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German Pages 304 Year 2021
Die Zukunft der Erinnerung
Die Zukunft der Erinnerung Perspektiven des Gedenkens an die Verbrechen des Nationalsozialismus und die Shoah Herausgegeben von Christian Wiese, Stefan Vogt, Doron Kiesel und Gury Schneider-Ludorff
ISBN 978-3-11-071056-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-071060-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-071063-2 Library of Congress control Number: 2021943941
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Inhaltsverzeichnis Christian Wiese, Stefan Vogt, Doron Kiesel und Gury Schneider-Ludorff Einleitung: Die Zukunft der Erinnerung 1
Novemberpogrom und Erinnerung Alan E. Steinweis Kristallnacht and the Reversibility of Progress 21
Erinnerungspolitik und Erinnerungskulturen in Deutschland Tobias Freimüller Aufarbeitung, Erinnerung, Gedenken: Die NS-Vergangenheit und die deutsche Gesellschaft 33 Samuel Salzborn Erinnerung und Abwehr 55 Jenny Wüstenberg Remembering the Shoah “From the Ground Up”: Civil Society Engagement in German and Transnational Memory 71 Aleida Assmann Jüdisches Unbehagen an der deutschen Erinnerungskultur 93
Erinnerung aus jüdischer Perspektive Micha Brumlik Erinnerung und Menschenwürde im Zeitalter der Globalisierung 107 Yael Kupferberg „Erinnern“ und „Eingedenken“ als jüdische Praxis 119 Martina Steer Jüdisches Gedächtnis ohne Juden? Die Erinnerung an Moses Mendelssohn nach 1945 133
VI Inhaltsverzeichnis
Erinnerung an die Shoah in Israel Natan Sznaider Zivia Lubetkin und Hannah Arendt: Die Beschreibungen des Holocaust in Israel 157 Jackie Feldman and Norma Musih Israeli Memory of the Shoah in a Digital Age: Is it Still “Collective”? 177
Erinnerung in der Praxis Mirjam Wenzel Zur Bedeutung des Ortes von und für Jüdische Museen 195 Lea Wohl von Haselberg Das Verschwinden der Zeitzeugen und neue Formen der Erinnerung: Perspektiven der dritten Generation im Dokumentarfilm 215 Volkhard Knigge KZ-Gedenkstättenarbeit nach der Zeitgenossenschaft: Herausforderungen und Auswege 237
Memory Studies und die Zukunft der Erinnerung Memory Studies and the Future of Memory A Conversation between Astrid Erll and Jeffrey K. Olick 253
Anhang Bibliografie 271 Autorinnen und Autoren, Herausgeberinnen und Herausgeber 287 Personenregister 295
Christian Wiese, Stefan Vogt, Doron Kiesel und Gury Schneider-Ludorff
Einleitung: Die Zukunft der Erinnerung Hat das Erinnern an den Nationalsozialismus und an die Shoah eine Zukunft? Welches sind die Voraussetzungen dafür, dass es eine Zukunft hat? Wie kann diese Zukunft aussehen? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Forschungen zur Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik in Deutschland und mit Bezug auf Deutschland schon seit vielen Jahren.1 In der jüngsten Zeit haben diese Fragen jedoch an Dringlichkeit gewonnen. Grund dafür sind eine Reihe von gleichzeitig stattfindenden Entwicklungen. Am offensichtlichsten ist hier der wachsende zeitliche Abstand: Die Befreiung von Auschwitz und das Ende des Nationalsozialismus liegen inzwischen mehr als 75 Jahre zurück. Vielfach beschrieben wurde in diesem Zusammenhang das „Verschwinden der Zeitzeugen“, also der Umstand, dass von den unmittelbaren Opfern der Verfolgung durch den Nationalsozialismus und den Überlebenden der Shoah inzwischen kaum noch jemand unter uns ist, ebenso wenig wie von den direkten Täterinnen und Tätern, zu denen hier auch ganz bewusst die sogenannten Zuschauerinnen und Zuschauer gezählt werden sollen. Wohl noch wichtiger sind nachhaltige Veränderungen der Gesellschaften, in denen die Erinnerung stattfindet (oder auch nicht). Die Diversifizierung gerade auch der deutschen Gesellschaft vor allem durch Migration ist hier nur ein – wenn auch ein wesentlicher – Aspekt. Dazu kommen politische Veränderungen durch das Ende des Kalten Krieges, durch neue Konflikte in vielen Teilen der Welt, durch Prozesse der Globalisierung und durch soziale Verwerfungen im Zeichen sich weltweit, aber nicht zuletzt auch in Deutschland verschärfender Klassengegensätze. Hierzulande spielen auch die Verschiebungen in der staatlichen Erinnerungspolitik eine wichtige Rolle, durch die das Erinnern an den Nationalsozia1 Beredtes Zeugnis dafür legt eine Vielzahl von Publikationen ab, die in den vergangenen Jahren unter demselben oder ähnlichen Titeln erschienen sind. Vgl. z. B. Gideon Reuveni/Diana Franklin (Hrsg.), The Future of the German-Jewish Past. Memory and the Question of Antisemitism, West Lafayette 2021; Geoffrey H. Hartmann/Aleida Assmann, Die Zukunft der Erinnerung und der Holocaust, Konstanz 2012; Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hrsg.), Die Zukunft der Erinnerung. Dachauer Hefte 25 (2009); Manfred Geiger (Hrsg.), Die Zukunft der Erinnerung. Eine Wolfsburger Tagung, Wolfsburg 2008; Helmut König, Die Zukunft der Vergangenheit. Der Nationalsozialismus im politischen Bewußtsein der Bundesrepublik, Frankfurt am Main 2003; Gerd Wiegel, Die Zukunft der Vergangenheit. Konservativer Geschichtsdiskurs und kulturelle Hegemonie – vom Historikerstreit zur Walser-Bubis-Debatte, Köln 2001; Berel Lang, The Future of the Holocaust, Ithaca 1999. https://doi.org/10.1515/9783110710601-001
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lismus und an die Shoah einerseits zu einem zentralen Element des nationalen Selbstbildes erhoben wurde, gerade dadurch aber andererseits aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein immer mehr zu verschwinden scheint. Nicht erst seit der öffentlichen Debatte über die Friedenspreis-Rede Martin Walsers im Jahre 1998, in der die kollektive gesellschaftliche Sehnsucht nach einer Befreiung von der Bedrängnis erinnernder Reflexion über die Shoah exemplarisch zum Ausdruck kam,2 ist unübersehbar, wie vieldeutig und schwierig gerade die formalisierten Formen der Erinnerung in der deutschen Gesellschaft sind – eine ständige Gratwanderung zwischen ernsthaftem Gedenken, leerem Ritual, Domestizierung des Bedrängenden aus der Vergangenheit und der Hoffnung auf Entlastung. Es scheint zunehmend schwierig, auf gesellschaftlicher, politischer und persönlicher Ebene das „Primärgefühl der Fassungslosigkeit“ zu bewahren, das Saul Friedländer in seinen historischen Reflexionen zum Kriterium einer angemessenen Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft und des Völkermords erhebt.3 Ein weiterer Faktor sind die medialen Veränderungen, insbesondere im Zeichen der sich ständig erneuernden digitalen Technologien, die sowohl die Formen des Erinnerns beeinflussen als auch das kulturelle Umfeld, in dem das Erinnern stattfindet, vor allem aber die Wahrnehmungsstrukturen auf Seiten der Erinnernden selbst. Schließlich, und dies ist möglicherweise der am schwersten wiegende Aspekt, verändert sich das politische Klima in Deutschland und in vielen anderen Ländern derzeit nachhaltig. Im Zuge rechtspopulistischer und nationalistischer Mobilisierungen gewinnen rassistische und antisemitische, und damit auch geschichtsrevisionistische Vorstellungen massiv an Boden, und das nicht nur an den Rändern der Gesellschaft. Die Erinnerung an den Nationalsozialismus und an die Shoah steht angesichts all dieser Entwicklungen heute wohl vor den größten Herausforderungen seit Jahrzehnten. Schon vor 20 Jahren hat der amerikanische Historiker Jay Winter von einem „Memory-Boom“ gesprochen, der sich in der Geschichtswissenschaft ausgebreitet habe.4 Diese Feststellung lässt sich auch auf andere Disziplinen ausdehnen, 2 Vgl. Frank Schirrmacher (Hrsg.), Die Walser-Bubis-Debatte. Eine Dokumentation, Frankfurt am Main 1999. 3 Saul Friedländer, „Das Primärgefühl der Fassungslosigkeit bewahren“. Saul Friedländer im Gespräch, in: Saul Friedländer, Den Holocaust beschreiben. Auf dem Weg zu einer integrierten Geschichte, Göttingen 2007, S. 96–120. 4 Jay Winter, Die Generation der Erinnerung. Reflexionen über den „Memory-Boom“ in der zeithistorischen Forschung, in: WerkstattGeschichte 30 (2001), S. 5–16. Martin Sabrow, Ralph Jessen und Klaus Große Kracht haben in ähnlichem Sinn einen „public turn“ in der Geschichtswissenschaft konstatiert. Martin Sabrow/Ralph Jessen/Klaus Große Kracht, Einleitung. Zeitgeschichte als Streitgeschichte, in: dies. (Hrsg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kon-
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die sich mit dem Thema Erinnerung beschäftigen. Tatsächlich ist die Forschung zur Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik in Deutschland (ebenso wie in anderen Ländern) kaum mehr überschaubar. Auch wenn immer wieder die Befürchtung geäußert wurde, dass es sich hierbei um eine Modeerscheinung handeln könnte, so bedeutet es doch vor allem, dass die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften hervorragend darauf vorbereitet sind, sich auch mit den skizzierten Herausforderungen für die Zukunft der Erinnerung auseinanderzusetzen. Es würde den Rahmen dieser Einleitung sprengen, einen Überblick über die Entwicklung dieser Forschung zu geben, selbst wenn man sich auf die letzten 20 Jahre beschränken würde.5 Stattdessen sollen drei für das Thema des Bandes besonders wichtige Tendenzen kurz beleuchtet werden: Erstens die Neubestimmung des Verhältnisses von kulturellem und kommunikativem Gedächtnis und insbesondere die Betonung des privaten Raums und der Familie als Instanzen auch des kulturellen Gedächtnisses; zweitens, und damit zusammenhängend, die Auseinandersetzung um Versuche in der öffentlichen, aber auch in der wissenschaftlichen Debatte, „positive“ Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus zu rehabilitieren; und drittens die Debatte um eine transnationale bzw. multidirektionale Erinnerung. Die Unterscheidung zwischen dem „kommunikativen“ und dem „kulturellen Gedächtnis“, die zumindest im deutschsprachigen Raum die bis heute einflussreichsten Kategorien der Erinnerungsforschung sind, geht bekanntlich auf die Kulturwissenschaftler*innen Jan und Aleida Assmann zurück.6 Während sich das kommunikative Gedächtnis im unmittelbaren Austausch der Erinnern-
troversen seit 1945, München 2003, S. 9–18, hier S. 15. Maßgeblich befördert wurde dieser Boom durch die Publikation des mehrbändigen Werkes „Les lieux de mémoire“ durch den französischen Historiker Pierre Nora. Vgl. Pierre Nora (Hrsg.), Les lieux de mémoire, 3 Bde., Paris 1984–1992. 5 Gute Überblicke über die jüngere Forschungsentwicklung bieten u. a. Astrid Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung, 3. aktual. u. erw. Aufl., Stuttgart 2017, insbes. S. 11–34; Anamaria Dutceac Segesten/Jenny Wüstenberg, Memory Studies. The State of the Field, in: Memory Studies 10 (2017), S. 474–489; Edgar Wolfrum, Erinnerungskultur und Geschichtspolitik als Forschungsfelder. Konzepte – Methoden – Themen, in: Jan Scheunemann (Hrsg.), Reformation und Bauernkrieg. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik im geteilten Deutschland, Leipzig 2010, S. 13–47; Malte Thießen, Gedächtnisgeschichte. Neue Forschung zur Entstehung und Tradierung von Erinnerung, in: Archiv für Sozialgeschichte 48 (2008), S. 607–634. 6 Grundlegend: Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992. Weitere wegweisende Veröffentlichungen sind u. a. Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999; Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006.
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den untereinander und mit Zeitzeug*innen bildet, also einen direkten biografischen Bezug zum Gegenstand des Erinnerns hat und dabei wenig bis gar nicht formalisiert ist, handelt es sich beim kulturellen Gedächtnis um gefestigte, rituell geformte und zumeist an Institutionen gebundene Formen des Erinnerns, die sich teilweise auf weit zurückliegende Ereignisse beziehen, jedenfalls aber keinen unmittelbaren Erfahrungsbezug dazu haben. Nach dem ursprünglichen Model der Assmanns ist dieses zweite Register des kollektiven Gedächtnisses für die Konstruktion gesellschaftlicher und nationaler Identitäten entscheidend. Hier hat nun die neuere Forschung, gerade auch in Bezug auf die Erinnerung an den Nationalsozialismus und an die Shoah, ein differenzierteres Bild entwickelt. Demnach spielen Formen des kommunikativen Gedächtnisses eine weitaus größere Rolle für die Entwicklung nationaler Erinnerungskulturen als dies zuvor angenommen wurde. Insbesondere in Familien und anderen privaten Erinnerungsgemeinschaften bildet sich ein kollektives Gedächtnis, und dies kann durchaus auch über mehrere Generationen tradiert werden, selbst dann, wenn es keine direkten Zeitzeug*innen mehr gibt.7 Auch auf lokaler Ebene wurden und werden entscheidende Weichen für die Ausgestaltung und die politische Orientierung der nationalen Erinnerungskultur gestellt, wodurch die klare Trennung zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis infrage gestellt wird.8 Damit eröffnen sich eine Vielzahl neuer Perspektiven für eine Erinnerungsforschung, die sich nicht auf die Analyse der offiziellen Gedenkpolitik beschränkt und damit auch der Tendenz zur Memorialisierung der Erinnerung an Nationalsozialismus und Shoah etwas entgegensetzen kann. Eine solche Erweiterung ermöglicht es auch, neue affirmative Tendenzen in der Erinnerungskultur aufzuspüren und zu analysieren, die sich häufig auf derselben Ebene bewegen. Wegweisend hierfür war die Studie Opa war kein Nazi, die im Jahr 2002 vorgelegt wurde und die Ergebnisse des von Harald Welzer geleiteten Forschungsprojekts „Tradierung von Geschichtsbewusstsein“ präsen7 Vgl. dazu u. a. Elisabeth Domansky/Harald Welzer (Hrsg.), Eine offene Geschichte. Zur kommunikativen Tradierung der nationalsozialistischen Vergangenheit, Tübingen 1999; Harald Welzer (Hrsg.), Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung, Hamburg 2001; Harald Welzer, Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung, München 2002; Sabine Moller, Vielfache Vergangenheit. Öffentliche Erinnerungskulturen und Familienerinnerungen an die NS-Zeit in Ostdeutschland, Tübingen 2003; Margit Reiter, Die Generation danach. Der Nationalsozialismus im Familiengedächtnis, Innsbruck 2006; Harald Welzer (Hrsg.), Der Krieg der Erinnerung. Holocaust, Kollaboration und Widerstand im europäischen Gedächtnis, Frankfurt am Main 2007. 8 Vgl. z. B. Habbo Knoch (Hrsg.), Das Erbe der Provinz. Heimatkultur und Geschichtspolitik nach 1945, Göttingen 2001; Dietmar Süß (Hrsg.), Deutschland im Luftkrieg. Geschichte und Erinnerung, München 2007; Malte Thießen, Eingebrannt ins Gedächtnis. Hamburgs Gedenken an Luftkrieg und Kriegsende 1943 bis 2005, München 2007.
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tierte.9 Welzer und seine Mitautorinnen zeigten darin nicht nur, dass die familiäre Erinnerung an den Nationalsozialismus von den nachfolgenden Generationen aktiv mitgestaltet und gedeutet wurde, sondern dass dies in vielen Fällen auch mit einer Entlastung, Idealisierung oder gar Parallelisierung der Täter- mit der Opfererfahrung verbunden war, und dass teilweise selbst rassistische und antisemitische Stereotype von „den Russen“ oder „den Juden“ generationsübergreifend tradiert werden. Ein wichtiger und nicht weniger besorgniserregender allgemeiner Befund der Studie ist es, dass emotionale Vorstellungen über die Vergangenheit mindestens genauso großen Einfluss auf die Erinnerungskultur haben wie das in Schule, Universität oder politischer Bildung erlernte Geschichtswissen und dieses auch durchaus überlagern können. Diese weit reichenden Schlussfolgerungen stießen auch auf Kritik,10 aber sie korrespondieren doch mit den gerade in den 2000er-Jahren florierenden Diskursen über deutsche Opfer des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs und mit den Befunden der jüngeren Forschung zu den lokalen Erinnerungskulturen.11 Sie zeigen jedenfalls, dass von einer kritischen „Aufarbeitung“ oder gar „Bewältigung“ der nationalsozialistischen Vergangenheit zumindest auf privater und gesellschaftlicher Ebene gerade auch dann nicht gesprochen werden kann, wenn diese zur Staatsraison und zum nationalen Alleinstellungsmerkmal erhoben wird. Dabei stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch so etwas wie eine nationale Erinnerungskultur geben kann. Gerade im deutschen Fall ist diese Frage von erheblicher Brisanz, da sie einerseits die mühselig erkämpfte Einsicht in die Singularität des von den Deutschen während des Nationalsozialismus verübten Verbrechens an den Jüdinnen und Juden infrage zu stellen scheint, und andererseits zeigt, dass auch im Kontext von Erinnerungspolitik und Erinnerungskultur die Einsicht schwer fällt, dass Deutschland ein Einwanderungsland mit einer kulturell höchst heterogenen Gesellschaft ist. In der erinnerungskulturellen Forschung schließen sich daran zwei miteinander verknüpfte Debatten 9 Harald Welzer/Sabine Moller/Karoline Tschuggnall, „Opa war kein Nazi“. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt am Main 2002. Vgl. auch schon Harald Welzer/Robert Montau/Christine Plaß, „Was wir für böse Menschen sind!“ Der Nationalsozialismus im Gespräch zwischen den Generationen, Tübingen 1997. 10 Vgl. z. B. Alexander von Plato, Wo sind die ungläubigen Kinder geblieben? Kritik einiger Thesen des Projekts „Tradierung von Geschichtsbewusstsein“, in: WerkstattGeschichte 30 (2001), S. 64–68. 11 Vgl. u. a. Bill Niven (Hrsg.), Germans as Victims. Remembering the Past in Contemporary Germany, Houndmills 2006; Helmut Schmitz (Hrsg.), A Nation of Victims? Representations of Wartime Suffering from 1945 to the Present, Amsterdam 2007; Stuart Taberner (Hrsg.), Germans as Victims in the Literary Fiction of the Berlin Republic, Rochester 2009; sowie die in Anm. 8 zitierte Literatur.
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an. In der einen geht es um die Universalisierbarkeit und die tatsächliche Globalisierung der Erinnerung an die Shoah.12 Inwiefern kann oder muss sogar diese Erinnerung in Zeiten globaler Migration und Kommunikation eine transnationale sein, die selbst in denjenigen Gesellschaft und Gesellschaftsteilen Relevanz besitzt, die nicht unmittelbar mit dem Nationalsozialismus und der Shoah in Berührung gekommen sind? Inwiefern kann es, darf es oder muss es so etwas wie eine Universalisierung der Erinnerung geben? Auch in diesem Band werden darauf unterschiedliche Antworten gegeben. Umgekehrt muss auch innerhalb Deutschlands die Bedeutung dieser Erinnerung neu bestimmt werden. In den letzten Jahren haben eine Reihe von Studien die Rolle von Nationalsozialismus und Shoah für das Geschichtsbewusstsein und das Selbstverständnis von Migrant*innen und deren Nachfahren untersucht.13 Die Befürchtung, dass in einer Einwanderungsgesellschaft die Erinnerung an Nationalsozialismus und Shoah verblassen müsse oder von anderen Erinnerungen, etwa an die Verbrechen des Kolonialismus, überlagert und verdrängt würde, wurde darin nur teilweise bestätigt. Tatsächlich scheinen sich auch neue Anknüpfungspunkte zu ergeben, mit denen die Erinnerung an Nationalsozialismus und Shoah lebendig gehalten werden kann. Dies leitet direkt über zur zweiten Debatte, in der es darum geht, ob es eine „multidirektionale Erinnerung“ geben kann, die verschiedene Erfahrungen zusammenführt, ohne sie gleichzusetzen oder gegeneinander auszuspielen. Michael Rothberg hat in seiner viel diskutierten gleichnamigen Studie eine Reihe von historischen Beispielen analysiert, in denen sich die Erinnerung an die Shoah und die Erinnerung an den Kolonialismus tatsächlich gegenseitig bestärkt und inspiriert haben, und daraus die These abgeleitet, dass dies auch in der Gegenwart und Zukunft möglich sei.14 Ob dies so ist, bleibt abzuwarten. 12 Vgl. z. B. Daniel Levy/Natan Sznaider, Erinnerung im globalen Zeitalter. Der Holocaust, akt. Neuausg., Frankfurt am Main 2007; Jan Eckel/Claudia Moisel (Hrsg.), Universalisierung des Holocaust? Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in internationaler Perspektive, Göttingen 2008; Jacob S. Eder/Philipp Gassert/Alan E. Steinweis (Hrsg.), Holocaust Memory in a Globalizing World, Göttingen 2017; Marco Thomas Bosshard/Iulia-Karin Patrut (Hrsg.), Globalisierte Erinnerungskultur. Darstellung von Nationalsozialismus, Holocaust und Exil in peripheren Literaturen, Bielefeld 2020. 13 Vgl. z. B. Viola B. Georgi, Entliehene Erinnerung. Geschichtsbilder junger Migranten in Deutschland, Hamburg 2003; Nora Sternfeld, Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung. Transnationales Lernen über den Holocaust in der postnazistischen Migrationsgesellschaft, Wien 2013; Volkhard Knigge/Sybille Steinbacher (Hrsg.), Geschichte von gestern für Deutsche von morgen? Die Erfahrung des Nationalsozialismus und historisch-politisches Lernen in der (Post-)Migrationsgesellschaft, Göttingen 2019. 14 Michael Rothberg, Multirdirectional Memory. Remembering the Holocaust in the Age of Decolonization, Stanford 2009. Vgl. auch Bryan Cheyette, Diasporas of the Mind. Jewish and Postcolonial Writing and the Nightmare of History, New Haven 2014. Für eine Kritik dieses
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Fest steht jedoch, dass sich die Forschung zu Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik diesen gesellschaftlichen Veränderungen stellen muss, wenn sie weiterhin relevante Ergebnisse hervorbringen möchte. Nicht immer genügend Augenmerk wird in dieser Debatte allerdings auf die Tatsache gelegt, dass das heutige Deutschland nicht nur ein Einwanderungsland ist, sondern dass es inzwischen auch wieder eine umfangreiche jüdische Gemeinschaft in Deutschland gibt, zu der neben vielen Immigrant*innen aus der ehemaligen Sowjetunion auch eine beträchtliche Zahl an Israelis gehören. Die Bedeutung dieser heterogenen Bevölkerungsgruppe für die Zukunft der Erinnerung ist bislang noch kaum zum Gegenstand der Forschung geworden.15 Die Notwendigkeit, Erinnerung als einen transnationalen und transkulturellen Prozess zu begreifen, wird hier besonders deutlich. Der vorliegende Band will gerade in dieser Hinsicht Anregungen bieten, indem er der Frage nach der jüdischen Erinnerung an Nationalsozialismus und Shoah besonders großen Raum gibt.
Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland Befragt nach dem Gefühl der Zugehörigkeit, dürften sich viele der hierzulande lebenden Jüdinnen und Juden in Deutschland als Teil der hiesigen Gesellschaft verorten.16 Vergleiche mit anderen europäischen Staaten wie Frankreich oder Ungarn lassen erkennen, dass sich die in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden nicht ernsthaft mit dem Gedanken tragen, aus der Bundesrepublik auszuwandern. Eigentlich eine erfreuliche Bestandsaufnahme im Jahre 76 nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Shoah. Und dennoch werden Risse in der Fassade des gemeinsamen deutsch-jüdischen Gebäudes sichtbar: Mit dem zunehmenden zeitlichen Abstand zum Nationalsozialismus und dem Verblassen Ansatzes vgl. Dan Diner, Gegenläufige Gedächtnisse. Über Geltung und Wirkung des Holocaust, Göttingen 2007; Steffen Klävers, Decolonizing Auschwitz. Komparativ-postkoloniale Ansätze in der Holocaustforschung, Berlin 2017. 15 Wichtige Ausnahmen sind: Haim Fireberg/Olaf Glöckner (Hrsg.), Being Jewish in 21st Century Germany, Berlin 2015; Dimitrij Belkin/Lara Hensch/Eva Lezzi (Hrsg.), Neues Judentum – alte Erinnerung? Zeiträume des Gedenkens, Berlin 2017. 16 Vgl. Eliezer Ben-Rafael/Yitzhak Sternberg/Olaf Glöckner, Juden und jüdische Bildung im heutigen Deutschland. Studie im Auftrag des L. A. Pincus Funds for Jewish Education in the Diaspora, o. O. 2010. Bislang gibt es nur wenige Studien zum subjektiven Erleben und Wahrnehmen von Antisemitismus. Die Umfrage des zweiten Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus des Deutschen Bundestages im Jahr 2017 konstatiert allerdings eine subjektiv empfundene Zunahme an Antisemitismus und ein steigendes Gefühl der Bedrohung.
