Spielräume des Handelns und der Erinnerung: Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern und der Nationalsozialismus 9783666557682, 9783525557686


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Spielräume des Handelns und der Erinnerung: Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern und der Nationalsozialismus
 9783666557682, 9783525557686

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Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Siegfried Hermle und Harry Oelke

Reihe B: Darstellungen Band 50

Vandenhoeck & Ruprecht

Spielräume des Handelns und der Erinnerung Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern und der Nationalsozialismus

Herausgegeben von Berndt Hamm Harry Oelke Gury Schneider-Ludorff

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-55768-6 Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern © 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: textformart, Daniela Weiland, Göttingen Druck und Bindung: w Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Harry Oelke Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Bedingungen kirchlichen Handelns Manfred Gailus Protestantismus und Nationalismus in der Kriegs- und Zwischenkriegszeit 1914–1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Christoph Link Kirchenrechtliche Spielräume kirchenleitenden Handelns im „Dritten Reich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

Spielräume kirchlichen Handelns Berndt Hamm Landeskirchliche Normalität und exponierte Positionen in der Einstellung bayerischer Lutheraner zum Nationalsozialismus . . . . 71 Helmut Baier Landesbischof Meiser und sein Umfeld. Netzwerke kirchenleitenden Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Siegfried Hermle Spielräume kirchenleitenden Handelns – Marahrens, Meiser, Wurm im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

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Inhalt

Bayerische Kirchengemeinden im „Kirchenkampf“ Lokale Fallbeispiele Maike Goldhahn Die Kirchengemeinde Geilsheim im „Kirchenkampf“ 1933–1939 . . . . . 155 Herbert Sörgel Die evangelische Kirchengemeinde Flossenbürg in der Zeit des Nationalsozialismus – mit besonderer Rücksichtnahme auf ihr Verhältnis zum KZ-Lager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Thomas Greif Der Flaggenstreit zum „Frankentag“ auf dem Hesselberg . . . . . . . . . . . . 171 Claudia Lepp Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

Erinnerung an kirchliches Handeln Björn Mensing Zum Umgang mit der Schuldfrage in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern nach 1945 . . . . . . . . . . . 189 Harry Oelke Kirchliche Erinnerungskultur im evangelischen Bayern: Landesbischof Hans Meiser und der Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . 205

Schlussbetrachtung Berichte der Beobachter der Tagung über die Zeit des Nationalsozialismus Wolfgang Kraus Spielräume des Handelns und der Erinnerung. Ein Beobachterbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Hartmut Lehmann Kriterien zur Beurteilung der Lebensleistung von Bischof Hans Meiser. Ein Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

Inhalt

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Berichte der Beobachter der Tagung über die Zeit nach 1945 Susannah Heschel No Time for Neutrality . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Jens Holger Schjørring Hans Meiser als Kirchenführer nach 1945. Beobachtungen aus ökumenischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Herausgebende, Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

Vorwort

Nachdem die Erinnerung an den ehemaligen Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Hans Meiser (1881–1956, Bischof 1933–1955), im Gedenkjahr 2006 zu bedrückenden Einsichten und scharfen Konflikten geführt hatte, gab Landesbischof Dr. Johannes Friedrich den Anstoß zu einer wissenschaftlichen Tagung, die sich dieser Thematik widmen sollte. Nach sorgfältiger Vorbereitung fand diese internationale und interdisziplinäre Tagung vom 17.  bis 19.  Oktober 2008 in den Räumen der Evangelischen Stadtaka­ demie München statt. Der Ertrag der Tagung wird in dem vorliegenden Band publiziert. Veranstalter und Organisatoren der Tagung waren das Münchener Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, das die Finanzierung trug, und die drei für den Bereich der Neueren Kirchengeschichte zuständigen Lehrstühle an den theologischen Ausbildungsstätten der Landeskirche: Erlangen (Prof. Dr. Berndt Hamm), München (Prof. Dr. Harry Oelke)  und Neuendettelsau (Prof. Dr. Gury Schneider-Ludorff ). Die inhaltliche wissenschaftliche Verantwortung für die Tagung trugen allein die drei Lehrstühle, die in dieser Hinsicht völlig freie Hand hatten und an keinerlei kirchliche Vor­ gaben gebunden waren. Bei der Planung der Tagung ergab sich sehr schnell ein grundlegender Konsens darüber, dass die Themenstellung nicht auf die Person Bischof Meisers verengt werden dürfe, sondern dass sein Denken und Verhalten im Zusammenhang der unterschiedlichen landeskirchlichen Akteure und im Vergleich mit anderen Landeskirchen zu untersuchen sei. Um rückblickend die damaligen Spielräume seines Gestaltens ausloten zu können, müsse man auch die mentalen, kirchenrechtlichen und theologischen Koordinaten berücksichtigen, seine Einbindung in die Netzwerke kirchenleitender Personen, die Haltung der Gemeinden und die Bandbreite der damals in der bayerischen Landeskirche real vorhandenen Einstellungen zum Nationalsozialismus zwischen der Forderung nach völliger ‚Gleichschaltung‘ und einem klarsichtigen Widerstand. Einigkeit bestand auch darüber, dass selbstverständlich die Zeit vor 1933 und nach 1945 intensiv berücksichtigt werden müsse, und dabei nicht nur die erste Phase der Nachkriegsgeschichte, sondern auch die Etappen der unser Geschichtsbild formenden Erinnerungskultur bis zur Gegenwart.

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Vorwort

Wir danken der Kirchenleitung, insbesondere dem Landesbischof und dem für die Koordination der Planung im Landeskirchenamt zuständigen Kirchenrat Dr. Hartmut Hövelmann, dass unsere konzeptionellen und personellen Wünsche hinsichtlich des wissenschaftlichen Profils der Tagung in bestem Einvernehmen umgesetzt werden konnten. Insbesondere fand auch unser Wunsch, internationale Beobachter zur Kommentierung einzuladen und einer beachtlichen Zahl von Studierenden aus unseren Hochschulen die Teilnahme zu ermöglichen, bereitwillige Aufnahme. Im Büro des Landesbischofs erwies sich vor allem Frau Renate Wörl als umsichtige und stets hilfsbereite Planungspartnerin. Ihr danken wir ebenso herzlich wie Kirchenrätin Dr. Barbara Hepp und Pfarrerin Jutta Höcht-Stöhr, der Leiterin der Evangelischen Stadtakademie München. Nicht zuletzt aber gebührt unser großer Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an den Lehrstühlen, die sich um die sorgfältige redaktionelle Gestaltung des Tagungsbandes verdient gemacht haben: Heidrun Munzert und Charlotte Schnitzlein in Erlangen, Dr. Tim Lorentzen, Martina Niederkofler und Philipp Stoltz in München, Susanne Schenk und Tobias Jammerthal in Neuendettelsau. Den Herausgebern der Reihe „Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte“ danken wir für die Aufnahme des Bandes und dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die bewährte zuverlässige Betreuung der Drucklegung. Wir drei haben die Zeit der Tagungsplanung, die Münchener Tagung selbst und nun auch die Phase der Drucklegung als eine Zeit des fruchtbaren fach­ lichen Austausches und eines einvernehmlichen menschlichen Miteinanders erfahren. Dafür sind wir sehr dankbar. Erlangen / München / Neuendettelsau, im Januar 2010 Berndt Hamm   Harry Oelke   Gury Schneider-Ludorff

Harry Oelke

Einleitung

1. Die Vorgeschichte Der vorliegende Band dokumentiert die Ergebnisse der Tagung „Spielräume des Handelns und der Erinnerung  – Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern und der Nationalsozialismus“, die auf Initiative und durch die Finanzierung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 17. bis 19. Oktober 2008 in der Evangelischen Stadtakademie in München stattfand. Angesichts der drei Jahre zuvor in München, Bayern und darüber hinaus erneut aufgekommenen erinnerungspolitischen Debatte über den vormaligen Landesbischof Hans Meiser und dessen Rolle in der nationalsozialistischen Zeit hatte die bayerische Landeskirche vorgeschlagen, das Wirken Meisers und der Evangelischen Kirche in Bayern in der nationalsozialistischen Zeit zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Fachtagung zu machen. Unbenommen des zwischenzeitlich vom Rat der Stadt München gefassten Beschlusses, die Meiser-Straße, die auch das Landeskirchenamt beherbergt, umzubenennen1, wurde das Tagungsprojekt von seiten der Kirche weiter verfolgt. Die Landeskirche trat dann 2007 an die kirchengeschichtlichen Institute der drei evangelischen theologischen Ausbildungseinrichtungen Bayerns in München, Erlangen und Neuendettelsau heran mit dem Ziel, diese als Kooperationspartner für die Tagung zu gewinnen. Eine klare Zweiteilung der Verantwortlichkeiten wurde angestrebt: Den organisatorischen Rahmen einerseits sollte die ELKB als Aufgabe übernehmen, für die konzeptionelle Vorbereitung und Programmgestaltung andererseits sollten die theologischen Ausbildungsstätten verantwortlich zeichnen. Von wissenschaftlicher Seite wurde der Meiser-Problematik eine Relevanz beigemessen, die in exemplarischer Weise weit über den bayerischen Kontext hinaus von Bedeutung ist. Auf dieser Grundlage haben die Institute die Tagung in wissenschaftlicher Eigenverantwortung realisiert.

1 Beschluss der Vollversammlung des Münchener Stadtrats auf Antrag Nr. 02–08 / A 03489 von Bündnis 90 / Die Grünen / Rosa Liste-Fraktion (30. 1. 2007) mit den Stimmen der SPD-Fraktion, Oberbürgermeister Ude, Bündnis 90 / Die Grünen / Rosa Liste, Stadtrat Offmann, Die Linke /  PDS vom 18. Juli 2007.

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Harry Oelke

2. Das Tagungsprojekt Die inhaltlichen Leitperspektiven der Tagung lassen sich in mindestens dreierlei Hinsicht konkretisieren: (1) Handlungsspielräume Die Tagung war an der Vermessung der Spielräume für das kirchenleitende Verhalten in der NS-Zeit interessiert. Dieses Anliegen gewinnt seine Relevanz vor dem forschungsgeschichtlichen Hintergrund. Nachdem seit Mitte der 70er Jahre und zuletzt im Zusammenhang mit den öffentlich geführten Diskus­ sionen um Meiser 1998/99 und seit 2005 die konkreten Fakten zum Wirken des Landesbischofs in der NS-Zeit und danach sukzessive zusammengetragen worden waren2, schien es naheliegend – nicht zuletzt auch mit Blick auf die jüngere Forschungsdiskussion in der Kirchlichen Zeitgeschichte  – durch die Tagung zunächst die kontextuellen Bedingungen für das kirchenleitende Verhalten herauszuarbeiten. Die sog. Kirchenkampfforschung, jahrzehntelang selbst von Protagonisten des Kirchenkampfes maßgeblich mitbestimmt, hatte lange Zeit nach 1945 sehr personenzentriert, dabei bisweilen mit apologe­ tischem Unterton, die Grenzlinien zwischen den kirchenpolitischen Lagern herausgestellt, um daran theologisch, kirchenpolitisch und moralisch gutes von verwerflichem Handeln der Kirche in der NS-Zeit zu unterscheiden. Die Ergebnisse dieser Forschungsphase liegen heute vor: in Gestalt eines umfangreichen biographischen Wissens und in Form einer vergleichsweise detaillierten Einsicht in den kircheninstitutionellen Verlauf des Kirchenkampfes3. Die jüngere Forschung zur kirchlichen Zeitgeschichte hat über die Kirchenkampfforschung hinausgehend den Nationalismus des 19.  Jahrhunderts als milieuprägende Determinante des Protestantismus auch im 20.  Jahrhundert problematisiert4. Seit geraumer Zeit drängt man über die Ergebnisse der Kirchenkampfforschung hinaus und setzt auf eine weiter gehende Differenzierung, indem bisher vernachlässigte Fragestellungen und Themenfelder berücksichtigt werden. Dazu gehören etwa die Fragen, die sich mit dem Krieg verbinden, zudem das Themenfeld „Christlicher Widerstand“ in seinen vielfältigen 2 Die bereits vorliegende Meiser-Literatur ist ungeachtet aller noch lichten Forschungsfelder beträchtlich. Vgl. die Nachweise v. a. in Herold / Nicolaisen, Meiser, jew. am Ende der Einzel­ beiträge; Braun, Meiser; darin noch nicht berücksichtigt v. a. Nicolaisen, Meiser; A. Müller, Meiser; und G. Müller, Landesbischof. 3 Vgl. besonders die Nachweise bei Mehlhausen, Nationalsozialismus, 71–78; Oelke, Nationalsozialismus, 1600 f.; Meier, Literatur; hilfreich auch Wolf, Kirchengeschichte, 431–434. 4 Vgl. dazu den Beitrag von Manfred Gailus in diesem Band.

Einleitung

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Formen und graduellen Abstufungen, vor allem aber im Hinblick auf die ethischen Muster, die darin zum Tragen kommen5. Die Münchener Tagung steht im Zusammenhang mit diesen Forschungs­ bemühungen. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass in totalitären Herrschafts­ formen ein eindimensionales Denken und Verhalten bei den Untertanen durch die Machthaber zwar angestrebt wird, aber de facto immer eine Variationsbreite des Denkens und Handelns möglich ist. Der Druck zur Gleichschaltung aller Lebensbereiche durch die Nationalsozialisten war immens, auch für die Kirchen, aber dennoch öffneten sich Nischen vergleichsweise selbstbestimmten Handelns. Die Tagung fragte nach diesen Spielräumen für kirchenleitendes Handeln im Zeichen der NS-Herrschaft: Welche Handlungsalternativen, welche Optionen und welche Nischen lassen sich ausmachen für diejenigen – etwa im kirchenrechtlichen Raum6 –, denen nicht an einer gradlinigen Übertragung der NS-Ideologie in den Raum der Kirche gelegen war? In diesem Zusammenhang können für die NS-Zeit in Bayern die nationalen Einstellungsdispositionen im Protestantismus, die komplizierten kirchenrechtlichen Spielräume im kirchenleitenden Amt, das Spektrum kirchenpolitischer und theologischer Positionen in Bayern von Interesse sein. Die hier zutage geförderten Ergebnisse dienen einem kontextuellen und differenzierten Verstehen des Verhaltens des damaligen Landesbischofs und seiner Kirche im Rahmen seiner bzw. ihrer Möglichkeiten und Beschränkungen. Auf dieser Grundlage werden sich die berührten Problemfelder zukünftig angemessener bewerten lassen. (2) Komparatistik Die Tagung zielte zweitens darauf ab, sachbezogene Erkenntnisse durch das methodische Mittel des Vergleichs zu gewinnen. Die Zusammenschau der tatsächlich realisierten Handlungsmodelle in der NS-Zeit erlaubte eine fundierte Einschätzung und Bewertung derselben. In dieser Hinsicht war es aufschlussreich, welche verschiedenen theologischen und kirchenpolitischen Positionen zum Nationalsozialismus sich in Bayern herausgebildet haben7. Auch die Helfer und Helfershelfer in den Netzwerken des kirchlichen Leitungspersonals wurden daraufhin vergleichend untersucht8. Aufschlussreich war es ferner, das Verhalten der Bischöfe in den drei sog. intakten Landeskirchen – neben Meiser in Bayern noch Theophil Wurm in Württemberg und August

5 Vgl.

zum Ganzen Hermle, Tendenzen. dazu den Beitrag von Christoph Link in diesem Band. 7 Vgl. dazu den Beitrag von Berndt Hamm in diesem Band. 8 Vgl. dazu den Beitrag von Helmut Baier in diesem Band. 6 Vgl.

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Harry Oelke

Marahrens in Hannover  – einmal im Hinblick auf ganz konkrete kirchen­ historische Situationen ver­gleichend nebeneinander zu stellen. Hier waren die Spielräume kirchlichen Handelns konkret zu erkennen9. Auch der Blick auf die kirchengemeindliche Basis war hier hilfreich, denn die häufig simplifizierende Rede von „dem“ Verhalten „der“ evangelischen Kirche in der NS-Zeit lässt sich differenzieren, wenn verschiedene Verhaltenweisen von Kirchengemeinden komparatistisch nebeneinander gestellt werden. Hier gilt es Versäumnisse der Kirchenkampfforschung aufzuarbeiten. Denn die Verhältnisse außerhalb der Amtskirche in den Kirchengemeinden und im Alltagsleben von Gemeindechristen sind lange Zeit notorisch übersehen worden. Eins steht fest: Die Geschichte der Laien in der NS-Zeit ist bis heute ungeschrieben. Die Tagung unternahm einen kleinen Versuch, in diese Richtung weiterzu­ kommen. In Kurzbeiträgen wurden Einstellungsdispositionen und kirchliches Verhalten in verschiedenen Gemeinden vergleichend nebeneinander gestellt. Auf diese Weise konnten exemplarisch tiefere Einblicke das kirchliche Verhalten während der NS-Zeit, in seine Spielräume und Grenzen erfolgen10. (3) Problemhorizont über „1945“ hinaus Die Tagung wollte schließlich drittens den zeitlichen Horizont des Problemfeldes über das Jahr 1945 hinaus ausweiten. Die Beschäftigung mit kirch­licher Zeitgeschichte gewinnt in dem Maße an Bedeutung, wie es gelingt, die Kontinuitäten und Diskontinuitäten der NS-Zeit für die sich anschließende Zeitspanne deutlich zu machen. Besonders im Hinblick auf die Frage nach der „Schuld“ der durch Deutsche verübten Verbrechen der NS-Zeit, die in die Nachkriegszeit und darüber hinaus wirkt, bleibt die NS-Zeit eine Herausforderung – auch für die bayerische Kirche nach 194511. In der Weise, wie man sich der NS-Zeit und ihren kirchlichen Protagonisten von einst nach 1945 in der Erinnerung zuwendet, spiegelt sich das kollektive Gedächtnis der Kirche. Dabei können auch disparate Identitäten in der Kirche erkennbar werden. Die Beschäftigung mit der Schuldfragen-Diskussion und mit der kultivierten Erinnerung an Hans Meiser stellte gewissermaßen die Brücke dar, über die schließlich eine Annäherung an die gegenwärtige Situation und Diskussion in der bayerischen Kirche und Gesellschaft erfolgte12. Die Tagung fügt sich insge

9 Vgl. 10 Vgl.

dazu den Beitrag von Siegfried Hermle in diesem Band. dazu die Beiträge von Maike Goldhahn, Herbert Sörgel und Thomas Greif in diesem

Band. 11 Vgl. dazu den Beitrag von Björn Mensing in diesem Band. 12 Vgl. dazu den Beitrag von Harry Oelke in diesem Band.

Einleitung

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samt ein in die aktuellen Bemühungen um eine Rekonstruktion der kirchen­ geschichtlichen Entwicklung nach 1945 in den einzelnen Landeskirchen. Aller­ dings stehen dabei Forschungen zur Schuldfrage, die sozialpsychologische und politikgeschichtliche Fragestellungen und das Problem der Gesetzmäßigkeiten und Modi, nach denen Kirche ihre Erinnerung organisiert, berücksichtigen, noch weithin am Anfang. Die Tagung könnte an dieser Stelle über den begrenzten Raum einer Landeskirche hinaus Impulse liefern.

3. Teilnehmer und wissenschaftliches Ziel der Tagung Die Verantwortlichen für das Programm dieser wissenschaftlichen Fachtagung waren erfreut, dass namhafte Kolleginnen und Kollegen mit ihrem Sachverstand an der Veranstaltung mitwirkten. Studierende der Theologie aus Erlangen, Neuendettelsau und München, die sich in zeitgleich durchgeführten kirchengeschichtlichen Seminaren zum Themenfeld dieser Tagung besonders hervorgetan hatten, waren erfreulicherweise von der ELKB zur Teilnahme an dieser Tagung eingeladen. Die Präsenz und Mitarbeit dieser Vertreterinnen und Vertreter der nachrückenden Generation von Studierenden bereicherte die Tagung in nicht unerheblicher Weise. Der Tagungsverlauf sah eine ausführliche Schlussdiskussion vor. Hier sollten dann die grundsätzlicheren Fragen, Konsequenzen und Wirkungen der verhandelten Thematik bedacht werden. Für diese Schlussdiskussion hatten sich die Verantwortlichen Hilfe erbeten: Insgesamt vier Kollegen/innen konnten dafür gewonnen werden, auf dieser Tagung als Beobachter/in zu fungieren. Sie waren gebeten, ihre Eindrücke gebündelt in die Schlussdiskussion einzubringen13. Mit der Tagung bot sich der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und der kirchlichen Öffentlichkeit die Chance, für eine kurze Zeit innezu­ halten, sich aus der Beanspruchung der tagesaktuellen Diskussion um Bischof und Landeskirche in der NS-Zeit zu lösen und sich im geschützten Raum einer Akademie von der Aufgabe herausfordern zu lassen, vergleichsweise unvoreingenommen historiographische Impulse aufzunehmen und historisches Nachdenken jenseits von Anklage und Apologetik zu kultivieren. Das jedenfalls war es, was die wissenschaftliche Vorbereitungsgruppe dieser Tagung sich wünschte. Chancen dieser Art sind rar, an diesem Wochenende gab es sie. Für die hier nunmehr vorliegende Druckfassung der Tagungsbeiträge sind ausschließlich 13 Vgl. dazu die Beiträge von Wolfgang Kraus, Hartmut Lehmann, Susannah Heschel und Jens Holger SchjØrring in diesem Band.

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Harry Oelke

solche Beiträge berücksichtigt worden, die auf der Tagung vorgetragen wurden. Das Buch möchte für den bayerischen Protestantismus und über den weißblauen Himmel des Freistaats hinaus einen Impuls zur kritischen Auseinandersetzung mit der jüngeren Kirchengeschichte bieten.

Literaturverzeichnis Braun, Hannelore: Art. Meiser, Hans. In: BBKL 5 (1993), 1163–1172. Hermle, Siegfried: Tendenzen Kirchlicher Zeitgeschichte. In: VF 50 (2005), 69–88. Herold, Gerhart / Nicolaisen, Carsten (Hg.): Hans Meiser (1881–1956). Ein luthe­ rischer Bischof im Wandel der politischen Systeme. München 22008. Mehlhausen, Joachim: Art.  Nationalsozialismus und Kirchen. In: TRE 24 (1994), 43–78. Meier, Kurt: Literatur zur kirchlichen Zeitgeschichte. In: ThR 54 (1989), 113–168, 380–414, und ThR 55 (1990), 89–106 (Nachtrag). Müller, Annemarie B.: Hans Meiser in der Nachkriegszeit. Bemerkungen zur Aus­ stellung des landeskirchlichen Archivs. In: ZBKG 75 (2006), 283–294. Müller, Gerhard: Landesbischof D. Hans Meiser  – ein „antisemitischer National­ protestant“? In: ZBKG 76 (2007), 270–292. Nicolaisen, Carsten: Hans Meiser (1881–1956) in den politischen Herausforderungen des 20. Jahrhunderts. In: ZBKG 75 (2006), 246–259. Oelke, Harry: Art. Nationalsozialismus und Kirchen. In: EStL. Neuausgabe Stuttgart 2006, 1588–1601. Wolf, Hubert (Hg.): ÖKG 3. Von der französischen Revolution bis 1989. Darmstadt 2007.

Bedingungen kirchlichen Handelns

Manfred Gailus

Protestantismus und Nationalismus in der Kriegs- und Zwischenkriegszeit 1914–1945 1914–1945

Mit guten Gründen ist die Zeitspanne 1914 bis 1945 als „Zweiter 30jähriger Krieg“ bezeichnet worden. Die Wirkungen des ersten 30jährigen Krieges in Mitteleuropa waren verheerend, die Resultate des zweiten im frühen 20. Jahrhundert nicht minder. Ich resümiere in nur wenigen Stichworten mit Fokus auf deutsche Kontexte: Zum Auftakt ein vier Jahre währender mörde­ rischer Krieg mit ca. 15 Millionen Toten (etwa sieben Millionen Soldaten, acht Millionen Zivilisten); das abrupte Ende der Monarchien und eine nur halb gelungene demokratische Revolution; das schwere Trauma der Kriegsniederlage und ein langfristig äußerst belastendes, die Deutschen tief kränkendes Syndrom „Versailler Vertrag“; drückende Reparationszahlungen; französische Rheinlandbesetzung; das kriegsfolgenbedingte soziale und politische Chaos der Hyperinflation 1923 mit Hungerrevolten, Putschversuchen und einschneidenden Vermögensverlusten; nahezu permanente politische Bürgerkriegsgewalt auf den Straßen von 1918/19 bis 1933; Börsenkrach und Weltwirtschaftskrise seit Oktober 1929; bis zu sechs Millionen Arbeitslose, zumeist elende Hungerexistenzen; Adolf Hitlers Machtübernahme, politische Gleichschaltung, Verfolgung und Terror; antisemitische Rassenpolitik als neue Staatsräson, Nürnberger Gesetze 1935 und Kristallnachtpogrome 1938; ein zweiter fast sechsjähriger Weltkrieg, dessen Opferzahlen diejenigen des ersten um mehr als das Drei­ fache übersteigen; Judenvertreibungen und Holocaust; zuletzt ein allgemeines Versinken in Schutt, Asche, Trümmern – das sind nur einige Stichworte einer Schreckenszeit ohnegleichen1. Dieser „Zweite 30jährige Krieg“ und – weitergefasst – das „Zeitalter der Extreme“ waren natürlich europäische Ereignisse. Aber die Deutschen haben das Privileg, als einzige Nation beide Varianten totalitärer Diktatur des 20. Jahrhunderts sehr gründlich ausprobiert zu haben. Man übertreibt gewiss nicht, wenn man sagt, das Deutsche Reich war Hauptkriegsschauplatz und die Deutschen waren als politische Akteure, als Denker und Vordenker des Extremen, 1 Vgl. als kompakteste Übersicht: Wehler, Gesellschaftsgeschichte. Bd. 4; ferner Evans, Das Dritte Reich.

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als Täter und Mittäter, sehr wesentlich beteiligt an dieser historischen Katastrophe. Der mit der Chiffre Auschwitz bezeichnete Zivilisationsbruch ist Produkt deutscher Politik dieser Epoche. Konfessionsgeschichtlich betrachtet waren etwa zwei Drittel der zeitgenössischen Deutschen zwischen 1914 und 1945 Protestanten, ein Drittel waren Katholiken. Ich frage im Folgenden danach, wie deutsche Protestanten, die konfessionelle Majorität der Deutschen, in ihrem Denken und Handeln in die offenkundig schweren Entgleisungen deutscher Politik und Geschichte auf dem schwierigen Weg in die Moderne in­ volviert waren2.

I Gewiss, die deutschen Protestanten von 1914 oder 1918, von 1933 oder 1939 sind nicht leicht auf einen Nenner zu bringen: knapp dreißig verschiedene Landeskirchen von der großen altpreußischen Unionskirche mit annähernd 20 Millionen Mitgliedern bis hinunter zu Schaumburg-Lippe oder Lübeck mit weniger als 50.000 Seelen – alle mit ausgeprägt partikularistischen Regionalkulturen, mit unterschiedlichen Bekenntnistraditionen (uniert, lutherisch, reformiert), mit divergierenden theologischen und kirchenpolitischen Orientierungen zwischen monarchisch-konservativ, betont national, oder eher liberal3. Zugleich aber war seit dem frühen 19. Jahrhundert im Politischen eine mächtige Gemeinschaftsidee aufgestiegen, die offenbar imstande war, sie alle – im Ernstfall wie Krieg oder Revolution  – zusammenzubinden: „das Vaterland“, die Nation. Der moderne Nationalismus ist zu Recht als mächtigste, umfassendste Integrationsideologie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bezeichnet worden4. Für die Evangelischen des preußisch-protestantisch geprägten Kaiserreichs war er die natürliche politische Option. Schon in den Jahrzehnten seit 1870/71 bildete sich eine enge symbiotische Beziehung zwischen protestan­ tischem Weltbild und der dynamisch-modernen politischen Massenbewegung, die wir Nationalismus nennen. Kennzeichnend für diese Beziehungsgeschichte zwischen dem Politischen und dem Religiösen sind wesentliche wechselseitige Transferleistungen. Theologie und Kirche halfen, den nationalen Mythos einer „­imagined community“ (Benedict Anderson) zu vertiefen, durch geschichts­ 2 Zum „kurzen 20. Jahrhundert“ (1914–1991): Hobsbawm, Zeitalter der Extreme; Mazower, Europa im 20. Jahrhundert; Herbert, Europe. 3 Zum protestantischen Partikularismus vgl. Scholder, Die Kirchen. Bd. 1, 26–45. 4 Vgl. zum deutschen Nationalismus hier nur: Echternkamp, Nationalismus; Wehler, Gesellschaftsgeschichte. Bd. 3, besonders 938–961; Walkenhorst, Radikaler Nationalismus; Breuer, Die Völkischen.

Protestantismus und Nationalismus 1914–1945

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theologische Legitimationen und religiöse Praxis zu sakralisieren. Auf der anderen Seite ermöglichte die protestantische Anverwandlung einer vor schweren Herausforderungen der Moderne stehenden Kirche gewisse Anschlüsse an den modernen Zug der Zeit5. Existenzbedrohende Herausforderungen gab es in der kirchlichen Wahr­ nehmung um 1900 in großer Zahl: Industrialisierung und Proletariat, Urbanisierung und modernes Großstadtleben, schrankenloser Liberalismus, atheistischer Marxismus und freidenkerische Sozialdemokratie, wissenschaftliche Revolutionen von Charles Darwins Evolutionstheorie bis Sigmund Freuds Seelen­analyse erschütterten das traditionell-religiöse Weltbild wie das einst erblich-selbstverständliche Zugehörigkeitsgefühl zu den Kirchen, besonders in den großen Städten6. Der solchermaßen bedrohte, von Säkularisierungsfurcht und Modernisierungsphobie erfasste Protestantismus begab sich unter die Fittiche dieser neuen säkularen Ideenkonstruktion, einer attraktiven und äußerst populären, Sinn und Zusammenhalt stiftenden modernen Großerzählung. Der Nationalismus bot sich an, er drängte sich auf, er wurde umworben  – kurz, er fungierte als der große weltliche Alliierte einer verunsicherten Kirche. „Vaterlandsliebe“ ist das zeitgenössische Wort. Aus den vielen Protestantismen, deren Unterschiede bestehen blieben, erwuchs sukzessive und übergreifend ein deutscher Nationalprotestantismus und dieser machte für annähernd ein Jahrhundert alle Gestaltwandlungen des deutschen Nationalismus mehr oder minder intensiv mit. Diese bereitwillige Anverwandlung kann als eine selbstgewählte babylonische Gefangenschaft von Kirche und Protestanten im Nationalen bezeichnet werden7.

II Der Erste Weltkrieg, jene „Urkatastrophe Deutschlands“ (Wolfgang J. ­Mommsen) im 20.  Jahrhundert, war nicht allein ein militärisches, sondern auch ein politisch-geistiges Großereignis, eine ideengeschichtlich mächtige transformative Kraft8. Der ältere Reichsnationalismus wird zunehmend vaterländisch, die

5 Graf,

Die Nation. zuletzt: Hölscher, Protestantische Frömmigkeit, besonders 330–407. 7 Zur protestantischen Symbiose mit dem Nationalen, besonders seit 1870/71: Haupt / Lange­ wiesche, Nation und Religion; Graf, Die Nation; Gailus / Lehmann, Nationalprotestantische Mentalitäten; Gailus / Krogel, Babylonische Gefangenschaft. 8 Vgl. Michalka, Der Erste Weltkrieg; Verhey, „Geist von 1914“; Chickering, Erste Weltkrieg; Mommsen, Urkatastrophe Deutschlands; zum ideen- und geistesgeschichtlichen Zäsur­ charakter: Mommsen, Kultur und Krieg; Flasch, Geistige Mobilmachung.

6 Vgl.

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nationalen Diskurse färben sich völkisch. Zielsetzung ist die völkische Utopie einer „großgermanischen“ Hegemonialmacht in Mitteleuropa. Und vorneweg bei dieser radikalisierenden, kriegsbegleitenden Transformation des Nationalen vom Reichsnationalismus zum völkisch bestimmten Ethno-Nationalismus stürmen evangelische Theologen und Studenten, Publizisten, Feldprediger an die Fronten und auch die vielen Pfarrer, die Gemeinden und das Kirchenvolk an der Heimatfront mischen kräftig mit. Man nennt das „geistige Mobil­machung“, stellt sich zur Verfügung, lässt sich in Dienst nehmen. Dieser Krieg sei ein „heiliger Krieg“, so heißt es landauf, landab in Abertausenden von Artikeln, Traktaten, Gebeten und Predigten, und „wir“, die Evangelischen, führen ihn in Gottes Namen und Auftrag, eine deutsch-christliche Mission an der in Abfall begriffenen Welt9. Namhafte Theologen, Kirchenführer, evangelische Publi­ zisten wie Reinhold Seeberg, Ludwig Wessel, Paul Althaus, Emanuel Hirsch, Otto Dibelius, Bruno Doehring ergehen sich in vaterländischen „Kriegstheologien“, worin christlich-protestantische Heilsgewissheit, preußisch-deutsche Geschichtstheologie und großdeutsche Zukunftsutopien zu einem national­ religiösen Konglomerat verschmelzen10. Die Lutherfeiern im November 1917 und die Gründung der rein protestantischen Deutschen Vaterlandspartei, einer rechts-konservativen Sammelpartei für einen deutschen Siegfrieden, Anfang September gleichen Jahres markieren Gipfelpunkte dieses nationalreligiösen Denkens und imperialen Begehrens11. Zu Recht haben wenige zeitgenössische Theologen wie der damals noch unbekannte reformierte Schweizer Pfarrer Karl Barth und später kritische Historiker von Fritz Fischer um 1960 bis Hans-Ulrich Wehler in jüngster Zeit von nationalen Exzessen und blasphemischen Entgleisungen gesprochen12. Und vergleicht man in der Rückschau jene „Ideen von 1914–18“ mit den völkischen Theologien der Deutschen Christen von 1933, so fragt man sich mit Erstaunen, warum eigentlich nicht schon zu Weltkriegszeiten eine opponierende

9 Protestanten im Ersten Weltkrieg: Krumeich, Gott mit uns?; Bergen, War Protestantism. 10 Vgl. zur Kriegspredigt und protestantischen Kriegspublizistik: Pressel, Kriegspredigt; Bra-

kelmann, Protestantische Kriegstheologie; Hoover, Clerical Nationalism; Meier, Evangelische Kirche; Greschat, Begleitung und Deutung. 11 Zur alldeutsch und maßlos annexionistisch ausgerichteten Deutschen Vaterlandspartei: Hagen­ lücke, Vaterlandspartei. 12 Barth kommentierte die deutschen Vorgänge als noch unbekannter Schweizer Pfarrer in der Schweizer Arbeitergemeinde Safenwil. Fritz Fischer war in den 1930er Jahren als Theologe und Kirchenhistoriker im Umkreis von Erich Seeberg an der Berliner Universität tätig. Nach 1945 wandelte er sich zum kritischen Historiker des deutschen Nationalismus und Protestantismus: Grosse Kracht, Fritz Fischer; Jarausch, Fischer-Kontroverse. Zu Wehlers bissigen Kommentaren gegenüber dem deutschen Nationalprotestantismus vgl. ders., Gesellschaftsgeschichte. Bde. 3 und 4 passim.

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Bekenntniskirche entstanden sei. Was da kriegsbegleitend in Vorlesungssälen, von Kanzeln und in Feldpredigten über göttliche Auserwähltheit der Deutschen und gottgewollte deutsche Weltsendung verkündet wurde, war aus den Schriften des Neuen Testaments und den programmatischen Texten der Reformationszeit schlechterdings nicht zu belegen. Die schüchternen Versuche von Theologenseite, an kriegerische Zurückhaltung und Friedensbereitschaft zu appellieren, wurden auch innerprotestantisch niedergemacht13.

III Die Kriegsniederlage im November 1918 war in dieser emphatisch national­ religiösen Glaubenswelt unfassbar. Sollte Gott diesmal, nach so vielen Siegen zuvor, nicht mit den Deutschen gewesen sein? „Namenlose Trauer“, so wird berichtet, herrschte in den genuin protestantischen Lebenswelten Preußens und gewiss auch reichsweit über verlorene Größe, Macht, Pracht und Herrlichkeit. Verstärkt wurde der Schock durch aktuelle Umsturzängste, durch schwere Identifikationsprobleme mit der neuartigen Demokratie und Republik, durch Besorgnisse über die eingeleitete Trennung von Kirche und Staat, durch die schwer erträgliche politische Dominanz der „Reichsfeinde“ von einst: Sozialdemokratie, Liberale, katholisches Zentrum. Alles dies war für die nationalprotestantische Kollektivseele schwer zu verkraften14. Neue Theologien, religiöse und politische Mythen mussten das vorläufig Unfassbare deuten. Anfangs kursierten Verschwörungstheorien. Propagandistisch voran gingen hierbei die protestantischen Volkshelden Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff, auch der einflussreiche Universitätstheologe Reinhold Seeberg mischte kräftig mit: Stichwort Dolchstoßlegende, Verrat der Heimatfront15. Es ist aber zugleich die historische Stunde eines theologischen Umbruchs, dessen eigentliche Inkubationsphase der Weltkrieg, dessen Impuls das Kriegserlebnis war: Abkehr von den liberalprotestantischen, streng wissenschaftlichen Theologietraditionen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts – die, nebenbei gesagt, der deutschen Theologie um 1900 Weltgeltung verschafft hatten –, Hinwendung zu neuen Glaubenstheologien und nationalreligiösen Mythologien. 13 Die moderate Friedenskundgebung weniger Berliner Pfarrer anlässlich des Reformationsjubiläums 1917 wurde von einer großen Pfarrermajorität mit einer geharnischten, den militärischen Endsieg verlangenden Gegenerklärung gekontert. Vgl. Brakelmann, Der deutsche Protestantismus, 174 f. 14 Zur protestantischen Nachkriegsdepression: Nowak, Evangelische Kirche, 17–125. 15 Zur Dolchstoßlegende: Krumeich, Dolchstoß-Legende; Pyta, Hindenburg, besonders 404–409.

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Der Leipziger Kirchenhistoriker Kurt Nowak hat diesen ideengeschichtlichen Umbruch um 1920 bereits vor geraumer Zeit als „antihistoristische Revolution“ beschrieben16. Der Münchener Systematiker Friedrich Wilhelm Graf hat diese, wie er sagt, „jungen, wilden Theologen“ der frühen Nachkriegszeit (Althaus, Werner Elert, Erich Seeberg, Friedrich Gogarten, auch Barth) unter dem Titel: „Geschichte durch Übergeschichte überwinden“ mit einem aus Historikersicht befremdlichen Überschwang gepriesen17. Der Tübinger Neuzeithistoriker Anselm Doering-Manteuffel spricht jüngst von einer „ideengeschichtlichen Revolution“, einer fundamentalen innerprotestantischen Abkehr von Aufklärung und Liberalismus, bürgerlichem Fortschrittsglauben und den Methoden aufklärerischer Rationalität18. In die Leerstellen rückten neue theologische Entwürfe ein, religiöses Ordnungsdenken, das sich in diversen Theologien der Schöpfungsordnungen manifestierte. Sie verkündeten übergeschichtliche göttliche Werte und Ordnungen, die es in einer entfesselten, beschleunigten Moderne zu bewahren und teils erst wieder herzustellen gelte. Als ein ganz zentraler Bezugspunkt dieser neuen Ordnungstheologien trat die Kategorie „Volk“ in den Vordergrund der Diskurse. Gemeint sind selbstredend die Deutschen, „Deutschtum“, als heilsgeschichtlich herausgehobenes Volk. Volk erscheint zugleich als biologische Größe, ursprüngliche Schöpfung und Gottesordnung, Teil einer göttlichen Schöpfungsordnung, die die Theologen zu kennen meinen. Ihre Sakralisierung von „Volk“, von deutschem Volk, als unmittelbarer Grundgegebenheit der Schöpfungsordnung korrespondierte auffallend mit den Gestaltwandlungen des modernen politischen Nationalismus seit 1870: die Ideenbewegung ging von „Thron und Altar“ über „Reich und Nation“ zu „Glaube und Volk“. Die von dem einflussreichen protestantischen Publizisten Wilhelm Stapel nach Kriegsende geführte volkspädagogische Zeitschrift trägt den bezeichnenden Titel „Deutsches Volkstum“. In ihr entfaltete Stapel seine folgenreiche Volksnomostheorie: Das deutsche Volk sei Gottesidee, herausgehoben, ein neues Israel. Diese Bestimmung hätten die Deutschen im Krieg verfehlt, zu wenig Glaube sei das Problem gewesen; und diese Gewissheit vom deutschen Volk als Gottesidee müsse nun gelehrt und dem Volk zu Bewusstsein gebracht werden19. Ähnlich reflektierte Hirsch 1920 unter dem Titel „Deutschlands Schicksal“, ursprünglich ein Vortrag vor Studenten, 16 Nowak, 17

Antihistoristische Revolution. Graf, Antihistoristisches Geschichtsdenken, Zitat 221; jetzt auch, mit Fokus auf Paul Tillich und seinen Intellektuellenkreis: Christophersen, Kairos. 18 Doering-Manteuffel, Suchbewegungen. 19 Zu Stapel: Tilgner, Volksnomostheologie, besonders 88 f., 136 f.; Kleinhorst, Stapel; Gossler, Publizistik; zuletzt: Kurz, Nationalprotestantisches Denken.

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protestantische Befindlichkeiten und entwarf therapeutische Zukunftsvisionen nach dem verlorenen Krieg20. Schöpfungsordnungstheologie, die Lutherrenaissance im Umkreis des Berliner Theologen Karl Holl21, Annäherungen zwischen national-völkischer Bewegung und Nachkriegstheologien  – der Tübinger Kirchenhistoriker Klaus Scholder hat den Weg dieser symbiotischen Verbindungen unter dem Begriff der „politischen Theologie“ schon vor 30 Jahren eindrücklich nachgezeichnet22. Aber deutlicher als Scholder dies einräumte, der die Breitenwirkungen der Dialektischen Theologie Barths vor 1933 überschätzte, muss betont werden, dass jene national-völkischen Denkbewegungen den Hauptstrom der Theologie­ entwicklung in der Zwischenkriegszeit ausmachten. Die Kirchen hatten sich einerseits mit der ungeliebten Republik zu arrangieren, sie mussten sich im neuen Staat einrichten. Aber der religionsneutrale Staat von Weimar, die sogenannte „Republik der Gottlosen“ wurde innerlich abgelehnt, verachtet, bekämpft. Das protestantische Lebensgefühl hieß: „zwischen den Zeiten“ – eine angeblich gute alte Zeit sei unwiederbringlich vergangen, eine neue Zeit würde kommen müssen, die Gegenwart erschien elend, grau, deprimierend, unerträglich. Kirchen und Kirchenvolk empfanden sich als Teil der „konservativen Revolution“, der nationalen Opposition gegen westliche politische Kultur, gegen schwächliche Erfüllungspolitik, gegen Demokratie und Republik. Die nationale und völkische Bewegung begleitete man mit aufmerksamer Sympathie, immer verbunden mit dem Anspruch, sie durch Implementierung christlicher Elemente zu vertiefen, moralisch zu bessern, sittlich zu veredeln. Man muss sich freilich vergegenwärtigen, dass die zeitgenössischen Protestanten, im engeren Sinn das protestantische Sozialmilieu der Weimarer Zeit, nicht allein aus Theologen bestand. Die protestantischen Befindlichkeiten des Kirchenvolks, auch vieler Pfarrer, artikulierten sich als Glaube, als Gesinnung, als Ressentiment, als kollektive Hoffnungen und Ängste, kurz: als eine religiöse Mentalität, die stark nationalprotestantisch geprägt war. Die Erinnerungen des Berliner Pfarrerssohns und Bonhoefferschülers WolfDieter Zimmermann erlauben Annäherungen an protestantisches Lebensgefühl und Weltbild um 193023. Die Theologie habe im Elternhaus eigentlich keine besondere Rolle gespielt, auch wenn eine umfangreiche Bibliothek von 2.500 Bänden vorhanden gewesen sei. Schriften von Theologen wie Adolf 20 Hirsch, 21

Deutschlands Schicksal. Zur Lutherrenaissance: Assel, Lutherrenaissance. 22 Scholder, Die Kirchen. Bd. 1, 124–150. 23 Das Folgende nach: Zimmermann, Gerechtigkeit; Richard Zimmermann (1877–1945), der Vater, war seit 1927 Pfarrer an der Bartholomäus-Gemeinde in Berlin-Friedrichshain und Super­ intendent des Kirchenkreises Berlin Stadt I.

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Schlatter, Karl Heim, Gogarten oder R. Seeberg hätten gewissen Stellenwert gehabt. Wichtiger sei praktische Literatur für das Pfarramt gewesen. Daneben habe es weltliche Literatur mit christlichen Bezügen, etwa Walter Flex’ „Wanderer zwischen beiden Welten“ und Franz Werfels „Paulus unter den Juden“ gegeben, auch der völkische August Winnig sei verehrt worden. Bernhard Kellermanns „Ferien vom Ich“ oder Heinrich Seidels „Leberecht Hühnchen“ repräsentierten gewissermaßen die rechte Lebenseinstellung. Später seien Bücher von Jochen Klepper, Werner Bergengruen und Reinhold Schneider hinzugekommen. An Zeitungen hätten nationale Blätter wie „Der Tag“ und der Berliner „Lokal-Anzeiger“ oder „Die Woche“ den Ton vorgegeben. Moderne Romane wie Thomas Manns Buddenbrooks seien ebenso wie Freuds Psycho­analyse, moderne Soziologie oder Publikationen von Kurt Tucholsky oder Erich Kästner als „zersetzend“ abgelehnt worden. Alles dieses habe man als „jüdische Wurzellosigkeit“ empfunden, als moralische Gefahr. Die gesellschaftliche Ordnung habe als gottgegeben gegolten, Parlamentarismus habe der Vater für Verrat an der Schöpfungsordnung angesehen. An die moderne Zeit mit politischen Parteien, mit Sozialisten und Kommunisten, habe sich sein Vater niemals gewöhnen können. So spielte sich das Leben in engen, fest abgesteckten Räumen ab, besonders die Abgrenzung nach unten zum Proletariat hin sei scharf gewesen. Feinde habe man ringsum wahrgenommen: Katholiken, Atheisten, Juden. Die Horizonte seien eng gewesen: Reisen führten zum Harz oder ins Riesengebirge, das Ausland habe jenseits der Wahrnehmung gelegen. Zugespitzt heißt es in diesen Erinnerungen: Das Mensch-Sein sei damals fast mit dem Deutsch-Sein identisch gewesen. Man habe im Pfarrhaus selbstverständlich national gedacht, gefühlt, empfunden. Beruf sei immer zugleich „Berufung“ gewesen, man arbeitete daran permanent. Bloßes Geldeinkommen habe als anrüchig, ja unanständig gegolten. Bildung habe ganz oben auf der Werteskala gestanden, dazu Sitte, Anstand. Zur Frömmigkeit gehörten Hausandacht, Tischgebet, Abendgebet, die feierliche Ausgestaltung der christlichen Festtage. Der Vater hätte Gott niemals hinterfragen können, das wäre ihm als Gotteslästerung erschienen. Sein Denken sei von festen überindividuellen Größen wie Volk, Herrschaft, Familie und Beruf bestimmt worden. Menschen habe er nicht als zügellose Denkhelden, sondern als in Ordnungen eingebundene Platzhalter gesehen. Dialektisches Denken, Liberalismus – damit habe er nichts zu tun haben wollen. Eine Begründung politischer Macht vom Volk her sei ihm als „Aufstand gegen Gott“ erschienen. „Der Einbruch ‚westlicher Sitten‘ während der zwanziger Jahre wirkte sowohl aufmunternd wie zerstörend: Bubikopf, kurze Kleider, Lippenstift und Schminke, Frauenrecht und Charleston, Vamp und Diseuse  – das waren Erscheinungen, die

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mächtige Breschen in feste Vorstellungen schlugen. […] Dieser ‚Einbruch der Zügel­ losigkeit in die bürgerliche Ordnung‘ wirkte schockierend. Meine Eltern empörten sich darüber.“24

Spätestens mit dem politischen Erdrutschsieg der Hitlerpartei bei den Reichstagswahlen im September 1930 war die Frage: „Wie stehen wir Evangelischen zur NSDAP?“ ein viel und kontrovers diskutiertes innerprotestantisches Thema25. Ein Großteil der Sympathien, der Hoffnungen, die zuvor der national-völkischen Bewegung entgegen gebracht worden waren, ging nun auf die NS-Bewegung über. In vieler Hinsicht war die NSDAP um 1930 nichts anderes als die parteipolitisch zugespitzte, radikalisierte national-völkische Bewegung. Die Wahlforschungen Jürgen W. Falters haben präzise belegen können, dass die NSDAP in genuin protestantischen Regionen überproportional hohe Wahl­erfolge erzielen konnte26. Der atemberaubende politische Vormarsch, die imposante Bewegungsdynamik der Hitlerpartei übte mächtige Sogwirkungen aus und bewirkte theologische und kirchenpolitische Neuausrichtungen im protestantischen Feld. Ein exemplarischer Ausdruck dieser Umorientierungen war beispielsweise die Gründung der „Christlich-deutschen Bewegung“ (CdB) im Jahr 1930, deren Führungskreise sich aus Universitätstheologen, Pfarrern und Honoratioren bildeten, erwähnt seien Walter Wilm (Provinzialjugend­ pfarrer Brandenburg), Heinrich Rendtorff (1930 erster Bischof Mecklenburgs), der Berliner Domprediger Bruno Doehring, Ewald von Kleist-Schmenzin, ­Detlev von Arnim-Kröchlendorff27. In der zugehörigen Zeitschrift mit dem bezeichnenden Namen „Glaube und Volk“ wurden christliche Glaubensbestände und National-Völkisches in einschlägiger Weise zusammengedacht, deutsches Volkstum sei Schöpfungsordnung und verlange gebieterisch die Aufrichtung eines neuen autoritären Regimes christlicher Prägung. Federführend in dem Blatt waren die schon mehrfach erwähnten Theologieprofessoren Althaus und Hirsch28. Über die kontroverse Stellung zur Glaubensbewegung Deutsche Christen (DC) kam es 1933 zur Spaltung und Auflösung der CdB, ein erheb­ licher Teil schloss sich den DC an.

24 Ebd., 25

89 f. Vgl. die umfassende Dokumentation zeitgenössischer Stellungnahmen in: Klotz, Die Kirche. 26 Vgl. Falter, Hitlers Wähler; in diesem Sinn auch Pyta, Dorfgemeinschaft. 27 Vgl. Weiling, Christlich-deutsche Bewegung. 28 Zu beiden Theologen und ihren Einflüssen auf „Glaube und Volk“ ebd., 194–207.

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IV Der politische Umbruch 1933 ist zugleich emphatische protestantische Selbsttransformation im Sinne des „nationalen Aufbruchs“. Eine Reihe jüngerer Regionalstudien (Pfalz, Bayern, Berlin, Hamburg, Lübeck, Thüringen) zeigt in aller Deutlichkeit: Es bedurfte überhaupt keines Zwangs, keines gewaltsamen Angriffs von außen – der Protestantismus öffnete dem anschwellenden Nationalsozialismus bereitwillig, vielfach fasziniert, seine Türen, um die „Ideen von 1933“ einströmen zu lassen. Auf allen Ebenen, in allen Fraktionen und Lagern des protestantischen Sozialmilieus wurde der Umbruch freudig begrüßt und weckte hohe Erwartungen auf geschichtliche Umkehr, auf Rechristianisierung, neue Verkirchlichung und Volksmission, auf neuen kirchlich-religiösen Bedeutungszugewinn. Den „nationalen Aufbruch“ empfand man als befreiende Zeitenkehre, als ersehnte Abkehr von der schrecklich „gottlosen“ Weimarer Republik, als erlösungsgleiche Entlastung von traumatischen Erfahrungen und tiefen Kränkungen seit Kriegsende, als Auftakt zu neuer Ehre und Größe29. Bilanziert man die milieuspezifischen Befindlichkeiten gegen Jahresende 1933, so waren sie durch einen doppelten starken Konsens und einen schwächeren, wenngleich anwachsenden Dissens bestimmt. Vollständiger Konsens bestand über die Abkehr von der Weimarer „Gottlosenrepublik“, über die intendierte Eliminierung von Säkularismus, Liberalismus, Demokratie, Marxismus und Atheismus, von jüdischem Einfluss, von angeblich zersetzenden modernen Kunstformen und frivol-entsittlichenden westlichen Massenkulturen. Hieran arbeiteten die Evangelischen gern und nach Kräften mit. Sehr weitreichender Konsens bestand ebenso über die von der Hitler-Regierung eingeleiteten innen­politischen Maßnahmen auf Gebieten wie „Rassenpolitik“ und Eugenik /  „Volksgesundheit“, ebenso hinsichtlich der in Aussicht gestellten außenpolitischen Revisionen. Ein wachsender milieuinterner Dissens setzte verzögert um die Jahresmitte 1933 ein: Man stritt unter sich über die angemessene Neupositionierung von Glaube, Theologie und Kirche im „Dritten Reich“30. Eingangs wurde die These aufgestellt, der Protestantismus habe alle Gestaltwandlungen des deutschen Nationalismus seit 1870/71 mehr oder minder intensiv mitgemacht. Mehr oder minder intensiv: mit der Popularisierung der „Ideen von 1933“ stieß nun diese eingespielte Mitfahrbereitschaft auf gewisse 29 Zur Aufbruchsemphase um 1933: Gailus, Protestantisches Erlebnis. Neuere Regional- und Lokalstudien: Fandel, Konfession; Mensing, Pfarrer; Gailus, Protestantismus; Buss, Die nordelbischen Landeskirchen; Beck, Westfälische Protestanten; Gailus / Krogel, Babylonische Gefangenschaft; Overlack, Nationaler Aufbruch; Haag, Protestantisches Milieu; Böhm, Deutsche Christen. 30 Zum Dissens 1933, der in den Kirchenkampf einmündete: Scholder, Die Kirchen. Bd. 1; Gailus, Protestantismus.

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Grenzen. Das Vordringen der nationalsozialistischen Weltanschauung bewirkte eine entscheidende Akzentverschiebung im nationalen Diskurs: aus „Volk“ wurde „Rasse“. Die rassistische Umprägung des Volksbegriffs und genereller die Biologisierung des politischen Denkens, seit vielen Jahrzehnten bereits im Gange, hatte als Fluchtpunkt die Idee des Volks als homogener und höherwertiger Rasse, die zu erhalten oder durch entsprechende Volkstumspolitik wieder herzustellen sei. Hier stieß die ausgeprägte protestantische Mitfahrbereitschaft in den nationalen Zügen der Zeit um 1933 auf existenzielle Grenzen insofern, als aus der Rassenterminologie potenziell ein „neuer Glaube“ erwuchs, der sich konkurrierend und letzthin ausschließend der christlichen Glaubenstradition entgegenstellte. Gleichwohl zeigt sich in den Entwürfen eines völkischen Protestantismus um 1933 vielfach, dass auch Kategorien wie „Rasse“ und theolo­ gische Konzepte von Schöpfungsordnung ohne Weiteres zusammengedacht werden konnten31. Ein Beispiel: 1932 formulierte der aus einem pommerschen Pfarrhaus stammende Berliner Pfarrer Siegfried Nobiling sein neues Glaubensbekenntnis32: Bereits 1929 sei er der NSDAP beigetreten. Ähnlich wie das Christentum sei ihm der Nationalsozialismus als mächtiges „Wir-Erlebnis“ erschienen. Dieses Erlebnis sehe er dreifach bestimmt: Erlebnis einer neuen „Volksgemeinschaft“, einer „Rassengemeinschaft“ und einer „Schicksalsgemeinschaft“. Dies sei ihm befreiende Abkehr vom „selbstischen Ich“ des Individualismus, Liberalismus, Marxismus gewesen. Ohne Zweifel glaubte Nobiling fest an seine neue Synthese: Es bedürfe der Kräfte des Christentums, um der „volksgemeinschaft­ lichen Erhebung der deutschen Seele“ zum Sieg zu verhelfen. Es sei Aufgabe der Christen, das neue „Wir-Erlebnis des eigenen Volkes“ christlich zu läutern und zu heiligen. Ein solches großes Volksgemeinschaftserlebnis sei bereits einmal im Weltkrieg vorhanden gewesen. Nun breche es im Nationalsozialismus wieder elementar auf. Dies sei nun gerade die Sendung des Nationalsozialismus, wieder klarzumachen, was „Volk“ und „Vaterland“ in einem höheren Sinn bedeuteten. Ohne Umschweife bekannte sich Pfarrer Nobiling zum nationalsozialistischen „Rassenerlebnis“. Nicht nur die Seele, auch der Leib sei eine Schöpfung Gottes, ein Heiligtum, das nicht ohne schweren Schaden verunreinigt werden dürfe. Die „Belange der Rasse“ gelten soweit, als sie „dem Volksganzen“ nützlich seien. „Damit folgten wir“, so Nobiling, lediglich „den Spuren des Schöpfergottes“ und seinem „in die menschliche Natur schöpfungsmäßig 31 Zu völkischen Theologien, die den Rassebegriff integrieren, vgl. Bergen, Twisted Cross; Osten-Sacken, Das missbrauchte Evangelium; Deines / Leppin / Niebuhr, Walter Grundmann; Heschel, The Aryan Jesus. 32 Das Folgende nach: Nobiling, [Stellungnahme].

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hineingelegten Willen“. Natürlich hatten diese Glaubensüberzeugungen ernste Konsequenzen für jene, die nicht „deutschblütig“ waren. „Wir sehen im Judentum die geistleibliche Vergiftung unserer Rasse. […] Für uns Nationalsozialisten gibt es ein a priori der neuzeitlichen deutschen Geschichte: Alles Unglück geht für unser deutsches Volk in gegenwärtiger Situation von den Juden aus. Es kann das Schicksal des deutschen Volkes nur anders werden, wenn der Fremdkörper des Judentums aus unserm deutschen Staatswesen ausgeschlossen wird.“

Doppelt gläubige nationalsozialistische Christen von der Art Nobilings waren durchaus verbreitet, auch in der NSDAP spielten sie eine Rolle33. Die zunächst stürmisch aufbrechende völkische Selbstumwandlung unter Parolen wie „Ein Volk, ein Reich, ein Glaube“ konnte – je nach Region unterschiedlich – bis weit in die Mitte des protestantischen Sozialmilieus vordringen. Sie stieß dann auf innerkirchliche Opposition, provozierte eine Gegenbewegung, die sich im Verlauf des Jahres 1934 als „Bekennende Kirche“ (BK) konstituierte. Fortan zerfielen die Kirchen in selbstzerstörerischen Richtungsstreit. Man kann wohl von der schwersten Identitätskrise des deutschen Protestantismus seit der Reformation sprechen. Der Terminus „Kirchenkampf“ bezeichnet in erster Linie einen Bruderkampf im eigenen Haus, ein gravierendes Identitätsproblem, das der vom Nationalsozialismus tief beeindruckte Protestantismus mit sich selbst hatte34. Die entscheidenden Impulsgeber für die kirchlich-völkische Umformung kamen aus der Mitte des Protestantismus, von erheblichen Teilen der Pfarrerschaft und nicht wenigen Universitätstheologen. Kernstück der Selbstumwandlung war ein neuer kirchlicher Kult, eine deutschchristliche Liturgie des Gottesdienstes. Von überragender Bedeutung für die neue Glaubensbewegung war ein exzessiver Fahnenkult in der Kirche: der feierliche Fahneneinmarsch, die Fahnenaufstellung am Altar, Fahnenweihen und dergleichen mehr. Dazu kam die Verdeutschung der überlieferten Liturgie, das Experimentieren mit neuen Gottesdienstordnungen, die Tilgung hebräischer Termini aus dem Sprachgebrauch und jüdischer Symbole im Kirchenraum. In der Predigt wurde ein der NS-Weltanschauung anverwandeltes „artgemäßes Christentum“ verkündigt: ein germanisiertes Jesusbild, das einen arischen Helden und antijüdischen Kämpfer präsentieren musste als Ansporn für ein aktivistisches „Christentum der Tat“. Die NS-Bewegung und Hitler erschienen in der deutschchristlichen Predigt als geoffenbarter göttlicher Wille, als Rettung der durch Krieg, Niederlage, Versailles schwer leidgeprüften Deutschen. Ältere 33 Ebd., 34

Zitat 82 f. Vgl. Scholder, Die Kirchen. Bd. 1 und 2; Gailus / Krogel, Babylonische Gefangenschaft. Jüngster Forschungsbericht: Gailus, Protestantismus und Nationalsozialismus.

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theologische Denkmuster wie eine imaginierte göttliche Schöpfungsordnung erlaubten nun – beinahe bruchlos – die religiöse Würdigung von Volk, Sippe und Familie, von Sitte und deutscher Art, nicht selten auch von Rasse, Blut und Boden als geheiligte und folglich rein zu erhaltende göttliche Ursprungsgrößen und Gottesordnungen. Die DC-Glaubensbewegung war zugleich ein Aufstand der Jungen unter den Theologen gegen ein konservatives, überaltertes Kirchen­ establishment, gegen die alte Honoratiorenkirche. Das Weltkriegserlebnis war für viele Aktivisten eine lebensgeschichtlich prägende Schlüsselerfahrung. Uniformmenschen waren viele junge Theologen im Krieg geworden und das blieben sie auch danach. Besonders DC-Pfarrer liebten jene Welt: den Marsch mit den Kameraden, Kampf und Sieg, Fahne und Partei, Freund und Feind, Heldentum und Opfer  – solche Attribute und Wertsetzungen konstituierten wesentlich ihr christlich-völkisches Weltbild35. Gewiss, es gab auch einen anderen Protestantismus im „Dritten Reich“, einen, der sich zurückhielt gegenüber dem wohlfeilen NS-Zeitgeist, der weithin immun war gegenüber völkischen Versuchungen, der opponierte, jenen anderen Protestantismus, der sich mit Namen wie Barth, Bonhoeffer, Martin Niemöller verbindet. Aber man täusche sich nicht: „nationaler Aufbruch“, völkisches Denken waren sehr populär und reichten tief in die Reihen der BK hinein. Die BK war in erster Linie nicht eine Bewegung gegen den Nationalsozialismus, sondern eine Abwehrbewegung gegen die DC in der Kirche. Auch die BK hatte vielfache Wurzeln in der national-völkischen Bewegung, die nationale Revolution wurde auch in ihren Reihen überwiegend begrüßt. Am 1. September 1933 hielt ein 28jähriger junger Lutheraner auf einer ökumenischen Jugendkonferenz im schweizerischen Gland eine flammende Verteidigungsrede über den „elementaren Volksvorgang der Nationalen Revolution“36. Er tat dies in Vertretung Bonhoeffers, der verhindert war. Nicht Deutschland sei die Dämonie, die die Welt an den Abgrund gebracht habe, sondern Versailles. Jetzt könne es für einen Deutschen gegenüber dem Nationalsozialismus keine Neutralität geben, sondern nur ein Entweder-Oder. Die alte Welt werde aus den Angeln gehoben. Sie sei „durch das Bürgertum (besser: durch die weltbürgerliche Bourgeoisie) und den Ratio­ nalismus bestimmt. Es gab eine bestimmte Schicht von Menschen, welche danach trachtete, in allen Völkern der Welt die Herrschaft auszuüben. Sie lebte vom Profit, d. h. der Ausbeutung der unteren Klassen […] Ihre stärksten Klammern waren Freimaurerlogen und Weltjudentum.“37 35 Vgl. Gailus, Protestantismus; ferner Bergen, Twisted Cross; Osten-Sacken, Das missbrauchte Evangelium. 36 Das Folgende nach: Söhlmann, Weltprotestantismus. 37 Ebd., 258.

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Die jetzige gewaltige Weltumwandlung deutete er als „Weltgesundungsprozeß“. Und wehe den Völkern, so rief er seiner internationalen Hörerschaft zu, die jetzt keinen Hitler oder Mussolini hätten. Das neue, nun zur Geltung kommende Recht stehe nicht mehr in der Tradition des (römischen) individuellen Vernunftrechts, sondern sei germanisches „Wirklichkeitsrecht“, ein „Recht, das die Volksgemeinschaft konstituiert“. Kirche und Christen seien aufgerufen, solche Erkenntnisse zu wecken und das neue nationale „Streben zu neuer heimatlicher blut- und bodenverbundener Kultur“ zu fördern. „Wir jungen Christen in Deutschland“, so schloss er seinen Appell, „haben den wesentlichen Wert dieser Kernstücke für unser wahrhaftes Christsein gerade in aller Freude und Not des Sturmes der deutschen Revolution erkannt. Immer weitere Menschen werden in Deutschland von dieser Erkenntnis ergriffen. Man baut wieder auf seinen Glauben als einzigen festen Fels in allen Stürmen […]. Es deutet sich eine Volksbewegung an. In diesem Sinne beginnt der Frühlingssturm einer jungen Reformation über Deutschland dahinzugehen!“38

Der so sprach am 1.  September 1933, hieß Fritz Söhlmann, war christlichvölkischer Publizist vor 1933 und seit 1933 hauptamtlicher Redakteur der „Jungen Kirche“, der Halbmonatsschrift für reformatorisches Christentum, bis 1941 die einzige überregionale und sicher einflussreichste Zeitschrift der BK. Der aus dem Hannoverschen stammende Lutheraner verkörperte biographische Kontinuität von der völkischen Bewegung vor 1933 zur BK des „Dritten Reiches“. Sein national-völkischer Einfluss auf die Gestaltung des BK-Blattes war erheblich und kam besonders nach Hanns Liljes Ausscheiden aus der Redaktion 1936 zur Geltung39. Zu den häufigsten Autoren der „Jungen Kirche“ zählte Walter Künneth, der als bekennender Lutheraner dem fränkischen Protestantismus entstammte und seit 1927 als Dozent, später als Leiter der Apologetischen Centrale der Inneren Mission in Berlin wirkte. Der junge Privatdozent gehörte zweifellos zu den einflussreichsten Theologen der kirchlichen Opposition. Seine national-völkischen Sympathien waren auffallend. Sie zeigten sich in dem 1933 – mit Helmuth Schreiner – herausgegebenen Sammelband „Die Nation vor Gott“, und nicht minder in Künneths 1935 publizierter Antwort auf Rosenbergs „Mythus“, die in BK-Kreisen als nahezu offiziöse Stellungnahme gewertet und viel gelesen wurde40. Künneth mache Rosenberg in der Wahl seiner Begriffe die denkbar größten Konzessionen, schreibt Ernst Piper jüngst in seiner Rosenberg-Biographie, so dass der Leser oft Mühe habe, 38 Ebd., 39

261. Zum Ganzen jetzt ausführlich Retter, Protestantische Publizistik. 40 Vgl. Künneth / Schreiner, Nation vor Gott; Künneth, Antwort auf den Mythus.

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zwischen den Gedankengängen beider Autoren zu unterscheiden. Auf 175 von 210 Seiten referiere Künneth Rosenbergs Weltsicht, wobei sich eine er­ drückende Fülle von Übereinstimmungen ergäbe41. Nur wenigen protestantischen Zeitgenossen war dies offenbar aufgefallen, so einer in der Bekennenden Kirche engagierten Berliner Historikerin und Studienrätin, die das Buch sofort nach Erscheinen las und Künneth Ende Juli 1935 einen eindringlichen Brief schrieb: „Sehr geehrter Herr Doktor […] Sie reden über unser heutiges deutsches Judentum nicht anders als mit den heute beliebten Schlagworten von ‚dekadentem Weltjudentum‘ und ‚Asphaltjudentum‘ usw., und Sie bringen es wirklich fertig zu behaupten, das nachchristliche Judentum suche letztlich nur sich selbst, es missbrauche die Völker und werde zum ‚Keimträger der Völkervergiftung‘, d. h. Sie kennen überhaupt nur das Zerrbild des Judentums, wenigstens reden Sie nur davon.“

Die Leistungen von Juden in der deutschen Wissenschaft seien doch allgemein bekannt, ebenso ihr Mäzenatentum in der Kunst, ihre Stiftungen sozialer Art. Wieso solle das „zersetzend“ sein? Und was wolle er den Angehörigen der 12.000 im Krieg gefallenen Juden sagen? Sei es tatsächlich, so fragt sie, ein „Mangel an heldischer Gesinnung“, wenn sich Juden bei Verfolgungen des Mittelalters mit ihren Kindern in die Flammen warfen, um sie vor dem Abfall von ihrem Glauben zu bewahren? „Aber es ist wohl sehr heroisch, wenn in Nürnberg 2x die gesamte jüdische Gemeinde niedergemacht wurde, oder wenn heute 66 Millionen über eine ½ Million herfallen?“ Sie schreibe diesen Brief nicht ohne Bitterkeit. Seit dem Schock des Judenboykotts vom 1. April 1933 habe sie nichts mehr so erregt und empört wie diese Stellen in Künneths Buch. Gewiss, im „Stürmer“ oder „Schwarzen Korps“ stehe weit Schlimmeres, das gehe sie jedoch nicht direkt etwas an. „Wenn das aber in der Bekennenden Kirche geschieht, dann geht es mich etwas an, und ich halte mich […] vor Gott für verpflichtet, aus meiner Verantwortung als Glied der Kirche heraus und aus meiner Verantwortung für Menschen, die mir nahe stehen, heraus, dagegen mit letztem Ernst Verwahrung einzulegen.“

Woher wisse er eigentlich, fragt sie weiter, dass die „Reinerhaltung des Blutes“ Pflicht sei? Die heutige Wissenschaft, die Genetiker wüssten das keineswegs, entsprechende Pflanzen- und Tierversuche stünden erst in den Anfängen, während über „Menschenrassen“ überhaupt nichts Abschließendes gesagt werden könne. Wenn er mit Rosenberg vom „Fluchcharakter“ der Juden spreche, wie solle da die Kirche Judenmission betreiben? Seit zweieinhalb Jahren 41 Piper,

Rosenberg, 219 f.

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wohne sie mit einer Freundin zusammen, die jüdischer Herkunft sei. Nun erlebe sie Tag für Tag die schweren seelischen und körperlichen Qualen, die Zerstörung der Familien, die Feigheit der „arischen“ Freunde, die Selbstmorde. Sollte denn alles, was mit der heute so verachteten Humanität unvereinbar sei, mit dem Christentum vereinbar sein? „Ihr Buch habe ich glücklicherweise von vornherein eingeschlossen, damit meine Freundin es nicht findet. Ich wage nicht daran zu denken, was sonst die Folge wäre.“ Das Buch gelte ja weithin als Antwort der evangelischen Kirche auf den Mythus, als Antwort der BK, zumal es mit einem Vorwort des hannoverschen Bischofs August Marahrens erschienen sei. „Es ist schlimm für die Bekennende Kirche, dass es so ist. Daher ist es meine dringende, herzliche und sehr ernste Bitte, Sie möchten vor einer Neuauflage Ihres Buches diese Stellen einer umfassenden Umarbeitung unterziehen.“42 Die Briefschreiberin hieß Elisabeth Schmitz. Sie verfasste 1935/36 anonym eine Denkschrift gegen die Judenverfolgung, die sie in 200 Exemplaren in Kreisen der BK verteilte. Zu öffentlichen Stellungnahmen der BK in diesem Sinne kam es bekanntlich nicht. Schmitz war Außenseiterin am Rande des entschiedenen BK-Flügels und blieb ungehört. Vergleicht man ihre Denkungsart, die sie mit wenigen teilte, mit derjenigen in den sogenannten „intakten“ Kirchen Hannover, Bayern, Württemberg, so bewegte man sich gedanklich in verschiedenen Welten und sprach mit zweierlei Sprachen43. Kritische Studien zur Rolle des Protestantismus während des Zweiten Weltkriegs jenseits des herkömmlichen Kirchenkampfparadigmas sind bisher kaum in Sicht und vordringliches Forschungsdesiderat44. In der Regel wurde – und wird – Hitlers Krieg mit dem Ersten Weltkrieg verglichen und behauptet, dass von ähnlicher kirchlicher Kriegsbegeisterung wie 1914–18 nicht gesprochen werden könne, vielmehr hätten Skepsis und häufig sogar innere Distanz vorgeherrscht. Jüngste Forschungen zeigen indessen, dass hinsichtlich protestantischer Partizipationen am nationalsozialistischen Eroberungskrieg unbedingt zu differenzieren ist. Es fehlte nicht an begeisterter Kriegsteilnahme und poli­tischmoralischer Identifikation mit NS-Kriegszielen, namentlich in Kreisen der DC. 42 Vgl. Elisabeth Schmitz an Walter Künneth vom 28. 7. 1935 (Entwurf ), in: Nachlass Hanau (Gerhard Lüdecke); der Brief ist jetzt auch abgedruckt in: Aly / Gruner / Heim: Die Verfolgung und Ermordung. Bd.  1, 459–462. Die hier abgedruckte Briefabschrift fand sich in: Archiv des Diakonischen Werkes Berlin, CA / AC 26, Bll. 5–7. Die betreffende Akte enthält Briefe von und an Walter Künneth. 43 Zu Schmitz jetzt: Gailus, Elisabeth Schmitz. 44 Zum insgesamt untererforschten Thema protestantischer Kriegspartizipationen 1939–45: Norden / Wittmütz, Evangelische Kirche; Kaiser, Protestantismus und Krieg; Düringer / Kaiser, Kirchliches Leben; Hummel / Kösters, Kirchen im Krieg.

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Daneben stoßen wir vielfach auf ungebrochene national-patriotische Obrigkeitstreue, schließlich gab es – eher am Rande – ein Potenzial von Skepsis und Distanz, namentlich im Umkreis kirchenoppositioneller jüngerer Bekenntnistheologen45. Der Protestantismus der NS-Zeit war infolge des Eindringens der „Ideen von 1933“ in die Kirchen in mindestens drei neue große Fraktionen gespalten, je nach dem Grad der inneren völkischen Selbstumwandlung und Regimeanpassung46. Und die Bekennende Kirche wiederum war gespalten zwischen vorwiegend preußischen „Dahlemiten“ und den moderaten lutherischen Kirchen, angeführt von den großen drei „Intakten“. „Intakte Kirche“: Diese Selbstbezeichnung muss heute fragwürdig erscheinen angesichts der Tatsache, dass auch in diesen Kirchen Pfarrer jüdischer Herkunft und andere Mitarbei­ ter im Laufe der 30er Jahre aus dem Amt gedrängt wurden. Sieht man aufs Ganze der Protestanten im „Dritten Reich“, so sind wir von einer integrierten Protestantismusgeschichte dieser Epoche noch weit entfernt. Beim gegenwärtigen Forschungsstand seien drei dominante Ausprägungen oder unterschiedliche Wege protestantischer Regionalkulturen hervorgehoben. Erstens: der deutschchristliche Weg in Regionen, wo ein völkischer Protestantismus durch Kirchenregiment und Pfarrerschaft tatsächlich praktiziert wurde und in erheblichen Teilen des Kirchenvolks Widerhall fand. Musterbeispiele wären Thüringen, Mecklenburg sowie eine Reihe kleinerer Landeskirchen. Zweitens ist vom angepassten Weg zu sprechen, etwa für die sogenannten „intakten“ Landeskirchen sowie für einige moderat gespaltene Kirchenregionen. Drittens ist von gespaltenen Regionen zu sprechen, in denen es zu einer tendenziellen Verdoppelung ihrer institutionellen Strukturen kam  – regierende DC-Kirche versus bruderrätlich strukturierte BK-Kirchen mit dahlemitischer Programmatik und eigenem Kirchenregiment. Hier war der innerprotestantische Streit besonders selbstzerstörerisch. Die meisten der großen preußischen Kirchenprovinzen waren so strukturiert. Eine neue Synthese wird den christlichen Widerstand, den es ja zweifellos gegeben hat, deutlich relativieren müssen gegenüber den protestantischen Anteilen aktiven Mitmachens und bereitwilligen Einpassens in die Gebote und Erwartungen der NS-Diktatur. Protestantismus im „Dritten Reich“ heißt mehrheitlich Mittätergeschichte und Anpassungsgeschichte. Als Ganzes hat sich das protestantische Milieu nach 1918/19 – von der Theologie über Pfarrerverhalten bis hin zu den Mentalitäten und dem politischen Wahlverhalten des Kirchenvolks  – eher als eine der 45 Kritischer: Bergen, War Protestantism; angemessen differenzierende Antworten ermöglicht jetzt beispielsweise die Briefdokumentation: Weitenhagen, Wie ein böser Traum. 46 Vgl. zum Folgenden ausführlich Gailus, Protestantismus und Nationalsozialismus.

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Haupteinbruchstellen der „Ideen von 1933“ in die Gesellschaft der Zwischenkriegszeit erwiesen.

V Vergleicht man die deutsche Kriegs- und Zwischenkriegszeit 1914 bis 1945 mit der vorangehenden Friedensepoche des Kaiserreichs (1871–1914) und der nachfolgenden singulären westdeutschen Wohlstandsepoche 1950–1990, so hebt sich die extreme Prägung der hier betrachteten Epoche durch Kriegs­ gewalt, politischen Terror, staatlich exekutierten Massenmord und singuläre seelische Verwüstungen noch einmal in aller Deutlichkeit ab. Es wird kaum ernsthaft bestritten werden können, dass der deutsche Nationalismus als Weltbild, soziale Bewegung und Politik, besonders in seinen gesteigerten Formen des Radikalnationalismus, der völkischen Bewegung und des Nationalsozialismus, wesentlicher Akteur (im Sinne von: kriegsführender Partei) in diesem „Zweiten 30jährigen Krieg“ war. Man hat neuerdings von radikalem Nationalismus, völkischer Bewegung und Nationalsozialismus wieder als einem säkularen Glauben gesprochen, von „politischer Religion“47. Der deutsche Protestantismus brachte seine Potenziale (Theologien, Gläubigkeiten, kulturelle Traditionen, religiöse Mentalitäten) zu erheblichen Teilen in diese extreme, poli­tisch-religiöse Deutschtumsbewegung ein. Das geschah immer mit der Vorstellung, diese dynamische Massenbewegung, von der man vielfach fasziniert war, durch christliche Durchdringung läutern, bessern, vertiefen, ergänzen zu können und zu müssen. „Vaterland“ und „Vaterlandsliebe“, „Volk“, „Schöpfungsordnung“, „Obrigkeitstreue“  – es waren diese und weitere Leitbegriffe und Bilder, in denen diese Grundhaltung einer patriotischen Selbsthingabe gedacht und gelebt wurde. Die genannten und weitere einschlägige Begriffe und Symbole konstituierten ein nationalprotestantisches Weltbild, das immer zugleich religiös und politisch war. Häufig wurde diese mentale Grundhaltung weniger explizit gedacht und reflektiert, als vielmehr geglaubt, gefühlt, em­ pfunden. Man wollte das Profane, das Weltliche, das Politische wieder neu sakralisieren. Gegen alle Säkularisierungsmächte mobilisierte man unaufhörlich neue religiöse Utopien einer Umkehr, einer Geschichtskehre, einer Wieder­ annäherung und Ineinssetzung von Herrschaft und Heil. Staat, Nation, Volk müssten unbedingt christlich (sprich: evangelisch) sein – oder sie würden am Ende nicht sein. Die europäisch-neuzeitliche Trennung von Religion und 47 Zur jüngeren Debatte um „politische Religion“ hier nur: Maier, Politische Religionen; Maier / Schäfer: „Totalitarismus“; Hockerts, Politische Religion.

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Politik konnte in diesen Denkhorizonten nicht als eine wertvolle zivilisatorische Errungenschaft erkannt werden, sondern wurde vielmehr als Bedrohung empfunden, als verhängnisvolle neuzeitliche Fehlentwicklung, die unbedingt zu revidieren sei. So stieg man in jene säkularen, politischen Züge der Zeit ein, von deren Zielperspektive man sich eine solche Revision am ehesten versprach. Die deutschen Protestanten wählten, um im Bild zu bleiben, ihre eigenen Mitfahrgelegenheiten in die politische Moderne. Einmal eingestiegen in jene fatalen Züge, blieb ihnen kaum etwas anderes übrig, als alle Entgleisungen des „Zweiten 30jährigen Krieges“ sehr gründlich mitzumachen.

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Kirchenrechtliche Spielräume kirchenleitenden Handelns im „Dritten Reich“ I. Rahmenbedingungen kirchenleitenden Handelns im NS-Staat Das mir gestellte Thema, das ich besonders im Hinblick auf Bischof Meiser zu behandeln habe, bedarf als erstes einer Klarstellung: Der Jurist versteht unter „kirchenrechtlichen Spielräumen“ solche, die die Normen des kirchlichen Rechts eröffnen, das heißt im hier relevanten Zeitraum: Verfassung und Rechtsetzungsakte der Deutschen Evangelischen Kirche, auf landeskirchlicher Ebene insbesondere die Bayerische Kirchenverfassung von 1920 und das kirchliche Ermächtigungsgesetz vom 4. Mai 1933, das – in Parallele zum staatlichen Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 – den Landesbischof mit umfassenden Vollmachten ausstattete, vor allem mit einem nahezu unbeschränkten Gesetzgebungsrecht, für das es nur noch der Anhörung des Landessynodalausschusses bedurfte1. Eine solche „formaljuristische“ Verengung des Themas, berechtigt in der Schönwetterlage des Religions- und Kirchenfreiheit sichernden demokratischen Verfassungsstaates, müsste aber die tatsächlichen Rahmenbedingungen kirchenleitenden Handelns in der sich zunehmend brutalisierenden Diktatur des nationalsozialistischen Weltanschauungsstaates völlig verzeichnen. 1. Die erste dieser Rahmenbedingungen bestand in der steten unmittel­baren Einflussnahme von Staat und Partei, in Eingriffen durch die staatliche Exekutive von den Ministerien, von Polizei und GeStaPo bis hin zu den Machthabern auf kommunaler und regionaler Ebene, aber auch in der Repression von seiten der NSDAP, ihrer Gauleiter, Dienststellen und ihrer gewaltbereiten Sturmtruppen der SA. Beide Machtsäulen des Regimes, der Staats- und der Parteiapparat, standen im vielbeschriebenen Kompetenzwirrwarr des „Dritten Reiches“ ja in weithin ungeklärter Zuständigkeitsabgrenzung nebeneinander, hatten ihre gemeinsame Spitze nur im Führer, der sich je nach Machtkalkül der einen oder der anderen Befehlsschiene bediente; aber sie durchdrangen auch einander, sowohl personell wie auch sachlich in der für beide Säulen maßgeb 1 Textabdruck bei Huber / Huber, Staat und Kirche, 839 f.; dazu Nicolaisen, Nationalsozialistische Herrschaft, 301 f.; ders., Hans Meiser, 33 f.; Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 461 ff.

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lichen Verpflichtung auf den nationalsozialistischen Führerstaat. Damit wuchs Hitler eine faktische Autorität zu, die es geraten erscheinen ließ, sich seiner Unterstützung gegen Übergriffe der einen oder der anderen Säule seines Machtapparates zu vergewissern, an ihn zu appellieren, Schaden vom Staat oder eben von der Partei abzuwenden2. Das erklärt manche Ambivalenzen in den Ein­ gaben und Erklärungen der „Kirchenführer“. 2. Bei alledem ging es aber auch nicht nur um Eingriffe von außen. Die 1933 anstelle des alten Kirchenbundes gegründete Reichskirche, die Deutsche Evangelische Kirche (DEK), war nicht durch einen kirchenautonomen Rechtsakt entstanden3, sondern hatte ihre Rechtsgestalt durch massive Interventionen von Staat und Partei erhalten4. Ich komme noch darauf zurück. Sie war zwar keine Staatskirche im formellen Sinn5, ihre Willensbildung vollzog sich aber in engem Schulterschluss mit dem totalitären Regime. Der Staat regierte also in einer Weise in die Kirche hinein, die unter der Weimarer Verfassung undenkbar gewesen wäre, obwohl auch dort die staatlichen Kirchenhoheitsrechte die kirchliche Eigenständigkeit weitaus stärker beschnitten, als dies heute unter dem Grundgesetz der Fall ist. Überhaupt keine Parallele hatte die teilweise gewalttätige Einflussnahme der Partei. Die leitenden Amtsstellen der DEK waren fast durchweg mit gläubigen Nationalsozialisten besetzt, die sich in Loyalitätskonflikten häufig genug auf die Seite von Partei und Staat schlugen. Die Drähte zwischen diesen und der DEK-Zentrale wurden eifrig genutzt und das schlagendste Argument im Verkehr mit Kirchenführern und Landeskirchen war der wirklich geäußerte oder auch nur vermutete Führerwille – soweit nicht überhaupt Staatskommissare eingesetzt wurden (wie 1933 der berüchtigte „Rechtswalter“ August Jäger in der preußischen Kirche). Das „Gesetz zur Sicherung der DEK“ vom 24. September 19356 hatte dann dem Reichskirchenminister „zur Wiederherstellung geordneter Zustände in der DEK und in den evangelischen Landeskirchen“ ein sachlich nicht begrenztes Verordnungsrecht verliehen. Dieses Gesetz und die auf seiner Grundlage bis 1938 ergangenen 18 Durchführungsverordnungen7 bildeten – so Klaus Scholder – fortan „die staatskirchenrechtliche Grundlage der Evangelischen Kirche“8. Diese Wertung ist jedoch ungenau, denn die in Weimar noch relativ scharf gezogene Grenze zwischen

2 Böckenförde, 3 Dazu

Kirchlicher Auftrag, 108 u. ö.; vgl. auch Jasper, Gutachten, 242. Link, Staat und Kirche, 138 ff.; ders., Rechtsgeschichte, 194 ff.  – jeweils mit Nach­

weisen. 4 Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 1, 418 ff. und 421 ff. 5 Weber, Staatskirchenrecht, 4. 6 Abgedruckt bei Weber, Staatskirchenrecht, 35 f. 7 Ebd., 36 ff. 8 Scholder, Kirchen im Zeichen; und ders., Kampf um die Kirchen, 289.

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eigenständigem inneren Kirchenrecht und dem dieses begrenzenden, allgemeinen Staatskirchenrecht war längst bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Einer der damals führenden Kommentatoren setzte den Begriff „Staatskirchenrecht“ nur noch in Anführungszeichen9. Insbesondere war die Befestigung dieser Grenze durch die Kirchenfreiheitsgarantien der Weimarer Verfassung gefallen. Zwar war streitig, ob die Verfassung, die ja mit Ausnahme wichtiger Grundrechts­ garantien nie förmlich aufgehoben worden war, im Übrigen im Rang eines einfachen Gesetzes weitergalt, dies aber jedenfalls nur insoweit, als ihre Bestimmungen nicht durch abweichende Regelungen der neuen Machthaber oder durch Grundsätze des nationalsozialistischen Führerstaats obsolet geworden waren10. Daraus sollte eine „besonders starke“ Organisations- und Ämteraufsicht folgen11. Vor allem die evangelische Reichskirche konnte, so das führende staatsrechtliche Lehrbuch12, „nur eine an Haupt und Gliedern und im inneren Wesen erneuerte Kirche sein, der es gelang, die aufgebrochenen völkischen Kräfte in sich zu sammeln“13. Die nationalsozialistische Revolution und die von ihr geschaffene revolutionäre Verfassungswirklichkeit schienen zunächst auch die massivsten ungesetzlichen Gleichschaltungsversuche zu legitimieren14. Das Verhältnis von DEK und Landeskirchen lässt sich deshalb nicht, auch nicht entfernt, an der Elle desjenigen der heutigen gesamtkirchlichen Organisation, der EKD, zu den heutigen Landeskirchen messen. 3. Aber die Zwänge kamen nicht nur aus Reichskirche, Staat und Partei. Die Kirchenleitungen sahen sich  – soweit sie sich nicht selbst bedingungslos der neuen Bewegung verschrieben – zugleich auch innerhalb ihrer Landes­ kirchen einem wachsenden Druck seitens der „Deutschen Christen“ (DC) in Pfarrerschaft, Synoden, Presbyterien, aber auch im Kirchenvolk ausgesetzt – ein Druck, der seinerseits durch Partei und die zunehmend gleichgeschaltete Presse wirksame Verstärkung erfuhr. Die Gefahr einer deutsch-christlichen Machtübernahme und eines nachfolgenden Auseinanderbrechens der Landeskirche war höchst real, wie sich alsbald in den sog. zerstörten Kirchen zeigte, sie war auch in Bayern anfangs durchaus akut15. Die Entscheidungsspielräume kirchenleitenden Handelns waren deshalb, sollte die Kirche zusammengehalten werden, auch von innen her verengt. Sie erforderten vielfältige Kompromisse,

9 Weber, Neues Staatskirchenrecht, 1. 10 Zu dieser Kontroverse Huber, Verfassungsrecht, 11

44 ff. Ebd., 500. 12 Dazu Stolleis, Geschichte, 348 ff.; Link, Ernst Rudolf Huber, 650. 13 Huber, Verfassungsrecht, 506. 14 Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 1, 459 und 473 f. 15 Nicolaisen, Nationalsozialistische Herrschaft, 304 ff.; ders., Hans Meiser, 41; Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 335 ff.

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taktische Anpassung an die jeweilige Situation, ein gewisses Lavieren. Konsequente Gradlinigkeit hatte einen hohen Preis: die Spaltung der Kirche. Insofern unterschied sich die Lage der Kirchenleitungen auch erheblich von derjenigen des katholischen Episkopats. Nicht dass hier namentlich die Laien und die Universitätstheologie sich insgesamt als immun gegen die „nationale Revolution“ erwiesen hätten; aber die Verfassungsstrukturen blieben doch intakt, die dogmatisch und kirchenrechtlich gesicherte Autorität der Bischöfe blieb unangefochten. Zudem bot auch das soeben geschlossene Reichskonkordat einen gewissen Schutz gegen allzu offensichtliche direkte Eingriffe in das Innere der Kirchenverfassung. Auch hier mangelte es freilich nicht an Loyalitätserklärungen gegenüber dem Regime, an Taktieren, an kirchenpolitischer Leisetreterei und Schweigen zu Gewaltakten, zur wachsenden allgemeinen Rechtlosigkeit – das alles nicht zuletzt motiviert von dem Bestreben, jedenfalls den kirchlichen Binnenraum zu schützen16. Einige mutige Ausnahmen erhellen auch hier nicht die ganze Wirklichkeit. 4. Man mag das alles im Hinblick auf beide Konfessionen bedauern, ja aus dem sicheren historischen Abstand von sechs Jahrzehnten kirchenfreiheitssichernder Normalität des demokratischen Verfassungsstaats darüber den Stab brechen. Der Situation, in die sich die Kirchenleitungen nach 1933 gestellt sahen, wird man damit nicht gerecht. Wir Nachgeborenen urteilen aus dem Wissen über den verhängnisvollen Weg, den Deutschland sich damals einzuschlagen anschickte, einen Weg, der in letzter Konsequenz auf Auschwitz und den totalen Krieg zulief. Der Erkenntnishorizont der damals Handelnden war ein ganz anderer. Sicherlich, es gab hellsichtige Warner wie den mutigen früheren Generalsynodal- und Kirchentagspräsidenten Freiherr von Pechmann17, sicher 16 Dazu Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 1, 300 ff., 354, 482 ff., 627; Böckenförde, Kirchlicher Auftrag, 54 ff.; Jasper, Gutachten, 230; Link, Staat und Kirche, 140 ff.; ders., Rechtsgeschichte, 196 ff. mit weiteren Nachweisen. 17 Über Pechmann (1859–1948): Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 1, 24 („einer der bedeutendsten Laien in der evangelischen Kirche“), 290, 338 f., 347, 352 ff., 385 f. – Er trat 1934 aus der Kirche aus, da diese mit ihrer Weigerung, dem Antisemitismus entgegenzutreten, aufgehört habe, Kirche zu sein (ebd., 143); vgl. auch Sommer, Pechmann, 1078 (Lit.); Nicolaisen, Nationalsozialistische Herrschaft, 302, 321; ders., Hans Meiser, 35; Pfister, Partner, 161 ff.; Sommer, Stimmen, 70 ff.; Jasper, Gutachten, 230 f. – Zu nennen ist für die bayerische Kirche zudem der ebenso mutige wie hellsichtige Vikar und spätere Pfarrer Karl Steinbauer (1906–1988), der nicht nur eine immer wiederholte theologische Grundsatzkritik am Verhalten Meisers geübt hat, sondern sich auch in seiner Predigt, durch Ablehnung von Beflaggung, Glockenläuten an Feier­ tagen des Regimes und des Führereids jedem Anpassungskurs strikt verweigerte. Er bezahlte seine Standfestigkeit mit kirchlicher Disziplinierung ebenso wie mit sich steigernder Repression des Regimes (Redeverbot, Ausweisung aus Bayern und mehrfacher Inhaftierung, zuletzt im KZ Sachsenhausen). Beschämend ist, dass die daraus erwachsenen Konflikte auf Seiten Meisers und des Landeskirchenrats zu einer bleibenden Reserve gegenüber Steinbauer führten, die auch das Ende der

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lich hatte Hitler schon ein Jahrzehnt zuvor seine Ziele deutlich genug offen gelegt und sicherlich konnte der beginnende Terror gegen Juden und politische Gegner niemandem verborgen bleiben. Alles das, die drohenden Wetterzeichen am Horizont, wurden zwar auch in Kirchenkreisen abseits der DC wahrgenommen, diese Wahrnehmung war aber überlagert von der Faszination des „nationalen Aufbruchs“, der sich gerade in der evangelischen Kirche – bis weit in die Bekennende Kirche hinein – nur wenige entziehen konnten. Die ersten Jahre waren Jahre der Illusionen18. In Kirchen und Kirchenleitungen nährten sie sich aus dem Programm der NSDAP, das in Punkt 24 für die Partei den „Standpunkt eines positiven Christentums“ reklamierte und die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat forderte19. Der bedrohliche Zusatz, „soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen“, wurde dagegen kaum wahrgenommen. Wichtiger noch war, dass Hitler in seiner Regierungserklärung vor dem Reichstag am 23. März 1933 mit eindringlichen Worten um das Vertrauen beider Kirchen geworben hatte: „[…] Die nationale Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen wichtigste Faktoren zur Erhaltung unseres Volkstums. Sie wird die zwischen ihnen und den Ländern abgeschlossenen Verträge respektieren, ihre Rechte sollen nicht angetastet werden. Sie erwartet aber und hofft, dass die Arbeit an der nationalen und sittlichen Erhebung unseres Volkes, die sich die Regierung zur Aufgabe gestellt hat, umgekehrt die gleiche Würdigung erfährt. Sie wird allen anderen Konfessionen in objektiver Gerechtigkeit gegenübertreten. […] Die nationale Regierung wird in Schule und Erziehung den christlichen Konfessionen den ihnen zukommenden Einfluss einräumen und sicherstellen. Ihre Sorge gilt dem aufrichtigen Zusammenleben zwischen Kirche und Staat. […] Ebenso legt die Reichsregierung, die im Christentum die unerschütterlichen Fundamente des sittlichen und moralischen Lebens unseres Volkes sieht, den größten Wert darauf, die freundschaftlichen Beziehungen zum Heiligen Stuhl weiter zu pflegen und auszugestalten […]“20. NS-Ära überdauerte und sich in wiederholten Ermahnungen niederschlug, auf alle kirchenpoli­ tischen Aktivitäten zu verzichten. Dazu Sommer, Stimmen, 76 ff., und die zu einem Sammelband zusammengefassten Beiträge von Horst Weigelt, Hans G. Ulrich, Friedrich Mildenberger, Manfred Seitz, Otto Merk, Alasdair Heron und Karl Eberlein anlässlich eines Kolloquiums der Erlanger Theologischen Fakultät zum 80. Geburtstag Steinbauers (Mildenberger / Seitz, Gott); weiter der eindrucksvolle Katalog einer Wanderausstellung zum 100. Geburtstag Steinbauers am 2. 9. 2006 und eine private Dokumentensammlung mit Faksimiles seiner Schreiben an Hitler, Minister Kerrl, „Reichsjugendführer“ von Schirach sowie an Dienststellen von Partei und Staat. – Für die Über­ lassung dieser Materialien habe ich Frau Elisabeth Giesen-Steinbauer / Köln sehr zu danken. 18 Dazu Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 1, 277 ff., 462 ff., 536 f. und passim. 19 Die zeitgenössische Staatsrechtsliteratur wertete gerade diese Aussage als zentrale Maxime der NS-Kirchenpolitik, vgl. Huber, Verfassungsrecht, 495 ff. 20 Huber / Huber, Staat und Kirche, 466 f.

