwandtschaft mit 9 Salomo ben Jechiel Luria (ca. 1510, Posen–1574, Lublin), bekannt auch unter dem Akronym Rashal oder MaHaRSCHaL, wirkte als Rabbiner, Halachist und Talmudkommentator. Luria war Rabbiner und Leiter einer Jeschiwa in Ostrog, später in Brest-Litowsk und schließlich in Lublin. Zu seinen Hauptwerken zählen das Yam schel Schelomo, ein halachisches Kompendium mit Chidduschim zu den meisten Talmudtraktaten und das Chochmat Schelomo mit Glossen zum Talmud, zu Raschi und den Tossafot, die in vielen Talmudausgaben abgedruckt sind. Darüber hinaus verfasste er zahlreiche Responsen. Zu Salomo Luria vgl. Zinberg, History 6, 39 – 44 und Elbaum, Petichut [hebr.], 19. 10 Ausführlicher berichtet Katzenellenbogen über den Kontakt zwischen seinem Vorfahren Meir Padua sowie dessen Sohn Samuel Jehuda Padua mit Mose Isserles und Salomo Luria unter § 50, 143. 11 In dieser Aufzählung fehlt Katzenellenbogens Ur-Ur-Großvater R. Meir Katzenellenbogen, der Rabbiner in Brest-Litowsk war. Richtig muss es heißen, dass Pinchas Katzenellenbogen dem Meir Padua an achter Stelle folgt. 12 Vgl. Preuss, Juden, 114. Wie Preuß darlegt, ist ein Vorbild für das Motiv der Traditionsketten von Gelehrten z. B. in der mit Mose beginnenden Liste der großen Lehrer im 1. Kapitel der Pirke Awot zu sehen. Vgl. ebd., 112. – Vgl. zu dieser Traditionskette auch Shinan, Pirke Avot [hebr.], 2 ff.
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Die ehrbare Abstammung
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innerhalb der jüdischen Gesellschaft allgemein anerkannten Persönlichkeiten, oder zumindest einer nachweisbaren Nähe zu diesen, zeichnet sich eine vornehme Herkunft vor allem auch durch Gelehrsamkeit und Frömmigkeit aus. Das Bemühen, eine gleichsam lückenlose und ehrbare rabbinische Traditionskette nachzuzeichnen, zeigt sich auch in der Ahnenkette von Katzenellenbogens zweiter Ehefrau Olek, die Katzenellenbogen nach ihrem Tod im Jahr 1759 in Boskowitz auf ihren Grabstein setzen lässt und in Yesh Manchilin wiedergibt.13 Katzenellenbogen verfolgt darin die Vorfahren seiner Frau zurück bis zu R. Sinai ben Bezalel Löw, einem Bruder des berühmten Maharal von Prag,14 dem in dieser Ahnenreihe eine besonders exponierte Stellung zukommt. Nachdem zunächst ausführlich die positiven Eigenschaften Oleks hervorgehoben werden, heißt es in der Inschrift weiter, dass sie von großer Weisheit und vornehmer Herkunft [war]. Eine Tochter von Großen und Säulen der Welt, berühmten Geonim und Führern der Generation. Sie, die Rabbanit Olek Sara, die Tochter unseres großen und berühmten Lehrers und Meisters R. Jakob, das Andenken des Gerechten zum Segen. Er war der Bruder des berühmten Gaon, des Landesrabbiners, unseres Lehrers und Meisters R. Issachar Abraham Beirisch, das Andenken des Gerechten zum Segen. Sie waren die Söhne des großen, frommen und berühmten Landesrabbiners, unseres Lehrers und Meisters R. Gabriel, das Andenken des Gerechten zum Segen, der der Sohn unseres frommen und berühmten Lehrers und Meisters R. Jehuda Löw, das Andenken des Gerechten zum Segen, war. Und der hervorragende Bruder dieses Frommen war ebenfalls Aw Beth Din in der Gemeinde Nikolsburg und Landesrabbiner. Er war der Gaon, unser Lehrer und Meister R. Gabriel, das Andenken des Gerechten zum Segen. Er verstarb dort im Jahr 1629. Sie [R. Jehuda Löw und R. Gabriel] waren die Söhne des Gaon unseres Lehrers und Meisters R. Chajim [Rabbiner in Köln], das Andenken des Gerechten zum Segen […]. Er war der Sohn des Gaon, unseres Lehrers und Meisters R. Sinai, das Andenken des Gerechten zum Segen. Und R. Sinai war der Bruder des berühmten Gaon, unseres Lehrers und Meisters R. Liwa [R. Jehuda Löw ben Bezalel], dem Sohn von R. Bezalel, das Andenken des Gerechten zum Segen. Und die Mutter ihres Vaters war die Rabbanit Esther, die Tochter des Nagid, unseres Lehrers und Meisters R. Beirisch, das Andenken des Gerechten zum Segen. Er war der 13 Aufgrund des schlechten Zustands, in dem sich der jüdische Friedhof in Boskowitz heute befindet, konnte diese Inschrift bei einem Besuch im Mai 2009 vor Ort leider nicht gefunden und überprüft werden. 14 Jehuda Löw ben Bezalel (ca. 1525 – 1609), bekannt als der „Hohe Rabbi Löw“ und als Maharal von Prag, wurde vermutlich in Posen geboren und studierte der Überlieferung nach bei Jakob Pollak in Prag. Von 1553 – 1573 war er mährischer Landesrabbiner mit Sitz in Nikolsburg. Anschließend leitete er eine Jeschiwa in Prag, die einen großen Ruf genoss. 1592 wurde er Oberrabbiner in Posen und schließlich auch in Prag, wo er bis zu seinem Tod wirkte und auf dem Alten Jüdischen Friedhof bestattet wurde. Seit dem 18. Jahrhundert schreibt die Legende ihm die Erschaffung des Golem zu. Sein historischer Ruhm ist vor allem auf sein vom Humanismus geprägtes pädagogisches Wirken und umfangreiches schriftstellerisches Werk zurückzuführen Vgl. Parˇk, Ghetto, 63 f.
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158 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte Sohn des berühmten Gaon, unseres Lehrers und Meisters R. Jehoschua Heschel, das Andenken des Gerechten zum Segen, der der Sohn war des Gaon und Aw Beth Din in der Gemeinde Lublin, unseres Lehrers und Meisters R. Jakob, das Andenken des Gerechten zum Segen. (YM, § 161, 258 f)
Auch seine eigene vornehme Herkunft lässt Katzenellenbogen auf dem Grabstein seiner Frau festhalten. Dort heißt es weiter : Sie war die Frau des hiesigen Aw Beth Din, unseres Lehrers und Meisters R. Pinchas, der Barmherzige möge ihn behüten und erlösen. Auch er ist ein Abkömmling von Heiligen und von vornehmem Geschlecht. Die Reihe seiner Ahnen reicht zurück bis zu berühmten Geonim, dem Vater und seinem Sohn, dem Gaon, unserem Lehrer und Meister R. Meir Padua und dem Gaon, unserem Lehrer und Meister R. Jehuda Padua, das Andenken der Gerechten zum Segen, aus dem Haus Katzenellenbogen. (YM, § 161, 259)
Wesentlich ist die Nennung des Kopfes der Ahnenkette, nämlich des Gaon Meir Padua, der die Ehre der Abstammung insgesamt ausmacht. In dem seinem eigentlichen Werk vorangestellten Abschnitt Anafei Etz HaAwot (Die Äste am Baum der Väter) betont Katzenellenbogen ausdrücklich, dass die Hauptsache der Ehrwürdigkeit des Stammbaums vor allem in seiner Wurzel begründet liegt.15 Die Nennung der ehrbaren Abstammung ist insbesondere auf Grabsteinen von großer Bedeutung. Die Grabinschrift bedeutet die „Verewigung der Ehre“ und gibt den Verfassern der Inschriften „die Möglichkeit, einen im Wesentlichen religiös definierten Ehrbegriff zu beschreiben.“16 Als weiterer Kontext, in dem die Nennung der ehrwürdigen Abstammung und somit die Familienehre immer wieder zum Tragen kommt, zeigt sich die Verpflichtung der nachkommenden Generationen. Diese Verpflichtung kommt zum Ausdruck, wenn Katzenellenbogen versucht, seinen Kindern das Bewusstsein ihrer ehrwürdigen Herkunft zu vermitteln, wie er es selbst durch seinen Vater vermittelt bekommen hat: Ihr meine Söhne seht, was vor euch ist. Siehe, ich stelle hin die Schrift meines Vaters,17 das Andenken des Gerechten zum Segen, als Zeichen für unsere hohe familiäre Herkunft, damit sie euch direkt vor Augen ist. (YM, § 4, 73)
Katzenellenbogen führt als Beispiel für das verpflichtende Erbe, das der ehrbare Familienhintergrund mit sich bringt, eine Begebenheit aus seiner 15 Vgl. YM, Anafei Etz HaAwot, 64 – 66. Auch unter YM, § 50, 143 f nennt Katzenellenbogen vor allem Meir Padua als Kopf seiner Ahnenkette und die beiden auf ihn folgenden Generationen, um die Ehrbarkeit seiner Vorfahren insgesamt darzulegen. 16 Preuss, Krone, 15. 17 Katzenellenbogen bezieht sich hier auf den eben bereits erwähnten Brief seines Vaters aus dem Jahr 1714, in dem sein Vater für ihn die Verwandtschaftsverhältnisse der Familie nachzeichnet und den er dem eigentlichen Werk voranstellt.
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Die ehrbare Abstammung
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Kindheit an. Als er im Jahr 1702 keine merkbaren Fortschritte im Lernen macht und eine Prüfung seines Vaters nicht besteht, weist dieser ihn „voller Zorn“ auf seine Abstammung hin, die ihn dazu verpflichte, dem Vorbild seiner gelehrten Ahnen nachzueifern.18 Die in der ehrwürdigen Abstammung begründete Verpflichtung ist dabei eine zweifache: Sie bezieht sich zum einen darauf, sich dem Erbe der Väter als würdig zu erweisen und ihrem Vorbild nachzustreben. Das Erbe der Väter verpflichtet. Seiner ehrbaren Familie als würdig erweist man sich durch das entsprechende eigene Handeln,19 d. h. durch religiösen Lebenswandel, der auch durch das Lernen und das Ideal der Gelehrsamkeit bestimmt wird. Mit der Abstammung verbunden ist die Verpflichtung, „sich dieser Herkunft bewusst zu sein und sich der Erwartungen, die sich aus dieser Abstammung [ergeben], würdig zu erweisen.“20 Das Bewusstsein und das Wissen um die eigene familiäre Herkunft legt „die Verpflichtung auf, dieser Vergangenheit zu einer Gegenwart und Zukunft zu verhelfen.“21 Zum anderen bezieht sie sich aber auch darauf, das Andenken an die eigenen Vorfahren auch für die zukünftigen Generationen zu bewahren. Dies ist ein Motiv, das auch in Yesh Nohalin zum Ausdruck kommt. Aus Sorge, dass die familiären Beziehungen in Folge der schweren Verfolgungen, die sich 1648/49 in Polen und Russland zugetragen hatten, in Vergessenheit geraten könnten, zeichnet Sabbatai Scheftel Horowitz darin für seine Söhne den Stammbaum seiner Familie nach und fordert sie auf, diesen auch weiterhin zu bewahren.22 Um es vor dem Vergessen zu bewahren, erhält Katzenellenbogen von seinem Vater den Auftrag, das Wissen um die familiäre Abstammung schriftlich zu fixieren. Sein Vater fordert ihn auf, „die Namen der Männer und Frauen“ seiner Familie festzuhalten: Schreibe sie dir vorläufig in dein Notizbuch, so wie es dein Vater Mose getan hat. (YM, Brief des Vaters, 59)
Ausdrückliche Absicht seines Vaters ist es, nicht nur die Ahnen, sondern auch die eigenen Nachkommen schriftlich zu bewahren und die familiäre Kette damit auch in die Zukunft hinein fortzuführen: 18 Vgl. YM, § 79, 177. Vgl. zu dieser Stelle in Yesh Manchilin auch Liberles, Schwelle, 64. An anderer Stelle macht Katzenellenbogens Onkel Sa’adja Jesaja Jakob und Jona Schulhof in Prag Vorwürfe, weil sie nicht dem Brauch der Väter folgend, zu Schemini Azeret die Mahlzeiten in der Sukka einnahmen. Mit Verweis auf ihre Ahnenkette, in der sich mütterlicherseits eine Verwandtschaft mit Mose Isserles feststellen lässt, fordert er sie auf: „Daher ist es an euch, die Tora eurer Mutter aufrecht zu halten.“ YM, § 115, 210. 19 Vgl. Preuss, Krone, 73. 20 Preuss, Juden, 111. 21 Ebd., 111. 22 Vg. Bar-Levav, When, 56: „Consequently he records his family tree for his sons, commanding them to pass this knowledge on to their sons and their offspring. This is his way of responding to his fear of the loss of family memory and identity.“ Vgl. hierzu auch Gdemann, Quellenschriften, 122 f.
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160 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte Wenn der Herr mich am Leben lässt, so will ich in mein Notizbuch auch die Nachkommen meiner Familie aufschreiben. (YM, Brief des Vaters, 58)
Pinchas folgt diesem Brauch und der Anweisung seines Vaters, über die Verwandtschaftsverhältnisse Buch zu führen, indem er vielfach auf seine familiäre Abstammung rekurriert.
5.2 „Das Verdienst eurer Vorfahren“. Geschichten der Vorväter Die große Bedeutung der Abstammung hängt unmittelbar zusammen mit der Vorstellung des „sittlichen Verdienstes der Väter“ (N954 N9?:).23 Diese rabbinische Lehre, die sich in den biblischen Texten begründet, bildet den Kontext für die Bedeutung, die der jeweils eigene Stammbaum und seine Ehrbarkeit hat.24 Mehrfach spricht Katzenellenbogen ausdrücklich von der Weitergabe des Verdienstes der Väter an die Söhne: Der Herr gibt euch und euren Söhnen das Verdienst eurer Vorfahren weiter. (YM, § 4, 73)
Unter § 6 heißt es ähnlich: Und tatsächlich ist es nicht mein Verdienst, sondern das Verdienst meiner Väter. (YM, § 6, 75) 23 Vgl. beispielsweise bSchab 54a, wo die Vorstellung von den „Verdiensten der Väter“ u.a. mit 1Kön 18,36 begründet wird. Hier beginnt der zum Himmel auffahrende Elia sein Bekenntnis zum Gott Israels mit einem Verweis auf die Generationen der Erzväter: @4LM=9 K;J= A8L54 =8@4 ’8 („Herr, Gott Abrahams, Isaaks und Israels“). – Dabei ist, in gewisser Hinsicht, die Generationen übergreifende Kette von Ehre bzw. im Negativen auch von Verantwortung, schon biblisch begründet. In Ez 18,2, heißt es über die Kinder, die dem Sprichwort zufolge die Konsequenzen des Tuns ihrer Vorfahren tragen müssen: „Was habt ihr unter euch im Lande Israels für ein Sprichwort: Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden?“ Der Bibelwissenschaftler Joel Kaminsky spricht hier vom Paradigma einer „corporate responsibility“: „Inasmuch as God relates to the community as a whole, he holds each member […] to some level of responsibility for the errors of any other member of that community.“ Kaminsky, Responsibility, 11. Kaminsky kommt zu dem Schluss: „Both the corporate and the more individualized passages in the Hebrew Bible are important and essential to a proper understanding of the relationship between the individual and the community. […] Indeed, it is time that we accepted the fact that we are our brothers’ keepers.“ Kaminsky, Sins, 328 f; vgl. Gen 4,9: =?D4 =;4 LBM8. 24 Wie Preuss, Krone, 55, beschreibt, können beispielsweise auf Grabinschriften die Verstorbenen mit denselben Worten wie biblische und talmudische Personen gepriesen werden und reihen sich somit in die Vorstellung des „Verdienstes der Väter“ ein: „Die Verdienste der Vorfahren und deren Dokumentation auf den Grabsteinen sind eine Verheißung auf den Beistand der Verstorbenen für ihre Nachkommen. Angesichts möglicher eigener Mängel sind es die Verdienste der Vorfahren, die die Hoffnung auf die Gnade Gottes nähren.“
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„Das Verdienst eurer Vorfahren“. Geschichten der Vorväter
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Katzenellenbogen betrachtet sein eigenes Leben als durch das Verdienst seiner Vorväter gesegnet und möchte diesen Segen an seine Nachkommen weitergeben, indem er ihnen von dem Leben seiner Vorväter wie auch von seinem eigenen Leben erzählt. Dies lässt sich vor allem an einer auch im Aufbau von Yesh Manchilin markanten Stelle erkennen, als Katzenellenbogen zur Erzählung seiner eigenen Biographie ansetzt und diese mit folgenden Worten einleitet: Ich will nicht zögern und euch die Dinge, die mir widerfahren sind, erzählen und aufschreiben, denn in ihnen sehe ich, dass Gott mir bis zum heutigen Tag immer zur Seite stand, denn der Herr ist mein Schutz. Und für all dies möchte ich dem Herrn, Er sei gesegnet und gesegnet sei Sein großer Name, danken, dass Er mir bis hierher geholfen hat. Und der Herr gebe, dass auch ihr und eure Nachkommen im Segen meiner Väter lebt und gesegnet seid vor dem Herrn, dem Schöpfer von Himmel und Erde. Und deshalb will ich euch ein wenig von den Geschichten meiner heiligen Väter, hier, in diesem Land, erzählen, soweit ich sie erinnere. (YM, § 58, 155)
Auch an zahlreichen anderen Stellen schreibt Katzenellenbogen über verschiedene Geschichten, die die Größe und Frömmigkeit seiner Vorfahren demonstrieren. In vielen Geschichten, die gekennzeichnet sind durch einen auffallenden Reichtum an Details und durch einen erzählerischen Stil, geht es Katzenellenbogen jeweils um die Verdienste der Väter, die an die Nachkommen weitergegeben werden sollen. Katzenellenbogen schreibt die Verdienste seiner Vorfahren nicht nur nieder, um die Erinnerung an sie wach zu halten, sondern vor allem auch deshalb, weil durch ihre Erinnerung die Verdienste der Vorfahren auch den Nachkommen zu Gute kommen und ihnen Segen bringen.
5.2.1 Geschichten über das Königtum Saul Wahls Als besonders prominentes Glied in Katzenellenbogens Ahnenkette folgt auf und seinen Sohn Samuel Jehuda Padua an dritter Stelle Saul Wahl.25 Der Legende nach wurde Saul Wahl im Jahr 1587, nach dem Tod des polnischen Königs Stephan Bthory, für einige Stunden zum König Polens gewählt. Dieser 25 Saul Wahl (1541 – 1617) war der Sohn von Samuel Jehuda Padua. Er studierte an der Talmudschule von Brest-Litowsk. Dort blieb er auch nach seinem Studium, gründete eine Familie und gelangte als Händler zu beträchtlichem Wohlstand. König Stephan Bthory verpachtete ihm 1578 die Salzminen in Litauen und 1580 zusätzlich die Salzmine in Wieliczka bei Krakau. Etwas später wurde Saul Wahl privater Bankier Stephan Bthorys. 1589 verlieh König Sigismund III. ihm den Titel eines „königlichen Dieners“, der mit verschiedenen Privilegien verbunden war. Seit 1580 gehörte Saul Wahl zu den Vorstehern der jüdischen Gemeinde in Brest-Litowsk und spielte außerdem eine wichtige Rolle in der Vierländersynode, die erstmals 1581 in Lublin zusammen trat. Vgl. zu Saul Wahl Eisenstadt, Sefer [hebr.], 84; Kahan, Anaf [hebr.], 30 f; Balaban, Dichtung, 34ff; Balaban, Saul Wahl [hebr.], 3ff; Meyer, Juden, 77 und Carlebach, Wahl, 597.
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162 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte Geschichte widmet sich Katzenellenbogen ausführlich.26 Nachdem es zuvor primär um die Darstellung verschiedener Bräuche ging, setzt Katzenellenbogen mit folgenden Worten zu der neuen Thematik an: Ich will euch erzählen, was alles gewesen ist und ich will an die Taten der Großen, unter denen ich aufwuchs, erinnern mit Hilfe des Herrn, er sei gesegnet und gesegnet sei sein großer Name. […] Und ich will sie in diesem Buch festhalten zur Erinnerung an meine Nachkommen über Generationen hinweg. (YM, § 49, 143)
Von seinem Vater hat Katzenellenbogen gehört, wie sich die Begebenheit um Saul Wahl zugetragen haben soll und er schreibt sie für seine Nachkommen nieder. Ihr zufolge war Saul Wahl bei den großen Fürsten sehr beliebt und sehr wichtig [war]. […] Und als in jenen Tagen der König von Polen starb, kamen die großen Fürsten Polens zusammen, um sich zu beraten und sich einen neuen König aufzustellen. Sie setzten einen Tag fest, an dem sie sich entscheiden wollten, wer ihr König sein sollte. Doch als dieser Tag kam und sie ihre Meinungen austauschten, konnten sie sich nicht einigen, wer sie regieren sollte. Der eine sagte so, der andere sagte so, bis es Abend wurde. Und sie merkten, dass sie es nicht schafften, diese Sache an dem festgesetzten Tag zu Ende bringen und sich einen König zu erwählen. Damit aber ihre Abmachung nicht zunichte würde und der Tag nicht verginge, ohne dass sie einen König aufgestellt hätten, einigten sich die Fürsten schließlich darauf, dass der Nagid R. Saul Wahl, sel.A., König sein sollte von dieser Stunde an für den restlichen Tag und die Nacht. Und so geschah es, dass sie ihn in jener Stunde zum König machten und sie sagten zu ihm: Es lebe unser Herr, der König. Und er war König während dieser ganzen Nacht und sie behandelten ihn wie einen König. Und ich hörte aus dem Mund meines heiligen Vaters, dass sie ihm alle wichtigen Schriften für das Königtum übergaben und dass jeder Regent in dieses Buch verschiedene Verordnungen seiner Weisheit gemäß hineinschrieb. Und auch R. Saul Wahl schrieb dort verschiedene Verordnungen zu Gunsten der Juden hinein, von denen mir mein Vater, sel.A., verschiedene gesagt hat, die ihm bekannt waren, die ich aber vergessen habe. Nur an eine erinnere ich mich, dass er nämlich geschrieben hat: Dass man einen Mörder, der einen Juden tötet, genauso verurteilen soll, als hätte er irgendeinen Fürsten getötet. Es soll kein Sühnegeld für die Seele des Mörders genommen werden, sondern es soll Seele um Seele vergolten werden, was das Gesetz 26 Vgl. zu dieser Legende auch Schwarz, Memoirs, 143ff; Rosenstein, Chain, 16ff; Greenbaum, Jews, 23; Meyer, Juden, 77 und Carlebach, Wahl, 597. Verlässliche Quellen über die Legende vom Königtum Saul Wahls sind kaum vorhanden. Eine historische Beurteilung des Ganzen muss deshalb spekulativ bleiben und ist nicht zuletzt auf die von Katzenellenbogen in Yesh Manchilin wiedergegebenen Erzählungen angewiesen, die nach Balaban, Dichtung, 26, als „älteste schriftliche Fixierung der Legende“ anzusehen sind. Sie nehmen eine zentrale Position auch bei Edelmann, Gedulat Sha’ul [hebr.], 36ff, ein, der Mitte des 19. Jahrhunderts Berichte über Saul Wahl für einen Londoner Nachkommen desselben zusammengestellt hat. Vgl. Balaban, Dichtung, 24. Ebd., 43 f, sieht den Ursprung der Legende über das Königtum Saul Wahls u. a. vor allem in dessen Nähe zum königlichen Hof und der damit verbundenen Möglichkeit, Privilegien für die jüdische Gemeinschaft zu erwirken, begründet.
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„Das Verdienst eurer Vorfahren“. Geschichten der Vorväter
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nicht vorsah bei einem, der einen Nichtjuden ermordet, der nicht von hoher Herkunft war, das man in Polen das Gutsherrengeschlecht nennt.27 Und am nächsten Tag einigten sie sich und ernannten sich einen anderen als König. (YM, § 51, 144)
Von seinem Vater erfährt Katzenellenbogen weiterhin etwas über die Umstände, die Saul Wahl zu dem hohen Ansehen verholfen hatten, das er bei den polnischen Fürsten genoss und das schließlich sogar dazu führte, dass sie ihn zum König ernannten. „Damit diese Sachen über die Generationen hinweg bewahrt bleiben, möchte ich [sie] euch nicht vorenthalten“,28 schreibt Katzenellenbogen an seine Nachkommen und fährt in seiner Erzählung über Saul Wahl fort: Und so hörte ich die Geschichte von meinem heiligen Vater, sel.A.: Dieser Nagid R. Saul, sel.A., hatte in seiner Jugend, noch zu Lebzeiten seines Vaters, Lust, in andere Länder zu reisen, und er verließ das Haus seines Vaters, des Gaon R. Samuel Jehuda von Padua, sel.A. und ging von Land zu Land und von Stadt zu Stadt. Bis er in die Gemeinde Brest-Litowsk kam und dort die Tochter des R. David Drucker heiratete. Und er verdiente seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von kleinen Dingen wie Nadeln und Ähnlichem. (YM, § 52, 144 f)
Katzenellenbogen berichtet, dass zu dieser Zeit der polnisch-litauische Fürst Nikolaus Christoph Radziwill verschiedene Länder bereiste und dabei in finanzielle Not geriet:29 Und es ergab sich, dass er in die heilige Gemeinde Padua kam und er dachte bei sich, dass er zu dem Rabbiner dieses Ortes gehen und ihm eröffnen wolle, dass er wahrhaftig der große Fürst aus dem Land Polen sei, um sich von ihm in der Stunde der Not etwas zu leihen. Denn so pflegten es die Großfürsten Polens zu tun, dass sie die Nähe der weisen Juden suchten, um sich von ihnen Geld zu leihen, vor allem von den Rabbinern. Und deshalb waren die Juden in jenen Tagen sehr wichtig und sehr beliebt in den Augen der Fürsten. Und so trat der Großfürst Radziwill vor R. Samuel Jehuda Padua, sel.A., und gab sich ihm zu erkennen und er gestand, dass er in Not sei und bat ihn, ihm Geld zu leihen. Und der Rabbiner, sel.A. lieh ihm, was er brauchte und erfüllte, was er von ihm verlangte. Und der Fürst sprach zu ihm: Sag mir, wie ich dir dieses vergelten kann, außer dir das, was ich dir schulde, zurück zu zahlen. Und er antwortete ihm: als Erstes bitte ich dich, dass du die Juden, die sich unter deiner 27 Zu verschiedenen Privilegien, die Saul Wahl zu Lebzeiten für die polnisch-litauischen Juden erwirkte und die in den Generalprivilegien der Judenschaft Litauens verzeichnet wurden, vgl. ebd., 38 ff. 28 YM, § 52, 144. 29 Fürst Nikolaus Christoph Radziwill (1549 – 1616) unternahm von 1582 – 1584 eine Pilgerreise ins Heilige Land und hat hierüber das Reisetagebuch Hierosolmyta Peregrinatio hinterlassen, das 1601 in Brunsbergae veröffentlicht wurde und 1614 in lateinischer Übersetzung in Antwerpen erschien. ebd., 43 f, vermutet, dass eine darin aufgezeichnete Begebenheit, derzufolge der Fürst auf seiner Rückkehr aus dem Heiligen Land in Ancona in Geldnot geraten und durch die Hilfe des Agenten eines venezianischen Kaufmanns gerettet worden sei, möglicherweise der Ursprung nachstehender Legende gewesen sein mag.
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164 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte Herrschaft befinden, gut behandelst. Und das zweite ist, dass ich einen Sohn mit Namen Saul habe, der in der Gemeinde Brest-Litowsk ist und so, wie ich dir Gutes getan habe, so tue du auch meinem Sohn Gutes. Sofort schrieb der Fürst sich den Namen des Sohnes und seinen Aufenthaltsort zur Erinnerung auf. Und als er in Frieden in sein Haus und an seinen Ort zurückkehrte, fragte er sofort noch einem Mann namens Saul, der der Sohn des R. Samuel Jehuda sei. Und als er vor ihn trat, sah der Fürst, dass er ein großer Gelehrter war und er tat ihm viel Gutes. Und auch vor den übrigen Fürsten lobte er ihn sehr, so dass er sehr beliebt und hoch angesehen war. Und er war beliebt und groß in den Augen der Fürsten und er fand Gnade in ihren Augen, bis der Tag des oben genannten Rats kam, an dem sie sich nicht für einen König entscheiden konnten, und damit dieser Tag nicht vorüber ging, einigten sie sich darauf, dass in dieser Stunde der Mann Saul über sie regieren sollte und sie nannten ihn Saul Wahl, weil er zum König gewählt worden war, wie oben erwähnt. All dies hörte ich aus dem Mund meines heiligen Vaters, sel.A. (YM, § 52, 145)
Neben dem Bericht seines Vaters gibt Katzenellenbogen eine Erweiterung bzw. Variante dieser Begebenheit wieder, die er von einem „anderen Mann“ gehört hat, „der derselben Angelegenheit noch etwas Neues hinzufügen konnte.“30 Auch diese Erzählung beginnt mit der finanziellen Not, in die Fürst Radziwill geraten war und die dazu geführt hatte, dass ihn all seine Diener verlassen hatten bis auf einen, der ihm treu geblieben war : Der Fürst schickte diesen Diener zu R. Samuel Jehuda von Padua, sel.A., um ihm auszurichten, dass er gern zu ihm kommen und mit ihm reden wolle. Der Raw fragte den Diener über den Fürsten und seine Taten aus und der Diener erzählte ihm alles, was passiert war, bis das Geld seines Herrn zu Ende ging und die Diener ihn verließen. Sofort befahl der Raw seinen Hausangestellten, eine Mahlzeit zu Ehren des Fürsten zu bereiten und er schickte nach ihm, um ihn zu dem Essen einzuladen, das er ihm zu Ehren veranstaltete. Und so geschah es und er kam und saß und aß und trank an seinem Tisch. Und während der Mahlzeit sagte der Raw zu seinem Diener, er solle zum Markt gehen und ihm einen von den Kriegsgefangenen bringen, die man Sklaven nennt. Denn so war es damals dort der Brauch, wie es jetzt noch der Brauch in der Türkei ist, dass jeder die Erlaubnis hatte, sich einen Kriegsgefangenen vom Markt zu nehmen und der Käufer durfte mit ihm machen, was er wollte und selbst, wenn er ihn töten wollte, so war ihm dies erlaubt. Der Diener ging und besorgte seinem Herren einen Gefangenen vom Markt und brachte ihn zu seinem Herrn und zu den Gästen. Und R. Samuel Jehuda, sel.A., sagte zu diesem Diener, geh bringe diesen Gefangenen in das dir bekannte Zimmer und dort schächte ihn und handle nach der Halacha. Und der Diener ging in dieses Zimmer und verweilte dort eine Weile wegen des Schächtens und des Besuches. Dann kehrte er zu seinem Raw zurück und sagte ihm, ich habe getan, was ihr mir befohlen habt, Herr. Und der Raw sagte ihm, geh noch einmal zum Markt und bring mir noch einen Gefangenen, der so groß und gut ist wie der erste. 30 YM, § 52, 145 f. Weitere Varianten der Legende über Saul Wahl und Spekulationen über ihre Herkunft bringt ebd., 33 ff.
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„Das Verdienst eurer Vorfahren“. Geschichten der Vorväter
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Und der Diener ging und brachte seinem Raw noch einen Gefangenen. Und der Raw sagte zu ihm, auch dieser ist in Ordnung. Geh und tu mit ihm, was du mit dem ersten gemacht hast, schächte ihn und behandle ihn nach der Halacha. Und der Diener brachte den Gefangenen in das Zimmer, in dem der erste war und gab den beiden zu essen und zu trinken. Und er kehrte zurück zu seinem Raw und sagte zu ihm, ich habe auch mit diesem getan, was ich mit dem ersten getan habe. Und so befahl der Raw dem Diener, noch einen dritten, einen vierten und einen fünften zu holen und jedes Mal sagte er zu seinem Diener, er solle ihn schächten und ihn nach der Halacha behandeln. Und der Diener führte alle zu dem Ort, wo schon der erste saß, und er gab ihnen zu essen und zu trinken. Der Fürst, der mit dem Raw am Tisch saß, staunte sehr, als er dies sah und konnte sich nicht zurückhalten. Er fragte den Raw, was tut ihr, dass ihr euer ganzes Geld für nichts hinauswerft, indem ihr vier oder fünf Kriegsgefangene kauft und sie ohne Grund tötet. Und mein Vorfahr, R. Samuel Jehuda, sel.A., antwortete in seiner Weisheit: Brauchen wir Israeliten denn nicht etwa Blut? Und wenn der Herr es nicht versteht, so will ich es erklären. Und der Fürst sah in das Gesicht des alten Raw, sel.A., und staunte sehr über diese Antwort. Daher eröffnete der Raw, sel.A., ihm seine große Weisheit und antworte dem Fürsten und sagte zu ihm, was ich gerade vor deinen Augen getan habe, tat ich, um dich wissen zu lassen, dass dieses Gerücht, das mir zu Ohren kam, eine große Panik verursacht, weil ihr die Juden verleumdet, indem ihr behauptet, sie bräuchten Blut, weshalb bereits einige Heilige ermordet wurden. Gott behüte, wenn den Juden das Blut nicht verboten ist und ihr verbreitet Lügen über die Juden und mordet reine Seelen. Und weil ich weiß, dass du ein großer Fürst im Land Polen bist und sogar Vizekönig, habe ich all dies getan, um dir zu zeigen, dass es in meiner Hand liegt, einige Seelen zu töten, ohne dass ich dafür zur Rechenschaft gezogen würde, weil es erlaubt ist. Und dies ist der große Beweis dafür, dass ihr die Juden mit Lügen verleumdet, denn wäre, Gott behüte, die Wahrheit auf eurer Seite, bräuchten sich die Juden Polens nicht in Gefahr zu begeben und Unbeschnittene zu töten, denn wir könnten ihnen doch Krüge voller Blut von den Kriegsgefangenen schicken, die zu töten uns erlaubt ist. Und von nun an und weiterhin, siehe, und tue zur Ehre des Herrn, des höchsten Gottes und sieh, dass du deine Schuld wieder gut machst und tötet nicht mehr reine Seelen wegen lügnerischer Verleumdung, denn wir sind rein und unschuldig von diesem Verdacht. Und die fünf Gefangenen, die ich vom Markt gekauft habe, sind nicht ermordet worden, Gott behüte. Ich habe dieses alles nur dir zu Ehren getan, nachdem ich gesehen habe, dass du nur noch einen Diener bei dir hast, was der Ehre eines Großfürsten wie dich nicht geziemt. Und ich habe sie gekauft, damit sie dir dienen. Und an mir ist es, deinen Mangel zu füllen, der Herr sei gesegnet, und sie einzukleiden, wie es Dienern geziemt, die einem Großfürsten, wie du es bist, dienen. Und ich will all deine Bedürfnisse erfüllen. Und als der Großfürst seine große Weisheit und sein gutes Handeln erkannte, versicherte er ihm sofort, die Juden gut zu behandeln und gegen die Verleumdungen vorzugehen. Außerdem fragte er ihn, wie er ihm das viele Gute, das er ihm erwiesen habe, vergelten könne. Sag mir, was ich dir tun kann. Da erzählte ihm der Raw, sel.A., dass er einen Sohn in der Gemeinde Brest habe, der Saul heiße. Und der Fürst versicherte ihm, dass er ihm Gutes tun und ihn groß machen und ihm Ehre
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166 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte erweisen würde. Und der Fürst hielt sich daran und lobte ihn vor den anderen Fürsten usw., bis es zu der erwähnten Sache um die Königswahl kam. (YM, § 53, 146 f)
Der Verdienst der Väter, um den es Katzenellenbogen bei der Wiedergabe der Legenden über das Königtum Saul Wahls geht, liegt zum einen in der großen Gelehrsamkeit und Weisheit Saul Wahls und dessen Vaters Samuel Jehuda Katzenellenbogen begründet. Zum anderen äußert es sich vor allem aber auch darin, dass sie diese Tugenden und die Gunst, die sie dadurch bei den polnischen Fürsten erlangten, zum Wohl der jüdischen Gemeinschaft einsetzten, um diese mit Hilfe neuer Gesetze und durch Aufklärungsarbeit vor den Verfolgungen durch ihre nichtjüdische Umwelt zu bewahren.
5.2.2 Geschichten über Pinchas Horowitz Meir Katzenellenbogen, der Sohn von Saul Wahl, war mit der Tochter von Pinchas Horowitz31 verheiratet, über den sich wiederum die entfernte Verwandtschaft der Familie Katzenellenbogen zu Mose Isserles erklärt, der mit Pinchas Horowitz verschwägert war. Doch auch über diese verwandtschaftliche Bedeutung hinaus möchte Katzenellenbogen noch an etwas Anderes über unseren Vorfahren R. Pinchas, sel.A., […] erinnern, das ich aus dem heiligen Mund meines Vaters, sel.A., gehört habe. (YM, § 134, 228)
Er erwähnt das große Ansehen, das sein Vorfahr, der Gemeindeführer in Krakau war, in Polen genoss und dass er den Ehrennamen „der Hohe R. Pinchas“ trug, mit dem auch R. Jehuda Löw ben Bezalel in Prag benannt wurde.32 Außerdem schreibt Katzenellenbogen, dass Pinchas Horowitz in Prag die Ehre zuteil geworden ist, dass eine der bedeutendsten Synagogen der Stadt nach ihm benannt worden sei. Einige, so Katzenellenbogen, wären sogar der Auffassung, dass die Pinkas-Schul durch seinen Vorfahren erbaut worden sei.33 Selbige Auffassung findet sich auch in einer Genealogie der Familie Horowitz vertreten, die Menachem Mendel Krochmal verfasst hat und die Katzenellenbogen in der Handschrift Arie Löws, des früheren Rabbiners in 31 Pinchas ben Israel HaLevi Horowitz (1535, Prag?–1581, Krakau) war talmudischer Gelehrter. Entgegen der Meinung von Wollsteiner, Übersicht, 17, der Horowitz als Rabbiner in Krakau nennt, heißt es neuerdings bei Horowitz, Horowitz, 539 f, dass Horowitz niemals das Amt eines Rabbiners bekleidete, seit 1581 aber der Krakauer Gemeinde, in deren Takkanot seine Unterschrift an erster Stelle erscheint, sowie ab 1585 auch dem Vierländerrat vorstand. Er war in zweiter Ehe mit der Schwester von Mose Isserles verheiratet und wird auch in dessen Responsen erwähnt. Mose Katzenellenbogen listet die entfernte Verwandtschaft zu Pinchas Horowitz in seiner Familiengenealogie auf. 32 Vgl. YM, § 134, 228. R. Jehuda Löw ben Bezalel, der Maharal von Prag, ist auch bekannt unter dem Ehrennamen „der Hohe R. Löw“. Vgl. Parˇk, Ghetto, 63. 33 Vgl. YM, § 134, 228.
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„Das Verdienst eurer Vorfahren“. Geschichten der Vorväter
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Boskowitz, gefunden hat.34 Auch wenn sich historisch diese Annahme nicht bestätigt, zeigt sich für Katzenellenbogen hier die Ehrbarkeit seines Vorfahren, die aus seiner Sicht weit über Ort und Zeit hinaus reichte.35 5.2.3 Der Kiddusch HaSchem des Großonkels Pinchas Katzenellenbogen Eine weitere Geschichte, die Katzenellenbogen ausführlich niederschreibt, um das Verdienst der Vorfahren in Erinnerung zu halten, handelt vom Kiddusch HaSchem seines Großonkels Pinchas, nach dem Katzenellenbogen benannt ist und der der jüngste Bruder seines Großvaters Saul war.36 Auch diese Geschichte hat Katzenellenbogen von seinem Vater gehört und will „zum Guten“ an sie „erinnern“.37 Es geht zunächst um einen Traum, in dem Katzenellenbogens Großonkel durch seinen Vater angekündigt wird, dass er zur „Heiligung des göttlichen Namens“ sterben soll. Katzenellenbogen schreibt: Mein Vater hatte aus dem Mund eines aufrichtigen Mannes gehört, was seinem heiligen Onkel, sel.A., widerfahren war : Der aufrichtige Mann hatte erzählt, dass er und mein heiliger Onkel R. Pinchas einmal des Nachts beide in einem Wirtshaus gewesen seien. Und nachdem er sein Gebet und sein Lernen vollendet und seine Mahlzeit gegessen hatte, nahm er seinen Finger und hielt ihn in die Flamme der brennenden Kerze, um seinen Finger an der Flamme zu verbrennen. Und der Mann fragte ihn, was er denn da mit seinem Finger täte. Und er antwortete ihm: ich weiß, dass ich einmal zur Heiligung des göttlichen Namens, der Herr sei gesegnet und gesegnet sei Sein großer Name, verbrannt werden werde. Deshalb übe ich mich schon jetzt darin, dass ich das Feuer an meinem Körper ertragen kann. Und der Herr, Er sei 34 Vgl. YM, § 135, 228. 35 Die auch von Wollsteiner, Übersicht, 17 und von Rosenstein, Chain, 23, geäußerte Annahme, dass die an den alten jüdischen Friedhof in Prag angrenzende Pinkas-Synagoge bzw. Pinkas-Schul von Pinchas Horowitz erbaut wurde, lässt sich allerdings nicht bestätigen. Sie steht jedoch in enger Beziehung zu dessen Familie, die zu den namhaftesten Familien im Prag des frühen 16. Jahrhunderts gehörte. Als Begründer der Familie Horowitz gilt Jesaja ben Mose HaLevi Horowitz (gest. 1519), der sich als Förderer des hebräischen Buchdrucks Verdienste erwarb. Die Mitglieder der Familie nahmen als Hofbankiers und Geldverleiher eine bevorzugte Stellung in der jüdischen Gemeinde ein. Ihr entstammen verschiedene Rabbiner und Vorsteher der Prager Gemeinde. Die Pinkas-Schul wurde 1535 von Ahron Meschullam Zalman Horowitz, einem Sohn von Jesaja und Bruder von Pinchas Horowitz, anstelle eines älteren Bethauses errichtet und blieb das ganze 16. Jahrhundert hindurch im Privatbesitz der Familie. Vgl. Parˇk, Ghetto, 58 und Knzl, Synagogen, 63. Ob sie tatsächlich, wie Katzenellenbogen angibt, nach seinem entfernten Vorfahren benannt wurde, lässt sich kaum nachweisen. Einen anderen möglichen Namensgeber nennt Brosche, Ghetto, 102, der darauf hinweist, dass im 13. Jahrhundert, als der Vorgängerbau der Pinkas-Schul entstanden ist, ein Hofjude namens Pinkas für König Prˇemysl Ottokar II. tätig gewesen sein soll. 36 Katzenellenbogens Urgroßvater Mose, Rabbiner in Chelm, hatte vier Söhne: 1. Saul, Katzenellenbogens Großvater, 2. Benjamin Beinish, 3. Meir, der seinem Vater auf das Rabbinat in Chelm folgte und 4. Pinchas. Vgl. Eisenstadt, Sefer [hebr.], 94. 37 YM, § 44, 133.
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168 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte gesegnet und gesegnet sei Sein großer Name, stärkt mich, damit ich die Mizwa zur Heiligung seines Namens vollbringen kann mit Hilfe des höchsten Gottes, der mich zum Guten führt, wo er will. Denn im Traum habe ich gesehen, dass mein Vater, der Gaon Mose [gemeint ist hier der Ur-Großvater des Verfassers von Yesh Manchilin, Mose Katzenellenbogen, der Rabbiner in Chelm war], sel.A., zu mir gesagt hat: Als ich unschuldig vor dem obersten Gericht stand sagten sie zu mir : Du hast vier gelehrte Söhne. Der erste und besondere ist R. Saul, sel.A. [R. Saul Katzenellenbogen ist der Großvater des Verfassers]. Der zweite ist R. Benjamin. Der dritte ist R. Meir. Und der vierte und jüngste ist der oben erwähnte R. Pinchas [der Großonkel des Verfassers]. An dir ist es, einen von ihnen zu bestimmen, der verbrannt werden soll zur Heiligung des göttlichen Namens, Er sei gesegnet. Es liegt in deiner Hand, welchen von ihnen du auswählen willst. Er wird heilig sein und geheiligt werden und verbrannt zur Heiligung des göttlichen Namens, Er sei gesegnet. Und ich habe dich ausgewählt, weil du der jüngste bist und nicht so viele Kinder hast, wie die anderen.38 Und ich bin gekommen, es dir zu sagen, damit du es weißt und vorbereitet darauf bist, heilig zu sein und verbrannt zu werden zur Heiligung des göttlichen Namens, Er sei gesegnet. Und deshalb, so sagte er zu dem aufrichtigen Mann, der mit ihm im Wirtshaus war, verletze ich mich selber mit der Flamme, damit ich darauf vorbereitet bin, im Feuer verbrannt zu werden zur Heiligung des göttlichen Namens, Er sei gesegnet und gesegnet sei Sein großer Name. Soweit die Worte meines Vaters über das, was er von dem aufrichtigen Mann und Gefährten meines Großonkels R. Pinchas gehört hatte. (YM, § 44, 133 f)
Im Fortgang der Geschichte schildert Katzenellenbogen ausführlich die durch seinen Vater überlieferten Umstände, in deren Folge sich die Weissagung des Traums bestätigt. Aufgrund falscher Anschuldigungen wird sein Großonkel im Jahr 1676 in Lublin zum Tode verurteilt und am 19. Ijjar desselben Jahres verbrannt:39 Mein Vater erzählte mir noch mehr vom Bruder seines Vaters. R. Pinchas lebte sehr zurückgezogen, übte sich in Frömmigkeit und beschäftigte sich Tag und Nacht mit der Tora. Jeden Tag verbrachte er den größten Teil des Tages in der Synagoge und beschäftigte sich mit der Tora, wobei er Tallit und Tefillin trug, in der Gemeinde Tomaszow. Eines Tages wurde ein Dieb mit Diebesgut gefasst […]. Der Dieb sagte, er habe [das Diebesgut] einem Juden verkauft, wüsste aber nicht mehr, an wen und wie sein Name sei. Nur wenn er ihn sähe, würde er ihn erkennen. Und man befahl, den Dieb neben den Eingang zur Synagoge zu stellen. Auf wen der Dieb zeigen würde, den wollte man ins Gefängnis bringen. Und der Himmel wollte es, dass der Dieb R. Pinchas sah, wie er aus der Synagoge kam und er sagte, ihm habe er es verkauft. Und auf Befehl des Obersten der Stadt ergriffen sie ihn. Und er befahl, ihn mit eisernen 38 Katzenellenbogens Großonkel Pinchas hatte einen Sohn, Mose Katzenellenbogen der Rabbiner in der Gemeinde Olkusch war. Vgl. ebd., 101. 39 Vgl. zum Tod vom Großonkel Pinchas Katzenellenbogen auch ebd., 94 und Rosenstein, Chain, 31.
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„Das Verdienst eurer Vorfahren“. Geschichten der Vorväter
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Ketten gefesselt vor das Tribunal in Lublin zu bringen. Und sie legten ihn auf einen Wagen. Und in der Nacht, auf halber Strecke zwischen der Gemeinde Tomaszow und der Gemeinde Lublin, aßen und tranken seine Wächter und sie ließen ihn mit eisernen Ketten gefesselt auf dem Wagen liegen. Als der heilige R. Pinchas sah, dass er alleine auf dem Wagen lag, versuchte er, mit einem Trick die Kette von sich zu werfen und es gelang ihm tatsächlich. Und er beeilte sich, voller Panik von dem Wagen zu steigen und begann zu laufen und sich zu entfernen und vor den Wächtern, die ihn verfolgten, zu fliehen. Er rannte einige Stunden bis er dachte, er sei seinen Verfolgern bereits entkommen. Und er war müde und erschöpft. Und als die Nacht anbrach, legte er sich zum Schlafen, da er meinte, sicher zu sein. Aber der Himmel hatte bereits entschieden, dass er durch das Feuer geheiligt werden sollte. Und es scheint, dass er sich geirrt hatte, als er meinte, sich von seinen Verfolgern entfernt zu haben, denn tatsächlich war es so, dass er sich den Verfolgern und dem Wagen wieder genähert hatte, weil er im Kreis gelaufen war. Und als die Wächter zurück zu dem Wagen kamen und ihn dort nicht mit eisernen Ketten gefesselt fanden, suchten sie ihn mit Fackeln und fanden ihn in der Nähe liegen. Und sie legten ihn wieder auf den Wagen und fesselten ihn mit noch stärkeren Ketten als zuvor. Und da sah der Heilige, dass der Traum wahr war wie eine Weissagung der Propheten. Denn sein Vater hatte ihm gesagt, dass er zur Heiligung des göttlichen Namens, Er sei gesegnet, verbrannt werden würde. Und er wurde verbrannt am heiligen Sabbat, den 19. Ijjar, an dem aus der Tora der Abschnitt Emor gelesen wird. Dort heißt es [Lev 22,32]: Ich werde geheiligt unter den Israeliten. Sein Verdienst und ihr großes Verdienst von Seiten des obersten Heiligen stehen vor mir und vor meinen Nachkommen mit Hilfe meiner Feste und meines Erlösers. Und es möge mir vergönnt sein, den heiligen Tempel zu sehen, Amen. So sagt der Gott Israels. (YM, § 44, 134 f)40
Der gewaltsame Tod von Katzenellenbogens Großonkel Pinchas durch die Hand der nichtjüdischen Herrschaft infolge einer Verleumdung wird als Martyrium, d. h. als Kiddusch HaSchem (Heiligung des göttlichen Namens) beschrieben. Dem Ermordeten wird die Bereitschaft, zur Heiligung des göttlichen Namens in den Tod zu gehen, als Verdienst angerechnet, den Katzenellenbogen auch für die nachfolgenden Generationen bewahren möchte.41
40 Katzenellenbogens Bericht über die Verleumdung, Festnahme und Verurteilung seines gleichnamigen Großonkels ist auch wiedergegeben bei Edelmann, Ner [hebr.], 94. 41 Die Verpflichtung zum Kiddusch HaSchem wird beispielsweise in jSanh 3,21b unter Rekurs auf die von Katzenellenbogen angeführte Stelle in Leviticus begründet. Nach rabbinischer Lehre beschränkt sich diese Verpflichtung auf Fälle von erzwungenem Götzendienst, Vergewaltigung oder Mord. Im weiteren Sinn erhält der Begriff des Kiddusch HaSchem jedoch auch darüber hinaus tragende Bedeutung. Vor allem seit den Kreuzzugspogromen von 1096 verselbständigte sich der Begriff Kiddusch HaSchem als Synonym für den Märtyrertod. Vgl. zum Kiddusch HaSchem u. a. Battenberg, Zeitalter I, 22 f; Lamm, Kiddush Ha-Shem, 139ff und Ben-Sasson, Kiddush Hashem, 142 ff.