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der Erinnerung nehmen Geschichtskonstruktionen, Verzerrungen oder Leugnungen der historischen Geschehnisse immer mehr zu. Subtile antisemitische Einstellungen werden überlagert durch zunehmend offen vorgetragene judenund israelfeindliche Positionen. In umliegenden europäischen Ländern gewinnen rechtspopulistische Parteien an Einfluss und in mehreren osteuropäischen Staaten geben nationalistische und unverhohlen antisemitisch argumentierende Regierungen die politische Richtung an. In Deutschland hat sich die Wählerschaft einer rechtspopulistischen, fremdenfeindlichen Partei auf circa zehn Prozent eingependelt und entspricht in ihrem Umfang somit der in Umfragen ermittelten Größenordnung völkisch-antisemitischer Einstellungen innerhalb der Bevölkerung. An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, die Entwicklung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland nach 1945 zu rekapitulieren. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Zivilisationsbruch der Shoah war es unvorstellbar, dass Jüdinnen und Juden jemals wieder in Deutschland leben würden. Nach ihrer Befreiung aus den Konzentrationslagern durch Truppen der alliierten Streitkräfte wurden die jüdischen Überlebenden auf mehrere DP-Camps verteilt, Auffanglager für sogenannte Displaced Persons, die auf dem Boden der westdeutschen Besatzungszonen errichtet worden waren. Sie sollten nur vorübergehend im Land der Täter verweilen, um dann in einen der sie aufnehmenden Staaten auszureisen. Die meisten von ihnen waren buchstäblich dem Tod entronnen, erschöpft, krank, von den Qualen in den Lagern gezeichnet und – nach allem, was sie selbst erlebt hatten oder mit ansehen mussten – schwer traumatisiert. Diese Auffanglager, die ihnen vorübergehend Schutz und die Ahnung eines Neuanfangs vermittelten, wurden in den 1950er Jahren wieder geschlossen, nachdem die meisten ihrer Bewohner ausgereist waren. Eine kleine Gruppe von circa 15.000 meist aus Osteuropa stammenden Überlebenden war jedoch aus vornehmlich verfolgungsbedingten, gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage oder willens, an einem dritten Ort einen Neuanfang zu wagen. Diese zumeist in den größeren Städten der jungen Bundesrepublik ansässigen jüdischen Überlebenden sollten den Grundstock der Nachkriegsgemeinden bilden. Sie lebten mitten unter den Tätern und führten ein Schattendasein in einer Gesellschaft, in der sie quantitativ keine relevante Größe repräsentierten und eigene Bewältigungsstrategien in einem ihnen unvertrauten und zum Teil feindlich gesinnten Umfeld entwickeln mussten. Zugleich wurden sie von jüdischen Organisationen heftig attackiert, weil sie sich in einem Land niedergelassen hatten, das weltweit wegen seiner Verbrechen diskreditiert und in der jüdischen Welt als Ort des Schreckens und des staatlich verfügten Terrors verrufen war. Die kleine jüdische Gemeinschaft wuchs bis Ende der 1980er Jahre auf rund 30.000 Mitglieder an. Die Kinder der Überlebenden wuchsen in einem Land
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auf, zu dem sie äußerst ambivalente Beziehungen entwickelten. Sie wussten um die traumatischen Erfahrungen ihrer Eltern, die ihnen nicht selten suggerierten, dass es für Jüdinnen und Juden in Deutschland keine Zukunft gäbe, obwohl sie selbst dageblieben waren. In dieser zweiten Generation wuchs zugleich die Erkenntnis, dass die politische Klasse der Bundesrepublik die Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Geschichte als herausragenden Aspekt der politischen Kultur verstand und das Ziel verfolgte, eine stabile liberale Demokratie im Rahmen verlässlicher politischer Strukturen zu etablieren. Die Bereitschaft, die Bundesrepublik als eigenen Lebensmittelpunkt zu akzeptieren und sich mit ihrem politischen System zu identifizieren, führte schließlich auch dazu, dass immer mehr jüdische Gemeinden aus ihrem Schattendasein an die Öffentlichkeit traten. Jüdische Gemeindezentren wurden ebenso gegründet wie jüdische Schulen und Kindergärten. Der Wiederaufbau von Synagogen, die Eröffnung jüdischer Museen und schließlich die Gründung der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg im Jahr 1979 waren sowohl Ausdruck des wieder erstarkenden Selbstbewusstseins der Mitglieder jüdischer Gemeinden als auch von deren Bereitschaft, an verschüttete jüdische Traditionen anzuknüpfen und sich an öffentlichen Debatten zu beteiligen. Die Perestroika und die anschließende Auflösung des Warschauer Paktes führten zu einer Massenauswanderung russischsprachiger Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion. Die meisten wanderten nach Israel aus. Rund 200.000 Jüdinnen und Juden entschieden sich, nach Deutschland zu immigrieren, nachdem die Bundesregierung ihr Interesse erklärte, jüdischen Einwander*innen aus den GUS-Staaten die Möglichkeit einzuräumen, sich in Deutschland niederzulassen. Über die Hälfte der Eingewanderten entschied sich für die Mitgliedschaft in einer der rund hundert bereits bestehenden oder neu gegründeten jüdischen Gemeinden. Mancherorts gründeten die Eingewanderten selbst neue jüdische Institutionen, insbesondere in den neuen Bundesländern. Mit der russischsprachigen jüdischen Zuwanderung verdreifachte sich die Zahl der Gemeindemitglieder in Deutschland innerhalb weniger Jahre. Die jüdische Stimme nahm an Bedeutung zu, und allen Prognosen und Warnungen zum Trotz wuchs die jüdische Gemeinschaft in Deutschland stark an und ist heute nach England und Frankreich die drittgrößte in Europa. Befragt nach ihrem Integrationsverlauf, betonen die meisten überwiegend jüngeren Einwander*innen – also die Angehörigen der zweiten Generation der russischsprachigen Jüdinnen und Juden –, dass sie ihre Zukunft in Deutschland mit seinen demokratischen Spielregeln sehen und sich aktiv am gesellschaftlichen Leben beteiligen möchten. Für viele, die in der Sowjetunion keine Möglichkeit hatten, ihr Judentum zu leben, war die jüdische Gemeinschaft in Deutschland eine Möglichkeit, einen Zugang zur jüdischen Identität zu finden. Viele von ihnen
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konnten sich nach Jahrzehnten aufgezwungener Identitätsverdrängung den Wunsch nach gemeinschaftlicher Zugehörigkeit und kultureller Anerkennung endlich erfüllen. Bis vor wenigen Jahren haben die meisten in der Bundesrepublik lebenden Jüdinnen und Juden keinen Zweifel daran gelassen, dass sie sich zwar als Minderheit, aber zugleich als Teil der politisch stabilen, demokratischen deutschen Gesellschaft sehen. Während in anderen europäischen Staaten antisemitische Stimmungen, politische Bewegungen oder Parteien auf wachsende Zustimmung stießen, schien Deutschland von diesem „Phänomen“ verschont zu bleiben. Vielleicht war das eine schützende und stabilisierende Wahrnehmung, die jüdische Menschen nach außen getragen haben, oder auch Ausdruck eines dualen Verständnisses: Antisemitismus auf der einen Seite, die formal geschichtsbewusste Gesellschaft auf der anderen. Die systematische historisch-politische Bildung zum Nationalsozialismus schien gefruchtet und das Land der Täter sich in ein Bollwerk der Demokratie verwandelt zu haben. Selbstverständlich wussten und wissen in Deutschland lebende Jüdinnen und Juden, wie dünn das Eis der Erkenntnis ist. Schon früh spürten sie, dass die offizielle Aufarbeitung des Nationalsozialismus und der Shoah keine Garantie für die vorurteilsfreie Haltung gegenüber Jüdinnen und Juden bietet. Der Antisemitismus war nach dem Ende des Nationalsozialismus nicht verschwunden. Nicht nur subtile Vorbehalte, auch tief verinnerlichte Aggressionen wie die Täter-Opfer-Umkehr prägten die Wahrnehmung der nichtjüdischen Mehrheit gegenüber Jüdinnen und Juden. Das äußerte sich immer wieder in öffentlichen Entgleisungen, offen oder anonym geäußerten Hetzreden, Schändungen jüdischer Grabsteine und sogar vereinzelten Übergriffen. Ebenso wurden in den Medien, an Schulen oder Hochschulen israelkritische Positionen vertreten, die nicht selten antisemitische Ressentiments transportieren. In Deutschland lebende Jüdinnen und Juden wurden hierbei für die politischen Verhältnisse im Nahen Osten verantwortlich gemacht, und die Verbrechen der Nationalsozialisten wurden dadurch relativiert, dass die Situation der Palästinenser entkontextualisiert und mit jener der Jüdinnen und Juden in Nazi-Deutschland gleichgestellt wurde. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass die Angriffe gegen Israel der Schuld- und Erinnerungsabwehr dienten und von einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem israelisch-arabischen Konflikt weit entfernt waren. Nichtsdestotrotz hatte sich das Verhältnis zwischen Angehörigen der jüdischen Gemeinschaft und den nichtjüdischen Deutschen in den vergangenen Jahrzehnten stabilisiert. Jüdische Intellektuelle, Schriftsteller*innen, Wissenschaftler*innen und Künstler*innen genießen ein hohes gesellschaftliches Ansehen und Wertschätzung, jüdische Institutionen erfahren einen hohen Grad an Aufmerksamkeit. Aber wie in all den Jahren davor lässt sich eine Gleichzeitig-
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keit beobachten: Während sich die gesellschaftlichen und kulturellen Beziehungen weiterentwickeln, kommt es immer wieder zu Bruchstellen, zu antisemitisch aufgeladenen öffentlichen Debatten – man denke an das Günter-GrassGedicht, die Beschneidungsdebatte oder an die antisemitischen Übergriffe an Schulen. Auch die öffentliche Reaktion auf den Gaza-Krieg 2014 war von hasserfüllten Attacken gegen Jüdinnen und Juden und Israel gekennzeichnet. Mit dem Auftauchen der rechtspopulistischen AfD in der politischen Landschaft auf der einen Seite und auf der anderen der Zuwanderung von über einer Million überwiegend muslimischer Geflüchteter, darunter solcher, die aus Staaten kommen, die sich mit Israel faktisch im Kriegszustand befinden, stellt sich für viele Jüdinnen und Juden die Frage, ob sie weiterhin davon ausgehen können, dass sie in diesem Land wirklich erwünscht sind. Erinnerungen werden wach und scheinbar überwunden geglaubte Ängste drängen sich wieder ins Bewusstsein.
Der gegenwärtige Antisemitismus Der gegenwärtige Antisemitismus ist eine „vertraute“ Projektionsfläche, ein Syndrom der Auf- und Abwertung, das auch in der Mitte der Gesellschaft tief verankert ist. Die im Antisemitismus fest eingeschriebenen Bilder und Mythen stellen den Kern antisemitischer Konstruktionen dar.17 Diese Bilder sind historisch überliefert und entstammen einer jahrhundertealten Tradition, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde und Juden als „Andere“ und „Fremde“ konstruiert. Was daraus resultiert, ist die Wahrnehmung des „Jüdischen“ als etwas, das immer noch auf dem binären Unterscheidungsprinzip zwischen Eigenem und Fremdem basiert und scheinbar unüberwindbare Gruppengrenzen festlegt. Die Phantasie von einem jüdischen Kollektiv lässt die Unterscheidung zwischen „uns“ und „den“ Juden kraftvoll nachwirken. Demnach werden Juden als ein in sich homogenes, monolithisches Kollektiv wahrgenommen und mit stereotypen Merkmalen – Eigenschaften, Verhaltensweisen, ja Absichten – belegt. Dabei geht es auch um eine affektbezogene und durch Vorurteile begründete Abneigung gegen alles „Jüdische“ als eine gruppenbezogene Aversion, die sich nur selten auf wirkliche Erfahrungen stützt und so gesehen ein überindividuelles, psychohistorisches Konzept darstellt. Diese Art der Wahrnehmung von Juden und Jüdischem – die sogenannte Idiosynkrasie – ist im kollektiven Bewusstsein von Großgruppen wie auch in einigen individuellen Ein17 Vgl. Doron Kiesel/Thomas Eppenstein (Hrsg.), „Du Jude“. Antisemitismusstudien und ihre pädagogischen Konsequenzen, Leipzig 2020.
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stellungskonzepten der Einzelnen fest verankert und existiert auch ohne jüdische Präsenz oder „jüdisches Verhalten“.18 Antisemitische Ressentiments bleiben über die Jahre stabil und sind in ihrem Gehalt außerordentlich konsistent. Sie wirken emotionsevozierend, stärken den Identitätserhalt und fördern gesellschaftliche Gruppenbildungsprozesse. Sie verfügen über eine stark legitimierende Macht und unterliegen einer besonderen Dynamik, welche die klassischen Motive übernimmt, aber gleichzeitig für neue Rationalisierungen, Projektionen und Verschiebungen anfällig bleibt. Solch diffuse und affektgeladene Ressentiments zeigen sich nicht immer offen oder beabsichtigt. Aber auch ein unbeabsichtigtes antisemitisches Sprechen kann antisemitisch konnotiert sein und eine verheerende Wirkung entfalten. Demgegenüber stehen manifeste – ideologisch geformte – Einstellungen, die eine bewusste Auffassung widerspiegeln und gezielt zum Ausdruck gebracht werden. Einstellungen müssen nicht zwingend zu Handlungen führen, aber die Gesinnung zieht fast immer die eine oder andere Artikulationsform nach sich. Antisemitische Ressentiments weisen gegenüber anderen gruppenbezogenen Ressentiments zudem Besonderheiten auf. Im Antisemitismus geht es vor allem um die Stereotypisierung der jüdischen „Gruppe“ und die Zuschreibung von Allmachtsphantasien. Außerdem wird sie mit gegensätzlichen Zuweisungen versehen: „arm“ oder „reich“, „elitär“ oder „minderwertig“, „kapitalistisch“ oder „kommunistisch“.19 Weitergehende Äußerungen antisemitischer Einstellungen können darüber hinaus Einfluss auf die Ebene der Handlungen nehmen und etwa in der direkten Forderung nach einer Benachteiligung von Jüdinnen und Juden und letztlich im Absprechen der Bürger- und Menschenrechte münden. Gehen solche Auffassungen in konkrete Handlungen über, handelt es sich um Formen eines gewalttätigen Antisemitismus, der sich in Angriffen auf Einrichtungen und Personen manifestiert und in seiner letzten Konsequenz zur systematischen Verfolgung und Ermordung führen kann. Wie sehen Jüdinnen und Juden das Problem des aktuellen Antisemitismus? Was sind ihre Wahrnehmungen, Einschätzungen und Bewältigungsstrategien in der alltäglichen Konfrontation mit Antisemitismus? Wo finden diese Konfrontationen statt und was bedeuten sie für das jüdische Leben in Deutschland vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Verfolgung und der damit verbun18 Stephan Bundschuh, Eine Pädagogik gegen Antisemitismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 31/2007, S. 32–38. 19 Vgl. Antisemitismus in Deutschland – aktuelle Entwicklungen. Zweiter Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus, hrsg. vom Bundesministerium des Innern, Berlin 2017, insb. S. 23–28, www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/ heimat-integration/expertenkreis-antisemitismus/expertenbericht-antisemitismus-in-deutschland.html, letzter Zugriff: 10. März 2021.
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denen Folgewirkungen? Dies kann sich beispielsweise so artikulieren: „Wenn man zugibt, jüdisch zu sein, verändert sich die Sicht der anderen Person […]. Also entweder wird man besser behandelt oder schlechter oder man wird skeptisch behandelt, aber irgendwas wird sich definitiv verändern, und das möchte ich nicht.“20 Antisemitismus zu erfahren, bedeutet nicht nur, mit Vorurteilen konfrontiert zu sein, sondern auch mit alltäglichen Aggressionen, Herabwürdigungen und Exotisierungen, die nicht nur vom Einzelnen unmittelbar, sondern auch indirekt über Familie, öffentliche Diskurse und antisemitische Vorfälle erlebt werden. Antisemitische Erfahrungen stehen in Deutschland genuin in einem engen Zusammenhang mit den Folgen der nationalsozialistischen Verfolgung und Ermordung der Juden in Europa. Traumatische (transgenerationale) Erfahrungen, die aufgrund ihres extremen Ausmaßes und der ausbleibenden Solidarität der nichtjüdischen Bevölkerung nicht verarbeitet werden konnten, bleiben nicht nur für direkt Betroffene, sondern auch für die nachfolgenden Generationen eine spürbare Belastung. Darüber hinaus ist der Antisemitismus nicht nur auf individueller Ebene in Form von direkten Abwertungen und Übergriffen virulent, sondern auch als Bestandteil gesellschaftlicher Strukturen. Das äußert sich in Diskursen, Debatten oder auch über normative Identitäts- und Rollenzuweisungen. Das bedeutet, dass der Antisemitismus auf der individuellen Ebene wirkt (z. B. in Form von direkten Abwertungen und Übergriffen) und gleichzeitig auf institutioneller, struktureller und diskursiver Ebene zu finden ist (z. B. als symbolische Diskriminierung durch Diskurse, in Form von Regelungen, die jüdisches Leben in Deutschland ignorieren oder erschweren).21 Dazu gehören die immer wieder aufkommenden Forderungen, die gesetzlich geregelte Beschneidung jüdischer Jungen zu untersagen oder das entsprechend der jüdischen Speisegesetze praktizierte Schächten von Tieren zu verbieten. Strukturelle Formen von Diskriminierung äußern sich nicht zuletzt auch in rechtlichen Fragen, der gewährten Sicherheit und dem gebotenen Schutz, die eine Minderheit erfährt.22 20 Marina Chernivsky, Interview mit Studierenden. Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus, in: Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e. V. (Hrsg.), Antisemitismus und Empowerment. Perspektiven, Ansätze und Projektideen, Frankfurt am Main 2015, S. 26–31. 21 Antisemitismus in Deutschland – aktuelle Entwicklungen, S. 91–115. 22 In einer repräsentativen Umfrage von 2006 verneinte noch ein Viertel der Befragten, dass Juden die gleichen Rechte wie die Mehrheitsgesellschaft haben sollten. Vgl. Werner Bergmann, Zur Entwicklung antisemitischer Einstellungen in der Bevölkerung. Vortrag zu Ergebnissen der Einstellungsforschung zum „Antisemitismus in Deutschland“. Expertenkreis Antisemitismus beim BMI, 15. Februar 2010; aktualisierte Fassung von Juni 2011, S. 6, bagkr.de/wp-content/ uploads/2018/07/bergmann_AS-in-Deutschland.pdf, letzter Zugriff: 10. März 2021.
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Vieles davon bleibt jedoch für die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft weitgehend unsichtbar. Der Umgang damit ist in der Gesellschaft immer noch mit Ambivalenzen verbunden und von Abwehr- sowie Distanzierungspraktiken geprägt. Die Thematisierung von Antisemitismus geht daher mit Abwehrmechanismen einher, und die Sicht der Betroffenen wird tendenziell ausgeblendet.23 Es gibt auch erstaunlich wenig Kenntnis darüber, wie jüdische Menschen den gegenwärtigen Antisemitismus wahrnehmen, erleben und bewältigen. Im deutschsprachigen Raum existiert eine Reihe aussagekräftiger empirischer Studien zu antisemitischen Einstellungen. Der überwiegende Teil von ihnen folgt jedoch kognitiven Ansätzen, das heißt, es werden vor allem Stereotype und verbalisierte Vorurteile untersucht, während emotionale Aspekte und die Zusammenhänge zwischen kognitiven und affektiven Anteilen antisemitischer Kommunikation und Praxis (noch) nicht ausreichend erforscht sind.24 Ähnlich sieht es bei der Erforschung der Betroffenenperspektive aus. Das Verständnis von Antisemitismus ist also maßgeblich durch die historische Perspektive und die Einstellungsforschung geprägt. Darin spielten die Erfahrungen derjenigen, die von Antisemitismus betroffen sind, eher eine untergeordnete Rolle. Ihre Differenzrealitäten, Perspektiven und Bedürfnisse werden nicht explizit gemacht und verbleiben bis heute häufig außerhalb der hiesigen Debatten um gesellschaftliche Ausgrenzung und Diskriminierung. Die vom zweiten Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus (UEA) in Auftrag gegebene Studie zu jüdischen Perspektiven auf Antisemitismus hat diese Leerstelle gefüllt.25 Befragt wurden mittels einer Onlinebefragung über 500 Personen zu ihren Erfahrungen mit sowie Deutungen von Antisemitismus, was durch eine weitere qualitative Untersuchung einen tiefen Einblick in ihre Wahrnehmungen, Belastungen und Bewältigungsstrategien ermöglicht. 76 Prozent der Befragten halten den Antisemitismus für ein eher bzw. sehr großes Problem, 78 Prozent meinen, der Antisemitismus habe in den letzten fünf Jahren etwas bzw. stark zugenommen. Die Spannbreite ihrer Erfahrungen reicht von subtilen 23 Antisemitismus in Deutschland – aktuelle Entwicklungen, S. 91–115. 24 Uffa Jensen/Stefanie Schüler-Springorum, Antisemitismus und Emotionen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 28–30/2014, S. 17–24. 25 Mit der Studie zu jüdischen Perspektiven auf Antisemitismus beauftragte der Unabhängige Expertenkreis das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Zick. Die qualitative Studie wurde von Prof. Dr. Julia Bernstein umgesetzt. Die Stichprobe umfasste eine Onlinebefragung und eine qualitative Befragung. Die Daten der Onlinebefragung basieren auf 553 vollständig ausgefüllten Fragebögen. Vgl. Antisemitismus in Deutschland – aktuelle Entwicklungen, S. 91–115; Julia Bernstein/ Andreas Hövermann/Silke Jensen/Andreas Zick, Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland. Ein Studienbericht für den Expertenrat Antisemitismus, April 2017, uni-bielefeld. de/ikg/daten/JuPe_Bericht_April2017.pdf, letzter Zugriff: 10. März 2021.
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Formen bis hin zu verbalen Beleidigungen und physischer Gewalt. Dabei geht es nicht zwingend um direkte, sondern auch um ungerichtete, nicht direkt auf Personen bezogene (symbolische sowie diskursive) Erfahrungen im Internet, auf Demonstrationen, in der Schule, am Arbeitsplatz. Als Täter wurden von den Betroffenen überproportional häufig muslimische Personen genannt, daneben aber auch links und rechts Orientierte und gerade bei den versteckten Andeutungen auch Personen aus der „Durchschnittsbevölkerung“. Besonders der sekundäre Antisemitismus, der sich zwischen den Zeilen und eher als Andeutung äußert, stellt das subjektive Empfinden von Normalität und Zugehörigkeit infrage und verstärkt die Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden als „Nichtzugehörige“. Schon diese wenigen Diskurslinien vermitteln einen Eindruck von der Perspektivendivergenz, die mögliche Annäherungsprozesse zwischen der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft und der jüdischen Gemeinschaft erheblich beeinflusst. Zudem ist mit Blick auf die Geflüchteten aus Ländern des Nahen Ostens die Sorge groß, sie könnten den in ihren Ländern verbreiteten Antisemitismus mitbringen. Der Großteil der Befragten empfindet den Alltagsantisemitismus, der sie buchstäblich umgibt, als belastend. Es besteht ein hohes Ausmaß an Verunsicherung und Angst vor Übergriffen. Das zieht Vorsichtsmaßnahmen nach sich: Bestimmte Orte werden gemieden, jüdische Symbole versteckt, jüdische Zugehörigkeit verschwiegen. Zugleich wählen nur recht wenige Befragte den Weg, konkrete Vorfälle zu melden, noch weniger lassen sich beraten. Das Dunkelfeld der nicht angezeigten auch gravierenden Vorfälle dürfte daher hoch sein. Die Perspektive derjenigen, die von Fremdmachung, Abwertung und Ausgrenzung unmittelbar betroffen sind, unterscheidet sich in der Regel von der Perspektive der Mehrheitsgesellschaft, die mit solchen Erfahrungen nicht konfrontiert wird. Denjenigen, die antisemitische Bedrohungen befürchten und ihre Sorge vor einem erneuten Anstieg von Antisemitismus bis hin zu körperlichen Angriffen artikulieren, schlägt nicht selten Unverständnis entgegen. Mehr oder weniger offen im Raum steht der Vorwurf, die Situation übertrieben darzustellen, überempfindlich oder alarmistisch zu sein. Bei der Auseinandersetzung mit Antisemitismus sind die Schicksale, Erinnerungen und Erfahrungen der Jüdinnen und Juden in Deutschland wegen der Shoah eng mit den Perspektiven der nichtjüdischen, alteingesessenen deutschen Mehrheitsangehörigen verknüpft, deren Vorfahren auf die eine oder andere Weise, direkt oder indirekt an der nationalsozialistischen Verfolgung und Ermordung der Juden beteiligt waren und ihre Erlebnisse an die Nachkommen weitergegeben haben. Die Frage, wie Jüdinnen und Juden heute in Deutschland Antisemitismus erleben, berührt
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also immer auch Fragen der familialen und kollektiven Identität und fordert zur Selbstreflexion der eigenen Familiengeschichte heraus. Ein Teil der jüdischen Bevölkerung ist in Deutschland durch die aktuellen Formen des Antisemitismus verunsichert. Negative bis feindliche Haltungen gegenüber Israel werden nicht nur in den klassischen Medien, sondern verstärkt auch in sozialen Netzwerken und politischen Bewegungen und Parteien sehr genau wahrgenommen bzw. registriert. Der Fluss der politischen Prozesse verlangt eine genaue Beobachtung und Analyse der Ereignisse und Tendenzen. Geschichte wiederholt sich nicht einfach, aber sie ist auch nicht frei von Kontinuitäten und Widersprüchen, die von den Individuen – abhängig von den eigenen Erfahrungen, Traumata oder tradierten Ängsten – unterschiedlich verarbeitet werden. In Anbetracht der ins Stocken geratenen Demokratisierung und Aufklärungsbereitschaft moderner Gesellschaften sind jedoch politisch denkende und handelnde Mitglieder der Zivilgesellschaft – ganz gleich ob Juden oder Nichtjuden – aufgefordert, Gefährdungen der liberalen Gesellschaftsordnung entschieden anzusprechen, zu veröffentlichen, zu skandalisieren und sich ihnen mit allen zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln entgegenzustellen. Sollte dieses Engagement nicht mehr wirken, dann besteht berechtigter Grund zur Sorge. *** Der vorliegende Band will auf diese Konstellation reagieren und auf die eingangs gestellte Frage nach der Zukunft der Erinnerung Antworten geben, indem er einen multiperspektivischen Zugriff vorschlägt. Die Autorinnen und Autoren fragen danach sowohl indem sie den Blick auf die Geschichte der Erinnerungskultur und der Erinnerungspolitik richten, als auch durch Analysen der Problemlagen der Gegenwart. Ihre Beiträge befassen sich mit der Theorie der Erinnerung, wie sie in historischen und kulturwissenschaftlichen Studien entwickelt wurde, und mit der Praxis des Erinnerns in Institutionen wie Museen und Gedenkstätten, aber auch im gesellschaftlichen Alltag und in den politischen Auseinandersetzungen. Und sie blicken auf diese Fragen nicht nur aus einer deutschen, sondern auch aus einer spezifisch deutsch-jüdischen, aus einer jüdischen und aus einer israelischen Perspektive. Ausgangspunkt sind Überlegungen zu grundsätzlichen Auswirkungen der Erfahrung und Erinnerung der nationalsozialistischen Judenverfolgung auf das Bewusstsein von Geschichte. Alan Steinweis untersucht dafür in seinem einleitenden Beitrag die Bedeutung des Novemberpogroms von 1938 für die historische Entwicklung zum Holocaust und für die Erinnerung an diesen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Relevanz dieser Erinnerung heute gerade in ihrer Übertragbarkeit auf andere, gerade auch aktuelle Konstellationen besteht, etwas, das den Pogrom von der
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späteren Durchführung des Massenmordes an den Jüdinnen und Juden grundsätzlich unterscheidet, mit dem er dennoch unmittelbar verbunden ist. Die nachfolgende Sektion befasst sich mit der Geschichte und der Gegenwart der Erinnerungspolitik und der Erinnerungskulturen in Deutschland. In diesem Plural ist bereits angedeutet, dass hier äußerst heterogene Konstellationen existieren, in denen eine fundamentale Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und eine mehr oder weniger ausgeprägte Verweigerung einer solchen Auseinandersetzung oftmals nebeneinander existierten und dies auch noch heute tun. Tobias Freimüller gibt einen Überblick über die Entwicklung der „Vergangenheitsbewältigung“ in der Bundesrepublik von den Anfängen bis zur jüngsten Geschichte. Samuel Salzborn diskutiert daran anknüpfend die Persistenz der Abwehr von Erinnerung und Verantwortung bis in die Gegenwart. Jenny Wüstenberg rekonstruiert und analysiert den oftmals entscheidenden Beitrag zivilgesellschaftlicher Initiativen am Aufbau von Strukturen und Institutionen der Erinnerungskultur. Aleida Assmann schließlich setzt sich mit jüngsten Erscheinungen eines jüdischen Unbehagens an der deutschen Erinnerungskultur auseinander und leitet damit zur nächsten Sektion des Bandes über. Darin geht es um die jüdische Perspektive auf die Erinnerung an Nationalsozialismus und Shoah. Diese wird hier sowohl als ein wichtiger Aspekt der deutschen Erinnerungskultur als auch im Sinne eines spezifischen Blicks auf diese Erinnerung verstanden. Dafür können religiöse, philosophische und historische Einsichten nutzbar gemacht werden. Zugleich wird deutlich, wie sehr die jüdische Perspektive auf Erinnerung verstanden in der jüngeren deutschen Geschichte marginalisiert war und sich erst noch ihren Platz erkämpfen muss. Micha Brumlik rückt in seinem Beitrag diese Perspektive in den Kontext des globalen Kampfes um die Menschenwürde. Yael Kupferberg zeigt, in welcher Weise Erinnern und Eingedenken als eine jüdische Praxis verstanden werden und in diesem Verständnis eine wichtige Erweiterung der Theorie und Praxis von Erinnerung bieten können. Martina Steer schließlich zeigt anhand der Erinnerungen an Moses Mendelssohn in der BRD und der DDR, wie sehr die jüdische Erinnerung selbst durch Nationalsozialismus und Shoah verändert wurde. In der folgenden Sektion richtet sich der Blick auf die Geschichte und Gegenwart der Erinnerung an die Shoah in Israel. Ausgehend vom Zeugnis der Kommandantin des Warschauer Ghettoaufstandes Zivia Lubetkin und der Analysen von Hannah Arendt im Kontext des Eichmann-Prozesses untersucht Natan Sznaider die Bedeutung dieser Erinnerung sowie die spezifischen Formen der Beschreibung der Shoah im israelischen Diskurs. Aufgrund des historischen Hintergrunds waren die Erinnerungskulturen in Israel und Deutschland schon immer miteinander verknüpft. Angesichts der intensiven Beziehungen zwischen Israel und Deutschland sowohl auf politischer als auch auf zivilgeschichtlicher
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und nicht zuletzt auf wissenschaftlicher Ebene sind sie heute jedoch längst nicht mehr nur durch den gemeinsamen (wenn auch teilweise höchst unterschiedlich akzentuierten) Gegenstand der Erinnerung verbunden. Darüber hinaus vollziehen sich in vielen Bereichen recht ähnliche Transformationsprozesse in diesen Kulturen. Jackie Feldman und Norma Musih untersuchen vor diesem Hintergrund die Auswirkungen von digitalen Medien auf die Praxis der Erinnerung vor allem bei der jüngeren Generation der Israelis. Die letzte Sektion wendet sich der erinnerungskulturellen Praxis zu. Auf diesem Feld werden die Herausforderungen, denen sich die Erinnerung an Nationalsozialismus und Shoah gegenüber sieht, besonders konkret und in besonderer Weise deutlich. Mirjam Wenzel untersucht anhand der Jüdischen Museen in Deutschland und ihrer Geschichte, insbesondere des Jüdischen Museums Frankfurt, die Bedeutung des Ortes für die Erinnerung an jüdische Geschichte. Lea Wohl von Haselberg analysiert die sehr unterschiedlichen Modi der Erinnerung in Dokumentarfilmen der Enkelinnen und Enkel der Generation der Überlebenden und Opfer der Shoah einerseits, der Tätergeneration andererseits. Volkhard Knigge schließlich fragt nach der Zukunft der Arbeit der KZ-Gedenkstätten nach der Phase der Zeitgenossenschaft und angesichts der erneuten Enttabuisierung von Nationalismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus. Den Abschluss des Bandes bildet ein Gespräch zwischen zwei herausragenden Vertreter*innen der Disziplin der Memory Studies, Astrid Erll und Jeffrey Olick. Darin fragen sie, welchen Beitrag dieses Forschungsfeld für die Zukunft der Erinnerung an Nationalsozialismus und Shoah leisten kann und welche Perspektiven sich daraus für die Erinnerungsforschung und die Praxis der Erinnerung insgesamt ergeben. Der Band geht zurück auf eine Konferenz, die im November 2019 im Gemeindezentrum der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main und an der GoetheUniversität Frankfurt am Main stattgefunden hat. Ebenso wie die Konferenz ist er Teil des Projekts „Synagogengedenkbuch Hessen“, das die Geschichte der jüdischen Gemeinden und ihrer Synagogen auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Hessen erforscht und dokumentiert. Der Dank der Herausgeber*innen gilt dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) sowie der Georg und Franziska Speyerschen Hochschulstiftung für die großzügige Förderung des Projekts, der Konferenz und des vorliegenden Bandes. Zu danken ist zudem dem vom HMWK geförderten LOEWE-Forschungsschwerpunkt „Religiöse Positionierung: Modalitäten und Konstellationen in jüdischen, christlichen und islamischen Konstellationen“ an der Goethe-Universität Frankfurt und an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Novemberpogrom und Erinnerung
Alan E. Steinweis
Kristallnacht and the Reversibility of Progress After an angry mob of supporters of President Donald Trump attacked the United States Capitol Building on January 6, 2021 in order to disrupt congressional certification of the previous November’s presidential election, journalists and historians searched for historical precedents to which to compare the riot. A comparison that received a great deal of media attention originated with Arnold Schwarzenegger, the bodybuilder who became a major star of Hollywood action movies, and who later served as governor of the state of California for seven years. A native of Styria (Steiermark) who migrated to the United States at the age of 21, Schwarzenegger released a video statement about the riot in Washington, in which he drew on his experiences as a child growing up in postwar Austria. He compared the right-wing extremists who attacked the Capitol to Nazis, describing his childhood encounters with “broken men” whose lives had been ruined by their involvement with National Socialism. He noted the similarities between Nazi stormtroopers and the so-called Proud Boys, a radical right-wing organization that had been praised by Donald Trump. Most of the public discussion, however, was devoted to Schwarzegger’s comparison of the Capitol riot to the so-called Kristallnacht (the most commonly used American term to describe the November 1938 Pogrom).1 Several Jewish commentators pointed to the historically problematic nature of the comparison, although most sympathized with Schwarzenegger’s intention, which was to draw lessons for Americans from his own family’s unfortunate experience with fascism.2 Apart from the question of historical accuracy, what is striking here is first, that Schwarzenegger chose Kristallnacht, rather than, for example, Hitler’s failed November 1923 Putsch attempt as the basis for his comparison, and second, that the reference to Kristallnacht resonated so automatically and so powerfully in the American media, including the right-wing media. Not to be outdone by Schwarzenegger, several Trump supporters ad1 “Schwarzenegger Compares Capitol Mob Violence to Kristallnacht Destruction by Nazis in Viral Video”, Washington Post, January 10, 2021, https://www.washingtonpost.com/arts-entertainment/2021/01/10/arnold-schwarzenegger-twitter-speech-capitol-nazis/, accessed January 29, 2021. 2 “Schwarzenegger’s Kristallnacht Comparison is Outrageous … isn’t It?” Times of Israel, January 14, 2021, https://www.timesofisrael.com/schwarzeneggers-kristallnacht-comparison-is-outrageous-isnt-it/, accessed January 29, 2021. https://doi.org/10.1515/9783110710601-002
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vanced their own Kristallnacht comparisons, contending, for example, that the banning of alt-right commentators from social media in the wake of the Capitol riot was itself tantamount to a digital Kristallnacht.3 Schwarzenegger’s video, and the responses to it, testify to the central position of the November Pogrom in the public memory of the Holocaust in Schwarzenegger’s native and adopted homelands of Central Europe and the United States. Given that the Pogrom was not, strictly speaking, a genocidal event, and that its human toll fell far short of that of “Final Solution”, it is not self-evident why the Pogrom occupies so prominent a place in popular Holocaust memory. This essay will posit several explanations and reflect on the significance of the memory of the Pogrom at our current historical moment. The November Pogrom was a significant event for several reasons. It was the single instance of large-scale, public, and organized physical violence against Jews inside Nazi Germany before the outbreak of the Second World War. It unfolded in the open, in hundreds of German communities, even in those with very few Jewish residents, and took place partly in broad daylight; it inaugurated the definitive phase of so-called “Aryanization”, i. e., the coerced expropriation of German Jewish property; it led to a dramatic rise in applications for emigration among German Jews, further exacerbating the Jewish refugee crisis; and it intensified diplomatic tensions between Germany and other countries, which had already suffered considerably as a result of the Sudeten Crisis.4 The Pogrom was aimed at a population of German and Austrian Jews that amounted to around half-a-million people, in contrast to about a million Polish Jews who were subjected to ghettoization and slave labor after 1939, and the multiple millions of Jews from all over Europe who were targeted by the socalled Final Solution. One reason why it continues to shock the conscience, despite the magnitude of the subsequent Holocaust, is that the violence of November 1938 was of a form that disturbs us precisely because of its familiar and recognizable nature. It was an act of barbarism, a cathartic outpouring of ethnic and religious hatred on a gigantic scale. In this respect, it was rather different from the “Final Solution”, which was planned and implemented in a manner that was far more bureaucratic. Of course, there were elements of the “Final Solution” in which barbarism, sadism, and raw hatred were very much on display, 3 “Why is Everybody Talking about Kristallnacht?” Forward, January 11, 2021, https://forward. com/culture/461891/kristallnacht-schwarzenegger-steve-king-jeanine-pirro-parler/, accessed January 29, 2021. 4 There are many synthetic works on the Pogrom. Here the author draws on his own such study, Kristallnacht 1938 (Cambridge: Harvard University Press, 2009).