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Dieser „Vertrauensfeldzug“ (Klaus Scholder)21 verfehlte seinen Eindruck nicht. Hitler schien mit der Reichskanzlerschaft zum verantwortungsvollen Staatsmann gereift, Krawall, Terror und Einschüchterung erschienen weithin als zwar unerfreuliche, aber vorübergehende Begleiterscheinungen einer Revolutionsphase, an deren Ende die Rückkehr zu rechtsstaatlicher Normalität folgen müsste. Und diese Einschätzung war ja auch nicht ganz unverständlich. Neuere Forschungen haben das Urteil bestätigt, das Werner Weber, damals leitender Mitarbeiter im preußischen Kultusministerium und in der Folgezeit einer der führenden Staatsrechtslehrer, bereits 1941 in einem mutigen Vertrag vor Kirchenjuristen fällte, dass nämlich Hitler und die Partei 1933 nicht mit einem klaren kirchenpolitischen Programm angetreten waren. „Die ersten, vom Nationalsozialismus inspirierten kirchenpolitischen Maßnahmen der Reichsregie­ rung wirkten daher improvisiert und waren durch mancherlei Zufälligkeiten bestimmt.“22 Den gemeinsamen Nenner dieser „Zufälligkeiten“ bildete die Notwendigkeit der Erringung und später Sicherung der noch keineswegs gefestigten Macht. Die Mittel dazu wurden nach der jeweiligen taktischen Opportunität gewählt. Wie regelmäßig in totalitären Systemen gingen dabei Versuche innerer Unterwanderung der Kirche einher mit der Erneuerung staatskirch­ licher Herrschaftsinstrumente, das Wecken trügerischer Hoffnungen auf institutionelle Absicherung mit offener Pression. Gleichwohl zeigte die verbreitete Unsicherheit auch unterschiedliche kirchenpolitische Leitvorstellungen in den Ministerien und unter den Parteiführern. Die taktisch geschickte Zurückhaltung Hitlers ließ Übergriffe als Einzelaktionen untergeordneter Dienststellen erscheinen, gegen die man Abhilfe beim Führer erhoffte23. Erst später, als die ideologische Vereinnahmung der Kirchen nicht die gewünschten Erfolge zeigte, als sich erwies, dass jedenfalls wichtige Teile in ihnen nicht bereit waren, sich dem Totalitätsanspruch der Partei zu unterwerfen, gewann die Kirchen­politik des Regimes klarere Konturen. Gefördert vom zunehmenden Desinteresse Hitlers24 und angesichts der unerwünschten Unruhe setzte sich verstärkt die namentlich von Chargen wie Heydrich und Bormann vertretene Linie durch: die euphemistisch als „Entkonfessionalisierung“ bezeichnete Verdrängung der 21 Scholder, 22

Kirchen und Drittes Reich, Bd. 1, 280. Weber, Entwicklung, 114 (erstmals [unverändert] publiziert 1952, in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche. Festschrift für Rudolf Smend zum 70. Geburtstag. Göttingen 1952). Zur Würdigung einerseits Winter, Wissenschaft, 174 ff., besonders 183 ff.; andererseits Link, Rezension Winter, 449 f. Zum „verdeckten Pluralismus“ im ideologischen Gefüge des Regimes allgemein auch Stolleis, Gemeinwohlformeln, 299 ff. 23 Böckenförde, Kirchlicher Auftrag, 108. 24 Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 1, 464 f.; ders., Kampf um die Kirchen, 295.

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Kirchen aus dem öffentlichen Leben25 – auch dies freilich wiederum gebremst durch den bei Kriegsbeginn ausgerufenen „Burgfrieden“. Was den Kirchen indes nach einem „Endsieg“ geblüht hätte, das wurde in den Radikalkuren im sog. Warthegau26 überdeutlich vorexerziert. 5. In den Anfangsjahren des „Dritten Reiches“ schienen indes noch alle Wege offen. Die Entscheidungsspielräume für ein klares kirchenleitendes Handeln waren jedoch auch von ganz anderer Seite her eingeschränkt, nämlich von derjenigen einer spezifischen, insbesondere lutherischen Theologie. Dabei ging es nicht nur um die seit jeher im Luthertum stärker akzentuierte Loyalität gegenüber der Obrigkeit im Sinne von Röm. 13. Vielmehr hatten sich seit den zwanziger Jahren zwei theologische Ansätze zu einer brisanten Mischung verbunden, die die Widerstandskräfte gegen die nationalsozialistische Ideologie weithin lähmten. Zum einen schien mit den Umwälzungen des 1. Weltkriegs das „Jahrhundert der Kirche“27 angebrochen; es stellte eben jene Kirche vor die Herausforderung, in einer Zeit des Verfalls alter Werte ein neues Ethos in den Aufbau von Staat, Volk und Gesellschaft einzubringen. Gerade in diesem Umbruch erschienen die Kräfte von Theologie und Kirche gefordert, eine Sittlichkeit zu wecken, über die der pluralistische Staat nicht mehr zu wachen vermochte. Demokratischer Rationalismus, Individualismus, Liberalismus, ungezügelte Massenherrschaft, als geistige Grundlagen der Republik identifiziert, sollten in einer neuen, von Religion und Sittlichkeit bestimmten Gemeinschaft überwunden werden28. – Zum anderen war es die sog. völkische Theologie29. In einer Verzeichnung der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre gewannen die „Schöpfungsordnungen“ ein verhängnisvolles theologisches Eigengewicht. Volk und „Volksnomos“ ebenso wie Nation, Rasse und ihre Reinhaltung waren in Gottes Schöpfung angelegte und deshalb aller theologischen Betrachtung vorgegebene Entitäten30. Damit war die Kirche an das Volk und insbesondere an das deutsche in seiner Eigenart und rassischen Zusammensetzung gewiesen. Die Kirche musste wieder Volkskirche, musste Kirche des deutschen Volkes werden31, 25 Dazu näher mit Nachweisen Link, Staat und Kirche, 147 ff.; ders., Rechtsgeschichte, 201 ff. 26 Link, Rechtsgeschichte, 206 f. (Nachweise). 27 So der Titel des weitverbreiteten Buches des Berliner Generalsuperintendenten (und späteren Bischofs) Otto Dibelius, erschienen zuerst 1921, danach in zahlreichen Auflagen. 28 Dazu noch immer grundlegend Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 1, 46 ff. 29 Graf, Völkische Theologie, 1168 f.; ders., Nationalsozialismus, 86 ff.; ders., Theologische Strömungen, 255 ff. 30 Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 1, 403 f., 429 ff., 529 ff., 539 u. ö.; Bd. 2, 208 ff.; Jasper, Gutachten, 220 ff. 31 Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 1, 481, 607; Jasper, Gutachten, 223.

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sozusagen als geistliche Schauseite des Nationalstaats, jedenfalls seines evangelischen Teils. 6. Mit all dem verband sich eine theologische Abwertung von Recht und Institution in der Kirche. Unseliges Erbe des Neuluthertums war die Beschränkung des Reiches Gottes zur Rechten, des Reiches Christi, auf Glauben und Wahrung des (lutherischen) Bekenntnisses32. In welchen Formen und Ordnungen dieses Bekenntnis Gestalt gewann, war theologisch nahezu gleichgültig, sie gehörten ins Reich Gottes zur Linken, in das Reich dieser Welt, und unter­ lagen deshalb deren Gesetzen, hatten sich deren Bewegungen anzupassen33. Damit eröffnete gerade diese theologische Rechtsblindheit fremden Ideologien ein breites Einfallstor in das Innere der Kirche. Erst vor diesem Hintergrund, der zunächst – von wenigen Ausnahmen abgesehen – lutherisches Gemeingut war34, wird die Brisanz der dritten These von Barmen deutlich: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden welt­ anschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen“.

Allgemeine Akzeptanz fand diese These in den lutherischen Kirchen freilich erst nach 194535. 7. Diese weitverbreitete theologische Grundierung prägte nun auch in besonderer Weise die Leitvorstellungen der nicht deutschchristlichen Kirchen­ führer – und das vor allem in dreifacher Weise: a) Erstens schien sich mit dem nationalen Aufbruch die Chance zur Erneuerung der Volkskirche zu verbinden. Ein Großteil des im Rückblick verstörenden Redens und Handelns der ersten NS-Jahre lässt sich nur aus dieser Hoffnung erklären, die evangelische Kirche könne nun wieder zur echten, ureigenen Kirche des deutschen Volkes werden – eine Illusion, die auch die gemäßigten Kreise der DC gleichermaßen beflügelte. Die Machtergreifung Hitlers wurde nicht nur als politischer Regierungswechsel verstanden, sondern als erste Manifestation einer Bewegung, die zunehmend das ganze Volk ergriff und es zu neuen Ufern führte. Nun galt es, dieser Bewegung auch kirchlich die Richtung zu weisen, ihr in allen ideologischen Verwirrungen ihr eigentliches Ziel zu setzen: Die „Nation vor Gott“36 zu führen. Und auf alles dies schienen die Zeichen der Zeit zu deuten: Nicht nur, dass kirchliche Veranstaltungen – solche der DC 32 Scholder, 33

Kirchen und Drittes Reich, Bd. 1, 372 f., 395 f., 621; Bd. 2, 82, 273 f. Ebd., Bd. 1, 535; Bd. 2, 211, 273 f. 34 Dazu Link, Grundlagen, 77 f. 35 Ebd., 78 ff.; ders., Rechtsgeschichte, 213, 214 ff.; zur entsprechenden Diskussion in Barmen vgl. Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 2, 194 f. 36 So der Titel des einflussreichen Buches von Walter Künneth und Helmuth Schreiner.

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wie auch solche der Bekenntnisfront – Menschenmassen mobilisierten, nicht nur, dass ganze SA-Stürme geschlossen in die Gottesdienste marschierten. Vor allem schien an der Spitze von Bewegung und Staat nun eine Führung zu stehen, die die Rechristianisierung des deutschen Volkes, die Erneuerung von Kirche und christlichem Ethos auf ihre Fahnen geschrieben hatte und zur Grundlage der Volksgemeinschaft machen wollte37. Hitlers stete und pathetische Berufung auf Gott, auf den Allmächtigen (erst später trat die „Vorsehung“ an deren Stelle), sein gelegentliches Beschließen einer Rede gar mit „Amen“38, all das nährte die trügerische Hoffnung auf eine Wiederkehr des christlichen Staates im nationalsozialistischen Gewande – unter einem pius magistratus, einer frommen Obrigkeit im Sinne Luthers, die nun an die Stelle kirchlich distanzierter, ja teilweise dezidiert antikirchlicher republi­kanischer Regierungen getreten war39. b)  Die zweite Konsequenz der geschilderten theologischen Zeitströmung war die Hellhörigkeit dort, wo es um das Bekenntnis ging. Dieses Bekenntnis aber war das lutherische. Konkret bedeutete das, dass Gefährdungen des lutherischen Bekenntnisses auch im Kirchenkampf eher in einem Einbruch reformierter Positionen und in einer Stärkung unionistischer Tendenzen gesehen wurden. Überspitzt ausgedrückt – und das gilt auch und gerade für Meiser –: Die Abwehr galt einem befürchteten lutherisch-reformierten Synkretismus und Unionismus mindestens in gleichem Maße wie den deutschchristlichen Irr­ lehren40. Nun wird man einem lutherischen Bischof schwerlich zum Vorwurf machen können, dass er auf die Reinhaltung des lutherischen Bekenntnisses bedacht war. Aber: Dass hier das Bekenntnis der Kirche als ganzer gefordert war, über alle Konfessionsgrenzen hinaus, diese Erkenntnis setzte sich nur zögernd und niemals ganz durch. Das führte nicht nur zu Vorbehalten gegenüber der Barthschen dialektischen, christozentrischen Theologie und der von ihr geprägten Barmer Erklärung, sondern hinderte die Bekennende Kirche am Aufbau einer klar definierten Einheitsfront. c)  Und das Dritte: Die theologische Abwertung des Rechtlich-Institutionellen ließ die Kämpfe um die äußere Gestalt von DEK und Landeskirchen 37 Scholder, 38

Kirchen und Drittes Reich, Bd. 1, 663 f.; Link, Rechtsgeschichte, 194 f. Zu alldem Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd.  1, 280 ff. (die NS-Presse übersetzte das als „Bekenntnis zum christlichen Staat“, zum „Christentum als Regierungsgrundlage“; ebd., 282). – Bemerkenswerterweise verwahrten sich auch prominente evangelische „Laien“ gegen derlei Missbräuche. In einer Eingabe an Bischof Wurm forderte u. a. die kluge Tochter Adolf von Harnacks, Agnes von Zahn-Harnack, der Kirchenausschuss möge dagegen „in aller Öffentlichkeit“ seine Stimme erheben (ebd., 290). 39 Ebd., 299; Jasper, Gutachten, 228 f. 40 Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 2, 174; vgl. auch 296, 341 und passim.

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lediglich als Frage taktisch richtiger Kirchenpolitik erscheinen. Sie verdunkelte die Erkenntnis, dass es dabei auch ganz elementar um das Bekenntnis und eine diesem angemessene Ordnung ging. Das erklärt manches heute schwer verständ­ liche Taktieren, erklärt viele faule Kompromisse mit den – ihre Sache zielstrebig verfolgenden – deutschchristlichen Führungszirkeln.

II. Kirchenleitendes Handeln unter den Zwängen von Recht und Politik 1. a) Wie bestimmten nun diese Rahmenbedingungen die Praxis kirchenleitenden Handelns? Die gravierendsten Bedrohungen landeskirchlicher Eigenständigkeit gingen zunächst von den Zentralisierungstendenzen der DEK aus. Die etappenweise erfolgte Gleichschaltung der Länder mit dem Reich41 hatte auch die alte Idee einer protestantischen Nationalkirche neu belebt. Über den verhältnismäßig lose strukturierten Kirchenbund von 1922 schien die Zeit hinweggegangen. Auch die nicht deutsch-christlichen Kirchenführer sahen die Notwendigkeit, ihm durch eine neue Verfassung eine festere Gestalt zu geben. Die von Hitler ausdrücklich unterstützte Forderung der DC nach der Ersetzung des Kirchenbundes durch eine evangelische Reichskirche stieß daher kaum auf prinzipiellen Widerstand42. Allerdings standen dahinter ganz unterschiedliche Leitvorstellungen. Den einen galt die Schaffung der Reichskirche als flankierende Maßnahme zur Ländergleichschaltung, diente also der Gleichschaltung der Landeskirchen und sollte durch das Führerprinzip die Einheitlichkeit des kirchenpolitischen Kurses im Sinne der DC gewährleisten. Demgegenüber ging es dem Kirchenausschuss als Organ des Kirchenbundes und den meisten Kirchenleitungen darum, einer DC-geleiteten Einheitskirche durch die Gründung einer bündischen Reichskirche zuvorzukommen. Diese kirchenpolitische Weichenstellung verband sich mit der Personalentscheidung für das neuzuschaffende Amt des Reichsbischofs. Hitler hatte den Wehrkreispfarrer Ludwig Müller zu seinem „Vertrauensmann“ mit dem Auftrag bestellt, die Reichskirchengründung voranzutreiben. Dagegen wählten die Landeskirchenvertreter mit großer Mehrheit den Leiter der Betheler Anstalten Friedrich von Bodelschwingh zu ihrem Kandidaten. Damit war der Konflikt mit Partei und 41 Gesetze zur „Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ vom 31. 3. 1933 (Umbildung der Länderparlamente nach den Ergebnissen der Reichstagswahl vom 21. 3. 1933) und vom 7. 4. 1933 (Einsetzung von Reichsstatthaltern mit Ernennungsrecht für die Landesregierungen), – sowie das „Gesetz über den Neuaufbau des Reiches“ vom 30. 1. 1934 (Beseitigung der Länderparlamente). – Die Parallelen in der Gleichschaltungspolitik der DEK sind unübersehbar. 42 Nachweise dazu und zum Folgenden bei Link, Rechtsgeschichte, 194 f.

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DC unausweichlich. Die sich steigernde deutsch-christliche Agitation und mas-

sive staatliche Eingriffe in die preußischen Kirchen ließen die landeskirchliche Unterstützungsfront für Bodelschwingh bröckeln. Nach seiner Resignation und der einstimmigen Wahl Müllers durch die aufgrund der Kirchenwahlen vom 23. Juli 1933 mit nachdrücklicher Unterstützung Hitlers DC-beherrschte Nationalsynode schien für Hitler der Kampf um die evangelische Kirche gewonnen. b) Die Verfassung der DEK vom 14. Juli 1933, vom Reichskabinett am gleichen Tag wie das Reichskonkordat gebilligt43, trug trotz ihres Kompromisscharakters im Ganzen organisationsrechtlich doch wesentlichen Anliegen der DC Rechnung. Zwar war von einer Gliederung in Landeskirchen die Rede, deren Selbständigkeit war jedoch nur in Bekenntnis und Kultus gesichert (Art. 2 III), ihre Rechtseinheit in „Verwaltung und Rechtspflege“ hatte dagegen die DEK „zu fördern und zu gewährleisten“ (Art. 2 IV). Insbesondere sollte sie das „deutsche gesamtkirchliche Rechtsleben“ (Art. 3 I) regeln. Auf Rückfrage von Meiser und Marahrens übersetzte „Rechtswalter“ August Jäger den Regelungsgehalt dieser Vorschrift lapidar mit dem Satz „Reichsrecht bricht Landesrecht“44. Im Klartext bedeutete das die Nichtigkeit landeskirchlicher Normen, die im Widerspruch zum Reichskirchenrecht standen. Die landeskirchliche Gesetzgebung war also auf Gegenstände begrenzt, für die das Reichskirchenrecht (noch) keine Regelung getroffen hatte. Institutionell kam – dem Führerprinzip entsprechend – dem Reichsbischof eine zentrale Machtstellung zu. Ihm stand ein Geistliches Ministerium zur Seite, bestehend aus drei theologischen Mitgliedern, vom Reichsbischof auf Vorschlag der „Führer der Landeskirchen“ ernannt, und aus dem leitenden rechtskundigen Beamten der Kirche der Altpreußischen Union (APU), dessen Stelle daher im Ein­vernehmen mit dem Reichsbischof zu besetzen war. Diese – hochtrabend „Kirchenminister“ genannten  – Mitglieder waren allesamt glühende Nationalsozialisten und – jedenfalls bis zum Sportpalastskandal – führend in der deutsch-christlichen Bewegung (Joachim Hossenfelder sogar deren Reichs­leiter). Damit war die ideologische Ausrichtung der DEK auch personell gesichert. c) Vor allem lag das Gesetzgebungsrecht in Parallele zum Ermächtigungs­ gesetz in den Händen des Geistlichen Ministeriums „unter Führung des Reichsbischofs“ (Art.  7 I). Die nicht näher definierte „Mitwirkung“ der National­ synode (Art. 5 III) stand nur auf dem Papier, da diese nach der Wahl Müllers 43 Abgedruckt bei Huber / Huber, Staat und Kirche, 861 ff.; (staatliches) Einführungsgesetz vom 14. 7. 1933 (ebd., 870 f.). 44 Zitat bei Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 1, 476 f.

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und Annahme der DEK-Verfassung nur noch ein einziges Mal 1934 für drei Stunden zusammentrat. Eine besondere Brisanz enthielt Art.  6 Abs.  1 Satz 2. Danach traf der Reichsbischof „die zur Sicherung der Verfassung erforderlichen Maßnahmen“. In der Interpretation des Architekten der DEK-Verfassung, des Bonner Staats- und Kirchenrechtslehrers Johannes Heckel, verlieh diese Bestimmung dem Reichsbischof im Konfliktfall eine nahezu unbeschränkte Diktaturgewalt45. Diese Auslegung war keineswegs zwingend und wurde auch von den Juristen der Bekennenden Kirche nachdrücklich bestritten46. Gleichwohl stützte namentlich August Jäger seine brachialen Eingliederungsver­ suche auf diese Vorschrift. Wo die Eingliederung gelang, wurden die Befugnisse von Landesbischof, Kirchenleitung und Landessynode auf die DEK mit der Ermächtigung übertragen, auch verfassungsändernde Kirchengesetze zu erlassen47. Dass dies mit dem landeskirchlichen Verfassungsrecht unvereinbar war, störte den „Rechtswalter“ wenig. Aber auch wenn man in Art. 6 eine Diktaturgewalt hineininterpretierte, so ermächtigte die jedenfalls nur zur „Sicherung“ der DEK-Verfassung, nicht aber zur Außerkraftsetzung ihrer Grundlagen. Und zentrale Grundlage war eben die Gliederung in Landeskirchen (Art. 2 I). Zwar begründete Art.  2 IV für die DEK das Recht, den Landeskirchen „Richtlinien für ihre Verfassung, soweit diese nicht bekenntnismäßig gebunden ist, zu geben“, erlaubte also eine „Gleichschaltung“, nicht aber die Herabstufung der Landeskirchen zu bloßen Verwaltungseinheiten einer zentralistisch organisierten Reichskirche. Hierfür hätte es jedenfalls einer formellen Verfassungs­ änderung im Verfahren nach Art. 12 bedurft48. Ganz abgesehen von ihrer gewaltsamen Durchsetzung stand daher gerade der Eingliederungspolitik ihre 45 Dazu 46

ebd., Bd. 1, 477 ff., 739 f.; Bd. 2, 31 ff. Vor allem durch den mutigen Reichsgerichtsrat Wilhelm Flor in zahlreichen Rechtsgutachten, denen dann auch die staatlichen Gerichte vielfach folgten (Volkmann, Rechtsprechung, 103 ff.; Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 2, 41 ff., 274 f. u. ö.). Diese für Staat wie DEKKirchen­leitung gleichermaßen unerwünschte, ja blamable Judikatur führte dann 1935 zur Einrichtung einer eigenen „Beschlußstelle in Rechtsangelegenheiten der Evangelischen Kirche“ (Gesetz über das Beschlussverfahren in Rechtsangelegenheiten der Evangelischen Kirche vom 26. 6. 1935, abgedruckt bei Weber, Staatskirchenrecht, 31 f.), der die in Zivilprozessen maßgebliche Prüfung der Vorfrage nach der Rechtmäßigkeit kirchenleitender Entscheidungen nunmehr ausschließlich zugewiesen wurde. Sie ressortierte zunächst beim Innenministerium, später (2. DurchführungsVO vom 27. 7. 1935; ebd., 34 f.) beim Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten Kerrl, der auch selbst den Vorsitz führte (§ 2 I). 47 Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 2, 88 ff., 164, 278 f. 48 Johannes Heckel sah die Zulässigkeit einer Umwandlung der Landeskirchen in „Gebietskirchen“ in Parallele zu den staatlichen Gleichschaltungsgesetzen (vgl. oben Anm. 41) allerdings in Art. 12 Verf. DEK bereits „angedeutet“ (Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 2, 272, 284). – Wie hier dagegen bereits Weber, Föderalismus, 226 f.

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Rechtswidrigkeit auf die Stirn geschrieben und es ist kein Zufall, dass das Regime hier vor dem unerwarteten Widerstand, namentlich in Bayern und Württemberg, zurückwich. d) Konnten derartige Gewaltakte in der Umbruchphase noch mit der Scheinlegitimation revolutionärer „Notwendigkeiten“ bemäntelt werden49, so ließ der vorgetäuschte Übergang zu staatsrechtlicher Normalität Hitler auch kirchenpolitisch vor offenkundigen Rechtsbrüchen nun zurückschrecken50, jedenfalls dort, wo sie öffentlichkeitswirksam waren, ein unerwünschtes Unruhepotential in der Bevölkerung schufen und wo es nicht um Kernanliegen des Regimes ging. Gerade das letztere, der feste Glauben an die Zielidentität von nationalsozialistischer Führung und DC, erwies sich zunehmend als eine Illusion51, eine Illusion, die letztlich auch zum Scheitern der Eingliederungspolitik, zum Sturz Jägers und zum Verfall der DEK führte. Die dramatischen Ereignisse des Herbstes 1934 im Zusammenhang mit den gescheiterten Eingliederungsbemühungen, die Absetzung Meisers, die Arretierung Meisers und Wurms, die Einsetzung von reichskirchlichen Kommissaren, die Massenproteste und die Loyalitätserklärungen der Pfarrerschaft, der den Reichsbischof desavouierende Empfang der Bischöfe bei Hitler – all das ist bekannt und bedarf hier keiner Wiederholung52. Bemerkenswert ist aber, dass 49 Diese Debatte war ein Widerschein der Auseinandersetzungen in der Staatsrechtslehre, die nach 1933 um revolutionäres Recht und Rechtsstaatlichkeit geführt wurden. Dabei ging es den Protagonisten um die Abwehr aller Versuche, die Maßnahmen der neuen Regierung als rechtsstaatswidrig zu kritisieren. Die Stichworte hatte Carl Schmitt geliefert: Staat, Bewegung, Volk (so seine gleichnamige Schrift), personell verklammert, waren nur noch funktionell geschieden. Während die „Bewegung“ die „dynamische Ordnung“ vorgab, vermittelten die so erzeugten Rechtssätze der Exekutive eine zweckgelenkte Legalität als „Funktionsmodus des staatlichen Behördenapparats“ (Schmitt, Staat, 15; dazu Stolleis, Geschichte, 316 ff., besonders 323 ff.; Dreier, Staatsrechtslehre, 34 ff., 40 ff., 46 ff.; Mitbericht von Pauly, Staatsrechtslehre 73 ff., 79 ff., 89 ff., 93 ff.). Das sollte der „deutsche Rechtsstaat Adolf Hitlers“ sein (Zitat bei Stolleis, Geschichte, 334). Ähnlich, wenn auch gemäßigter, Forsthoff, Staat (dazu Stolleis, Geschichte, 320 f.; Dreier, Staatsrechtslehre, 17; Pauly, Staatsrechtslehre, 81 f.). – Derartige Gedanken, die Johannes Heckel theologisch überhöht hatte (Dreier, Staatsrechtslehre, 23; Pauly, Staatsrechtslehre, 90) fielen in der Reichskirchenregierung, namentlich bei Ludwig Müller, seinem engsten Berater und „Stabschef“ Bischof Heinrich Oberheid – einem glühenden Verehrer Schmitts – und bei August Jäger, auf fruchtbaren Boden. Eine Scheinlegitimation für die Umsetzung in praktische Kirchenpolitik bot eben jene, in Art. 6 Verf. DEK hineingelesene Diktaturgewalt (vgl. oben bei Anm. 45 – dazu Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 1, 457; Bd. 2, 17 ff., besonders 22, 27, 32). Diese Bestimmung erhielt in einer solchen Deutung den Rang einer Art kirchlichen Ermächtigungs­gesetzes. 50 Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 1, 473 f., 480 f. 51 Ebd., Bd. 2, 22 u. ö. 52 Nicolaisen, Nationalsozialistische Herrschaft, 310 ff.; ders., Hans Meiser, 41 ff.; Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 2, 292 ff., 307, 315 ff., 324 ff., 351 ff.

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Meiser und der Landeskirchenrat in ihren Protesten nicht nur der „derzeitigen“ Reichskirchenregierung den Rechtsgehorsam aufkündigten. Sie stellten auch der Nationalsynode, die in ihrer erwähnten zweiten und letzten Tagung die Eingliederungen gebilligt hatte, als „Scheinsynode […] die echte Synode von Barmen“ gegenüber und beriefen sich auf die Bekenntniswidrigkeit des Vor­gehens53. Bischöfe und Kirchenleitungen blieben damit bewusst auf dem Boden der DEK-Verfassung, die ja Eingriffe in das Bekenntnis ausschloss. Was aber war das Bekenntnis? War es der Bekenntnisstand der Landeskirchen, der zweifellos in Art. 2 III54 gemeint war und dem nun in einer „Romfreien deutschen Nationalkirche“55 die Auflösung drohte? Demgegenüber beriefen sich Bekennende Kirche und Barmer Synode, die die rechtmäßige DEK zu repräsentieren beanspruchten, auf Art. 1 der Verfassung, der „das Evangelium von Jesus Christus, wie es uns in der Heiligen Schrift bezeugt und in den Bekenntnissen der Reformation neu ans Licht getreten ist“ zur „unantastbaren Grundlage der DEK“ erklärte, durch die alle Vollmachten der Kirche bestimmt und begrenzt werden56. Die Berufung Meisers auf die Barmer Synode, der er ja selbst an­gehört hatte, lassen darauf schließen, dass seine Sorge jedenfalls nicht allein der Wahrung des bayerischen Bekenntnisstandes galt. e)  Mit der unter Vorsitz von Marahrens gebildeten vorläufigen Kirchen­ leitung erfasste die Spaltung auch die Reichskirche. Der Rücktritt des Geist­ lichen Ministeriums und die faktische Entmachtung des Reichsbischofs führten in ein institutionelles Chaos. Die Folge waren staatliche Versuche, diesem Chaos durch direkte Eingriffe zu steuern. Ein erster Schritt war bekanntlich die Errichtung von Finanzabteilungen57 zunächst in den preußischen Kirchen58, dann in der DEK und in einer Reihe von Landeskirchen59. Diese Finanzabteilungen, formell kirchliche Behörden, 53 Zitat 54

bei Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 2, 293. Vgl. oben bei Anm. 43. 55 So die Forderung des Reichsbischofs: „Ein Staat, ein Volk, einer Kirche“. Dazu Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 2, 70, 168, 309 f., 320 f. (hier [349] auch zum energischen Widerspruch Meisers und des bayerischen Landeskirchenrats). Joachim Beckmann, der spätere rheinische Präses, bezeichnete dies unverblümt als „nachchristlichen Messianismus“ (ebd., 82). 56 Ebd., Bd. 1, 480; Bd. 2, 85, 115, 177. 57 Dazu und zum Folgenden Brunotte, Entwicklung; Link, Rechtsgeschichte, 200 f. 58 Gesetz über die Vermögensverwaltung in den (preußischen) evangelischen Landeskirchen vom 11. 3. 1935 (abgedruckt bei Weber, Staatskirchenrecht, 26 f.). 59 Treibende Kraft war – nachdem sich Reichskirchenminister Kerrl wegen des Scheiterns seiner Befriedungsbemühungen resigniert monatelang von den Dienstgeschäften zurückgezogen hatte – sein Staatssekretär Dr. Hermann Muhs. Sein kirchenpolitisches Ziel war es, durch Einflussnahme auf die Finanzverwaltung die Kirchen einer indirekten staatlichen Leitung zu unterwerfen (Bru­ notte, Entwicklung, 35). Soweit das gelang, verstärkte er nach dem Tod Kerrls den auf diese Weise ausgeübten Druck nicht unerheblich (ebd.; Wolf, Kirchenkampf, 1451).

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waren aber dem Staat für die Vermögensverwaltung verantwortlich, ihre Tätigkeit kam also einer staatlichen Zwangsetatisierung gleich. Faktisch wurden sie zu einem Instrument zur Begünstigung der DC, teilweise auch zu einem „deutschchristlichen Gegenregiment“ gegen die legitime Kirchenleitung60. Die 15.  Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Sicherung der DEK machte dann die Einrichtung bei allen Landeskirchen verbindlich und ermöglichte auch die Berufung nicht kirchenangehöriger Mitglieder61 und damit die Errichtung eines „versteckten Staatskommissariats“62. Zu den wichtigen kirchenpolitischen Erfolgen Meisers und Wurms zählt es, trotz massiven Drucks von Seiten der DC die Ausdehnung des Finanzabteilungsregimes auf die süddeutschen Kirchen verhindert zu haben63. Die zweite Säule dieses staatlichen „Treuhandregimes“ betraf die eigentliche Kirchenleitung außerhalb des unmittelbar finanzrelevanten Bereichs. Durch die 1. DurchführungsVO. vom 3. Oktober 193564 hatte Reichskirchenminister Kerrl zunächst in der DEK und in den preußischen Kirchen Kirchenausschüsse aus „Männern der Kirche“ eingesetzt, denen er neben der Außenvertretung die kirchenregiminalen Befugnisse, verbunden mit einem gesetzesvertretenden Verordnungsrecht, übertrug. Diese Regelungen wurden gleichfalls auf andere „zerstörte“ Landeskirchen ausgedehnt, bzw. „Kirchenregierungen“ unter dem Vorsitz des jeweiligen Bischofs bestellt65. Auch in Bayern drängten die deutsch-christlichen Verbände mit Nachdruck auf die Bildung eines Kirchenausschusses, um auf diesem Wege eine institutionelle Beteiligung an der Kirchenleitung zu erlangen. Trotz massiver Schützenhilfe durch den Reichskirchenausschuss blieben Meiser und der Landeskirchenrat fest und in Befürchtung neuerlicher Unruhe verweigerte sich auch Kerrl dem Ansinnen. Nach der gescheiterten Eingliederung hatte damit die bayerische Kirche zum zweiten Mal ihre Integrität und ihre verfassungsmäßige Leitung zu wahren vermocht66. f ) Diese Integrität erfuhr dann nach dem Scheitern der Kirchenausschüsse und nach dem Abblasen der von Hitler 1937 mit großem Aplomb angekündig 60 Brunotte, 61

Entwicklung, 37. VO. vom 25. 6. 1937, abgedruckt bei Weber, Neues Staatskirchenrecht, 28 ff., dazu ebd., 6 f.; zur Berufung kirchenfremder Vorsitzender Brunotte, Entwicklung, 37. 62 Brunotte, Entwicklung, 37. 63 Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 464 f. 64 Abgedruckt bei Weber, Staatskirchenrecht, 36 ff. 65 2.–4. und 7.–10. DurchführungsVO. (5. 10. 1935–13. 3. 1936), abgedruckt bei Weber, Staatskirchenrecht, 38 f. (Nassau-Hessen), 40 f. (Sachsen), 41 ff. (Kurhessen-Waldeck), 45 ff. (Braunschweig), 47 f. (Schleswig-Holstein), 48 f. (Hannover), 177 f. (Pfalz). 66 Meier, Kirchenkampf, Bd.  3, 461; Nicolaisen, Nationalsozialistische Herrschaft, 315 f.; ders., Hans Meiser, 47; allgemein Besier, Kirchen, 377 ff.

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ten Wahlen zur Nationalsynode67 auch ihre staatsgesetzliche Bestätigung durch § 2 I der 17. DurchführungsVO.68. Dabei blieb es für die restliche Dauer des „Dritten Reiches“. In den zuvor von Kirchenausschüssen geleiteten Kirchen gingen deren Befugnisse dagegen auf die jeweiligen Leiter der Kirchenverwaltungen über, d. h. auf die leitenden Juristen. Das galt auch für die DEK69. Hier wurde indes dem Leiter der Kirchenkanzlei bei Kriegsbeginn ein Geistlicher Vertrauensrat zur Seite gestellt70, der freilich wegen seiner Zusammensetzung aus Vertretern der divergierenden kirchenpolitischen Richtungen der zunehmenden Repression des Regimes nur halbherzig entgegentrat und auch in den Landeskirchen kaum Rückhalt fand. g) Trotz des geschilderten Verfalls der DEK darf man deren fortdauernde Einwirkungsmöglichkeiten auf die Landeskirchen nicht unterschätzen. Ihre Verfassung war ja von Reichs wegen „anerkannt“ und blieb geltendes Recht. Mit Unterstützung Kerrls bestand die Kirchenkanzlei auf der Vorlagepflicht aller organisatorisch irgendwie relevanten landeskirchlichen Normierungen71. Ein scharf geschliffenes Schwert war die Disziplinarordnung der DEK vom 13. April 193972, die u. a. die Verletzung der „Treuepflicht gegen Führer, Volk und Reich“ zum Dienstvergehen erklärte (§ 1 Abs. 2). Damit hing nicht nur ein Damoklesschwert über regimekritischen Pfarrern, sondern zugleich war eine Maßregelung der DC-Opposition deutlich erschwert. Auch die Anordnung, dass Pfarrer selbst im Ornat den „deutschen Gruß“ zu leisten hatten73, griff in die dienstrechtliche Kompetenz der Landeskirchen ein. Gleichwohl gingen die eigentlichen Pressionen nicht mehr von der Reichskirche oder vom Reichskirchenministerium aus, sondern resultierten aus dem doppelten Druck von Seiten der bayerischen DC-Gruppen und von Seiten des Staates und der Partei. Er zwang zu einer steten Gratwanderung zwischen Bekenntnistreue und einer Staatsloyalität, die bei Meiser und Wurm, namentlich im Krieg, sicherlich nicht nur taktisch motiviert war. Obwohl es in Bayern besser als anderswo gelungen war, die DC zu spalten und ihren gemäßigten 67 Abgedruckt 68

AEvKR 1 (1937), 102. VO. vom 10. 12. 1937, abgedruckt bei Weber, Neues Staatskirchenrecht, 34. 69 Ebd., §§ 1, 2 I, 3. 70 Meier, Kirchenkampf, Bd.  3, 104 ff.; Texte AEvKR 3 (1939), 260 f.; 4 (1940), 171 f.; 5 (1941), 193 f. 71 VO. vom 5. 3. 1938 (ebd. 2 [1938], 126); Rundschreiben vom 21. 2. 1940 (ebd. 4 [1940], 241 f.) – Allgemein und detailliert zu den fortbestehenden Kompetenzen der DEK gegenüber den Landeskirchen Weber, Föderalismus, 233 ff. 72 Abgedruckt AEvKR 3 (1939), 124 ff. 73 Erlass des Reichskirchenausschusses vom 1. 9. 1936 (AEvKR 1 [1937], 70 f.).

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Flügel in die Landeskirche zu integrieren, bildeten sie doch keineswegs eine quantité négligeable. Die radikalen Gruppen hatten ihr Ziel der Machtergreifung nicht aus den Augen verloren und verfolgten es mit wenig zimperlichen Mitteln der Agitation, ja mit Denunziation und Anzeigen bei der GeStaPo. Meiser fürchtete mehrmals die Verhaftung und ordnete für diesen Fall seine Vertretung74. 2. Aber auch abseits solcher Brachialkonflikte standen gerade die Kirchen­ leitungen der „intakten“ Kirchen ständig im Spannungsfeld von Bekenntnisfront, Gemeinderwartungen, deutsch-christlichen Zumutungen und staatlicher Pression. Sie suchten eine mittlere Linie zu finden, die weder Staat und Partei Vorwände zum Eingreifen gab, noch die kirchliche Einheit aufs Spiel setzte. a)  Die Vereidigung der Geistlichen auf Hitler75 war bereits im Diensteidgesetz der DEK vom 9.  August 193476 reichsweit angeordnet, dann aber auf bekenntniskirchliche Proteste hin stillschweigend sistiert worden, um die „Befriedungs“-politik nicht durch spektakuläre Eidesverweigerungen zu stören. Die nationale Hochstimmung nach dem „Anschluss“ Österreichs gab 1938 der Debatte neuen Auftrieb. DC und DEK erweckten dabei den allgemeinen Eindruck, dass die Eidesleistung staatlicherseits dringend gewünscht, wenn nicht gar gefordert werde. Die daraufhin in der Bekennenden Kirche einsetzende Diskussion führte schließlich in Preußen und anderen Landeskirchen zu dem mehrheitlichen Ergebnis, dass es unter diesen Umständen keinen vertretbaren Grund zur Eidesverweigerung mehr gebe. Der entsprechenden Anordnung des preußischen Oberkirchenrats vom Führergeburtstag 193877 unterwarfen sich dann auch fast alle Pfarrer der Bekennenden Kirche, teilweise unter ausdrück­licher Bindung an das Ordinationsgelübde. Ähnlich verlief der Prozess in den anderen „zerstörten“ Kirchen. Auch die „intakten“ Kirchen waren bemüht, dem Vorwurf der Staatsfeindlichkeit nicht durch einen harten Kurs in der Eides­frage neue Nahrung zu geben78. Wurm und Meiser setzten sich deshalb auch gegen Widerstände in den eigenen bekenntniskirchlichen Reihen durch – in Bayern durch Gesetz vom 18. Mai 193879. Sie stützten sich dabei auf ein Votum des Lutherrats, das die kirchenamtliche Vereidigung theologisch zu 74 Nicolaisen, 75

Nationalsozialistische Herrschaft, 315 ff.; Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 462 ff. Zum Folgenden Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 2, 287 ff.; Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 44 ff. 76 Gesetzblatt DEK 1934, 122 f. 77 VO abgedruckt AEvKR 2 (1938), 128 f. 78 Dazu Meier, Kirchenkampf, Bd.  3, 50 f.; Jasper, Gutachten, 229 f.; und jetzt ausführlich Töllner, Rasse, 259 ff. 79 (Bayerisches) Kirchliches Amtsblatt 1938, 95; dazu Nicolaisen, Nationalsozialistische Herrschaft, 320 f.

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rechtfertigen versucht hatte80. Das bayerische Pfarrergesetz vom 27.  April 193981 schrieb dann auch in § 8 den Treueid vor82, verband dies aber mit dem Hinweis auf die Amtspflichten und schloß damit die Verpflichtung auf das Ordinationsgelübde ein, das nach dem vorangestellten Kirchengesetz über das Geistliche Amt „entscheidend für alles amtliche und außeramtliche Handeln des Amtsträgers“ sein sollte83. Und die theologische Einführung (Teil A) warnte vor der Verführung, aus Menschenfurcht „eine andere Autorität an die Stelle des Wortes Gottes zu setzen“84. Die Zeitgenossen wussten, was damit gemeint war. – Für die Betroffenen war es darum wichtig, wer den Eid abnahm. In den zerstörten Kirchen ließ nur ein Eid vor einem Amtsträger der Bekennenden Kirche den Vorbehalt des Ordinationsgelübdes glaubhaft erscheinen, während deutsch-christliche Pfarrer darauf bestanden, den Eid vor einem Gesinnungs­ genossen zu leisten. In den intakten Kirchen war dieser Weg nicht gangbar. Hier konnten nur die legalen kirchlichen Amtsträger diese Funktion übernehmen, in Bayern bei Gemeindepfarrern die Dekane, ansonsten der Landesbischof oder ein von ihm Beauftragter. Gleichwohl duldete es Meiser um des kirchlichen Friedens willen stillschweigend, dass sich DC-Pfarrer von einem Kirchenrat in Fürth vereidigen ließen85. – Anders als in zahlreichen sonstigen Landeskirchen sanktionierte das bayerische Pfarrergesetz auch die Eidesverweigerung nicht mit einer Entlassung aus dem Pfarrdienst. – Ein Paukenschlag war dann freilich der Erlass Bormanns vom 13. Juli 1938 mit der Erklärung, dass die Kirchen die Eidesverpflichtung ohne Abwarten einer Führerentscheidung von sich aus durchgesetzt hätten, dem Eid auf den Führer komme daher „lediglich eine innerkirchliche Bedeutung zu“86. Damit waren nicht nur Reichskirche und Deutsche Christen Lügen gestraft, sondern auch die Bekennende Kirche in äußerste Verlegenheit gebracht, die die Eidesleistung gerade durch ein dahingehendes staatliches Verlangen legitimiert sah und so in eine ohne neuerlichen Eklat nicht mehr zu öffnende Falle getappt war. b) Hatte Meiser schon bei einem Hartbleiben in der Eidesfrage um die aus der öffentlich-rechtlichen Körperschaftsqualität der Landeskirche fließenden 80 Zur 81

Argumentation Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 50. Abgedruckt AEvKR 3 (1939), 268 ff. 82 Ebd., 273: Die „Bekanntmachung des Landesbischofs vom 27. April 1939, betr. Ordnung des Geistlichen Amtes“, ist in drei aufeinander bezogene Teile gegliedert. Teil A („Das geistliche Amt“) entfaltet das lutherische Amtsverständnis, Teil B enthält die im Text erwähnte „Ordnung des Geistlichen Amtes“, als Teil C folgt dann das Pfarrergesetz. 83 II (ebd., 273). 84 II Abs. 2 (ebd., 270). 85 Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 50 und 470. 86 Ebd., 49.

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Rechte gefürchtet, so erwies sich diese Besorgnis im Hinblick auf die Kirchensteuer auch keineswegs als grundlos. Das Auslaufen des bayerischen Kirchensteuergesetzes am 30. März 1941 bot den Vorwand, die staatliche Mitwirkung bei der Kirchensteuererhebung einzustellen und damit die Kirche von ihrer wichtigsten Finanzquelle abzuschneiden. Nach einem von Kerrl erwirkten Aufschub um ein Jahr entfiel damit nicht nur die Kircheneinkommenssteuer­ verwaltung durch die Finanzämter, sondern auch die Abführungspflicht der Arbeitgeber für die Kirchenlohnsteuer87. Damit war die Kirche gezwungen, mitten im Krieg und bei entsprechend dünner Personaldecke in kurzer Zeit eine kostspielige eigene Kirchensteuerverwaltung aufzubauen. Die ohnehin knapp bemessenen finanziellen Spielräume schrumpften so nochmals und erhöhten die Abhängigkeit von den ohne Anerkennung einer Rechtspflicht gezahlten und darum prekären Staatsleistungen. c) Teil  der beschriebenen Gratwanderung war schließlich das Taktieren in der Juden- und Euthanasiefrage. Hier fällt es schwerer, Verständnis für das Fehlen offener Worte aufzubringen, aber auch hier ist es mit Schwarz-Weiß-Malerei nicht getan. Zu bedenken ist, dass die Rassenideologie ein Herzstück der ansonsten schwer definierbaren „nationalsozialistischen Weltanschauung“ bildete, einen Bereich, in dem das Regime auf Angriffe mit höchster Aggressivität reagierte88. Hinzu kam, dass Meiser sicher kein Philosemit war und damit auch einer weitverbreiteten, nicht nur protestantischen Tradition verhaftet blieb89. Aber schon in dem inkriminierten Artikel von 192690 verwahrte er sich nachdrücklich gegen antisemitische Hetze. Zwar schrieb er den Juden eine erheb­liche Mitverantwortung für die geistige und sittliche Krise zu, die er im damaligen Nachkriegsdeutschland diagnostizierte91. Mit großem Ernst setzte er aber hinzu, dass „kein Kampf um sittliche Güter mit unsittlichen Mitteln geführt werden darf. Die widerliche Verhöhnung und niedrige Beschimpfung“ der Juden sei „christlicher Kampfesweise unwürdig. Die offenbare Ungerechtigkeit, die alles Unheil in unserem Volk den Juden allein zur Last legen will und den getauften [gemeint: nicht jüdischen, C. L.] Volksschädlingen nicht mit der gleichen sittlichen Energie zu Leibe geht, muss den Gegner erbittern“92. 87 Ebd., 88

472; Nicolaisen, Nationalsozialistische Herrschaft, 328. Scholder, Judentum, 247 f. 89 Nicolaisen, Nationalsozialistische Herrschaft, 321 ff.; Hermle, Bagatellisierung 53, 55; Jasper, Gutachten, 223 ff.; Töllner, Rasse, 21 ff.; v. Campenhausen, Straßenkampf, 25. 90 Meiser, Gemeinde, 394–397, 406 f., 418 f.; wiederabgedruckt in: Röhm / Thierfelder, Juden – Christen – Deutsche, 350 ff. – Die folgenden Zitate beziehen sich auf die Originalveröffentlichung. – Zur Diskussion dieses Artikels nach 1935 Töllner, Rasse, 149 ff. 91 Meiser, Gemeinde, 395 f. 92 Ebd., 411.

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Der Kampf gegen das Judentum „hat unter uns solche Formen angenommen, dass alle ernsten Christen förmlich genötigt sind, sich schützend vor die Juden zu stellen, damit nicht der christliche Name vor aller Welt verunglimpft werde. Für uns sind auch die Juden Menschen, die Gott für sein Reich sucht und die an der Erlösung durch Christus Anteil haben sollen.“93 Dass auch er und seine Kirche sich dann eben doch nicht – jedenfalls nicht in öffent­lichen Erklärungen – schützend vor die Juden gestellt haben, das hat Meiser in der von ihm mitunterzeichneten Stuttgarter Schulderklärung 1945 ausdrücklich bekannt94. Viele nichtöffentliche Hilfen95 wiegen das Versäumte nicht auf. Auch hier meinte Meiser, sich eher schützend vor seine Kirche stellen zu müssen, sie nicht in ein „selbstverschuldetes Martyrium“ (so Meiser warnend vor der preußischen Bekenntnissynode)96 zu führen. Welche Folgen ein öffentlicher Protest gehabt hätte, lässt sich im Nachhinein schwer sagen. Sicher hätte er die 93 Ebd. 94

Dazu differenzierend Jasper, Gutachten, 234 ff. (mit Nachweisen zu den entsprechenden sonstigen Nachkriegsäußerungen Meisers). 95 Nicolaisen, Nationalsozialistische Herrschaft, 322 f.; Hermle, Bagatellisierung, 57 f., 61 f.; Jasper, Gutachten, 231; Töllner, Rasse, 329 ff. 96 Zitat bei Nicolaisen, Nationalsozialistische Herrschaft, 322. Die Äußerung bezog sich auf eine dort diskutierte allgemeine Stellungnahme zu den „Nürnberger Gesetzen“ von 1935. Meiser unterschied indes zwischen getauften und ungetauften Juden. Die ersteren galten ihm als „volle Glieder der Kirche“ (Hermle, Bagatellisierung, 65). Er übte darum auch Kritik an den „Überspitzungen“ des Erlanger Gutachtens von Althaus und Elert (Nicolaisen, Nationalsozialistische Herrschaft, 232. – Zu diesem und dem Marburger Gutachten Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 1, 615 f.; Töllner, Rasse, 56 ff.). Trotz der genannten Befürchtungen um den Status der Landeskirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts wurde deshalb der „Arierparagraph“ des „Reichsgesetzes zur Wiederherstellung eines nationalen Berufsbeamtentums […]“ vom 7. 4. 1933 (§ 3) – im Gegensatz zu zahlreichen anderen Landeskirchen – in Bayern nicht eingeführt (dazu allgemein Scholder, Kirchen und Drittes Reich, Bd. 1, 345 f., 369 ff., 595, 598 ff.; Bd. 2, 38 f.; zu Bayern: Nicolaisen, Nationalsozialistische Herrschaft, 321; Hermle, Bagatellisierung, 65; Töllner, Rasse, 99 ff., 238 ff., 259 ff.). Auch trugen die Bekanntmachungen verschiedener Landeskirchen vom 4. 4. 1939 (AEvKR 3 [1939], 190 f.: „Der christliche Glaube ist der unüberbrückbare religiöse Gegensatz zum Judentum“) und vom 17. 12. 1941 (AEvKR 5 [1941], 348: „Eine deutsche evangelische Kirche hat das religiöse Leben deutscher Volksgenossen zu fördern. Rassejüdische Christen haben in ihr keinen Raum und kein Recht“) weder die Unterschrift Wurms noch diejenige Meisers. – Allerdings verpflichtete das bayerische Schulaufsichtsgesetz vom 14. 3. 1938 alle nicht ohnehin – staatlich – beamteten Lehrkräfte zur Vorlage des sog. „Ariernachweises“, also auch die Religionsunterricht erteilenden Pfarrer (dazu eingehend Töllner, Rasse, 282 ff.). Da diese insoweit einen staatlichen Amtsauftrag wahrnahmen, hätte eine generelle Verweigerung entweder den Religionsunterricht zum Erliegen gebracht oder die Tendenz gefördert, ihn durch staatliche Lehrer zur NS-Indoktrinationsveranstaltung zu verbiegen (dazu Link, Rechtsgeschichte, 201). Zur Lage in Bayern Hermle, Bagatellisierung, 58; Töllner, Rasse, ebd.; zur Verweigerung der Vorlage durch Karl Steinbauer vgl. ders., Zeugnis, Bd. 4, 354, 361, 376; und Ausstellungskatalog (vgl. oben Anm. 17), 31 [Faksimile des Ablehnungsschreibens] sowie Töllner, Rasse, 293 ff.

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Repression des Regimes, besonders in der zweiten Hälfte des „Dritten ­Reiches“, erheblich verstärkt und einen willkommenen Vorwand für noch schärfere antikirchliche Maßnahmen geliefert. Man darf auch bezweifeln, dass die Kirche mit mutigerem Auftreten der nationalsozialistischen mörderischen Judenpolitik hätte in den Arm fallen können. Aber das öffentliche Schweigen, so nachvollziehbar seine Motive angesichts der Bedrohungslage auch sein mögen und so viele Mitschweiger es auch unter den Amtsträgern beider Konfessionen in allen Teilen Deutschlands, ja der Ökumene gab – dieses Schweigen bleibt doch ein tiefschwarzer Fleck in der evangelischen Kirchengeschichte Bayerns. d) Gleiches gilt von der sogenannten Euthanasie. Auch wenn man in Rechnung stellt, dass in der eugenischen wissenschaftlichen Diskussion schon in den zwanziger Jahren die Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ weltweit vielfach durchaus als ethisch vertretbare Option galt97, so lag doch aus christlicher Sicht ihre Unzulässigkeit auf der Hand98. Auch hier waren es eher kirchen­ politische Gründe99, die ein öffentliches Anprangern der Aktion verhinderten: die Sorge vor einer Verstaatlichung der Diakonischen Anstalten, allen voran derer in Neuendettelsau; aber es war auch der in allen Diktaturen wirksame Gedanke, durch teilweises Mittun „Schlimmeres zu verhüten“. Dass öffentlicher Protest hier etwas zu bewirken vermochte, zeigt das Beispiel des Münsteraner Bischofs Graf Galen. Allerdings boten das Reichskonkordat und die inter­ nationale Autorität des Hl. Stuhles der katholischen Kirche und ihren Amts­ trägern doch einen gewissen Schutz. Man könnte deshalb fragen, ob das Regime gegenüber einer deutschen evangelischen Landeskirche ähnliche Skrupel vor einem gewaltsamen Vorgehen gezeigt hätte. Indes gibt der mutige Protest Wurms gegenüber Staat und Partei100 ein deutliches Zeugnis dafür, dass die Spielräume kirchenleitenden Handelns in Bayern hier nicht entfernt aus­ geschöpft wurden.

97 Dazu 98

Honecker, Euthanasie (Staatslexikon), 805; ders., Euthanasie (RGG), 1682. Honecker, Euthanasie (Staatslexikon), 806 f. mit eingehenden Nachweisen. 99 Dazu Nicolaisen, Nationalsozialististische Herrschaft, 324 f.; Jasper, Gutachten, 232 f. – jeweils mit weiteren Nachweisen. Meiser wurde zwar, nachdem er von den Morden erfahren hatte, bereits im Februar 1940 beim bayerischen Reichsstatthalter Ritter von Epp vorstellig. Dieser stellte daraufhin eine Untersuchung an, die ergab, dass die Aktion von Hitler persönlich veranlasst sei. Auf diese Mitteilung hin schwiegen Meiser und fast alle Kirchenleitungen (Nachweise bei Nicolaisen, Nationalsozialististische Herrschaft, 324; Wortlaut des – auf den 1. 9. 1939 rückdatierten – Geheimerlasses Hitlers vom Oktober 1939 bei Wollasch, Euthanasie, 482). 100 Dazu mit Nachweisen Nicolaisen, Nationalsozialistische Herrschaft, 324.

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III. Schluss: Anpassung und Widerstand Die Liste der Beispiele ließe sich um vieles vermehren, um die Bedeutung des Alten Testaments für die kirchliche Verkündigung und insbesondere seine Verwendung im Religionsunterricht101, um die Frage von Glockenläuten102 und Beflaggung kirchlicher Gebäude an nationalen Feiertagen oder bei politischen Ereignissen103 u. a. m. In alledem ging es um echte oder auch nur befürchtete Zwänge, um das Ausnutzen von Spielräumen, um die Möglichkeit von Ausweichstrategien, die aber dann häufig einer systemkonformen Begründung bedurften104. Die klare Bekenntnisaussage wurde in manchen Punkten gemacht, 101 In einer Verfügung vom 13. 12. 1938 (AEvKR 3 [1938], 63 f.) verwahrte sich der bayerische Landeskirchenrat in bemerkenswert differenzierter Formulierung energisch gegen Versuche, das AT aus dem Religionsunterricht zu verbannen. Hier gehe es nicht darum, den Juden oder überhaupt den Menschen als solchen in den Mittelpunkt zu rücken, die Israeliten oder überhaupt irgendwelche menschliche Gestalten als Vorbilder hinzustellen oder die jüdische Rasse oder überhaupt ein menschliches Volkstum zu verherrlichen, sondern um die Anbetung und Verherrlichung Gottes. 102 Vgl. dazu die Runderlasse des Leiters der Deutschen Evang. Kirchenkanzlei vom 1. 4. 1938 (Gesetzblatt DEK 1938, 28) und vom 7. 7. 1938 (AEvKR 3 [1939], 61 f.). 103 Die Pflicht dazu war für Bayern zunächst durch Entschließung des Bayerischen Staatsminis­ teriums für Unterricht und Kultus vom 14. 8. 1936 für die Gebäude aller Körperschaften des öffentlichen Rechts unter Einschluss der kirchlichen Körperschaften und Stiftungen begründet worden (Wiedergabe im Wortlaut in der entsprechenden Bekanntmachung des Landeskirchenrats vom 21. 8. 1936, AEvKR 1 [1937], 56). Reichsweit verpflichtete ein Runderlass des Reichs­ innenministers vom 3. 3. 1939 (AEvKR 3 [1939], 163 f.) die öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften zum Setzen der „Reichs- und Nationalflagge“, indem er die für alle öffentlich-rechtlichen Körperschaften geltenden Anordnungen (ebd., 161 ff.) mit gewissen Modifikationen auch für die Kirchen verbindlich machte. Die hier zugelassene Setzung einer Kirchenflagge neben oder anstatt der „Reichs- und Nationalflagge“ bei „besonderem kirchlichen Anlaß“ war für die evangelischen Kirchen bereits durch Verordnung der DEK vom 9. 11. 1938 (AEvKR 1 [1938], 391) ausgeschlossen worden. Damit galt im Bereich der DEK an staatlichen und kirchlichen Feiertagen eine Pflicht zur Beflaggung ausschließlich mit der Hakenkreuzflagge. 104 Angesichts der Verfügung von 1938 (vgl. oben Anm. 101) scheint mir das auch für das Schreiben Meisers an den Präsidenten des Reichsfinanzhofs vom 17. 9. 1943, auf das Berndt Hamm in einem offenen Brief aufmerksam gemacht hat (dazu Jasper, Gutachten, 244 f.), zu gelten. Darin ging es um die vom Reichsfinanzhof aufgehobene Steuerbefreiung für Druck und Vertrieb des Alten Testaments durch die Württembergische Bibelgesellschaft (gemeint ist die Entscheidung vom 17. 3. 1943, Reichssteuerblatt 1943, 468; dazu Volkmann, Rechtsprechung, 153; Töllner, Rasse, 159 ff., mit in der Tat schockierenden Formulierungen Meisers). Danach sei  – so der Reichs­ finanzhof – der Begriff der Gemeinnützigkeit gemäß § 1 StAnpG nicht auf Tatbestände anzuwenden, die mit der nationalsozialistischen Weltanschauung unvereinbar seien. Das gelte auch für die Herstellung und Verbreitung des Alten Testaments. „Das nationalsozialistische deutsche Volk könnte es nicht verstehen, dass die Herausgabe und der Vertrieb einer Schrift, die das Judentum, mit dem es einen Kampf auf Leben und Tod führt, verherrlicht und als das auserwählte Volk Gottes darstellt, als gemeinnützig anerkannt und steuerbegünstigt werden“. Dass bei einem derartigen Adressaten Bekenntnisargumente allein nicht verfangen hätten, scheint mir trotz der Zweifel ­Jaspers auf der Hand zu liegen.

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häufig genug auch vermieden. Unkritische Anpassung und offener Widerstand waren – wie stets in einer Diktatur – ja nicht durch eine eindeutige Grenzlinie geschieden, sondern zwischen beiden bestand eine Grauzone, die Raum für differenzierende Entscheidungen ließ, ohne die Kirche existenziell zu gefährden. Meiser hat diese Möglichkeit sicher nicht immer optimal genutzt, jedenfalls im Urteil der Nachgeborenen, von denen vergleichbare Entscheidungen nicht gefordert sind105. Wer sich seiner sicher ist, dass er in einer solchen Situation anders, mutiger und unbeugsamer gehandelt hätte, auch auf die Gefahr hin, eine relativ intakte Kirche zu zerstören, der werfe den ersten Stein, besser: weitere Steine auf Meiser und Straßenschilder. Und gerade für diese intakten, weniger vom Vormarsch der NS-Ideologie bedrohten und deshalb auch weniger von Konflikten zerrissenen Kirchen gilt der Satz Klaus Scholders in besonderer Weise: „Die Tatsache, dass ihre Gleichschaltung misslang, stellte den Nationalsozialismus an einem Punkt in Frage, an dem er sonst von keiner Gruppe und keiner Institution mehr angegriffen schien: am Totalitätsanspruch seiner weltanschaulichen Herrschaft.“106

Wie sehr das kirchliche Leben, die bloße Verkündigung des Evangeliums als Stachel im Fleisch des Regimes empfunden wurden, das zeigten die immer gehässiger werdenden Reaktionen vor allem der Partei. Das ist gewiss nicht alles, was vom Bekenntnis her gefordert gewesen wäre, aber es ist viel. Und Meisers Wirken im Nationalsozialismus hat daran – so scheint mir – keinen geringen Anteil.

Quellen- und Literaturverzeichnis I. Unveröffentlichte Quellen Mündliche und schriftliche Auskünfte: Giesen-Steinbauer, Elisabeth: Private Dokumentensammlung mit Faksimiles der Schreiben Karl Steinbauers an Adolf Hitler, Hans Kerrl, Baldur von Schirach sowie an die Dienststellen von Staat und Partei. Köln.

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Kirchenrechtliche Spielräume kirchenleitenden Handelns

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Spielräume kirchlichen Handelns

Berndt Hamm

Landeskirchliche Normalität und exponierte Positionen in der Einstellung bayerischer Lutheraner zum Nationalsozialismus en

Die im Jahre 2006 entstandene erregte Debatte über die Haltung des baye­ rischen Landesbischofs Hans Meiser zum Judentum und über seine Rolle während des „Dritten Reiches“ und in der Schulddiskussion nach 1945 hat die historische Frage eröffnet, welche realen Spielräume des Denkens und Handelns damals, d. h. von den zwanziger bis zu den fünfziger Jahren, in der bayerischen Landeskirche gegeben waren. Bevor wir unsere gegenwärtigen Kenntnisse und Wertvorstellungen beurteilend ins Spiel bringen, ist die Frage zu klären, welche Wertkoordinaten und Handlungsmaßstäbe den damals Agierenden innerhalb ihres Mentalitätsgefüges und ihres Reflexionshorizonts überhaupt verfügbar waren und als Alternativen vor Augen standen. Diese Fragerichtung führt weiter zur Aufgabe, das Spektrum der damals von bayerischen Lutheranern tatsächlich geäußerten Meinungen und praktizierten Verhaltensweisen, soweit sie das Verhältnis von Kirche und Nationalsozialismus betrafen, in seiner ganzen Breite zu erfassen. Meine folgenden Ausführungen sind der Versuch, diese Aufgabe so anzugehen, dass ich einige exemplarische Positionen aus der Personengruppe der Pfarrer und Theologen vorstelle und dabei die Jahre seit Beginn der großen Wahlerfolge der NSDAP, also seit den Septemberwahlen 1930, bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges berücksichtige. Wichtig erscheint mir, dass ich sowohl Stimmen zu Gehör bringe, die für eine große Mehrheit stehen und eine Art landeskirchlicher Normalität repräsentieren, als auch die Stimmen einer kleinen Minderheit und einsamer Einzelner, soweit sie eine gewisse, aus den Akten nachweisbare Bekanntheit erreichten. Für die Frage nach den Spielräumen des Denkens und Handelns in der Landeskirche ist der Faktor der bekannt machenden und sich zu etwas bekennenden Kommunikation wesentlich, denn nur das, was bekannt wurde, konnte die Spielräume anderer beeinflussen. In dieser Hinsicht aber war nicht nur das, was in Rede und Schrift öffentlich kommuniziert wurde, relevant, sondern auch das, was in persönlichen Briefen, insbesondere an Personen von Einfluss und Macht, z. B. an den Landesbischof und an den Landeskirchenrat, mitgeteilt wurde.

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Ich beginne mit einer Person von keineswegs brillantem intellektuellem Zuschnitt, die in der Landeskirche große Bekanntheit erreichte und ein hohes Maß an landeskirchlicher Normalität in der Einstellung zum Nationalsozialismus und zum NS-Staat repräsentierte, ja kräftig daran mitwirkte, dass nach 1930 diese Art von Normalität entstehen und dominant werden konnte. Gemeint ist Eduard Putz, der im Januar 1931 als Münchener Vikar und Mitglied der NSDAP auf einer Pfarrkonferenz einen kurz darauf gedruckten und viel beachteten programmatischen Vortrag zum Thema „Der Nationalsozialismus als Frage für die Christen“ hielt1. Interessant an diesem Vortrag ist besonders, wie Putz die spezifische Herausforderung der Kirche durch den erfolgreichen Nationalsozialismus bestimmt. Voller Begeisterung für die kämpferische und opferfreudige Hitlerbewegung will er zeigen, dass sie die Kirche zu ihren eigentlichen Aufgaben zurückruft. Nach einem unseligen Zeit­ alter des expandierenden Liberalismus und Materialismus, der, vorangetrieben durch den verheerenden Einfluss des „fremden Judenvolkes“2, auf die Bolschewisierung und Entchristlichung Deutschlands ziele, erweise sich der Nationalsozialismus als „das einzige und letzte Bollwerk“3, das diese Entwicklung aufhalten könne; und obwohl er selbst nach dem erklärten Willen Hitlers eine rein politische Bewegung sei, öffne er den Christen die Augen für ihre Sendung im Volk: „Denn bevor der N. S. entstand, da gab es ja ein lebendiges Volk und eine Verpflichtung zur Rasse in den Köpfen und Herzen fast nicht mehr. […] Auch die Christen verfielen weithin dem Liberalismus. Ein bekanntes Schlagwort lautete ja –: ‚Alle Menschen sind gleich.‘ Dieser Humanismus, der eine Wurzel des Bolschewismus ist, verschloß auch den Christen völlig den Blick für die Rassenfrage. Gott hat aber keinen ‚Haufen‘ von Menschen geschaffen, die alle gleich sind, sondern Er schuf Unterschiede und Ordnungen: Sprachen, Völker, Rassen.“4 1 Putz, Nationalsozialismus (5. 2. 1931): Zum Vortrag, der dem Druck zugrunde lag, vgl. Mensing, Pfarrer, 129: „Am 7. Januar 1931 hielt Eduard Putz auf der Steinacher Konferenz, bei der über 130 bayerische Geistliche anwesend waren, den Hauptvortrag mit dem Titel ‚Der Nationalsozialismus  – eine Frage an Kirchenvolk und Theologie‘ […].“ Putz hat den Vortrag vor Pfarrkonferenzen in Nürnberg und München wiederholt. Zur breiten Debatte über den Vortrag in der bayerischen Pfarrerschaft vgl. ebd., 129–131; dort (131) auch das Zitat aus einem Schreiben von Putz vom 20. 8. 1934: „[Ich habe] seit dem Jahre 1929, wie mir viele Mitglieder [scil. des Nationalsozialistischen Evangelischen Pfarrerbundes] sagen, durch meine Vorträge sowohl persönlich als theologisch eine große Anzahl von Kollegen veranlaßt […], aktive Nationalsozialisten zu werden.“ 2 In: Putz, Nationalsozialismus, 43b; dort auch die Formulierung: „die Juden ein eigenes Volk mit einer eigentümlichen Rasse“. 3 Ebd., 43a: „[…] daß es doch außer allem Zweifel steht, daß der N. S. das einzige und letzte Bollwerk gegen den Bolschewismus in Deutschland ist.“ 4 Ebd., 43b.

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So lernen die Christen nun vom Nationalsozialismus wieder ihre primärreligiöse Bindung5 an die natürlichen Ordnungen von Volk, Rasse, Familie und Staat und das entsprechende Ethos einer opferbereiten Hingabe an die Gesundung dieser Ordnungen. Alle egozentrische, individualistische und materialistische Selbstbezogenheit kann nun zurücktreten hinter der zentralen Aufgabe, „die Zerrissenheit des Volkskörpers zu überwinden zugunsten einer wahrhaftigen Volksgemeinschaft“6. Was uns hier bei Putz auf Schritt und Tritt begegnet, ist zum einen die gängige Klaviatur der dezidiert antiaufklärerischen Wertorientierung nationalkonservativer und völkischer Kreise7, zum andern die typische Faszination, die bestimmte programmatische Leitvorstellungen des Nationalsozialismus gerade auf evangelisch-lutherische Christen ausübten, und zwar vor allem auch deshalb, weil diese Ideale bei ihnen den starken Eindruck erweckten, hier würde wieder etwas vom originären Impetus Luthers und der Reformation im deutschen Volke aufleben8. Ich erwähne außer den bereits angeklungenen Stichwörtern, die auf Opfermut, Gemeinsinn und freudige Pflichterfüllung im Dienste am Volksganzen und an den gottgegebenen Weltordnungen zielen, ergänzend nur noch folgende faszinierende Aspekte: Reinigung von allen volksfremden Mächten, d. h. vor allem Eindämmung und Beseitigung des angeblich so viru­ lenten jüdischen Einflusses, Wiedergewinnung bindender Autorität, echten Führertums und starker Obrigkeit, Heeresdienst und Krieg als Schule der mannhaften Tugenden Zucht, Gehorsam, Disziplin, Härte und Genussverzicht9 und bei all dem Überwindung des zerfasernden Intellekts durch die vorrationalen, schicksalhaften Seelenbindungen an Blut, Volk und nationale Homogenität. Mit solchen und ähnlichen Stereotypen schwamm Putz auf den vor allem im lutherischen Franken hochgehenden Wogen der kirchlichen Begeisterung und Anfälligkeit für das, was man am Nationalsozialismus als wesentlich und dem Christentum zutiefst wesensverwandt erachtete. Das war selbstverständlich in vielem ein ideales und illusionäres Konstrukt von Nationalsozialismus, in vielem aber auch eine zustimmende Offenheit für die militante, gewaltsame und entrechtende Realität der NS-Bewegung und bald darauf auch des „Dritten Reiches“. Der werbende Vortrag von Putz lässt deutlich die Gründe erkennen, weshalb schon in den letzten Jahren der Weimarer Zeit ein hoher Anteil 5 Zu der von mir in den Putzschen Text eingetragenen Interpretationskategorie des „Primär­ religiösen“ vgl. Angenendt, Toleranz, 20–34. 6 Putz, Nationalsozialismus, 43a. 7 Vgl. den Beitrag von Manfred Gailus in diesem Band (mit Literatur). 8 Die faszinierende Anziehungskraft bestimmter Züge des Nationalsozialismus korrelierte mit einer spezifischen Anfälligkeit evangelischer Theologen (vgl. Hamm, Hanns Rückert). 9 Vgl. Putz, Nationalsozialismus, 42b.

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der bayerischen Pfarrerschaft der NSDAP zuneigte. Björn Mensing nennt in seinem methodisch vorbildlichen Buch über „Pfarrer und Nationalsozialismus“ die absoluten und prozentualen Zahlen. Bei der Reichstagswahl im Juli 1932, als die NSDAP reichsweit 37,4 % der Stimmen erzielte, erreichte sie in den lutherischen Kerngebieten der bayerischen Landeskirche 64,7 %10. Der Anteil der Pfarrer, die NSDAP gewählt haben oder zumindest starke Sympathien für die Hitlerpartei hegten, dürfte ähnlich hoch gewesen sein11. Dazu zählten auch zahlreiche Pfarrer, die eine parteipolitische Betätigung von Geistlichen und erst recht deren Mitgliedschaft in der Partei grundsätzlich ablehnten, ansonsten aber – ganz im Geiste ihrer Erlanger Lehrer Althaus, Elert, Preuß und Ulmer  – eine Synthese von Luthertum, homogenem Volkstum, Führerstaat, Nationalismus und Antisemitismus erstrebten12. Der Nationalsozialismus als unbedingt wahrzunehmende Chance für die Kirche: Dies ist die dominante Linie in Putz’ Ausführungen, die darin den vorherrschenden Kurs der bayerischen Landeskirche zwischen den Jahren 1931 und 1934 vorzeichnet. Daneben aber gibt es noch andere Töne in seinem Vortrag, die bereits in nuce erkennen lassen, weshalb er wie viele andere Pfarrer später in einen partiellen Gegensatz zum NS-Staat geriet. Putz sah nämlich 1931 durchaus auch problematische Züge der nationalsozialistischen Bewegung. Nicht in der politischen Programmatik und Kampfführung der Partei lag für ihn das Fragwürdige, sondern dort, wo einzelne Ideologen wie Alfred Rosenberg in den weltanschaulich-religiösen Bereich vordrangen und durch eine vergötzende Absolutsetzung der arischen Edelrasse eine neue Glaubens- und Heilslehre präsentierten13. Was Putz diesen ersatzreligiösen Tendenzen entgegensetzte, war seine Überzeugung und Hoffnung, dass die Gesamtpartei und ihre Führung mit ihrem „Bekenntnis zu Volk und Rasse“ den von ihr versprochenen „Schutz der christ­ lichen Kultur und der Kirche“ verbindet und sich ansonsten grundsätzlich nicht in Glaubensdinge einmischt14. Putz vertritt hier in der Tradition des Luthertums ein deutliches Zwei-Sphären-Modell, und zwar nicht als Trennungsmodell, sondern als Modell wechselseitiger Verantwortung und Fürsorge von Politik und Kirche. Aufgabe der Kirche ist die religiöse Sinngebung und Seelsorge. Sie hat die politische Bewegung darauf hinzuweisen, dass ihre „heiligsten irdischen Güter“ Volk und Rasse nicht das Letzte und Höchste sind, sondern Gaben, die 10 Vgl. 11

Mensing, Pfarrer, 11 und 145. Mensing (ebd., 145) vermutet, dass der Anteil der Pfarrer der bayerischen Landeskirche, die am 31. Juli 1932 Hitler bzw. die NSDAP gewählt haben, etwa 60 Prozent betrug. 12 Zur Empfehlung einer parteipolitischen Zurückhaltung der Pfarrer vgl. Elert, Politische Aufgaben (Vortrag vom 8. 12. 1932). 13 Vgl. Putz, Nationalsozialismus, 43a. 14 Vgl. ebd., 43a und 44a/b.

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wir Menschen „aus Gottes Hand entgegennehmen müssen“. Entsprechend haben die Christen, wie Putz fortfährt, „dafür zu sorgen, dass z. B. aus dem berechtigten Abwehrkampf gegen das Judentum nicht ein zügelloser Rassenhaß wird“15. Als Eduard Putz diesen Vortrag zwei Jahre später, im April / Mai 1933, nochmals im bayerischen Korrespondenzblatt veröffentlichte16, änderte er zwar aktualisierend viele Passagen, hielt aber am Gesamtduktus seiner Aussagen fest. Am Ende betont er wieder, wie sehr der nationalsozialistische Staat, der seine Ordnungen nicht selbst weltanschaulich untermauern könne und solle, auf die religiöse Sinngebung der Kirche angewiesen sei: „Hier muß die Kirche kommen. Sie hat im gehorsamen Dienst am Gesamtvolk dem Nationalsozialismus seine irrationale Lage zu erklären von Gott her. Sie hat ihm zu zeigen, daß alle seine Ordnungen ohne Gott in der Luft hängen und so die ratio, in die der moderne Mensch nun einmal gefallen ist, diese rettungslos wieder zerstört. Sie hat seinem Kampf um diese Ordnungen den inneren Sinn zu geben. Sie hat den Abfall seit der Reformation klar zu stellen von Gott her. Dies kann nur die Kirche, die den Blick vom geschichtlichen Gott her hat, tun.“17

In der gegenwärtigen Lage, hebt Putz besorgt hervor, komme es entscheidend auf die christliche Mitarbeit am Nationalsozialismus an, um ihn vor dem Abfall in einen Rassenidealismus zu bewahren18: „Noch haben die gelehrten ideal-mystischen Gedankengänge von Rosenberg keinen Einfluß. Tausende aber guter Christen kämpfen in der [nationalsozialistischen] Be­ wegung. Wir müssen uns bemühen, dem Staat eben zu zeigen, daß man seine Ordnungen vom Christentum aus am tiefsten unterbauen kann.“19

Die „allernächste Aufgabe“ der Theologie „in diesem einzigartigen Kairos“ sei daher „die Wiedergewinnung der reformatorischen Haltung in den Dingen des 1. Glaubensartikels“20. 15 Vgl. 16

ebd., 44b. Putz, Entwicklung. 17 Ebd., 199b. 18 Die Fortsetzung des Zitats bei Anm. 17 lautet: „Tut sie [scil. die Kirche] es nicht, sondern steht sie aus falscher individualistischer oder pessimistischer Haltung zur Seite, so geht sie an ihrer durch die Lage in der Welt bedingten Kulturaufgabe vorbei. Dann wird der Nationalsozialismus eben falsch begründet, trotz der Bemühung, religiöse Debatte auszuschalten. Dann begeht die Bewegung, die den liberalistischen und christlichen Abfall von der Haltung als Geschöpf gesehen, den idealistischen Abfall in Rassenmythos und heldischem Lichtglauben. Heute ist die Lage noch offen. Alles ist hier im Fluß. Die Bewegung wartet auf die christliche Mitarbeit und hat sie bisher nirgends verschmäht.“ Ebd., 199b. Es folgt das nun im Text wiedergegebene Zitat. 19 Ebd., 199b. 20 Ebd., 200a.

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Nachdem Hans Meiser im Frühjahr 1933 Landesbischof geworden war, machte er den Münchener Stadtvikar Putz, der sich so pointiert und öffentlichkeitswirksam zum Verhältnis von Kirche und Nationalsozialismus geäußert hatte, zu seinem theologischen Hilfsreferenten21, und zwischen beiden entwickelte sich ein für den weiteren Kurs der Landeskirche wichtiges Vertrauensverhältnis. Im Auftrag Meisers nahm Putz bedeutende Aufgaben als Vertreter des lutherischen Flügels der Bekennenden Kirche wahr. Er erwies sich als der geeignete Mann, um einerseits die gemäßigten, gegenüber Meiser loyalen ‚Deutschen Christen‘ landeskirchlich zu integrieren und andererseits die radikalen ‚Deutschen Christen‘ als liberalistische und bekenntniswidrige Schwarmgeister scharf zu bekämpfen. Mit dieser Haltung war der Träger des Goldenen Parteiabzeichens der typische Vertreter einer breiten Mittelgruppe in der Pfarrerschaft, unter den Dekanen und im Landeskirchenrat. Weitere prominente Repräsentanten dieser landeskirchlichen Normalität waren z. B. der Sonderbeauftragte der Landeskirche für Volksmission Helmut Kern, der Rektor der Diakonissenanstalt Neuendettelsau Hans Lauerer, der Vorsitzende des Pfarrervereins Friedrich Klingler, der Inspektor des Nürnberger Predigerseminars Kurt Frör oder auch der Leiter der Apologetischen Centrale in Berlin und einstige Münchener Hilfsgeistliche Walter Künneth. Auch die Erlanger Professoren Friedrich Ulmer und Paul Althaus kann man dieser Mittelgruppe, die für die landeskirchliche Normalität steht, zurechnen. Althaus lehnte die ­Barmer Theologische Erklärung – wenn auch nicht so scharf wie Elert – ab22, während sie Putz als Teilnehmer an der Bekenntnissynode lutherisch interpretierend akzeptieren konnte. Dies zeigt, welche positionelle Vielfalt und welchen Spannungsreichtum es im Spektrum des mittleren Bereichs geben konnte. Was alle genannten Theologen und Pfarrer einte, war einerseits eine weit­ gehende Bejahung des nationalsozialistischen Führer- und Einparteienstaats einschließlich seiner antisemitischen Gesetzgebung, andererseits ein gewisses Maß an Resistenz gegenüber der nationalsozialistischen Monomanie einer Weltanschauung auf rassischer Grundlage. Ein theologischer Brückenschlag zur ausgrenzenden Volkstums- und Rassepolitik des NS-Staats lag in der gemeinsam vertretenen Lehre von den Schöpfungs- und Erhaltungsordnungen, die geradezu als Markenzeichen der lutherischen Mittelgruppe und Norma­ lität gelten kann. Die Anfälligkeit dieser theologischen Kategorie für das völ­ kische Rasseparadigma zeigt mit exemplarischer Deutlichkeit ein Flugblatt, das 21 Putz übernahm dieses Amt offiziell am 1. 7. 1933 und hatte es bis Ende September 1935 inne; so die freundliche Auskunft seines Sohnes Christoph Putz (Erlangen). 22 Vgl. Althaus, Bedenken; Elert, Confessio.

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die bayerische Volksmission im Dezember 1933 herausgab und dessen Verfasser Kurt Frör war23. Obwohl er in Bayern als einer der entschiedensten Gegner der Deutschen Christen hervortrat, stellt er an den Beginn seines Flugblattes das kirchliche Ja zur Eigenart der Rassen als guter „Schöpfungsordnung“, um daraus den ethischen Imperativ zur „Erhaltung, Reinigung und Gesundung unserer Rasse“ abzuleiten: „Es ist evangelisch, dazu mitzuhelfen, daß der rassisch erkrankte Volkskörper wieder gesundet und erstarkt. Das fordert der Gehorsam gegen Gott.“ Diese „rassische Gesundungsarbeit“, ist, wie Frör fortfährt, „heute nicht ohne Kampf gegen andere Rassenangehörige möglich“, und daher ist „die unchristliche Oberflächlichkeit und Sentimentalität“ abzulehnen, „die die Rassengesundung deshalb von vornherein verwirft, weil sie nicht ohne Kampf und Härte und Not abgeht“. Allerdings betont Frör, dass ein evangelischer Christ den nötigen Kampf um Reinhaltung der eigenen Rasse und gegen Rassenvermischung nicht so führen dürfe, dass er die bekämpfte Rasse als „untermenschlich, entartet und tierähnlich“ auszurotten versucht24. Diese einschränkende Klausel, die zur Zügelung des Kampfes aufruft, ist typisch für eine Grundausrichtung der landeskirchlichen Normalität: Man unterstützt eine „rassenbewusste“ Bevölkerungspolitik, die gegen „Rassenmischung“ und für „Rassenreinigung“ eintritt, wendet sich aber gegen einen ideologisch forcierten Rassenhass; man bejaht prinzipiell „rassenhygienisch-eugenische“ Ziele und Maßnahmen des NS-Staats, lehnt aber „rassischenhygienisch“ begründete Schwangerschaftsunterbrechungen und Euthanasie ab25; man bejaht einen 23 Frör: Flugblatt der Volksmission „Kirche und Rasse“ (LAELKB Nürnberg, Personen 42 [Frör], 12; auch enthalten in: LAELKB Nürnberg, LKR XV, 1655, Bd. 1, Schreiben des Presseverbandes an OKR Meinzolt vom 24. 12. 1933); in leicht modifizierter Form publiziert von Frör, Kirche und Rasse, 77–80. Vgl. zum Flugblatt: Töllner, Rasse, 131–141. Töllner weist auch darauf hin, dass sich Eduard Putz bei verschiedenen volksmissionarisch ausgerichteten Veranstaltungen im gleichen Sinne wie Frör in seinem Flugblatt äußerte (ebd., 132, Anm. 560; 137); vgl. besonders Putz, Völkische Religiosität. 24 Alle Zitate sind dem ersten Teil von Frörs Flugblatt (wie Anm. 23) mit der Überschrift „Die Kirche sagt ja zur Rasse als Schöpfung“ entnommen. Der zweite Teil des Flugblatts trägt die Überschrift „Das Nein der Kirche zur Rasse als Religion“. Zur späteren kritischen Distanz Frörs gegenüber dem NS-Staat, die ihn der Strafverfolgung aussetzte, vgl. unten Anm. 62 und 89. 25 Vgl. z. B. einen Beitrag des Vorstands der Pflegeanstalt Bruckberg Hans Sommerer mit der Formulierung: „Die Vernichtung jedes entstandenen Lebens ist Sünde, soweit nicht das Strafrecht des Richters in Frage kommt. Vom Evangelium her ist deshalb rassenhygienische Schwangerschaftsunterbrechung und Euthanasie abzulehnen.“ (Sommerer, Rasse, 32). Das von Helmut Kern im Auftrag der Neuendettelsauer Volksmission herausgegebene Heft (Kern, Brennende Gegenwartsfragen), in dem Sommerer diesen Beitrag publizierte, vertritt insgesamt typische Positionen der breiten landeskirchlichen Mittelgruppe zu den Themen „Unsere Kirche, ihr Wesen und Wollen“, „Kirche und Staat“, „Das Alte Testament und wir“, „Evangelium und Volkstum“, „Rasse und Rassehygiene“, „Völkische Religiosität“, „Völkische Religionen“, „Die Deutschkirche“, „Völkisch-religiöse Einigungsbetrebungen“, „Christianisierung der Germanen und vorchristliche

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ordnungspolitisch kanalisierten Antisemitismus, kritisiert aber einen brutalgewaltsamen Antisemitismus der Straße. Da man in der Reinhaltung des eigenen Volkstums ein Gebot der heiligen Schöpfungsordnung Gottes und des ersten Glaubensartikels sah und sich zugleich als Volkskirche an diese natürliche Rahmenbedingung der Evangeliumsverkündigung gebunden fühlte, war es der landeskirchlichen Mittelgruppe unmöglich, eine klare Haltung bei der Frage des kirchlichen Arierparagraphen zu finden und alle rassebiologischen Rücksichten aus ihrer Sicht des geistlichen Amtes und ihrem konkreten Umgang mit Pfarrern jüdischer Herkunft herauszuhalten. Axel Töllner hat dafür eindrückliches Belegmaterial zusammengestellt26. Von der einmal eingeschlagenen Grundrichtung der kirchlichen und theologischen Bejahung der staatlichen Nichtarier-Gesetzgebung her war es der Landeskirche auch verwehrt, sich gegen das Gesetz der bayerischen Regierung vom 14. März 1938 zu stellen, das bis zum Beginn des Jahres 1939 die Vorlage des „Ariernachweises“ für die Zulassung von Pfarrern zum Religionsunterricht an öffentlichen Schulen forderte27. Einige wenige Geistliche wie Karl Steinbauer, Walther Hildmann und Walter Fürst wiesen ihre Vorgesetzten in Briefen darauf hin, dass durch die Ordination eine unteilbare Verpflichtung und Berechtigung zur freien Evangeliumsverkündigung in Kirche und Schule gegeben sei, die nicht durch das ordinationsfremde Kriterium einer Rassedoktrin ein­ geschränkt werden dürfe28. Mit dieser Haltung befanden sich die drei innerhalb der Pfarrerschaft, gegenüber ihren Dekanen und gegenüber dem Kurs des Landeskirchenrats in einer einsamen Außenseiterposition29. Fragt man nach dem kirchlich-religiösen Impetus, der für die große Mehrheit der bayerischen Pfarrer in ihrem Verhältnis zum Nationalsozialismus maßgeblich wurde, auch für viele Mitglieder der stark bekenntnisorien­tierten bayerischen Pfarrbruderschaft30, dann stößt man vor allem auf das fiebergermanische Religion“. Die Autoren sind außer Pfarrer Sommerer Pfarrer Christian Stoll (München), Studienrat Gerhard Schmidt (Erlangen), Pfarrer Heinrich Hauck (München-Nordwest), Pfarrer Hans Rößler (Coburg) und Erwin Rudert (Apologetische Zentrale Berlin). Die am meisten genannten Autoren der in dem Heft empfohlenen Literatur sind Walther Künneth, Friedrich ­Gogarten, Paul Althaus, Werner Elert und Wilhelm Stapel. 26 Töllner, Rasse. 27 Vgl. ebd., 282–328. 28 Vgl. ebd., 293–299 (zu Karl Steinbauer, Pfarrverweser in Ay-Senden), 299–303 (zu Walther Hildmann, Vikar in Gauting), 303–305 (zu Walter Fürst, exponierter Vikar von Schwürbitz /  Dekanat Michelau). 29 Vgl. auch Töllner, Nicht auf dem Monde, 758–760: Der „Arierparagraph“ für Geistliche im staatlichen Schulaufsichtsgesetz von 1938. 30 Zur Bayerischen Pfarrbruderschaft, der sich bis Juli 1935 rund 500 Pfarrer angeschlossen hatten, vgl. Mensing, Pfarrer, 205 (mit Literatur).