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170 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte 5.2.4 Zur Frömmigkeit des Onkels Sa’adja Jesaja Als letztes Beispiel für die Geschichten, die Katzenellenbogen über seine Vorväter wiedergibt, um das Andenken an ihre Verdienste unter ihren Nachkommen wach zu halten und deren Segen weiterzugeben, soll hier eine Erzählung angeführt werden, die von der überragenden Frömmigkeit seines Onkels Sa’adja Jesaja, dem Bruder seines Vaters Mose Katzenellenbogen, zeugt. Dieser hat als Rabbiner in Meseritsch und Holleschau gewirkt hat, wo er 1726 verstarb. Über ihn schreibt Katzenellenbogen: Er war ein großer Frommer und hörte nicht auf zu lernen Tag und Nacht. Und er pflegte zu fasten, und als ich bei ihm war zu dieser Zeit,42 wusste ich, dass er vor Rosch HaSchana von Sabbat zu Sabbat gefastet hatte. Doch in der zweiten Nacht wurde er sehr schwach und er konnte nicht schlafen und ich wachte bei ihm die ganze Nacht. Aber obwohl er sehr schwach war und wegen seines Fastens litt, hörte er nicht auf zu lernen – so groß waren seine Frömmigkeit und Enthaltsamkeit. Ich erinnere auch, dass er zwischen dem Genuss von Fleischigem und Milchigem immer 24 Stunden verstreichen ließ. (YM, § 14, 85)
Um das Ausmaß der Frömmigkeit seines Onkels zu demonstrieren, fügt Katzenellenbogen eine Geschichte ein die zeigt, dass nicht nur außergewöhnliche, über die Familie hinaus reichende Errungenschaften und Taten, wie in den vorhergehenden Beispielen von Saul Wahl, Pinchas Horowitz und Großonkel Pinchas Katzenellenbogen zum Verdienst der Väter zählen. Auf gleicher Ebene mit ihnen stehen für Katzenellenbogen auch Beispiele von alltäglicher Frömmigkeit innerhalb seiner Familie, die ebenso zu den Verdiensten der Väter gehören. Die Geschichte, die Katzenellenbogen über seinen Onkel erzählt, stellt er im Register unter die Überschrift: „Es ist die Begebenheit von einer großen Versuchung, doch versündigte sich der Gerechte nicht.“43 Ausführlich schildert er, was meinem frommen Onkel geschehen ist. Einmal fastete er drei Tage und zwei Nächte hintereinander und seine Frau, die Rabbanit, wollte ihm Pfannkuchen machen, Kneidelech genannt, um sein Herz zu speisen. Aber sie konnte keinen koscheren Teig bekommen und da mein Onkel keinen Teig von Nichtjuden essen würde, bat sie ihr Herz um Erlaubnis, Teig von Nichtjuden zu nehmen und daraus gute Pfannkuchen zu machen und sich dabei vorzusehen. Sie sagte sich, dass es von Seiten des Gesetzes nicht verboten sei sondern erlaubt, wenn es dem Frieden diene und vor allem der körperlichen Gesundheit ihres Mannes nach dem Fasten. Daher war sie nicht besorgt darüber, ihn zu belügen und in die Irre zu führen, denn sie war 42 D.h. 1709, als Katzenellenbogen seinem Onkel einige Monate diente, als dieser sich in Prag aufhielt. 43 YM, Register zu § 14, 484.
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„Das Verdienst eurer Vorfahren“. Geschichten der Vorväter
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überzeugt, es sei erlaubt um des Friedens willen etwas Anderes zu nehmen. Und sie gab ihm das Essen, als wäre es koscheres Essen und ihm kam nicht in den Sinn daran zu zweifeln. Er nahm einen Pfannkuchen, den man Kneidel nennt aus der Schüssel, legte ihn auf seinen Teller, schnitt ihn entzwei und fand darin einen Wurm. Und er rief die Dienerin bei ihrem Namen und sagte: Edel, siehe, ich habe darin einen Wurm gefunden. Und sie sagte, dass sei ihr neu, aber trotzdem sei es nicht verboten wegen eines Wurms. Und noch dachte er sich auch nichts dabei, sondern nahm einen anderen Pfannkuchen, schnitt ihn entzwei und fand auch darin einen Wurm. Da ließ er die Hände von dem Essen und sagte zu seiner Frau: Ist es nicht merkwürdig, dass ich nacheinander in zwei Pfannkuchen zwei Würmer gefunden habe? Sofort staunte auch sie und sagte zu ihm: Ich habe gesündigt und Teig von den Gojim genommen, weil ich keinen koscheren Teig bekommen konnte. Um der Gesundheit deines Körpers willen habe ich es getan. Soweit die Geschichte, die ich von meinem Vater hörte und die ihm die Frau seines Bruders, die oben erwähnte Rabbanit, erzählt hatte. Und es ist wahrhaftig eine wunderbare Geschichte und wir können daraus ersehen, dass mein Onkel ein großer Gerechter war, wie es heißt: Es wird dem Gerechten kein Leid geschehen [Prov 12,21]. (YM, § 14, 86 f)
Katzenellenbogen fügt noch weitere Beispiele ein, die den frommen Lebenswandel seines Onkels belegen. Darunter auch folgende Begebenheit aus dem Jahr 1709, als er seinem Onkel einige Monate lang in Prag diente: Am Morgen, nachdem ich mit ihm aus der Synagoge kam, schickte er einen Jungen, um ihm Pflaumen zu holen. […] Der Junge brachte ihm 17 an der Zahl. Er öffnete die erste und fand einen Wurm und sofort nahm er seine Hand weg von den Pflaumen. Und er sagte, vielleicht, weil ich sie schon gesegnet habe. Und er gab mir die übrigen 16 Pflaumen und ich aß sie, ohne einen Wurm zu finden. Und ich staunte darüber und sagte, wie kommt es, dass von 17 Pflaumen nur eine einzige wurmig war und zwar die Erste. Ich las dazu in der Mikra: Es wird dem Gerechten kein Leid geschehen [Prov 12,21]. (YM, § 14, 85 f)
Katzenellenbogens Onkel hat den Wurm, den er in der ersten Pflaume gefunden hat, als Zeichen dafür gedeutet, dass er in diesem Jahr möglicherweise bereits Pflaumen verspeist und den passenden Segensspruch dazu gesprochen hat, wie es der Vorschrift entsprach, jede Frucht bei ihrem ersten Verzehr in jedem Jahr zu segnen. Der Zweifel, den der Wurm in der ersten Pflaume diesbezüglich in ihm hervorgerufen hat bringt ihn dazu, vor lauter Frömmigkeit auf den Genuss der Pflaumen zu verzichten und damit in jedem Fall dem Dilemma zu entgehen, den Segensspruch womöglich unnötigerweise zu wiederholen oder aber ihn wegzulassen, obwohl er ihn eventuell doch hätte sprechen müssen.44 Insgesamt ist ein Vorbildcharakter dieser Erzählungen nicht zu verkennen. Wie auch bei zahlreichen weiteren Geschichten, die Katzenellenbogen von 44 Vgl. hierzu auch Rosman, Founder, 30.
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172 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte seinen Vorfahren in unterschiedlich langen Episoden wiedergibt, ergibt sich aus ihnen ein klarer Weisungs- und Aufforderungscharakter an die Nachkommen. Vor allem aber dient das Festhalten an der Familien-Erinnerung dazu, das Andenken der Väter zu bewahren und ihren Verdienst an die Nachkommen weiterzugeben.
5.3 Schiduchim zum Erhalt der Ehrbarkeit der Familie Schiduchim, d. h. Ehevereinbarungen, und Hochzeiten sind ein Thema, das Katzenellenbogen vor allem in Bezug auf seine eigene Familie, aber auch auf sein engeres und weiteres Umfeld immer wieder aufgreift. Beim Schiduch werden zwischen dem Vater des Bräutigams und dem Vater der Braut Vereinbarungen über die Mitgift (Nedunja), den Ehevertrag (Kettuba), sowie über Ort und Zeit der anstehenden Hochzeit getroffen.45 Ausführlich berichtet Katzenellenbogen von den Eheschließungen seiner Vorfahren, von seinen beiden eigenen Eheschließungen und von den umfangreichen Bemühungen, die von verschiedenen Seiten aus angestrengt werden mussten, damit es dazu kam. Des Weiteren berichtet er, wenn auch weniger ausführlich, von seinen Bemühungen, angemessene Eheschließungen für die eigenen Kinder herbeizuführen. Im Hintergrund all dieser Eheschließungen steht das dringende Anliegen, die über Generationen hinweg aufrecht erhaltene ehrbare Familientradition auch für die Zukunft durch eine entsprechende Heiratsstrategie zu bewahren.46 Dabei wird hier das als cultural gatekeeping beschriebene Selbstverständnis Katzenellenbogens als Hüters der Tradition besonders bildhaft greifbar, da unangemessene Ehepartner durch das Hüten der zu schützenden ehrbaren Familie aus deren Mitte herausgehalten werden sollen.
45 Vgl. Keil, Familie, 92 und zu Verhandlungen über die Mitgift auch Horowitz, Jugend, 124 ff. Vgl. zur Verlobung bzw. zum Eheversprechen im christlichen Kontext, das ebenfalls weitgehend als quasi geschäftlicher Akt zwischen zwei Hausvätern verstanden wurde, bei van Dlmen, Fest, 194ff und van Dlmen, Kultur, 136 ff. Zur Thematisierung von Heirat und Ehe in autobiographischen Zeugnissen christlicher Provenienz vgl. van Dlmen, Heirat, 153 ff. 46 Vgl. über Eheschließungen als „Teil einer Strategie zur Traditionserhaltung“ bei Graetz, Mentalität, 127.
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Schiduchim zum Erhalt der Ehrbarkeit der Familie
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5.3.1 Wundergeschichten über die Wahrung des „heiligen Samens“ Die Eheschließung der Tochter von Saul Wahl und der Schiduch für die Witwe des Großonkels Pinchas Nachdem Mose Katzenellenbogen seinem Sohn 1733 vom Krankenbett aus sein Testament diktiert hat, erzählt er ihm wie es dazu kam, dass ihr Vorfahr Saul Wahl seine junge Tochter Henle dem siebzig Jahre alten Rabbiner der Gemeinde Brest-Litowsk, R. Salman Schor, zur Frau gab. Von seinem Vater erfährt Katzenellenbogen, dass Saul Wahl eine schöne Tochter hatte, die von großer Weisheit und von großer Gesundheit [war] und ihr Name war in ganz Polen bekannt. (YM, § 54, 148)
Als sie ins heiratsfähige Alter kam, wurde Saul Wahl der „Sohn eines des Größten seiner Generation“ als Bräutigam für seine Tochter vorgeschlagen, dessen Namen jedoch nicht überliefert ist. Katzenellenbogen berichtet, dass dieser „Große seiner Generation“ in die Gemeinde Brest kam, und sein Sohn, der wichtige und wunderbare Jüngling mit ihm. Er war zu Gast bei dem Obersten der Gemeinde. […] Aber unser Vorfahr sagte zu ihm, dass er seine Tochter einem noch Größeren geben wolle und er schätzte jenen Großen seiner Generation und seinen Sohn gering und er wollte keinen Schiduch mit ihm machen. Und dieser Große seiner Generation war sehr beschämt über diese Geringschätzung und Schande, bis die ganze Gemeinde üble Nachrede über unseren Vorfahren Saul Wahl, sel.A., führte. Die Gemeinde versuchte das Verderben wieder gut zu machen, das durch die Beschämung dieses Raws und seines Sohnes eingetreten war, bis dass sogar einer der Großen aus der Gemeinde ihm seine Tochter zur Frau gab, damit er nicht umsonst gekommen sei und mit Ehre wieder ausziehen könnte und es war ihm zum Ruhm. Seither wurde unser Vorfahr, der Nagid, sel.A., von seiner Gemeinde gehasst und sie dachten über ihn böse Gedanken. Und es geschah, dass in jenen Tagen die Frau des Königs verstarb, dem die Fürsten das Königreich übertragen hatten. Und es gab in der Gemeinde Brest einige andere Leute, die in den Augen der Großfürsten ebenfalls wichtig waren. Diese wollten die Geringschätzung rächen, die dem weisen und großen Schüler der Generation zugefügt worden war. In ihren Herzen war Missgunst und sie versuchten, eine Geringschätzung zu finden. Und sie gingen zu jenen Fürsten des Königsreichs, bei denen ihre Worte Gehör fanden. Und sie priesen die Jungfrau, die Tochter unseres Vorfahren, des Nagid, sel.A., in den Augen der Fürsten und sie sagten zu ihnen: ist sie nicht würdig, eine Königin zu werden, da sie von großer Gesundheit und von großer Weisheit ist und wunderschön. Und auch sie ist eine Königstochter, da ihr Vater für einen Tag König war und daher ist seine Tochter der Regentschaft würdig. Und sie sagten zu den Fürsten, dass auch diese sie preisen sollten vor dem König, damit sein Herz in Flammen aufginge und er sie begehre. Und sie stellten sich listig an in ihrer Bosheit, denn sie waren darüber
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174 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte besorgt, dass die Sache nicht unserem Vorfahren, dem Nagid bekannt würde und er sie verderben könnte. Deshalb sagten sie den Fürsten, dass diese besonders vorsichtig sein müssten, da die Sache ein großes Geheimnis wäre für das Königreich, das nicht aufgedeckt werden dürfe, damit der König sich eile und Kriegsleute schickte, um seine Tochter schnell zu holen und unser Vorfahr keine Möglichkeit hätte, dies zunichte zu machen. Die Worte der Denunzianten fanden Eingang in das Gehör der obersten Fürsten und sie handelten so, wie ihnen geraten wurde. Und sie erzählten dem König von dieser Sache, und der König hörte ihnen zu und er stimmte mit den Fürsten überein, dass so gehandelt werden solle. Und er befahl seinen Kriegsleuten, dass sie am vereinbarten Tag heimlich in das Haus des Nagid gehen sollten, um dort ohne sein Wissen und seine Zustimmung seine Tochter zu nehmen und sie zum König zu bringen. Aber Gott, der Herr der Heerscharen, der Wächter Israels und Wächter seines Bundes, der den Vätern Gnade erwiesen hat, Er hatte Erbarmen mit der Tochter des Nagid R. Saul Wahl. Und vom Himmel war es gegeben, dass der Nagid Saul Wahl einen treuen Anhänger hatte, der ihn über alles liebte. Dieser beeilte sich, zu dem Nagid zu schicken und ihn über alles, was vor sich ging, in Kenntnis zu setzen, damit er in seiner Weisheit wisse, was zu tun sei. Und als er dies sah und wusste, staunte er und er beriet sich in Eile und in Weisheit mit Hilfe des erhabenen Nachbarn. Zu jener Zeit war der Gaon Salman Schor Rabbiner in der Gemeinde Brest. […] Und dieser Gaon, der Rabbiner der Gemeinde Brest, war siebzig Jahre alt und Witwer. Und sofort, als er das oben erwähnte Gerücht vernahm, ging unser Vorfahr, der Nagid, zum Rabbiner R. Salman Schor, sel.A., und unterbreitete ihm das Geheimnis. Er sagte ihm, dass sie sich beeilen müssten und er seine Tochter, die oben erwähnte Jungfrau Henle, unter die Chuppa führen müsse, und dass sie dabei keinerlei Zeit verlieren dürften. Und so geschah es und vom Himmel wurde der erwähnten Henle eine heilige Nachkommenschaft beschert. (YM, § 54, 148 f)
Durch das rechtzeitige Eingreifen Gottes wird Saul Wahls Tochter vor einer unehrenhaften Eheverbindung mit einem Nichtjuden bewahrt. Indem Saul Wahl sie stattdessen mit dem Rabbiner Salman Schor verheiratet, bleibt die Heiligkeit der Ahnenkette auch weiterhin erhalten. Äußeres Zeichen für die Ehrbarkeit dieser Kette, deren wichtigstes Attribut die Gelehrsamkeit ist, ist die „heilige Nachkommenschaft“, die aus dieser Ehe hervorgeht, obwohl Salman Schor zum Zeitpunkt der Hochzeit bereits siebzig Jahre alt ist. Henles Sohn, Jakob Schor, wurde, wie Katzenellenbogen für seine Kinder aufschreibt, „ein Großer der Tora“ und „ein Großer Israels“ und „sein Verdienst schützt uns über Generationen, Amen.“47 Auch in einer anderen Geschichte, die Katzenellenbogen für seine Nachkommen festhält, geht es um die Wahrung des heiligen Samens. Von seinem Vater hört er, dass sein Großonkel Pinchas, der im Ijjar 1676 in Lublin als Märtyrer verbrannt wurde, „eine Frau aus berühmter Familie hatte, eine Tochter von Großen Israels.“48 Den Tod vor Augen wollte Pinchas sicherstel47 YM, § 54, 150. 48 YM, §113, 209.
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Schiduchim zum Erhalt der Ehrbarkeit der Familie
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len, dass seine Frau auch nach seinem Ableben wieder eine ehrenhafte Eheverbindung eingehen würde. An dem Tag, an dem das Urteil über ihn vollstreckt werden sollte, sandte er an die Oberhäupter des Vierländerrats in Polen die Bitte, dass sie ein Auge auf seine Frau haben sollten, die nun eine verlassene und junge Witwe war und dass sie sie ihrer Ehre entsprechend verheiraten sollten. Und so taten es die Oberhäupter des Rats jener Zeit. Sie verheirateten sie mit einem ausgezeichneten Talmudschüler und großen Weisen, vollkommen in seinen Taten, der den Namen R. Löw trug. Und in der Zeit, als ich in der Gemeinde Prag war, nannte man ihn schon Arie und er war ein Großer in Israel und sein Name war überall bekannt. Und er war der Gaon Aw Beth Din in einer großen Stadt in Israel, in der Gemeinde Glogau. (YM, § 113, 208)
Die Ehre von Pinchas Katzenellenbogens Witwe, für die er kurz vor seinem Tod noch Sorge trägt, bleibt auch über seinen Tod hinaus dadurch gewahrt, dass sie mit einem ausgezeichneten und weisen Talmudschüler verheiratet wird. Auch hier ist das Attribut der Gelehrsamkeit wiederum gleichbedeutend mit Ehrhaftigkeit und somit ein Garant für die bleibende Ehrwürdigkeit der Ahnenkette.
Die Wundergeschichte über die Geburt von Zwi Hirsch Aschkenasi Katzenellenbogen berichtet von der Bedeutung, die einer ehrbaren Abstammung beigemessen wird, nicht nur in Bezug auf seine eigenen Vorfahren. Direkt im Anschluss an die Geschichte von der Verheiratung der Tochter Saul Wahls mit Salman Schor folgt eine wunderbare Geschichte über die Geburt eines großen Gerechten der Generation, den verstorbenen Gaon Zwi Hirsch […], der den Ehrennamen Chacham Zwi trug. (YM, § 55, 150)
Wieder ist es sein Vater, von dem Katzenellenbogen diese Geschichte hört. Sie soll erklären, warum Zwi Hirsch Aschkenasi (ca. 1660 – 1718), der der Vater von Jakob Emden (ca. 1698 – 1776) war, seiner Unterschrift die Abkürzung ü„E beizufügen pflegte, die, so meint Katzenellenbogen, für L98ü =7LHE steht und „reiner Sepharde“ bedeutet.49 Katzenellenbogen weist darauf hin, dass auf diese Weise die Sepharden unterschreiben, um zu zeigen, dass sie rein sind und von reinen Heiligen abstammen und sich nicht an die Fremden assimiliert haben seit ihrer Vertreibung aus Spanien, Portugal usw. (YM, § 55, 150) 49 Feld hält diese Auflösung der Abkürzung für unwahrscheinlich und gibt verschiedene weitere Möglichkeiten an. Vgl. im Apparat von Feld zu Yesh Manchilin § 55, 417.
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176 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte Zwi Hirsch Aschkenasi war allerdings nicht sephardischer Herkunft, sondern der Sohn von R. Jakob, Schwiegersohn des Ephraim ben Jakob HaCohen, dem Verfasser der Responsensammlung Scha’ar Ephraim.50 Es stellt sich daher die Frage, aus welchem Grund er dennoch diese Formel bei seiner Unterschrift benutzte. Die Antwort auf diese Frage sieht Katzenellenbogen in einer wunderbaren Begebenheit begründet, die seinen Eltern geschehen ist.51 Seiner Schilderung nach kam es zu dieser Begebenheit, als Ephraim ben Jakob HaCohen, der Großvater von Zwi Hirsch Aschkenasi, zwischen 1666 und 1678 Rabbiner in der Gemeinde Ofen war. Während der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Habsburgern unter Kaiser Leopold I. und den Osmanen, die auch das ungarische Ofen betrafen, geriet sein Schwiegersohn R. Jakob in Gefangenschaft und wurde von einem Land ins andere verschleppt, bis er in eine Gemeinde gelangte, in der sich reiche Juden befanden, die ihn loskauften von den Kriegsgefangenen. In der Zwischenzeit aber hatte sich in der Gemeinde Ofen das Gerücht verbreitet, dass R. Jakob, der Schwiegersohn des Rabbiners von Ofen, in der Kriegsgefangenschaft verstorben war. Sein Schwiegervater, R. Ephraim, sel.A. , erhob dafür, dass sein Schwiegersohn R. Jakob gestorben war, Zeugenaussagen und schickte diese an die Großen jener Generation und sie lösten die Frau des R. Jakob, welche die Tochter des R. Ephraim war und erlaubten, sie an einen anderen Mann zu verheiraten. Deshalb machte R. Ephraim einen in seinen Augen angemessenen Schiduch für seine Tochter in Böhmen. Nachdem aber R. Jakob losgekauft und ein freier Mann war, nahm er sofort seine Beine in die Hand und machte sich schnell auf, um in Frieden wieder zu seiner Familie und in das Haus seines Schwiegervaters, des Rabbiners der Gemeinde Ofen zurückzukehren. Und er machte sich auf den Weg und kam von Stadt zu Stadt und von Land zu Land. Und der Himmel bewirkte es, gelobt sei der Herr und gelobt sei Sein großer Name, dass er in jene Gemeinde in Böhmen gelangte, in der sein Schwiegervater, der Gaon, den Schiduch gemacht hatte. Der Himmel fügte es, dass an eben diesem Tag, als R. Jakob dort ankam, die Schwiegereltern des Rabbiners aus Ofen sich bereit machten, um zu der Hochzeit in die Gemeinde Ofen zu fahren. R. Jakob sah die Wagen und die unruhigen Menschen und die Vornehmen und Angesehenen aus der Gemeinde und er fragte, wohin die Gemeindemitglieder fahren und was sie machen wollten. Schließlich sagte man ihm, dass dies die Schwiegereltern seien, welche mit der Tochter des Rabbiners von Ofen, die Witwe sei, Hochzeit halten wollten. Als R. Jakob dies hörte, pries und dankte er dem Herrn, Er sei gesegnet und gesegnet sei Sein großer Name, dass er es so eingerichtet hatte, dass er genau zu dem Zeitpunkt an genau dem Ort war, von dem aus die Brauteltern aufbrechen wollten, um seine Frau zu heiraten. Und er dankte dem Herrn für Seine Gnade, dass er seine Frau davor errettet hatte, noch einmal zu heiraten, Gott behüte. Und er betete zum 50 Vgl. YM, § 55, 150. 51 Vgl. YM, § 55, 150.
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Schiduchim zum Erhalt der Ehrbarkeit der Familie
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Herrn, dass es ihm gelingen möge, in Frieden nach Hause zu gelangen, bevor die Hochzeit stattfände. Und an diesem Ort hatte R. Jakob Angst, ihnen zu erkennen zu geben, dass er der Ehemann jener Frau sei, mit der sie die Ehe schlie ßen wollten, denn er fürchtete, dass sie seinen Worten nicht glauben würden, weil seine Kleidung zerrissen und voller Flicken war und weil er wie ein Landstreicher aussah. Nur die Diener bat er darum, ihm Gnade zu erweisen und ihn nahe der Wagen gehen zu lassen, damit er zusammen mit ihnen nach Ofen gelangte, wo sein Haus war. Und sie liessen es ihn tun. Und er kam mit ihnen bis in die Nähe der Gemeinde Ofen einen Tag, bevor die Hochzeit stattfinden sollte. In dieser Nacht veranstaltete der Rabbiner von Ofen ein Verlobungsmahl, wie es üblich war. R. Jakob beobachtete dies, zeigte sich aber nicht und wollte in dieser Nacht nicht in das Haus seines Schwiegervaters gehen, damit er sie in ihrer Freude nicht verwirrte. Er wartete bis zum Morgenlicht des nächsten Tages. R. Ephraim wollte eine große Hochzeit feiern, zu seiner Ehre und zur Ehre der Gemeinde, die damals eine große Stadt war und Wächter bewachten das Tor, damit niemand ohne Erlaubnis in das Haus kam. Am Morgen kam R. Jakob zu der Haustür, doch die Wachen ließen ihn nicht eintreten. R. Jakob sagte zu ihnen : ich habe eine dringende Angelegenheit mit dem Rabbiner persönlich zu besprechen. Die Wächter aber schalten ihn und sagten : Narr, weißt du etwa nicht, dass der Rabbiner und seine Frau mit Vorbereitungen für die Hochzeit ihrer Tochter beschäftigt sind ? Und sie erkannten ihn nicht. Deshalb wandte er eine List an und bat einen der Wächter, dass er zur Rabbanit gehe und ihr sage : Ein Mann steht vor der Tür und lässt ihnen ausrichten, dass er ihr etwas Wichtiges wegen der Hochzeit zu sagen habe. Und der Wächter ging zu der Rabbanit und sagte ihr, dass ein Mann, der an der Haustür stehe, ihm befohlen habe ihr auszurichten, dass er dringend mit ihr wegen einer Angelegenheit sprechen müsste, die die Hochzeit beträfe. Die Rabbanit sagte zu dem Wächter : wenn es so ist, dann soll er eintreten und ich will ihn anhören. Deshalb ließen die Wächter ihn eintreten. Als R. Jakob zu seiner Schwiegermutter, der Rabbanit kam, erkannte sie ihn gleich, obwohl sein Gesicht sich verändert hatte. Sofort fing sie an, mit lauter Stimme zu weinen und sie sagte : Du bist doch Jakob, unser Schwiegersohn. Sofort ging sie und erzählte dies ihrem Mann dem Rabbiner, sel.A. , und teilte ihm mit, dass ihr Schwiegersohn aus einem fernen Land zurückgekommen sei. Und als der Rabbiner ihre Worte hörte und sah, dass sein Schwiegersohn R. Jakob in Frieden zurückgekehrt war, dankten sie alle dem Herrn, Er sei gesegnet und gesegnet sei Sein großer Name. Und sie sagten : Gesegnet sei der Herr, dass Er dich hierher geführt hat und diese Hochzeit, die wir mit der Erlaubnis der Großen Israels zu feiern bereit waren, wird nicht stattfinden, denn der Herr lässt nicht zu, dass dem Gerechten ein Unrecht geschieht. Und sie freuten sich mit ihm und veranstalteten ein Festmahl mit R. Jakob und seiner Frau in Heiligkeit und Reinheit. Und seiner Frau, der Tochter des Rabbiners, […] war es vergönnt, aus der Finsternis ins Licht zu treten in Reinheit und Heiligkeit und mit ihrem reinen Ehemann R. Jakob. Aus ihrer Nachkommenschaft gingen Heilige und Gerechte hervor und sie gebar einen heiligen Nachkommen, der ein Großer Israels wurde, Chacham Zwi, der dem
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178 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte Haus Israel eine Krone und ein Diadem war. Und deshalb unterschrieb er seinen Namen mit ü„E [„reiner Sepharde“, s. o.] […] . So hörte ich es von meinem heiligen Vater, dem frommen Gaon, sel.A. , der es mir mit klarer Sprache erzählte. (YM, § 55, 150 ff)52
Durch die wundersame Rückkehr des tot geglaubten Schwiegersohns wird dessen Ehefrau im letzten Moment vor einer neuen Verheiratung bewahrt. Die Geburt eines „heiligen Nachkommens“ und „Großen Israels“ in Gestalt Zwi Hirsch Aschkenasis bestätigt, dass damit auch für die Zukunft die Wahrung des heiligen Samens gesichert ist. Während eines Aufenthalts in Lemberg im Jahr 1748 begegnet Katzenellenbogen drei Söhnen Zwi Hirsch Aschkenasis, die, wie er schreibt, nicht wussten, weshalb ihr Vater seiner Unterschrift die Abkürzung ü„E beifügte: Ich erzählte ihnen die Geschichte über ihren Großvater R. Jakob und über das Wunder, das ihm widerfahren war, so wie ich es aus dem Mund meines heiligen Vaters gehört hatte. Sie staunten über diese Neuigkeit und sagten: Wenn wir nicht hierher gekommen wären, hätten wir dies nicht erfahren. (YM, § 56, 153)
5.3.2 Katzenellenbogens Eheschließungen Katzenellenbogen berichtet ausführlich von den umfangreichen Bemühungen, die vor allem sein Vater, aber auch andere anstellen, um eine passende Eheverbindung für ihn zu arrangieren, als er ins heiratsfähige Alter kommt. Deutlich betont er dabei einerseits die Schwierigkeiten, die mit diesen Bemühungen verbunden sind. Andererseits kokettiert Katzenellenbogen mit dem Ansehen, das er bei vielen großen Gelehrten genießt und führt detailliert die vielen Interessensbekundungen auf, die hinsichtlich eines Schiduchs mit ihm geäußert werden. Obwohl sie sich schließlich aus unterschiedlichen Gründen nicht ergeben, erwähnt er sie als Ausdruck der besonderen Ehrbarkeit ihm und seiner Familie gegenüber. Das Zustandekommen seiner beiden Ehen trotz aller Schwierigkeiten, erscheint ihm schließlich jeweils wie ein Wunder. Auffallend ist, dass Katzenellenbogen zwar ausführlich die langwierigen Bemühungen und Verhandlungen bis zum Zustandekommen seiner Ehen darstellt, von seinen Hochzeiten selber aber nichts berichtet. 52 Eine von dieser leicht abweichende Version der Geschichte, die seinen Großeltern widerfahren ist, gibt auch Jakob Emden in Megillat Sefer wieder (vgl. Emden, Megillat Sefer/Ed. Kahana, 6 f). Emden versetzt die Erzählung allerdings in die Zeit der Chmielnicki-Pogrome, die sich über Polen und die Ukraine auch in die Gemeinden Litauens ausdehnten und dort unter anderem Wilna betrafen, wo zu dieser Zeit sein Großvater Jakob mit seiner Frau und der Familie seines Schwiegervaters Ephraim HaCohen lebte (vgl. Emden, Megillat Sefer/Ed. Kahana, 5). Schacter, Jacob Emden, 376, schließlich schreibt, dass Ephraim HaCohen Wilna erst 1655 im Zuge des polnisch-schwedischen Kriegs verlassen musste und sich während der nächsten zehn Jahre vor allem in Mähren, Prag und Wien aufhielt.
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Ebenso verhält es sich im Hinblick auf die Hochzeiten seiner Kinder. Offenbar geht es ihm ausschließlich darum, für seine Kinder festzuhalten, welche Kriterien bei der Auswahl der potentiellen Ehepartner von Bedeutung und welche Schwierigkeiten damit verbunden waren. An erster Stelle steht für ihn die Ehrbarkeit der Familie, die durch die Eheschließung gewahrt oder sogar vermehrt werden soll. Dies darzustellen ist Katzenellenbogens Ziel.
Gescheiterter Schiduch mit der Tochter von Josua Feibel Teomim Ein beinahe zustande gekommener, letztlich aber doch gescheiterter Schiduch, den Mose Katzenellenbogen für seinen Sohn abschließen möchte, bezieht sich auf eine der Töchter von Josua Feibel Teomim. Dieser war einige Zeit Rabbiner in Przemys´l und wurde deshalb auch Feibel Przemys´l genannt.53 Ohne seinen Sohn davon in Kenntnis zu setzen, trifft Mose Katzenellenbogen Vorkehrungen für diesen möglichen Schiduch. So reist er auch mit seinem Sohn im Elul 1708 für längere Zeit nach Prag, wo sie im Haus ihres entfernten Verwandten Jakob Schulhof wohnen, der der Bruder von Feibel Przemys´l war.54 Um den Namen seines Sohnes in Prag bekannt zu machen, sorgt Mose Katzenellenbogen dafür, dass Pinchas „den beiden Großen der Generation“ diente, nämlich Abraham Broda, dem Vorsteher der dortigen Jeschiwa, und David Oppenheim, dem Rabbiner in der Gemeinde Prag.55 Der Kontakt zu diesen beiden angesehenen Gelehrten sollte sich positiv auf den geplanten Schiduch auswirken. Katzenellenbogen schreibt, dass „der Abschluss des Schiduch“ kurz bevorstand, denn ich hatte Gnade in den Augen der beiden großen Leuchten gefunden. (YM, Register zu § 91, 490).
Dennoch kommt der vom Vater initiierte Schiduch mit der Tochter Feibel Przemys´ls schließlich nicht zustande. Katzenellenbogen liefert hierfür verschiedene Erklärungen. Zunächst schreibt er, dass Feibel Przemys´l sich im Sommer 1709 in Polen aufhielt, wo es zu Streitigkeiten um sein Rabbinat gekommen war.56 Enttäuscht berichtet Katzenellenbogen weiter : 53 Josua Feibel Przemys´l war der Sohn von Chajim Jona Teomim, dem Verfasser des Kikoyon d’Jona. Sein Sohn war Chajim Jona Teomim, der der Schwiegersohn des Prager Oberrabbiners David Oppenheim war (vgl. § 85, 181). Zu den Verwandtschaftsbeziehungen innerhalb der Familie Teomim vgl. Lçwenstein, Familie, 346 ff. 54 Vgl. YM, Register zu § 86, 489. Eine Verwandtschaft zwischen der Familie Katzenellenbogen und Jakob Schulhof besteht insofern, als die Tochter von Meir Katzenellenbogen, dem Sohn von Saul Wahl, mit Chajim Jona Teomim, dem Verfasser des Kikoyon d’Jona verheiratet war. Dieser Verbindung entstammen sowohl Jakob Schulhof als auch Feibel Przemys´l. Vgl. ebd., 346 ff. 55 Vgl. YM, § 86, 182. 56 Vgl. hierzu auch ebd., 349.
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180 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte Außerdem wollte er seine beiden größeren Töchter verheiraten, die inzwischen heiratsfähig waren, aber es hatte sich noch keiner gefunden, der dem Vater genehm war. Daher wollte er für sie einen Schiduch im Land Polen machen. Und niemand dachte daran, einen Schiduch mit einer seiner beiden Töchter und mir zu machen, obwohl ich bei allen sehr beliebt war, vor allem auch bei meinem Onkel, dem frommen R. Sa’adja Jesaja, sel.A., der mich liebte wie seinen eigenen Sohn und mir immer zur Seite stand. Doch niemand dachte, wie erwähnt, daran, den Schiduch mit mir zu machen. (YM, § 114, 209)
Mose Katzenellenbogen war entgegen seiner eigentlichen Absicht, bis zum Abschluss des geplanten Schiduchs in Prag zu bleiben, bereits im Winter 1709 nach Fürth zurückgekehrt und hatte seinen Sohn auf sich selbst gestellt in Prag zurückgelassen, ohne sich weiter um den Schiduch kümmern zu können.57 Diese unrühmliche Erklärung für das Scheitern des Schiduchs, weil er als möglicher Ehepartner schlichtweg vergessen worden war, ergänzt Katzenellenbogen durch eine deutlich ehrenhaftere Darstellung, derzufolge Feibel Przemys´l ihn nicht in Betracht zog, weil er ihn für Höheres bestimmt sah: Tatsächlich verhielt es sich so, dass Feibel Teomim keinen ihm würdigen Platz zum Leben hatte, sondern durch das Land wanderte, während seine Frau und seine Töchter darauf angewiesen waren, an fremden Tischen essen zu dürfen. (YM, § 116, 210)
Als Katzenellenbogen im Adar 1711 von Fürth aus nach Nikolsburg reist und längere Station in Prag bei Jakob Schulhof macht, trifft er dort erneut mit Feibel Przemys´l zusammen. Katzenellenbogen erzählt, dass Przemys´l nochmals Gefallen an ihm findet, für seine Tochter Beile jedoch bereits einen Schiduch mit dem Sohn einer wichtigen Familie in Lemberg vermittelt hat. Seine zweite Tochter Gittel ist zwar noch unverheiratet, hat aber offenbar kein Interesse an Katzenellenbogen.58 Weiter berichtet Katzenellenbogen, dass Beile vor dem vereinbarten Schiduch in Lemberg bereits einen anderen Schiduch gehabt, diesen aber auf Betreiben ihres Vaters wieder gelöst hatte. Um einer Wiederholung solchen Verhaltens vorzubeugen, musste Przemys´l, so schreibt Katzenellenbogen, die zweite Verlobung mit einem Handschlag bekräftigen. Offenbar war Feibel Przemys´l nichtsdestotrotz bereit, auch diesen Schiduch seiner Tochter zu Gunsten von Katzenellenbogen aufzulösen. Katzenellenbogen gibt die Worte wieder, die Przemys´l in seinem Beisein an seine Familie richtet: 57 Katzenellenbogen berichtet, dass sein Vater unerwartet zurück nach Fürth gerufen wurde, nachdem dort 1708 Bermann Fränkel verstorben war, der der Nachfolger von Katzenellenbogens Großvater Elieser Heilbronn im Fürther Rabbinat gewesen war. In dieser Situation baten die Fürther Gemeindevorsteher Katzenellenbogens Vater, der in der dortigen Talmudschule gelehrt hatte, nach Fürth zurückzukehren, um als More Zedek dem Gericht der Gemeinde Fürth vorzustehen (vgl. YM, § 92, 187). Vgl. zu dem Rabbinat Bermann Fränkels auch Lçwenstein, Fürth I, 174 ff. 58 Vgl. YM, § 144, 240.
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Schiduchim zum Erhalt der Ehrbarkeit der Familie
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Seht, ihr wisst, dass ich in der Gemeinde Lemberg einen Schiduch geschlossen habe für meine Tochter Beile. Und sie wollten meinen Handschlag darauf haben, damit ich diesen Schiduch nicht wieder anklagen würde. Doch ich will euch die Vorzüge des jungen Talmudschülers aufzählen. Und er zählte verschiedene gute Eigenschaften und Vorzüge auf, die dieser Schiduch mit sich brächte. Doch als er mit dem Lob geendet hatte, sagte er, trotz alledem hat Pinchas noch mehr Lob verdient als er, und ich bevorzuge ihn mehr als doppelt so stark. (YM, § 146, 242)
Katzenellenbogen ist empört über die Bereitschaft Feibels, sein Wort erneut zu brechen und verlässt Prag, damit R. Feibel seine Hoffnung nicht mehr auf mich legte, sondern seinen Schiduch erfüllte und diesen nicht zunichte machte. (YM, 147, 242)
Später erfährt Katzenellenbogen vom weiteren Schicksal der beiden Töchter Feibel Przemys´ls. Während Gittel mit Meir Kadisch verheiratet wurde, der Gemeindeführer in Prag war, kam der Schiduch ihrer Schwester Bela in Lemberg tatsächlich nicht zustande. Stattdessen heiratete sie R. Salomo, der Rabbiner in der Gemeinde Pinczow war, kam aber kurz nach der Hochzeit tragisch ums Leben, denn als sie sich das erste Mal nach der Hochzeit reinigen wollte, geschah ein schlimmes Unglück. Sie saß in der Badewanne, um sich zu waschen, und hatte ein taubes Dienstmädchen. Und es war gegen Abend, als man nicht mehr so gut sehen konnte, als das Dienstmädchen kochendes Wasser vom Feuer nahm und in die Badewanne goss, über ihren Kopf und ihren Körper und sie schrie, aber das Dienstmädchen konnte ihre Stimme nicht hören. Schließlich starb sie an den Verbrennungen durch das kochende Wasser. So war ihr vom Himmel bestimmtes Schicksal. (YM, § 147, 243)
Gescheiterte Schiduchim wegen mangelnder Ehrbarkeit Katzenellenbogen betont, dass Schiduchim in seiner Familie nur mit besonders ehrbaren Familien in Frage kamen. Die Entschlossenheit seines Vaters und Großvaters, die Ehrbarkeit der Familie um jeden Preis bewahren und daher für ihren Sohn und Enkel nur einen der eigenen Ehrbarkeit genügenden Schiduch abschließen zu wollen, kommt in folgenden Worten deutlich zum Ausdruck: Mein Vater, der Gaon und Rabbiner wandte weise Tricks an, denn er war ein Gerechter und großer Gelehrter, um für mich einen passenden und seiner und der Ehre unserer erhabenen Familie entsprechenden Schiduch abzuschließen. Doch lag es nicht in seiner Hand. Ich erinnere mich, dass ich einmal bei meinem frommen Großvater, dem Gaon und Rabbiner, sel.A., war, in seinem Zimmer mit ihm allein und zornig drein blickte. Da fing er an zu mir zu sprechen: Warum guckst du so zornig? Du bedauerst, dass du ein Talmudschüler in heiratsfähigem Alter bist, sich
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182 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte für dich aber noch keine passende Partie gefunden hat. Ärgere dich nicht darüber, denn es wird dir wie mir ergehen. Auch ich war schon lange heiratsfähig und bereits in fortgeschrittenem Alter, bis sich mit Hilfe des Herrn eine passende und schöne Partie für mich fand. Denn mein Gott, Er sei gesegnet, war bei mir. Und einmal sagte ich zu ihm, dass jener Talmudschüler, der einst mein Gefährte gewesen war, Mose Löw, und der später Rabbiner in Nikolsburg wurde,59 mir seine Schwester angeboten hatte. Darüber war er sehr erbost und schalt mich und sagte mir, dass dies kein angemessener Schiduch wäre. (YM, § 151, 248)
Auch in der Gemeinde Fürth, wo sein Vater großes Ansehen genoss, wurden Katzenellenbogen wegen seines Rufes als ausgezeichneter Talmudschüler zahlreiche Schiduchim angeboten, die seinem Vater jedoch nicht als angemessen erschienen und daher von ihm abgelehnt wurden.60
Gescheiterte Schiduchim nach Polen Katzenellenbogen schildert die Schwierigkeiten, die sein Vater bei der Suche nach einem passenden Schiduch für ihn hatte, da deutsche Juden hinsichtlich einer Eheverbindung mit einem mittellosen Talmudstudenten eher zurückhaltend reagierten. Nach Polen, wo zwar größere Erfolgsaussichten bestanden, einen geeigneten Schiduch zu finden, wollte er seinen Sohn jedoch nicht schicken. Als Grund hierfür nennt Katzenellenbogen die Verfolgungen, die sowohl sein Vater als auch sein Großonkel Pinchas Katzenellenbogen dort erleiden mussten und die für Ersteren mit Gefängnis und Flucht, für Letzteren sogar mit dem Märtyrertod geendet hatten.61 Katzenellenbogen schreibt: Mein heiliger Vater, sel.A., war ein großer Weiser, der auf seine Nachkommenschaft achtete. Und als ich damals ins heiratsfähige Alter kam, begann er in seiner Weisheit, meinen Namen bekannt zu machen, wie es üblich war […]. Im Land Aschkenas war es jedoch nicht üblich, dass ein reicher Mann seine Tochter einem Studenten zur Frau gab, der nichts in seinen Händen hatte, außer der Tora. Denn wovon sollte er sie ernähren und wenn er nicht in Geschäften bewandert wäre, dann könnten sie nicht existieren. Und nach Polen wollte er mich in seiner Weisheit nicht schicken, da er die Ritualmordverleumdungen in Polen fürchtete, besonders, nachdem er, wie unter § 60 – 64 erwähnt, selber von dort fliehen musste. Und ich war nach seinem Onkel R. Pinchas, sel.A., dem Bruder seines heiligen Vaters, benannt, der dort zur Heiligung des göttlichen Namens ermordet worden war. Und mein Vater fürchtete, dass mir dort irgendein Unglück geschehen könnte. (YM, § 84, 180) 59 Gemeint ist vermutlich Mose ben Aaron Lemberg, der von 1753 – 1758 Rabbiner in Nikolsburg war. Vgl. Klenovsky´, Sites, 14. 60 Vgl. YM, § 139, 235. 61 Vgl. zu diesem Dilemma, vor dem Mose Katzenellenbogen bei der Suche nach einer passenden Eheverbindung für seinen Sohn stand auch Liberles, Schwelle, 42.
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Schiduchim zum Erhalt der Ehrbarkeit der Familie
183
Auch Naphtali Katz Sohn Bezalel, der Rabbiner in Ostrow war, fand, so erinnert sich Katzenellenbogen, Gefallen an ihm und bot ihm an, mit in seine Gemeinde zu kommen, um Katzenellenbogen dort mit seiner Schwägerin zu verheiraten: Und es war wahrhaftig eine große Sache, dass er mir die Schwester seiner Frau zur Frau geben wollte, die eine Tochter von Großen war. Ich weiß nicht, was mich daran hinderte, ihm einfach zu sagen: Ich will dir folgen. Denn alle mochten mich sehr und taten mir nur Gutes, so erinnere ich mich. (YM, § 112, 207)
Als Grund dafür, dass dieser Schiduch nicht zustande kam, obwohl sowohl Naphtali Katz und sein Sohn Bezalel sowie Katzenellenbogens Onkel Sa’adja Jesaja ihn befürworteten, nennt Katzenellenbogen wieder die große Sorge seines Vaters davor, ihn nach Polen zu verheiraten. Mose Katzenellenbogen pflegte zu sagen: Mein Sohn soll nicht ins Land Polen hinabsteigen, denn man kann sich nicht auf das Wunder verlassen, zu den Geretteten zu gehören. (YM, § 112, 207 f)
Auch das Angebot Feibel Przemys´ls, ihn mit nach Polen zu nehmen, um dort für ihn einen Schiduch mit der Tochter seines Schwagers Chajim zu arrangieren, schlägt Katzenellenbogen in Anbetracht der Ängste seines Vaters aus.62 Statt Katzenellenbogen nimmt Feibel Przemys´l schließlich, auf Katzenellenbogens eigene Vermittlung hin, den Sohn seines Lehrers Samuel Krakauer mit nach Polen und verhilft diesem zu besagtem Schiduch.63 Aus ähnlichen Gründen verfolgte Mose Katzenellenbogen auch ein Angebot nicht weiter, dass ihm ein nicht näher benannter Nagid aus Polen in einem Brief geschickt hat. Dieser Nagid hatte davon gehört, dass Mose Katzenellenbogen einen ausgezeichneten Talmudschüler als Sohn habe und für diesen einen Schiduch in Aschkenas suchen würde. Der Schreiber des Briefes bat ihn, Pinchas zu ihm nach Polen zu schicken, wo er ihm einen „angemessenen Schiduch“ bereiten wollte, „seiner und der Ehre seiner vornehmen Familie entsprechend.“64
Gescheiterte Schiduchim aufgrund fehlenden Vermögens Katzenellenbogen betont immer wieder, dass neben der Verbindung mit einer Tochter Feibel Przemys´ls noch zahlreiche weitere Schiduchim für ihn im Gespräch waren bzw. dass viele große Gelehrte ihn gerne als Schwiegersohn gehabt hätten. Immer wieder scheitern attraktive Schiduchim jedoch an Katzenellenbogens mangelndem finanziellen Vermögen, da er als Talmud62 Vgl. YM, § 123, 217. 63 Vgl. YM, § 123, 217. 64 YM, § 138, 234.
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184 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte student nicht über die ausreichenden Mittel verfügt, um den Lebensunterhalt einer Familie eigenständig zu bestreiten.65 Während lange Zeit das Ideal der religiösen Gelehrsamkeit ausschlaggebend für den Wert auf dem Heiratsmarkt gewesen war, geriet dieses Ideal allmählich offenbar zu Gunsten materieller Werte mehr und mehr ins Hintertreffen, wie sich aus Katzenellenbogens Erzählungen erkennen lässt.66 1710 kam Naphtali Katz, der zu dieser Zeit Rabbiner in Frankfurt am Main war, nach Prag, um dort die Hochzeit seines Sohnes Eisik zu feiern, der „bewandert [war] in der Tora und in den Geboten“.67 Auch die Hochzeit seiner Tochter Sprinzel mit R. Wolf, dem Sohn von Eisik Kanina sollte dort um die gleiche Zeit stattfinden.68 Katzenellenbogen weist auf die große Zuneigung hin, die ihm von Naphtali Katz und seiner Frau entgegengebracht wurde, deren Schwiegersohn sein Onkel Sa’adja Jesaja war.69 Eine deutlich schlechtere Meinung hatten sie hingegen über den Bräutigam ihrer Tochter. Über ihn schreibt Katzenellenbogen, dass er weder Wissen noch Vermögen gehabt hätte: Ich wusste nur, dass der erwähnte Bräutigam R. Wolf Kanina keine Gnade in ihren Augen fand, denn er verfügte weder über die Tora noch über Ware, er besaß keine Weisheit und kein Wissen. Auf seiner Hochzeit sah ich weder Freude noch Gelassenheit. Ich fragte meinen frommen Onkel, sel.A., woran das läge. Er verriet mir, dass sein Schwiegervater, der Gaon R. Naphtali Katz, sel.A., und seine Schwiegermutter, die Rabbanit Schindel, sel.A. […] noch am Tag der Hochzeit selbst hin und her gerissen waren, ob man den Schiduch durchführen sollte oder nicht. Und die intelligente Braut Sprinzel, der Friede sei mit ihr, flehte mit beiden Händen und es war keine Freude in ihr, sondern nur Trauer und Seufzer, da sie sich selbst an diesen verrückten Wolf übergeben sah, der nicht über die rechte Gesinnung verfügte. Und mein Onkel, der fromme R. Sa’adja, sagte zu mir, dass sie den erwähnten Schiduch lieber abgesagt und die Trennung der beiden Eheleute bevorzugt hätten. Stattdessen hätten sie sehr viel lieber mich mit ihrer erwähnten Tochter Sprinzel verheiratet. (YM, § 111, 206)
Tatsächlich waren, wie Katzenellenbogen später erfährt, verschiedene Schiduchim für ihn nicht zustande gekommen, weil er damals ein mittelloser Talmudstudent war. Auch Naphtali Katz und Gabriel Eskeles, so berichtet Katzenellenbogen, hätten ihn so sehr geschätzt, dass sie ihm ihre Enkelinnen 65 Mitglieder vermögender Familien, so Katz, Tradition, 141, „heirateten in der Regel in Familien ihrer eigenen Schicht ein, gemäß dem zeitgenössischen Ideal gewöhnlich in jungem Alter.“ 66 Vgl. zum sinkenden Wert der Talmudschüler auf dem Heiratsmarkt vor allem seit Mitte des 18. Jahrhunderts Wilke, Talmud, 164 ff. 67 YM, § 111, 206. 68 Katzenellenbogen erwähnt beide Hochzeiten bereits unter § 14. Dort heißt es allerdings, dass Naphtali Katz bereits im Tammus 1709 nach Prag gekommen ist und die Hochzeit seines Sohnes Eisik im Aw 1709 stattgefunden hat (vgl. § 14, 84 f). 69 Vgl. YM, § 111, 206.