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but the overall character of the genocide was that of an action that was conceived and executed in a coldly rational way. Historians and philosophers have characterized the “Final Solution” as a kind of modernity run amok, epitomized by Auschwitz, where an unwanted population was subjected to an industrial process of wealth extraction, killing, and physical disposal.5 In contrast, there was little about the Pogrom that was modern, other than that some of the perpetrators travelled by automobile and communicated via telephone during the violence. The primordial quality of the Kristallnacht is precisely what disturbs us most about it. It did not reflect modernity run amok, but rather modernity suspended. In this respect, the Pogrom was by no means unprecedented. Jews had fallen victim to pogroms for decades, and large-scale group violence targeted at ethnic minorities were a rather normal occurrence in many societies, including the United States during the 1920s and the 1930s. But Germany, where a high value is placed on law and order, did not seem a likely candidate for such violence, even after several years of Nazi rule. The November Pogrom, therefore, marked a breach of civilization in a country that had previously been celebrated, not least among its Jewish citizens, for being civilized. Even by the standards of Nazi Germany up to that point, the Pogrom marked a significant departure from previous practices. Between the Nazi seizure of power in 1933 and November 1938, anti-Jewish measures had been mainly legal and bureaucratic in nature. It had largely been through the promulgation of laws, decrees, and regulations that German Jews had been deprived of their citizenship, their jobs, and their property, bureaucratic and legal methods of persecution. The disenfranchisement of Jews had taken place within the framework of the law. This process had been spurred on by frequent incidents of violence and intimidation, which, while tolerated and sometimes encouraged by the national leadership, were not legal. One point that has been emphasized in some recent scholarship, including my own, is that these illegal acts of violence and intimidation targeted at Jews were more frequent than has generally been recognized in histories of Nazi Germany.6 Nevertheless, the Pogrom did represent an entirely new dimension of antisemitic violence on the part of the Nazis. This was widely recognized at the time by Jews, Germans, and the outside world. The unprecedented scale and intensity of the violence of November 1938 has led some historians and commentators to characterize the Pogrom as a
5 Zygmunt Bauman, Modernity and the Holocaust (Ithaca: Cornell University Press, 2002). 6 Most notably: Michael Wildt, Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung: Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919 bis 1939 (Hamburg: Hamburger Edition, 2007).
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“prelude” to the Holocaust.7 This term may be justified inasmuch as the scale and destructiveness of the Pogrom foreshadowed the mass anti-Jewish violence that occurred later, during World War Two, more than they resembled the sporadic attacks on Jews that had taken place earlier, between 1933 and 1938. But the term “prelude” can also be misleading in two important respects. First, I’ve already mentioned that the Pogrom lacked the careful preparation and official coordination that were hallmarks of the “Final Solution”, but I want to expand on this point. One of the most widely held misconceptions about the Pogrom is that it had been planned in advance. All of the evidence, however, points to the absence of advance preparation, and to a decision by Hitler to unleash the violence during the day on November 9, only hours in advance of the actual pogrom. In the enormous documentary record left behind by the Nazi regime, no historian has ever found as much as a single document reflecting a pre-existing plan, advance preparation, or a high-level decision taken before November 9. A crucial document that we do have is the diary of Nazi propaganda minister Joseph Goebbels, in which Goebbels reported in some detail about a conversation he had with Hitler on November 9, which resulted in Hitler authorizing the Pogrom.8 We also have many memoirs and legal testimonies by lower-level Nazi officials to the effect that the order to launch the Pogrom in their region or town arrived only late in the evening on November 9. So why, then, does the myth persist that the Kristallnacht was planned and prepared-for in advance?9 One reason is that many German Jews believed this at the time of the event. They could not comprehend that an atrocity of such magnitude could be organized and executed on the spur of the moment. In addition, as thousands of Jewish men who had been arrested in the immediate aftermath of the Pogrom arrived in concentration camps, they were informed by existing inmates about recent construction to expand camp capacity. They interpreted the camp expansions as evidence of a Nazi plan to arrest and incarcerate German Jews. At the time this was a very reasonable conclusion, but, as we now know, it was erroneous. The expanded camp capacity had been intended for Germans classified by the Nazi SS as “asocial” or “averse to work”, and not for German Jews.10 Emphasizing the absence of planning or preparation for the Kristallnacht, which is to say, recognizing the Kristallnacht for the improvised event that it 7 Note, for example, the title of Martin Gilbert’s study, Kristallnacht: Prelude to Destruction (New York: Harper, 2006). 8 Die Tagebücher von Joseph Goebbels, ed. Elke Fröhlich, 30 vols. (Munich: Saur, 1993–2007), part I, vol. 6, entry for November 10, 1938. 9 E. g., Gilbert, Kristallnacht, 26. 10 Steinweis, Kristallnacht, 189, note 30.
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actually was, does not diminish its atrociousness. To the contrary – we must ask how it was possible for an atrocity on that scale to ensue from an improvisation. The answer lies in the readiness of tens of thousands of Germans to perpetrate acts of violence against Jews on a moment’s notice. Recognizing the improvised nature of the Pogrom does not soften the indictment of German society, it deepens it. The improvised quality of the November Pogrom distinguished it from the meticulously planned genocide of the war years, which is one reason why I hesitate to refer to the Pogrom as a “prelude.” A second reason is the risk of depicting the Pogrom as an element of a Nazi master plan culminating in the mass murder of the Jews. In November 1938, no Nazi plan for the mass murder of the Jews yet existed. At that time, Nazi policy toward German Jews focused on compelling them to emigrate. The decision to murder the Jews of Europe, including those who had remained in Germany, emerged in the year 1941. This decision resulted from a complex set of policy considerations that the German leadership did not anticipate in late 1938. From our perspective as historians, we look back at history and position the Kristallnacht along a trajectory culminating in genocide. But those who ordered and participated in the Pogrom did not necessarily see it that way. It was a “prelude” only to those who know how the story ended. While the Pogrom was not part of a genocidal master plan, it did signal the death knell of Jewish life in Germany. Before November 1938, as badly as the situation had deteriorated, only about one-third of German Jews had emigrated. Many who had tried to leave could find no refuge in their desired destinations. Some hoped that the situation might improve, or at least not deteriorate further. Despite the persecution, one could still live as a Jew in Germany. There were synagogues, Jewish hospitals, Jewish schools, Jewish newspapers, and Jewish cultural organizations. But after the Pogrom, a Jewish future in Germany was no longer possible or imaginable. The shock of this revelation should not be underestimated. The culture that was now seen as doomed had been a very special one, having produced great accomplishments in science, the arts, and Jewish thought. Germany had not only produced Einstein, it had also produced Reform Judaism. The Jews of Germany had lived for centuries as a persecuted people, and had then experienced emancipation, integration, economic success, and educational attainment. Between 1914 and 1918, ten thousand Jews had sacrificed their lives for their German Fatherland. The negation of German Jewry as a distinct cultural entity began in 1933, and then reached its point of no return with the Kristallnacht. The Pogrom exposed not only the fragility of civilization, but also the reversibility of progress.
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For this reason, the Pogrom continues to haunt Jews in our time. It feeds a sense of insecurity about their acceptance by the Christian majority. This is a main reason why the November Pogrom figures so prominently in Holocaust memory in the United States, both among Jews and more broadly. If such a fate could befall the Jews of Germany, who were successful and patriotic, then why not the Jews of the United States? One could argue that the United States is a fundamentally different place than Germany was in 1933, but one could also concede that some degree of Jewish anxiety is understandable given the history. And of course, not only Jews, but any historically persecuted minority might legitimately interpret the Kristallnacht as powerful evidence that progress is not irreversible. Such a universalistic appreciation of the history and lessons of the November Pogrom has shaped the commemorative culture around the Holocaust in American Jewish circles, and in American society more broadly, for a long time. One explanation for this emphasis is that American understandings of the history of the Holocaust have generally been shaped by a disproportionate focus on Germany and the experiences of German Jews in historical education and popular culture. But probably more important is the perception that Germany’s assault on its own Jewish minority presented a more compelling lesson to Americans than the quantitively larger German assault on the Jews of Poland and Eastern Europe. A universalizing approach to Holocaust memory has corresponded to the growing ethos of multiculturalism in elite American circles in the past couple of decades. It has also dovetailed with intellectual currents in the field of Holocaust Studies, which has shifted increasingly to a comparative genocide studies paradigm (although not without controversy). The advent of Donald Trump’s presidency, with its open xenophobia and barely disguised racism, has lent even greater urgency to the deployment of Holocaust memory in the name of universal human rights. This universalistic understanding of the history of the November Pogrom is very often placed at the center of Holocaust commemoration ceremonies and programs in Jewish communities and at universities in the United States. In November 2020, the Reform Jewish community of Warren, New Jersey, for example, sponsored multiple events to coincide with the anniversary of the Pogrom. One event featured a former neo-Nazi who talked about “how he moved past a life of hate, and about how it’s imperative to speak up against anti-Semitism and all forms of hatred when we know it’s happening.” At another event, devoted to the subject of “Genocide Prevention in the Age of Extremism”, the speaker was Jacqueline Murekatete, a survivor of the Rwandan genocide who became an internationally recognized human rights activist.
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These presentations complemented others that focused more narrowly on the events of November 1938 in Germany.11 Similarly, on Long Island, the suburban region east of New York City, representatives of Jewish organizations embraced the annual Kristallnacht commemoration as an opportunity to warn against hatred more generally. A Holocaust survivor in the town of North Hempstead told a local television news program, “We have issues, we have problems, we have 7.5 billion people on this planet, and we all need to live together.” “I want them to understand what happened and not repeat the same steps which lead to extreme evil”, he continued. The same news broadcast contained an interview with the chairperson of a local Holocaust Memorial and Tolerance Center. “Let’s not go there again”, she warned, “let’s make sure that we understand that the hate that we’re seeing now is what led to the Holocaust.” She was not referring to antisemitism specifically, but rather to the more general uptick in racism and xenophobia discernable in the United States in the past few years.12 This sort of universalized commemoration of the November Pogrom is not limited to Jewish congregations or institutions. At Seton Hill University in Pennsylvania, the main purpose of the annual Kristallnacht remembrance held in November 2020 was “not only to remember and honor the millions of innocent victims of German fascism, but to remind us of how essential it is that we continue to work together to create a world that respects the inherent dignity of everyone – a world where such atrocities will never happen again.”13 At Chapman University in California, an annual Kristallnacht commemoration in 2018 was co-sponsored by multiple student religious organizations, including not only Hillel, the Jewish student society, but also the Baha’is of Chapman, the Circle of the Triple Goddess (Wicca), the Latter-day-Saints (Mormon) Student Association, the Muslim Student Association, and the Newman Catholic Fellowship.14 This “interfaith” approach to addressing historical injustice is quite common at American universities. It should also be emphasized that such remembrance 11 “2020 Kristallnacht Commemorations”, Temple Har Shalom, Warren New Jersey, https:// templeharshalom.org/?s=Kristallnacht, accessed January 29, 2021. 12 “Long Islanders commemorate 82nd anniversary of Kristallnacht”, News 12 Brooklyn, November 9, 2020, https://brooklyn.news12.com/long-islanders-commemorate-nd-anniversary-of-kristallnacht, accessed January 29, 2021. 13 “Seton Hill’s Annual Kristallnacht Remembrance Service will be Virtual”, The Trib, November 6, 2020, https://triblive.com/local/westmoreland/seton-hills-annual-kristallnacht-remembrance-service-will-be-virtual/, accessed January 29, 2021. 14 “An Interfaith Commemoration of Kristallnacht”, Chapman University, Rogers Center for Holocaust Education, https://www.chapman.edu/research/institutes-and-centers/holocausteducation/rodgers-center/index.aspx, accessed January 29, 2021.
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events focused specifically on Kristallnacht occur in addition to, rather than instead of, more general Holocaust commemorations on January 27, in connection with International Holocaust Remembrance Day, or in April, in connection with the Jewish Yom Hashoah observance. In German collective memory of the persecution of the Jews, the November Pogrom has featured prominently, but in ways that are complex and even contradictory. Germans who have a decent understanding of history are aware of the contribution that Jews had made to German culture. So in addition to recognizing the Pogrom as an atrocity against its Jewish victims, they see the end of German-Jewish culture as a self-inflicted wound by a German nation that rejected an important part of itself. On the other hand, the memory of the Pogrom was long a sanitized one. The mass participation by ordinary Germans in the brutality of the Kristallnacht was, for a long time, largely forgotten or ignored. Instead, there arose a self-exculpatory narrative in which responsibility for the Pogrom has been attributed to Adolf Hitler, Joseph Goebbels, and the stormtroopers of the Nazi party. In this skewed understanding of history, a tiny sliver of German society had carried out the Pogrom, while the vast majority had witnessed it passively. This narrative was psychologically comforting and politically convenient in both halves of a divided Germany during the Cold War and persisted into the postunification period after 1990.15 More recently, however, a more self-critical understanding of the conduct of the German population during Kristallnacht has gained wider acceptance. One reason for this is an improved understanding of the actual events of November 1938. Although the Pogrom now lies over 80 years in the past, research on the subject is by no means closed.16 Our knowledge of the Pogrom has been significantly enhanced by historical documentation that has been ignored or been difficult to access, most notably the documentation from post1945 trials of Pogrom perpetrators before German courts.17 Equally important has been a psychological shift in German society. As the Nazi era has receded further into the past, it has become easier for Germans to acknowledge the complicity of previous generations in the crimes of Nazism. An honest confrontation 15 Harald Schmid, Erinnern an den „Tag der Schuld“: Der Novemberpogrom von 1938 in der deutschen Geschichtspolitik (Hamburg: Ergebnisse, 2001). 16 A recent publication with important new insights is New Perspectives on Kristallnacht: After 80 Years, the Nazi Pogrom in Global Comparison, ed. Wolf Gruner and Steven J. Ross (West Lafayette: Purdue University Press, 2019). 17 The trials, and the documentation generated by them, are analyzed in Edith Raim, Justiz zwischen Diktatur und Demokratie: Wiederaufbau und Ahndung von NS-Verbrechen in Westdeutschland 1945–1949 (Munich: DeGruyter, 2013).
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with its own difficult past has been a key factor in the emergence of Germany as a widely admired democratic nation. Most recently, the rise of a new right-wing party has represented a challenge to Germany’s admirable self-critical approach to its own history. That party, the Alternative for Germany (AfD) is best known for its condemnation of Angela Merkel’s decision to admit about a million refugees, but its leaders have also disparaged Holocaust memorials and expressions of contrition for the Holocaust. The AfD now enjoys support from about 10 percent of the German electorate.18 Time will tell whether Germany will be able to resist the epidemic of ethno-nationalism and nostalgia for authoritarianism that is currently infecting the West. The powerful collective memory of the Pogrom, and of the Holocaust more generally, has served as an inoculation against precisely the kind of historical forgetting promoted by the ethno-nationalist right in Europe and beyond. The most recent commemorations of the Pogrom in Germany have, accordingly, emphasized the contemporary relevance of the struggle against antisemitism and racism. Calling for international solidarity in the fight against antisemitism, German President Frank-Walter Steinmeier, in a joint statement with his Israeli and Austrian counterparts, lamented that “the dark shadows of the past have not disappeared from our streets.” In a message directed to the Israeli President, Steinmeier said the “sickening outburst of violence” of 1938 was a “stark warning to us today.” Noting that German Jews had been advised by the country’s antisemitism commissioner against openly wearing the kippa, Steinmeier called the November Pogrom a “pressing warning” for the present day.19 The intensified threat from the racist, ethnonational, and xenophobic right across much of the western world has thus produced a transatlantic convergence in thinking about the significance of the November Pogrom. While the Pogrom does not represent a historical worst-case for genocide, it does provide a dramatic precedent for what happens when a society turns away from a pluralistic understanding of itself and acquiesces in bigotry. While Arnold Schwarzenegger might not count among the most nuanced of historians, the deeper wisdom of his comparison is incontrovertible.
18 „Politbarometer II Januar 2021“, Forschungsgruppe Wahlen, https://www.forschungsgruppe.de/Aktuelles/Politbarometer/, accessed January 29, 2021. 19 Angel Merkel Laments “Disgrace” of Kristallnacht, Deutsche Welle, November 9, 2020, https://www.dw.com/en/angela-merkel-laments-disgrace-of-kristallnacht/a-55548319, accessed January 29, 2021.
Erinnerungspolitik und Erinnerungskulturen in Deutschland
Tobias Freimüller
Aufarbeitung, Erinnerung, Gedenken: Die NS-Vergangenheit und die deutsche Gesellschaft Die Frage nach der „Zukunft der Erinnerung“ an den Nationalsozialismus wird in den letzten Jahren immer häufiger gestellt. Die Sorge, die dabei meist mitschwingt, richtet sich auf den endgültigen Abschied von den „Zeitzeugen“, auf den immer weiter wachsenden zeitlichen Abstand zum historischen Geschehen – und sie wird befördert durch aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Eine rechtspopulistische Partei sitzt nicht nur in allen Landesparlamenten, sondern auch im Bundestag, selbsternannte „Patriotische Europäer“ demonstrieren in vielen deutschen Städten regelmäßig gegen eine angeblich drohende „Islamisierung des Abendlandes“ („Pegida“) und eine ganze Reihe rassistisch und antisemitisch motivierter Mordanschläge offenbaren eine neue Qualität des Rechtsradikalismus in Deutschland. Vor diesem Hintergrund sind sorgenvolle Fragen nicht überraschend. Steht die deutsche Gesellschaft an einer erinnerungs- und vergangenheitspolitischen Schwelle? Ist die „Erinnerungskultur“ bedroht und entschwindet die Geschichte von Nationalsozialismus und Holocaust aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein? Implizit oder explizit liegt solchen Fragen oft die Annahme zugrunde, dass die Deutschen nach 1945 zwar nicht sofort, aber immerhin nach einiger Zeit einen Weg der „Aufarbeitung“ und „Bewältigung“ der NS-Vergangenheit beschritten haben, der allen Problemen und Defiziten ungeachtet am Ende doch als Erfolgsgeschichte anzusehen sei. Kein Volk der Welt, so heißt es oft, habe sich derart intensiv mit der eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt wie die Deutschen. Die Erinnerung an den Nationalsozialismus sei zum festen Bestandteil deutschen Selbstverständnisses geworden, das Bewusstsein für die historische Verpflichtung drückt sich nicht nur in der nicht abreißenden öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion über die NS-Vergangenheit aus, sondern auch in zahllosen Museen, Mahnmalen und Gedenkstätten. Diese Präsenz der Geschichte des „Dritten Reiches“ erscheint rückblickend oftmals als ein Normalzustand kritischer „Erinnerungskultur“, der seit den 1960er-Jahren, seit „Achtundsechzig“, seit den 1980er-Jahren – jedenfalls seit Jahrzehnten erreicht worden sei und der nun bedroht sei. Blickt man allerdings genauer auf die verschiedenen Phasen des Umgangs mit der NS-Vergangenheit seit 1945, dann fällt es schwer, eine solche Erfolgsgehttps://doi.org/10.1515/9783110710601-003
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schichte zu erzählen und eine stabile Form kritisch-reflexiver „Erinnerungskultur“ historisch zu fassen. Im Gegenteil erweist sich die Geschichte der „Aufarbeitung“ und „Bewältigung“ niemals als statisch. Sie war immer umstritten und geprägt von erstaunlichen Ungleichzeitigkeiten, inneren Widersprüchen, überraschenden Blindstellen, unerwarteten Fortschritten und ernüchternden Beharrungskräften. Angesichts dessen verliert die Vermutung, die deutsche Gesellschaft stehe an der Schwelle eines Umbruchs – womöglich gar eines Abbruchs – der Erinnerungskultur, an unmittelbarer Überzeugungskraft. Dieser Beitrag erhebt nicht den Anspruch, eine neue Deutung des Umgangs der Deutschen mit der NS-Vergangenheit zu bieten, auch keine neuen aus empirischer Forschung gewonnenen Erkenntnisse. Erst recht fällt aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive eine Zukunftsprognose schwer. Im Folgenden wird vielmehr der Versuch unternommen, die Geschichte des Umgangs mit Nationalsozialismus und Holocaust in Deutschland in der gebotenen Kürze zu skizzieren und dabei insbesondere die Ambivalenz der Entwicklung hervorzuheben. Diese Darstellung kann sich auf eine inzwischen breit entfaltete Forschung stützen, die nicht nur die unterschiedlichsten Aspekte des politischen und gesellschaftlichen Umgangs mit der NS-Vergangenheit historisiert, sondern seit Längerem auch die internationalen und transnationalen Bezüge des deutschen Falls berücksichtigt.1 Selbst ein „Lexikon der Vergangenheitsbewältigung“ liegt inzwischen vor.2 Eine Gesamtdarstellung in monografischer Form fehlt allerdings noch immer. Wie unterschiedlich das Thema der „jüngsten Vergangenheit“ die Deutschen in mehr als sieben Jahrzehnten beschäftigte, zeigt schon die bemerkenswerte Verschiebung der Semantik: Ging es seit den frühen 1960er-Jahren um „Bewältigung“ der Vergangenheit, so sprach man später – im Bewusstsein der Unmöglichkeit einer „Bewältigung“ – häufiger von „Aufarbeitung“ der Vergangenheit. Mindestens im akademischen Diskurs etablierte sich eher der Begriff des „Umgangs“ mit der NS-Vergangenheit. In den letzten Jahren hat schließlich der Begriff der „Erinnerungskultur“, der bis Mitte der 1990er-Jahre kaum nachweisbar ist und seit 2010 in stark steigendem Maße Verwendung findet, eine steile Karriere gemacht.3 1 Vgl. als einen der ersten Versuche, das Thema zu umreißen: Peter Kielmannsegg, Lange Schatten. Vom Umgang der Deutschen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, Berlin 1989. 2 Torben Fischer/Matthias N. Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, Bielefeld 2007. 3 DWDS-Wortverlaufskurve für „Erinnerungskultur“, erstellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache: www.dwds.de/r/plot?view=1&corpus=zeitungen&norm=date%
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„Abrechnung“ Die durchgreifende politische Säuberung, die in den ersten Nachkriegsjahren von den Alliierten vorgenommen wurde, ließe sich als Phase der „Abrechnung“ bezeichnen.4 Tausende Deutsche wurden in Militärgerichtsprozessen zur Verantwortung gezogen. In den drei Westzonen wurden rund 5.000 Angeklagte verurteilt, knapp 500 Todesurteile wurden vollstreckt. Man nahm mittlere und höhere NS-Amtsträger in großer Zahl in „automatischen Arrest“ und verhaftete Zehntausende politisch Belastete.5 Eine sehr große Zahl von Menschen war von diesen Maßnahmen betroffen. Vermutlich kam jeder Deutsche im Familienoder Bekanntenkreis mit der politischen Säuberung in Berührung. Deren symbolische Spitze bildete der „Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess“, in dem sich von November 1945 bis Oktober 1946 24 noch greifbare Größen des „Dritten Reiches“ vor einem internationalen Gerichtshof verantworten mussten.6 Anschließend stellten die Amerikaner in zwölf sogenannten Nachfolgeprozessen ausgewählte Vertreter einzelner Funktionseliten (Offiziere, Juristen, Mediziner u. a.) vor Gericht. Begleitet wurden diese Prozesse von einer aufwendigen Informations- und Aufklärungskampagne, die auch ihre Wirkung nicht verfehlte: 1946 hielten immerhin 78 Prozent der Deutschen die Verfahren in Nürnberg für „fair“.7 2Bclass&smooth=spline&genres=0&grand=1&slice=1&prune=0&window=3&wbase=0&logavg=0&logscale=0&xrange=1945%3A2019&q1=Erinnerungskultur, letzter Zugriff: 20. September 2020. 4 Ich folge weitgehend der Begrifflichkeit, die Philipp Kratz in seiner Lokalstudie zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Stadt Wiesbaden vorgeschlagen hat. Er unterscheidet sechs Phasen: Abrechnung – Schweigen – Bewältigung – Politisierung – Aufarbeitung – Bewahrung. Philipp Kratz, Eine Stadt und die Schuld. Wiesbaden und die NS-Vergangenheit seit 1945, Göttingen 2019. 5 Zeitweise saßen bis zu 250.000 Personen in alliierter Haft. Vgl. Christa Schick, Die Internierungslager, in: Martin Broszat/Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Hrsg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland, München 1988, S. 301– 326. Für die amerikanische Besatzungszone: Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, München 1995. 6 Kim Christian Priemel, The Betrayal. The Nuremberg Trials and German Divergence, Oxford 2016; Telford Taylor, Die Nürnberger Prozesse. Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht, München 1994; Annette Weinke, Die Nürnberger Prozesse, München 2006. Allgemein zu NS-Strafprozessen: Adalbert Rückerl, NS-Verbrechen vor Gericht. Versuch einer Vergangenheitsbewältigung, Karlsruhe 1982; Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943–1952, Frankfurt am Main 1999. 7 Anna Merritt/Richard L. Merritt (Hrsg.), Public Opinion in Occupied Germany. The OMGUSSurveys 1945–1949, Urbana 1970, S. 93–94.