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hafte Bewusstsein, eine einmalige volksmissionarische Chance wahrnehmen zu müssen. Ganz in der Art von Eduard Putz, der zusammen mit Helmut Kern, Julius Schieder und Kurt Frör im Mai 1934 zu den Gründungsvätern der Pfarrbruderschaft zählte, und ganz im Sinne des Landesbischofs wünscht diese Mehrheit eine intensive Begegnung von Luthertum und Nationalsozia­ lismus, die dazu führen soll, dass sich Kirche und Volk aufs Neue finden und den gottfeindlichen Mächten des Liberalismus, Sozialismus und Kommunismus eine verchristlichende Volksbewegung entgegensetzen. Volksmissionarischer Aufbruch: Das war auch das Ziel, das die unterschiedlichen Richtungen der „Deutschen Christen“31 mit ihrer Synthese von Christentum und Nationalsozialismus vor Augen hatten – einer Synthese, in der die christ­ liche Botschaft ihre artgemäße, arisch-germanische Form finden soll32. Damit sahen sich die Deutschen Christen als die wahren Verteidiger des Christentums in der Front gegen neuheidnisch-völkische Religionsformen in Deutsch‑ land. In Bayern war der Hauptvertreter der extremen Richtung der Deutschen Christen, der 1934 die Opposition gegen Bischof Meiser anführte und damit den rechten Flügel in der Pfarrerschaft der Landeskirche repräsentierte, der Heidingsfelder Pfarrer und Rundfunkprediger Wolf Meyer-Erlach33. Zwar wurde er im Oktober 1933 als Professor nach Jena berufen, doch war er von Thüringen aus weiterhin in Bayern höchst aktiv. Die völkischchristliche Synthese, die ihm vorschwebte, hat er noch als bayerischer Pfarrer 1933 prägnant in einer kleinen Schrift mit dem Titel „Der Pfarrer im dritten Reich“ propagiert34. Er widmete sie bezeichnenderweise seinem geistesverwandten „Kameraden“ Siegfried Leffler, auch ein Gewächs der bayerischen Landeskirche, einst Augsburger Stadtvikar und jetzt Führer der Thüringer „Kirchenbewegung Deutsche Christen“35. Meyer-Erlach machte klipp und klar das rassereine Volkstum zur Basis und Bedingung der christlichen Gotteserkenntnis. Aufgabe des Pfarrers sei es, dem Volk mit Hilfe der Bibel und Martin Luthers die religiöse Stimme seines eigenen Blutes und seiner Rassenseele zu Gehör zu bringen: „Das Volk muß bestehen, weil nur aus der Tiefe des deutschen Volkstums heraus Gott sein Wort heute der Welt so sagen kann, wie er es einst gesagt hat in den Tagen Luthers, des deutschen 31 Zum 32

Bereich der bayerischen Landeskirche vgl. Baier, Die Deutschen Christen. Vgl. Slenczka, Theologie. 33 Zu Meyer-Erlach vgl. Baier, Die Deutschen Christen (siehe Personenregister); Raschzok, Wolf Meyer-Erlach; Heschel, The Aryan Jesus (siehe Index). 34 Meyer-Erlach, Pfarrer. Zu dieser Schrift vgl. Raschzok, Wolf Meyer-Erlach, 178 f. 35 Vgl. Rinnen, Kirchenmann.

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Christen.“36 Daraus ergibt sich der weitere Satz: „Wenn ein Volk zu sich selbst kommt, dann kommt es zu Gott“37, d. h. „zu einem artgemäßen Gottesglauben“ und zu einem „artgemäßen Christentum“38. Oder negativ formuliert: „Wer kein Volk und kein Vaterland hat, in wem nicht das Blut des Volkstums, der Rasse in großem Pulsschlag kreist, der hat keinen Gott“, sondern nur „spitzfindige“ und leblose Theologenkonstrukte in der Art der Dogmatik Karl Barths39. Die Radikalität Meyer-Erlachs und seiner Richtung der Deutschen Christen lag darin, dass sie nicht nur – in der Art der landeskirchlichen Theologie Erlanger Prägung – das Gesetz Gottes und die ‚theonom‘ verstandenen Weltordnungen in einer national-völkischen Hermeneutik verankerten, sondern die gesamte Gottesbeziehung des Menschen und gerade auch das Christusevangelium. Es gibt kein Reden von Gott, das nicht vom Volk herkommt und auf das Volk zielt; und mit dem Volkstum verbindet sich nicht nur eine natürliche Offenbarung Gottes, sondern auch seine Heilsoffenbarung. MeyerErlach schließt daher seine Kampfschrift mit dem trotzigen Satz: „Wir Pfarrer im dritten Reich sind bereit, der Welt das Ärgernis und die Leidenschaft des Glaubens zu geben, der Gottes Sache und die Sache unseres Volkes in eines setzt.“40 Mit solchen Sätzen und seinem ganzen Programm eines artgemäßen, heldisch-germanischen Christusglaubens stand Meyer-Erlach wie seine bayerischen und thüringischen Kampfgenossen in schärfstem Gegensatz zur bayerischen Mehrheitsgruppe um Meiser, der es gelungen war, die gemäßigten Deutschen Christen des Jahres 1933 um den späteren Oberkirchenrat Hans 36 Meyer-Erlach, Pfarrer, 16. Zu dieser Sicht Luthers und des Luthertums vgl. z. B. auch folgendes Zitat aus ders., Kirche oder Sekte, 18: „Wissen Sie nicht, daß das Luthertum eben wegen dieser tiefen Verwandtschaft mit dem germanischen Geist, wegen seiner germanischen Ausprägung fast nur in germanischen Ländern sich ausbreitete, während ihm die romanischen für immer verschlossen bleiben werden und ebenso die slavischen? Der Ewige und Unveränderliche ist ein anderer in deutschen Landen unter deutschen Eichen als auf der indischen Landstraße.“ 37 Ders., Pfarrer, 15. 38 Ebd.: „Ein Volk, dessen Geistesleben in den Händen einer fremden Rasse ist, wird unfähig zu einem artgemäßen Gottesglauben.“ Vgl. ders., Kirche oder Sekte, 17: über ein „artgemäßes Christentum“, das in Jesus „den Helden sieht, der er viel eher war, als der weichliche Schwächling“; ebd., 19: „Kommende Geschlechter werden unter den Kuriositäten der Kirche auch den Wahn des chemisch reinen, artfreien Christentums buchen.“ 39 Ders., Pfarrer, 13. Zur Polemik gegen Barth und die Dialektische Theologie vgl. ebd., 11; und ders., Kirche oder Sekte, 19 f.: „Es gibt nicht nur eine Verkürzung des Evangeliums durch die liberale Theologie. Es gibt auch eine entsetzliche Verkümmerung, eine bibel- und bekenntnis­ widrige, gottlose dialektische Theologie.“ Vgl. auch ders., Pfarrer, 10: „Die Macht des Gemütes, nicht die Korrektheit der Dogmatik erringt den Sieg.“ 40 Meyer-Erlach, Pfarrer, 22.  Es folgen noch die Worte: „Und wahrlich, uns soll in diesem Glauben an Gott und Vaterland keiner übertrotzen. Heil Deutschland!“

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Greifenstein in ihre landeskirchliche Normalität aufzusaugen41. Diese Integration war möglich, weil einerseits die Abgrenzung vom radikalen Flügel um Meyer-Erlach zusammenschweißte und weil andererseits ja auch das landeskirchliche Lager um Bischof Meiser eine Art von Synthese oder Bündnis zwischen Nationalsozialismus und Luthertum erstrebte – allerdings auf eine gänzlich andere Art und Weise als die Thüringer Deutschen Christen. Am Beispiel von Eduard Putz und Kurt Frör war zu sehen – und am Beispiel von Walther Künneth wäre es mindestens ebenso deutlich zu zeigen42 –, wie stark es auch innerhalb der bayerischen Mittelgruppe ein Einflussgefälle von der antisemitischen Volkstums- und Rassepolitik der Nationalsozialisten hinein in den Bereich des kirchlichen Selbstverständnisses gab. Das erleichterte das Heimischwerden ehemaliger Deutscher Christen in der landeskirchlichen Normalität. Sie konnten weitgehend sich selbst treu bleiben. Im Unterschied aber zu den extremen Deutschen Christen war der bayerischen Mehrheitsrichtung auch das umgekehrte Einflussgefälle von einer selbständigen kirchlichen Verkündigung hinein in Volk und Staat wichtig. Man wehrte sich nicht nur im Sinne eines seit 1918 gestärkten kirchlichen Selbständigkeitsbewusstseins gegen die Gleichschaltungsabsichten einer staatlich gelenkten Reichskirchen­ politik, man verteidigte nicht nur die Intaktheit der landeskirchlichen Strukturen und die Integrität des lutherischen Bekenntnisses, sondern man erstrebte auch eine kirchliche Ausstrahlung und Veränderungskraft hinein in Volk, Staat und Partei. Man wollte Seelsorge am Nationalsozialismus43 betreiben und ihn von allen Zügen rassereligiöser Absolutheitsansprüche wie überhaupt von allen Herrschaftsansprüchen einer totalitären Weltanschauung befreien – in der Überzeugung, dass der Zusammenhalt einer homogenen Volksgemeinschaft durch keine andere Grundlage als die des bekenntnistreuen Luthertums stärker gefestigt werde. Ist es doch aus der Perspektive dieser bayerischen Lutheraner gerade das Luthertum, das zwar einerseits die sündhafte Verderbnis des Menschen, sein Angewiesensein auf die Vergebung und die transzendente Wirklichkeit des Reiches Christi verkündigt, andererseits aber betont, dass der Christ aus der Freiheit des Glaubens heraus seine ganze ethische Kraft mit opferbereiter Hingabe den von Gott eingesetzten Weltordnungen zuwendet und so dem nationalsozialistischen Staat besser als jeder andere Bürger dienen kann44. So gesehen ist die These nicht fern, dass bekenntnistreue Christen die besten 41 Vgl. 42

Baier, Die Deutschen Christen, 62–67, 69–71 und 73–79. Vgl. besonders Künneths Beiträge in Künneth / Schreiner, Nation. 43 Vgl. Hetzer, Seelsorge. 44 Zu dieser ethischen Argumentationsfigur, die das lutherische Gefälle von der Freiheit des Glaubens zur Dienstbarkeit der Liebe in den nationalsozialistischen Kontext transponiert, vgl. exemplarisch Elert, Lutherische Kirche; ders., Christ. Vgl. dazu Hamm, Werner Elert.

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Nationalsozialisten seien45, Garanten eines geläuterten Nationalsozialismus, die sich durch ihren Opfersinn im Frieden und im Krieg durch niemanden überbieten lassen; und dass ein freies, bekenntnisstarkes und missionarisch aktives Christentum der ideale Bündnispartner für einen freien Staat sei. Das Luthertum bewahrt ihn vor Selbstvergötzung und stärkt ihn doch zugleich in seinen irdischen Ansprüchen auf Größe, Ehre und machtvolles Führertum. Diese volksmissionarische Konzeption war deutlich anders als die der Deutschen Christen, d. h. sie war partiell ideologieresistent und zeitgeistunabhängig, zugleich aber auf ihre Weise regimeloyal. Ihre hochgespannten Hoffnungen wurden bitter enttäuscht, als sich in Partei und Staat seit 1934 zunehmend Tendenzen zur „Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens“ mit kirchenund christentumsfeindlicher Stoßrichtung durchsetzten und die Politik bestimmten46. Ein Höhepunkt war im April 1941 erreicht: Zum Entsetzen Meisers ordnete der bayerische Kultusminister die Entfernung der Kruzifixe aus den Schulräumen an47. Durch diese Entwicklung wurden gerade auch Pfarrer, die begeisterte Nationalsozialisten waren und an einer christlichen Veredelung der nationalsozialistischen Bewegung arbeiteten, in eine Widerspruchshaltung geführt, die sie sogar ins Gefängnis bringen konnte. Ein typisches Beispiel ist der Pfarrer von Miesbach Rudolf Neunhöffer: Nach einer Gefallenengedenkfeier im März 1935 beschwerte er sich bei NSDAP-Ortsgruppenleitung, weil die Fahnenabordnungen der Partei nicht am Gottesdienst teilgenommen hatten. Daraufhin wurde er drei Tage im Gefängnis Miesbach inhaftiert – ein Vorgang, der in der Folgezeit nichts an seiner Überzeugung änderte, dass der Nationalsozialismus an sich eine gute und große Idee sei, für die sich der ganze Einsatz der Pfarrer lohne, aber nur so, dass sie zugleich seine antichristlichen Auswüchse bekämpften48. Die Art und Weise, wie sich einzelne Pfarrer und Vertreter der Kirchen­ leitung gegen kirchen- und christentumsfeindliche Maßnahmen der Partei oder auch bereits gegen einen geringschätzigen Umgang mit christlichen Symbolen 45 So schrieb Wilhelm Meißner, Pfarrer von Mengersdorf, im August 1935: „Ja, nur ein guter Christ kann ein guter Nationalsozialist sein.“ (Mensing, Pfarrer, 199). Vgl. die These des Pfarrers von Miesbach Rudolf Neunhöffer von der „christlichen Veredelung des Nationalsozialismus“ (1935), (ebd., 196). Mensing weist auf die in der Bekennenden Kirche „durchaus verbreitete“ These hin, „daß ‚echter Nationalsozialismus‘ und DC-Theologie sich im Grunde nicht miteinander vereinbaren lassen, daß stattdessen die bekenntnistreuen Pfarrer die besseren Nationalsozialisten seien“ (ebd., 175). 46 Vgl. Siegele-Wenschkewitz, Nationalsozialismus; Baier, Staatliche Angriffe; ders., Kirche in Not. 47 Vgl. Baier, Staatliche Angriffe, 252; Mensing, Pfarrer, 189, 197 und 198 („große Erregung in der Bevölkerung wegen der Entfernung der Kruzifixe aus den Schulen“). 48 Vgl. Mensing, Pfarrer, 195–197.

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und Inhalten wandten, war höchst variabel. Viele Pfarrer zeigten ebenso wie ihre Gemeindemitglieder Bekenntnismut und Zivilcourage; der weltanschauliche Totalitätsanspruch von Partei und Staat stieß auf Widerstand. Deutlich ist aber auch, dass sich fast alle dieser widerspruchsbereiten Pfarrer ebenso wie Landesbischof Meiser keineswegs aus dem grundsätzlichen Einverständnis mit der Politik des NS-Staats herausbewegten. Der Widerspruch bezog sich nur auf den neuralgischen Punkt kirchlicher Identität und Integrität, führte aber in der Regel nicht weiter zur Überzeugung, dass Christentum und lutherische Bekenntnistreue mit dem Wesen des Nationalsozialismus und der Wirklichkeit des nationalsozialistischen Staats prinzipiell unvereinbar seien. Das breite Spektrum einer landeskirchlichen Normalität bestritt gegen den extremen Flügel der Deutschen Christen und gegen bestimmte Maßnahmen des NS-Staats phasenweise und partiell einen „Kirchenkampf“, nicht mehr und nicht weniger. Wozu es generell, weder vor noch nach 1933, nicht kam, war die konkrete ethische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus über die Methoden seiner politischen Kampfführung, über seine ausgrenzenden Unrechts- und Gewaltmaßnahmen und über die Realität seiner menschenverachtenden Rasse­politik und seines Antisemitismus. Zu stark war die eigene Verstrickung der Kirche in ihre traditionelle Judenfeindschaft, zu stark die Faszination durch den machtvollen Führerstaat und zu stark das Bewusstsein, mit ihm gemeinsam gegen den anbrandenden atheistischen Bolschewismus und alle seine Drahtzieher und Helfer in einem Kampf auf Leben und Tod zu stehen. Es waren nur wenige Einzelne, die in dieser mentalen, sozialen und politischen Konstellation zur Überzeugung vordrangen, dass der Nationalsozialismus generell, nicht nur seine weltanschaulich-rassereligiösen Züge, sondern auch seine politische Programmatik und Alltagsrealität, mit der Botschaft des Christentums und dem Wesen der lutherischen Kirche absolut unvereinbar seien. Ich möchte im Blick auf diese Einzelnen49 nicht von Extrempositionen in der bayerischen Landeskirche sprechen; denn in der Klarsicht, die uns hier begegnet, lag, gemessen an den ethisch-humanitären, rechtsstaat­ lichen und christlichen Standards des 19.  und beginnenden 20.  Jahrhunderts, überhaupt nichts Extremes – während sich vor 1933 die Völkischen, die NSDAP und die Deutschen Christen als Extremisten positionierten. So verwundert es nicht, dass in Bayern gerade ein konservativ-nationaler Lutheraner wie Friedrich Veit zum aufsteigenden Nationalsozialismus auf deutliche Distanz ging und seine Pfarrer ebenso wie den Landeskirchenrat vergeblich davor warnte, mit dieser Bewegung zu sympathisieren50. Er war eng befreundet mit 49 Zur 50

Problematik vgl. Kantzenbach, Der Einzelne. Vgl. Sommer, Friedrich Veit.

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Wilhelm Freiherr von Pechmann, dem führenden Laienrepräsentanten Bayerns auf Kirchenleitungsebene, einem ebenfalls national-konservativen Lutheraner, der sich seit 1933 mit seinem wiederholten nachdrücklichen Eintreten für die verfolgten Juden exponierte und schließlich 1934, als er die Vergeblichkeit seiner Interventionen erkennen musste, aus der Landeskirche austrat51. Auch eine Gestalt wie die des streng konfessionellen Lutheraners und Erlanger Extraordinarius für Kirchen- und Dogmengeschichte Hermann Sasse ist zu nennen, der 1932 in einem viel beachteten Artikel die völlige Unvereinbarkeit des NS-Parteiprogramms mit dem christlichen Bekenntnis erklärte. Jede Diskussion sei hier unmöglich, weil die Lehre der Kirche „eine vorsätzliche und permanente Beleidigung des ‚Sittlichkeits- und Moralgefühls der germanischen Rasse‘“ sei52. Mit konkreter Kritik an nationalsozialistischem Unrecht hielt sich freilich Sasse ebenso wie Veit zurück. Anders einzelne Pfarrer wie etwa Karl Steinbauer. Er war zwar 1931, als 25-jähriger Vikar, in die Partei eingetreten, trat aber schon ein Jahr später wieder aus, als ihm Hitlers Solidarisierung mit den Potempa-Mördern die Augen dafür öffnete, dass dieser Mann eine skrupellose „Parteijustiz“, aber nicht einen gesetzestreuen Rechtsstaat in der Ehrfurcht vor Gottes Geboten anstrebte53. Um rechtsstaatliche Verhältnisse ging es Steinbauer auch im März 1936, als bei einer reichsweiten Wahl Hitler und seine Partei 99 Prozent der Stimmen erhielten. Da Steinbauer von Unkorrektheiten bei der Wahl wusste, verweigerte er das angeordnete festliche Geläut, eine Renitenz, die ihn sofort in Konflikt mit der zuständigen Staatsbehörde und mit dem Landesbischof sowie dem Landeskirchenrat führte54. Was den Protest gegen die antijüdischen Verfolgungsmaßnahmen des NS-Staats betrifft, und zwar nicht nur das Eintreten für sogenannte christliche „Nichtarier“, sondern auch 51 Zu 52

Pechmann vgl. Kantzenbach, Widerstand; Sommer, Wilhelm von Pechmann. Sasse, Kirche, 65 f. Zu Sasse vgl. auch unten Anm. 91. 53 Vgl. Mensing, Pfarrer, 107. Steinbauers Reaktion auf Hitlers Solidarisierung mit den SAMännern, die im schlesischen Potempa einen wehrlosen Kommunisten bestialisch ermordet hatten und zum Tode verurteilt worden waren („Meine Kameraden, angesichts dieses ungeheuerlichsten und blutigsten Urteils fühle ich mich euch in restloser Treue verbunden […]“, Hitler im Völkischen Beobachter vom 24. 8. 1932), war kein Einzelfall. Auch Friedrich Bomhard, Pfarrer in Weihenzell, trat 1932 aus der NSDAP aus, weil für ihn der Potempa-Fall der Hinweis darauf war, dass die Partei „von blindem Fanatismus geführt“ sei (Mensing, Pfarrer, 107). Zur kritischen Reaktion einiger anderer Pfarrer (darunter auch der unten noch ausführlicher zu Wort kommende Walter Höchstädter) auf Potempa / Hitler vgl. ebd., 137, mit der Bilanz: „Insgesamt dürfte wohl die Einschätzung eines Pfarrers zutreffen, daß einige Kollegen nach Potempa kritisch wurden, aber bei den meisten die Bedenken bald wieder zerstreut waren. Als Beispiel sei ein NSDAP-naher Pfarrer zitiert, dem Hitlers Äußerung zwar zunächst als Unrecht erschien, nach geraumer Zeit stufte er sie nur noch als ‚Ausrutscher‘ ein.“ 54 Vgl. Steinbauer, Zeugnis, Bd. 2, 3–6; Hamm, Die andere Seite, 458 f.

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generell für jüdische Menschen, habe ich bereits das Ausnahmeverhalten Wilhelm von Pechmanns erwähnt55. Auch eine Handvoll Pfarrer – unter insgesamt mehr als 1700 Geistlichen der bayerischen Landeskirche  –, protestierte teils schon vor dem November 1938, teils in unmittelbarer Reaktion auf die Reichspogromnacht gegen die erschütternde, ihr christliches Mitgefühl zutiefst beschämende Behandlung der Juden56. Als Beispiel sei nur der Pfarrer von Mistelgau Friedrich Seggel genannt, der in seiner Bußtagspredigt von 1938 den Synagogenbrand als „Greuel an heiliger Stätte“ anprangerte. Die Gestapo leitete daraufhin ein Verfahren gegen ihn ein, das aber im Jahr darauf eingestellt wurde57. Die deutlichste und schärfste Stimme der Bayerischen Landeskirche gegen die nationalsozialistischen Verbrechen war aber die des Kulmbacher Pfarrers Walter Höchstädter. Im Sommer 1944 weilte er als Lazarettgeistlicher im französischen Savoyen. Im Wissen um die Schoa verfasste er eine für ihn selbst lebensbedrohliche Flugschrift, die er in tausend Druckexemplaren verteilte und durch die Feldpost an Soldaten verschickte58 – eine flammende Anklage gegen den Antisemitismus und seine Verbrechen: „Das Blut von Millionen hingeschlachteter Juden, von Männern, Frauen und Kindern, schreit heute gen Himmel. Da darf die Kirche nicht schweigen. Sie darf da nicht sagen, die Regelung der Judenfrage sei eine Angelegenheit des Staates, wozu er aufgrund von Röm. 13 ein Recht habe. […] Es gibt also keine indifferente Haltung für den Christen in dieser Frage. Es gibt keinen gemäßigten – christlichen – Antisemitismus. Auch dann nicht, wenn er einleuchtend mit vernünftigen (etwa nationalen) Gründen dargelegt wird, oder gar mit wissenschaftlichen (sage: scheinwissenschaftlichen) Gründen. Auch der Hexenwahn wurde einst von Kapazitäten der theologischen, juristischen und medizinischen Fakultäten wissenschaftlich begründet. 55 Vgl. 56

oben bei Anm. 51. Vgl. Baier, Pfarrer. 57 Vgl. ebd., 107. 58 Vgl. den Bericht in der Autobiographie von Walter Höchstädter (Höchstädter, Strudel, 262 f.). Die achtseitige Flugschrift mit dem Titel „Darum seid nüchtern!“ (1. Petr. 5,8) ist als vergrößertes Faksimile am Ende der Autobiographie abgedruckt. Im Nachlass Höchstädters befindet sich ein Original der Flugschrift (Größe 14,5x10,5 cm), das mir der Sohn des Verfassers, Dekan Michael Höchstädter (Fürth), dankenswerterweise zur Verfügung stellte.  – Zu Entstehung, Inhalt und Bedeutung der Flugschrift vgl. auch Röhm / Thierfelder, Juden – Christen – Deutsche, 296–302; Goldhagen, Vollstrecker, 43 und 504–507, mit der Bewertung (505): „In den Annalen der deutschen Geschichte während der NS-Zeit ist Höchstädters Brief mit seiner ausdrücklichen und uneingeschränkten Ablehnung des eliminatorischen Antisemitismus ein außerordentlich seltenes und leuchtendes Beispiel.“ Das Besondere an Höchstädters Aufruf sei, dass er sich nicht nur – wie viele Vertreter der Kirchen – gegen einen brutalen und mörderischen Antisemitismus wendet, sondern ganz grundsätzlich auch gegen jeden sog. „gemäßigten“, „anständigen“, „zivilisier­ ten“, „geistigen“, „ethischen“ und „heilsamen“ Antisemitismus.

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Berndt Hamm Der Kampf gegen das Judentum kommt aus derselben trüben Quelle wie einst der Hexenwahn. Das Suchen nach dem ‚Sündenbock‘ hat auch die heutige Menschheit nicht verlernt.“59

Die Stimme Höchstädters war nicht nur eine Stimme des Protests gegen die Vernichtungsaktionen des NS-Staats und darüber hinaus gegen jede Form eines sich „gemäßigt“, „zivilisiert“ und „ethisch“ gebenden Antisemitismus60, sondern mindestens ebenso deutlich auch eine Anklage gegen das Schweigen seiner Kirche, des Landesbischofs, der Geistlichen und Gemeinden und der Erlanger theologischen Wissenschaft. Hintergrund seiner Schrift ist ein gravierender Vorgang des Frühjahrs 1943: Der Vater Höchstädters, Landgerichtsrat Emil Höchstädter, und der Professor für orientalische Sprachen Wilhelm Hengstenberg überbrachten Landesbischof Meiser eine Denkschrift zur Judenverfolgung, den sog. „Münchener Laienbrief“, mit der dringlichen, aber erfolglosen Bitte, er möge die Erklärung zur Grundlage eines öffentlichen Protests der Kirche gegen den Judenmord machen61. Manche Gedankengänge des Laienbriefs haben dann ein Jahr später Eingang in die Flugschrift Walter Höchstädters gefunden. Weder die Aktion des Münchener Kreises um den Verleger Albert Lempp62 noch die des jungen Höchstädter sind ohne den starken Einfluss der Theo 59 Höchstädter, 60

Darum seid nüchtern (Original), 5 f. Die Richtung für einen derartigen „christlich domestizierten“ Antisemitismus, dem es nicht in erster Linie um Blut und Rasse gehe und der nicht von „Judenhaß“ geleitet sei, sondern vom Bemühen, das deutsche Volk vor der „entsittlichenden“, „zersetzten und zersetzenden“ Geistigkeit des Judentums zu schützen, wies Paul Althaus in seiner weit verbreiteten Schrift „Kirche und Volkstum. Der völkische Wille im Lichte des Evangeliums“ (Althaus, Kirche, 33–35; hier auch die Stichwörter „jüdische Bedrohung unseres Volkstums“ und „Seelsorge am Antisemitismus“). Vgl. Hetzer, Seelsorge. Zwar verabscheute dieser für die landeskirchliche Normalität typische Althaussche Antisemitismus Gewalttätigkeit gegenüber den Juden, und erst recht lag die Judenvernichtung völlig außerhalb seiner Perspektive, doch trug er seinen Teil dazu bei, dass die mentale Hemmschwelle und die ethische Empfindlichkeit gegenüber den Verbrechen der National­ sozialisten abgebaut wurden. Zugleich wurde so die Bereitschaft zum Tolerieren, zum Wegsehen und zum unbewussten Nicht-Wissen-Wollen gefördert. 61 Vgl. Höchstädter, Strudel, 228–230; Röhm / Thierfelder, Juden – Christen – Deutsche, 283–296; Text des Briefes (dessen Entwurf der württembergische Pfarrer Hermann Diem vorgelegt hatte) ebd., 652–655. Vgl. auch ebd., 302: „Am mutigsten und konsequentesten ging der rheinische Bekenntnispfarrer Helmut Hesse mit dem Münchner Laienbrief um. Er verlas ihn am 6. Juni 1943 im Gottesdienst in Elberfeld und wurde nicht zuletzt wegen dieser Provokation ins Konzentrationslager verbracht. Er bezahlte sein Engagement mit dem Leben.“ 62 Zum Lemppschen Kreis um den Verleger von Karl Barth, einem Kreis von evangelischen Laien und Theologen, „der bewusst in Opposition zum gemäßigten Kurs der ‚intakten‘ bayerischen Landeskirche stand“ und den das Entsetzen über die Judenverfolgung verband, vgl. Röhm / Thierfelder, Juden – Christen – Deutsche, 283–285. Die Mitglieder des Kreises, unter ihnen in den Kriegsjahren auch der schon erwähnte bayerische Pfarrer Kurt Frör, der seine Einstellung zum NS-Staat und zu dessen antisemitischer Judenpolitik seit seiner Position von Ende 1933 deutlich

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logie Karl Barths zu denken. Auch ein persönlicher Freund und Pfarrerkollege Höchstädters, Karl-Heinz Becker, gehörte zu jener kleinen Gruppe bayerischer Theologen, die man in einem sehr offenen und variablen Sinne als Barthianer bezeichnen kann63. Prägend für Becker waren aber vor allem auch seine familiär bedingten Neigungen zur Jurisprudenz und zu einer naturrechtlich begründeten christlichen Sozialethik64 und intensive Kontakte zur Theologie des weltoffenen schwedischen Luthertums65. Begünstigt durch diese Voraussetzungen artikulierte Becker von seiner westmittelfränkischen Pfarrstelle in Ezelheim aus schon sehr früh, seit 1931, Gedanken zur völligen Unvereinbarkeit zwischen Nationalsozialismus und Christentum, die mit ihrer Klarsicht und ethischen Sensibilität alles andere, was in der bayerischen Landeskirche zu diesem Thema in den dreißiger Jahren gesprochen und geschrieben worden ist, in den Schatten stellten. Völlig ungewöhnlich für einen bayerischen Theologen war vor allem sein kritischer Ansatz bei den konkreten Fragen der praktischpolitischen Ethik66. Er las ebenso wie Eduard Putz gründlich Hitlers „Mein verändert hatte (vgl. unten Anm.  89), gehörten unterschiedlichen Generationen an. Die beiden Überbringer des Laienbriefes, Emil Höchstädter und Wilhelm Hengstenberg, waren Jahrgang 1881 bzw. 1885. Die exponierte Position der Wenigen in der bayerischen Landeskirche, die National­sozialismus und Christentum für völlig unvereinbar hielten, war also keineswegs der jüngeren Generation eines Karl Steinbauer (geb. 1906) und Walter Höchstädter (geb. 1907) vorbehalten, wie auch das Beispiel eines Wilhelm Freiherr von Pechmann (geb. 1859) und des ehemaligen Kirchenpräsidenten Friedrich Veit (geb. 1861) zeigt. 63 Zu Karl-Heinz Becker (1900–1966) vgl. Huber, Evangelisch; Kantzenbach, Der Einzelne, 134–140 und Anhang I, 163–199 (15 Dokumente zu K.-H. Beckers Protest gegen den Nationalsozialismus); Mensing, Pfarrer, 254 (Personenregister). 64 Nach dem Tode seines Vaters, eines Staatsanwalts, zog Karl-Heinz Becker mit seiner Mutter und den Brüdern nach München zu seinem Großvater Karl Gareis, der als Universitätsprofessor der Rechtswissenschaft ein entschiedener Verfechter des Naturrechtsgedankens war. Becker studierte vor seiner Hinwendung zur Theologie zunächst zweieinhalb Jahre Jura und Volkswirtschaft. Seine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus war stets geprägt von der engen Verbindung zwischen theologischem und in der humanen Rechtstradition begründetem Denken. Dies erklärt vor allem, weshalb Becker von Anfang an im Nationalsozialismus die Verherrlichung des Unrechts, die Verhöhnung aller rechtsstaatlichen Grundbegriffe und die brutale Missachtung aller ethischen Grundsätze erkannte und bekämpfte. 65 Seit seinen Ferienaufenthalten 1923 und 1924 in einem südschwedischen Pfarrhaus erlernte Becker die schwedische Sprache, unterhielt persönliche Kontakte nach Schweden und wurde zu einem Kenner der schwedischen Lutherforschung, die er in Deutschland durch Forschungsberichte und Übersetzungen bekannt zu machen suchte. Die schwedische Theologie bestätigte „ihn in seiner Kritik der in Deutschland herrschenden neulutherischen Theologie der Schöpfungsordnungen“ (Huber, Evangelisch, 189). 66 In einem offenen Brief vom Februar 1933 („Wie stellst du Dich, deutscher Christ, zum Nationalsozialismus?“) forderte Becker „eine grundsätzliche Klärung“ „auf diesem Gebiet, dem der praktisch-politischen Ethik der Partei und ihrer methodischen Grundsätze“ (Text bei Kantzenbach, Der Einzelne, 194).

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Kampf“67. Während aber Putz dem Sog der Hitlerschen Kampfrhetorik nicht widerstehen konnte, entlarvte Becker in zahlreichen Briefen an führende Kirchenleute die desaströse Brutalität der Ziele und Methoden Hitlers, die das Staatswesen in einen Abgrund von Lüge, Terror und Verbrechen zu stürzen drohe68. Im Februar 1933 schrieb er an den Landeskirchenrat und an Kirchenpräsident Veit, dass er sich als evangelischer Geistlicher „angesichts der täg­ lichen Todesopfer“ der von Hitler betriebenen terroristischen Propaganda nicht in der Lage sehe, die Verantwortung für das bewusste Schweigen der öffent­ lichen Organe der evangelischen Kirche weiterhin mit zu übernehmen69. Knapp ein Jahr später, wohl Anfang 1934, griff er in die kirchliche Diskussion um die Stellung der evangelischen „Nicht-Arier“70 ein und stellte unmissverständlich klar: Das gegenwärtige Judentum ist nicht von einem rasseideologisch orientierten und radikalisierten Volkstumsbegriff her zu verstehen, sondern es ist eine „Religionsgemeinschaft“. Juden in Deutschland gehören daher zum deutschen Volk71. Wenn sie staatlicherseits aus rassischen Gründen moralisch diffamiert werden, dann darf die Kirche das nicht gutheißen oder dazu schweigen, sondern dann hat sie aus ethischer Verpflichtung solchen staatlichen Diskriminierungen mit Entschiedenheit entgegenzutreten72. Erst recht ist es völlig untragbar, dass innerhalb der Kirche Glaubensgenossen aus rasseideologischen Gründen zurückgesetzt und ausgegrenzt werden sollen. Eine Kirche, die mit ihren Judenchristen so verfährt, hört auf, christliche Kirche zu sein73. Mit seinen Ausführungen wandte sich Becker keineswegs nur gegen die extremen Positionen der Deutschen Christen, sondern auch gegen die gesamte Unklarheit und lavierende Unsicherheit seiner Landeskirche im Umgang mit der ‚Nicht-Arier‘-Frage. Als Stimmen dieser  – aus 67 Vgl. die zustimmenden Zitate aus „Mein Kampf“ in Putz, Völkische Religiosität, 8, 12 (drei Zitate), 14 (mit dem Kommentar: „Niemand kann sich dem Eindruck dieses Appells entziehen.“); vgl. auch ebd., 35 und 52. Zu Becker vgl. unten Anm. 84. 68 Vgl. besonders die von Kantzenbach, Der Einzelne, 181–199 als Dokumente 4–15 edierten Briefe. 69 Brief an den Ev.-luth. Landeskirchenrat München vom 13. 2. 1933 und Brief an Kirchen­ präsident Friedrich Veit vom 18. 2. 1933, ediert ebd., 197–199, Dokumente 14 und 15. 70 Die Schrift „Judenchristliche Gemeinden?“ ist im Nachlass Beckers enthalten (LAELKB Nürnberg, Personen 58 (Becker), 16). Dr. Axel Töllner (Nürnberg) stellte mir dankenswerterweise eine Kopie des Dokuments zur Verfügung; zur Verfasserschaft Beckers und zum Inhalt der Schrift vgl. auch Töllner, Rasse, 88–93. Die Schrift weist starke inhaltliche Parallelen zu einem privaten Briefwechsel Beckers mit (dem bereits erwähnten) Pfarrer Helmut Kern im November 1933 auf, der den tiefen Gegensatz zwischen Beckers Position und dem Kurs der landeskirchlichen Mitte um Meiser erkennen lässt (vgl. ebd., 85–88). 71 Becker, Judenchristliche Gemeinden (wie Anm. 70), 3 f. 72 Ebd., 5. 73 Ebd., 6 f.

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seiner Sicht verheerenden – landeskirchlichen Normalität zitiert er ausdrücklich den Erlanger Professor Friedrich Ulmer und den ebenfalls schon erwähnten Helmut Kern74. Im Landeskirchlichen Archiv findet sich unter den Akten des Landeskirchenrats ein mit dem Eingangsdatum 4.  März 1933 versehenes Dokument eines Anonymus75, das inhaltlich eine große Nähe zur scharf antinationalsozialis­ tischen Haltung Beckers zeigt76, auch in der Weise, wie es an die humane Menschenrechtstradition der Aufklärung anknüpft. Es trägt die herausfordernde Überschrift: „Hitler oder Christus?“ Nur wenige Sätze, die den Gesamtduktus erkennen lassen, seien daraus zitiert: „In der Tat läßt sich kaum ein größerer Gegensatz denken als Christentum und Natio­ nalsozialismus. Das Christentum ist überhaupt keine nationale, sondern eine internationale, eine Menschheitsreligion. Der Christengott ist kein deutscher, sondern ein internationaler Gott; zu ihm beten auch unsere ‚Feinde‘, die wir im Sinne Jesu nicht durch Aufrüstung und ‚Wehrsport‘, sondern durch Liebe überwinden sollen.“77 „Der Nationalsozialismus hat Rassevorurteile, das Christentum kennt keine (Römer 10,12). Der Nationalsozialismus bekämpft (und beschimpft!) besonders die Juden. Unser Herr Jesus war ein unverfälschter Jude, was die Heilige Schrift, die allein beweiskräftig ist, eindringlich bezeugt. Die Rasse, von der unser Herr Jesus Fleisch und Blut angenommen hat, sollte ‚positiven Christen‘ zu gut sein, um sie mit Unflat zu bewerfen. Die Nationalsozialisten verlangen Ausnahmegesetze gegen die Juden, das Christentum fordert Gleichberechtigung (Hesekiel 47,22–23).“78 74 Ebd., 1 f. Zur Forderung, „die sogenannten ‚Judenchristen‘ in einer eigenen Kirche oder in besonderen Gemeinden zusammenzufassen“, erwähnt Becker die zustimmende Haltung Ulmers mit den kritisch kommentierenden Worten: „Der Dozent für Praktische Theologie an der Universität Erlangen, Prof. D. theol. Ulmer glaubt die Zulässigkeit der geforderten Maßnahmen (wenigstens dort, wo sie praktisch durchführbar seien) durch den Hinweis auf die Französisch-Reformierte Gemeinde in Erlangen begründen zu können, die auch als eine Zusammenfassung von Angehörigen eines ‚anderen Volkstums‘ in einer besonderen Gemeinde anzusehen gewesen sei. (Dieser Hinweis dürfte schon deshalb nicht zur theologischen Begründung derartiger Maßnahmen gegen die deutschen Judenchristen genügen, da ja die Sprachenfrage, die damals die Hauptrolle spielte, hier fortfällt. Außerdem geschah diese Zusammenfassung m i t dem Willen der Beteiligten, und nicht, wie heute, gegen ihn.)“ 75 LAELKB Nürnberg, LKR 1741; dreiseitiger maschinenschriftlicher Text mit der Überschrift „Hitler oder Christus?“ Er trägt am Anfang den Eingangsstempel vom 4. 3. 1933 und am Ende den von Landesbischof Meiser selbst abgezeichneten Vermerk vom 8. 3. 1933, dass die Schrift zu den Akten genommen werden soll. Sie wurde ediert von Kantzenbach, Der Einzelne, 200–202. 76 Es ist daher kein Zufall, dass in der Ablage des Landeskirchenrats dem anonymen Schriftstück zwei Briefe Beckers vorausgehen, der Brief an Werner Elert vom 28. 11. 1932 (ed. ebd., 189–192, dazu vgl. unten Anm.  84) und der Brief an Kirchenpräsident Veit vom 18. 2. 1933 (ed. ebd., 198 f.). 77 Kantzenbach, Der Einzelne, 200; Original Blatt 1. 78 Ebd., 201; Original Blatt 1.

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Berndt Hamm „Die evangelische Kirche wird immer engherziger, kleinbürgerlicher, hinterwäldle­ rischer; alle großen Perspektiven sind ihr verlorengegangen. Man sehe sich nur einmal die sogenannte evangelische Presse daraufhin an. Wie engbrüstig, zänkisch und parteiisch ist sie doch; alle wahrhaft großen und christlichen Gedanken, wie Völkerversöhnung, Abrüstung, humanere Rechtspflege, Abschaffung der Todesstrafe (Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe!), gerechtere Gesellschaftsordnung‹en› werden von ihr ingrimmig bekämpft, wobei man in der Wahl der Mittel nicht wählerisch ist.“79

Das Dokument schließt mit den Worten: „Man kann nicht Gott dienen und dem Mammon, nicht Christus und Hitler, nicht dem Rüstungskapital und dem Frieden. Wir sind zu sehr national, zu wenig christlich, das ist die Quelle aller unserer Übel.“80 Die pointiert kapitalismuskritischen Spitzen des Schriftstücks, die sich vor allem gegen die Rüstungsindustrie wenden, lassen daran denken, dass es in der bayerischen Landeskirche einen Pfarrer gab, der sich in den zwanziger Jahren dem religiösen Sozialismus zuwandte, offensichtlich als einziger Geistlicher der Landeskirche Mitglied der SPD wurde und vor 1933 Nationalsozialismus und Antisemitismus scharf verurteilte: Es war Matthias Simon, bis 1932 Pfarrer in der oberfränkischen Industriestadt Arzberg, dann Studienrat in Nürnberg und Pfarrer in Augsburg und nach dem Kriege bis 1963 Direktor des Landeskirchlichen Archivs Nürnberg81. Mit der Kapitalismuskritik verbindet sich in dem anonymen Dokument ein deutlicher Pazifismus, der den völligen Gegensatz zwischen der nationalsozialistischen Kriegsverherrlichung und dem konsequenten Gewaltverzicht Jesu offenlegt: „Wie verhält sich der Nationalsozialismus zum fünften Gebot? Ablehnend. Er betet die Gewalt an und verherrlicht den Krieg, die vorsätzliche, organisierte Übertretung des göttlichen Gebotes, das absolut ist und von keinem Menschen außer Kraft gesetzt werden kann. Jesus ist der unerbittlichste Pazifist, den man sich überhaupt denken kann. Er verwirft sogar den Verteidigungskrieg (Matth. 5,39–41). Lebte er im heutigen Deutschland, unter der Klassenjustiz des Reichsgerichts, er würde des Landes­ verrats bezichtigt.“82

Solche Aussagen erinnern daran, dass es auch in Bayern während der Weimarer Zeit eine kleine Schar von Pfarrern gab, die die christlich-pazifistischen Bestrebungen des „Weltbundes für Internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen“ 79 Ebd., 80

201 f.; Original Blatt 2.  Ebd., 202; Original Blatt 3. 81 Zu Matthias Simon (1893–1972) vgl. ebd., 123 f.; Mensing, Pfarrer, 87, 133 und 146. 82 Kantzenbach, Der Einzelne, 200; Original Blatt 1. 

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und des „Internationalen Versöhnungsbundes“ unterstützten. Zu ihnen gehörten z. B. die Pfarrer Wilhelm Wiegel und Julius Sammethreuther83. Die so bemerkenswerte Schrift des unbekannten Verfassers, die dem Münchener Landeskirchenrat nicht verborgen blieb, verdeutlicht also mit ihren Querverbindungen zu sozialistisch, pazifistisch und ökumenisch eingestellten Pfarrern noch einmal deutlich, welche Bandbreite der Einstellungen zum Nationalsozialismus es in der bayerischen Landeskirche während des Dritten Reiches und schon in den Jahren davor gab: In Bayern war alles vertreten, wenn auch zum Teil nur in homöopathischen Dosierungen. Das Spektrum reicht von der Position eines Karl-Heinz Becker bis zu der eines Wolf Meyer-Erlach und anderer fanatischer Deutscher Christen, die Christentum und Luthertum mit einem eschatologischen Rassenkampf identifizierten. Karl-Heinz Becker war nicht isoliert; er pflegte intensive Kontakte zu schweizerischen und schwedischen Gesinnungsfreunden und innerhalb der Landeskirche zu Regimegegnern wie Walter Höchstädter und dem Kommunikationsnetz des Münchener Laienkreises um Albert Lempp. Auch ließ er den Landeskirchenrat, den Landes­ bischof und ehemalige akademische Lehrer wie Werner Elert84 an seinen Überlegungen Anteil nehmen. Und doch stand er in Bayern ebenso wie Höchstädter und dessen Vater auf völlig exponiertem, einflusslosem und verlorenem Posten. Obwohl er durch Klugheit und Besonnenheit und vor allem durch die hohe Qualität seines theologischen und rechtsethischen Denkens weit aus der bayerischen Pfarrerschaft herausragte85, hatte er nicht die geringste Chance, 83 Vgl. ebd., 123 f. und 128–130. Wilhelm Wiegel (1888–1960) und Julius Sammetreuther (1883–1939) waren beide Pfarrer in München-St. Matthäus; Wiegel wurde 1933 Dekan in Hof, Sammetreuther 1935 Oberkirchenrat (Angaben nach Mensing, Pfarrer, Personenregister). Zu Sammetreuthers klarem Kurs gegen ein offenbarungstheologisches Geschichts-, Natur- und Ordnungsverständnis, wie es von der Erlanger Theologie vertreten wurde, und insbesondere auch gegen eine Zwei-Sphären-Ekklesiologie Elertscher Art vgl. Töllner, Rasse, 142–144. 84 Brief Karl-Heinz Beckers an Werner Elert vom 28. 11. 1932, ediert von Kantzenbach, Der Einzelne, 189–192, Dokument 10; Becker sandte am 19. 2. 1933 eine Kopie des Briefes an Oberkirchenrat Hans Meiser (ebd., 192). Er beklagt in dem Brief an Elert vor allem, dass die evangelische Kirche durch ihr Schweigen den Anhängern des Nationalsozialismus in der Kirche „jede ethische Auseinandersetzung“ auf dem Gebiet der politischen Ethik erspart und damit indirekt Zustände im öffentlichen Leben Deutschlands begünstigt, in denen Hitlers Programm der „Brutalität“, des „Terrors“, der „infernalischen Unduldsamkeit“ und Gewaltanwendung im „Welt­ anschauungskampf“ und des Rechtes auf Lüge in der politischen Propaganda (alles Zitate aus Hitlers „Mein Kampf“) die Umgangsformen der politischen Auseinandersetzung prägt. Eine derartige Argumentation, die das Bekenntnis zum Christentum so eng mit Prinzipien der politischen Ethik verknüpfte, konnte Elert nicht im Geringsten beeindrucken. 85 Vgl. das Urteil Kantzenbachs: „Von den Stellungnahmen der Pfarrerschaft zum Nationalsozialismus ragen durch prinzipielle Einsicht und Geistesschärfe die des Ezelheimer Pfarrers Karl-Heinz Becker turmhoch heraus.“ (Kantzenbach, Der Einzelne, 134).

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an der Haltung des Landesbischofs, der Kirchenleitung und der landeskirchlichen Normalität irgendetwas zu verändern. Immerhin zeigen seine Eingaben an die Kirchenleitung ebenso wie die Übergabe des „Münchener Laienbriefs“ an Bischof Meiser oder wie die Auseinandersetzungen Karl Steinbauers mit dem Bischof und dem Landeskirchenrat86 exemplarisch, welche Spielräume der Einstellung zum Nationalsozialismus den einflussreichsten Personen der Landeskirche konkret vor Augen gestellt wurden. Das Schriftstück des Anonymus „Hitler oder Christus?“ hat Meiser selbst zur Ablage abgezeichnet87. Dass diese alternativen Möglichkeiten des Verhaltens im bayerischen Luthertum nicht zum Zuge kommen konnten und dass die Vertreter solcher exponierten Positionen nicht gehört wurden, war nicht das isolierte Versagen des Landesbischofs und der Münchener Kirchenleitung. Das Ergebnis meiner Übersicht ist, dass Bischof Meiser und sein Stab vornehmlich das kirchenpolitisch umsetzten, was die überwältigende Mehrheit der Pfarrer und Gemeinden dachte und wünschte, was also der landeskirchlichen Normalität entsprach. Der gesamte Kurs Meisers in der Abkehr vom Kurs seines Vorgängers Friedrich Veit war, so gesehen, ein landeskirchliches Syndrom88. Solange Meiser für die Intaktheit der traditionellen Strukturen der Landeskirche und die unverletzte Geltung des lutherischen Bekenntnisstandes gegen die rabiaten Gleichschaltungsmaßnahmen der deutsch-christlichen Reichskirchenpolitik und gegen die Absolutheitsansprüche einer Rassereligion stritt, hatte er seine Pfarrer und Gemeinden hinter sich. Hätte er sich dagegen in regimekritischer Weise gegen das herrschende antisemitische Volkstums- und Rassedenken, gegen Brutalität, Gewalt, Terror und Missachtung aller christlich-ethischen Prinzipien durch den totalitären NS-Staat gewandt, hätte er sich also 1933 die Position eines Karl-Heinz Becker zu eigen gemacht, dann wäre ihm wohl noch mehr als Veit der Rückhalt seiner Kirche verloren gegangen. Er selbst aber und seine Oberkirchenräte waren Repräsentanten dieser kirchlichen Mehrheitsmentalität, die durch tiefe Sympathien mit der nationalistischen, militaristischen, völkischen und judenfeindlichen Politik des NS-Staats verbunden war. Weil Bayern dank der Integrationskraft Meisers und seines Leitungspersonals nach 1933 eine strukturell intakte, nicht in Lager zerrissene Landeskirche blieb, konnte sich 86 Vgl. die Originaldokumente in den Erinnerungsbänden: Steinbauer, Zeugnis, Bde 1–4. Vgl. auch Blendinger, Nur Gott; Hamm, Die andere Seite. 87 Vgl. oben Anm. 75. 88 Dass Meisers Kurs von seinem Wirken in der Weimarer Zeit durch die Jahre des „Dritten Reiches“ bis in die Nachkriegszeit und in die fünfziger Jahre nicht isoliert zu sehen und zu werten ist, sondern als Teil eines landeskirchlichen Mentalitätsgeflechts und einer transindividuellen Ver­ strickung gelten muss, wird durch mehrere neuere Studien bestätigt, unter denen nur der folgende Sammelband genannt sei: Herold / Nicolaisen, Hans Meiser.

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diese breite Normalität so dominant entfalten, abweichende Haltungen in eine exponierte Minderheitsposition drängen und auch nach Kriegsende ihre Lesart des landeskirchlichen Widerstands im „Dritten Reich“ durchsetzen. Allerdings ist bei der Frage der Spielräume des Landesbischofs und der anderen kirchenleitenden Personen der bayerischen Landeskirche während der Jahre 1933 bis 1945 auch der Zeitfaktor von großem Gewicht. Je stärker im „Dritten Reich“ seit 1934 die konfessions- und christentumsfeindlichen Kräfte der Partei Einfluss auf die Politik nahmen und den Druck auf die Kirche erhöhten, desto mehr wuchsen in der Landeskirche kritische Einstellungen zum Nationalsozialismus und Verhaltensweisen der Renitenz. Ein gutes Beispiel ist Kurt Frör: Während er sich, wie oben gezeigt wurde, Ende 1933 durchaus zu wesentlichen Elementen der nationalsozialistischen Weltanschauung wie Rassenkampf und Rassengesundung bekannte, fand er als Münchener Pfarrer während der Kriegsjahre seine geistige Heimat in jenem Lemppschen Kreis89, der Meiser zu einer entschiedenen Stellungnahme gegen die Judenverfolgung bewegen wollte. Je enger also für die Landeskirche die Handlungsspielräume im Staat wurden, desto größer wurden für Meiser und den Landeskirchenrat die innerkirchlichen Spielräume. Die Kirchenleitung hätte bei ihren Pfarrern im Laufe der Jahre mehr Rückhalt für einen regimekritischen Kurs – z. B. für ein offenes Wort gegen das Judenpogrom im November 1938 – gefunden, und sie hätte ihren Pfarrern mehr Oppositionsgeist zumuten können. Diese wachsenden kirchlichen Denk- und Handlungsspielräume wurden aber von Meiser und seiner Behörde nicht genutzt. Die wenigen Pfarrer, die mit Berufung auf Schrift und Bekenntnis ein partielles Widerstandsverhalten wagten, erfuhren durch ihre Vorgesetzten in der Regel nicht ermutigende Anerkennung und Wertschätzung, sondern demütigende Disziplinierungen und Beschränkungen ihres Verantwortungsbereichs. Sie wurden vor „Eigenmächtigkeiten“ gewarnt und zu einem zurückhaltenden, unauffälligen Verhalten ermahnt, das sie selbst und die Kirchenleitung nicht in „Schwierigkeiten“ bringe und den ungestörten Ablauf der Amtsgeschäfte gewährleiste90. Zu diesem 89 Vgl. oben Anm. 23, 24 und 62. Zum deutlichen Wandel in der Einstellung Frörs zum Nationalsozialismus hat mich dankenswerterweise Herr Jürgen Belz (Erlangen), der eine Dissertation über Frör vorbereitet, mit wichtigen Informationen versorgt. 90 Das typische Beispiel einer solchen Disziplinierung ist der Umgang des Bayreuther Kreis­dekans Otto Bezzel mit dem Warmensteinacher Pfarrer Wolfgang Niederstraßer, der in einer Predigt beim Trauergottesdienst für Gefallene am 28. 6. 1942 die kirchen- und christentumsfeindlichen Maßnahmen des NS-Regimes im Warthegau angeprangert hatte. Bezzel rügte sein „Einzelgängertum“ und schrieb ihm im Blick auf seinen Einzug zur Wehrmacht: „Sie werden ja jetzt beim Heer lernen, dass in der Batterie und im größeren Rahmen keiner seinen privaten Krieg führen kann. Lassen Sie sich das zum Exempel dienen.“ Zu diesen Vorgängen und den Zitaten vgl. Mensing, Von der fränkischen Kanzel, 768 und 773. Allgemein kann man sagen: Wer als Pfarrer seine Kritik am

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Reaktionsspektrum des Landeskirchenamts gehörte es auch, dass man kritische Eingaben, die ein anderes Verhalten der Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus anmahnten, zu den Akten legte und unbeantwortet ließ. Was die Einflussmöglichkeiten Meisers selbst betrifft, so hätte die hohe Autoritätsstellung seines Amtes und seiner Person als „Kirchenführer“ einen wesentlich anderen Umgang mit den regimekritischen ebenso wie mit den regimebejahenden Kräften in den eigenen Reihen bewirken können. Die theologischen, konfessionellen, mentalen und charakterlichen Grenzen Meisers ließen es aber nicht zu, dass er die sich öffnenden Spielräume innerhalb der eigenen Kirche als Chance hätte wahrnehmen können. Es lässt sich umgekehrt nachweisen, dass er sein Bischofsamt dazu nutzen wollte, die Pfarrer im Sinne eines weithin staatskonformen Antisemitismus zu beeinflussen. So hat er noch im Sommer 1944 versucht, sie für den Kampf gegen die „zersetzende“ Wirkung des „Weltjudentums“ zuzurüsten – ein Versuch, der nicht unwidersprochen blieb91. NS-Staat und an der NSDAP öffentlich bekundete und damit in einen Konflikt mit Staat und Partei geriet, erhielt nach außen die Unterstützung der Kirchenleitung, aber intern kaum Verständnis, sondern eher einen Tadel. Vgl. Mensing, Pfarrer, 193, der ein weiteres Beispiel nennt: „Typisch für Meiser ist in diesem Kontext wohl sein Wort zu dem inhaftierten Waldemar Schmidt: ‚Bei all’ ihrem tapferen Einsatz für Kirche und Evangelium müßte man sich doch fragen, ob sich bei größerer Vorsicht ihr Schicksal nicht hätte vermeiden lassen.‘“ Vgl. auch ders., Rücksicht, 340 f. (zu Walter Hildmann); Öffner, Helmut Kern, 331 f. 91 Meiser sandte am 12. 8. 1944 als „Berufshilfe“ für die Geistlichen an sämtliche Pfarrämter der Landeskirche den scharf antisemitischen Vortrag des Neutestamentlers Gerhard Kittel über „Die Entstehung des Judentums“ (die Schrift Kittels und das Schreiben Meisers sind abgedruckt bei Kraus, Weg, 49–64). Der Erlanger Theologieprofessor Hermann Sasse (vgl. oben bei Anm. 52) machte daraufhin dem Landesbischof folgende Vorhaltungen: „Sein [Kittels] Paktieren mit den DC aller Richtungen ist uns schon immer eine schwere Anfechtung gewesen, z. B. daß er Herrn Grundmann, einen der Totengräber unserer Kirche in Thüringen, niemals ausgebootet hat. Dieser Vortrag ist ein Dokument seiner Tätigkeit in dem ‚Reichsinstitut für Geschichte des Neuen Deutschlands‘, das die wissenschaftlichen Grundlagen für die gegenwärtige Judenpolitik zu liefern hat. Kittel hat dazu geholfen, auch durch diesen Vortrag, die evangelische Theologie dafür mithaftbar zu machen. […] Ich fürchte, das Maß von Mitschuld, das wir alle an gewissen Vorgängen haben, ist schon zu groß, als daß wir nun auch noch die Sünden des Herrn Kittel uns auf­ laden sollen.“ (Zit. nach Baier, Kirche in Not, 235 f.; Quelle: LAELKB Nürnberg, Meiser, 108); vgl. auch Röhm / Thierfelder, Juden – Christen – Deutsche, 350–354. Wie Wolfgang Kraus in seinem Beitrag zu diesem Band (unten S. 244–246 mit Anm. 15–19) zeigt, war Meisers Zustimmung zu den Attacken gegen das „Weltjudentum“ völlig vereinbar mit seiner Verteidigung des Alten Testaments gegen nationalsozialistische Angriffe, da er das Alte Testament gegen das nachbiblische und gegenwärtige Judentum ausspielte und für die Kirche reklamierte. Es war daher nur konsequent, dass Meiser im Sommer 1944 kurz hintereinander zwei Vorträge als „Berufshilfe“ an seine Pfarrer schickte, zunächst, am 17. 7., einen zur Verteidigung des Alten Testaments (den am 13. 6. 1944 gehaltenen Vortrag des Alttestamentlers Gerhard von Rad), dann binnen eines Monats den Kittels gegen „jene die Völker durchsetzende und von innen her zerfressende Erscheinung des Weltjudentums“ (Zitat nach Kraus, Weg, 61); vgl. Baier, Kirche in Not, 235 f.; Röhm / Thier­ felder, Juden – Christen – Deutsche, 348–350.

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Die noch unbeantwortete Frage ist am Ende, was die wenigen Einzelnen, von denen ich gesprochen habe, dazu befähigte, gegen den breiten Mehrheitsstrom des landeskirchlichen Syndroms zu schwimmen. Für mentale Benommenheiten und Verblendungen, idealistische Leichtgläubigkeit und ängstliche Anpassung kann man stets mühelos historische, anthropologische und theologische Erklärungsmuster finden. Warum aber konnten die exponierten Einzelnen, die unterschiedlichen Generationen angehörten92 und aus verschiedenen Milieus kamen, diesem mentalen und politischen Druck – zumindest partiell – widerstehen93? Macht man sich die Mühe sorgfältiger biographischer Recherchen, kann man ein ganzes Geflecht von Gründen entdecken, persönlich-charakterliche, familiäre, soziale, theologische und andere. Diese historische Arbeit, die dem Einzelfall nachspürt, liegt weitgehend noch vor uns. Sie wird zwar die Widerstandsfähigkeit und -bereitschaft des Einzelnen nicht bis ins Letzte erklären können, aber doch Ursachen aufdecken, weshalb die Anziehungskräfte des siegreichen Nationalsozialismus und die notorische Anfälligkeit der bayerischen Lutheraner für bestimmte Züge dieser Bewegung und den Führerstaat Hitlers keineswegs determinierend waren, sondern erstaunliche Spielräume eines vielfältigen resistenten Denkens, Wollens und Handelns offenließen.

Quellen- und Literaturverzeichnis I. Unveröffentlichte Quellen Landeskirchliches Archiv Nürnberg (LAELKB) Landeskirchenrat (LKR) 1741. Landeskirchenrat (LKR) IV, 543a. Landeskirchenrat (LKR) XV, 1655, Bd. 1. Personen 42 (Kurt Frör), 12. Personen 58 (Karl-Heinz Becker), 16. Nachlass Walter Höchstädter (im Besitz der Familie) Höchstädter, Walter: Flugschrift „Darum seid nüchtern!“

II. Veröffentlichte Quellen und Darstellungen Althaus, Paul: Bedenken zur „Theologischen Erklärung“ der Barmer Bekenntnis­ synode. In: a) Lutherische Kirche 16 (1934), H. 7 (1. Juli 1934), 117–121; b) Korrespondenzblatt für die ev.-luth. Geistlichen in Bayern 59 (1934), 318–320; c) Beyschlag, Karlmann: Die Erlanger Theologie (EKGB 67). Erlangen 1993, 258–263. 92 Vgl. 93

oben Anm. 62. Zu dieser Fragestellung vgl. Hamm, Die andere Seite, 573 f.

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–, Kirche und Volkstum. Der völkische Wille im Lichte des Evangeliums. Gütersloh 1928. Angenendt, Arnold: Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert. Münster 2007. Baier, Helmut: Die Deutschen Christen Bayerns im Rahmen des bayerischen Kirchenkampfes (EKGB 46). Nürnberg 1968. –, Kirche in Not. Die bayerische Landeskirche im Zweiten Weltkrieg (EKGB 57). Neustadt a. d. Aisch 1979. –, Pfarrer gegen Judenpogrome. In: Ausstellung des Landeskirchlichen Archivs: …wo ist dein Bruder Abel? 50 Jahre Novemberpogrom. Christen und Juden in Bayern in unserem Jahrhundert (Ausstellungskataloge des Landeskirchlichen Archivs in Nürnberg 14). Nürnberg 1988, Tafel 12, 103–110. –, Staatliche Angriffe auf die Kirche im 2. Weltkrieg. Notwendige Erinnerungen an die Zeit des Kirchenkampfes. In: ZBKG 47 (1978), 229–256. Blendinger, Christian: Nur Gott und dem Gewissen verpflichtet. Karl Steinbauer  – Zeuge in finsterer Zeit. München 2001. Elert, Werner: Confessio Barmensis. In: AELKZ 67 (1934), 602–606. –, Der Christ und der völkische Wehrwille (ThMil 15). Leipzig 1937. –, Die Lutherische Kirche im neuen Reich. In: Luth. 48 (1937), 33–46. –, Politische Aufgaben und Schranken des Pfarrers (Vortrag, gehalten am 8.  Dezember 1932). In: Korrespondenzblatt für die ev.-luth. Geistlichen in Bayern 58 (1933), Nr. 7 (13. Februar), 59–63, und Nr. 8 (20. Februar), 77–79. Frör, Kurt: Kirche und Rasse. In: BIMB 48 (1933), 77–80. Goldhagen, Daniel Jonah: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust. Berlin 1996. Hamm, Berndt: Die andere Seite des Luthertums: der bayerische Pfarrer Karl Steinbauer im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. In: ZThK 104 (2007), 455–481. –, Hanns Rückert als Schüler Karl Holls. Das Paradigma einer theologischen Anfälligkeit für den Nationalsozialismus. In: Kaufmann, Thomas / Oelke, Harry (Hg.): Evangelische Kirchenhistoriker im ‚Dritten Reich‘. Gütersloh 2002, 273–309. –, Werner Elert als Kriegstheologe  – zugleich ein Beitrag zur Diskussion ‚Luthertum und Nationalsozialismus‘. In: KZG 11 (1998), 206–254. Herold, Gerhard / Nicolaisen, Carsten (Hg.): Hans Meiser (1881–1956). Ein luthe­ rischer Bischof im Wandel der politischen Systeme. München 2006. Heschel, Susannah: The Aryan Jesus. Christian Theologians and the Bible in Nazi ­Germany. Princeton / Oxford 2008. Hetzer, Tanja Maria: „Seelsorge am Antisemitismus“. Politische Theologie und christliche Volksgemeinschaft bei Paul Althaus (1888–1966). PhD-Arbeit an der University of Sussex 2007; Druck: „Deutsche Stunde“ […], München 2009. Höchstädter, Walter: Durch den Strudel der Zeiten geführt – ein Bericht über meinen Weg von der Monarchie und der Weimarer Republik durch das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg. Bubenreuth (bei Erlangen) 1983. Huber, Wolfgang: „Evangelisch sein muss doch eigentlich frei sein heißen“. Pfarrer Karl-Heinz Beckers Auseinandersetzung mit Hitler und dem Nationalsozialismus. In: ZBKG 74 (2005), 181–199.

Einstellungen bayerischer Lutheraner zum Nationalsozialismus

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Landesbischof Meiser und sein Umfeld Netzwerke kirchenleitenden Handelns

Im Netzwerk sind bekanntlich eine Vielzahl von Akteuren und Institutionen beteiligt, um bestimmte Ziele zu erreichen. Eine wichtige Voraussetzung für dessen Funktionieren bilden Gemeinsamkeiten handelnder Personen, meist einer Funktionärselite, die keine oder kaum Grabenkämpfe kennt. Im Wesentlichen waren diese Übereinstimmungen im national-völkischen, im theologischen und im kirchenpolitischen Bereich gegeben. Loyalität und Affinität zur Führerpersönlichkeit waren selbst in den Kirchen ein Zeichen der Zeit. Auch in ihrem Bereich waren es Netzwerke von Machtgruppierungen.

1. Hans Meisers Ämter und Arbeitsgebiete Wenn wir uns die biographischen Daten Meisers ansehen, dann wird deutlich, wie sehr ihm vor allem kirchenleitende und kirchenpolitische Tätigkeiten im konfessionell lutherischen Bereich auf den Leib geschrieben waren. Der 1881 Geborene war u. a. 1920–1922 Mitglied des Landessynodalausschusses, ab 1922 Rektor des Predigerseminars in Nürnberg, 1928 Oberkirchenrat in München, wo er schon Weichen stellen lernte, 1929 Vorsitzender des Kirchlich-Sozialen Bundes in Bayern – sein Interesse an der Inneren Mission und sozialen Belangen blieb ungebrochen –, in dem er 1932 zum Hauptvorstandsmitglied auf Reichsebene berufen wurde, bis er 1933 in das Bischofsamt gewählt wurde, das er bis 1955 inne hatte und wo er seine Vorstellungen verwirklichen konnte. Wie sein Vorgänger Friedrich Veit (1861–1948), der von 1924–1933 Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchenbundesrats gewesen ist, war er aktiv im Kirchenausschuss dieses Kirchenbundesrates tätig. Schon 1933 kürte man ihn zum Vorsitzenden der Deutschen Lutherischen Bischofskonferenz, zugleich war er Vorsitzender des Direktoriums der Vereinigung der deutschen lutherischen Landeskirchen, wurde dann 1934–1936 Mitglied im Arbeitsausschuss des Reichsbruderrates, wo er maßgeblich am Zustandekommen der Ersten Reichsbekenntnissynode von Barmen mitwirkte und zugleich von 1934–1935 Vorsitzender des Lutherischen Rates, 1936 Gründungsmitglied

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des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) und dessen Vorsitzender 1938 gewesen ist. Nicht zu vergessen seine Beziehungen im vorwiegend lutherisch geprägten internationalen Bereich, die ihn 1936 nach Amerika führten, was im ökumenischen Arbeitsfeld der Nachkriegszeit von großer Bedeutung werden sollte. Im Nachkriegsdeutschland nahm er in den lutherischen Kirchen Deutschlands ebenfalls eine hervorragende Stellung ein. 1948 Vorsitzender der Vorläufigen Leitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, 1949–1955 erster Leitender Bischof der VELKD, und von 1945–1955 war er Mitglied des Rates der EKD. Ebenso konnte er auf dem politischen Feld nach 1945 aktiv werden und an der Auswahl der Personen der ersten bayerischen Nachkriegsregierung beratend teilnehmen. Meiser hatte eine Ämterfülle inne, die kein Prä­ sident bzw. Bischof vor ihm oder nach ihm wieder erreichen sollte.

2. Meisers Aufstieg, die handelnden Gruppierungen und Personen – Grundlagen des kirchlichen Netzwerkes – Hans Meiser, Hans Meinzolt und Friedrich Klingler, von manchen als „Räuber­ synode“ oder „Nebenregierung“ bezeichnet, waren sich bereits auf einer Versammlung des Landeskirchenrats mit allen kirchenpolitischen Gruppen in Ansbach am 19. April 1933 nicht nur über den Rücktritt Veits und Neuwahlen einig, sondern auch über den Eintritt eines NS-Pfarrers in die Kirchenleitung. Zu diesem Kreis zählte auch Putz. Der Münchner Dekan Friedrich Langenfaß brachte die einmütigen Überlegungen auf den Punkt: „Wir brauchen dann ein Ermächtigungsgesetz, und wir brauchen einen Landesbischof“1, da die gegenwärtige Lage eine bewegliche und einheitliche Führung erfordere. Und so geschah es denn auch, nachdem die Mitgliederversammlung des Pfarrervereins am 27. April 1933 dem allem zugestimmt hatte. Ohne Widerspruch hatte Friedrich Klingler verlautbart, dass sich die Pfarrerschaft über Meisers Bestallung herzlich freuen und in „untrennbarer Gemeinschaft hinter ihm“ stehen und sich mit ihm verbunden fühlen würde2. Der viel zitierte Frontgeist, die Erlebnisse in den Freikorps prägten diese geistliche Basis. Der alte Kirchenpräsident galt vielen als reaktionär, der Ruf nach dem starken Mann war immer lauter geworden. Pfarrer Helmut Kern, selbst ein ehemaliger Freikorpskämpfer, drückte es in einem Schreiben an den 1 Alle Zitate aus: Art. Vorstandssitzung vom 6. 4. 1933. In: Allgemeine Rundschau, Nr. 94 vom 20. 4. 1933 (LAELKB Nürnberg, Pfarrerverein Nr. 51). 2 Vgl. Baier, Christen, 45.

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Vorsitzenden des Pfarrervereins im April 1933 so aus: „Wollen Sie es bitte der Versammlung sagen, daß die jüngere Generation, besonders die des Krieges, nur nach einem hungert: nach klarer fester Führung. Man führe und wir gehorchen in unbedingter Disziplin.“ Meiser hatte somit eine verlässliche Basis, die ihm sein kirchenpolitisches Handeln, auch im politischen Bereich, erlaubte3. Designiert für das Bischofsamt war Oberkirchenrat D. Hans Meiser, auch weil er für den Nationalsozialismus wesentlich aufgeschlossener gewesen war als der alte Kirchenpräsident und die drei Kreisdekane4. Als dann Meiser am 4. Mai 1933 auf der außerordentlichen Synode in Bayreuth zum Kirchenpräsidenten gewählt und ihm der Titel eines Landesbischofs verliehen worden war, ging auch die zweite Forderung der Geistlichen, den Bischof mit außerordentlichen Vollmachten zu versehen, in Erfüllung. In Anlehnung an das Ermächtigungsgesetz des Reichstages für Hitler und nach dem offensichtlichen Vorbild des am 28.  April 1933 vom Bayerischen Landtag verabschiedeten Ermächtigungsgesetzes wurde von dieser Synode ein „Gesetz über die Ermächtigung des Landesbischofs zum Erlaß von Kirchen­ gesetzen“ verabschiedet5. Artikel 2 bestimmte analog: „Die vom Landesbischof nach Art. 1 erlassenen Gesetze können von der Kirchenverfassung abweichen, soweit sie nicht die Einrichtung der Landessynode, des Landes­ synodalausschusses, des Kirchenpräsidenten und des Landeskirchenrats als solche zum Gegenstand haben.“

Außerdem stand dem Landesbischof das Recht zu, Verträge mit dem Reich, mit den deutschen Ländern oder mit anderen Kirchen zu schließen. Eine Reihe von Artikeln der demokratischen Kirchenverfassung wurde außer Kraft gesetzt. Befristet war dieses Gesetz bis zum 1. Juli 1934, außer Kraft gesetzt wurde es 1946. Damit konnte der Bischof Kirchengesetze fast unumschränkt erlassen. Gegen die von ihm erlassenen Gesetze gab es keinen Einspruch, denn der Landessynodalausschuss brauchte ja nur mehr gehört zu werden. Somit war ein autoritäres Bischofsregiment konstituiert. Bayern war damit die erste Landeskirche, die den Parlamentarismus legal abgeschafft und den Führergedanken in den Raum der Kirche eingeführt hatte. Gerade hier hatte sich das nationale Geschehen folgerichtig auf die Volkskirche ausgewirkt, 3 Fast wie ein Treppenwitz der bayerischen Kirchengeschichte mutet es an, wenn ausgerechnet Pfarrer Friedrich Klein, der Leiter der NS-Pfarrerschaft, der den Pfarrerverein wie andere Vereine im NS-Staat gleichschalten wollte, bei dieser Versammlung auf die „Gefahr einer Diktatur“ hinwies. 4 Vgl. Mensing, Pfarrer, 128 f. 5 Vgl. Verhandlungen der Landessynode, Außerordentliche Tagung in Bayreuth 3.–5. 5.  1933, 7 f.

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lutherisches Gedankengut war weitgehend ausgeschaltet, die Aktion war unschwer mit Bibel und Bekenntnis zu begründen. Es genügte der Pfarrerschaft und anderen Verantwortlichen der Hinweis auf die besonderen Zeitumstände, die offensichtlich auch besondere Taten rechtfertigten. Damit war in die Hände des Landesbischofs eine kaum zu überschätzende Gewalt und Entscheidungsinitiative gelegt worden. So war es ein glücklicher Umstand, dass Meiser nach seinen Grundsätzen doch verantwortungsvoll für seine Kirche und nicht exzessiv damit umging und sich immer wieder mit seinen Getreuen beriet. Das Netzwerk hatte sich fast von selbst aufgebaut und lag wesentlich mit in der für sein Umfeld beeindruckenden, glaubwürdigen und Autorität ausstrahlenden Person des Bischofs begründet, die aber dem Willen und Verständnis seiner Umgebung entgegenkam.

3. Das Umfeld an der Basis Auf sein Umfeld in der Pfarrerschaft und im Landeskirchenrat sowie in den aller­meisten Gemeinden konnte er sich verlassen. Dass auch nach 1945 nur einer bewusst aus dem Kollegium ausschied, spricht dafür. Es war Hans Meinzolt, der weltliche Vizepräsident, der die autoritäre Art des Bischofs nicht mehr ertragen wollte. Meiser wusste die Basis hinter sich, was für seine Entscheidungen, besonders die kirchenpolitischer Art, eminent wichtig gewesen ist. Eine Richtschnur, an die er und die Oberkirchenräte sich hielten und dies auch immer wieder betonten, war das Festhalten am lutherischen Bekenntnis, zugleich eine Waffe gegen die Deutschen Christen und ideologische Überfremdung. Zu diesem Luthertum gehörte Röm. 13, signifikant für Kirchenleitung, Geistlichkeit und Gemeinden in ihrem Handeln, die ein getreues Abbild ihrer relativ geschlossenen Geistlichkeit boten. Dieses Netz kannte kaum eine Lücke, von wenigen Ausnahmen Andersdenkender abgesehen. Es war die solide Basis, mit der während der gesamten Zeit aufgebaut und gearbeitet werden konnte. Nach dem berüchtigten Sportpalastskandal der Deutschen Christen in Berlin am 13. November gelobten noch im selben Monat von 1.266 Geistlichen 1.236 ihrem Bischof unter allen Umständen Treue in einem schriftlichen Revers: „Von dieser Gehorsamsverpflichtung kann mich niemand entbinden.“ Gleichzeitig bat der Sonderbeauftragte für die Volksmission, Pfarrer Helmut Kern, der einen „Sturmtrupp Meiser“ ins Leben gerufen hatte und selbst Mitglied der ersten Phase der Deutschen Christen in Bayern gewesen ist, im Einvernehmen mit dem gesamten Landeskirchenrat alle Amtsbrüder, ihre in den Parteigliederungen erkämpfte Stellung unter allen Umständen festzuhalten und auszubauen.

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Damit waren die Voraussetzungen für einen Mann gegeben, der ähnlich dachte, von großem Selbstwert wusste, verantwortungsvoll handeln wollte und konnte und nun den Rücken frei hatte, sich aus diesem Reservoir auch die geeigneten Männer nicht nur für die Kirchenleitung zu holen. Mit persönlicher Vollmacht formte er die Landeskirche zu einer fast geschlossenen Größe in den Auseinandersetzungen. Es war eben eine große Schar derer, die in der Landeskirche einförmig ausgerichtete Verhältnisse erstrebte. Allerdings kam mit den Jahren auch die Angst um die Kirche und die eigene Gruppe dazu. Die hemmende Kraft der lutherischen Bekenntnistradition gegenüber der NS-Ideologie konnte aber nicht verhindern, dass man überhaupt der Begeisterung für Hitler und seiner Politik verfallen war. Die Kirche als echte Volkskirche, eingebunden in das gesellschaftliche Umfeld, gehörte zu diesem Verbund. Das Verhalten der Gemeinden konnte jedoch auch Elemente der Beeinflussung freisetzen, an denen eine Kirchenleitung nicht vorübergehen konnte und deshalb entscheidende kirchliche Positionen modifiziert werden mussten. Das Stammland des bayerischen Protestantismus, Franken, leistete seinen nicht zu unterschätzenden Teil zu diesem Verhalten.

4. Netzwerk Landeskirchenrat Das Netzwerk dachte, handelte und funktionierte dabei konform. Teamgeist und Unterordnung waren vielfach gefragte Eigenschaften dieser Zeit. Das waren die Voraussetzungen! Meiser hat jedoch taktisch überlegt Mitglieder in den Landeskirchenrat geholt, die verschiedenen Richtungen angehörten. In fast allen entscheidenden Gremien des kirchlichen Spektrums der damaligen Zeit war Bayern mit Gefolgsleuten Meisers vertreten, der dann auch über fast alle Vorgänge unterrichtet gewesen ist und dementsprechend reagieren konnte. Für Meiser war es wichtig, Kanäle zur Partei und zum Staat zu besitzen; er ermunterte deshalb auch zum Parteieintritt, wie etwa den von ihm sehr geförderten Friedrich Hofmann, den ersten Vereinsgeistlichen der Inneren Mission in München, oder forderte dazu auf, nicht aus der Partei auszutreten, um einen gewissen Einfluss auf diese Mitglieder zu besitzen, wie etwa den Träger des Goldenen Parteiabzeichens Eduard Putz, späteren Dekan in Erlangen, oder ­Friedrich Hofmann. Werfen wir einen Blick auf einzelne Personen, die Meiser besonders nahe standen und ihm bei der Führung der Kirche, dem Abwehrkampf gegen ideologische Überfremdung und dem Kampf gegen die deutschchristliche Häresie

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treu zur Seite standen, in der Regel auch seine politische Einstellung teilten, aber nicht alle gleichermaßen. Karl Baum (1869–1942), Kreisdekan von München, war kein Freund der Nationalsozialisten. Auch sah er die Hinwendung vieler Pfarrer zum NS sehr kritisch und machte aus seinem Urteil gegenüber den Landeskirchenratskollegen kein Hehl. Daran hielt er auch im neuen Staat fest. 1934 trat er in den Ruhestand; ihm folgte Oskar Daumiller, der Meisers Einstellungen teilte6. Wilhelm Bogner (1897–1946). Der 1937 zum Dekan von Augsburg ernannte Wilhelm Bogner war von 1934–1945 Vorsitzender des Landessynodalausschusses und wurde 1945 als Oberkirchenrat Vertreter des Landesbischofs, dem er treu ergeben war. Schon vorher hatte ihn Meiser im Falle seiner Verhinderung zum Stellvertreter bestimmt. Für ihn, der 1941 wegen Verbreitung von Kirchenkampfschriften in Polizeihaft genommen worden war, stand das Wohl der Kirche an vorderster Stelle. Diese Haltung hat er auch im Fall eines nicht­ arischen bayerischen Theologen eingenommen, dem er die Übernahme nicht zugestand7. Thomas Breit (1880–1966). Er nahm im Gefüge des Landeskirchenrats eine herausgehobene Rolle wie Meinzolt ein. Schon als Hofer Dekan hatte er auf parteipolitische Neutralität seiner Pfarrer geachtet. Seine Berufung als Ober­ kirchenrat noch durch den Kirchenpräsidenten Veit in die Kirchenleitung 1933 wurde deshalb von den NS-Pfarrern fast als eine Provokation angesehen, nachdem er öffentlich die Identifikation von Christentum und Nationalsozialismus zurückgewiesen hatte. Er galt als untragbar, was aber Meiser nicht hinderte, ihn mit besonderen Aufgaben im Zusammenhang mit der Vereinigung lutherischer Landeskirchen nach dem Scheitern der Reichskirche zu betrauen8. Er fungierte von 1936–1938 als Vorsitzender des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrates) in Berlin, bis Meiser selbst den Vorsitz übernahm. Die Landeskirche dankte ihm seinen Einsatz; von 1947–1959 war er Mitglied des bayerischen Senates. Oskar Daumiller (1882–1970). 1933 zum Oberkirchenrat und 1934 zusätzlich zum Kreisdekan von München ernannt, gehörte er der Frontgeneration an, die sich lautstark gegen Ende der Weimarer Republik und zu Beginn des

6 Vgl.

Mensing, Pfarrer, 117, 128, 165 und 190. Töllner, Rasse, 384–388; Mensing, Pfarrer, 209. Wilhelm Bogner hat ab 1934 über alle Sitzungen und Besprechungen, an denen er teilgenommen hat, mehr oder weniger wörtliche Niederschriften gefertigt. Seine umfangreichen Niederschriften, eine einzigartige Quelle für die kirchlichen Ereignisse dieser Zeit vor allem in Bayern, sind bis heute leider immer noch unver­ öffentlicht. 8 Vgl. Mensing, Pfarrer, 87 f., 134 f., 159 f. und 191.

7 Vgl.

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NS-Regimes zu Wort meldete, war im 1. Weltkrieg an der Westfront Feldgeist-

licher. Wilhelm Stählin überliefert in seinen Kriegstagebüchern eine fast bezeichnende Äußerung Daumillers, die er an der Westfront Neujahr 1915 von sich gegeben hat: „Er empfinde den Krieg als schönste Erlebnisreise seines Lebens.“9 Auch er war in der Weimarer Zeit vom Auftreten Hitlers und seines Programms nicht unberührt geblieben10. Hans Greifenstein (1883–1959). 1928–1934 Pfarrer in Nürnberg-St. Peter, Mitglied des Nationalsozialistischen Evangelischen Pfarrerbundes (NSEP), Füh­ rer der Deutschen Christen auf der Landessynode im September 1933, im Herbst 1933 stellvertretender Landesleiter der Deutschen Christen, 1933/34 Vorsitzender des Landessynodalausschusses, dem er als Mitglied des NSEP angehörte, 1934–1945 Oberkirchenrat in München. Seine Ernennung zum Oberkirchenrat mit Hanemann zusammen entsprang ganz sicherlich kirchenpolitischen Motiven, da er die bayerischen Deutschen Christen nach dem Sportpalastskandal aufgelöst und sich Meiser unterstellt hatte, zugleich aber von ihm erhofft wurde, in der Folgezeit einen mäßigenden Einfluss auf seine früheren Gesinnungsgenossen ausüben zu können. Friedrich Hanemann (1899–1979), 1932 vom Landeskirchenrat berufener, nationalsozialistisch eingestellter, sich aber parteipolitisch mehr im Hintergrund haltender Kulmbacher Dekan, Parteimitglied seit 1929, ein Freund des Gauleiters Hans Schemm, 1933 Vorstandsmitglied im Pfarrerverein, dann auch Oberkirchenrat 1934–1946 (angeblich auf eigenen Wunsch ausgeschieden), 1935–1937 bayerisches Mitglied im Reichskirchenausschuss, konvertierte nach dem Krieg zum Katholizismus. 1933 hatte er Neuwahlen zu allen kirchlichen Körperschaften gefordert, wie es die Partei verlangte. Er vertrat die von der neuen Kirchenleitung nicht widersprochene frappierende Begründung, weil die Kirche eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes sei, müsse sie im Zusammenhang mit dem Staatskörper stehen und für eine Gleichschaltung eintreten. In der Pfarrerschaft kursierte das Sprichwort: „Hanemann geh Du voran, denn Du hast das Parteiabzeichen dran.“ Aber nicht nur er hatte dieses Ab­zeichen. Hanemann war am 1. Dezember 1934 außerplanmäßig in den

9 Stählin, Kriegstagebücher, Eintrag von Neujahr 1915. 10 Vgl. Mensing, Pfarrer, 77. D. Oskar Daumiller (1882–1970),

1914–1917 Feldgeistlicher, 1917 Pfarrer Memmingen-St.Martin II, 1922 München-Himmelfahrtskirche, 1933 Oberkirchenrat, 1934–1952 Oberkirchenrat und Kreisdekan München; stark konservativ geprägt mit wenig Einsatzbereitschaft für die Demokratie der Weimarer Republik. Obwohl er nach eigenem Bekunden gegen den Nationalsozialismus Bedenken trug und nicht Parteimitglied wurde, warb er als Pfarrer der Himmelfahrtskirche in München-Sendling (1922–1933) im Evangelischen Gemeindeblatt München 1933 für die NSDAP und die Person Adolf Hitlers (Vgl. Daumiller, Schatten, 62 f.).

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Landeskirchenrat aus rein politischen Motiven berufen worden. Mensing zitiert einige Sätze zu dessen Berufung, die Meiser Ende 1935 an das Reichsinnen­ ministerium gerichtet hatte: „daß es dem Landeskirchenrat aufrichtig um ein vertrauensvolles Verhältnis auch zur Partei zu tun ist“11. Er hatte dann politisch sensible Aufgaben zu erfüllen; selbst in den Reichskirchenausschuss reichte das Netzwerk mit Hanemann. Hans Meinzolt (1887–1967). 1933 wurde er Oberkirchenrat, war von 1935– 1945 Vizepräsident des Landeskirchenrats. Auch er hatte im April 1933 mit dem NSEP den Rücktritt Veits zusammen mit Meiser und dem Pfarrerverein gefordert12. Er gehörte zu denen, die dann spätestens im Frühjahr 1934 erkannt hatten, wohin die Kirchenpolitik der Regierung und der Partei ging13. Julius Schieder (1888–1964), der als Inspektor des Predigerseminars Nürnberg für Meiser in den Auseinandersetzungen um das Bekenntnis und den Erhalt der Landeskirche sehr wichtig wurde. Er führte den Kampf für den Landes­ bischof im Herbst 1934 so erfolgreich, dass ihm mit Beginn des Jahres 1935 die Stelle des neu geschaffenen Kreisdekans von Nürnberg übertragen wurde14. Ziemlich allein stand er mit seiner Meinung, die Freikirche der Reichskirche vorzuziehen, die sich dem Staate zu beugen hätte. 1923 sympathisierte er mit der NSDAP, trat jedoch nur aus grundsätzlicher Ablehnung des parteipolitischen Engagements von Pfarrern nicht ein. Hitler, den er in Augsburg gehört hatte, hatte einen guten Eindruck auf ihn gemacht15. Aber nach 1933 galt er 11 Mensing, Pfarrer, 96, 116, 149, 190 und 210. Hanemann war über seinen Schwager Friedrich Klein, den Reichsführer des NSEP und späteren (1933) Landesleiter der Deutschen Christen in Bayern, zur Partei gekommen. 12 Vgl. ebd., 148. Zunächst als Jurist im bayerischen Staatsdienst war er ab 1930 Landrat in Kirchheimbolanden, 1933 Oberkirchenrat in München, 1935–1945 Vizepräsident des Landes­ kirchenrates, 1945 Staatsrat Bayerisches Kultusministerium, 1945/46 und 1954–1957 Staatssekretär, 1947–1959 Präsident der bayerischen Landessynode. 13 Ein klares Votum gab der Münchner Oberkirchenrat Meinzolt auf der Sitzung des sog. Nürnberger Ausschusses am 18. 4. 1934 ab: „Wir können uns der Unterstützung der Reichsregierung und der Partei niemals versichern durch Nachgeben, sondern nur durch die Tat.“ Und der baye­ rische Gast Dekan Friedrich Langenfaß wurde noch deutlicher: „Wir haben keinen Grund und kein sittliches Recht mehr, etwas zu glauben, was von der Partei kommt. Ich glaube jedenfalls nichts mehr, seit ich über die Dinge unterrichtet bin. – Als deutsche Männer um unseres Vaterlandes und des Staates willen haben wir die Pflicht, so zu handeln. Wenn das an der Kirche geschieht, dann ist das der Anfang vom Ende des Staates.“ Meiser schloss sich an: „Ich möchte das wiederholen, was ich gestern Abend schon sagte: Jetzt können wir alles verlieren und gewinnen. Wenn wir jetzt schwache Nerven bekommen, dann sehe ich keine Möglichkeit mehr, wie wir das wieder bekommen können. Es imponiert auf Parteiseite nur die Masse. Mit den Parteistellen nicht mehr verhandeln, sondern nur anzeigen, was von uns geschieht. Wir handeln mit ganz offenen Karten.“ (Baier, Anfänge). 14 Vgl. Baier, Christen, 205. 15 Vgl. Mensing, Pfarrer, 99 f.

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keineswegs mehr als Freund des Nationalsozialismus, was seine Auseinandersetzungen und seine Standhaftigkeit im kirchenpolitischen Kampf in Nürnberg bezeugen. Noch vor seinem Tod schmerzte ihn in einem Gespräch mit mir die Tatsache, „dass wir viel zu wenig für die Juden getan haben“.

5. Weitere führende Personen im bayerischen Umfeld und Netzwerk Wichtige Posten in der Landeskirche besetzte der Landeskirchenrat in voller Übereinstimmung mit dem Bischof mit Pfarrern, die dem Nationalsozialismus nahe standen und der Kriegsgeneration angehörten. Eine Brücke zur Partei bildete zu schnell und leicht die Volksmission, zu deren erstem Beauftragten Pfarrer Helmut Kern (1892–1941) am 15. September 1933 berufen wurde. Er, früh völkisch orientiert, gehörte nicht nur 1933 den bayerischen Deutschen Christen an, sondern hatte in einer vertraulichen Aussprache zwischen NSDAP und Volksmission im März 1931 sich weithin in einer Front mit dem National­ sozialismus gegen den Bolschewismus gesehen, 1932 hervorgehoben, dass die Hoffnung der Jugend auf Hitler gerichtet sei und in einer Predigt im Juli 1933 die Volksmission zum unentbehrlichen Wegbereiter der völkischen Bewegung erklärt16. Meiser hatte die Aussprache von 1931 unterstützt. Meisers lang­jährige Verbundenheit mit der inneren Mission und den jüngeren Theologen ist bekannt. Grenzen waren immer dann erreicht, wenn es um die Substanz der Kirche ging; es dominierte vielfach das Gruppeninteresse, das den Blick kaum über das eigene Schicksal hinaus richten konnte, immer von wenigen Aus­nahmen abgesehen17. Friedrich Klingler (1882–1951) war ab 1926 Vorsitzender des Pfarrervereins, ab 1933 stellvertretender Präsident der Landessynode und Mitglied des Landessynodalausschusses, 1934 Vorsitzender des Reichsbundes der Deutschen Evangelischen Pfarrervereine und 1935 Reichsbundesführer. Wie Langenfaß hatte er 1931 zu politischer Zurückhaltung der Pfarrer aufgerufen. Doch 1933 ver­ sicherte er Kultusminister Hans Schemm die freudige Bereitschaft zur Mit­ arbeit an der nationalen und religiösen Wiedergeburt des deutschen Volkes. 16 Vgl. 17

ebd., 163. Vgl. ebd., 33, 131 f., 136, 163 und 205. 1919–1921 war er Präfekt des Pfarrwaisenhauses Windbach, 1933 Sonderbeauftragter der Landeskirche für Volksmission, 1934 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Volksmissionare, 1935 Leiter des Amtes für Volksmission Nürnberg, 1939 Dekan in Nördlingen. 1934 hatte er die Bayerische Pfarrerbruderschaft mit Putz und Schieder als Sammlung bekenntnistreuer evangelisch-lutherischer Pfarrer ins Leben gerufen, die sich ausdrücklich nicht als kirchenpolitische Gruppierung verstand.