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Schiduchim zum Erhalt der Ehrbarkeit der Familie
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zur Frau geben wollten. Dieses scheiterte jedoch am Widerstand ihrer Ehefrauen. Nach Abschluss des Schiduchs mit der Tochter von Jakob Oettingen kehrte Katzenellenbogen nach Prag zurück und traf dort die Frau von Naphtali Katz. Er schreibt darüber : Als ich zu ihr kam und ihr Mann, der Gaon, sel.A., nicht im Haus, sondern draußen unterwegs war, wünschte sie mir Glück für den Schiduch, den ich mit Hilfe des Herrn geschlossen hatte. Und sie sagte zu mir : Wenn der Himmel für dich nicht diesen Schiduch bereitet hätte, vielleicht wärst du dann mein Schwiegersohn geworden. Soweit ihre Worte. Und ich verstand nicht, was sie damit meinte, und wozu ihre Worte dienen sollten bis Ende Nissan 1722. (YM, § 157, 255)
Ende Nissan 1722, als Katzenellenbogen bereits mit seiner zweiten Frau Olek, der Enkelin seines früheren Lehrers Gabriel Eskeles verheiratet war, besucht er auf der Durchreise die Familie seiner zweiten Frau in Nikolsburg: Mein Schwiegervater der Gaon R. Issachar Bär Eskeles70, sel.A., war in Wien. Und in Nikolsburg wohnte ich bei seiner Mutter, der Rabbanit Esther71, der Friede sei mit ihr. Sie freute sich sehr über mich […] Und sie sprach davon, wie sehr ihr Mann, unser heiliger Meister, mich liebte und dass ich solche Gnade in seinen Augen gefunden hätte, dass er mir [damals] am liebsten seine Enkelin Rebekka, der Friede sei mit ihr, zur Frau gegeben hätte. […] Sie selbst aber war das Hindernis, denn sie sagte zu ihm: Was willst du mit einem armen Talmudschüler usw. Soweit ihre Worte. Und durch diese Worte verstand ich auch die erwähnten Worte der Rabbanit von R. Naphtali Cohen, sel.A., die das Gleiche meinte. (YM, § 157, 255 f)72
Gescheiterte Schiduchim wegen vermeintlich mangelnden Wissens In Nikolsburg wollte David Oppenheim, der ihn ebenfalls sehr schätzte,73 einen Schiduch für ihn mit der Tochter seines Verwandten Mordechai Samson Bacharach74 arrangieren. Samson Bacharach sagte diesen Schiduch jedoch ab. Katzenellenbogen schreibt, dass er vor ihm „keine Gnade“ fand, da er ihn über 70 Issachar Bär Eskeles war der Bruder seines Schwiegervaters Jakob Eskeles. 71 Sie war die Ehefrau seines Lehrers Gabriel Eskeles. 72 Über den Wunsch seines Lehrers Gabriel Eskeles, ihm seine Enkelin Rebekka zur Frau zu geben, schreibt Katzenellenbogen auch unter § 105, 199: „Das erfuhr ich vor allem im Jahr 1721, als ich kam, um eine Nachfahrin von ihm [Gabriel Eskeles] zu heiraten, meine Frau, die Rabbanit Olek, sie lebe. Und die Frau seines Sohnes, des Gaon Simcha, erzählte mir, dass unser heiliger Meister, sel.A., mir zu seinen Lebzeiten seine Enkelin Rebekka, die Tochter seines Sohnes R. Löw zur Frau geben wollte. Doch habe sie gesagt: Was willst du mit einem Talmudschüler, der kein Geld hat. All dies sagte sie mir vor meiner Frau, der Enkelin und Rabbanit.“ 73 Vgl. YM, § 110, 205. 74 Er war ein Sohn des bekannten Jair Chajim ben Samson Bacharach (1638 – 1702), der in Koblenz und Worms als Rabbiner amtierte und u. a. die Responsensammlung Havvot Yair verfasst hat. Vgl. Zinberg, History 6, 139 f.
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186 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte einen Abschnitt der Tossefta prüfte und Katzenellenbogen seiner Ansicht nach diese Prüfung nicht bestand: Nur bei jenem besagten R. Samson, der in der Gemeinde Nikolsburg unter dem Namen Samson Bacharach bekannt war, fand ich keine Gnade, weil er mir irgendeinen Abschnitt aus der Tossefta im Traktat Baba Batra gezeigt hatte, der schwierig war und über den wir unterschiedlicher Ansicht waren. Unangekündigt kam er zu mir ins Haus des erwähnten Jockel Brünn,75 sel.A., als ich dort wohnte und prüfte mich. Und als ich ihm noch antworten wollte, da ging er schon wieder. (YM, § 149, 245)
Die Kränkung, die Katzenellenbogen hierüber empfunden hat, wird deutlich, wenn er erwähnt, dass Samson Bacharach seine Absage zutiefst bereute, als er ihn 1721 wieder traf und die Ehre sah, die Katzenellenbogen inzwischen zuteil geworden war, der zu diesem Zeitpunkt gerade zum Rabbiner in der Gemeinde Leipnik berufen worden war : [Samson Bacharach] sah meine Ehre, denn auch in der Gemeinde Leipnik war ich damals zum Aw Beth Din berufen worden. Und er bereute seine Meinung, die er damals im Jahr 1711 gehabt und dass er mich nicht gewollt hatte. Er sagte: Was habe ich getan, dass ich auf die Stimme des Gaon, sel.A., nicht gehört habe. Denn auch der Gaon R. Gabriel [Eskeles], sel.A., hatte mit ihm über mich gesprochen und gesagt: Du weißt nicht, was in ihm verborgen ist. Er ist voller Halacha und Tossefta. Und er sagte ihm in meinem Namen, was er von mir gehört hatte. Aber damals wusste ich, dass der Himmel es gefügt hatte, dass es nicht zu einer guten Verbindung zwischen uns kam. Und dennoch erhob ich nicht mein Herz, denn auf den Herrn setze ich meine Hoffnung. Auf Seinen großen Namen vertraue ich und auf den Wegen meiner heiligen Väter wandele ich mit Hilfe des Herrn. (YM, § 149, 246)
Katzenellenbogens erste Heirat Während seines Aufenthalts in Nikolsburg erreicht Katzenellenbogen ein Brief seines Vaters, in dem dieser ihm mitteilt, dass Jakob Oettingen, der Schwiegersohn von Gabriel Fürth,76 ihm einen Schiduch mit seiner Tochter Sara 75 Im Haus von Jockel Brünn fand Katzenellenbogen Unterkunft während der Zeit, da er in Nikolsburg bei Gabriel Eskeles lernte. 76 Feld möchte genannten Gabriel Fürth als den Bamberger Hoffaktor Gabriel Hirsch Fränkel, auch Gabriel Levi genannt, identifizieren. Vgl. Felds Angaben im Personenregister zu YM, 510. Dieser wurde um 1640 in Fürth geboren und trat zu Beginn des 18. Jahrhunderts in den Dienst des Bamberger Fürstbischofs Lothar Franz von Schönborn, nachdem er zuvor auf seinem Fürther Anwesen in der heutigen Königstraße 57 – 59 mit der sog. Gabrielschul eine weitere Talmudschule in Fürth gegründet hatte. Vgl. Eberhardt/Purrmann, Fürth, 275 und 325. Auch Glückel Hameln erwähnt besagten Gabriel Levi aus Fürth in ihren Erinnerungen voll des Lobes. Vgl. Hameln, Zikhronot, 529. Allerdings scheint hier ein Irrtum vorzuliegen, denn nach den Angaben von Feld war die Tochter von Gabriel Fürth, Matl, die Ehefrau von Katzenellenbogens
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Schiduchim zum Erhalt der Ehrbarkeit der Familie
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Rachel angeboten und ihm darüber hinaus 2000 Goldstücke Mitgift77 sowie zwei Jahre Alimente78 zugesichert hat.79 Da sich trotz seines Ansehens und seiner Beliebtheit gerade auch bei den großen Gelehrten seiner Zeit lange kein passender Schiduch für ihn ergeben hatte, erscheint Katzenellenbogen dieses Zustandekommen seiner ersten Ehe als großes Wunder, denn es war damals und ist auch heute nicht die Regel im Land Aschkenas, einen Schiduch mit einem Mann zu schließen, der zwar ausgezeichnet ist in der Tora, wenn er sonst über kein ausreichendes Einkommen verfügt. […] Auch wenn er sonst sehr sympathisch ist, schließt man mit ihm keinen Schiduch, wie ich es schon beschrieben habe unter § 150 anhand dessen, was der berühmte Nagid R. Mose Brilin, sel.A., sagte. Auch wenn er gerne eine eheliche Verbindung mit mir geschlossen hätte und mich außerordentlich sympathisch fand, musste er mir in seiner Weisheit antworten, dass es nicht in seiner Macht stand, uns zu ernähren. Daher hat der Himmel es gegeben, dass der Herr mich meinem Schwiegervater R. Jakob Oettingen, sel.A., und seiner Frau, meiner reinen Schwiegermutter Matl, der Friede sei mit ihr, begegnen ließ, die mit mir als Schwiegersohn einverstanden waren. (YM, § 154, 250)
Dass es trotz dieser ungünstigen Voraussetzungen, die Katzenellenbogen als zwar ausgezeichneter, aber mittelloser Talmudstudent mitbrachte, zu dem Schiduch mit der Tochter von Jakob Oettingen kam, war, so Katzenellenbogen, die Folge eines Gelübdes, das seine Schwiegereltern abgelegt hatten, als ihre Tochter im Alter von zwei Jahren schwer erkrankte. Damals gelobten sie, ihre Tochter im Falle einer Heilung von dieser Krankheit mit einem Toragelehrten zu verheiraten. Katzenellenbogen schreibt: Im Jahr 1711, als [Jakob Oettingens] Tochter Sara Rachel 15 Jahre alt war, wollte er sein Gelübde einlösen und sie an einen Toragelehrten verheiraten. Er schrieb seinen Schwagern in Fürth, dass sie einen passenden Mann unter den Talmudschülern für seine Tochter auswählen sollten. Sie nannten ihm zwei, deren Namen ich kannte, weil sie in der Klaus meines Vaters, sel.A., in der Gemeinde Fürth lernten. Er bat sie, sie zu Schwiegervater Jakob Oettingen. Lçwenstein, Fürth II, 96, nennt hingegen Blumle als einzige Tochter Gabriel Fränkels, die sich 1706 mit Mose Brandes aus Prag verheiratete. 77 Gleichsam als Ausgleich für die fehlende Erbfähigkeit der Töchter wird in mKet 6,5 eine Mitgift für die Braut in Höhe von 50 Sus festgelegt: „Richtwert ist ein Zehntel des väterlichen Vermögens, das bei reichen Familien beträchtlich überstiegen werden kann.“ Keil, Familie, 92. 78 Es war üblich, dass das junge Paar während der ersten Ehejahre bei den Eltern bzw. Schwiegereltern lebte, bis es selber in der Lage war für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Vgl. Goldberg, Marriage, 30: „Marriage rarely coincided with the founding of a new household because it was generally accepted that either the wife’s or the husband’s parents would be providing room and board in their home for the young pair.“ Katzenellenbogens Großvater Elieser Heilbronn lebte nach seiner Hochzeit mit seiner Frau Nechama einige Jahre im Haus seines Schwiegervaters Hirsch Busker in Dubno (vgl. § 58, 157) und sein Vater Mose Katzenellenbogen wiederum lebte mit seiner Frau Lea zunächst bei seinem Schwiegervater in Jaroslaw (vgl. § 38, 117). 79 Vgl. YM, § 153, 250.
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188 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte ihm zu schicken, damit er sie kennenlernen konnte. Und sie schickten sie zu ihm, einen nach dem anderen. Doch beide konnten in seinen Augen nicht bestehen. Daher beschloss er, seine Tochter nur einem ausgezeichneten Talmudschüler zu geben, selbst wenn dieser kein Geld hätte. Und so begann er, alle Gäste, die an seinem Tisch aßen, denn an jedem Tag hatte er mehrere Pletten, wie es in Aschkenas Brauch war, auszufragen, woher sie kämen und wie viele Leute dort lebten und nach ihren Söhnen. Schließlich fand er heraus, dass alle voll des Lobes für mich waren, mit Hilfe des Herrn. Und man kann wohl sagen, dass die Gäste zu meinem Schiduch beigetragen haben, denn durch das Lob, das sie für mich vorbrachten, gelangte er zu der Einsicht, dass er mich, mit Hilfe des Herrn, seiner Tochter zum Mann geben wollte. (YM, § 154, 251 f)
Nachdem Jakob Oettingen sich auf die Fürsprache seiner Gäste hin für Katzenellenbogen als künftigen Schwiegersohn entschieden hatte, schrieb er seinen Schwagern, den Vorstehern in der Gemeinde Fürth: Seht, die Talmudschüler, die ihr mir geschickt habt, können in meinen Augen nicht bestehen. […] Ich möchte nur einen wirklich ausgezeichneten Talmudschüler. Seht, ich habe viel Lob gehört über den Sohn von R. Mose [Katzenellenbogen], der in der Klaus ist und von dem ich weiß, dass er von vornehmer Herkunft ist. Seinen Sohn habe ich ausgewählt. Wenn er noch unverheiratet ist, möchte ich ihn auswählen und ihm meine Tochter geben und der Herr helfe mir dabei, mein Gelübde zu erfüllen. Und mein Schwiegervater, sel.A., sagte mir, was sie ihm geantwortet haben: Wenn es sein Wille sei, jenen ausgezeichneten Talmudschüler auszuwählen und dabei überhaupt nicht auf das Geld zu achten, so sei dies wohl im Sinne des Herrn, Er sei gesegnet und es müsse wohl gut sein, mit Hilfe des Herrn. Aber wir müssen dir einige Dinge dazu mitteilen, denn so, wie man auch einem Proselyten, der konvertieren möchte, einiges über die Gebräuche Israels mitteilen muss, so muss auch derjenige Einiges bedenken, der seine Tochter mit einem Talmudschüler verheiraten möchte. Zunächst muss er eine Mitgift geben, mit der er sich und seine Familie ernähren kann. [… ] Zweitens müssten dem Paar für einige Jahre Alimente gewährt werden. Drittens müsste man ihm einen Posten verschaffen, damit sie in angemessener Weise leben könnten. Von diesen Worten seiner beiden Schwäger, den Vorstehern aus der Gemeinde Fürth, erzählte mir mein Schwiegervater. Und Folgendes antwortete er ihnen: Das, was ihr mir mitteilt, ist mir längst bekannt und all diese Dinge, die ihr mir geschrieben habt, bin ich bereit zu tun. Ich werde ihm 300080 Goldstücke geben und ehrenvolle Geschenke. Und zwei Jahre will ich dem Paar Alimente gewähren. Und ich will alles mir Mögliche tun, um ihnen ein angemessenes Leben zu ermöglichen, so Gott will. (YM, § 155, 252)
Katzenellenbogen erzählt, dass, „nachdem mit Hilfe des Herrn die Konditionen für meine Hochzeit zu meinem Guten ausgehandelt waren“, am 2. Schewet 80 Feld gibt an, dass an dieser Stelle im Manuskript möglicherweise auch 2000 Goldstücke steht, denn diese Summe ist es, die Katzenellenbogen eigenen Angaben zufolge als Mitgift von seinem Schwiegervater erhält.
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Schiduchim zum Erhalt der Ehrbarkeit der Familie
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1712 in der Gemeinde Fürth der Schiduch abgeschlossen werden konnte.81 Anfang 1713 fand die Hochzeit statt, über deren Feier Katzenellenbogen aber keine näheren Angaben hinterlässt. Während der folgenden zweieinhalb Jahre lebte er mit seiner Frau im Haus seines Schwiegervaters Jakob Oettingen, bis er 1715 die Leitung der Jeschiwa seines Vaters in Schwabach übernahm.82
Katzenellenbogens zweite Heirat Auch über das Zustandekommen des Schiduchs mit seiner zweiten Ehefrau Olek Sara, einer Enkelin seines Nikolsburger Lehrers Gabriel Eskeles, gibt Katzenellenbogen in Yesh Manchilin genau Auskunft. Nachdem seine erste Frau Sara Rachel im Adar 1720, kurz nach der Geburt ihres dritten Kindes verstorben war, wurden Katzenellenbogen, der zu dieser Zeit als Rabbiner in der Gemeinde Wallerstein wirkte, zahlreiche würdige Schiduchim angetragen. Auch zu Mose Brilin, dem Schwager Samson Wertheimers, kamen die Heiratsvermittler, um einen Schiduch zwischen einer seiner unverheirateten Enkelinnen und Katzenellenbogen vorzuschlagen. Mit Bedauern, so schreibt Katzenellenbogen, musste Mose Brilin diesen Schiduch jedoch ausschlagen, da er es als nicht in seinem Vermögen stehend sah, das Paar angemessen zu unterstützen und Katzenellenbogen in ein wichtiges Rabbinat in Aschkenas zu bringen, zumal „in allen Gemeinden das Amt gekauft“ wurde. Sein Stolz hinderte ihn daran, seinen Schwager Samson Wertheimer in dieser Angelegenheit um Unterstützung zu bitten.83 Er schrieb diese Angelegenheit jedoch seinem Bruder Esriel Brilin, der diesen Brief an Issachar Beirisch weiterleitete, den Sohn von Gabriel Eskeles. Katzenellenbogen schreibt: Sofort, als er den Brief des Nagid R. Mose Brilin, sel.A., gesehen hatte, dessen Worte wahr und aufrichtig waren, sagte er, dieser Witwer, von dem hier die Rede ist [gemeint ist Katzenellenbogen], ist würdig für Olek, die Tochter meines Bruders, sie möge leben. Denn ich kenne ihn von früher, als er dem frommen Gaon R. Gabriel, sel.A., diente. (YM, § 150, 247)
Auch der Abschluss dieses Schiduchs erscheint Katzenellenbogen wie ein Wunder, das nur kraft göttlicher Hilfe herbeigeführt werden konnte. Es heißt: Mit Hilfe des Herrn kam alles schließlich zu einem Ende. Seither ist mir klar, dass dies der Herr gefügt hat, der mir eine zweite Ehe beschert hat aus der Nachkommenschaft unseres gerechten und heiligen Meisters, des R. Gabriel, sel.A. (YM, § 150, 247 f)
81 Vgl. YM, § 172, 266 f; vgl. auch YM, § 165, 261. 82 YM, § 180, 274. 83 Vgl. YM, § 150, 246 f.
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190 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte Auch über die Feierlichkeiten bei seiner zweiten Hochzeit die am 9. Schevat 1721 in der Gemeinde Schaffa stattfand, schreibt Katzenellenbogen nichts.84
5.3.3 Eheschließungen für Katzenellenbogens Kinder und für seine Schwester Während Katzenellenbogen ausführlich auf seine eigenen Schiduchim eingeht und von den großen Anstrengungen berichtet, die für ihr Zustandekommen erbracht werden mussten, hinterlässt er kaum Angaben über die Verheiratung seiner eigenen acht Kinder. Nur die Hochzeiten seines ältesten Sohnes Jakob und seiner jüngsten Tochter Lea werden kurz erwähnt. Von einigen der übrigen Kinder nennt er die Namen der Ehepartner, geht aber in keiner Weise auf die Modalitäten ein, die zu diesen Verbindungen führten.85 Dies fällt vor allem insofern auf, als die detaillierte Angabe ehelicher Verbindungen ihm sonst sehr häufig als Charakteristikum dient, um andere Personen, die er erwähnt, zu definieren. Der spärliche Informationsfluss in Bezug auf die Schiduchim seiner Kinder lässt sich sicherlich mit Katzenellenbogens konsequenter Orientierung auf den von ihm anvisierten Leserkreis seines Werkes erklären. Katzenellenbogen richtet sich mit der Niederschrift von Yesh Manchilin in erster Linie an seine Kinder, die er nicht über ihre eigenen Eheverbindungen in Kenntnis zu setzen braucht. Wichtiger ist es ihm stattdessen, seinen Kindern weiterzugeben, wie es zu seinen eigenen und zu den Schiduchim seiner Vorfahren gekommen ist. Am ausführlichsten, wenn auch hier nur vergleichsweise knapp, äußert er sich zum Schiduch seines älteren Sohnes Jakob: Ich war noch in Marktbreit,86 als im Jahr 177787 der Gaon Aw Beth Din in der Gemeinde Frankfurt am Main, R. Josua, sel.A., der Verfasser von Pne Josua und sein Sohn R. Löw Nero,88 der damals Oberhaupt der Jeschiwa in der Gemeinde Frankfurt war und jetzt Aw Beth Din ist in der Gemeinde Skohl, sich in verschiedenen Schreiben darum bemühten, einen Schiduch mit meinem Sohn herbeizuführen. Dieser war damals unter den Schülern der hohen Jeschiwa in der Gemeinde Frankfurt […]. Er 84 Vgl. YM, § 32, 108. 85 Katzenellenbogens Sohn Gabriel Marktbreit war mit Kila, der Tochter von Mose Bing verheiratet (vgl. YM, § 158, 256). Von seiner Tochter Rachel erwähnt Katzenellenbogen nur, dass sie verwitwet war, aber nicht, wer ihr Ehemann gewesen ist. Die Hochzeit von Rebekka Esther mit Simon Bing aus Nikolsburg im Jahr 1758 erwähnt Katzenellenbogen nur nebenbei, um mitzuteilen, dass er bei dieser Gelegenheit seinem Sohn Gabriel einen Ring gegen Epilepsie übergab (vgl. YM, § 20, 94). Von den Hochzeiten und Ehen seiner übrigen Töchter Bela, Jenta und Hindel ist an keiner Stelle die Rede. Da sie aber offensichtlich nicht mehr im Haus ihres Vaters leben (vgl. YM, § 136, 231), ist anzunehmen, dass auch sie verheiratet waren 86 Katzenellenbogen war dort von 1722 – 1750 Rabbiner. 87 Es muss heißen: 1747. 88 Gemeint sind Jakob Josua Falk (1680 – 1756) und sein Sohn Arie Löw.
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Schiduchim zum Erhalt der Ehrbarkeit der Familie
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sollte verheiratet werden mit der Tochter eines Schwagers von ihnen aus der Gemeinde Kalisch, des Nagid R. Mose, sel.A. (YM, § 234, 323)
Offenbar wurde man sich über diesen Schiduch einig, denn Katzenellenbogen berichtet weiter, dass er bereits im Sommer 1747 mit seinem Sohn Jakob in die Gemeinde Kalisch reiste, wo im darauf folgenden Jahr am Sabbat Wajigasch dessen Hochzeit gefeiert werden sollte.89 Desweiteren erwähnt Katzenellenbogen kurz die Hochzeit seiner jüngsten Tochter Lea. In einem Brief teilt er seinem Sohn Jakob am 3. Elul 1759 mit: Meine junge Tochter Lea, sie möge leben, hat im Elul des vergangenen Jahres den gelehrten und weisen R. Benjamin90 geheiratet, den Sohn eines Großen in Israel und eines Großen in der Tora, des gelehrten Nagid Israel aus Nikolsburg. Dort lebt sie nun. Hier bei uns ist nun keine unserer Töchter mehr. (YM, § 136, 231)
Wie es zu dieser Hochzeit und zu den Hochzeiten seiner übrigen fünf Töchter und seines Sohnes Gabriel kam, bleibt unerwähnt. Von Letzterem berichtet Katzenellenbogen allerdings, dass dieser ihn maßgeblich bei der Verheiratung seiner beiden jüngsten Töchter unterstützte, deren Schiduchim er andernfalls nicht hätte abschließen können. In seinem Yesh Manchilin vorangestellten Testament heißt es über Gabriel: Und er war mir eine große Stütze bei der Verheiratung meiner beiden jüngsten Töchter. Hätte der Herr mir nicht die Hilfe R. Gabriels geschickt, so hätte ich diese Angelegenheit nicht abschließen können. Er hat mich maßgeblich unterstützt von Anfang an bis zum guten Ende. Mein geliebter Sohn Gabriel hat uns insofern unterstützt, als er unseren beiden Töchtern Folgendes gab: Der ersten, unserer guten Perle, die von uns genommen wurde und die gottesfürchtig und rein war, Rebekka Esther, der Friede sei mit ihr, gab mein großzügiger und reiner Sohn 100 rheinische Goldstücke als Mitgift. Und auch meiner jungen klugen und bescheidenen Tochter Lea, sie möge leben, gab er als Mitgift die Summe von 100 rheinischen Goldstücken. (YM, HaTsava’a Scheli, 52)
Ausführlicher als über die Hochzeiten seiner eigenen Kinder schreibt Katzenellenbogen über den Schiduch seiner jüngeren Schwester Rachel Sara mit Chajim, dem Sohn seines Onkels Sa’adja Jesaja, an dessen Zustandekommen er selber beteiligt war. Als er sich im Sommer 1709 in Prag aufhielt, hörte er dort von seinem Onkel, dass er einen liebenswürdigen Sohn hatte, den Talmudschüler Chajim, den er gerne mit meiner Schwester Sara verheiraten wollte, die damals noch eine Jungfrau war. Ich 89 Vgl. YM, § 234, 324. Katzenellenbogen berichtet von dieser Reise mit seinem Sohn Jakob zu dessen Hochzeit in Kalisch auch unter YM, § 56, 152. 90 Katzenellenbogens Schwiegersohn Benjamin Israel Fränkel und dessen Sohn Mose Arie sind die Verfasser des Manuskripts mit dem Titel Sefer Jeschu’ot Israel (Buch über die Rettung Israels), das sich in das Manuskript von Yesh Manchilin eingefügt findet. Vgl. zu diesem Manuskript auch im Apparat Felds (A=D54 =K9@;) zu § 136, 461.
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192 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte versprach ihm, dass ich mit meinem Vater, sel.A., darüber sprechen wollte. Und so tat ich es auch. Als ich im Jahr 1710 in das Haus meines Vaters, sel.A., zurückkehrte, sprach ich mit ihm, und auch er befürwortete diese Verbindung und war bereit, seine Tochter dem Sohn seines Bruders zur Frau zu geben usw. Und sie begannen, die Bedingungen auszuhandeln und alles vorzubereiten. Und als ich im Winter 1712 in der Gemeinde Nikolsburg war, kam die Zeit der erwähnten Hochzeit, die im Adar in der Gemeinde Frankfurt Oder stattfinden sollte. (YM, § 172, 266)
Rachel Sara scheint nach Chajim noch zwei weitere Ehemänner gehabt zu haben, denn an anderer Stelle erwähnt Katzenellenbogen, dass sie mit Joseph Rosel Schwabach verheiratet war, mit dem zusammen sie den Sohn Abraham Schwabach hatte.91 Schon gegen Ende seines Werkes schließlich spricht Katzenellenbogen von einem gewissen Löw Sulzberger als seinem Schwager.92 Dafür, ob hier vielleicht ein Irrtum Katzenellenbogens vorliegt, oder aber ob seine Schwester möglicherweise von ihren ersten beiden Ehemännern verwitwet war, lassen sich keine Hinweise finden. 5.3.4 Die Gefahr der Versündigung durch sexuelle Begierden Neben dem immer wieder zu Tage tretenden Bestreben, die Exklusivität der Ahnenkette durch eine ihrer Ehrbarkeit angemessene Heiratspolitik auch für die Zukunft weiter zu sichern, geht Katzenellenbogen zumindest indirekt auch auf mögliche Gefährdungen durch erotische Versuchungen ein, die ihm außerhalb der Ehe begegnen. Unter § 7 gibt er einen Traum wieder, indem ein „böser Geist“ ihn in Gestalt einer Frau zu verführen versucht: Es geschah, als ich einmal auf meinem Bett lag und träumte. Und es schien mir in meinem Traum, dass ich auf der Erde lag und ein böser Geist in der Gestalt einer Frau stand über meinem Kopf, d. h., an meinem Kopf, um mir Schaden zuzufügen. Ich zitterte und erschrak über den Anblick und ich sagte denselben Vers ,Bewahre mich Gott, denn ich traue auf dich‘ viele Male hintereinander ohne Unterbrechung und es ist möglich, dass ich denselben Spruch hundert Mal gesagt habe, bis der böse Geist verschwand und ich gerettet war durch die Hilfe des Herrn. Als ich erwachte erfüllte Freude mein Herz über dieses Ereignis, und ich pries und dankte dem Herrn, er sei gesegnet und gesegnet sei sein großer Name, dass er mir geholfen und mich vor dem bösen Geist gerettet hat und siehe, unsere Weisen sagen [vgl. bBer 54a]: Derjenige der sieht, dass der Herr ein Wunder an ihm tut, muss ihn dafür segnen. Und daher hindere ich meine Hände nicht daran, dies in dieses Buch zu schreiben. (YM, § 7, 75)
Nur sehr vage und vorsichtig deutet Katzenellenbogen eine weitere Versuchung an, die ihm nicht im Traum, sondern leibhaftig in der Person von Jona 91 Vgl. YM, § 170, 265. 92 Vgl. YM, § 235, 324.
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Schiduchim zum Erhalt der Ehrbarkeit der Familie
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Teomim, dem Sohn von Feibel Przemys´l Teomim, begegnet ist. Im Sommer 1709 kam Jona Teomim mit seinen Eltern und Schwestern nach Prag, um dort Sara, die Tochter von David Oppenheim zu heiraten.93 Die Familie wurde im Haus ihres Verwandten Jakob Schulhof beherbergt, bei dem auch Katzenellenbogen während seiner Zeit in Prag wohnte. Zaghaft berichtet er : Wie ich bereits gesagt habe, fand ich Gnade in den Augen meines Herrn, des Gaon Aw Beth Din, sel.A. Und folgender Vorfall wurde auch nicht bekannt, nur ich schämte mich darüber sehr. Denn ich mochte den Bräutigam R. Jona Teomim sehr und wir schliefen zusammen in einem Bett in dem Zimmer, das ich damals in dem Haus von R. Jakob Schulhof, sel.A., hatte. R. Jona sprach schließlich wie folgt zu meinem Herzen: Warum bist du so schamhaft, usw. Auf jeden Fall kam er mir sehr nahe, wie ein Bruder. Und in derselben Woche war seine Hochzeit. Und Tag und Nacht war ich an seiner Seite, ihm zu Ehren. (YM, § 110, 205)
Andeutungsweise ist hier von einer homoerotischen Erfahrung Katzenellenbogens die Rede. Dabei erstaunt die relative Offenheit, mit der Katzenellenbogen diesen Vorfall thematisiert, über den er große Scham empfindet und von dem er nicht möchte, dass er bekannt wird.94 Es ist kaum anzunehmen, dass Katzenellenbogen diese Passage so formuliert hätte, wenn er eine Veröffentlichung seines Textes oder auch nur eine weitere Verbreitung über den engsten Familienkreis hinaus beabsichtigt hätte. 5.3.5 Katzenellenbogens Hochachtung gegenüber Frauen Auffallend ist die Anerkennung und große Wertschätzung, mit der Katzenellenbogen sich über die Frauen in seiner Familie, vor allem über seine Ehefrauen und Töchter, äußert.95 Katzenellenbogen dankt Gott dafür, dass er ihm mit seinen beiden Ehefrauen zwei teure Partnerinnen zur Seite gestellt hat: 93 Vgl. zu diesem Schiduch auch Lieben, David Oppenheim, 20 f. 94 Emden schreibt in Megillat Sefer freilich noch sehr viel offener auch über Bereiche der Intimität und Sexualität. Einem Bekenntnis gleich enthüllt Emden mehrfach seine sexuellen Bedürfnisse, Triebe und Leidenschaften, spricht von seinem Versagen während der Hochzeitsnacht, bekennt sich zu seinen charakterlichen und physischen Schwächen, seinen Misserfolgen, Krankheiten und Depressionen. Mit Schacter, History, 442, ist als ein Motiv hinter solchen Enthüllungen zu vermuten: „The more Emden was able to overcome in life, the greater the level of God’s kindness and the more significant role model he could be for other Jews who suffered in similar or other ways.“ 95 Auch Liberles betont Katzenellenbogens besonderes Lob seiner beiden Ehefrauen. Vgl. Liberles, Schwelle, 50. Bar-Levav weist darauf hin, dass das Verhältnis zur Ehefrau des Verfassers in ethischen Testamenten häufig thematisiert und die Ehefrau in den Texten oft auch direkt angesprochen wird: „Several wills contain words directed to the author’s wife, thanking her for her help and support.“ Bar-Levav, When, 51. Besondere Liebe und Zuneigung zu seiner Ehefrau bringt auch Naphtali Katz in seinem ethischen Testament zum Ausdruck. Er berichtet von einem Versprechen, demzufolge sowohl er als auch seine Frau Esther im Fall des Todes ihres Partners darum beten wollten, ihm schnell in den Tod zu folgen. Außerdem bittet er seine Frau
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194 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte Ich will dem Herrn singen, weil Er mich stark gemacht hat und meine Rettung ist und meine Hilfe aus dem Volk des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat und der mir zu meiner Hilfe meine Rippe schickte, sowohl durch die Partnerschaft mit meiner ersten Frau Sara Rachel, der Friede sei mit ihr, die bescheiden und rein und aus einer guten und erhabenen Familie war […]. Aber auch durch die Partnerschaft mit meiner zweiten Frau, der guten und teuren Olek, der Friede sei mit ihr, der Tochter von berühmten, heiligen und reinen Geonim. (YM, § 58, 155)
Besonders liebevolle Worte findet Katzenellenbogen für seine zweite Ehefrau. Dies liegt sicher auch daran, dass der Tod seiner ersten Frau Sara Rachel, mit der er sieben Jahre verheiratet war, schon fast vierzig Jahre zurückliegt, als Katzenellenbogen 1758 mit der Niederschrift von Yesh Manchilin beginnt. Mit seiner zweiten Ehefrau Olek, die er 1721 heiratet und die sechs seiner insgesamt acht Kinder zur Welt bringt, teilt er einen sehr viel längeren Lebensabschnitt. Olek stirbt erst 1759 und Katzenellenbogens Trauer über diesen schmerzlich empfundenen Verlust fließt unmittelbar in sein Werk ein. Rückblickend schreibt er über den Tod von Sara Rachel im Kindbett: Ich war sehr betrübt darüber, denn sie war eine gute und fromme Frau, eine der reinsten unter den Frauen. Sei ihre Seele eingebunden in das Bündel des Lebens. (YM, § 24, 99)
Noch im selben Abschnitt beschreibt Katzenellenbogen sein Glück, bereits kurze Zeit später seine zweite Ehefrau gefunden zu haben: Der Herr sei gesegnet, dass Er mir vergönnte das Verdienst meiner heiligen Väter auf dieser Erde, da meine Leiden sich zum Angenehmen verkehrten und ich eine zweite Frau fand. Eine Frau, geläutert und klug, gottesfürchtig und friedfertig. Sie ist eure fromme und teure Mutter, die Rabbanit Olek, eine Tochter der Großen, eines der größten Männer der Welt, meines Schwiegervaters des großen R. Jakob, sel.A. Er war der Sohn des frommen und berühmten Gaon R. Gabriel, sel.A., dessen Gerechtigkeit ich kannte, weil ich sein Lieblingsschüler war in seiner Jeschiwa. (YM, § 24, 99 f)
Das Lob, das Katzenellenbogen seiner Frau zuteil werden lässt, liegt zum einen in ihrer ehrenhaften Abstammung als Enkelin seines Lehrers Gabriel Eskeles begründet. Darüber hinaus preist er sie aber auch unabhängig von ihrer Herkunft wegen ihrer guten Eigenschaften als kluge, gottesfürchtige und friedfertige Frau. Diese und ähnliche Attribute verwendet Katzenellenbogen immer wieder, um den Charakter seiner Frau zu kennzeichnen. Als Olek am 13. Tischri 1759 nach fast vierzig gemeinsamen Ehejahren schließlich stirbt, ist seine Trauer groß. In folgenden Worten gibt er ihr beredten Ausdruck: darum, nach seinem Tod nicht wieder zu heiraten. Vgl. ebd., 52 und Abrahams, Jewish, 442. Hierin unterscheidet sich Naphtali Katz grundlegend von Katzenellenbogens Großonkel, der im Angesicht des ihm bevorstehenden Todes Vorkehrungen trifft, damit seine Witwe nach ihm erneut einen ihrer Ehre würdigen Ehepartner findet.
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Schiduchim zum Erhalt der Ehrbarkeit der Familie
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Nun will ich meine Klage vorbringen, dass von mir meine Pracht und Herrlichkeit genommen wurde und meine Frau gestorben ist, die mit ihrer Weisheit96 eine Krone meines Hauptes war aus Gold und Perlen, die Rabbanit Olek, der Friede sei mit ihr. Sie starb am fünften Tag, den 13. Tischri, nachdem sie nach mir in die große Synagoge geschickt hatte, um sie zu segnen. Und so tat ich es mit großem Jammer und Weinen. (YM, § 158, 256)
Wie schon ein Jahr zuvor für seine Tochter Rebekka Esther, betet er auch am Grab seiner Frau Olek zusammen mit seinem Sohn Gabriel das Zidduk HaDin und hält für sie Totenklage.97 Auf ihrem Grabstein lässt er seine große Anerkennung ihr gegenüber für die Ewigkeit festhalten. Neben der Aufzählung ihrer ehrenhaften Vorfahren lobt er ihren ebenso ehrenhaften Lebenswandel und hebt, den Worten des biblischen Frauenlobs folgend (vgl. Prov 31,10 – 31), vor allem ihre Wohltätigkeit gegenüber den Armen hervor98 : Eine geachtete Frau und Dame. Eine tüchtige Frau wie sie, wer mag sie finden? Sie war viel wertvoller als Perlen. Das Herz ihres Mannes konnte sich auf sie verlassen. Sie war ihm eine Krone, demütig und untadelig. Sie streckte ihre Hand nach dem Spinnrocken aus und ihre Handflächen breitete sie dem Elenden und dem Armen aus. Ihre Hand hat sie gehalten und sie gelabt. (YM, § 161, 258)
Katzenellenbogens Verzweiflung über den Verlust seiner Frau findet auch in seinem Testament Ausdruck, das er nach ihrem Tod zu Gunsten seines Sohnes Gabriel ändert. Dort heißt es: Die Dinge haben sich verändert wegen unserer vielen Sünden. Denn meine Rippe wurde mir zerstört und es starb mir meine Frau, meine Geliebte wurde von uns genommen. Genommen wurde mir meine Krone, meine Pracht und Herrlichkeit. Sie ruhe nun, wir aber sind voller Trauer und Seufzer. Und gesegnet sei der wahrhaftige Richter, denn Seine Worte sind wahrhaftig und gerecht. Und von nun an denke auch ich an den Tag meines Todes. (YM, HaTsava’a Scheli, 54 f)
An seinen Bruder Naphtali Hirsch schreibt Katzenellenbogen: Die Strenge des Gesetzes hat mich getroffen und mir meine Pracht und Herrlichkeit genommen am fünften Tag, dem vergangenen 13. Tischri. Alleine sitze ich nun, denn meine Frau ist gestorben, die meine Krone und kostbare Hausfrau war. Und es begab sich, dass am vierten Tag, dem 12. Tischri, die Jahrzeit meiner guten Perle Esther war, 96 „Weise“ (chacham) ist ein Attribut, das in der Regel Männern vorbehalten wird. Begründet ist dies durch die männliche Vorherrschaft bei der Beschäftigung mit der Tora. Für Frauen hingegen wird es eher selten verwendet. Vgl. Brocke/Mller, Haus, 76. Wenn Katzenellenbogen hier also die Weisheit (chochma) seiner Frau nennt, so ist dies eine nicht alltägliche Würdigung. 97 Vgl. YM, § 160, 258. Über das Zidduk HaDin schreibt Katzenellenbogen beim Begräbnis seiner Tochter, „dass man es aufsagen kann für einen Großen und sie war in unseren Augen so wichtig wie ein Großer in der Tora.“ (YM, § 32, 111 f) Auch hieraus spricht die besondere Wertschätzung Katzenellenbogens seiner Tochter und seiner Frau gegenüber. 98 Vgl. zu Grabinschriften für Frauen auch bei Preuss, Krone, 60 – 67.
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196 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte der Friede sei mit ihr, meiner Tochter, die ich sehr lieb hatte. Allein bin ich nun zurück geblieben, was soll ich sagen. (YM, § 230, 317)
Tiefe Trauer, Wertschätzung und Liebe für seine Frau, aber auch für seine Tochter Rebekka Esther klingen hier ebenso mit wie die Einsamkeit, die ihn nach dem Tod dieser beiden Frauen umfängt. Er belässt es jedoch nicht bei einer bloßen Beschreibung der guten Eigenschaften und des tadellosen Lebenswandels seiner Frau, sondern lässt sie auch als aktiv Handelnde in Erscheinung treten. Wie an anderer Stelle bereits erwähnt, hatte Katzenellenbogen von Benjamin Beinish besondere Zettel mit Namen erhalten, mit denen es möglich sein sollte, Frauen zu einer leichten Niederkunft zu verhelfen. Katzenellenbogen schreibt, dass er dieses Mittel bei einigen Frauen in Leipnik und Marktbreit angewendet hatte, es aber dann, als er nach Boskowitz kam, bei ihm in Vergessenheit geriet. Erst seine Frau erinnert ihn wieder daran: Einmal kam meine Frau, die Rabbanit, sie möge leben, zu mir und sagte: ich weiß, dass du Namen hast, die bei schweren Geburten helfen. Hier befindet sich eine Frau, die heute und seit Tagen schon Beschwerden hat und in Gefahr ist. Beeile dich und nimm und gib mir diese Namen und schicke zu ihr, vielleicht hilft es, mit Hilfe des Herrn. Und ich kam und eilte und suchte und fand und ich schrieb ihr und half ihr mit Hilfe des Herrn. Und sofort nutze es und das Kind kam lebendig heraus mit Hilfe des Herrn und seinem großen Namen. Und seit diesem Tag schickten alle Frauen in dieser Stunde zu mir und ich gab und half ihnen jedes Mal, mit Hilfe Gottes. (YM, § 31, 108)
Katzenellenbogen schreibt es an dieser Stelle vor allem der Umsicht und Geistesgegenwart seiner Ehefrau zu, dass er auch in der Gemeinde Boskowitz in der Lage war, vielen Frauen die Geburt ihrer Kinder zu erleichtern. In ähnlicher Weise anerkennend äußert sich Katzenellenbogen auch über ein entfernteres Familienmitglied, nämlich über seine Vorfahrin Henle, die Tochter von Saul Wahl. Wie bereits erwähnt, hatte ihr Vater sie, um die Ehrbarkeit der Familie zu bewahren, mit dem bereits siebzigjährigen Salman Schor verheiratet. Katzenellenbogen berichtet über sie, dass die Heiligkeit und Ehrbarkeit ihrer Ahnenkette dank ihrer Weisheit und ihres Einwirkens auf ihren Sohn Jakob Schor auch über die nachfolgenden Generationen hinweg erhalten blieb: Mein Vater, sel.A., erzählte mir, dass der Vorzug und die Weisheit der Henle dazu führten, dass ihr oben erwähnter Sohn ein Großer in der Tora wurde, denn ihre Weisheit99 machte ihn zu einem Großen. […] Sie nahm seine Hand und führte ihn mit all ihrer Kraft und Weisheit, bis sie aus ihm einen Großen Israels gemacht hatte. Und sein Verdienst schützt uns über Generationen, Amen. (YM, § 54, 150) 99 Auch der Tochter Saul Wahls lässt Katzenellenbogen das für Frauen selten verwendete und in der Regel Männern vorbehaltene Lob ihrer „Weisheit“ (chochma) zuteil werden.
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„Bei meinen Vätern will ich liegen“. Die Wahl des Sterbeortes
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5.4 „Bei meinen Vätern will ich liegen“. Die Wahl des Sterbeortes Die Bedeutung, die das Band der Familie und die Bindung an die Vorfahren für Katzenellenbogen haben, wird schließlich auch aus der bewussten Auswahl seines Alterssitzes und Sterbeortes ersichtlich. Trotz der hohen Wertschätzung, die er gegenüber seiner zweiten Frau empfindet, möchte er nicht bei ihr auf dem Friedhof in Boskowitz begraben werden, sondern zieht es vor, im Alter nach Fürth zurückzukehren,100 wo sein Vater Mose Katzenellenbogen, seine Mutter Sara Lea und sein Großvater mütterlicherseits, der Fürther Rabbiner Elieser Heilbronn begraben liegen.101 Dieses Anliegen war damals keineswegs ungewöhnlich, wie sich aus den Belegungen der Friedhöfe erschließen lässt.102 Schon vor dem Tod Oleks äußert Katzenellenbogen den Wunsch, nach Fürth zurückzugehen. Am 3. Elul 1759 teilt er seinem Sohn Jakob brieflich mit, dass er sich im Alter gerne wieder dort niederlassen und seinem Sohn das Rabbinat in Boskowitz übergeben möchte: Ich würde dir jedenfalls das hiesige Rabbinat anbieten, denn ich möchte mich, so Gott will, in der Gemeinde Fürth niederlassen, um bei meinen Vätern zu liegen.103 (YM, § 136, 230)
Dringlicher und konkreter wiederholt er dieses Anliegen nach dem Tod seiner zweiten Ehefrau Olek. In einem Brief aus dem Jahr 1760 unterrichtet er seinen Bruder Naphtali Hirsch über die Schicksalsschläge, die ihn innerhalb eines 100 Katzenellenbogens Vater Mose hat in Fürth von 1700 bis 1715 als Talmudlehrer im Beth Midrasch des R. Abraham Jakob ben Salomo Schneior gewirkt, bevor er als Landesrabbiner von Ansbach nach Schwabach berufen wurde. Katzenellenbogen selber hat dort einen großen Teil seiner Kindheit und Jugend verbracht. 101 Katzenellenbogens Großvater Elieser Heilbronn starb am 19. Tischri 1700 in Fürth und wurde dort am 20. Tischri 1700 begraben. Vgl. Lçwenstein, Fürth I, 173. Auch Katzenellenbogens Vater Mose wurde nach seinem Tod 1743 in Fürth begraben, obwohl er Rabbiner in Schwabach war und dort seinen Wohnsitz hatte. Seine Frau Sara Lea, die bereits 1740 in Fürth verstorben war, wurde dort neben ihrem Vater Elieser Heilbronn bestattet. Vgl. Lçwenstein, Fürth II, 120. Die Grabinschriften von Elieser Heilbronn und von seinem Schwiegersohn Mose Katzenellenbogen finden sich beide abgedruckt bei Lçwenstein, Fürth I, 220 und bei Lçwenstein, Fürth II, 120. 102 Bis in die Neuzeit hinein war es üblich, Mitglieder einer Familie beieinander zu begraben. Grundlegend hierfür war die Bitte Jakobs „begrabt mich bei meinen Vätern“ (Gen 49,29). Die Bindung an die Vorfahren und deren Grabstätten war dabei stärker als die Bindung an die Ehepartner. Zum Teil wurde auch in der Reihenfolge des Ablebens bestattet, wobei wiederum Eheleute keineswegs immer beieinander lagen. Erst seit dem 18. Jahrhundert setzte sich ganz allmählich und regional verschieden die Bestattung neben dem Ehepartner gegenüber der Bestattung bei den Vorfahren durch. Vgl. Brocke/Mller, Haus, 20 und Blume, Friedhof, 12. Eine weiterhin übliche Praxis war es, die Grabstätten der Reihe nach im Zuge des Ablebens der zu bestattenden Personen zu belegen. Vgl. Sçrries, Kulturgeschichte, 82. 103 Da Katzenellenbogens Sohn Jakob gerade für sechs Jahre zum Rabbiner in Ostrow gewählt worden war, musste Katzenellenbogen von diesem Ansinnen absehen (vgl. § 136, 230).
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198 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte Jahres durch den Verlust seiner Tochter Rebekka Esther und seiner Frau getroffen haben. Resümierend stellt er fest: Allein bin ich nun zurückgeblieben. Was soll ich sagen usw. All dies empfing ich in Liebe vom Himmel im Jahr 1759 zu meiner großen Trauer. Was also soll ich noch hier? Vielmehr ist es mein Wunsch, mich in der Gemeinde Fürth niederzulassen, an dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Dort will ich bei meinen Vätern liegen. (YM, § 230, 317)
Dennoch fällt Katzenellenbogen der Entschluss, die ihm vertraute Gemeinde Boskowitz zu verlassen, in der er bereits seit zehn Jahren gelebt und als Rabbiner gewirkt hat, offenbar nicht leicht, sondern ist von Ängsten begleitet, die er in seinem Brief offen formuliert: Aber aller Anfang ist schwer und mein Herz hält dieses Ansinnen für unsinnig, sich von einem Ort zu entwurzeln, der einem angenehm ist, mit Hilfe des Herrn […], um an einen fernen Ort zu gehen und dort am Tisch von anderen zu sein usw. Wer weiß schon, was der kommende Tag bringen wird? Der Herr möge alles zum Guten wenden. […] Dem Verstand nach erscheint es mir aber, mit Hilfe des Herrn, als ein guter und richtiger Weg für mein Alter, wie oben gesagt. (YM, § 230, 318)
Katzenellenbogen bittet seinen Bruder darum, sich bei Verwandten in Fürth, darunter auch bei dem Vorsteher Salman Bär, der mit der Tochter seiner Schwester verheiratet ist,104 für ihn einzusetzen und sich nach einer Unterkunftsmöglichkeit zu erkundigen.105 Er selber scheut sich, Kontakt zu Salman Bär aufzunehmen. Er schreibt: Ihren Ehemann Salman Bär kenne ich nicht. Als er uns zu Schwägern machte, hat er mich nicht gegrüßt. Ich habe ihm aber schriftliche Grüße zukommen lassen […]. Er hat mir aber nicht darauf geantwortet. Deshalb möchte ich ihm nicht gerne schreiben. (YM, § 230, 319)
Außerdem gibt Katzenellenbogen an, durch seine Arbeit zu sehr belastet zu sein und daher keine Zeit zu finden, sich eigenständig um seine Belange kümmern zu können: Vor lauter Arbeit komme ich nicht so schnell zum Schreiben, mitunter Tage und Wochen nicht wegen der vielen Mühen und Belastungen, die ich habe. Deshalb bitte ich dich, meinen Bruder, um meinetwillen nach Fürth zu schreiben und alles zum Guten für mich auszuhandeln und vorzubereiten, so Gott will. (YM, § 230, 319)
Ausführlich nennt Katzenellenbogen seinem Bruder seine konkreten Wünsche hinsichtlich seiner Unterkunft, seiner Ernährung und auch seiner religiösen Bedürfnisse, damit dieser darüber für Katzenellenbogen mit seinen 104 Vermutlich ist die Tochter von Katzenellenbogens Schwester Rachel Sara gemeint, die 1766 als in Fürth wohnhaft genannt wird. Vgl. Lçwenstein, Fürth II, 120 f. 105 Vgl. YM, § 230, 317 f.