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Je deutlicher allerdings wurde, dass die politische Säuberung mit den Nürnberger Prozessen nicht abgeschlossen sein würde, desto mehr schwand die Zustimmung in der Bevölkerung. 1949 konnten nur noch weniger als 20 Prozent der Deutschen die alliierte Politik der politischen Säuberung gutheißen.8 Das Wort von der „Siegerjustiz“ machte die Runde und das der „Kollektivschuld“, die die Sieger den Besiegten vermeintlich zuschrieben.9 Beides war objektiv unsinnig, zeichnete sich die alliierte Säuberungspolitik doch gerade durch das Prinzip individueller Schuldfeststellung aus.10 Die rapide abnehmende Zustimmung hing eng mit dem Anlaufen der individuellen „Entnazifizierung“ der Bevölkerung zusammen.11 Seit Herbst 1945 mussten die Deutschen nämlich in einem Fragebogen Angaben über ihre politische Vergangenheit machen. Auf dieser Grundlage wurden sie dann in fünf Belastungskategorien eingeteilt. In der US-Zone: Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer und Entlastete. Hauptschuldigen und Belasteten drohten bis zu zehn bzw. fünf Jahre Arbeitslager und vollständiger bzw. teilweiser Entzug des Vermögens, Verlust von Pensions- und Rentenansprüchen aus öffentlichen Mitteln und ein mindestens zehn- bzw. fünfjähriges Verbot, einer anderen als „gewöhnlichen“ Arbeit nachzugehen. Mitläufer hatten lediglich Gehaltskürzungen und Strafzahlungen an den Wiedergutmachungsfonds zu fürchten.12 Dass diese massenhafte Entnazifizierung scheiterte, gilt als gesicherte Erkenntnis. Tatsächlich hatte sich das individuelle Überprüfungsverfahren als sehr bürokratisch und aufwendig erwiesen, zunächst vorgezogene minderschwere Fälle wurden vergleichsweise härter bestraft als die aufgeschobenen schwereren Fälle, und schließlich unterliefen die Deutschen selbst das Verfahren, indem sie sich gegenseitig entlastende „Persilscheine“ ausstellten. Ironischerweise gingen die Deutschen aus der „Entnazifizierung“ tatsächlich entnazifiziert hervor: In den Westzonen erwies sich bis Ende 1949: Ganze 0,7 Prozent der behandelten Fälle waren Hauptschuldige und Belastete, 4,1 Prozent waren 8 Merritt/Merritt, Public Opinion, S. 35. 9 Vgl. Anneke de Rudder, „Warum das ganze Theater?“ Der Nürnberger Prozeß in den Augen der Zeitgenossen, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Bd. 6, Frankfurt am Main 1997, S. 218–242. 10 Norbert Frei, Von deutscher Erfindungskraft oder: Die Kollektivschuldthese in der Nachkriegszeit, in: Rechtshistorisches Journal 16 (1997), S. 621–634. 11 Grundlegend noch immer: Clemens Vollnhals (Hrsg.), Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945–1949, München 1991. Vgl. zur britischen Zone jetzt auch Hanne Lessau, Entnazifizierungsgeschichten. Die Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit in der frühen Nachkriegszeit, Göttingen 2020. 12 Vollnhals, Entnazifizierung, S. 19.
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minderbelastet, hingegen erwiesen sich 27,5 Prozent als Mitläufer und 33,2 Prozent als entlastet. In 34,5 Prozent der Fälle wurde das Verfahren eingestellt.13 Blickt man nur auf die US-Zone, wurden dort 2,5 Prozent der untersuchten Fälle als Hauptschuldige oder Belastete eingeteilt, 11,2 Prozent als minderbelastet, 51,1 Prozent waren Mitläufer und 1,9 Prozent waren entlastet. Die „Entnazifizierung“ schrieb die Unschuld der Deutschen fest, sie war eine „Mitläuferfabrik“ (Lutz Niethammer).14 Zu einer Gesamteinschätzung gehört allerdings auch, dass die harte Säuberungspolitik der Alliierten ein wichtiges Signal setzte: eine irgendwie geartete Fortsetzung nationalsozialistischer Politik oder Ideologie würde nicht geduldet werden. Diese Botschaft war unmissverständlich und eine derart klare Normsetzung war alles andere als überflüssig in einer deutschen Gesellschaft, die noch wenige Jahre zuvor in großen Teilen in – wenn auch im Kriegsverlauf erodierender – Loyalität zum NS-Staat gestanden hatte. Die nahe liegende Vermutung, dass in den Köpfen der Deutschen das Jahr 1945 keine „Stunde Null“ bedeutet hatte, wurde von Meinungsumfragen bestätigt, denen zufolge etwa die Hälfte der während der Besatzungszeit befragten Deutschen den Nationalsozialismus für eine „gute Idee“ hielt, die nur „schlecht ausgeführt“ worden war.15 Erinnert wurden hier zweifellos in erster Linie die „guten Jahre“ der Vorkriegszeit, von denen sich die Jahre des Krieges noch scharf abhoben. Die Verantwortung für das Geschehene suchte man bei den Vorgesetzten und Befehlshabern, beim nationalsozialistischen Staat – letztlich bei Hitler persönlich. Die Deutschen sahen sich in diesen Jahren als Verführte, als Getäuschte und Gezwungene. Man war Opfer der Geschichte geworden, Opfer Hitlers und des Krieges, und nun auch noch Opfer von Nachkriegselend und Entnazifizierung. Ende der 1940er-Jahre drängte die öffentliche Meinung in Deutschland jedenfalls vehement auf ein Ende der „Entnazifizierung“ und auf einen „Schlussstrich“. Die erste Bundesregierung vermochte sich diesem Verlangen nicht zu entziehen, Kanzler Konrad Adenauer versprach, „Vergangenes vergangen sein zu lassen“, und erließ eine ganze Serie von Amnestiegesetzen, deren erstes
13 Julius Fürstenau, Entnazifizierung. Ein Kapitel deutscher Nachkriegspolitik, Neuwied/Berlin 1969, S. 227. Die Zahlen lassen sich zwischen den drei Westzonen wegen unterschiedlicher Bestimmungen und unvollständiger Überlieferung nur bedingt vergleichen, die genannten Durchschnittswerte sind daher lediglich als grobe Orientierung zu verstehen. 14 Lutz Niethammer, Die Mitläuferfabrik. Die Entnazifizierung am Beispiel Bayerns, Bonn 1982 (Diss., Heidelberg 1972 unter dem Titel „Entnazifizierung in Bayern“). 15 Merritt/Merritt, Public Opinion, S. 32–33.
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schon zum Jahresende 1949 verabschiedet wurde. 1950 verkündete die Bundesregierung dann die Beendigung der Entnazifizierung.16
Beschweigen Die Zeichen standen in der jungen Bundesrepublik auf Rehabilitierung der von den Alliierten Verurteilten und auf eine faktische Einstellung der juristischen Aufarbeitung. Deutsche Gerichte, die schon zur Zeit der alliierten Besatzung solche Verbrechen verfolgen konnten, die Deutsche an anderen Deutschen oder an Staatenlosen begangen hatten, waren nun allein zuständig für die Strafverfolgung von NS-Verbrechen. Doch die Zahl der erhobenen Anklagen wegen NSStraftaten durch die westdeutsche Justiz sank von 3.975 im Jahr 1949 auf 27 im Jahr 1955. Die Zahl der rechtskräftigen Verurteilungen sank im gleichen Zeitraum von 1.474 auf 15.17 Anders als in den ersten Nachkriegsjahren, als auch die deutschen Gerichte durchaus hohe Strafen verhängt hatten, konnten sich Angeklagte nun meist erfolgreich auf „Befehlsnotstand“ und „Verbotsirrtum“ berufen, also geltend machten, sie seien zu ihren Taten gezwungen worden oder hätten deren verbrecherischen Charakter nicht erkannt. Die Milde, mit der deutsche Gerichte NS-Verbrechen ahndeten, bedeutete allerdings nicht, dass sich die junge Bundesrepublik nicht in klarer Abgrenzung von nationalsozialistischer Ideologie entwickelte. Wer sich dennoch nicht nur am Stammtisch, sondern auch öffentlich zu ihr bekannte, musste mit harten Sanktionen rechnen, wie sich beispielsweise 1952 beim Verbot der „Sozialistischen Reichspartei“ zeigte, die vorübergehend als Sammelbecken von Unbe-
16 Zur Vergangenheitspolitik in der Ära Adenauer vgl. Ulrich Brochhagen, Nach Nürnberg. Vergangenheitsbewältigung und Westintegration in der Ära Adenauer, Hamburg 1994; Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1996. 17 Die Ermächtigung wurde von den Besatzungsmächten in unterschiedlicher Weise erteilt. Zu frühen NS-Strafverfahren vgl. Andreas Eichmüller, Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen durch westdeutsche Justizbehörden seit 1945. Eine Zahlenbilanz, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 56 (2008), S. 621–640, hier S. 626. Vgl. ausführlich: Andreas Eichmüller, Keine Generalamnestie. Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der frühen Bundesrepublik, München 2012; weiterhin Jörg Osterloh (Hrsg.), NS-Prozesse und deutsche Öffentlichkeit. Besatzungszeit, frühe Bundesrepublik und DDR, Göttingen 2011; Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung westdeutscher Strafurteile wegen Nationalsozialistischer Tötungsverbrechen, bearb. von Adelheid L. Rüter-Ehlermann und Christiaan F. Rüter, 49 Bde., Amsterdam 1968– 2012.
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lehrbaren fungiert hatte.18 Wer allerdings im Sinne des schon 1947 von Eugen Kogon postulierten „Rechts auf den politischen Irrtum“19 Bereitschaft zeigte, sich in den neuen Staat zu integrieren, musste kaum noch ernsthafte Konsequenzen fürchten – auch bei einschlägiger Belastung. Geradezu verbissen wurden jetzt Kampagnen für die Freilassung der von den Alliierten internierten Kriegsverbrecher geführt. Kaum eine gesellschaftlich relevante Gruppe stellte sich dem Sog nach deren Freilassung und Reintegration entgegen.20 Besondere Intensität gewannen diese Kampagnen, wo es um die Rehabilitierung militärischer Symbolfiguren – wie Generalfeldmarschall Erich von Manstein – ging. Hier ging es implizit auch um das Selbstbild einer ganzen Generation deutscher Männer, die in Hitlers Wehrmacht in den Krieg gezogen waren. Dagegen wurden NS-Gegner wie die Attentäter des 20. Juli 1944 ausgesprochen zwiespältig beurteilt. In den 1950er-Jahren bewerteten nur etwa 40 Prozent der befragten Westdeutschen das Attentat auf Hitler positiv, für viele blieb der Versuch, den „Führer“ zu töten, ein Eidbruch vaterlandsloser Gesellen.21 Wenig energisch ging die Bundesrepublik auch an die „Wiedergutmachung“ nationalsozialistischen Unrechts und die Entschädigung der Opfer heran. Und doch muss betont werden, dass die 1953 vorgenommene Vereinheitlichung der schon in der Besatzungszeit von den Alliierten begonnenen Politik von Rückerstattung und Entschädigung ein wichtiger Schritt war. Diese Politik der Entschädigung von NS-Opfern war zunächst ebenso unpopulär wie außenpolitisch geboten, aber vor allem bedeutete sie in einer langfristigen Perspektive eine Hilfe für die Überlebenden und ihre Nachkommen. Die Forschung hat inzwischen ein sehr differenziertes Bild der „Wiedergutmachung“ zeichnen können.22
18 Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 326–360. 19 Eugen Kogon, Das Recht auf den politischen Irrtum, in: Frankfurter Hefte 2 (1947), S. 641– 655. 20 Ausführlich dazu: Frei, Vergangenheitspolitik, Kap. II. 21 Vgl. Peter Steinbach, Widerstand im Widerstreit. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Erinnerung der Deutschen, 2. erw. Aufl., Paderborn 2000; Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Der 20. Juli 1944. Bewertung und Rezeption des deutschen Widerstandes gegen das NS-Regime, Köln 1994. 22 Hermann-Josef Brodesser [u. a.], Wiedergutmachung und Kriegsfolgenliquidation. Geschichte – Regelungen – Zahlungen, München 2000; José Brunner/Norbert Frei/Constantin Goschler (Hrsg.), Die Praxis der Wiedergutmachung. Geschichte, Erfahrung und Wirkung in Deutschland und Israel, Göttingen 2009; Constantin Goschler, Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945, Göttingen 2005; Hans Günther Hockerts/ Christiane Kuller (Hrsg.), Nach der Verfolgung. Wiedergutmachung nationalsozialistischen Un-
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Eine Überlagerung fortbestehender mentaler Prägungen durch eine neue, zunächst vor allem implementierte Erinnerungskultur konnte nur gelingen, indem der Blick von der NS-Vergangenheit weg und auf die Zukunft gerichtet wurde. Der Sozialphilosoph Hermann Lübbe hat das „kommunikative Beschweigen“ der Vergangenheit später rückblickend als notwendig für die innere Integration und Stabilisierung der jungen Bundesrepublik bezeichnet.23 Die Bereitschaft, die „jüngste Vergangenheit“ gleichsam auszublenden, ermöglichte allerdings auch skandalöse zweite Karrieren von politisch schwer Belasteten in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens – am wenigsten noch in der Politik, zumindest in deren ersten Reihen. Niemand, der im NS-Staat ein herausgehobenes politisches Amt innehatte, konnte nach 1949 erneut ein solches erreichen. Der schon in den 1950er-Jahren diskutierte und später immer wieder skandalisierte Fall des Kanzleramtsministers Hans Globke zeigte in diesem Sinne eher die Ausnahme als die Regel an.24 Das oft bezeugte Beschweigen der Vergangenheit in den 1950er-Jahren war nicht umfassend. Immer wieder trat sie zutage – etwa in Form von Auseinandersetzungen über neue Filme des Jud Süß-Regisseurs Veit Harlan, angesichts geschändeter jüdischer Friedhöfe25, aber auch in vereinzelten Gerichtsverfahren zu NS-Verbrechen. Die NS-Vergangenheit war nicht gänzlich unsichtbar, sie brach häufig durch in die Idylle des „Wirtschaftswunders“, aber eine offene Debatte über den Nationalsozialismus fand nicht statt. Erst recht war die Verfolgung und Vernichtung der deutschen und europäischen Juden noch kein Thema. Wo es erste historische Forschung gab, entstanden durchaus klare Analysen. Über die Novemberpogrome 1938 etwa veröffentlichte Hermann Graml 1953 eine kleine Schrift, in der er die wesentlichen Kennzeichen der sogenannten Reichskristallnacht klar herausarbeitete und nicht verschwieg, dass sich auch Nichtparteimitglieder an den Ausschreitungen beteiligt hatten und dass es zu
rechts in Deutschland? Göttingen 2003; Jürgen Lillteicher, Raub, Recht und Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in der Bundesrepublik, Göttingen 2005. 23 Hermann Lübbe, Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein, in: Historische Zeitschrift 236 (1983), S. 579–599. 24 Vgl. Norbert Frei (Hrsg.), Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945, Frankfurt am Main/New York 2001 (Taschenbuchausgabe unter dem Titel „Hitlers Eliten nach 1945“, München 2003); Wilfried Loth/Bernd A. Rusinek (Hrsg.), Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der Westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Frankfurt am Main 1998; Bernd Weisbrod (Hrsg.), Akademische Vergangenheitspolitik. Beiträge zur Wissenschaftskultur der Nachkriegszeit, Göttingen 2002. 25 Werner Bergmann, Antisemitismus in öffentlichen Konflikten. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik 1949–1989, Frankfurt am Main 1997.
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„massiven Plünderungen jüdischen Eigentums“ gekommen war.26 Doch solche Arbeiten erreichten vorerst keine breite Öffentlichkeit, die Geschichte der Opfer blieb unerzählt. In der DDR hat sich der Umgang mit der NS-Vergangenheit bekanntlich von Beginn an anders entwickelt.27 Hier galt der Antifaschismus als wesentliche geistige Grundlage eines neuen Deutschlands, das mit dem „Dritten Reich“ nichts zu tun hatte. Es war gegründet von Gegnern Hitlers, stand in der Tradition des kommunistischen Widerstandes, und zog aus diesem Grund tatsächlich eine Reihe von zurückkehrenden Exilanten an.28 Auch in der Sowjetischen Besatzungszone hatte es eine harte politische Säuberung gegeben, diese nahm allerdings nicht nur ehemalige Nationalsozialisten ins Visier, sondern auch Gegner der neuen politischen Ordnung. In einigen gesellschaftlichen Bereichen fiel der personelle Neuanfang schärfer aus als in der Bundesrepublik. Aber wie in Westdeutschland standen auch in der DDR bald die Zeichen auf Integration. Wer sich anpassungsbereit zeigte, dem wurde manches verziehen. Einen propagandistisch groß aufgezogenen vorläufigen Abschluss der NS-Strafverfolgung in der DDR bildeten die Waldheimer Prozesse 1950, wo man einige NS-Täter mit drakonischen Strafen bedachte – um dann dieses Kapitel öffentlich abzuschließen und in die Zukunft zu blicken. Der Antifaschismus wurde in der DDR über eine starre politische Rhetorik, durch Rituale und Gedenkpolitik, Mahnmale und im Schulunterricht gleichsam implementiert. Zu öffentlichen Debatten über den Nationalsozialismus kam es dabei nicht. Folgte man der SED-Propaganda, so gab es in der DDR keine politisch Belasteten. Diese befanden sich samt und sonders in der Bundesrepublik, wo sie die wichtigen Schaltstellen des öffentlichen und politischen Lebens besetzten. Die ja tatsächlich vorhandenen personellen Kontinuitäten in Westdeutschland boten in der Systemkonkurrenz des Kalten Krieges für die DDR-
26 Hermann Graml, Der 9. November 1938. „Reichskristallnacht“, hrsg. von der Bundeszentrale für Heimatdienst, 1953 als Beilage zu der Zeitung „Das Parlament“, Nr. 45, 11. November 1953. Siehe zur historischen Forschung über die Novemberpogrome: Alan Steinweis, Die „Kristallnacht“ in der Geschichtsschreibung, in: Münchner Beiträge zur Jüdischen Geschichte und Kultur 4 (2010), Heft 2, S. 8–23, hier S. 9. 27 Henry Leide, NS-Verbrecher und Staatssicherheit. Die geheime Vergangenheitspolitik der DDR, Göttingen 2005; Henry Leide, Auschwitz und Staatssicherheit. Strafverfolgung, Propaganda und Geheimhaltung in der DDR, Berlin 2019. 28 Zur Remigration siehe Monika Boll/Raphael Gross (Hrsg.), „Ich staune, dass Sie in dieser Luft atmen können.“ Jüdische Intellektuelle in Deutschland nach 1945. Frankfurt am Main 2013; Axel Schildt/Stefanie Schüler-Springorum/Irmela von der Lühe (Hrsg.), „Auch in Deutschland waren wir nicht wirklich zu Hause.“ Jüdische Remigration nach 1945, Göttingen 2008.
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Propaganda ein dankbares Ziel.29 In der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre machte Ost-Berlin sich dies zunutze und betrieb eine offensive Kampagne, die sich zunächst vor allem gegen die – tatsächlich besonders belastete – bundesdeutsche Justiz richtete.30 In Broschüren, die im Westen verbreitet wurden, trugen Titel wie Hitlers Blutrichter in Adenauers Diensten und führten die Namen belasteter bundesdeutscher Juristen mitsamt ihren Positionen innerhalb des NS-Systems auf. Gegen diese in der Regel zutreffenden Informationen ließen sich aus bundesdeutscher Sicht nicht viele Argumente jenseits der Abwehrformel finden, es handele sich um Propaganda aus „Pankow“. Immer häufiger wurden insbesondere von der jüngeren Generation nun die personellen Kontinuitäten auch im Westen als skandalös wahrgenommen. Neben der DDR-Propaganda erschütterte eine Welle antisemitischer Skandale den vergangenheitspolitischen Konsens der 1950er-Jahre: In der Weihnachtsnacht 1959 wurde die soeben erst wieder eingeweihte Synagoge in Köln mit Hakenkreuzen und der Losung „Deutsche fordern Juden raus“ beschmiert. Zwar konnten die Täter schnell gefasst werden, dennoch schloss sich eine regelrechte Welle von Nachahmungstaten an: In nur sechs Wochen zählten die Behörden 833 antisemitische Aktionen wie Hakenkreuzschmierereien und Friedhofsschändungen. Die Politik reagierte aufgeschreckt, eilig wurden neue Richtlinien für den Geschichtsunterricht erarbeitet und der Straftatbestand der Volksverhetzung geschaffen.31 Deutlicher wurde jetzt auch – vor allem im Zuge des eher zufällig zustande gekommenen „Ulmer Einsatzgruppenprozesses“ 1958 –, dass bei weitem nicht alle NS-Verbrechen verfolgt und bestraft worden waren.32 Die Gründung einer „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozia29 Zur deutsch-deutschen Dimension der NS-Aufarbeitung vgl. Jürgen Danyel (Hrsg.), Die geteilte Vergangenheit. Zum Umgang mit Nationalsozialismus und Widerstand in beiden deutschen Staaten, Berlin 1995; Jeffrey Herf, Zweierlei Erinnerung. Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland, Berlin 1998; Christoph Kleßmann/Hans Missselwitz/Günter Wichert (Hrsg.), Deutsche Vergangenheiten – eine gemeinsame Herausforderung. Der schwierige Umgang mit der doppelten Nachkriegsgeschichte, Berlin 1999; Annette Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland. Vergangenheitsbewältigung 1949–1969 oder: Eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg, Paderborn 2003. Zu den DDR-Kampagnen siehe: Michael Lemke, Kampagnen gegen Bonn. Die Systemkrise der DDR und die West-Propaganda der SED 1960–1963, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 41 (1993), S. 151–174. 30 Marc von Miquel, Ahnden oder Amnestieren? Westdeutsche Justiz und Vergangenheitspolitik in den sechziger Jahren, Göttingen 2004. 31 Vgl. überblicksartig: Peter Reichel, Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur von 1945 bis heute, München 2001, v. a. S. 138–157. 32 Sabrina Müller/Timo John, Die Mörder sind unter uns. Der Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958, Stuttgart 2008.
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listischer Verbrechen“ in Ludwigsburg war die Folge. Hier wurden von nun an Informationen über NS-Verbrechen und Täter zusammengetragen und einzelne konkrete Verbrechen rekonstruiert. Hatte man einen Tatbestand soweit aufgeklärt, dass ein Gerichtsverfahren aussichtsreich erschien, gab man die Unterlagen an die jeweilig zuständige Staatsanwaltschaft ab, die dann Anklage erheben konnte.33 Die Arbeit der Zentralen Stelle erwies sich als erfolgreich, wenn sie auch kompliziert war wegen chronischer Unterbesetzung, Personalfluktuation und vielfältiger weiterer Probleme. Das bewies einmal mehr, wie wenig bisher in dieser Hinsicht geschehen war und wie lange die Ahndung von NS-Verbrechen sträflich vernachlässigt worden war.
Bewältigung Wer die Augen nicht verschließen wollte, der war seit Ende der 1950er-Jahre immer wieder konfrontiert mit der Geschichte des Nationalsozialismus. Im Kino lief 1959 Rosen für den Staatsanwalt, im Fernsehen strahlte die ARD 1960 zur besten Sendezeit und zufällig genau nach der „Schmierwelle“ 13 Folgen der Dokumentation Das Dritte Reich aus. Das Tagebuch der Anne Frank erreichte 1960 eine Auflage von 750.000 Exemplaren. 1961 erregte der Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem weltweit Aufsehen. Eine Serie von Enttarnungen politisch Belasteter begann. Ende 1963 begann in Frankfurt der erste, von Fritz Bauer angestoßene, Auschwitzprozess.34 Auch die Politik musste sich wieder mit der NS-Vergangenheit befassen: Als 1955, zehn Jahre nach Kriegsende, Delikte wie schwere Körperverletzung und Freiheitsberaubung verjährt waren, hatte es ebenso wenig eine politische Debatte gegeben wie 1960, als Delikte verjährten, die als Totschlag mit höchstens 15 Jahren Freiheitsentzug bedroht waren. Fortan konnte nur noch Mord verfolgt werden. Als 1965 auch diese Verjährungsfrist abzulaufen drohte, wurde im Bundestag in einer bemerkenswert offenen Debatte über eine Fristverlängerung nachgedacht. Gerade angesichts der Ermittlungserfolge der Zentralen Stel33 Zur „Zentralen Stelle“ vgl. Kerstin Hofmann, „Ein Versuch nur – immerhin ein Versuch“. Die Zentrale Stelle in Ludwigsburg unter der Leitung von Erwin Schüle und Adalbert Rückerl (1958–1984), Berlin 2018; Miquel, Ahnden; Rückerl, NS-Verbrechen; Annette Weinke, Eine Gesellschaft ermittelt gegen sich selbst. Die Geschichte der Zentralen Stelle in Ludwigsburg 1958– 2008, Darmstadt 2008. 34 Fritz Bauer Institut (Hrsg.), „Gerichtstag halten über uns selbst …“ Geschichte und Wirkung des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses, Frankfurt am Main [u. a.] 2001; Devin O. Pendas, Der Auschwitz-Prozess. Völkermord vor Gericht, München 2013.
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le in Ludwigsburg, für deren Arbeit längst kein Ende abzusehen war, mochten die Verantwortlichen in Bonn nun einer stillen Amnestie nicht mehr tatenlos zusehen. Zunächst behalf man sich damit, die Verjährungsfrist nicht 1945, sondern mit Gründung der Bundesrepublik 1949 beginnen zu lassen. 1969 wurde die Verjährungsfrist für Mord nochmals um zehn Jahre verlängert und erst 1979 schließlich ganz aufgehoben.35 Die DDR nahm inzwischen längst nicht mehr nur die westdeutsche Justiz ins Visier, sondern auch die Bonner Politik. Die Vorwürfe richteten sich jetzt gegen Adenauers Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Hans Globke, der im NS-Staat als Referent im Reichsinnenministerium die sogenannten „Nürnberger Rassegesetze“ mitkommentiert hatte, gegen Vertriebenenminister Theodor Oberländer, und schließlich gegen den Bundespräsidenten Heinrich Lübke, der als „KZ-Baumeister“ galt. Es liegt auf der Hand, dass diese Konfrontation mit der nationalsozialistischen Vergangenheit nicht nur die Entstehung und Radikalisierung der westdeutschen Protestbewegung entscheidend beförderte und eine ganze Generation zumindest am Rande prägte. Wer sich im prosperierenden Westdeutschland der 1960er-Jahre nicht ausschließlich für ganz andere, eher gegenwartsbezogene oder zukunftsgerichtete Dinge interessierte, der wusste von nun an immerhin in Grundzügen um die geradezu monströse Vergangenheit, die noch nicht im Entferntesten „bewältigt“ war. Die Bezeichnung „NS-Gesetze“ für die Notstandsgesetze, gegen die die studentische Protestbewegung, die Gewerkschaften und ein erst in der Entstehung begriffenes bürgerlich-liberales Establishment für einen kurzen Moment gemeinsam protestierten, macht deutlich, wie unmittelbar unbewältigte Vergangenheit und die Kritik an der Bundesrepublik der Gegenwart in Angst, Empörung und Protest zusammenfließen konnten.36 Allerdings ist inzwischen klarer erkennbar, dass der revolutionäre Furor des Kerns der „Achtundsechziger“-Bewegung doch recht schnell über das Thema Nationalsozialismus hinwegging und zu einem pauschalen Faschismusvorwurf an die Elterngeneration und das politische System der Bundesrepublik fortschritt. Der Höhepunkt der Protestbewegung lässt sich jedenfalls nicht wirklich als Beginn einer neuen Phase der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit identifizieren. Die Zahl der NS-Verfahren vor deutschen Gerichten war schon seit Beginn des Jahrzehnts deutlich gestiegen. Die Wirkung der Berichterstattung über diese justizielle Aufarbeitung auf die Einstellung der Bevölkerung war gleichwohl 35 Helmut Dubiel, Niemand ist frei von Geschichte. Die nationalsozialistische Herrschaft in den Debatten des Deutschen Bundestages, München 1999. 36 Norbert Frei, 1968. Jugendrevolte und globaler Protest, München 2008, aktualisierte Neuauflage 2017.