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Immerhin hielt er die NSEP-Pfarrer 1933 davon ab, gegen die Ernennung von Oberkirchenrat Breit eine Pressekampagne zu betreiben18. D. Friedrich Langenfaß (1880–1965), ab 1930 Münchner Dekan und in der Landeskirche sehr einflussreich im Zusammenwirken mit Meiser, Herausgeber der viel beachteten Zeitschrift „Zeitwende“, war bereits 1920 für völkisch-antisemitische Parolen offen gewesen, auch wenn er Judenverfolgung und Rassismus stets abgelehnt hat – sein Verhalten in München, vor allem in der Zusammenarbeit mit der dortigen Inneren Mission und ihrem Vereinsgeist­ lichen bezeugen dies, als es um die Betreuung der christlichen Nichtarier und anderen damit in Zusammenhang stehenden Personenkreisen ging. So hatte Langenfaß am 5.  Februar 1934 für Friedrich Hofmann einen Ausweis ausgestellt, dass dieser im Einvernehmen mit der Kirchenleitung beauftragt sei, die Seelsorge an den evangelischen Insassen des Konzentrationslagers Dachau auszuüben. Sein Verhalten gegenüber dem Nationalsozialismus hatte sich mit der Machtübernahme geändert, obwohl selbst er sie als nationale Bewegung durchaus begrüßt hatte. Er war der Meinung, man bräuchte nur die fehlgeleiteten NSFührer über das Christentum aufzuklären. Bereits 1931 trat er vehement für parteipolitische Neutralität der Pfarrer ein19, zusammen mit dem Münchner Pfarrer und späteren Oberkirchenrat Julius Sammetreuther (1935–1939). Zu Beginn des Jahres 1932 äußerte er sich gegenüber Theodor Heckel, dass er die meisten Mitglieder aus Hitlers Stab kenne und als „höchst anständige und wohlgesinnte Menschen“ schätze20. Aber auch das gehört zu seinem Wirken, was Johannes Zwanzger als Leiter der Hilfsstelle München für nichtarische Christen von ihm schrieb: 18 Vgl. 19

ebd., 135, 147–149 und 160. Vgl. ebd., 125 f., 133 f.; D. Friedrich Langenfaß (1880–1965), 1917 Pfarrer RothenburgSt. Jakob II, 1920 München-St. Matthäus II, 1930–1950 Dekan in München, 1935 Kirchenrat. Auch D. Friedrich Langenfaß verkündete schon 1920 seine antisemitischen Parolen, obwohl Rassismus und Judenverfolgung allgemein abgelehnt wurden. So gab er den Juden die Schuld am verlorenen Ersten Weltkrieg und der jüdischen Presse an der Zerstörung der Heimatfront. Um des „Problems“ Herr zu werden, proklamierte man die Bekehrung der Juden zum Christentum. Im „Evangelischen Gemeindeblatt für München“ finden sich viele solcher erschreckenden Beispiele, aber nicht nur dort, auch in anderen kirchlichen Blättern ist durchgängig eine Vielzahl an Beispielen zu lesen, deren Erforschung und Auswertung noch immer nicht zusammenhängend und systematisch geschehen ist (vgl. Mensing, München, 96–99). Langenfaß war mitverantwortlich für das Verhältnis der Münchner Gemeinde zum Nationalsozialismus. Er war noch lange überzeugt von der Ehrlichkeit der NS-Behauptung vom positiven Christentum, wie es im Artikel 24 des Parteiprogramms belegt war (vgl. ebd., 144 f.). Zum weiteren Verhalten von Langenfaß und seiner Loyalität gegenüber der politischen Führung (freiwillige Erbringung des arischen Nachweises, Eid auf den Führer etc.) vgl. Töllner, Rasse, 287, 301 und 325. 20 Vgl. Mensing, Pfarrer, 134.

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„Dekan Langenfaß hat vielen seiner jüdischen Bekannten oft sehr große Hilfe ange­ deihen lassen. […] Es gehört zu meinen schönsten beruflichen Erfahrungen, daß Dekan Langenfaß und die gesamte Münchner Pfarrerschaft geschlossen hinter meiner Arbeit standen.“21

Hans Lauerer (1884–1953) fungierte 1918–1953 als Rektor der Diakonissenanstalt Neuendettelsau. Er erfreute sich in der Pfarrerschaft eines hohen Ansehens und hatte bei seinem Werben für die Deutschen Christen viele Pfarrer stark beeinflusst22. Sicherlich mit Wissen und Willen Meisers trat er Ende 1933 für wenige Tage als lutherischer Kirchenminister in die Reichskirchen­regierung ein, von vielen ob seiner Naivität in kirchenpolitischen Angelegenheiten als „Reichsweihnachtsmann“ bezeichnet. Eduard Putz (1907–1990) war 1933–1935 theologischer Hilfsreferent im Landeskirchenrat, 1934 vorübergehend zur Dienstleistung bei der Vorläufigen Kirchenleitung I, 1936 zum Lutherrat abgestellt, ab 1935 Pfarrer in Fürth. Nachdem er 1927 Mitglied der NSDAP und der SA geworden war, trat er auch auf Studentenkundgebungen in Tübingen und Werbeabenden der NSDAP auf. Der Träger des Goldenen Parteiabzeichens sah im Nationalsozialismus eine neue Hochschätzung der göttlichen Schöpfungsordnungen wie Volk und Rasse und bezeichnete den Nationalsozialismus als einzige Macht zur Rettung vor dem durch Liberalismus und Bolschewismus verursachten Zusammenbruch. Putz bezeichnete sich in einem Rückblick selbst als persönlichen Adjutanten des Landesbischofs in allen kirchenpolitischen Angelegenheiten. Der Landeskirchenrat mit Meiser hatte ihn wie Hanemann für sein kirchenpolitisches Taktieren eingesetzt, wie beide auch sonst gerne auf parteipolitisch gebundene Pfarrer zugingen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Als Putz dann aus der Partei austreten wollte, wurde auch ihm bedeutet, sich lieber aus der Partei hinauswerfen zu lassen, selbst aber zu bleiben23. 21 Zwanzger, 22

Jahre, 7. Vgl. Mensing, Pfarrer, 171 und 177. 23 Vgl. ebd., 47–49, 129–132, 162 f., 192 und 218 f. Eduard Putz (1907–1990), 1931 Stadtvikar in München, 1935–1953 Pfarrer in Fürth-St. Michael, dazwischen Divisionspfarrer 1940– 1945 meist an der Ostfront, 1954–1972 Dekan in Erlangen. Als 20jähriger der NSDAP beigetreten, Mitglied für kürzere Zeit in SA und NS-Studentenbund, dessen Erlanger Ableger er gründete, fungierte der Träger des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP als theologischer Hilfsreferent im Landeskirchenrat (1933–1935) in vertrauensvollem Verhältnis zu Landesbischof Meiser. Er trat bald kompromisslos für die Bekennende Kirche gegen Nationalsozialismus und deutschchristliche Häresie ein. 1934 Mitbegründer der Bayerischen Pfarrerbruderschaft, trat er 1938 im Prozess gegen Martin Niemöller als Entlastungszeuge auf. Sein Eintreten für die Bekennende Kirche brachte ihm Polizei- und Gestapohaft, Parteiverfahren, Redeverbote, Ausweisung und 1941 wegen Protestes gegen die Euthanasiemorde eine Kriegsgerichtsverhandlung ein (vgl. Baier, Putz, 568 f.).

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Genannt werden sollen aber auch Landgerichtsdirektor Theodor Doerfler, bayerisches Mitglied der Nationalsynode, der seit 1923/24 in der NSDAP und im bayerischen Landtag als Mitglied der Fraktion des völkischen Blocks mitwirkte; er hatte die 25 Programmpunkte der NSDAP mitgeprüft und als bindend für die Fraktion anerkannt. Meiser konnte auch auf ihn zählen. Oder Theodor Heckel (1894–1967), ehedem bayerischer Pfarrer, der von 1934–1945 Leiter des kirchlichen Außenamtes (Amtsbezeichnung „Bischof“), 1939 Gründer und Leiter des Evang. Hilfswerkes für Internierte und Kriegs­ gefangene Berlin, 1950–1964 Münchner Dekan gewesen ist.

6. Gleichschaltung der mittleren Ebene des Umfeldes Doch nicht nur die Kirchenleitung war in ihrer Funktionsweise auf den Führergedanken ausgerichtet, auch die mittlere Ebene war in diesem Umfeld gleichgeschaltet. Die erste evangelische Einrichtung in Bayern, die Fühlung mit der NSDAP aufnahm, war die Missionsanstalt Neuendettelsau, die mit Zustimmung von Oberkirchenrat Meiser und ihrem Direktor Dr. Friedrich Eppelein 1931 Schemm und NS-Pfarrer zu einer streng vertraulichen Aussprache eingeladen hatte24, denn auch die Neuendettelsauer Mission war auf den völkischen Gedanken eingeschwenkt. Eine ebenso verlässliche Stütze wie Persönlichkeiten und Gemeinden im Netzwerk für das kirchenleitende Handeln Meisers bildete der Pfarrerverein, der eine relativ geschlossene bayerische Pfarrerschaft, von wenigen Einzel­fällen abgesehen, den Deutschen Christen mit eingeschlossen, repräsentierte. Die schlichte Verbandspolitik früherer Zeiten hatte politische und kirchenpolitische Akzente erhalten, mit handfesten Sympathien für das neue Regime und die Ablehnung Veits, der keine eindeutige Stellungnahme zur „nationalen Revolution“ abgeben wollte, wie es Meiser dann tat. Hatte doch Kultusminister Hans Schemm, der Gauleiter der bayerischen Ostmark, in einem Gespräch mit Klingler nicht nur eine gleichgeschaltete Kirche, sondern auch Neuwahlen zu allen kirchlichen Körperschaften und Gremien gefordert25. Meiser hatte im Gegensatz zur Missbilligung Veits dieses Gespräch sehr erfreut. Als Zielvorgabe für den Pfarrerverein nannte Friedrich Klingler, der als einer der getreuesten Stützen des Bischofs und seiner Kirchenpolitik die Pfarrerschaft für Meisers Handeln ohne Murren einsetzen konnte, diese Pfarrerschaft müsse hinter der neuen 24 Vgl. 25

Mensing, Pfarrer, 131. Vgl. Baier, Pfarrerverein.

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Kirchenleitung stehen, weil Meiser meinte, die ganze deutsche evange­lische Kirche schaue auf Bayern. So wurde der Pfarrerverein der „neuen Zeit“ angepasst und am 27. September 1933, dem Tag, an dem die braune Nationalsynode Müller zum Reichsbischof wählte, gleichgeschaltet. Klingler wurde auf Zuruf „Führer des bayerischen Pfarrervereins“. „Die Ernennung der Vorstandschaft bitte ich mir zu überlassen, sie erfolgt später.“26 Meiser war in den Tagen der beginnenden Auseinandersetzungen mit der Reichskirche, dann mit den Deutschen Christen, schließlich mit der nationalsozialistischen Weltanschauung voll und ganz auf diese fast geschlossene Pfarrerschaft und deren Standesvertretung auf der Seite der Bekennenden Kirche angewiesen, ebenso im Einsatz gegen Angriffe von staatlicher und Parteiseite. Auch hier wusste Klingler sich einig mit Meiser. So hat Meiser auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung des Pfarrervereins am 1.  Februar 1934 unmissverständlich darauf hingewiesen, dass es sich niemals darum gehandelt habe, innerhalb der Mauern der Kirche ein Widerstandszentrum gegen den neuen Staat aufzurichten, sondern man habe ums Bekenntnis gerungen27. Und Klingler antwortete, die Pfarrerschaft werde der Weisung ihres Bischofs getreulich folgen, was sie auch in all den Jahren tat28. Als Reichsbundesführer der deutschen Pfarrervereine ab 1935 konnte er im Netzwerk der bayerischen Kirchenleitung eine deutschlandweite Rolle übernehmen. Lediglich in der Eidesfrage argumentierten einige Pfarrer nicht im Sinne Meisers, der an sie appellierte, die Einigkeit an dieser Frage nicht zerbrechen zu lassen, sondern den Eid „guten Willens zu schwören“29.

7. Gemeinsames kirchenpolitisches und geistiges Umfeld Verbunden waren Pfarrerschaft, Kirchenvolk und Kirchenleitung auch deshalb und konnten somit gemeinsam ohne größere Beeinträchtigungen agieren, weil wesentliche Gedanken und Parolen des sog. völkischen Gedankengutes, Forderungen und Wunschbilder längst vor der Machtergreifung in Kirche und Theologie heimisch gewesen sind. Nationale, nationalistische und nationalsozialistische Ideen mussten der Kirche wie ihren Leitungsorganen nicht als etwas 26 Art. Vorstandssitzung vom 6. 4. 1933. In: Allgemeine Rundschau, Nr.  94 vom 20. 4. 1933 (LAELKB Nürnberg, Pfarrerverein Nr. 51). 27 LAELKB Nürnberg, Pfarrerverein Nr. 51. 28 Vgl. ebd. 29 Ebd. Meisers Appell erfolgte in der Sitzung vom 8. 6. 1938.

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Fremdes aufgezwungen werden. Sie entsprachen einem Grundgefühl, einer von nicht wenigen auch sehr offen artikulierten Sehnsucht in Kirche und Theologie. Dabei spielte aber auch die Angst eine gewisse Rolle, wieder einmal den Kontakt zur großen Mehrheit des Volkes zu verlieren. Pfarrer Klein aus Grafengehaig konnte im „Korrespondenzblatt für die evang.-luth. Geistlichen in Bayern“ sogar das lutherische „sola fide“, allein aus dem Glauben, zum letzten Geheimnis des Nationalsozialismus hochstilisieren. So lebte der Pfarrerstand wie wohl fast das gesamte Bürgertum im Wesentlichen wirklichkeitsfremd in einer nationalen, emotionalen Grundhaltung in den Begriffen Schöpfungsordnung, Volk und Kirche des Volkes30. Die Parole des Bayreuther Schuhmachersohnes, späteren Gauleiters der Bayerischen Ostmark und bayerischen Kultusministers Hans Schemm „Unsere Politik heißt Deutschland, unsere Religion heißt Christus“ hatte ihre Wirkung auf die Evangelischen, so auch unter den Geistlichen, nicht verfehlt. Ein fränkischer Pfarrer, Träger des Goldenen Parteiabzeichens, begrüßte deshalb schon 1931 auf einer bayerischen Pfarrerkonferenz den Nationalsozialismus als letzte Rettung Deutschlands vor dem Bolschewismus31. Dennoch war es dann gerade Schemm gewesen, der gegen Meiser vehement aufgetreten ist, als dieser es beim Empfang der Bischöfe bei Hitler am 25. Januar 1934 gewagt hatte, von „allergetreuester Opposition“ zu sprechen. Denn Schemm hatte in einer Ministerratssitzung am 6. Februar 1934 in München bekräftigt, Meiser sei nicht mehr am Platz, er müsse verschwinden. Doch das Kabinett war nach einer Rücksprache des Ministerpräsidenten Ludwig Siebert mit Hitler der Auffassung, den Kampf gegen die Kirche dem „Führer“ zu überlassen. „Bei dieser Stellungnahme könne die Bayerische Staatsregierung den Kampf nicht aufnehmen […]. Bei der gegenwärtigen politischen Lage gebiete es die Klugheit, in der Sache nichts zu tun […].“32 Das geschah dann bekanntlich erst im Herbst dieses Jahres 1934. Schemm hatte die Öffnung der Landeskirche für den „Gedanken von Volk und Rasse“ gefordert. Meiser war ihm „außerordentlich streng orthodox und insofern eine Parallelerscheinung zum katholischen Klerus“. Meiser hatte zwar Zugang zum Ministerpräsidenten Ludwig Siebert und auch zum Reichsjustizminister Franz Gürtner, aber bei 30 Es war nicht verwunderlich, dass auch die bündische und evangelische Jugend schon zu einem beachtlichen Teil mit Beginn der 30er Jahre der nationalsozialistischen Partei angehörte oder zu den im Aufbau befindlichen Kampfverbänden überging. Die vehement aufgebrochene Gesellschaftskritik der 20er Jahre hatte zu dieser Polarisierung und Radikalisierung Wesentliches beigetragen. Schon 1924 war eine „Arbeitsgemeinschaft völkischer Pfarrer“ und ein „Völkischer Bund evangelischer Geistlicher“ ins Leben gerufen worden (vgl. Baier, Anfälligkeit, 23). 31 Vgl. ebd., 25. 32 Baier, Anfänge, 219.

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allen konnte er kaum etwas erreichen. Das zeigte sich anlässlich der verschiedenen Protestgespräche Meisers mit ihnen, etwa in Fragen der Euthanasie. So weit reichte das Netzwerk nicht.

8. Sonderrolle der Deutschen Christen und der Erlanger Fakultät Die Deutschen Christen Bayerns gehörten nur zeitweilig, bis zu deren Selbst­ auflösung im Dezember 1933, zu diesem Netzwerk33. Sie hatten sich als eine inner­kirchliche Gruppierung gebildet, die weder an Bibel noch Bekenntnis rütteln wollte und der Führung Meisers ursprünglich untergeordnet blieb34. Eine große Anzahl bayerischer Geistlicher zählte 1933 zu ihnen, darunter Namen wie Helmut Kern, Hans Greifenstein, der Nürnberger Dekan Weigel u. a. Nicht konkret in das bayerische Netzwerk kirchenleitenden Handelns eingebunden, aber zum geistigen Umfeld gehörig, war die einzige evangelische Fakultät in Bayern, Erlangen, wo zwei besonders anerkannte Vertreter des Luther­ tums, Paul Althaus und Werner Elert, lehrten. Paul Althaus hatte noch im September 1931 in der „Reformierten Schweizer Zeitung“ geschrieben: „Jeder Bitte gegenüber stelle ich mich ohne weiteres zu der NS-Bewegung, deckend, um Verständnis werbend“, und Elert stand der „Frontgeisttheologie“ nicht ferne, wenn er etwa in seinem Standardwerk „Morphologie des Luthertums“ den Pazifismus als „Gemeinnützigen Verein zur Verhütung des Soldatentodes“ bezeichnete35, was ihn andererseits nicht gehindert hat, schon im Februar 1933 die parteigebundenen Pfarrer zur Niederlegung ihres Amtes aufzufordern36. Meiser hatte allerdings mit der Fakultät sehr wenig im Sinn. Überliefert ist von ihm nach dem Ansbacher Ratschlag von 1934  – Althaus und Elert gehörten zunächst zu ihren Unterzeichnern –, der sich gegen die Barmer Erklärung richtete, der Ausspruch, die Erlanger Fakultät sei der dürre Ast am grünen Stamm der Kirche. Die Theologie studierende Studentenschaft stand hinter Meiser.

33 Das veranlasste etwa den Rektor der Neuendettelsauer Anstalten D. Lauerer zu dem Vorschlag, Meiser von seiner bisherigen Umgebung zu trennen und ihn in Richtung Deutsche Christen voranzutreiben (LAELKB Nürnberg, Meiser 63, Schreiben vom 6. 4. 1934). 34 Vgl. Verhandlungen der Landessynode vom 12.–14. 9. 1933, 34–39. Vgl. dazu ausführlich: Baier, Christen, 46–67. 35 Vgl. Baier, Anfälligkeit, 23. 36 Vgl. Mensing, Pfarrer, 147.

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9. Antisemitisches Verhalten und versteckte Hilfen Eine ausgeprägt staatstreue, obrigkeitshörige Haltung, die von der Zwei-Reiche-Konzeption Luthers und einer jahrhundertealten Tradition herkam, hielt ein einmal entstandenes Netzwerk erstaunlicherweise, wohl auch unter dem Druck von außen, sehr lange Zeit zusammen. Dazu gehörte die besonders scharfe Stellung des Luthertums gegenüber den Juden. Die Polemik gegen die Weimarer Republik, abfällig als Systemherrschaft bezeichnet, war im evange­ lischen Bayern sehr frühzeitig mit antisemitischen Ausfällen verbunden. Der in Neuendettelsau herausgegebene „Freimund. Kirchlich-politisches Wochenblatt für Stadt und Land“ ist für diese Zeit fast eine Fundgrube für solche Beispiele37. Meisers 1926 im Nürnberger Gemeindeblatt publizierte Ausfälle, die sicherlich seine ehrliche und zeittypische Überzeugung wiedergeben, bildeten ein besonders schreckliches Glied in dieser Kette, die so bedeutsam wurden, weil sie als Werturteil und Leitbild für die Gemeinden von einem späteren Bischof mit Vorbildcharakter stammten. Aber auch sie waren ein nicht zu unterschätzendes Bindeglied für eine gemeinsame Basis im Taumel der völkischen Euphorie, zumindest für die Anfangszeit des sog. Dritten Reiches38. Späteres Handeln allerdings modifizierte auf allen Ebenen solche Überzeugungen, insbesondere nach der Reichspogromnacht, auch wenn Juden in der Regel ausgeschlossen blieben und nur die sog. christlichen Nichtarier einen gewissen Schutz erhielten39. 37 Schon 1921 war es ein fränkischer Pfarrer gewesen, der zum Boykott jüdischer Geschäfte angeregt hatte, den die Kirchenpresse 1924 willig aufgegriffen hatte (vgl. Auer, Problem, 32). 38 Nach 1930 hatte sich die antisemitische Tendenz in der Kirche verstärkt, so dass judenhetze­ rische Parolen leider auch in der Kirchenpresse immer wieder unverhohlen begrüßt werden konnten und ein späterer Hilfsreferent im Landeskirchenrat durch eine Stadt mit dem Ruf fahren konnte: Die Juden sind unser Unglück (vgl. Baier, Anfälligkeit, 22). 39 Relativ spät erst hatte sich die bekennende Kirche mit diesem Thema befasst. War es kurz nach der Verkündung der berüchtigten Nürnberger Rassegesetze zu einem Aufhorchen in der Bekennenden Kirche gekommen, so sollten diese Anfänge schnell wieder zunichte werden. Die dritte Preußensynode der Bekennenden Kirche vom 23.–26. 9. 1935 in Berlin-Steglitz beschäftigte sich mit dieser Problematik, auch wenn das Thema ursprünglich nicht auf die Tagesordnung gesetzt werden sollte. Das lag nicht nur an den Teilnehmern dieser Synode, sondern auch am Votum des bayerischen Landesbischofs Hans Meiser. Er, obwohl gar nicht Mitglied der Syno­de der altpreußischen Union, hatte sich zwei Tage vor Verkündung der Nürnberger Gesetze am deutlichsten gegen die Behandlung der Judenfrage in der Öffentlichkeit einer Synode ausgesprochen. Seine Äußerungen zeigten zudem seine immer noch sehr positive Einstellung zum NS-Staat: „Man kann natürlich stundenlang darüber reden, ob man zu einem guten Ende mit diesem Staate kommen kann oder nicht. Aber es sollte jedenfalls an uns nicht liegen, wenn es zu einem rest­ losen und endgültigen Bruch kommt. […] Aber wir sollen es bis zum äußersten zu verhindern suchen. Es soll nicht kommen durch unsere Leichtfertigkeit, Unbesonnenheit und Bockbeinigkeit. […] Ich möchte meine Stimme erheben gegen ein selbstverschuldetes Martyrium. Ich sehe mit einiger Sorge auf die kommende preußische Synode, wenn sie solche Dinge anschneiden will

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Doch zu dieser Arbeit gehörten Mut, versteckte Hilfe und gemeinsame Überzeugung zum Handeln40. wie z. B. die Judenfrage […]“ Nur ein halbherziges Votum kam zustande, das sich gegen das Verbot der Judentaufe wandte. Zu einer Solidaritätsbezeugung gegenüber allen Juden durfte es nicht kommen. Doch die von Meiser immer wieder beharrlich vertretene Haltung schloss nicht aus, dass er drei Jahre später die Arbeit der kirchlichen Hilfsstellen für christliche Nichtarier in Bayern einrichten ließ und stets tatkräftig unterstützte. Juden blieben aber in der Regel außerhalb des christlichen Liebesgebotes. So berichtete Johannes Zwanzger von der Hilfsstelle München, dass Landesbischof Meiser persönlichen Anteil an seiner Arbeit genommen habe. „Immer wieder ließ er mich kommen, um sich über die Lage der bedrängten Menschen unterrichten zu lassen.“ Bei einem dieser Besuche hatte er zu Zwanzger gesagt: „Es kann sein, daß Sie einmal gefragt werden, in wessen Auftrag Sie diese Arbeit tun. Dann antworten Sie: ‚Im Auftrag des Landesbischofs Meiser.‘ […]“ (Zwanzger, Jahre, 12). Zu einer Intervention Meisers bei Hermann Göring ist es nicht mehr gekommen. 40 So hatte der Münchner Kreisdekan Oberkirchenrat Oskar Daumiller schon am 4. 4. 1939 dem Landeskirchenrat von einer Aussprache mit dem Münchner NS-Oberbürgermeister Karl Fiehler über diese Problematik berichtet, der ihn allerdings nicht empfangen, sondern an seinen persönlichen Referenten Dr. Umhau verwiesen hatte: „Ich habe demselben dargelegt, daß es doch eine unbillige Härte sei, dass man die Nichtarier, die sich vom Judentum abgewendet haben, vielleicht schon als Christen getauft, erzogen und konfirmiert worden sind und mit dem Judentum überhaupt in keiner Berührung standen, schlechter behandle als die Juden selbst, indem man ihnen das Begräbnis auf den städtischen Friedhöfen und die Feuerbestattung verweigert.“ Mehr als ironisch, fast anzüglich, aber in bezeichnender Diktion fuhr Daumiller fort: „Ich könne mir nicht denken, so erklärte ich dem Referenten, dass ein Hinderungsgrund, evangelische Nichtarier auf einem Friedhof zu begraben, aus biologischen Gründen bestehe. Denn die Rasse höre mit der Verwesung auf, und wenn Leichen von Nichtariern die Friedhoferde verunreinigen, dann müsse ich feststellen, dass alle Münchner Friedhöfe durch die [früheren] Beerdigungen von Juden schon verunreinigt sind. Wenn es aber auf das Geistige ankommt, so sei nicht einzusehen, warum den evangelischen Nichtariern die Bestattung verweigert wird, da sie sich doch vom Judentum abgewendet haben. – Im Namen unserer Pfarrer müßte ich auf das tiefste bedauern, daß man evangelische Geistliche zwingt, vom jüdischen Rabbiner sich die Erlaubnis und Weisung geben zu lassen zu einer Amtshandlung auf dem jüdischen Friedhof. Ich stellte noch fest, daß uns eigentlich nur von München Mitteilung zugekommen ist über diese Behandlung der Nichtarier und müßte daraus entnehmen, daß in München ein besonders scharfer Kurs in dieser Beziehung gefahren werde.“ Mit diesem Bericht war wieder die Vollsitzung des Landeskirchenrates befasst (LAELKB Nürnberg, Landeskirchenrat XIV, 1624). In den Akten des Landeskirchenrates findet sich der Vermerk von Oberkirchenrat Hans Meinzolt vom 10. 1. 1939, Kirchenrat Langenfaß habe im Auftrag des Münchner Pfarrkonventes angeregt, die Kirche möge sich dafür einsetzen, den sog. nichtarischen Christen, die in nächster Zukunft ihre Wohnung verlören, mindestens vorübergehend eine Unterkunft zu gewähren. In München waren davon wenigstens zehn Familien betroffen. Langenfaß hatte empfohlen, für diesen Zweck ein Haus im Herzogpark zu kaufen, das der Gesamtkirchenverwaltung für 120.000 RM angeboten worden war. Meinzolt bemerkte, zunächst müsste versucht werden, diese Familien in bereits vorhandenen Anstalten unterzubringen wie etwa in das Freizeitenheim in Ortenburg, das Heim in Riederau, das Wichernhaus oder den dem Verein für Innere Mission gehörigen Lindenhof (vgl. ebd.).

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Auch die Seelsorge im KZ Dachau wurde mit Wissen und Willen und auf Initiative des Landesbischofs und einer Reihe anderer Mitträger vom Vereinsgeistlichen der Inneren Mission in München, Friedrich Hofmann, der treu auf der Seite der Kirche und ihres Bischofs stand, ausgeübt. Beide kannten sich gut aus gemeinsamer Arbeit für die Innere Mission41.

10. Das außerbayerische Netzwerk kirchenleitenden Handelns Diese einmalige Stellung eines Kirchenführers gab Meiser die Möglichkeit, ebenfalls im außerbayerischen kirchlichen Bereich einen überragenden Platz einzunehmen, sich verlässliche Vertraute zu schaffen und fast das gesamte deutsche Luthertum zu einem Netzwerk zusammenzuschließen, das in das baye­ rische mit integriert gewesen ist. Diese Verbindungen hielten in der Regel die gesamte Zeit des NS-Regimes und darüber hinaus. Enge Zusammenarbeit fand mit Württemberg und teilweise auch mit Hannover statt. Theophil Wurm (1868–1953) stand Meiser näher als August ­Marahrens; mit dem württembergischen Landesbischof Wurm und dem Ham 41 Am 5. 2. 1934 hatte Dekan D. Langenfaß für Hofmann einen Ausweis ausgestellt, dass dieser im Einvernehmen mit der Kirchenleitung beauftragt sei, die Seelsorge an den evangelischen Insassen des Konzentrationslagers Dachau auszuüben. Noch einen Versuch unternahm der Landeskirchenrat mit einer Anfrage an die Kommandantur des Konzentrationslagers am 21. 4. 1941, nachdem sich dort nachweislich wieder evangelische Gefangene, darunter mehrere evangelische Geistliche, befanden. Doch dieses Schreiben wurde am 25. 4. 1941 von der Kommandantur mit dem Bemerken zurückgeschickt, dass im Konzentrationslager bereits täglich evangelische und katholische Gottesdienste gehalten würden, was in dieser Form nicht stimmte. Allerdings konnten auch im Jahr 1941 wieder Bibeln und Gesangbücher sowie Abendmahlswein von Kreisdekan Daumiller im Konzentrationslager abgegeben werden, eine Weihnachtsbescherung 1940, deretwegen Meiser in Verhandlungen mit der Gestapo stand, wurde jedoch von Berlin verboten. Nachdem Paketsperre verhängt und es den Angehörigen der Gefangenen unmöglich gemacht worden war, von auswärts Gaben zu senden, hatte Daumiller die Lebensmittelversorgung der inhaftierten Geistlichen übernommen. Die Lebensmittelkarten kamen zum Teil von den Angehörigen der Gefangenen, zum Teil von bayerischen Pfarrern. Auch Rauchwaren fehlten nicht unter den Geschenken. Alle Gaben erreichten die Adressaten, selbst Medikamente, die sich im Winter 1944/45 besonders hilfreich erwiesen (vgl. Baier, Liebestätigkeit, 181). Als am 26. und 27. 4. 1945 zwei Häftlingstrecks durch das Würmtal getrieben wurden, bat der Münchner Kreisdekan Daumiller das Generalkommando in Starnberg um Hilfe für diese Menschen, vergeblich. So vereinbarte er mit dem katholischen Pfarrer von Gräfelfing, dass die Ortschaften, durch die sich der schreckliche Zug bewegte, vorher verständigt und die Einwohner aufgefordert werden sollten, die durchziehenden Gefangenen mit Lebensmitteln zu versorgen und sich derer anzunehmen, die am Wege liegen blieben. Doch auch hier hatte er die Rechnung ohne die SS gemacht (vgl. dazu Baier, Kirche, 114–116 mit Quellenangaben).

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burger Bischof Simon Schoeffel, den er aus Schulzeiten her kannte, war er enger befreundet, bis Wurm dann im Krieg die führende Rolle übernahm. Eine Reihe weiterer Namen wären zu nennen, die auf Meiser hörten. Meiser war seiner Linie stets treu geblieben. Er hatte die Initiative ergriffen und alle lutherischen Kirchen auf den 14. Mai 1933 nach Würzburg in die Deutschhauskinderschule eingeladen, um dort zu einem endgültigen Zusammenschluss der Lutheraner zu kommen als einer lutherischen Säule beim Verfassungsneubau der Deutschen Evangelischen Kirche42. Gefordert wurde u. a. ein Reichsbischof lutherischen Bekenntnisses. (Bekanntlich hat ja Meiser zunächst für Bodelschwingh als Reichsbischof gestimmt, ist dann jedoch zu Ludwig Müller umgeschwenkt.) Die Erklärung zeigt die Handschrift Meisers und seiner Gedanken auf, wenn der Glaube Luthers und das Bekenntnis der Väter beschworen und festgestellt wurde, dass die Kirche nach eigenen Gesetzen gestaltet werden müsse „und dabei alles ihrer Art Fremde, an vergangene parlamentarische Formen Erinnernde ausgeschaltet wird“43. Nicht untätig war in der Folgezeit, besonders dann im Kriege, der vom bayerischen Landesbischof und seinen Vertrauten dominierte Lutherrat geblieben. Selbstverständlich stand im Vordergrund der Aufbau einer Lutherischen Kirche Deutschlands. Die Unionen sollten dabei aufgeteilt werden. Meiser, der die Union als ein Kunstgebilde fast verabscheute, hatte sich des Rückhalts von ­Dibelius versichert. Von den Deutschen Christen wollte man sich in einer neuen Deutschen Evangelischen Kirche trennen44. Paul Fleisch, der Geistliche Vizepräsident des Landeskirchenamtes Hannover, erarbeitete als Sekretär des Lutherrates und Vertrauter Meisers im Januar 1941 den Plan, die bestehende DEK in eine lutherische Kirche Großdeutschlands zu überführen, wozu er einen auf Wunsch Meisers etwas veränderten Verfassungsentwurf vorlegte. Demnach sollten die Deutschen Christen aus der Deutschen Evangelischen Kirche durch ein Simultaneum ausgeklammert werden. Zugleich legte Fleisch den Entwurf eines Erzbischofsgesetzes vor. Wesentlich war die mit Führerrechten ausgestattete Person des lutherischen Erz­ bischofs, der weder der Synode noch einem Bischofsrat verantwortlich sein sollte. Nur in der Frage einer Bekenntnisverletzung hätte der Bischofsrat eingreifen dürfen – Folge der Erfahrungen mit Reichsbischof Ludwig Müller. Dieses Gesetz war auf Meiser zugeschnitten. Außer ihm und den Angehörigen 42 Vgl. 43

Protokoll der Bischofsbesprechung vom 14. 5. 1933 (LAELKB Nürnberg, Meiser 77). Ebd. 44 Konträr dagegen Hannover, das die Deutschen Christen sogar als 4.  Konfession in einer „Großdeutschen Evangelischen Reichskirche“ sehen wollte; so der Vorschlag von Mahrenholz, wogegen wiederum Wurm stand (vgl. Baier, Kirche, 277–301).

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des Sekretariates hatte niemand davon Kenntnis erhalten. Doch Meiser war so klug, die Verbreitung solcher Gesetzentwürfe „im gegenwärtigen Zeitpunkt“ für nicht dienlich zu halten. Aber das Leitbild einer verfassten lutherischen Kirche blieb dem Wunsche Meisers nach bestimmend45. Meiser konnte sich auf dieses Sekretariat verlassen, das ihm in allen Fragen einer lutherischen Kirche zuarbeitete und seine Wünsche respektierte. Dass Fleisch dabei stets in einen Konflikt mit seinem Landesbischof Marahrens und der hannoverschen Kirchenpolitik geriet, war nicht zu vermeiden, aber er hat sich in allen Fällen stets für Meiser entschieden.

Schlussbemerkung So war ein Netzwerk auf unterer Ebene (Pfarrerschaft, Pfarrerverein und Gemeinden), auf der mittleren Ebene (Dekane, Innere Mission, Mission und andere Einrichtungen) und auf kirchenleitender Ebene (Oberkirchenräte) im bayerischen Bereich sowie durch Führungspositionen und Mitgliedschaften in fast allen außerbayerischen Kirchengremien wie im ökumenischen lutherischen Bereich (Exekutivkomitee des Lutherischen Weltbundes) entstanden, wo Meiser seine guten Beziehungen erst recht nach dem Kriege nutzen konnte. Wer nicht mitmachen wollte oder schwieg, wurde wie z. B. Karl Steinbauer als Außenseiter angesehen und behandelt. Meiser selbst war Gestalter und Getriebener in diesem Netzwerk. In diesem kurzen Überblick konnten nur einige aus der Fülle der zur Ver­ fügung stehenden Fakten, mir aber wichtig erscheinende Punkte angeschnitten werden, die ein in sich verflochtenes Netzwerk kirchenleitenden Handelns in Bayern und Deutschland ermöglichten.

Quellen- und Literaturverzeichnis I. Unveröffentlichte Quellen a) archivalische Quellen Landeskirchliches Archiv Nürnberg (LAELKB) Landeskirchenrat XIV, 1624. Meiser 63. Meiser 77. Pfarrerverein Nr. 51. 45 Vgl.

Baier, Kirche, 291–294.

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b) mündliche und schriftliche Auskünfte Stählin, Wilhelm: Kriegstagebücher 1. Weltkrieg 1914–1917. (Handschriftliche Manuskripte in Übertragung im Besitz des Autors).

II. Veröffentlichte Quellen und Darstellungen Auer, Friedrich Wilhelm: Das jüdische Problem. Lorch 1921. Baier, Helmut: Der Pfarrerverein im „Dritten Reich“. In: Kreßel, Konrad / Weber, Klaus (Hg.): 100 Jahre Pfarrer- und Pfarrerinnenverein in Bayern 1891–1991. Stationen und Aufgaben. Nürnberg 1991, 34–44. –, Die Anfälligkeit des fränkischen Protestantismus gegenüber dem Nationalsozialis­ mus. In: Der Nationalsozialismus in Franken. Ein Land unter der Last seiner Geschichte (Tutzinger Studien 2). Tutzing 1979, 21–29. –, Die Deutschen Christen Bayerns im Rahmen des bayerischen Kirchenkampfes (EKGB 46). Nürnberg 1968. –, Karl Eduard Johannes Putz. In: Friedrich, Christoph / Haller, Bertold Freiherr von /  Jacob, Andreas (Hg.): Erlanger Stadtlexikon. Nürnberg 2002, 568 f. –, Kirche in Not. Die bayerische Landeskirche im Zweiten Weltkrieg (EKGB 57). Nürnberg 1979. –, Liebestätigkeit unter dem Hakenkreuz. Die Innere Mission München in der Zeit des Nationalsozialismus: Seelsorge im Konzentrationslager Dachau. Nürnberg / München 2008. –, Von den Anfängen des „Nürnberger Ausschusses“. Das Werden der Bekennenden Kirche im Frühjahr 1934. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 93 (2006), 107–226. Daumiller, Oscar: Geführt im Schatten zweier Kriege. Bayerische Kirchengeschichte selbst erlebt. München 1961. Mensing, Björn: „Hitler hat eine göttliche Sendung“. Münchens Protestantismus und der Nationalsozialismus. In: Mensing, Björn / Prinz, Friedrich (Hg.): Irrlicht im leuchtenden München? Der Nationalsozialismus in der „Hauptstadt der Bewegung“. Regensburg 1991, 92–123. –, Pfarrer und Nationalsozialismus. Geschichte einer Verstrickung am Beispiel der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Göttingen 1998. Töllner, Axel: Eine Frage der Rasse? Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, der Arierparagraf und die bayerischen Pfarrfamilien mit jüdischen Vorfahren im „Dritten Reich“ (KoGe 36). Stuttgart 2007. Verhandlungen der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins. Synodalperiode 1930–1936. Zwanzger, Johannes: Jahre der Unmenschlichkeit. Eine Rückbesinnung von Kirchenrat Johannes Zwanzger, Neuendettelsau. In: Sonderdruck aus: Concordia, Theologische Hefte 4 (1988), 1–15, hier: 12.

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Spielräume kirchenleitenden Handelns – Marahrens, Meiser, Wurm im Vergleich

Wenn im Folgenden die Spielräume1 der drei lutherischen Landesbischöfe in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in den Blick genommen werden sollen, so geht es um die Möglichkeiten und zugleich um die Grenzen ihres Handelns. Dabei ist stets im Blick zu behalten, dass sich dem heutigen Betrachter andere Einsichten bieten als dem Zeitgenossen. Spielräume, die wir aus dem Blickwinkel der Gegenwart ausmachen, mögen für die handelnden Personen seinerzeit nicht erkennbar gewesen oder angesichts der Zeitumstände als nicht gangbar erschienen sein. So mögen ex post mehr Möglichkeiten benannt werden können, als den Bischöfen vor Augen standen. Dies in Rechnung stellend gilt es zu untersuchen, wo sich für die genannten Bischöfe Möglichkeiten ergaben, durch Worte, Eingaben oder ganz konkrete Handlungen Verfügungen, Maßnahmen und Erwartungen des NS-Staates zu kritisieren, zu unterlaufen oder gar zurückzuweisen. Wo konnte Bedrängten und Verfolgten Schutz geboten werden? Wo erhoben sie ihre Stimme gegen unrechtmäßige und unmenschliche Aktionen? Zu fragen ist also danach, wie weit die Bischöfe mit ihren Äußerungen und ihrem Verhalten in einem sich zunehmend antichristlich und antikirchlich gebärdenden Staat gehen konnten, ohne sich selbst, ihre Mitarbeiter und deren Familien zu gefährden. Von besonderem Interesse sind dabei die Jahre, in denen die kirchenfeindlichen Kräfte in der nationalsozialistischen Bewegung allmählich die Oberhand gewannen, und der menschenverachtende Charakter dieses Regimes zunehmend deutlich wurde. In vier Schritten sollen die Spielräume ausgelotet werden: Zu bedenken sind zunächst ganz konkrete Hilfsmaßnahmen für verfolgte Personen, sodann sind Interventionen gegen die Implementierung und Durchsetzung der NS-Ideologie aufzuzeigen; ein dritter Teil  sucht die Grenzen der landesbischöflichen Spielräume zu erfassen; und zuletzt ist danach zu fragen, weshalb öffentliche 1 Der Begriff „Spielraum“ entstand im 18. Jahrhundert im technischen Umfeld und bezeichnet den „Bewegungsraum eines Körpers in einem Hohlkörper“. „Spielräume“ verweist also auf Toleranzen, die nicht ohne Schaden überschritten werden können. Vgl. Duden, Etymologie, 659.

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Äußerungen der Bischöfe weitgehend unterblieben. Ein Resümee beschließt die Ausführungen. Ehe freilich diesen Punkten nachgegangen wird, soll einleitend in äußerster Kürze die Situation vor Augen geführt werden, die sich im Blick auf die Bischöfe im Jahr 1938 bot. Dieses Jahr wird gewählt, weil es eine gewisse Zäsur markierte: Der sich in jenem Jahr bietende Zustand im Verhältnis der drei Landeskirchen und ihrer Bischöfe zum NS-Staat blieb bis zum Kriegsende weitgehend unverändert. Und: 1938 wurden durch zwei spektakuläre Maßnahmen gegen Kirchenführer die Grenzen der vom Staat geduldeten Spielräume deutlich: Im Februar wurde gegen Martin Niemöller „wegen Gefährdung des öffentlichen Friedens, Kanzelmißbrauchs und Anreiz und Aufforderung zu Zu­ widerhandlungen gegen Anordnungen der Reichsregierung“2 verhandelt. Obwohl er vom Gericht am 2.  März ,nur‘ zur Zahlung von 2.000  RM und zu sieben Monaten Festungshaft verurteilt wurde, die durch die Untersuchungshaft bereits abgegolten waren, wurde er nicht freigelassen, sondern auf Befehl ­Hitlers in das Konzentrationslager Sachsenhausen überführt3; von 1941 bis zum Kriegsende blieb Niemöller in Dachau inhaftiert. Am 24. August war der Bischof des Bistums Rottenburg Joannes Baptista Sproll (1870–1949) nach Monaten der Repression und einer perfiden Hetzkampagne durch die Gestapo wegen „dauernde[r] Gefahr der Beunruhigung für die Bevölkerung“ aus seinem Bistum ausgewiesen und unter Anwendung von Gewalt nach Freiburg gebracht worden4; bis 1945 sollte er sein Bistum, das er von wechselnden Asylorten aus leitete, nicht wieder betreten. Die im Folgenden näher zu betrachtenden Bischöfe Theophil Wurm (1868– 1953), August Marahrens (1875–1950) und Hans Meiser (1881–1957) hatten trotz unterschiedlicher sozialer Herkunft doch eine unverkennbar konservative Grundeinstellung gemein, die sie – zunächst jedenfalls – dem Nationalsozialismus positiv gegenübertreten ließ5. Man hoffte im Gefolge der „nationale[n] Erneuerungsbewegung“, die man „auf christlicher Grundlage“ wähnte, auf neue Möglichkeiten zur Volksmission, hoffte, die christliche Botschaft „den Massen, insbesondere […] der Jugend der Frontgeneration“6 wieder nahe bringen zu können. Gemeinsam war den drei Bischöfen auch, dass sie trotz unterschiedlicher theologischer Prägung dem Staat als Schöpfungsordnung Gottes

2 Junge

Kirche 6 (1938), 225; vgl. auch Bentley, Niemöller, 162–192, besonders 170–173.

3 Vgl. hierzu die Erklärung der 2. Vorläufigen Kirchenleitung vom 13. 3. 1938 (Hermle / Thier-

felder, Herausgefordert, 397 f.). 4 Vgl. Kopf / Miller, Vertreibung; Zitat ebd., 247. 5 Vgl. zu Wurm: Diephouse, Wurm; zu Meiser: Nicolaisen, Meiser, besonders 38–40; zu Marahrens: Goldbach, Protagonisten, 85 f. und Lindemann, „Typisch jüdisch“, besonders 232 f. 6 Diephouse, Wurm, 19; vgl. hierzu Hermle, Aufstieg.

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eine „Eigengesetzlichkeit und Unabhängigkeit“ im Bereich des Politischen7 zubilligten und ihm eine grundsätzliche Loyalität entgegenbrachten. Im Gegensatz zu Marahrens jedoch, der der Kirche gegenüber dem Staat kaum noch eine Wächterfunktion zumaß8, wollte speziell Wurm jenem zwar einen weiten Handlungsspielraum einräumen, doch zugleich sah er die Verpflichtung, den Herrschenden ins Gewissen zu reden, sie gegebenenfalls auf Übertretungen der Gebote Gottes hinzuweisen und daran zu erinnern, dass sie „dem obersten Richter Rechenschaft schuldig sind“9. Wichtig für die Beurteilung der Spielräume der drei Landesbischöfe ist der Umstand, dass sie sich alle drei 1934 gegen die geplante Eingliederung ihrer Landeskirchen in die Deutsche Evangelische Kirche erfolgreich wehren konnten, Wurm und Meiser jedoch eine deutlich größere Selbstständigkeit als ­Marahrens hatten. Die beiden süddeutschen Bischöfe konnten sich während der gesamten NS-Zeit auf die ihnen durch ihre Synoden 1933 zugebilligten Sonderrechte stützen, die den „Führergedanken“ auch in der Kirche zur Geltung bringen sollten10. Die Marahrens im Mai 1933 durch eine Notverordnung übertragene Vollmacht erlosch jedoch im Februar 1936 anlässlich der Bildung einer Kirchenregierung in Hannover11. Da die Beschlüsse der Kirchenregierung einstimmig zu erfolgen hatten, war die Handlungsfreiheit von Marahrens deutlich begrenzt, zumal dem Gremium ein – wenn auch gemäßigtes – DCMitglied angehörte, auf das Rücksicht genommen werden musste12. Einschneidend war zudem, dass in Hannover im Juli 1935 eine Finanzabteilung gebildet wurde, die ab Frühjahr 1938 von Rechtsanwalt Georg Cölle (1901–1980), einem DC-Mitglied und scharfen Gegner Marahrens’, geleitet wurde. Er begünstigte nicht nur auf vielfältige Weise die hannoverschen Deutschen Christen, durch seine rigide Finanzaufsicht suchte er auch auf Stellenbesetzungen Einfluss zu nehmen und Zahlungen – zum Beispiel an den Lutherrat – zu unterbinden13. Im Übrigen konnten sowohl Württemberg als auch Bayern die Einrichtung einer solchen Finanzabteilung 1938 abwehren, da Reichskirchenminister Hanns Kerrl (1887–1941) einen Konflikt mit den süddeutschen Landeskirchen scheute  – angesichts der in jenen Tagen betriebenen Einigungs­ bemühungen schien eine Auseinandersetzung nicht opportun14.

7 Mager,

Marahrens, 139. ebd., 140. 9 Schäfer, Dokumentation, Bd. 6, 116–118; Zitat: ebd., 117. 10 Vgl. für Meiser: Nicolaisen, Herrschaft, 301; für Wurm: Hermle, Landeskirchentag, 183. 11 Vgl. Klügel, Landeskirche, 28 f., 286. 12 Vgl. ebd., 288. 13 Vgl. ebd., 309 f., 373 und 138 f.; vgl. auch Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 402 f. 14 Vgl. ebd., 464 f. 8 Vgl.

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Werden im Folgenden Voten und Maßnahmen der Bischöfe vorgestellt, so natürlich nicht jene zahllosen routinemäßigen Verwaltungsvorgänge, die Teil des kirchenleitenden Handelns sind. Interessant sind vielmehr jene Vorgänge, die ein Konfliktpotential boten, da sie Anordnungen des Regimes hinterfragten oder von den Machthabern intendierte Entwicklungen kritisierten. Bei der Frage nach den bestehenden Spielräumen ist in Rechnung zu stellen, dass sich die NS-Herrschaft nicht als geschlossenes System präsentierte, sondern alle Anzeichen einer „Polykratie“ aufwies15. Unter dem alles überragenden ,Führer‘ Adolf Hitler bot sich das höchst vielschichtige und verwirrende Bild „eines konfliktreichen Gegen- und Nebeneinanders rivalisierender Ministerien und Parteiorganisationen“ sowie höchst selbstbewusster Parteigrößen und ,Landesfürsten‘. Sie verfolgten gerade im Blick auf die Kirchen durchaus einander widersprechende Ziele und eröffneten damit auch unterschiedliche Spielräume.

1. Engagement für verfolgte Gemeindeglieder und Theologen Die Spielräume der Landesbischöfe werden zunächst da sichtbar, wo ganz konkrete Hilfen für Menschen notwendig waren. Zwei Gruppen treten dabei insbesondere ins Blickfeld: Zum einen Theologen, die sich in DC-dominierten Landeskirchen Repressionen ausgesetzt sahen, zum anderen Christen jüdischer Herkunft, die Verfolgungen zu erleiden hatten. 1.1 Pfarramtsanwärter und Theologen Vor besonderen Schwierigkeiten sahen sich Theologiestudenten, die bei der Bekennenden Kirche ihr Examen abgelegt hatten und nun ein Vikariat durchlaufen wollten. Solchen jungen Theologen aus Sachsen gewährte die Bayerische Landeskirche dadurch Unterstützung, dass sie einige von ihnen in ihren Dienst aufnahm; zudem unterstützte Bayern auch sächsische BK-Geistliche finanziell16. Auch die Hannoversche Landeskirche leistete Hilfszahlungen an die Bekennende Kirche Sachsens und trug zu der Umlage für das Sekretariat des Lutherrats bei17. Allerdings – und da greift nun die eingangs herausgestellte besondere Situation von Marahrens  – wurden diese Zahlungen der Hannoverschen Landeskirche nach dem Amtsantritt Cölles sofort gestoppt. Die Finanz 15 Vgl. Thamer, 16

Verführung, 345. Vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 473. 17 Vgl. Klügel, Landeskirche, 309 f.

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abteilung stellte eine erhebliche Belastung dar und schränkte die Möglichkeiten Marahrens’ vor allem im Blick auf Aktivitäten im personellen Bereich entscheidend ein; für sämtliche Maßnahmen mit finanziellen Folgen war ab 1938 für Marahrens kein Handlungsspielraum mehr gegeben. Im Gegensatz hierzu konnte Wurm in Württemberg weitgehend frei agieren: Zahlreiche andernorts in Bedrängnis geratene Theologen wurden in Württemberg in ein Pfarramt eingewiesen bzw. mit einer Stellvertretung beauftragt. Zu nennen wäre Helmut Thielicke (1908–1986), der Mitte 1940 als Dozent in Heidelberg abgesetzt wurde. Nach einem Gespräch mit Wurm18 konnte er von 1940 bis Oktober 1941 eine Stelle als Pfarrverweser in Ravensburg und Langenargen bekleiden; anschließend wurde ihm die Leitung eines speziell für ihn geschaffenen „Theologischen Amtes der Württembergischen Landeskirche“ übertragen19. In Ravensburg abgelöst wurde er durch Günther Dehn (1882–1970), der wegen seiner Beteiligung an illegalen Prüfungen der BK eine Haftstrafe hatte absitzen müssen und nicht länger für die BK in Berlin arbeiten konnte20. Zu nennen wären weiter Hugo Hahn (1886–1957), der aus Sachsen vertrieben worden war21, Hans Asmussen (1898–1968) oder Friedrich Delekat (1892–1970)22. Unter den Aufgenommenen befand sich auch mindestens eine Theologin: Die in Österreich geborene Margarete Hoffer (1906– 1991) war von Mai 1940 bis September 1945 Vikarin in württembergischen Gemeinden23. Insgesamt, so Dehn, habe Wurm „im Laufe des Kirchenkampfes etwa 24 Pfarrer, sei es aus Hessen oder aus der Kirche der Altpreußischen Union oder sonst woher, die durch die Nazis stellenlos geworden waren, in seine Kirche aufgenommen“24. Für Meiser in Bayern war es eine Selbstverständlichkeit, dem nach seiner mutigen Predigt anlässlich der ,Reichspogromnacht‘ aus Württemberg ausgewiesenen Pfarrer Julius von Jan (1897–1964) eine Beschäftigungsmöglichkeit zu schaffen25. Ansonsten waren die Spielräume seiner Kirche durch einen Vertrag mit dem Bayerischen Staat vom 15. November 1924 stark beschränkt, in dessen Art. 30 festgeschrieben war, dass die Kirche aufgrund der ihr zugesagten staatlichen Zuschüsse zur Pfarrbesoldung „vor Ernennung der Pfarrer der Staatsregierung die Personalien des in Aussicht genommenen Geistlichen“ mit 18 Vgl. Thielicke, 19

Gast, 164. Vgl. ebd., 192; und Schäfer, Dokumentation, Bd. 6, 1183–1187. 20 Vgl. Dehn, Zeit, 335; und Schäfer, Dokumentation, Bd. 6, 1183. 21 Vgl. Hahn, Kämpfer, besonders 182–200; und Schäfer, Dokumentation, Bd. 6, 1188–1190. 22 Vgl. ebd., 1187 f. 23 Vgl. Ludwig, „Leuchtturm“. 24 Dehn, Zeit, 336 f. 25 Vgl. Röhm / Thierfelder, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/I, 69–92.

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zuteilen habe26. Jede Pfarrstellenbesetzung war dem Staat demnach anzuzeigen und konnte von diesem verhindert werden. Deutlich wird, dass Wurm die sich ihm bietenden Spielräume hinsichtlich der Aufnahme verfolgter und amtsenthobener Theologen soweit als irgend möglich auszuschöpfen bereit war, während Marahrens hierzu durch die Finanzabteilung keine Möglichkeit hatte und Meiser durch das Kirchengesetz von 1924 stark eingeschränkt war. 1.2 Kirchenglieder jüdischer Herkunft Vor einer besonderen Herausforderung sahen sich die Landesbischöfe angesichts der zunehmend radikalen und brutalen Verfolgungsmaßnahmen des NSRegimes gegenüber Christen mit jüdischen Wurzeln. Als der von der 2.  VKL mit der Bildung einer zentralen Hilfsstelle für ,Nichtarierfürsorge‘ in Berlin betraute Heinrich Grüber (1891–1975) im Herbst 1938 Außenstellen im ganzen Reich initiierte, wandte er sich auch an die drei Landesbischöfe. Nach anfänglichem Zögern richtete Wurm für die ca. 1.100 württembergischen Betroffenen in Stuttgart eine entsprechende Stelle ein und unterstützte deren Arbeit mit 1.200  RM jährlich27. Auch in Bayern fiel der Aufruf Grübers auf frucht­ baren Boden. Meiser beauftragte zunächst den Vereinsgeistlichen für die Innere Mission in München Friedrich Hofmann (1904–1965) mit dieser Aufgabe, bald jedoch trat in München der selbst von den Nürnberger Gesetzen betroffene Pfarrer Johannes Zwanzger (1905–1999) an dessen Stelle; zudem wurde in Nürnberg ein zweites Büro eröffnet, dem der ebenfalls aus dem Kreis der Christen jüdischer Herkunft stammende Pfarrer Hans Werner Jordan (1908–1989) vorstand. Diese Einrichtungen konnten mindestens 65 Personen zur Auswanderung verhelfen28. Zudem stellte die Bayerische Landeskirche für diese Arbeit den ansehnlichen Betrag von 10.000 RM zur Verfügung, so dass auch die Berliner Zentralstelle mit unterstützt werden konnte29. Bischof Marahrens lehnte zwar eine Hilfsstelle nicht prinzipiell ab, doch machte er die Einrichtung eines Büros in Hannover von der Zustimmung des Central-Ausschusses der Inneren Mission abhängig. Da Grüber die Arbeit im Auftrag der BK leistete, unterhielt der auf Staatsloyalität bedachte Ausschuss keine Kontakte zu ihm30. Zudem äußerte der Geschäftsführer des Landesverbandes der Inneren Mission 26 Huber / Huber, 27

Staat und Kirche, 681. Vgl. Hermle, Bischöfe, 294 f. 28 Vgl. Töllner, Frage, 370 f. 29 Vgl. Hermle, Bischöfe, 295 f.; und Töllner, Frage, 368. 30 Vgl. Hermle, Bischöfe, 296 f.; und Lindemann, „Typisch jüdisch“, 555–558.

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Hannover Alfred Depuhl (1892–1957) die Befürchtung, dass jeder, der Kontakt mit Grüber pflege, „leicht den Stempel einer besonderen Judenfreundlichkeit“ aufgedrückt bekomme31. In Hannover entstand folgerichtig keine Außenstelle des „Büro Grüber“32. 1.3 Theologen mit jüdischen Wurzeln Nicht allein die Hilfe für verfolgte Kirchenglieder jüdischer Herkunft war ein Prüfstein für die Nutzung von Spielräumen, sondern auch das Verhalten gegenüber Pfarrern bzw. Vikaren, die vom ,Arierparagraphen‘ betroffen waren. Obwohl keine der hier vorgestellten Kirchen für Amtsträger einen solchen Paragraphen einführte, wurden in Hannover alle und in Bayern einige Betroffene aus ihren Ämtern entfernt; Württemberg hatte 1938 nur einen Pfarrer, der wegen seiner aus dem Judentum stammenden Ehefrau tangiert war33. Die hannoverschen Pastoren Bruno Benfey (1891–1962)34, Paul Leo (1893–1958)35, Rudolf Gurland (1886–1947)36 und Gustav Oehlert (1893–1965)37 schieden aus dem Dienst ihrer Landeskirche aus; der Vikar Otto Schwannecke (1909–1945) erhielt trotz bestandenem Zweiten Examen keine Stelle38. Bis 1939 waren demnach alle vom ,Arierparagraphen‘ betroffenen Pfarrer der hannoverschen Landeskirche entlassen und der Zugang für entsprechende Theologen verschlossen, wobei nicht allein Schwannecke diese Haltung zu spüren bekam, sondern auch zwei in anderen Landeskirchen unter Druck stehende Theologen, die in Hannover um Aufnahme nachgesucht hatten39. Marahrens sah demnach keinen Spielraum, den bedrängten Amtsbrüdern beizustehen. Nicht die Für­ 31 Nach 32

ebd., 557. Vgl. Hermle, Bischöfe, 296. 33 Vgl. Hermle, Pfarrfamilie. 34 Benfey war schon 1937 zwangsweise in den Ruhestand versetzt worden und konnte, nachdem er im Zuge der ,Reichspogromnacht‘ in ein KZ verbracht worden war, 1939 in die Niederlande fliehen (vgl. Lindemann, „Typisch jüdisch“, 346–495). 35 Leo, der große Unterstützung seitens seiner Kollegen erhalten hatte, wurde zum 1. August 1938 zwangsweise in den Ruhestand versetzt, da Zahlungen für ein Bauprojekt von der Amtsniederlegung Leos abhängig gemacht wurden. Leo emigrierte nach einer Haftzeit nach England (ebd., 496–498). 36 Gurland, ein so genannter Mischling 1.  Grades, erhielt zunächst seitens der Landeskirche Unterstützung, wurde dann jedoch im Mai 1939 – vorgeblich auf eigenen Antrag hin – wegen der sich in seiner Gemeinde aufgrund des Druckes der NS-Lokalgrößen zuspitzenden Situation in den Ruhestand versetzt (Ebd., 498–523 und 570–605, besonders 580–582). 37 Auch Oehlert wurde letztlich „auf Verlangen der Partei […] zwangsweise in den Ruhestand versetzt“ (ebd., 585; vgl. ebd., 582). 38 Vgl. ebd., 524–529; und Hermle, Bischöfe, 282–285. 39 Vgl. ebd., 285.

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sorgepflicht des Arbeitgebers, nicht die brüderliche Verantwortlichkeit bestimmte sein Vorgehen, sondern schlichter Pragmatismus, der dem Druck von z. T. nur lokalen NS-Größen nahezu widerstandslos nachgab. Die Bayerische Landeskirche reagierte flexibler: Wo immer die örtlichen Verhältnisse es zuließen, verblieben betroffene Theologen in ihren Pfarreien, so Pfarrer Georg Wörner (1900–1980), der trotz Verleumdungen wegen seiner aus dem Judentum stammenden Frau Dorothea (1897–1979) in der Pfarrei Groß-Engsee bleiben konnte. Andererseits wurde Pfarrer Ernst Lipffert, auch er war mit einer Frau jüdischer Herkunft verheiratet, aus Partenkirchen wegen der massiven Diffamierungen und der Forderung des Kultusministers auf Abberufung weg versetzt; er konnte bis Kriegsende die Pfarrstelle Himmelkron versehen. Direkt betroffen waren die Pfarrer Hans Werner Jordan (1908–1958) und Julius Steinmetz (1893–1965), die nach Naziterminologie als ,Mischlinge 1.  Grades‘ galten, sowie der als ,Mischling 2.  Grades‘ angesehene Johannes Zwanzger (1905–1999). Da das Bayerische Schulaufsichtsgesetz vom 14. März 1938, das einen ,Arierparagraphen‘ für alle Lehrkräfte verfügte, dem Staat auch eine Handhabe für bereits im Amt stehende Geistliche bot, die in Bayern laut Dienstauftrag Religionsunterricht zu erteilen hatten40, beschloss der Landeskirchenrat im Dezember 1938, die Pfarrer, „die wegen ihrer nichtarischen Abstammung gefährdet sind, in den Wartestand zu versetzen und ihnen die Auswanderung nahezulegen“41. Da sich letzteres nicht umsetzen ließ, wurde Jordan von seinem erst kurz zuvor übernommenen Pfarramt auf den 1. Januar 1939 zum Landesverband der Inneren Mission nach Nürnberg versetzt, wo er die Betreuung der Christen jüdischer Herkunft übernahm, Zwanzger wurde in derselben Funktion in München tätig, so dass beide nun Stellen inne hatten, die von der Erteilung des Religionsunterrichts entbunden waren. Lediglich Steinmetz, der im Übrigen zwischen 1929 und 1933 engagiert auf Seiten der NSDAP stand, wurde in den einstweiligen Ruhestand versetzt42, in welchem er für den Pfarrverein arbeitete und für Kirchengemeinden das Rechnungs­ wesen besorgte. Anfragen andernorts verfolgter Theologen um Aufnahme in den Bayerischen Kirchendienst wurden wegen des genannten Vertrages von 192443 abschlägig beschieden: Werner Sylten (1893–1942) und Ernst Leweck (1893–1953) erhielten Absagen44, während Meiser sich andererseits persönlich für den vertriebenen Superintendenten von Wustermark Carl Günther 40 Vgl. Töllner, 41

Frage, 282–328. Nach: Ebd., 357. 42 Vgl. ebd., 393–416. 43 Vgl. Anm. 26. 44 Vgl. Töllner, Frage, 242–244.

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Schweizer (1889–1965) einsetzte, ihm in München ein Versteck bot und dessen Emigration nach England mit beförderte45. Die Haltung Wurms und der württembergischen Landeskirche ist in zwei Phasen zu gliedern, wobei das Jahr 1941 die Wende markierte: Vorher wurden drei ,nichtarische‘ Theologiestudierende abgewiesen, die um eine Verwendung im württembergischen Kirchendienst nachsuchten, und ebenso erhielten drei andernorts entlassene Pfarrer Absagen46. Damit wies Württemberg in seiner Pfarrerschaft, wie es Wurm formulierte, „keine Semiten“ auf47, und dass dies so blieb, dafür sorgte ein im Herbst 1935 für das Evangelische Stift in Tübingen, der traditionsreichen Theologenausbildungsanstalt, erlassener ,Arier­ paragraph‘48. Einem württembergischen Pfarrer, der mit einer vom Judentum zum Christentum konvertierten Frau verheiratet war, ließ die Landeskirche alle erdenkliche Hilfe für eine Emigration zukommen. In einem persönlichen Schreiben an das Besetzungsgremium einer Schweizer Gemeinde verwandte sich Wurm für den Pfarrer, so dass er mit seiner fünfköpfigen Familie im April 1938 in die Schweiz ausreisen und in St. Gallen ein Pfarramt übernehmen konnte49. Mit dem Amtsantritt von Karl Hartenstein (1894–1952) als Prälat von Stuttgart im Jahre 1941 und im Gefolge einer schweren Erkrankung Wurms50 änderte sich die Haltung der württembergischen Landeskirche und ihres Bischofs einschneidend. Wurm nutzte im Folgenden die bestehenden Spielräume konsequent: Zwei rasseverfolgte Theologen, die ihre Pfarrstellen verloren hatten, und zwei Studierende, die ihr Erstes Examen bestanden hatten, wurden in den württembergischen Pfarrdienst aufgenommen51. Während Marahrens also  – wohl auch unter dem Einfluss der Finanz­ abteilung – keinerlei Spielräume sah, um andernorts verfolgte Theologen mit jüdischen Wurzeln aufzunehmen, und sogar alle Betroffenen der Hannoverschen Landeskirche in den zwangsweisen Ruhestand versetzte, reagierte man in Bayern je nach Lage vor Ort flexibel. Obwohl der Vertrag von 1924 die Spielräume eingeengt hatte, wäre mit etwas Entschlossenheit wohl eine Verwendung 45 Vgl. ebd., 283; Röhm / Thierfelder, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 2/II, 212–224.  – Vgl. Hinweise auf weitere Initiativen Meisers zur Förderung der Auswanderung von Christen jüdischer Herkunft bei Töllner, Frage, 369. 46 Vgl. Hermle, Bischöfe, 286 f. 47 Nach ebd., 286. 48 Vgl. Hermle / Lächele, Landeskirche. 49 Vgl. Hermle, Pfarrfamilie. 50 Vgl. Wurm, Erinnerungen, 159 f. 51 Vgl. Hermle, Bischöfe, 288 f. – Die auch in diesem Zeitabschnitt erfolgten zwei Absagen sind wohl damit zu erklären, dass man keinesfalls die Aufmerksamkeit der staatlichen Behörden oder örtlicher NS-Größen erregen wollte; beiden Abgelehnten wurde eine Bewerbung im Elsass nahe gelegt, wo Einstellungen getätigt würden.

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von verfolgten Theologen auf Stellen, die nicht von diesem Vertrag tangiert waren, möglich gewesen. Wurm hingegen nutzte ab 1941 die sich bietenden Spielräume aus. Mindestens vier vertriebene Theologen jüdischer Herkunft konnten aufgenommen werden. Deutlich wird, dass Spielräume für eine Unterbringung von Theologen mit jüdischen Wurzeln gegeben waren  – so lange die betreffende Person eine Stelle inne hatte, die sozusagen ,innerkirchlich‘ verortet, also nicht von staatlichen Gesetzen tangiert war.

2. Worte und Erklärungen Am häufigsten suchten die Landesbischöfe durch Schreiben und Eingaben an Ministerien oder Parteistellen auf kritikwürdige Entwicklungen Einfluss zu nehmen. Vor allem Wurm und Marahrens wandten sich sowohl im eigenen Namen wie auch als Vorsitzende bzw. Sprecher der Kirchenführerkonferenz oder, im Fall von Marahrens, des Geistlichen Vertrauensrates an Staats- oder Parteistellen. Über die zahlreichen Eingaben, die Fragen und Probleme ihrer eigenen Landeskirche betrafen, hinaus – denen zum Teil gleichwohl reichsweite Bedeutung zukam, wie z. B. der Einführung des Weltanschauungsunterrichts in Württemberg52 – sollen im Folgenden drei Beispiele vorgeführt werden, wie die Landesbischöfe schriftlich Bedenken geltend machten. 2.1. Eingaben an Hitler Mitte Juli 1938 führten die drei Landesbischöfe bei Hitler gemeinsam Beschwerde darüber, dass staatliche Stellen dem Willen „des Führers in den kirchlichen Angelegenheiten“ zuwider handelten, wodurch „die Volksgemeinschaft gefährdet“ sei53. Beklagt wurde, dass das Kirchenministerium die Kirchen zerstören wolle, um „an ihrer Stelle eine sogenannte Nationalkirche zu errichten“; insbesondere wurde darauf abgehoben, man könne „nicht glauben, daß die planmäßige Entrechtung und Zerstörung der Evang. Kirche [… die] Billigung“ Hitlers finde54. Im Dezember 1941 richtete Wurm namens der Kirchenführerkonferenz ein weiteres Schreiben an Hitler: Kritisiert wurden die Missachtung der Ehre der Pfarrerschaft, die „unbegreifliche[n] Maßnahmen gegen die kirchliche Gemeindepresse, gegen den christlichen Religionsunterricht, gegen kirchliche Arbeit und kirchlichen Besitz, gegen kirchliche Bildungs- und Erziehungs 52 Vgl. 53

Schäfer / Fischer, Wurm, 43–90. Schäfer, Dokumentation, Bd. 5, 1001. 54 Ebd., 1002.

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anstalten“ sowie der öffentliche „Kampf gegen das Christentum“55; auch müsse „dem beunruhigenden Gerede, daß nach Kriegsende eine ‚Abrechnung‘ mit den christlichen Kirchen kommen werde“, Einhalt geboten werden56. Hitler wurde gebeten, um „unseres Volkes und um der Gerechtigkeit willen […] dieser ganzen unheilvollen Entwicklung Einhalt zu gebieten“57. Der Kirche müsse „ihre Rechtssicherheit“ wiedergegeben werden58. Nachdem Wurm Anfang Januar 1942 ein weiteres Schreiben in dieser Sache an die Reichsregierung gesandt hatte59, konnte nach einer Rückfrage in der Reichskanzlei in Erfahrung gebracht werden, dass Reichsminister Hans Heinrich Lammers (1879–1962) beide Schreiben zwar Hitler übergeben hatte, dieser jedoch „zu den Eingaben bisher nicht Stellung genommen“60 habe. Wurm schrieb daher am 2. März 1942 erneut einen Brief an Hitler, doch sein Appell, zur „seelischen Entlastung der Heimat“ die Angriffe gegen die Kirchen einzustellen, verhallte wirkungslos61. Zwar werden hier nur Schreiben Wurms erwähnt, doch waren diese typisch für das Vorgehen aller drei Landesbischöfe. Sie erschlossen sich einen Spielraum, indem sie durch an Hitler persönlich gerichtete Schreiben Einfluss auf die Entwicklung zu nehmen suchten. In ihren Protestbriefen bezogen sie sich auf Äußerungen Hitlers zum Verhältnis von Kirche und Staat und stellten die davon abweichenden Vorgehensweisen der Behörden heraus. Insbesondere erhofften sie sich während der Kriegszeit durch den Hinweis auf die Gefährdung der Volksgemeinschaft, Hitler zum Handeln bewegen zu können. Hatten die Landesbischöfe 1934 noch direkt das Ohr von Hitler erreichen können62, so war ihnen dies ab 1938 gänzlich verschlossen: Briefe blieben unbeantwortet, Audienzen bei Hitler – wie z. B. von Landesbischof Marahrens Mitte 1941 erbeten63 – wurden abgelehnt. 2.2. Äußerungen im Zusammenhang der ,Euthanasie‘-Maßnahmen Als die im Herbst 1939 einsetzende ,Euthanasie‘-Aktion bekannt wurde, reagierte Landesbischof Wurm umgehend und mit Abstand am entschlossens 55 Hermle / Thierfelder, 56

Herausgefordert, 552. Ebd., 553. 57 Ebd., 552. 58 Ebd., 553. 59 Vgl. Hermelink, Kirche, 549–551. 60 Ebd., 542. 61 Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 553 f.; Zitat: ebd., 554. 62 Vgl. die Empfänge von Meiser und Wurm im März und von Meiser, Wurm und Marahrens im Oktober 1934 bei Hitler (vgl. ebd., 79 und 84). 63 Vgl. Klügel, Landeskirche, 386.

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ten. Erstmals erwähnt wurde der Sachverhalt in einem Schreiben Wurms an Reichskirchenminister Kerrl vom 6. Juli 1940: Die „Maßnahmen zur Lebensvernichtung, die gegenwärtig auf Anordnung des Reichsverteidigungsrats gegen Pfleglinge der staatlichen und privaten Heilanstalten ergriffen werden“ seien eine „schwere Belastung für viele christliche Kreise“64. Weitere Briefe folgten in kurzen Abständen, so am 19. Juli an Reichsinnenminister Wilhelm Frick (1877–1946), am 25.  Juli an Reichsminister Lammers, am 5.  September erneut an Frick und einen Tag später wiederum an Lammers65. Diese geballten Vorstellungen führten freilich lediglich dazu, dass Lammers Wurm beschied, er möge sich doch an den Reichsgesundheitsführer wenden66, was Wurm auch um­gehend tat. Am 29. September wies er in einem Schreiben an Dr. Leonardo Conti (1900–1945) auf den Widerspruch hin, dass einerseits Luft­angriffe auf Bethel in der Presse „mit dem bethlehemitischen Kindermord verglichen“ und andererseits aus Heilanstalten Pfleglinge abgeholt und getötet würden67. Conti antwortete Wurm am 9.  Oktober, die „Maßnahmen [würden] mit größter Sorgfalt getroffen“ und im Übrigen habe man den Präsidenten der Inneren Mission informiert „und mit ihm besprochen, auf welche Weise die Bedenken gegen eine zu weitgehende Erfassung von Kranken“ ausgeräumt werden könnten68. Wurm richtete im Folgenden noch weitere Eingaben an den Reichsstatthalter in Württemberg und an das Wehrkreiskommando in Stuttgart69. Ob diese Interventionen bei den unterschiedlichsten Regierungsstellen zum vorgeblichen Stopp der Aktion am 24. August 1941 beitrugen, bleibt unklar70. Während Meiser in dieser Angelegenheit zwar beim Bayerischen Reichsstatthalter Franz Ritter von Epp (1868–1946) vorstellig wurde, ansonsten aber schwieg71, bleibt bei Marahrens unklar, ob er über seine Eigenschaft als Vorsitzender des Vertrauensrates hinaus aktiv wurde72. In dieser Funktion 64 Schäfer / Fischer, 65

Wurm, 28. Vgl. Schreiben an Frick vom 19. 7., in: ebd., 119–124; an Lammers vom 25. 7, in: ebd., 124; an Frick vom 5. 9., in: ebd., 125 f.; an Lammers vom 6. 9., in: ebd., 126. 66 Vgl. ebd., 127. 67 Ebd., 127. 68 Ebd., 130. 69 Vgl. ebd., 126 f., 133.  – Auf Wunsch des Oberkommandos der Wehrmacht ließ Wurm zudem eine Denkschrift über „Planwirtschaftliche Maßnahmen in Heil- und Pflegeanstalten“ erarbeiten, in der neben dem Tatbestand auch die psychologische Wirkung der „Euthanasie“Maßnahmen auf die Bevölkerung dargelegt wurde. Wurm betonte, es sei Gott allein, „der uns das Leben gibt“ und darum habe auch er „allein das Recht […], das Leben zu nehmen“ (ebd., 138). 70 Vgl. Nowak, „Euthanasie“, besonders 82 f.; und Klee, „Euthanasie“, besonders 333–344. 71 Vgl. Nicolaisen, Herrschaft, 324; vgl. auch Baier, Kirche, 222–275. 72 Vgl. Melzer, Vertrauensrat, 256.

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unterschrieb er am 16.  Juli 1940 ein an den Chef der Reichskanzlei gerich­ tetes Begleitschreiben zu der berühmten, von Pastor Paul Gerhard Braune (1887–1954) erarbeiteten Denkschrift zu den Krankenmorden73. Das Begleitschreiben empfahl die Denkschrift „zur gefälligen Kenntnisnahme“ – freilich mit der einschränkenden Bemerkung, man sei „nicht in der Lage […], die Angaben im einzelnen nachzuprüfen“74; sollten die beschriebenen Maßnahmen der Wirklichkeit entsprechen, so bitte der deutsche „Protestantismus um vorherige gründliche Prüfung nach der rechtlichen, medizinischen, sittlichen und staatspolitischen Seite“75. Einen großen Handlungsspielraum sah Marahrens offensichtlich nicht und auch Meiser blieb eigenartig stumm. Wurm – von dessen Aktionen Meiser unterrichtet war – nutzte alle Erfolg versprechenden Wege, um seine Stimme gegen das ,Euthanasie‘-Programm zu erheben. An die Öffentlichkeit allerdings, wie es der katholische Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen (1878–1946) getan hatte76, ging er nur insoweit, als am 27.  Juli 1941 in einem Rundbrief sämtliche württembergische Dekanatämter gebeten wurden, ihnen bekannt gewordene Fälle an die Kirchenleitung zu berichten77. Weshalb Wurm nicht öffentlich Stellung nahm, wird noch zu analysieren sein. 2.3 Interventionen angesichts der Shoa So engagiert sich vor allem Wurm gegen die ,Euthanasie‘-Maßnahmen zu Wort gemeldet hatte, so beschämend stumm blieben letztlich alle drei Landes­ bischöfe angesichts der Verbrechen, die mit der Diskriminierung und Verschleppung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Deutschland begann und schließlich in den Vernichtungslagern des Ostens endete. Wieder war es Wurm, der ab November 1941 immerhin in einigen Eingaben die Frage aufwarf, ob die „harten Maßnahmen gegen die Nicht-Arier“ nicht „innere Gegensätze“ aufrissen, die „unverantwortlich und volksschädlich“ seien78. Allerdings: Die Mehrzahl der Eingaben betraf die Situation der aus dem Judentum stammenden Kirchenglieder. So stellte Wurm in einem Brief an den Reichs­ kirchenminister vom 12. März 1943 das Schicksal dieser Christen heraus und beklagte, dass neuerdings „auch die in Mischehen mit christlichen Deutschen 73 Vgl. 74

Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 631–637. Klügel, Landeskirche. Dokumente, 174. 75 Ebd., 175. 76 Vgl. Gruber, Kirche, 435–449. 77 Vgl. Schäfer / Fischer, Wurm, 124. 78 Schreiben an Goebbels vom 10. 11. 1941 und an Hitler vom 9. 12. 1941, in: ebd., 158.

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lebenden, teilweise selbst einer christlichen Kirchen angehörenden Juden aus Haus und Beruf herausgerissen und in den Osten abtransportiert“ würden79. Für die in Mischehen lebenden Juden intervenierte Wurm erneut gegenüber dem Reichsinnenministerium am 14. März80 und in einem Schreiben an Hitler vom 16. Juli 1943 beklagte er die Maßnahmen gegen „die bisher noch verschont gebliebenen sogenannten privilegierten Nichtarier“ sowie „die gegen die anderen Nichtarier ergriffenen Vernichtungsmaßnahmen“  – sie stünden „im schärfsten Widerspruch zu dem Gebot Gottes“81. Im Blick auf die Mischehen wandte sich Wurm dann nochmals am 20. Dezember 1943 an Lammers82, und als die „nichtarischen Ehegatten in gemischten Ehen“ Anfang 1945 zu einem Einsatz in der Organisation Todt befohlen wurden, protestierte er beim württembergischen Reichsstatthalter Wilhelm Murr (1888–1945) gegen die damit gegebene Zerstörung der christlichen Ehe83. Marahrens erhob seine Stimme nur, als die deutsch-christlichen Landes­ kirchen im Februar 1939 per Gesetz verboten, dass Juden „Mitglieder der evangelischen Landeskirche“ werden konnten84 und erst im Kontext der gerüchteweise drohenden Zwangsscheidungen von Ehen zwischen ,Ariern‘ und ,Nichtariern‘ meldete sich Marahrens im Januar 1943 erneut zu Wort. In einem Protestschreiben an Reichsinnenminister Frick erinnerte er an die Unverbrüchlichkeit der Gebote Gottes85. Meiser blieb – abgesehen von seiner ausdrücklichen Zustimmung zu Wurms Schreiben an Hitler vom 16.  Juli 1943  – in dieser Sache stumm. Sogar als ihm im April 1943 durch einen Laienkreis86 in München ein Papier vorgelegt wurde, das ein öffentliches Wort der Kirche angesichts der Vernichtungsmaßnahmen forderte, sah er sich hierzu nicht in der Lage87. Meiser stimmte zwar mit dem Inhalt dieser „Osterbotschaft Münchner Laien“ weitgehend überein, doch aus Sorge um die Integrität der kirchlichen Organisation und weil er fürchtete, eine öffentliche Äußerung könnte – wie in den Niederlanden88 – das Vorgehen des Staates eher noch verschärfen, blieb er zurückhaltend. Er leitete den Text an Wurm weiter, der daraufhin das oben schon erwähnte Schreiben 79 Ebd., 80

160 f. Vgl. ebd., 162 f. 81 Ebd., 164 f. 82 Vgl. Hermelink, Kirche, 656–658. 83 Schäfer / Fischer, Wurm, 170. 84 Vgl. Röhm / Thierfelder, Juden – Christen – Deutsche, Bd. III/2, 15. 85 Vgl. Lindemann, „Typisch jüdisch“, 659 f. – Abgedruckt in: Klügel, Landeskirche. Dokumente, 202 f. 86 Vgl. Hochstädter, Lemppscher Kreis. 87 Vgl. Töllner, Frage, 162 f. 88 Vgl. Röhm / Thierfelder, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 4/I, 464–466.

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an Hitler abfasste89, von dem Meiser wohl unterrichtet war und dem dieser auch zustimmte. Bedenkt man, dass in einigen der Schreiben Wurms deutlich antijudais­ tische, ja teilweise sogar antisemitische Untertöne mitschwangen, so ist herauszustellen, dass die drei Landesbischöfe angesichts der beginnenden Shoa und der verschärften Verfolgungsmaßnahmen für sämtliche „Nichtarier“ in Deutschland bei weitem nicht die ihnen gebotenen Spielräume ausschöpften. Marahrens wie Meiser fürchteten um den Bestand ihrer Landeskirchen und wurden primär dann aktiv, als die der Kirche angehörenden Christen jüdischer Herkunft in besonderer Weise betroffen waren; Wurm versuchte durch seine Eingaben die Regierenden auf die Unrechtmäßigkeit ihres Tuns zu verweisen. Dabei erinnerte er nicht allein an die Gebote Gottes, die ein solches Tun strikt verboten, er verwies auch auf die Auswirkungen auf das Volk, die letztlich die Wehrfähigkeit untergraben mussten. Inwieweit diese Äußerungen taktisch gemeint waren oder seiner tatsächlichen Überzeugung entsprachen, kann kaum entschieden werden. 2.4 Schweigen als angemessene Wahrnehmung des Spielraums? Dass nicht nur Reden eine gebotene Option für die Landesbischöfe sein konnte, sondern auch Schweigen, wird ersichtlich, wenn man die während der Zeit des Nationalsozialismus verbreitete Neigung in Rechnung stellt, insbesondere Hitler gegenüber durch Gruß- und Ergebenheitsadressen Verbundenheit und Unterstützung zum Ausdruck zu bringen bzw. sich Wohlwollen zu sichern. Ab Mitte der 1930er Jahre wiesen die Landesbischöfe Marahrens, Meiser und Wurm die Pfarrer ihrer Landeskirchen regelmäßig an, entsprechend der jahrhundertelang üblichen Fürbitten für den Landesherrn90 nun Hitlers anlässlich dessen Geburtstag am 20. April fürbittend zu gedenken91. In besonderer Weise sollte Hitlers 50. Geburtstag begangen werden: Neben den Für­bitten im 89 Vgl. 90

oben Anm. 81. Vgl. Schulz, Gebet, 75. 91 Beispielsweise lautete die für den Gottesdienst am 17. 4. 1938 in Württemberg vorgeschlagene Einfügung: „Wir gedenken heute vor dir besonders unsres Führers und bitten dich: schenke ihm auch für das neue Lebensjahr, in das er in dieser Woche eintritt, Gesundheit und Kraft. Leite ihn durch deinen Geist und segne sein Werk zum Besten unsres Volkes“ (LKA Stuttgart, Erlasssammlung). Vgl. weitere Erlasse z. B. vom 15. 5. 1935 oder vom 13. 4. 1937 (LKA Stuttgart, A 126 Best.-Nr. 1750).  – Für die Hannoversche Landeskirche vgl. z. B. den Wochenbrief Marahrens’ vom 20. 4. 1938 (LKA Hannover, Wochenbriefe D. Marahrens IV–VI 1937–39); oder: Kirchliches Amtsblatt für die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers vom 21. 4. 1938. – Für Bayern vgl. z. B. Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern rechts des Rheins Nr. 11 vom 14. 4. 1938, 55.

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Sonntagsgottesdienst92 bzw. in speziellen Gottesdiensten93 war für den 20. April 1939 „angeordnet, die Kirchenglocken zu läuten“94. Während des Krieges wurde diese Übung zunächst beibehalten: 1940 bis 1942 wurde – dann auch auf Anregung des Geistlichen Vertrauensrates hin95 – in den Fürbitten des „Führers“ gedacht und am 20.  April die Glocken geläutet96. 1943 jedoch änderte sich diese Gepflogenheit zumindest in Württemberg einschneidend: Als die Kirchenführerkonferenz, der Marahrens vorsaß, im Frühjahr 1943 in Abwesenheit Wurms über ein Telegramm an Hitler zu dessen Geburtstag beriet, wandte sich der württembergische Landesbischof in ungewöhnlich schroffem Ton an Marahrens und erklärte ultimativ, angesichts der „entschlossene[n] Feindseligkeit [des NS-Regimes] gegen den Dienst der Kirche“ verstoße diese mit einer „Ergebenheitskundgebung“ „gegen die Ehre ihres Herrn und gegen ihre eigene 92 Vgl. für Württemberg Erlass vom 15. 4. 1939 (LKA Stuttgart, A 126 Best.-Nr. 1760). – Für Hannover vgl. Rundverfügung vom 17. 4. 1939 (LKA Hannover, Rundverfügungen [1938–40]) sowie Kirchliches Amtsblatt für die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers vom 6. 4. 1939: „Der 20. April dieses Jahres ist für uns alle ein Tag besonderen Gedenkens. Adolf Hitler, der unbekannte Soldat des Weltkriegs, der als unser Führer die Fesseln von Versailles von unserm Volk abgeschüttelt und auch seine Heimat wieder in den Verband des Reiches zurück­ geführt hat, vollendet das 50. Lebensjahr. Daß ihm der allmächtige Gott bis zu dieser Stunde Leben und Gesundheit bewahrt hat, daß Er ihm Kraft gegeben hat, die Last der Verantwortung für 80 Millionen Menschen zu tragen, daß die Aufbauarbeit dieser Jahre durch die Erhaltung des Friedens an unsern Grenzen möglich geworden ist, und zwar inmitten einer Welt von Feinden, denen jedes Mittel recht schien, Deutschlands Aufstieg zu hemmen, diese große Erfahrung der letzten Jahre erfüllt jedes deutsche Herz in dieser Stunde mit tiefer Dankbarkeit. […] Darum ist unser gemeinsames Gebet, daß Gott dem Führer weiterhin Kraft und Gesundheit, Weisheit des Herzens und treue Ratgeber schenke, das ihm aufgetragene Werk zum Segen für unser Volk zu vollenden. […]“. – Für Bayern vgl. Hermelink, Kirche, 663–665. 93 Vgl. Kirchliches Amtsblatt für die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers vom 18. 4. 1939. 94 Ebd. – Vgl. für Bayern Erlass Nr. 4409 vom 15. 4. 1939 (LAELKB Nürnberg, LKR 1978). 95 Vgl. Melzer, Vertrauensrat, 190. 96 Vgl. für Württemberg Erlasse vom 16. 4. 1940, 17. 4. 1941 (LKA Stuttgart, A 126 Best.-Nr. 1761) und 17. 4. 1942 (LKA Stuttgart, Erlasssammlung).  – Für Hannover vgl. Kirchliches Amtsblatt für die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers vom 18. 4. 1940 oder 17. 4. 1941. – Für Bayern vgl. Erlass Nr. 3786 vom 15. 4. 1940 (LAELKB Nürnberg, LKR 1978), Erlass vom 16. 4. 1941 (ebd.), Erlass Nr. 2634 vom 15. 4. 1943 (ebd.). Es ist anzunehmen, dass 1942 die Ausfertigung eines Erlasses wohl vergessen wurde; jedenfalls findet sich im landeskirchlichen Archiv keine Textvorlage und da in den Folgejahren stets wieder eine Fürbitte angeordnet wurde, unterblieb diese 1942 wohl nicht aus grundsätzlichen Erwägungen. Zudem findet sich im bayerischen Kirchlichen Amtsblatt vom 5. 8. 1943 im Zusammenhang von Fürbittengebeten für vom Luftkrieg Betroffene noch ein knapper Gebetsvorschlag: „Wir bitten dich auch für den Führer unseres Volkes. Sei ihm mit deiner Gnade nahe. Schenke ihm rechten Rat und Tat zur rechten Zeit, und hilf, daß in allem dein heiliger Wille geschehe.“ (nach Hermelink, Kirche, 665). Im Übrigen irrt Hermelink, wenn er konstatiert, von „1942 ab wird der Geburtstag des Führers nicht mehr erwähnt“ (ebd.).

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Ehre“97. Er, Wurm, werde daher „so öffentlich als es irgend möglich ist, ohne Furcht vor etwaigen Folgen, dagegen Einspruch erheben“98. In Württemberg sind ab 1943 keine Erlasse mit Fürbitten anlässlich des Geburtstages von Hitler mehr nachweisbar99. In Bayern finden sich hingegen bis 1944 regelmäßig Aufforderungen an die Pfarrer, „des Führers in besonderer Weise“ in der Fürbitte zu gedenken und ab 1939 zudem die Anweisung, „mit allen Glocken“ zu läuten100. Ein signifikantes Schweigen ist in Württemberg – wie in Bayern – anlässlich des Attentats vom 20. Juli 1944 festzustellen. Hatte der Stuttgarter Oberkirchenrat – wie das Münchner Landeskirchenamt101 – noch 1939 nach dem gescheiterten Anschlag auf Hitler102 die Pfarrämter angewiesen, im Gottesdienst „dem Dank gegen Gott für sein gnädiges Bewahren Ausdruck zu geben“ und Gott zu bitten, er möge „seine schützende Hand auch fernerhin über dem Führer und unsrem Volke halten“103, so fehlen in beiden süddeutschen Landeskirchen 1944 entsprechende Anweisungen104. Ganz im Gegensatz zur hannoverschen Landeskirche, wo nach der „Bewahrung des Führers“ 1939105 auch 97 Schäfer / Fischer, 98

Wurm, 323. Im Sommer desselben Jahres bemerkte Wurm wiederum gegenüber Marahrens, wenn man ein Wort an die Regierung richten wolle, dann müsse darin auch zum Ausdruck kommen, dass Jesus Christus „heute im deutschen Volke totgeschwiegen“ und statt seiner ein „Gott des Blutes und der Rasse … angebetet“ werde. Zudem sei zu bedenken, dass man schon oft „Erklärungen von uns gefordert [habe], die so etwas wie einen Umschwung an höchster Stelle bewirken sollten! Es war immer Gefasel“ (Ebd., 328). 99 Im Juli 1943 wurden die theologischen Arbeitsgemeinschaften der württembergischen Pfarrer angewiesen, „sich mit dem Problem der Fürbitte zu beschäftigen“. In einer Beilage zum württembergischen Amtsblatt vom 27. 7. 1943 hieß es lediglich: „Lasset uns in der Stille Fürbitte tun für unser Volk und Land und für diese Gemeinde … Regiere mit deinem Geist alle, die regieren; laß sie denken und tun, was zu des Volkes Heil gereicht“ (Hermelink, Kirche, 665). 100 Erlass Nr. 4409 vom 15. 4. 1939 (LAELKB Nürnberg, LKR 1978); vgl. ferner Anm. 95. Ein entsprechender Erlass wurde im April 1944 in Ansbach, wohin das Landeskirchenamt wegen der Kriegsereignisse ausgewichen war, ausgefertigt, doch trägt der Entwurf den handschriftlichen Vermerk „unterbleibt“; er wurde „zu spät von der Reg[istratur] vorgelegt“ – so ein zweiter Vermerk. Offensichtlich war demnach eine Veröffentlichung vorgesehen, sie unterblieb jedoch aus termin­ lichen Gründen (ebd.). 101 Vgl. Erlass Nr. 12965 vom 9. 11. 1939 (LAELKB Nürnberg, LKR 1978). 102 Vgl. Steinbach / Tuchel, „Krieg“. 103 Erlass vom 9. 11. 1939 (LKA Stuttgart, A 126 Best.-Nr. 1760). – Auch der Geistliche Vertrauensrat dankte in einer Erklärung im Zusammenhang des gescheiterten Attentats auf Hitler für die „gnädige Bewahrung“ des Führers (Melzer, Vertrauensrat, 189). 104 Vgl. Schäfer / Fischer, Wurm, 350–354, besonders 354; und Schreiben des Landeskirchlichen Archivs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Nürnberg, an den Verfasser vom 19. 12. 2008. 105 Kirchliches Amtsblatt für die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers vom 10. 11. 1939; vgl. auch Wochenbrief Marahrens’ vom 14. 11. 1939 (LKA Hannover, Wochenbriefe D. Marahrens IV–VI 1937–39).

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vollmundig für dessen „gnädige Errettung“ 1944 gedankt und im Amtsblatt folgendes Kirchengebet angeordnet wurde: „Heiliger barmherziger Gott! Von Grund unseres Herzens danken wir Dir, daß Du unserm Führer bei dem verbrecherischen Anschlag Leben und Gesundheit bewahrt und ihn unserem Volke in einer Stunde höchster Gefahr erhalten hast. In Deine Hände befehlen wir ihn. Nimm ihn in Deinen gnädigen Schutz. Sei und bleibe Du sein starker Helfer und Retter […]“106.