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„Bei meinen Vätern will ich liegen“. Die Wahl des Sterbeortes
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Fürther Verwandten verhandeln soll. Katzenellenbogen gibt an, für die ihm verbleibende Lebenszeit mit zwei bis drei Goldstücken in der Woche auszukommen. Darüber hinaus, so schreibt er seinem Bruder, brauche ich für mich ein besonderes Zimmer mit Bett, Tisch, Stuhl und Büchern und einen Ofen, um in der kalten Zeit zu heizen. Und die Kosten für das Holz, denn ich weiß, dass es dort sehr teuer ist. Meine Essgewohnheiten entsprechen denen eines Gerechten, der Sättigung für seine Seele braucht. Die Kraft mich zu kasteien, habe ich nicht mehr. […]. Morgens trinke ich Kaffee mit Milch und nehme dazu einen Bissen […]. Mittags pflege ich wie alle Welt zu essen, d. h. am Tag nach dem Sabbat das, was von den Sabbatspeisen übrig ist. Am zweiten und am fünften Tag pflege ich Milchspeisen zu essen […]. Am dritten und am vierten Tag esse ich Fleisch und am sechsten Tag, dem Vorabend des Sabbat, esse ich das, was ich grade bekommen kann, denn ich bin nicht hungrig. Abends pflege ich nicht zu essen, außer bei Neumond und an Festtagen. Dementsprechend brauche ich also Nahrungsmittel und außerdem Holz zum Heizen. […] Auch möchte ich gerne in meinem besonderen Zimmer einen festen Minjan abhalten am Sabbat und an den Feiertagen, wie ich es auch hier tue, mit Gottes Hilfe. Denn es fällt mir inzwischen schwer, mich von meinem Haus zum Gebetshaus zu bewegen vor lauter Schwäche usw. Auch hierzu müssen sie ihre Zustimmung geben. (YM, § 230, 318 f)
Offenbar ist Naphtali Hirsch der Bitte seines Bruders nachgekommen und hat sich bei dem Ehemann seiner Nichte und Vorsteher der Gemeinde Fürth R. Salman Bär erfolgreich für Katzenellenbogen eingesetzt. Dies geht aus einem Brief hervor, in dem Katzenellenbogen sich am 13. Tischri 1760 nun selbst an Salman Bär wendet. Noch einmal wiederholt er hier seine Bitte, ihm seinen Herzenswunsch zu erfüllen, mit Hilfe des Herrn, denn aus allen Kräften möchte ich in meinem Alter bei meinen Vätern liegen und meine Tage, mit Hilfe des Herrn, in der Gemeinde Fürth verbringen, in der ich aufgewachsen bin. […] Ich erhielt einen Brief von meinem geliebten Bruder, und er teilte mir mit, dass ich mich dort [in der Gemeinde Fürth] niederlassen könnte an dem Ehrenplatz meines Vaters, des frommen Gaon R. Mose, sel.A., in der Klaus in seinem Haus, in dem er die Ehre der Tora erhöht hat […]. Ich empfinde große Freude, den Platz meines Vaters ausfüllen zu können, mit Hilfe des Herrn. Und ich segne den Herrn, der mir hierzu geraten hat. (YM, § 237, 327)
Weitere Informationen darüber, wie sich der Fortgang der diesbezüglichen Verhandlungen entwickelt hat, bietet Yesh Manchilin leider nicht. Katzenellenbogen war noch bis 1764 als Rabbiner in Boskowitz tätig.106 Aus diesem Jahr stammt auch einer seiner letzten Einträge in Yesh Manchilin.107 Offenbar wurden Katzenellenbogens Pläne, sich in Fürth anzusiedeln, durchkreuzt, 106 Vgl. Sixtov, Synagogue, 59 und Brnsky´, Zid, 250. 107 Unter YM, § 242 – 244 fügt er zwei Schreiben der Gemeindeführer in Oettingen an seinen Sohn Jakob und an ihn selber ein, die vom 19. Siwan 1764 datieren.
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200 Familienerinnerungen. Hüter über das Bewusstsein gemeinsamer Geschichte oder er hat seine Absicht geändert. Feld gibt jedenfalls an, dass Katzenellenbogen sich nicht, wie er ursprünglich vorgehabt hatte, in Fürth, sondern schließlich im nicht weit davon entfernten Schwabach niedergelassen hat, wo er von 1715 bis 1719 im Beth Midrasch seines Vaters gelehrt hatte.108 Dies wird bestätigt durch den Eintrag von Katzenellenbogen im Sterberegister der israelitischen Kultusgemeinde Fürth. Zwar lässt sich der dort angegebene Sterbeort nur schwer entziffern, doch ist er aller Wahrscheinlichkeit als Schwabach zu identifizieren.109 Katzenellenbogens Wunsch, gleich der biblischen Bitte Jakobs (Gen 49,29) „bei seinen Vätern zu liegen“, wurde dennoch erfüllt. Dem Sterberegister ist zu entnehmen, dass er vermutlich am Jom Kippur des Jahres 1767 starb und am darauf folgenden Tag in Fürth begraben wurde. Dies war insofern nicht selbstverständlich, da die Schwabacher Gemeinde ihre Toten seit dem 17. Jahrhundert für gewöhnlich auf dem jüdischen Friedhof in Georgensgmünd bestattete, der als Verbandsfriedhof Verstorbene aus einer Reihe von Ortschaften aufnahm.110 Offenbar wog das biblische Diktum hier schwerer als die sonst gängige Praxis. Den Recherchen von Gisela N. Blume nach wurden zwischen 1740 und 1837 insgesamt vierzehn Personen aus Schwabach in Fürth bestattet, darunter als erste im März 1740 Katzenellenbogens Mutter Sara Lea, deren Vater bereits in Fürth begraben war, 1743 Katzenellenbogens Vater und 1767 schließlich er selbst. Wo genau sich sein Grabstein befand, lässt sich nicht sagen. Da in Fürth jedoch die Bitte Jakobs wörtlich genommen und Familienmitglieder nebeneinander begraben wurden, wird er sich vermutlich in räumlicher Nähe zu den Gräbern seiner Eltern und seines Großvaters befunden haben.111 Die Mühen und Sorgen, die Katzenellenbogen auf sich genommen hat, um schließlich „bei seinen Vätern zu liegen“, machen deutlich, wie wichtig für Katzenellenbogen die Gemeinschaft und Verbundenheit mit den Vorfahren auch über den Tod hinaus ist.
108 Vgl. YM, Vorwort des Hg., 11. 109 Vgl. hierzu und zur Unsicherheit bezüglich des Sterbedatums unter 2.7. 110 Vgl. Kuhn, Geschichte, 30; Brocke/Mller, Haus; Berger-Dittscheid, Georgensgmünd, 335 und Berger-Dittscheid, Schwabach, 615. 111 Vgl. Blume, Friedhof, 12 sowie unter 2.7.
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6. Der Wert der Gelehrsamkeit. Hüter gemeinsamen Wissens Katzenellenbogen widmet den dritten großen Schwerpunkt, den er bei der Niederschrift von Yesh Manchilin verfolgt, dem Bereich des Lernens und verknüpft diesen Themenkomplex eng mit seiner eigenen Biographie. Ausführlich schildert er seine Erziehung und Ausbildung, die weitgehend den traditionellen Normen gemäß erfolgte und die in ihrem vorbildlichen Verlauf Weisungscharakter auch für die Nachkommen beanspruchen kann (vgl. 6.1). Sie vollzog sich zunächst überwiegend innerfamiliär sowie durch verschiedene ortsansässige Melamdim. Anschließend wurde sie vor allem bei verschiedenen Lehrern in den Jeschiwot in Prag, Fürth und in Nikolsburg fortgeführt. Nach Katzenellenbogens Hochzeit ist der institutionelle Teil seiner Ausbildung zwar beendet, doch setzt er das Lernen im Privaten fort und erlegt sich für seine täglichen Studien strenge Richtlinien und Pläne auf (vgl. 6.2). Seiner Tätigkeit als Rabbiner steht Katzenellenbogen insofern zwiespältig gegenüber, als ihn die damit zusammenhängenden Verpflichtungen oft von seinem persönlichen Lernen abhalten. Andererseits hebt er positiv seine Tätigkeit in jenen Gemeinden hervor, die er als „Ort der Tora“ bezeichnet und in denen die Lehre verbreitet wird (vgl. 6.3).1 Katzenellenbogen äußert sich außerdem detailliert darüber, was er als die angemessene Ordnung des Lernens bezeichnet, nämlich zunächst ein gründliches Studium der Quellen und erst danach das Studium der dazugehörigen Kommentare und Kompendien. Unter seinen Zeitgenossen üblich gewordene Abweichungen von dieser Ordnung werden von ihm scharf kritisiert (vgl. 6.4). Zum Bereich des Lernens gehört schließlich auch Katzenellenbogens Büchersammlung, die er im Vorlauf von Yesh Manchilin ausführlich in Listen dokumentiert und die für ihn nicht nur einen geistigen, sondern daneben auch einen materiellen Wert darstellen (vgl. 6.5). Die religiöse Gelehrsamkeit, so lässt sich grundsätzlich sagen, genoss in der traditionellen jüdischen Gesellschaft als Lebensideal der Männer höchstes Ansehen. Das Lernen bzw. das individuelle und gemeinschaftliche Studium der traditionellen Texte und damit einhergehend die beständige Auseinandersetzung mit dem jüdischen Gesetz galt als religiöse Pflicht, an der ein Leben lang festgehalten werden sollte.2 In seinem halachischen Hauptwerk, dem 1 Gemeint sind damit jene Gemeinden, die über eine eigene Jeschiwa oder über ein Lehrhaus verfügen, wie vor allem die mährischen Gemeinden Leipnik und Boskowitz, in denen Katzenellenbogen u. a. als Rabbiner tätig war. 2 Vgl. zur religiösen Gelehrsamkeit als Lebensideal Preuss, Juden, 7ff und Wilke, Talmud, 40 f. Vgl. auch Daxelmller, Jude, 181.
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Der Wert der Gelehrsamkeit. Hüter gemeinsamen Wissens
Kodex Mischne Tora, nennt Maimonides die Verpflichtung zum Studium und zur Verbreitung der Tora als die höchste und wichtigste Form des Gottesdienstes.3 Das Ziel des Lernens und des Studiums ist daher nicht etwa die berufliche Qualifizierung, sondern die Verwirklichung der Lehre im täglichen Leben.4
6.1 Ausbildung und Studium Der Ausbildung wurde in der jüdischen Tradition des 17. und 18. Jahrhunderts ein zentraler Stellenwert beigemessen.5 Die sehr früh einsetzende Erziehung war ein integraler Bestandteil der jüdischen Kindheit und ein wichtiges Mittel, um das religiöse Erbe und die traditionellen Werte der jüdischen Gemeinschaft an die nachkommenden Generationen zu vermitteln und zu bewahren.6 Es galt als religiöse Pflicht der Eltern, für die Erziehung und Ausbildung der Kinder Sorge zu tragen.7 Entsprechend vollzog sich die Erziehung zunächst vor allem im familiären und synagogalen Rahmen. Die Familie bildete den Ort, an dem religiöse Zeremonien gelebt wurden und an dem das Kind die elementaren Bräuche der Religion und Tradition erlernte. Dabei kam auch der Mutter eine wichtige Rolle zu. Katzenellenbogen erwähnt beispielsweis die Tochter seines Vorfahren Saul Wahl, die dafür sorgte, dass ihr Sohn Jakob Schor „ein Großer in der Tora wurde“.8 Auch nennt Katzenellenbogen seine eigene Mutter Sara Lea an verschiedenen Stellen seines Werkes „Mutter und Lehrerin“.9 3 Vgl. Kaplan, Moses Maimonides, 172. Maimonides Mischne Tora („Wiederholung der Tora“) erschien im Jahr 1180. Sie sollte nach dem Vorbild der Mischna und islamischer Kodifikationen den gesamten kasuistischen Traditionsstoff systematisch und, nach Auffassung des Verfassers, endgültig ordnen. Ein Teil des Werkes ist den Gesetzen zum Torastudium gewidmet, in dem sämtliche Fragen zum grundlegenden Gebot die Tora zu lernen und zu lehren geregelt sind. Vgl. ebd., 171 f. 4 Vgl. Breuer, Ausdrucksweisen, 113. 5 Vgl. Pollack, Folkways, 50: „Education was basic to Jewish society at the close of the Middle Ages, preceding Emancipation, just as it had been through the centuries since Talmudic times.“ 6 Vgl. Katz, Tradition, 183. 7 Vgl. ebd., 187 und 190 sowie Rosenfeld, Talmudschule, 80. Hinsichtlich der Bildungsverantwortung hält Breuer, Frühe Neuzeit, 177, fest: „Die Erziehung der Kinder, ihre Einübung in die religiöse Tradition und ihre Ertüchtigung zur Gründung eines eigenen Hausstandes gehörten zu den wichtigsten Anliegen von Gemeinde und Familie.“ Während die Gemeinde aber in erster Linie für die Erziehung der Armen und Waisen zuständig war, blieb die Kindererziehung hauptsächlich Sache der Eltern. 8 Vgl. YM, § 54, 150. 9 Vgl. z. B. YM, § 58, 156. Auch Pollack, Folkways, 50 f, weist auf die besondere Verantwortung der Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder hin und hebt dabei besonders auch die Rolle der Mutter hervor. Er verweist auf Sabbatai Scheftel Horowitz, der in seinem Vavei HaAmudim den Einfluss seiner Mutter erwähnt, die ihn zum intensiven Studium ermuntert. Auch der Brandspiegel hebt die Pflicht der Mutter hervor, in ihrem Kind die Begeisterung für das Lernen zu wecken. Die Verpflichtung des Vaters, seinen Sohn bestimmte Verse aus der Tora und aus dem Schema Israel
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Daneben standen für die Ausbildung insbesondere des männlichen Nachwuchses in Form von Cheder, der jüdischen Elementarschule, und Jeschiwa, einer weiterführenden Talmudhochschule, auch institutionelle Einrichtungen zur Verfügung.10 „Beide zielten darauf, das Wissen zu lehren, welches das essentielle Wertesystem der Gesellschaft ausmachte. Ihre Hauptfunktion bestand darin, auf unterschiedlichen Schwierigkeitsebenen und Abstraktionsniveaus die jüdische Tradition zu vermitteln.“11 Üblicherweise besuchten die Jungen vom vierten oder fünften Lebensjahr an bis zu ihrer Bar Mizwa12 zusammen mit anderen Gleichaltrigen den Cheder, der sich häufig in einem Zimmer im Haus des Lehrers befand, oder wurden von einem Privatlehrer unterrichtet. Dort erlernten sie die Grundkenntnisse ihres Glaubens. Ihre Ausbildung umfasste das Erlernen der hebräischen Sprache, das Studium des Gebetbuches und der Tora, der rabbinischen Kommentare, der Mischna und der Halacha. Für die fortgeschrittenen Schüler schloss sich das Studium des Talmud und seiner Kommentatoren an.13 Dieser Elementarunterricht endete gewöhnlich mit dem dreizehnten Lebensjahr. Begabte Schüler konnten im Anschluss daran ihre Ausbildung bis zu ihrer Heirat in einer Jeschiwa fortsetzen und dort durch jahrelanges Studium intensive Kenntnisse des Talmud und der halachischen Gesetzbücher erwerben. Der Eintritt in die Ehe und damit die Gründung eines Hausstands markierte oft zugleich den Eintritt ins Erwerbsleben, es sei denn, dass ein vermögender Schwiegervater dem jungen Ehemann noch einige weitere Jahre lang sein Studium finanziell ermöglichen konnte.14
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zu unterrichten, bis ein Elementarlehrer dessen Erziehung übernimmt, schreibt Maimonides in seiner Mischne Tora fest. Im übertragenen Sinne ist damit die Verpflichtung gemeint, alle männlichen Heranwachsenden in der Tora zu unterweisen. Vgl. Kaplan, Moses Maimonides, 175 f. Nach Prestel, Schulwesen, 258, war das jüdische Schul- und Bildungswesen vor der Aufklärung und Emanzipation „weitgehend einheitlich und geschlechtsexklusiv organisiert.“ Während die jüdischen Jungen den Cheder und im Anschluss gegebenenfalls auch die Jeschiwa besuchten, lernten die Mädchen in der Regel zu Hause, was sie an Kenntnissen für die Führung eines jüdischen Haushalts benötigten. Nur in Ausnahmefällen besuchten sie ebenfalls den Cheder oder erwarben anderweitig Bildung. Vgl. zur Ausbildung der jüdischen Mädchen auch Pollack, Folkways, 63 f und Liberles, Schwelle, 70. Zum jüdischen Schulwesen vgl. außerdem Jakob, Judenschul, 45 ff. Katz, Tradition, 187. Vgl. Pollack, Folkways, 59: „When a boy becomes thirteen years of age, he reaches his religious and legal majority, and is inducted into the adult community through the ceremony of Bar Mizvah, meaning ,Son of Commandment‘ or ,Son of Duty‘.“ Schon in der Mischna ist festgelegt, in welchen Altersstufen welcher Bildungsstoff gelehrt werden soll. In mAv 5,24 heißt es, dass im Alter von fünf Jahren das Bibelstudium, mit zehn Jahren die Lektüre der Mischna und mit fünfzehn die des Talmud begonnen werden soll (79B@N@ 8LMF MB; C5 N9JB@ 8LMF M@M C5 8DMB@ LMF C5 4LKB@ A=DM MB; C5). Vgl. zur Ausbildung der Jungen u. a. Katz, Tradition, 190ff; Liberles, Schwelle; 69ff; und Pollack, Folkways, 54ff Wilke, Talmud, 40 f, weist darauf hin, dass das Gebot des Lernens zwar für Juden aller Altersklassen Geltung hatte. Vor allem die männlichen Jugendlichen aber
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Wenn Katzenellenbogen sich an seine Kindheit zurück erinnert, so kreisen seine Erinnerungen zum großen Teil um seine Erziehung, die im wesentlichen den eben skizzierten traditionellen Bahnen folgte. Die detaillierte Schilderung seiner Ausbildung nimmt gegenüber den spärlichen übrigen Kindheits- und Jugenderinnerungen, die er mitteilt, und die wesentlich durch die zahlreichen Ortswechsel seiner Familie bestimmt sind, einen vergleichsweise breiten Raum ein.15 Dies spiegelt wider, welch hohen Stellenwert Ausbildung und Studium in der jüdischen Gesellschaft jener Zeit allgemein innehatten und im Besonderen auch für Katzenellenbogen bei der retrospektiven Betrachtung auf sein eigenes Leben einnehmen; ein Wert, den er auch seinen Kindern und weiteren Nachkommen vermitteln will. Daher belässt er es nicht bei der bloßen Aufzählung der äußeren Eckdaten seines Studiums, sondern beschreibt ausführlich auch die Lerninhalte und -methoden und geht auf die persönlichen Bindungen und Beziehungen ein, die sich im Laufe seines Studiums für ihn ergaben.16 Stellenweise ist seine diesbezügliche Erinnerung etwas lückenhaft und verschwommen, zumeist aber erstaunlich klar und präzise, so dass seine Schilderungen zahlreiche Einblicke in das Unterrichtswesen der damaligen Zeit gewähren. 6.1.1 Ausbildung bis zur Bar Mizwa Katzenellenbogens erste Lebensjahre sind geprägt von häufigen Ortswechseln seiner Familie, die durch äußere Umstände erzwungen waren und einen einheitlichen Verlauf seiner schulischen Ausbildung und Erziehung zunächst erschwerten. Von seinem Vater erfährt Katzenellenbogen, dass er ein schwächliches Kind gewesen und deshalb erst im Sommer 1696, im Alter von fünfeinhalb Jahren, zum Lernen zu einem Lehrer (Melamed) geschickt worden sei.17 Seine Familie lebte zu diesem Zeitpunkt in der Gemeinde Podhajce in Podolien, wo sein Vater Rabbiner war. Katzenellenbogen erinnert sich daran, dass er bei diesem Melamed „die Ordnung der Gebete und die Tora“ lernte.18 Katzenellenbogens Unterricht wird zum ersten Mal unterbrochen, als sein Vater im Sommer 1699 wegen Verleumdungen in Podhajce ins Gefängnis
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waren durch das religiöse Ideal in der Frühen Neuzeit dazu verpflichtet, sich von der Religionsmündigkeit, also von der Bar Mizwa an, bis zur Heirat dem Talmudstudium zu widmen. Zur Thematisierung von Kindheit in autobiographischen Texten vgl. Liberles, Schwelle, 62 ff. Auch bei Ascher Levy, der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Elsass sein „Buch der Erinnerungen“ (Sefer Zikheronot) niederschrieb, dominiert die Schilderung seiner Erziehung und Ausbildung die Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend. Allerdings orientiert er sich eher an den äußeren Stationen ihres Verlaufs und zeichnet sorgfältig die Namen der Orte und Lehrer nach, während er über die Inhalte seiner Studien kaum Mitteilung macht. Vgl. Ginsburger, Memoiren, 10 ff. An anderer Stelle schreibt Katzenellenbogen, dass er im Alter von viereinhalb Jahren zum Lernen in das Haus des Rabbis geschickt worden sei. Vgl. YM, § 68, 170. YM, § 59, 157.
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kommt, nachdem ein nichtjüdischer Junge nahe der Gemeinde ermordet aufgefunden worden war und die dort ansässigen Juden unter Verdacht gerieten.19 Während seine Mutter und seine beiden Schwestern Zuflucht bei seinem Großvater Elieser Heilbronn in der polnischen Gemeinde Tomaszow suchen, wird Katzenellenbogen nach Lemberg zu seiner Tante, der Schwester seiner Mutter, und ihrem Mann geschickt. Katzenellenbogen beschreibt ausführlich den Ort, an dem sich das Haus seiner Tante befand und erinnert sich an einzelne Begebenheiten dort.20 Die Erinnerungen an seine Ausbildung während seines Aufenthalts in Lemberg scheinen hingegen weitgehend verblasst, denn er schreibt: Nicht erinnern [kann ich mich] an mein Studium und das, was ich dort lernte. Auch nicht, bei wem ich dort lernte. […] Es scheint mir also, dass ich damals nicht viel gelernt habe. (YM, § 62, 161)
Zu Rosch HaSchana des Jahres 1699 kommt Katzenellenbogen ebenfalls nach Tomaszow in das Haus seines Großvaters Elieser Heilbronn. Auch diese Zeit ist ihm kaum im Gedächtnis geblieben. Er kann sich jedoch daran erinnern, dass sein Großvater ihn in seinen Studien prüfte und es sich dabei herausstellte, dass Katzenellenbogens Kenntnisse der Tora noch sehr gering waren. Katzenellenbogen hält diesbezüglich fest: Jedenfalls machte ich keine besonderen Fortschritte im Lernen, denn ich erinnere mich daran, dass mein Großvater, der Gaon, sel.A., mir irgendeine kleine Frage zum Abschnitt Schemot stellte und ich sie absolut nicht beantworten konnte, bis die Tochter des oben erwähnten Melameds zu meinem Großvater, dem Gaon, sel.A. kam. Ihr Name war Batsheva und sie konnte die erwähnte kleine Frage beantworten. (YM, § 63, 162)
Seine mangelnden Kenntnisse in der Tora und seine Schwerfälligkeit im Lernen versucht Katzenellenbogen dadurch zu erklären, dass seine Mutter ihn zu früh zur Welt gebracht habe und er insgesamt ein schwächliches Kind gewesen sei. Im Alter von drei Jahren hatte er außerdem einen Unfall, bei dem seine Mutter ihm versehentlich eine eiserne Schüssel auf den Kopf fallen ließ. Katzenellenbogen vermutet: 19 Vgl. YM, § 60, 158. 20 Katzenellenbogen schreibt: „Ich kann mich auch an den Ort erinnern, an dem das Haus stand. Neben dem Haus führte eine Straße, die Vorstadt hieß, aus der Stadt heraus. Und hinter dem Haus führte eine Treppe, die Stiege hieß, hinunter in einen kleinen Hof, der dort war. Über diesen Hof pflegte ich zu meiner alten Tante zu gehen, die die Tante meiner oben erwähnten Großmutter, der Rabbanit Nechama war [Nechama war die Frau von Katzenellenbogens Großvater mütterlicherseits, Elieser Heilbronn].“ (YM, § 62, 160) Katzenellenbogen erinnert sich weiterhin daran, dass es in jenem Sommer eine große Teuerung gab und die Tochter besagter Tante „ein großes Brot nahm und es in kleine Stücke schnitt. Sie legte die Brotstücke in einer Schüssel neben die Tür jenes Zimmers, das man die Stube nennt und es kamen die Armen und nahmen sich jeder ein Stück, bis das Brot in der Schüssel alle war von all den Armen, die es unter den Juden gab.“ (YM, § 62, 160)
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Wer weiß, ob dies nicht der Grund dafür war, dass mein Kopf so geschwächt war und ich in meiner Kindheit so gut wie gar nicht fähig war zu lernen. (YM, § 68, 170)21
Nachdem Katzenellenbogens Großvater Elieser Heilbronn als Rabbiner in die Gemeinde Fürth berufen wird und zusammen mit Katzenellenbogens Vater Mose dort im Nissan 1700 eintrifft, bleibt Katzenellenbogen mit seiner Großmutter Nechama, seiner Mutter und seinen Schwestern zunächst in Tomaszow zurück. Seine Großmutter wollte ihn dort zum Lernen zu einem Lehrer namens Meir schicken, der auch Katzenellenbogens gleichaltrigen Freund unterrichtete. Katzenellenbogen schildert jedoch, dass besagter R. Meir ihn noch nicht für würdig fand und ihn nicht bei sich lernen lassen wollte. Die Reaktion seiner Großmutter spricht für die zentrale Bedeutung, die dem Wert der Gelehrsamkeit für das Ansehen in der jüdischen Gesellschaft beigemessen wurde: Meine Großmutter, die Rabbanit, machte mir deshalb Vorwürfe: Was ist los mit dir, dass dein Freund zum Lernen auserwählt wurde, du aber nicht. Sie warf mir außerdem vor, dass sie keinen Gefallen an mir fand und mich für wertlos hielt. (YM, § 72, 172)
Offenbar fand sich in Tomaszow noch ein anderer Lehrer für Katzenellenbogen. Seine Erinnerungen an diesen Unterricht sind zwar bruchstückhaft, sie gewähren jedoch einen Einblick in das damals in Polen verbreitete Lehrwesen. Dort war es, wie auch in Russland und Litauen, seit Mitte des 16. Jahrhunderts üblich, dass in den Jeschiwot die fortlaufende Lektüre eines zusammenhängenden Talmudtraktats betrieben wurde.22 Entsprechendes weiß Katzenellenbogen über seinen Unterricht in Tomaszow zu berichten: Danach, im Sommer des Jahres 1700, als ich noch in der Gemeinde Tomaszow war, lernte ich bei einem Lehrer, aber ich kann mich nicht erinnern, wozu dieses Studium diente und ob es dabei um die Halacha oder um den Talmud ging. Es scheint mir nur, dass ich dort das Traktat Sabbat aus Heften gelernt habe, in die das Traktat Sabbat 21 Katzenellenbogen macht hier zwar seine schwache physische Konstitution verantwortlich für seine Schwierigkeiten beim Lernen. Möglicherweise spielten jedoch auch Mängel im ChederSystem sowie in der pädagogischen Tauglichkeit der Lehrer eine Rolle, auf die Liberles, Schwelle, 69, hinweist: „Das Cheder-System brachte üblicherweise Schüler mit unterschiedlichen Kenntnisständen und Fähigkeiten zusammen. Die Lehrer gingen von einer Gruppe zur nächsten, doch die Schüler lernten häufig mit Lehrmaterialien, die nicht ihrem Kenntnisstand entsprachen.“ Wenn die Eltern in größeren Gemeinden oftmals zwischen verschiedenen Lehrern auswählen konnten, führte dies bisweilen dazu, „daß die Lehrer die Eltern für sich einzunehmen versuchten, indem sie die Leistungen der Schüler zu hoch bewerteten. Sowohl die Rabbiner als auch später die Maskilim kritisierten am Cheder-System die mangelnden Lernfortschritte sowie die Inkompetenz und Unterwürfigkeit der Lehrer.“ Zu der oft mangelhaften pädagogischen Fähigkeit und fachlichen Kompetenz der Lehrer vgl. auch ebd., 70 ff. 22 1651 unterwarfen sich nach den polnischen auch die mährischen Jeschiwot diesem Brauch, alljährlich einen zusammenhängenden Talmudtraktat von Anfang bis Ende zu studieren, wobei der Landesrabbiner für alle Jeschiwot denselben Traktat bestimmte. Vgl. Wilke, Talmud, 140 f.
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gedruckt war. Dies wurde wöchentlich wiederholt. Möglicherweise war es üblich so vorzugehen, wie ich es gefunden habe in einem kleinen Buch, das Yeven Metzulah genannt wird und von den Pogromen im Land Polen im Jahr 1648 und den folgenden Jahren handelt. Das besagte Buch wurde erstmals im Jahr 1653 gedruckt.23 Darin finden sich auch die Gebräuche des Lernens im Land Polen. Darunter ist auch der Brauch, das man in ganz Polen ein Traktat aus den sechs Ordnungen der Mischna lernte. Soweit. Und in jenem Sommer lernte man in ganz Polen das Traktat Sabbat. Zu diesem Zweck wurden Hefte gedruckt, damit die Schüler aus den Heften lernten und nicht alle Blätter der Gemara und der Mischna kaputt machten. (YM, § 74, 173)24
Ende des Winters reist Katzenellenbogen schließlich mit seiner Mutter, Großmutter und seinen Schwestern über Breslau und Prag nach Fürth, das sie am Vorabend des Jom Kippur 1701 erreichen.25 Auch in Fürth lernt Katzenellenbogen bei verschiedenen Lehrern, darunter einem Schüler, der in der Jeschiwa seines Vater diente. Doch auch hier macht er keine merkbaren Fortschritte. „Damals war ich zehn Jahre alt“, schreibt Katzenellenbogen, „und ich fand nichts Gutes an meinem Studium.“26 Wie zuvor sein Großvater, zeigt auch sein Vater sich sehr betrübt, als er seinen Sohn zu den Texten befragt, die er gelernt hat, dieser ihm aber nicht zu antworten weiß. Mit einem ausdrücklichen Verweis auf seine ehrbare Abstammung fordert er seinen Sohn auf, dem Vorbild seiner gelehrten Vorfahren nachzueifern, da er diese sonst durch seine Unwissenheit entehre. Katzenellenbogens Vater Mose war zu diesem Zeitpunkt bereits als Vorsteher der Fürther Jeschiwa angestellt und hatte seinen Sitz im Beth Midrasch des Abraham Jakob ben Salomo Schneior. 1702 bittet Katzenellenbogen seinen Vater schließlich, ihn persönlich zu unterrichten. Da er gerade eine schwere Pockenerkrankung überstanden hatte und insgesamt von schwächlicher Konstitution war, reagierte sein Vater zunächst zögerlich, zumal er Vorbehalte hatte, weil er ein strenger Lehrer war, der seine Schüler schlug, wenn er mit ihren Leistungen nicht zufrieden war :27 23 In seinem historischen Werk Yeven Metzulah beschreibt der Rabbiner und Kabbalist Nathan Hannover die blutigen Verfolgungen und Zerstörungen, die in den Jahren 1648 – 1652 über die jüdischen Gemeinden Polens, Litauens und Russlands hereinbrachen. Um das Ausmaß der Zerstörung darzulegen, beschreibt er darin das reiche geistige und kulturelle Leben und die Bräuche der Juden vor dem Einbruch der Katastrophe. Das Buch wurde zunächst 1653 in Venedig gedruckt. Eine jiddische Übersetzung erschien noch zu Lebzeiten des Autors 1655 in Amsterdam. Vgl. Zinberg, History 6, 122 ff. 24 Vgl. zu dieser Stelle auch Rosenfeld, Talmudschule, 82. Katzenellenbogens Bemerkung, dass eigens zu Studienzwecken Hefte mit dem entsprechenden Traktat gedruckt wurden, um die Seiten des Talmud vor Verschleiß und Abnutzung durch den Gebrauch zu bewahren, zeugt von dem heiligen Charakter, der den Büchern beigemessen wurde. Zahlreiche Verhaltensmaßregeln schrieben einen sorgsamen Umgang mit ihnen vor. Vgl. Breuer, Ausdrucksweisen, 112. 25 Vgl. YM, § 74, 173 f. 26 YM, § 79, 177. 27 Zu verbreiteten Sanktionen bei Fehlleistungen der Schüler und Jeschiwa-Studenten vgl. Wilke, Talmud, 135 f.
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Ich fragte meinen Vater, sel.A., ob er mich nicht bei sich aufnehmen würde, damit ich bei ihm lernen könnte. Er aber antwortete mir : Du bist mein kleiner, schwacher Sohn und du weißt nichts. Ich aber bin ein strenger Lehrer und ich schlage die Schüler und ich habe Angst, dass du nicht die Kraft hast, die Schläge zu ertragen. Ich aber sagte ihm: Trotzdem, nimm mich als Schüler auf und Gott wird mir beistehen. Und er hörte auf meine Stimme. (YM, § 79, 177)28
Nachdem Mose Katzenellenbogen eingewilligt hat, die Ausbildung seines Sohnes selber voranzutreiben, macht dieser rasante Fortschritte. Katzenellenbogen hinterlässt ausführliche Angaben über das Lernpensum, das er während der folgenden Jahre absolvierte: In jenem Sommer lernte ich bei ihm das Traktat Awoda Zara und ich war darin sehr bewandert. Im Jahr 1703 lernte er mit mir die Traktate Baba Qamma und Sabbat. Im Jahr 1704 lernte er mit mir Jebamot und Baba Batra. Und zu Beginn des Jahres 1705, als ich 13 Jahre alt war, konnte ich alle erwähnten fünf Traktate. Und mit Hilfe des Herrn war ich sehr bewandert in ihnen. Mein Vater, sel.A., trug mir auch auf, mich daran zu gewöhnen, jeden Tag alleine für mich in den oben genannten fünf Traktaten zu lesen. Und er schlug mich, wenn ich etwas nicht wusste. Doch dieses Leiden war in meinen Augen Leiden für die Liebe des Herrn, Er sei gesegnet und gesegnet sei Sein großer Name, und für die Liebe der Tora. Bis zu meiner Bar Mizwa im Jahr 1703 konnte ich alleine die Halacha mit dem Kommentar Raschis lernen. Und auch die Auslegung zu meiner Bar Mizwa am Sabbat Nizawim zu Beginn des Jahres 1703 lernte ich alleine und ich war froh, dass der Herr mir dabei beistand und Gott immer mit mir war. Und seither bis jetzt werde ich mit Hilfe des Herrn immer größer im Lernen. Und der Herr, Er sei gesegnet und gesegnet sei Sein großer Name, ist mein Schutz. Und siehe, mein heiliger Vater, sel.A., vermochte Gutes aus mir hervorzubringen. (YM, § 79, 177 f)
Deutlich schreibt Katzenellenbogen hier seinem Vater die tragende Rolle dafür zu, dass seine Ausbildung nach missglücktem Beginn bei verschiedenen fremden Lehrern schließlich doch eine positive Wende genommen hat und er seine Studien mit großem Erfolg fortführen konnte.29
28 Vgl. zu dieser Stelle auch Liberles, Schwelle, 64 und Rosenfeld, Talmudschule, 82. An anderer Stelle schreibt Katzenellenbogen über die Aufnahme als Schüler bei seinem Vater: „Im Jahr 1702 bat ich meinen Vater, dass er mich bei sich lernen ließe. Und mit Hilfe des Herrn, Er sei gesegnet, stimmte er zu und unterrichtete mich mit Hilfe des Herrn, Er sei gesegnet, bis ich alles wusste.“ (YM, § 59, 158) 29 Katzenellenbogens jüngerer Bruder Naphtali Hirsch, der später Rabbiner in Mergentheim, Oberrabbiner in der kurpfälzischen Juden und Rabbiner in Mannheim war, erhielt seinen ersten Unterricht ebenfalls durch seinen Vater Mose Katzenellenbogen und später an der Jeschiwa des Jakob Kohen Popers in Frankfurt. Vgl. Lçwenstein, Kurpfalz, 240. Katzenellenbogen selber schreibt jedoch nichts über die Erziehung und Ausbildung seiner jüngeren Geschwister.
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6.1.2 Studium in Fürth, Prag und Nikolsburg Studium in Fürth Nach seiner Bar Mizwa im Jahr 1703 setzt Katzenellenbogen zunächst seine Ausbildung in der Jeschiwa seines Vaters in Fürth für einige Jahre fort. Seinen Angaben nach verbringt er diese Zeit überwiegend mit dem Wiederholen bereits gelernter Traktate des Talmud und dem Studium der Arba Turim des Jakob ben Ascher unter der Anleitung seines Vaters:30 Ich erinnere mich nicht mehr, was ich im Winter 1705 lernte. Aber ich weiß noch, dass mir mein Vater, sel.A., im Sommer 1705 sagte, ich solle zu dieser Zeit nichts Neues aus dem Talmud lernen, sondern die sechs Traktate wiederholen, die ich bis dahin gelernt hatte. Und so tat ich es und wiederholte die sechs Traktate, die ca. 700 Blätter umfassten. Mit Hilfe des Herrn war ich darin sehr bewandert. Und mein Vater lernte mit mir auch den Tur Jore De’a und Orach Chajim. (YM, § 80, 178)
Diese Lerninhalte entsprachen dem verbreiteten Lehrplan der damaligen Jeschiwot. Lernen bedeutete dabei zunächst vor allem das Auswendiglernen kanonischer Texte. Dies sollte zu der Befähigung führen, die gelernten Texte selbständig zu erfassen und in der Disputation mit ihnen zu agieren.31 Das Lernprogramm war dabei insofern zweigeteilt, als es zunächst das Studium des Babylonischen Talmud bzw. der sechs Ordnungen der Mischna sowie der Gemara, dem Raschikommentar und der Tossafot umfasste. Daneben stand das Studium der sog. Possekim oder Dezisoren.32 In Fürth lernt Katzenellenbogen außerdem bei Bermann Fränkel, der dort nach dem plötzlichen Tod von Elieser Heilbronn das Rabbinat vertretungsweise übernommen hatte und dieses Amt bis zu seinem Tod im Jahr 1708 30 Die Arba Turim („Vier Reihen“) sind ein von Jakob ben Ascher in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts verfasstes halachisches Kompendium. Es ist benannt nach den vier Edelsteinreihen auf dem Brustschild des Hohepriesters. Das Werk gliedert sich in vier Teile: 1. „Orach Chajim“ („Lebensweise“, Ps 16,11), in dem es um Lobpreisungen, Gebete, Sabbat, Feier- und Festtage geht. 2. „Jore De’a“ („Lehrer der Erkenntnis“, Jes 28,9), in dem die Ritualgesetze behandelt werden. 3. „Eben HaEser“ („Stein der Hilfe“, 1Sam 4,1). Hierin geht es um die Gesetze für Frauen, insbesondere um Ehegesetze. 4. „Choschen Mischpat“ („Brustschild des Rechts“, Ex 28,15), in dem schließlich das jüdische Recht behandelt wird. Insgesamt betrachtet fassen die vier Teile die Entwicklung der Halacha zusammen, wobei Jakob ben Ascher aus dem Talmud, den Talmud-Kommentaren sowie den Ansichten späterer Autoritäten zitiert und daraus die Halacha festsetzt. Das Werk erlangte uneingeschränkte Autorität und diente unter anderem Joseph Karo bei der Abfassung des Schulchan Aruch als Vorbild. Vgl. Zinberg, History 3, 154 f. 31 Vgl. Wilke, Talmud, 127 ff. 32 Als Possekim werden die mittelalterlichen und neuzeitlichen Kasuisten bezeichnet, die in Form halachischer Kompendien das für die Praxis gültige Recht festgelegten und zusammenfassten. Hierzu zählten neben den Arba Turim u. a. die Hilchoth Alfasi des Isaak von Fes, Maimonides Mischne Tora und nach seinem erstmaligen Erscheinen im Jahr 1565 vor allem der von Joseph Karo kompilierte Schulchan Aruch mit den Kommentaren von Mose Isserles. Vgl. ebd., 142.
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ausfüllte.33 Katzenellenbogen übte hier, wie er schreibt,34 die verbreiteten Formen und Methoden der Texterklärung ein. Er nennt zunächst den Chilluk, d. h. die scharfsinnige Diskussion bzw. die Erörterung von kontroversen Auslegungstraditionen hinsichtlich einer halachischen Frage aus Talmud oder Midrasch. Des Weiteren erwähnt er den Peschat, unter dem die Auslegung des biblischen Textes nach dem Literalsinn, also nach der einfachen, wörtlichen Bedeutung zu verstehen ist. Schließlich zählt Katzenellenbogen die Derascha auf als eine homiletische Interpretation des biblischen Textes, die öffentlich in der Synagoge oder als Lehrvortrag vor der Gemeinde gehalten wurde.35 Obwohl die Jeschiwa in Fürth zu dieser Zeit bereits weithin einen guten Ruf genoss, wollte Katzenellenbogens Vater seinen Sohn für dessen weitere Ausbildung auf eine andere angesehene Jeschiwa schicken.36 Dies war durchaus üblich, denn während der Cheder in der Regel eine lokale Institution war, an der die in der jeweiligen Gemeinde wohnhaften Kinder unterrichtet wurden, waren die Jeschiwot überregionale Institutionen, die oftmals Schüler auch aus weit entfernten Gemeinden anzogen. Diese verließen ihr Elternhaus, um gemeinsam mit Gleichaltrigen unter Anleitung eines Gelehrten ihr Studium fortzuführen und zu vertiefen.37 Der Erfolg und die Anziehungskraft einer Jeschiwa hingen dabei zum großen Teil von der Persönlichkeit ihres Vorstehers, des sog. Rosch Jeschiwa ab, dessen Position häufig vom jeweiligen Ortsrabbiner bekleidet wurde.38 Auf der Suche nach einer passenden Jeschiwa für seinen Sohn war Mose 33 Bermann Fränkel war seit 1686 Rabbinatsassessor in Fürth. 1693 wurde er Oberrabbiner von Schnaittach und des Fürstentums Ansbach, blieb jedoch in Fürth wohnen und bekleidete dort vertretungsweise das Rabbinat. Zu Bermann Fränkel vgl. Lçwenstein, Fürth I, 174ff und Bato, Rabbiner, 22 f. 34 Vgl. YM, § 80, 178. 35 Vgl. zu den Methoden der Texterklärung, untergliedert nach der sog. Krakauer und der Prager Schule, ausführlich bei Wilke, Talmud, 191 ff. 36 Vgl. YM, § 84, 180. Die Jeschiwa in Fürth gehörte zu den angesehensten Talmudschulen in Deutschland. Weitere bedeutende Jeschiwot befanden sich u. a. in Frankfurt am Main, Worms, Altona, Metz und vor allem in Prag, das als Hauptzentrum des Talmudstudiums im Reich galt. Vgl. Liberles, Schwelle, 73 und Breuer, Frühe Neuzeit, 202. 37 Vgl. Katz, Tradition, 192 f. Vgl. zum Bildungserwerb neben der wirtschaftlichen Tätigkeit als Motiv für eine hohe Mobilität innerhalb der jüdischen Gesellschaft auch Treue, Jeschiwe, 191 ff. 38 Ein solcher Rosch Jeschiwa musste zum einen in der Lage sein, den Talmud und die halachischen Gesetzesbücher zu lehren. Darüber hinaus musste er aber außerdem imstande sein, zu eigenen neuen Erkenntnissen über diese Quellen zu gelangen. Vgl. Katz, Tradition, 192 und. Rosenfeld, Talmudschule, 80. So heißt es schon bei Ehrentreu, Pilpul, 206 f: „Solche Jeschiboth oder Hochschulen erblühten regelmässig dort, wo irgend eine Kapazität talmudischer Gelehrsamkeit heimisch war. Die Persönlichkeit des Lehrers verlieh der Schule, der er vorstand, der Gemeinde, in der er wirkte, Ruhm und Ansehen […]. Der Ruhm solcher Männer verbreitete sich weithin bis in die entferntesten Gegenden.“ Alternativ zum hebräischen Titel des Rosch Jeschiwa war auch dessen hebräisches Äquivalent des Rosch Methivta gebräuchlich. Während Ersterer den gleichzeitigen Leiter von Talmudschule und Rabbinatsgericht bezeichnete, galt Letzterer einem Schulleiter, der daneben nicht auch noch den Vorsitz des Rabbinatsgerichts innehatte. Vgl. Wilke, Talmud, 52.
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Katzenellenbogen zunächst in Verhandlung mit Naphtali Katz getreten, der zu dieser Zeit Rabbiner in Frankfurt am Main und bereit war, Katzenellenbogen in der dortigen Jeschiwa aufzunehmen.39 Weil sich aber die Aussicht auf einen möglichen Schiduch für seinen Sohn mit einer Tochter von Josua Feibel Teomimeröffnete, reist Mose Katzenellenbogen im Elul 1708 mit diesem schließlich nach Prag, wo beide für die unterschiedlich lange Dauer ihres Aufenthalts Unterkunft im Haus ihrer dort lebenden entfernten Verwandten Jakob und Jona Schulhof finden. Ihren Unterhalt in Prag konnte Mose Katzenellenbogen dadurch bestreiten, dass er sich im Beth Midrasch des Prager Oberrabbiners David Oppenheim zeitweilig als Lehrer verdingte: Der Gaon Aw Beth Din hatte ihm zugesagt, dass er ihm Unterhalt dadurch verschaffen wollte, dass er ihn in seinem Beth Midrasch die Tora lehren und Woche für Woche drei oder vier Reichstaler verdienen ließ. Und es war ganz in seinem Sinn einige Schüler zu haben, die ihm jede Woche ein paar Goldstücke gaben für seinen Unterhalt. (YM, § 86, 182)
Studium in Prag In Prag war nach dem Tod von R. Aaron Simon Spiro 1680 das böhmische Landesrabbinat von dem Rabbinat der Gemeinde Prag getrennt worden. Der aus dem böhmischen Jungbunzlau stammende Abraham Broda übernahm, nachdem er bereits die Rabbinate in Lichtenstadt und Raudnitz bekleidet hatte, das Landesrabbinat. In Prag stand er gleichzeitig einer großen Jeschiwa vor. Gemeinderabbiner wurde zunächst Gabriel Eskeles, der 1694 jedoch Prag verließ, um das Rabbinat in Metz anzunehmen. 1705 ging er nach Nikolsburg, wo er bis zu seinem Tod 1717 als mährischer Landesrabbiner fungierte. Das Prager Rabbinat blieb nach seinem Weggang längere Zeit unbesetzt bzw. wurde von Wolf Spiro interimistisch verwaltet. 1704 wurde David Oppenheim auf dieses Amt berufen und 1705 darin bestätigt.40 Der 1664 in Worms geborene David Oppenheim stammte aus einer reichen und prominenten Familie. Sein Onkel war der Wiener Hofjude Samuel Oppenheim. Er selber hatte bei renommierten Lehrern in Friedberg, Metz, Landsberg und Wilna studiert und wurde 1689 als Rabbiner nach Nikolsburg berufen, wo er zugleich das Amt des mährischen Landesrabbiners bekleidete. Dort gründete er auch ein Lehrhaus, das viele Schüler anzog, und das er reich fundierte, um seinen Erhalt zu sichern.41 Als Katzenellenbogen und sein Vater 1708 nach Prag kamen, leiteten die Rabbiner David Oppenheim und Abraham Broda dort getrennt voneinander 39 Vgl. YM, § 84, 180 f. 40 Vgl. Lieben, David Oppenheim, 12 f; Jakobovits, Landesrabbinat, 79ff und Parˇk, History, 16 f. 41 Vgl. Klemperer, Rabbis, 148ff; Lçwenstein, David Oppenheim, 538ff und zu Oppenheims Zeit in Nikolsburg v. a. auch Freudenthal, David Oppenheim, 262 ff.