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ambivalent. Insbesondere der Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965) hatte zwar als „öffentliche Lektion“ breite Aufmerksamkeit in den Medien gefunden.37 Umfragen zeigten allerdings, dass nach wie vor große Teile der Bevölkerung einen „Schlussstrich“ befürworteten.38 Die Urteile im Frankfurter Prozess fielen so milde aus, wie man es seit Jahren gewohnt war. Weil sich die Gerichte einzig auf den Nachweis individueller Taten zu stützen können glaubten, vollzogen sie, wie Fritz Bauer beklagte, eine „Atomisierung“ des historischen Geschehens, anstatt die Deutschen durch die Gerichtsverfahren „aufzuklären über sich selbst“. An dieser Rechtsprechungspraxis änderte sich auch um „Achtundsechzig“ herum nichts. Doch darum ging es den Angehörigen der Bewegung ja auch allenfalls in zweiter Linie. Zur Ikone ist vielmehr das Gespräch der Generationen am Abendbrottisch geworden. An diesem wurden die Fragen an die Eltern, vor allem an die Väter, gestellt. Beantwortet wurden sie offenbar kaum. Der Psychoanalytiker Christian Schneider hat zu bedenken gegeben, dass es womöglich einen „eigenartigen Pakt zwischen den Generationen“ gegeben habe: So wie die Jugend der 1950er-Jahre im stillen Konsensus mit den Eltern wohl tatsächlich weitgehend aufs Fragen verzichtete, so fand die Achtundsechziger-Generation „keine Form der Frage, die wirklich eine Antwort ermöglicht hätte“. Der Wunsch nach Aufklärung war zur Anklage verzerrt, und in der „Atmosphäre eines Tribunals“ kam es zu keinem Dialog. Womöglich – so Schneider – „wären die hervorgelockten ‚Geständnisse‘ für beide Seiten unerträglich gewesen“.39 Die wenig konkrete Auseinandersetzung mit dem historischen Geschehen spiegelt sich auch in der Form des öffentlichen Gedenkens an die Novemberpogrome von 1938. Dieses folgte den inzwischen etablierten Formen einer mahnenden Erinnerung, den rhetorischen Bahnen einer christlich-jüdischen Zusammenarbeit in Form der „Wochen der Brüderlichkeit“, der Toleranz und der „Versöhnung“. Verglichen mit dem Jahr 1958, als erstmals Stellungnahmen des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers zum Jahrestag der Pogrome veröffentlicht worden waren, war sogar ein gewisser Rückschritt zu verzeichnen. 1968 waren keine vergleichbaren Äußerungen zu vernehmen, es gab keine na-
37 Pendas, Auschwitz-Prozess, S. 267. 38 In einer Allensbach-Umfrage gaben 1965 57 Prozent der Befragten an, gegen weitere NSProzesse zu sein, das waren deutlich mehr als noch 1958 (34 Prozent). Vgl. Pendas, AuschwitzProzess, S. 272. 39 Christian Schneider, Verstehen und Verzeihen, Schweigen und Protest. Über einige aktuelle Schwierigkeiten beim Umgang mit dem Erbe des Nationalsozialismus, in: Werkblatt 39 (1997), Nr. 2, S. 75–93.
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tionale Gedenkveranstaltung, und weder die Zeit noch der Spiegel brachten etwas zum Jahrestag der Pogrome.40
Politisierung Da die Geschichte des Nationalsozialismus auch nach 1968 eher blass blieb, sind die 1970er-Jahre als „Phase der zweiten Verdrängung“ bezeichnet worden.41 In der Tat begab sich die Geschichtswissenschaft nicht mit neuem Elan an die empirische Erforschung von Nationalsozialismus und Holocaust, sondern verstrickte sich in einem zähen Schulenstreit zwischen „Intentionalisten“ und „Strukturalisten“, in dem es darum ging, ob das NS-Herrschaftssystem als auf Hitler zentriert interpretiert werden müsse oder durch eine „polykratische Herrschaftsstruktur“ gekennzeichnet gewesen sei. Auch die Diskurse über Faschismus, die an den Universitäten und im linken Milieu geführt wurden, blieben sehr viel stärker auf der Ebene der Abstraktion als dass sie sich für den realen deutschen Nationalsozialismus interessiert hätten. Es spricht einiges dafür, für die Zeit nach „Achtundsechzig“ nicht einfach von einer neuen „Verdrängung“ der NS-Vergangenheit zu sprechen, sondern von deren Politisierung. Der Nationalsozialismus tauchte jetzt in erster Linie als Kristallisationspunkt von Streit und Skandalen auf, während beispielsweise der große Majdanek-Prozess in Düsseldorf (1975–1981) kaum noch öffentliche Aufmerksamkeit fand. Seit den frühen 1970er-Jahren überschwemmte eine „HitlerWelle“ aus teils dubiosen, teils revisionistischen Publikationen über den „Führer“ den deutschen Buchmarkt, besonders umstritten war David Irvings Hitler und seine Feldherren (1975), in dem die spätere Holocaustleugnung des Autors bereits aufschien. In Baden-Württemberg musste 1978 Ministerpräsident Filbinger zurücktreten, nachdem öffentlich gemacht worden war, dass er als Marinerichter in den letzten Kriegsjahren mehrere Todesurteile beantragt und gefällt hatte. Eine Zäsur bildete schließlich 1979 die Ausstrahlung des amerikanischen TV-Mehrteilers Holocaust in den dritten Fernsehprogrammen, der in der Bundesrepublik ein immenses Echo fand. Holocaust lenkte den Blick der Deut40 Norbert Frei, Revolution statt „Reichskristallnacht“ – Am 9. November 1968 konkurrierten aktualisierte Erinnerungen, in: Münchner Beiträge zur Jüdischen Geschichte und Kultur 4 (2010), Nr. 2, S. 49–55. 41 Ulrich Herbert, Vernichtungspolitik. Neue Antworten und Fragen zur Geschichte des Holocaust, in: ders. (Hrsg.), Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1939–1945. Neue Forschungen und Kontroversen, Frankfurt am Main 1998, S. 9–66, hier S. 19.
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schen, der bislang noch immer eher dem Krieg gegolten hatte, jetzt auf das Zentralverbrechen des NS-Staates. Die Fernsehzuschauer folgten der fiktiven Geschichte der jüdischen Familie Weiß bis in die Gaskammer in Auschwitz. Aller Kritik an einer seifenopernartigen Inszenierung zum Trotz bot die Filmreihe offenbar Identifikationsmöglichkeiten und die Möglichkeit zur emotionalen Anteilnahme. Der Titel Holocaust bot fortan auch eine Bezeichnung für das Unaussprechliche. Seit Längerem ist allerdings zu Recht darauf hingewiesen worden, dass schon vor Holocaust erste Anzeichen für einen Wandel im Umgang mit dem Nationalsozialismus festzustellen waren, insbesondere hinsichtlich der Hinwendung zu den Opfern und den Überlebenden. Im November 1978 hatte es beispielsweise erstmals eine zentrale Gedenkveranstaltung in der Kölner Synagoge unter Teilnahme des Bundeskanzlers und eine sehr breite mediale Berichterstattung gegeben – mehr als 30 Jahre nach Kriegsende. Dass dem „Medienereignis“ Holocaust42 gemeinhin ein starker Zäsurcharakter zugemessen wird, rührt gewiss auch daher, dass es am Anfang eines Jahrzehnts stand, in dem sich der Umgang mit dem Nationalsozialismus deutlich veränderte. Neu war vor allem das Ausmaß des Interesses, das das Thema jetzt fand – freilich eingebettet in einen allgemein zu beobachtenden „Geschichtsboom“, der die Republik in vielfacher Weise erfasste.43 Vielerorts entstanden lokale Initiativen, Geschichtsvereine und „Geschichtswerkstätten“, die die Erforschung der NS-Geschichte auf eigene Faust in Angriff nahmen. „Geschichte von unten“ hieß die Devise und die Fragen an die NS-Vergangenheit waren ganz und gar nicht mehr abstrakt, sondern richteten sich an die eigene Gemeinde oder den eigenen Berufsstand. Dieses neue Interesse an der Alltagsgeschichte führte auch dazu, dass die „Oral History“ den Bürger als Quelle entdeckte: der Zeitzeuge war geboren. Der Blick auf den Nationalsozialismus erweiterte sich auch insofern, als zunehmend das Leid und die Erfahrungen der Opfer Aufmerksamkeit fanden. Bislang kaum beachtete Opfergruppen wie beispielsweise die im Zuge der sogenannten Euthanasie ermordeten Insassen der Heil- und Pflegeanstalten rückten ins Blickfeld, zahlreiche Initiativen bemühten sich um die Einrichtung von Mahnmalen, Gedenkstätten, Dokumentationen und Museen. Auch das bis dato weitgehend unsichtbare jüdische Leben in der Bundesrepublik wurde öffentlich 42 Jürgen Wilke, Die Fernsehserie „Holocaust“ als Medienereignis, in: Zeitgeschichte-online, Thema: Die Fernsehserie „Holocaust“ – Rückblicke auf eine „betroffene Nation“, hrsg. von Christoph Classen, März 2004, https://zeitgeschichte-online.de/themen/die-fernsehserie-holocaust-als-medienereignis, letzter Zugriff: 20. September 2020. 43 Vgl. Franka Maubach, Normalisierung und Kritik. Zum „Geschichtsboom“ seit den achtziger Jahren, in: Tim Schanetzky [u. a.] (Hrsg.), Demokratisierung der Deutschen. Errungenschaften und Anfechtungen eines Projekts, Göttingen 2020, S. 238–251.
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sichtbarer. Als demonstrativer Akt wurde in diesem Zusammenhang die Bühnenbesetzung verstanden, mit der Mitglieder der Frankfurter Jüdischen Gemeinde 1985 die Uraufführung des – unter Antisemitismusverdacht stehenden – Theaterstücks Der Müll, die Stadt und der Tod von Rainer Werner Fassbinder verhinderten.44 Die 1980er-Jahre lassen sich in diesem Sinne als Beginn der gesellschaftlichen Aufarbeitung des Themas Nationalsozialismus betrachten. Flankiert – und in gewisser Weise konterkariert – wurde diese neuartige gesellschaftliche Aneignung und Bearbeitung des Themas allerdings von einer Geschichtspolitik der Regierung Kohl, in der sich Versöhnungsgestus und Musealisierung eigentümlich vermischten. Das 1987 in Berlin eröffnete Deutsche Historische Museum, das von Helmut Kohl schon 1982 angeregte Haus der Geschichte in Bonn, aber auch des Kanzlers Vorliebe für öffentliche Gesten der Aussöhnung mit ehemaligen Kriegsgegnern – manch kritischer Beobachter im In- und Ausland las aus all dem den Wunsch ab, die Vergangenheit – nicht apologetisch, sondern gleichsam historisch-politisch korrekt – als „bewältigt“ zu den Akten zu legen. Auch der „Historikerstreit“, in dem es 1986/1987 um die „Normalisierung“ und „Historisierung“ der NS-Geschichte und insbesondere des Holocaust ging, ließ sich als Indiz dafür verstehen, dass in der Bundesrepublik nicht nur ein neues Interesse an der (Alltags-)Geschichte des „Dritten Reiches“ zu beobachten war, sondern auch ein gegenläufiges Bestreben, die Singularität von Nationalsozialismus und Holocaust zurückzudrängen und beides in einer Geschichte des Totalitarismus im 20. Jahrhundert aufgehen zu lassen.45 Diese Phase der Aufarbeitung umfasste auch die 1990er-Jahre. Das gesellschaftliche Interesse an der Geschichte des Nationalsozialismus manifestierte sich medial in den umstrittenen, aber ungeheuer breitenwirksamen TV-Dokumentationen, die nun – längst nicht nur von Guido Knopp – produziert wurden. In der Geschichtswissenschaft begann eine neue Welle empirischer Forschung, insbesondere begann nun auch hierzulande die eigentliche Erforschung des Holocaust. Mitte der 1990er-Jahre wurde durch die sogenannte „Wehrmachts-Ausstellung“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung eine der langlebigsten Un44 Zur Geschichte der Juden in Deutschland nach 1945 vgl. Michael Brenner (Hrsg.), Geschichte der Juden in Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart. Politik, Kultur und Gesellschaft. München 2012. Zu Frankfurt: Tobias Freimüller, Frankfurt und die Juden. Neuanfänge und Fremdheitserfahrungen 1945–1990, Göttingen 2020. 45 Ulrich Herbert, Der Historikerstreit. Politische, wissenschaftliche, biographische Aspekte, in: Martin Sabrow/Ralph Jessen/Klaus Große Kracht (Hrsg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945, München 2003; Reinhard Kühnl (Hrsg.), Vergangenheit, die nicht vergeht. Die „Historiker-Debatte“. Dokumentation, Darstellung und Kritik, Köln 1987.
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schuldslegenden erschüttert: die einer im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion vermeintlich „sauber“ gebliebenen Wehrmacht. Dass der Tatbestand einer weitgehenden Verstrickung der Armee (und damit einer ganzen Generation deutscher Männer) in die Verbrechen des Vernichtungskrieges im Osten längst erforscht war, änderte nichts an der emotionalen Aufladung des Streits.46 Auch die These des amerikanischen Soziologen und Politikwissenschaftlers Daniel Goldhagen, die Deutschen seien im „Dritten Reich“ infolge ihres ureigenen „eliminatorischen Antisemitismus“ zu Tätern und zu „Hitlers willigen Vollstreckern“ geworden, wurde in dieser Zeit heftig diskutiert.47 Nicht nur der Blick auf die Opfer des Nationalsozialismus war klarer geworden, jetzt fanden auch die Täter stärkere Beachtung. Zunehmend deutlicher wurde die Frage gestellt, wie „ganz normale Männer“ hatten zu Tätern und zu Mördern werden können.48 Angesichts dieser Entwicklung konnte es so scheinen, als habe gegen Ende der 1990er-Jahre die kritische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit nun alle Hindernisse durchbrochen, als seien alle Legenden entzaubert, alle Blockaden der Tätergeneration überwunden. 1998 beschlossen die Bundestagsfraktionen die Einrichtung einer Stiftung zur Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter, eine weitere bislang im Rahmen der „Wiedergutmachung“ nicht berücksichtigte Opfergruppe. In Berlin diskutierte man bereits seit Jahren über das – im Sommer 1999 schließlich vom Bundestag beschlossene – Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Doch auch am Ende des 20. Jahrhunderts blieb die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus ambivalent. In der Frankfurter Paulskirche forderte der Schriftsteller Martin Walser 1998 anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels für sich die Entpflichtung vom Erinnerungsdienst und klagte über die „Moralkeule“ Auschwitz. Wie vom Donner gerührt saß Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, inmitten des Publikums, das Walsers Rede beklatschte.49 Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein sprang Walser bei und stellte mit Blick auf das in Berlin geplante Mahn46 Hans-Günther Thiele (Hrsg.), Die Wehrmachtsausstellung. Dokumentation einer Kontroverse, Bonn 1997. 47 Daniel J. Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker: Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996 (Originalausgabe: Hitler’s Willing Executioners. Ordinary Germans and the Holocaust, New York 1996). 48 Christopher Browning, Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen, Reinbek bei Hamburg 1993 (Originalausgabe: Ordinary Men. Reserve Police Battalion 101 and the Final Solution in Poland, New York 1992). 49 Die anschließende öffentliche Kontroverse zwischen Bubis und Walser ist dokumentiert in: Frank Schirrmacher (Hrsg.), Die Walser-Bubis-Debatte. Eine Dokumentation, Frankfurt am Main 1999.
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mal fest, dass „dieses Schandmal gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland gerichtet ist. Man wird es aber nicht wagen, so sehr die Muskeln auch schwellen, mit Rücksicht auf die New Yorker Presse und die Haifische im Anwaltsgewand, die Mitte Berlins freizuhalten von solch einer Monstrosität.“50 Offenbar waren antisemitische Einstellungen und Motive wie das der bedrohlichen jüdischen Journalisten und Anwälte auch dort noch weit verbreitet, wo man sie längst überwunden glaubte. Mindestens irritierend war eine sowohl literarische als auch filmische Konjunktur der Themen Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung, die vor allem den Opferstatus der deutschen Bevölkerung betonte. Der Gestus, man müsse nun auch einmal über das Leid der Deutschen im Nationalsozialismus sprechen dürfen, ignorierte konsequent, dass dies nach 1945 lange sehr viel mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestanden hatte als das Leid der Opfer der NS-Verfolgung.51 Nicht minder bemerkenswert war, dass ausgerechnet von der „Achtundsechziger“-Generation nach der Jahrtausendwende eine Reihe familiärer Erinnerungsliteratur publiziert wurde, die mit der Elterngeneration ausgesprochen versöhnlich umging.52 Dazu passte, dass Harald Welzer u. a. ein weithin beachtetes Buch publizierten, das als Ergebnis einer aufwendigen Mehrgenerationenbefragung zum Thema Erinnerung und innerfamiliäre Wissenstradierung überraschenderweise festhielt, dass nachwachsende Generationen keineswegs kritischer auf Leben und Wirken ihrer Vorfahren im Nationalsozialismus blickten. Stattdessen galt für die Enkelgeneration oft gegen jede historische Evidenz: „Opa war kein Nazi.“53
Bewahrung Rund 20 Jahre später scheint dieses Phänomen wieder auf, wenn in MEMO, dem „Multidimensionalen Erinnerungsmonitor“, der vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld erarbeitet wird 50 Rudolf Augstein, Wir sind alle verletzbar, in: Der Spiegel, Heft 49, 30. November 1998, S. 32–33. 51 Besonders umstritten war die Interpretation des alliierten Bombenkrieges, die Jörg Friedrich unter dem Titel „Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940–1945“ publizierte (München 2002). 52 Wiebke Bruhns, Meines Vaters Land. Geschichte einer deutschen Familie, München 2005; Thomas Medicus, In den Augen meines Großvaters, München 2004; Uwe Timm, Am Beispiel meines Bruders, Köln 2003. 53 Harald Welzer/Sabine Moller/Karoline Tschuggnall, „Opa war kein Nazi.“ Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt am Main 2002.
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und zur „empirischen Dokumentation der Erinnerungskultur in Deutschland“ beitragen soll, 2019 zu lesen ist, dass die Befragten die eigene Familiengeschichte nach wie vor deutlich anders einschätzen als die Geschichte der deutschen Gesellschaft im Nationalsozialismus insgesamt. Insgesamt nämlich waren, so glauben die Befragten im Durchschnitt, 34 Prozent der Deutschen im Nationalsozialismus Täter, 34,7 Prozent waren Opfer. Nur 19,6 Prozent der Befragten gaben allerdings an, Täter in der eigenen Familie gehabt zu haben, 35,9 Prozent hingegen zählen NS-Opfer zu ihren Vorfahren, 39,3 Prozent Mitläufer.54 Bemerkenswert ist auch, wem die Befragten den Status des Opfers zumessen. Bezogen auf die Mitglieder der eigenen Familie nennen sie zu jeweils etwa 15 Prozent zivile Kriegsopfer, Soldaten und Geflüchtete oder Vertriebene. Nur 7 Prozent dagegen nennen Verfolgung durch den NS-Staat als Merkmal des Opferstatus.55 In einer Phase der Bewahrung der Erinnerung an Nationalsozialismus und Holocaust stellen sich neue Fragen und Herausforderungen. Einen unmittelbaren Bezug zu den Zeitgenossen wird es in Kürze nicht mehr geben. Sowohl die Entschädigung der Opfer als auch die strafrechtliche Verfolgung der Täter – die interessanterweise in den letzten 15 Jahren noch einmal einen unerwarteten Aufschwung genommen hat – werden an ihr Ende kommen. Rund 52 Prozent der für die MEMO-Studie Befragten interessieren sich stark oder sehr stark für deutsche Geschichte, rund 60 Prozent meinen, dass deutsche Geschichte sie persönlich eher viel oder sehr viel angehe. Auf die offene Frage, welche Aspekte der deutschen Geschichte besonders erinnerungswürdig seien, nennen rund 43 Prozent Ereignisse oder Themen aus dem Kontext des Nationalsozialismus, über 35 Prozent (tendenziell jüngerer Befragter) aber nannten Themen aus dem Kontext der Wiedervereinigung 1989/90.56 Hier deutet sich an, dass nicht nur die Geschichtswissenschaft, genauer: die Zeitgeschichte – den üblichen 30-jährigen Sperrfristen in Archiven folgend – ihren Fokus immer weiter in die Zeit nach 1945 verlagert. Auch in der Gesellschaft überlagern neuere geschichtliche Ereignisse und Erfahrungen die älteren. Der Nationalsozialismus rückt in größere zeitlich Ferne, Anknüpfungspunkte zu Familienmitgliedern, die als „Zeitzeugen“ gelten können, gibt es kaum noch.
54 MEMO. Multidimensionaler Erinnerungsmonitor, Studie II (2019), www.stiftung-evz.de/fileadmin/user_upload/EVZ_Uploads/Stiftung/Publikationen/EVZ_Studie_MEMO_2019_final.pdf, S. 14, 18, letzter Zugriff: 9. Januar 2021. 55 MEMO. Multidimensionaler Erinnerungsmonitor, Studie III (2020), www.stiftung-evz.de/fileadmin/user_upload/EVZ_Uploads/Publikationen/Studien/EVZ_Studie_MEMO_2020_dt_Endfassung.pdf, S. 16, letzter Zugriff: 9. Januar 2021. 56 MEMO II, S. 6.
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In der öffentlichen Diskussion über die Zukunft der Erinnerung wird der Abschied von den Zeitzeugen bisweilen so stark betont, als seien vor allem die Begegnungen mit ihnen in den letzten Jahrzehnten prägend für die Vermittlung der NS-Geschichte gewesen. Die Zeitspanne, in der die Zeitzeugen große öffentliche Aufmerksamkeit fanden, war in Wahrheit eher kurz.57 Tatsächlich gaben 2020 rund zwei Drittel der für die MEMO-Studie Befragten an, noch nie eine Veranstaltung mit einem „Zeitzeugen“ erlebt zu haben, in der Gruppe der unter Dreißigjährigen gaben die Befragten im Durchschnitt an, lediglich etwa fünf Personen zu kennen, die zur Zeit des Nationalsozialismus gelebt haben. Deutlich stärker ist die Auseinandersetzung mit der Rezeption von Dokumentaroder Spielfilmen verbunden.58 Es steht deshalb nicht zu vermuten, dass die fehlende Möglichkeit, Zeitzeugen zu erleben, die Erinnerung an Nationalsozialismus und Holocaust in naher Zukunft völlig verändern wird. Ganz offen ist allerdings, welche Effekte die Versuche der politischen Rechten haben werden, die Grenzen des Diskurses zu verschieben und die Art und Weise zu verändern, in der über den Nationalsozialismus gesprochen wird. Bislang zeigen Befragungen, dass trotz wachsender zeitlicher Distanz das Bewusstsein darüber weithin stabil ist, dass Nationalsozialismus und Holocaust wichtige Gegenstände der deutschen Geschichte und Gegenstand von Erinnerung sein sollten. Aber was bedeutet es, dass im Diskurs über die NS-Vergangenheit immer häufiger Begriffe wie „Erinnern“ und „Gedenken“ zu hören sind anstelle von Begriffen, die eine aktive Aneignung der Geschichte anzeigen („Aufarbeiten“)? Wird sich aus den schwindenden generationellen und familiären Bezügen ergeben, dass über die NS-Vergangenheit weniger gestritten, gesprochen und nachgedacht wird? Und folgt daraus womöglich eine Entkonkretisierung des historischen Bewusstseins, in dem Nationalsozialismus und Holocaust zu einem geschichtlichen Komplex werden, der zunehmend weniger zu begreifen ist? In sehr hohem Maße fühlen sich die für MEMO Befragten gut oder sehr gut informiert über verschiedene Aspekte der NS-Geschichte59, und nicht nur bei Studierenden des Faches Geschichte ist nach wie vor ein großes Bedürfnis danach zu spüren, zu verstehen, was genau im „Dritten Reich“ geschehen ist und wie es dazu kam. Dieses Verständnis wird sich zukünftig noch weniger als in der Vergangenheit durch ein als routiniert wahrgenommenes Erinnern erlangen lassen. Das Interesse an der Vergangenheit wird sich womöglich auch immer weniger 57 Norbert Frei, Abschied von der Zeitgenossenschaft. Der Nationalsozialismus und seine Erforschung auf dem Weg in die Geschichte, in: WerkstattGeschichte 20 (1998), S. 69–83. 58 MEMO III, S. 10–11. 59 MEMO III, S. 15.
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rein moralisch evozieren lassen, sondern es muss über Angebote und Möglichkeiten zum Nachdenken und Lernen geweckt werden. Darin liegt auch ein erhebliches Potential zum Verständnis aktueller Problemlagen.
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Erinnerung und Abwehr Fünfundsiebzig Jahre nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus durch die Alliierten und der Befreiung der Welt von der deutschen Barbarei ist Antisemitismus allgegenwärtig, weltweit, aber auch und gerade in Deutschland. Allgegenwärtig in Form von palästinensischen Banden, die tagtäglich Israel terrorisieren, allgegenwärtig in Form von rechten und linken Verbündeten des antisemitischen Mobs in Europa, die zusammen mit Islamist*innen demonstrieren oder, mal der eine, mal der andere, verantwortlich zeichnen für Gewaltund Propagandataten gegen Jüdinnen und Juden. Die antisemitischen Vernichtungsdrohungen des Iran stehen nach wie vor im Raum. Bei iranischen Konferenzen von Holocaust-Leugner*innen in Teheran tummeln sich regelmäßig rechte wie linke Antisemit*innen aus aller Welt, der islamische Antisemitismus agiert weltweit mit brutalstem Terrorismus, was gleichermaßen für den rechtsterroristischen Antisemitismus gilt. Heute also, da Antisemitismus nicht einfach eine abstrakte Bedrohung, sondern wieder blutige Realität ist, stellt sich die Frage nach der Erinnerung erneut. Gerade die antisemitische Gegenwart erzwingt die Notwendigkeit der Erinnerung, erzwingt es zu ertragen, dass der aktuelle Antisemitismus auf der Tradierung einer Erinnerungsverweigerung fußt, bei der bis heute im nationalen und vor allem familiären Gedächtnis die Weigerung in die Einsicht dominiert, dass – je nach Alter – der eigene Vater oder die eigene Mutter, der eigene Opa oder die eigene Oma, der eigene Uropa oder die eigene Uroma schuldig waren. Schuldig meint dabei Schuld in einem vielfältigen Sinn: die Schuld, weggesehen zu haben; die Schuld, die offensichtlichen Lügen der Nazis geglaubt zu haben; die Schuld, die Straßenseite gewechselt zu haben, wenn einem eine Jüdin oder ein Jude entgegenkam; die Schuld, Freundschaften beendet zu haben; die Schuld, Ehepartner*innen verlassen zu haben; die Schuld, denunziert zu haben; die Schuld, nicht in jüdischen Geschäften gekauft zu haben; die Schuld, Jüdinnen und Juden nichts verkauft zu haben; die Schuld, Angestellte entlassen zu haben; die Schuld, Raubgut und enteignete Waren gekauft zu haben; die Schuld, von Raub und Plünderung der deutschen Soldaten profitiert zu haben; die Schuld, den sogenannten Feindsender nicht gehört zu haben; die Schuld, von Hitler fasziniert gewesen zu sein; die Schuld, geglaubt zu haben, die Juden Notiz: Der Beitrag basiert auf Überlegungen, die in dem Buch „Kollektive Unschuld. Die Abwehr der Shoah im deutschen Erinnern“ (Leipzig 2020) formuliert sind und wurde für die vorliegende Publikation leicht überarbeitet und aktualisiert. https://doi.org/10.1515/9783110710601-004
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seien der Ursprung der eigenen Unzulänglichkeiten; die Schuld, die Nazis gewählt zu haben; die Schuld, in einer der unzähligen Situationen des Alltags geschwiegen zu haben: „Zwar wussten die wenigsten alles, aber die meisten doch genug, um aus den verfügbaren Einzelinformationen auf ein Gesamtbild schließen zu können.“1 Es ist eine Schuld, die weit früher beginnt als beim handgreiflichen Mord, eine Schuld, von der so gut wie keine deutsche Familie frei ist – die aber nach wie vor von der Mehrheit der Kinder und Enkel in ihrer eigenen Familiengeschichte nicht aufgearbeitet wurde bzw. aktiv verharmlost und geleugnet wird. Antisemitismus ist der schmerzhafteste Ausdruck der Unwilligkeit und der Unfähigkeit, die eigene Vergangenheit als eine Vergangenheit der unerträglichen Verstörung aufzuarbeiten. Deshalb tut man den Opfern auch ein weiteres Mal Gewalt an: eine Gewalt der Erinnerungsverweigerung, eine Gewalt des Vergessens. Die neuen Antisemit*innen ertragen die Verstörung nicht, sie ertragen nicht, dass sich für sie nichts Positives, nichts Konstruktives aus Auschwitz ergibt, sondern dass sie das Erbe der Barbarei nur verarbeiten könnten, wenn sie zunächst einmal bereit wären, es zu ertragen. Wie Adorno in Schuld und Abwehr sagt: „Man darf vielleicht sagen, daß eigentlich nur der vom neurotischen Schuldgefühl frei ist und fähig, den ganzen Komplex zu überwinden, der sich selbst als schuldig erfährt, auch an dem, woran er im handgreiflichen Sinne nicht schuldig ist.“2 Die Täterschaft der eigenen Eltern oder Großeltern verschwindet eben dadurch nicht, dass sie verleugnet oder unbearbeitet verdrängt wird. Sie bleibt bei den Kindern und Enkeln, mit Thanos Lipowatz gesprochen, „anderswo“ im Unbewussten und kann von dort wieder, an anderer Stelle, ins Bewusstsein zurückkehren.3 Die infantile Lüge, die schon Alexander und Margarete Mitscherlich als psychischen Abwehrmechanismus beschrieben haben,4 nach der man im Nationalsozialismus „nur“ dem Führer gefolgt und von diesem verraten worden, also eigentlich selbst Opfer gewesen sei, wird von der Kinder- und Enkelgeneration tradiert: als doppelte Lüge über die eigenen Eltern und Großeltern, 1 Frank Bajohr/Andrea Löw, Tendenzen und Probleme der neueren Holocaust-Forschung: Eine Einführung, in: dies. (Hrsg.), Der Holocaust. Ergebnisse und neue Fragen der Forschung, Frankfurt am Main 2015, S. 10–20, hier S. 13. 2 Theodor W. Adorno, Schuld und Abwehr. Eine qualitative Analyse zum Gruppenexperiment (1955), in: ders., Gesammelte Schriften, Band 9.2, Frankfurt am Main 1997, S. 121–324, hier S. 320. 3 Thanos Lipowatz, Politik der Psyche. Eine Einführung in die Psychopathologie des Politischen, Wien 1998, S. 49. 4 Alexander Mitscherlich/Margarete Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, 13. Aufl., München 1980, S. 53–54.