Die zunehmende Skepsis Wurms – und wohl auch Meisers – gegenüber kirchlichen Kundgebungen an die Reichsregierung wird in zwei Einsprüchen gegen Voten von Marahrens107 deutlich: Letzterer hatte in seiner Eigenschaft als Mitglied des Geistlichen Vertrauensrates nach der Judensternverordnung im September 1941 eine Erklärung mitunterzeichnet, derzufolge die Landeskirchen dafür Sorge tragen sollten, „daß die getauften Nichtarier dem kirchlichen Leben der deutschen Gemeinde fernbleiben“108. Wurm und Meiser kritisierten diese Äußerung. Meiser beispielsweise bat Marahrens klarzulegen, ob der Geistliche Vertrauensrat „tatsächlich seine Zustimmung zu dem empörenden Rundschreiben gegeben habe und wenn ja, mit welcher biblischen und theologischen Begründung“109. Äußerungen in den – stets staatsloyalen – Wochenbriefen, die Marahrens zwischen September 1934 bis zur Amtsniederlegung 1947 schrieb110, riefen Interventionen Wurms hervor. Beispielsweise kritisierte 106 Kirchliches

Amtsblatt für die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers vom 21. 7. 1944; vgl. auch Wochenbrief Marahrens’ vom 24. 7. 1944 [LKA Hannover, Wochenbriefe D. Marahrens]. – Eine entsprechende Anregung hatte auch der Geistliche Vertrauensrat, dessen Mitglied Marahrens ja war, an die Landeskirchen gerichtet; zudem wurde an Hitler eine Treue­ kundgebung gesandt: In den evangelischen Kirchen werde „im Gebet der Dank zum Ausdruck kommen für Gottes gnädigen Schutz und seine sichtbare Bewahrung“ (nach: Melzer, Vertrauensrat, 195). Dieses Votum reiht sich im Übrigen in eine ganze Reihe vergleichbarer Ergebenheits­ adressen dieses Gremiums ein: Anlässlich des Kriegsbeginns im September 1939 wurde die Verbundenheit von Kirche und Volk betont (vgl. Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 548) und zum Ende des Polenfeldzuges für die „Ernte“ „auf den polnischen Schlachtfeldern“ gedankt (ebd., 549). Nach einer Erklärung, „die den Krieg gegen die Sowjetunion zu einem Kreuzzug hochstilisierte“ (Melzer, Vertrauensrat, 194; Text in: Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 550 f.) folgten 1942 noch Worte zum Jahrestag des Kriegsbeginns und 1943 zum zehnten Jahrestag der Machtübernahme (vgl. Melzer, Vertrauensrat, 194). 107 Deutlich wird, dass Wurm und Meiser seit der im Sommer 1939 durch Marahrens geleisteten Unterschrift unter die Godesberger Erklärung (vgl. Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 466 f.) Distanz zu ihrem Amtsbruder hielten (vgl. Schäfer / Fischer, Wurm, 320 f.). 108 Melzer, Vertrauensrat, 264; vgl. Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 654. 109 Beier, Kirche, 231. 110 Durch diese habe Marahrens „in großer Treue und Regelmäßigkeit die Verbindung [… zwischen Landesbischof und] allen Amtsbrüdern“ hergestellt (Ködderitz, Marahrens, 104). – Vgl. jetzt die Edition dieser Briefe: Kück, Lage.

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er den Wochenbrief vom 20. Juli 1943 massiv, in dem Marahrens im Zusammenhang mit den „Terrorangriffe[n] auf Barmen und Elberfeld“ von der Bitte an Gott sprach, er möge „unseren Herzen die rücksichtslose Entschlossenheit schenken“, damit „dieser Krieg […] in unbeirrbarer Hingabe frei von aller Sentimentalität geführt werden“ könne111. Wurm entgegnete, dieser Brief habe bei ihm und seinen „Mitarbeitern tiefe Bestürzung hervorgerufen“, zumal in ihm „kein Wort in der Richtung der Buße geredet“ werde: Dies sei „kein Wort der Kirche“112. Während Marahrens und Meiser in der gesamten Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft an Fürbitten für Hitler festhielten und Marahrens 1944 ein Dankgebet anlässlich des gescheiterten Attentats vom 20. Juli anordnete, sah Wurm ab 1943 keine Möglichkeit mehr, Hitlers fürbittend zu gedenken. In einem öffentlichen Gebet müsste auch benannt werden, dass sich der „Führer“ offensichtlich von den Geboten Gottes abgewandt hatte; da dies nicht möglich war, wurde auf die Fürbitte verzichtet. Politisch bedeutsam war das bewusste Schweigen der süddeutschen Landeskirchen im Gefolge des gescheiterten Atten­tats 1944.

3. Grenzen Insbesondere an Wurms Aktivitäten lassen sich die Grenzen der Spielräume, die den Landesbischöfen seitens der NS-Machthaber gesetzt waren, klar erkennen. Auch wenn Wurm diese nur teilweise vor Augen gestanden haben mögen, so wurde ihm im März 1944 die Grenze unmissverständlich aufgezeigt. In einem an Deutlichkeit nicht zu überbietenden Schreiben untersagte ihm der Chef der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers, kategorisch weitere Eingaben an die Reichsregierung: Die Reichsregierung sei ihm wegen seines Alters und seiner Erkrankung „stets mit äußerster Schonung entgegengetreten“113. Nachdem jedoch mehrfach Äußerungen Wurms im Ausland publik gemacht und durch die Feindpropaganda verwertet worden seien, werde er nunmehr „nachdrücklich“ ermahnt, er möge „sich in Zukunft auf das peinlichste in den durch Ihren Beruf gezogenen Grenzen […] halten und Ausführungen zu Fragen der allgemeinen Politik […] unterlassen“114. Besonders erregten Lammers einzeln aufgeführte Äußerungen Wurms, die den Weg ins Ausland gefunden hatten. 111 Nach: 112

Schäfer / Fischer, Wurm, 325. Ebd.  – Vgl. weitere Schreiben mit Kritik Wurms an Plänen von Marahrens, ebd., 328 f., 329 f. 113 Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 584. 114 Ebd., 585.

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Unter diesen hatten drei besonderes Aufsehen erregt: Zum einen wurde eine Rede Wurms vor dem Württembergischen Landeskirchentag vom September 1941, in der die Kürzung der Staatsleistungen, die Gefährdung des Religionsunterrichtes und der Entzug kirchlicher Gebäude sowie der allgemeine Kampf gegen das Christentum beklagt wurde115, in Auszügen im St. Gallener Tagblatt veröffentlicht116 sowie über den Sender London in englischer Übersetzung verlesen117. In einem Schreiben des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD an Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop (1893–1946) vom 12. April 1942 wurde diese Rede „als evangelisches Gegenstück zu den bekannten Hetzpredigten des katholischen Bischofs Galen von Münster“ bezeichnet118. Sodann wurde der bereits genannte Brief Wurms an Hitler vom 16. Juli 1943119 am 29. September vom Rundfunksender London in norwegischer Sprache ver­ breitet – auch dies blieb natürlich nicht unbemerkt. Insbesondere schlug ein von Wurm am 1.  April 1942 an Josef Goebbels gerichtetes „Offenes Wort“ hohe Wellen. In diesem beklagte Wurm vor allem, dass die gesamte kirchliche Presse unterdrückt werde, während „antichristliche Literatur in Massen auf den Markt geworfen und an die Front geschickt werden“ könne120. Dieser Text wurde über Radio London verbreitet121, eine schwedische Übersetzung erschien in der demokratischen Wochenzeitung „Trots Alls“ am 17. Dezember 1942122, weitere Veröffentlichungen erfolgten im Januar 1943 „in deutscher, italienischer, französischer und englischer Sprache“123. Durch diese Publikationen veranlasst, richtete Staatssekretär Hermann Muhs (1894–1962), der nach dem Tod von Kirchenminister Kerrl die Geschäfte des Kirchenministeriums führte, am 19. Februar 1943 ein Schreiben an den Reichsjustizminister, in dem er die Veröffentlichung des „Offenen Briefes“ in der schwedischen Wochenzeitung anzeigte und heraushob, das Verhalten Wurms verdiene „die schwerste Mißbilligung“124. Sei es schon nicht verständlich, dass so ein Text überhaupt geschrieben werden konnte, während „das deutsche 115 Vgl. 116

Schäfer / Fischer, Wurm, 256–262. Vgl. ebd., 265. 117 Vgl. PA AA Berlin, Bestand R 98. 799 Abt. Inland I-D Deutschland, Kirche 2/3. 118 Ebd. 119 Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 662–664. 120 Ebd., 581. 121 Vgl. PA AA, Bestand R 98. 799 Abt. Inland I-D Deutschland, Kirche 2/3, Schreiben vom 3. 1. 1942. 122 Vgl. BA Berlin, R 55/21 405; Artikel in Kopie in ebd., R 3001/24008 Fiche 1. 123 So zählte Lammers in seinem oben erwähnten Schreiben auf (Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 584). 124 BA Berlin, R 3001/24008.

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Volk geschlossen in allen Teilen der Welt in dem schwersten Abwehrkampf um seine Existenz steht“, so sei eine Weitergabe an das Ausland gänzlich untragbar. Dieses Vorgehen lasse „jede Rücksichtnahme auf die Interessen des Reiches und Staates vermissen“, es könne „nur unter dem Gesichtspunkt einer volksfeindlichen und an Landesverrat grenzenden Handlungsweise beurteilt werden“. Diese Anregung aufnehmend richtete Reichsjustizminister Otto Thierack (1889–1946) am 27.  Februar 1943 ein Schreiben an den Leiter der Parteikanzlei, Martin Bormann (1900–1945), und unterrichtete ihn, dass er wegen des „Offenen Briefes“ und dessen Publikation im Ausland ein Verfahren gegen Wurm eröffnen wolle, da sich dieser „eines Verbrechens nach § 90 f StGB schuldig gemacht“ habe125. Ehe er die Angelegenheit „an den Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof zur weiteren Veranlassung abgebe“, bitte er um Mitteilung, „ob der Führer die Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Landesbischof Wurm billigt“. Drei Wochen später ließ Bormann dem Minister „Durch Boten!“ knapp und lapidar mitteilen, dass der Führer aus politischen Gründen derzeit nicht wünsche, dass Anklage erhoben werde126. Aufschlussreich über die sich den Landesbischöfen bietenden Spielräume und deren Grenzen sind Unterlagen des Reichsministeriums für Propaganda und Volksaufklärung. Hier findet sich in einer Lagebeurteilung für den Minister vom 19. November 1941 die Feststellung, dass die Bischöfe beider Konfessionen derzeit die Reichsbehörden mit Eingaben überschütteten. Im Blick auf Wurm wird festgehalten, „der Ruhm seines schwarzen Kollegen, des Bischofs von Galen“, lasse ihn „nicht ruhen“127. Offensichtlich sei ein „Wettrennen dieser Konfessionellen um den Titel eines Landesverräters Nr.  1“ entbrannt. Künftig sollten keine Antworten mehr gegeben werden. Diese Marschroute, kirchliche Eingaben nicht mehr zu beantworten, wurde zwar nicht strikt durchgehalten, doch zeigt sich an verschiedenen Briefwechseln des Jahres 1942, wie diese Vorgabe zunehmend umgesetzt wurde. Hatte Wurm auf eine Klage wegen der Unterdrückung des christlichen Schrifttums, die er am 15.  Januar 1942 an das Propagandaministerium richtete128, noch eine kurze Antwort erhalten, so war in einem Aktenvermerk auf eine Replik Wurms vom 125 Ebd.  – Vgl. Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches vom 26. 2. 1876; § 90, der auf Spionage für den Feind lebenslängliche Zuchthausstrafe vorsah, erfuhr am 24. 4. 1934 durch Hinzufügung eines § 90a eine umfangreiche Erweiterung (vgl. Reichsgesetzblatt Teil I Nr. 47 vom 30. 4. 1934, 341–343). 126 Schreiben vom 19. 3. 1943, BA Berlin, R 3001/24008. 127 BA Berlin, R 55/21405. 128 Vgl. ebd.

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29. April festgehalten, Wurm habe sich wie erwartet mit der knappen Antwort nicht zufrieden gegeben. Nunmehr solle freilich „keine weitere Antwort“ erfolgen, „Daher z. d. A.“, also „zu den Akten“129. Der staatsfeindliche Charakter, der diesen Schreiben zugemessen wurde, wird in einer Notiz des Reichs­ propaganda-Amtes Niederschlesien vom 15. Mai 1942 deutlich. Wieder wird auf das „Offene Wort“ Wurms an Goebbels hingewiesen, das in kirchlichen Kreisen zirkuliere und weit verbreitet sei; es könne nur als eine „absolut tendenziöse“ Ausführung eingeschätzt werden und sei „dazu angetan, weite Volkskreise zu beunruhigen“130. Weitere Grenzen sind da greifbar, wo den Landesbischöfen Rede- und Aufenthaltsverbote erteilt wurden. Marahrens beispielsweise wurde im April 1935 in Darmstadt verhaftet und aus Hessen ausgewiesen, 1936 ereilte ihn dasselbe Schicksal in Lübeck, 1937 in Thüringen131 und 1939 in Dresden132. Hinzu­ weisen ist zudem auf ein gegen Wurm verhängtes Aufenthaltsverbot in Hessen, das ihm eine Teilnahme an der Evangelischen Woche in Darmstadt im April 1937 unmöglich machen sollte133. Zu weiteren Ausweisungen kam es 1939 im Umfeld der Veranstaltungen für die anvisierten Kirchenwahlen134: Wurm und Meiser wurden aus Sachsen und Thüringen ausgewiesen135. Auf Meisers Protest gegen das Aufenthaltsverbot in Sachsen wurde ihm von Reichsstatthalter Martin Mutschmann (1879–1947) beschieden, er lege auf die Predigt Meisers „absolut keinen Wert“, man habe „es nicht nötig, uns von Ihnen Ammenmärchen erzählen zu lassen“136. Das Bewusstsein, dass es für das eigene Handeln eine vom Staat gesetzte Grenze gibt, deren Überschreiten vom Staat auch geahndet werden würde, zeigt sich auch daran, dass sich in Bayern Mitte 1937 die Situation so zugespitzt hatte, dass Meiser offensichtlich damit rechnete, verhaftet zu werden. Es wurde deshalb in den entsprechenden Gremien für den Fall einer Verhaftung des Landesbischofs die Bischofsstellvertretung geregelt. Festgehalten wurde, dass Pfar 129 Der 130

Aktenvermerk stammt vom 11. 5. und findet sich ebd. Ebd. 131 Vgl. Klügel, Landeskirche, 279. 132 Vgl. ebd., Dokumente, 219; und Ködderitz, Marahrens, 92. 133 Vgl. BA Berlin, R 58/5723. – Wurm war freilich nicht bereit, sich dieser Verfügung vom 1. 4. zu fügen, vielmehr unterrichtete er das Ministerium für die Kirchlichen Angelegenheiten, „daß er aus grundsätzlichen Gründen nicht in der Lage sei, sich einem solchen Verbot zu unterwerfen“ (ebd.). Wurm reiste daraufhin nach Darmstadt, fand jedoch die Kirchen verschlossen. So konnte er nur im Saal des Stadtmissionshauses am Schluss des regulären Gottesdienstes eine Ansprache an die Gemeinde halten. 134 Vgl. Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 268–271. 135 Vgl. Hermelink, Kirche, 396. 136 Ebd., 397.

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rer Wilhelm Bogner (1897–1946), seinerzeit Dekan in Augsburg, für den Fall einer „Verhaftung oder Verhinderung“ des Landesbischofs „mit der Bischofsstellvertretung beauftragt“ werden sollte137. Ein letzter Punkt, wo den Landesbischöfen Grenzen ihrer Spielräume deutlich wurden, zeigt sich nicht nur in der 1941 ergangenen Anordnung, fast alle kirchlichen Publikationsorgane einzustellen138, sondern auch im Verbot einzelner Veröffentlichungen durch NS-Behörden. Zwei Beispiele mögen dies ver­ anschaulichen: Als Wurm im April 1939 allen Pfarrern einen Aufruf gegen den durch das Kultusministerium eingeführten, das nationalsozialistische Gedankengut aufnehmenden Weltanschauungsunterricht zugehen ließ, der in den Gottesdiensten verlesen werden sollte, untersagte der Unterabschnitt WürttembergHohenzollern des Sicherheitsdienstes der Reichsführung SS dieses Unterfangen. Doch trotz der „Androhung einer Geldstrafe in Höhe bis zu RM 1000,–“ – so hieß es in einem Lagebericht über das erste Vierteljahr des Jahres 1939 – haben „rund 650 Geistliche die Verkündigung“ verlesen139. Auch der Versuch, im Mai desselben Jahres durch ein in einer Auflage von 24.000 Exemplaren gedrucktes Flugblatt gegen den Weltanschauungsunterricht zu protestieren, wurde zu vereiteln versucht. Die Geheime Staatspolizei stellte am 12. Mai die Flugblätter sicher, doch der „Inhalt […] wurde am Sonntag in allen evangelischen Kirchen verlesen“140. Auffallend ist, dass in dem von Heinz Boberach herausgegebenen Band über die Berichte des SD und der Gestapo über Kirchen und Kirchenvolk die uns interessierenden Bischöfe namentlich nur selten – und wenn, dann vor allem in den Jahren bis zum Kriegsausbruch141 – erwähnt sind. Das Zurücktreten der evangelischen Landesbischöfe gegenüber ihren katholischen Amtskollegen entspricht der Tendenz der Berichte, primär die Situation in der katholischen Kirche darzustellen und zu analysieren. Der Katholizismus galt als geschlossenerer und weit entschiedenerer Gegner als die evangelische Kirche. 137 Nicolaisen, 138

Herrschaft, 316. Vgl. Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 578–580. 139 Schäfer, Dokumentation, Bd. 6, 293. 140 Ebd., 295. – Überhaupt zeigt sich in den wenigen erhaltenen Berichten des SS-Sicherheitsdienstes, dass eine sehr genaue Überwachung der evangelischen Kirche stattfand. So werden beispielsweise die Aktivitäten des für den Bereich Religionsunterricht zuständigen Stuttgarter Oberkirchenrats Reinhold Sautter (1888–1972) akribisch aufgeführt und auch entsprechende Äußerungen Wurms sind genau dokumentiert. Auch Aufrufe, die von landeskirchlicher Seite an die Eltern ergingen, sind festgehalten: „Kein evangelisches Kind in den Weltanschauungsunterricht, denn dieser ist widerbiblisch, widerkirchlich, widerchristlich“ (ebd., 294). 141 Vgl. Boberach, Berichte, hier das Personen-, Orts- und Sachregister für Marahrens 991, für Meiser 992 und für Wurm 1020.

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Die Spielräume der Landesbischöfe hinsichtlich schriftlicher Verlautbarungen erscheinen relativ groß, solange im engeren Sinn kirchliche Angelegenheiten verhandelt wurden; so wurden z. B. die Wochenbriefe Marahrens’ zwar im Kirchenministerium und auch durch den Sicherheitsdienst der SS gelesen142, doch Beanstandungen gab es – von einer Petitesse abgesehen143 – nicht. Sollte durch Bekanntmachungen innerhalb der Landeskirchen gegen Maßnahmen des NS-Regimes Widerspruch laut werden, so musste man Eingriffe seitens der Gestapo gewärtigen. Wie die berichteten Beispiele aus Württemberg jedoch anschaulich zeigen, hatten die Kirchen durchaus Möglichkeiten, ihre Ansichten laut werden zu lassen – sofern die Pfarrer bereit waren, ihnen auf direktem Wege zugegangene Erklärungen auch bei eigener Gefährdung in den Sonntagsgottesdiensten zu verlesen. Konflikte ergaben sich, wenn die Landesbischöfe in anderen Landeskirchen auftraten und die Opposition gegen die jeweiligen DC-Kirchenleitungen unterstützten. Für alle drei Bischöfe folgten Rede- und Aufenthaltsverbote, die zum Teil bis Kriegsende bestanden.

4. Weshalb äußerten sich die Landesbischöfe nicht öffentlich? Spannend ist die oft gestellte Frage, ob denn die Spielräume auch ein öffentliches Wort, eine öffentlich wahrnehmbare Aktion möglich gemacht hätten? Sicherlich wäre ein kirchlicher Protest  – zum Beispiel gegen die Shoa durch Verlesen des Münchner Laienbriefes – denkbar und wohl auch durchführbar gewesen. Die Kirchen hatten Möglichkeiten und Wege, ein solches Dokument unbemerkt von staatlichen Stellen in beschränkter Stückzahl herzustellen und über die Pfarrämter bekannt zu machen. Weshalb wurde dieser Weg dann nicht beschritten? Für Marahrens ist deutlich, dass ihm seine Grundhaltung im Blick auf das Verhältnis Kirche-Staat jede öffentliche Aktion verbot. Er suchte die direkte Aussprache mit den zuständigen Machthabern. Seiner Überzeugung nach durfte die Kirche die Staatsführung nicht öffentlich kritisieren, sondern diese musste „durch das verantwortliche Wort des geistlichen Amtes angesprochen werden“144. Für den hannoverschen Landesbischof war der Freiraum für die kirchliche Verkündigung und die Sicherung der kirchlichen Organisations­ 142 Vgl. 143

BA Berlin, R 58/5723. Am 31. Juli erhielt Marahrens durch das Reichskirchenministerium eine Verwarnung, „weil er in seinem Wochenbrief die Frage der Ehe in ‚untragbarer Weise‘ behandelt habe“ (Klügel, Landeskirche, 430). Doch diese Maßnahme hatte keinerlei Auswirkungen. Die Wochenbriefe konnten weiterhin erscheinen. 144 Ködderitz, Marahrens, 105.

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struktur zentral. Sofern Marahrens überhaupt das kirchliche Wächteramt gegeben sah, so wurde es durch sein „Gehorsamspathos“ überdeckt145. Er sah daher für sich allenfalls einen Spielraum in der direkten Ansprache an die „Obrigkeit“, der er freilich einen breiten Bereich der Eigengesetzlichkeit einräumte. Meisers Vorbehalte gegen eine öffentliche Aktion werden am Beispiel des „Laienbriefes“ von Ostern 1943 greifbar. Wie bereits 1935 in einer vergleichbaren Situation scheute er davor zurück, einen durchaus als angezeigt erachteten Protest laut werden zu lassen. 1935 warnte er davor, dass sich die Synode der Bekennenden Kirche der Altpreußischen Union im Gefolge der verabschiedeten Nürnberger Rassegesetze mit der Judenfrage befassen sollte. Dieser Schritt könnte ein „selbstverschuldetes Martyrium“ nach sich ziehen146. 1943 lehnte er den Weg in die Öffentlichkeit ab, da er die Kirche nicht in Gefahr bringen wollte. Gegenüber den Initiatoren des Laienbriefes äußerte er in einem Gespräch, dass er zwar ihr Anliegen verstehe und billige, er trage jedoch „Verantwortung für eine große Landeskirche mit fast 1500 Pfarrern“, die er nicht bewusst in Verfolgung stürzen wolle147. Zudem sei den Juden durch eine solche Aktion nicht geholfen. Vielmehr müsse befürchtet werden, dass „die Maßnahmen der Partei gegen sie … nur noch rigoroser“ würden und alle bislang im Stillen geleistete Hilfe – zum Beispiel Fluchthilfe in die Schweiz oder nach Schweden – würde „gänzlich unterbunden“148. Bei einem öffentlichen Wort zur Judenverfolgung sah Meiser nicht nur sich selbst gefährdet, sondern fürchtete auch eine Verfolgung über die Bayerische Landeskirche mit ihren Pfarrern und deren Familien hereinbrechen149. Wurm begründete seine öffentliche Zurückhaltung in seinen Eingaben an staatliche Stellen  – zumindest in der Kriegszeit  – damit, dass er aus „vater­ ländische[r] Pflicht“ handele150. Er wolle vermeiden, dass seine Kritik an Maßnahmen des Regimes „durch das feindliche Ausland“ ausgenutzt werde151. Zugleich erklärte er jedoch, er könne auf seine Darlegungen nicht verzichten, auch wenn diese „von der feindlichen Propaganda intensiv ausgenützt“

145 Mager, 146

Marahrens, 138. Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 25. 147 Nach: Hochstädter, Lemppscher Kreis, 469. 148 Ebd.; und Wo ist Abel, 19; vgl. hierzu auch Gerlach, Zeugen, 366–371; und Baier, Kirche, 233. 149 Zur Überlegung freilich, ein Wort würde eine Radikalisierung der Verfolgung bringen, vgl. auch unten bei Anm. 160. 150 Hermelink, Kirche, 552. 151 Ebd., 553.

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werden152. Freilich ist dies nur die „offizielle Wahrheit“. Noch während der NS-Zeit wurden Schreiben Wurms mit seinem Wissen und seiner Billigung verbreitet153, so übersandte er im August 1943 die an Reichsstatthalter Murr gerichteten Protestschreiben an die Dekanatämter mit dem ausdrücklichen Hinweis „zur Mitteilung an die Pfarrämter und geeigneter Kenntnisgabe an die Gemeinden“154. In einem Schreiben an die Stuttgarter Pfarrer führte Wurm am 9. August 1943 aus, das deutsche Volk habe „große Schuld auf sich geladen durch die Art, wie der Kampf gegen Angehörige anderer Rassen und Völker vor dem Krieg und im Krieg geführt worden ist“155. Oft habe man geschwiegen, „wo wir hätten reden müssen und sollen!“ Wurm war sich demnach durchaus bewusst, dass ihm seine im Ausland bekannt gewordenen kritischen Aus­ lassungen „den Vorwurf des Landesverrats“ eintragen würden, doch um der Sache willen war er bereit, mögliche Folgen zu tragen.

5. Zusammenfassung und Resümee Deutlich wurde, dass sich die drei Bischöfe im Ziel ihres kirchenleitenden Handelns weitgehend einig waren: Ihnen lag daran, die institutionelle „Sicherung und Erhaltung der Landeskirche“ zu gewährleisten156, schien ihnen doch die Intaktheit der Strukturen Garant für den Fortbestand der Volkskirche und „Freiraum für die kirchliche Verkündigung“157. Alle drei waren daher bereit, dem Staat weit – sehr weit – entgegenzukommen und pflegten, wie es Carsten Nicolaisen im Blick auf Meiser formulierte, eine ausgeprägte „Strategie der Konfliktvermeidung“158. Doch innerhalb dieser gemeinsamen Grunddisposition ergaben sich signifikante Unterschiede im Blick auf die von den Bischöfen genutzten Spielräume: Marahrens enthielt sich wohl am stärksten aller Aktionen oder Äußerungen gegen den NS-Staat, und nutzte damit den ihm trotz der besonderen Situation in der hannoverschen Landeskirche verbliebenen Spielraum wenig. Seine Haltung erklärt sich damit, dass er den Staat als Schöpfungsordnung Gottes sah, dem eine „Eigengesetzlichkeit und Unabhängigkeit“ zuzubilligen sei159; zudem 152 Ebd., 153

554. Vgl. Röhm, Protestantismus, 44. 154 Schäfer / Fischer, Wurm, 382. 155 Ebd., 168. 156 Nicolaisen, Herrschaft, 303. 157 Mager, Marahrens, 136. 158 Nicolaisen, Herrschaft, 314. 159 Mager, Marahrens, 139; nachfolgendes Zitat: ebd., 143.

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hat er – so Inge Mager – scheinbar „kein Problembewußtsein für die Verbrechen der Nationalsozialisten gegen Menschlichkeit und Lebensrecht entwickelt“. Meiser war von einer vergleichbaren politischen Loyalität gegenüber dem Staat bestimmt. Ihm lag daran, das NS-Regime keinesfalls gegen die Kirche aufzubringen, deren Bestand und die damit gegebenen Wirkmöglichkeiten waren ihm Richtschur im Blick auf die Ausnützung der Spielräume. Dass er sich eigener Worte und Erklärungen zumeist enthielt, hängt wohl damit zusammen, dass ihm Wurm als Sprecher der Bischöfe galt, der gegenüber dem Staat die als notwendig erachteten Schritte unternahm. Freilich erscheint Meisers Über­legung befremdlich, ein Wort zur NS-Judenpolitik würde eine Radikalisierung der Verfolgung bringen, denn „was hätte noch radikaler als die Ermordung sein können?“160. Wurm nutzte die sich bietenden Spielräume am konsequentesten. Nachdem er den menschenverachtenden, jedes Recht missachtenden und letztlich auch die Kirche sowie die biblische Botschaft negierenden Charakter des NS-Regimes erkannt hatte, wurde er zunehmend zu einem entschiedenen Mahner und Warner. Doch auch er schreckte vor öffentlichen Äußerungen zurück, da jedes kritische Wort, zumal wenn es das Ausland erreichte, als Landesverrat angesehen und entsprechend geahndet werden konnte. Obwohl sich Wurm der eigenen Gefährdung durchaus bewusst war – er hatte von dem gegen ihn geplanten Prozess Kenntnis erlangt161  –, hatte er ab 1942 vielfachen Kontakt zu Widerstandskreisen: Durch persönliche Gespräche beispielsweise mit CarlFriederich Goerdeler (1884–1945) oder Helmuth James Graf von Moltke (1907–1945)162, aber auch durch Vertraute wie Helmuth Thielicke, Wilhelm Pressel (1895–1986) oder Eugen Gerstenmaier (1906–1986) war er über wichtige Vorgänge und Diskussionen in den verschiedenen Kreisen unterrichtet163. Zudem brachte Wurm im August 1943 das Versagen der Kirche in einem Schreiben an Stuttgarter Pfarrer, das dann auch den Brüdern im Kirchlichen Einigungswerk zur Verwendung überlassen wurde, deutlich zum Ausdruck164. Allerdings: Alle Aktivitäten waren vergeblich, die Vorstöße kamen zu spät. Der Zeitpunkt, zu dem vielleicht  – wohlgemerkt: vielleicht – ein Wort oder eine Aufmerksamkeit erregende Tat noch etwas hätte bewirken können, war 160 Wo 161

ist Abel, 19. Vgl. Wurm, Erinnerungen, 171. 162 Vgl. Schäfer / Fischer, Wurm, 348 f. 163 Vgl. ebd., 347–354; vgl. auch Thielicke, Gast, 226; Wurm, Erinnerungen, 170 f.  – Dass auch das Ausland über Wurms Beziehungen zu den Widerstandskreisen informiert war, belegt ein Memorandum des Bischofs von Chichester, George Bell, vom Juni 1942: Scheurig, Widerstand, 162–167, hier: 165 f. 164 Vgl. Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 582–584.

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längst vorbei. In seinen Lebenserinnerungen hielt Wurm rückblickend auf die Ereignisse im Umfeld der ,Reichskristallnacht‘ fest, dass es „wie ein Bann über uns [lag], es war, wie wenn einem von einer unsichtbaren Macht der Mund verschlossen wäre“; das „einmütige und volltönende Zeugnis der Kirche […] kam nicht zustande“165. Aus der Warte des Jahres 1953 war es also für Wurm gänzlich unverständlich, weshalb seinerzeit kein Aufschrei erfolgte. Sein Ver­sagen fasste er in dem Begriff „Bann“, der zwar nicht erklären kann, weshalb er und die Kirche stumm blieben, aber doch einem Gefühl der Unverfügbarkeit, der Unzulänglichkeit Ausdruck verlieh. Vielleicht schwingt auch die ety­mologisch mit „Bann“ zusammenhängende Bedeutung „durch Zauberkraft … festhalten“ mit166: Eigentlich ist es unerklärlich, dass angesichts dieses alles Maß überschrei­ tenden Unrechts und ungeheuerlichen Frevels „nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt“ wurde167 – und ich möchte ergänzen: die sich bietenden Spielräume trotz der erkennbaren Grenzen und absehbaren Gefahren nicht engagierter genutzt wurden.

Quellen- und Literaturverzeichnis I. Unveröffentlichte Quellen Bundesarchiv (BA) Berlin R 55 / 21405 R 58 / 5723 R 3001 / 24008 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA) Berlin Bestand R 98. 799 Abt. Inland I-D Deutschland, Kirche 2/3 Landeskirchliches Archiv (LKA) Hannover Rundverfügungen (1938–40) 17. 4. 1939 Wochenbriefe D. Marahrens 20. 4. 1938 14. 11. 1939 24. 7. 1944 165 Wurm, 166

Erinnerungen, 148. Duden, Etymologie, 49. 167 So in der Stuttgarter Schulderklärung vom Oktober 1945 in: Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 759.

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Landeskirchliches Archiv (LAELKB) Nürnberg LKR 1978 Erlass Nr. 4409 vom 15. 4. 1939 Erlass Nr. 12965 vom 9. 11. 1939 Erlass Nr. 3786 vom 15. 4. 1940 Erlass vom 16. 4. 1941 Erlass Nr. 2634 vom 15. 4. 1943 Landeskirchliches Archiv (LKA) Stuttgart Erlasssammlung 15. 5. 1935 13. 4. 1937 17. 4. 1938 17. 4. 1942 A 126 Best.-Nr. 1760 Erlass vom 15. 4. 1939 Erlass vom 9. 11. 1939 A 126 Best.-Nr. 1761 Erlass vom 16. 4. 1940 Erlass vom 17. 4. 1941 Mündliche und schriftliche Auskünfte Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Nürnberg: Schreiben an Siegfried Hermle vom 19. 12. 2008.

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Siegfried Hermle

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Bayerische Kirchengemeinden im „Kirchenkampf“ Lokale Fallbeispiele

Maike Goldhahn

Die Kirchengemeinde Geilsheim im „Kirchenkampf“ 1933–1939

Außer durch den Gewinn mehrerer Medaillen beim Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ dürfte der kleine mittelfränkische Ort Geilsheim bisher kaum landesweite Beachtung gefunden haben. Das Dorf liegt zwischen Hesselberg und Nördlinger Ries. In der Kirchengemeinde Geilsheim ist eine Pfarrchronik1 für die Jahre 1933–1939 erhalten, die Aufschluss gibt über den Alltag der Gemeinde im Dritten Reich. Ich möchte im Folgenden einige Aspekte daraus vorstellen. Nach wenigen Worten zur Quelle werde ich die in Geilsheim erkennbaren kirchenpolitischen Gruppierungen benennen sowie das Augenmerk richten auf das Wechselspiel von staatlicher Aktion und kirchen­ gemeindlicher Reaktion.

1. Die Quelle Eine Pfarrchronik oder Pfarrbeschreibung ist ein Verwaltungsdokument, das vom Pfarramtsführer anzufertigen ist2. Ihr Zweck ist, nachfolgende Pfarrer oder Pfarrerinnen über den Werdegang der Gemeinde zu informieren. Die Dar­ stellung ist natürlich subjektiv eingefärbt. Der hier interessierende Band der Geilsheimer Pfarrchronik3 beginnt 1833, der letzte Eintrag stammt von 1950. Dazwischen liegen ca. 250 Seiten handschriftlich abgefasste Pfarrhistorie. Für die Jahre 1933–19394 ist Pfarrer Dr. phil. Herbert Schirmer (1903–1956)

1 Pfarrchronik

der Gemeinde Geilsheim für die Jahre 1833–1950 (Pfarrarchiv Geilsheim, 65). § 11 Abs. 1 Nr. 3 VollzVPfG-ELKB vom 6. 12. 1962. 3 Die Pfarrchronik ist nur auf den ersten Seiten paginiert. Zur leichteren Auffindbarkeit der Zitate und Ausschnitte, auf die ich mich beziehe, habe ich den Abschnitt 1933–1939 selbst paginiert. Seite 1 meiner Zählung beginnt also mit dem Eintrag für das Jahr 1933. 4 Aufgrund der wechselnden Schriftfarbe und nachträglicher Einfügungen am Rand ist davon auszugehen, dass Schirmer sukzessiv die Pfarrchronik fortsetzte. Es ist nicht wahrscheinlich, dass Schirmer die Pfarrchronik auf seine nächste Pfarrstelle in Erlangen-Bruck mitnahm, um erst dort die Ereignisse seiner Dienstzeit in Geilsheim einzutragen, denn an seiner neuen Stelle warteten andere Aufgaben auf ihn. Die Fortsetzung der Chronik 1940 schließt sich nahtlos an, bis 1950 erfolgten in diesem Band der Chronik Einträge. Ich vermute daher, dass Schirmer seinen Teil der Chronik noch während seiner Dienstzeit in Geilsheim abfasste.

2 Vgl.

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Maike Goldhahn

der Verfasser.5 Geilsheim war nach dem Studium der evangelischen Theologie in Erlangen und Berlin und dem Pfarrvikariat an der Augsburger St. Johannis-Kirche Schirmers erste eigene Pfarrstelle. Theologisch geprägt war er durch Paul Althaus sowie durch Friedrich Brunstädt. Im Selbststudium beschäftigte er sich während seiner Geilsheimer Amtszeit mit den Schriften von Karl Barth6. Am 16. Mai 1926 wurde Schirmer zum Dr. phil. promoviert. Sein Doktorvater war Brunstädt. Thema der Dissertation waren die „Grundlagen des Erkennens bei J. G. Hamann“. 1934 trat Schirmer der Pfarrerbruderschaft bei und wurde in seinem Kapitel deren Obmann7.

2. Kirchenpolitische Strömungen in Geilsheim Die evang.-luth. Kirchengemeinde Geilsheim zählte 1931 660 Seelen8. Das entsprach der Einwohnerzahl des Dorfes, da es in Geilsheim weder katholische, jüdische noch konfessionslose Familien gab. Der Ort war geprägt durch die im Haupterwerb betriebene Landwirtschaft9. Der Tag von Potsdam (21. März 1933) wurde auch in Geilsheim inszeniert, wie es scheint, ganz im Sinn des Geistes von Potsdam. An einem offenen Feuer gab der Dorflehrer einen „geschichtlichen Überblick“10, und der Pfarrer wies auf „kommende Verpflichtungen und Verantwortung“11 hin. Die Gemeinde war „[…] freudig bewegt und voll guter Hoffnung“12. Noch mischt sich keine Kritik in die Schilderung der neuen Bewegung. Bei der Kirchenwahl im Juni 1933 einigten sich Pfarrer und Parteifunktionäre auf eine Einheitsliste13. Solche Listen wurden bei diesen Wahlen in 5 Für den Lebenslauf des Pfarrers bis zu seinem Amtsantritt in Geilsheim vgl. Schirmer, Pfarrchronik, [1–3]. 6 Vgl. den Entwurf eines Nachrufs auf Pfarrer Dr. Herbert Schirmer durch Dekan Eduard Putz, laut einer Randnotiz erschienen im Erlanger Kirchenboten vom 1. 4. 1956 (LAELKB Nürnberg, PA Theol. 4316); und Gesamtwürdigung der Arbeit des Pfarrers Dr. Herbert Schirmer für das Jahr 1935 durch Dekan Adolf Reindel, ohne Datum (LAELKB Nürnberg, PA Theol. 4316). 7 Vgl. Gesamtwürdigung der Arbeit Pfarrer Herbert Schirmers für das Jahr 1935 durch den Senior des Dekanats, Pfarrer Dr. phil. Eberhard Hommel, vom 14. 3. 1936 (LAELKB Nürnberg, PA Theol. 4316). 8 Vgl. Schmid, Pfarrgemeinde, 29. 9 Bis in die 80er Jahre des 20.  Jahrhunderts war das Ortsbild bestimmt durch haupt- und neben­beruflich betriebene Landwirtschaft. 10 Schirmer, Pfarrchronik, [4]. 11 Ebd. 12 Ebd. 13 Ebd., [5].

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den meisten bayerischen Gemeinden aufgestellt14. Auch jetzt erfahren wir von Schirmer noch nichts von etwaigen Konflikten in der Gemeinde Geilsheim. Von den Deutschen Christen berichtet Schirmer erstmals Ende September 193315. Er habe erfahren, dass 14 Geilsheimer Gemeindeglieder der Glaubensbewegung beigetreten seien. Dass ihm die Namen der neuen Mitglieder der DC verschwiegen wurden, ärgerte ihn. Schirmer notiert, dass er die Gemeinde von dem Vorgang nicht in Kenntnis gesetzt habe. Da die DC in Geilsheim nach seinen Worten „[…] keine Werbekraft entfalteten“16, wollte er nicht die Aufmerksamkeit auf sie lenken. Schirmer erwähnt nichts darüber, ob nach der Selbstauflösung der bayerischen DC nach dem Sportpalastskandal vom November 1933 und ihrer Neuorganisation ab dem Sommer 1934 noch einmal Geils­heimer in der Glaubensgemeinschaft aktiv waren17. Für 1935 notierte der Pfarrer: „Die Gemeinde wird jetzt gesammelt zur Bekenntnisgemeinschaft, die roten Karten werden ausgegeben.“18 Auch Mitglieder der NSDAP traten bei, nachdem bei einem Gespräch mit dem Pfarrer fest­gestellt wurde, „[…] dass die Bekenntnisgemeinschaft keine politischen Hintergedanken hat“19. Im Verlauf des Jahres 1936 – den genauen Zeitpunkt nennt Schirmer nicht  – wurden die Gemeinderäte des Ortes allerdings vom Dinkelsbühler NSDAP-Kreisleiter Ernst Ittameier, zugleich Bürgermeister im benachbarten Wassertrüdingen und Abgeordneter des Reichstages, aufgefordert, aus der Bekenntnisgemeinschaft wieder auszutreten. Die Angesprochenen leisteten dem Folge20. Das Erscheinen von Auszügen aus der Denkschrift der Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche an den Führer Adolf Hitler in Teilen der ausländischen Presse im Juli 1936 führte auch in Geilsheim zu einem Eklat21. Bei einer Parteiversammlung am 8. November 1936 wurde der allgegenwärtige Vorwurf erhoben, die Kirche selbst habe die Denkschrift ins Ausland gebracht. Schirmer, der auf Bitten von Gemeindegliedern an der Versammlung teilnahm, widersprach dieser Anschuldigung nach eigenen Worten heftig: „Sie lügen! Wir verbitten uns hier jede Lüge! Die Kirche hat die Denkschrift nicht ins Ausland gebracht!“22 Der anwesende Parteiredner, der zu dieser Veranstaltung aus Nürnberg gekommen war, wollte daraufhin den 14 Vgl. 15 Vgl. 16

Nicolaisen, Opposition, 37; und Nicolaisen, Herrschaft, 305. Schirmer, Pfarrchronik, [6]. Ebd. 17 Vgl. Roepke, Protestanten, 398; und Nicolaisen, Herrschaft, 306 und 315 f. 18 Vgl. Schirmer, Pfarrchronik, [11]. 19 Ebd., [13]. 20 Vgl. ebd., [17]. 21 Vgl. ebd., [17 f.]. 22 Ebd.

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Pfarrer aus dem Saal werfen lassen, was ihm aber nicht gelang. Dieses Ereignis bewog den Geilsheimer Ortsgruppenleiter der NSDAP, Ernst Bickel, dazu, alle Parteigenossen zum Austritt aus der Bekenntnisgemeinschaft aufzufordern. Die meisten Parteimitglieder gaben daraufhin ihre roten Karten zurück23. In Geilsheim war eine Diakonisse der Hensoltshöhe aus dem nahen Gunzenhausen tätig. Der Hensoltshöher Gemeinschaftsverband24 war aus der Arbeit des Pfarrers Theophil Krawielitzky hervorgegangen. In der Gemeinschaft sammelten sich erweckte Christen mit dem Ziel, ihre Seelen zu retten. Die Mitglieder trennten strikt zwischen der gefallenen Welt und den Bekehrten. Das Stammhaus des Verbandes war das Diakonissenmutterhaus Hensoltshöhe in Gunzenhausen. Es trat in Konkurrenz zum Diakonissenmutterhaus Neuendettelsau. Die Hensoltshöhe fühlte sich eigenständig und von der institutionellen Kirche unabhängig. Der Verband lehnte die wissenschaftliche Theologie ab. Die Machtergreifung Hitlers wurde auf der Hensoltshöhe freudig begrüßt. Rektor Pfarrer Ernst Keupp und die Oberin Anna Kolitz riefen alle Diakonissen zum Parteieintritt und zum Anschluss an die NS-Schwesternschaft auf. Die Hensoltshöhe unterstützte den Reichsbischof Ludwig Müller, bis 1945 stellte sie sich gegen Landesbischof Hans Meiser. Die Hensoltshöhe wurde in zahl­ reichen Kirchengemeinden das Einfallstor für die Deutschen Christen. Nach einem gescheiterten Versuch der Zusammenarbeit zu Beginn seiner Dienstzeit in Geilsheim lehnte Pfarrer Schirmer die Zusammenarbeit mit der im Ort ansässigen Hensoltshöher Diakonisse ab25. Die Nähe zu den Nationalsozialisten sicherte der Gemeinschaft in Geilsheim während der Zeit des Dritten Reiches das Wohlwollen staatlicher Stellen. Beispielsweise wurde dem Pfarrer 1935 zunächst verboten, Männerstunden zu Alfred Rosenbergs „Mythus des 20.  Jahrhunderts“ zu halten, während zeitgleich Bibelstunden im Hensoltshöher Gemeinschaftshaus anstandslos stattfinden konnten. Erst das persönliche Eintreten von sechs Männern der Gemeinde beim zuständigen Bezirksamt erwirkte eine Rücknahme des Verbotes für die kirchengemeindliche Ver­anstaltung26. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Mehrheit der Gemeinde folgte ihrem Pfarrer in die Bekenntnisgemeinschaft. Die Deutschen Christen dagegen spielten in Geilsheim wie in vielen anderen bayerischen Gemeinden eine untergeordnete Rolle. Dennoch kam es in Geilsheim immer wieder zu Konflikten. 23 Vgl. 24

ebd., [18]. Zu Geschichte und Ausrichtung des Hensoltshöher Gemeinschaftsverbandes vgl. ­Nicolaisen, Herrschaft, 317; Roepke, Protestanten, 416–418; und Haberer, Bischof, 44. 25 Vgl. Schirmer, Pfarrchronik, [3 f.]. 26 Vgl. ebd., [12].

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Außer den DC agierten im Dorf gleichzeitig NSDAP und Hensoltshöhe. Die Namen von Mitgliedern der einzelnen Organisationen, die Schirmer in der Pfarrchronik nennt, weisen jedoch darauf hin, dass in diesen drei Gruppierungen im Wesentlichen dieselben Personen aktiv gewesen sein dürften.

3. Staatliche Aktion, kirchengemeindliche Reaktion Die Gemeinde Geilsheim musste immer wieder auf kirchenpolitische Aktionen der Nationalsozialisten reagieren. Ich möchte exemplarisch die Reaktion der Gemeinde auf drei bekannte Ereignisse umreißen: den Sportpalastskandal, die versuchte Gleichschaltung der Bayerischen Landeskirche und die Einführung der Gemeinschaftsschule in Bayern. Zur Berliner Sportpalastkundgebung (13. November 1933) notiert Schirmer: „Und die vom neuen Reichsbischof Ludwig Müller erwählten Bischöfe sitzen dabei und – schweigen, wo sie bekennen sollten! Die Gemeinde horcht auf.“27 Schirmer lud daraufhin im Winter 1933/34 die Männer der Gemeinde zu Schulungsvorträgen ein, die laut Pfarrchronik gut besucht waren28. Leider sind nur die Themen überliefert, nicht die Inhalte, so dass nur eine vorsichtige Interpretation gewagt werden kann. Titel29 der Referate waren erstens „Das Bekenntnis als Halt und Wegweiser“ (11. Dezember 1933), zweitens „Religion oder Offenbarung“ (8. Januar 1934), drittens „Das Alte Testament als Buch der Kirche“ (15. Januar 1934), viertens „Die guten Ordnungen Gottes“ (23. Januar 1934), fünftens „Die Judenfrage“ (30. Januar 1934), sechstens „Jesus Christus Heiland oder ,artgemäßer Held‘“ (6. Februar 1934) sowie siebtens „Rassenpflege, ,lebensunwertes‘ Leben und Gottes Wille“ (12. Februar 1934). Bei einigen dieser Themen liegt es nahe, einen direkten Zusammenhang zu den Ereignissen in Berlin, vornehmlich zu Studienrat Dr. Reinhold Krauses Rede zu sehen. Die Hervorhebung der Bedeutung des Alten Testamentes als Buch der Kirche reagierte höchstwahrscheinlich auf die Forderung, das Alte Testament aus dem Kanon zu streichen30. Der erste Vortrag zur Bedeutung des Bekenntnisses enthielt wohl auch eine anti-deutschchristliche Spitze, wenn in protestantischer Tradition herausgestellt wurde, dass das Bekenntnis Wegweiser sei und – das lässt sich vielleicht ergänzen – nicht Zeitströmungen. Deutlich scheint sich der sechste Vortrag über die Bedeutung Jesu Christi gegen Krause 27 Ebd., 28

[6]. Vgl. ebd., [6 f.]. 29 Sämtliche Titel sind aufgeführt ebd., [7]. 30 Vgl. Lindt, Totalitarismus, 164.

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abzugrenzen, der in seiner Rede von der „heldischen Jesus-Gestalt“31 sprach. Die inhärente Kritik zumindest der Referatstitel an den Ereignissen im Berliner Sportpalast schließt sich an die Kritik des Landesbischofs an der Veranstaltung an. Meiser hatte nämlich bei einer großen Lutherfeier in München am Tag nach dem Sportpalastskandal unter Anwesenheit des bayerischen Ministerpräsidenten gegen die Inhalte protestiert, die dort verbreitet worden waren. Er hatte sich dabei auf das Bekenntnis berufen32. Bemerkenswert ist, wie früh in den Referaten der Geilsheimer Schulungsvorträge spätere zentrale Felder nationalsozialistischer Vernichtungspolitik  – Judenverfolgung und Euthanasie­ programm – aufgegriffen wurden. Einigen Raum in der Pfarrchronik nehmen die Ereignisse im Herbst 1934 in München ein33. Nach der Veröffentlichung des Artikels „Fort mit Landes­ bischof D. Meiser!“ im September 1934 in der Fränkischen Tageszeitung erregte sich Schirmer über die „[…] unerhörten und beleidigenden Angriffe gegen die Person unseres Herrn Landesbischofs“34. Der Geilsheimer Kirchenvorstand sicherte im Namen der Gemeinde dem Landesbischof seine Unterstützung zu und richtete ein Protestschreiben an Reichsstatthalter General Franz Ritter von Epp. Es fanden nun regelmäßig Bittgottesdienste statt35. Am 12. Oktober36 erfuhr der Pfarrer nachts gegen zwei Uhr durch einen Boten von den Ereignissen im Landeskirchenamt und von der Festsetzung Meisers. Um sieben Uhr in der Früh feierte die Gemeinde einen Bußgottesdienst. Wie vielerorts in Bayern war die Kirche schwarz gedeckt37. Während die Kerzen in den meisten Kirchen aber wohl als Zeichen der Trauer und der Scham nicht angezündet wurden, ließ Schirmer zwei Kerzen auf dem Altar brennen, die Bibel und Kruzifix beleuchteten: sola scriptura, solus Christus. Fast die gesamte Gemeinde war anwesend. Nur einige Parteigenossen fuhren stattdessen auf ihre Äcker, ein deutliches Si­gnal. Wieder verfasste die Gemeinde ein Unterstützungsschreiben an Meiser sowie Protestschreiben an verschiedene staatliche Stellen38. Aus Franken machten sich Bauern auf, um in München und Berlin vor staatlichen Stellen gegen die Festsetzung Meisers zu protestieren39. Aus Geilsheim fuhr niemand mit den Bauernabordnungen mit, doch sollte im Dezember ein 31 Zitiert 32

in ebd. Vgl. Roepke, Protestanten, 398. 33 Vgl. Schirmer, Pfarrchronik, [8–11]. 34 Ebd., [9]. 35 Vgl. ebd. 36 Zu den Ereignissen in Geilsheim am 12. 10. 1934 vgl. ebd., [10]. 37 Vgl. Roepke, Protestanten, 411. 38 Vgl. Schirmer, Pfarrchronik, [10 f.]. 39 Vgl. Roepke, Protestanten, 411 f.; und Nicolaisen, Opposition, 44.

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Bauer aus dem nahegelegenen Aha von der Fahrt nach München berichten. Da er Redeverbot erhielt, sprach der Pfarrer für ihn40. Schirmer vermerkt über die Stimmung der Gemeinde in der Zeit der Besetzung des Landeskirchenamtes: „Sie lassen es ihren Pfarrer spüren, daß sie zu ihm stehen, koste es, was es wolle.“41 Die Tage der Bedrängnis hatten zumindest für den Pfarrer auch eine religiöse Dimension: „Daß diese Tage von einer besonderen Freudigkeit erfüllt sind, weil Gott und der Herr Christus spürbar nahe sind, wo seine Kirche um ihrer Treue willen in Not gerät, ist ein Geschenk für das wir nicht genug danken können.“42 Die Unterstützung und den Zusammenhalt der Gemeinde hätte Schirmer sich auch am 1.  Dezember 1937 gewünscht, als landesweit Unterschriften für die Einführung der Gemeinschaftsschule gesammelt wurden. Jetzt erhielt er sie jedoch nicht. Schon seit dem Scheitern der Gleichschaltungspolitik in der Bayerischen Landeskirche im Herbst 1934 verfolgte der nationalsozialistische Staat eine „völlige Entkonfessionalisierung des gesamten öffentlichen Lebens“43. Eine Strategie dafür war, die konfessionell gebundenen Schulen durch bekenntnisfreie Schulen zu ersetzen. Schirmer warnte seine Gemeindeglieder schon 1936 vor der „[…] immer stärker werdenden Bedrohung der evang. Bekenntnisschule […]“44. In Bayern wurde schließlich am 1.  Dezember 1937 eine Unterschriftensammlung in der Bevölkerung durchgeführt, die durchweg die Zustimmung zur Gemeinschaftsschule zur Folge hatte. Die Abstimmungsergebnisse wurden dann von Staatsseite als außerordentlicher, durch zwingende Verhältnisse begründeter Fall gewertet, um gemäß einer Verordnung des Bayerischen Kultusministeriums vom 26. August 1883 die Umwandlung der als Regel geltenden Bekenntnisschule in eine Gemeinschaftsschule zu rechtfertigen45. Auch in Geilsheim wurde eine Unterschriftensammlung durchgeführt46. Zwei Kirchenvorsteher, die erst am Vortag als Nachrücker für zwei verstorbene Mitglieder in das Gremium gewählt worden waren, beteiligten sich an der Aktion. Dadurch wurde der Anschein erweckt, die Sammlung geschehe im Einverständnis mit der Kirchengemeinde. Wie andernorts47 wurden auch 40 Vgl. 41

Schirmer, Pfarrchronik, [11]. Ebd., [10]. 42 Ebd. 43 Den Begriff prägte Reichsinnenminister Wilhelm Frick am 7. 7. 1935 auf dem Gautag Westfalen Nord in Münster. Die entsprechende Rede ist abgedruckt in: Kretschmar, Dokumente, 332. 44 Schirmer, Pfarrchronik [16]. 45 Vgl. Scharnagl, Recht, 27; und Sonnenberger, Reform, 190. 46 Vgl. Schirmer, Pfarrchronik, [21 f.]. 47 Vgl. die Eingabe des Landeskirchenrates an das Bayerische Kultusministerium vom 28. 1.  1934, in dem sich der LKR über das Vorgehen bei der Unterschriftensammlung beschwert und detailliert wiedergibt, mit welchen Argumenten und Methoden die Zustimmung zur Simultanschule eingeholt worden war. Abgedruckt in Schmid, Wetterleuchten, 319–325.

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in Geilsheim die Erziehungsberechtigten mit fadenscheinigen Erklärungen wie „Es bleibt alles beim Alten“, „Es ändert sich gar nichts“, „Es handelt sich bloß um den Zuschuß für den Schulhausneubau“ usw.48 zur Unterschrift überredet. Das Ergebnis war in Geilsheim nicht überraschend: Dreiviertel der Erziehungsberechtigten, die zu diesem Zeitpunkt schulpflichtige Kinder hatten, stimmten für die Einführung der Simultanschule. Der Pfarrer war deswegen erbost über seine Gemeinde. In der Pfarrchronik wirft er den Eltern vor, sie gäben damit „[…] ihren Einfluß auf die christliche Erziehung ihrer Kinder in der Schule preis“49. Den Kirchenvorstand berief Schirmer erst nach einem Vierteljahr wieder ein und erklärte dann dem Gremium, dass er „[…] zu solchen pflichtvergessenen Kirchenvorstehern kein Vertrauen habe“50.

4. Fazit Die Geilsheimer Pfarrchronik aus den Jahren 1933–1939 bietet eine erstaunlich große Fülle an Material zum Verhältnis zwischen der Bayerischen Landeskirche und dem nationalsozialistischen Staat – nur einiges davon konnte hier angerissen werden. Die großen kirchenpolitischen Auseinandersetzungen in Bayern während des Dritten Reiches erreichten auch die kleine Dorfgemeinde Geilsheim, sie spielten sich nicht nur in den Ballungsräumen ab. In Geilsheim agitierten die nationalsozialistischen Gruppierungen wohl nicht besonders stark. Dennoch machten sie dem Pfarrer durch zahlreiche Verbote und Diffamierungen das Leben schwer. Die bekenntnistreue51 Haltung von Pfarrer Schirmer fand ihr Gegenstück darin, dass die Gemeinde diese Haltung akzeptierte und annahm. So hielt sich die Mehrheit der Gemeindeglieder wie ihr Pfarrer zur bischöflichen Bekenntnisgemeinschaft. Im Herbst 1934 positionierten sich etwa zwei Drittel der Mitglieder schriftlich hinter Landes­ bischof Meiser, wobei die Zurückweisung des staatlichen Übergriffs auf die Landeskirche in Geilsheim wohl kein Widerstand gegen die Staatsmacht, sondern ein Eintreten für den Glauben und die Kirche war. 1937 dagegen 48 Schirmer, 49

Pfarrchronik, [22]. Ebd. 50 Ebd. 51 Eine bekenntnistreue Haltung bescheinigt dem Pfarrer der Senior des Dekanats: „Treue Einstellung zum kirchlichen Bekenntnis, mutiger und furchtloser Einsatz auch im Kirchenkampf […]. Hat auch wiederholt schon Kämpfe wegen dieser seiner Einstellung durchzukämpfen gehabt, die er mit Entschiedenheit und Klarheit durchfocht.“ (Gesamtwürdigung der Arbeit Pfarrer Herbert Schirmers für das Jahr 1935 durch den Senior des Dekanats, Pfarrer Dr. phil. Eberhard Hommel, vom 14. 3. 1936 [LAELKB Nürnberg, PA Theol. 4316]).

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formierte sich kein Widerstand gegen das staatliche Handeln. Die Mehrheit der Geilsheimer folgte der Linie des Staates. Das mag verschiedene Gründe haben. Vielleicht waren die Menschen 1937 stärker eingeschüchtert als 1934, da der Staats­apparat schon mehr Gelegenheit gehabt hatte, seinen Terrorwillen zu demonstrieren. Vielleicht schätzten die Gemeindeglieder aber auch einfach die Beibehaltung der Bekenntnisschule als nicht so wichtig ein wie eine unange­ tastete Führung ihrer Kirche, zumal es in Geilsheim nur evangelische Kinder gab. Sowohl bei den Ereignissen im Herbst 1934 als auch beim Verlauf der Unterschriftensammlung im Dezember 1937 repräsentiert Geilsheim den Durchschnitt der bayerischen Gemeinden. Nachdem Schirmer Geilsheim verlassen hatte, schrieb er einen Brief an den Ansbacher Kreisdekan Oberkirchenrat Georg Kern, in welchem er ein Resümee zieht über seine Geilsheimer Zeit: „Man wird sich beim Scheiden aus einer lieb gewordenen Gemeinde viel zu sehr auch dessen bewußt, was treuer und besser hätte getan werden sollen.“52 Die Wortwahl scheint einen Teil der berühmten Formulierung der Stuttgarter Schulderklärung vom 19. Oktober 1945 in Ansätzen vorwegzunehmen. Auch die Christinnen und Christen der Geilsheimer Gemeinde hätten sicher „mutiger bekennen, treuer beten, fröhlicher glauben und brennender lieben“53 können. Die Bekenntnisgemeinschaft Geilsheim trat nicht generell in Opposition zum nationalsozialistischen Gewaltregime. Doch sie wehrte sich gegen staatliche Eingriffe in ihren Glauben und ihre Kirche. Das allein dürfte in einer Diktatur, in welcher das Leben eines einzelnen Menschen nichts galt, einiges an Mut gekostet haben.

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52 Schreiben von Pfarrer Dr. Herbert Schirmer an Oberkirchenrat Georg Kern vom 21. 5. 1940 (LAELKB Nürnberg, PA Theol. 4316). 53 Stuttgarter Schulderklärung vom 19. 10. 1945. In: Greschat / Krumwiede, Zeitalter, 187.

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Maike Goldhahn

II. Veröffentlichte Quellen und Darstellungen Greschat, Martin / Krumwiede, Hans-Walter (Hg.): Das Zeitalter der Weltkriege und Revolutionen (KTGQ 5). Neukirchen-Vluyn 1999. Haberer, Johanna: Bischof Hans Meiser (1881–1956). Ein konservativer Lutheraner in den Herausforderungen des Nationalsozialismus. In: Dies. (Hg.): Er liebte seine Kirche. Bischof Hans Meiser und die bayerische Landeskirche im Nationalsozialismus. München 1996, 16–64. Kretschmar, Georg (Hg.): Dokumente zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches. Bd. 1: Das Jahr 1933. Bearbeitet von Carsten Nicolaisen. München 1971. Lindt, Andreas: Das Zeitalter des Totalitarismus. Politische Heilslehren und ökume­ nischer Aufbruch (CG 13). Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1981. Nicolaisen, Carsten: Nationalsozialistische Herrschaft. In: Müller, Gerhard / Weigelt, Horst / Zorn, Wolfgang: Handbuch der Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern. Bd. 2: 1800–2000. St. Ottilien 2000, 297–330. –, „… unseres Führers allergetreueste Opposition“. Hans Meiser als bayerischer Landes­bischof im „Kirchenkampf“ 1933–1945. In: Herold, Gerhart / Nicolaisen, Carsten (Hg.): Hans Meiser (1881–1956). Ein lutherischer Bischof im Wandel der poli­tischen Systeme. München 2006, 32–52. Roepke, Claus-Jürgen: Die Protestanten in Bayern. München 1972. Scharnagl, Anton: Das Recht der Bekenntnisschule in Bayern nach dem Konkordat, der Bayerischen Verfassung und dem Schulorganisationsgesetz (Beiträge zum Bayerischen Konkordatsrecht). München 1954. Schmid, Heinrich: Apokalyptisches Wetterleuchten. Ein Beitrag der Evangelischen Kirche zum Kampf im „Dritten Reich“. Freising 1947. Schmid, John: Die Pfarrgemeinde Geilsheim. In: Evangelische Gemeinden um den Hesselberg. Der Dekanatsbezirk Wassertrüdingen. Detmold o. J., 28 f. Sonnenberger, Franz: Die vollstreckte Reform. Die Einführung der Gemeinschaftsschule in Bayern 1935–1938. In: Prinz, Michael / Zitelmann, Rainer (Hg.): Nationalsozialismus und Modernisierung. Darmstadt 21994, 172–198. Verordnung zum Vollzug des § 33 des Pfarrergesetzes (VollzVPfG-ELKB) vom 6. Dezember 1962. In: Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, Nr. 26 vom 13. Dezember 1962, 147–149.

Herbert Sörgel

Die evangelische Kirchengemeinde Flossenbürg in der Zeit des Nationalsozialismus – mit besonderer Rücksichtnahme auf ihr Verhältnis zum KZ-Lager

Bevor im Mai 1938 ein Konzentrationslager errichtet wurde, war Flossenbürg eine kleine Gemeinde im östlichen Oberpfälzer Wald an der Grenze zur Tschechischen Republik. Raues Klima, ungünstige Bodenverhältnisse und schlechte Verkehrsanbindung hatten der Region bereits in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts die wenig schmeichelhafte Bezeichnung „Bayerisches Sibirien“ eingebracht1. Flossenbürg stellt insofern eine kleine Ausnahme dar, da es über reiche Granitvorkommen verfügte und bereits im 19. Jahrhundert zahlreiche Steinbrüche eröffnet wurden, was sogar einen Zuzug von Arbeitskräften bewirkte. Nach dem Ersten Weltkrieg und insbesondere durch die Wirtschaftskrise am Ende der 20er Jahre ging es aber auch mit der bis dahin florierenden Natursteinindustrie bergab. Nach der Machtübernahme durch die National­ sozialisten sorgte deren Förderung der Baustoffindustrie auch in Flossenbürg bei einem Teil der Bevölkerung für eine steigende Akzeptanz der NSDAP in der traditionell sozialdemokratischen (Landwirte ausgenommen), aber noch konfessionsgebundenen Bevölkerung. Innerhalb eines Jahres schließlich stieg 1938 durch die Errichtung des KZ die Einwohnerzahl durch Zuzug von SS-Männern mit ihren Familien und zivilen Steinarbeitern auf 2281, fast das Doppelte. Vorhandene Arbeitsplätze, eine neue Wasserversorgung (speziell für das Lager erschlossen), SS-Standortärzte, die auch von Zivilisten in Anspruch genommen werden durften, eine Poststation, die Erweiterung des Gütertransportes auf Personenverkehr und ein Kino bedeuteten für den Ort einen gewaltigen Moder­ nisierungsschub. Im Folgenden soll versucht werden, das Verhältnis der evangelischen Kirchengemeinde in Flossenbürg zum Nationalsozialismus und insbesondere zum Lager zu skizzieren. Der evangelische Ortsgeistliche Karl Wagner hatte seit 1929 in Flossenbürg die evangelische Pfarrstelle inne und von Anfang an keinen Hehl aus seiner nationalsozialistischen Gesinnung gemacht. Man kann ihn durchaus zu den Wegbereitern zählen. Er schreibt in der Pfarrchronik über sich selbst:

1 Vgl.

Skriebeleit, Flossenbürg-Hauptlager, 11 f.

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„Das Jahr 1933 brachte den nationalen Umschwung. Es war für den Geistlichen nicht uninteressant, zu beobachten, wie die ehemaligen Sozialdemokraten nunmehr schnell  – manche auch langsamer  – ‚umzulernen‘ begannen, da es vor dem Umschwung nur wenige nationalsozialistische Wähler gab. Der Geistliche hatte von Anfang seines Hierseins (1929) kein Hehl daraus gemacht, dass er politisch auf nationalsozialistischer Seite stehe, weshalb 1930 (?) bei einer Wahl die Roten das Pfarrhaus beschmierten. Zuweilen wurden bis 35 Hörer zum Hören von Hitlerreden im Pfarrhaus versammelt, da es seinerzeit nur einzelne Radioapparate gab. Auch für den Gemeinschaftsempfang vom 1.  Mai  1933 stellte der Geistliche sein Radio zur Verfügung. So als Geistlicher ‚politisch einwandfrei‘ sollte ihm dies für später in den Auseinandersetzungen – Kirchenkampf – zustatten kommen.“2

Wenngleich beim Ortsgeistlichen die nationalsozialistische Begeisterung einer zunehmenden Ernüchterung gewichen sein mag (durch Vorstöße von DCPfarrern aus Weiden, Einführung der Gemeinschaftsschule), ist nicht bekannt, dass er sich jemals vom Regime wahrnehmbar distanziert hätte, weil natürlich auch die Angst hochkam, wie sein Sohn Karl-Heinz (damals zehn Jahre alt) sich noch zu erinnern wusste3. Der Vater dazu in der Pfarrchronik: „Das Jahr 1937 brachte als Wichtigstes den Kampf um die Bekenntnisschule, da unser Schulhaus – einklassige Schule – zu klein zu werden drohte und da auch für die katholische Schule das gleiche galt, wurde ein Erweiterungsbau am kath. Schulhaus beschlossen. In diesem Rahmen wurde auf Antrag des Bürgermeisters ,Einführung der Gemeinschaftsschule‘ von der Regierung diktiert. Eine Befragung der Eltern fand nicht statt. Der Flossenbürger Bürgermeister und Kirchenvorstandsmitglied Granitwerkbesitzer Christian Jakob, bestärkt durch den einen evangelischen und einen katholischen Lehrer – Weltanschauungs-Schulgeistlicher – glaubte damit eine besondere Großtat vollbracht zu haben. Wie merkwürdig, dass Bürgermeister Jakob – der 1933 zur ‚Dokumentierung der Volksgenossenschaft‘ als Evangelischer und Kirchenvorstandmitglied in der Fronleichnamsprozession mitlief, immer mehr zum radikalen Rosenbergianer wurde. So begannen auch hier im Laufe der weltanschaulichen Auseinandersetzung die Geister verwirrt zu werden, obgleich vom überwiegenden Großteil gesagt werden konnte, dass sie festhalten wollen an Kirche und Christentum.“4

Neben Christian Jakob sind auch der evangelische Gastwirt Johann Jahreis und Kirchenpfleger Christian Meier, der eine Gemischtwarenhandlung betrieb, den Protagonisten der NSDAP zuzurechnen. Nach Kriegsende waren sie für die USArmy auf Grund ihrer Vergangenheit nicht mehr geschäftsfähig und bekamen 2 Flossenbürg, Archiv der Kirchengemeinde, Pfarrchronik. Alle Einschübe in Klammern so in der Vorlage. 3 Wagner, Telefongespräch, 21. 9. 2008. 4 Flossenbürg, Archiv der Kirchengemeinde, Pfarrchronik.

Die evangelische Kirchengemeinde Flossenbürg

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Treuhänder. Die Verhandlungen der SS mit den Ortsbehörden bezüglich der Errichtung des KZ waren 1938 sehr zügig verlaufen5. Nach Auskunft des Sohnes des Ortsgeistlichen forderte auch der Pfarrer „einmal ein Arbeitskommando aus dem KZ für den Pfarrgarten“6. Ob es bei diesem einem Mal blieb, ist nicht belegbar, Flossenbürger erzählen, dass auch die Pfarrhausmauern aus KZ-Steinen, die bereits für das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg gekennzeichnet waren, von Häftlingen erbaut wurden. Aber dafür lässt sich kein schriftlicher Beleg finden. Belegbar ist aber ein enger Kontakt des Pfarrers zum damaligen Lagerkommandanten Karl Künstler. „Als für mich die Zeit der Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium kam, trat der Lagerkommandant Künstler, dessen beide Söhne gleichaltrig mit mir waren, mit der Bitte an meinen Vater heran, ob er nicht auch seine beiden Söhne Horst und Karlheinz zusammen mit mir unterrichten würde. Die beiden Buben wurden jeweils von einem SS-Mann zu uns ins Pfarrhaus gebracht.“7

Im kollektiven Bewusstsein war Flossenbürg nicht als eigentliches KZ, sondern als Schutzhaftlager für Kriminelle vorhanden, wie noch das Protokoll einer Kirchenvorstandssitzung von 1950 zeigt: „Das KZ-Lager war von seiner Errichtung 1939–1942 ein Arbeitslager für zur Sicherungsverwahrung verurteilte Verbrecher.“8 Helmut Meier, Steinmetz, der zusammen mit Häftlingen bis 1942 als Lehrling im KZ-Steinbruch ausgebildet wurde (einer der ältesten noch lebenden Steinmetze und evangelisches Gemeindemitglied), erinnert sich: „Ich habe einmal gesehen, wie sie einen ganz brutal zusammengeschlagen haben, und da haben wir uns dann ein Herz gefasst und gefragt, warum sie so zugehauen haben. Da hat mir ein SS-Unteroffizier erklärt: Der hat Vater und Mutter ganz hinterhältig umgebracht, dem gehört das nicht anders. – Wir haben das dann schon geglaubt und ich weiß auch noch, wie viele Flossenbürger gesagt haben: Die da oben sind Schwerverbrecher und sollen ruhig schuften. – Erst 1942 ist dann was anders geworden, da sind immer mehr Ausländer gekommen und wir sind dann in den Steinbruch von Christian Jakob gewechselt. Da ist dann auch kaum mehr über das KZ bei uns ge­ redet worden. Aus Angst.“9

Diese Jahreszahl markiert tatsächlich einen Einschnitt. Waren noch die „Toten“ des KZs bis dato in den Personenstandsregistern des Flossenbürger Standes­ amtes registriert worden, so änderte sich das nach Scheitern der Blitzkriegstra

5 Vgl.

Skribeleit, Flossenbürg-Hauptlager, 13. Brief, 20. 9. 2008. 7 Ebd. 8 Flossenbürg, Archiv der Kirchengemeinde, Protokollbuch des Kirchenvorstands, 28. 10.  1950. 9 Maier, Gespräch, 20. 9. 2008.

6 Wagner,

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tegie gegen Russland, als auch die Inspektion der Lager an das Wirtschaftsverwaltungshauptamt direkt angeschlossen wurde und so der Kommune jeglicher Einblick in die Todeszahlen verwehrt war. Die Verhältnisse änderten sich nochmals drastisch. Vorher gab es Kooperation mit dem Lager. Zahlreiche evangelische Familien bekamen Arbeitskräfte. Mädchen waren bei den Lagerkommandanten in Stellung oder hatten Kontakt mit SS-Familien. Auch Ehen wurden geschlossen. Margarete Someschan, ein bereits verstorbenes Gemeindeglied, äußerte einmal mir gegenüber bei einem Besuch: „Meiner war bei der SS, ein lieber Kerl, er kam immer in Uniform am Sonntag in die Kirche, da habe ich mich in ihn verliebt. Er war ein frommer Mann.“ Es gab auch Flossenbürger, die von Anfang an etwas wachere Augen hatten, weil sie näher am direkten Geschehen waren. Adam Bieber, Kirchenvorstand und seit 15. September 1941 Lektor in der evangelischen Gemeinde, war von 1939 bis 1942 verpflichtet worden, neben zivilen Lehrlingen wie dem späteren Mesner Willi Meier auch KZ-Häftlinge auszubilden. Der ehemalige Häftling und spätere Chirurg Kazimierz Recki aus Polen schreibt in einem Brief an einen Peter Geigl oder Heigl vom 16. Januar 1997 über Adam Bieber (im Brief „Bebel“): „Ich habe als Steinmetz ins Halle III gearbeitet. Jede Halle hat Zivil Lehrmeister gehabt. Bebel hieß der Meister in unsere Halle III. Er war immer anspruchslos und sehr anständige Kerl. Er lehrne uns die Steine bearbeiten. Neben mir zwei junge Häftlinge Namens Stanek und Piekarski haben eigenen Stein bearbeitet. Ende Juli – erwähnte höcher Kameraden waren unerwartet abwesend. Ich habe gewusst, daaß beide gestern Abends erschossen wurden. Es kommt Meister Bebel an: Wo sind die beide? Hat es etwas gesehen? Fragt er. – Gestern sind sie erschossen – habe ich antworten. Donnerwetter! Das ist doch unmöglich, sagte er. Die sind verrückt. Sie vernichten solche guten Steinmetzen. Auf seine Gesicht habe ich Schrecken, Zorn und Unruhe bemerkt. Diese Tatsache, dieses Bild ist nie zu vergessen. Ich weiß, daß beunruhige und entrüstete Meister Bebel hat sofort um seine Bemerkung im eigenen Betrieb gemeldet. In Folge dieser Meldung wurden die Steinmetzen geretten. Am 13.  September  1941 (das war Samstag) wurden alle Häftlinge, die damals in Lukow verhaftet worden, erschossen. Erstenmal die Steinmetzen sind am Leben geblieben und des­wegen ich lebe noch bis heute. Mein Bruder wurde erschossen. Er hat nicht als Steinmetz gearbeitet. Ich meine, daß wir noch lebende Steinmetzen – wir sollen unsere Leben dem Meister Bebel verdanken. Mit großer Ehre erwähne ich sein Name, um welcher kann man nicht vergessen. Diese ganze Geschichte will ich dem Floßen­ bürger Bürgermeister und Ratsgemeinde er­zählen. Ich hoffe, daß in Zunkunft eine von Flossenbürgs Strassen würde Bebel Straße nennen.“10 10 Recki, Brief, 16. 1. 1997, in polnischer Sprache veröffentlicht bei Podlaski, Piekło, 172–177; hier besonders 176 f., wovon mir ein übersetzter Teilauszug vorlag, übersandt von Kazimierz Recki an Willi Bieber, Sohn von Adam Bieber in Flossenbürg.

Die evangelische Kirchengemeinde Flossenbürg

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Es sei auch von Häftlingen berichtet worden, dass Adam Bieber (Bebel) des Öfteren Zigaretten oder seine Brotzeit für Häftlinge liegengelassen hat. So sein Sohn Willi Bieber. Nachdem Pfarrer Wagner bereits 1941 in Nürnberg St. Leonhard eingesetzt war, übernahm die „Kriegsvertretung“ in Flossenbürg der Flosser Pfarrer Friedrich Zapf. 1943 wurde Pfarrer Walter Brenner noch im Kriegseinsatz in Griechenland die Pfarrstelle Flossenbürg verliehen. Er, gebürtiger Thüringer, wurde von der DC-Kirchenleitung dort wegen seiner nicht geeigneten Einstellung zum Nationalsozialismus abgelehnt, in Bayern aber übernommen. Er trat sein Amt erst nach kurzer Kriegsgefangenschaft 1945 in Flossenbürg an, seine Familie war bereits 1943 ins Pfarrhaus eingezogen. Auffällig ist, dass ab 1939 das KZ weder in der Chronik noch im Protokollbuch des Kirchenvorstandes (mit einer Ausnahme: Grundstücksabtretung von Kirchengrund an das KZ) erwähnt wird – erst wieder ab 1950. Maria Lang, vor einem Jahr verstorben, eine Flossenbürgerin, wohnte als Konfirmandin nicht so weit weg vom Lager. Sie erinnerte sich: „O, wir haben das Schreien, die Schüsse, das Gebrüll deutlich gehört und den Geruch vom Krematorium gemerkt. Aber die Mutter hat gesagt, sagt das nicht, sonst sind wir alle auch droben.“ Un­ erwähnt sollte auch nicht die Erinnerung des Sohnes Karl Heinz Wagner an die Zeit in Flossenbürg sein. Sie hat aus der Optik der Ortsbewohner fast paradigmatischen Charakter: „Wenn ich mich recht erinnere, war die Grundstimmung der Bevölkerung und auch der evang. Gemeindeglieder Ratlosigkeit und Angst, da man von den Ereignissen zunächst überrumpelt war und unvorbereitet sich auf eine völlig neue Situation einstellen mußte. Kaum Jemand wußte am Anfang, wie man sich richtig verhält. Die meisten Menschen waren überfordert, da die Propaganda eindeutig darauf ausgerichtet war, daß es sich bei den Häftlingen um Kriminelle, Asoziale und Staatsfeinde handele, die also zu Recht dort inhaftiert seien. Nach dem Zusammenbruch des sog. 3.  Reiches hat mein Vater, der selbst Parteimitglied war,  – er kam aus der ‚deutsch-nationalen-Ecke‘  – sich nie mehr über seine Zeit in Flossenbürg uns Kindern gegenüber geäußert. Im Gegenteil sagte er einmal zu meiner jüngeren Schwester: ,Fragt mich bitte nicht nach dem, was ich in Flossenbürg erlebt habe.‘ Unvergesslich sind für mich die Bilder der ausgemergelten, erschöpften, apathischen Häftlinge, wie ich sie bei den Besuchen im Hause des Lagerkommandanten gesehen habe.“11

Zusammenfassung: Unbestreitbar ist, dass auf evangelischer Seite die sogenannten Dorfeliten (Bürgermeister, Pfarrer, Gastronom, Lehrer, Geschäftsinhaber) in Flossenbürg Protagonisten und Wegbereiter für die Nationalsozialisten 11 Wagner,

Brief, 20. 9. 2008.

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gewesen sind und „Überzeugungsarbeit“ geleistet haben. Für einen Großteil der Flossenbürger war die sogenannte Machtergreifung 1933 gar nicht in besonderer Weise wahrnehmbar. Wirtschaftliche Vorteile haben dann schließlich auch einen Teil  der eingefleischten Sozialdemokraten gelockt. Es gab auch einen großen Anteil derer, die geschwiegen haben, auch wenn ihnen alles gar nicht gefallen hat und wenige haben versucht, belegbar bei Adam Bieber, im Rahmen ihrer Möglichkeiten wenigstens etwas Erleichterung zu schaffen, was zweifellos großen Mut gebraucht hat. Bis auf die letzten wenigen hat die Mehrzahl natürlich ihre adäquaten Entlastungsnarrative entwickelt (große Hoffnung, die dann in Angst umgeschlagen ist, Ahnungslosigkeit und auch Verführung), um als „gute Menschen“ weiterbestehen zu können. Einer moralischen Wertung entzieht sich das, man kann höchstens über sich selbst heute erschrecken.

Quellen- und Literaturverzeichnis I. Unveröffentlichte Quellen Flossenbürg, Archiv der Kirchengemeinde Pfarrchronik Mündliche und schriftliche Auskünfte Maier, Helmut: Gespräch mit Herbert Sörgel, 20. 9. 2008. Recki, Kazimierz: Brief an Willi Bieber mit übersetztem Auszug eines Briefs von Kazimierz Recki an Peter Geigl [oder Heigl], 16. 1. 1997. Wagner, Karl Heinz: Brief an Herbert Sörgel, 20. 9. 2008. Wagner, Karl Heinz: Telefongespräch mit Herbert Sörgel, 21. 9. 2008.

II. Veröffentlichte Quellen und Darstellungen Podlaski, Stanisław: Piekło na raty. Kraków 2000. Skriebeleit, Jörg: Flossenbürg-Hauptlager. In: Benz, Wolfgang / Distel, Barbara (Hg.): Flossenbürg. Das Konzentrationslager Flossenbürg und seine Außenlager. München 2007, 11–60.

Thomas Greif

Der Flaggenstreit zum „Frankentag“ auf dem Hesselberg1

„Hesselbergtage –: Bauern und Bürger, Arbeiter und Soldaten der Freiheit: Eins! Eines Sinnes, eines Glaubens, eines Herzens! Zusammengeschweißt im Wissen um die Gemeinsamkeit des deutschen Blutes, um die Gemeinsamkeit des Vaterlandes und um die Heiligkeit des Bodens, mit dem sie verwachsen.“2

Nicht etwa der Gaupropagandaleiter der NSDAP war es, der im Jahr 1933 mit derlei emphatischen Worten den Volksgemeinschaftskult pries, den der „Frankenführer“ Julius Streicher seit 1928 auf dem Hesselberg bei Wassertrüdingen zelebrierte, sondern ein evangelischer Pfarrer: Friedrich Eppelein (1887–1969), damals Missionsdirektor in Neuendettelsau. Das Zitat lässt die Herzenswärme spüren, mit der Frankens Protestanten der neuen Zeit begeg­neten, die mit Hitlers Machtübernahme angebrochen war. Binnen weniger Weimarer Jahre war Frankens einziger Gipfel mit Alpenblick braun geworden: Der Hesselberg, inmitten einer ländlich-protestantischen Gegend gelegen, wurde zum Schauplatz der drittgrößten NS-Kundgebung in Bayern und mit allerlei Mitteln der Propaganda zum „heiligen Berg der Franken“ stilisiert. Hier schuf sich der „Frankenführer“ seinen eigenen, kleinen Reichsparteitag, bei dem er aus dem Schatten Hitlers heraustreten konnte; hier predigte der politische Prophet Julius Streicher mit religiöser Inbrunst seine Weltformel: „Die Juden sind unser Unglück.“ Zur bald fortschreitenden Abkühlung des Verhältnisses zwischen Partei und Kirche in Bayern trug der „Frankentag“ einen bemerkenswerten Anteil. Schuld daran war eine dezidiert kirchenkritische und europaweit beachtete Rede des bis dahin als gemäßigt geltenden Hermann Göring im Jahr 1935, die in folgenden Sätzen gipfelte: 1 Die hier dargelegte Gedankenführung entstammt im Wesentlichen meiner Dissertation Greif, Wallfahrt. Ausführliche Quellen- und Literaturangaben siehe dort. Anmerkungen werden hier nur sehr spärlich, nämlich ausschließlich bei wichtigen und ausführlichen Originalzitaten verwendet. 2 Eppelein, Missionswerk, 197 f.

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Thomas Greif

„Wenn sie das Neuheidentum nennen, dass wir hier wallfahrten zu einer Kultstätte unserer Vorfahren, dann mögen sie das tun. Aber sie mögen uns nicht verübeln, dass wir lieber in der Geschlossenheit unseres Volkes hier zusammenströmen, dass wir lieber unsere Herzen hochheben zur Idee unseres Führers, als dass wir uns das Geschwätz von zänkischen Pfaffen anhören […]“.3

Der Landeskirchenrat sandte an die erbosten Gemeinden einen mäßigenden Rundbrief mit der Aufforderung, sich durch keinerlei Bitterkeit an dem gottbefohlenen Gehorsam gegen die Obrigkeit irre machen zu lassen. Landes­ bischof Hans Meiser beschwerte sich direkt bei Göring. Die Hesselberg-Rede, das erweisen auch die Eingaben anderer hochrangiger Kirchenleute aus dem Reich, galt nach zahlreichen herabsetzenden Bemerkungen ranghoher NSPolitiker gegenüber der evangelischen Pfarrerschaft als eine Art Rubikon-Überschreitung. Julius Streicher wählte tatsächlich ab dem „Frankentag“ 1936 einen deutlich verschärften Ton gegenüber den Kirchen; seine antichristliche Agitation trat nun praktisch gleichberechtigt neben die sattsam bekannte antisemitische. Kurz zuvor hatten die Nationalsozialisten mit der Zerstörung des Hesselbergdenkmals im April 1936, das unter anderem dem Schwedenkönig Gustav Adolf gewidmet und von der Bevölkerung daher dezidiert als kirchlich-protestantisch empfunden worden war, für einen weiteren gezielten Affront gesorgt. Partei­ veteranen wie den Ansbacher Pfarrer Max Sauerteig, der schon 1925 aktiv für die NSDAP agitiert hatte, focht das alles nicht an; er diente Streicher Jahr für Jahr weiter als willige Vorzeige-Staffage und wurde für dessen Anwesenheit sogar ausdrücklich in des Gauleiters Rede belobigt. Besonders aufschlussreich ist ein Blick zum „Frankentag“ in der Frage der Beflaggung kirchlicher Gebäude. Eine Veranstaltung, die derart von der suggestiven Kraft des Symbolischen lebte, musste notwendigerweise die Einhaltung dieser Symbolik auch im gesellschaftlichen Umfeld einfordern. Andererseits waren symbolische Handlungen, da jeder direkte Widerspruch zum Willen von Staat und Partei von harten Sanktionen bedroht war, meist die einzige Möglichkeit, Kritik anzudeuten. Der Flaggenstreit am Hesselberg bringt das entschiedene „Jein“ der Kirchenleitung zum Nationalsozialismus trefflich zum Ausdruck, das schon im Vorfeld des Reichsparteitages 1933 in Nürnberg gegolten hatte: Grundsätzlich, hieß es damals auf Anfrage, sollten Kirchen nicht mit dem Hakenkreuz geschmückt werden. Wenn es allerdings doch geschehe, werde die kirchliche Aufsichts­ behörde aber nichts dagegen unternehmen. 3 Göring, Hesselberg-Rede (1935). In kirchlichen Kreisen bekannt gemacht wurde der Wortlaut der Rede in: Gauger, Chronik, 526–528.

Der Flaggenstreit zum „Frankentag“ auf dem Hesselberg

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Zum „Frankentag“ 1936 gab der Landeskirchenrat auf Anfrage aus Wassertrüdingen eine ähnlich unpräzise Handlungsvorgabe: „Von der Beflaggung der Kirchen ist abzusehen. Die Pfarrhäuser sollen sich an Orten, in denen allgemein beflaggt wird, von der Beflaggung nicht ausschließen.“4 Dement­ sprechend handelten die Pfarrämter hier so, dort anders5. 1937 wiederholte sich das Durcheinander. Doch es gab einen Unterschied: Nun sahen die Gendamerieposten nach den Erfahrungen des Vorjahres genauer hin und machten aktenkundig, dass sich die überwiegende Mehrheit der evangelischen Gemeinden auf die Beflaggung, wenn überhaupt, der Pfarrhäuser beschränkt hatte. Zahlreiche Kirchen dagegen blieben unbeflaggt  – angesichts der inzwischen von Staats wegen so massiv betonten Bedeutung der Veranstaltung ein offener Affront gegen das Regime. Allein im Bezirk Dinkelsbühl befolgte fast ein Drittel der Gemeinden, nämlich elf von 39, die staatliche Anordnung nicht. Selbst Gemeinden am Fuße des Hesselberges wie Wittelshofen, Dambach oder Unterschwaningen boykottierten die Vorgabe. Aus den Begründungen, die von den Bezirksämtern geliefert wurden, war deutlich ersichtlich, dass die Verweigerung als konzertierte Aktion zu verstehen war. Ein Pfarrer im Bezirk Ansbach erklärte, es sei „charakterlos“, die Kirchen für einen Anlass zu beflaggen, bei dem „gegen“ die Kirche gesprochen werde. In ähnlicher Formulierung verkündete der Pfarrer von Höttingen im Bezirk Weißenburg von der Kanzel, eine Beflaggung käme einer „Charakterlosigkeit“ gleich, da im Vorjahr auf dem „Frankentag“ Schmähungen und Lästerungen gegen die Kirche geschehen seien6. Genauso hatte bereits im Vorfeld der Ver­ anstaltung der Pfarrer von Hilpoltstein argumentiert: „Nach der ganzen Aufmachung der Frankentage in den letzten Jahren (blosse Naturfrömmigkeit, Bagatellisierung der Sünde, deutliche Bearbeitung der Jugend – also deutliche antichristliche und antikirchliche Tendenz) ist eine Beflaggung der Kirchen eine reine Unmöglichkeit. Die Kirche würde sich selbst damit einen Schlag ins Gesicht versetzen! Der Frankentag ist auch kein Staatsakt. Nachdem die Partei selbst immer wieder zu gegebener Zeit Unterscheidungen zwischen Staat und Partei macht, muss es die Kirche erst recht tun.“7

Der Pfarrer von Aufkirchen verkündete beim Sonntagsgottesdienst: 4 Dekanat Wassertrüdingen vom 15. 6. 1936 mit handschriftlichen Notizen eines Referenten im Landeskirchenrat (LAELKB Nürnberg, Landeskirchenrat, 2013). 5 Dekanat Pappenheim vom 21. 7. 1936 und 11. 6. 1937 (ebd.) 6 Vgl. Bezirksamt Ansbach vom 21. 6. 1937; Bezirksamt Weißenburg vom 21. 6. 1937 (StA Nürnberg, Reg. v. Mfr. [1978], 1856). 7 Pfarrer Bayer, Hilpoltstein vom 27. 5. 1937 (LAELKB Nürnberg, Landeskirchenrat, 2013).

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Thomas Greif

„Unsere Kirche ist heute beflaggt. Die Fahne ist aber gegen meine Absicht und Willen im Auftrage einer anderen Stelle darauf angebracht worden. Mir selbst war es im Hinblick auf die Reden, die vor einem und vor zwei Jahren auf dem Hesselberg gehalten worden sind, aus Gewissensgründen nicht möglich gewesen, eine Beflaggung zu veranlassen.“8

Regierungspräsident Hans Dippold schäumte. Er hielt die ausgebliebene Beflaggung im fünften Jahr des Dritten Reiches für einen kaum noch für möglich gehaltenen Frevel und berichtete nach München: „Das ganze Frankenland nahm herzlichen Anteil an diesem Freudentag, von allen Häusern wehten die Fahnen, nur eine Anzahl Kirchen beider Bekenntnisse machten (sic!) hiervon eine Ausnahme. Die Geistlichkeit bewies so aufs neue, dass sie dem nationalsozialistischen Deutschland fremd gegenüber steht […]“9

Er wies die Bezirksämter an, gegen die renitenten Geistlichen Anzeige zu erstatten und weigerte sich, dem Landeskirchenrat, der nur fernmündlich von der Beflaggungsanordnung in Kenntnis gesetzt worden war und nun um schrift­ liche Übersendung der Weisung gebeten hatte, auch nur eine Antwort zu geben. Tatsächlich gingen bis zum Januar 1938 gegen 16 Geistliche, darunter die Dekane von Feuchtwangen, Dinkelsbühl und Burghaslach, Strafanzeigen wegen Nichtbeflaggung der Kirchen ein. Die Angelegenheit schwelte ungelöst vor sich hin, bis es im Mai 1938 in Ansbach zu einer Unterredung zwischen dem Regierungspräsidenten und Oberkirchenrat Hans Meinzolt vom Landeskirchenrat kam. Meinzolt ver­ sicherte den grundsätzlichen Willen der Kirche, sich an allgemeinen Fest­tagen wie dem „Frankentag“ zu beteiligen, beharrte aber auf der kritischen Distanz, „wenn anlässlich solcher Feste schmähende und verletzende Redensarten gegenüber Kirche und Christentum fallen.“ Dippold, der sich nunmehr als „Freund der Kirche“ vorstellte, hielt in rührender Einfältigkeit angesichts der bekannten Haltung Streichers gegenüber den Kirchen entgegen, solche Entgleisungen seien sicher nicht beabsichtigt. Meinzolts Vorschlag, bei der Beflaggungsanordnung doch einfach nur die „öffentlichen Dienstgebäude“ zu benennen, was die Kirchengebäude von der Beflaggungspflicht ausnehme, konterte der Regierungspräsident mit dem Totschlagsargument schlechthin bei allem, was zu jener Zeit auf dem Hesselberg passierte: „Er würde die […] angeregte Verfügung von sich aus nicht treffen, sondern erst den Gauleiter hierüber 8 Verkündbuch der Kirchengemeinde Aufkirchen 1935–1943 vom 20. 6. 1937 (LAELKB Nürnberg, Ev.-luth. Pfarramt Aufkirchen, A 11). 9 Bericht Regierungspräsident von Ober- und Mittelfranken vom 8. 7. 1937 (HStA München, StK, 6677).