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zwei große Jeschiwot.42 Mose Katzenellenbogen gelang es, seinen Sohn in beiden Talmudschulen unterzubringen, was, wie Katzenellenbogen berichtet, nicht selbstverständlich war, da zwischen David Oppenheim und Abraham Broda verschiedene Differenzen und Rivalitäten vorherrschend waren.43 Während die Jeschiwa, die Abraham Broda in Prag leitete, mehrere Hundert Schüler zählte, zog auch David Oppenheim viele Schüler an sich. Die feindselige Atmosphäre zwischen den Oberhäuptern beider Jeschiwot übertrug sich auf ihre jeweilige Schülerschaft. Diese Stimmung klingt auch in Katzenellenbogens Worten wider, wenn er davon berichtet, wie sein Vater sich bei beiden Lehrern für ihn verwendet:44 Mein gerechter Vater, sel.A., wollte, dass ich den beiden Großen der Generation diente. Der eine war der besondere Gaon, unser Meister R. Abraham Broda, der Leiter der dortigen Jeschiwa, der damals so bekannt und berühmt war, dass jemand, der nicht bei ihm gedient und nicht von seinem Geist und seiner Tiefe gekostet hatte, nicht als altgedienter Schüler betrachtet wurde. Der andere war der Gaon, unser vorbildlicher Lehrer und Meister R. David Oppenheim, der Aw Beth Din in oben erwähnter Gemeinde. Auch dieser benötigte viele Dinge. Und obwohl die Schüler in den Jeschiwot der beiden erwähnten Geonim einander hassten und sich einander nicht näherten, schaffte es mein Vater mit seiner großen Weisheit, dass diese beiden Großen der Generation wollten, dass ich ihnen beiden diente, denn ich hatte Gnade in ihren Augen gefunden. Und beide sagten sie: Ich bin gestärkt, denn er ist ein anständiger Schüler und verursacht keinen Streit, so wie es die übrigen Talmudschüler tun, die aus Bosheit Streit verbreiten. (YM, § 86, 182 f)
Vor allem zu dem hervorragenden Ruf, den Abraham Broda als Oberhaupt seiner Jeschiwa genoss, der aber auch „Neid und Hass“45 bei anderen zeitgenössischen Rabbinern und Gelehrten hervorrief, äußert sich Katzenellenbogen ausführlich. Er berichtet von der großen Anziehungskraft, die dessen Jeschiwa auch auf Schüler von weither, aus Aschkenas und Polen, ausübte, von seiner großen Gelehrsamkeit, seinen Qualitäten als Verbreiter der Tora und von seinem freundschaftlichen Verhältnis zu den Schülern, von denen viele sich ebenfalls einen bedeutenden Namen als Rabbiner und Gelehrte machten: In jenen Tagen blitzte das große Licht mit dem guten Namen auf und sein Name ging um in der gesamten Diaspora Israels, er war die große Tamariske, der berühmte Gaon R. Abraham Broda, sel.A., der das Oberhaupt der Jeschiwa in der Gemeinde Prag war. 42 Vgl. auch Breuer, Frühe Neuzeit, 202. 43 Lieben, David Oppenheim, 12, vermutet, dass Broda möglicherweise gehofft hatte, neben dem böhmischen Landesrabbinat auch das Prager Gemeinderabbinat übernehmen zu können, das schließlich aber durch David Oppenheim besetzt wurde. Vgl. zum Verhältnis zwischen Abraham Broda und David Oppenheim auch Jakobovits, Landesrabbinat, 33. 44 Vgl. zu den Rivalitäten zwischen den Jeschiwot Abraham Brodas und David Oppenheims Lçwenstein, David Oppenheim, 543 und Lieben, David Oppenheim, 12. 45 YM, § 82, 179.
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Aus allen Ländern und aus allen Gemeinden im Lande Aschkenas und Polen kamen sie, um ihm zu dienen und bei ihm zu lernen, und um aus den tiefen Wassern seines Brunnens zu trinken, die tief und scharfsinnig waren. Er schärfte seinen Schülern alles solange ein, bis ihnen die Halacha klar erschien. Er war der freundliche Erklärer und ein Vertrauter seiner Schüler. Er brachte sie der Tora näher und bestärkte sie darin. Seine Jeschiwa war groß und erhaben, wie es bei den Weisen heißt: Je größer das Lehrhaus, desto größer die Weisheit [mAv 2,7]. Er verbreitete die Tora in Israel, wie keiner sonst es tat. Er hatte gut gewappnete Schüler, die alle zu großen Lichtern der Tora heranwuchsen. Ihre Augen wurden von Weisheit in der Tora und in den Tossafot erleuchtet und viele von ihnen wurden große Lehrer in Israel, die den Juden Recht und Gesetz sprachen. Einige von ihnen hatten hohe Posten inne in großen Gemeinden und an besonderen Orten. Und auch diejenigen, denen es nicht vergönnt war, solche Größe zu erreichen, obwohl auch sie ihrer würdig gewesen wären, hatten viele Schüler und auch sie verbreiteten die Halacha. (YM, § 81, 178 f)46
Katzenellenbogen, der rechtzeitig zum Beginn des akademischen Jahres nach Prag gekommen war, berichtet von verschiedenen Prüfungen, denen seine neuen Lehrer ihn unterzogen, um ihn, wie es damals Praxis war, auf seine Eignung hin zu testen.47 Seinen Angaben nach hat er diese Prüfungen mit Bravour bestanden und sich dadurch die Anerkennung und Zuneigung der berühmten Rabbiner erworben. Er schildert beispielsweise, wie er zu Sukkot 1708, also bald nach seiner Ankunft in Prag, zusammen mit seinem Vater einem öffentlichen Vortrag David Oppenheims über einen bestimmten Abschnitt aus der Gemara beiwohnt. Etwas später, als er mit seinem Vater und ihren Gastgebern Jakob und Jona Schulhof in der Sukka zusammen sitzt, trägt Katzenellenbogen eine eigene Auslegung zu diesem Abschnitt vor, die solchen Beifall unter den Zuhörern findet, dass Mose Katzenellenbogen die Auslegung seines Sohnes auch vor David Oppenheim bringen möchte. Katzenellenbogen 46 Auch an anderer Stelle äußert sich Katzenellenbogen lobend über Abraham Broda. Unter § 104 heißt es: „Sein Name war in allen Diasporagemeinden Israels bekannt und seine heilige Seele war in der Lage, die Tora zu verbreiten, sie zu vermehren und zu preisen. Seine Worte wurden von seinen zahlreichen Schülern vernommen, die sich danach sehnten, seinen Worten zu lauschen und die lange Wege auf sich nahmen, um sie zu hören und sie tranken seine Worte mit großem Durst. Und er liebte seine Schüler sehr und wollte ihre Namen zu Ruhm und Ehre bringen.“ (YM, § 104, 197) In ähnlicher Weise äußert sich auch der jüdische Kaufmann Isaak Wetzlar aus Celle, der etwa zeitgleich mit Katzenellenbogen in der Jeschiwa von Abraham Broda in Prag studiert, über seinen Lehrer. In seinem Libes Brif, einer religiös-ethischen Erbauungsschrift, die er 1748/48 anonym in jiddischer Sprache verfasst hat, schreibt er über Abraham Broda: „Wenn ich meinem großen Lehrer und Meister, Rabbi Abraham Broda in Prag nicht vier Jahre lang gedient und fleißig seine Chillukim gelernt hätte, glaube ich nicht, dass ich in der Lage gewesen wäre, die heiligen Bücher zu verstehen, die ich später gelernt habe.“ Faierstein, Libes Briv, Fol. 53a. Zu Isaak Wetzlar vgl. auch Rohrbacher, Isaak Wetzlar, 36 ff. 47 Das akademische Jahr war in zwei Semester geteilt. Es begann mit dem Wintersemester, das überall vom 1. Cheschwan bis zum 15. Schevat dauerte und endete nach dem Sommersemester, das vom 1. Ijjar bis zum 15. Aw reichte. Vgl. Wilke, Talmud, 129. Aufnahmeprüfungen, in denen die neuen Schüler getestet wurden, waren die Regel, wobei es jedoch dem jeweiligen Schulleiter überlassen war, die Neuankömmlinge auf seine Weise zu examinieren. Vgl. ebd., 131 f.
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schreibt, wie er seine Worte vor dem Oberrabbiner zu dessen Gefallen wiederholte und auch eine zusätzliche Aufgabe, die dieser ihm daraufhin erteilte, erfolgreich zu lösen verstand: Am nächsten Tag ging er [Mose Katzenellenbogen] selbst zum Gaon Aw Beth Din und nahm mich mit sich. Aber er allein ging hinein in das Zimmer, in dem der Aw Beth Din saß, während ich in einem anderen Zimmer wartete. Und er erzählte dem Aw Beth Din von dem, was mir widerfahren war, dass ich nämlich sofort in der Stunde, nachdem der Aw Beth Din über die Gemara gesprochen hatte, bei der Mahlzeit in der Sukka erzählte, was ich gelernt hatte, vor allen anderen. Sofort rief mich der Gaon Aw Beth Din zu sich, damit ich ihm sagte, was ich über die erwähnte Gemara gesagt hatte. Und er befand es für gut. Und er sagte weiterhin zu mir : Wenn du hierin so bewandert bist, will ich dich dazu nochmal auf die Probe stellen, denn es gibt in der Gemara noch etwas im Namen von R. Chaja ben Aba, dass man sagt: Hören gilt wie beizustimmen [bSuk 38b].48 Gehe hinaus und lerne auch dieses. Sofort ging ich hinaus. Und ich sah in irgendeiner alten Schrift nach und grübelte über diese Angelegenheit. Nach einer halben Stunde trat ich wieder in das Zimmer ein, in dem mein Vater, sel.A., noch immer bei ihm saß. Und ich sagte vor ihnen meine Worte. Er freute sich sehr darüber und sagte zu meinem Vater, sel.A.: Wenn dieser Junge mir dient, versichere ich, dass er ein großer Prediger werden wird. Ich werde ihn wieder auf die Probe stellen. (YM, § 87, 183 f)
Auch die hier angekündigte weitere Prüfung, bei der Katzenellenbogen eine bestimmte Mischna aus dem Traktat Rosch HaSchana kommentieren soll, besteht er zur Zufriedenheit seines Lehrers.49 Dieser, so schreibt Katzenellenbogen, „staunte sehr und brachte mir noch mehr Zuneigung entgegen.“50 Auf ähnliche Weise muss Katzenellenbogen gleich zu Beginn seines Aufenthalts in Prag vor Abraham Broda seine Fähigkeiten unter Beweis stellen, als er zu Schemini Azeret bei diesem zu Gast ist und während der Mahlzeit aufgefordert wird, einige Worte zur Halacha zu sagen: Ich aß am reinen Tisch von R. Abraham Broda, sel.A. Bei diesem war es üblich, dass jeder während der Mahlzeit irgendetwas aus der Halacha sagen sollte. Dies verriet mir ein Schüler, der ebenfalls bei ihm aß. Er sagte zu mir, dass ich mich bereithalten sollte, während des Essens etwas über die Halacha zu sagen. Ich antwortete ihm, dass ich dazu bereit sei. Und während des Essens wurde mir die Ehre erwiesen, als Erster an die Reihe zu kommen und R. Abraham Broda sagte zu mir : Sage etwas aus der 48 Dass Hören wie eine Zustimmung bzw. wie ein Miteinstimmen in das Gehörte gelten kann, wird aus einer Spannung innerhalb des Textes von 2Kön 22 gefolgert, wo es in Vers 10 zunächst heißt, dass der Schreiber Schafan dem König Josia aus dem Buch „vorgelesen“ hat, wohingegen Vers 17 sagt, Josia habe das Buch „gelesen“. Im Zusammenhang von bSuk 38b (8D9F? FB9M@) geht es schließlich darum, dass die Gemeinde, die zunächst nur hört, in das Gebet des Vorbeters einstimmt. 49 Vgl. YM, § 88 f, 184 f. 50 YM, § 89, 185.
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Halacha. Und ich sagte irgendetwas Gutes im Namen meines Vaters, sel.A. (YM, § 90, 186)
Nachdem Mose Katzenellenbogen Nachricht über den Tod des Rabbiners Bermann Fränkel in Fürth erhalten hat, kehrt er im Winter 1709 nach Fürth zurück. Katzenellenbogen bleibt, nun auf sich gestellt, in Prag. Vor seiner Abreise ermahnt sein Vater ihn, weiterhin an seinen Studien festzuhalten und empfiehlt ihn noch einmal bei seinen beiden Lehrern. Außerdem sorgt er dafür, dass Samuel Krakauer ihn als Schüler bei sich aufnimmt und ihn unterrichtet:51 Er bestärkte mich darin, ausdauernd mein Studium zu verfolgen und empfahl mich den beiden großen Leuchten, den Geonim, nämlich dem Aw Beth Din und dem Oberhaupt der Jeschiwa, dass sie mir, mit Hilfe des Herrn, wohlwollend gesonnen waren. Und er ging mit mir um meiner und um seiner Ehre willen zu dem Gaon R. Samuel Krakauer, sel.A., um zu meinen Gunsten bei ihm vorzusprechen. Und tatsächlich versprach er ihm, mich als passenden Schüler aufzunehmen und so tat er es alle Tage. (YM, § 93, 187)
Samuel Krakauer, selber ein Schüler Abraham Brodas, reagiert zunächst zögerlich, als er erfährt, dass Katzenellenbogen auch in der Jeschiwa David Oppenheims als Schüler aufgenommen wurde. Wieder tritt die zwischen beiden Lehrhäusern bestehende Konkurrenz deutlich hervor. Nur die Fürsprache seines Vaters bei Abraham Broda und dessen Einlenken machen es möglich, dass Katzenellenbogen auch von Samuel Krakauer unterrichtet wird: Als R. Samuel Krakauer bekannt wurde, dass ich im Haus des oben erwähnten Aw Beth Din aus und ein ging, stieg Furcht in ihm davor auf, mich bei sich lernen zu lassen, da die beiden Jeschiwot miteinander zerstritten waren. Und als ich zu R. Samuel Krakauer kam, sagte er zu mir, dass es ihm unter diesen Umständen nicht möglich sei, mich zu sich zu nehmen. Daher ging ich zu meinem Vater und vergoss Tränen darüber, dass es mir unmöglich sein sollte, diesem großen Licht Israels zu dienen. Sofort ging mein Vater, sel.A., mit mir zum Gaon und Oberhaupt der Jeschiwa, R. Abraham Broda, sel.A., um ihn darum zu bitten, R. Samuel Krakauer die Erlaubnis dafür zu geben, dass ich bei ihm dienen und lernen konnte. Und so geschah es. Sofort schickte er seinen Dienstboten zu R. Samuel Krakauer, sel.A., dass er keine Sorge haben müsste, wenn ich bei ihm diente und lernte, denn er vertraue meinem Herzen und wisse, dass ich mit Gottes Hilfe gerecht genug sei, um keinen Streit zu säen zwischen den beiden oben erwähnten großen Geonim. (YM, § 94, 188 f)
Samuel Krakauer nahm von seinen Schülern keinen Lohn für seinen Unterricht, sondern erhielt seinen Unterhalt über Abraham Broda aus Spenden der Prager Gemeinde.52 Von ihm wird Katzenellenbogen in das Studium der tal51 Vgl. auch YM, § 81, 179 und § 86, 183. 52 Vgl. YM, § 95, 189. Nach Maimonides Mischne Tora war es verboten, für den Unterricht in der mündlichen Tora Geld zu verlangen. Er begründet dies mit Moses Ermahnung der Israeliten
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mudischen Texte und in die verschiedenen Methoden ihrer Auslegung eingeführt und damit auf die komplizierten dialektischen Lehrvorträge, die die Oberhäupter der Jeschiwot vor den fortgeschrittenen Studenten hielten, vorbereitet. Für das Verständnis Letzterer war vor allem eine profunde Kenntnis der Quellen- und Referenztexte eine notwendige Voraussetzung, die sich ein Studienanfänger erst mühsam erarbeiten musste.53 Katzenellenbogen berichtet, dass er zu Beginn seiner Studienzeit in Prag bis spät nachts im Haus seines Lehrers saß und mit dessen Unterstützung mühsam das Gelernte wiederholte.54 Er lobt Samuel Krakauer, der „viel Gutes an mir“ tat, „denn mein Geist war damals wahrhaftig noch nicht geschärft in der Halacha der Mischna.“55 Weiterhin berichtet Katzenellenbogen über diese erste Zeit, dass außer ihm „sechs ausgezeichnete Schüler“ bei Samuel Krakauer lernen, unter denen sich auch dessen Sohn Salomo befindet. Wegen seiner Unkenntnis und Ungeübtheit im Umgang mit den Texten wird Katzenellenbogen zunächst verspottet, kann sich aber aufgrund der raschen Fortschritte, die er bei seinen Studien erzielt, schnell die Anerkennung seiner Mitschüler erwerben: Jener Sohn unseres Meisters, sel.A., R. Salomo, sel.A., der später mein Freund wurde, war ein ausgezeichneter Talmudschüler, sehr scharfsinnig und gewandt. Anfangs machte er sich über mich lustig, weil ich an solchen Scharfsinn und solche Spitzfindigkeit noch nicht gewöhnt war. Doch schon nach wenigen Tagen gewann ich an Ausdauer beim Studium der Halacha und den Chidduschim56 von unserem Meister R. Abraham Broda, sel.A. Und als dieser erwähnte ausgezeichnete Talmudschüler sah, dass ich die Halacha nun ebenfalls verstand, mit Hilfe des Herrn, wurde er mir ein treuer Freund. […] Und er eröffnete mir : Am Anfang haben ich und R. Mendel, der Sohn von R. Jona Landsofer, uns über dich lustig gemacht und dich verspottet. Dann aber sagte unser Meister R. Samuel Krakauer, sel.A., zu uns: Verspottet ihn nicht, denn bald schon werdet ihr sehen, wie scharfsinnig, wunderbar und ausgezeichnet er in der Tora sein wird. Und mir bleibt nur noch, dem großen und furchtbaren Gott Lob und Dank zu sagen. (YM, § 95, 190)
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zum Gehorsam gegen das Gesetz (Dtn 4,5): „Sieh, ich hab euch gelehrt Gebote und Rechte, wie mir der Herr, mein Gott, geboten hat.“ So wie Mose die Gebote von Gott ohne Entgelt empfangen hat, so sollen sie auch ohne Entgelt weiter gegeben werden. Vgl. Kaplan, Moses Maimonides, 176. Vgl. zur Abstufung der Lehrmethoden und des Lehrstoffes nach Altersgruppen bei Wilke, Talmud, 130 f. Vgl. YM, § 95, 189 f. Ein solch umfangreiches Lern- und Arbeitspensum, das schon die jüngeren Studenten oft bis spät in die Nacht hinein beschäftigte, war keine Ausnahme, sondern Regelfall. Vgl. hierzu bei ebd., 135 und 158 f. YM, § 95, 189. Ein Chiddusch ist ein Kommentar zum Talmud oder zu anderen rabbinischen Texten, der aus dem Text heraus neue Ergebnisse, Prinzipien oder Interpretationen herleitet und als Unterrichtsvortrag neben dem Chilluk und der Derascha eine verbreitete Lehrmethode in den Jeschiwot war. Vgl. ausführlich zu den verbreiteten Lehrmethoden bei ebd., 191 ff.
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Katzenellenbogens Aufzeichnungen spiegeln anschaulich die in den Jeschiwot gebräuchlichen Lehrmethoden wider. Zu Beginn des Wintersemesters 1708 veranstalteten sowohl David Oppenheim als auch Abraham Broda einen Chilluk vor den Studenten ihrer jeweiligen Jeschiwa. Solche öffentlichen Disputationen, in denen es darum ging, ein Problem oder eine Schwierigkeit innerhalb des talmudischen Textes, bspw. eine Meinungsverschiedenheit zweier talmudischer Autoritäten, auf möglichst scharfsinnige Weise zu lösen, wurden meist während der ersten Wochen des Semesters unter dem Vorsitz des Rabbiners oder des Schulleiters veranstaltet.57 Katzenellenbogen berichtet, dass sein Lehrer, der böhmische Landesrabbiner Abraham Broda, seinen Chilluk an zwei aufeinanderfolgenden Tagen vorzutragen pflegte, wobei er sich am ersten Tag der dialektischen Methode des Pilpul58 bediente, der nur ein im Studium des Talmud und seiner Kommentatoren fortgeschritten gebildetes Auditorium zu folgen vermochte, während er seine Auslegung am zweiten Tag mit einfacheren Worten wiederholte, um auch die noch weniger ausgebildeten Schüler von seinem Vortrag profitieren zu lassen: Zu Beginn des Winters im Jahr 1708 veranstalteten die beiden Geonim, sel.A., jeder einen Chilluk vor den Schülern seiner Jeschiwa. Die Studenten des Gaon Aw Beth Din [David Oppenheim], sel.A., waren jedoch wenige, während die Studenten unseres großen Meisters, des Oberhaupts der Jeschiwa [Abraham Broda], sel.A., viele Hunderte und sehr ausgezeichnet und gerüstet waren. Er sprach im Hof der Synagoge, die Pinkas-Schul59 genannt wird, und dieser öffentliche Hof war gefüllt mit Menschen. 57 Wie Katz, Tradition, 197, aufzeigt, sahen es die großen Gelehrten als besondere Pflicht, „öffentlich zu lehren und sich um ein großes Gefolge von Schülern zu kümmern.“ Dabei reichte es nicht aus, die Anschauungen früherer Gelehrter zu lehren. Vielmehr wurde von ihnen erwartet, dass sie auch die Ergebnisse eigener Studien und eigenen Denkens präsentierten. Vgl. zum Chilluk ausführlich auch Wilke, Talmud, 198ff, der auch eine genaue Schilderung vom Ablauf einer solchen Veranstaltung liefert. 58 Unter Pilpul versteht man die verbreitete „scharfsinnige (wörtlich: gepfefferte) Dialektik“ bei der Auslegung des Talmud, mit deren Hilfe Widersprüche in halachischen Fragen geklärt und das Textverständnis vertieft werden soll. Außerdem diente der Pilpul als didaktische Methode zur Schärfung des Verstandes. Dies führte dazu, dass er in rabbinischen Schulen zunehmend zum Selbstzweck und sein Nutzen daher seit dem 16. Jahrhundert zunehmend in Frage gestellt wurde. Vgl. zum Pilpul ausführlich bei ebd., 191ff und zur Kritik an der pilpulistischen Methode u. a. durch den Maharal von Prag und Jesaja Horowitz unter ebd., 203 ff. Zinberg, History 6, 311, liefert folgende Definition des Pilpul: „In Talmudic and rabbinic literature, a clarification of a difficult point. Later the term came to denote a sharp dialectical distinction or, more generally, a certain type of Talmudic study emphasizing dialectical distinctions and introduced into the Talmudic academies of Poland by Jacob Pollak in the sixteenth century. Pejoratively, the term means hairsplitting.“ 59 Die Pinkas-Schul wurde 1535 von Ahron Meschullam Zalman Horowitz anstelle eines älteren Bethauses als private Synagoge der Familie am Rande des alten jüdischen Friedhofs errichtet und bestand bis Anfang des 17. Jahrhunderts als Teil des Hauses der Familie Horowitz. 1607 wurde sie infolge eines Erbstreits von diesem abgeteilt und bis 1625 mit einem Anbau erweitert, der ein geräumiges Vestibül sowie eine Frauengalerie enthält. Wiederholte Überschwemmungen durch den nahegelegenen Fluss machten weitere Umbauten erforderlich. In den fünfziger Jahren
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Der Gaon Aw Beth Din, sel.A., veranstaltete seinen Chilluk am ersten Tag in der kleinen Synagoge, die neben der großen Synagoge war und Klaus60 genannt wird. Und der Gaon R. Abraham,61 sel.A., sagte seinen Chilluk zweimal. Erst an dem ersten Tag, und am zweiten Tag wiederholte er die Halacha und erklärte die scharfsinnigen und spitzfindigen Worte, die am Vortag aus dem heiligen Mund gedrungen waren. Nachdem er zuerst, am ersten Tag, den Pilpul angewandt hatte für die Gelehrten, die sich unter den Zuhörern befanden, wiederholte er die Worte am zweiten Tag auf einfache Weise. Und dies war eine gute Ordnung. (YM, § 96, 190)
Wiederum tritt in Katzenellenbogens Worten die Konkurrenz, die zwischen den beiden Rabbinern und ihren Jeschiwot bestand, deutlich hervor. Katzenellenbogen beschreibt auch den Zwiespalt, der sich hieraus für ihn ergab, denn als Schüler beider Rabbiner stand er vor der Entscheidung, wessen der zeitgleich stattfindenden Chillukim seiner Lehrer er besuchen sollte. Nachdem er sich entschlossen hat, am ersten Tag jeder Woche dem Vortrag David Oppenheims beizuwohnen und am zweiten den Worten, mit denen Abraham Broda seine am Vortag dargelegten Ausführungen noch einmal vereinfacht erklärte, zitiert Letzterer ihn in der dritten Woche des auf diese Weise verlaufenden Studiums zu sich und fordert ihn auf, auch an dem pilpulistischen Vortrag teilzunehmen, den er am ersten Wochentag zu halten pflegte: Sofort ging ich zum Haus unseres Meisters, sel.A. Er sagte zu mir : Was tust du, dass du am ersten Tag zum Chilluk des Aw Beth Din [David Oppenheim] gehst. Besser ist es für dich, wenn du an diesem Tag dem großen Pilpul zuhörst, denn dort werden scharfsinnige und ausgezeichnete Worte gesagt, und du würdest verstehen und davon profitieren dein Leben lang. Schreib an deinen Vater, dass er auf meine Stimme hören und dir erlauben soll, auch am ersten Tag in meine Jeschiwa zu kommen und die scharfsinnigen Worte des Pilpul zu hören und daraus Verständnis zu ziehen, so Gott will. Wenn du aber so handelst wegen der Nahrung, die du am Tisch deines Verwandten R. Jakob Schulhof erhältst, der mit dem Aw Beth Din verschwägert ist, dann komm ruhig zu mir. Ich will dir schöne und für dich wichtige Sabbate ausrichten. des 20. Jahrhunderts wurde die Synagoge rekonstruiert und zu einer Gedenkstätte für die während der Shoa ermordeten Juden Böhmens und Mährens hergerichtet. Vgl. Parˇk, Ghetto, 58; Parˇk, Prag, 10 f; Brosche, Ghetto, 102 f und Gruber, Heritage, 147. 60 1564 ließ der einer alten Prager Familie entstammende Bankier und Hofjude Rudolfs II., Mordechai Maisel, an der Nordostseite des alten jüdischen Friedhofs in mehreren Gebäuden zwei Synagogen, eine Jeschiwa und ein öffentliches Badehaus errichten, die als Klausen bezeichnet wurden. 1698 fielen die Gebäude einem Brand im Ghetto zum Opfer. 1694 wurde am Standort des früheren Gebetshauses die neue Klausensynagoge fertiggestellt. Sie wurde von 1883 – 1884 erneuert und im Westen verlängert. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Inneneinrichtung der Synagoge zerstört. Heute dient die Klausensynagoge als Ausstellungsraum des Jüdischen Museums in Prag. Vgl. Parˇk, Ghetto, 59; Parˇk, Prag, 26 f und Brosche, Ghetto, 103. 61 In der Ausgabe von Feld steht „R. Samuel“. Da Katzenellenbogen vorher jedoch vom Rosch Methivta, also dem Oberhaupt der Jeschiwa spricht, muss hier der Logik und auch dem Kontext nach R. Abraham Broda gemeint sein.
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Soweit die Worte unseres großen Meisters, des Gaon und Oberhauptes der Jeschiwa, sel.A. Ich sagte ihm, dass ich seinem Geheiß nachkommen wolle. Was mein heiliger Vater, sel.A., mir darauf geantwortet hat, habe ich vergessen. (YM, § 96, 190 f)
Wie Katzenellenbogen den Konflikt schließlich löste, der sich für ihn aus dieser Situation ergab, hat er nicht verzeichnet. Offensichtlich geht es ihm bei der Darlegung dieser Begebenheit primär darum, seinen Nachkommen aufzuzeigen, wie sehr seine Lehrer, beides bedeutende Rabbiner, um ihn bemüht waren. Tiefere Einblicke gibt Katzenellenbogen insbesondere in den Lehrbetrieb an der Jeschiwa Abraham Brodas. Jede Jeschiwa hatte einen eigenen Stundenplan, der eine unterschiedliche Anzahl öffentlicher Vorlesungstage vorsah, an denen der Rabbiner mit den Schülern gemeinsam lernte.62 Katzenellenbogen zeichnet den Unterrichtsplan an der Jeschiwa von Abraham Broda für die einzelnen Tage der Woche ausführlich nach: [Abraham Broda] begann mit dem Studium der Halacha und der Tossefta in jeder Woche am dritten oder vierten Tag. Täglich lernte er die Halacha und die Tossefta zweimal: einmal am Vormittag und einmal am Nachmittag. Und der Gaon, das Oberhaupt der Jeschiwa, lernte zusammen mit seinen festen Schülern. Und unser Meister R. Samuel Krakauer machte dasselbe mit den Schülern, die bei ihm lernten. Er sagte die Halacha und die Tossefta auswendig auf und sie sagten vor ihm die Worte der Mischna und die Worte der Tossefta, genau wie er gesagt hatte, und auch die Kommentare. Und alles, was die Kommentatoren erschwerten, erklärte er mit seinen Worten. Und er sagte seinen Schülern immer wieder : sowohl bei der Mikra als auch bei der Gemara sollt ihr nicht vom Peschat abkommen, von der einfachen Erklärung des Textes. Was euch schwer erscheint, das schaut euch an und erklärt die Schwierigkeit mit Weisheit. Aber passt auf, dass ihr nicht abkommt von der einfachen Erklärung durch den Peschat. (YM, § 97, 191)
Freitagvormittags, so schildert Katzenellenbogen, versammelte Abraham Broda nach dem Gebet sämtliche Schüler der Jeschiwa in seinem Haus, um die gelernten Texte mit den dazugehörigen Kommentatoren noch einmal zu wiederholen und Fragen der Schüler zu beantworten: Er wiederholte die Halacha mit der Tossefta und alles, was er uns über den Peschat und die Halacha gesagt hatte, damit wir den Peschat der Gemara verstehen sollten mit den Kommentaren. Und alle Kommentare und die Bücher des großen Reisenden R. Salomo Luria und des R. Samuel Edels63, sel.A. Und jeder Schüler konnte etwas sagen, 62 Vgl. Wilke, Talmud, 142 f. 63 Samuel Eliezer Edels, bekannt auch unter dem Akronym Maharsha. Er wurde 1555 in Krakau geboren und war bereits mit zwanzig Jahren Oberhaupt einer Jeschiwa, die seine Schwiegermutter Edel gestiftet hatte. Später war er Rabbiner in Chelm und Lublin. Die letzte Zeit seines Lebens verbrachte er in Ostrog, wo er 1631 starb. Insbesondere sein Kommentar Hiddushei Halachoth, der erstmals 1612 in Lublin gedruckt wurde, gewann schnelle Verbreitung und diente als Lehrbuch in den Jeschiwot. Vgl. Zinberg, History 6, 62 f und Wilke, Talmud, 143.
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sei es, dass er eine Schwierigkeit beilegte oder sei es, dass er sagte, was seiner Ansicht nach Schwierigkeiten bereite. All seinen Schülern schenkte er Gehör und keinen von ihnen schalt er oder wies ihn von sich, ob groß oder klein, alle Schüler waren vor ihm gleich. Und wenn ihm etwas gut erschien, lobte er den Talmudstudenten oder Schüler vor allen anderen. (YM, § 98, 192)
Nach diesem allgemeinen Unterricht zog Abraham Broda sich Freitagnachmittags in die Maisel-Synagoge64 zurück, wo er zusammen mit den fortgeschrittenen Talmudstudenten lernte. Dieser Unterricht war, wie auch Wilke aufzeigt, „weniger eine lineare Wissensvermittlung als ein gemeinsames Erkenntnisbemühen“ und ist gewissermaßen als gegenseitiges Geben und Nehmen zu verstehen.65 Die Studenten stellten dem Rabbiner Fragen und regten ihn dabei zu neuen Ideen und Gedanken an, die er in seinen Vortrag integrierte. Dies spiegeln auch Katzenellenbogens Worte wider : Am Freitagnachmittag, nachdem er den Kommentar und die Erklärung der Halacha mit den Kommentatoren beendet hatte, ging unser Meister, sel.A., in die erwähnte [Maisel-] Synagoge. […] Die ausgezeichneten Studenten der Jeschiwa fragten ihn zu einem Thema und er antwortete ihnen mit Hilfe der Halacha. Und durch diesen Pilpul klärte sich sein Chilluk und sein Unterricht, so wie unsere Weisen sagen, ihr Andenken sei zum Segen: Von meinen Schülern [lernte ich] am meisten von allen [bMak 10a].66 (YM, § 99, 193 f)
Montags wurde dieser Chilluk vom Rabbiner noch einmal vor allen Schülern der Jeschiwa vorgetragen, die sich daraufhin entsprechend der Empfehlung des Talmud, stets mit einem Freund zu studieren,67 in Gruppen zusammentun und das Gehörte wiederholen und debattieren sollten: Am zweiten Tag wiederholte unser Meister vor allen Schülern der Jeschiwa klar und deutlich, was er gesagt hatte. Danach sollten sich die Studenten paarweise zusam64 1591 ließ Mordechai Maisel sich am südlichen Rand des Prager Ghettos die nach ihm benannte Synagoge als privates Bethaus erbauen. Rudolf II. erließ ihm zur Finanzierung des Baus die Steuern. Ein Jahr später wurde die Synagoge zu Simchat Tora eingeweiht. Dem zeitgenössischen Chronisten David Gans zufolge übertraf die Maisel-Synagoge mit ihrer großzügigen Ausstattung alle übrigen Synagogen in ihrer Größe und Pracht. Während des Ghettobrandes 1689 wurde sie jedoch bis auf die Grundmauern zerstört. Der Neubau 1691 war von deutlich geringerem Ausmaß. Ein weiterer Umbau in neugotischem Stil erfolgte von 1892 bis 1905. Während der nationalsozialistischen Besatzung fungierte die Maisel-Synagoge als Lager für konfisziertes jüdisches Eigentum. Heute dient sie als Ausstellungsraum des Jüdischen Museums in Prag. Vgl. Parˇk, Ghetto, 59; Parˇk, Prag, 18 f; Brosche, Ghetto, 103 und Gruber, Heritage, 147. 65 Vgl. Wilke, Talmud, 147 ff. 66 Der Kontext zu dieser Stelle in bMak 10a lautet : „Das stimmt überein mit dem was Rabbi [gemeint ist Jehuda HaNassi] sagt : Viel habe ich von meinen Lehrern gelernt, und von meinen Genossen noch mehr als von ihnen, und von meinen Sch ülern am meisten von allen.“ (C@9?B LN9= =7=B@NB9 ,A8B LN9= =L=5;B9 ,=N95LB =N7B@ 8L9N 85L8 :=5L LB47 9D==8) 67 Vgl. Pirke Awot 1,6. Vgl. zum gemeinschaftlichen Lernen der Studenten auch bei ebd., 134.
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mentun, um seine scharfsinnigen Worte zu wiederholen und zu diskutieren. (YM, § 99, 194)
Außerdem gab es weitere Lehrer, die mit den Schülern den Chilluk des Rabbiners durchgingen und mit ihnen übten, halachische Fragen auf ebensolche Weise zu beantworten.68 Dabei waren die Schüler frei, sich passend zu ihrem Studienniveau selbst einen Lehrer zu wählen,69 wie Katzenellenbogen berichtet: Ich erinnere mich, dass ich selber einmal zu einem Lehrer ging, der einen ausgezeichneten Ruf hatte und berühmt war, R. Nahum Brisker, sel.A. Er lernte zusammen mit den besten Schülern in oben genannter Gemeinde. […] Und auch ich wollte seine scharfsinnigen Worte hören und was er mit seinen Schülern lernte. Auch dem erwähnten R. Nahum war es eine große Freude, dass ich zu ihm kam, denn ich meine, dass er entfernt mit unserer erhabenen Familie verwandt war. Und er war ein Freund des Herrn und ein liebenswerter Mann. (YM, § 99, 194)
Einmal wöchentlich, Katzenellenbogen nennt hierfür den Mittwoch, war es üblich, dass die Schüler sich im Haus des Lehrers einfanden, der sie einer Prüfung über den in der Woche behandelten talmudischen Lehrstoff unterzog, um ihre Fortschritte zu kontrollieren:70 Am vierten Tag gingen die oben erwähnten Schüler in das Haus unseres großen Meisters, sel.A. und er prüfte sie und hörte von ihnen, was sie wussten, ein jeglicher seinem Verstand entsprechend. (YM, § 99, 194)
Auffallend bei Katzenellenbogens ausführlicher Schilderung seiner über ein Jahr, von Elul 1708 bis Cheschwan 1709, währenden Studienzeit in Prag erscheint, dass er sich nirgends zu den örtlichen Gegebenheiten der Stadt, zum täglichen Leben, das sich dort auch jenseits des Lehrhauses abgespielt haben muss, geschweige denn zu dem Eindruck äußert, den die Stadt Prag auf ihn gemacht haben mag.71 Detailliert beschreibt er nur das Haus Abraham Brodas, in dem dieser seine Schüler um sich versammelte und unterrichtete. Seinen Lesern vermittelt er damit eine bildliche Vorstellung davon, unter welchen beengten räumlichen Bedingungen sich der Lehrbetrieb damals abgespielt hat:72 Das Haus unseres Meisters, sel.A., grenzte im Osten an die genannte [Maisel-] Synagoge. Er wohnte im oberen Stockwerk. Über seiner Wohnung befanden sich die 68 69 70 71
Vgl. YM, § 99, 194. Vgl. zur freien Lehrerwahl auch ebd., 132. Zum Brauch der wöchentlichen Lernkontrolle durch den Rabbiner vgl. auch ebd., 135. Selbiges gilt für Fürth und Nikolsburg sowie alle übrigen Orte, an denen er sich aufgehalten oder in denen er gelebt hat, und die er in Yesh Manchilin erwähnt. 72 Dass sich die Räume der Jeschiwa und die Rabbinerwohnung unter einem Dach befanden, war keine Seltenheit. Oft wurde die Jeschiwa auch deshalb als „Hohe Schule“ bezeichnet, weil sie sich im Obergeschoss des Rabbinerhauses befand. Vgl. ebd., 50 f.
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besonderen Zimmer, in denen er mit seinen Talmudschülern lernte. Ein Zimmer war nach Süden ausgerichtet. Es war ein großes Zimmer für die Schüler der höheren Jeschiwa, die einige hundert zählten. Außerdem gab es ein kleineres Zimmer nach Norden hin. Über eine kleine Treppe gelangte man von dem großen in dieses nach Norden ausgerichtete kleine Zimmer hinauf. Und meistens, wenn er am Sabbat nach dem Nachmittagsgebet oder an Werktagen manchmal nach dem Abendgebet einen Peschat sagte, stand unser großer Meister, sel.A., in dieser geöffneten Tür des kleinen, nach Norden ausgerichteten Zimmers.73 Und alle jene Schüler, denen er sehr zugetan war, stellte er hinter sich in dieses kleine Zimmer. Und ich stand meistens an seiner rechten Seite.74 Und alle übrigen Schüler der Jeschiwa standen in dem zuerst erwähnten südlichen Zimmer. Häufig füllte sich dieses Zimmer bis zur Tür, weshalb die Studenten auch draußen standen. An der westlichen Seite dieses Zimmers gab es eine Veranda, Gang genannt, gegenüber der östlichen Wand. Und der Hof der Synagoge lag zwischen der Synagoge und dem Haus unseres großen Meisters, sel.A. Und in der westlichen Wand dieses großen Raumes gab es Fenster, die sich zu der erwähnten Veranda hin öffneten. Viele Studenten standen in den Öffnungen dieser Fenster auf der Veranda. Bis zu vierzig oder sogar fünfzig waren es allein, die direkt an den Fenstern standen und hinter ihnen standen weitere und hörten auf die Worte unseres großen Meisters, sel.A., der in der Türöffnung zu dem großen Zimmer stand, denn seine Stimme war wie das Gebrüll eines Löwen und er war ein Großer in der Tora und ein großer und bedeutender Mann, sel.A. (YM, § 98, 193)
Diese eingehende Beschreibung auch der räumlichen Aspekte des Lehrbetriebs weist auf die Bedeutung hin, die Katzenellenbogen seiner Studienzeit beimisst, und die er seinen Nachkommen durch seine Aufzeichnungen vermittelt. Im Frühjahr 1709 verlässt Abraham Broda Prag, um einem Ruf auf das Rabbinat in der Gemeinde Metz zu folgen.75 Vorher versammelt er die Schüler seiner Jeschiwa in seinem Haus um sich, um ihnen ihrem Studienniveau und Alter entsprechend die Ehrentitel eines Chawer oder eines Morenu zu verleihen.76 Auch diese feierliche Prozedur wird von Katzenellenbogen eindrücklich beschrieben: 73 Auch Isaak Wetzlar erinnert sich in seinem Libes Brif an die Sabbatnachmittage im Haus Abraham Brodas. Bei ihm heißt es: „Am Sabbat, zwischen dem Mincha und dem Ma’ariv, hat er einen kasuistischen Peschat gesagt, um den Verstand der Schüler zu schärfen. Dabei hat er, sel.A., oft selber gesagt, dass er den Peschat für falsch halte und ihn nur gesagt habe, um den Verstand der Schüler zu schärfen.“ Faierstein, Libes Briv, Fol. 53a. 74 Während des Unterrichts zu Seiten des Rabbiners zu stehen galt als besonderes Ehrenrecht. Vgl. Wilke, Talmud, 138. 75 Vgl. Jakobovits, Landesrabbinat, 111. 1713 wurde David Oppenheim zum Landesrabbiner von Böhmen ernannt, ein Amt, das er sich zunächst mit Wolf Spiro teilte, nach dessen Tod 1715 jedoch allein versah. Vgl. Lçwenstein, David Oppenheim, 543 f und Jakobovits, Landesrabbinat, 112 ff. 76 Seit dem 14. Jahrhundert war es üblich geworden, dass die Leiter der großen Talmudschulen ihren Abgängern schriftlich deren in einer Abschlussprüfung dargelegten Fähigkeiten, in allen Fragen des religiösen Rechts kompetente Entscheide zu treffen, bekundeten und ihnen den Titel
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An jenem Tag, da unser großer Meister sich auf die Reise machen wollte, weg von dem Ort seiner Ehre, der Gemeinde Prag, da kamen alle seine Schüler in sein Haus, alle Angehörigen der Jeschiwa, von den großen bis zu den kleinen. Auch ich war dort, in jenem großen Zimmer gegenüber der Maisel-Synagoge, wie oben erwähnt. Ich stand neben meinem Freund und Mitschüler, unserem Lehrer und Meister R. Hilman, den ich schon erwähnt habe. Viele Schüler standen um uns herum. Und unser großer Meister, sel.A., ging von einem Zimmer in das nächste, von einer Seite zur anderen. Ein paar mal trat er auch in das innere Zimmer an der nördlichen Seite ein, denn dort saß R. Löw, sein Schreiber, der verschiedene Smichot ausstellte. Für die Bachurim77 den Titel Chawer und für die Gelehrten den Titel Morenu. (YM, § 104, 197)
Neben vielen seiner Mitschüler wird auch Katzenellenbogen die besondere Ehre zuteil, dass er von seinem Lehrer den Titel eines Chawer verliehen bekommt. Ohne seine genauen Gründe hierfür zu nennen, lässt er sich das Diplom zunächst jedoch nicht ausstellen. Er berichtet aber, dass Abraham Broda es auf seiner Reise bei Katzenellenbogens Vater in Fürth hinterlegt hat und gibt den darin verzeichneten Wortlaut ausschnittsweise wieder. Auf diese Weise rückt er die Ehre, die sein Lehrer ihm erwiesen hat, noch einmal in ein besonderes Licht: Als unser großer Meister, sel.A., an dem Platz vorbei kam, an dem ich zwischen den erwähnten Studenten stand, öffnete unser heiliger Meister, sel.A., seinen heiligen Mund und sagte mir : Geh du hinein in das innere Zimmer und sage R. Löw Sofer in meinem Namen, dass er dir zur Ehre deines Namens den Titel Chawer ausstellen möge. Ich aber schwieg und antwortete nicht. […] Bis unser großer Meister, sel.A., ein weiteres Mal an dem Platz vorüber kam, an dem ich an der Seite der erwähnten Studenten stand, und er ein zweites Mal zu mir sagte: Geh in das innere Zimmer, in eines Morenu, wörtlich „unser Lehrer“, verliehen. Diese Ordination bzw. Smicha berechtigte zur Ausführung bestimmter konkreter Amtshandlungen und war in der Regel die Voraussetzung, um ein Rabbinat zu bekleiden. Ein niederer Grad war der Titel des Chawer, der für ein ernsthaft betriebenes Talmudstudium und einen sittlichen Lebenswandel verliehen wurde. In vielen Gemeinden bildete er die Voraussetzung für eine Betätigung als Kinderlehrer. Ursprünglich galt die Bedingung, dass ein Kandidat mit dem Titel eines Chawer ausgezeichnet wurde, wenn er eine Jeschiwa besucht und nach seiner Heirat mindestens zwei Jahre privat oder in Gemeinschaft weiter studiert hatte. Weitere Studienjahre waren notwendig, um den Titel eines Morenu zu erwerben, der dazu bevollmächtigte, halachische Fragen zu entscheiden. Die Zahl der für diese Titel jeweils erforderlichen Studienjahre war in den Takkanot der Gemeinden und übergemeindlichen Institutionen festgelegt. Wie auch Katzenellenbogens Darlegungen bestätigen, bestand diese Bedingung im 18. Jahrhundert schon nicht mehr und die Vergabe der Titel erfolgte zunehmend inflationärer. Auch eine spontane Diplomvergabe seitens des Lehrers an einen Lieblingsschüler als besondere Ehrerweisung war beispielsweise möglich, wie Katzenellenbogens Schilderung bezeugt. Vgl. zur Verleihung der Ehrentitel Katz, Tradition, 196 und ausführlich bei Wilke, Talmud, 170 ff. 77 Bachur („Jüngling“) war die gängige Bezeichnung für den unverheirateten Talmudstudenten. Studienanfänger wurden auch als Ne’arim („Knaben“) und die am weitesten Fortgeschrittenen als Meschu’arim („Graduierte“) bezeichnet. Vgl. ebd., 41 und 131. Die beiden letzten Termini werden von Katzenellenbogen jedoch nicht verwendet.
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dem R. Löw Sofer sitzt und sage ihm in meinem Namen, dass er dir den Titel Chawer ausstellen möge. Und unser großer Meister, sel.A. entfernte sich von uns. Ich aber stand weiterhin auf meinem Platz und schwieg. Da sagte R. Hilman, sel.A., zu mir : warum gehst Du nicht und handelst nach den Worten unseres Meisters? Geh zu dem Schreiber, damit er dir den Chawer ausstellt. Ich antwortete ihm, dass ich mich nicht vor dieser Ehre fürchtete, hatte er den Chawer doch auch Kleineren und Ängstlicheren als mir verliehen, und ich nannte ihm die Namen einiger jüngerer Schüler, denen er den Chawer verliehen hatte. Damit hatte sich die Angelegenheit fürs Erste erledigt. Unser großer Meister, sel.A., ging seines Weges und verschwand, ich aber hatte keinen Chawer. Etwa vier Wochen später erfuhr ich von meinem Vater, sel.A., dass unser großer Meister, sel.A., als er dort in der Gemeinde Fürth war, ihm zu seiner Ehre meinen Chawer geschickt hatte, zu meinem Namen und meiner Ehre. Und noch immer befindet er sich in meinen Händen und es steht darin geschrieben, dass ich, Pinchas, ihm gedient und die Tora und die Gemara gelernt habe […] Weiterhin heißt es: Er ist einer der fortgeschrittenen Schüler, sein Name ist Pinchas, der Sohn des großen R. Mose, der Sohn des Gaon R. Saul, sel.A., aus dem Stamme des Saul Wahl, sel.A. Ihm verleihe ich den Titel Chawer, heute, am zweiten Tag, den dritten Tammus 1709 in Fürth. So sagt Abraham Broda aus Prag. Bis hierhin. Seht, so sehr achtete und ehrte er seine Schüler und behielt sie in guter Erinnerung, dass er ihren Namen groß machte und prächtig in Liebe und Zuneigung. (YM, § 104, 197 f)
Auch an dieser entscheidenden Stelle seiner Ausbildung spielt für Katzenellenbogen also wieder sein Vater eine wichtige Rolle. Die Ehre, die der Sohn durch sein Studium erwirbt, gilt auch dem Vater.
Studium in Nikolsburg Weil nicht nur Katzenellenbogens Lehrer Abraham Broda Prag verlassen hat, sondern sich auch David Oppenheim nach dem Tod seines Schwagers Hirsch Hannover den Sommer 1709 über nicht in Prag aufhält,78 sieht Mose Katzenellenbogen keine Veranlassung, seinen Sohn noch länger dort verweilen zu lassen. Im Cheschwan 1709 holt er ihn deshalb nach Fürth zurück.79 In der Jeschiwa von Baruch Rapoport, der nach dem Tod Bermann Fränkels das Rabbinat übernommen hatte, setzt Katzenellenbogen seine Studien fort.80 Er berichtet über diese Zeit nur wenig, vergisst aber nicht zu erwähnen, dass auch dieser Lehrer ihn sehr geschätzt habe. Als sein Vater ihn im Adar 1711 nach Nikolsburg schickt, wo er in der Jeschiwa des mährischen Landesrabbiners Gabriel Eskeles lernen soll, stellt auch Baruch Rapoport ihm ein Diplom zum 78 Vgl. YM, § 111, 205. 79 Vgl. YM, § 129, 223. 80 Baruch Rapoport wirkte von 1710 – 1746 als Rabbiner in Fürth. Vgl. zu ihm Lçwenstein, Fürth I, 177 ff.