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deren Täterschaft emotional und symbolisch stets präsent geblieben ist. Dauerpräsent im Alltag, etwa in Familienfotoalben mit Wehrmachts- und SS-Uniformen, auf Postkartensammlungen „von der Front“, durch weiterhin in Wohnungen befindliche (nun anders genutzte) Waffenschränke, durch lokale Aufmarsch- und Initiationsorte (die beispielsweise von Schützen- und Heimatvereinen weiter genutzt wurden), durch Vertriebenentreffen mit geschichtsund gebietsrevisionistischer Rhetorik und völkischer Brauchtumspflege, durch NS-Bauwerke (deren Architektur auch nach Entfernung der Hakenkreuze nazistisch geblieben ist), durch das Nachwirken von bis heute öffentlich erhaltener NS-Kunst (von Leni Riefenstahl bis Arno Breker), durch rechtsextreme Parteien wie die Sozialistische Reichspartei oder den (zeitweilig sogar an der Regierungskoalition beteiligten) Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten, durch zahlreiche Altnazis in Ministerämtern und vieles mehr. Sie blieben aber eben auch in den völkischen und antisemitischen Begriffen präsent, die von der Großeltern-Generation in den 1950er-/1960er-Jahren weiter verwandt wurden, in ihrem Raunen und Imitieren des vermeintlich Jüdischen, wenn ein Repräsentant des Zentralrates der Juden im Fernsehen zu sehen war, ihrem antisemitischen Nachäffen, ihrem Festhalten an den „deutschen Tugenden“, die eben in ihrem zutiefst repressiven und freiheitsfeindlichen Kern (Ordnung, Pünktlichkeit, Sauberkeit etc.) nicht vom Nationalsozialismus „missbraucht“ wurden, sondern ihn konsequent vorbereitet haben, in ihren Erziehungsidealen der Härte und Schmerzfreiheit, in ihrem Hass auf Amerika und die Sowjetunion, dem öffentlich goutierten Umweg des Antisemitismus in einer Reformulierung als Antiamerikanismus und Antikommunismus,5 ihrem regressiv-nationalen Jubel über den bundesdeutschen Sieg bei der Fußballweltmeisterschaft 1954, ihrer klammheimlichen Freude über die antisemitische Schmierwelle 1959/1960 und ihre Sympathie für Bundeskanzler Konrad Adenauer, der diese antisemitischen Straftaten „Lümmeln“ zuschrieb, denen man „eine Tracht Prügel“ geben müsse und sie damit bagatellisierte und zugleich an die von Mitscherlich/Mitscherlich beschriebene antisemitische Phantasie, doch für seine Wut- und Zornaffekte eben nicht verantwortlich zu sein (weil ja doch nur ein Kind und insofern infantil), anschloss – alle diese und noch viele andere Momente prägten die Sozialisation, in der eben doch andauernd „vom Krieg“ erzählt wurde. Jede und jeder wusste, dass es unzählige Täter*innen gab, aber niemand wagte zu erkennen, dass diese Täter*innen Abend für Abend mit am eigenen Esstisch saßen, als „vom Krieg“ die Rede war, von dem man dann in der Schule 5 Vgl. Gesine Schwan, Antikommunismus und Antiamerikanismus in Deutschland. Kontinuität und Wandel nach 1945, Baden-Baden 1999.
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erfuhr, dass es ein deutscher Vernichtungskrieg war, lernte, dass die Nazis Millionen von Menschen ermordet hatten in diesem und während dieses Krieges – ahnend, dass es einen Zusammenhang geben muss zwischen allgemeinem Geschichtslernen und eigener Familiengeschichte, aber sich dieses niemals eingestehend und deshalb die familiäre Täterschaft verdrängend in das Unbewusste, aus dem es dann – als Schuldabwehr, als Israelhass, als Palästinensersolidarität – wieder hervorbricht. Die Unerträglichkeit der barbarischen Gewalt, die in Person von Vater oder Mutter, Oma oder Opa täglich mit am Tisch saß, das Wissen, dass diese Menschen, die man über alles geliebt hat, genau die antisemitischen Mörder*innen gewesen sein mussten, von denen man in der Schule hörte, war so unerträglich, dass es verdrängt wurde. Und so haben die Kinder und Enkel der Nazi-Täter*innen ihre Eltern bzw. Großeltern in der Erinnerung zu Opfern stilisiert, da sie einerseits eben kein präzises Wissen über die NS-Vergangenheit und die Shoah hatten (oder haben wollten) und zugleich die Eltern bzw. Großeltern als Opfer von Bespitzelung, Terror, Krieg, Bomben und Gefangenschaft wahrgenommen wurden, wie die familienbiografische Studie Opa war kein Nazi gezeigt hat.6 Da die Kinder- und Enkelgeneration der NS-Täter*innen Letzteres aber moralisch verurteilte und für „schlecht“ und „böse“ hielt, wurden die eigenen Eltern und Großeltern im Familiengedächtnis zu Widerstandskämpfer*innen und Opfern des Nationalsozialismus umgelogen. Historische Schätzungen zeigen hingegen aber, dass der Anteil derer, die potenziellen Opfern des Nationalsozialismus tatsächlich geholfen haben, bei ungefähr 0,3 Prozent liegt, was etwa 200.000 Menschen bei einer Bevölkerung von rund 70 Millionen entspricht.7 Insofern ist es völlig ausgeschlossen, dass auch nur ein Bruchteil derer, die sich selbst in Oppositions- oder Widerstandsgeschichten ihrer Familien ergehen, damit auch eine Realität beschreiben. Das Phantasma eines kollektiven Opferstatus und einer erfundenen Widerstandsbiografie ist hingegen bis in die Gegenwart weit verbreitet: Die MEMOStudie 2019 des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld und der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft hat gezeigt, dass 69,8 Prozent der Deutschen der Auffassung sind, dass ihre Vorfahren nicht „unter den Tätern während der Zeit des Nationalsozialismus“ waren; zugleich phantasieren sich 35,9 Prozent der Deutschen die Lüge herbei, 6 Harald Welzer/Sabine Moller/Karoline Tschuggnall, „Opa war kein Nazi“. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt am Main 2002. 7 Vgl. Jana Hensel, Opa war kein Held, in: Zeit Online, 3. März 2018, www.zeit.de/gesellschaft/ zeitgeschehen/2018-03/holocaust-gedenken-nationalsozialismus-erinnerungskultur-essayjana-hensel, letzter Zugriff: 4. September 2020.
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dass ihre Vorfahren „unter den Opfern während der Zeit des Nationalsozialismus“ gewesen seien. Und 28,7 Prozent behaupten, dass ihre Vorfahren „während der Zeit des Nationalsozialismus potentiellen Opfern geholfen“ hätten. Verachtung, Zorn und Wut waren durchaus vorhanden, sie wurden aber nicht gegen die gerichtet, die sie verdient hatten: gegen die eigenen Eltern und Großeltern, sondern abermals projiziert: gegen die Überlebenden und ihre Nachkommen – die man verantwortlich machte für die Erinnerung, dafür, dass man irgendwo tief in seinem Unbewussten eingeschrieben hatte und das ahnende Wissen niemals würde loswerden können, dass die eigenen Eltern oder Großeltern Teil der antisemitischen Vernichtungspraxis waren, dass sie konkret die Täter*innen waren, von denen man im Geschichtsunterricht abstrakt gehört hatte. Dieses unbewusste Wissen ist das psychische Erbe des Antisemitismus, das wie ein Alb auf den Kindern und Enkeln (und bald auch Urenkeln) der Täter*innen lastet,8 denn, wie Alexandra Senfft gesagt hat: „Kein Geschichtsbuch, kein Film, keine Veranstaltung und keine Ausstellung werden zur Aufklärung führen, wenn wir nicht den persönlichen Bezug erkennen.“9 Die heutige Elterngeneration hat die Auseinandersetzung mit ihren Eltern, also den Täter*innen des Nationalsozialismus – von wenigen Ausnahmen abgesehen – entweder in Gänze unterlassen oder hinter kryptischen Formeln der Kritik am Nationalsozialismus als „Faschismus“ und Überwachungsstaat versteckt und damit den antisemitischen Kern der NS-Politik geleugnet. Die sowohl aus der verschweigenden wie der rationalisierenden Form der Erinnerungsverweigerung an die konkreten Täter*innen während des Nationalsozialismus resultierende emotionale Erbschaft der Nicht-Aufarbeitung wird an die Enkelgeneration weitergegeben, die nun wiederum noch deutlichere Formen der Erinnerungs- und Schuldabwehr an den Tag legt, weil sich die NichtReflexion verdoppelt: denn mit der Hinterfragung der eigenen Eltern wäre notwendig eine doppelte Kritik verbunden – die unmittelbare an ihnen als Eltern (die jeden individuellen Emanzipationsprozess begleiten muss, soll er gelingen), wie auch die an ihrer unkritischen Form der Entsorgung der eigenen (individuellen wie kollektiven) Vergangenheit im (Nicht-)Dialog mit der GroßelternGeneration. All die verdrängte Wut und der verschobene Hass auf die unbewussten Familienerbschaften und die Nicht-Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichten 8 Vgl. Angela Moré, Die unbewusste Weitergabe von Traumata und Schuldverstrickungen an nachfolgende Generationen, in: Journal für Psychologie 21 (2013), H. 2, www.journal-fuer-psychologie.de/index.php/jfp/article/view/268/310, letzter Zugriff: 4. September 2020; Gabriele Rosenthal, Der Holocaust im Leben von drei Generationen. Familien von Überlebenden der Shoah und von Nazi-Tätern, 2. Aufl., Gießen 1997. 9 Alexandra Senfft, Schweigen tut weh. Eine deutsche Familiengeschichte, Berlin 2008, S. 343.
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richtet sich nun wieder bei der Generation der Nachgeborenen gegen die Juden und ihren Staat, der nun militärisch dazu in der Lage ist, sich gegen die Antisemit*innen zu wehren – und der verdrängte Hass tritt auf diesem Umweg wieder ans Licht, einem Umweg, der es ersparte, sich seine Wut und seinen Zorn gegenüber seinen Eltern und Großeltern eingestehen zu müssen, da man nun nicht mehr sie hassen musste, sondern mit ihnen gemeinsam hassen kann. So hat, wie Lipowatz sagt, eben „das Unbewußte, das nicht abgeschafft werden kann“, immer „das letzte Wort“.10 Antisemitismus war und ist in der bundesdeutschen Geschichte offiziell diskreditiert, trotzdem sowohl in der Nachkriegszeit wie in der Gegenwart weit verbreitet. Quantitative Studien belegen kontinuierlich und bis in die Gegenwart mindestens 15 bis 20 Prozent Antisemitinnen und Antisemiten in der deutschen Gesellschaft. Diese finden sich in allen politischen Spektren, artikulieren sich aber unterschiedlich – wobei nicht übersehen werden darf, dass alle Varianten des Nachkriegsantisemitismus eine Folge und Reaktion auf den NS-Antisemitismus sind, also nicht ohne die Massenvernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden gedacht werden können. Und das heißt, dass jede antisemitische Äußerung in Deutschland dieses Erbe der Schuldverantwortung objektiv einschließt, auch wenn es subjektiv nicht intendiert sein muss. Wir finden Antisemitismus in der Gegenwart gleichermaßen im rechten, linken und islamistischen Spektrum wie auch in der gesellschaftlichen Mitte. Während die gesellschaftliche Mitte vor allem der Ort ist, an dem schuldabwehrende Formen von Antisemitismus zu lokalisieren sind, die seit der Beschneidungsdebatte wieder offen und aggressiv, nun aber moralisch-humanistisch legiert und pseudo-geläutert als ein omnipotenter Überlegenheitsantisemitismus geäußert werden,11 kommt ihr noch eine spezifische Verantwortung für den gegenwärtigen Antisemitismus zu. Denn die Mobilisierungsmöglichkeiten des Antisemitismus haben ihre Ursache in der Mitte der Gesellschaft, insofern ist das dröhnend laute Schweigen weiter Teile der Gesellschaft zum Antisemitismus auch einer der wesentlichen Gründe für dessen zunehmende Mobilisierungsfähigkeit. Die Mehrheit der Antisemit*innen ging davon aus, wie vor allem Werner Bergmann und Rainer Erb gezeigt haben, dass es ein Tabu in der Bundesrepublik gebe, sich antisemitisch zu äußern.12 Zahlreiche historische Beispiele, wie etwa die Diskussion um die antisemitische Schmierwelle 1959/ 10 Lipowatz, Politik der Psyche, S. 47. 11 Vgl. Dana Ionescu, Judenbilder in der deutschen Beschneidungskontroverse, Baden-Baden 2018. 12 Vgl. Werner Bergmann/Rainer Erb, Kommunikationslatenz, Moral und öffentliche Meinung. Theoretische Überlegungen zum Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 38 (1986), S. 223–246.
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1960, die Fassbinder-Kontroverse oder der Historikerstreit zeigen, dass ein solches Tabu zwar immer in der antisemitische Phantasie, nie aber in der Realität existiert hat, gleichwohl führte diese Phantasie dazu, dass über lange Zeiträume in der bundesdeutschen Geschichte antisemitische Äußerungen aus der Mitte der Gesellschaft nicht öffentlich, sondern nur halb-öffentlich – etwa am Stammtisch – geäußert wurden. Dies änderte sich mit der Paulskirchen-Rede von Martin Walser 1998, in der Walser Antisemitismus öffentlich salonfähig gemacht hat. Seither tragen Äußerungen von prominenten Politkern oder Künstlern aus der „Mitte der Gesellschaft“ dazu bei, dass die ohnehin vorhandenen antisemitischen Einstellungen wieder zunehmend öffentlich sagbar wurden. Insofern liegt die Verantwortung der gesellschaftlichen Mitte auch darin, dass in einem öffentlichen Klima, in dem Israelhass und antisemitische Schuldabwehr fortwährend öffentlich kommuniziert werden, auch rechter, linker und islamistischer Antisemitismus wieder alltäglicher werden. Diese von Antisemit*innen aller politischen Spektren geteilte Schuldabwehr steht in direktem psychischen Zusammenhang zu dem gegen Israel gerichteten Antisemitismus und dessen propalästinensischer Orientierung. Denn die Solidarisierungen mit den Palästinenser*innen sind in ihrer Projektionsorientierung gerade deshalb so wirkmächtig, weil sie zweierlei psychische Funktionen erfüllen und insofern eine konformistische Rebellion par excellence sind: Auf der einen Seite stellen sie einen vordergründigen Bruch mit der NS-Ideologie dar, auf der anderen Seite handelt es sich aber um keinen Bruch, sondern nur um ein psychisch wirksames Rebellionssurrogat, in dem das völkische und antisemitische Weltbild des Nationalsozialismus übernommen wird, verbunden mit einer moralischen Scheinabgrenzung. So wird rebelliert, ohne sich (selbstkritisch) infrage stellen zu müssen. Insofern ist es nicht weniger als die größte Lebenslüge der Bundesrepublik: der Glaube an eine tatsächliche Aufarbeitung der Vergangenheit. Bei der eine kleine, gebildete, linksliberale Elite etwas für ein gesellschaftliches Phänomen hält, das zwar im intellektuellen Diskurs tatsächlich existiert, aber im gesamtgesellschaftlichen Raum nur rudimentär verankert ist – und, im Gegenteil, bis heute hartnäckiger denn je abgewehrt wird: die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, der Abschied vom eigenen Opfermythos und die Auseinandersetzung mit der antisemitischen Täterschaft in so gut wie allen Familiengeschichten der Bundesrepublik (was freilich nicht nur den westlichen, sondern ohne jede Abstriche auch den östlichen Teil Deutschlands meint). Das „kollektiv getragene und komplizenhafte Verschweigen der Verbrechen durch weite Teile der Nachkriegsgesellschaft“, das Wolfgang Hegener beschreibt, wirkte und wirkt weit länger fort, als es die aufgeklärten Eliten in Politik, Kultur und Medien oft wahr-
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haben wollen.13 Man hält die eigenen Positionen für die gesellschaftliche Realität und übersieht dabei, dass die eigene (Selbst-)Reflexion eben nur die einer verschwindend kleinen Elite ist. Claus Leggewie und Erik Meyer haben die deutsche Selbstfindung im Surrogat einer erfolgreichen Vergangenheitsaufarbeitung, die man bewältigen und damit abwehren wollte, in einem titelgebenden Zitat ihres Buches über die Debatten über die Errichtung des Holocaust-Mahnmals in Berlin zusammengefasst: „Ein Ort, an den man gerne geht“.14 Weltweit sind die Bilder bekannt, in denen Teenager und Erwachsene am Holocaust-Mahnmal posieren, als sei es die Kulisse eines Filmsets und seitdem die AfD als besonders lauter Lautsprecher der antisemitischen Geschichtsrevisionist*innen parlamentarisch verankert ist, fallen ihre Claqueure auch in NS-Gedenkstätten durch antisemitische Parolen und die Leugnung der Shoah auf. „Ein Ort, an den man gerne geht“ – man möchte nichts wissen über den Nationalsozialismus und die Shoah, vor allem nichts über die Täterschaft der eigenen Eltern, Großeltern und Urgroßeltern, aber dennoch seinen moralischen Profit daraus ziehen – aus einem Überlegenheitsdenken, das sich nun neben dem offenen und latenten Antisemitismus auch Bahn bricht in einer bevormundenden und besserwisserischen Haltung gegenüber der Welt, in der man von Deutschlands Geschichtspolitik lernen solle. Die Deutschen brachten die antisemitische Vernichtung über Europa und die Welt – nun möchten sie als „Olympioniken der Betroffenheit“15 auch ihr Erinnerungsmodell exportieren, unter dessen glänzendem Lack nichts ist als der Rost des deutschen Opfermythos und der antisemitischen Schuldabwehr. „Ein Ort, an den man gerne geht“ – es fasst die deutsche Alltagserinnerung präzise zusammen. Die abgewehrte und nicht-aufgearbeitete Schuld und Verantwortung, als „gefühlte Opfer“16 gewendet in einen kollektiven Opfermythos mit moralischer Überlegenheitsstilisierung wird eingeebnet in einer erinnerungspolitischen Wahrnehmung, in der die Shoah aufgelöst wird, um sich „in aller Unschuld im Spiegel anschauen“ zu können: durch ihre Leugnung – oder durch ihre Universalisierung.17 13 Wolfgang Hegener, Schuld-Abwehr. Psychoanalytische und kulturwissenschaftliche Studien zum Antisemitismus, Gießen 2019, S. 236. 14 Claus Leggewie/Erik Meyer, „Ein Ort, an den man gerne geht“. Das Holocaust-Mahnmal und die deutsche Geschichtspolitik nach 1989, München 2005. 15 Ulrike Jureit, Opferidentifikation und Erlösungshoffnung: Beobachtungen im erinnerungspolitischen Rampenlicht, in: dies./Christian Schneider: Gefühlte Opfer. Illusionen der Vergangenheitsbewältigung, Stuttgart 2010, S. 17–104, hier S. 19. 16 Jureit/Schneider, Gefühlte Opfer. 17 Matthias Heyl, Die nationalsozialistischen Massenverbrechen sind bei den Deutschen gut aufgehoben – Selbstbilder erfolgreich geleisteter Aufarbeitung in der Bundesrepublik nach
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Daniel Levy und Natan Sznaider haben sich in ihrem Buch Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust (2001), getragen von der Euphorie eines unmittelbar zurückliegenden Jahrzehnts, in dem es schien, als könnte sich die deutsche Erinnerungspolitik endlich einer selbstkritischen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit zuwenden, über die erinnerungspolitischen Implikate einer globalisierten Welt Gedanken gemacht. Vor dem Hintergrund einer kosmopolitischen Perspektive diskutieren sie darin die drängende Frage, wie Erinnerungspolitik konstituiert sein müsse, um nicht nur historisch, sondern auch gegenwärtig nicht blind zu sein, es geht um die bis heute zentrale Frage, „Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe“.18 Levy und Sznaiderargumentieren, dass die „Ermordung der Juden zum zentralen Thema für die Erinnerungsstruktur in der Zweiten Moderne wird“ und damit zum universalistischen Maßstab einer humanistischen Identifizierung werden müsse, womit die nationale Erinnerung in einen globalen Kontext gestellt würde und so die Shoah erinnerungs- und bildungspolitisch zum Maßstab für moralische Bewertungen werden müsse.19 Das nationale Gedächtnis müsse auf diese Weise zu einem universellen werden, die Shoah zum negativen Wertmaßstab für Erinnerung und Bildung. Nun war das Postulat einer „zweiten“ Moderne,20 die sich durch Selbstreflexivität auszeichne, schon grundsätzlich unter Ausblendung der Shoah und damit der Infragestellung moderner Vergesellschaftung durch den „Zivilisationsbruch“ Auschwitz21 formuliert worden und adressierte sich faktisch an eine kosmopolitische Elite, war also im Kern eine zwar verlockend klingende, aber letztlich utopische Vision. In dieselbe erkenntnistheoretische Falle tappen auch Levy und Sznaider, die ausgehend von ihrem eigenen kosmopolitischen Mikrokosmos implizit davon ausgehen, das Projekt einer „reflexiven Modernisierung“22 sei das Anliegen der Mehrheit der Menschen. Faktisch ist die Idee der „zweiten“ Moderne aber längst postmodern korrumpiert, Aufklärung und Universalismus werden im postmodernen Weltbild verworfen und an die Stelle der 1990 und das Unbehagen an der Erinnerungskultur, in: Meron Mendel/Astrid Messerschmidt (Hrsg.), Fragiler Konsens. Antisemitismuskritische Bildung in der Migrationsgesellschaft, Bonn 2019, S. 133–154, hier S. 152. 18 Theodor W. Adorno, Negative Dialektik (1966), in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 6, Frankfurt am Main 1997, S. 358. 19 Daniel Levy/Natan Sznaider, Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust, Frankfurt am Main 2001, S. 119. 20 Vgl. Ulrich Beck, Das Zeitalter der Nebenfolgen und die Politisierung der Moderne, in: ders./Anthony Giddens/Scott Lash: Reflexive Modernisierung. Eine Kontroverse, Frankfurt am Main 1996, S. 19–112. 21 Dan Diner (Hrsg.), Zivilisationsbruch. Denken nach Auschwitz, Frankfurt am Main 1988. 22 Beck, Das Zeitalter der Nebenfolgen, S. 23.
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erkenntnistheoretischen Überzeugung von Wahrheit tritt die postmoderne Beliebigkeit, aus dem aufgeklärten Postulat des sich emanzipierenden Subjekts erzeugt die Postmoderne einen radikalen Subjektivismus des repressiven Zwangs. Erinnerungspolitisch ist das deshalb so fatal, weil der erste Schritt des Universalisierungsanspruchs der Erinnerung nun im zweiten Schritt zur entkonkretisierten, enthistorisierten und emotionalisierten Willkür der Postmoderne wird, in der sich linke und rechte Antiuniversalist*innen treffen: Die Shoah wird nun, gilt sie einmal als universeller Wertmaßstab, in ihrer konkreten historischen Dimension ausgeblendet, die Erinnerung umso radikaler abgewehrt, da sie deutsche Täterschaften universalisiert und damit leugnet, weil sie Jüdinnen und Juden nicht mehr gedenkt, sondern durch ahistorische und im Kern geschichtsrevisionistische Vergleiche nun überall auf der Welt die Gefahr sieht, Auschwitz könne sich wiederholen, wie am signifikantesten in der deutschen Politik während des Kosovokrieges (1998/1999) vorgeführt, als man die militärische Intervention Deutschlands mit einem erfundenen „Hufeisenplan“ legitimierte und meinte, „wegen Auschwitz“ einen Krieg führen zu müssen, der in keiner Weise eine historische Vergleichbarkeit hatte – und zugleich aber auf der anderen Seite den realen Antisemitismus ausblendet, den palästinensischen Terrorismus mit seinem antisemitischen Vernichtungswillen als legitim verniedlicht, den Iran mit dessen unbedingtem Wille zur Vernichtung Israels hofiert und Antisemitismus in Form einer nivellierenden und sämtliche theoretischen Erkenntnisse ausblendenden Weise als Spiegelstrich unter anderen Formen von Diskriminierung subsumiert, in naivster Weise dann sogar Antisemitismus nicht mehr als Weltbild, sondern als plumpes „Vorurteil“ verharmlost:23 Im NS-Antisemitismus sollte jeder einzelne jüdische Mensch vernichtet werden, weil er als Teil einer verderblichen, verborgenen, abstrakten und übermächtigen Gegenrasse betrachtet wurde. Im kolonialen Rassismus gibt es keine Entsprechungen zu dieser Zuschreibung – weder auf Seiten der Kolonisierenden, noch auf Seiten der Kolonisierten lassen sich die antisemitischen Wahnvorstellungen übertragen oder eins zu eins übersetzen: Antisemitismus und Rassismus sind nicht kommensurabel, und damit kann Antisemitismus auch keine Unterform von oder kein Beispiel für Rassismus sein.24
Und nicht zuletzt wendet der postmoderne Antiuniversalismus das Universalisierungsparadigma der Erinnerung gegen es selbst, wenn nun anschließend an das im Schuldabwehrantisemitismus manifeste Moment der Täter-Opfer-Um-
23 Vgl. Samuel Salzborn, Antisemitismus als negative Leitidee der Moderne. Sozialwissenschaftliche Theorien im Vergleich, Frankfurt am Main/New York 2010. 24 Steffen Klävers, Decolonizing Auschwitz? Komparativ-postkoloniale Ansätze in der Holocaustforschung, Berlin 2019, S. 224.
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kehr gegen Israel als jüdischen Staat gerichtet wird, sich der antiisraelische Antisemitismus mit dem Schuldabwehrantisemitismus amalgamiert.25 Damit ist das Grundanliegen von Levy und Sznaider gekippt – gekippt in eine falsche Universalisierung, die im postmodernen Kontext vor allem dazu dient, die Shoah auszublenden, zu relativieren und moralisch zu instrumentalisieren, was in seiner ganzen Perfidität darin zum Ausdruck kommt, wenn Antisemitismus mit „Islamophobie“ analogisiert wird, wobei ausgeblendet wird, dass der Terminus „Islamophobie“ in islamistischem Kontext installiert wurde, um jede Kritik am Islam abzuwehren, insbesondere die Kritik am islamischen Antisemitismus.26 Hatten Levy und Sznaider noch vor Augen, in ihrer Universalisierungsidee tatsächlich universalistischen Maßstäben zur Durchsetzung zu verhelfen, ist die Universalisierung der Erinnerung unter postmodernen Prämissen faktisch zu einer Entsorgung der deutschen Vergangenheit verkommen, die umstandslos eingereiht wird in andere Völkermorde und Verbrechen. Was entgegen der Intention der Autoren universalisiert wurde, ist die Erinnerungsabwehr, die Möglichkeit, sich in der deutschen Täter-Opfer-Umkehr einzurichten als moralische Siegerin der Geschichte und seinen Mythos kollektiver Unschuld auf diesem Umweg durch den internationalen Kontext sakrosankt zu machen. Wenn der Nationalsozialismus und die Shoah aber erinnerungspolitisch „universalisiert“ sind, es also nicht mehr um historische Fakten und erkenntnistheoretische Wahrheit geht, dann fehlt auch jedes öffentliche Bewusstsein, sich gegen vorsätzlichen Geschichtsrevisionismus zu stellen, da jeder Realitätsmaßstab entschwunden ist: Die Täter-Opfer-Umkehr, wie sie die extreme Rechte in Deutschland unter Federführung der AfD betreibt, schließt insofern nahtlos an Erinnerungsabwehrversuche der 1980er-Jahre an, als diese noch nicht als rechtsextreme Positionen wahrgenommen wurden, weil ihre Akteure nicht aus dem rechtsextremen Milieu stammten. Dabei findet allerdings eine bemerkenswerte Inversion statt: Galten Helmut Kohl und Martin Walser nicht als rechtsextrem, wurden aber dennoch für ihre Positionen kritisiert, gelten Björn Höcke und Alexander Gauland sehr wohl als rechtsextrem, im postmodernen Nebel der erinnerungspolitischen Degenerierung werden nun aber ihre Positionierungen nur selten als das benannt, was sie sind: antisemitisch und geschichtsrevisionistisch. Die Postmoderne hat insofern mit ihrem antiemanzipatorischen Kampf gegen die Wahrheit das erinnerungspolitische Feld für die extreme Rech25 Vgl. Samuel Salzborn, Globaler Antisemitismus. Eine Spurensuche in den Abgründen der Moderne, Weinheim 2018, S. 155–156. 26 Vgl. Luzie H. Kahlweiß/Samuel Salzborn, „Islamophobie“ als politischer Kampfbegriff. Zur konzeptionellen und empirischen Kritik des Islamophobiebegriffs, in: Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung 6 (2011/2012), S. 248–263.