Der Flaggenstreit zum „Frankentag“ auf dem Hesselberg

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be­fragen und er sehe voraus, welche Wirkung eine solche Anfrage beim Gauleiter haben werde.“10 Der Hinweis auf Streichers Willen brach den kirchlichen Widerstand. Im Vorfeld des „Frankentages“ von 1938 teilte der Landeskirchenrat den mittel­ fränkischen Dekanen die zuvor erlassene Verordnung des Regierungspräsidenten, die auch die ausdrückliche Verpflichtung zur Beflaggung der Kirchen von Samstagmittag bis Sonntagabend vorsah, schriftlich mit und ergänzte lediglich: „Wir haben […] versucht zu erreichen, dass nur die Dienstgebäude beflaggt werden. Der Herr Regierungspräsident konnte sich hierzu nicht entschließen.“11 Dippold machte allerdings immerhin seinen Einfluss in den laufenden Strafverfahren gegen die westmittelfränkischen Pfarrer und Dekane geltend: Die Verfahren wurden, soweit aus den Quellen ersichtlich, im August 1938 ein­ gestellt. Julius Streicher dachte natürlich nicht daran, das Wohlverhalten der Kirche zu belohnen. Bei seinen Reden am 25. und 26. Juni 1938 nannte er die Pfarrer „Heuchler im schwarzen Kleid“ und lobte das deutsche Volk als „christlich in einem höheren Sinne, nicht im Sinne von Formen und von Heiligen aus dem Orient, zu denen man uns früher beten ließ“. Die religiösen Rituale auf dem „heiligen Berg der Franken“, von Streicher einmal mehr als „Gottesdienst“ tituliert, unterschieden sich um kein Jota von denen der Vorjahre12. Schon eine Woche später legte der Nürnberger Kreisdekan Julius ­Schieder daher wütenden Protest beim Landeskirchenrat ein. Schieder empfahl, gegenüber der Regierung anzukündigen, beim kommenden „Frankentag“ werde nach den jüngsten Erfahrungen die Beflaggung der Kirchen und Pfarrhäuser unterbleiben: „Die Regierung müsse es verstehen, dass die Beflaggung aus Anlass dieses Tages für künftige Fälle einen unerträglichen Zustand bedeute.“13 Nach einem längeren und konträren Abwägungsprozess innerhalb der Kirchenbehörde sandte Landesbischof Meiser dem Regierungspräsidenten im September eine Protestnote, in der die dringende Bitte vorgetragen wurde, die Kirchen künftig von der Beflaggungspflicht auszunehmen. Das Schreiben fasst nochmals die kirchliche Kritik an dem Treiben auf dem Hesselberg zusammen: 10 DMasch. Manuskript Julius Schieder ohne Datum (nach 1945) (LAELKB Nürnberg, Personen LXXV [Henn], 5). 11 Landeskirchenrat vom 20. 6. 1938; auch Regierungspräsident von Ober- und Mittelfranken vom 17. 6. 1938 (beide LAELKB Nürnberg, Landeskirchenrat, 2013); Regierungspräsident von Ober- und Mittelfranken vom 25. 6. 1938 (StA Nürnberg, Reg. v. Mfr. [1978], 1856). 12 Vgl. Fränkische Tageszeitung vom 27. 6. 1938. 13 Protokoll Landeskirchenrat (Auszug) vom 25. 7. 1938 (LAELKB Nürnberg, Landeskirchenrat, 2013).

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„Wir sehen uns genötigt darauf hinzuweisen, dass […] in den am Hesselberg ge­ haltenen Reden Grundwahrheiten des christlichen Glaubens angegriffen und durch neue Lehren ersetzt wurden […]. Wir bitten […] zu verstehen, wenn die Kirche, die auch ihre Ehre hat, dagegen Widerspruch erhebt, dass sie zu solchen Reden, die sich gegen ihre Grundlagen richten, noch die Gotteshäuser beflaggen muss. Da der Grundsatz der Religionsfreiheit besteht, widerspricht es diesem Grundsatz, wenn die christ­lichen Kirchen festliche Beflaggung dazu zeigen müssen, wie man christlichen Glauben schmäht und untergräbt.“14

Dippold jedoch vermerkte lediglich in einer Aktennotiz, dass keine Veran­ lassung bestehe, die Kirchengebäude von der Beflaggungspflicht auszunehmen. Eine zusätzliche Erinnerung der Gauleitung an den Regierungspräsidenten, nach der alle Parteidienststellen Auftrag erhalten hätten, wegen der großen Bedeutung der Veranstaltung für die örtliche Beflaggung im ganzen Gaugebiet zu sorgen, erhöhte den Druck nochmals. Am 7. Juni 1939 ordnete Dippold die Beflaggung für den „Frankentag“ an und bezog ausdrücklich die Kirchen mit ein. Fünf Tage später gab der Landeskirchenrat die Verfügung an die Dekanate weiter; von weiteren Widersetzlichkeiten ist nichts mehr bekannt. Der Zeigefinger Julius Streichers hatte ausgereicht, den kirchlichen Proteststurm zu beruhigen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass am Schauplatz der „Frankentage“ heute Jahr für Jahr die evangelischen Fahnen beim bayerischen Kirchentag wehen. Die Kirchenleitung hatte sich den Hesselberg ganz bewusst als Standort der ersten Landvolkshochschule ausgesucht, um das ideologische Vakuum aufzufüllen, das auf dem symbolüberfrachteten Berg entstanden war. Die fest eingeplante Berufung Karl Steinbauers als Gründungsrektor scheiterte freilich am Widerstand des Landesbischofs. Es gibt in Bayern keinen Ort, an dem sich braune Vorkriegs- und kirchliche Nachkriegsgeschichte derart kreuzen wie auf dem Hesselberg. Der Berg mit seinem evangelischen Bildungs­ zentrum ist daher der geborene Ort für die Fortsetzung der kirchlichen Diskussion um die NS-Zeit.

14 Landeskirchenrat (gez. von Landesbischof Meiser) vom 7. 9. 1938 (StA Nürnberg, Reg. v. Mfr. [1978], 1856).

Der Flaggenstreit zum „Frankentag“ auf dem Hesselberg

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Quellen- und Literaturverzeichnis I. Unveröffentlichte Quellen Hauptstaatsarchiv (HStA) München StK 6677. Landeskirchliches Archiv Nürnberg (LAELKB) Landeskirchenrat, 2013. Ev.-luth. Pfarramt Aufkirchen, A 11. Personen LXXV (Henn), 5. Staatsarchiv (StA) Nürnberg Reg. v. Mfr. (1978), 1856.

II. Veröffentlichte Quellen und Darstellungen Eppelein, Friedrich: Das Neuendettelsauer Missionswerk und seine vier Arbeitsgebiete. Bericht 1933 der Gesellschaft für innere und äußere Mission im Sinne der Luthe­ rischen Kirche, Neuendettelsau 1933. Fränkische Tageszeitung vom 24. 6. 1935 und 27. 6. 1938. Göring, Herrmann: Hesselberg-Rede (1935). In: Joachim Gauger (Hg.): Chronik der Kirchenwirren. Dritter Teil: Von der Einsetzung der Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche im November 1934 bis zur Errichtung eines Reichs­ ministeriums für die kirchlichen Angelegenheiten im Juli 1935. Elberfeld o. J. [1934– 1936] = Gotthardbriefe 3 (1935), 526–528. Greif, Thomas: Frankens braune Wallfahrt. Der Hesselberg im Dritten Reich. Ansbach 2007.

Claudia Lepp

Kommentar

Uns wurden gerade die Ergebnisse von drei sehr unterschiedlichen lokal be­ zogenen Untersuchungen vorgestellt. Im Folgenden soll nun – unter der Leitfrage nach den Handlungsspielräumen – zunächst auf jeden der Beiträge ein­ gegangen und sodann allgemeine Forschungsperspektiven aufgezeigt werden.

1. Anmerkungen zu den drei Lokalstudien Grundlage der Untersuchung von Maike Goldhahn über die Gemeinde Geilsheim ist eine Pfarrchronik. Diese für lokal- und regionalgeschichtliche Studien zentrale Quellengattung muss quellenkritisch ausgewertet werden, handelt es sich doch um ein Verwaltungsdokument, das jeweils von einem Amtsträger mit bestimmten theologischen und kirchenpolitischen Positionen verfasst wurde. Über diese wurden wir von Frau Goldhahn auch unterrichtet, von Interesse wären indes noch Informationen zur politischen Haltung des evangelischen Landpfarrers Herbert Schirmer gewesen. Die Geilsheimer Pfarrchronik gibt Aufschluss über die Zusammensetzung des kirchenpolitischen Akteursfelds in der Dorfgemeinde: Vertreter der NSDAP, wenige Deutsche Christen, eine Vertreterin der Hensoltshöhe sowie die Bekenntnisgemeinschaft, der die Mehrzahl der Gemeindeglieder angehörte1. Ergänzend wären die politischen Kräfteverhältnisse in der Gemeinde vor und nach 1933 zu eruieren. Zählte Geilsheim zum ländlich-evangelischen Milieu, das der NSDAP seit 1930 weit überdurchschnittliche Wahlerfolge bescherte2? Über die Pfarrchronik erhalten wir auch Einblicke in die Reflexe der großen, kirchengeschichtlich bedeutsamen Ereignisse in den Erfahrungen und Handlungen des Pfarrers und der Gemeindeglieder  – z. B. anlässlich der Sport­ palastkundgebung. Bei den von Schirmer gehaltenen Schulungsvorträgen nach dem Sportpalastskandal handelt es sich um eine der überall in der Landes­ kirche stattfindenden Kirchenvorsteherschulungen. Diese Zurüstung für die 1 Einen Überblick über die innerprotestantischen Konfliktparteien in der bayerischen Landeskirche gibt Mensing, Kirche, 429–431. 2 Vgl. Falter, Wähler, 163–167; Pyta, Milieu, 199.

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ideologische Auseinandersetzung fand bis in die kleinsten Gemeinden hinein statt. Auch die Münchner Ereignisse im Herbst 1934 finden ihren Reflex in Geilsheim. Die Protestformen gleichen hier denen in anderen bayerischen Gemeinden: Schreiben an die Staatsvertreter und an Hans Meiser, Bittgottesdienst und ein Bußgottesdienst. Während Schirmer in dieser Phase viel Unterstützung von seinen Gemeindegliedern erfährt, ist dies bei der Einführung der Gemeinschaftsschule im Zuge der nationalsozialistischen Entkonfessionalisierungs­ politik nicht der Fall. Nun ist der Pfarrer in seinem beharrlichen Bemühen, den Bezirk kirchlichen Einflusses zu erhalten, zunehmend isoliert. Der Prozess der Reduzierung der Autorität der Kirche wäre hier in seinen konkreten lokalen und sozialen Bedingungs- und Bezugsformen erforschbar. Während Geilsheim nach Goldhahns Befund den Durchschnitt der bayerischen Gemeinden repräsentiert, gilt dies für die Kirchengemeinde Flossenbürg nicht, wie Herbert Sörgel gezeigt hat. Vor allem aber bedingt die Existenz des Konzentrationslagers eine Sondersituation. Wie geht die Gemeinde mit ihr um? Der offen nationalsozialistisch gesinnte Pfarrer Karl Wagner ließ KZ-Häftlinge im Pfarrhaus Zwangsarbeit leisten3 und unterhielt engen Kontakt zum Lagerkommandanten. Von einer Verwendung dieser Kontakte zugunsten der Häftlinge ist nichts bekannt. Der Steinmetzmeister Adam Bieber hingegen nutzte seinen Handlungsspielraum als Zivilarbeiter im Konzentrationslager zur Rettung einzelner Häftlinge. Ob die von ihm angeführte funktionale Argumentation auch seiner inneren Motivation entsprach, wissen wir nicht. Die Quellenlage zu derlei Hilfsaktionen ist ohnedies äußerst schwierig. Fälle von individueller Anteilnahme und Unterstützung von Verfolgten können nur noch mit Mühe belegt werden. Auch bei der Suche nach den Motiven derer, die trotz Wissen um die Verbrechen im Konzentrationslager keine Hilfe leisteten, sind wir zumeist auf die Aussagen von Zeitzeugen angewiesen. „Ratlosigkeit und Angst“ wird für die Gemeindeglieder in Flossenbürg angegeben. Potentielle Handlungsspielräume  – wie sie etwa Bieber nutzte  – wurden dadurch selbst verschlossen. Weiterführend wäre ein Vergleich mit dem Verhalten anderer Pfarrgemeinden in der Nähe von Konzentrationslagern. Auf Grund der zu ihnen durch­sickernden Nachrichten über die grauenhaften Zustände im Konzentrationslager entschlossen sich z. B. die Gemeinde Sachsenhausen und die Nachbargemeinde Friedrichsthal, die von Pfarrer Kurt Scharf mitbetreut wurde, für die Häftlinge Fürbitteandachten abzuhalten. Von 1938 bis Ende 1940 beteten sie für die Gefangenen und ließen für sie die Glocken läuten. Zwei ehemalige 3 Zur Zwangsarbeit im kirchlichen Bereich in Bayern allgemein vgl. Bing-von Häfen, Beschäftigung.

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KZ-Häftlinge teilten Scharf nach Kriegsende mit, dass die Gefangenen wuss-

ten, dass für sie gebetet wurde. Dies wird auch durch ein Liederbuch der Häftlinge deutlich, in dem der Text eines Liedes mit dem Titel „Dorfglocken“ überliefert ist4. Waren Fürbitteandachten eine der Formen resistenten Verhaltens von Kirchengemeinden, so war das Nicht-Hissen der Hakenkreuzfahne auf Kirchen eine andere. Um Letzteres ging es im Beitrag von Thomas Greif. Der Konfliktverlauf mit seinen kirchlichen, staatlichen sowie Partei-Akteuren ist symptomatisch: Hermann Görings diffamierende Bemerkungen über die evangelische Pfarrerschaft auf dem Frankentag 1935 war eine öffentliche Kampfansage an die Kirche. Der Landeskirchenrat verzichtete indes auf eine öffentliche Reaktion, dämpfte den Protestwillen der Gemeinden sowie der in ihrer national­ protestantischen Ehre angegriffenen Pfarrer und ging den Eingabenweg. 1937 kam es schließlich zum Flaggenstreit. Als Ausdruck des Protests gegen die antikirchliche Propaganda auf dem Hesselberg blieben zahlreiche Kirchen unbeflaggt, woraufhin gegen sechzehn Geistliche eine Strafanzeige gestellt wurde. Für 1938 versuchte die Landeskirche vergeblich die Kirchen von der Beflaggungsanordnung ausnehmen zu lassen. Der Staatsvertreter verwies auf den Willen des Parteirepräsentanten und der kirchliche Widerstand brach zusammen. Indes wurden auch die Verfahren gegen die Pfarrer eingestellt. Erneute antikirchliche und antichristliche Ausfälle Julius Streichers auf dem Frankentag 1938 beantwortete Bischof Hans Meiser wiederum erfolglos mit einer Protestnote an den Regierungspräsidenten. Weitere Vorstöße unterblieben in der Folgezeit – die legalen Handlungsspielräume waren abgesteckt. Wichtig an diesem Beispiel ist auch, dass es aus der in der Forschung oft vernachlässigten Zeit zwischen 1935 und 1939 stammt. In dieser Phase konnte das NS-Regime den Höhepunkt seiner Suggestivität entfalten und vermochte dadurch direkt und indirekt die Autorität der Kirche weit wirkungsvoller zurückzudrängen als 1933/345. Immer deutlicher erkannte man nun kirchlicherseits die antikirchlichen und antichristlichen Grundzüge des Nationalsozialismus und reagierte zunehmend hilfloser darauf. Auch hierfür ist der Verlauf des Flaggenstreits ein Beispiel.



4 Riedle, 5 Vgl.

Besuche, 41. auch Broszat, Bayern, 402.

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2. Tendenzen und Perspektiven der lokalen und regionalen Kirchengeschichtsforschung Seit den achtziger Jahren hat sich in der deutschen Geschichtswissenschaft eine regional- und lokalgeschichtliche Forschung mit sozial-, mentalitäts- und alltagsgeschichtlichen Fragestellungen etabliert. Insbesondere für die Erforschung der NS-Zeit wurde der lokale und regionale Ansatz vielfach angewandt und mit verschiedenen methodischen Ansätzen kombiniert6. Für Bayern ist an dieser Stelle das Forschungsprojekt „Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933–1945“ des Instituts für Zeitgeschichte zu nennen. Der regionalgeschichtliche Ansatz sollte die kulturellen und sozialen Voraussetzungen der NS-Herrschaft und ihre gesellschaftliche Akzeptanz aufdecken. Bereits in der ersten Veröffentlichung des Projektes ging Martin Broszat auf die Lage der evangelischen Kirchengemeinden ein und publizierte hierzu Berichte von Kapitelsbeauftragten für Volksmission und Visitationsberichte der Dekanate7. Diese Quellen geben Aufschluss über religiöse und politische Stimmungen in der Pfarrerschaft und in den Gemeinden8. In seiner Einleitung verweist Broszat auf den sozialen und politischen Bedingungshintergrund religiöser Einstellungen und darauf, dass die protestantische Kirche ihren kräftigsten Rückhalt meist in dem­ selben sozio-kulturellen Milieu hatte wie der Nationalsozialismus9. Gleichzeitig würdigt er aber auch unter dem umstrittenen Terminus „Resistenz“ den Beitrag der Kirche zur Stärkung von Kräften der Abwehr10. Broszat gab mit seinem Ansatz Impulse für eine neue, disziplinär über­ greifende kirchengeschichtliche Regional- und Lokalforschung in Bayern. Hier sind insbesondere zwei Arbeiten zu erwähnen, die ihre kirchengeschichtlichen Themen mit sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Fragestellungen verbanden. Der Theologe und Historiker Paul Kremmel schrieb in seiner 1987 veröffentlichten Dissertation sehr detailliert die Geschichte des Kirchenkampfs in Bayern „von unten her“, wie ihn Pfarrer und Gemeinden im Bereich des Bezirksamts Weißenburg erlebt hatten11. Björn Mensing untersuchte in seiner kollektivbiografischen Studie von 1998 das Verhältnis der bayerischen evangelischen Pfarrerschaft zum Nationalsozialismus12. Insgesamt ergibt sich aus



6 Vgl.

Wirsching, Nationalsozialismus. Broszat, Bayern, 369–425. 8 Ebd., 369. 9 Ebd., 375. 10 Ebd., 405. 11 Kremmel, Pfarrer. 12 Mensing, Pfarrer. 7 Vgl.

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diesen Studien das Bild einer starken Verflechtung zwischen Protestantismus und Nationalsozialismus sowie vielfacher Mischformen von Loyalität und Wider­ständigkeit. Auf diesem Weg der sozialhistorisch orientierten regionalen und lokalen Kirchengeschichtsforschung13 sollte fortgeschritten werden. Denn Kirchen­ geschichte geht nicht auf in der Erforschung des Handelns und Reflektierens von kirchenleitenden Organen und Theologen. Es geht auch darum, das kirchliche Alltagsleben und Konfliktverhalten auf der Gemeindeebene und in Kirchenregionen herauszuarbeiten. Gerade auf der Mikroebene lässt sich den Entstehungszusammenhängen und Bedingungsfaktoren von angepasstem oder resistentem Verhalten besonders gut nachgehen. Für einen überschaubaren Raum mit einer begrenzten Zahl von politischen und kirchlichen Akteuren und Konstellationen lassen sich Handlungsspielräume genau ausleuchten: – Welche Möglichkeiten gab es auf lokaler Ebene, sich dem NS-Herrschafts­ anspruch zu entziehen? – Wie wirkte sich der polykratische Charakter der NS-Herrschaft im Mikrokosmos Stadt oder Dorf aus? – Welche Milieu zerstörenden Potenzen entwickelte die NSDAP vor Ort? – Wie sah der dörfliche „Kirchenkampf“ aus14? – Welche Bedeutung hatten überkommene lokale Konfliktlinien für die kirchenpolitische Zersplitterung der Gemeinden? – Welche Rolle spielte das Handeln des Bischofs und des Landeskirchenrats für das Verhalten der Gemeindepfarrer und -glieder vor Ort? – Zeigte sich resistentes Verhalten ausschließlich dann, wenn kirchliche Interessen auf dem Spiel standen? – Wie wurde vor Ort mit den Christen jüdischer Herkunft umgegangen? – Welche Rolle spielten Denunziationen in den Gemeinden? Der Fragekatalog ließe sich weiter fortsetzen. Bei einem Vergleich des Kollektivverhaltens mehrerer Gemeinden lässt sich sodann erkunden, warum Kirchengemeinden unterschiedlich auf die national­ sozialistische Herausforderung reagierten und nach 1933 verschiedene Wege einschlugen. Inwieweit lassen sich diese Verhaltensvarianten aus den Bedingungen des politischen, sozialen und konfessionellen Umfelds erklären? 13 Auch zu anderen Landeskirchen gab es in den 1980er und 90er Jahren Regional- und Lokalforschung. Vgl. z. B.: Meyer-Zollitsch, Nationalsozialismus; Gailus, Kirchengemeinden; Sommer, Bekenntnisgemeinschaft; Hinz-Wessels, Kirchengemeinde; Fandel, Konfession; Meyer, Kirche. 14 Ein Beispiel hierfür bietet Schröttel, Vergessen.

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Auf der Grundlage des in verschiedenen Lokalstudien herausgearbeiteten Verhaltensspektrums könnte eine Art Typologie von bayerischen Gemeinden im Nationalsozialismus erstellt werden, wie Manfred Gailus sie für Berlin entwickelt hat15. Wie viele Varianten gab es innerhalb der so genannten „in­ takten“ bayerischen Landeskirche und wie sah ihre geographische Verteilung aus? Nicht zuletzt ließen sich durch vergleichende Lokalstudien geschlechts­ spezifische Spielräume und Verhaltensmuster ermitteln. Es gibt Hinweise darauf, dass sich in den Jahren ab 1935 vielfach die Männer von der Kirche zurückzogen16. War der Druck auf sie stärker, sich von der Kirche zu distanzieren? Wer gab diesem Druck nach und wer nicht? Die stillen Helfer, so scheint es, waren hingegen häufig Frauen17. Hing dies mit geschlechtsspezifischen Rollenbildern und dadurch bedingten Handlungsspielräumen zusammen? Diesen, wie den zuvor genannten Fragen sollte mit Hilfe lokaler Quellen sowie Zeitzeugeninterviews nachgegangen werden. Die Ergebnisse der lokal- und regionalgeschichtlichen Forschungen wiederum gilt es in die Geschichte des bayerischen und des deutschen Protestantismus der NS-Zeit einzuordnen und in übergreifende theologische und allgemeinhistorische Debatten einzubinden. Räumliche Begrenzung des Untersuchungsgegenstands bedeutet schließlich nicht Beschränkung des historischen Analysehorizonts.

Literaturverzeichnis Bing-von Häfen, Inga: Die Beschäftigung von Zwangsarbeitskräften in den Diensten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern während des Zweiten Weltkrieges. In: Kaiser, Jochen-Christoph (Hg.): Zwangsarbeit in Kirche und Diakonie 1939–45 (KoGe 32). Stuttgart 2005, 419–428. Broszat, Martin / Fröhlich, Elke / Wiesemann, Falk (Hg.): Bayern in der NS-Zeit. Soziale Lage und politisches Verhalten der Bevölkerung im Spiegel vertraulicher Berichte. Wien 1977. Falter, Jürgen W.: Hitlers Wähler. München 1991. Fandel, Thomas: Konfession und Nationalsozialismus. Evangelische und katholische Pfarrer in der Pfalz 1930–1939 (VKZG B 76). Paderborn 1997. –, Protestantische Pfarrer und Nationalsozialismus in der Region. Vom Ende der Weimarer Republik bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges. In: GeGe 29 (2003), 512–541. 15 Gailus, 16

Protestantismus und Nationalsozialismus. Broszat, Bayern, 403. 17 Vgl. z. B. Schoppmann, Rettung.

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Gailus, Manfred: Berliner Kirchengemeinden im Nationalsozialismus. Überlegungen zum Forschungsstand. In: Ders. (Hg.): Kirchengemeinden im Nationalsozialismus. Sieben Beispiele aus Berlin (Stätten der Geschichte Berlins 38). Berlin 1990, 9–25. –, Protestantismus und Nationalsozialismus. Studien zur nationalsozialistischen Durchdringung des protestantischen Sozialmilieus in Berlin (Industrielle Welt. Schriften­ reihe des Arbeitskreises für Moderne Sozialgeschichte 37). Köln 2001. –, Protestantismus, Nationalsozialismus und Nachkriegsgeschichte – Einführende Überlegungen zu Problemen und Fragestellungen der Berliner Tagung. In: Ders. / Krogel, Manfred (Hg.): Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche im Nationalen. Regionalstudien zu Protestantismus, Nationalsozialismus und Nachkriegsgeschichte 1930 bis 2000. Berlin 2006, 13–26. –, Von der selbst gewählten hundertjährigen Gefangenschaft der Kirche im Nationalen. Nachträgliche Anmerkungen zur Berliner Tagung „Protestantismus, Nationalsozialismus und Nachkriegsgeschichte“ (2002). In: Ders. / Krogel, Wolfgang (Hg.): Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche im Nationalen. Regionalstudien zu Protestantismus, Nationalsozialismus und Nachkriegsgeschichte 1930 bis 2000. Berlin 2006, 511–538. –, Protestantismus und Nationalsozialismus. Ein Bericht über den Stand der Debatte. In: Scherzberg, Lucia (Hg.): Vergangenheitsbewältigung im französischen Katholi­ zismus und deutschen Protestantismus. Paderborn 2008, 155–172. Greif, Thomas: Frankens braune Wallfahrt. Der Hesselberg im Dritten Reich (Mittelfränkische Studien 18). Ansbach 2007. Hinz-Wessels, Anette: Die Evangelische Kirchengemeinde Bonn in der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945). (SVRKG 119; Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn 57). Bonn 1996. Kremmel, Paul: Pfarrer und Gemeinden im evangelischen Kirchenkampf in Bayern bis 1939. Mit besonderer Berücksichtigung der Ereignisse im Bereich des Bezirksamts Weißenburg in Bayern (SNKG 1). Lichtenfels 1987. Mensing, Björn: Pfarrer und Nationalsozialismus. Geschichte einer Verstrickung am Beispiel der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (AKIZ B 26). Göttingen 1998. –, Konservative Lutheraner zwischen NS-Verstrickung, Selbstbehauptung und Entnazi­ fizierungskritik. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern. In: Gailus, Manfred /  Krogel, Wolfgang (Hg.): Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche im Nationalen. Regionalstudien zu Protestantismus, Nationalsozialismus und Nachkriegsgeschichte 1930 bis 2000, 419–445. Meyer, Eduard: Die Evangelische Kirche in Ulm 1918–1945 (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 26). Stuttgart 1998. Meyer-Zollitsch, Almut: Nationalsozialismus und evangelische Kirche in Bremen (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 51). Bremen 1985. Pyta, Wolfram: Ländlich-evangelisches Milieu und Nationalsozialismus bis 1933. In: Möller, Horst / Wirsching, Andreas / Ziegler, Walter (Hg.): Nationalsozialismus in der Region. Beiträge zur regionalen und lokalen Forschung und zum internationalen Vergleich (VZG.S Sondernummer). München 1996, 199–212.

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Riedle, Andrea: Besuche und Seelsorge im KZ Sachsenhausen. In: Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e. V. (Hg.): Mit streitbarem Glauben und leidenschaftlicher Zuversicht. Kurt Scharf. Ein Leben für Gerechtigkeit und Frieden. Berlin o. J., 37–41. Schoppmann, Claudia: Rettung von Juden. Ein kaum beachteter Widerstand von Frauen. In: Kosmala, Beate / Schoppmann, Claudia (Hg.): Überleben im Untergrund. Hilfe für Juden in Deutschland 1941–1945 (Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit 5). Berlin 2002, 109–126. Schröttel, Gerhard: Wider das Vergessen. Die Evangelisch-Lutherische Kirchen­ gemeinde Schwabach unter der Herrschaft des Nationalsozialismus. In: ZBKG 67 (1998), 138–156. Sommer, Karl-Ludwig: Bekenntnisgemeinschaft und bekennende Gemeinden in Oldenburg in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft. Evangelische Kirchlich­ keit und nationalsozialistischer Alltag in einer ländlichen Region (VHKNS 39; 5). Hannover 1993. Wirsching, Andreas: Nationalsozialismus in der Region. Tendenzen der Forschung und methodische Probleme. In: Möller, Horst / Wirsching, Andreas / Ziegler, Walter (Hg.): Nationalsozialismus in der Region. Beiträge zur regionalen und lokalen Forschung und zum internationalen Vergleich (VZG.S Sondernummer). München 1996, 25–46.

Erinnerung an kirchliches Handeln

Björn Mensing

Zum Umgang mit der Schuldfrage in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern nach 1945 Die

I. Der Ruf zur Buße verhallt – Die Tagung der Landessynode im Juli 1946 Die rückblickende Deutung des kirchlichen Verhaltens im „Dritten Reich“ nahm auf der ersten Tagung der im März 1946 gewählten Landessynode vom 9.  bis 13.  Juli 1946 in Ansbach einen breiten Raum ein. Da bei dieser Tagung erstmals nach Kriegsende alle vier „obersten Organe“ der Landeskirche vertreten waren und in der Aussprache die Grundpositionen zur Schuldfrage zutage traten, wird sie hier exemplarisch behandelt. Ein Teil der Stellungnahmen  wurde in den öffentlichen Programmpunkten der Synodaltagung abge­ geben. Landesbischof Hans Meiser bekannte in seiner Eröffnungspredigt: „Nicht wir haben die Kirche gerettet. An uns hätte sie sterben können. Wir haben oft genug versagt […]. Wir haben es ja erlebt in den vergangenen Jahren. Wo uns der Mut entfiel, wo sich die Kirche Gottes auf den Weg der Kompromisse begab, da verloren wir eine Stellung um die andere.“1 Auch seinen Bischofsbericht begann Meiser mit einem „Rückblick auf den Kirchenkampf“, in dem er die Linie der bayerischen Landeskirche im Kirchenkampf generell rechtfertigte, aber im Blick auf die Spannungen innerhalb der Bekennenden Kirche einräumte: „Wir alle müssen im Rückschauen auf den gemeinsamen Kampf bekennen, daß wir manche Entscheidung heute anders treffen würden, wenn wir sie nochmals zu treffen hätten, und daß wir einander mancherlei zu vergeben haben.“2 Bezüglich des Verhaltens der Kirchenleitung den NS-Gewaltverbrechen gegenüber fehlt ein solches Eingeständnis. Meiser verwies vielmehr auf das Engagement der Kirche in diesem Bereich trotz der drohenden Bestrafungen:

1 Meiser,

Kirche, 177; 181. Ansbach 1946, 9; der Bischofsbericht ist auch abgedruckt bei Meiser, Kirche, 183–203.

2 Landessynode

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„Dabei wurde […] jede Kritik an den Maßnahmen der Staatsführung gegen das sogenannte lebensunwerte Leben, gegen die Ausrottung der Juden, gegen die schmachvolle Behandlung der Häftlinge und gegen die Behandlung der unterworfenen Völker immer schwieriger, weil unter dem herrschenden Kriegsrecht jedes Wort der Kritik sofort als Landes- oder Hochverrat gebrandmarkt und jede öffentliche Stellungnahme der Kirche mit drakonischen Maßnahmen unterdrückt wurde. Unterblieben ist solche Kritik nicht.“3

Selbstkritische Untertöne im Blick auf die volksmissionarischen Illusionen in der Anfangszeit des „Dritten Reiches“ klingen durch, wenn Meiser als geist­ lichen Gewinn des Kirchenkampfes festhält, dass die Kirche nun „ganz anders als bisher um […] ihre Stellung zum Staat und zum öffentlichen Leben überhaupt“ wisse und „verlernt [habe] ihre Stütze bei der weltlichen Macht oder in der Bindung an politische Parteien zu suchen.“4 Bei der Frage nach den Ursachen der Katastrophe blendete Meiser die historische Analyse der politischen Voraussetzungen für die Errichtung des NS-Führerstaates aus und wandte sich direkt der geschichtstheologischen Deutung zu: „Die Entgottung der Welt ist doch die letzte Ursache der Weltkatastrophe, in die wir hineingestoßen sind.“5 Schon im März 1946 hatte der Landes­kirchenrat den Pfarrern diese Deutung für ihre Verkündigungsarbeit nahegelegt. Die deutsche Katastrophe sei ein Gericht Gottes darüber, „daß unser Volk (und nicht nur unser Volk) der Renaissance mit ihrer Leugnung des Ersten Gebotes verfallen ist in Rationalismus, Liberalismus, Nationalismus, Nationalsozialismus, Marxismus, Kommunismus.“6 Der stellvertretende Vorsitzende des scheidenden Landessynodalausschusses, Emil Sörensen, ein Augsburger Ingenieur, ging in seinem Bericht vor der Landessynode stattdessen von einer genauen Betrachtung der Fakten aus: „Jeder solche Kampf bringt eine Fülle von Versuchungen mit sich, Versuchungen zu Kompromissen und auf der anderen Seite etwas zu überspannen. Diesen Versuchungen nach beiden Seiten sind wir mehr als einmal erlegen. Es ist mir ganz klar geworden bei der Durchsicht der Akten, daß sehr vieles festgehalten wurde, daß keiner unter uns ist, der nicht viele Worte, die er gesprochen hat in den vergangenen 12 Jahren, heute gerne ungesprochen sein ließe. Wir vergessen nur zu schnell, was wir selber gesagt haben.“7

3 Ebd.,

10; im Original ist der ganze Abschnitt hervorgehoben. 11. 5 Ebd., 23. 6 ABlB 33 (1946), Beilage zu Nr. 5, 6. Vgl. zur Vermittlung dieser Deutung in den landeskirchlichen Publikationen Mensing, Pfarrer, 215–217. 7 Landessynode Ansbach 1946, 30. Der promovierte Ingenieur Sörensen war ab 1. 8. 1940 Mitglied des Landessynodalausschusses, der ihn zum stellvertretenden Vorsitzenden wählte. Nach

4 Ebd.,

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Einen Grund für die Kompromissbereitschaft sah Sörensen in der ansteckenden nationalen Begeisterung, die insbesondere nach den außenpolitischen Erfolgen des NS-Regimes weite Teile der deutschen Bevölkerung erfasste. In den geschlossenen Sitzungen der Synode am 11. und am 12. Juli 1946 äußerten sich mehrere Redner zum Umgang mit der belasteten Vergangenheit. Synodalpräsident Wilhelm Eichhorn, ein Münchner Bankdirektor, bekannte: „Insgesamt müssen wir gestehen, dass unsere Gemeinden samt allen kirch­lichen Mitarbeitern versagt haben. Wir haben geschwiegen, wo wir reden mussten, und haben uns auch dann nicht gemeldet, als es unsere christ­ liche Pflicht gewesen wäre, aufzustehen. Diese Gelegenheit war z. B. zwingend gegeben, als die Judenverfolgungen einsetzten und die Frage der Euthanasie zu behandeln war.“8 Der Uffenheimer Dekan Hermann Riedelbauch, in der NSZeit Mitglied der bayerischen Pfarrerbruderschaft, sah in der einseitigen Betonung des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit den Grund für dieses Versagen: „Unserer Kirche liegt es im Blut dem Staate zu geben, was des Staates ist, und sie ist geneigt, Röm.[er] 13 einseitig zu betonen. Besonders unsere Gemeindeglieder sind dieser Versuchung weithin zum Opfer gefallen, aber auch wir selbst mit ihnen. Der Kirchenkampf musste uns auch zeigen: man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“9 Riedelbach sprach von „unsere[r] Schuld, die wir in den vergangenen Jahren auf uns geladen haben“10. Der Erlanger Dekan und Honorarprofessor Walter Künneth, in der NS-Zeit wegen seiner Kritik an Alfred Rosenberg mit Rede- und Schreibverbot belegt, ergriff im Anschluss das Wort und lenkte den Blick von der eigenen Schuld auf das vermeintliche Unrecht der Entnazifizierungsmaßnahmen: „Wir denken an Verhaftungen und Internierungen ohne Verhör und Rechtsgrund. Warum wir das sagen? Ich meine, unsere Kirche wird sich nicht ein zweites Mal den Vorwurf gefallen lassen, sie hätte geschwiegen, wo Unrecht geschieht, geschwiegen, wo geredet hätte werden sollen. Wir wollen handeln und nicht nach dem augenblicklichen Erfolg fragen. Wir haben unsere Pflicht zu tun, und das heißt handeln und nicht schweigen.“11 Im Namen des Allgemeinen Ausschusses der Landessynode beantragte er eine Intervention der Kirchenleitung: „Wir schlagen vor, dass der Herr der Berufung des bisherigen Vorsitzenden Wilhelm Bogner zum Oberkirchenrat 1944 wurde Sörensen bis zur Wahl der neuen Landessynode kommissarisch die Leitung übertragen. Im Synodal­ bericht erscheint er als „Prof. Dr. ing.“. 8 LAELKB Nürnberg, LS 61, Protokoll 2. geschlossene Sitzung, 11. 7. 1946, 9. Das vollständige Protokoll dieser Synodaltagung ist nicht publiziert worden; im 1946 gedruckten Bericht ist die Aussprache nur „auszugsweise wiedergegeben“ (Landessynode Ansbach 1946, 5). 9 LAELKB Nürnberg, LS 61, Protokoll 2. geschlossene Sitzung, 11. 7. 1946, 14. 10 Ebd., 15. 11 Ebd., 16.

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Landesbischof und der Präsident der Synode gemeinsam dieses Anliegen und diese unsere Sorge bei den staatlichen Stellen und den Stellen der Besatzungsmacht zum Ausdruck bringen.“12 Wilhelm Grießbach, der sich als junger Pfarrer und als Mitarbeiter des Nürnberger Kreisdekans Julius Schieder im Kirchenkampf engagiert hatte, lenkte den Blick zurück auf die eigene Schuld in der NS-Zeit und rief seine Mit­brüder zur Buße auf: „Wir haben zwar keine Gloriole um unseren Kirchenkampf gemalt, aber das Verständ­ nis unserer Existenz als eines aus dem Feuer aus Gnaden geretteten Brandscheits ist doch nicht deutlich genug geworden. […] Wir müssen in einer solchen Stunde doch klar erkennen und bekennen, dass wir versagt haben […], dass wir furchtsam waren, wo wir hätten mutig sein sollen. Dass wir geredet haben und haben falsch ge­redet, geschwiegen haben und haben an falscher Stelle geschwiegen, dass wir träge gewesen sind […], dass wir taktisch gehandelt haben, statt im Glauben – ob das im Falle der Wahl von Ludwig Müller oder im Schulkampf oder in Sachen der Bußliturgie oder sonst gewesen ist. Wir müssen uns miteinander in die Buße stellen, in die uns der Herr stellt. Von Bruder zu Bruder dürfen wir das Wort der Vergebung sprechen und glauben.“13

Meisers Reaktion auf diesen Ruf zu Buße zeigt den Hintergrund seiner Zurückhaltung bei konkreten, öffentlichen Schuldbekenntnissen: „Wir wurden aufgefordert, hier doch uns der Buße zu beugen, die uns das mannigfache Versagen im Kirchenkampf zur Pflicht macht. Meine Herren, ich möchte der letzte sein, der hier Dinge zu beschönigen versucht, an denen man wohl sein Leben lang als an schweren, bitteren Wunden trägt. Aber es ist die Frage, ob es wirklich unsere Pflicht ist, diese Wunden, die wir aus der Zeit des Kampfes mit uns tragen, immer wieder aufzubinden, um sie jedermann sehen zu lassen. Mir geht immer ein Wort des großen Theologen [Philipp] Bachmann nach: ‚Die rechte Buße ist ein neues Leben‘. Man kann Buße tun nicht bloß durch Schuldbekenntnisse  – die können recht zweckbestimmt sein; die Echtheit der Buße erweist sich darin, daß man die Fehler, soweit Gott Gnade gibt, in Zukunft vermeidet. Eines möchte ich ablehnen, mich ständig zur Buße rufen zu lassen von Leuten, die außer jeder Verantwortung standen. Auch im Ausland sieht man ein, daß an dem ständigen Bußruf K.[arl] Barths etwas nicht stimmen kann. […] Dafür kann ich beim besten Willen mich und unsere Kirchenleitung nicht entschuldigen, daß wir nicht alle im KZ waren. Vielleicht waren wir zu zaghaft, unsere Gegner herauszufordern, vielleicht aber lag es auch daran, daß unsere Gemeinden uns geschützt haben, da nach dem Erleben des Kirchenkampfes und dem Aufstand der Gemeinden die maßgeblichen Stellen sich sehr gehütet haben, einen ähnlichen Aufstand der Gemeinden noch einmal zu provozieren. […] Durch 12 Ebd. 13

Ebd., 18 f.

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manche Äußerungen klingt es so, daß wir deswegen unsere Aufgabe versäumt hätten, weil unser Widerstand nicht zugleich in eine politische Widerstandsbewegung einmündete, weil wir uns nicht am Tyrannenmord beteiligt haben. ‚Jetzt, jetzt gehören die Christen auf die Barrikaden!‘ wurde mir in Berlin einmal gesagt. Ob nicht die Salzburger Emigranten dem Geist des Evangeliums näher stehen als die französischen Hugenotten? Und ob nicht die Evangelischen in Österreich, die in der Zeit des Geheimprotestantismus durch 180 Jahre das Evangelium allen Widerständen zum Trotz durch stilles Aushalten hindurchgerettet haben, mehr Salz und Kraft für die christ­ liche Kirche in Europa geworden sind, als die, die entgegen der Weisung des Herrn das Evangelium auf des Schwertes Spitze gestellt haben?“14

Es fällt auf, dass bei Meiser die Opfer des NS-Unrechtsstaates nur in der theo­ logischen Abgrenzung von deren politischem Widerstand vorkommen – in seinem Bischofsbericht hatte er immerhin noch an den 1944 in politischer Haft umgekommenen Kirchenjuristen Friedrich von Praun erinnert15. Den früheren Mitläufern und Tätern des NS-Regimes wendet Meiser sich mit seiner Fürsorge sehr viel konkreter zu: „Zu dem vorgelegten Antrag, daß die Landeskirche, Landesbischof und Synodal­ präsident bei der Besatzungsmacht vorstellig werden, weil die Kirche die Pflicht hat, gleichviel wer das Regiment im Staat führt, die Stimme zu erheben, wenn öffentlich Unrecht geschieht, darf ich sagen, daß ich die Zahl der Bemühungen in dieser Richtung kaum aufzählen kann. Ich erinnere an die beiden Vorstellungen, die ich gemeinsam mit Kardinal [Michael von] Faulhaber – erstmalig in der Geschichte unserer Landeskirche – an die Besatzungsmacht gerichtet habe, einmal mit der Bitte, daß an die Stelle des summarischen ein individualisierendes Verfahren in der Ent­nazifizierung trete, zum zweiten zu Gunsten der in den Lagern Festgehaltenen und der vielen Renten- und Pensionsempfänger. Dazu kommen zahllose persönliche Vorstellungen, teils bei den offiziellen Inhabern der militärischen oder zivilen Gewalt, teils bei den vielen Besuchen, die zur Information und Fühlungnahme durch mein Amtszimmer gegangen sind. Wir haben nicht hinter dem Berg gehalten. Ich erinnere besonders an die Vorstellungen in der Frage des Säuberungsgesetzes, an das Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland an [den] Kontrollrat und die Besatzungsbehörden, an die Verhandlungen des Ökumenischen Rats in Genf, an die Verhandlungen mit den englischen Bischöfen. Die Besatzungsmacht hat die Stimme der Kirche gehört.“16

Die Synode stellte sich mehrheitlich hinter Meisers und Künneths Form der Vergangenheitsaufarbeitung und richtete gemeinsam mit dem Landeskirchen 14 LAELKB 15

Nürnberg, LS 61, Protokoll 3. geschlossene Sitzung, 12. 7. 1946, 35–37. Landessynode Ansbach 1946, 15. 16 LAELKB Nürnberg, LS 61, Protokoll 3. geschlossene Sitzung, 12. 7. 1946, 39 f.

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rat ein „Wort an die Gemeinden“, in dem die selbstkritische Reflexion zum Kirchenkampf noch allgemeiner ausfiel als in Meisers Eröffnungspredigt: „Es hat niemand unter uns alles getan, was ihm zu tun geboten war. Nicht unsere Treue, sondern Gottes Treue hat die Kirche erhalten.“17 An die Stelle der „Solidarität der Schuld“18 mit dem deutschen Volk, zu der sich Meiser als Mitglied des Rates der EKD in der Stuttgarter Schulderklärung im Oktober 1945 vor Vertretern der Ökumene bekannt hatte, trat anscheinend die Abwehr der Kollektivschuldvorwürfe: „Wohl haben viele von den Greueln und Verbrechen nichts gewußt, die unter dem deutschen Namen verübt wurden. Der Geist, aus dem sie stammten, ist unserem Volk in seiner Gesamtheit fremd.“19 Immerhin bekannte sich die Synode aber zu einer Art Kollektivhaftung: „Aber gerade als ein Volk, das in seiner Geschichte viel Großes empfangen durfte, müssen und wollen wir auch haften für diese schweren Missetaten. Darum beugen wir uns in Demut und Gehorsam unter Gottes Gericht.“20 Die überlebenden NS-Verfolgten und die Angehörigen der NS-Opfer kommen allerdings nicht in den Blick, obwohl eindringlich zu Trost und tätiger Fürbitte für verschiedene Notleidende aufgerufen wird: für „die Brüder und Schwestern im Osten“, „die Männer […], die immer noch in Gefangenschaft sind“, die deutschen Flüchtlinge und die „anderen Opfer des Krieges“21.

II. Kirchliches Engagement für die früheren Mitläufer und Täter des NS-Regimes Schon Mitte Mai 1945, als erste Säuberungsmaßnahmen die Verwaltungs­ spitzen betrafen, wies Meiser die amerikanische Militärregierung auf die „Not der wegen Parteizugehörigkeit Entlassenen“22 hin. Im Juli und Dezember 1945 wandten sich Meiser und der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Michael von Faulhaber, in gemeinsamen Eingaben an die Militärregierung, um insbesondere gegen die pauschalen Kriterien der „Massenentlassungen“ aus dem öffentlichen Dienst und des automatischen Arrestes zu protestieren. Zahlreiche Personen, die aufgrund formaler Kriterien – Zugehörigkeit zur SS, Offiziersrang bei der SA oder Funktionärstätigkeit in der NSDAP – als mut 17 Landessynode 18

Ansbach 1946, 57 (Hervorhebung im Original). Greschat, Schuld, 102. 19 Landessynode Ansbach 1946, 58. 20 Ebd. 21 Ebd., 60. 22 Vollnhals, Entnazifizierung, 25; vgl. Vollnhals, Kirche, 52 f.

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maßliche NS-Aktivisten und Kriegsverbrecher angesehen wurden, waren bereits in speziellen Lagern interniert worden. Nach der Verkündung des Befreiungsgesetzes brachten Landeskirchenrat, Landessynode und insbesondere Meiser ihre starken Bedenken gegen die Art und Weise der Entnazifizierung, in der sich der Geist der Rachsucht, des Hasses und der Ungerechtigkeit zeige, in zahlreichen Gesprächen mit Repräsentanten der Landesregierung und der Besatzungsmacht sowie in Denkschriften und Kanzelabkündigungen zum Ausdruck23. Eine zentrale Rolle in der Argumentation gegen sämtliche Säuberungsmaßnahmen spielte der Verweis auf den Verstoß gegen die abendländische Rechtstradition „nulla poena sine lege“ durch die nachträgliche Bestrafung von Handlungen, die zum Zeitpunkt ihrer Ausführung nicht strafbar waren. Zudem wurde immer wieder beanstandet, dass auf bloße Schuldvermutungen hin bereits vor Abschluss eines individuellen Verfahrens gegen den „Angeklagten“ Sanktionen verhängt und dass Gesinnungen bestraft würden, die allein nach göttlichem Recht als Unrecht zu gelten haben. Die Kirche übernahm mit ihrer Kritik an der Entnazifizierungspraxis eine Vorreiterrolle in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Wegen der Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten des Globalverfahrens der Entnazifizierung, in dem schließlich beinahe jeder unter NS-Verdacht stand und sich genötigt sah, das Gegenteil zu beweisen, verlor bald nahezu die gesamte deutsche Bevölkerung den Glauben an den Sinn dieser Variante von „Vergangenheitsbewältigung“24. Die zweite Säule der politischen Säuberung stellte die strafrechtliche Ahndung von NS- und Kriegsverbrechen dar. Diese erfolgte im Hauptprozess vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg, den zwölf Nürnberger Nachfolgeprozessen und zahlreichen anderen Verfahren vor Militär- und Sondergerichten der Siegermächte. Gegen den großen Nürnberger Prozess meldete Meiser auf einer Sitzung des Rates der EKD im Dezember 1945 Vorbehalte an. Ankläger und Richter seien in diesem Verfahren dieselben Personen. Besonderen Anstoß nahm Meiser daran, dass in Nürnberg die UdSSR auf der Richter- und nicht auf der Anklagebank saß: „Die Russen wissen gar nicht, daß sie sich selbst in Nürnberg verurteilen.“25 In den folgenden Jahren gehörte der bayerische Landesbischof auf der evangelischen Seite zu den aktivsten Fürsprechern für einige der Angeklagten26. Meiser attestierte diesen Personen im 23 Vgl. 24

Landessynode Ansbach 1946, 24 (Bericht Meisers). Henke / Woller, Säuberung, 13 f. 25 Nicolaisen / Schulze, Protokolle, 212. 26 Vollnhals, Hypothek, 59 f. (Einsatz für Konstantin von Neurath, Lutz Graf Schwerin von Krosigk, Wilhelm List und Wilhelm von Ammon); Buscher, War Crimes, 97 f.; Renner, Nachkriegsprotestantismus, 132 f.; Klee, Persilscheine, 59 f. passim.

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Wesentlichen kirchliche Bindung und christliche Überzeugung; im „Dritten Reich“ seien sie nur auf ihren Posten geblieben, um Schlimmeres zu verhüten. Grundsätzliche Bedenken meldete Meiser gegenüber Vertretern der ameri­ kanischen Besatzungsmacht im Blick auf die sogenannten Dachauer Prozesse an, in denen KZ-Wachmannschaften zur Verantwortung gezogen und Kriegsverbrechen gegen amerikanische Soldaten geahndet wurden. Viele Angeklagte seien ungefragt zum Dienst im KZ kommandiert worden und hätten als Soldaten eben Befehle auszuführen gehabt. Außerdem beanstandete Meiser schwere Verstöße gegen rechtsstaatliche Verfahrensprinzipien, insbesondere im sogenannten Malmedy-Prozess gegen SS-Männer, die während der ArdennenOffensive 1944 amerikanische Kriegsgefangene erschossen hatten. Neben die Forderung nach einer Revisionsinstanz bzw. einer Neuaufnahme aller Kriegsverbrecherprozesse traten Bitten um menschenwürdige Behandlung der Internierten und Verurteilten sowie um Begnadigungen. Die Kirchen befanden sich mit ihrer Kritik an den Kriegsverbrecherprozessen in Übereinstimmung mit großen Teilen der deutschen Gesellschaft. Keine andere Maßnahme der Besatzungsmacht, abgesehen von der Entnazifizierung, stieß auf eine so geschlossene deutsche Ablehnung, weil sie als willkürliche Bürde der Sieger gegenüber den Besiegten und als Beleidigung des Nationalstolzes empfunden wurde27. Der kirchliche Einsatz für die „Opfer“ von Entnazifizierung und Strafverfolgung beschränkte sich nicht auf öffentliche Stellungnahmen und Interventionen bei den für die politische Säuberung Verantwortlichen. Nahezu jeder bayerische Pfarrer wurde mit Bitten um Entlastungszeugnisse konfrontiert. Schon die Amerikaner hatten in der ersten Phase der Entnazifizierung kirch­ liches Engagement als entlastenden Faktor anerkannt. Auch das Befreiungs­ gesetz nannte in Artikel 39 „nachweisbare regelmäßige öffentliche Teilnahme an den Veranstaltungen einer anerkannten Religionsgemeinschaft, sofern klar erwiesen ist, daß diese Teilnahme eine Ablehnung des Nationalsozialismus bedeutete“, als Umstand, der von der Spruchkammer zugunsten des Betroffenen berücksichtigt werden sollte. Quantifizierende Aussagen über die Reaktionen der Pfarrer auf diese Bitten sind aufgrund der Quellenlage nicht möglich. Es gibt dafür nur Anhaltspunkte. So beanstandete der Landeskirchenrat im September 1945, dass mancherorts die Entlastungsschreiben von den Pfarrern „in sehr weitherziger Weise“28 aus Gutmütigkeit und Arglosigkeit ausgestellt würden. Nicht die politische Gesinnung und Betätigung dürfe Gegenstand eines kirchlichen Zeugnisses sein, sondern ausschließlich der kirchliche Tatbestand. 27 Buscher, 28

War Crimes, 109 f. Rundschreiben an die Pfarrer vom 21. 9. 1945 (Vollnhals, Kirche, 278).

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Eine Stichprobenuntersuchung für die Berufungskammer München kommt zu dem Ergebnis, dass evangelische wie katholische Pfarrer Zeugnisse ausstellten, „wo sie sachliche Veranlassung dazu hatten, und daneben als Protest gegen die Entnazifizierung oder aus Mildtätigkeit dort, wo sie besonders gebraucht wurden, nämlich bei den Hauptschuldigen und einem Teil der Belasteten“29. Wie grundsätzlich allen Gefangenen, so galt auch den im Kontext von Entnazifizierung und Strafverfolgung internierten und inhaftierten Protestanten der seelsorgerliche und diakonische Auftrag der Kirche. Zu den hermetisch abgeriegelten Internierungslagern hatten lediglich Pfarrer Zutritt30. Nur eine relativ kleine Anzahl von bayerischen Gemeindepfarrern war seelsorgerlich in Internierungslagern tätig, die in ihrem Gemeindebereich lagen. In der Regel waren spezielle Lagerpfarrer mit der Betreuung der Internierten beauftragt. Der Münchner Kreisdekan Oskar Daumiller besuchte alle 53 Internierungs­ lager in seinem Kirchenkreis. In seinen Augen waren auch unbelastete Männer unter den automatischen Arrest gefallen. Er schmuggelte bei seinen Besuchen Briefe aus den Lagern heraus und erwirkte Erleichterungen für die Internierten31. Auch Meiser besuchte mehrere Internierungslager. In einer Predigt im Lager Moosburg versicherte er im Juli 1947 den Internierten den kirchlichen Beistand: „Es ist ein ständiges Anliegen, Euer Los zu erleichtern und zu verhindern, daß, nachdem der Krieg so viel Unrecht in die Welt gebracht hat, nicht neues Unrecht geschieht“32. Die schuldhaften Verstrickungen eines Großteils der Gottesdienstgemeinde in der NS-Zeit kamen nicht zur Sprache, kein Wort über die Schrecken, welche die Opfer erlitten und die Täter verbrochen hatten, kein Aufruf zu Reue und Trauer über die unsäglichen Gewaltverbrechen. Gegen Ende der Predigt rückte Meiser das Los der Internierten gar in die Nähe des christlichen Martyriums: „Es ist ja nicht so, daß wir […] allem Leid enthoben wären. Gerade wen der Herr lieb hat, den züchtigt er und die, welche Christus nachfolgen, müssen Verfolgung leiden. Es kann bis zum Martyrium gehen. Aber auch der Märtyrertod kann und darf uns in der Gewißheit nicht erschüttern, daß uns aufbewahrt ist ein großes Erbe, welches ist 29 Niethammer, Entnazifizierung, 616; 613 f.: 4,5 % der Entlastungszeugnisse stammten von Geistlichen. Vgl. für die Spruchkammer Eichstätt Ettle, Entnazifizierung, 179 ff. (11,3 % der Zeugnisse von Pfarrern); für die Spruchkammer Ansbach die schwer zu quantifizierenden Be­ merkungen von Woller, Gesellschaft, 134: „Einer der wichtigsten Produzenten von Persilscheinen war die evangelische Kirche.“ In den Spruchkammerakten in Ansbach „wimmelte es von Persilscheinen von Geistlichen.“ 30 Schick, Internierungslager, 307. 31 Daumiller, Kriege, 87–95; zur Funktion von Pfarrern als illegale „Briefträger“ vgl. Schick, Internierungslager, 307. 32 Meiser, Kirche, 208.

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im Himmel. So hat Stephan ausgerufen: ,Ich sehe den Himmel offen.‘ So feierten die Jünger Christi die Todestage der Märtyrer als ihre Geburtstage zum ewigen Leben. So entwickelte sich aus dieser Hoffnung auf die ewige Vollendung dieser Trotz und diese Widerstandskraft, diese Leidensfähigkeit und Leidensfreudigkeit so vieler ernster Christen, vor der wir immer wieder mit Erstaunen stehen. So tragt auch Ihr Euer Los in solcher Hoffnung.“33

Meiser predigte im Februar 1948 auch im Nürnberger Gerichtsgefängnis vor Angeklagten der Nachfolgeprozesse34. Am 24. Dezember 1949 verbrachte Meiser den ganzen Tag im Kriegsverbrechergefängnis in Landsberg am Lech35. Im Landsberger Gefängnis, in dem bis 1951 255 verurteilte Kriegsverbrecher hingerichtet wurden, war seit Juni 1948 mit August Eckardt ein hauptamt­ licher evangelischer Anstaltspfarrer tätig36. Eckardt musste im Juni 1949 wieder in den Gemeindedienst wechseln, weil die Gefängnisleitung ihm vorgeworfen hatte, die Öffentlichkeit gegen die Kriegsverbrecherprozesse aufzuwiegeln und die Unzufriedenheit der Häftlinge zu erregen. Als Nachfolger amtierte von Juni 1949 bis Juni 1951 Karl Ermann. Landeskirchenrat und Evange­ lisches Hilfswerk unterstützten 1949 gemeinsam mit katholischen Stellen ein Rechts­anwaltsbüro in Nürnberg, das kostenlos für Landsberger Gefangene tätig war: „In teils konspirativer Arbeit wurden Spenden der Firmen Krupp, Flick und I. G. Farben gesammelt und über Gemeindekassen gewaschen und verteilt [… ]. Diese Gelder wurden für den Rechtsbeistand, die Unterstützung be­ troffener Familien sowie zur Fluchthilfe verwendet.“37

III. Keine „unnötigen Schuldbekenntnisse“ – Die Kirche und die NS-Verfolgten Im Vergleich zu dem vielfältigen kirchlichen Einsatz für Internierte, NS- und Kriegsverbrecher sowie von der Entnazifizierung betroffene Menschen, also für die ehemaligen Anhänger und Gefolgsleute des NS-Regimes, fällt das geringe Engagement für die Gegner und Opfer des „Dritten Reiches“ auf. Im Dezember 1945 teilte der bayerische Staatskommissar für die Betreuung der Juden, Hermann Aumer, Meiser mit, dass sich unter den von ihm betreuten Menschen eine große Anzahl Protestanten befänden, und bat die Kirche unter Verweis auf 33 Ebd., 34

212. Renner, Nachkriegsprotestantismus, 134. 35 LAELKB, schriftliche Auskunft vom 17. 10. 2008 (in Meisers Amtskalender ist am 24. 12.  1949 von 7.45 bis 17.00 Uhr der Besuch im Landsberger Gefängnis eingetragen). 36 Klee, Persilscheine, 73 f.; vgl. zum Folgenden ebd. 98 f.; 78 f. 37 Von Kellenbach, Schuld, 280.

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die gute Betreuung der jüdischen Verfolgten durch jüdische Organisationen, sich derer anzunehmen: „Es handelt sich hier nicht um Geld, Essen und Kleidung an sich. Es handelt sich meines Erachtens darum, diesen Menschen zu zeigen, daß ihrer gedacht wird, die sie durch die nationalsozialistische Regierung so viel mitgemacht haben“38. Meiser sagte die erbetene kirchliche Unterstützung zu, die nach seiner Überzeugung durch die jeweiligen Gemeindepfarrer ohnehin schon geleistet werde. Unter dem Betreff „Seelsorge an Gemeindegliedern jüdischer Abstammung“ richtete der Landeskirchenrat am 15.  Dezember 1945 ein Rundschreiben an die Dekanate, in dem die Anfrage Aumers und die Antwort Meisers zitiert werden. Abschließend wendet sich Meiser an die Dekane: „Wir ersuchen die Herren Geistlichen davon in Kenntnis zu setzen und auf die hier vorliegende Aufgabe aufmerksam zu machen.“39 Im Mai 1946 brachte der Landeskirchenrat den Geistlichen die Resolu­ tionen des Vorläufigen Ausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen vom Februar 1946 zur Kenntnis. Kommentarlos wurden dabei auch die Resolutionen „über Antisemitismus und die Judenfrage“ und „über Christen jüdischer Herkunft“ abgedruckt40. Die darin enthaltenen eindringlichen Appelle zum christlichen Engagement auch für die jüdischen NS-Opfer blieben in Bayern weitgehend folgenlos. Spezielle Hilfsstellen für die (evangelischen) Rasseverfolgten richtete die bayerische Landeskirche im Gegensatz zu anderen Landeskirchen nach 1945 nicht ein. Allerdings betreuten die beiden Einrichtungen, bei denen vor 1945 Hilfsstellen für „evangelische Nichtarier“ angesiedelt waren, auch in der Nachkriegszeit Rasseverfolgte. Die Innere Mission in München wurde dabei seit 1947 hauptamtlich durch Schwester Erna Unger unterstützt, die von der „Arbeitsgemeinschaft für Lutherische Judenmission“ in Bayern, dem späteren „Evangeliumsdienst unter Israel“, entsandt wurde. Die Aktivitäten von Unger verschoben sich immer mehr von der Fürsorgearbeit zur Judenmission. Diese nicht unproblematische Verquickung von Fürsorge und Judenmission war innerhalb Deutschlands einmalig41. In Nürnberg betreute das Hilfswerk der Landeskirche die rasseverfolgten Christen. Seit 1948 war Nora Schüller innerhalb der Nürnberger Stadtmission hauptamtlich mit dieser Aufgabe betraut. 1949 hatten von den 300 betroffenen Familien in Nordbayern 38 Ausstellung Christen und Juden, 200. Vgl. Hermle, Kirche, 158–162.; Goschler, Wiedergutmachung, 76 ff.; 206 f. 39 LAELKB Nürnberg, LKR XVII, 1758a, 1944–45. 40 ABlB 33 (1946), 55. Der Rat der EKD hatte die Weitergabe dieser Resolutionen den Landeskirchen nicht vorgeschrieben, sondern sie lediglich gebeten, die Tageszeitungen ihres Bereiches zur Veröffentlichung zu veranlassen; vgl. Nicolaisen / Schulze, Protokolle, 403 f.; 418 f.; Hermle, Kirche, 296–302. 41 Hermle, Kirche, 158–162.

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noch 75 eine materielle Unterstützung nötig, die in Zusammenarbeit mit den Pfarrämtern vor Ort geleistet wurde42. Neben die materielle Fürsorge und die Seelsorge primär für die evangelischen Rasseverfolgten traten allmählich und zunächst nur von einer kleinen Minderheit in der Landeskirche forciert die Bemühungen um Dialog und Versöhnung mit den jüdischen NS-Opfern. Im Juli 1948 wurde auf amerikanische Initiative hin eine „Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit München e. V.“ gegründet, zu deren Vorsitzenden auch Friedrich Langenfaß, der Münchner Dekan, gehörte43. Mitglieder der Gesellschaft stellten dann auch den Großteil der Teilnehmer einer wegweisenden Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing zum Thema „Christentum und Judentum“ im November 1949. Diese Tagung war allerdings im Vorfeld vom Landeskirchenrat beanstandet worden. Dem Akademiedirektor, Pfarrer Gerhard Hildmann, wurde zur Auflage gemacht, „unglückliche Entgleisungen im Blick auf die Kirchen­ leitung“ und „unnötige Schuldbekenntnisse“44 zu vermeiden. Prophylaktisch beorderte der Landeskirchenrat kurzfristig auch vier Vertreter der Judenmission zur Teilnahme an der Tagung. Von Seiten der Kirchenleitung blieb es in der Öffentlichkeit bei eher allgemein gehaltenen Schuldbekenntnissen. So sagte Oberkirchenrat Oskar Daumiller bei der Einweihung des nach jahrelanger Vernachlässigung endlich würdig gestalteten Gräberfeldes von Opfern des Konzentrationslagers Dachau auf dem Leitenberg am 16.  Dezember 1949, bei der auch der Münchner Ober­ rabbiner Aaron Ohrenstein und Weihbischof Johannes Neuhäusler mitwirkten: „Auch über diesem Friedhof soll endlich die Harmonie des Friedens ruhen, um schließlich das Grauen, das über diesem Ort liegt, in einem besseren gegenseitigen Verstehen, in edlem Eifer für wahres Menschentum vergessen zu machen. Wir wollen nicht richten. Wir denken daran, daß wir alle durch den Ungeist der Zeit, der zu diesen Gräbern geführt hat, mitschuldig geworden sind. Das Kreuz steht über uns allen. Wer aber von uns ohne Sünde ist; der werfe den ersten Stein. Wir beugen uns unter das Gericht Gottes. Es wird auch die noch treffen, welche die Gerechtigkeit noch nicht erreicht hat.“45 42 Ebd., 162. 1946 hatte sich Pfarrer Waldemar Link, der im Kreis Uffenheim die (staat­ liche) „Beratungsstelle für die Opfer des Nationalsozialismus“ leitete, noch vergeblich beim Evangelischen Hilfswerk um Hilfslieferungen aus dem Fonds der ökumenischen Nothilfe bemüht (Vollnhals, Kirche, 141). 43 Ausstellung Christen und Juden, 202. 44 Hermle, Kirche, 347. 45 Dachauer Anzeiger, 17. 12. 1949; diese Zeitung nennt als evangelischen Repräsentanten irrtümlich Landesbischof Meiser (wie auch The Stars and Stripes vom 20. 12. 1949) – und mit Bezug darauf Meiser, Bischof, 41 und 155 (im Beitrag von Annemarie B. Müller). Alle anderen Berichte über die Einweihung nennen Daumiller, der auch auf Pressefotos zu erkennen ist

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Es fällt auf, dass in diesen Worten die vielen anwesenden Überlebenden des Konzentrationslagers Dachau und die Angehörigen von Ermordeten nicht im Blick sind. Wie die theologische und politische Parteinahme der bayerischen Kirchenleitung für die ehemaligen Mitläufer und Täter des NS-Regimes auf jüdische Überlebende wirkte, zeigt die Reaktion von Philipp Auerbach, dem bayerischen Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte, auf ein Schreiben Meisers vom September 1947. Der Landesbischof hatte darin gegenüber Auerbach eine „Behinderung der Liebestätigkeit“ an den internierten NS-Funktionären beklagt und ihn gebeten, sich für Verbesserungen in den Internierungslagern einzusetzen. Auerbach, der als jüdischer Häftling von den Nationalsozialisten in den Konzentrationslagern Auschwitz, Groß-Rosen und Buchenwald geschunden worden war und nun für die Wiedergutmachungszahlungen an „displaced persons“ zuständig war, lehnte in seiner Antwort Hilfsleistungen des Staatskommissariates für belastete Nationalsozialisten ab: „Grundsätzlich stellt sich der Staatskommissar auf den Standpunkt, daß jeder, der sich unverschuldet in Not befindet, ohne Ansehen der Partei und der Konfession, die Hilfe seiner Mitmenschen in Anspruch nehmen kann. Wenn aber schwerbelastete Nationalsozialisten, die heute im Internierungslager sind, an politisch Verfolgte herantreten und für ihre Familien Unterstützung erbitten, kann man es menschlich verstehen, wenn die politisch Verfolgten auf die zuständigen Wohlfahrtsämter und kirchlichen Organisationen verweisen, die dazu berufen sind, notleidenden Menschen zu helfen, die nicht unverschuldet in Not gekommen sind. Durchdrungen von christlicher Nächstenliebe, die während des 3. Reiches nicht immer angewandt wurde, ist der Staatskommissar und seine Dienststellen stets bereit, helfend einzugreifen, wo Hilfe nötig ist. Sie wollen jedoch bedenken, daß während des 3. Reiches Frauen und Angehörige der KZ-Häftlinge sogar von der Wohlfahrtsunterstützung ausgeschlossen wurden und daß der Fall, wo die christliche Nächstenliebe in der Tat angewandt wurde, zu den seltensten gehörte.“46

Auf Meisers Aufforderung zur Hilfe für notleidende politisch Verfolgte „ohne Ansehen der Partei und der Konfession“ konterte Auerbach mit einer An­ spielung auf das weitgehende Schweigen der Kirche angesichts der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen und die fehlende Solidarität mit den nichtevangelischen NS-Opfern: „Ich glaube, daß Ihre Hinweise auf die grund(KZ-Gedenkstätte Dachau, Presse-Archiv, Süddeutsche Zeitung, 17./18. 12. 1949; Abendzeitung München, 17. 12. 1949; Münchner Merkur, 17./18. 12. 1949). Im Amtskalender von Meiser sind für den 16. 12. 1949 u. a. Diktate, Referentenbesprechungen und ab 17 Uhr Weihnachtsvorbereitungen mit Elisabeth [Meiser] eingetragen (LAELKB Nürnberg, schriftliche Auskunft vom 17. 10. 2008). 46 Von Kellenbach, Schuld, 289.

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sätzliche Haltung der christlichen Kirche einige Jahre früher bestimmt besser angebracht gewesen wären wie heute.“47 Meiser reagierte auf diese berechtigte Kritik eines jüdischen KZ-Überlebenden nicht mit einem Eingeständnis der kirchlichen Versäumnisse, sondern mit einer empörten Zurückweisung: „Wir bedauern jedoch, dem letzten Satz vom 20. 9. 47 den Vorwurf entnehmen zu müssen, als sei unsere Kirche in der Vergangenheit ihren Grundsätzen christlicher Liebestätigkeit nicht immer treu geblieben.“48 Zur vermeintlichen Entkräftung des Vorwurfs betonte der Landesbischof selbstgerecht, dass „die Landeskirche […] während der Verfolgungszeit bis zum Kriegsende 2 Geistliche ausschließlich für die Betreuung nichtarischer Christen eingesetzt und ihnen als einzige Landeskirche nicht geringe Mittel zur Verfügung stellte.“49 Katharina von Kellenbach, die jüngst die kirchliche Seelsorge an NS-Tätern in der Nachkriegszeit untersucht hat50, sieht in der Auseinandersetzung zwischen Meiser und Auerbach zu Recht ein „Indiz für die fehlende Anteilnahme an der Lebenswirklichkeit jüdischer Überleben­ der. Die Anwendung christlicher Nächstenliebe ist eben nicht neutral, sondern parteiisch und wirksam in konkreten politischen Situationen. Gerade in einer post­ genozidalen Situation kann eine neutral gehaltene christliche Vergebung – wenn sie nicht von einer politischen Analyse der Machtverhältnisse begleitet wird und die Situation der Opfer explizit einschließt – zur politischen Parteinahme für die Täter und Mittäter führen, wobei die politische Ohnmacht der ehemals Verfolgten fortgeschrieben wird.“51

Quellen- und Literaturverzeichnis I. Unveröffentlichte Quellen Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Nürnberg (­LAELKB) Bestand LS 61: Landessynode Ansbach, 9.–13. 7. 1946, Protokolle. Bestand LKR XVII, 1758a, 1944–45. Schriftliche Auskunft an Björn Mensing, 17. 10. 2008. KZ-Gedenkstätte Dachau Bestand Presse-Archiv.

47 Ebd., 48

290. Ebd. 49 Ebd. 50 Ebd., 227–312. 51 Ebd., 292.

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II. Veröffentlichte Quellen und Darstellungen Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern rechts des Rheins. Amtlich hg. vom Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenrat, 33 (1946). Ausstellung Christen und Juden. Ausstellung des Landeskirchlichen Archivs. … wo ist dein Bruder Abel? 50 Jahre Novemberpogrom. Christen und Juden in Bayern in unserem Jahrhundert (Ausstellungskataloge des Landeskirchlichen Archivs in Nürnberg 14). Nürnberg 1988. Buscher, Frank M.: The U. S. War Crimes Trail Program in Germany. 1946–1955 (Contributions in Military Studies 86). New York u. a. 1989. Daumiller, Oskar: Geführt im Schatten zweier Kriege. Bayerische Kirchengeschichte selbst erlebt. München 1961. Ettle, Elmar: Die Entnazifizierung in Eichstätt. Probleme der politischen Säuberung nach 1945. Frankfurt am Main u. a. 1985. Goschler, Constantin: Wiedergutmachung. Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus (1945–1954) (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 34). München 1992. Greschat, Martin (Hg.): Die Schuld der Kirche. Dokumente und Reflexionen zur Stuttgarter Schulderklärung vom 18./19.  Oktober 1945 (SKZG 4). München 1982. Henke, Klaus-Dietmar / Woller, Hans (Hg.): Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg. München 1991. Hermle, Siegfried: Evangelische Kirche und Judentum. Stationen nach 1945 (AKiZ B 16). Göttingen 1990. Kellenbach, Katharina von: Schuld und Vergebung. Zur deutschen Praxis christlicher Versöhnung. In: Krondorfer, Björn / Kellenbach, Katharina von / Reck, Norbert: Mit Blick auf die Täter. Fragen an die deutsche Theologie nach 1945. Gütersloh 2006, 227–312. Klee, Ernst: Persilscheine und falsche Pässe. Wie die Kirchen den Nazis halfen. Frankfurt am Main 1991. Landessynode Ansbach 1946. Die Landessynode in Ansbach. 9.–13. Juli 1946. Hg. vom Evangelischen Presseverband für Bayern in München. München 1946. Meiser, Hans: Kirche, Kampf und Christusglaube. Anfechtungen und Antworten eines Lutheraners. Hg. von Fritz und Gertrude Meiser. München 1982. Meiser, Hans Christian: Der gekreuzigte Bischof. Kirche, Drittes Reich und Gegenwart. Eine Spurensuche. München 2008. Mensing, Björn: Pfarrer und Nationalsozialismus. Geschichte einer Verstrickung am Beispiel der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (AKiZ B 26). Göttingen 1998; 3. Auflage Bayreuth 2001. Nicolaisen, Carsten / Schulze, Nora Andrea (Bearb.): Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Bd. 1: 1945/46 (AKiZ A 5). Göttingen 1995. Niethammer, Lutz: Entnazifizierung in Bayern. Säuberung und Rehabilitierung unter amerikanischer Besatzung. Frankfurt am Main 1972.

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Renner, Michael: Nachkriegsprotestantismus in Bayern. Untersuchungen zur politischen und sozialen Orientierung der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayerns und ihres Landesbischofs Hans Meiser in den Jahren 1945–1955 (tuduv-Studien. Reihe Politikwissenschaften 46). München 1991. Schick, Christa: Die Internierungslager. In: Broszat, Martin / Henke, Klaus-Dietmar /  Woller, Hans (Hg.): Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 26). München 1988, 301–325. Vollnhals, Clemens: Entnazifizierung und Selbstreinigung im Urteil der evangelischen Kirche. Dokumente und Reflexionen 1945–1949 (SKZG 8). München 1989. –, Die Hypothek des Nationalprotestantismus. Entnazifizierung und Strafverfolgung von NS-Verbrechen nach 1945. In: Geschichte und Gesellschaft 18 (1992), 51–69. –, Evangelische Kirche und Entnazifizierung 1945–1949. Die Last der nationalsozia­ listischen Vergangenheit (Studien zur Zeitgeschichte 36). München 1989. Woller, Hans: Gesellschaft und Politik in der amerikanischen Zone. Die Region Ansbach und Fürth 1945–1949 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 25). München 1986.

Harry Oelke

Kirchliche Erinnerungskultur im evangelischen Bayern: Landesbischof Hans Meiser und der Nationalsozialismus

Hans Meiser war vom Zeitpunkt seines Todes an eine Person, die zur Erinnerung animierte. Diese Erinnerung an den vormaligen Landesbischof steht nachfolgend im Zentrum des Interesses, mit besonderer Berücksichtigung jenes Gedächtnisses, das sich auf dessen Tätigkeit in der Zeitspanne des National­ sozialismus bezieht. Vorausgesetzt wird dabei, dass Erinnerung keine statische Größe ist. Sie ist als ein fundamentaler kulturgeschichtlicher Akt im Zuge der Veränderungen der gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, im Kontext eines kulturellen Wertewandels sowie durch einen Wechsel der öffentlichkeitsbestimmenden Generationen einem stetigen Wandel ausgesetzt und wird immer wieder neu generiert. Auch die evangelische Erinnerung an den vormaligen Landesbischof ist seit mehr als einem halben Jahrhundert durch eine fortdauernde Entwicklung gekennzeichnet. Dieser Wandel in der Erinnerungskultur zu Meiser wird in seinen konstitutiven Phasen und den darin wirksamen Kräftefeldern Gegenstand der nachfolgenden Beobachtungen sein. In diesem Zusammenhang soll zunächst danach gefragt werden, was kirchliche Erinnerungskultur im Kern ausmacht und was sie kennzeichnet. Auf dieser Basis wird die Zeitspanne vom Tod Meisers 1956 bis in die aktuelle Diskussion hinein daraufhin überprüft, welche Manifestationsformen der Erinnerung an Meiser entstanden sind und wer als Träger der auf Meiser bezogenen Memorialkultur gelten darf. Dabei wird der Versuch unternommen, vier Phasen der kirchlichen Erinnerung voneinander abzuheben. Bei jeder dieser Phasen wird zu prüfen sein, in welcher Weise die unterschiedlichen Erinnerungsformen im Zusammenhang sich wandelnder kontextueller Rahmenbedingungen verstanden und gedeutet werden können. Angesichts erst einsetzender Forschungsbemühungen1 und wegen einer großen Materialfülle kann im Folgenden nur exemplarisch vorgegangen werden. Das Ergebnis markiert eine erste Bestands 1 Die entsprechende Zeitspanne rückt jetzt in den Fokus der kirchlichen Zeitgeschichts­ forschung. Vgl. dazu Hermle, Tendenzen; speziell zu den 1960er und 70er Jahren die Beiträge und Literaturangaben bei Hermle / Lepp / Oelke, Umbrüche.

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aufnahme. Sie fügt sich ein in die erst schemenhaft identifizierte Entwicklung des kulturellen Gedächtnisses im Raum der evangelischen Kirche und ihrer Milieus. Die in der zweiten Hälfte des 20.  Jahrhunderts kultivierte Erinnerungsarbeit steht in vielfältigen Beziehungen zur kirchengeschichtlichen Entwicklung nach 1945. Die Reflexion über die Geschichte der kirchlichen Erinnerungskultur nach 1945 bedeutet im Kern, über die kirchliche Zeitgeschichte nachzudenken. Meiser und die kirchliche Öffentlichkeit bieten Gelegenheit, dem nachzukommen.

1. Annäherungen an eine „Kirchliche Erinnerungskultur“ 1.1 Erinnern ist „in“ Unser Thema fragt nach der Kultur des Erinnerns und trifft damit ganz offenkundig den Nerv der Zeit, denn: Erinnern ist „in“. Ein steigendes Interesse an der Geschichte ist seit den 1980er Jahren allenthalben feststellbar. Museen, historische Ausstellungen, Gedenkfeiern, Denk- und Mahnmale werden immer beliebter, „lange Nächte der Museen“ sorgen für eine ungewohnte Bevölkerungsdichte der Innenstädte zu nächtlichen Stunden, und die Verhandlung historischer Themen in den audiovisuellen Medien erfreut sich einer großen Beliebtheit. Längst hat dieses verbreitete Faible für Historisches die Rede von einem „Geschichtsboom“ freigesetzt2. Diese Entwicklung ist nicht allein auf Deutschland beschränkt, sondern trifft mindestens für ganz Europa zu. Pierre Nora hat das weltweite Aufkommen einer „Konjunktur des Gedächtnisses“ beschrieben3. Auch die Geschichtswissenschaft reagierte, hier fand in den 1990er Jahren das Konzept der „Erinnerungskultur“ Eingang, wenn man einmal von der lange währenden kulturhistorischen Tradition der Reflexion über das Erinnern und Vergessen absieht4. Auf die Frage nach den Gründen für dieses Interesse an der Erinnerungskultur müssen an dieser Stelle einige Andeutungen ausreichen: Die quantitative Dichte von Erinnerungsinstanzen ist ein Signum moderner Gesellschaften. Angesichts des hohen Maßes an Wandlungsenergie, wie es seit geraumer Zeit in Gestalt des zusammenbrechenden Kommunismus, der Globalisierung, der 2 Vgl. dazu v. a. Hockerts, Zugänge; Winter, Generation; für die kirchlich motivierte Erinnerung Oelke, Meiser. 3 Nora, Gedächtniskonjunktur. 4 Cornelissen, Erinnerungskultur, 551; der zunächst von der national motivierten Erinnerungskultur des 19. Jahrhunderts bestimmte und sich dann zeitlich und thematisch öffnende Fokus der Geschichtswissenschaft wird zusammenfassend beschrieben bei Schneider, Erinnerungskultur.

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interreligiösen Polarisierung, der Klima- und zuletzt der Finanzkrise auf die Gesellschaften Europas und sogar weltweit einwirkt, steigt offenkundig das Bedürfnis nach einer stabilisierenden Rückversicherung im Historischen. Die sich im Zeichen diverser akuter Krisenherde wandelnden Gesellschaften Europas verlangen verstärkt nach Orientierung an den – wenn schon nicht verlässlichen, dann zumindest vertrauten – benchmarks der eigenen Geschichte. Nachhaltige Wandlungsimpulse kennzeichnen in dem zurückliegenden Zeit­ raum von etwa zwei Jahrzehnten auch den Protestantismus. Allein die Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten hat vielfache strukturelle und inhaltliche Wandlungsprozesse im deutschen Protestantismus freigesetzt5. Diese Ver­änderungen in den evangelischen Kirchen und ihren gesellschaftlichen Milieus setzten analog zur politischen Situation ein gesteigertes Bedürfnis nach einer stabilisierenden Rückversicherung in der Kirchengeschichte frei. Auch das offenkundig vitale öffentliche Interesse an einer angemessenen Form der Er­ innerung an Meiser indiziert diese Tendenz. Im Zuge der gegenwärtigen Erinnerungsdynamik fällt das Interesse in Deutschland an der Geschichte der NS-Zeit überproportional stark aus. Unbestritten dürften in dieser Hinsicht die NS-Vergangenheit und der Holocaust in prägender Weise nachwirken: Auschwitz als nationale Katastrophe, die „das kulturelle Gedächtnis der Deutschen gesprengt hat und sprengt“6 und die Erinnerung der Deutschen an die Vergangenheit, auch aus europäischer Sicht, grundsätzlich in ein „schmerzhaftes Verhältnis“7 rückt. Geschichte wird von den Deutschen bis heute offenkundig im Sinne von Alexander und Margarete Mitscherlich als „gegenwärtige Vergangenheit“ wahrgenommen, die immer noch als eine Last der Erinnerung verstanden wird8. Der deutsche politische Sonderweg der Jahre nach 1933 macht offenbar auch einen besonderen Weg der Erinnerung an diese Zeit erforderlich. Es steht außer Zweifel, dass gerade für die sich christlich definierende Mehrheit der Deutschen die Erinnerung an die NS-Zeit mit ihren Verbrechen sowie an das Verhalten der Kirche in diesen Zusammenhängen seit 1945 eine besondere Herausforderung darstellt. Auch die Kirchen und die sich zu ihnen zählende Majorität der deutschen Gesellschaft sind diesen schwierigen Weg der Erinnerung gegangen9. 5 Beispielsweise sei nur verwiesen auf den landeskirchlichen Vereinigungsprozess, vgl. für Mitteldeutschland Ulrich, Weg. 6 Assmann, Arbeit, 8. 7 Rousso, hantise, 12. 8 Vgl. zum Ganzen Mitscherlich / Mitscherlich, Unfähigkeit. 9 Vgl. Oelke, Schuld.

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1.2 Kultur des Erinnerns als Errungenschaft der Juden- und Christentumsgeschichte Die lange kulturhistorische Tradition des Erinnerns macht deutlich: Erinnern ist ein zutiefst religiöser Akt, die Urform der Erinnerungskultur ist die reli­giöse. Die Abschiedsrede des sterbenden Moses lässt sich als normative Fixierung des jüdischen Erinnerungshaushaltes verstehen. Judentum und Christentum ist das Konzept der Heilsgeschichte und damit eine besonders ausgeprägte Kultur des religiösen Erinnerns gemeinsam. Die jüdische Festtagskultur ist neben dem Bezug auf naturhafte Voraussetzungen in der Landwirtschaft auch auf heilsgeschichtlich bedeutsame Ereignisse bezogen10. Auf christlicher Seite kennt das Abendmahl die theologische Interpretation als Erinnerungsmahl. Christliche Zeichen der Erinnerung reichen in den säkularen Raum hinein, so etwa die Zeitrechnung „nach Christi Geburt“ oder der Zyklus der Jahresfeste, bekanntlich ein Reflex auf den jüdischen Festtagskalender. Wichtige Elemente der abendländischen Memorialkultur, wie etwa die Namens- und Begräbniskultur oder auch das Gedenken an Verstorbene, verdanken sich christlichen Traditionen. Beispielsweise schufen die Benediktiner-Mönche von Cluny im 10./11. Jahrhundert mit ihrer Gewohnheit, Verstorbene namentlich in die Fürbitte aufzunehmen und Sterbende durch Gelübde in die Mönchsgemeinschaft mit einem Grab auf dem Klostergelände in die Klostergemeinschaft zu integrieren, eine neue zeitgemäße Form des Totengedenkens, die eine kulturhistorische Innovation bedeutete11. Im Judentum ließen sich analoge Elemente des Gedenkens aufweisen. Beide Religionen, Judentum und Christentum, haben die Memorialkultur des ‚Abendlandes‘ maßgeblich mitgeprägt. 1.3 „Erinnerungskultur“ Wie nun lässt sich der Begriff der „kirchlichen Erinnerungskultur“ für unsere Zwecke inhaltlich bestimmen? Christoph Cornelißen hat jüngst für die Allgemeingeschichte vorgeschlagen, „Erinnerungskultur“ zu verstehen „als einen formalen Oberbegriff für alle denkbaren Formen der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse […], seien sie ästhetischer, politischer oder kognitiver Natur“.12 Für unsere Zwecke müsste man hinzufügen: und auch „kirchlicher Natur“. Diese allgemeine Bestimmung bedarf der Präzisierung. Jan und Aleida Assmann haben seit den 1990er Jahren 10 Vgl. 11

besonders Mitterauer, Anniversarium, 23–29. Vgl. Sackur, Cluniazenser; Wollasch, Totenbuch. 12 Cornelissen, Erinnerungskultur, 555.

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jeweils auf die unterschiedlichen Formen aufmerksam gemacht, die im Zusammenhang mit der Diskussion um die Erinnerungskultur mit dem Begriff des „Gedächtnisses“ entfaltet werden. Erinnerung manifestiert sich demnach in sozialen Gruppen, wie etwa auch in der Kirche, in einer Entwicklung vom kommunikativen Gedächtnis der Zeitgenossen zu kollektiven und schließlich kulturellen Gedächtnisformen, die die Identität dieser Gruppen ausmachen. Für die sich wandelnde Erinnerungskultur zu Meiser ist es womöglich nicht un­erheblich, dass das frühe kommunikative Gedächtnis auf den Primärerfahrungen der Beteiligten basierte. Auf kommunikative Interaktion gegründete Gedächtnisformationen setzen auch im kirchlichen Bereich bei den Kommunizierenden eine räumliche Nähe, regelmäßige Interaktion und einen Mindestbestand gemeinsamer Lebensformen und Lebenserfahrungen voraus. Sie kannten Meiser meist persönlich, hatten über weite Strecken mit ihm das kirchliche Alltagsleben, das Verhältnis von Kirche und Staat und die gelebte Frömmigkeit geteilt, dies alles im großen politischen Zusammenhang der nationalsozia­ listischen Herrschaft. Es ist deutlich, dass hier der Aspekt der Generationszugehörigkeit von besonderer Bedeutung ist, denn diese Form der Memorialkultur bestimmte das kollektive Gedächtnis an die NS-Zeit im protestantischen Milieu der unmittelbaren Nachkriegszeit. Das kulturelle Gedächtnis im Bereich der kirchlichen Erinnerungskultur schließlich ist auf eine generationsübergreifende, langfristige, konfessionell geprägte Identitätsbildung angelegt. Dieser Aspekt wird im Hinblick auf die MeiserErinnerung sorgfältig zu analysieren sein. Denn dieses soziale Langzeitgedächtnis, nichts anderes ist das kulturelle Gedächtnis, im bayerischen Protestantismus ist offenkundig nicht homogen. Dafür werden Gründe zu suchen sein. Weitere methodische Differenzierungen des Konzepts der Erinnerungskultur sollen zumindest schlaglichtartig angedeutet werden: Auch kirchliche Erinnerungskultur steht in einem Wechselverhältnis mit den sozialen und politischen Rahmenbedingungen. Nicht ganz unbedeutend ist zudem die Frage, inwiefern die Vergangenheitsdeutungen der politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Eliten von seiten der Kirche und ihren Milieus übernommen und an welchen Stellen entweder Kontroversen oder Konsensbildungen in der seit dem 19. Jahrhundert zunehmend national definierten Erinnerungskultur13 von kirchlicher Seite adaptiert, assimiliert oder verworfen werden. Schließlich wird man auch für die kirchliche Erinnerungskultur die grundlegenden Forschungen zur deutschen Geschichtspolitik14 nach 1945 mitzubedenken haben. Dieses Problemfeld ließe sich in folgende Frage fassen: Welche kirchliche (insti 13 Ebd., 14

556. Vgl. grundlegend Wolfrum, Geschichtspolitik; und Ders., Geschichte.

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tutionelle oder personelle)  Kraft lässt wann, woran und mit welcher Absicht erinnern? Auch mit Blick auf das kirchliche Handlungsfeld muss die Frage erlaubt sein: Welche kirchenpolitischen Intentionen oder Implikationen verbinden sich beispielsweise mit inszenierten Erinnerungsakten wie der Benennung von kirchlichen Gebäuden und Straßen oder der Gestaltung von Lehrplänen mit kirchenhistorischen Stoffen? 1.4 Rahmenbedingungen kirchlicher Erinnerungskultur Die Erinnerung an Meiser war geprägt von den soziopolitischen Rahmen­ bedingungen, wie sie für jede Form kirchlicher Erinnerung nach 1945 galten: (1.) Über einen Zeitraum mehrerer Jahrzehnte war die Entwicklung der evangelischen Kirche von einer Aufbruchperspektive, von einer Vorwärtsentwicklung bestimmt: Trümmerbeseitigung, Flüchtlingsintegration, Kirchenbau u. a. weisen allesamt eine Zukunftsperspektive auf. Erinnerung indes ist grundsätzlich vom Blick zurück gekennzeichnet, sie konterkariert von ihrem Ansatz her jede Vorwärtsentwicklung und kreierte in der Nachkriegszeit ein Spannungsfeld, auf dem sich die evangelische Kirche zu bewähren hatte. (2.) Mit jeder Form von erinnernder Zuwendung zur Vergangenheit verbindet sich eine begrenzte Agenda von Inhalten, die die Erinnerung im Kern ausmacht, Inhalte außerhalb der Erinnerungsagenda werden eher abgewehrt und somit fallen­ gelassen. Sich erinnern heißt immer auch, gleichzeitig zu vergessen. Tenden­ ziell sind eher jene Inhalte von einer Erinnerungsabwehr betroffen, die aus sozialpsychologischer Sicht die Identität der Bezugsgruppe, in unserem Fall der evangelischen Kirche, in Frage zu stellen drohen. Eine tendenziell selbst­ kritische Erinnerung stellt die Kirche vor die Herausforderung, angesichts der Infragestellung die eigene Identität zu bewahren. Im Sinne der Selbsterhaltung einer Gruppe kann eine gewisse Dosierung selbstkritischer Reflexionen über­ lebensnotwendig sein. Das genaue Maß mag dabei umstritten sein. Martin Niemöller beispielsweise war bekanntlich der Meinung, in der Erinnerung an die NS-Zeit die Versäumnisse der Kirche klar benennen und dafür das Institut der Buße in Anspruch nehmen zu müssen. Bei anderen Zeitgenossen löste dieser Ansatz die Angst aus, die eigene kirchliche Identität könne sich in der erinnerten Schuld auf­lösen. Diese Befürchtung konnte bei den Betroffenen auf subtile Weise zur Ausblendung belastender Inhalte führen. Die Agenda der Erinnerungsgehalte, die für eine Person wie Meiser in der kirchlichen Öffentlichkeit geltend gemacht werden, dürfte also in der Regel unterschiedlichen Überzeugungen oder disparaten mentalen Dispositionen folgen. Die Erinnerung an den vormaligen Landesbischof konnte vor diesem Hintergrund in der kirchlichen Öffentlichkeit ein nicht unerhebliches Spannungsfeld erzeugen.