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Abschluss seiner Studien in Fürth aus, aus dem Katzenellenbogen folgende Worte zitiert: Siehe, er ist es von seiner Reife her würdig mit der Krone der Tora gekrönt zu werden und den Titel Morenu verliehen zu bekommen. Aber : Die Alten sollen reden [Hiob 32,7].81 Daher verleihe ich ihm den Titel Chawer. (YM, § 105, 198 f)
Aufgrund seiner weit fortgeschrittenen Gelehrsamkeit, so hebt Katzenellenbogen hervor, habe der Fürther Rabbiner ihn eigentlich des Morenu-Titels für würdig befunden. Nur weil er das erforderliche Alter noch nicht erreicht hatte, habe sich Katzenellenbogen erneut mit dem Titel eines Chawer begnügen müssen. Auf dem Weg nach Nikolsburg reist Katzenellenbogen über Prag. Während dieses zweiten Aufenthalts in Prag im Frühjahr 1711, kommt es zu einer kurzen Begegnung mit dem etwa gleichaltrigen Jonathan Eibeschütz, der sich zu dieser Zeit ebenfalls dort aufhält. Katzenellenbogen erinnert sich vor allem an eine Predigt, die Eibeschütz am letzten Tag von Pessach dort gehalten hat und die bei Katzenellenbogen offenbar einen tiefen Eindruck hinterlässt: In jenen Tagen war dort R. Jonathan, der jetzt ein Großer in Israel und Gaon Aw Beth Din in der Gemeinde Hamburg ist. Damals war er noch ein Bräutigam und hielt sich in der Gemeinde Prag auf. Ich fragte aber nicht, bei wem er dort war und ich ging nicht zu ihm, weil ich dachte, es sei keine Ehre, zu einem Bachur und Bräutigam zu gehen. So mag er auch von mir gedacht haben. Nur einmal war R. Jonathan bei besagtem R. Jona [Schulhof], wo wir uns aber nur begrüßten. Es war aber nicht genügend Zeit, um miteinander über die Halacha zu disputieren. […] Danach ging er wieder in sein Haus und ich habe ihn nicht mehr gesehen. Nur einmal am letzten Tag von Pessach, das am Sabbat begann, predigte er am Nachmittag, denn so war es der Brauch in jenen Tagen in der Gemeinde Prag, dass zum Sabbat irgendein Bräutigam predigte, der dessen würdig war. Und die Predigt war in der Tat in jeder Hinsicht sehr gelungen und wurde sehr gut aufgenommen. […] Ich stand bei seinem Schwiegervater R. Isaak [Spira], sel.A., der damals Aw Beth Din in der Gemeinde Jungbunzlau und in die Gemeinde Prag gekommen war. Er predigte bis zur Nachtstunde, dem Ausgang des Pessach-Festes. Nach dem Abendgebet ging ich mit R. Jona Teomim [gemeint ist R. Jona Schulhof] , sel.A., nach Hause, um von ihm zu hören, was er über die Predigt zu sagen hatte. Und auch er fand sie sehr gut. Denn wer könnte sie missbilligen? Und tatsächlich, wäre ich in jenem Sommer 1711 in Prag gewesen, hätte ich mich R. Jonathan angeschlossen, denn ich wollte den Gelehrten immer nahe sein und von ihrer Weisheit lernen. Aber ich war in jenem Sommer nicht dort. (YM, § 145, 241)
81 Das Zitat aus Hiob 32,7 spielt auf Elihu im Buch Hiob an, der sich aufgrund seines noch jungen Alters erst nachträglich in das Gespräch zwischen Hiob und seinen drei älteren Freunden einschaltet.
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Der Wert der Gelehrsamkeit. Hüter gemeinsamen Wissens
Als Katzenellenbogen diese Passage niederschreibt, ist der sogenannte Hamburger Rabbinerstreit zwischen Jakob Emden und Jonathan Eibeschütz bereits abgeklungen. Er hatte europaweit Wellen geschlagen, die jüdischen Gemeinden allerorts in Aufruhr gesetzt und zu einer umfassenden Spaltung der jüdischen Gemeinschaft in die Befürworter der einen oder der anderen Partei geführt. Erstaunlich erscheint daher, dass Katzenellenbogen bei der rückblickenden Schilderung seiner Begegnung mit Eibeschütz, der schon während seiner Prager Zeit nicht frei vom Verdacht der Anhängerschaft des Pseudomessias Sabbatai Zwi gewesen war, diese Entwicklung wie auch überhaupt die Thematik des Sabbatianismus hier mit keinem Wort berührt. Eine Distanzierung seiner Person von Sabbatai Zwi bzw. von dem in bestimmten Kreisen weiterhin vorherrschenden Glauben an dessen Messianität, erfolgt in Yesh Manchilin erst an sehr viel späterer Stelle.82 Nach Pessach im Frühjahr 1711 setzt Katzenellenbogen schließlich seine Reise in die mährische Gemeinde Nikolsburg fort, die eine der bedeutendsten Jeschiwot Europas unterhielt. Allgemein befand sich das traditionelle Geistesleben in Mähren schon deshalb auf einem hohen Niveau, weil dort alle Gemeinden mit mindestens dreißig Hausvätern per Verordnung durch den mährischen Wa’ad dazu verpflichtet waren, eine Jeschiwa zu unterhalten.83 In Nikolsburg hatte bereits Jehuda Löw ben Bezalel, der Maharal von Prag, eine Jeschiwa gegründet, als er von 1553 – 1573 als mährischer Landesrabbiner amtierte. Sie hatte die Gemeinde auch im europäischen Kontext berühmt gemacht und war von seinen Nachfolgern fortgeführt worden.84 Katzenellenbogen erreicht Nikolsburg rechtzeitig zum Beginn des Sommersemesters am 1. Ijjar und wird, wie er schildert, von Gabriel Eskeles, dem mährischen Landesrabbiner, herzlich aufgenommen.85 Da die allgemeine Gemeinde dem Torastudium einen hohen Wert beimaß, war sie in der Regel 82 Vgl. YM, §241, 331. 83 Die 1680 abgeschlossenen „alten Statuten der jüdischen Gemeinden in Mähren“ sahen vor, dass „Jede Juden Gemeinde, so auss dreyssig Familien, welche zur gemeinen anlag beytragen, bestehet, ist ein Rabiner nebst einer Schuel Von Sechss Studenten und Sechss Münderen Lehrlingen zu unterhalten schuldig, denen Sechss Studenten sollen nicht weniger denn zwölff Kreützer, den Mündesten aber etwas weniger gegeben werden.“ Zit. nach Gdemann, Quellenschriften, 247. Vgl. auch Wilke, Talmud, 47 und 54 sowie bei Pollack, Folkways, 65 f: „It was stressed by the Council of Moravia that support for the school must come from the entire community, not only from parents with children.“ 84 Seit dem 17. Jahrhundert lässt sich außerdem die Existenz eines Beth HaMidrasch in Nikolsburg nachweisen, das vor allem den Studenten der Nikolsburger Jeschiwa diente und bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein genutzt wurde. Das Gebäude wurde in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts abgerissen. Vgl. Veselsk/Vrbkov, Juden, 24 und 41 sowie Klenovsky´, Sites, 55 f. Neben anderen unterhielt auch David Oppenheim während seiner Zeit als mährischer Landesrabbiner von 1689 – 1702 eine blühende Jeschiwa in Nikolsburg. Vgl. Duschinsky, David Oppenheimer, 237 und Trapp, Geschichte, 444. Zur Geschichte der Juden in Nikolsburg vgl. auch Feuchtwang/Toch, Regesten, 117ff und 157ff; Bunatov, Juden, 333ff sowie zuletzt die Monographie von Nezhodov, Mikulov, hier insbesondere 31ff und 108 ff. 85 Vgl. YM, § 148, 243.
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bereit, für die Bedürfnisse der auswärtigen Schüler aufzukommen. Es war daher üblich, dass die Gemeindeglieder den Schülern ihre Häuser öffneten und ihnen an Wochentagen, vor allem aber am Sabbat und an den Festtagen Unterkunft und Verpflegung gewährten. Oft machte ein Rabbiner, der eine Jeschiwa unterhalten wollte, die Bereitschaft der Gemeinde, eine bestimmte Anzahl von Schülern zu unterstützen, zur Bedingung seines Vertrags.86 Katzenellenbogen berichtet, dass Gabriel Eskeles und seine Frau ihn im Haus eines gewissen Jockel Brünn87 unterbrachten, der ihm für die Dauer seines Aufenthalts Unterkunft gewährt. Katzenellenbogen erinnert sich besonders an dessen Bibliothek, die dieser ihm für seine Studien zur Verfügung stellt: Bei ihm hatte ich eine gute Zeit, denn er hatte interessante Bücher und gab mir alle, die ich wollte, in die Hand. Und ich hatte dort ein besonderes Zimmer und führte meine Studien mit Hilfe des Herrn Tag und Nacht fort. (YM, § 148, 244)
Während des Sommers 1711 zieht sich Katzenellengen, so berichtet er, die meiste Zeit über in sein Zimmer im Haus Jockel Brünns zurück, um sich dort „Tag und Nacht mit der Tora“ [Jos 1,8] zu beschäftigen und die Mischna sowie „das Jore De’a zusammen mit dem Beth Yosef“ zu studieren.88 Über sein tägliches Lernpensum und seinen sich wiederholenden Tagesablauf schreibt er : Um zwei oder um drei Uhr stand ich auf und lernte während des ganzen Sommers 1711, bis zur Morgendämmerung im Tur Orach Chajim bei unserem heiligen Meister, sel.A. Und beim Anbruch der Morgendämmerung betete ich mit den Veteranen, denn auch ich wurde zum Minjan hinzu gezählt und betete mit ihnen. Und den ganzen Tag verbrachte ich im Haus meines erwähnten Hausherrn in meinem besonderen Zimmer. Und nachdem ich die Lektion im Tur und im Beth Yosef mit dem Kommentar von Mose Isserles gelernt hatte, beschäftigte ich mich damit, die Mischna und die Possekim zu wiederholen, denn nach der Tora des Herrn sehnte ich mich. Und das erwähnte Haus verließ ich nicht und mein Zimmer nannte ich mein Zelt. (YM, § 164, 260 f)
86 Vgl. Katz, Tradition, 194 sowie Wilke, Talmud, 35, 53 f und 156 ff. Auch Katzenellenbogen schreibt, dass er später Talmudschüler bei sich aufnahm. Unter ihnen war auch ein Urenkel von Naphtali Katz. Er „war bei mir für anderthalb Jahre vom Sommer 1753 bis zum Winter 1755. Sein Name war R. Löw Ostrow. Er aß an meinem Tisch und ich unterrichtete ihn persönlich.“ (YM, § 167, 263). 87 Jockel ist die mährische Form für Jakob. Vgl. im Namensregister von Feld zu Yesh Manchilin, 519. 88 YM, § 163, 260. Das Jore De’a ist der zweite Teil von Jakob ben Aschers halachischem Kompendium Arba Turim, der sich vor allem mit den Ritualgesetzen beschäftigt. Das Beth Yosef ist ein Kommentar zu den Arba Turim aus der Feder Joseph Karos und gilt neben dem Schulchan Aruch als dessen Hauptwerk.
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Der Wert der Gelehrsamkeit. Hüter gemeinsamen Wissens
Das Verhältnis zu Gabriel Eskeles, bei dem er im Sommer 1711 und im Winter 1712 lernt, beschreibt Katzenellenbogen als besonders eng und von gegenseitiger Zuneigung geprägt. Auf diese Zeit zurückblickend hält er fest:89 Die größte Liebe und Zuneigung brachte mir der heilige, fromme und berühmte Gaon R. Gabriel, sel.A., entgegen, als ich in meiner Jugend diesem heiligen Meister, sel.A., diente, nämlich im Sommer des Jahres 1711 und im Winter des Jahres 1712. Wenn ich erzählen sollte, wie es dazu kam, wüsste ich es nicht, denn er brachte mir soviel Nähe entgegen und machte meinen Namen bei den Großen bekannt. Der Herr sei gesegnet, dass ich Gnade in seinen Augen fand. (YM, § 105, 199)
Unter den Schülern in der Jeschiwa von Gabriel Eskeles nimmt Katzenellenbogen, wie er betont, eine Vorrangstellung ein: In jenem Winter 1712 lernten etwa dreißig Talmudschüler in der hohen Jeschiwa in der Gemeinde Nikolsburg. Unter ihnen waren ausgezeichnete Schüler aus anderen Ländern. Doch mit Hilfe des Herrn hatte ich einen größeren Namen als sie alle. (YM, § 165, 261)
Katzenellenbogen schildert eine Begebenheit aus seiner Studienzeit bei Gabriel Eskeles, die demonstrieren soll, wie er sich durch seine intellektuellen Fähigkeiten und seine Gelehrsamkeit der Hochachtung seines Lehrers versicherte. Er berichtet, wie Gabriel Eskeles seinen Studenten „an seinem festen Ehrenplatz auf dem Hof der Synagoge der Gemeinde Nikolsburg, die Neuschul genannt wird“,90 einen Chilluk zu einem nicht näher benannten Gesetz des Maimonides vorträgt, das er mit Hilfe der Tossefta zu erklären versucht. Weil Katzenellenbogen den Worten seines Lehrers zunächst nicht folgen kann, sucht er ihn später persönlich auf, um sich den Sachverhalt erneut darlegen zu lassen: Als er [Gabriel Eskeles] seinen Chilluk beendet hatte und in sein Haus ging, ging auch ich in sein Haus und sagte zu ihm: Meister, erkläre mir, was du über die Tossefta gesagt hast. Unser heiliger Meister, sel.A., begann, mir die Auslegung des Gesetzes vorzutragen. Und ich sagte zu ihm: diese Sache bringt auch Obadja Bartenura91 in den Mischnajot. Er fragte mich an welcher Stelle und in welchem Kapitel. Sofort sagte ich ihm, in welchem Traktat und im ersten Kapitel. Den Inhalt der Angelegenheit und 89 Zu dem oftmals engen Verhältnis, das sich an den Jeschiwot durch das gemeinsame Studium zwischen Lehrer und Schülern entwickelte vgl. ebd., 147 ff. 90 Die Neuschul oder auch Neue bzw. Untere Synagoge war nach der Oberen Synagoge bzw. Altschul die zweitälteste Synagoge in Nikolsburg. Sie wurde wahrscheinlich Ende des 16. Jahrhunderts in abfallendem Gelände etwa 50 m unterhalb der Oberen Synagoge erbaut und bis in die Zeit des Nationalsozialismus, wenn auch nur gelegentlich, für Gottesdienste genutzt. Nach der Shoa wurde sie als Lagerraum und Turnhalle zweckentfremdet und in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts schließlich abgerissen. Eine kurz zuvor aufgenommene Fotografie zeigt die unmittelbare Nähe, in der sich die beiden ältesten Synagogen Nikolsburgs zueinander befanden. Vgl. Veselsk/Vrbkov, Juden, 40 und Klenovsky´, Sites, 50 ff. 91 Mischnakommentator aus dem 16. Jh., Israel.
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Ausbildung und Studium
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was es mit dem Gesetz auf sich hatte, habe ich vergessen, doch scheint mir, dass ich gesagt habe, es sei im Traktat Challa [84b] gewesen. Sogleich ging er in das Zimmer, in dem seine Bücher standen und nahm die Mischnajot in die Hand. Und er schaute hinein und sah, dass die Worte sich tatsächlich auf dieses Traktat und Kapitel der Mischna bezogen, so wie ich es gesagt hatte. Und er staunte darüber sehr. Ich aber stand da und schwieg. […] Und von jenem Tag an war mir unser heiliger Meister, sel.A., noch mehr zugetan und liebte mich zum Guten, mit Hilfe des Herrn. (YM, § 157, 254)
Die enge Bindung, die zwischen Gabriel Eskeles und Katzenellenbogen als seinem bevorzugten Schüler bestand, tritt besonders hervor, als der Rabbiner sich gegen den Wunsch von Katzenellenbogens Vater stellt, der möchte, dass sein Sohn ihn im Adar 1712 zur Hochzeit seiner Schwester Sara Rachel nach Frankfurt an der Oder begleitet. Katzenellenbogen zeigt den diesbezüglichen Brief seines Vaters Gabriel Eskeles, woraufhin dieser ihn nicht gehen lassen möchte, sondern darauf dringt, dass Katzenellenbogen einen weiteren Sommer über bei ihm lernt: Ich zeigte den Brief dem Gaon Aw Beth Din, sel.A., und der Abschied von mir wollte ihm schwer fallen. Und er sagte zu mir, dass es ihm lieber wäre, wenn ich bei ihm bleiben und ihm auch im Sommer 1712 dienen würde. […] Und in seiner großen Weisheit gab er mir zu verstehen, dass es besser für mich wäre, nicht so versessen darauf zu sein, auf die Hochzeit meiner jüngeren Schwester zu gehen. Und so sagte er zu mir : Wenn es dir zur Ehre gereicht, zur Hochzeit deiner jüngeren Schwester zu gehen, so wird dies für dich nur Scham und Schande bringen. (YM, § 172, 267)
Erst als Katzenellenbogen Ende Adar 1712 einen Brief seines künftigen Schwiegervaters Jakob Oettingen erhält, der ihn wegen der anstehenden Hochzeit zum Abbruch seines Aufenthalts in Nikolsburg drängt, erhebt Gabriel Eskeles keine weiteren Einwände und lässt ihn ziehen. Zum Abschied erweist er ihm eine ungewöhnliche Ehre. Er veranlasst, dass Katzenellenbogen im Synagogen-Gottesdienst des sog. Sabbat Parah, einem der vier besonderen Sabbate des Monats Adar, an denen zusätzlich zum regulären Wochenabschnitt ein weiterer Abschnitt aus der Tora verlesen wird, nach dem der jeweilige Sabbat benannt ist, als Maftir, d. h. als letzter zur Tora aufgerufen wird, um diesen Abschnitt sowie die Haftara zu verlesen.92 Katzenellenbogen berichtet, wie er auf Bitten seines Lehrers seine Abreise verschiebt, um am Sabbat 92 Die vier besonderen Sabbate im Monat Adar sind: der Sabbat mit der Lesung über die Schekalim (Schekalim, Ex 30,11 – 16); der Sabbat mit der Lesung „Gedenke“ (Zachor, Dtn 25,17 – 19); der Sabbat mit der Lesung über die Kuh (Parah, Num 19) und der Sabbat mit der Lesung „Dieser Monat“ (HaChodesch, Ex 12,1 – 20). Am Sabbat mit dem Abschnitt Parah werden zwei Torarollen aus dem Toraschrank gehoben. Zunächst wird der reguläre Wochenabschnitt gelesen und anschließend der Maftir aus Num 19. Als Maftir wird auch derjenige bezeichnet, der als letzter zur Tora aufgerufen wird, um diesen Abschnitt sowie die Haftara zu lesen, die an diesem Sabbat aus Ez 35 stammt. Vgl. Fohrer, Glaube, 88; Elbogen, Gottesdienst, 156 und Lau, Juden, 229 ff.
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Der Wert der Gelehrsamkeit. Hüter gemeinsamen Wissens
den Gottesdienst zu besuchen und wie er dort mit dieser besonderen Ehrerweisung überrascht wird: Im Folgenden zeigt sich wiederum die Liebe, die er [Gabriel Eskeles] in seinem reinen Herzen für mich verborgen hielt. Es bot sich mir nämlich Mitte der Woche die Gelegenheit, in guter Gesellschaft von der Gemeinde Nikolsburg nach Prag zu reisen. Ich ging zu unserem heiligen Meister, sel.A., um ihn um Erlaubnis zu bitten. Er bat mich, den Sabbat über noch in Nikolsburg zu bleiben. Ich wusste zwar nicht warum, doch hörte ich auf die Stimme unseres Meisters, denn ich dachte mir, dass er schon einen Grund haben würde. […] Und der heilige Gaon, sel.A., sagte mir an jenem Vorabend des Sabbat um die Abendstunde herum, dass ich am nächsten Tag zum Morgengebet in die alte Synagoge gehen sollte, die Altschul93 genannt wurde. Und so tat ich es und ging in die besagte Synagoge. Und auf meinem Weg in die Synagoge ging ich manchmal neben ihm. […] Und danach, als der Synagogendiener zur religiösen Pflicht in der Synagoge aufrief am Sabbat, den 18. Adar mit dem Abschnitt Zaw und dem Abschnitt Parah ahnte ich nichts. Und während er noch zur religiösen Pflicht aufrief, trat eben jener Synagogendiener zu mir und fragte mich, ob ich als Maftir aufgerufen werden wolle, um die Haftara zum Abschnitt Parah zu lesen. Ich sagte: Ja. Und es gereichte mir zu großer Ehre mit Hilfe des Herrn. (YM, § 176, 270 f)
Ausführlich schildert Katzenellenbogen die feierliche Zeremonie und die besondere Ehre, die ihm zuteil wird, weil er als Talmudstudent nach seinem Lehrer aufgerufen wird, um aus der Tora zu lesen: Als es an der Zeit war, die Torarolle herauszuholen, kam der Synagogendiener, um mich im Namen des erwähnten R. Löw Fürth zu ehren und die zweite Tora aus dem Toraschrein zu holen, aus der der Abschnitt Parah gelesen wurde. Unser heiliger Meister, der Gaon Aw Beth Din, sel.A., hatte die erste Tora herausgeholt und ich die zweite.94 Und mit dem Titel Chawer wurde ich als Maftir aufgerufen und ich las die Haftara zum Sabbat Parah. Und dies war eine große Ehre für mich, denn nie zuvor ist einem Bachur diese Ehre zuteil geworden. Gesegnet sei der Herr und Sein großer Name, der es gegeben hat, dass unser heiliger Meister, der Gaon Aw Beth Din Gefallen gefunden hat an mir. Denn er selbst hatte dem Synagogendiener aufgetragen, den 93 Die Altschul, auch Alte bzw. Obere Synagoge genannt, ist die älteste Synagoge in Nikolsburg und bis heute erhalten geblieben. Sie wurde 1550 im Renaissancestil erbaut. Trapp, Geschichte, 417, nennt sogar 1450 als Baujahr. Ihre heutige Gestalt erhielt sie nach mehreren Umbauten, die nicht zuletzt durch die Brände, die das jüdische Viertel 1561 und vor allem 1719 schwer beschädigten, notwendig wurden. Nach der Shoa verfiel das Gebäude, wurde von 1977 bis 1989 aber aufwendig rekonstruiert und dient heute dem Regionalen Museum in Nikolsburg als Ausstellungsraum. Vgl. Veselsk/Vrbkov, Juden, 34ff und Klenovsky´, Sites, 40 ff. In beiden Publikationen finden sich zahlreiche Fotografien und Abbildungen des Innenraums und der Außenansicht der Synagoge, die auch auf einer Nikolsburger Ansichtskarte aus dem Jahr 1900 als Motiv abgebildet ist. Vgl. Filpek u. a., Historick, 168. 94 Da die Maftir-Parascha oft sehr weit von der Perikope entfernt war und man daher die Tora lange rollen musste, um die betreffende Stelle zu finden, war es üblich, aus zwei Torarollen zu lesen. Vgl. Elbogen, Gottesdienst, 168.
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Tägliches Lernen als Ausdruck von Frömmigkeit
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Maftir um meinetwillen zu kaufen für hundert, wie es dort der Brauch war, aber ich kann mich nicht daran erinnern, wie hoch die Summe war. Mir war auch bekannt, dass zu der Stunde, da der Synagogendiener zur religiösen Pflicht aufrief und die Synagogenvorsteher in dem Zimmer in der Mitte des Synagogenhofes saßen, wie es ihre Gewohnheit war, unser heiliger Meister, sel.A., die Synagoge verließ, um mit den Vorstehern in dem besagten Zimmer zu sprechen. Er sagte zu ihnen: Gebt mir eine Lesung zu Ehren des Talmudschülers. Und sie antworteten ihm: Wir können heute keine Lesung geben. Wir müssen dieses einige Tage vorher wissen. Er sagte zu ihnen: dann gebt mir den Maftir. Und sie sagten: auch für den Maftir müssen wir etwas verlangen. Und er antwortete ihnen: Ich kaufe für den Talmudschüler den Maftir. So seht ihr, meine lieben Söhne, die große Liebe, die der Gaon Aw Beth Din, sel.A., mir entgegen brachte. (YM, § 177, 271 f)
Mit Katzenellenbogens Abschied aus Nikolsburg und der Hochzeit mit seiner ersten Frau Sara Rachel, die Anfang Cheschwan 1713 stattfand, ist der institutionelle Teil seiner Ausbildung, in deren Verlauf er mit dem Titel Chawer ausgezeichnet wurde, beendet. Während der nächsten Jahre, in denen er zunächst gemeinsam mit seiner Frau im Haus seines Schwiegervaters in Oettingen lebte95 und dann von 1715 bis 1719 der Jeschiwa seines Vaters vorstand, der mittlerweile Landesrabbiner von Ansbach geworden war und seinen Sitz in Schwabach hatte, setzte er seine Studien jedoch eigenständig fort. Im Laufe dieser Zeit muss er sich auch den Titel eines Morenu erworben haben, der dazu bevollmächtigte, halachische Fragen zu entscheiden und der eine Voraussetzung für die Übernahme eines Rabbinats darstellte. Leider finden die näheren Umstände, wann und wo Katzenellenbogen den Morenu-Titel erhielt, keine Erwähnung. Dies überrascht einerseits, wäre das Erlangen dieses Titels im Sinne Katzenellenbogens doch durchaus eine Erwähnung wert gewesen. Andererseits verweist das Fehlen dieser Information nochmals darauf, dass Katzenellenbogen nicht mit primär historischem Interesse die Vergangenheit möglichst präzise festhalten will, sondern durchaus frei ist in der Auswahl der von ihm erzählten Begebenheiten, manches wohl auch schlichtweg zu erwähnen vergaß.
6.2 Tägliches Lernen als Ausdruck von Frömmigkeit „Lernen“ meint in erster Linie das Auswendiglernen kanonischer Texte, die man sich durch wiederholtes lautes Rezitieren oder mit Hilfe anderer mnemotechnischer Methoden einprägte.96 Anweisungen für die Nachkommen 95 Es war üblich, dass ein junger Mann nach der Hochzeit zunächst im Haus seiner Schwiegerfamilie lebte und sich hier, wenigstens zwei Jahre lang von materiellen Sorgen befreit, intensiv dem Studium widmen konnte. Vgl. Wilke, Talmud, 41. 96 Vgl. ebd., 127 ff.
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Der Wert der Gelehrsamkeit. Hüter gemeinsamen Wissens
hinsichtlich des Lernens sind charakteristische Bestandteile ethischer Testamente.97 Jona Landsofer und Mose Chassid beispielsweise hinterlassen in ihren Testamenten detaillierte Anordnungen über Inhalt, Umfang und Zeiten des Studiums.98 Katzenellenbogens Testament unterscheidet sich von diesen insofern, als es keine ausdrücklichen Anweisungen für seine Nachkommen enthält, sondern dass er ihnen vielmehr durch die ausführliche Darstellung seiner eigenen Lerngewohnheiten und damit durch sein positives Vorbild Richtlinien für ihr Verhalten anzeigt, ohne diese als autoritative Anordnung zu formulieren. Katzenellenbogen schreibt: Ich will euch, meinen lieben Kindern und Nachfahren mitteilen, wie Gott mir geholfen hat beim Auswendiglernen aller Traktate der Mischna, damit dieses mir mit Hilfe des Herrn zum Nutzen sei, meine Seele rein bleibe und die Gerechtigkeit vor mir wandle. Dies will ich euch zu Ohren kommen lassen von Anfang an bis zu meinem Ende, mit Hilfe meines Gottes, meines Retters. Und du, Herr, bist mein Schutz. Du stärkst mich mit Deiner Tora und mit dem Dienst an Dir jeden Tag, bis zum Tag meines Todes. (YM, § 49, 142 f)
Mit Preuß lässt sich allgemein sagen, dass „religiöse Lebenspraxis“ den Rahmen für die „Vorstellung eines ehrenhaften Menschen“ bildet.99 Lernen ist grundlegender Ausdruck solch religiöser Lebenspraxis.100 Dabei wird der Eifer beim Studium „durch Gottesfurcht ergänzt. Gelehrsamkeit war kein Selbstzweck, vielmehr bedurfte sie der Furcht vor Gott als Grundlage. Erst indem das Lernen auf seinen göttlichen Bezugspunkt zurückgeführt wurde, wurde es zur wahren Gelehrsamkeit.“101 Die jüdische Tradition sieht vor, dass sich auch die Erwachsenen, insbesondere die Männer, in ihrem Tagesablauf eine gewisse Zeit für das Studium reservieren sollen.102 Diesem Ideal einer lebenslangen Beschäftigung mit den traditionellen Texten versucht auch Katzenellenbogen zu genügen. 97 Vgl. hierzu Bar-Levav, When, 52: „Another feature of Jewish ethical wills is the attitude of their authors toward books and texts. The obligation to study Jewish texts is a fundamental aspect of Jewish religion and culture. In Jewish ethical wills we find much advice regarding when, how, and what to study.“ 98 Vgl. Gdemann, Quellenschriften, 128ff und 137 f. 99 Vgl. Preuss, Krone, 73. 100 Damit hier gegen die Formulierung von Preuss, Krone, 73, die eine zeitliche Abfolge zwischen Studium und religiöser Praxis suggeriert: „Vor der religiösen Praxis steht das Verstehen und Wissen um die religiöse Traditionsliteratur.“ Maimonides benennt in Mischne Tora das Studium der Tora als höchstes Gebot, da das Wissen um die Tora die Befolgung ihrer übrigen Gebote mit sich bringe. Vgl. Kaplan, Moses Maimonides, 172, 176 und 179. 101 Preuss, Juden, 103. 102 Vgl. Liberles, Schwelle, 61. Vgl. hierzu auch Pollack, Folkways, 67: „Each person is asked, as part of his daily routine, to engage in study in the morning before going to work and at night before retiring; and if he fails to adhere to the schedule, then he has to give a contribution to charity.“ Schon Maimonides legt in seinem Mischne Tora fest, dass jeder männliche Jude unabhängig von sozialem Stand und Profession dazu verpflichtet ist, sich bis zu seinem Tod täglich einen Freiraum für die Beschäftigung mit der Tora zu schaffen. Vgl. Kaplan, Moses
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Tägliches Lernen als Ausdruck von Frömmigkeit
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Sein Bildungsbegriff bezieht sich dabei auf die traditionelle religiöse Literatur. Eine Beschäftigung mit säkularen Wissensbeständen, die im Zuge des Humanismus und der wissenschaftlichen Revolution auch zu seiner Zeit teilweise schon in der jüdischen Gemeinschaft Einzug hielt,103 findet in Yesh Manchilin keinen Niederschlag.104 Katzenellenbogen polemisiert allerdings auch nicht gegen diese Entwicklung. Inwieweit er sie überhaupt wahrgenommen hat, lässt sich schwer beurteilen. Allerdings befindet sich in seinem Besitz u. a. das Zemach David, die jüdische Weltchronik des David Gans, was eine gewisse Aufgeschlossenheit seinerseits gegenüber auch säkularem Wissen nicht gänzlich ausgeschlossen erscheinen lässt.105 Maimonides, 177. Auch Jona Landsofer betont in seinem ethischen Testament, das Katzenellenbogen als Vorbild für sein eigenes nennt, die Vordringlichkeit, sich täglich einen gewissen Zeitraum für das Studium zu reservieren. Vgl. Pollack, Folkways, 67 f. Mose Chassid schreibt in seinem Testament über das Studium der Tora: „Was die Tora angeht, so sollst du dich immer mit ihr beschäftigen. Du sollst beständig wiederholen, was du gelernt hast, damit es stets vor dir ausgebreitet liegt. Du sollst nicht aufhören zu lernen. Deine Zähne sollen immer bereit sein, die Worte der Thora zu kauen, so wie der Mühlstein bereit ist, das Korn zu mahlen.“ Zit. und übersetzt nach Abrahams, Hebrew, 290. Der Idealfall, dass ein gelehrter jüdischer Mann sich dem Studium ohne existenzielle Sorgen bei Tag und bei Nacht widmen konnte entsprechend dem biblischen Gebot: „Und du sollst darüber sinnen bei Tag und bei Nacht“ (Jos 1,8), ließ sich jedoch nur selten verwirklichen. Vgl. Preuss, Juden, 23. Selbst Katzenellenbogen, der als Rabbiner der Erfüllung dieses Ideals schon sehr nahe kam, beklagt sich über mangelnde Zeit, um sich ganz seinen Studien hinzugeben. 103 Die mit dem Humanismus einsetzende Emanzipation der Wissenschaft von der christlichen Theologie hatte zu einer zunehmenden religiösen und moralischen Lockerung geführt, welche dem rationalistischen Denken immer mehr Raum gewährte. Dass die wissenschaftliche Revolution und der damit verbundene neue Zeitgeist auch im Judentum Reaktionen hervorrief, wird dadurch bezeugt, dass bereits im 16. und 17. Jahrhundert Rabbiner und Talmudgelehrte wie der Maharal von Prag, Mose Chagis, Mose Isserles, David Gans und Ja’ir Chajim Bacharach das Studium säkularer Wissenschaften, insbesondere der Mathematik und der Astronomie, in der Überzeugung bejahten, dass die auf diesen Gebieten gewonnenen Erkenntnisse zu einer Stärkung des Glaubens beitrügen. Vgl. Gdemann, Quellenschriften, XXVff; Breuer, Frühe Neuzeit, 223ff; Graetz, Zäsur, 8ff und Levine, Paradise, 206 ff. 104 Hierin unterscheidet sich Katzenellenbogen von Jakob Emden, der in seinem Megillat Sefer ausführlich seiner intellektuellen Neugier bezüglich säkularer Wissensgebiete Ausdruck verleiht. Emden berichtet immer wieder von seiner Affinität auch zu säkularen Wissensgebieten: „Mein Herz neigte immer dazu, auch die Angelegenheiten der Welt und der Völker kennenzulernen und zu erforschen, ihre Kunst, ihr Verhalten, ihre Ansichten, ihre Geschichte und ihre Wissenschaften, die nicht aus unseren heiligen Büchern hervorgehen. […] All dies wollte ich aus ihren Büchern selbst erfahren.“ (Emden, Megillat Sefer/Ed. Kahana, 96 f) Vgl. hierzu auch Schacter, Jacob Emden, 511 ff. 105 David ben Salomon Gans (1541 – 1613) besuchte die Talmudschulen in Bonn und Frankfurt. Anschließend war er in Krakau und Prag Schüler von Mose Isserles und Jehuda Löw ben Bezalel, dem Maharal von Prag. Neben den traditionellen jüdischen Texten, die er studierte, erhielt er bei ihnen auch Einblicke in die Astronomie, Mathematik und Philosophie, die seine Neugier bezüglich der säkularen Wissenschaften forcierte. Gans stand außerdem in Kontakt zu Johannes Kepler, Johannes Müller und Tycho de Brahe. Neben verschiedenen chronographischen und astronomischen Werken verfasste Gans die 1592 erstmals und danach mehrfach gedruckte jüdische Chronik Zemach David, die daneben eine Chronik der allgemeinen Ge-
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Der Wert der Gelehrsamkeit. Hüter gemeinsamen Wissens
6.2.1 Lernen und das Andenken Verstorbener Als Ausgangspunkt für sein tägliches Studium außerhalb der Jeschiwa nennt Katzenellenbogen die Mizwa, die sein Vater ihm nach seiner Rückkehr nach Fürth im Jahr 1710 anlässlich des Todes eines jungen Mannes auferlegt, der sich längere Zeit krank in der Gemeinde aufgehalten hatte, bis er schließlich fortgeschickt wurde und daraufhin verstarb. Wie die übrigen Gemeindemitglieder, sollte auch Katzenellenbogen für das Seelenheil des Verstorbenen beten und darüber hinaus ihm zu Ehren zwölf Monate lang täglich vier Mischnajot lernen, um das begangene Unrecht zu sühnen. Katzenellenbogen schreibt, dass das Erfüllen dieser Mizwa für ihn Anlass war, weitere Teile der Mischna auswendig zu lernen. Wenigstens mittelbar ist es also auch hier wiederum sein Vater, der in ihm durch seinen Auftrag die „Lust und Liebe zum Lernen“ erweckt hat: So lernte ich vier Mischnajot für die Seele des besagten Jünglings David [Lichtenstadt]. Und mein Herz strebte danach, in der mündlichen Tora bewandert und mit der Sprache der mündlichen Tora vertraut zu werden. Und mit Hilfe des Herrn, gesegnet sei Sein großer Name, wurde ich bewandert im größten Teil der Mischna und ich gewöhnte mich daran, im Traktat Sabbat viele Seiten immer wieder zu wiederholen. Auch das Traktat Nedarim konnte ich von Blatt 40 an auswendig. Ich weiß nicht, warum ich solches nicht vorher schon getan hatte, sondern erst auf das Geheiß meines Vaters hin, täglich zu Ehren des erwähnten Jünglings einige Mischnajot zu lernen. Und vier Mischnajot waren doch nur ein geringer Unterricht. Und wie gut war es für mich, mich daran zu gewöhnen, täglich vier Mischnajot auswendig zu lernen. Und von jenem Tag an, da ich begann zu lernen, bis zu dem Ablauf der zwölf Monate nachdem der Jüngling David gestorben war, verging ca. zweimal ein Vierteljahr. Und damals lernte ich mit Gottes Hilfe einige Traktate auswendig. Und der Herr vergönnte es mir, dass ich noch einige Tossaphot hinzufügte. Und der Herr, der mich geschaffen hat, hat mich zum Guten geschaffen. Und so tat ich es. Gesegnet sei der Herr und gesegnet sei Sein großer Name, der Sein Volk Israel mit Liebe erwählt hat. Und ich begann mit Lust und Liebe zu lernen. (YM, § 130, 224)
Obwohl die Mizwa seines Vaters ihm das Lernen nur für die zwölf Monate nach dem Tod des jungen Mannes auftrug und diese Zeit im Jahr 1711 bereits abgelaufen war, wollte sich Katzenellenbogen auch nach der Hochzeit mit seiner ersten Frau weiterhin ganz mit seinen Studien beschäftigen. Im Haus schichte beinhaltete, für die er ausgiebig auch auf nichtjüdische Quellen bzw. deutsche Chroniken zurückgriff. Der Einfluss des humanistischen Zeitgeistes nimmt in diesem Werk deutliche Gestalt an. Vgl. zur Bedeutung von David Gans und seiner Chronik Zemach David Breuer, Prolog, 79 und Zinberg, History 6, 46 ff. In Yesh Manchilin erwähnt Katzenellenbogen weder David Gans noch dessen Zemach David. Dass sich dieses Werk jedoch in seinem Besitz befand, belegt Katzenellenbogens Auflistung seiner Bücher, die dem Manuskript beigefügt ist. Vgl. Reschimat HaSefarim, 43.
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seines Schwiegervaters Jakob Oettingen, dann in der Jeschiwa seines Vaters und schließlich auf seinen ersten Rabbinatsposten in den Gemeinden Wallerstein und Leipnik, hatte er hierzu Gelegenheit. Um seine Studien voranzutreiben, erstellt er sich Lernpläne, von denen er während der ganzen Zeit, wie er betont, nicht abwich. Das Lernen wurde zum festen Bestandteil seines üblichen Tagesablaufs: Nach meiner Hochzeit Anfang Cheschwan 1713, wollte ich mich vor allem mit der Tora des Herrn beschäftigten und der Herr half mir dabei. Ich machte mir einen festen Studienplan für die Mischnajot, damit ich die alten nicht wieder vergaß: Und ich fügte noch welche hinzu, soweit es mir möglich war. Daran hielt ich fest, sowohl während der zweieinhalb Jahre, die ich am Tisch meines Schwiegervaters R. Jakob Oettingen in Oettingen lebte, als auch während der Zeit, in der ich der Jeschiwa im Beth Midrasch meines Vaters, des Gaon Aw Beth Din im Land Ansbach vorstand und in Schwabach wohnte. Dort war ich vom Sommer 1715 an bis zum Jahr 1719, als ich zwischen Neujahr und Versöhnungsfest in die Gemeinde Wallerstein kam. Und im Jahr 1721 kam ich in die Gemeinde Leipnik. Und während all der Jahre beschäftigte ich mich mit der Tora mit Hilfe des Herrn, so wie es der Wille des Herrn war, Er sei gesegnet und gesegnet sei Sein großer Name. Und es war mir zur festen Angewohnheit geworden, täglich die Mischnajot zu wiederholen und an jenen Tagen, da es mir möglich war, mir noch mehr Wissen anzueignen als ich ohnehin schon wusste, da tat ich dies mit Hilfe des Herrn. (YM, § 180, 274)
Diese günstige Situation, die ihm viel Raum für seine Studien lässt, ändert sich, als Katzenellenbogen widerstrebend das schwarzenbergische Landesrabbinat in Marktbreit übernimmt, dessen Anforderungen ihm kaum noch Zeit für seine persönlichen Studien lassen.106 Er beklagt sich darüber eindringlich bei seinem Vater,107 der ihn darin bestärkt, an seinen täglichen Studien in jedem Fall festzuhalten: Er [Mose Katzenellenbogen] sprach zu meinem Herzen, um meine schwachen Hände zu stärken, dass ich alles daran setzen sollte, den festen Lernplan, den ich mir auferlegt hatte, täglich einzuhalten und nicht davon abzuweichen. Und wenn manchmal die Belastungen durch das Rabbinat zu groß seien, so dass es mir unmöglich wäre, an meinem Plan, die Mischnajot auswendig zu wiederholen festzuhalten, so sollte ich sie auf jeden Fall mit Hilfe des Buches wiederholen und dies auf keinen Fall vernachlässigen, sondern festhalten an dem, was geschrieben steht [Dtn 4,9]: Hüte dich nur und bewahre deine Seele gut, dass du nicht vergisst [was deine Augen gesehen haben, und dass es nicht aus deinem Herzen kommt dein ganzes Leben lang]. (YM, § 184, 277)
Auch der Tod seiner Mutter Sara Lea am 12. Adar 1740 ist für Katzenellenbogen erneut Anlass, sich einen Studienplan zu erstellen, um Mischnajot zum 106 Vgl. YM, § 181, 274. 107 Vgl. YM, § 182 f, 274 ff.
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Wohle ihrer Seele zu lernen. Er setzt dieses Studium über die übliche Trauerzeit von einem Jahr hinaus fort, bis er „im Jahr 1747 bewandert war in allen Ordnungen der Mischna.“108
6.2.2 Katzenellenbogens Mnemotechnik Katzenellenbogens intensive Beschäftigung und Auseinandersetzung mit seinem täglichen Lernpensum geht aus folgenden Aufzeichnungen hervor: Ich hatte mir als tägliches Lernpensum 18 Mischnajot auferlegt und machte mir Markierungen in meiner Mischna, die in Wilhermsdorf gedruckt worden ist, immer nach 18 Mischnajot, für mich zur Erinnerung und um nachzuzählen, wie häufig es 18 Mischnajot gab von Anfang bis zum Ende. Und siehe, ich fand heraus, dass es 232 mal 18 Mischnajot in jeder Mischna gibt vom Traktat Berakhot bis zum Ende des Traktats Uqtsin, außer fünfen. (YM, § 185, 278)
Jesaja Horowitz empfiehlt in Shne Luhot HaBrit, sich beim Studium mnemotechnische Zeichen zu machen, um das Gelernte im Gedächtnis behalten zu können.109 So verfährt auch Katzenellenbogen und gewährt weitreichende Einblicke in die Methoden und Techniken, die ihm das Memorieren der Mischna erleichtern sollen: In einer Nacht während der Zwischenfeiertage von Sukkot des Jahres 1747, als ich das Gebot erfüllte, in der Sukka zu schlafen, dachte ich darüber nach, wie ich wohl am besten die Ordnungen der Mischna auswendig behalten könnte. Und der Herr, mein Schutz und mein Gott, der mich behütet, brachte mir die Einsicht, folgendermaßen zu verfahren: Und zwar gliedern sich die sechs Ordnungen der Mischna in zwei Teile. Die erste Hälfte der Mischnajot umfasst 29 mal 72 Mischnajot und endet mit der fünften Mischna des ersten Kapitels vom Traktat Baba Batra […]. Diese erste Hälfte konnte ich mir besser merken als die zweite Hälfte, die bei eben dieser Mischna begann und bis zum Ende des Traktats Uqtsin reicht und die mir nicht so eingängig war. Hierfür gab mir mein Gott die Rettung, indem Er mein Herz auf Folgendes lenkte, dass es nämlich für mich ausreichen würde, wenn ich die erste Hälfte der Mischnajot einmal alle 29 Tage wiederholte. Das waren dann bis zur besagten Mischna im Traktat Baba Batra 29 mal 72 Mischnajot. Ich musste also vom Anfang bis zu der besagten Mischna jeden Tag 72 Mischnajot wiederholen, um mit Hilfe des Herrn in 29 Tagen damit fertig zu werden. Mit Hilfe des Herrn reichte das für mich aus, um in ihnen bewandert zu sein und sie mit Hilfe des Herrn zu erinnern und nicht zu vergessen, der Herr behüte. Und für die zweite Hälfte sollte ich täglich zweimal 72 Mischnajot wiederholen, so dass ich alle 29 Tage einmal die ganze erste Hälfte wiederholte und zweimal die ganze zweite Hälfte. Und so gelang es mir, mit Hilfe des 108 YM, § 185, 278. 109 Vgl. Gdemann, Quellenschriften, 110. Zu den Ursprüngen der Mnemotechnik in der Antike vgl. Carr, Writing, 3 ff.
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Herrn, die ganze Mischna im Kopf zu behalten und sie nicht zu vergessen, der Herr behüte. (YM, § 188, 280 f)
Trotz seiner zahlreichen Reisen und täglichen Verpflichtungen lässt Katzenellenbogen sich durch nichts davon abbringen, an seinem Lernplan festzuhalten und das vorgesehene Pensum zu absolvieren: Und tatsächlich, von jenem Tag an bis heute half mir der Herr, Tag für Tag die Mischnajot nach meinem festen Plan zu wiederholen, auf allen geraden Wegen, die ich ging und auf allen meinen Reisen, die mich durch die Länder von Aschkenas führten, von Ort zu Ort, je nach Notwendigkeit. Und von dort in dieses Land, nach Wien, nach Polen und wieder zurück. An jedem Ort und zu jeder Zeit wiederholte ich die Mischnajot, damit ich sie nicht vergaß. Tag für Tag wiederholte ich 72 Mischnajot. Und wenn manchmal die Mühen und Lasten zu groß und zahlreich waren, so dass ich sie nicht auswendig wiederholen konnte, so wiederholte ich sie mit Hilfe des Buches und ließ somit dennoch nicht von meinem Lehrplan ab. (YM, § 190, 282)
Sorgfältig führt Katzenellenbogen ferner über die Abweichungen und Veränderungen seines Lernplans Buch und beschreibt weiter ausführlich sein tägliches Studium der Mischna.110 Als er sämtliche Traktate der Mischna auswendig kann, sieht er sich nicht etwa an einem Ziel angelangt, sondern wendet sich dem Studium anderer Werke zu und lernt u. a. das Sefer Jezira111 und das Sefer Edut Ja’akov112, aber auch den Orach Chajim auswendig113 : Gesegnet sei der Herr und Sein großer Name, dass ich alle Ordnungen der Mischna auswendig weiß und auch das Sefer Jezira und alle 613 Gebote, die ein Großer den Anfangsbuchstaben der Zehn Gebote gegenübergestellt hat in einer kleinen Schrift, die er Edut Ja’akov genannt hat und die aus dem Jahr 1648 stammt. Ich sage sie an 110 Vgl. z. B. YM, § 191–§ 201, 282 ff. 111 Das Sefer Jezira („Buch der Schöpfung“) ist ein wichtiges kabbalistisches Werk mit Spekulationen über die Schöpfung, das der Tradition nach Abraham zugeschrieben wird, tatsächlich aber erst zwischen dem 2. und 6. Jh. n.Z. entstand. Von den Chassidei Aschkenas wurde es als magisches Handbuch verstanden und mit Traditionen über die Erschaffung des Golem, eines künstlichen Menschen, verbunden. Vgl. Scholem, Vorstellung, 220ff und Scholem, Kabbalah II, 595 f. Auch Jesaja Horowitz empfiehlt in Shne Luhot HaBrit, dass man, „nachdem man sich mit Bibel, Mischna und Talmud angefüllt hat“, sich mit „Angst, Ehrfurcht, heiligem und reinem Sinne der Wissenschaft der Kabbala“ zuwenden sollte, „wie dem Sohar und den anderen heiligen Schriften, die daraus geschöpft haben.“ Zit. nach Gdemann, Quellenschriften, 109. Katzenellenbogen nennt hinsichtlich seiner eigenen Studien zwar nur das Sefer Jezira und nicht den Sohar, hat diesen aber in seinem Besitz, wie ein entsprechender Eintrag in seinem Bücherverzeichnis zeigt. Vgl. YM, Reschimat HaSefarim, 42. 112 Der Verfasser sowie die bibliographischen Angaben zu diesem Werk konnten nicht ermittelt werden. Katzenellenbogen hat es in der Auflistung seiner Bücher unter der Rubrik der kleinsten Schriften von etwa einem Blatt Umfang verzeichnet. Vgl. YM, Reschimat HaSefarim, 50. 113 Über zahlreiche Paragraphen hinweg dokumentiert Katzenellenbogen eingehend seine Beschäftigung mit dem Sefer Jezira sowie auch mit dem Orach Chajim, dem ersten Teil von Jakob ben Aschers halachischem Kompendium Arba Turim. (Vgl. YM, § 206 – 220).
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Der Wert der Gelehrsamkeit. Hüter gemeinsamen Wissens
jedem Abend des heiligen Sabbat auf (so habe ich es seither getan und tue es noch heute am Sabbat, ohne diesen Brauch verändert zu haben). (YM, § 204, 292 f)
6.2.3 Katzenellenbogens Lerngewohnheiten als Richtlinien für die Nachkommen Bei der Niederschrift von Yesh Manchilin ist es Katzenellenbogen offenbar wichtig, all seine persönlichen Bemühungen um die traditionellen Texte für seine Nachkommen zu dokumentieren und auf diese Weise sein Andenken zu bewahren. Seine genauen Angaben über sein tägliches Lernpensum sollen dazu dienen, dass ihr meine Söhne und Nachkommen wisst, was ich auswendig zu sagen pflegte, nämlich jene sechs Kapitel des Sefer Jezira an sechs Tagen der Woche morgens, sofort nach dem Segen der Tora. An jedem Tag ein Kapitel aus den Pirke Awot und danach ein Kapitel aus dem Sefer Jezira. (YM, § 205, 294)114
In dem an das Manuskript von Yesh Manchilin angehängten und mit dem Titel „Alltägliches“ (Ma’asse kol-Jom) überschriebenen Abschnitt zeichnet Katzenellenbogen schließlich ausführlich seinen Tagesablauf nach und nennt darin die Zeiten und die Inhalte seines Lernens, aber auch seine üblichen täglichen Verrichtungen und beruflichen Pflichten, die ihn daran hinderten, sich ausschließlich dem Lernen hinzugeben: Dies ist, was sich an diesem Tag ereignet hat: […] Als ich am Morgen aufstand, da schien es mir, als wäre es schon an fünf Uhr vorbei. Ich erschrak darüber sehr und war in großer Sorge. […] Als ich aber auf meinen Zeiger sah, war es erst nach drei Uhr. Darüber freute ich mich sehr, der Herr sei gesegnet. Und ich sprach die Segnungen zum Händewaschen und die Segnungen der Tora. Außerdem beendete ich das fünfte Kapitel aus Awot sowie das fünfte Kapitel aus dem Sefer Jezira, das zu diesem Tag gehörte, so wie ich es in Yesh Manchilin [vgl. z. B. § 193] gesagt habe. Denn dieses Pensum habe ich mir auferlegt. Danach habe ich auch das Tikkun Rachel und das Tikkun Lea beendet.115 Und aus der Ordnung Qodaschim habe ich das dritte Kapitel des Traktats Meila begonnen, bis es fünf Uhr war. Danach ging ich hinaus, um meine Bedürfnisse zu verrichten. Dann lernte ich eine Seite aus dem Traktat Baba Qamma. Und kurz vor dem Morgengrauen sagte ich meiner Gewohnheit gemäß Psalmen auf, die ich einmal monatlich zu beenden pflegte. Bei Anbruch des Morgengrauens seg114 An anderer Stelle schreibt er noch ausführlicher : „Ich habe bereits gesagt, dass ich mein Studium jeden Morgen mit einem Kapitel aus Awot beginne. Es gibt sechs Kapitel, ein Kapitel für jeden Werktag. Und danach ein Kapitel aus dem Sefer Jezira. Auch hier gibt es sechs Kapitel für die sechs Werktage.“ (YM, § 221, 308). 115 Das Tikkun Chatzot, bestehend aus dem Tikkun Rachel und dem Tikkun Lea, ist ein Gebet, das zur Erinnerung an die Zerstörung des Jerusalemer Tempels zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang gebetet wird.