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te bereitet, auf dem es nun nicht mehr um Erkenntnis und Wahrheit, sondern nur noch um die nackte Frage der Durchsetzung von politischer Macht und diskursiver Gewalt geht. Der Kampf ums Geschichtsbild wird in der Gegenwart um die Zukunft geführt. Das Verhältnis von reflexivem Erinnern und identitärer Sinnstiftung markiert das geschichtspolitische Spannungsfeld, wobei die Kernfrage darin besteht, ob Geschichte adäquat interpretiert oder lediglich verwertet werden soll. Während die interpretative Variante einer kritischen Aufarbeitung der Vergangenheit zuneigt, zielt die verwertungsorientierte auf deren Instrumentalisierung und stellt in ihrer Verwertungslogik darauf ab, was von Adorno in anderem Zusammenhang treffend als die am Tauschprinzip orientierte „Spießbürgersorge“ beschrieben wurde, sich daran zu orientieren, was für das eigene Tun zu bekommen sei.27 Der Wunsch, als normalisierte Nation endlich auch etwas für die eigene Läuterung zu bekommen, schwingt deutlich mit bei der schleichenden Nivellierung der Erinnerung, die auch ein erneuerter deutscher Befreiungsdiskurs ist – als fortgesetzte Befreiung von der Vergangenheit, die Martin Walser nachhaltig mit seiner Paulskirchen-Rede 1998 eingeleitet hatte. Der Umgang der AfD mit der NS-Geschichte zeigt dies überdeutlich, exemplarisch anhand eines langen Interviews, das der AfD-Spitzenfunktionär Alexander Gauland im April 2016 mit der Zeit geführt hat. In diesem Gespräch fragte die Zeit Gauland nach der Bedeutung der von ihm an anderer Stelle verwandten Formulierung „Sittengesetz eines Volkes“, das verteidigt werden müsse. Darauf antwortet Gauland: Das ist das, woraus sich ein Volk entwickelt hat, aus Geschichte, Tradition, aus Umbrüchen. Sie können die Formulierung auch durch das Wort „Identität“ ersetzen, und diese Identität verteidigen andere Völker sehr viel stärker. Das hat natürlich mit Auschwitz zu tun. Ich war kürzlich das erste Mal in Auschwitz, wobei ich festgestellt habe, dass es mich nicht mehr ergriffen hat, anders als bei meinem Besuch in Buchenwald. Es ist wie gefrorener Schrecken. Wenn man die vielen Haare und Pinsel und Koffer sieht, hat man plötzlich das Gefühl, das ist versteinert, das spricht nicht mehr. Ich glaube, dass Auschwitz, auch als Symbol, viel in uns zerstört hat.28
Die sich aufdrängende und nahe liegende Rückfrage, ob es nicht die Deutschen waren, „die da etwas zerstört haben“, scheint auch die erste Assoziation der Zeit-Journalisten Bernd Ulrich und Matthias Geis gewesen zu sein, die das Gespräch mit Gauland geführt haben, sodass sie direkt nachhaken, worauf Gau27 Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 7, Frankfurt am Main 1997, S. 373. 28 Alexander Gauland, „Hitler hat den Deutschen das Rückgrat gebrochen.“ Interview von Bernd Ulrich und Matthias Geis, in: Die Zeit, 14. April 2016, S. 6–7.
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land wiederum entgegnet: „Richtig, aber es ist dabei sehr viel mehr kaputtgegangen. Die Nazis haben viele Dinge berührt, die durch diese Berührung plötzlich nicht mehr sagbar wurden. Der Nationalstolz, den jeder Engländer, jeder Franzose empfindet, ist doch bei uns enorm hinterfragt, nach dem Motto: Dürfen wir das eigentlich noch sagen?“29 Auch hier folgt der assoziativ und intuitiv nahe liegende Einwand der Interviewer, dass es eben „außerhalb der deutschen Geschichte […] kein Verbrechen wie Auschwitz gegeben“ hat, was Gauland, der insgesamt in dem Interview obsessiv fixiert ist auf den Nationalsozialismus, auch an Stellen, an denen er eigentlich nicht Thema sein müsste (bereits die Frage nach den „Sittengesetzen“ hat Gauland ja selbst und ohne argumentative Not auf den Nationalsozialismus und Auschwitz bezogen), kontert mit: „Ja. Hitler hat sehr viel mehr zerstört als die Städte und die Menschen, er hat den Deutschen das Rückgrat gebrochen, weitgehend.“30 Dieses Interview, noch lange geführt vor den öffentlich diskutierten geschichtsrevisionistischen Einlassungen zahlreicher AfD-Funktionseliten, ist ausgesprochen aufschlussreich für das Selbstverständnis der AfD mit Blick auf den Nationalsozialismus, nicht nur bezüglich der vorsätzlich formulierten Positionierungen, sondern gerade mit Blick auf das Unbewusste, das hier aus Gauland spricht – und unredigiert sichtbar macht, dass die AfD ein geradezu besessenes Verhältnis zum Nationalsozialismus hat, das nur lange Zeit in seiner antiaufklärerischen, geschichtsrevisionistischen und antisemitischen Implikation nachhaltiger kaschiert wurde als beispielsweise bei der NPD. Die geschichtspolitisch in Gaulands Versuchen zur Entlastung der eigenen Schuld zum Ausdruck kommende verleugnete deutsche Täterschaft im Nationalsozialismus verbindet sich mit dem Wunsch nach eigener (kollektiver) Unschuld, dem Phantasma des eigenen Opferstatus. Nicht die Deutschen haben etwas getan, sondern den Deutschen wurde etwas angetan, durch die rhetorische Separierung von Hitler – als personalisierter Inbegriff des Bösen und des Nationalsozialismus – und seinem Volk wird Schuld gleichermaßen exterritorialisiert wie verleugnet. Es scheint im Weltbild von Gauland keine Täter*innen mehr zu geben, außer Hitler und vielleicht noch ein paar führende Nazis. Das ignoriert – ob vorsätzlich oder unbewusst, ist gleichgültig –, dass das NS-Regime eine große Zustimmung in der deutschen Bevölkerung hatte, und dass die überwältigende Mehrheit der Deutschen an der Massenvernichtung der europäischen Juden aktiven und passiven Anteil hatte. Und es ignoriert, dass die völkische Volkstums- und antisemitische Vernichtungspolitik deshalb in einer derart barbarischen Weise umgesetzt werden konnte, weil es einen sehr 29 Gauland, Hitler. 30 Gauland, Hitler.
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weitreichenden Konsens zwischen NS-Führung und deutscher Bevölkerung gab. Grundlage für Gaulands Geschichtsbild ist eine positive Identifizierung mit der deutschen Nation, das heißt, „deutsch-sein“ wird weder infrage gestellt, noch findet eine Auseinandersetzung mit den negativen Seiten deutscher Geschichte statt – die er, wie einst Helmut Kohl, marginalisieren und unbedeutend machen will. Somit kann man sagen, dass keine (oder nur eine stark eingeschränkte) Ambivalenzwahrnehmung existiert, sondern lediglich der Versuch der Betonung und Überhöhung dessen, was als positiv wahrgenommen wird. Die Identifizierung mit der deutschen Nation ist das Zentrum des Denkens. Ziel der geschichtspolitischen Intervention von Gauland ist es, Deutsche generell als Opfer des Nationalsozialismus darzustellen. An das geschichtsrevisionistische Geschichtsbild von Gauland schloss im Januar 2017 Björn Höcke, AfDFraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag, an und verband den deutschen Opfermythos von Gauland und die Versuche der historischen Entlastung nun mit einer antisemitischen Positionierung, die zugleich eine massive Gewaltandrohung enthielt. Höcke hatte in einer Rede bei einer Veranstaltung der Jungen Alternative in Dresden erklärt, die „Bombardierung Dresdens“ sei ein „Kriegsverbrechen“ gewesen und man sei „bis heute“ nicht in der Lage, „unsere eigenen Opfer zu betrauern“ – was angesichts der flächendeckenden Kriegerdenkmäler in Deutschland einschließlich der umfangreich in der offiziellen Erinnerungskultur verankerten wie durch unzählige Gedenkorte manifestierten Erinnerung an das Thema Flucht und Vertreibung der Deutschen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schlichtweg eine unverfrorene und schamlose Lüge ist. Höcke führte dies aus, um eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ zu fordern, die „großartigen Leistungen der Altvorderen“ in den Mittelpunkt zu rücken und das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ zu bezeichnen, das man sich „in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt“ habe.31 Höcke verband dies mit der offenen Gewaltandrohung: „Die AfD ist die letzte evolutionäre, sie ist die letzte friedliche Chance für unser Vaterland.“32 Und nicht zufällig schloss Höcke terminologisch hiermit ja auch an den antisemitischen Denkraum an, den Martin Walser mit seiner Paulskirchen-Rede 1998 eröffnet hatte. In dieser Rede hatte sich Walser gegen eine kritische Reflexion der Vergangenheit und die „Moralkeule“ Auschwitz gewandt, deren Allgegenwärtigkeit er halluzinier31 Björn Höcke, Vollständiges Transkript der Rede vom 17. Januar 2017 im Ballhaus Watzke, Dresden im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Dresdner Gespräche“ organisiert vom Jugendverband der Alternative für Deutschland, der „Jungen Alternative“, pastebin.com/jQujwe89, letzter Zugriff: 4. September 2020. 32 Höcke, Rede im Ballhaus. (Hervorh. vom Verf.).
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te – und sprach von einer „Dauerpräsentation unserer Schande“, von einem „grausamen Erinnerungsdienst“ und einer „Routine des Beschuldigens“ in den Medien.33 Die Rede von Höcke zeigte die eigentliche Substanz der Aussagen, wie sie auch von Gauland formuliert wurden – und machte deutlich, dass sich ein geschichtsrevisionistischer Antisemitismus verbindet mit einem ahistorischen und wahrheitswidrigen Glauben an eine deutsche Opferidentität. Das zeigte auch sehr deutlich eine im September 2017 von Gauland gehaltene Rede, in der er für eine vollständige Umdrehung des Täter-Opfer-Verhältnisses eintrat und eine der zentralen Institutionen des antisemitischen Vernichtungskrieges, die deutsche Wehrmacht, mit den Alliierten Armeen gleichsetze, die im Unterschied zu den Deutschen keinen Vernichtungskrieg geführt haben, sondern die deutsche Wehrmacht davon abgehalten haben, noch mehr Menschen zu ermorden. Gauland sprach wörtlich davon, wenn Franzosen und Briten stolz auf ihre Armeen des Zweiten Weltkrieges seien, „haben wir das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“ zu sein. Und ebenfalls wörtlich: „Man muss uns diese zwölf Jahre nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr. Deshalb haben wir auch das Recht, uns nicht nur unser Land, sondern auch unsere Vergangenheit zurückzuholen.“34 Diese proklamierte „Rückholung“ der Vergangenheit, in der semantisch auch der Wunsch nach Rückkehr anklingt, wäre nicht weniger als der vollständige Vollzug antisemitischer Schuldabwehr im aggressiven Taumel eines wahnhaften Mythos kollektiver Unschuld. Nun sind der universalistische und der geschichtsrevisionistische Umgang mit der NS-Vergangenheit fraglos objektiv gegensätzlich intentional: Will der universalistische Ansatz die Erinnerung an die Shoah bewahren und aus ihr universalistische Postulate entwickeln, jede Wiederholung zu verhindern, strebt der geschichtsrevisionistische nach der Relativierung (bisweilen auch Leugnung) der Shoah mit der Absicht, die deutsche Nation zu entlasten und durch eine Täter-Opfer-Umkehr faktisch dasjenige Weltbild zu rehabilitieren, das Auschwitz möglich machte. Beide amalgamieren aber in demjenigen postmodernen Möglichkeitsraum, der sich kategorial gegen Wahrheitsansprüche wendet, zu intentional sich widersprechenden, aber durch ihre fluide Instrumentali33 Martin Walser, Die Banalität des Guten. Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede aus Anlaß der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Oktober 1998. 34 Gauland, zit. n. Gauland fordert „Stolz“ auf deutsche Soldaten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung online, 14. September 2017, www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/afd-alexander-gauland-relativiert-verbrechen-der-wehrmacht-15199412.html, letzter Zugriff: 4. September 2020.
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sierung faktisch den Kern der Erinnerung an die Shoah nivellierenden Wirkung: Sie lösen historische Wahrheit auf. Nun kann und darf man dem Universalisierungsansatz nicht zum Vorwurf machen, wie er gegenintentional instrumentalisiert wird, gleichwohl muss man bedingungslos vor dem Hintergrund postmoderner Erinnerungsdestruktion darauf beharren, dass zwar Erinnerung plural sein kann, dass dieser Pluralismus aber eben auch bedeutet, dass nicht jede Erinnerung wahr ist, sondern ganz im Gegenteil die Erinnerung im Land der Täter*innen oft changiert zwischen vorsätzlicher Lüge und unbewusster Verleugnung. Insofern liegt eine Konsequenz für eine notwendige Reaktion auf die, wie gesagt: durchaus gegenintentionalen, Kräfte der faktischen Erinnerungsabwehr, darin, dem postmodernen Postulat einer faktisch emotions- und reflexionslosen Parallelität von Erinnerungsansprüchen mit einem erkenntnistheoretischen Wahrheitsbegriff entgegenzutreten, der in Erinnerung ruft, dass die Erinnerung von Täter*innen und die von Opfern des Nationalsozialismus eine Differenz ums Ganze ist, aufgrund derer dem der deutschen Erinnerungslüge mit ihrer Täter-Opfer-Umkehr und der selbstverliebten Einrichtung in einen Mythos kollektiver Unschuld dezidiert die Legitimation entzogen werden sollte.
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Remembering the Shoah “From the Ground Up”: Civil Society Engagement in German and Transnational Memory In one of the seminal books about the globalization of memory, Aleida Assmann cites historian Enzo Traverso to the effect that the mnemohistory of the Holocaust has had a “unique career from almost total repression to global obsession.”1 In this chapter, I want to complicate this notion by examining the role of civil society in the remembrance of the Shoah from 1945 to the present. I argue that putting grassroots actors at the centre of our account of how and why the commemoration of the Holocaust has evolved, helps to make clear that there were indeed many early efforts, especially on the part of survivor organizations, to mark sites of Nazi terror and persecution. These initiatives were important (but often forgotten) precursors to the wave of civic activity that was instrumental in creating Germany’s decentralized landscape of remembrance from the early 1980s onwards. The driving forces behind the most of the hundreds of markers and memorial institutions that exist today were citizens’ initiatives, history workshops, reconciliation groups, and other grassroots organizations – loosely networked through the memorial site movement (Gedenkstättenbewegung). This movement profoundly influenced the institutions that shape memory policy in the Federal Republic, including, as I contend here, its transnational cooperation efforts. Thus, it is not fully accurate to describe the global approach to the Holocaust as an “obsession.” Though more research is needed here, I suggest that a host of strategic actors have worked to transnationalize Holocaust remembrance in a way that is much more sophisticated than this term implies. I begin by outlining how in the early post-war period, grassroots activists – mostly Holocaust survivors with some aid from others – did crucial work to safeguard sites of Nazi crimes, to create locations for mourning and remembrance, and to prevent “total repression”, in Traverso’s terms. Two points are important here: first, this work took place in the context of the intensifying Cold War confrontation. Second, civic engagement for the remembrance of the Shoah cannot be understood without taking into account its counterparts: memory activists who sought to privilege the memory of German victimhood. I then dis1 Aleida Assmann, “The Holocaust – a Global Memory? Extensions and Limits of a New Memory Community”, in Memory in a Global Age. Discourses, Practices and Trajectories, ed. Aleida Assmann and Sebastian Conrad (Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2010), 97–118. https://doi.org/10.1515/9783110710601-005
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cuss the emergence and nature of the Gedenkstättenbewegung and explain its importance in driving a shift in how the Nazi past in general, but the Shoah in particular, are viewed by the German public and by policy-makers. This development straddles and is centrally influenced by the unification processes of the 1990s. I also describe how the civic efforts for Holocaust remembrance have become institutionalized and consolidated.2 Finally, I assess to what extent German memorial institutions are engaged in transnational networks and whether their “civic spirit” has found its way into those networks.
Early Civil Society Activism to Remember the Shoah Germans’ silence about the past after 1945 has been lamented by numerous observers and was famously regarded as their “second guilt” by Ralph Giordano. Of course, this is accurate in the sense that the majority of citizens in both East and West Germany did not directly confront and speak about their participation in and responsibility for the genocide of European Jews. However, when examined more closely, the picture is more complex. On the one hand, Germans were extremely active in remembering their own wartime experiences, especially the bombings of German cities, the “expulsion” from East-Central Europe of ethnic Germans, and the experience of imprisonment for soldiers of the Wehrmacht. The memorials that were erected to commemorate these experiences were often highly “unspecific”, honoring for example the “Victims of War and Dictatorship” that (when convenient) could be regarded as including Holocaust victims. This aspect of dominant commemoration was instrumentalized by political elites in the context of Cold War politics. On the other hand, particularly survivors – ad-hoc initiatives, energetic individuals, and formal associations – quickly began marking sites of Nazi persecution and remembering the victims. Their efforts may not have been widely recognized, but they were crucial in safeguarding sites and artefacts, offering support to survivors, and providing subsequent campaigners for Holocaust memory shoulders to stand on. As the late German historian and former research director of the Topography of Terror Memorial in Berlin Reinhard Rürup stated: “In the first years after 2 My chapter draws heavily on Jenny Wüstenberg, Civil Society and Memory in Postwar Germany (Cambridge: Cambridge University Press, 2017). German edition: Zivilgesellschaft und Erinnerungspolitik in Deutschland seit 1945 (Berlin: LIT Verlag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2020).
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the war, it was almost exclusively the surviving opponents and victims of the Nazi regime who remembered those tortured and murdered by the Nazis. They erected the first, sometimes provisional, memorials at the former camps and other places of suffering and they organized the first commemorative events.”3 After the liberation of concentration camps on German soil by Allied troops, camp survivors immediately worked to commemorate those who had not survived by organizing dignified funeral rites and placing memorial markers. Though they were dependent on help from Allied forces and later German authorities, individuals and groups actively sought to shape how their comrades and loved ones were remembered. Thus, Zeev Mankowitz shows how She’erith Hapleitah (the Surviving Remnant) in the American zone of occupation worked to mark graves, erect memorials, and above all grapple with how the Holocaust could be remembered.4 Although there was also an impulse to tear down physical reminders of suffering such as barracks, groups such as these not only understood the importance of safeguarding particular sites of the Holocaust, but also the need to develop ways of grappling with the past. These included the refurbishing of Jewish cemeteries, the reburial of victims, the holding of religious ceremonies, the placement of memorials, and the re-enactment of death marches.5 For example, a monument was erected by the Bergen Belsen Jewish Committee during the first “congress of survivors” in September 1945.6 Because several Nazi concentration camps were turned into displaced persons (DP) camps, particular victim groups were in situ for several years, attempting to shape what became of particular locations – albeit against considerable resistance of local German leaders and citizens. Moreover, whether in ad-hoc fashion or more deliberately, German authorities sought to gradually “roll back” commemorative signage. For instance, in Bergen Belsen, workers removed stones placed by survivors in 1948.7 In Berlin, the Hauptausschuss Opfer des Faschismus (OdF) was the driving force behind mass rallies in September 1945, though various political parties, 3 Reinhard Rürup, “Nationalsozialismus, Krieg und Judenmord. Erinnerungspolitik und Erinnerungskulturen im internationalen Vergleich”, in Materialien zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas, ed. Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas (Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung, 2005), 156–172, here 166. 4 Zeev W Mankowitz, Life between Memory and Hope: The Survivors of the Holocaust in Occupied Germany (New York: Cambridge University Press, 2002). 5 Margarete Myers Feinstein, Holocaust Survivors in Postwar Germany, 1945–1957 (New York: Cambridge University Press, 2010); Mankowitz, Life between Memory and Hope. 6 Bergen-Belsen. Geschichte der Gedenkstätte – History of the Memorial, ed. Gedenkstätte Bergen-Belsen (Celle: Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, 2012). 7 Myers Feinstein, Holocaust Survivors, 87.
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the Jewish community of Berlin, and survivor associations inaugurated several memorials in Berlin as early as autumn 1945.8 For the next two decades or so, it was particularly a small group of survivors, including those organized abroad, that demanded commemoration. German associations included the Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), the Bund der Verfolgten des Naziregimes (BVN), the Verband der Opfer der Nürnberger Gesetze (OdN), the Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten (AvS), and the Bund der Politisch, Rassisch und Religiös Verfolgten (Bund-PRV) as well as some associations focused on particular sites or events (such as the Hilfswerk 20. Juli 1944). Most of those who had made it through the Holocaust were not willing or able to expend their energy on memorialization, but as Gerd Kühling has shown in detail for Berlin, the organised “Verfolgtenverbände”, worked tirelessly to mark sites of Nazi terror, despite not receiving much recognition for their efforts at the time or even retrospectively.9 Demands to remember the Shoah were caught up almost from the very beginning in the Cold War confrontation. The first designated Holocaust monument was put up in at the Steinplatz in West Berlin in 1953, two years after a monument to the victims of Stalinism at the same square. This modest marker, made of stone from a destroyed synagogue, was erected by the Bund der Verfolgten des Naziregimes, rather than a government entity.
Fig. 5-1: Memorial to the Victims of Nazism at Steinplatz in Berlin, erected in 1953 (Jenny Wüstenberg) 8 Anna Georgiev, “Gedenken nach dem Krieg. Zur Errichtung der ersten Opfer-des-Faschismus-Denkmäler in Berlin”, Gedenkstättenrundbrief 183 (2016), 44–50. 9 Gerd Kühling, Erinnerung an nationalsozialistische Verbrechen in Berlin: Verfolgte des Dritten Reiches und geschichtspolitisches Engagement im Kalten Krieg 1945–1979 (Berlin: Metropol, 2016), 11.
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The history of the Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) was shaped in especially stark ways by the politics of the East-West confrontation. After having emerged from the OdF in 1947, it was outlawed in East Germany in 1953 and replaced with the Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer (KdAW), which was tightly controlled by the GDR regime. In the West, the VVN with its left-wing and anti-fascist orientation was suspected of being infiltrated by agents of the GDR State Security (Stasi) and some regional branches forbidden as suspected communist front groups.10 Holocaust remembrance more generally was also strongly shaped by the Cold War. As Jeffrey Herf has argued, “neither binary, fascism and antifascism or communism and anticommunism, was conducive to remembering events and issues, such as the Holocaust, that did not fit these categories.”11 Chancellor Konrad Adenauer was acutely aware of the need to position the Federal Republic squarely in the anti-communist camp, while not endangering its nascent democratic institutions. Thus, he paired a low-key acknowledgment of Nazi crimes and rare official visits to Holocaust sites with staunch support for conservative and anti-communist memory politics. Under his administration, Nazi perpetrators were largely rehabilitated, while there was very little support for Shoah survivors.12 Moreover, Adenauer’s CDU courted veterans’ and expellee associations, which were in fact the most successful memory activists of the early post-war period. Thousands of markers referring to the lost territories in the East, flight, expulsion, Prisoners of War (POWs), the separation of Germany were erected in West Germany during the 1940s and 1950s – what Birgit Schwelling has called “memorials to the consequences of war” (Kriegsfolgedenkmäler).13 As Stephan Scholz has demonstrated, expellee memorials were mostly initiated by regional and national associations, but they were well-supported and closely interwoven with local and federal (party)political infrastructures.14 Similarly, the civic organizations driving the remembrance of the 1953 uprising in the GDR and victims of Stalinism, found much acclaim and support from officials. The most important monument to 10 Hans Coppi and Nicole Warmbold, Der zweite Sonntag im September. Gedenken und Erinnern an die Opfer des Faschismus. Zur Geschichte des OdF-Tages (Berlin: Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), no date, 40. 11 Jeffrey Herf, Divided Memory: The Nazi Past in the Two Germanys (Cambridge: Harvard University Press, 1997), 8. 12 Norbert Frei, Vergangenheitspolitik: Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit (München: Beck, 1996). 13 Birgit Schwelling, “Gedenken im Nachkrieg: Die ‘Friedland-Gedächtnisstätte’”, Zeithistorische Forschungen 5 (2008), 189–210. 14 Stephan Scholz, Vertriebenendenkmäler: Topographie einer deutschen Erinnerungslandschaft (Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2015).
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POWs in Friedland with its imposing memorial to “returnees from war” near Göttingen, was initiated by Adenauer in 1957 after he had welcomed home the last of the German POWs from Russia in a highly effective media event. It was guided to completion in 1967 by the “Federation of Homecomers, POWs and Relatives of the Missing” when the memory political tide in the FRG had begun to turn. In sum, civic efforts to commemorate the war experience in a way that silenced the Holocaust received much more robust state support than those that put a spotlight on the Shoah. Starting in 1958, the Action Reconciliation/Service for Peace (Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste) (ASF in the West, ASZ in the East) was an exception
Fig. 5-2: Heimkehrermahnmal at Friedland, erected in 1967 (Jenny Wüstenberg)
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to this trend. Founded by members of the Christian resistance to Nazism, ASF was the most prominent civil society initiative advocating for Holocaust remembrance that was not made up of survivors. As such it embodied the idea that the perpetrator society needed to take responsibility to remember its victims very early on. ASF organized contacts between German youth and survivors and sent them out to build infrastructure benefiting survivors and to maintain memorials. Its efforts expanded with time and represented an important venue for the socialization of generations of volunteers in memory work. In 2006, ASF Executive Director Christian Staffa estimated that up to 50 % contemporary staff in German Holocaust memorial institutions were at one point active with ASF.15 Action Reconciliation was also active in the GDR, but was prevented from connecting regularly with its West German counterpart until the mid-1960s. Even after that, the GDR government argued that this work was unnecessary in an anti-fascist state. The East German leadership had quickly seized on the memory of communist resistance to fascism, making it a central component of its legitimating narrative to the exclusion of the memory of the Shoah and the culpability of ordinary Germans. The sites of former concentration camps at Buchenwald, Ravensbrück and Sachsenhausen were made into state memorials (Nationale Mahn- und Gedenkstätten) in the late 1950s and promoted the same antifascist narrative. Thus, selected Holocaust survivors had an outsize role in the memory policies of the GDR, but there was little opportunity to commemorate Jewish victims in particular. Especially in the wake of the “anti-cosmopolitan purges” of the early 1950s, many Jews had decided to leave the GDR for good.16 The impossibility of organizing civic memory work in the GDR to remember the Holocaust without interference from the state lasted into the 1980s. Even then, the cautious forays from some members of the democratic opposition into Jewish history were met with much official suspicion.17 Overall, Holocaust remembrance in the first two decades after 1945 was determined above all by the unwillingness of the overwhelming majority of the population to confront the reality of the Holocaust, by the struggle against the odds by a minority (mostly made up of survivors), and by the Cold War context. As Kühling has contended, “the more heated the East-West Conflict became, the more important was it for the success of non-state initiatives to situate their demands in the context of this conflict.”18 In other words, it was crucial to the success of efforts to memorialize to find political allies and to frame remem15 16 17 18
Interview with Christian Staffa, May 17, 2006. Herf, Divided Memory. Interviews with Maria Nooke, April 28, 2006, and Hermann Simon, May 23, 2006. Kühling, Erinnerung an nationalsozialistische Verbrechen, 22.
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brance in a manner that would be suitable in the confrontation between the “anti-totalitarian” and “anti-fascist” positions. The aesthetics of memorials built during this era reflect this “discretion of the non-concrete”,19 which prevented an effective commemoration of the Holocaust without overtly refuting the need for such memory. Memorials that were recognizably dedicated to victims of the Holocaust were rare. The iconography and placement of memorials built during this early period in the Federal Republic also do not suggest a forceful call to remember. They employed conventional symbolism (obelisks, walls, quads, reliefs, mourning figures, as well as the star of David and the concentration camp triangle) and were usually not located in central or easily accessible locations.20 Meanwhile, many synagogues or sites of terror that had survived were torn down, eliminating a direct material link to the Nazi past. Brigitte Hausmann writes: “In terms of iconography, style and placement, memorials to victims of the Nazi regime and those for the victims of war and violence are not different from war memorials.”21 Ulrike Haß has called those memorials erected into the 1960s “memorials without remembrance” because they blurred the distinction between victim and perpetrator in death.22 However, this does not mean that all members of German civil society had given up on the goal of Holocaust remembrance during this time. In fact, the late 1970s saw a fundamental shift in commemoration that was made possible by the broader societal developments of the 1960s.