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2. Kirchliche Erinnerung zwischen Diktatur und Demokratie (1956–1960) 2.1 Ausgangslage Meiser verstarb 75jährig am 8. Juni 1956, nachdem er im Jahr zuvor nach fast 22jähriger Amtszeit v. a. krankheitsbedingt als Landesbischof der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern sein Amt niedergelegt hatte. Sein Nachfolger im Amt des Landesbischofs wurde Hermann Dietzfelbinger. Die frühe Erinnerung an Meiser fiel in die Schlussphase der eigentlichen Nachkriegszeit. Die herausragenden Aufgaben der Nachkriegszeit  – Entnazifizierung, Wiederaufbau, Flüchtlingsintegration, Evangelisches Hilfswerk  – waren in Bayern noch unter der Ägide Meisers eingeleitet und mehr oder weniger energisch angepackt worden, jetzt nach seinem Tod klang diese Phase aus15. Es war politisch die Zeit zwischen der zu überwindenden Diktatur und der angestrebten Demokratie. Kennzeichnend für diesen Zeitraum war der Umstand, dass die Kirchen in dieser Umbruchszeit selbst „Akteure des Wandels“ waren, während sie in gewöhnlichen Zeiten nur auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse reagieren16. Noch besaßen die Kirchen ein „Deutungsmonopol“17, und die Führungspersonen der beiden Großkirchen konnten noch als Repräsentanten einer von der Mehrheit akzeptierten christlichen Leitkultur gelten. Meiser hatte in allen diesen Punkten für die evangelische Kirche in Bayern eine herausragende Rolle und genoss eine große öffentliche Reputation weit über Bayern hinaus. In der Erinnerung und ihren Gehalten spiegelt sich daher eine über ein kirchliches Binnenmilieu hinaus präsente mentale Disposition der bayerischen Deutschen. 2.2 Früheste Erinnerung Mit der Trauerfeier setzte eine erste Phase der Erinnerung an Meiser ein, die von 1956 bis etwa 1960 währte. Ihr gemeinsamer Nenner: Es war eine vielfach noch unter dem unmittelbaren Eindruck der Persönlichkeit Meisers stehende, nicht selten aus persönlicher Bekanntschaft mit dem Landesbischof herrührende Erinnerung, die sich in relativ unmittelbaren, distanzlosen und weitgehend positiven Erinnerungsgehalten manifestierte. Die frühe Erinnerung an den verstorbenen Landesbischof ist deutlich gekennzeichnet von einem 15 Vgl. dazu Müller / Weigelt / Zorn, Geschichte, 355–476; darin besonders Zorn, Kirche; aus religionssoziologischer Sicht Kuhlemann, Nachkriegsprotestantismus. 16 Pollack, Säkularisierung, 265. 17 Pollack, Protestantismus, 110.

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Verlustgefühl, das sein Tod in weiten Kreisen des evangelischen Gemeindechristentums ausgelöst hatte. Im Grunde zeichnen sich bereits in den Beileidsbekundungen der politischen Prominenz Westdeutschlands und des Weltluthertums die Konturen der Meiser-Erinnerung ab, wie sie in der ersten Erinnerungsphase Gültigkeit haben sollten: Übereinstimmend wird seine Standhaftigkeit im Kirchenkampf sowie sein starkes Engagement für die lutherische Kirche hervorgehoben. Bischof Otto Dibelius, der Ratsvorsitzende der EKD, hob Meisers „mannhafte Haltung […] in schwersten Stunden des Kirchenkampfes“ hervor. Bundespräsident Theodor Heuss konstatierte, der Verstorbene sei „in verwirrten Jahren vielen zum seelischen Halt geworden“, der bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner erinnerte an des Landesbischofs „vorbildliche Haltung im Dritten Reich“, der Münchner Oberbürgermeister Thomas Wimmer verwies darauf, dass der Landesbischof als „unerschrockener Vertreter des christlichen Glaubens“ ein „Vorbild in Zeiten staatlichen Machtrausches“ gewesen sei, und Carl E. Lund-Quist hob die „[…] vielen Dienste, die D. Meiser im Lutherischen Weltbund und dem Deutschen Nationalkomitee in den Nachkriegs­ jahren geleistet hat“, hervor18. An der frühen Erinnerung an Meiser beteiligen sich sowohl die institutionelle Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, besonders Dietzfelbinger und der Landeskirchenrat, sowie eine Reihe von Vertretern aus der Pfarrerschaft. Aber auch einfache Gemeindechristen partizipieren auf ihre Art an der Ent­ stehung einer Erinnerungskultur zu Meiser. Der geborene Franke, der von München aus als Landesbischof agiert hatte und dabei im ganzen Freistaat eine hohe Präsenz gezeigt hatte, der auch bei den neuen Flüchtlingsgemeinden hohes Ansehen genoss und das deutsche und Weltluthertum maßgeblich mitbestimmt hatte, bot der Öffentlichkeit über die lokalen Grenzen hinweg einen Ansatzpunkt für die Kultivierung einer Erinnerung an ihn. In der Zeit von 1956 bis 1960 war unter beruflichen Gesichtspunkten im säkularen Bereich noch weitgehend jene Generation im Amt, die um 1905 geboren war. Man hat diese Generation, die das Nachkriegsdeutschland maß­ geblich mitgestaltete, im Hinblick auf den Nationalsozialismus als „Funktionselite“ beschrieben19. Aus kirchlicher Perspektive wird man diese Sicht zu differenzieren haben, denn es galt in Bayern, aber auch in den anderen Landeskirchen, dass die Amtsträger in Kirche und Theologie, die nach dem Ende des 2. Weltkriegs bis in die 60er Jahre Verantwortung übernahmen, überwiegend vom Kirchenkampf geprägt waren. Die Theologen jener Zeit zeigten auch 18 Abschied, 19

165–173. Vgl. Frei, 1945, 27.

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in Bayern freilich kein einheitliches Profil20. Indes verband sie als evangelische Theologen die gemeinsame Erfahrung von zwölf Jahren NS-Herrschaft und der Auseinandersetzung mit jener zunehmend restriktiven Kirchenpolitik, sie waren jetzt mehrheitlich offenbarungstheologisch (Wort Gottes) orientiert, allesamt sensibilisiert gegenüber der staatlichen Religionspolitik und am kirchlichen Proprium interessiert. Meiser kannten viele persönlich aus der Zeit des Kirchenkampfes, ein Sachverhalt, der die von dieser Generation kultivierte Erinnerung wesentlich mitbestimmte. Erinnerte man sich an Meiser und seine Tätigkeit, dann wurden darin immer auch eigene biographische Erfahrungen lebendig, die sich mit der Person des Landesbischofs verbanden. 2.3 Medien der Erinnerung Die Erinnerung an Meiser fand in dieser ersten Phase der Erinnerungskultur einen Niederschlag in einem breiten Spektrum zeitgenössischer Medien. Die gedruckte Erinnerung in dieser ersten Phase war überwiegend an einer bio­graphischen Erinnerung an die Persönlichkeit und Amtsführung Meisers interessiert. In einem einschlägigen biographischen Lexikon zu „Lebensläufen aus Franken“ entstand 1960 nach dem Tod Meisers das erste biographische Gesamtporträt zu Leben und Werk des Kirchenführers21. Im Fachlexikon „Die Religion in Geschichte und Gegenwart“, 3. Auflage 1960, adelte der kirchenkampferprobte Georg Merz, zuletzt leitend an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau tätig, Meiser mit einem Personalartikel als Kirchenkämpfer22. Noch im Todesjahr erschienen zwei Gedenkbücher zu Meiser, die sich beide mehr oder weniger direkt einem Impuls der Landeskirche verdankten. Julius Schieder brachte eine Darstellung des Lebens Meisers mit starkem Akzent auf der Kirchenkampfzeit23, die zweite Veröffentlichung reproduzierte u. a. Meisers frühes Bekenntnis zu seiner lutherischen Kirche: „Ich bekenne, daß ich meine Kirche liebe“24. Mit einer biographischen Skizze und etlichen Fotos ausgestattet bediente dieses Bändchen das im Kirchenvolk ungebrochen wache Bedürfnis nach Nähe zum vormaligen Bischof. Man wird festhalten können, dass Meiser in dieser frühen Phase literarisch als ein Landesbischof erinnert wird, der erstens sich entschlossen gegen die Kirchenpolitik der NS-Herrschaft stellte, Resistenz bewies und darin integrierend 20 Vgl. 21

dazu den Beitrag von Berndt Hamm in diesem Band. Simon, Meiser. 22 Merz, Meiser. 23 Schieder, Meiser. Dem Band liegt eine Beauftragung durch den Landeskirchenrat der ELKB zugrunde. 24 Heiwik, Kirche, 3.

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auf seine Kirche wirkte, ohne dass er dadurch in den Rang eines Widerstandskämpfers erhoben worden wäre; der zweitens die ELKB aus den Kriegstrümmern nach 1945 aufbaute und der sich drittens nachhaltig für die bekenntnisbezogene Verfasstheit der evangelisch-lutherischen Kirchen einsetzte (VELKD und LWB). Dazu wird schließlich viertens die Volkstümlichkeit Meisers gepriesen, Friedrich Langenfaß sah Meiser sogar ausdrücklich „in den Fuß­spuren Luthers“25. Die in dieser frühen Phase kultivierte Erinnerung erstreckte sich auch auf die Namensgebung von Plätzen, Gebäuden und Straßen nach dem ehemaligen Landesbischof. Die populärste Benennung einer Straße vollzog sich in dieser ersten Phase in München (noch zügiger hatte man in Ansbach reagiert)26. Ein Blick auf den Vorgang kann die Mechanismen und Intentionen der Erinnerungskultur in dieser frühen Phase klarmachen: Ausgangspunkt für die Münchener Straßenbenennung war eine entsprechende Anregung von Oberbürgermeister Thomas Wimmer gleich nach dem Tode Meisers27. Der Oberbürgermeister, der selbst unter den Nationalsozialisten gelitten hatte, begründete seinen Vorschlag in der Stadtratssitzung vom 12. Juni 1956 unter Hinweis auf die in der Vergangenheit bewährte mutige Persönlichkeit Meisers, die „allen ein großes Vorbild war“28: Im November trat der Münchener Stadtrat Hopf (CSU) mit diesem Vorschlag an den Rat heran29. Der Landeskirchenrat unterstützte das Vorhaben. Man dankte der Stadt, dass sie „durch einen solchen Akt das Gedächtnis an unseren Herrn Landesbischof […] zu ehren gedenkt“30. Mit großer rhetorischer Kraft wurde das Vorhaben von der evangelischen Bevölkerung in Leserbriefen der Kirchenpresse unterstützt31. Als Argumente wurden ins Feld geführt, Meiser sei vor allem 22 Jahre der „würdige Repräsentant“ der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayerns gewesen, zweitens habe er 30 Jahre in München gelebt 25 Langenfass, Fußstapfen; Simon erinnert Meisers Volkstümlichkeit „geradezu an die [Volkstümlichkeit] Martin Luthers“, Ders., Meiser, 404. 26 Der Stadtrat in Ansbach hatte in seiner Vollsitzung vom 2. April 1957 einstimmig beschlossen, die bisherige Jägerstraße in Bischof-Meiser-Straße umzubenennen, Schreiben vom Stadtrat Ansbach (Oberbürgermeister Burkhardt) an Landesbischof Dietzfelbinger vom 4. 4. 1957, ­LAELKB, LKR 875. 27 Ev. Gemeindeblatt für München, Leserbrief vom 16. 12. 1956, LAELKB, LKR 875. Der Vorgang der Straßenbenennung findet sich einstweilen lediglich in der wissenschaftlichen Seminar­ arbeit von Schobel, Benennung, rekonstruiert. 28 Sitzungsprotokoll vom 12. 6. 1956, Auszug (kop.), PSO. 29 Protokollnotiz Nr. 11, Haussitzung des Landeskirchenrats vom 20. 11. 1956, LAELKB, LKR 875. 30 Schreiben Landeskirchenrat (Dr. Schattenmann) an Stadtrat und Landtagsabgeordneten Hans Schemm vom 19. 12. 1956, LAELKB, LKR 875. 31 Beispielsweise Ev. Gemeindeblatt für München, 16. 12. 1956, LAELKB, LKR 875.

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und sich „mit der Stadt herzlich verbunden gefühlt“, zudem seien drittens in seiner Amtszeit unter seiner „tatkräftigen Förderung“ „zahlreiche Kirchen und Anstalten des kirchlichen Lebens“ entstanden, viertens habe er sich als „Wahrer des konfessionellen Friedens“ erwiesen, indem er zusammen mit den „katholischen Brüdern“ für das „Gemeinsame des christlichen Glaubens“ eingetreten sei, schließlich sei er gegenüber den „Eingriffen des Nationalsozialismus“ „unbeugsam“ geblieben32. Mit diesen Punkten ist das frühe positive Erinnerungsprofil, wie es nach dessen Tod in der bayerischen Öffentlichkeit präsent war, klar umrissen. Herrschte in dieser Hinsicht Einvernehmen zwischen Stadt und Kirche, so erwies sich ein anderer Punkt als strittig: Die Lokalisierung jenes Straßenzugs, der zur Meiser-Straße werden sollte. Dass gerade dieser Punkt kontrovers verhandelt wurde, überrascht nicht, denn neben dem Sachverhalt der Namensgebung handelt es sich dabei um den entscheidenden Indikator für die Bedeutung, die dem Namensgeber beigemessen wird. Der Vorschlag des Stadtabgeordneten und Baureferenten Helmut Fischer, den kirchlichen Neubau am Harthof in Milbertshofen, sieben Kilometer außerhalb der Innenstadt, mit einem entsprechenden Straßennamen zu umgeben, klang für protestantische Ohren „wie Hohn“33 und stieß auf den vehementen Protest der evangelischen Kirche und Bevölkerung. Man wies darauf hin, dass die Münchener Gemeinden es nicht verstehen würden, eine Meiser-Straße in einer abgelegenen Siedlung Münchens „zwischen Schafweiden und Schutthalden“ zu installieren34, „während“, so auch der Landeskirchenrat, „zur Ehrung verdienter katholischer Männer Straßen im Zentrum der Stadt benannt worden sind“35. Angeregt werde eine „paritätische Behandlung dieser Angelegenheit“, die von der evangelischen Minderheit als Zeichen einer konfessionellen Gleichachtung der „sich dauernd vermehrende[n] evangelischen Bevölkerung der Stadt“ verstanden würde36. Die Angelegenheit eskalierte in der Stadtratssitzung am 7. 2. 1957. Hier ließ sich der entnervte Fischer zu der Aussage hinreißen, „Straßenbezeichnungen“ seien „grundsätzlich keine Ehrung, sondern nur ein Mittel zur besseren Auf 32 Idealtypisch 33

in einem Leserbrief zusammengefasst, Ebd. Münchener Merkur vom 20. 2. 1957, LAELKB, LKR 875. 34 Ev. Gemeindeblatt für München, 16. 12. 1956, LAELKB, LKR 875. 35 Schreiben Landeskirchenrat (Dr. Schattenmann) an Stadtrat und Landtagsabgeordneten Hans Schemm vom 19. 12. 1956, LAELKB, LKR 875 (Hervorhebung im Original). In der Diskussion wird von evangelischer Seite auf die Straßenbenennung nach Kardinal von Faulhaber an prominenter Stelle in der Münchener Innenstadt verwiesen, vgl. beispielsweise die Protokollnotiz des Landeskirchenrats von einer Besprechung mit zwei Vertretern der Stadt München am 8. 3. 1957, ­LAELKB, LKR 875. 36 Ebd.

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findung der Straßen!“37. Angesichts der folgenden tumultartigen Zuspitzung musste der Oberbürgermeister selbst eingreifen und schlichten. Schließlich nahm ein grantiger Fischer den Beschluss des Hauptausschusses entgegen: Die Bischof-Meiser-Straße werde solange zurückgestellt, bis ein „würdiger Straßenzug“ dafür gefunden sei. Die nun einsetzende Diskussion brachte weitere Vorschläge hervor38. Am Ende wurde auf der Grundlage eines fraktionsübergreifenden Antrags39 in der Sitzung des Stadtrats am 26. 3. 1957 die Arcisstraße in ihrem oberen Teil  in „Meiserstraße“ mit Wirkung vom 1. 8. 1957 umbenannt40. Die Gründe waren pragmatischer Natur: In der Nr. 13 lag der Amtssitz Meisers mit seiner historischen Bedeutung durch den Bezug zum Hausarrest im Jahr 193441, zudem gab es hier nur wenige Privatwohnungen, sondern fast nur Behörden und sonstige öffentliche Dienststellen, so dass eine Namensänderung keine nennenswerte wirtschaftliche Bedeutung hatte42. Der erinnerungskulturelle Akt der Straßenbenennung in München geht demnach auf einen politischen Impuls zurück und wurde parteiübergreifend befürwortet. Bemerkenswert ist, dass es der sozialdemokratische Oberbürger 37 Es kam zum Eklat, weil zuvor Hopf verlangte, „in Anbetracht des Ansehens und der Verdienste“ Meisers „eine repräsentative Straße“ zum Zwecke der Namensgebung heranzuziehen. Als dann der SPD-Stadtrat Aschauer auch noch forderte, in zukünftigen Verfahren der Straßen­ namenbenennung entsprechende Vorschlagslisten „zuerst den Fraktionen“ vorzulegen, interpretierte Fischer dies als einen unterstellten Mangel an Fachkompetenz und als Beleidigung seines Bau­referats; daher holte er zum Gegenschlag aus, vgl. den Art. Streit bei der Straßentaufe, Münchener Merkur, 8. 2. 1957, LAELKB, LKR 875. 38 Ein Vorschlag von Seiten der Kirche besagte, die prominent am Englischen Garten gelegene Himmelreichstraße zur Meiser-Straße umzubenennen. Das schien pragmatisch, da die Bebauung der relativ kleinen Straße ohnehin evangelischer Kirchenbesitz war und der Name, so wurde geltend gemacht, auf eine vormalige Gaststätte zurückgehe, die es aber nicht mehr gebe, Schreiben Landeskirchenrat (Dr. Schattenmann) an Stadtrat und Landtagsabgeordneten Hans Schemm vom 19. 12. 1956, LAELKB, LKR 875. 39 Ohne die Bayernpartei, die für eine Alternative eintrat. 40 Schreiben der Stadt München (Baureferat) an die Ev.-Lutherische Landeskirche vom 23. 5.  1957, LAELKB, LKR 875. Eine nachträgliche Initiative aus der Münchener Kreuz-Kirche, den Namen „Meiserstraße“ in eine „Bischof-Meiser-Straße“ zu erweitern, da „in zwanzig Jahren […] wahrscheinlich der Name allein ohne den dazugehörigen Titel unbekannt geworden sein“ werde, verrät eine gewisse Skepsis gegenüber der Erinnerungskultur in München und wurde vom Landes­ kirchenrat abgelehnt, Aktenvermerk vom 22. 8. 1957, LAELKB, LKR 875. 41 Der Landeskirchenrat machte in einer Besprechung gegenüber zwei Vertretern der Stadt München für die Umbenennung der Arcisstraße zur Meiserstraße geltend, dass hier „der Landesbischof Meiser die Kundgebungen entgegengenommen“ habe, „die ihm während des Kirchenkampfes, namentlich zur Zeit seiner Verhaftung, entgegengebracht wurden“, Protokollnotiz vom 8. 3. 1957, LAELKB, LKR 875. 42 Gemeinsames Schreiben der Fraktionen von SPD, CSU, Mü.Bl., und FDP an den Stadtrat München vom 19. 2. 1957, LAELKB, LKR 875.

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meister selbst war, der die Initialzündung zu diesem Stück Erinnerungskultur gegeben hatte. Von kirchlicher Seite wurde das Unternehmen gefördert, aber, soweit aus den Akten erkennbar, zu keiner Zeit mit Druck forciert. Staat­ liche und kirchliche Amtsstellen agierten in diesem Punkt in relativer Überein­ stimmung. Das Gegenstück zur öffentlichen Namensvergabe stellte jene Erinnerungsform dar, die viele Familien innerhalb ihrer privaten Räume vollzogen. Durch Meisers exponierten Einsatz im Kirchenkampf war ein Foto vom Landesbischof für viele evangelische Familien seit jener Zeit ein Zeichen der Verbundenheit, das in kirchenpolitischer Hinsicht während der NS-Zeit konfessorische Züge bekommen hatte43. Nach Kriegsende und auch nach dem Tod Meisers ver­ blieben diese Fotos vielfach an Ort und Stelle, gewissermaßen als ein Akt privater Erinnerungskultur. 2.4 Kritische Gehalte und Defizite der Erinnerung Die Erinnerung an Meiser ist in dieser frühen Phase eine direkte, unvermittelte Erinnerung an eine den meisten noch unmittelbar bekannte Persönlichkeit, mit der man über Jahre eine gemeinsame Wegstrecke gegangen war. Es ist eine weithin kritiklose Erinnerung, von dem Bemühen getragen, den Verstorbenen der bayerischen evangelischen Christenheit als pastorale Leitfigur vor Augen zu stellen. Woran erinnert man sich dabei nicht, welche Züge Meisers werden ausgeblendet? Antisemitische Einlassungen Meisers spielen keine Rolle, überhaupt wird das Thema Juden- und Christentum bei der Erinnerung an die Kirchenkampfzeit nicht tangiert. Die ‚Arisierung‘ jüdischen Eigentums, die Rolle der evangelischen Pfarrer mit jüdischen Vorfahren und die Haltung der evangelischen Kirche in Bayern zur antijüdischen Politik der Nationalsozialisten spielen in der Erinnerung an Meiser keine erkennbare Rolle. Wohl eher aus Unkenntnis wird auch Meisers Engagement für verfolgte Christen jüdischer Herkunft durch die bayerische Unterstützung des Büros Grüber kein Gegenstand der Erinnerung44. Nicht genannt oder problematisiert wird Meisers affirmative Haltung zum NS-Staat. Eine Relativierung der Einstellung Meisers ist das Äußerste, was die Wahrnehmung des Landesbischofs zulässt: „Kampf“ sei nicht 43 So berichtet Langenfaß im Zusammenhang mit der Aufnahme der Nachricht vom Tod des Landesbischofs: „In den Gemeinden, in deren Häusern von Zeiten des Kirchenkampfes her sein Bild überaus häufig zu finden ist, herrschte herzliche Trauer aus dem Gefühl heraus, ein Vater sei von ihnen gegangen“, Langenfass, Fußstapfen, 313. 44 Vgl. dazu demnächst Fix, Glaubensgenossen.

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die Sache Meisers gewesen, konstatiert Schieder45. Es ist insgesamt eine frühe Erinnerung an Meiser, die substantiell sich einfügt in die Bemühungen der Deutschen, mit der Dynamik des Wirtschaftswunders die Vergangenheit hinter sich zu lassen und vergessen zu machen. Der den Nazis sich habituell widersetzende Meiser erscheint in der Erinnerung als Bollwerk gegen die NS-Religionspolitik, auch die Erinnerung an das Engagement Meisers für den kirchlichen Wiederaufbau in Bayern nach 1945 basiert auf dieser festen Haltung. 2.5 Vergangenheitspolitik In dem Maße, wie in wirtschaftlicher Hinsicht in Bayern und Westdeutschland die Zeichen auf einen Aufbruch verwiesen und die wirtschaftliche Entwicklung unwiderstehlich nach vorwärts zu drängen schien, so sehr war man von politischer Seite darum bemüht, die zurückliegende Epoche des Nationalsozialismus und die damit verbundene Schuld endgültig hinter sich zu lassen. Norbert Frei hat diese Jahre zwischen 1949 und 1959 als Phase der Vergangenheitspolitik beschrieben. Er weist darauf hin, wie in der Gestalt etwa der Straffreiheitsgesetze eine politische Gnadenwelle gegenüber Kriegsverbrechern die Innenpolitik jener Zeit kennzeichnete. Darin macht der Historiker eine politische „Schlussstrichmentalität“ aus, die mit der seit Mitte der fünfziger Jahre „bei den Deutschen ohnehin bestehende[n] Neigung, den fundamentalen Unrechtscharakter des NS-Regimes und seines Eroberungskrieges aus dem kollektiven Bewußtsein auszublenden“, korrespondierte46. Diese wirtschaftlich und materiell vorwärtsweisende Perspektive und das gleichzeitige Bemühen im Hinblick auf die zurückliegende NS-Zeit einen Schlussstrich zu ziehen, markiert die Disposition der deutschen Gesellschaft, in die sich auch die kirchliche Erinnerung an Meiser einfügte. Es scheint plausibel, dass dieser gesellschaftspolitische Rahmen den Blick zurück auf den ehemaligen Landesbischof in Bayern maßgeblich mitbestimmt hat. Im Sinne dieser Schlussstrichmentalität formte sich ein Bild von Meiser, das jenen Inhalten Platz einräumte, die man zu Lebzeiten wahrgenommen hatte und die man jetzt erinnern wollte. Ein kritischer Blick zurück auf das Verhalten des eigenen Bischofs war angesichts der gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die allesamt vorwärts drängten, zwar in gleichem Maße zu wünschen, aber nicht zu erkennen.

45 Schieder, 46

Meiser, 5. Frei, 1945, 33.

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3. Kirchliche Erinnerung im Zeichen des gesellschaftlichen Wandels (1961–1978) 3.1 Träger und Objekte der Erinnerung Eine zweite Phase der Erinnerung an Meiser erstreckt sich etwa von 1960 bis etwa 1978. Sie ist erstens gekennzeichnet von einem markanten Rückgang der auf Meiser bezogenen Erinnerungskultur in Bayern. Unter qualitativen Gesichtspunkten handelt es sich zweitens um eine erinnernde Annäherung an Meiser, die von einem wissenschaftlich-analytischen Zugang geprägt ist. Anders als in den ersten Jahren tritt die evangelisch-lutherische Amtskirche als Erinnerungsagentur Meisers jetzt in den Hintergrund. Es sind eher historisch interessierte Theologen, Kirchenhistoriker und kirchenhistorisch inter­ essierte Studierende, die sich dem Landesbischof, jetzt auf solidem Quellenfundament agierend, wissenschaftlich zuwenden. Erinnerung verdichtet sich zu Geschichte. Helmut Baiers Aufsatz von 1969 über das Verhalten der lutherischen Bischöfe gegenüber dem nationalsozialistischen Staat markiert eine neue Form der Zuwendung zu Meiser und der NS-Zeit in Bayern. Es ist eine historischkritische Annäherung an die Quellen mit einer ergebnisoffenen Fragestellung47. 1971 publizierte der Kirchenhistoriker Friedrich Wilhelm Kantzenbach eine wichtige Referenzquelle zu Meiser: Es handelte sich um die Briefe des engagierten bayerischen Bankiers Wilhelm Freiherr von Pechmann aus der Zeit zwischen 1933 und 194548. Darunter befinden sich auch diejenigen Schreiben, in denen der rechtskundige Laie seinen Landesbischof unmittelbar nach der Reichspogromnacht nachdrücklich, allerdings ohne Erfolg, zu einem Wort zum Schutz der Juden drängt. Die appellativen Briefe von Pechmanns wirken wie Monumente aus einer anderen Welt, sie hinterfragen die in der kirchlichen Öffentlichkeit bis dato kultivierte Erinnerung an den Landesbischof, indem sie ein alternatives konsequentes Verhaltensmodell für die NS-Zeit zu erkennen geben, das lange kaum jemand hatte sehen wollen. Diese Form der kritischen Beschäftigung mit Meiser findet seine konsequente Fortsetzung in der Zulassungsarbeit zur wissenschaftlichen Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien, die 1976 im Fach Geschichte von Siegfried Münchenbach bei dem Historiker Alfred Wendehorst in Erlangen geschrieben wurde. Die Arbeit trug den Titel „Hans Meiser. Sein kirchliches und politisches Denken und Handeln von 1911 bis 1945“. Die knapp 500seitige Examensarbeit hat viele Qualitäten: Sie ist transparent angelegt, im besten Sinne quellenorientiert und nüchtern im 47 Baier, 48

Verhalten. Kantzenbach, Widerstand.

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Stil. Im Rahmen des vierten Kapitels fertigt der junge Examenskandidat eine scharfsichtige Analyse von Meisers Äußerungen zur Judenfrage an und stellt diese in den Deutungszusammenhang des zeitgenössischen Antisemitismus der 1920er Jahre in Deutschland49. Der Verfasser bilanziert schließlich für Meiser eine Widersprüchlichkeit in dessen Haltung zu den Juden: Meiser verurteile zwar einen extremen Rassismus, aber konstatiere selbst die Verderbtheit des jüdischen Volkscharakters, den er biologisch, rassisch begründet sehe50. In dieser Deutlichkeit waren diese problematischen Aspekte der Persönlichkeit Meisers noch nicht öffentlich benannt worden, ein neues Fenster der Erinnerung war geöffnet. Weitere wichtige Aspekte, die die Meiser-Diskussion der nachfolgenden Jahre bestimmen sollten, werden in der Examensarbeit herausgearbeitet: Meisers weiche Haltung zum „neuen Staat“, seine Beharrlichkeit gegenüber dem NS-Staat in der Kirchenfrage und Meisers Profil als lutherischer Kirchen­führer in der NS-Zeit51. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass diese Arbeit für die öffentliche Diskussion über den Landesbischof und für die Erinnerung an Meiser einem Quantensprung gleichkam – oder besser gleichgekommen wäre, wenn sie einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht worden wäre, denn bedauerlicherweise blieb die Arbeit unveröffentlicht. Die auf gekonnte Weise angestrebte wissenschaftliche Erinnerung an den Landesbischof blieb einstweilen in der archivalischen Abgeschiedenheit der Erlanger Universität. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung blieb schon bald nicht beim Jahr 1945 stehen. 1989 erschien die erste politikwissenschaftliche Studie „Untersuchungen zur politischen und sozialen Orientierung der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayerns und ihres Landesbischofs Hans Meiser in den Jahren 1945–1955“52. Für den Landesbischof wird darin eine dezidiert defensive Haltung in den Kriegsverbrecherprozessen herausgearbeitet. Es bedeutete eine weitere kritische Facette in der Erinnerung an den Landesbischof. Die wissenschaftlich verdichtete Erinnerung dieser Phase verwendet die NSZeit nicht länger als einen distanzierten historischen Hintergrund, als unangreifbare historische Projektionsfläche für die Profilierung der Persönlichkeit Meisers. Die NS-Zeit wird nunmehr in Verbindung mit Meisers Persönlichkeit als gegenseitig verschränktes Phänomen verstanden und selbst zum wissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand gemacht. In diesem Zusammenhang werden die Stärken der Persönlichkeit nicht verschwiegen, aber zunehmend 49 Münchenbach, 50

Meiser, 134–149. Ebd., 147. 51 Ebd., 200–204; 269–275; 282–356. 52 Renner, Nachkriegsprotestantismus.

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stärker problematische Anteile der Tätigkeit Meisers in der NS-Zeit erforscht, insbesondere antisemitische Anteile. Die Ergebnisse trugen Anfragen, die die allgemeine Stimmung der Zeit trafen, an die bayerische Öffentlichkeit heran. 3.2 Zeitgeschichtlicher Erinnerungsrahmen Die 1960er Jahre waren geprägt vom Prozess des gesellschaftlichen Wandels, der sich in Westdeutschland seit geraumer Zeit auf der Grundlage des erzielten materiellen Zugewinns der 1950er Jahre vollzog. Sein Kennzeichen war eine umfassende Modernisierung, an der auch die Kirche teilhaben wollte53. Damit ging in den 1960er und 70er Jahren ein fundamentaler Prozess der Poli­tisierung einher. Es wuchs die Kritik an den institutionellen und sozialen Ordnungen der Bundesrepublik und der westlichen Gesellschaft. Nationalkonservative Einstellungsdispositionen verloren erstmals in großem Stil ihren dominierenden Einfluss auf den Protestantismus. Auch die Kirchen drängten auf die Wahrnehmung politischer Verantwortung gegenüber Staat und Gesellschaft. Die Poli­tisierung des Protestantismus blieb nicht ohne Widerspruch. Im Gegenüber zu den gesellschaftlichen und innerkirchlichen Entwicklungs­ tendenzen organisierten sich konservativ-protestantische und überhaupt konservativ-christliche Gruppierungen. Die Institutionen, mithin auch die kirchlichen, werden in dieser Phase von Amtsträgern repräsentiert, die um 1925 geboren wurden und die Generation derjenigen abgelöst hatten, die als Funktionsträger den Nationalsozialismus grundlegend mitgetragen hatten. Sie hatten ihn als prägenden Sozialisationsrahmen erfahren, allerdings ohne darin konkrete Funktionen erfüllen zu müssen54. Sie werden als „skeptische Generation“, bisweilen auch als „Flakhelfer­ generation“ bezeichnet. Die reformorientierten sozialen Bewegungen wurden tendenziell eher von Jüngeren getragen. Es waren die, die um 1945 geboren worden waren und – hier unabhängig von ihren konkreten gesellschaftlichen und sozialen Positionierungen verstanden  – in einem übergreifenden Sinn die sog. 68er-Generation bildeten55. Die bisweilen skandalöse Vergangenheitspolitik der ersten 53 Vgl.

Hermle / Lepp / Oelke, Umbrüche; Pollack, Protestantismus; Greschat, Protestantismus; für den bayerischen protestantischen Kontext Zorn, Kirche; aus allgemeingeschichtlicher Perspektive vgl. bes. Schild / Siegfried / Lammers, Zeiten; darin besonders Schildt, Wohlstand; Ulrich, Wandlungsprozesse; Freese / paulus / Teppe (Hg.), Demokratisierung. 54 Vgl. Frei, 1945, 27 u. ö. 55 Vgl. ebd.; zur Generationenforschung allgemein besonders Jureit, Generationenforschung; Dies. / Wildt, Michael, Generationen.

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beiden Legislaturperioden der Bonner Republik mobilisierte seit Ende der 50er Jahre immer mehr Gegenkräfte56. In protestantischen Milieus kam den Ausein­ andersetzungen der 1950er Jahre um die Wiederbewaffnung der Bundeswehr sowie deren atomare Bestückung im Horizont einer gesamtdeutschen evange­ lischen Verantwortung eine gewisse Initialzündung für ein sich herausbildendes gesellschaftskritisches Widerstandspotential in protestantisch geprägten Gesellschaftskreisen zu. Die Politisierung des Protestantismus führte unter kirchenhistorischen Gesichtspunkten zu einem denkwürdigen Prozess: Zur Auflösung der traditionell nationalkonservativen Haltung des Mehrheitsprotestantismus. Im Blick auf die deutsche Geschichte vor 1945 kam nunmehr die Rede von der „unbewältigten Vergangenheit“ auf. Die nachrückende Generation stellte die „Schuldfrage“ im Hinblick auf das Verhältnis zu den Juden – zunächst an ihre Eltern, dann an die die Gesellschaft tragenden Institutionen. In diesen kritischen Nachfragen lag in Deutschland einer der entscheidenden Initialimpulse der 68er Bewegung. In dieser Zeit kam das gesellschaftspolitische Ziel der „Vergangenheitsbe­ wältigung“ zu Bedeutung. Es bezog seine Energie aus einer „schier endlosen Reihe von Skandalen um personelle und institutionelle Kontinuitäten“57 zur deutschen NS-Zeit. Mittels einer direkten Zuwendung zur NS-Zeit wollte man deren Strukturen und Machtverhältnisse transparent machen. Das zeitigte mindestens zwei Konsequenzen, die beide auch die Erinnerung in Bayern an Meiser berührten: Zunächst ergab sich daraus eine wissenschaftliche Annäherung an die Zeit des Nationalsozialismus. Die Offenlegung sogenannter faschistoider Strukturen des nationalsozialistischen Deutschland setzte eine Retrospektive, ein historisches Studium der zu entdeckenden Quellen voraus. Unsere Beobachtungen zur Verwissenschaftlichung der Meiser-Erinnerung haben hier ihre tiefere Ursache. Die zunehmende Offenlegung der politischen Strukturen, die den Nationalsozialismus und ein als repressiv wahrgenommenes politisches System der Nachkriegszeit ermöglicht hatten, führte zweitens zu einer zunehmenden moralischen Aufladung der Diskussion auch in Kirche und Theologie. Die Meiser-Erinnerung reflektiert diesen Moralisierungsschub. Mit Blick auf die ausdrucksstarken Formen des Protests, wie sie seit Mitte der 60er Jahre diese nachrückende Generation öffentlich machte, zeigte die ältere, „skeptische Generation“ der Amtsträger nur eine moderate vergangenheitskritische Haltung58. Auch die Führungsschicht der evangelischen Kirche war in der Generation der jetzigen Verantwortungsträger eher von Kontinuität 56 Vgl. 57

dazu Frei, 1945, 30–34; vgl. auch wie oben Anm. 53. Frei, 1945, 35. 58 Ebd.

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als von einem Wandel der kirchlich-theologischen Mentalität geprägt59. Das Beispiel der Meiser-Erinnerung zeigt, wie ein generationsspezifisches kritisches Befragen von Zeitzeugen und Quellen die Voraussetzung für eine entsprechend modifizierte Meiser-Erinnerung in der nachrückenden Generation legte. Die in Erlangen entstandene Dissertation von Angela Hager über kirchliche Reformgruppen der bayerischen Kirche in den 1960er und 70er Jahren macht sehr anschaulich, wie sehr die Dynamik der jungen Theologengeneration in dieser Phase auch in der ELKB auf Veränderungen drängte60. Allerdings wird man auch festhalten müssen, dass die Reformdynamik mit einer zunehmenden Ethisierung der theologischen Diskussion (Gerechtigkeit) auch ein abnehmendes Interesse an einer rückwärtsgewandten „Erinnerung“ mit sich brachte. Der Wunsch nach Veränderung der Weltzustände dominierte das Bewusstsein, der Eindruck, dieses Ziel tatsächlich erreichen zu können, wirkte so berauschend, dass die vormals bedeutsame historische Retrospektive angesichts des vorherrschenden Weltveränderungsoptimismus an Bedeutung verlor. Darin mag der Grund liegen, dass der in dieser Phase vollzogene Generationswechsel das öffentliche Interesse an Meiser kurzzeitig in den Hintergrund drängte.

4. Kirchliche Erinnerung und Erregungskultur (1978–2000) 4.1 Befund Die Erinnerung an Meiser entwickelt sich in dieser Phase zwischen 1978 und 2000 erstmals deutlich in unterschiedliche Richtungen. Die erinnerte Person wird Gegenstand öffentlicher Debatten, die Erinnerungsgehalte konkurrieren miteinander, die Memoria an Meiser erhält disparate Züge. Schließlich sind es miteinander konkurrierende Erinnerungen, die das memorierte Bild des ehemaligen Landesbischofs ausmachen. Einerseits wird die Einschätzung Meisers, auf der Grundlage der vorliegenden wissenschaftlichen Ergebnisse, deutlich kritischer. Insbesondere drei Vorwürfe werden offen benannt: Meisers Verhältnis zu den Juden, zum NS-Staat und zum Krieg. Auf der anderen Seite werden mit Nachdruck Erklärungen ins Feld geführt, die sein Verhalten plausibilisieren wollen, Argumente zu seiner Verteidigung werden aufgeboten, nicht selten mit apologetischem Anspruch. Moralische Kategorien gewinnen insgesamt weiter 59 Exponenten dieser nachrückenden Generation von kirchlichen Amtsträgern waren u. a. Eduard Lohse (*1924), Helmut Hild (1921–1999), Johannes Hanselmann (1927–1999), Martin Kruse (*1929), Klaus Engelhardt (*1932), und Karlheinz Stoll (1927–1992). Hauschild, Kirche, 62, befindet zutreffend, dass diese Generation „eher eine Kontinuität als ein Wandel der kirchlichtheologischen Mentalität“ kennzeichnet. 60 Hager, Reformgruppen.

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an Bedeutung. Erstmals kommt es zu kirchlichen Lagerbildungen um die Erinnerung an Meiser. Hatte der Bischof in der NS-Zeit integrativ auf seine Kirche gewirkt, so galt für die Zeit der 1980er und 90er Jahre, dass die Erinnerung an ihn eine tendenziell polarisierende Binnenwirkung in der kirchlichen Öffentlichkeit erzeugte. 4.2 Zeitgeschichtlicher Erinnerungsrahmen Fragen wir zunächst noch einmal nach den politischen Rahmenbedingungen für die kirchliche Erinnerungskultur in dieser Zeit. Das Jahr 1979 markiert in weltpolitischer Hinsicht durch den Nato-Doppelbeschluss und die Invasion der Sowjetunion in Afghanistan eine neue Eskalationsstufe des Kalten Krieges, die das geteilte Deutschland naturgemäß nicht unberührt ließ61. Die daraus hervorgehende Friedensbewegung zeigte signifikant christliche Anteile. Im Westen verschärfte sich angesichts der Friedensdiskussion 1983 das Problem der politischen Verantwortung der Kirche. Junge Theologen, die in den 1970er Jahren studiert hatten, waren inzwischen in die Pfarrämter hineingewachsen und etablierten sich jetzt zur festen Größe in der Institution Kirche. Der Wandel durch Reformen und Politisierung erwies sich im Protestantismus als ‚Wandel von unten‘62. Das Gleiche galt für Laien, die nunmehr in die Kirchenvorstände und Presbyterien einrückten und diese gemäß ihrer Überzeugungen prägten. Diejenigen, die der Institution Kirche den Rücken gekehrt hatten, kultivierten – häufig abgewandelte, aber im Kern bewahrte – protestantische Werte und Einstellungen in den neuen Milieus der sozialen Bewegungen und Bürgerinitiativen, mehr oder weniger weit entfernt von der institutionellen evangelischen Kirche. Dieser erneute Generationenwechsel seit den 1980er Jahren brachte es mit sich, dass die 68er Generation insgesamt in das Berufsleben eintrat und sich auf den langen und häufig genug kräftezehrenden „Marsch durch die Institu­tionen“ machte. Der politische Veränderungsanspruch angesichts der ‚un­bewältigten Vergangenheit‘ wurde zusehends blasser. Gleichwohl blieb das fortwährende Bedürfnis nach gesellschaftlicher Vergewisserung über die Vergangenheit erhalten und zeitigte in immer kürzeren Abständen eintreffende Wellen intensiver öffentlicher Diskussion63. Die Intensität der gesellschaftlichen Erregung64 61 Vgl. 62

dazu beispielsweise Winkler, Weg, besonders 352–363. Erst als die von der 68er Bewegung beeinflusste Studentengeneration in der zweiten Hälfte der 70er Jahre als Pfarrer, Religionslehrer, Synodale und Kirchenvorsteher zu Amt und Aufgaben kam, setzte in der Kirche – analog zum proklamierten „Marsch durch die Institutionen“ auf weltlicher Seite – ein nachhaltiger Reformprozess ein, vgl. ganz ähnlich Hauschild, Kirche, 62 u. ö. 63 Vg. dazu Frei, 1945, 37–40. 64 Vgl. zum Terminus Assmann, Erinnerung, 200–204.

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über vermeintliche politische Fehlleistungen war stetig im Wachsen begriffen: So stand der Besuch des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan 1985 in Bitburg im Zeichen einer äußerst kontrovers und lautstark geführten Debatte, im Jahr darauf setzte der Historikerstreit ein, 1988 folgte die verunglückte Rede Philipp Jenningers im Bundestag. Als 1995 die 50jährige Wiederkehr des Kriegsendes als ein mediales Großereignis inszeniert wurde, konnte das nur als nicht mehr zu steigernder Höhepunkt einer langen Entwicklung verstanden werden, der den sich anschließenden öffentlichen Bedeutungsverlust des Themas befürchten ließ. Dies trat aber überraschenderweise faktisch nicht ein, denn die öffentlich inszenierte Erinnerung setzte sich im Modus der Erregung sogar noch einmal in gesteigerter Form fort: 1996 setzte Daniel Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ die deutsche Öffentlichkeit in Bewegung, im Jahr darauf stritt man von den Feuilletons der überregionalen Zeitungen bis zu den Volkshochschulseminaren über die von Jan Philipp Reemtsma initiierte Wehrmachtsausstellung. 1998 teilte die umstrittene Rede Martin ­Walsers anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels die deutsche Öffentlichkeit in zwei Lager, schließlich folgte 2005 nach einer langen kontrovers geführten öffentlichen Diskussion die Einweihung des HolocaustMahnmals. Die Heftigkeit dieser Debatten ist ein Kennzeichen der deutschen Erinnerungskultur der vergangenen Jahre. 4.3 Inhalte der Meiser-Erinnerung Die Erinnerung an Meiser vollzog sich in diesem Rahmen der gesellschaftlichen Erinnerung an die NS-Zeit. Kristallisationspunkte der Erinnerungskultur waren die anstehenden Gedenktage, die – auch das ist bemerkenswert – nun im Gegensatz zur vorausgegangen Phase überhaupt erst als Aufgabe und Herausforderung begriffen wurden: Die Gedenkfeier des 100. Geburtstages Meisers 1981 sowie seines 40. Todestages 1996. Zur Gedenkfeier des 100. Geburtstages Meisers war es dessen damaliger Nachfolger im Bischofsamt, Dietzfelbinger, der – inzwischen selbst im Ruhestand – in der Akademie Tutzing den Gedenkvortrag hielt. Die Rede, die unter die programmatische Überschrift „Kirchenleitende Verantwortung 1933–1955“65 gestellt war, brachte im Duktus amtsbrüderlicher Solidarität über weite Strecken ein konventionell positives Bild Meisers. Es war eine umsichtige Skizze der Tätigkeit Meisers als Landesbischof, wobei insbesondere die Probleme kirchlicher Leitung in der NS-Zeit beschrieben wurden. Bemerkenswert indes waren die wenigen Einlassungen Dietzfelbingers zum Ende seines Beitrags, 65 Dietzfelbinger,

Landesbischof.

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die aufhorchen lassen, denn sie geben zu erkennen, dass Meiser inzwischen zumindest in Teilen der bayerischen Kirche als umstrittene Figur galt. Dietzfelbinger verteidigte Meiser eher unvermittelt gegenüber dem Vorwurf, dieser sei in seinem Verhältnis zum NS-Staat „NS-hörig“ gewesen66. Demons­ trativ betonte der Altbischof sodann „Meisers und unser aller Verhalten in der Judenfrage“67. Hinter dem Lob Meisers aus der Feder Dietzfelbingers verbergen sich kritische Anfragen, die inzwischen öffentlich kursierten und die ungetrübte Erinnerung an Meiser belasteten. Die bei Dietzfelbinger erkennbar werdende Strategie des Umgangs mit diesen Vorwürfen lautete offenkundig: Plausibilisierung durch Generalisierung. Dem öffentlich geltend gemachten Vorwurf an Meiser, er sei dem ‚neuen Staat‘ bis zur Grenze entgegengekommen, stellte Dietzfelbinger beispielsweise die Frage entgegen: „Waren nicht die meisten von uns in einer ähnlichen Denkweise aufgewachsen?“68 Auch der Sachverhalt, dass zur NS-Zeit kein Wort Meisers zur Judenfrage erfolgte, wird in einen größeren Zusammenhang gestellt: „Hier müssen wir von unser aller Schuld und Versagen reden, von der mangelnden Abwehr des militanten Antisemitismus schon in den zwanziger Jahren [sic!] bis hin zum Unvermögen, in den vierziger Jahren noch Widerstand zu leisten“69. Die belastenden Inhalte der Erinnerung an Meiser werden durch eine großzügige Generalisierung relativiert und auf diese Weise in ihrer Brisanz entschärft. Der anlässlich des vierzigsten Todestages 1996 vom evangelischen Presse­ verband durchgeführte Studientag markierte dann ein hohes Maß an diskursiver Auseinandersetzung, die von einem bis dahin unerreichten substantiellen Gehalt der Erinnerung an Meiser gekennzeichnet war. Diese Veranstaltung nahm einen alten Erinnerungsfaden aus dem Jahr 1956 wieder auf: In Anknüpfung an das seinerzeit unter der Ägide des evangelischen Presseverbandes erschienene Büchlein „Er liebte seine Kirche“70 fand die damals begonnene Diskussion unter gleicher Überschrift und initiiert vom gleichen Auftraggeber eine Fortsetzung71. Allerdings, das wurde jedem, der es hören wollte, schnell klar: Zwischen beiden Publikationen lagen zeitlich und inhaltlich Welten. Inzwischen hatte die auf eine kritische Reflexion der Meiser-Figur drängende Welle „von unten“ längst die bayerische Amtskirche erfasst. Die Einführung Martin Bogdahns brachte die disparate Diskussion pointiert auf den Punkt, indem die in der Person des Landesbischofs gegründeten Spannungsfelder offen benannt 66 Ebd., 67

72. Ebd., 73. 68 Ebd., 72. 69 Ebd., 73. 70 Heiwik, Kirche. 71 Haberer, Kirche.

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wurden: „In der Liebe zu seiner Kirche sah sich Meiser zur Lieblosigkeit gegenüber Schwachen und Hilfsbedürftigen gezwungen“72. In Bezug auf das Schweigen Meisers zu den zwölf Jahren NS-Zeit stellte Bogdahn die Frage: „Hat ihn der Gedanke bewegt, dass er seiner Kirche etwas schuldig geblieben ist, als er bedrohten Menschen den Beistand schuldig geblieben ist?“73 Die Qualität der Auseinandersetzung um Meiser auf dem Studientag ist v. a. der profunden kirchenhistorischen Studie aus der Feder von Carsten Nicolaisen geschuldet, die die Meiser-Diskussion auf ein neues Niveau hob74. Denn der Münchener Kirchenhistoriker griff im Zuge seiner Ausführungen beherzt die einschlägigen Quellen auf und arbeitete für die NS-Zeit in großer Klarheit ein Profil Meisers heraus, das eindeutig ambivalente Züge trägt: Nicolaisen benannte die Schwachstellen der landesbischöflichen Amtsführung jener Zeit, arbeitete dessen opportunistische Haltung gegenüber dem NS-Staat ohne Umschweife heraus und stellte die antisemitischen Tendenzen Meisers dar, anderer­seits würdigte er die Beharrlichkeit des Landesbischofs gegenüber der Integrations­politik des Reichsbischofs als „Bekenntnis-Widerstand“, und mahnte dabei aber an, dass Meisers „Verkündigungswiderstand“ wegen einer einseitig verstandenen Zwei-Reiche-Lehre auf eine „kritische Infragestellung der nationalsozialistischen Politik“ verzichtet hatte. Nicolaisen zeichnete ein differenziertes Bild, das in seinen Grundzügen bis heute Bestand hat. Hannelore Braun hatte unter­ dessen den Lesern des Sonntagsblatts unter der Überschrift, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ, „Widerstanden für die Kirche, geschwiegen zum Unrecht“75 die Defizite Meisers ebenfalls vor Augen gestellt. Das Gedenk­ bändchen, das auf der Grundlage des Studientags erschien, hat der Erinnerung an Meiser ein neues Format und einen nachhaltigen Zuwachs an historio­ graphischer Substanz gegeben. Gemäß dem Eingangswunsch Bogdahns zu dieser Veranstaltung stand am Ende der Tagung „keine Urteilsverkündigung“76; aber die Kritik an Meiser war in vorher nicht gekannter Deutlichkeit formuliert worden, ohne dass seine Verdienste verschwiegen worden wären. Die kritisch geführte Diskussion zu Meiser blieb nicht länger eine Ange­ legenheit der kirchlichen Öffentlichkeit, sondern erreichte im Dezember 1998 auch den Münchener Stadtrat. Die Stadtratsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen – Rosa Liste stellte einen Antrag auf Umbenennung der Meiserstraße. Der 72 Bogdahn, 73 Ebd., 14 f. 74

Einführung, 14.

Nicolaisen, Bischof. Kirche. „Ich hoffe mir von dem heutigen Studientag, die Gestalt Meisers deutlicher zu sehen. Zugleich wünsche ich mir, daß am Ende dieses Tages keine Urteilsverkündigung steht. Denn weder Schuldspruch noch Freispruch steht uns zu“, Bogdahn, Einführung, 15. 75 Braun, 76

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Grund: Meiser wurden antisemitische Äußerungen von 1926 sowie kriegsverherrlichende Aussagen von 1939 zur Last gelegt, woraus der Schluss gezogen wurde, dass Meiser keineswegs der furchtlose Gegner des Nationalsozialismus gewesen sei, zudem habe ihm nach dem Krieg die Einsichten in sein Fehlverhalten gefehlt77. Abstrahiert von den turbulenten Vorgängen jener Wochen wird man erinnerungsgeschichtlich festhalten können, dass Meiser durch die politische Initiative zu einem jener Fälle stilisiert wurde, an denen die deutsche Vergangenheit vor 1945 in einem lokalen Horizont exemplarisch aufgearbeitet werden sollte. Die Erinnerung verbindet sich auch in München mit einem erheblichen Maß an öffentlicher Erregung. Dass der Straßenname in die Kritik geriet, hatte unter diesen Vorzeichen eine innere Logik. Am Ende hatte der Straßenname mit dem Landesbischof über die Umbenennungsinitiative hinaus Bestand, denn nur das Münchener Stadtarchiv schloss sich dem Antrag an, Stadtbibliothek und Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern stimmten in den angefragten Stellungnahmen dem Erhalt des Straßennamens zu78. Auf Seiten der Kirche begründete man die Ablehnung mit dem Hinweis, der Name Meiser-Straße stelle „Erinnerung und Verpflichtung zugleich dar“ und dürfe daher „aus dem Straßenverzeichnis nicht getilgt werden“79. Der Ältestenrat der Landeshauptstadt erachtete in seiner Sitzung vom 12. 3. 1999 eine nachträgliche Umbenennung angesichts der abgegebenen Voten für unangemessen, die Antragsteller zogen den Antrag zurück80. Der Vorgang in München reihte sich ein in jene „Enthüllungsdiskurse“ in der BRD, „deren stimulierende Kraft und katalytische Bedeutung für die gesellschaftspolitische Debatte seit den 60er Jahren bedeutsam gewesen war“81. Allerdings geht das Gedächtnis an Meiser in dieser Phase nicht in öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Erinnerung und Erinnerungskorrekturen auf. Insbesondere diese Phase ist durch eine facettenreiche kirchenhistorische Aufarbeitung der Erinnerung an den vor­maligen Landesbischof gekennzeichnet82. Erst unter Berücksichtigung dieser wissen 77 Antrag Nr. 1202 auf Umbenennung der Meiserstraße in München vom 1. 12. 1998 der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen – Rosa Liste, vgl. dazu die nur im Eigenvertrieb verbreitete Dokumentation von Bäumler, Gedanken, PSO. 78 Ebd., Beschluss der Vollversammlung des Stadtrates vom 18. 7. 2009, Anlage 1–3. 79 Ebd., Anlage 3. 80 Ebd., 2. 81 Frei, 1945, 37. 82 Vgl. v. a. Mensing, Pfarrer. Das Buch (Diss. von 1991) erweitert 1998 das Erinnerungsspek­ trum an Meiser um das Feld der bayerischen Pfarrerschaft erheblich. Seit 1985 wird kontinuierlich mit den stenographischen Aufzeichnungen und Mitschriften Hans Meisers eine wichtige Quelle für die komplexen kirchengeschichtlichen Zusammenhänge der NS-Zeit ediert, Verantwortung für die Kirche. Bearb. von Braun / Nicolaisen. Einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Erschließung Meisers leistet der auch in dieser Phase (1993) erscheinende Lexikonartikel Braun, Meiser.

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schaftlich verantworteten Erinnerung erschließt sich das ganze Spektrum der Erinnerungskultur dieser Zeitspanne. Am ausgehenden 20.  Jahrhundert entspannte sich die Erinnerungslage schließlich doch, die Zeichen deuteten auf Deeskalation. Den Wandel markierte etwa die Erklärung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern von 1998, in der eine Distanzierung von jedem Antijudaismus erfolgte und in die Martin Luther explizit mit einbezogen wurde83. Das hatte keinen unmittel­ baren Bezug zur Erinnerung an Meiser, allerdings gab die Kirche selbst in prominenter Form ein kritisches Potential in der ‚Judenfrage‘ zu erkennen. Das konnte als ermutigendes Signal verstanden werden, auch Meiser anders zu sehen. Damit standen zum ausgehenden 20. Jahrhundert die Zeichen in der Meiser-Erinnerung auf Entspannung: die NS-Vergangenheit hatte durch das vergleichsweise hohe Maß an wissenschaftlicher Aufarbeitung und öffentlicher Diskussion scheinbar jeden Rest einer Tabuisierung verloren. Wenn man so will: Mit der 68er Generation war die veränderte Erinnerung an die NS-Zeit der Kirche einen langen „Marsch durch die Institutionen“ angetreten und hatte nunmehr auch die Kirche und ihre Öffentlichkeitsträger verändert.

5. Zur gegenwärtigen kirchlichen Erinnerungskultur (seit 2000) 5.1 Erinnerungspolitische Prognose: Versachlichung Das entscheidende Argument dafür, den Beginn des 21. Jahrhunderts als eine Zäsur in der deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus zu verstehen, ist  – sieben Jahrzehnte nach dem Beginn der Nazi-Herrschaft  – das alters­ bedingte Zurücktreten der Zeitzeugen. Diejenigen, die Aggressivität, Terror und Staatsverbrechen der Nationalsozialisten noch lebensprägend erfahren mussten, werden rar. Auch für den Bereich kirchlicher Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus wird man den damit verknüpften Strukturwandel bedenken müssen. Reinhard Koselleck hat in diesem Zusammenhang auf eine qualitative Veränderung der Erinnerung hingewiesen: Die sich auf existentielles Erleben stützende lebendige Geschichtserfahrung verändert sich danach zu einer empiriegestützten wissenschaftlichen Historiographie84. Der Verlust der methodischen Möglichkeit der oral history werde kompensiert durch eine signifikante ‚Versachlichung‘ der Zeitgeschichtsschreibung. Auf diese Weise könnte, so mutmaßt auch Aleida Assmann, die wissenschaftlich organisierte Erinnerung 83 Vgl.



84 Vgl.

dazu Müller / Rudnick, Christen, 185. Koselleck, Nachwort, 117.

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jenseits des affektgesteuerten Moralisierens vielleicht nüchterner und sachbezogener gestaltet werden85. Soweit die Theorie. Schauen wir auf die Situation in Bayern in den von heute aus unmittelbar zurückliegenden Zeitraum, dann straft offenbar die tatsächlich eingetretene Entwicklung die Theorie Lügen. Im Vergleich zu den vor­aufgegangenen Phasen der Erinnerung an Meiser kennzeichnet die jüngste Phase eine nochmalige Steigerung der Erregungsstufe. 5.2 Aktueller Befund Die das Tagesgeschäft bestimmende Ereignislage ist aus gutem Grund noch kein Gegenstand zeithistorischer Analyse. Vor dem Hintergrund der von uns abgeschrittenen Geschichte der Erinnerung, wie sie in Bayern zu Meiser ent­ wickelt worden ist, lässt sich gleichwohl eine Tendenz feststellen: (1.) Die Erinnerung an Meiser hat sich in der unmittelbar zurückliegenden Zeitspanne zu einer Kontroverse über die rechte Form und die Gehalte der Erinnerung an den Landesbischof entwickelt und dabei eine neue Intensität erreicht. (2.) An der Auseinandersetzung über die Erinnerung partizipieren ganz unmittelbar die institutionelle evangelische Kirche vornehmlich in Bayern, deren Gemeindechristen sowie die lokalen politischen Gremien in bayerischen Städten, einzelne Vertreter akademisch-theologischer Bildungseinrichtungen des Landes sowie in Teilen die Familie Meiser. Die Diskussion hat schnell zu Fraktionen geführt, wobei die Grenzen teilweise quer durch die genannten Gruppen verlaufen können. (3.) Die in der Vergangenheit kultivierte Erinnerung an Meiser ist mindestens insofern bindend für die Gegenwart, als dass in den jeweiligen Lagern ein differenziertes Bild bewahrt wird, das sowohl Stärken als auch Schwächen beim ehemaligen Landesbischof ausmacht. (4.) Strittig scheint indes, wie die beiden Seiten der Persönlichkeit Meisers jeweils gewichtet und in welches Verhältnis sie zueinander gesetzt werden. Wie verhalten sich antisemitische Äußerungen, unkritischer Opportunismus gegenüber dem NS-Staat, Schweigen zu den von Nazis vorangebrachten Staatsverbrechen gegenüber der kirchenpolitischen Resistenz des Bischofs, gegenüber seinen dezent arrangierten Rettungsleistungen auch für Christen jüdischer Herkunft und gegenüber seiner lutherischen Bekenntnistreue, für die er teilweise von der NS-Seite abgestraft wurde? 85 Vgl. Assmann, Erinnerung, 201 f., die Kossellecks Sichtweise aufnimmt und weiterführt, um dann aber die davon abweichende Entwicklung zu konstatieren.

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(5.) Auf beiden Seiten, der der Meiser-Kritiker und der seiner Sympa­ thisanten, wird offenkundig zunehmend im Modus der Moralisierung gegen oder für den vormaligen Bischof gestritten. Moralische Gesichtspunkte – sachgemäß begründet und gewichtet – haben, das ist unstrittig, ihren Platz in einem Diskurs, der im weitesten Sinn sozialethischen Koordinaten verpflichtet ist. Werden sie indes im Stile eines moralischen Imperativs vorgetragen, führt das zu der abstrusen Situation, dass in der Öffentlichkeit beispielsweise den antisemitischen Einlassungen Meisers die Zahl von ihm geretteter Judenchristen entgegengestellt wird. Moralisch ausgetragenen Auseinandersetzungen ist die Tendenz zur Radikalisierung immanent. Unter sachlichen Gesichtspunkten zeitigt die Debatte seit geraumer Zeit zwangsläufig einen Niveauverlust. Der Verlierer hat unter diesen Voraussetzungen in jedem Fall einen Namen: Hans Meiser.

Schluss Es bleibt die Frage, warum die Diskussion um die Erinnerung an Meiser un­ geachtet der aus Altersgründen massiv nachlassenden Beteiligung durch Zeitzeugen und entgegen historiographischer Prognosen nach wie vor im Modus der Erregung mit so viel vitaler Streitlust fortgesetzt werden kann. Die NS-Zeit ist durch ihr unfassliches Unrechts- und Verbrechenspotential in der seither vergangenen Zeit von den beteiligten Generationen nicht so zu bewältigen gewesen, dass sie ihre Brisanz hätte verlieren können. Diese belastende Geschichte ist über einen langen Zeitraum sehr zurückhaltend, nur äußerst dosiert erinnert worden; bis in die 70er Jahre kamen, wie wir auch bei Meiser sahen, bestimmte Probleme gar nicht in den Fokus der Erinnerung. Verdrängungen und Erinnerungsresistenzen indes verlängern den Zeitraum ihrer traumatischen Wirkmächtigkeit. Zudem: Die Generationenforschung der jüngsten Zeit hat auf die Rolle der 68er-Generation als Movens dieser ungebrochenen Erregung verwiesen. Diese Generation habe den Holocaust als ihr Generationsobjekt identifiziert, von dem sie sich nicht recht trennen könne. Die Historisierung der NS-Zeit komme in ihren Augen einem Verrat gegenüber sich selbst und den frühen Auseinandersetzungen mit der Elterngeneration gleich. Ein identitätsstiftender Besitzanspruch auf den Holocaust blockiere einen überfälligen Generationswechsel86, der eine von anderen, weniger schuldbehafteten und moralisierenden 86 Vgl.

Schneider, Holocaust, 60.

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Identifizierungen geprägte Perspektive auf die Geschichte eröffnen könne. Inwiefern dieser Sachverhalt auch für die Meiser-Diskussion zutrifft87, bedarf zukünftig noch der eingehenden Untersuchung. Die Entwicklung der Erinnerungskultur zu Meiser hat insgesamt deutlich gemacht: Je weiter wir uns von der NS-Zeit und damit auch von Auschwitz entfernen, umso näher tritt dieses Ereignis an uns heran. Erinnerungen haben in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion. Kultivierte Erinnerungen dürfen kein Tabu sein, zumal in freien Gesellschaften müssen historische Erinnerungen ein Grundrecht bleiben. Historische Erinnerungen sind in ihrer Bedeutung nicht ein für allemal festgeschrieben. Am Beispiel Meiser kann man lernen: Erinnerungen bedürfen der Revision, und zwar jeweils im Licht der „gegenwärtigen Situation“. Sich zu erinnern bedeutet die Notwendigkeit, die „gegenwarts- und zukunftsbezogene Produktivität“ immer wieder neu zu bestimmen88. Auch die Erinnerung an Meiser war, ist und bleibt in dieser Beziehung eine Herausforderung für das evangelische Bayern und darüber hinaus.

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Schlussbetrachtung

Berichte der Beobachter der Tagung über die Zeit des Nationalsozialismus

Wolfgang Kraus

Spielräume des Handelns und der Erinnerung Ein Beobachterbericht1

1. Die Bedeutung theologischer Konzepte, Einstellungen und Prägungen Harry Oelke hat in seinem Einführungsreferat betont, dass es bei der Tagungsdramaturgie vor allem um drei Aspekte gehe: (1) hinsichtlich der Handlungsspielräume der kontextuellen Bedingungen ansichtig zu werden, (2) mit Hilfe der Komparatistik vertiefte Erkenntnisse im konkreten Vergleich dreier Landeskirchen zu erhalten, (3) in der Ausweitung über 1945 hinaus Kontinuitäten und Diskontinuitäten hinsichtlich der Schuldfrage zu erkennen. Bestimmte Aspekte, die zwar auch relevant wären, müssten aus tagungstechnischen Gründen ausgeblendet werden, etwa das Thema Antisemitismus oder das Thema des theologischen Antijudaismus. Ich halte die von H. Oelke genannten Zielvorgaben grundsätzlich für sachgemäß. Jedoch wurde mir im Verlauf der Tagung  – vor allem aufgrund der Beiträge von Christoph Link, Berndt Hamm, Helmut Baier und Björn Mensing  – erneut deutlich, wie stark langfristige theologische Einstellungen und Konzepte bei den Beteiligten das Verhalten prägten und im konkreten Handeln ein Rolle spielten. Man musste daher zwar aus tagungstechnischen Gründen bestimmte Aspekte ausklammern. Das Verhalten Hans Meisers und der Bayerischen Landeskirche insgesamt kann jedoch nicht verstanden werden ohne die Analyse und den Einbezug dieser langfristig erworbenen Einstellungen. Ich greife zwei Bereiche, in denen sich dies in besonderer Weise zeigt, heraus:

1 Meine Aufgabe als Beobachter der Tagung „Spielräume des Handelns und der Erinnerung“ habe ich so verstanden, dass ich aus dem Gehörten Impulse formulieren sollte für die abschließende Diskussion. Von den im Folgenden formulierten drei Impulsen waren zwei davon für die unmittelbare Diskussion gedacht, ein dritter sollte darüber hinausweisen. Grundlegend zum Verständnis meiner beiden ersten Impulse sind die Detailanalysen, die Axel Töllner angestellt hat (Töllner, Rasse).

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a) Eintreten für das lutherische Bekenntnis Christoph Link hat deutlich gemacht, dass Reaktionen Hans Meisers auf zeitgeschichtliche Herausforderungen vor allem dann von großer „Hellhörigkeit“ gekennzeichnet waren, wenn es um die Frage des Bekenntnisses ging  – und „Bekenntnis“ meinte stets das lutherische Bekenntnis. Dabei lasse sich bei Hans Meiser der Versuch nachweisen, einerseits staatliche Eingriffe in die Kirche, aber auch mögliche Einflüsse aus dem reformierten oder unierten Lager zurückzudrängen. Diese Prägung durch das lutherische Bekenntnis stellt  – wie Link erneut herausgestellt hat – eine durchgängige Voraussetzung für das Handeln Hans Meisers dar2. Nun gehört – und das hat Link weniger in den Vordergrund gestellt – auch die traditionelle Judenfeindschaft, oder das, was Axel Töllner in Aufnahme einer Bezeichnung von Martin Greschat den „protestantischen Antisemitismus“ nannte, zwar nicht zu den lutherischen Bekenntnisformulierungen, aber eben doch zu dem Ensemble dessen, was man als lutherische Mentalität in der zur Debatte stehenden Zeit zu verstehen hat3. Einzelelemente dieses Phänomens sind ein traditioneller christlicher Antijudaismus, eine überkommene konservative Aversion gegenüber Juden und schließlich die Überzeugung, wonach das Judentum „wesenhaft die Zerstörung und Zersetzung des Wertvollen, Guten und Edlen betreibe“4. „So stellte der protestantische Antisemitismus eine neuzeitliche dezidiert kirchliche Form der Judenfeindschaft dar, in der seit Adolf Stoecker diverse antijüdische Stereotype und Motive unterschiedlicher Herkunft und verschiedenen Alters miteinander verschmolzen waren. […] [D]er protestantische Antisemitismus [versuchte] rassis­ tische und sozialdarwinistische Figuren in das christliche System zu integrieren. Moderne Rassentheorien hatten zwar Kategorien wie Rasse, Volkstum und Blut in ihrem Bedeutungsgehalt säkular transformiert, aber das nationalprotestantisch geprägte evangelisch-kirchliche Milieu konnte diese Größen als göttliche Schöpfungsordnungen religiös überhöhen und damit die Systematik des neuartigen Antisemitismus in das christliche Bezugssystem integrieren.“5

Hierbei lässt sich nun zeigen, dass Hans Meiser sowie weite Kreise der bayerischen Theologen- bzw. Pfarrerschaft nicht nur eine vorübergehende, sondern eine durchgängige Prägung durch den ‚protestantischen Antisemitismus‘ erfahren hatten, die dann ihr Handeln im Einzelnen leiteten.

2 Vgl.

Link, oben, S. 50. Phänomen des „protestantischen Antisemitismus“ vgl. Töllner, Rasse, 21–48. 4 Greschat, Haltung, 274; Töllner, Rasse, 21, betont im Anschluss an Berndt Hamm, dass es sich bei diesem Vorgang um die Herausbildung einer „Mentalität“ handelt. 5 Vgl. Töllner, Rasse, 27 f.

3 Zum

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Die Frage, ob man Meiser deswegen als Antisemiten bezeichnen soll oder nicht, führt vom eigentlichen Problem weg6. Es geht bei diesem Problem vielmehr um eine „mentale Imprägnierung“ bzw. „Grundierung“7. Natürlich lehnte Hans Meiser wie auch andere Protestanten den sog. Radauantisemitismus ab. Dennoch hielt er antijüdische Maßnahmen für legitim und wünschenswert. Es ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich, dass einerseits der Arierparagraph in der bayerischen Landeskirche nie Bestandteil des Pfarrergesetzes wurde, dass Hans Meiser andererseits aber den „berechtigten Kern, der in der Forderung des Arierparagraphen liegt“, bejahte8. Er fürchtete nur, dass eine kirchliche Zustimmung missverstanden werden konnte9. Anders als für die völkische Bewegung war die sog. Judenfrage für Hans Meiser zwar nicht nur eine rassische oder gesellschaftliche, sondern in christlich-eschatologischer Perspektive auch eine theologische10. Gleichwohl nahm er trotz seiner „Anerkennung des eschatologischen Vorbehalts, der die rassische Perspektive relativierte“, nichts von den „‚bösartigen antisemitischen Stereotypen‘ zurück“11. Wie lässt sich diese scheinbare Ambivalenz verstehen? Sie wird verständlich beim Blick auf die langfristigen Prägungen und Konzeptionen: Grundlage für dieses Verhalten im Konkreten ist Hans Meisers Verständnis des lutherischen Bekenntnisses und insbesondere ein bestimmtes Verständnis der sog. ZweiReiche-Lehre im Sinne einer ‚Zwei-Bereiche-Lehre‘12. In dieser Konzeption war es möglich, gegen den Arierparagraphen in der Kirche zu opponieren und ihn zugleich für den staatlichen Bereich gutzuheißen, Rassenmaterialismus 6 Weder die Bezeichnung Hans Meisers als Antisemiten, noch die Ablehnung dieses Begriffes für ihn ist zielführend, weil der Begriff nicht nur „vieldeutig“ ist (Töllner, Rasse, 22), sondern Zuschreibung wie Ablehnung dem komplexen Sachverhalt nicht gerecht werden. Dass Hans Meiser vom „protestantischen Antisemitismus“ geprägt war, sollte allerdings unstrittig sein. 7 Zu diesen Begriffen Töllner, Rasse, 42 und 33, Anm. 87. Töllner kann diese Imprägnierung stichhaltig nachweisen z. B. an der Wahrnehmung der sog. Judenfrage im Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss (ebd., 42–48). 8 LAELKB Nürnberg, Personen 36 (Meiser), 115; zitiert bei Töllner, Rasse, 68. 9 Vgl. bezüglich der Haltung Meisers zum Arierparagraphen die differenzierte Darstellung bei Töllner, Rasse, 51–55, 68–70 und 430 f. 10 Ebd., 33. 11 Ebd., 34. Natürlich lehnte Hans Meiser auch den Massenmord an den Juden ab, dennoch weigerte er sich, 1943 der Osterbotschaft der Münchener Laien öffentlich zuzustimmen (zu diesem Problem vgl. ebd., 162). Im gleichen Jahr erfolgte der Kanzelaufruf zu Hitlers Geburtstag und in den Herbst desselben Jahres 1943 fiel die Verteidigung des Alten Testaments mit ihren scharf antijüdischen Äußerungen; vgl. dazu unten. 12 Vgl. dazu Hamm, Schuld, 26–39; Nowak, Zweireichelehre; Töllner, Rasse, 21. Unterfüttert ist die Konzeption der zwei Bereiche durch ein bestimmtes Verständnis wichtiger Schriftbelege, etwa Röm. 13,1–8 und – was das Verständnis des Judentums angeht – Mt. 27,25.

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abzulehnen, aber gleichwohl ein staatliches Erziehungswerk auf rassebiologischen Grundsätzen anzuerkennen13. Die eingehende, in ihrem Urteil stets abgewogene, aber nichts desto weniger eindeutige Analyse Axel Töllners gewinnt ihre Überzeugungskraft nicht durch Auflistung einzelner zusammenhangloser Einzeldaten, sondern aufgrund der Zusammenschau des vorhandenen Materials14. b) Festhalten am Alten Testament Hans Meiser hat sich für die Beibehaltung des Alten Testaments in der Kirche eingesetzt. Als der Reichsfinanzhof im März 1943 der Württembergischen Bibel­anstalt in Stuttgart den Charakter der Gemeinnützigkeit streichen wollte, weil sie mit der Verbreitung des Alten Testaments „die jüdische Rasse und ihre Geschichte“ verherrliche, was „mit der nationalsozialistischen Weltanschauung nicht in Einklang zu bringen“ sei, reagierte der Landeskirchenrat unter Führung von Hans Meiser mit einem Schreiben an den Präsidenten des Reichsfinanzhofes15. Hans Meiser versucht dabei das Alte Testament für die Kirche dadurch zu retten, indem er einen schroffen Gegensatz zwischen dem alttestament­ lichen Israel und dem nachbiblischen und gegenwärtigen Judentum aufreißt16. 13 Vgl. Töllner, 14

Rasse, 70. Sie lässt sich nicht dadurch entkräften, dass etwa die Versendung des Artikels von Gerhard Kittel am 12. 8. 1944 u. a. auch kirchenpolitisch motiviert gewesen sein mag. Der Versuch von Hans-Christian Meiser ist hier nicht zielführend (Meiser, Bischof, 77). Zu dem m. E. geschmacklosen Titel des Buches sei angemerkt, dass das Stichwort „kreuzigen“ auch in dem Artikel des stellvertretenden Gauleiters Karl Holz gegen Hans Meiser verwendet wird. Dort wird mit diesem Stichwort das Verhalten von „Juden“ gegen „deutsche“ Mädchen und Frauen gekennzeichnet (vgl. dazu Töllner, Rasse, 151). Der Artikel von Gerhard Kittel ‚Zur Entstehung des Judentums‘ aus dem Jahr 1943 ist dokumentiert in: Kraus (Hg.), Weg, 49–64. Der Text wurde mit einem Begleit­schreiben des Landesbischofs als „Berufshilfe“ an sämtliche Pfarrämter der Landeskirche verschickt. Zur theologischen Beurteilung des antisemitischen Artikels von G. Kittel vgl. Kraus, Weg, 12 f. Nach Röhm / Thierfelder, Juden, 348–350, wurde kurz vor dem Text von ­Kittel ein Vortrag Gerhard von Rads versandt: „Das christliche Verständnis des Alten Testaments“, der sich in Tendenz und Aussage von Kittel erheblich unterscheidet. Die Versendung beider Texte in relativ kurzem Abstand zeigt gerade die Widersprüchlichkeit in der Haltung auf. Zu Kittel vgl. Röhm / Thierfelder, Juden, 350– 353; zur Reaktion von Prof. Hermann Sasse, Erlangen vgl. Röhm / Thierfelder, Juden, 353–354. 15 Reichssteuerblatt Nr.  47 vom 10. 6. 1943, 469. Das Schreiben des Landeskirchenrates datiert vom 17. 9. 1943. Es ist von Hans Meiser unterzeichnet und liegt als Abschrift an den Kreisdekan in Bayreuth vor (LAELKB Nürnberg, Kreisdekan Bayreuth, 5). Der Text ist zugänglich auf der Homepage der Augustana-Hochschule Neuendettelsau unter http://www.augustana. de/archiv/2007/Meiser_Reichsfinanzhof.pdf. Zur Sache vgl. die Diskussion bei Töllner, Rasse, 159–166. 16 Diese Denkfigur wird auch in Kittels Vortrag ‚Zur Entstehung des Judentums‘ vertreten (Kraus, Weg, 50 f.).

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In Meisers Hand wird das Alte Testament zu einer Waffe gegen das Judentum. Die Denkfigur selber ist nicht neu. Der Gegensatz zwischen Altem Testament und jüdischem Geist war im konservativ-nationalen Milieu seit langem verbreitet. Bemerkenswert an Meisers Argumentation ist jedoch, dass er die Juden – wie von staatlicher Seite vorgezeichnet – als biologische Größe versteht17. Er reklamiert dabei nicht nur das Alte Testament für die Kirche, indem er es dem Judentum entreißt, sondern findet ungewöhnlich scharfe antijüdische Äußerungen für das zeitgenössische Judentum; und das in – wohl nicht zufäl­ liger – direkter Aufnahme der Diktion des Reichsfinanzhofes. So spricht er von einem „Kampf auf Leben und Tod“, den „das Nationalsozialistische Deutschland“ mit dem Judentum führe und der durch das Alte Testament nicht behindert werde. Er nennt das Verhalten des Judentums und seinen Versuch, das Alte Testament auf sich zu beziehen „kluge Taktik“. Die Botschaft der Propheten verurteile den „nationale[n] und rassische[n] Eigendünkel des Volkes Israel, der sich über andere Völker erheben und die Völker ausbeuten zu dürfen glaubt“. Das Alte Testament verurteile den „Händlergeist“, die „soziale Rücksichtslosigkeit“, die „niedere Genußgier“, den „Bodenwucher“ Israels usw. Bei diesen Bezeichnungen handelt es sich ja nicht um rein historische Beschreibungen des alten Israel aus der Zeit der Propheten, sondern jeweils um Vorwürfe, die in der NS-Zeit als ‚typisch jüdischem Geist‘ entsprechend galten. Schließlich sei das Alte Testament schon deswegen kein das Judentum verherrlichendes Buch, da das gegenwärtige Judentum nicht mehr das auserwählte Volk sei, vielmehr sei die Erwählung „nach der Verwerfung Christi durch Israel von den Juden auf die Christenheit übergegangen“18. 17 Vgl. dazu Töllner, Rasse, 160, Anm. 659. Meiser bewegt sich in den Bahnen der „Richt­ linien für den Evangelischen Religionsunterricht“ von 1937, vgl. dazu ebd., Anm. 661. Sachlich zu vergleichen ist das vorangehende Gutachten der Tübinger Theologischen Fakultät (Autor: Arthur Weiser), das vom Württembergischen Landeskirchenrat in Auftrag gegeben worden war. Am 3. 5. 1943 schrieb Landesbischof Wurm an Prof. Weiser: „Treffender konnte der Standpunkt der evangelischen Kirche und der alttestamentlichen Forschung nicht dargelegt werden. Ich möchte mir die Frage erlauben, ob Sie eine Mitteilung dieses Gutachtens an die uns befreundeten Kirchenregierungen und an die Pfarrer unserer Landeskirchen gestatten könnten. Die Pfarrer werden so oft auf den Gebrauch des Alten Testaments angesprochen, dass ich es für zweckmäßig hielte, wenn sie eine Waffe in die Hand bekämen, mit der sie Anschauungen wie sie der Reichsfinanzhof sich zu eigen gemacht hat, zurückweisen können.“ (zit. nach Röhm / Thierfelder, Juden, 340). Innerhalb des Württembergischen Oberkirchenrats gab es durchaus Bedenken gegen eine Veröffent­lichung des stark von Kittels Gedanken beeinflussten Gutachtens. Ob eine Verteilung an die Pfarrer erfolgte, ist nach Röhm / Thierfelder nicht bekannt, vgl. dazu ebd., 344 (Hinweise auf das Württemberger Gutachten brieflich durch Axel Töllner). 18 Alle Zitate aus dem Schreiben Meisers an den Präsidenten des Reichsfinanzhofes; vgl. oben Anm. 15.

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Man kommt aufgrund dieser Aufnahme des NS-Jargons nicht umhin, der Beurteilung Axel Töllners zuzustimmen, wonach sich Meisers Äußerungen vor allem im Schlussabschnitt des Schreibens „potentiell“ wohl „auch gegen den Rassenwahn des ‚Dritten Reiches‘ interpretieren [ließen]. […] Aller­ dings dominierte der explizit judenfeindliche Grundton und überlagerte so Ansatzpunkte für eine Kritik am nationalsozialistischen Rassenwahn. Meisers Sorge um die Integrität der kirchlichen Organisation  – damit verbunden die begründete Furcht vor negativen Auswirkungen von Kritik auf die Kirche – und sein Werben für das Verständnis des Präsidenten des Reichsfinanzhofs führten faktisch zu einer letztlich kaum eingeschränkten Hinnahme der nationalsozialistischen Judenpolitik, ihre eliminatorischen Konsequenzen eingeschlossen.“19

Wie bereits bei der Frage nach dem Bekenntnis zeigt sich auch in diesem Bereich, dass langfristige Prägungen bei Hans Meisers Stellungnahme mit im Spiel waren und entweder den Ausschlag gaben oder zumindest nicht vernachlässigt werden dürfen20. Aus den Beiträgen von Christoph Link und Siegfried Hermle und den daran anschließenden kontroversen Diskussionen ist deutlich geworden, vor welche Schwierigkeiten sich der heutige Interpret gestellt sieht, wenn er nach politischen Spielräumen fragt und politisches Verhalten von damals beurteilen will – und wie das auch zu unterschiedlichen Akzentsetzungen führen kann. Was der heutige Interpret jedoch beurteilen kann, sind die hinter einem bestimmten Verhalten stehenden langfristigen theologischen Konzepte, Einstellungen und Prägungen. Ganz prägnant geht dieses Verhältnis von langfristiger Prägung und konkretem Verhalten aus dem Umgang der bayerischen Landeskirche mit ihren Pfarrfamilien mit jüdischen Vorfahren hervor. „Umstritten war nicht, ob ‚Rasse‘, ‚Volkstum‘ und ‚Blut‘ eine Bedeutung für die religiösen Vorstellungen und Lebensformen hatten, umstritten war vielmehr, in welchem Maß dies der Fall war. Charakteristisch zum Ausdruck kam dies in der Unterscheidung von ‚rassenmaterialistisch‘ und ‚rassebiologisch‘, wie sie etwa Landesbischof Hans Meiser vorgenommen hatte. Während ‚Rasse‘, ‚Volkstum‘ und ‚Blut‘ im protestantischen Antisemitismus der evangelisch-kirchlichen Eliten zwar als göttliche Ordnungen verstanden wurden, die aber dennoch durch Christus endzeitlich relativiert seien (‚rassebiologisch‘), wurden diese Größen im eliminatorischen ‚Erlösungs‘-Anti 19 Töllner, 20

Rasse, 163. Insofern stimme ich dem Satz im Nachwort von Gerhard Bogner in Meiser, Bischof, 112, vollkommen zu: „Zu den Fakten der Geschichte gehört die Motivation der Handelnden, sie können nicht ohne ihre innere Veranlassung verstanden werden.“ Darin gerade besteht das Problem.

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semitismus der nationalsozialistischen Ideologen als letztgültig-religiöse Werte verabsolutiert (‚rassenmaterialistisch‘). Die damit gegebene Affinität und Distanz bot dem im protestantischen Antisemitismus verwurzelten kirchlichen Milieu Ansatzpunkte sowohl für die Bejahung antijüdischer Gesetze als auch für Hilfsmaßnahmen und punktuelle Solidarität – meist im Stillen.“21

Insofern ist der konkrete Umgang mit dem „Problem“ der bayerischen Pfarrfamilien mit jüdischen Vorfahren nichts Äußerliches oder Zufälliges, sondern entspricht den theologischen Prämissen. Es führt auch in diesem Zusammenhang am eigentlichen Problem vorbei, darum zu streiten, ob man Hans Meiser als Antisemiten bezeichnen soll oder nicht. Das eigentliche Problem besteht darin, dass die Repräsentanten der bayerischen Landeskirche mit ihrer damaligen Haltung, die – im historischen Kontext gesehen – einem Mittelweg entspricht, den biblischen Weg verlassen haben. Sie haben damit auch gegen das Bekenntnis, insbesondere das lutherische, verstoßen, weil sie die Gültigkeit der Taufe nicht ernst nahmen. Nach Gal. 3,26–29 (vgl. 1Kor. 7,19; 12,13; Gal. 6,15) sind biologische, ethnische, soziale, gesellschaftliche, ja sogar heilsgeschichtliche Differenzen und Vorrangstellungen ‚in Christo‘ nicht nur „endzeitlich relativiert“, sondern haben keine Relevanz mehr22. Wer anderes sagt, verkündigt ein ‚anderes Evangelium‘ (Gal. 1,8 f.). Er sagt nicht mehr das, was in der Kirche Jesu Christi gilt und zu gelten hat23.

21 Töllner, 22

Rasse, 433. In dieser Weise, nämlich im Sinn von Gal. 3, argumentierten die Verfasser des ‚Marburger Gutachtens‘ zum Arierparagraphen (Hans von Soden und Rudolf Bultmann). Der Text ist dokumentiert in: Fürst, Dialektische Theologie. Vgl. dazu Bultmann, Arierparagraph, 86–101. Dass mit dieser bayerischen Haltung auch die selbst wiederholt geforderte christliche Nächstenliebe verlassen wurde, bedarf eigentlich keiner Erwähnung. 23 Dieser Tatbestand wird in der Theologie als „Irrlehre“ bezeichnet. Der Vorwurf von Karl Steinbauer auf einer Pfarrerversammlung in Nürnberg am 1. 2. 1934, Meiser habe das Bekenntnis verletzt, meint genau diesen Sachverhalt. Steinbauer hat auch nicht diesen Vorwurf zurückgenommen und sich dafür entschuldigt, sondern nur dafür, seine Position in nicht „manierlicher Form“ vorgetragen zu haben (angeführt bei Meiser, Bischof, 55). Hans Joachim Iwand hat nach 1945 im Rückblick auf Barmen die Frage nach der wahren und der falschen Kirche gestellt. Es kann sein, dass bestimmte Aspekte des konfessionellen (lutherischen, reformierten etc.) Bekenntnisses sich angesichts neuer geschichtlicher Herausforderungen als nicht relevant erweisen und der status confessionis an anderer Stelle aufbricht – und es sich dann daran entscheidet, ob man zur wahren oder falschen Kirche gehört: Iwand, Neuordnung, 139–143; ders., Mensch, 100 f.; sowie ders., Quousque tandem?, 250, 252 und 269. Bei der Frage nach der wahren Kirche, und nicht bei der Frage, ob und in welcher Hinsicht Hans Meiser Antisemit gewesen sei oder nicht, liegt die eigentliche theologische Tiefe des Problems.

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2. Hans Meiser, sein Stab und die Landeskirche Die Bedeutung theologischer Konzepte, Einstellungen und Prägungen und die Notwendigkeit, diese Dimension in einen Versuch, das Handeln der damaligen kirchlichen Eliten zu verstehen, einzubeziehen, wurde durch den Beitrag von Berndt Hamm nicht nur bestätigt, sondern verschärft. Durch den Vortrag von Hamm wurde jedoch noch ein weiterer Aspekt deutlich, der, verbunden mit dem erstgenannten, zu einer Potenzierung führt und m. E. auch einen Ansatzpunkt enthält, um zu verstehen, warum kirchliche Vertreter zu den offensichtlichen Verbrechen des NS weitgehend schwiegen. Hamm führte am Schluss seines Vortrages aus: „Das Ergebnis meiner Übersicht ist, dass Bischof Meiser und sein Stab nur das kirchenpolitisch umsetzten, was die überwältigende Mehrheit der Pfarrer und Gemeinden dachten und wünschten, was also der landeskirchlichen Normalität entsprach. Der gesamte Kurs Meisers in der Abkehr vom Kurs seines Vorgängers Friedrich Veit war, so gesehen, ein landeskirchliches Syndrom. […] Weil Bayern dank der Integrationskraft Meisers und seines Leitungspersonals nach 1933 eine strukturell intakte, nicht in Lager zerrissene Landeskirche blieb, konnte sich diese breite Normalität so dominant entfalten, abweichende Haltungen in eine exponierte Minderheitsposition drängen und auch nach Kriegsende ihre Lesart des landeskirchlichen Widerstands im ‚Dritten Reich‘ durchsetzen.“24

Nach der Darstellung von Hamm repräsentierten Hans Meiser und sein Stab die gängige kirchliche Mentalität und Normalität. Wenn dies zutrifft, dann war es umso leichter, Personen wie Karl-Heinz Becker, Karl Steinbauer oder die ‚Münchener Laien‘ und deren Position schlichtweg als deviant abzuqualifizieren und sie in eine „exponierte Minderheitsposition“ zu drängen. Das von Hamm angeführte Beispiel der Disziplinierung des Warmensteinacher Pfarrers Wolfgang Niederstraßer durch den Bayreuther Kreisdekan Bezzel und die Aussagen von Landesbischof Hans Meiser gegenüber dem inhaftierten Pfarrer Waldemar Schmidt, belegen diesen Sachverhalt exemplarisch25. Auch die Tatsache, dass Hans Meiser den Münchener Stadtvikar Eduard Putz als Repräsentanten solcher Normalität 1933 zu seinem theologischen Hilfsreferenten machte, ist von daher keineswegs als ein zufälliges, sondern als überlegtes und bewusstes Vorgehen zu bezeichnen26. 24 Hamm, 25

oben, S. 92 f. Ebd., S. 93 f., Anm. 90. 26 Das Zusammenspiel Hans Meisers und seines Stabes lässt sich nachvollziehen an der Diskussion um das Gesetz zur ‚Ordnung des geistlichen Amtes‘ (1939) und das Schulaufsichtsgesetz (1938) in der bayerischen Landeskirche. Vgl. dazu im Detail Töllner, Rasse, 259–282 bzw. 282–328.