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Tägliches Lernen als Ausdruck von Frömmigkeit
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nete ich meine Tzizit und Tefillin. Danach kamen die Leute zum Minjan. Nach dem Gebet aß ich wie immer mein Frühstück mit Hilfe des Herrn, Er sei gesegnet. Anschließend war ich den ganzen Tag über mit meinen Pflichten beschäftigt, mit den Rechnungen der Waisen, die mir vorgelegt wurden, denn der Aw Beth Din ist der Vormund und Vater der Waisen. Doch verrichtete ich auch noch andere Dinge. So half ich den Armen, die kamen und um Nahrung flehten, weil sie kein Brot kaufen konnten für ihre kleinen Kinder. Und ich erfüllte ihren Willen, obwohl die Zeit drängte. Aber ich sah ihre Not und stand ihnen bei und der Herr möge ihnen helfen. So verging der ganze Tag, ohne dass ich dazu kam, die Gemara der Ordnung nach zu lernen oder die Mischna, mit Hilfe des Herrn, von ihrem Platz bewegen konnte. Später beendete ich aus der Ordnung Qodaschim das dritte Kapitel vom Traktat Meila, wie oben erwähnt. Und danach die Traktate Middot und Qinnim, die zweimal 18 Mischnajot umfassten. […] Und jetzt ist es nach zehn Uhr und ich gehe, um das Schema auf meinem Bett aufzusagen. Und der Herr möge mir immer helfen, auf Seine Rettung hoffe ich.116 (YM, Ma’asse kol-Jom, § 1, 341 f)
Katzenellenbogen schreibt diese Seiten am 27. und 28. Cheschwan 1760, nachdem er innerhalb eines Jahres seine Tochter Rebekka Esther sowie seine zweite Frau Olek verloren und nachdem er seine Arbeit an Yesh Manchilin auch wegen körperlicher Gebrechen unterbrochen hat. Er ist zu diesem Zeitpunkt siebzig Jahre alt und muss, den näher rückenden Tod vor Augen, befürchten, dass er sein Werk unter Umständen nicht mehr zu Ende führen kann. Katzenellenbogens Tagesablauf entspricht ganz dem Ideal eines gottesfürchtigen Lebens. Sowohl am Tag als auch in der Nacht schafft er sich spezielle Zeiten für das Studium der traditionellen Texte und ist sorgfältig darauf bedacht, diese einzuhalten.117 Darüber hinaus ist sein Tagesablauf geprägt von seinen beruflichen Pflichten, die hier jedoch als Gottesdienst und Wohltätigkeit und damit als weitere Säulen eines gottesfürchtigen Lebens erscheinen.118 Dieses Bild möchte er vor seinem Tod von sich bewahrt wissen und gibt es deshalb durch seine Aufzeichnungen an seine Nachkommen weiter. Zugleich impliziert diese Darstellung seines eigenen im traditionellen Sinne vorbildlichen Lebens die Aufforderung an seine Kinder, es ihm nachzutun.
116 Indem Katzenellenbogen sich neben seinen täglichen beruflichen Verpflichtungen und sonstigen Verrichtungen insbesondere die frühen Morgen- und späten Abendstunden für seine persönlichen Studien reservierte und sorgfältig darauf bedacht war, diese auch einzuhalten, entspricht er den Empfehlungen, die u. a. auch Jona Landsofer hinsichtlich des täglichen Torastudiums in seinem Testament hinterlässt. Vgl. Landsofer, Derekh [hebr.], 12b. 117 In Mischne Tora gibt Maimonides dem nächtlichen Studium den Vorzug, da dies ungestört von den täglichen Verrichtungen erfolgen könne. Vgl. Kaplan, Moses Maimonides, 181. 118 In mAv 1,2 werden als die drei Dinge, auf denen die Welt beruht, die Tora, der Gottesdienst und die Wohltätigkeit genannt (A=7E; N9@=B6 @F9 8795F8 @F9 8L9N8 @F 7B9F A@9F8 A=L57 8M@M @F).
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Der Wert der Gelehrsamkeit. Hüter gemeinsamen Wissens
6.3 Der Konflikt zwischen dem Rabbinat und dem Ideal des Lernens Auch beruflich sind das Lernen und die Verbreitung der Lehre für Katzenellenbogen, wie schon für seinen Vater und seine weiteren Vorfahren, von denen viele das Amt eines Rabbiners bekleideten, von Bedeutung. Allerdings tritt immer wieder auch eine Spannung zwischen der Ausübung des Rabbinats und dem Ideal des lebenslangen Studiums in den Blick. Bevor Mose Katzenellenbogen 1715 auf das Ansbacher Landesrabbinat mit Sitz in Schwabach berufen wurde, wirkte er fünfzehn Jahre lang als Talmudlehrer im Beth HaMidrasch des Abraham Jakob ben Salomo Schneior in Fürth. Zu den Hauptaufgaben eines Landesrabbiners gehörte neben der Rechtsprechung auch die Leitung einer Jeschiwa.119 Katzenellenbogen selbst versah seine erste Stelle von 1715 bis 1719 in der Jeschiwa seines Vaters in Schwabach. Anschließend bekleidete er verschiedene Rabbinate. In seinen Schilderungen wird deutlich, welch hohen Stellenwert er dem Lernen bzw. sowie dem Verbreiten der Tora auch in seinem Berufsleben beimisst. Wiederholt betont er, wie wichtig es für ihn ist, sein Amt als Rabbiner in einer Gemeinde auszuüben, in der Lehre und Gelehrsamkeit hochgeachtet werden und in der es nach Möglichkeit ein Lehrhaus gibt. In seiner Einleitung zu Yesh Manchilin schreibt er, dass er widerstrebend und nur dem Willen seines Vaters folgend 1722 das Amt des Oberrabbiners für die jüdischen Gemeinden im Fürstentum Schwarzenberg mit Sitz in Marktbreit übernahm, nachdem er zuvor knapp zwei Jahre lang Rabbiner in der Gemeinde Leipnik in Mähren gewesen war. In Marktbreit fühlte er sich nicht wohl, wie er in offenen Worten zum Ausdruck bringt. Seine Abneigung gegen diese Gemeinde führt er dabei in erster Linie auf ihre geringe Frömmigkeit und insbesondere auf das Fehlen einer Jeschiwa zurück: Weil dort kein Ort der Tora war und weil es dort keine Jeschiwa gab, in der die Weisen lehrten, verabscheute ich diesen Ort und wollte sofort zurückkehren in die Gemeinde Leipnik, weil man dort nach meiner Lehre verlangte und weil es ein wichtiger Ort war, an dem es eine Jeschiwa gab, in der die Weisen lehrten. Dorthin zurückzukehren war mein Bestreben. (YM, Einleitung, 67)
1748 besucht er Leipnik noch einmal, als er sich auf der Durchreise befindet. Rückblickend schildert er die Freude, mit der er hier trotz der vielen Jahre, die seit seinem Fortgang vergangen sind, empfangen und vor allem, welche Wertschätzung seiner Lehre an diesem Ort entgegengebracht wird: Von hier aus ging ich in die Gemeinde Leipnik, wo ich im Jahr 1721 gewohnt hatte. Und sie freuten sich über mich und meine Lehre, gesegnet sei der Herr. Und ich hielt
119 Vgl. Rohrbacher, Organisationsformen, 148.
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Der Konflikt zwischen dem Rabbinat und dem Ideal des Lernens
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dort eine schöne Predigt am Sabbat des Abschnitts Waetchanan im Jahr 1748. (YM, § 234, 324)
Trotz seines Widerwillens gibt Katzenellenbogen dem Drängen seines Vaters nach und bleibt fast drei Jahrzehnte lang als Rabbiner in Marktbreit.120 Auch Issachar Bär Eskeles, der Bruder seines Schwiegervaters, der von 1718 bis 1753 Nachfolger von Katzenellenbogens Lehrer Gabriel Eskeles im Amt des mährischen Landesrabbiners war, riet ihm von einer Rückkehr nach Leipnik ab, da es für einen Rabbiner ungünstig wäre, an seinen früheren Wirkungsort zurückzukehren.121 Neben dem geringen Maß an Frömmigkeit ist es vor allem die Vielzahl an Aufgaben, die er dort im Amt des Oberrabbiners der Schwarzenbergischen Landjudenschaft zu bewältigen hat und die ihm die Ausübung dieses Amtes verleiden. In einem Brief, den er im Cheschwan 1724 an seinen Vater richtet, spricht er verzweifelt davon, wie sehr er unter dem Joch und den Lasten des Rabbinats zu leiden hat. Er beklagt, dass er keine Zeit und Kraft zum Studium der Mischna findet, weil er so belastet war durch das Joch des Rabbinats und so verstrickt in die Angelegenheiten der Leute. Und ich konnte keine Seele von mir weisen. Nur mit Gesetzen und Rechtssätzen beschäftigte ich mich, die dem Aw Beth Din besonders in jenen Ländern auferlegt sind, in denen wir keine ausgebildeten Richter haben, die uns darin helfen usw.122 […] Von daher verabscheue ich das Rabbinat. Es ist gegen meinen Willen, mich mit den Gesetzen zu beschäftigen, sie in den Büchern zu suchen, in den Gesetzesbüchern, um sie genau und in Gänze und ausführlich zu kennen. Es bleibt nicht einmal eine Stunde am Tag frei davon […]. Außerdem muss der große Talmud studiert und den Schülern unterrichtet werden. Und schließlich bedarf es der 120 Katzenellenbogen berichtet von dem Wunsch seines Vaters, dass er ein Rabbinat in seiner Nähe übernehmen solle, auch unter § 14. Dort begründet er diesen Wunsch vor allem auch damit, dass seine beiden Töchter aus erster Ehe noch bei seinem Vater lebten und sich außerdem seine Bücher und Haushaltsgegenstände noch bei ihm befanden. Katzenellenbogen schreibt: „Mein Vater, der Gaon, war Aw Beth Din im Land Ansbach und sein Wohnort war in der Gemeinde Schwabach. Und er wollte so sehr, dass ich in seine Nähe ins Land Schwabach kommen sollte. Er hatte vor allem Geschmack daran gefunden, weil meine beiden Töchter, die mir von meiner ersten Frau geblieben waren, noch bei ihm lebten und weil alle meine Bücher und Haushaltsgeräte in Aschkenas waren. Auch mein erster Schwiegervater R. Jakob Oettingen, sel.A., wollte, dass ich nach Aschkenas käme, um meine zwei Töchter, seine Enkelinnen, großzuziehen. Aber mein Schwiegervater hielt seine Meinung zurück und ich wollte nicht von einem Ort der Tora, wie die Gemeinde Leipnik es war, fortgehen. Wegen des ständigen Drängens meines Vaters jedoch, änderte ich schließlich meine Meinung und unterwarf mich seinem Willen und ging von der Gemeinde Leipnik in die Gemeinde Marktbreit.“ (YM, § 14, 82 f). 121 Vgl. YM, Einleitung, 68. 122 Der Landrabbiner, auch Aw Beth Din bzw. Vorsitzender des jüdischen Gerichts, nach seiner wichtigsten Funktion, genannt, war der religiöse Führer der Gemeinschaft und ihr Richter in allen innerjüdischen Streitigkeiten. Für gewöhnlich standen ihm Landrichter zur Seite, die für einzelne Distrikte zuständig waren und Befugnisse zur Entscheidung geringfügiger, zumeist religionsgesetzlicher Fälle besaßen. Zusammen mit dem Landrabbiner bildeten sie ein Richterkollegium. Vgl. Cohen, Entwicklung, 227 f.
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Der Wert der Gelehrsamkeit. Hüter gemeinsamen Wissens
menschlichen Verrichtungen wie Essen und Trinken, um uns zu stärken. (YM, § 182, 275)
Wilke fasst die Aufgaben, die einem Landesrabbiner im 17. und 18. Jahrhundert oblagen und die auch Katzenellenbogen zu verrichten hatte, folgendermaßen zusammen: „Als symbolkräftiger Exponent der halachischen Rechtsordnung verband er Funktionsbereiche des Ritualgutachters und geistlichen Gewissenrats, des Theologen, des Richters, des Notars, des Bücherzensors, des Sittenwächters, des Professors der Rechte und des gemeindlichen Beglaubten, der Repräsentantenwahlen und Steuerschatzung überwachte, Heirats-, Erschafts- und Vormundschaftsakten aufsetzte und Eidesleistungen abnahm.“123 All diese Verrichtungen hindern Katzenellenbogen offenbar am Studium der Mischna und belasten ihn derart, dass er sich nach seiner Tätigkeit am Lehrhaus seines Vaters oder an irgendein anderes Lehrhaus zurücksehnt, wo er sich ungestört und ausschließlich dem Torastudium hingeben konnte.124 Das volle Ausmaß von Katzenellenbogens Unzufriedenheit und Verzweiflung über seine Situation kommt im Fortlauf seines Briefes zum Ausdruck. Dort heißt es: Es fällt mir schwer zu sagen, was in mir vorgeht. Ich kann aber nicht schweigen und mich zurückhalten, sondern muss es meinem Vater, dem Gaon Aw Beth Din, anvertrauen, dass ich das Rabbinat verabscheue. Jeden Tag weine ich und bereue, dass ich mich in diese Situation gebracht und mir das Rabbinat aufgehalst habe […]. Ich habe keine Kraft mehr, mich zu befreien. Nichts habe ich erreicht. […] Es tut mir Leid und es schmerzt mich sehr, meinem Vater mit diesen Worten Kummer zu machen und ihm zu sagen: Ein Knabe bin ich und verfüge nicht über die menschliche Einsicht. Aber ich will von meiner Sorge und meinem Kummer jeden Tag erzählen und davon, wie sehr ich dies alles verabscheue. Und ich weiß nicht, was mein Ende sein wird. […] Und ich schreibe dies weinend und unter Tränen. Vielleicht wird sich der Herr Zebaoth erbarmen und mein Herz stärken mit seiner Kraft und seinem Frieden und wird mir helfen, Amen. (YM, § 183, 276 f)
Erst 1750, einige Jahre nach dem Tod seines Vaters, kann Katzenellenbogen sich aus seiner misslichen Lage befreien, als er auf das Rabbinat in der bedeutenden mährischen Gemeinde Boskowitz berufen wird. Von verschiedenen Seiten, darunter von Issachar Bär Eskeles, wird ihm wegen des geringeren Verdienstes von dieser Stelle abgeraten. Trotzdem ist seine Freude darüber groß, künftig wieder an einem „Ort der Tora“ zu wirken, der auch über ein Lehrhaus verfügt.125 Rückblickend erinnert er sich: 123 Brocke/Carlebach, Handbuch 1/1, 56. 124 Vgl. YM, § 182, 276. 125 Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts lässt sich für Boskowitz die Existenz eines Cheders sowie einer Jeschiwa nahe der heute noch erhaltenen Synagoge nachweisen. Vgl. Brnsky´, Zid, 328; Sixtov, Synagogue, 8 und Gold, Gedenkbuch, 17.
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Kritik an der Ordnung des Lernens
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1750 kam ich in die Gemeinde Boskowitz, eine Stadt, in der Weise und Schriftgelehrte lebten und ich pries Gott, dass es mir vergönnt war, mein Alter an einem solchen großen Ort zu verleben. Der Lebensunterhalt war aber sehr gering und viele sagten zu mir, was machst du dort, wo du nicht genug zum Leben für dich und deine Familie hast. Auch [Issachar Beirisch Eskeles] hielt sich nicht mit seiner Meinung zurück. Im Gegenteil, auch er protestierte dagegen, dass ich hierher kam und sagte: warum verlässt du einen Ort, an dem dein Lebensunterhalt sehr groß war und gehst an einen Ort, an dem die Jeschiwa dich nicht ernähren kann? Ich aber setzte meine Hoffnung auf den Herrn und vertraute auf den Gott meiner Väter und auf die Stütze der Weisheit, dass dies ein Ort der Tora sei. Und es war mein ganzes Wünschen und Streben, angenehme Tage zu verbringen und darauf stützte ich mich. Und am Sabbat Nachamo kam ich hierher. (YM, Einleitung, 68)
6.4 Kritik an der Ordnung des Lernens Katzenellenbogen berichtet nicht nur ausführlich über die Zeit und Inhalte seiner Ausbildung sowie über die Fortsetzung seiner persönlichen Studien nach Verlassen der Jeschiwa, sondern er übt auch deutliche Kritik an den zu seiner Zeit üblichen Lehrmethoden, insbesondere an der Ordnung des Lernens bzw. des Unterrichts, wie sie von vielen seiner Zeitgenossen praktiziert wurde. Besonders vernehmlich wird diese Kritik in einer Schilderung hinsichtlich der Inhalte seiner Studien in Nikolsburg im Winter 1712. Dort heißt es: Den Schwerpunkt meines Studiums bildeten täglich die Mischna und die Possekim126. Und in jenen Wintertagen wiederholte ich die Arba Turim mit dem Kommentar Beth Yosef zum Tur. Dies ist die Hauptsache beim Studium, damit man den Ursprung der Gesetze der Mischna und der ältesten Possekim kennt, die der Beth Yosef anführt. Und danach [erst] sollte der Schulchan Aruch gelernt werden […]. So sollte man lernen und nicht, wie es zu dieser Zeit üblich ist, da die Hauptsache des Studiums der Schulchan Aruch und die späteren [Possekim] darstellen und man die Worte der früheren [Possekim] beiseite lässt. Diesbezüglich war die frühere Zeit besser als die jetzige. Ihrem Studium muss man den Vorzug geben, denn in diesen Generationen wird die Gelehrsamkeit immer geringer und das Studium der Tora immer schwächer. Weniger wird auch das Geben und Nehmen, denn wegen unserer vielen Sünden fehlt 126 Zeitlich wird zwischen den ältesten, den früheren und den späteren Possekim unterschieden: Die Possekim Kadmonim sind die ältesten Dezisoren der gaonäischen Zeit. Zu ihnen zählen u. a. Achai ben Schabbecha, Jedudai Gaon, Simon Kajara, Sa’adja Gaon und Chananel ben Chuschiel. Als Possekim Rischonim bezeichnet man die früheren Dezisoren des 10.–15. Jahrhunderts. Zu ihnen gehören u. a. Samuel HaNagid, Isaak ben Jakob Alfasi, Maimonides, Ascher ben Jechiel und Jakob ben Ascher. Die Possekim Acharonim sind die späteren Dezisoren des 16.–18. Jahrhunderts, darunter u. a. Joseph Karo, Mose Isserles, Jonathan Eibeschütz und Salomo Luria.
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Der Wert der Gelehrsamkeit. Hüter gemeinsamen Wissens
es uns an der Fülle der früheren Zeit. Und die Schüler dieser Zeit lernen fast alle in Bedrängnis. Und wenn sie den Tur mit dem Beth Yosef studieren, dann sind sie nicht in der Lage, ihn zu begreifen. Und deshalb ist vorzuziehen, was die Weisen sagen: Man soll seinen Schüler immer den kürzesten Weg lehren [bPes 3b]127. Der Herr möge ihnen beistehen. (YM, § 179, 273)
Im Zentrum von Katzenellenbogens Kritik steht die zunehmende Vernachlässigung der grundlegenden Schriften, insbesondere der Tora, was allgemein zu einer Abnahme der Gelehrsamkeit im Vergleich zu früheren Generationen geführt habe. Er wirft seinen Zeitgenossen vor, von dem traditionellen Lehrplan abzuweichen, in dem die verschiedenen Lernschritte rational aufeinander aufbauten und auf das Studium der Tora zunächst das der Mischna und erst dann das Studium des Talmud und der halachischen Kompilatoren folgten.128 Dem Talmud zufolge soll ein Mann seine Lebensjahre zu einem Drittel dem Studium der Tora, zu einem Drittel dem Studium der Mischna und zu einem Drittel dem Studium des Talmud widmen.129 Katzenellenbogen wirft seinen Zeitgenossen vor, dass sie sich den halachischen Kompendien ohne ausreichende Kenntnisse der grundlegenden Quellen zuwandten und ihnen damit ein tieferes Verständnis der Texte und die Fähigkeit, die Gesetze von ihrem Ursprung her zu erfassen, versagt bliebe. Als Grund für diese Misere führt Katzenellenbogen an, dass die Schüler dieser Zeit „fast alle in Bedrängnis“ lernten. Möglicherweise spielt er hier auf die häufigen Vertreibungen an, mit denen die jüdischen Gemeinden seit Mitte des 14. Jahrhunderts und zuletzt vor allem im Zusammenhang mit den Chmielnicki-Pogromen Mitte des 17. Jahrhunderts konfrontiert wurden. Die von großer Unsicherheit und Ungewissheit geprägte Lage, in der sich die jüdischen Gemeinden infolgedessen befanden, wirkte sich krisenhaft auch auf die Erziehung aus. Für eine gründliche Ausbildung der Kinder war oft keine Zeit, so dass ihnen, wenn sie schließlich an die Jeschiwa kamen, meist die notwendigen Grundkenntnisse als Basis für darauf aufbauende Studien fehlten.130 Ein weiterer Grund für den schlechten Bildungsstand, den Katzenellenbogen seinen Zeitgenossen attestiert, ist sicherlich auch in dem mangelhaften Kenntnisstand der Lehrer zu sehen, die in großer Zahl von Gemeinde zu Gemeinde zogen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und dabei häufig neben ihrer Tätigkeit als Lehrer auch andere Verpflichtungen zu versehen hatten. Um den 127 Vgl. bPes 3b: 8LJK ýL7 97=B@N@ A74 8DM= A@9F@. 128 Vgl. zur „richtigen Ordnung des Lernens“ bzw. zu dem traditionellen, von rabbinischen Autoritäten vorgeschriebenen Lehrplan auch Liberles, Schwelle, 69 f. 129 Vgl. bKid 30a. (79B@N5 M=@M ,8DMB5 M=@M ,4LKB5 M=@M ,9=N9DM A74 M@M= A@9F@; man soll seine Jahre dritteln: ein Drittel für die Mikra, ein Drittel für die Mischna und ein Drittel für den Talmud). Maimonides greift dies auf, wenn er in seinem Mischne Tora festhält, dass die Studienzeit jeweils zu einem Drittel der schriftlichen und der mündlichen Tora sowie dem Talmud und seinen weiteren Kommentaren gewidmet werden sollte. Vgl. Kaplan, Moses Maimonides, 177. 130 Vgl. Gdemann, Quellenschriften, XXIX.
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Kritik an der Ordnung des Lernens
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Eltern zu gefallen und ein höheres Entgelt für den fortgeschrittenen Unterricht zu erhalten kam es vor, dass sie ihre Schüler vorzeitig auf eine höhere Stufe im Unterrichtsablauf hoben, ohne dass diese bereits über das notwendige Wissen hierfür verfügten.131 Katzenellenbogen erteilt seinen Nachkommen keine konkreten Anweisungen hinsichtlich ihres Studiums und schreibt auch keine konkrete Studienordnung fest. Vielmehr sucht er sie durch sein eigenes Vorbild, d. h. durch das Vorbild ihres Vaters, bzw. durch die ausführliche Darstellung seiner Ausbildung und seiner fortdauernden Beschäftigung mit den traditionellen Texten zur Nachahmung seines Tuns zu animieren und für eine sinnvolle und angemessene Ordnung des Studiums zu gewinnen. Diese Haltung unterstreicht er dadurch, dass er das Angebot seines Nikolsburger Lehrers Gabriel Eskeles ablehnt, als dieser ihn fragte, „ob ich mit ihm die Mischna wiederholen wollte, von der er gerade zehn Blätter täglich in der Synagoge wiederholte.“ Katzenellenbogen schreibt: Beinah hätte ich ihm zugesagt, dann aber fragte ich ihn, bei welchem Traktat sie gerade seien und er antwortete mir, bei dem Traktat Sota. Da sagte ich ihm, dass ich dieses Traktat noch nicht gelernt hätte, weshalb ich nicht die Mischna mit ihm wiederholen wollte. (YM, § 163, 260)
Mit derselben Begründung schlägt Katzenellenbogen den darauf folgenden Vorschlag seines Lehrers aus, mit ihm den Choschen Mischpat132 zu lernen, da er auch hierfür noch nicht über die notwendigen Vorkenntnisse zu verfügen meinte.133 Erst als Gabriel Eskeles ihm anbietet, gemeinsam den Tur Orach Chajim134 zu studieren, willigt Katzenellenbogen ein und demonstriert so an seinem eigenen Beispiel, dass er sich an die strikte Richtlinie hält, sich dem neuen Lehrstoff erst nach ausreichender Verinnerlichung der hierfür grundlegenden Texte zuzuwenden, um ihm vollends gerecht werden zu können.
131 Zur Kritik an den Lehrern und ihren Unterrichtsmethoden vgl. Liberles, Schwelle 70 f und Pollack, Folkways, 73 ff. 132 Der Tur Choschen Mischpat („Brustschild des Rechts“, Ex 28,15) ist der vierte Teil des von Jakob ben Ascher im 14. Jahrhundert verfassten halachischen Kompendiums Arba Turim, der das jüdische Recht behandelt. 133 Vgl. YM, § 163, 260. 134 Der Tur Orach Chajim („Lebensweise“, Ps 16,11) ist der erste Teil der Arba Turim. In ihm geht es um Lobpreisungen, Gebete, Sabbat, Feier- und Festtage.
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Der Wert der Gelehrsamkeit. Hüter gemeinsamen Wissens
6.4.1 Exkurs: Verbreitete Kritik an Lernmethoden jener Zeit Ein markantes Beispiel für solch unzeitgemäßes Lernen und seine Folgen liefern etwa die Erinnerungen, die ein unbekannter Verfasser an seine Jugendzeit von 1668 – 1685 in Böhmen niedergeschrieben hat.135 Darin berichtet der Verfasser, wie sein Vater, der den Lebensunterhalt der Familie als Elementarlehrer, Brandweinbrenner und Hausierer bestritt, ihn und seinen um einige Jahre älteren Bruder trotz ihres unterschiedlichen Alters und Wissensstandes gemeinsam unterrichten wollte. Dabei stellt sich heraus, dass der fortgeschrittene Lernstoff ohne ausreichende Vermittlung der grundlegenden Kenntnisse bzw. der Quellentexte nicht zu erfassen ist: Er [der Vater des anonymen Verfassers] dachte, dass er uns selbst unterrichten könnte. Mein Bruder, der bereits dreizehn oder vierzehn Jahre alt war, lernte von ihm die haggadische Literatur, wie den Kommentar von Raschi und Midraschim, außerdem die Gesetze der Schechita. Ich aber benötigte einen besonderen Lehrer. Mein Vater begann, mit mir die Gemara zum Traktat Sota zu lernen. Er lernte die Halacha ein oder zweimal mit mir. Ich aber hatte nie zuvor den Talmud und noch nicht einmal die Mischna studiert. So vergingen Tage und Jahre, ohne dass ich das Geringste lernte, bis ich schließlich zu einem Dorn in meinen eigenen und in den Augen meines Vaters wurde.136
Katzenellenbogen stand mit seiner Kritik an den Unterrichtsmethoden seiner Zeit demnach nicht allein. Schon der Maharal von Prag, R. Jehuda Löw ben Bezalel, war der Kopf einer Bewegung, die den in Aschkenas üblichen Unterricht, insbesondere die Vernachlässigung des Torastudiums zugunsten des Talmud und der pilpulistischen Methode der Textauslegung, scharf kritisiert hatte.137 In seinen Werken brachte der Maharal dieses Thema immer wieder zur Sprache. Er hielt es nicht für zielführend, dass die Studenten den Talmud studierten, bevor sie mit der ganzen Bibel und der ganzen Mischna vertraut waren, aus denen aber in der Regel nur Auszüge gelernt wurden. Stattdessen plädierte er für ein System, nach dem die Schüler vom leichteren Lerngegenstand zum schwereren fortgeführt werden sollten.138 In Gur Arje, seinem Kommentar zu Raschis Erklärung des Pentateuchs, zeichnet der Maharal die 135 Die Großmutter des Verfassers mütterlicherseits war eine Schwester des mährischen Landesrabbiners Menachem Mendel Krochmal. Vgl. Marx, Autobiography, 271. 136 Ebd., 279. Übersetzung aus dem Hebräischen durch die Verfasserin. 137 Zu dieser sog. Prager Schule, die sich gegen eine Überbewertung des Pilpul wandte, vgl. Wilke, Talmud, 203 ff. 138 Vgl. Breuer, Prolog, 78; Breuer, Frühe Neuzeit, 205; Parˇk, Ghetto, 64; Pollack, Folkways, 76 und Ben-Sasson, Jahrhundert, 875. Die ebenfalls scharfe Kritik des Maharal an der üblich gewordenen übermäßigen Beschäftigung mit dem Pilpul findet bei Katzenellenbogen keinen ausdrücklichen Niederschlag.
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Kritik an der Ordnung des Lernens
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richtige und angemessene Ordnung des Unterrichts nach, wie sie vormals betrieben wurde. Dort heißt es: Die Alten führten die Schüler auf geraden Wegen zum Ziele, davon aber ist man in diesem herabgekommenen Zeitalter abgewichen und man baut sozusagen das Haus, ohne vorher das Fundament gelegt zu haben. Früher betrieb man den Unterricht der Knaben planmässig: Mit fünf Jahren zur Bibel, mit zehn zur Mischna, mit fünfzehn zum Talmud.139 So legte man dem Knaben nur diejenige Last auf, die er nach seinem Alter ertragen konnte. Wenn er durch den Bibelunterricht mit den Grundvorschriften der Religion vertraut geworden war, so war das Fundament gelegt und er war für die Mischna vorbereitet, und er konnte auf ihr weiterbauen, um das Verständniss des Talmuds zu erlangen. Dann konnte er zu selbständiger Forschung vordringen und in gelehrten Streit sich einlassen.140
Diesen idealen Verhältnissen stellt der Maharal die „verkehrten Unterrichtsverhältnisse“ gegenüber, die zu seiner Zeit bereits Überhand genommen hatten: Aber die Thoren in diesen Ländern gehen einen verkehrten Weg. Sie nehmen mit dem Knaben etwas Bibel aus dem laufenden Wochenabschnitt, unterbrechen dann wieder und gehen in der anderen Woche zum nächsten Wochenabschnitt über, wenn dann das Jahr um ist, hat er den Anfang vergessen. So geht es im zweiten, dritten, vierten Jahre usw., nur dass der inzwischen reifer gewordene Knabe ein grösseres Pensum des laufenden Wochenabschnittes bewältigen kann, gleichwohl bleibt ihm zuletzt, wenn er vom Bibelunterricht scheidet, nichts im Gedächtniss. […] Manche führen alsdann den Knaben gleich zum Talmud. Da lernt er dann blosse Worte sprechen, ohne dass er sich ein Bild von dem Gegenstande der Verhandlung machen kann. Dann, wenn der Knabe reifer geworden, muss er Tossafot lernen, ohne zuvor den Talmudtext und die Halacha begriffen zu haben. Lehrer von dieser Methode sind mit Blindheit geschlagen. Es mag sein, dass der Knabe mit seinem von selbst reifer gewordenen Verstande etwas erfasst, aber das blosse Einbläuen von Dingen, die über 139 Vgl. mAv 5,24 (79B@N@ 8LMF MB; C5 N9JB@ 8LMF M@M C5 8DMB@ LMF C5 4LKB@ A=DM MB; C5; mit fünf Jahren zur Mikra, mit zehn Jahren zur Mischna, mit dreizehn Jahren zu den Geboten, mit fünfzehn Jahren zum Talmud). 140 Zit. nach Gdemann, Quellenschriften, 59. Auch in Tiferet Jisrael beschreibt Jehuda ben Bezalel die ideale Unterrichtsordnung, die der stufenmäßigen Entwicklung des Menschen entsprechen sollte. Ihr zufolge sollte an erster Stelle die Bibel stehen, „welche Wurzel und Anfang ist. Dann sollte die Mischna kommen, welche gleichsam den unter der Erde sich verzweigenden Wurzeln eines Baumes gleicht. Die volle Entfaltung des letzteren offenbart sich dann sozusagen im Talmud. So war der Studiengang der Alten. Aber in unseren Zeiten verdrehen wir denselben soviel nur möglich ist. Mit acht oder neun Jahren fängt der Knabe an Talmud zu lernen, den er noch nicht verstehen kann, daher er nichts davon behält und der Unterricht darin sich als vergeblich herausstellt. Aber selbst wenn er in reiferen Jahren an den Talmud herantritt, so fehlt ihm doch die nothwendige Grundlage der Mischnakenntniss. Ferner wiederholt er nicht, während die Alten trotz ihrer höheren Begabung Tag und Nacht damit zubrachten. Unter solchen Umständen bleibt den Schülern kein Ergebniss von ihrem Studium.“ Zit. nach ebd., 64 f.
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seine Fassungskraft gehen, ist wirkungslos, und wenn der Knabe müssig gegangen wäre, und später zu lernen angefangen hätte, so wäre er ohne Zweifel eben so weit gekommen, wie bei diesem Studiengange. Immerhin ist es noch gut, wenn der Schüler bei den Tossafot bleibt und sich wesentlich damit beschäftigt, aber er will mehr und lässt sich auf eiteln Pilpul ein und verbringt seine Zeit mit dialektischen Windbeuteleien. Das dauert so lange, bis er heirathet, dann fällt er aus den Wolken, erwacht aus seinem Traume, sagt sich gänzlich von der Tora los und weiss nichts von Bibel, Mischna, Talmud, noch Lebensart. Darüber sollte jeder Freund Gottes und der Tora trauern, denn nur dadurch ist es dahin gekommen, dass es jetzt weder Tora, noch Wissenschaft, noch Gottesfurcht giebt.141
Die Kritik des Maharal stieß bei seinen Schülern und Anhängern auf ein vielfaches Echo und wurde von den nachfolgenden Generationen aufgegriffen.142 Zahlreiche Stimmen wurden laut, welche die zeitgenössischen Zustände im Unterrichtswesen beklagten und für eine angemessene Ordnung des Lernens eintraten. In seinem Shne Luhot HaBrit hinterlässt Jesaja Horowitz konkrete Richtlinien für eine solche angemessene Ordnung des Lernens, die den Vorstellungen des Maharal entsprechen. Dort heißt es: Unterrichtet eure Kinder in folgender Ordnung. Wenn der Knabe anfängt, die Bibel zu lernen, so soll er nicht davon abstehen, bis er den Pentateuch, die Propheten und die Schriften fleissig durchgenommen und beendet hat. […] Darauf sollen alle sechs Traktate der Mischna durchgenommen werden, so dass der Schüler sie auswendig kann. Alsdann folgt der Talmud in seinem ganzen Umfange sammt den Decisoren, alsdann ist ,die Erde voll von Erkenntniss.‘143
In den Anmerkungen von Jesajas Bruder Jakob Horowitz zu Yesh Nohalin, dem ethischen Testament seines Vaters Abraham Horowitz, gibt dieser ihnen Anweisungen mit auf den Weg: Euch aber, meine Kinder, befehle ich kraft dieses ordentlichen Testamentes, dass ihr nach vorstehender Anweisung handelt, überdies sollt ihr ausser dem Talmud täglich Mischna lernen, bis ihr die sechs Ordnungen derselben vollendet haben werdet, und alle Tage eures Lebens sollt ihr die Bücher der Bibel und der Mischna in abwechselnder Reihenfolge durchnehmen. Besonders verdienstlich wird es sein, wenn ihr alle Ordnungen der Mischna geläufig auswendig könnet, denn sie ist ja eigentlich die mündliche Lehre und sie wurde nur, um sie vor Vergessenheit zu bewahren, aufgeschrieben, daher ist das eigentliche Studium derselben auswendig zu vollziehen.144
141 Zit. nach ebd., 59 f. 142 Breuer, Frühe Neuzeit, 205. 143 Zit. nach Gdemann, Quellenschriften, 106. Zu Jesaja Horowitz Empfehlung, die Schüler zunächst in der Bibel und erst danach im Talmud zu unterrichten vgl. auch Klemperer, Rabbis, 50. 144 Zit. nach Gdemann, Quellenschriften, 122.
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Auch Sabbatai Scheftel Horowitz, der Enkel von Abraham Horowitz, schreibt in seinem Testament, das zusammen mit dem seines Großvaters und Onkels abgedruckt wurde, an seine Nachkommen über Studium und Unterricht: Das Studium der Gemara mit dem Commentare der Tossafot ist tägliche Pflicht. Ebenso das Studium der Mischna. Ihr sollt euch darin einen Plan machen, täglich, selbst beim Essen einige Capitel wiederholen, und so in abwechselnder Reihenfolge während eures ganzen Lebens, bis euch die Mischna geläufig ist.“145
Er nennt auch die Arba Turim des Jakob ben Ascher und den Schulchan Aruch als zum Curriculum eines Gelehrten gehörig. Ersterer sei „notwendig für den, der Tora lehren will.“146 Aber auch letzteren sollten seine Kinder beständig wiederholen, damit ihr darin zu Hause seid, denn Belesenheit verschafft euch einen grossen Namen. Ihr müsst aber auch auf die Quellen zurückgehn, insbesondere auf die Hauptquelle, den Talmud.147
Schließlich sei hier noch Jona Landsofer aufgeführt, auf dessen Testament sich Katzenellenbogen neben Shne Luhot HaBrit und Yesh Nohalin ebenfalls beruft, und mit deren Ansichten hinsichtlich der Bedeutung des Quellenstudiums und der sinnvoll aufeinander aufbauenden Unterrichtsinhalte er kongruent geht. Landsofer skizziert in seinem Testament eine Studienordnung für den Gelehrten, die Folgendes vorsieht: Durchnahme der ganzen Bibel, wie oben. Desgleichen Durchnahme der ganzen Mischna. […] Vom Talmud sollen täglich wenigstens fünf Blätter wiederholt werden; was in Folge von Störungen am Tage zurückbleibt, soll man nachts einholen. Das Studium des Schulchan Aruch ist ohne Beschränkung. Es ist gut, alljährlich alle vier Turim mit Beth-Joseph durchzunehmen. […] Immer soll man durch das Studium des Tur und Beth-Joseph den Ursprung jeder Vorschrift zu ergründen trachten.148
Wieder erweist sich eine genaue Kenntnis der Quellen, auf der alle späteren Schriften, Kommentare und Kompendien aufbauen, als grundlegend für das weitere Studium.
145 146 147 148
Zit. nach ebd., 124. Zit. nach ebd., 124. Zit. nach ebd., 125. Zit. nach ebd., 128.
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Der Wert der Gelehrsamkeit. Hüter gemeinsamen Wissens
6.5 Katzenellenbogens Bibliothek 6.5.1 Der Zugriff auf Bücher als Voraussetzung zum Studium Für seine Studien benötigt Katzenellenbogen Bücher. In seinen jungen Jahren, während seiner Ausbildung, war er diesbezüglich auf die Unterstützung anderer angewiesen, die ihm Bücher zur Verfügung stellten. Wie bereits gesehen, war es in Tomaszow im Jahr 1700 üblich, das jeweilige Talmudtraktat, das gerade gelernt werden sollte, für die Schüler in Heften abzudrucken, um die Talmudausgaben zu schonen, wie Katzenellenbogen schreibt.149 In Fürth war ein wesentlicher Grund für die Errichtung einer hebräischen Druckerei im Jahr 1691 offenbar das Vorhandensein der Jeschiwa, die sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entwickelt hatte. Die Lehrer und Schüler derselben benötigten für ihre Studien Bücher und stellten, wie auch die wachsende Gemeinde an sich, einen beachtlichen Absatzmarkt dar.150 Oftmals verfügten die Bathe Midrasch und Jeschiwot über Sammlungen der wichtigen Werke der talmudischen und halachischen Literatur, die sie den Gemeindemitgliedern und Schülern zum Lernen zur Verfügung stellten.151 Zwar erwähnt Katzenellenbogen dergleichen nicht, doch ist es gut vorstellbar, dass solche Bibliotheken auch ihm den Zugriff auf die sonst sehr kostspieligen traditionellen Werke ermöglichten. Aber auch private Büchersammlungen wurden Katzenellenbogen während seines Studiums zur Verfügung gestellt. In Nikolsburg besaß beispielsweise Katzenellenbogens Gastgeber Jockel Brünn eine Bibliothek mit „interessanten Büchern“, in die Katzenellenbogen sich vertiefen konnte. Katzenellenbogen gibt nicht an, um was für Werke es sich bei der Bibliothek Jockel Brünns im Einzelnen gehandelt hat. Da er sich in Nikolsburg aber überwiegend dem Studium verschiedener Traktate der Mischna sowie des Tur Orach Chajim widmete, ist anzunehmen, dass er in Jockel Brünns Haus vor allem Zugriff auf die klassischen talmudischen und halachischen Werke hatte.152 Während seiner Studienzeit in Prag verlangte Katzenellenbogen nach
149 Vgl. YM, § 74, 173. Entsprechend heißt es bei Gries, Book, 21: „It is well known that books required for traditional religious and educational purposes in a formal setting were printed in large quantities – for example, the tractates of the Talmud, the Pentateuch, and the daily and festival prayer books – little is known about other books.“ 150 Vgl. Renda, Fürth, 260. 151 Vgl. Gries, Book, 66: „The institutional libraries of the Jewish world […] were established to make the important works of talmudic and halakhic literature available to the more learned members of the community, the educated male elite.“ Über die Jeschiwa der spanischen Gemeinde in Amsterdam schreibt Sabbatai Bass in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts: „In der Lehranstalt ist auch eine besondere Bibliothek mit zahlreichen Büchern, welche den Schülern, so lange sie sich auf der Jeschiba befinden, zur Verfügung stehen.“ Zit. nach Gdemann, Quellenschriften, 113. 152 Vgl. YM, § 148, 244 und § 163, 260.
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Katzenellenbogens Bibliothek
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einer Zugriffsmöglichkeit auf eine vollständige Ausgabe der Mischna und schildert diesbezüglich folgende Begebenheit: Ich bat darum, die gesamte Mischna in meine Hände zu bekommen, denn mein Verwandter R. Jona Schulhof hatte eine sehr alte Ausgabe der Mischna, eingebunden in einen sehr schönen Einband mit einer Silberspange versehen. Doch wegen möglicher Verleumdungen versteckte er sie in seinem Geschäftsgewölbe, wo er Branntwein verkaufte. Und er war nicht bereit, mir die ganze Ausgabe der Mischna in seinem Haus zu geben, denn er lebte an einem sehr offen einsichtigen Ort und hatte Angst vor Entdeckung. Er erlaubte es sich lediglich, mir zwei, drei oder auch vier Bände der Mischna zu geben, die man in seinem Haus verstecken konnte. Dieses war jedoch unmöglich mit der vollständigen Ausgabe der Mischna, die zwölf Bände umfasste. Und deshalb sagte mein Vater, sel.A., zu mir : Ich will die Mischna dem Gaon Aw Beth Din geben. Damit er die Mischna von R. Bermann Sagall hat. Dann kannst du daraus lernen, wie du willst. (YM, § 93, 188)
Jona Schulhof, der Katzenellenbogen während seines Aufenthalts in Prag beherbergte, verfügte zwar über eine anscheinend prächtige und vollständige Ausgabe der Mischna, bewahrte diese aber offenbar aus Furcht vor der strengen Zensur in Prag nicht in seinem Haus auf,153 so dass sie für Katzenellenbogen nur eingeschränkt zugänglich war. Stattdessen sorgte Katzenellenbogens Vater dafür, dass die Mischnaausgabe des gerade verstorbenen Fürther Rabbiners Bermann Fränkel in die Hände David Oppenheims gelangte, damit dieser sie Katzenellenbogen zur Benutzung zur Verfügung stellen konnte.
6.5.2 Inhaltliche Schwerpunkte von Katzenellenbogens Bibliothek In späteren Jahren war Katzenellenbogen selber Besitzer einer umfangreichen Sammlung von Büchern und Handschriften.154 Viele der Bücher, auf die er in Yesh Manchilin verweist, befinden sich in seinem persönlichen Besitz. Mit ihrer Hilfe setzt er seine Studien auch nach dem Abschluss seiner institutionellen Ausbildung fort, aus ihnen entnimmt er Informationen über bestimmte Bräuche und Heilmittel, und sie dienen ihm als Vorbild für die Niederschrift seines eigenes Werks. Insbesondere vor dem Hintergrund der Diasporaexistenz, in der sich die jüdische Gemeinschaft befand, und ihrer durch äußere wie 153 Vor allem zu Beginn des 18. Jahrhunderts herrschten in Prag besonders scharfe Zensurvorschriften. Lieben, David Oppenheim, 27, schildert: „Fast alltäglich waren Bücherinventarisierungen, Bücherkonfiskationen, und vor allem galt das Hereinbringen von Büchern – ohne Vorlage bei der Zensur als ein sehr schweres Verbrechen. Das Vorlegen zur Zensur aber war auch gefährlich, es hatte oft die Konfiskation, stets aber die Verstümmelung des vorgelegten Buches zur Folge.“ 154 Katzenellenbogens private Bibliothek wird auch bei Rosenfeld, Talmudschule, 87 und bei Liberles, Schwelle, 74 und 99 erwähnt.