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Wenn Hans Meiser und sein Stab die kirchliche Mentalität und Norma­lität repräsentierten, dann fällt von hier aus auch ein Licht auf das Faktum, dass Hans Meiser solche Hochachtung in der bayerischen Landeskirche genoss und aus welchen Quellen sie sich (zumindest auch) speiste. Berndt Hamm hat für die bayerische Pfarrerschaft herausgestellt: „Solange Meiser für die Intaktheit der traditionellen Strukturen der Landeskirche und die unverletzte Geltung des lutherischen Bekenntnisstandes gegen die rabiaten Gleichschaltungsmaßnahmen der deutsch-christlichen Reichskirchenpolitik und gegen die Absolutheitsansprüche einer Rassereligion stritt, hatte er seine Pfarrer und Gemeinden hinter sich. Hätte er sich dagegen in regimekritischer Weise gegen das herrschende antisemitische Volkstums- und Rassedenken, gegen Brutalität, Gewalt, Terror und Missachtung aller christlich-ethischen Prinzipien durch den totalitären NS-Staat gewandt, wäre ihm wohl der Rückhalt seiner Kirche verloren gegangen. Er selbst aber und seine Oberkirchenräte waren Repräsentanten dieser kirchlichen Mehrheitsmentalität, die durch tiefe Sympathien mit der nationalistischen, milita­ ristischen, völkischen und judenfeindlichen Politik des NS-Staats verbunden war.“27

Die Analyse von Hamm im Blick auf den Zuspruch, den das Verhalten Hans Meisers in der bayerischen Landeskirche in der NS-Zeit genoss, stimmt strukturell mit dem überein, was Björn Mensing für die Zeit nach 1945 herausge­ arbeitet hat. Auch nach 1945 repräsentierte Hans Meiser in seinem Verhalten die Mehrheitsmentalität. Dies zeigt sich, wie Mensing dargestellt hat, insbesondere in seinem Diskurs mit den Vertretern der amerikanischen Besatzungsmacht Aumer und Auerbach und seinem Eintreten für Inhaftierte im Kontext der Entnazifizierungsprozesse28. Es wird hier eine Kontinuität dahingehend sichtbar, dass strukturell gleiche Phänomene vor und nach 1945 begegnen: Auch in der Nachkriegszeit entsprach Meiser dem, was die Mehrheit in der Landeskirche dachte. In diesen Kontext des Verhältnisses Bischof-Stab-Pfarrer-Landeskirche fügt sich schließlich auch nahtlos ein, was Helmut Baier über die Bedeutung des Pfarrervereins hinsichtlich der Unterstützung des Bischofsamtes von Hans Meiser ausgeführt hat29. Nach Baiers Ausführungen forderten Meiser, Meinzolt und der Pfarrerverein den Rücktritt von Kirchenpräsident Veit, um den Weg für Meiser als Bischof freizumachen. Auch hier findet sich ein Zusammengehen von Mentalitäten, was dann gemeinsames kirchenpolitisches Handeln ermöglichte30. 27 Hamm, 28

oben, S. 92. Vgl. Mensing, oben, S. 197 f. 29 Vgl. Baier, oben, S. 100–111. 30 Der Pfarrerverein, seine theologische Prägung und seine ideologische Ausrichtung in der NSZeit wäre unter diesem Aspekt einer Untersuchung wert.

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Treffen diese Beobachtungen von Hamm, Mensing und Baier zu, dann ergibt sich als Zusammenschau, dass die große Zustimmung, die Landesbischof Hans Meiser in der NS-Zeit und danach erfuhr, ganz entscheidend davon geprägt war, dass er die Mentalität der Mehrheit in der Landeskirche repräsentierte. Für einen Politiker mag es vielleicht ein erstrebenswertes Ziel sein, die Mehrheitsmeinung zu vertreten. Der Schritt zum Opportunismus ist nicht weit. Ob es für einen Theologen oder Bischof schmeichelhaft ist, ihm zu attestieren, er repräsentiere – insbesondere in diesem speziellen Kontext – die Normalität und die Mentalität der Mehrheit? Immerhin gibt es nach lutherischem Verständnis auch ein Wächteramt der Theologie.

3. Der Holocaust als theologisches Datum Konrad Jutzler hat in einem Aufsatz den Holocaust als „Datum“ bezeichnet31. Klaus Haacker hat, daran anknüpfend, den Holocaust ein „Datum der Theologiegeschichte“ genannt32. Versteht man das Stichwort „Datum“ nicht nur in seinem terminologischen Sinn, sondern nimmt seinen semantischen Gehalt ernst, dann haben wir es mit etwas „Gegebenem“ oder besser: „Aufgegebenem“ zu tun. Der Holocaust als ein „Datum der Theologiegeschichte“ nötigt uns zur Überprüfung, zur Sichtung und ggf. zur Läuterung und zum Umbau der gesamten theologischen Tradition der Kirche. Dazu gehören in besonderer Weise die überkommenen theologischen Konzepte, Einstellungen und Prägungen. Nur eine umfassende und an die Wurzel gehende Überprüfung der theologischen Tradition der Kirche wird es ermöglichen, nicht in den Bahnen der Altvorderen einfach weiterzugehen, die fatale Situation von vermeintlicher AnSchuldigung und Ent-Schuldigung (wie sie sich in der sog. Meiser-Debatte mehrfach ergab) zu überwinden und schließlich heutige Herausforderungen zu erkennen und sachgemäß damit umzugehen33. Im christlich-jüdischen Gespräch der letzten sechs Jahrzehnte wurde versucht, eine solche eingehende Überprüfung der theologischen Tradition durchzuführen oder immerhin anzumahnen und damit zu beginnen. Die entscheidende Erkenntnis, die dieser Prozess zutage gefördert hat, ist m. E. die aufgrund der Bibel gewonnene Erkenntnis, dass das jüdische Volk das bleibend von 31 Jutzler, 32

Holocaust. Haacker, Holocaust. 33 Inwiefern man als nachgeborener Enkel Hans Meisers von den Vorwürfen gegen ihn „betroffen“ sein kann, entzieht sich meinem Verständnis (so Meiser, Bischof, 5). Bei der Formulierung „er ist meine Ahne und ich trage die Last seines Wirkens mit mir“ (ebd., 5 f.) drängt sich mir der – nicht biblische – Gedanke einer selbstgewählten Sippenhaft auf.

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Gott erwählte Volk Gottes ist, das nicht durch die Kirche ersetzt wurde. Dies wurde über 19 Jahrhunderte in der Kirche so nicht gesehen. Die ‚kopernika­ nische Wende‘, die diese Erkenntnis bedeutet, wurde für den Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland erstmals in dem „Wort zur Judenfrage“, einer Erklärung der EKD-Synode von Berlin-Weißensee, 1950, formuliert34. Darin heißt es: „[…] Wir glauben an den Herrn und Heiland, der als Mensch aus dem Volk Israel stammt. […] Wir glauben, daß Gottes Verheißung über dem von ihm erwählten Volk Israel auch nach der Kreuzigung Jesu Christi in Kraft geblieben ist.“

Aus dieser Erkenntnis, die sich, wie sich zeigen ließe, wesentlich einer neuen Lesung und einem Ernstnehmen von Röm 9–11 verdanken, leiten sich alle weiteren Folgerungen zur Ekklesiologie, zum christlich-jüdischen Verhältnis, zum Zeugnis der Kirche gegenüber Juden etc. ab. Die Studie der EKD von 1991 „Christen und Juden II. Zur theologischen Neuorientierung im Verhältnis zum Judentum“35, hat ausgehend von dieser Position Konsequenzen ge­ zogen36. Alle evangelischen Landeskirchen in Deutschland und darüber hinaus haben die theologische Erkenntnis einer bleibenden und nicht auf die Kirche übergegangenen Erwählung des jüdischen Volkes inzwischen in Erklärungen bekräftigt37. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern hat mit der Erklärung der kirchenleitenden Organe zum Thema Christen und Juden von 1998 sowie der Vor- und Nachgeschichte dieser Erklärung versucht, die Herausforderung aufzunehmen38. Der Prozess ist nicht abgeschlossen39. Die Aufforderung Karl Barths von 1933: „Theologische Existenz heute!“ hat dabei ihre Aktua­lität nicht eingebüßt40.

34 Text 35

bei Rendtorff / Henrix, Kirchen, 548 f. Text bei Henrix / Kraus, Kirchen, 627–668. 36 Die Studie enthält in nuce eine neutestamentliche Ekklesiologie. 37 Vgl. dazu die in Henrix / Kraus, Kirchen, dokumentierten Erklärungen aus dem Bereich der EKD, des LWB und des ÖRK. 38 Der Text der Erklärung und des Arbeitsberichts des von der Landessynode eingesetzten Arbeitsausschusses findet sich in: Kraus, Weg, 177–185 und 187–206. 39 Die Landessynode der ELKB hat sich bei ihrer Synodaltagung im November 2008 in Straubing erneut dem Thema zugewandt. Vgl. die Dokumentation im Internet unter http://www. bayern-evangelisch.de/www/ueber_uns/herbstsynode-2008-stellungnahmen.php. 40 Barth, Theologische Existenz; wieder abgedruckt in Fürst, Dialektische Theologie, 43–77.

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Quellen- und Literaturverzeichnis I. Unveröffentlichte Quellen Landeskirchliches Archiv Nürnberg (LAELKB) Personen 36 (Meiser), 115. Kreisdekan Bayreuth, 5.

II. Veröffentlichte Quellen und Darstellungen Barth, Karl: Theologische Existenz heute! (ZZ.B 2). München 1933. Bultmann, Rudolf: Der Arierparagraph im Raume der Kirche. In: Fürst, Walter (Hg.): ‚Dialektische Theologie‘ in Scheidung und Bewährung 1933–1936 (ThB 34). München 1966, 86–101. Fürst, Walter (Hg.): ‚Dialektische Theologie‘ in Scheidung und Bewährung 1933–1936 (ThB 34). München 1966. Greschat, Martin: Die Haltung der deutschen evangelischen Kirchen zur Verfolgung der Juden im Dritten Reich. In: Büttner, Ursula (Hg.): Die Deutschen und die Judenverfolgung. Hamburg 1992, 273–292. Haacker, Klaus: Der Holocaust als Datum der Theologiegeschichte. In: Brocke, Edna / Seim, Jürgen (Hg.): Gottes Augapfel. Beiträge zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden. Neukirchen-Vluyn 1986, 137–145. Hamm, Berndt: Schuld und Verstrickung der Kirche. Vorüberlegungen zu einer Darstellung der Erlanger Theologie in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Stegemann, Wolfgang (Hg.): Kirche und Nationalsozialismus. Stuttgart [u. a.] 1990, 11–50. Henrix, Hans Hermann / Kraus, Wolfgang (Hg.): Die Kirchen und das Judentum (II). Dokumente von 1986–2000. Paderborn / Gütersloh 2001. Iwand, Hans Joachim: Der moderne Mensch und das Dogma. In: Ders.: Vorträge und Aufsätze. Nachgelassene Werke 2. Hg. von Dieter Schellong und Karl G. Steck. München 1966, 91–105. –, Die Neuordnung der Kirche und die konfessionelle Frage. In: Ders.: Um den rechten Glauben. Gesammelte Aufsätze. Hg. von Karl G. Steck (ThB 9). München 1959, 138–172. –, Quousque tandem? Ein Wort wider den Bruderzwist im evangelischen Lager. In: Ders.: Vorträge und Aufsätze. Nachgelassene Werke 2. Hg. von Dieter Schellong und Karl G. Steck. München 1966, 243–271. Jutzler, Konrad: Holocaust als theologisches Datum. In: ThBeitr 13 (1982), 49–59. Kraus, Wolfgang (Hg.): Auf dem Weg zu einem Neuanfang. Dokumentation zur Er­ klärung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zum Thema Christen und Juden. München 1999. –, Auf dem Weg zu einem Neuanfang. In: Ders. (Hg.): Auf dem Weg zu einem Neu­ anfang. Dokumentation zur Erklärung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zum Thema Christen und Juden. München 1999, 7–15.

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Meiser, Hans-Christian: Der gekreuzigte Bischof. Kirche, Drittes Reich und Gegenwart. Eine Spurensuche. München 2008. Nowak, Kurt: Zweireichelehre. Anmerkungen zum Entstehungsprozeß einer umstrittenen Begriffsprägung und kontroversen Lehre. In: ZThK 78 (1981), 105–127. Rendtorff, Rolf / Henrix, Hans Herman (Hg.): Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 1945–1985. Paderborn / München 1988. Reichssteuerblatt. Hg. vom Reichsfinanzministerium Berlin. Nr. 47 vom 10. 6. 1943. Röhm, Eberhard / Thierfelder, Jörg: Juden – Christen – Deutsche 1933–1945, Bd. 4/ II: 1941–1945. Stuttgart 2007. Töllner, Axel: Eine Frage der Rasse? Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, der Arierparagraf und die bayerischen Pfarrfamilien mit jüdischen Vorfahren im ‚Dritten Reich‘ (KoGe 36). Stuttgart 2007.

III. Internetadressen http://www.augustana.de/archiv/2007/Meiser_Reichsfinanzhof.pdf (zuletzt abgerufen: 08.08.2009) http://www.bayern-evangelisch.de/www/ueber_uns/herbstsynode-2008-stellungnahmen. php (zuletzt abgerufen 08.08.2009).

Hartmut Lehmann

Kriterien zur Beurteilung der Lebensleistung von Bischof Hans Meiser Ein Kommentar

Die Lebensleistung des langjährigen Bischofs der Evangelischen Landeskirche in Bayern, Hans Meiser, ist nicht einfach zu beurteilen. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wurde insbesondere sein Verhalten in den Jahren zwischen 1933 und 1945 und dann auch in den Jahren nach 1945 von manchen Kreisen überschwänglich gelobt und von anderen Kreisen scharf kritisiert. Wiegen seine Verdienste sein Versagen auf? Oder werden seine Verdienste durch sein Versagen entwertet? Hätte er besser in manchen Situationen geschwiegen, in denen er redete, und hätte er in anderen Situationen, in denen er schwieg, nicht reden sollen? Hat er als Bischof die Spielräume, die ihm zur Verfügung standen, angemessen, vielleicht sogar entschlossen, ausgenützt oder hat er Chancen vertan? Antworten auf diese Fragen sind nur möglich, wenn man Kriterien diskutiert, die helfen können, seine Ansichten und Handlungen zu beurteilen. Von drei Perspektiven aus kann man sich, so scheint mir, einer Be­ wertung, die mehr als eine persönliche Meinungsäußerung ist, annähern. 1. Es ist wichtig, stets zu beachten, auf welches Jahr der Meiserschen Karriere man sich bei einer Aussage bezieht. In Meisers Leben können schon vor 1933 und dann vor allem in den Jahren zwischen 1933 und dem Ende seiner Tätigkeit als Bischof im Jahre 1955 höchst unterschiedliche, zum Teil sogar widersprüchliche Aktionen und Aussagen beobachtet werden, von denen wiederum höchst unterschiedliche Urteile abge­ leitet werden können. Einige Beispiele: – 1926, als er den umstrittenen Artikel „Die evangelische Gemeinde und die Judenfrage“ im Nürnberger Gemeindeblatt veröffentlichte, einen Artikel, in dem er auf der einen Seite alle damals gängigen antisemitischen Vorurteile vorbrachte, in dem er sich auf der anderen Seite aber mit der Aussage, durch Judenmission und Judentaufe könne eine „Rassenveredelung“ erreicht werden, vom populären Rassismus distanzierte.

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– 1933, als er die neuen Vollmachten, die das innerkirchliche Ermächtigungsgesetz ihm als dem neuen Landesbischof bot, dazu benutzte, binnen kurzer Zeit eine effiziente Gleichschaltung an das neue Regime zu vollziehen, während er jenen wenigen bayerischen Pastoren, die das neue Regime kritisierten, seine Hilfe versagte. – 1938, als er auf der einen Seite nach dem Novemberpogrom schwieg, auf der anderen Seite aber den von den Nationalsozialisten nach seiner mutigen Predigt gegen das Novemberpogrom zusammengeschlagenen württembergischen Pfarrer Julius von Jan mit einer Stelle in seiner Kirche versorgte und als er außerdem die evangelische Hilfsstelle für Christen mit jüdischen Vorfahren stärker als andere Landeskirchen finanziell unterstützte. – 1946, als er auf der einen Seite in Uppsala offen und klar über die deutsche Schuld und auch über die Schuld, die die Kirchen auf sich geladen hatten, sprach und sich auf der anderen Seite um inhaftierte Nationalsozialisten mehr kümmerte als um deren Opfer. Die Beispiele ließen sich unschwer mehren. Sie alle verdeutlichen, dass Meisers Aktionen und Aussagen nicht auf einen einfachen Nenner gebracht werden können und dass es bei Lob wie Tadel darauf ankommt, genau jene Aktionen und Aussagen Meisers zu bezeichnen, auf die man sich bezieht. Diese Art des Umgangs mit der Meiserschen Lebensleistung hat jedoch Grenzen. Denn wenn man davon ausgeht, dass nur in der ersten Phase der nationalsozialistischen Herrschaft möglicherweise mit einiger Aussicht auf Erfolg Widerstand hätte geleistet werden können, wofür vieles spricht, dann wiegt seine bedingungslose Anerkennung und Unterstützung des neuen Regimes im Frühsommer und Sommer des Jahres 1933 besonders schwer. Die politischen, kirchenpolitischen und ethischen Positionen, die damals von ihm geräumt wurden, konnten später nur noch unter größten Schwierigkeiten, wenn überhaupt, reklamiert werden. Gewiss, Millionen von Protestanten dachten und handelten damals genau so wie Meiser. Als Bischof hätte er aber früher sehen müssen, vielleicht auch früher sehen können, in welchem Maße die neuen Herren Recht und Moral missachteten. 2. Meisers Verhalten ist in einer Relation zu den Traditionen zu sehen, die den deutschen Protestantismus im 20. Jahrhundert prägten. Der fränkisch-bayerische Protestantismus und mit ihm Hans Meiser wurden im frühen 20.  Jahrhundert in besonderem Maße von jenen Traditionen be­ einflusst, die den neueren deutschen Protestantismus insgesamt prägten.

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Hartmut Lehmann

Zu nennen sind zunächst die typisch protestantische Staatstreue, der seit Luthers Zeiten traditionelle Obrigkeitsgehorsam, kurzum der Glaube, die von Gott gesetzten Obrigkeiten handelten gut und richtig und im Einklang mit Gottes Geboten, auch wenn dies auf den ersten Blick nicht immer zu erkennen sei. Dieser auf Römer 13 gestützte Obrigkeitsgehorsam machte es schwer, das verbrecherische Potential des Nationalsozialismus zu erkennen, obwohl die nationalsozialistische Gewalt im Zuge des Boykotts jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 Anlass zu gründlichem Nachdenken hätte sein müssen. Die protestantische Staatstreue veranlasste Meiser auch immer wieder dazu, mit seinen Bedenken nicht an die Öffentlichkeit zu gehen, sondern sich, wenn es Schwierigkeiten mit dem Regime gab, auf einen Kurs der „bischöflichen Geheim­ diplomatie“ zu verlassen. Im Rückblick ist klar, wie wenig er damit erreichte. Zu erwähnen ist des Weiteren der Glaube an die deutsche Nation und an das deutsche Volk. Die allermeisten deutschen Protestanten waren seit dem 19.  Jahrhundert überzeugt, Gott habe nicht nur Individuen, sondern Völker geschaffen, ferner, er habe das deutsche Volk besonders gesegnet, weil er den Deutschen durch Martin Luther das Evangelium in ihrer eigenen Sprache schenkte, schließlich, durch die Reichseinigung von 1870/71 habe Gott den Deutschen unter den Völkern der Welt einen besonderen Rang verliehen. Jene Protestanten, die in der von Wichern im Revolutionsjahr 1848/49 begründeten Inneren Mission arbeiteten und die sich für die „Volksmission“ einsetzten, waren außerdem überzeugt, die nationale Einigung der Deutschen hätte auch eine religiöse Wiedergeburt bewirkt, die von den meisten Deutschen aber nicht angenommen worden sei. Bei Kriegsbeginn 1914 hätte Gott den Deutschen eine zweite Chance zu einer religiösen Wiedergeburt gegeben, die wiederum verschmäht wurde, so dass es zur Niederlage im Ersten Weltkrieg und zum Ende der Monarchie gekommen sei. In den Augen dieser Kreise, zu denen auch Meiser zu zählen ist, bedeutete die nationalsozialistische Machtergreifung eine dritte Chance: die Chance zu einer religiösen Umkehr der gottlosen Deutschen, die Chance, die Flutwelle der Säkularisierung aufzuhalten, gar zurückzudämmen. In den 1920er Jahren waren eine ganze Reihe von volksmis­ sionarischen Kampagnen gestartet worden, ohne dass sie eine größere Wirkung erzielten. Nunmehr aber, 1933, glaubten die allermeisten Protestanten und mit ihnen Meiser, die Welle der Begeisterung für das neue Regime ermögliche auch auf dem Gebiet der Volksmission große, geradezu überwältigend große Erfolge. Die dritte Tradition, der sich viele der deutschen Protestanten anschlossen, ohne sich viele Gedanken zu machen, war der christliche Antijudaismus, der durch Adolf Stoecker in den modernen Antisemitismus transformiert worden war. Auch jene Protestanten, die Gewalt als Mittel der Politik strikt ablehnten,

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waren überzeugt, Juden seien von Natur aus anders als Deutsche, viele glaubten, die Juden besäßen in Deutschland zu viel Einfluss. Dazu kam die große Zahl jener, die die Meinung vertraten, die Juden seien für Deutschland ein Unglück. Gegen eine Politik der Segregation der Juden von den Deutschen hatten sie nichts einzuwenden, im Gegenteil. Was Landesbischof Meiser angeht, so lassen sich bei ihm Elemente aller drei Traditionen finden: Ein fast blinder Obrigkeitsgehorsam, ein ins Völkische pervertierter Nationalismus, ein tief empfundener Antisemitismus. So verwundert es nicht, dass er 1933 keine Mühe hatte, sich mit dem neuen Regime zu arrangieren. Erst als radikale Deutsche Christen dazu übergingen, lutherische Grundpositionen zu bekämpfen, stellte sich Meiser der Auseinandersetzung. Es wäre aber falsch, in diesem Kampf um die Führung im deutschen Protestantismus einen Akt des Widerstands gegen die Herrschaft der Nationalsozialisten zu sehen. Was wir 1934 und noch 1935 beobachten können, ist vielmehr ein Kampf, den verschiedene protestantische Richtungen, die sich alle dem neuen Regime verpflichtet fühlten, um die Herrschaft in der Kirche führten. Insofern ist es nicht richtig, von der „Verstrickung“ der Protestanten in die Politik der Nationalsozialisten zu sprechen. Viele, die meisten Protestanten begrüßten vielmehr das Ende der Weimarer Republik und wollten an dem Neuen, das Hitler aufzubauen versprach, mitwirken. Jede Analyse, die 1933 von einem prinzipiellen Gegensatz zwischen den Nationalsozialisten und der Mehrheit der deutschen Protestanten ausgeht, verkennt die dynamische Mischung verschiedener ideologischer Strömungen und Interessengruppierungen im Nationalsozialismus, zu denen auch die Kirchen gehörten. Wie können die Protestanten am besten bei der von Gott gewollten nationalen „Wiedergeburt“ von Deutschland mitwirken, das war die Frage, die Meiser bei seiner Unterstützung der Nationalsozialisten 1933 leitete und die ihn 1934 in Opposition gegen den Reichsbischof trieb, den er zunächst unterstützt hatte, von dem er nun aber annahm, er beschädige durch sein Verhalten die Chancen für eine Wiedergeburt des deutschen Volks. Noch nach dem Attentat am 20. Juli 1944 zögerte Meiser nicht, sich bedingungslos hinter Hitler zu stellen. Genügt es aber, in Meiser gewissermaßen nur den Vollzugsbeamten des Mehrheitswillens der von Hitler begeisterten bayerischen Protestanten zu sehen? Wird man damit seiner Stellung als Bischof gerecht, verkennt man damit nicht die Verpflichtungen, die dieses Amt mit sich brachte? Zu fragen ist somit, ob an die herausragenden Amtsträger insbesondere in Zeiten des Umbruchs und der Krise nicht besondere Maßstäbe anzulegen sind. Hätte sich Meiser, als sich der verbrecherische Charakter des neuen Regimes immer offener zeigte, nicht auf die christlichen Grundwerte besinnen und der Mehrheitsmeinung entgegen stellen sollen, ja entgegen stellen müssen, auch wenn

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diese nach wie vor die Politik Hitlers favorisierte? Meisers Handeln besaß in der Kirche eine Vorbildfunktion. Warum war er nicht in der Lage, eine Umund Neuorientierung der deutschen Politik anzumahnen? Warum ist er, nachdem die nationalsozialistische Politik die Deutschen und ganz Europa in eine unvorstellbare Katastrophe hineingeführt hatte, nicht zurückgetreten? An dieser Stelle komme ich erneut auf die politische Situation in den Jahren 1933/34 zurück. Denn es ist durchaus möglich, dass Meiser damals glaubte, er habe damals seine bischöfliche Macht entschieden eingesetzt, um eine Neuorientierung zu bewirken – eine Neuorientierung im Sinne einer weitestgehend kritik- und distanzlosen Unterstützung der Hitlerschen Politik. Im Rückblick ist mehr als deutlich, welch fatal falschen Kurs er den bayerischen Protestanten vorgegeben hat. Als Meiser am 11. Juni 1933 in Nürnberg offiziell in sein Amt eingeführt wurde, säumten SA-Formationen die Straßen, durch die der Festzug zog. 3. Es kommt sehr darauf an, von welcher Warte aus man die Meisersche Politik beurteilt. Von den möglichen Positionen sollen hier nur die drei markantesten erwähnt werden. Blickt man auf die Erhaltung der Einheit der Evangelischen Kirche in Bayern, auch auf die Bewahrung eines gewissen Maßes an kirchlicher Autonomie, dann spricht vieles dafür, die Politik Meisers nicht allzu scharf zu kritisieren. Immerhin stand er bis 1945 einer so genannten „intakten“ Kirche vor. Immerhin konnte er die Deutschen Christen in Bayern weitgehend integrieren und somit kirchenpolitisch neutralisieren. Immerhin genoss er in den Jahren von 1933 bis 1945 die Unterstützung des weit überwiegenden Teils der bayerischen Pfarrer und des allergrößten Teils des evangelischen Kirchenvolks. Die Frage, ob es für die bayerische Kirche nicht besser gewesen wäre, wenn sich der Streit zwischen den Deutschen Christen und den bibeltreuen Protestanten offen entladen hätte, ist schwer zu beantworten. Man kann argumentieren, dass sich bei einem offenen Streit das braune Gift aus der eiternden Wunde möglicherweise entleert hätte und der bayerischen Kirche 1945 ein Neuanfang ohne diese Belastung möglich gewesen wäre. Man kann dem entgegnen, dass sich auch in jenen deutschen Landeskirchen, in denen der Konflikt zwischen Deutschen Christen und bekenntnistreuen Protestanten offen entbrannte, die Probleme nicht lösen ließen und der Neuanfang 1945 keinesfalls leichter war. Beurteilt man Meisers Politik aus Sicht jener Gruppen, die von den Nationalsozialisten in besonderem Maße diskriminiert und verfolgt wurden, dann kommt man zu einem deutlich weniger günstigen Urteil. Was unternahm Meiser tatsächlich, um die Mitglieder seiner Kirche, die einen jüdischen Hinter-

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grund hatten, zu schützen? Stellte er sich mit seiner ganzen Autorität vor jene körperlich und geistig Behinderten, deren Leben von den Nationalsozialisten im Zuge des Euthanasieprogramms direkt bedroht wurde? Anders gefragt: Wie viele bayerische Christen mit jüdischen Vorfahren verloren im Zuge der Durchführung der nationalsozialistischen Rassenpolitik ihr Leben, wie viele der Behinderten, und wie viele konnten Meiser und sein Stab retten? Wie es scheint, handelte Meiser, wenn er denn handelte, zu spät. Versucht man schließlich Meisers Verhalten aus Sicht jener Gruppen zu beurteilen, die in besonderem Maße von der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik ins Visier genommen wurden, also der Juden, der Sinti und Roma, auch der Zeugen Jehovas, dann erscheint Meiser als einer von jenen vielen Amts­ trägern, die die nationalsozialistische Politik auf ebenso opportunistische wie gedankenlose Weise unterstützten. Nach dem Novemberpogrom 1938 schwieg er. Er sah in den Vertretern der genannten Gruppen keine Brüder und Schwestern, denen die uneingeschränkte Solidarität und Hilfe aller Christen zuteil werden musste. Es war ihm nicht klar, dass er seinen Glauben und sein Gewissen verriet, wenn er sich abseits hielt und nicht um diese unglücklichen Personen kümmerte. Ich spreche hier von „Verrat“ und nicht, wie das meist in diesem Zusammenhang üblich ist, von „Versagen“. „Versagen“ klingt verharmlosend, „Verrat“ bringt den Tatbestand auf den Punkt. Blickt man also auf diese Gruppen, deren schreckliches Schicksal im Rückblick für die Beurteilung des Nationalsozialismus von zentraler Bedeutung ist, dann wurde Meiser nach 1933 seiner Verantwortung als Bischof nicht gerecht. Auch der Einwand, er hätte eben nicht die Größe gehabt, um sein eigenes Leben zu riskieren und zum Märtyrer zu werden, kann in diesem Zusammenhang nicht wirklich überzeugen. Gravierender ist der Einwand, bei solchen Argumenten handle es sich um das Moralisieren von Nachgeborenen, die selbst nie in einer vergleichbaren Situation gestanden hätten und die somit nicht sagen könnten, ob sie eine Herausforderung, wie Meiser sie zu bewältigen hatte, bestehen würden. Dem ist zweierlei zu entgegnen. Zum einen ist zu betonen, dass es durchaus Zeit­ genossen Meisers gab, die das Verbrecherische am Nationalsozialismus von Anfang an klar erkannten, auch in Bayern. Wenn man deren Ausführungen liest, dann bekommt man als Historiker wichtige Hinweise für eine historische Einordnung und Bewertung der Politik Meisers. Außerdem ist man als Historiker aber auch durchaus berechtigt, sich bei der Beurteilung von bestimmten Handlungen und Entscheidungen an zeitunabhängigen Werten zu orientieren, zu denen – auch und gerade bei den Handlungen und Entscheidungen eines Bischofs – auch die christlichen Grundwerte gehören. Meiser agierte an herausragender Stelle als Vertreter dieser Werte in seiner Zeit. Deshalb ist es nicht unangemessen, seine Politik an diesen Werten zu messen.

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Zu der Bereitschaft, notfalls auch unbequeme Urteile zu fällen, sollte freilich stets die Verpflichtung kommen, sich weiterhin um die Erschließung der Quellen zu kümmern und somit um Materialien, die helfen können, bereits gefällte Urteile wieder zu modifizieren, vielleicht sogar zu revidieren. Welche Bücher über Martin Luther hatte Meiser in seiner Jugend und während seines Stu­ diums gelesen? Was wusste er von Luthers Obrigkeitsverständnis? Wie wollte er Luthers Obrigkeitsdoktrin, wenn er selbst Entscheidungen zu treffen hatte, anwenden? Welche Bücher hatte er in seiner Bibliothek, und welche Texte konsultierte er, ehe er bischöfliche Verlautbarungen formulierte? Von wem wurde er maßgeblich beraten, und wie war der theologische und politische Hintergrund dieser Personen? Woher bezog Meiser seine geistigen und theologischen Grundüberzeugungen? Wie sah er selbst das Bischofsamt und seine Aufgaben als Bischof? Was war er bereit, aus seinen Erfahrungen als Bischof zu lernen? Es gibt viele Fragen, auf die wir noch keine zufrieden stellenden Antworten haben. Zu wünschen ist, dass in den kommenden Jahren Meisers Wirken als Bischof umfassender und gründlicher als bisher dokumentiert und dass auf dieser Basis dann eine neue Meiserbiographie geschrieben wird.

Berichte der Beobachter der Tagung über die Zeit nach 1945

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Let me begin by expressing my admiration for those who have organized this conference. We are all aware that the history of the churches and of individual theologians during the Third Reich was not addressed in an open and forthright fashion for many decades after the war, and it is impressive to see the significant shift to  a more thorough-going and judicious approach that is signaled by this conference. We have furthermore arrived, as historians and theologians, at a more nuanced understanding of the term „neutral“ as a designation for the three Protestant bishops who did not ally themselves with the Confessing Church or the German Christian movement. Their so-called „neutrality“ is not a signal of their rejection of the Third Reich, its anti-Semitism, and its murder of the Jews. On the contrary, all three expressed positions that sound at times remarkably similar to those of the German Christians. This is certainly clear in the case of Bishop Hans Meiser. Moreover, the question of neutrality has been rendered far from neutral. Theodor W. Adorno has written: „Even the man spared the ignominy of direct co-ordination bears, as his special mark, this very exemption, an illusory, unreal existence in the life-process of society.“1 There is, indeed, no neutrality; the „inviolable isolation“ that Adorno describes is never possible because it is always structured by the dominant order. Rather, it was precisely within the realm of „neutrality“ that the greatest political danger inhered: lacking any reason to reject or resist National Socialism, „neutrals“ lent the services of their professional offices to facilitate the nazification of the churches, while claiming, after the war, that their neutrality made them free from guilt. Thus, after the collapse of the Nazi regime, we find figures such as Meiser remaining in place. My own work has concentrated on the efforts of the German Christian movement to establish a pseudo-research center that served as a vehicle for the church to produce anti-Semitic propaganda in the name of Christian theology. That center, which called itself the „Institute for the Study and Eradication of Jewish Influence on German Church Life“, was established in 1939 and flourished during the war years as a vehicle for revising both academic theology and liturgical materials in accord with Nazism and German Christian ideology. Its

1 Adorno,

Moralia, 33–34, aphorism nr. 13. 

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membership was large and included professors of theology, instructors, students, pastors, and bishops, who used Institute conferences as a tool for advancing their careers and as an opportunity to spew Nazi propaganda couched in Christian theological language. Hans Meiser was not a member of the Institute, but he was personally engaged with some of its leading personalities and activities in ways that are disturbing. He was on good terms with German Christian theologians, as well as with Confessing Church theologians, and even after the war, knowing what they had advocated during the Third Reich and knowing what crimes the Third Reich had committed, those friendships remained intact. Evidence for that comes, for example, in the 1951 Festschrift in honor of Meiser that included contributions from Paul Althaus, Werner Elert, Ethelbert Stauffer, among others2. You have heard during the course of this conference serious charges against Bishop Meiser, and at the same time we are well-aware that he was not the worst. Still I am troubled by some of the people who emerged from the Bavarian church; I think in particular of Siegfried Leffler and Julius Leutheuser, two prominent leaders of the German Christian movement whose voices were those of the most egregious anti-Semitic propagandists. To them, Hitler was a messiah who had resurrected Germany after its crucifixion during World War I. More troubling is Meiser’s relationship with Wolf Meyer-Erlach, a member of the Freikorps who became a pastor and an early Nazi demagogue and leader of the German Christian Movement in Franconia. In 1931 Meyer-Erlach published a collection of his radio plays, which were obsessed with race and sex, to which Meiser wrote a foreword. Just to give you a flavor of Meyer-Erlach’s writings from that era, let me quote from his 1923 play „Das deutsche Leid“, which describes a daughter’s rape. She proclaims to her father: „Doch denk’ ich nun daran, daß aus der Schande mir ein Kind entsteht, dann wird mein Herz zu einer Höllenflamme. Ich zieh’ es selbst aus meinem wunden Leib, und wenn es mir entgegenlacht, wenn es mich ansieht wie ein heiliger Engel, dann nehme ich seine Beine und schmettere seinen Schädel an die Wand. Sein erster Schrei soll auch sein letzter sein. […] Ich kam zum letzten Winkel in der deutschen Brust, in dem nur Haß und Rache wohnt. Ha, ihr schreckt zurück, ihr deutschen Väter, vor euren eignen Töchtern. Ihr Männer zittert vor dem eig’nen Weib. Ja, weil der deutsche Mann zum Narren wurde, weil er vor Feigheit sich entwaffnete und seinen Kopf in Wahngedanken hüllte, weil Deutschland schläft und träumt in einer Welt voll Wölfen, – deshalb wird das Weib zur Wölfin, – das vielgeplagte, das Leib an Leib gepreßt, den welschen Pesthauch atmet.“3

2 Viva

vox evangelii. Leid, 15.

3 Meyer-Erlach,

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In 1932 Meyer-Erlach dedicated a collection of his sermons to Meiser. Thanking him, Meiser wrote, in a letter dated May 24, 1932: „Ich schätze an Ihren Ansprachen, dass sie die zentralen Gedanken unseres evangelischen Glaubens so ohne Abstrich und zugleich in einer auch den modernen Menschen packen­ den Sprache darbieten.“4 Why did Meiser associate himself with such people? What affinities did he find with a Wolf Meyer-Erlach, a man who, though he held no Ph. D., was appointed professor of practical theology at the University of Jena in November, 1933. Within a few months, Meyer-Erlach was appointed dean of the theology faculty5, and in April 1935 the Reich Ministry of Education in Berlin appointed him Rector of the university, against the vote of the faculty6. His rector’s address, „The Friedrich Schiller University in the Spiritual Struggle of the Century“, was a political statement in which he proclaimed himself a „soldier of the Führer“ and called for the creation of a „political university“7. Was his association with Meiser helpful in securing Meyer-Erlach’s pro­ fessorship? How did Meiser’s alleged neutrality in relation to the church struggle assist figures such as Meyer-Erlach in achieving positions of power and authority? After the war, was his friendship with Meiser, who remained as bishop of Bavaria, helpful to Meyer-Erlach in rehabilitating himself and achieving a position of such high respect that he was awarded the Bundesverdienstkreuz in 19628. After all, in 1955 Meiser wrote to him: „Sie haben sich ja nicht gescheut, Ihren Irrtum und das Unrecht, das Sie begangen haben, ganz offen zu bekennen, offener als mancher andere, der dazu mindestens den gleichen Anlass gehabt hätte.“ Yet Meyer-Erlach’s confession of sin was a typical self-justifying rant, nothing more. These are among the questions we might raise in relation to the so-called „neutrality“ of Meiser. Examination of the role of theologians during the Third Reich also raises some issues about the way we conceive of Nazism and the churches. As Wolfgang Bialas and Anson Rabinbach have argued, there was no single definition of National Socialism; it was less an ideology than an ethos, an indeterminate cultural outlook that could be defined in  a host of ways9.

4 Sonne, Theologie,

69 f. became dean in October 1934. He first served as advisor to the rector of the University of Erlangen, Fritz Specht. See Elert, Bericht, 275; Loewenich, Erlebte Theologie, 181, cited by Raschzok, Wolf Meyer-Erlach, 182. 6 On the variety of rectorats held in Jena during the Third Reich, and the relationships between rectors and Thuringian party officials, see Stutz, Wissenschaft, 123–154. 7 Meyer-Erlach, Universität, 21. 8 Heschel, Jesus, 270. 9 Bialas / Rabinbach, Nazi Germany, xxxvi–xlii.

5 He

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Theologians may have been far from the policy makers who set the agenda for the Nazi regime’s domestic and foreign affairs, but they were part of a larger German apparatus of intellectuals who translated the often inchoate meaning of Nazism into  a substantive discourse of Christian ritual and theology, giving Nazism religious and moral authority. Nazism was made into  a symbol for Christianity; Hitler was called  a messiah. Germany was thought to have been crucified during World War I and resurrected by Hitler. As part of a broader coalition of intellectuals and scholars who supported the regime, the theologians of the Institute provided an important religious legitimacy to the Nazis’ „all-devouring manic obsession with the Jews“10 and the „blend of hatred, self-righteous indignation, and paranoia [that] was at the core of the Nazi justification of genocide“11. Indeed, Hitler failed at everything he undertook except anti-Semitism. That is what the theologians gave to National Socialism. But what did ­Nazism give to theology? Why was its racial theory, in particular, so warmly welcomed by so many theologians; after all, no formal theology in support of sterilization or euthanasia was formulated. My argument is that Nazi antiSemitism was the glue that held the church factions together – whether Confessing Church, German Christian, Lutherans, or neutrals. More than that, racial theory was not repudiated but welcomed by so many theologians because they thought racial theory offered something important and helpful to theology. Several of the lectures this weekend, particularly those of Berndt Hamm and Manfred Gailus, have demonstrated the porous boundaries between the German Christians and the Confessing Church; Hans Meiser certainly functioned as one of those porous boundaries. The surprisingly large number of distinguished professors, younger ­scholars, and students who became involved in the effort to synthesize Nazism and Christianity should be seen, I want to argue, not simply as a response to political developments, nor simply as an outgrowth of struggles within the field of Christian theology, but as suggesting underlying affinities between racism and Christian theology, affinities they recognized and promoted. What did these German theologians feel they could achieve by synthesizing Protestant theology and racism? Already in 1971, the late historian Uriel Tal challenged the entrenched view that racist anti-Semitism is a new phenomenon that repudiates Christianity by arguing that such anti-Semitism was actually utterly dependent on Christian anti-Judaism for its success: 10 Kershaw, 11

Hitler, 151, cited by Herf, Enemy, 3. Herf, Enemy, 1. 

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„It was not the economic crises that brought about this new political, racial and anti-religious anti-Semitism, but completely the reverse, it was precisely the antiChristian and anti-religious ideology of racial anti-Semitism which hampered the first anti-Semitic parties in their efforts to utilize the economic crisis for their political development […] [because] what still attracted the masses was the classical, traditional Christian anti-Judaism, however adapted it may have become to the new economic conditions.“12

Tal demonstrated that Germany’s anti-Semitic, völkische movements that arose in the nineteenth century had to abandon their initial anti-Christian stances in order to win supporters for whom Christian anti-Jewish arguments were of profound political appeal13. Even within the so-called „church struggle“ for control of the Protestant church between members of the pro-Nazi German Christian movement and the Confessing Church, anti-Semitism became the glue that united the other­ wise warring factions. Similarly, however much Hitler made use of images of messianism, redemption, and other Christian motifs, the most useful and consistent aspect of Christianity for the Nazi movement was its anti-Judaism, just as the single most consistent and persistent feature of Nazism was its antiSemitism. While seeking to undermine the political power and moral authority of the churches, Nazism simultaneously appropriated key elements of Christian theology into its own ideology both for purposes of winning adherents accustomed to Christian arguments and to give its own message a coherence and resonance with the age-old Christian teachings that had shaped European culture. The German Christians reversed the process, appropriating Nazi rhetoric and symbols into the church to give its Christianity a contemporary resonance. Both the Nazis and the German Christians identified Hitler as Christ’s second coming. They spoke, for example, of the „Führer Jesus“ and described Hitler as „God’s agent [Beauftragter] in our day“14. That gave Hitler the status of a super 12 Tal, 13

Roots; reprinted in Tal, Religion, 177. „In reality Nazism accomplished but few of its goals. But in one area, that of the Jewish question, political myth achieved its purpose to the full. Here the regime met the least opposition from those who in other matters were hardly in accord with Nazism – be it intellectuals, the churches or public opinion in the Reich or abroad. The Jew served as the focal point round which Nazism turned and on which the structural process of value-transformation and reversal of meanings took place. Among the values and meanings that were transformed, the symbol itself was turned into substance; consequently, the negation of Judaism had to be transformed into the annihilation of the Jew, this time not spiritually but rather physically, not symbolically but in substance.“ Tal, Religion, 111. 14 From „Bericht über die Arbeitstagung der ‚Deutschen Christen‘ Gruppe Rheinland“, 144–146, cited by Faulenbach, Weg, 161.

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natural being and gave Christ renewed glory as a contemporary figure of enormous political significance. Meanwhile, Jews were not simply despised, but came to be presented as a danger to be eradicated. That was formalized in the spring of 1939 by the Godesberg Declaration, formulated by members of the German Christian Movement, who asserted that Christian churches could not be international; that National Socialism is an extension of Martin Luther’s efforts; and that Christianity repudiates Judaism15. The centerpiece of the declaration was its question and answer: „Is Christianity derived from Judaism and is it its continuation and completion, or does Christianity stand in opposition to Judaism? We answer this question: Christianity is the unbridgeable religious opposition to Judaism.“ Publication of the declaration in the church’s official Law Gazette (Gesetzblatt) on April 4, 1939, carried the added announcement that its principles would be implemented by establishing an Institute for the Study and Eradication of Jewish Influence on the Church Life of the German Volk16. Critics of the declaration worried that its condemnation of Judaism might end up being misused as an attack against Christianity; nowhere was concern expressed about its potential antisemitic consequences. Meiser, as one of the three „neutral“ bishops who held themselves aloof from both the German Christians and the Confessing Church, objected to the unclarity of the term „Jewish“ in the Godesberg Declaration because it might encourage attacks on Christianity. Meiser asked if „Jewish“ referred to the „Jewish-Talmudic religion“ or to the apostle Paul’s teachings concerning justification (by faith), which were intended as a sharp refutation of the „Jewish-Pharisaic spirit“; „or was the declaration directed not against the genuine opposition between Jewish religion and Jewish spirit but rather against the divine revelation of the Old and New Testament?“17 Jewishness was getting dangerously close to the heart of Christianity18. 15 Signatories were the German Christian leaders of eleven regional churches: APU, Saxony, ­ assau-Hessen, Schleswig-Holstein, Thuringia, Mecklenburg, Pfalz (Palatinate), Anhalt, OldenN burg, Lübeck, and Ostmark (Austria), all of which were dominated by the German Christian movement. The Confessing Church denounced the declaration, as did the Reformed Confederation for Germany, and the World Council of Churches issued a statement opposing it. 16 Other provisions of the addendum, including founding a central office in the church to fight against the misuse of religion for political goals, were not carried through. 17 Letter from Bischof Meiser to Rat der Evangelischen Lutherischen Kirche Deutschlands, dated May 5, 1939 (NEK Kiel, Repertorium des Archivs der Bekennenden Kirche SchleswigHolstein, Signatur 57, neue Nummer 323). 18 Lindemann, Typisch jüdisch, 263.

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The resulting „Principles“ („Grundsätze“)19, which carried far more signatures than the Godesberg Declaration, was signed on May 31, 1939, by  a group of bishops that included the three „neutrals:“ Meiser, Theophil Wurm (Württemberg), and August Marahrens (Hannover). Their statement, however, sharpened the anti-Jewish tone of the German Christian-authored Godesberg Declaration: „The National Socialist worldview fights with all relentlessness against the political and spiritual influence of the Jewish race on our völkisch life.“ The „Principles“ then had to clarify that „Jewishness“ did not imply Christianity: „In the realm of faith there is a sharp opposition between the message of Jesus Christ and his apostles and of the Jewish religion of legalism and political messianic hope that is also already being fought against in the Old Testament. In the realm of völkisch life an earnest and responsible racial politics is necessary for the preservation of the purity of our Volk.“

Racial politics were affirmed, both Jesus and the Old Testament were placed in opposition to Judaism, and National Socialism was declared binding on Christians; such was the „neutral“ position of those who rejected the Godesberg Declaration. Antisemitism functioned for Meiser as the glue that linked him to the Nazi regime, even as he used intense defamations of Judaism to distance himself from the German Christians’ Godesberg Declaration. In a letter sent to the Rat der Evangelischen Lutherischen Kirche Deutschlands, dated May 5, 1939, the day before the Institute was formally opened, Meiser wrote that he was not opposed to the creation of the Institute, but was concerned that its work not be too negative to be fruitful20. When the war was over, Germans were not certain if they had capitulated or been liberated, and the moral implications of each position were not articulated in public. Indeed, Meiser himself, writing in 1946, urged his church colleagues not to examine the past: „Alles in allem kann es jetzt nicht unsere Aufgabe sein, den Blick in die Vergangenheit zu richten und durch verdammende Urteile anderer nur die eigene Haltung zu rechtfertigen […]. An denen, denen mit dem militärischen und politischen Zusammenbruch alle Hoffnungen zerborsten sind, auf die sie ihr Leben bisher gebaut hatten, hat die Seelsorge der Kirche eine besondere Aufgabe.“21 19 „Grundsätze für eine den Erfordernissen der Gegenwart entsprechende Ordnung der Deutschen Evangelischen Kirche“. 20 Letter from Bischof Meiser to the Rat der Evangelischen Lutherischen Kirche Deutschlands, dated May 5, 1939 (NEK, Repertorium des Archivs der Bekennenden Kirche Schleswig-Holstein, Signatur 57; neue Nummer 323). 21 Rundschreiben des Landeskirchenrats, May 7, 1946; cited by Vollnhals, Kirche, 134 f.

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Stewart Herman, a Lutheran who traveled through the American occupation zone in the fall of 1945 on behalf of the World Council of Churches, observed that there was less inclination on the part of the Bavarian Church to divorce itself from its Nazi party member pastors than is to be found in any other German church; the same was true, of course, during the Third Reich, which saw no pastors disciplined for involvement in the Nazi Party or German Christian Movement22. Herman claimed that Meiser said: „The church must not permit itself to be affected by changes in the political scene.“ He responded to Meiser: „It was not logical to urge that the church should not permit itself to be affected by political changes under the Allies, when as a matter of fact the presence of Nazi pastors indicates that the church in the past had in fact been affected by political changes incident to Hitler’s assumption of power.“

No denazification of the clergy took place in Bavaria, nor was any systematic program of education regarding anti-Semitism developed by the church. When does Nazism end and memory begin? We speak too readily of the memory of the Third Reich when we should be more attentive to lines of continuity within German institutions and culture. We have learned at this conference that Bishop Meiser’s theological and political commitments did not change radically after 1945. We are all surprised by his post-war attitude toward Dietrich Bonhoeffer, for instance, and to the crimes committed at Dachau. He was not a leader who showed Germans how to respond in a Christian fashion, how to confess guilt before God, family, nation, and human society. Perhaps, as some have suggested, pressures from his Bavarian flock kept him from taking a strong, public moral stance. If that is the case, we would have to conclude that his position of power as a bishop meant more to him than his conscience and his role as a religious leader.

Primary and secondary sources I. Unpublished sources Nordelbisches Kirchenarchiv Kiel (NEK) Repertorium des Archivs der Bekennenden Kirche Schleswig-Holstein, Signatur 57, neue Nummer 323.

22 Ibid.,

147.

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II. Published sources and literature Adorno, Theodor W.: Minima Moralia. Reflections from Damaged Life, translated by E. F. N. Jephcott. London 1978.  Besier, Gerhard: The Stance of the German Protestant Churches During the Agony of Weimar, 1930–1933. In: KHÅ 1 (1983), 151–163. Bialas, Wolfgang / Rabinbach, Anson (ed.): Nazi Germany and the Humanities. Oxford 2007. Elert, Werner: Bericht über das Dekanat der Theologischen Fakultät Erlangen 1935–43. In: Beyschlag, Karlmann (ed.): Die Erlanger Theologie. Erlangen 1993. Faulenbach, Heiner: Ein Weg durch die Kirche. Heinrich Josef Oberheid. Köln 1992. Herf, Jeffrey: The Jewish Enemy. Nazi Propaganda During World War II and the Holocaust. Cambridge Mass. 2006. Heschel, Susannah: The Aryan Jesus: Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany. Princeton 2008. Kershaw, Ian: Hitler: Anatomy of a Dictator. Reading 2003. Lindemann, Gerhard: „Typisch jüdisch“. Die Stellung der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers zu Antijudaismus, Judenfeindschaft und Antisemitismus 1919–1949 (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung 63). Berlin 1998. Loewenich, Walther von: Erlebte Theologie. Begegnungen, Erfahrungen, Erwägungen. München 1979. Meyer-Erlach, Wolf: Das deutsche Leid. München 1923. –, Universität und Volk. Rektoratsrede über den Neubau der Deutschen Universität (Jenaer Akademische Reden 22). Jena 1935. Raschzok, Klaus: Wolf Meyer-Erlach und Hans Asmussen. Ein Vergleich zwischen der Praktischen Theologie der Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche. In: Raschzok, Klaus (ed.): Zwischen Volk und Bekenntnis. Praktische Theologie im Dritten Reich. Leipzig 2000, 167–202. Sonne, Hans-Joachim: Die politische Theologie der Deutschen Christen: Einheit und Vielfalt deutsch-christlichen Denkens, dargestellt anhand des Bundes für Deutsche Kirche, der Thüringer Kirchenbewegung „Deutsche Christen“ und der ChristlichDeutschen Bewegung. Göttingen 1982. Stutz, Rüdiger: Wissenschaft als „Dienst an Volk und Vaterland“. Die Rektoren der Universität Jena und das „Dritte Reich“. In: Gottwald, Herbert / Steinbach Matthias (ed.): Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur Jenaer Universität im 20. Jahrhundert. Jena 2000, 123–154. Tal, Uriel (ed.): Religion, Politics and Ideology in the Third Reich. Selected Essays. London / New York 2004. –, Religious and Anti-Religious Roots of Modern Anti-Semitism (LBML 14). New York, 1971. Viva vox evangelii. Eine Festschrift für Hans Meiser zum siebzigsten Geburtstag am 16. Februar 1951, ed. Lutherisches Kirchenamt in Hannover, München 1951. Vollnhals, Clemens: Evangelische Kirche und Entnazifizierung 1945–1949. Die Last der nationalsozialistischen Vergangenheit (Studien zur Zeitgeschichte 36). München 1989.

Jens Holger Schjørring

Hans Meiser als Kirchenführer nach 1945 Beobachtungen aus ökumenischer Perspektive1

Für meine kurz gefassten Überlegungen zu einer angemessenen Charakterisierung Bischof Hans Meisers aus internationaler ökumenischer Perspektive möchte ich von einem Vergleich ausgehen und dabei ein weit verbreitetes Verhaltensmuster während der nationalsozialistischen Diktatur dem veränderten Verhalten in den ersten Nachkriegsjahren gegenüberstellen. Diese veränderte Sichtweise, auch Meiser hat sie vertreten, setzte sich, soweit ich es überblicken kann, nach Kriegsende 1945 nur langsam und mühsam durch. Ein Ereignis im Sommer 1946 soll den Vergleich veranschaulichen: In Uppsala waren am 24.  Juli 1946 Vertreter des internationalen Luthertums zusammengekommen, um über die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit zwischen lutherischen Kirchen zu beraten, die während der Kriegsjahre jäh abgebrochen war. Gastgeber war der schwedische Erzbischof Erling Eidem. Dieser amtierte als einstweiliger Präsident im Lutherischen Weltkonvent, nachdem der bisherige Präsident, der hannoversche Landesbischof August Mar­ ahrens, vor allem auf Drängen der amerikanischen Vertreter, im Herbst 1945 abgewählt worden war. Wichtigstes Thema der Zusammenkunft war die Planung einer neuen internationalen Konferenz, die nach all den schmerzlichen Auseinandersetzungen der vorausgegangenen Jahre ein Zeichen für die nunmehr wiederhergestellte Einigung setzen sollte. Das Ergebnis der Beratungen in Uppsala war die Einberufung einer Vollversammlung im schwedischen Lund für das Jahr 1947, einer Veranstaltung, die dann zur Gründungsversammlung des Lutherischen Weltbundes wurde2. Die wichtigsten Teilnehmer in Uppsala waren der Geschäftsführer des Ökumenischen Sekretariats in Genf, der Amerikaner Sylvester C. Michelfelder, sowie der amerikanische Kirchenpräsident Franklin Clark Fry, später Präsident im Lutherischen Weltbund und ebenfalls führend im Weltkirchenrat tätig. Ferner nahmen Persönlichkeiten aus den nordischen Kirchen teil. Vertreter aus 1 Bei der sprachlichen Endgestaltung des Beitrags hat mir Gertraud Grünzinger einen großen Dienst erwiesen. 2 Vgl. Nelson, Rise, 384–386; Schjørring, Luthertum, 86 f.

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Deutschland waren zwar eingeladen worden, aber zunächst aus unbekannten Gründen nicht angekommen. Erst am Morgen des 26. Juli trafen die drei Deutschen ein: Meiser, der Direktor der Leipziger Mission Carl Ihmels und Professor Ernst Sommerlath. Die Gäste aus Deutschland wurden sehr feierlich und herzlich von Eidem in deutscher Sprache begrüßt. Eidem sagte dann, an Meiser gewandt: „Es gibt Treffen im Leben, lieber Bruder, wo wir uns schweren Herzens begegnen. Eine bedrückende Last ist auf uns gefallen, ja auf die ganze Menschheit. Wir wünschen das zu tun, was Paulus in dem vorhin gelesenen Text gesagt hat: ,Einer trage des anderen Last‘ [Gal. 6,2]. Wir wissen wohl, dass Ihr Land eine schwere Last tragen muss. Wir müssen alle unseren Teil der Verantwortung tragen. Wir wünschen nicht zu richten. ‚Liebe erfüllt unser Herz.‘3 Es liegt mir daran, Sie davon zu überzeugen, dass wir Sie mit brüderlicher Liebe in unserer Mitte begrüßen.“4

Daraufhin sprach Landesbischof Meiser. Er drückte seine Dankbarkeit aus, indem er zugleich unterstrich, wie bewegt er über die Worte der Begrüßung war. Meiser fuhr fort: „Sie können sich nicht vorstellen, wie ich in den vergangenen Jahren die abgebrochenen Beziehungen vermisst habe. Wir wissen von so viel Ungerechtigkeit, die von unserem Volk verübt wurde, und wir konnten es nicht verhindern. Wir erkennen voll und ganz, dass der Zusammenbruch des Hitler-Regimes nur durch die furchtbaren Zerstörungen möglich wurde, die kommen mussten. Wir verfügen heute über Dokumente, die eindeutig belegen, dass die Schwierigkeiten für die Kirche erst wirklich begonnen hätten, wäre Hitler siegreich gewesen. Wir haben gezittert beim Gedanken daran, was wohl gekommen wäre, falls Hitler gewonnen hätte. Der Zusammenbruch brachte eine wirklich religiöse Erfahrung. Das war augenscheinlich unter unserem Volk. Niemals zuvor waren die Kirchen so überfüllt. Nun müssen wir uns unter das Gericht Gottes stellen. Wir dürfen nicht die Schuld anderer bekennen, sondern nur unsere eigene. Wir akzeptieren dies alles als Gottes Gericht, weil unsere Nation die Juden so behandelte, wie wir es getan haben. Als unsere eigenen Kirchen brannten und zerstört wurden, haben wir uns erinnert, dass das deutsche Volk zuvor die jüdischen Synagogen in Brand gesetzt hatte.“

Danach ging Meiser auf die Frage des Widerstandes ein. Er hielt fest, dass die Bekennende Kirche zwar geplant hatte, das Gewissen der Gemeinden anzusprechen, den Plan aber nicht realisiert hatte. Zugleich musste er eingestehen,

3 So 4

die Übersetzung in: In memoriam, 55. Zitate nach dem bisher ungedruckten Original im Landsarkivet Uppsala (hier übersetzt vom Verfasser). Vgl. insgesamt den Quellenabdruck im Anhang; und Ryman, Lutherhjälp, 18 f.

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dass er für eine schwierige Frage noch immer keine klare Antwort hatte: Wie weit kann die Kirche gehen, den Tyrannenmord zu legitimieren? Was ist hier die lutherische Antwort, fragte er, ohne selber eine klare Antwort bieten zu können. Deutliche Worte fand er hingegen, als er die Notwendigkeit der Buße und die Bitte um Vergebung erwähnte. „In unserem Land waren Kräfte frei geworden, die nicht kontrolliert werden konnten, selbst nicht von denjenigen, die sie entfesselt hatten. Dämonisch waren die Mächte, die regiert haben, und wir schienen kraftlos vor ihnen. Wir konnten einfach keinen wirksamen politischen Widerstand anbieten. Sie müssen uns Glauben schenken, dass das, was wir in der Stuttgarter Schulderklärung5 ausgedrückt haben, aufrichtig gemeint war. Wir wollen diese Erklärung in keiner Weise abschwächen, wir sagen das ein für alle mal und hoffen, es wird nicht notwendig sein, es immer wieder zu wiederholen. Dahinter steckte keine taktische Überlegung unsererseits, sondern als eine ernst gemeinte Erklärung sollte sie so aufgenommen werden, wie sie ausgesprochen wurde“.

Schließlich verlieh Meiser seiner Überzeugung Ausdruck, dass die Kirche die einzige wirkliche Opposition in Deutschland gewesen sei, die gegen das NaziRegime standgehalten hatte. Er bedankte sich sehr herzlich für die großzügige Unterstützung, die bereits geleistet wurde, wobei er deutlich machte, dass materielle Hilfe zugleich geistige Hilfe bedeute. Eidem bedankte sich seinerseits herzlich für Meisers Worte und grüßte ihn abschließend mit der Versicherung christlicher Freundschaft. Dies war dann auch der letzte Akt dieser Zusammenkunft, bevor das Protokoll des vorherigen Tages vorgetragen und angenommen wurde, einschließlich der Grundsätze, die ein Jahr später der Vollversammlung vorgelegt werden konnten. In vier Punkten möchte ich versuchen, das Treffen in Uppsala 1946 und ganz besonders die Rede Meisers in einen weiteren historischen Rahmen einzuordnen, um grundsätzliche Perspektiven anzusprechen, die mit der kirchlichen Zeitgeschichte Deutschlands und ihrer Verortung im internationalen, ökumenischen Kontext zu tun haben. 1. Bemerkenswert ist, dass die Wiederaufnahme freundschaftlicher und kirchlicher Beziehungen zwischen Deutschland und dem Ausland bald nach dem Ende des Krieges erfolgte. Die immer wieder diskutierten Fragen von Schuld und Vergangenheitsbewältigung können aber erst dann in der richtigen Weise erfasst werden, wenn sie im Zusammenhang mit dieser praktizierten

5 Abdruck

u. a. in: Nicolaisen / Schulze, Protokolle, 60 f.

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Vergebung und den sich festigenden persönlichen und institutionellen Kontakten gesehen werden. Schon bei der Zusammenkunft von Treysa am 30. August 1945 hatte der Amerikaner Stewart Herman eine eindrucksvolle Rede vor den versammelten Vertretern der Bekennenden Kirche gehalten. Dieser Dialog wurde in Stuttgart im Oktober 1945 weitergeführt. Im Zuge der groß angelegten Nothilfe wurde er durch persönliche Begegnungen ausgebaut. Dazu gehörten u. a. auch Meisers Auftritt und Rede in Uppsala. Auf katholischer Seite könnte man ein Treffen in der burgundischen Stadt Vézelay erwähnen. Dort kamen im Sommer 1946 katholische Christen zusammen, um des 800 Jahre zuvor ausgerufenen Kreuzzuges zu gedenken. Bernhard von Clairvaux hatte angesichts der damit verbundenen großen Aufgaben die Einheit der Christen beschworen. Dieser Gedanke der Einheit wurde 1946 aufgenommen, als sich dort Christen aus den von Deutschland angegriffenen Ländern versammelten. Die Veranstalter hatten kurz vor Beginn festgestellt, dass sich in der Nähe ein Lager für deutsche Kriegsgefangene befand, woraufhin sie kurz entschlossen den Militärpfarrer und andere Vertreter aus dem Lager zur Teilnahme an den Feierlichkeiten einluden6. Auch die Gründungsvollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Lund im Sommer 1947 diente dem Bestreben, die Versöhnung der Kirchen aus ehemals verfeindeten Ländern voranzutreiben. Eidem predigte wieder über den Bibeltext „Einer trage des anderen Last“ (Gal. 6,2). Die sich anschließende gemeinsame Abendmahlsfeier war nicht zuletzt für die deutschen Delegierten ein bewegendes Zeugnis eines neuen Anfangs. Neben den eher philosophischen Diskussionen über Schuld und Vergebung sollten solche praktischen Erfahrungen nicht außer Acht gelassen werden, sondern vielmehr als soziopsychologischer Beitrag zu einer dauerhaften Gesundung der deutschen Gesellschaft gewürdigt werden. In diesem Zusammenhang war Meiser ein wichtiger Ansprechpartner für die Lutheraner aus dem Ausland; zusammen mit Hanns Lilje gehörte er – anders als Marahrens – zu den deutschen Lutheranern, die man als Partner für den Neubeginn akzeptierte. 2. Im Gegensatz zu den zwanziger Jahren und vollends zur Zeit der Naziherrschaft kam es in den Nachkriegsjahren verhältnismäßig schnell zur Wiederaufnahme kirchlicher Kontakte und kirchlicher Zusammenarbeit. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte die Entrüstung über den Versailler Vertrag eine weit verbreitete Abwehrhaltung von deutscher Seite gegenüber den ehemaligen Kriegsfeinden bewirkt, dadurch war jede Form von internationaler Gemeinschaft erschwert. Diese Ressentiments waren nach 1933 noch stärker geworden. Man könnte zahlreiche Beispiele von deutschen Kirchenmännern nennen, die zwar

6 Ausstellung

in der Basilique Ste-Madeleine, Vézelay, Oktober 2006.

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im innerdeutschen Kontext Ansätze eines Vorbehaltes oder gar einer Kritik am Nationalsozialismus geäußert hatten, die aber eine ganz andere Haltung einnahmen, sobald sie mit Kritikern aus dem Ausland zusammentrafen. Ich verweise etwa auf Carl Stange als Leiter der Lutherakademie in Sondershausen7 oder auf Dietrich Bonhoeffers Aussage vom Sommer 1934. Gegenüber einem dänischen Ökumeniker bekannte er, dass er viel mehr Angst vor seinen Freunden aus der Bekennenden Kirche habe als vor den Leuten der Reichskirchenregierung, weil die BK-Theologen sich „aus einem falsch verstandenen Ehr­ gefühl heraus“ um jeden Preis vor Kritik am eigenen Land hüten würden8. So betonten viele Deutsche nach außen immer wieder die großen Hoffnungen, die sich für sie mit dem Regierungsantritt Hitlers verbänden, sei es nun beispielsweise im kirchlichen Bereich die Verwirklichung der Volksmission oder ganz allgemein die politische Durchsetzungsfähigkeit des ,Führers‘, um ja nicht das eigene Nest zu beschmutzen. Man könnte von einem nationalapologetischen Zweckoptimismus sprechen, mit dem die Widersprüche zu den tatsächlichen Verhältnissen einfach ausgeklammert wurden. Umso auffallender erscheint der Wandel, der sich in der Wahrnehmung nach 1945 vollzog. 3. Bekanntlich hat Meiser bei anderen Gelegenheiten anders gesprochen als in Uppsala und dabei auch weniger Einsicht und Weisheit gezeigt. Ebenso unwiderlegbar ist die Tatsache, dass das Gesamtbild des Luthertums in jenen Jahren in vielerlei Hinsicht zwiespältige, wenn nicht gar dezidiert unerfreu­liche Züge aufweist. Der Hinweis auf solch generelle Tendenzen sollte natürlich nicht den Verzicht auf die berechtigte Kritik an Einzelnen – auch Meiser darf hier keine Ausnahme machen – nach sich ziehen. Es wäre aber ebenso verfehlt, würde man die Haltung Meisers, wie sie etwa in antijudaistischen Äußerungen oder der Verharmlosung der Verbrechen des NS-Regimes zum Ausdruck kommt, lediglich als bedauerliches Fehlurteil eines Einzelnen ansehen, dem nachträglich ein unangemessen bedeutendes Gewicht für das Gesamturteil zugeschrieben würde. Meisers Haltung entsprach in Vielem der Haltung seiner Zeitgenossen und ihrer theologischen Ausrichtung. Es ist eine vordringliche historische Aufgabe, die widerspruchsvollen Veränderungen zwischen der NS-Zeit, der Nachkriegszeit und innerhalb der unmittelbaren Nachkriegsperiode festzuhalten, um jeder moralisierenden Besserwisserei entgegenzuwirken. Gerade in seinem Schwanken zwischen Einsicht und Verdrängung kann Meiser als Prototyp seiner Kirche und seines Volkes gelten. Zu einer anderen Beurteilung des bayerischen Landesbischofs käme man, würde man Meisers Rolle als Kirchenführer und Vertreter seines Volkes mit

7 Schjørring,

8 Bonhoeffer,

Luthertum, dort weitere Literaturangaben. Brief, 179. Vgl. Bethge, Bonhoeffer, 441; Schjørring, Perspektiven, 63.

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der Haltung herausragender Amtskollegen aus der Ökumene vergleichen, etwa des anglikanischen Bischofs George K. A. Bell aus Chichester oder des norwegischen Bischofs Eivind Berggrav aus Oslo. Bei ihnen kann – trotz des unterschiedlichen Kontextes, in dem sie agierten – von der Wahrnehmung eines prophetischen Wächteramtes gesprochen werden. Demgegenüber scheint Meiser als Kirchenführer in vieler Hinsicht das zu verkörpern, was der Normaltheologie in seiner Landeskirche entsprach. Lediglich die Ausführungen in Uppsala und wenige andere ökumenische Auftritte stellen markante Aus­ nahmen dar. 4. Würde man Meisers Persönlichkeit auf seine bedauerlichen Äußerungen reduzieren, etwa seine Zustimmung zu einem „christlichen Führerstaat“, den die Nationalsozialisten zunächst in Aussicht gestellt hatten und der die vergangene Ära der Gottlosigkeit beenden sollte, oder sein Ausblenden von Antisemitismus und Rassenwahn im Hitler-Staat9, so würde man, soweit ich sehe, das Gesamtbild seiner Persönlichkeit wie auch seiner Zeit verzerren. Dann wären diese Aussagen lediglich Ausnahmefälle, die wir heute gewissenhaft registrieren, um den nachkommenden Generationen ein freundlicheres Bild von der belasteten Vergangenheit übergeben zu können. Die Aufgabe des Historikers besteht vielmehr darin, die ganze Bandbreite der historischen Wirklichkeit festzuhalten, so belastend dies im Einzelfall auch sein mag. Wir können die schwer wiegenden Irrtümer der Vergangenheit nicht entsorgen, indem wir Schuldzuweisungen an einzelne Persönlichkeiten vornehmen, ohne uns bewusst zu werden, dass diese auch als typische Vertreter eines unheilvollen Zeitgeistes anzusehen sind. Wir müssen uns deshalb bei der Beschäftigung mit der Vergangenheit den komplexen Fragen stellen, aus wissenschaftlichen wie auch aus christlichen Gründen. Die Einbeziehung einer internationalen Perspektive zur Analyse von Hans Meiser kann dazu einen differenzierenden Beitrag leisten.

Anhang Auszug aus dem Protokoll der Beratungen von Uppsala, 26. Juli 1946 Landsarkivet Uppsala Erling Eidems samling Vol. C II: 22.  Lutheran World Convention. Executive Committee. Minutes Uppsala July 24–26, 1946. 9 Vgl. Nachweise in Herold / Nicolaisen, Meiser, besonders die Beiträge von C. Nicolaisen, S. Hermle, W. Sommer und B. Mensing.

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Friday morning session, July 26, 1946. § 1 The morning Devotions were conducted in the Chapel by Dr. Fry. § 2. The meeting was then opened by the Chairman Archbishop Erling Eidem, who addressed Bishop Hans Meiser of Munich who had just arrived. Greeting to Bishop Meiser. „First I would like to bring a heartly greeting to you from all the members of this Committee. I shall speak to you in your own mothertounge. We are grateful, that you have come, even if you were delayed. We are glad to meet you and see you. There are meetings in life, dear Brother, when we must meet with sad hearts. A heavy burden has fallen upon us and upon all mankind. We want to do what St. Paul said in the lesson which we have just read: ‚Bear ye one another’s burdens‘. We know that your country is bearing heavy burdens. All of us must bear our share of the responsibility. We do not wish to judge. ‚Love rules our hearts‘. I want you to be firmly convinced of this that we receive you in our midst with brotherly love“. Response by Bishop Meiser. „You must believe me that I have come here with a deep feeling of gratitude and am now deeply moved that I can be here and hear these words of welcome. You cannot imagine how I have missed the broken relationship in the past years. We know of so much injustice that has been done by our people, and we could not hinder it. We fully realize that the collaps of the Hitler régime was possible only through the terrible destructions which had to come. We have documentary evidence now, that should Hitler have been victorious the real difficulties of the Church would have just begun. We trembled at what would follow, if Hitler would have won. With the collapse there came a real religious experience. It was evident amongst our people. Never were the churches so crowded before. Now we must place ourselves before the judgment of God. We dare not confess the faults of others, but only our own. We accept all this as the judgment of God because our nation treated the Jews as we did. As our own churches burned and were destroyed we remembered that the German people first set fire to the Jewish synagogues. Now nations are divided, but we Christians dare not allow that which has divided the nations divide the churches. We are in conde[m]nation with others

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for the catastrophe which has come to us. We did not speak and tried to awake the conscience of our people. Some day we hope to publicize the steps which we took and the protests which we made. For us the difficult question has been and still is, how far can the church go in causing the death of the tyrant. Is this the way of Lutheran ethics? I do not even know if this is an open question. We might ask who was right in the days of persecution; the Salzburgers, the secret Austrian Protestants or the Huguenots. We could not have settled this question finally though we could have spoken more and more; but I do not believe that this would have made any difference in the outcome. Certainly we knew of some of the terrible conditions which prevailed in our concentration camps, some knew much more than others. Now we must come to a full realisation of how we can repent and ask God to forgive. Forces were loosed in our country which could not be controlled even by those who have released them. Demonic were the powers that reigned and we seemed powerless before them. We simply could not offer effective political resistance. You must believe us that what we declared as our confession of guilt at Stuttgart was a sincere declaration. We will not modify that statement in any way, we say it once for all and hope it will not be necessary to repeat it constantly. It was no tactreal move on our part, but was intended as an earnest declaration to be taken up as it was spoken. All of us have felt the fellowship of Christians. Not only have the Christians of the world spoken but they have acted and proven their fellowship and love. I can not miss this opportunity to thank you for all that you have already done for us. Now love alone can heal the broken ties. The material aid which has been given so generously is at the same time spiritual aid. The church was the only real opposition which held out against the Nazi régime. A gauleiter in Munich admitted to me that the church in opposition had got a real victory. We do not want a substitute social Gospel, but we realize that a physical preparation must be made for spiritual reconstruction. We on our part are prepared to make all amends necessary to restore  a real Christian fellowship. But we must not forget that we must prepare not only to preserve life for this world but also for the life to come. We can only ask that you will forgive the wrongs which we have committed“. Response by Archbishop Eidem. „We accept your warm words with all humility and want to greet you with the warmest fellowship of our Lord Jesus Christ“.

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Quellen- und Literaturverzeichnis I. Unveröffentlichte Quellen Landsarkivet Uppsala Erling Eidems samling Vol. C II: 22. Lutheran World Convention. Executive Committee. Minutes Uppsala July 24–26, 1946.

II. Veröffentlichte Quellen und Darstellungen Bethge, Eberhard: Dietrich Bonhoeffer. Theologe, Christ, Zeitgenosse. München 3 1970. Bonhoeffer, Dietrich: Brief vom 8. 8. 1934 an O. V. Ammundsen. In: Ders.: Werke, Bd.  13. London 1933–1935. Hg. von Goedeking, Hans / Heimbucher, Martin /  Schleicher, Hans. Gütersloh 1994, 178–180. Herold, Gerhart / Nicolaisen, Carsten (Hg.): Hans Meiser (1881–1956). Ein lutherischer Bischof im Wandel der politischen Systeme. München 2006. In memoriam Landesbischof D. Hans Meiser D. D. 16. 2. 1881–8. 6. 1956. Hg. vom Ev.-Luth. Landeskirchenrat. [München 1981.] Nelson, E. Clifford: The Rise of World Lutheranism. An American Perspective. New York 1982. Nicolaisen, Carsten / Schulze, Nora Andrea (Hg.): Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Band 1: 1945/46 (AKiZ.A 5). Göttingen 1995. Ryman, Björn: Lutherhjälpens första 50 år. 1947–1997. Stockholm 1997. Schjørring, Jens Holger: Ökumenische Perspektiven des deutschen Kirchenkampfes. Leiden 1985. –, Nordisches und deutsches Luthertum nach 1945. In: Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte. Mitteilungen 21 (2003), 81–96. – / Kumari, Prasanna / Hjelm, Norman (Hg.): Vom Weltbund zur Gemeinschaft. Geschichte des Lutherischen Weltbundes 1947–1997. Hannover 1997.

Herausgebende, Autorinnen und Autoren

Baier, Helmut Jg. 1939, Dr.  phil., 1975 bis 2004 Leiter des Landeskirchlichen Archivs in Nürnberg. Gailus, Manfred Jg. 1949, außerplanmäßiger Professor für Neuere Geschichte, Institut für Geschichte und Kunstgeschichte, Technische Universität Berlin. Goldhahn, Maike Jg. 1979, Vikarin in Prien am Chiemsee. Greif, Thomas Jg. 1968, Dr. phil., Redakteur beim „Sonntagsblatt – Evangelische Wochen­ zeitung für Bayern“. Hamm, Berndt Jg. 1945, Dr. theol., Professor für Neuere Kirchengeschichte im Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Hermle, Siegfried Jg. 1955, Dr. theol., Professor für Theologie und ihre Didaktik im Institut für Evangelische Theologie an der Universität zu Köln. Heschel, Susannah Jg. 1957, Dr. phil. Dr. h. c., Professorin für Jüdische Studien am Department of Religion des Dartmouth College. Kraus, Wolfgang Jg. 1955, Dr. theol., Professor für Neues Testament Fachrichtung Theologie der Universität des Saarlandes. Lehmann, Hartmut Jg. 1936, Dr. phil. Dr. h. c., Honorarprofessor an den Universitäten Göttingen und Kiel, bis 2004 Direktor des Max-Planck-Instituts für Geschichte in Göttingen.

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Herausgebende, Autorinnen und Autoren

Lepp, Claudia Jg. 1965, Dr. phil., Leiterin der Forschungsstelle für Kirchliche Zeitgeschichte und Privatdozentin für Neuere und Neueste Geschichte am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München. Link, Christoph Jg. 1933, Dr. jur., Professor (em.) für Staats- Verwaltungs- und Kirchenrecht am Fachbereich Rechtswissenschaft der Rechts- und Wirtschaftswissenschaft­ lichen Fakultät an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und seit 1986 Leiter des Hans-Liermann-Instituts für Kirchenrecht. Mensing, Björn Jg. 1962, Dr. phil., Pfarrer und Historiker an der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Oelke, Harry Jg. 1957, Dr. theol., Professor für Kirchengeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität München, Vorsitzender der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte. Schjørring, Jens Holger Jg. 1942, Dr.  theol., Professor (em.) für Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Aarhus. Schneider-Ludorff, Gury Jg. 1965, Dr. theol., Professorin für Kirchen- und Dogmengeschichte an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau. Sörgel, Herbert Jg. 1954, Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Flossenbürg im Oberpfälzer Wald.

Register

Personen Adorno, Theodor Wiesengrund  264 Althaus, Paul  22, 24, 27, 74, 76, 113, 156, 264 Anderson, Benedict  20 Arnim-Kröchlendorff, Detlev von  27 Asmussen, Hans  124 Assmann, Jan und Aleida  208, 229 Auerbach, Philipp  201, 202, 249 Aumer, Hermann  198, 199, 249 Bachmann, Philipp  192 Baier, Helmut  219, 241, 249 f. Barth, Karl  22, 24, 25, 31, 50, 80, 87, 156, 192, 251 Baum, Karl  104 Becker, Karl-Heinz  87–89, 91, 92, 248 Bell, George K. A.  277 Benfey, Bruno  126 Bergengruen, Werner  26 Berggrav, Eivind  277 Bezzel, Otto  248 Bialas, Wolfgang  265 Bickel, Ernst  158 Bieber, Adam  168–170, 179 Bieber, Willi  169 Bodelschwingh, Friedrich von  51 f., 117 Bogdahn, Martin  226 f. Bogner, Wilhelm  104, 142 Bonhoeffer, Dietrich  25, 31, 270, 276 Bormann, Martin  47, 59, 139 Braun, Hannelore  227 Braune, Paul Gerhard  132 Breit, Thomas  104, 108 Brenner, Walter  169

Broszat, Martin  181 Brunstädt, Friedrich  156 Clairvaux, Bernhard von  275 Cölle, Georg  122 f. Conti, Dr. Leonardo  131 Cornelißen, Christoph  208 Darwin, Charles  21 Daumiller, Oskar  104 f., 197, 200 Dehn, Günther  124 Delekat, Friedrich  124 Depuhl, Alfred  126 Dibelius, Martin  117 Dibelius, Otto  22, 212 Dietzfelbinger, Hermann  211 f., 225 f. Dippold, Hans  174–176 Doehring, Bruno  22, 27 Doerfler, Theodor  110 Doering-Manteuffel, Anselm  24 Eckardt, August  198 Ehlert, Werner  24 Eichhorn, Wilhelm  191 Eidem, Erling  272–275, 278 f. Elert, Werner  74, 76, 91, 113, 264 Epp, Franz Ritter von  131, 160 Eppelein, Friedrich  110, 171 Ermann, Karl  198 Falter, Jürgen W.  27 Faulhaber, Kardinal Michael von  193, 194 Fischer, Fritz  22

284 Fischer, Helmut  215 f. Fleisch, Paul  117 Flex, Walter  26 Frei, Norbert  218 Freud, Sigmund  21, 26 Frick, Wilhelm  131, 133 Frör, Kurt  76 f., 79, 81, 93 Fry, Franklin Clark  272, 278 Fürst, Walter  78 Gailus, Manfred  183, 266 Galen, Clemens August Graf von  62, 132, 139 f. Geigl, Peter  168 Gerstenmaier, Eugen  146 Goebbels, Josef  139, 141 Goerdeler, Carl-Friederich  146 Gogarten, Friedrich  24, 26, 78 Goldhagen, Daniel  225 Goldhahn, Maike  178, 179. Göring, Hermann  171 f., 180 Graf, Friedrich Wilhelm  24 Greif, Thomas  180 Greifenstein, Hans  81, 105, 113 Greschat, Martin  242 Grießbach, Wilhelm  192 Grüber, Heinrich  125 Gurland, Rudolf  126 Gürtner, Franz  112 Haacker, Klaus  250 Hager, Angela  223 Hahn, Hugo  124 Hamann, Johann Georg  156 Hamm, Berndt  241, 248–250, 266 Hanemann, Friedrich  105 f., 109 Hartenstein, Karl  128 Heckel, Johannes  53, 108, 110 Heim, Karl  26 Hengstenberg, Wilhelm  86 Herman, Steward  275 Hermle, Siegfried  246 Heuss, Theodor  212 Heydrich, Reinhard  47

Register Hildmann, Gerhard  200 Hildmann, Walther  78 Hindenburg, Paul von  23 Hirsch, Emanuel  22, 24, 27 Hitler, Adolf  19, 27 f., 30, 32, 34, 43, 46 f., 49–52, 54, 56, 58, 72, 84, 88, 101 f., 106 f., 112, 121, 123, 129 f., 133 – 136, 138 f., 157 f., 257 f., 264, 266–268, 273, 276 – 278 Höchstädter, Emil  86 Höchstädter, Walter  84–87, 91 Hoegner, Wilhelm  212 Hoffer, Margarete  124 Hofmann, Friedrich  103, 108, 116, 125 Holl, Karl  25. Hossenfelder, Joachim  52 Huber, Ernst Rudolf  44 Ihmels, Carl  273 Ittameier, Ernst  157 Jäger, August  43, 52 f., 54 Jahn, Julius von  255 Jahreis, Johann  166 Jakob, Christian  166 f. Jan, Julius von  124 Jenninger, Philipp  225 Jesus  30 Jordan, Hans Werner  125, 127 Jutzler, Konrad  250 Kantzenbach, Friedrich Wilhelm  219 Kästner, Erich  26 Kellenbach, Katharina von  202 Kellermann, Bernhard  26 Kemmel, Paul  181 Kern, Georg  163 Kern, Helmut  76, 79, 89, 100, 102, 107, 113 Kerrl, Hanns  56 f., 60, 122, 131 f., 139 Keupp, Ernst  158 Klein, Fritz  112 Kleist-Schmenzin, Ewald von  27 Klepper, Jochen  26

Register Klingler, Friedrich  76, 100, 107 f., 110 f. Kolitz, Anna  158 Koselleck, Reinhard  229 Krause, Dr. Reinhold  159 Krawielitzky, Theophil  158 Künneth, Walter  32, 33, 76, 81, 191, 193 Künstler, Karl  167 Lammers, Hans Heinrich  130 f., 133, 138 Lang, Maria  169 Langenfaß, Friedrich  100, 107–109, 200, 214 Lauerer, Hans  76, 109 Leffler, Siegfried  79, 264 Lempp, Albert  86, 91, 93 Leo, Paul  126 Leutheuser, Julius  264 Leweck, Ernst  127 Lilje, Hanns  32, 275 Link, Christoph  241, 249 f. Lipffert, Ernst  127 Ludendorff, Erich  23 Lund-Quist, Carl E.  212 Luther, Martin  50, 73, 79, 114, 117, 229, 256, 260 Mann, Thomas  26 Marahrens, August  13 f., 34, 52, 55, 116, 118, 121–126, 129–131, 133–135, 137 f., 141, 143–145, 269, 272, 275 Meier, Christian  166 Meier, Helmut  167 Meier, Willi  168 Meinzolt, Hans  100, 102, 104, 106, 174, 249 Meiser, Hans  11–14, 42, 50, 52, 54–61, 64, 71, 76, 79–83, 86, 92–94, 99– 119, 121 f., 124 f., 127, 131, 133 f., 137 f., 141, 144–146, 158, 160, 162, 172, 175, 179 f., 189 f., 192–199, 201 f., 205–207, 209–232, 241–251, 254–260, 263–270, 272–278

285

Mensing, Björn  74, 181, 241, 249 f. Merz, Georg  213 Meyer-Erlach, Wolf  79–81, 91, 264 f. Michelfelder, Sylvester C.  272 Mitscherlich, Alexander und Margarete  207 Moltke, Helmuth James Graf von  146 Mommsen, Wolfgang J.  21 Muhs, Hermann  139 Müller, Ludwig  51 f., 111, 117, 158, 159, 192 Münchenbach, Siegfried  219 Murr, Wilhelm  133, 145 Mussolini, Benito  32 Mutschmann, Martin  141 Neuhäusler, Johannes  200 Neunhöffer, Rudolf  82 Nicolaisen, Carsten  227 Niederstraßer, Wolfgang  93, 248 Niemöller, Martin  31, 121, 210 Nobiling, Siegfried  29, 30 Nora, Pierre  206 Nowak, Kurt  24 Oehlert, Gustav  126 Oelke, Harry  241 Ohrenstein, Aaron  200 Pechmann, Wilhelm Frhr. von  45, 84 f., 219 Piper, Ernst  32 Praun, Friedrich von  193 Pressel, Wilhelm  146 Preuß, Hans  74 Putz, Eduard  72–76, 79, 81, 87 f., 103, 109, 248 Rabinbach, Anson  265 Reagan, Ronald  225 Recki, Kazimierz  168 Reemtsma, Jan Philipp  225 Rendtorff, Heinrich  27 Ribbentrop, Joachim von  139

286

Register

Riedelbauch, Hermann  191 Rosenberg, Alfred  32, 33, 74, 191, 158 Sammetreuther, Julius  91, 108 Sasse, Hermann  84 Sauerteig, Max  172 Scharf, Kurt  179, 180 Schemm, Hans  105, 107, 110, 112, 175 Schieder, Julius  106, 175, 192, 213, 218 Schirmer, Herbert  155–159, 161–163, 178 f. Schlatter, Adolf  26 Schmidt, Waldemar  248 Schmitz, Elisabeth  34 Schneider, Reinhold  26 Schoeffel, Simon  117 Scholder, Klaus  25, 43, 47, 64 Schreiner, Helmuth  32 Schüller, Nora  199 Schwannecke, Otto  126 Schweizer, Carl Günther  127 f. Seeberg, Reinhold  22–24, 26 Seggel, Friedrich  85 Seidel, Heinrich  26 Siebert, Ludwig  112 Simon, Matthias  90 Söhlmann, Fritz  32 Someschan, Margarete  168 Sommerlath, Ernst  273 Sörensen, Emil  190, 191 Sörgel, Herbert  179 Sproll, Joannes Baptista  121 Stählin, Wilhelm  105 Stange, Carl  276 Stapel, Wilhelm  24 Stauffer, Ethelbert  264 Steinbauer, Karl  78, 84, 92, 118, 176, 248 Steinmetz, Julius  127

Stephan(us), Hl.  198 Stewart, Herman  270 Stoecker, Adolf  242, 256 Streicher, Julius  171 f., 174 f., 180 Sylten, Werner  127 Tal, Uriel  266 f. Thielicke, Helmut  124, 146 Thierack, Otto  140 Töllner, Axel  78, 242, 244, 246 Tucholsky, Kurt  26 Ulmer, Friedrich  74, 76, 89 Unger, Sr. Erna  199 Veit, Friedrich  83 f., 88, 92, 99 f., 104, 106, 110, 249 Wagner, Karl Heinz  169 Wagner, Karl  165, 169, 179 Walser, Martin  225 Weber, Werner  44, 47 Wehler, Hans-Ulrich  22 Weigel, Martin  113 Wendehorst, Alfred  219 Werfel, Franz  26 Wessel, Ludwig  22 Wichern, Johann H.  256 Wiegel, Wilhelm  91 Wilm, Walter  27 Wimmer, Thomas  212, 214 Winnig, August  26 Wörner, Georg  127 Wurm, Theophil  13, 54, 56–58, 62, 116 f., 121 f., 124 f., 128–130, 132– 142, 144–147, 269 Zapf, Friedrich  169 Zimmermann, Wolf-Dieter  25 Zwanzger, Johannes  108, 125, 127

Register

287

Orte Afghanistan  224 Aha  161 Amerika  272, 275 Ansbach  100, 113, 163, 189, 172–174 Arcisstraße  216 Ardennen  196 Arzberg  90 Aufkirchen  173 Augsburg  79, 90, 104, 106, 142, 156, 190 Auschwitz  20, 201, 207, 232 Barmen  49 f., 55, 76, 99, 113, 138 Bayern  13, 27, 34, 122–127, 136, 141, 160 f., 169, 181, 199, 211–214, 217–220, 229 f., 254, 258 f. Bayreuth  101, 112, 248 Berlin  25–29, 32 f., 76, 104, 110, 124 f., 156, 160, 193, 251, 265 Bethel  131 Bitburg  225 Brandenburg  27 Buchenwald  201 Burghaslach  174 Chichester  277 Dachau  108, 116, 196, 200 f., 270 Dahlem  35 Dambach  173 Dänemark  276 Darmstadt  141 Deutschland  21, 31 f., 134, 193, 224, 257, 274–276 Dinkelsbühl  157, 173 f. Dresden  141 Elberfeld  138 England  128 Erlangen  11, 15, 61, 74, 76, 80, 84, 86, 89, 103, 113, 156, 191, 219 f., 223 Europa  258

Ezelheim  87 Feuchtwangen  174 Flossenbürg  165, 167–170, 179 Franken  73, 160, 171–176, 180, 212 f., 264 Freiburg  121 Freising  194 Friedrichsthal  179 Fürth  59, 109 Geilsheim  155–163, 178 f. Genf  272 Godesberg  268 f. Grafengehaig  112 Griechenland  169 Groß-Engsee  127 Groß-Rosen  201 Gunzenhausen  158 Hamburg  28 Hannover  14, 32, 34, 116–118, 122 f., 125 f., 136, 269, 272 Harthof  215 Harz  26 Heidelberg  124 Heidingsfeld  79 Hensoltshöhe  158 f., 178 Hesselberg  155, 171–176, 180 Hessen  124, 141 Hilpoltstein  173 Himmelkron  127 Hof  104 Höttingen  173 Israel  24 Jena  79, 265 Kulmbach  85, 105 Landsberg (am Lech)  198

288

Register

Langenargen  124 Leipzig  24, 273 Leitenberg  200 London  139 Lübeck  20, 27, 141 Lukow  168 Lund  272, 275 Malmedy  196 Mecklenburg  27, 35 Meiserstraße  227 Miesbach  82 Milbertshofen  215 Mistelgau  85 Mitteleuropa  19, 22 Moosburg  197 München  11, 15, 24, 72, 76, 86, 92 f., 99 f., 103–105, 108, 112, 116, 125, 127 f., 133, 136, 160, 174, 179, 191, 194, 197, 199 f., 212, 214–216, 227 f., 248, 278 f. Münster  139 Neuendettelsau  11, 15, 62, 76, 109 f., 114, 158, 171, 213 Niederschlesien  141 Nordbayern  199 Nördliner Ries  155 Nürnberg  19, 33, 76, 90, 99, 105–107, 114, 125, 127, 157, 169, 172, 175, 192, 195, 198, 199, 254, 258 Oslo  277 Österreich  124, 193 Partenkirchen  127 Pfalz  28 Potsdam  156 Preußen  23 Ravensburg  124 Rheinland  19

Riesengebirge  26 Rottenburg  121 Russland  168 Sachsen  123 f., 141 Sachsenhausen  121, 179 Salzburg  193, 279 Savoyen  85 Schaumburg-Lippe  20 Schweden  87, 91, 139, 144 Schweiz  91, 128, 144 Sondershausen  276 Sowjetunion  224 St. Gallen  128, 139 Stuttgart  128, 131, 136, 145 f., 194, 244, 275, 279 Thüringen  28, 35, 79, 141, 169 Treysa  275 Tschechische Republik  165 Tübingen  25, 109, 128 Tutzing  200, 225 Uffenheim  191 Unterschwaningen  173 Uppsala  255, 272, 274–277 Versailles  19, 30, 31 Vézelay  275 Wassertrüdingen  157, 171, 173 Weiden  166 Weimar  25, 28, 257 Weißenburg  173, 181 Westdeutschland  212, 218, 221 Wittelshofen  173 Württemberg  13, 34, 54, 116, 122, 124–126, 128, 131, 135 f., 139, 143, 269 Würzburg  117 Wustermark  127