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Der Wert der Gelehrsamkeit. Hüter gemeinsamen Wissens
innere Faktoren bedingten hohen Mobilität, lassen sich nicht nur bei Katzenellenbogen, der in seiner Biographie zahlreiche Ortswechsel zu verzeichnen hat, sondern auch bei vielen seiner Zeitgenossen die klassischen Werke der jüdischen Tradition auch als eine Art „portatives Heimatland“ betrachten.155 Die Inhalte der Bücher bieten unabhängig vom äußeren Aufenthaltsort Beheimatung und sind in der Fremde Grundlage für die Ausbildung und Bewahrung kultureller Identität. In zwei Verzeichnissen, die dem Manuskript von Yesh Manchilin beigefügt sind, hat Katzenellenbogen seine Sammlung sorgfältig dokumentiert. In dem ersten Verzeichnis finden sich Bücher aufgelistet, die Katzenellenbogen seinem Sohn Jakob 1747 anlässlich von dessen Hochzeit überlassen hat.156 Das zweite Verzeichnis enthält die Titel der in seinem Besitz verbliebenen Schriften.157 Den beiden Verzeichnissen ist zu entnehmen, dass Katzenellenbogens Bibliothek insgesamt etwa 500 gedruckte Bücher und Handschriften umfasste, von denen er 111 zu Lebzeiten an seinen Sohn Jakob weitergab, während ca. 388 Schriften in seinem Besitz blieben. Ein großer Teil von Katzenellenbogens Sammlung bestand aus den klassischen talmudischen und halachischen Werken. Unter anderem nennt er eine in Amsterdam gedruckte Ausgabe der Mischna, deren dreizehn Bände in weißes Kaninchenleder eingebunden waren, des Weiteren das halachische Kompendium Arba Turim des Jakob ben Ascher, eine Vielzahl einzelner Talmudtraktate sowie zahlreiche Bibelkommentare und Responsenwerke. Darüber hinaus beinhaltet seine Sammlung aber auch etliche Werke, die nicht zwangsläufig dem traditionellen Curriculum eines Talmudgelehrten angehörten. Gries, der diese Werke gesondert aufgelistet hat, zählt 42 Bücher kabbalistischen Inhalts,158 darunter das Sefer Jezira, dessen Studium sich Katzenellenbogen widmete, nachdem er sämtliche Traktate der Mischna auswendig gelernt hatte, sowie 24 Schriften, die der ethisch-religiösen MussarLiteratur zuzurechnen sind.159 Hierunter befinden sich u. a. Abraham Horo155 Heine, Geständnisse, 483 f, bezieht sich auf die Bibel, wenn er von einem „portativen Heimatland“ spricht, das die Juden bei der Zerstörung des Zweiten Tempels gerettet haben und während ihres Exils das ganze Mittelalter hindurch mit sich herumtrugen. Mit Gries, Book, 7, lässt sich aber auch allgemeiner festhalten: „For a wandering people like the Jews, books became a portable homeland, and to a great extent they formed the ground upon which the Jews felt they could temporarily encamp.“ 156 Vgl. YM, Reschimat HaSefarim, 41 ff. 157 Vgl. YM, Reschimat HaSefarim, 43 – 51. 158 Vgl. ebd., 61 ff. 159 Vgl. ebd., 58 – 61. Bar-Levav, When, 53, weist darauf hin, dass es typisch für die Verfasser ethischer Testamente ist, auch die Bedeutung ethischer Literatur hervorzuheben: „Typically for a genre that belongs to Jewish ethical literature, many authors of wills stress the importance of studying ethical literature as well, and not only the classical textes, namely Talmud and halakhic writings. Since mastery of the Talmud and the halakhic codifications was the principal way to acquire status and power in traditional Jewish society, scholars naturally directed their main efforts to those texts. It was precisely the marginal place of ethical literature in the curriculum that led authors of wills to emphasize it.“ Katzenellenbogen erwähnt zwar nicht,
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Katzenellenbogens Bibliothek
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witz’ Yesh Nohalin und eine verkürzte Fassung von Jesaja Horowitz Shne Luhot HaBrit, die Katzenellenbogen als Vorbild für sein eigenes Werk benennt. Katzenellenbogens Bibliothek spiegelt damit eine Entwicklung wider, in deren Verlauf seit dem Druck des ersten hebräischen Buches, Raschis Torakommentar, der 1475 in Italien veröffentlicht wurde,160 der klassische jüdische Textkorpus vor allem seit Mitte des 16. Jahrhunderts zunehmend durch den Druck kabbalistischer, philosophischer und ethischer Werke ergänzt wurde, die einen wachsenden Leserkreis gewannen und schnell Verbreitung in den jüdischen Gemeinden fanden.161 Außerdem besaß Katzenellenbogen eine ganze Reihe von Werken in Jiddisch,162 der verbreiteten Umgangssprache der aschkenasischen Juden zu dieser Zeit. Der jiddische Buchdruck begann erst hundert Jahre später als der hebräische,163 doch seit Ende des 16. Jahrhunderts wurden zunehmend Gebetbücher, Kompilationen religiöser Bräuche und verkürzte Versionen ethischer Werke, die bis dahin ausschließlich in Hebräisch erschienen und deshalb nur für Gelehrte zugänglich waren, immer öfter auch in jiddischer Übersetzung gedruckt. Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung im 18. Jahrhundert.164 In der Regel waren diese Werke für Frauen und Kinder bzw. für Männer mit geringerem Bildungsstand gedacht, die des Hebräischen nicht mächtig waren.165 Der Umstand, dass auch Katzenellenbogen als rabbinischer
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dass er sich gleichermaßen in das Studium ethischer Werke vertiefte, wie er sich mit den klassischen Texten beschäftigte. Der Umstand, dass sich eine Reihe populärer ethischer Werke in seinem Besitz befanden, zeugt jedoch von dem vorhandenen Interesse an dieser Art von Literatur, ebenso wie verschiedene Verweise darauf in Yesh Manchilin. Über die zahlenmäßige Entwicklung des hebräischen Buchdrucks schreibt Gries, Book, viii: „The library of printed books grew relatively slowly in the early centuries of printing. Although the first Hebrew book was printed in 1475, by the end of the sixteenth century the number of editions printed did not exceed 2,600, and a significant proportion of these were in fact multiple editions of important texts rather than new books. By the end of the seventeenth century this number had increased by around 1,000, giving a total of some 3,600 editions; by the end of the eighteenth century the total was closer to 9,000.“ Zur Verbreitung ethischer, kabbalistischer und philosophischer Werke vgl. ebd., 66. Ebd., 63 – 66, zählt 27 Werke in jiddischer Sprache. Zum Beginn des jiddischen Buchdrucks vgl. ebd., viii: „The publication of books in Yiddish, the major Jewish vernacular language of the period, began only in the late sixteenth century, around a hundred years after the beginning of printing in Hebrew, and only really took off in the eighteenth century.“ Vgl. ebd., 67. Vgl. Daxelmller, Entdeckung, 13, über das Jiddische als Sprache der vor allem seit Ende des 16. Jahrhunderts erscheinenden populären Erzähl-, Erbauungs- und Erziehungsliteratur : „Es war das sprachliche Medium für alle diejenigen Juden, die nicht oder nur in begrenztem Umfang am jüdischen Bildungssystem teilhaben konnten, die über keine oder zu geringe Hebräischkenntnisse verfügten, um die talmudischen Schriften zu lesen. Konsumenten dieser Literatur waren die wenig gebildeten, trotzdem lesefähigen Juden, vor allem aber die Frauen, zu deren vorrangigen häuslichen Pflichten es gehörte, dem Ehemann das Studium von Tora und Talmud zu ermöglichen.“ Ergänzend lässt sich mit Weissler, Women, 8, hinzufügen: „In addition, this literature was accessible to those men who did not learn enough Hebrew to read
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Der Wert der Gelehrsamkeit. Hüter gemeinsamen Wissens
Gelehrter eine nicht geringe Zahl solcher Werke in seiner Sammlung vereinte, zeigt jedoch, dass das Interesse an dieser Literatur nicht notwendig auf die weniger gebildeten Bevölkerungsschichten beschränkt blieb.166 Einige besonders populäre Werke, darunter das Sefer Kav HaYashar von Zwi Hirsch Kaidanover, aus dem Katzenellenbogen verschiedene Mittel zur Abwehr von Krankheit und Unreinheit überträgt, oder die religionsphilosophisch-ethische Erbauungsschrift Chowot HaLewawot, die um 1100 von Bachja ibn Pakuda in Spanien verfasst wurde, besaß Katzenellenbogen gleichermaßen in hebräischer als auch in jiddischer Fassung. In Betracht gezogen werden muss dabei natürlich, dass sicherlich auch andere Mitglieder aus Katzenellenbogens Haushalt Zugriff auf seine Bibliothek hatten und diese Werke nicht zwangsläufig von Katzenellenbogen selber gelesen wurden, sondern möglicherweise als Lektüre für die weiblichen Mitglieder seiner Familie bestimmt waren. Schließlich finden sich in Katzenellenbogens Bücherlisten auch einige Schriften der frühen Haskala verzeichnet, darunter Ma’asse Tuvija, Mafteach HaAlgebra und Sohar HaTejva, deren Inhalt nicht allein religiös ausgerichtet ist, sondern Einblick in die säkularen Wissenschaften gewährt.167 Dies erscheint vor allem insofern interessant, als Katzenellenbogen ansonsten keine Affinität zu derartigen Wissensbeständen erkennen lässt und sich hierin auffallend von Jakob Emden unterscheidet, der in seinem Megillat Sefer offen seine diesbezügliche Neugier formuliert.168
6.5.3 Der materielle Wert Katzenellenbogens Interesse an Büchern war sicherlich nicht nur auf ihren Inhalt bezogen. Zwar dienten sie ihm in erster Linie als Grundlage für seine Studien, doch wusste er daneben auch ihren materiellen Wert zu schätzen.169 Dies legen zum einen die Bücherlisten nahe, die Katzenellenbogen seinem Manuskript beigefügt hat. In ihnen verzeichnet er neben Titel, Verfasser und teilweise dem Erscheinungsort, sorgfältig auch den von ihm geschätzten Wert
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and understand the classics of Jewish tradition. Thus, these works can also be seen as an expression of folk or popular religion, and can provide a way into the religious lives of ,ordinary Jews‘ – men and women – outside the educated elite.“ Auch Isaak Wetzlar verweist in seinem Libes Brif stets auf existierende jiddische Ausgaben der hebräischen Werke, damit diese auch für Männer mit geringerem Bildungsstand zugänglich wären. Vgl. Rohrbacher, Isaak Wetzlar, 45. Vgl. außerdem Gries, Book, 92. Vgl. ebd., 57 f. Vgl. hierzu auch bei Feiner, Haskala, 66. Vgl. hierzu auch unter 6.2. Vgl. Gries, Book, 57. Ebd., 24, weist außerdem darauf hin, dass es unter Juden oftmals üblich war, ihr Vermögen in Büchern anzulegen, um es vor dem Zugriff der christlichen Herrschaft zu schützen: „Jews moving from place to place within eighteenth-century Europe often purchased valuable religious books as a way of converting their wealth into property that was eminently portable but that the authorities could not easily put value on.“
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eines jeden Buches. Zum anderen weist auch Katzenellenbogens materielles Testament auf sein Bewusstsein für den beträchtlichen Wert seiner Büchersammlung hin. Dieses steht in direktem Zusammenhang mit den Bücherlisten und wurde von ihm ebenfalls dem Manuskript von Yesh Manchilin vorangestellt. In ihm trifft Katzenellenbogen Vorkehrungen für seine materiellen Hinterlassenschaften, wobei seine hauptsächliche Sorge sich auf den weiteren Verbleib seiner Bibliothek konzentriert, die er zum Teil bereits seinem Sohn Jakob als Schenkung zu dessen Hochzeit überlassen hat. Bezüglich seiner übrigen Besitztümer, d. h., „alles, was ich an Silber, Gold, persönlichen Dingen und Haushaltsgeräten habe“,170 ordnet Katzenellenbogen pauschal und in einem kurzen Paragraphen an, dass diese aufgrund ihres Ehevertrags seiner zweiten Ehefrau Olek zufallen sollten. Ungleich ausführlicher fallen in dem Testament seine Erwägungen hinsichtlich der ihm verbliebenen Bücher aus. Oleks Ehevertrag sah offenbar vor, dass auch diese nach dem Tod ihres Mannes in ihren Besitz übergehen sollten. Katzenellenbogen bevorzugte es jedoch, den Ehevertrag in diesem einen Punkt zu umgehen und seine Bibliothek direkt seinem Sohn Gabriel zukommen zu lassen. Um diesbezüglich eine Regelung zu treffen, setzt er am 2. Schevat 1759 sein Testament auf, das fast ausschließlich von der weiteren Bestimmung seiner Bücher handelt. Weshalb er in Bezug auf seine Bibliothek eine von der durch Oleks Ehevertrag festgelegte Erbfolge abweichende Regelung treffen möchte, erklärt er zu Beginn seines Testaments, wo er schreibt: Siehe, dies sind die Bücher, die mir der Herr, Er sei gesegnet und gesegnet sei Sein großer Name, vergönnt hat, zusätzlich zu den Büchern, die ich meinem Sohn R. Jakob, sein Licht möge leuchten, im Jahr 1747 gegeben habe und deren Wert in etwa 350 Goldstücke beträgt. Eigentlich wäre auch mein geliebter und gelehrter Sohn R. Gabriel, der in der heiligen Gemeinde Nikolsburg lebt, es wert gewesen, die Bücher zu bekommen, denn er hat seinen Vater und seine Mutter immer geehrt und er war mir eine große Stütze bei der Verheiratung meiner beiden jüngsten Töchter. […] Daher wäre es nur gerecht gewesen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und ihm alle oben genannten Bücher als Geschenk zu geben, wie ich es voller Liebe auch gerne getan hätte. (YM, HaTsava’a Scheli, 52)
Katzenellenbogen hofft auf das Verständnis und die Zustimmung seiner Frau, wenn er entgegen den Bestimmungen in ihrem Ehevertrag folgende Regelung zu Gunsten ihres gemeinsamen Sohnes Gabriel festlegt: Folgendes gedenke ich also zu tun: Alle Bücher, die ich oben erwähnt habe, sollen von nun an und auch nach meinem Tod ein Geschenk sein für meinen geliebten und gelehrten, makellosen Sohn R. Gabriel und für seine Nachkommen. Ausdrückliche Bedingung dafür ist aber, dass er, solange seine Mutter lebt, welche meine Frau, die Rabbanit Olek ist, sie lebe, ihr jedes Jahr 25 rheinische Goldstücke geben soll.. Und 170 Vgl. YM, HaTsava’a Scheli, 53.
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Der Wert der Gelehrsamkeit. Hüter gemeinsamen Wissens
auch wenn es nicht in meiner Hand liegt, irgendetwas zu geben, was im Besitz meiner Frau der Rabbanit ist, sie lebe, vertraue ich doch auf sie, dass sie eine verständige und weise Frau ist und an meinen Worten festhalten wird. (YM, HaTsava’a Scheli, 52 f)
Aufgrund des unerwarteten Todes seiner Frau wenige Monate später kommt es jedoch nicht zur Umsetzung dieser Regelung. Stattdessen ergänzt Katzenellenbogen am 21. Kislew 1759 sein Testament dahingehend, dass seine verbleibenden Bücher seinem Sohn Gabriel mit sofortiger Wirkung als Geschenk zufallen sollten, ohne dass diese Schenkung an eine Bedingung geknüpft war : Nun ist es in meiner Hand das Geschenk zu machen, so wie ich es wollte. Und so will ich es nun heute beenden mit Hilfe des Herrn. […] Ich will ihm die Bücher geben, die auf den letzten Blättern verzeichnet sind, als richtiges Geschenk, von jetzt an und über meinen Tod hinaus. Diese Schrift möge ihm versichern, dass ihm dieses Geschenk um meinetwillen vergönnt ist von heute an und über meinen Tod hinaus, als Geschenk ohne Bedingung. Und kein anderer noch so naher oder entfernter Erbe kann dies auslöschen, denn sie stehen ihm auch dem Gesetz nach zu, denn Töchter haben an Büchern keinen Anteil. Und mein Sohn, der gelehrte R. Jakob, hat schon früher viele der wichtigen und schönen Bücher bekommen, wie auf der Liste verzeichnet. Und so soll sich jetzt mein geliebter Sohn R. Gabriel rechtmäßig seinen Teil nehmen. (YM, HaTsava’a Scheli, 55)
Katzenellenbogen behandelt seine Bibliothek in seinem Testament als Teil seines materiellen Besitzes. Er schätzt ihren Wert und trifft Vorkehrungen für ihren weiteren Verbleib nach seinem Tod, wie er es auch für seinen übrigen Besitz tut. Anders als bei diesem verknüpft sich in Bezug auf seine Bücher jedoch deren materieller Wert mit einem zugleich auch geistig-intellektuellen bzw. inhaltlichen Wert, den sie als Grundlage für seine Studien für ihn beinhalten. Aus diesem Grund trifft Katzenellenbogen bei der Regelung seiner Hinterlassenschaften für seine Bücher eine von seinem übrigen Besitz abweichende Regelung, die der geschlechtsspezifischen Unterschiede im jüdischen Bildungswesen Rechnung trägt. „Töchter haben“, wie Katzenellenbogen in seinem Testament schreibt, „an Büchern keinen Anteil“, weil es das Lebensideal der männlichen jüdischen Gesellschaft ist, sich nach Möglichkeit ganz dem Studium hinzugeben, während den Frauen, von Ausnahmen abgesehen, mangels der entsprechenden Ausbildung die Kompetenzen hierfür fehlen und ihnen eine andere Rolle innerhalb der Gesellschaft zugedacht ist.171 Aus diesem Grund sowie als Dank für die Unterstützung bei der Verheiratung seiner Töchter soll Katzenellenbogens verbleibende Bibliothek daher, nachdem ein Teil bereits seinem Sohn Jakob zugefallen ist, ausschließlich an seinen zweiten Sohn Gabriel fallen. Die doppelte Bedeutung von Katzenellenbogens Bibliothek als materieller Wert einerseits und als Grundlage für seine persönlichen Studien andererseits 171 Vgl. zur geschlechtsspezifischen Rollenverteilung und darauf ausgerichteten Ausbildung Richarz, Familie, 58 f und Baskin, Middle Ages, 116.
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Katzenellenbogens Bibliothek
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wird auch aus einem anderen Abschnitt von Katzenellenbogens Testament deutlich. Katzenellenbogen erwähnt, dass sich unter den Büchern, die er seinem Sohn Jakob geschenkt hat, „auch die Bücher des Alfasi, gedruckt in Amsterdam in drei schön gestalteten Bänden, in denen mein Name eingraviert ist“ befanden,172 sowie „den Beth Chadasch173 in fünf Bänden, gedruckt in Frankfurt am Main.“174 Den materiellen Wert dieser beiden Werke schätzt Katzenellenbogen auf 54 Goldstücke, was mehr als ein Siebtel der 346 Goldstücke ausmacht, die Katzenellenbogen als Gesamtwert der 111 aufgelisteten Schriften angibt, die er seinem Sohn Jakob vermacht hat.175 Weil diese Werke für seine eigenen Studien unverzichtbar waren, überlegte er, sich für seine eigenen Studien Ersatz zu besorgen. Er schreibt: Als ich aber in die Gemeinde Boskowitz kam und mein Verdienst dort gering war und kaum für unseren Lebensunterhalt reichte, war es mir nicht möglich, andere Bücher zu kaufen anstelle der erwähnten. Dies bedauerte ich sehr, denn ich brauchte diese Bücher dringend für meine Studien. So war ich gezwungen, erst zu fragen und sie mir auszuleihen, um hineinzusehen und sie dann sofort wieder an ihren Besitzer zurückzugeben. Deshalb bat ich meinen geliebten Sohn R. Gabriel, die Bücher des Alfasi und Beth Chadasch zu besorgen. Und so tat es mein Sohn, er sei gesegnet. Er suchte nach den Büchern und kaufte sie schließlich von seinem Geld. Und er schickte sie mir als Leihgabe für alle meine verbleibenden Lebenstage, damit ich aus ihnen lernen kann. Nach meinem Tod gehen sie zurück an ihren Besitzer, meinen Sohn Gabriel. Meine Frau, seine Mutter hat kein Anrecht auf sie nach ihrem Ehevertrag und sie sollen auch nicht an meinen Sohn Jakob gehen oder an meine Töchter und Nachkommen. Sie alle haben keinerlei Anrecht auf diese besagten Bücher. (YM, HaTsava’a Scheli, 53 f)
Katzenellenbogen überlässt seinem Sohn mit diesen beiden Werken also nicht nur einen hohen materiellen Wert, vielmehr sind sie für ihn gleichzeitig in geistig-intellektueller Hinsicht besonders wertvoll, wie seine Ausführungen demonstrieren.
172 Isaak ben Jakob Alfasi (1013 – 1103), bekannt auch als Rif, war der Verfasser des Sefer HaHalakhot (auch Halakhot Rabbati), des wichtigsten Gesetzeskodex vor Maimonides Mischne Tora. Darin versammelte er das halachische Material aus dem Talmud, um das Studium desselben zu erleichtern. 173 Der Beth Chadasch von Joel Sirkes (1561 – 1640), bekannt auch unter dem Akronym Bach nach den Initialen seines Hauptwerkes, ist ein Kommentar zu den Arba Turim des Jakob ben Ascher. Das Werk stieß auf großes Interesse unter den Gelehrten, konnte sein Ziel, den Schulchan Aruch zu verdrängen, jedoch nicht erreichen. Sirkes, geboren in Lublin, wirkte als Rabbiner u. a. in Pruzhany, Lublin, Miedzyborz und Krakau, wo er auch starb. Vgl. Zinberg, History 6, 64 f. 174 YM, HaTsava’a Scheli, 53. 175 Der angegebene Wert von 346 Goldstücken, von denen Katzenellenbogen spricht, stimmt allerdings mit seiner Liste nicht völlig überein. Tatsächlich ergibt die Summierung der einzelnen Posten sogar einen Gesamtwert von 363 Goldstücken. Vgl. YM, Reschimat HaSefarim, 41 ff.
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6.5.4 Exkurs: Vergleichbare private Büchersammlungen im 18. Jahrhundert Mit seiner privaten Büchersammlung war Katzenellenbogen kein Einzelfall. Im 18. Jahrhundert finden sich immer häufiger Beispiele dafür, dass das Sammeln von Büchern vor allem in den zumeist vermögenderen Kreisen der Hoffaktoren, aber auch unter Gelehrten und Rabbinern weitere Verbreitung fand. Salomon Gomperz, Joseph Süß Oppenheimer, Emanuel Oppenheimer und Samuel Wertheimer verfügten über umfangreiche private Bibliotheken ebenso wie Jakob Emdens Schwiegervater, der Rabbiner Mordechai Katz aus Broda.176 Auch Isaak Wetzlar, Kaufmann in Celle und Verfasser des Libes Brif, einer religiös-ethischen Schrift in jiddischer Sprache, der etwa zeitgleich mit Katzenellenbogen bei Abraham Broda in Prag studiert hatte177, verfügte über eine eigene Bibliothek, die zu Studienzwecken sowohl rabbinische Schriften als auch Moralschriften enthielt.178 Die wohl umfangreichste und bedeutendste private Bibliothek besaß jedoch David Oppenheim. Oppenheim stellte seine Sammlung, die Bücher aus allen Gattungen der jüdischen Literatur enthielt, mit großen Mühen und hohem finanziellem Aufwand zusammen. Er unternahm viele und oft weite Reisen, um seltene Bücher und Handschriften zu erwerben.179 Ein großer Teil seiner wertvollen Sammlung wurde ihm durch seinen Onkel, den Hoffaktor Samuel Oppenheimer in Wien, vermittelt, der im Gegenzug für seine Dienste von Prinz Eugen wertvolle hebräische Drucke aus der Hofbibliothek erhielt. Im Jahr 1715 umfasste die Sammlung David Oppenheims 7000 gedruckte Bände und 1000 Manuskripte. Weil er wegen der strengen Zensur in Prag befürchten musste, dass seine überwiegend wertvollen Bücher konfisziert 176 Vgl. zur zunehmenden Verbreitung privater Büchersammlungen und Bibliotheken im 18. Jahrhundert Pollack, Folkways, 7 f; Schochat, Ursprung, 61 f und Liberles, Schwelle, 99. 177 Wetzlar hat in seiner Jugend irgendwann zwischen 1700 und 1709 vier Jahre lang in der Talmudschule von Abraham Broda in Prag verbracht und erwähnt aus dieser Zeit in seinem Libes Brif auch David Oppenheim. Wetzlar hat zwar den rabbinischen Ehrentitel erworben, jedoch nie ein Rabbineramt bekleidet. Vgl. Rohrbacher, Isaak Wetzlar, 38 f und Feiner, Haskala, 37 ff. 178 Zur Bibliothek Isaak Wetzlars vgl. Rohrbacher, Isaak Wetzlar, 44 f und Feiner, Haskala, 38. 179 Andere Möglichkeiten zum Erwerb von Büchern fanden sich bspw. auf der Leipziger Messe, sowie durch reisende Händler, die von Gemeinde zu Gemeinde zogen und neben anderen Waren auch Bücher anboten. Vgl. Gries, Book, 21: „In the eighteenth century books were purveyed to the Jewish community by itinerant salesmen, some of whom were penniless writers, some virtually beggars, and others pedlars who sold their books alongside haberdashery and the like. These people played a key role in the distribution of popular literature.“ Katzenellenbogen gibt leider nicht an, auf welchen Wegen er in den Besitz seiner Bibliothek gekommen ist. Vermutlich wird er aber zum größten Teil auf solche Angebote reisender Händler angewiesen gewesen sein, da er nicht über die finanziellen Mittel verfügte, die beispielsweise David Oppenheim mit Hilfe seiner reichen Verwandtschaft für den Ausbau seiner Büchersammlung verwenden konnte.
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Katzenellenbogens Bibliothek
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oder beschädigt würden, sah Oppenheim sich jedoch gezwungen, seine Bibliothek in das Haus seines Schwiegervaters Leffmann Behrens nach Hannover zu verlagern. Nach dem Tod David Oppenheims kam dessen Bibliothek zunächst an seinen Sohn Joseph und danach in verschiedene andere Hände, bis sie 1829 schließlich von der Universität Oxford aufgekauft wurde und heute Teil der Bodleian Library ist.180
180 Zur privaten Bibliothek David Oppenheims vgl. Parˇk, History, 17; Pollack, Folkways, 8; Klemperer, Rabbis, 150 f; Lçwenstein, David Oppenheim, 545ff, und Lieben, David Oppenheim, 26 ff.
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7. Resümee. Hüter der Tradition Das Selbstzeugnis Yesh Manchilin von Pinchas Katzenellenbogen dient seinem Verfasser vor allem dazu, familiäre Traditionen, Erinnerungen und Werte für die Nachkommen zu bewahren. Katzenellenbogen fungiert als Hüter der Tradition, wenn er in einem Prozess der Auswahl und schriftlichen Konservierung identitätsstiftender Informationen sein Werk als ethisches Testament mit autobiographischen Zügen verfasst. Er verfolgt den Anspruch, Identitätsstiftendes über die eigene Lebenszeit hinaus und für einen jeweils größeren Trägerkreis im Raum seiner Familie zu bewahren (cultural gatekeeping). Vor allem drei Bereiche sind dafür konstitutiv : – Katzenellenbogen geht es zunächst vor allem um die vom Vater übernommenen Traditionen und Bräuche, die für die eigene Familie verbindlich sind. – In ausführlichen Erinnerungen der Familiengeschichte(n) geht es ihm um das Bewusstsein der Zugehörigkeit zum generationsübergreifenden Band der Familie. Die vornehme familiäre Abstammung ist ein wichtiges Thema. Hierzu gehört auch das Familienwissen über die Geschicke und die Ehrbarkeit der Vorfahren. Der hohe Stellenwert, der den Schiduchim beigemessen wird, zeigt, dass das Anliegen, diese Ehrbarkeit auch für die nachfolgenden Generationen bewahrt zu wissen, höchste Priorität genießt. – Schließlich geht es Katzenellenbogen um den Wert der traditionellen Gelehrsamkeit. Die Darstellung seines eigenen Ausbildungsweges sowie seiner lebenslang fortgeführten Beschäftigung mit den traditionellen Texten nimmt breiten Raum ein. Angesichts einer unter den Zeitgenossen verbreiteten Entwicklung, Quellentexte zu Gunsten kompilatorischer Zusammenfassungen zu vernachlässigen, warnt Katzenellenbogen vor einer Geringschätzung der Grundlagen jüdischer Tradition. Aus dem Bewusstsein einer vor allem in diesen drei Bereichen zum Ausdruck kommenden Ehrbarkeit ergibt sich für Katzenellenbogen eine Verpflichtung bzw. ein Anspruch, den er nicht nur an sich selbst, sondern auch an seine Nachkommen richtet. Hierin begründet sich die Mitteilungsabsicht, die Katzenellenbogen zum Verfassen seines Selbstzeugnisses drängt. Diese ist geprägt von dem Anspruch, normative Richtungsweisung für die Zukunft zu geben. Die Formulierung „Damit es der folgenden Generation Zeichen und Vorbild sei“ (YM, § 65, 166), bringt dieses Anliegen deutlich zum Ausdruck. Dabei legt Katzenellenbogen primär deskriptiv und im Modus der Rückschau dar, was im Rahmen der Wahrung der eigenen Identität auf Zukunft hin zu bewahren ist.
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Katzenellenbogen geht es um die Einschreibung in größere kollektive Zusammenhänge und soziale Beziehungsgefüge. Bei seinem Selbstzeugnis steht entsprechend nicht der Verfasser als einzelnes Individuum im Mittelpunkt, sondern er definiert sich gerade über seine Zugehörigkeit als Teil eines Beziehungsgefüges, der Familie. Im Sinne von Bar-Levav, der bei ethischen Testamenten nicht von Ego-Dokumenten, sondern von „superego-documents“ spricht, kann auch Yesh Manchilin demnach als Superego-Dokument bezeichnet werden. Es geht nicht um die Definition einer individuellen, sondern vielmehr um die Bewahrung einer kollektiven Identität. Dabei ist der Bezugsrahmen von Katzenellenbogen die Familie. In bereits fortgeschrittenem Alter hält Katzenellenbogen schriftlich fest, was er seinen Nachkommen als geistiges Erbe und als Orientierung mit auf den Weg geben will. Seine Intention ist es, seine Kinder auf diese Weise zu ermutigen, den Wegen ihres Vaters und ihrer Vorväter zu folgen. Katzenellenbogen schreibt ausschließlich für seine Kinder und Nachkommen, an die er sich persönlich wendet. Katzenellenbogens Yesh Manchilin ist dabei auch aus dem Kontext der historischen Entwicklungen der Zeit heraus zu verstehen, in der es entstanden ist. Yesh Manchilin setzt sich mit einer Gefährdung der Familien-Identität auseinander, die durch den Verlust der Familientradition, der Familienerinnerung und des für die Ehrbarkeit der Familie zentralen Wertes der Gelehrsamkeit befürchtet wird. Dabei lassen sich die konkreten Gefahren, die Katzenellenbogen vor Augen stehen, nur indirekt erschließen. Die Notwendigkeit zum Bewahren von Familientradition ist sowohl vor dem Hintergrund des Abrisses von Familienerinnerung, als auch vor dem Hintergrund der Pluralisierung und damit auch einer Liberalisierung von Traditionen zu verstehen: – Katzenellenbogen orientiert sich in seinem Schreiben, ausdrücklich an dem Vorbild der ethischen Testamente der Horowitz-Familie, in denen vor allem Sabbatai Scheftel Horowitz die Katastrophe der Chmielnicki-Pogrome als Gefahr für den Erhalt von Familientradition (und damit für die durch die Familie verkörperte Identität) anführt. Entsprechend gilt Katzenellenbogens Sorge dem Vergessen bzw. dem In – Vergessenheit-Geraten von die Familie bislang prägenden Traditionen, Erinnerungen und Werten. Der vom Vater ererbte Ring, so ein prägnantes Beispiel, behält seinen Wert nur für den, der auch die Erinnerung an seine magische Wirkkraft bewahrt. – Neben dieser Bedrohung durch das Vergessen spielt bei Katzenellenbogen aber auch die zu seiner Zeit allgemein zunehmende Pluralisierung von Minhagim eine Rolle. Vor diesem Hintergrund muss der charakteristische eigene Minhag der Familie bewahrt und fortgeführt werden. Eine Abgrenzung gegenüber der nichtjüdischen Umwelt spielt für Katzenellenbogen kaum eine Rolle. Immer wieder geht es vielmehr um eine innerjüdische Profilierung von Identität, bzw. um die Wahrung differenzierter Identitäten innerhalb des Judentums. Gefährdungen für den Bestand von
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Resümee. Hüter der Tradition
Traditionen, Erinnerungen und Werten liegen für Katzenellenbogen nicht außerhalb, sondern zunächst innerhalb des aschkenasischen Judentums. Ihnen gegenüber tritt Katzenellenbogen in seinem Selbstzeugnis als Hüter (gatekeeper) der Tradition seiner Familie auf. Die Frage, ob eine Verschriftlichung von Traditionen, Erinnerungen und Werten wie sie in Yesh Manchilin vorgenommen wird, tatsächlich zu deren Erhalt beigetragen hat, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Katzenellenbogen will sein geistiges Erbe und die damit verbundene Identität seiner Familie durch die Verschriftlichung schützen und für die Zukunft festhalten. Möglicherweise leistete jedoch gerade die Verschriftlichung vormals mündlich überlieferter Erinnerungen und Traditionen letztlich eher der Erstarrung und damit der Schwächung dieser lebendigen Traditionskette. Vorschub. Katzenellenbogens Rolle als Hüter der Tradition, die ihm beim Abfassen seines Selbstzeugnisses zukommt, bleibt von jeder weiteren Entwicklung im Verlauf der Geschichte jedoch unberührt.
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Literatur
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9. Personen- und Ortsregister Personen und Orte in Auswahl. In Klammern angegebene Verwandtschaftsgrade beziehen sich auf Pinchas Katzenellenbogen (1691 – 1767), den Verfasser von Yesh Manchilin. Alfasi, Isaak ben Jakob (Rif) 209, 243, 257 Amsterdam 47, 80, 82, 90, 150, 207, 250, 252, 257 Ansbach 35–37, 39, 49–52, 148, 197, 210, 231, 235, 240f Aschkenasi, Leiser 155 Aschkenasi, Mordechai 41, 43–45 Aschkenasi, Mose 155 Aschkenasi, Zwi Hirsch 42, 69, 175f Bacharach, Jair Chajim ben Samson 185 Bacharach, Mordechai Samson 185f Bacharach, Mose Samson 54 Bamberg 32, 35, 37f, 186 Bär, Salman 198f Bär, Simon Akiba 44 Barcelona 89 Behrens, Isaak 65 Behrens, Leffmann 259 Beinish, Benjamin 43, 68, 98f, 121, 124–126, 141, 167, 196 Beirisch, Issachar 189, 243 Benevento, Emmanuel 144 Berechia, Aaron 142 Bing, Eisik 40 Bing, Mose 190 Bing, Simon 190 Bolechow (Birkental), Dov Ber 25, 27 Boskowitz 52, 55, 57–60, 63f, 69, 73, 85, 110, 124f, 127, 136, 142–144, 148, 157, 167, 196–199, 201, 242f, 257 Bräker, Ulrich 66 Brandeis, Gitel 83 Brandenburg-Ansbach 35
Breslau 35, 207 Brest-Litowsk 28–30, 87, 107, 154–156, 161, 163–165, 173f Brilin, Esriel 189 Brilin, Mose 187, 189 Brisker, Nahum 221 Broda 212, 258 Broda, Abraham 44, 48, 69, 84, 101, 153f, 179, 211–220, 222–224, 258 Brody 30, 87, 98 Brünn 16, 57f, 227 Brünn, Jockel 186, 250 Bunzlau, Elia 83 Busker, Hirsch 31, 155, 187 Busker, Löw 155 Busker, Mordechai 155 Cardoso, Abraham 41 Celle 213, 258 Chajim aus Burg Constadt (Richter) 140 Chajon, Nechemia 41 Chassid, Jehuda 41 Chassid, Mose 84, 232f Chelm 30, 87, 98, 100, 154, 156, 167f, 219 Chmielnicki, Bogdan 13, 15, 31, 33, 39, 178, 244, 261 Christiani, Paolo 89 Cohen, Raphael 54 Cordovero, Mose 44, 99, 104 David ben Ephraim (Gemeindevorsteher in Lemberg) 34 David ben Jehuda aus Wischnitz 89
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Personen- und Ortsregister
Drucker, David 29, 154, 163 Dubno 31, 155, 187 Edelmann, Zwi Hirsch 62 Edels, Samuel Elieser (Maharsha) 155, 219 Eibeschütz, Jonathan 41, 46f, 70, 225f, 243 Eliezer ben Isaac aus Worms 77 Emden, Jakob 25, 27, 42, 46f, 125f, 175, 178, 193, 226, 233, 254, 258 Eskeles, Bär 53, 185, 241f Eskeles, Esther 185 Eskeles, Gabriel 48, 53, 69f, 97, 102, 138f, 184–186, 189, 194, 211, 224, 226–230, 241, 245 Eskeles, Jakob 53, 97, 133, 157, 185 Falk, Arie Löw 190 Falk, Jakob Josua 190 Fano, Menachem Asaria di 104 Fiota, Sylvester 59 Fränkel, Benjamin Israel 65, 68, 191 Fränkel, Bermann 39, 44, 48, 50, 180, 209f, 215, 224, 251 Fränkel, David Isaak Seckel 39 Fränkel, Elkan 39 Fränkel, Gabriel Hirsch 38, 186 Fränkel, Hirsch 50 Fränkel, Mose Arie 65, 68 Frankfurt am Main 31, 80, 84, 105, 129, 131, 184, 190, 210f, 257 Frankfurt an der Oder 32, 229 Franz von Hatzfeld (Bischof) 55 Fromm, Hirsch 42f Fromm, Salomon (gen. Schneior) 40, 45 Fürth 31, 33, 35–46, 48f, 51, 60, 64, 69–71, 86, 95, 109, 124, 130, 134, 153f, 180, 182, 187–189, 197–201, 206f, 209f, 215, 221, 223f, 234, 240, 250 Fürth, Gabriel 186 Fürth, Löw 230 Furttenbach, Joseph 66
Galina, Mose ben Eliahu 121, 126 Gans, David 220, 233f Gans, Isaac Jacob 76f Georg der Fromme (Markgraf) 35 Georg Ludwig von Seinsheim 55 Gerondi, R. Nissim ben Ruben (RaN) 64 Glogau 136, 175 Gomperz, Salomon 258 Grodno 30, 155 HaCohen, Ephraim ben Jakob 176, 178 HaCohen, Tobias 126 Hagenau 32 HaLevi, David ben Samuel (Taz) 143 Halevi, Meir 32 Hameln, Glückel 16, 25–27, 66, 78, 82, 125, 186 Hannover, Hirsch 48, 224 Hannover, Nathan 207 Heilbronn 31 Heilbronn, Elieser (Großvater) 31, 34f, 38f, 44, 51, 60, 87, 111, 134f, 155, 180, 187, 197, 205f, 209 Heilbronn, Mordechai 31 Heinemann, Hugo 51, 60 Heinrich VI. (Kaiser) 28 Heller, Yomtov Lipmann 27, 53, 65 Heschel, Jehoschua 158 Hilman, R. (Studienfreund) 69, 223f Holleschau 71, 148, 170 Horowitz, Abraham 76, 81, 141, 248f, 253 Horowitz, Chajim Cheika 155 Horowitz, Jesaja 31, 37, 54, 79–82, 138, 142, 217, 236f, 248, 253 Horowitz, Jesaja ben Mose HaLevi 167 Horowitz, Pinchas 30, 70, 107, 154, 166f, 170 Horowitz, Sabbatai Scheftel 15, 37, 80–82, 84, 159, 202, 249, 261 Ibn Gabirol, Salomo 77 Ibn Pakuda, Bachja 254
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Personen- und Ortsregister Ibn Tibbon, Jehuda 77 Ibn Tibbon, Samuel 99 Isaak, Aaron 27 Isaak ben Samuel (aus Meiningen) 15 Isaak min HaLevijim 27 Isserles, Mose 29f, 81, 100f, 154–156, 159, 166, 209, 227, 233, 243 Jakob ben Ascher 91, 209, 227, 237, 243, 245, 249, 252, 257 Jakob ben Meir (Rabbenu Tam) 102 Jaroslaw 30f, 187 Jerusalem 41, 47, 52, 62f, 80, 99 Johann Adolph von Schwarzenberg (Graf) 55 Joseph aus Jerusalem 43, 106 Josephus, Flavius 27 Jossel, Joseph 32 Kaidanover, Samuel 45, 127 Kaidanover, Zwi Hirsch 127, 139f, 254 Kalisch 63, 191 Kanina, Eisik 184 Kanina, Wolf 184 Karl VI. (Kaiser) 16, 58 Karo, Joseph 91, 116, 155, 209, 243 Katalonien 89f Katz, Bezalel 183 Katz, Mordechai 258 Katz, Naphtali 31, 103–105, 147, 152f, 182–185, 193f, 211, 227 Katzenellenbogen, Bela (Schwester) 32, 44 Katzenellenbogen, Bela (Tochter) 49, 122, 190 Katzenellenbogen, Chajim 32 Katzenellenbogen, Elieser ben Jakob (Enkel) 54 Katzenellenbogen, Elieser (Bruder) 32 Katzenellenbogen, Gabriel (gen. Gabriel Marktbreit) (Sohn) 54, 127f, 143f, 190f, 195, 255–257 Katzenellenbogen, Hindel (Tochter) 54, 190
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Katzenellenbogen, Jakob (Sohn) 54, 75, 94, 190, 252, 255–257 Katzenellenbogen, Jenta (Tochter) 49, 122, 190 Katzenellenbogen, Lea (Tochter) 54, 191 Katzenellenbogen, Meir ben Isaak (Meir Padua/Maharam) 28f, 93, 100, 154–156, 158, 161 Katzenellenbogen, Meir ben Saul (UrUr-Großvater) 30f, 154, 156, 166, 179 Katzenellenbogen, Mose ben Meir (UrGroßvater) 30, 100, 154, 168 Katzenellenbogen, Mose ben Saul (Vater) 31, 33–35, 37, 39, 42, 46, 48, 50–52, 64, 68f, 86–88, 95, 98, 107f, 110–113, 126f, 130, 139, 149, 154–156, 166, 168, 170, 173, 179f, 182f, 187, 197, 199f, 207f, 211–215, 224, 235, 240 Katzenellenbogen, Naphtali Hirsch (Bruder) 32, 71, 74f, 148, 195, 197, 199, 208 Katzenellenbogen, Olek Sara (Tochter von Jakob Eskeles) (2. Ehefrau) 53, 60, 64, 66, 68, 70, 74, 124, 133, 142f, 157, 185, 189, 194f, 197, 239, 255 Katzenellenbogen, Pinchas ben Jakob (Enkel) 54 Katzenellenbogen, Pinchas (Großonkel) 88, 117, 167–169, 174, 182 Katzenellenbogen, Rachel Sara (Schwester) 32, 71, 191f, 198 Katzenellenbogen, Rachel (Tochter) 54 Katzenellenbogen, Rebekka Esther (Tochter) 54, 60, 66, 68, 70, 74, 85, 121f, 124, 133f, 136, 142f, 190f, 195f, 198, 239 Katzenellenbogen, Sa’adja Jesaja (Onkel) 32, 68, 71, 87, 101, 103, 106, 147f, 153, 159, 170, 180, 183f, 191 Katzenellenbogen, Salomo Salman (Bruder) 32 Katzenellenbogen, Samuel Jehuda (Je-
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Personen- und Ortsregister
huda Padua) 29, 100, 154–156, 158, 161, 163–166 Katzenellenbogen, Sara Lea (Mutter) 31, 51, 70, 117, 197, 200, 202, 235 Katzenellenbogen, Sara Rachel (Tochter von Jakob Oettingen) (1. Ehefrau) 48f, 53, 121f, 124, 187, 189, 194, 229, 231 Katzenellenbogen, Saul ben Mose (Großvater) 30f, 68, 87f, 98, 103, 106, 116, 147, 154, 168 Katzenelnbogen, Graf Diether von 28 Katzenelnbogen (Ortsbezeichnung) 28f Koblenz 185 Krakau 30, 53, 80f, 85, 107, 147, 154f, 161, 166, 219, 233, 257 Krakauer, Salomo 216 Krakauer, Samuel 48, 69f, 84, 149, 183, 215f, 219 Krochmal, Menachem Mendel 68, 150–152, 166, 246 Krochmal, Menachem Mendel (ca. 1600 – 1661) 85f Ladislaus (König) 58 Landsofer, Jona 69, 78, 83–85, 118, 148f, 216, 232f, 239, 249 Leimen 32 Leipnik 52–55, 58, 110, 125, 133, 138, 148, 186, 196, 201, 235, 240f Lemberg 34, 43, 178, 180f, 205 Lemberg, Mose ben Aaron 182 Leopold I. (Kaiser) 37, 54, 176 Levy, Ascher 25, 27, 204 Lichtenstadt, David („Jüngling“) 70, 146, 149, 234 Lipschitz, Mose 155 Litauen 15, 30, 33, 59, 161, 206 Löw, Arie Jehuda 68, 85, 127–130, 166 Löw, Jehuda ben Bezalel (Maharal) 54, 83, 85, 157, 166, 226, 233, 246 Löw, Mordechai ben Jehuda Aschkenasi 42
Löw, Sinai ben Bezalel 157 Lublin 30, 33f, 88, 154, 156, 158, 161, 168f, 174, 219, 257 Ludwig der Bayer 28 Luria, Isaak 42, 44, 70, 98f, 104, 106, 114 Luria, Jehiel 28 Luria, Salomo 29, 99f, 156, 219, 243 Mähren 15f, 52, 54f, 58f, 65, 150, 155, 178, 226, 240 Maimon, Salomon 26 Maimonides (Mose ben Maimon) 98f, 155, 202f, 209, 215, 228, 232, 239, 243f, 257 Mainz 15, 29 Maisel, Mordechai 218, 220 Mannheim 32, 208 Mantua 42, 144 Maria Theresia (Kaiserin) 15f, 65, 68 Marktbreit 51f, 54–57, 64, 86, 88, 125, 133, 138, 190, 196, 235, 240f Meir aus Lublin 80 Mendelssohn, Moses 77 Mergentheim 32, 208 Meseritsch 31, 148, 170 Metz 30, 48, 210f, 222 Michel von Dornberg 36 Minsk 38, 127 Minz, Abraham ben Jehuda 29, 154 Minz, Jehuda ben Elieser 29 Minz, Samuel Jehuda 154 Modena, Leone da 25–27 Nachmanides (Mose ben Nachman) 89f Nathan von Gaza 32, 41, 45, 47 Nero, Löw 190 Niederwerrn, Isachar 33 Nikolsburg (Mikulov) 32, 44, 48f, 53–55, 57, 70, 85, 97, 102, 127, 139, 143f, 149f, 152, 157, 180, 182, 185f,
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Personen- und Ortsregister 190–192, 201, 209, 211, 221, 224–226, 228–231, 243, 250, 255 Nürnberg 35, 49f, 60 Oettingen 49, 52, 54, 64f, 71, 75, 154, 199, 231, 235 Oettingen, Jakob 48f, 54, 64, 89, 154, 185–189, 229, 235, 241 Olmütz 16, 58 Oppenheim, David 44, 48, 65, 69, 179, 185, 193, 211–213, 215, 217f, 222, 224, 226, 251, 258f Oppenheim, Sara 193 Oppenheimer, Emanuel 258 Oppenheimer, Joseph Süß 258 Oppenheimer, Samuel 56, 258 Ostrow 31, 182, 197 Ostrow, Löw 227 Padua 29, 126, 129, 154, 156, 158, 163 Papiers, Meir 71 Perlhefter, Beer Eibeschütz 41 Philipp Ernst Christfels Siehe Schemaja, Mordechai ben Mose 44 Pinczow 30f, 87, 98, 147, 154, 181 Podhajce 32–34, 48, 51, 204 Polen 15, 29, 31, 33, 59, 87, 89, 104, 159, 162f, 165f, 173, 175, 178f, 182f, 206f, 212f, 237 Pollak, Jakob 29, 157 Poppers, Jakob 54 Posen 30f, 154, 156f Prag 29, 35, 37, 41, 44, 48, 53f, 57, 69f, 80, 82–85, 100, 127, 129, 148f, 157, 159, 166f, 170f, 175, 178–181, 184f, 187, 191, 193, 201, 207, 209–218, 220–225, 230, 233, 250f, 258 Prˇemysl Ottokar II. (König) 167 Przemys´l 30f, 155, 179 Pullitz, Gerson ben Mose 32, 144 Radziwill, Nikolaus Christoph (Fürst) 163 Rapoport, Baruch 48, 135, 153, 224 Raschi 102, 156, 208, 246, 253
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Raschi (Salomo ben Isaak) 102 Reiss, Jechiel 89 Ribiditscher, Löw 155 Riesser, Gabriel 29, 54 Rosheim, Josel 25–27 Rousseau, Jean-Jacques 21, 26 Rovigo, Abraham 41–46, 109 Sagall, R. Bermann 251 Salman aus Prag (Arzt) 128 Schachor, Samuel 155 Schaffa 53, 133, 190 Schemaja, Mordechai ben Mose 42 Schlesien 16, 58, 65 Schnaittach 36, 39, 210 Schneior, Abraham 38–40, 42, 45, 197, 207, 240 Schneior, Joseph 38 Schor, Henle (geb. Wahl) 154, 173f, 196 Schor, Hirsch 154f Schor, Jakob 30, 154, 174, 196, 202 Schor, Salman 154f, 173f Schulhof, Anschel 100 Schulhof, Jakob 48, 100f, 179f, 193, 213, 218 Schulhof, Jona 100, 159, 211, 213, 225, 251 Schwabach 32, 37, 41, 49–52, 60, 71, 75, 86, 112, 133, 189, 197, 200, 231, 235, 240f Schwabach, Abraham 32, 71, 144, 192 Schwabach, Joseph Rosel 192 Seligmann, Isaak Zeckendorf 32, 40, 44f, 47 Sigismund I. (König) 30 Sigismund III. (König) 161 Simcha aus Boskowitz (Schochet) 63f Simson ben Joseph (Rabbiner in Fürth) 37 Sirkes, Joel 257 Sofer, Löw 223f Spanien 89, 175, 254 Spiro, Wolf 211, 222 Sulzberger, Löw 71, 192
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Personen- und Ortsregister
Teomim, Aaron 147 Teomim, Chajim Jona 30f, 48, 64, 100, 179 Teomim, Jakob (Schulhof) 100 Teomim, Jona 193 Teomim, Josua Feibel (gen. Przemys´l) 179–181, 183, 193, 211 Tiberias 80, 99 Tomaszow 31, 34f, 88, 168, 205f, 250 Ungarn
58
Venedig 29, 41, 44, 126, 207 Vital, Chajim 99 Wagenseil, Johann Christoph 41 Wahl, Saul 29–31, 48, 69, 87, 100, 107, 154–156, 161–164, 166, 170, 173–175, 179, 196, 202, 224 Wallerstein 52f, 99, 102, 124, 189, 235
Wallerstein, Mose HaLevi (1517 – 1600) 53 Wertheimer, Samson 56, 189 Wertheimer, Samuel 56, 258 Wetzlar, Isaak 213, 222, 254, 258 Wien 37, 39, 50, 53f, 56, 84, 128, 130, 150, 178, 185, 237, 258 Wilhelm Friedrich von Ansbach (Markgraf) 39 Wilna 127, 154, 178, 211 Wischnitz, David 88f Wladislaw IV. (König) 33 Wolf, Isaak 125 Wolf, Mose 38 Worms 77, 185, 210f Yagel, Abraham
27
Zacuto, Mose 41 Zeckendorf 32, 44 Zwi, Sabbatai 40f, 46–48, 71, 226
© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570234 — ISBN E-Book: 9783647570235
Jüdische Religion, Geschichte und Kultur (JRGK) Band 11: Rebekka Voß
Umstrittene Erlöser Politik, Ideologie und jüdisch-christlicher Messianismus in Deutschland, 1500-1600 2011. 272 Seiten mit 14 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-56900-9
Band 10: Sylvie Anne Goldberg
Zeit und Zeitlichkeit im Judentum Aus dem Französischen von Marianne Mühlenberg. 2009. 630 Seiten mit 14 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-54000-8
Band 14: Na`ama Sheffi
Vom Deutschen ins Hebräische Übersetzungen aus dem Deutschen im jüdischen Palästina 1882-1948 Übersetzt von Liliane Meilinger. Mit einem Vorwort von Shulamit Volkov. 2011. 219 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-56938-2
Band 9: Tamar Lewinsky
Displaced Poets Jiddische Schriftsteller im Nachkriegsdeutschland, 1945–1951 2008. 288 Seiten mit 5 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-56997-9
Band 8: Barbara Rösch
Band 13: Stefan Siebers
Der Judenweg
Der Irak in Israel
Jüdische Geschichte und Kulturgeschichte aus Sicht der Flurnamenforschung
Vom zionistischen Staat zur transkulturellen Gesellschaft 2010. 120 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-56937-5
2009. 491 Seiten mit 9 Abb., 9 Karten und 2 Tab., gebunden ISBN 978-3-525-56998-6
Band 12: Thekla Keuck
Hofjuden und Kulturbürger Die Geschichte der Familie Itzig in Berlin 2011. 552 Seiten mit 18 s/w und 2 Farbabb. sowie zwei Stammbäumen, gebunden ISBN 978-3-525-56974-0
© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570234 — ISBN E-Book: 9783647570235
Jüdische Religion, Geschichte und Kultur (JRGK) Band 4: Israel Jacob Yuval
Zwei Völker in deinem Leib Gegenseitige Wahrnehmung von Juden und Christen in Spätantike und Mittelalter Aus dem Hebräischen von Dafna Mach. 2007. 304 Seiten mit 6 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-56993-1
Band 3: Michael Brenner / Gideon Reuveni (Hg.)
Emanzipation durch Muskelkraft Juden und Sport in Europa 2006. 272 Seiten mit 10 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-56992-4
Band 7: Annkatrin Dahm
Der Topos der Juden Studien zur Geschichte des Antisemitismus im deutschsprachigen Musikschrifttum
Band 2: Andrea Schatz
Sprache in der Zerstreuung Die Säkularisierung des Hebräischen im 18. Jahrhundert
2007. 388 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-56996-2
2009. 304 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-56991-7
Band 6: Mirjam Triendl-Zadoff
Band 1: Joachim Schlör
Nächstes Jahr in Marienbad Gegenwelten jüdischer Kulturen der Moderne 2007. 246 Seiten mit 8 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-56995-5
Das Ich der Stadt Debatten über Judentum und Urbanität, 1822–1938 2005. 512 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-56990-0
Band 5: Marcus Pyka
Jüdische Identität bei Heinrich Graetz 2008. 333 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-56994-8
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