Transforming Holocaust Memory from Below: The Gedenkstättenbewegung of the 1980s and 1990s The 1960s are often credited with bringing the decisive turning point for German memory culture. However, while the “1968ers” most dramatically confronted institutional continuities from the Nazi era and demanded fundamental change, they were in fact not the most important drivers of the transformation of Holocaust memorialization. On the one hand, as I have argued, important work had been done early on by Holocaust survivors and other civil society activists, as well as by some liberal intellectuals and politicians. On the other 19 Kühling, Erinnerung an nationalsozialistische Verbrechen, 25 20 Brigitte Hausmann, Duell mit der Verdrängung? Denkmäler für die Opfer des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland 1980 bis 1990 (Münster: Lit Verlag, 1997). 21 Hausmann, Duell mit der Verdrängung?, 4. 22 Ulrike Haß, “Mahnmaltexte 1945 bis 1988. Annäherung an eine schwierige Textsorte”, Dachauer Hefte 6 (1994), 135–161.
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hand, the student movement did not directly target commemoration as a sphere of activity. If the period before the student upheaval could be regarded as the time of “memorials without remembrance”, the period from 1968 onwards can be seen as a time of “reckoning with the past without memorials.” As Jochen Spielmann put it: From 1968 to 1979, there was a more intense reckoning with National Socialism without this being expressed in memorialization. The historical consciousness of the “68 generation”, which analyzed and revealed not only the structure and ideology of National Socialism, but especially its continuities into the immediate present, could not utilize the monument for its intentions. Consequently, the monument was subjected to an intense discussion and was rejected as a medium for a discourse that is free of domination.23
Thus, the 68ers’ confrontation with the past remained relatively theoretical, less interested in concrete historical structures that could explain and critically remember the Holocaust. What the (formally unsuccessful) student revolution did do, however, is lead to the creation of a diverse and diffuse set of “new social movements”, prompting historian Andreas Wirsching to dub the 1980s the “decade of protest.” The peace, environmental, and women’s movements in Germany shared venues for gatherings and communications, such as neighborhoods, bookstores, and cafés, making up the left-alternative “scene”.24 Within this political and social milieu, a new interest for local history and “smaller” forms of activism flourished in myriad of “autonomous projects.” Starting in the early 1980s, this scene facilitated the emergence of countless initiatives to investigate history “from the ground up” and the formation of alternative archives and history workshops, organized in the history movement. While these were concerned with many different topics, often close to the core concerns of the new left, there was also increasing interest in studying the Nazi past and the Holocaust. At the same time, West Germany was experiencing what has been called a “memory boom” – a generalized public interest in the past that was expressed 23 Jochen Spielmann, „Gedenken und Denkmal“, in Gedenken und Denkmal: Entwürfe zur Erinnerung an die Deportation und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Berlins (Katalog der Ausstellung vom 4. November 1988 bis zum 8. Januar 1989 im Martin-Gropius-Bau Berlin), ed. Berlinische Galerie and Der Senator für Bau- und Wohnungswesen (Berlin: Berlinische Galerie, 1988), 7–46, here 15. 24 Sebastian Haunss and Darcy K Leach, “Social Movement Scenes: Infrastructures of Opposition in Civil Society”, in Civil Societies and Social Movements: Potentials and Problems, ed. Derrick Purdue (London: Routledge, 2007), 71–87. See also Das alternative Milieu: Antibürgerlicher Lebensstil und linke Politik in der Bundesrepublik Deutschland und Europa 1968–1983, ed. Sven Reichardt and Detlef Siegfried (Göttingen: Wallstein, 2010).
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in increased audiences for popular history books, historical museums, documentaries and more. With the Kohl government, history acquired a new level of importance in political discourse. Moreover, there was a perception of a conservative drive to reinvigorate national history and move beyond a reckoning with the Nazi past, despite the fact that it had not yet taken place in earnest. It was in this context of general grassroots mobilization and the growing national and political importance of history, that another movement emerged: the memorial site movement. The Gedenkstättenbewegung was decentralized: it was made up of many different kinds of initiatives and coalitions of activists scattered across the Federal Republic of Germany. These initiatives usually came together in order to address local sites related to the Nazi past, often because they were threatened by city development plans. In Frankfurt am Main, plans to set up a building for the Stadtwerke led a broad coalition of activists to occupy the remains of the Medieval Jewish Ghetto. Though the building could not be prevented, these protests did eventually result in the “New Börneplatz Memorial to the Third Jewish Community Destroyed by the National Socialists.”25 Similarly at Neuengamme, in Wuppertal, and in Nuremberg, sites of memory were outcomes of activism triggered by construction proposals of the 1980s. And then in the 2000s, the “Hotel Silber” in Stuttgart emerged through protest surrounding the redevelopment around the city centre.26 Another impetus for such groups was a generally heightened awareness of the Nazi past through events such as the airing of the Holocaust television series in 1979 or Richard von Weizsäcker’s wellknown address in 1985. Thus, efforts to create a Holocaust education site in Cologne’s former Gestapo headquarters were partially triggered by the TV series and then reinvigorated after von Weizsäcker’s speech. The result was what is today the “El-De Haus”.27 In all these cases, individuals who were already sensitized to Holocaust history, and knew about or wanted to unearth local Nazi entanglements, came together. Groups within the movement were made up of interested individuals and often emerged from a coalition of locals made up of church, union or left-wing 25 Susanne Schönborn, “The New Börneplatz Memorial and the Nazi Past in Frankfurt am Main”, in Beyond Berlin: Twelve German Cities Confront the Nazi Past, ed. Gavriel D Rosenfeld and Paul B Jaskot (Ann Arbor: The University of Michigan Press, 2008), 273–294. 26 Interview with Elke Banabak, February 7, 2014. 27 See https://museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/default.aspx?s=715, accessed January 8, 2021; Heidi Behrens, Paul Ciupke, and Norbert Reichling, “‘… und im nachhinein ist man überrascht, wie viele Leute sich das auf die Fahnen schreiben und sagen, ich habe es gemacht.’ Akteursperspektiven auf die Etablierung und Arbeit von Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen”, Gedenkstättenrundbrief 171 (2013), 3–18.
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youth groups, survivor organizations and anti-fascist groups such as the VVN.28 Memorial initiatives were founded autonomously and were not organized explicitly as a movement. However, they quickly began to network with each other, as it became clear that similar initiatives were emerging all over West Germany. This networking took place at first informally through personal contacts and was then gradually formalized through several channels. The individuals who helped to network the movement continue to play important roles in the now unified landscape of memorial institutions and by extension, in their transnational outreach activities as well. One of the most important tools for networking the movement was the creation of a coordinating office (Gedenkstättenreferat). In June 1981, the “Initiative Documentation Centre Neuengamme”, submitted a call to the executive committee of the ASF to begin coordinating the existing groups and organizations working on the Nazi past. The ASF was seen as particularly suitable to the role as it was neither too bureaucratic nor partisan.29 The Gedenkstättenreferat was formally created in 1983 and run from 1984 by Thomas Lutz, who continues to lead it today. In 1993, when the ASF could no longer support it financially, the Gedenkstättenreferat and Lutz moved to the newly established Topography of Terror Foundation.30 Though the Referat continues to work in many ways independently, this affiliation no doubt equipped it with some added institutional heft. Over the years, the office has turned into the most important node connecting established memorial institutions and new start-ups alike, and providing resources, including a discussion forum31 and a database of European Holocaust memorial museums and memorials.32 The second channel for networking the memorial site movement was and is its newsletter Gedenkstättenrundbrief. Its first issue (only three pages long) appeared in May 1983 and discussed Detlef Garbe’s edited volume on the forgotten camps, thereby implicitly setting an agenda for the memorial site movement: “Garbe’s book shows the hopeful signs emerging in many places that our past of blood and ashes will not be forgotten and that instead we will secure the
28 Detlef Garbe, “Entwicklung der Gedenkstätten in Deutschland und ihre Vernetzung: Rückblick und Perspektiven”, Gedenkstättenrundbrief 189 (2018), 11–21. 29 Interview with Thomas Lutz, December 18 and 30, 2020. 30 Reinhard Rürup, “Das ‘Gedenkstättenreferat’ der Stiftung Topographie des Terrors”, Gedenkstättenrundbrief 100 (2001), 13–18. See also Wolfgang Raupach-Rudnick, “Die Gründung des Gedenkstättenreferates der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e. V.”, Gedenkstättenrundbrief 100 (2001), 9–12; Interview with Detlef Garbe, August 21, 2013. 31 www.gedenkstaettenforum.de/index.php, accessed January 8, 2021. 32 www.gedenkstaetten-uebersicht.de/en/europe/, accessed January 8, 2021.
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traces and learn from our history.”33 This quote encapsulates that Holocaust memory stood at an inflection point at this moment: while some of the old language of “blood and ash” is still present, the goal of “securing the traces” and “learning from history” are extolled. Since this first issue, the Gedenkstättenrundbrief has remained a resource to inform memory activists about developments and publications in the movement, as well as about planned joint events. However, it has greatly expanded in scope and sophistication. Articles are available online and not only inform readers about events and activities, but report findings of empirical research at a very high level. This is a sign of the process of professionalization that the memorial landscape has undergone – from being driven mainly by activists to being run by highly trained and specialized educators and historians. The third way in which the movement networked was through regular meetings (Gedenkstättentreffen or Gedenkstättenseminare), bringing together activists and groups from all over – first West Germany, then united Germany and increasingly also from beyond Germany. The first gathering happened in October 1981 in Hamburg with attendees bringing their own sleeping bags and put up with fellow activists. The second meeting took place in Dachau in May 1982 and received some funding from the Bundeszentrale für politische Bildung. The third, in October 1983, was welcomed to Hannover by its Mayor, indicating its growing recognition as an important societal force. Over the years, the meetings became more frequent and professional, and included participants from other countries or even took place at sites of Nazi terror on non-German soil. What has remained central is the linkage of exchanging ideas on ongoing memorial practice and new research with site visits. Thus, the importance of understanding the “topography of traces” of the Nazi past, was expressed in the movement’s routines. The Gedenkstättenbewegung was not squarely located in the left-wing scene. Nevertheless, through its members and its close proximity to the history workshops, the memorial site movement adopted similar principles, methods and cultural styles. Most poignantly, the Gedenkstättenbewegung adopted the motto of the history workshops “Dig where you stand!”. This encapsulated a whole set of principles, linked to aesthetic choices, which have become emblematic of the German memorial landscape. They include four closely interlinked principles. First, in contrast to the “Discretion of the non-concrete”, the activists of the 1980s insisted on depicting the historical specificity of the persecution by the Nazis. This meant investigating as many places linked to the Holo33 Rundbrief Nr.1 der Gedenkstätteninitiativen, May 24, 1983, 2. Number 200 of the Rundbrief was published in December 2020.
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caust – often forgotten sites – as possible, in order to understand the ubiquity of the system of terror and the involvement of people at all levels and sectors of society. Specificity also meant focusing on the perpetrators, naming their deeds, and marking sites of action, as opposed to decrying an abstract “dark times.” And it meant giving voice to the diversity of Holocaust victims, and informing the public about different experiences, including those of groups that continued to be discriminated against in the Federal Republic. This historical specificity was reflected in resulting memorials’ panel texts as well as in their placement: no longer were they to be found primarily in remote locations and cemeteries.34 At the same time, the second memorial principle, that of authenticity, meant that activists took care to find “where something happened” rather than simply placing a monument at a symbolically meaningful spot. This had to do with the movement’s goal of “securing the traces” – seeking to uncover remnants of the Nazi past, and of the lives and cultures lost, to counter the damage done by decades of burying this history. The bulk of activists’ time was spent with the quiet work of archival research, conducting oral history interviews, and documenting the local operations of the Holocaust with a level of detail and care that was unheard of. Many results of this work were fleeting though probably no less important than permanent memorials. Activists designed exhibitions and booklets, organized “grassroots” walking or bike tours about history, and informed passers-by through ad-hoc stalls on the street. Authenticity also meant not re-building historical structures (such as barracks in concentration camps) because this would have erased the history of silencing after 1945. In line with critiques of the classic “national monument”, the movement’s third principle called for anti-monumentality and reflexivity in memorial design. Activists advocated for a non-emotional depiction of the past that would forthrightly state the facts and not overwhelm a visitor’s response through simplistic symbolism. Thus, concentration camp memorials generally share an understated aesthetic and take great care to maintain and show, but not to enhance, authentic traces. When it came to initiating new memorials, they were either equally straightforward or sought to, through creative means, engage the visitor in the act of remembrance and reflection. This often meant a “decentralized” approach: rather than putting up a single marker, the memorial could be encountered in different places in order to integrate memory with everyday life and work against the notion of “ticking off” your duty to remember before moving on. The memorial around the Bayerischer Platz in Berlin is a good example of this: The memorial is not located in one spot, but spread throughout the neighborhood. It is made up of around eighty panels that look like street signs, 34 Haß, “Mahnmaltexte 1945 bis 1988”, 141.
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with each stating a Nazi law or regulation that contributed to the disenfranchisement and ultimately the murder of Jewish citizens. Most signs also directly relate to their location, so that current residents are encouraged to consider their meaning in the context of everyday life. The most expansive decentralized memorial of all is of course the Stolpersteine, of which there are now over 75,000 around Europe and beyond. Though this project is driven by the artist Gunter Demnig, each stone is initiated by a local group. Early on, members of the memorial site movement were often involved in these and they have supported coordination of and publications about them.35 Very much influenced by the concept of the “counter-memorial”, memorial initiatives have sought to devise monuments that interacted with visitors or their surroundings, and did not provide a conventional message of commemoration. Such projects were also almost always collaborative, engaging residents, students or school children in the design process or in the research about the local Nazi past. An instance of a project espousing these principles is “Bürger gestalten ein Mahnmal”, which worked to commemorate a satellite camp of Neuengamme in Hannover-Ahlem. Not only did they conduct research about the site and publicized its history, they also designed and constructed the memorial themselves.36
Fig. 5-3: One of the signs of the Memorial around Bayerischer Platz in Berlin: “Postal workers married to Jewish women are forced into retirement, June 8, 1937” (Jenny Wüstenberg)
35 Stolpersteine für die von den Nazis ermordeten ehemaligen Nachbarn aus Friedrichshain und Kreuzberg. Dokumente, Texte, Materialien, ed. Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e. V. (Berlin: NGBK, 2002);Stolpersteine in Hamburg-Eimsbüttel und Hamburg-Hoheluft-West. Biographische Spurensuche, ed. Susanne Lohmeyer (Hamburg: Landeszentrale für politische Bildung und Institut für die Geschichte der deutschen Juden, 2012);Zehn Jahre Stolpersteine für Stuttgart. Ein bürgerschaftliches Projekt zieht Kreise, ed. Rainer Redies (Stuttgart: Markstein, 2013). 36 Janet Anschütz and Irmtraud Heike, “Wir wollten Gefühle sichtbar werden lassen.” Bürger gestalten ein Mahnmal für das KZ Ahlem (Bremen: Edition Temmen, 2004); Interviews with Renate Bauschke, September 2016.
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The memorials initiated in the 1980s were not just qualitatively different than their predecessors – there were also more of them. According to Jochen Spielmann, more memorials to the Nazi past were erected in West Berlin in the 1980s than in the entire period from 1945 to 1980.37 And based on Hausmann’s survey of monuments, the majority of Holocaust monuments in the Federal Republic were initiated by civil society.38 The many initiatives almost always faced local obstacles to their commemorative demands and, as long as the Kohl government was in power, they were acutely aware of what they regarded as the dominance of conservative history politics – the drive to minimize the centrality of the Shoah in the national narrative about the past. However, two developments facilitated what I have argued was the institutionalization of the civic approach to Holocaust commemoration. The first was the shifting party-political landscape, particularly at local and regional levels of government. With growing vibrancy of new social movements and the creation of the Green party, the Gedenkstättenbewegung increasingly had allies within government administrations. These were more likely to put their support behind memorial initiatives, fund projects and even create long-term staff positions and budgets for sites that had been the result of civic engagement. Second, it quickly became clear after unification in 1990 that the large Holocaust memorial sites that had been instrumentalized by the GDR regime needed a major overhaul. Notwithstanding the fact that matters of culture had traditionally been under the jurisdiction of the Bundesländer, the federal government now greatly expanded its funding and policy-making in the commemorative field. The federal cultural ministry (Bundesbeauftragte[r] für Kultur und Medien, BKM) was created in 1998 and oversees memorial policy. In 1999, the Bundestag passed the first legal framework for federal memorials (Bundesgedenkstättenkonzeption), which not only provided funding to the East German sites, but also guaranteed 50 % funding, initially for 10 years, to the Topography of Terror, the Memorial House of the Wannsee Conference, and the Memorial to German Resistance, all located in former West Berlin, as well as funding for others.39 This was an unprecedented level of institutional support and security for projects that had long been underfunded and had been kept going in large part based volunteer labor. Unification also meant that Holocaust remembrance became a central component of the 37 Jochen Spielmann, Denk-Mal-Prozesse. Eine Bilanz der in den achtziger Jahren mit Denkmalen geführten Auseinandersetzungen über den Nationalsozialismus (Berlin: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, 1991), 3. 38 Hausmann, Duell mit der Verdrängung? 39 “Konzeption der künftigen Gedenkstättenförderung des Bundes und Bericht der Bundesregierung über die Beteiligung des Bundes an Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland”, Deutscher Bundestag, Drucksache 14/1569, July 27, 1999.
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Federal Republic’s raison d’état in the face of allies’ skepticism of renewed German clout. Overall, these developments encouraged the institutionalization and transnationalization of grassroots memory work.
The Institutionalization and Transnationalization of German Holocaust Memory Work How was a Holocaust memorial culture that was largely built by grassroots actors made “official”? I contend that there were two main avenues for the institutionalization of the memory work that was begun by the Gedenkstättenbewegung. The first was that organizations and networks that had been created by this movement were used as the basis for new institutions. The most important example of this is the Foundation Topography of Terror in Berlin, which was formally created in 1992. It was the outcome of activism by the initiative “Active Museum Fascism and Resistance in Berlin”, which began demanding a memorial at the centre of Nazi power in the early 1980s. In 1987, it succeeded in getting Berlin authorities to support the open-air exhibition called “Topography of Terror” to so much critical acclaim that it was never taken down and became what is now one of the most important Holocaust memorial sites in Germany. In this and many other cases, civic initiatives have either morphed into statefunded institutions themselves or become the primary supporters of those institutions. Similarly, the communicative structures of the Gedenkstättenbewegung, most importantly the meetings and the coordinating office, have taken on such a crucial role in networking the state-funded infrastructure of Holocaust memorials, that these can themselves by seen as highly institutionalized and “semiofficial”. The Gedenkstättenreferat from its inception convened the Gedenkstättenseminare, which are open to any Holocaust memorial initiative or site. Since 2012, the coordinating office also organizes the more formalized conference of memorial leaders (Gedenkstättenkonferenz), which assembles delegates of the “Forum” of regional working groups of memorial institutions and initiatives. As the long-time director of the memorial at Neuengamme Detlef Garbe states “The Gedenkstättenkonferenz is important not least because it is in some ways a substitute for an umbrella organization of all memorials for the victims of the Nazi regime, which does not exist to this day.”40
40 Garbe, Gedenkstättenrundbrief 189 (2018), 11–21.
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Fig. 5-4: Seminar of the Gedenkstättenbewegung, with participants from across West Germany, Essen 1984 (Gunnar Richter, Archive Gedenkstätte Breitenau)
The second avenue for institutionalization was the “march into the memorial institutions” of the Gedenkstättenbewegung. Through their grassroots engagement with the history of the Shoah, through archival and oral history work, through making their own exhibits and walking tours, members of the movement developed a high level of expertise in Holocaust historiography, as well as on educational matters (Gedenkstättenpädagogik). This made them prime candidates for professional positions in official memorial institutions and they brought with them the beliefs and communicative culture developed in the movement – including the memorial principles I have outlined. Moreover, they helped to routinize memorial institutions’ collaboration with civil society organizations, bringing them into governance structures, providing them with office space and logistical support, and undertaking joint projects. Hence, many of the sites of Holocaust memory in Germany are state-funded and -governed, but they nevertheless advocate for the kind of critical memorial work that was first championed by grassroots activists. For all of these reasons, I have argued that Holocaust commemoration in the Federal Republic today is governed by “hybrid institutions.” The increasing institutionalization, professionalization, and improved funding of Holocaust memory work in the Federal Republic allowed for its transnationalization;41 its civic anchoring gave this transnationalization a specific character.
41 Thomas Lutz, “Internationale Aspekte und Internationalisierung der Gedenkstättenarbeit”, Gedenkstättenrundbrief 100 (2001), 123–135, here 130.
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International networks were part of the work of commemoration from the beginning, because of the international reality of the Holocaust and the distribution of its victims. As Thomas Lutz has noted, groups from victims’ countries of origin were indispensable early on in demanding commemoration.42 These were ties that could be drawn on by the Gedenkstättenbewegung and its resulting institutions – in both East and West Germany. For example, Gunnar Richter, formerly Director of the Memorial Breitenau, relates that contact with former forced laborers was established in the mid-1980s. The Breitenau Memorial was created in 1984, though the building remains a psychiatric facility. Such connections have since become links to victims’ descendants: “Today, we have connections especially to relatives of the formerly persecuted, the second and third generation. They continue to be interested in remembrance and for this reason, the transnational dimension of memorial work must be continued.”43 According to Thomas Lutz, the argument that Holocaust remembrance is crucial to Germany’s international reputation has long been important to garnering support and funding for projects – including through the German foreign ministry.44 German memorial institutions engage in two types of transnational work, which can only be outlined briefly here. First, they are active and sometimes driving members of selected international organizations that are concerned with Holocaust remembrance. The most prominent of these is the International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), formerly the Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research (ITF), which emerged from a Swedish government initiative in 1998 and is grounded of the “Stockholm Declaration” of 2000.45 The Declaration laid the foundation for the ITF and underscored the signatories’ commitment to studying, teaching about, and commemorating the Holocaust as a universal “challenge to the foundations of civilization.”46 Each country sends a delegation to the IHRA and most of them are composed of government representatives and leaders of key Holocaust memorial institutions. Germany’s delegation currently includes Thomas Lutz (as a representative of Topography of Terror) who has been actively in-
42 Lutz, Gedenkstättenrundbrief 100 (2001), 123. 43 Interview with Gunnar Richter, July 28, 2020. 44 Interview with Thomas Lutz. 45 Jens Kroh, Transnationale Erinnerung: Der Holocaust im Fokus geschichtspolitischer Initiativen (Frankfurt am Main: Campus, 2008). 46 www.holocaustremembrance.com/about-us/stockholm-declaration, accessed January 8, 2021.
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volved for many years,47 Wolf Kaiser (Memorial House of the Wannsee Conference), Patrick Siegele (Anne Frank Centre), Christoph Heubner (International Auschwitz Committee), among others.48 Thus it is made up of seasoned memorial leaders, many with civic roots, but it seems that beyond these individuals, there is no broad engagement with the IHRA on the part of German institutions.49 The International Committee of Memorial Museums in Remembrance of the Victims of Public Crimes (IC MEMO) under the auspices of the International Council of Museums (ICOM) is another relevant international organization. It was founded in 2001 and was initially chaired by Wulff E. Brebeck (long-term director of the Regional Museum Wewelsburg). Thomas Lutz serves on the Advisory Board and Markus Moors (Deputy Director of Wewelsburg Memorial Museum) is currently Vice Chair. Thus, German memorial leaders have continuously influenced the direction of IC Memo, which may have found expression in the International Memorial Museums Charter (adopted in 2016). The Charter “puts forth internationally agreed-upon principles and ethics for commemorating the victims of the Holocaust, helping to avoid the politicization or nationalization of their memory.”50 Its text, which stresses pluralism and civic involvement in memorial work, as well as a focus on perpetrators, authenticity and self-critique, is certainly highly compatible with the civically-developed approach that is dominant in German memorial institutions. However, a more thorough analysis of the debates and procedures that resulted in the Charter would be needed to substantiate a claim that the civic norms developed since the 1980s in the Federal Republic have found expression transnationally in this way. Several other international organizations relevant to the memory of the Holocaust see little involvement from German memorials. For instance, only a few research-focused institutions engage with European Holocaust Research Infrastructure,51 while the International Coalition Sites of Conscience, a transnational network of historic sites and memorial initiatives, only has one German 47 Andreas Nachama, “25 Jahre Gedenkstättenreferat”, Gedenkstättenrundbrief 189 (2018), 3– 4. 48 www.holocaustremembrance.com/member-countries/germany, accessed, January 8, 2021. 49 Thomas Lutz and Marie Schulze, “Gedenkstätten für die Opfer Nationalsozialistischer Gewalt in Deutschland”, Gedenkstättenrundbrief 187 (2017), 3–17. 50 www.holocaustremembrance.com/resources/working-definitions-charters/internationalmemorial-museums-charter#:~:text=About%20the%20international%20memorial%20museums%20charter&text=This%20charter%20puts%20forth%20internationally,or%20nationalization%20of%20their%20memory, accessed January 8, 2020. 51 Interview with Thomas Lutz.
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member: The Memorium Nuremberg Trials. Thus, it appears that German memorial institutions, despite the fact that they clearly regard cross-border outreach as important, do not think this is best done through international bodies. According to Lutz, these organizations do not seem very useful to aid the coordination of work undertaken by German memorial institutions.52 Instead, the Gedenkstätten rely heavily on linkage through their established connections with individuals and associations of Holocaust victims, as well as the networks of institutional leaders and staff – the second mode of transnational work. This structure of transnational engagement sits well with the memorial sites movement’s decentralized approach. “Most of the international networks are decentralized.[…]Even historical and research interests or private visits can be the impetus for bilateral cooperation. Study trips, seminars, and workshops are occasions that often turn into personal friendships.”53 Norbert Kampe, formerly Director of the Memorial House of the Wannsee Conference, concurred that most of this site’s international contacts derived from the participation of its staff in international conferences or visits with foreign delegations (such as from South Africa and Cambodia, who showed special interest in Germany’s approach to reckoning with the past).54 In this work of building international links, Thomas Lutz has played an outsize role. Himself a volunteer with Action Reconciliation at the Auschwitz Memorial, Lutz promoted international exchange through seminars and visits from the earliest days of the Gedenkstättenreferat and has continued to do so, including frequent visits to Israel and the United States. He was and is centrally involved in Germany’s representation in IHRA and IC-MEMO, and has myriad links to memorials and their staff across the world.55 As was the case with grassroots memory work, transnationalization rests on individual efforts. Transnational Holocaust memorial work, then, appears to be characterized by a mixture of institutional structures and by varying levels of involvement on the part of German institutions. Nevertheless, those efforts that do exist are driven by individuals who were highly involved in the Gedenkstättenbewegung and who continue to adhere to the movement’s principles of remembrance. According to several observers, international partners recognize and value the civic origins of Germany’s memorials: “At transnational forums (conferences, study trips, exchanges) we spoke about the development of memorial work in 52 Thomas Lutz, “Überlegungen zur Verbesserung der Koordination der Gedenkstätten für NSOpfer in Deutschland. Vom bundesweiten Gedenkstättenseminar zur Gedenkstättenkonferenz”, Gedenkstättenrundbrief 166 (2012), 3–8. 53 Interview with Thomas Lutz. 54 Interviews with Norbert Kampe, May 4, 2006, and Jens-Christian Wagner, July 30, 2020. 55 Interviews with Gunnar Richter and Jens-Christian Wagner.
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various countries. The origin of many German memorial sites in civil society engagement was often a topic of discussion and I remember especially that staff of the US Holocaust Memorial Museum and of Yad Vashem in Israel found this very noteworthy.”56 In conclusion, an examination of the evolution of Holocaust memorialization in Germany from the perspective of grassroots engagement helps to explain the remarkable transformation from an overwhelming reluctance to publicly acknowledge the Shoah in the early post-war period to the ubiquitous and decentralized landscape of remembrance we see today. The institutionalization and professionalization of memory work in the Federal Republic have allowed for increasing levels of transnationalization as well, building on connections that were built by civil society initiatives. While more research is needed on the actors and mechanisms driving transnational Holocaust remembrance, there are certainly indications that German memorial institutions and individuals with roots in the Gedenkstättenbewegung have strongly influenced transnational Holocaust memory in a way that is in fact much more deliberate and sophisticated than the idea of a “global obsession” would suggest. The current uptick in racist and antisemitic acts of violence in the Federal Republic suggests that a strong culture of Holocaust remembrance will become more, not less, important in the future. The federal government has recently responded to increased racism and antisemitism by investing strongly in political education: the funding of 59 new positions at the Federal Agency for Political Education (Bundeszentrale für politische Bildung) – for a total of 369 – was announced in December 2020.57 According to Thomas Lutz, the Gedenkstättenforum is also currently undergoing an overhaul and extension that will be complete in late 2021, for which additional funds were granted by the BKM. The objective is to provide a more comprehensive overview of the work of German Holocaust memorial sites to the interested public and to enhance collaboration between memorial staff internally.58 However, given the already substantial levels of institutionalization and funding for the German memorial sector, the question arises whether a different approach (rather than “more of the same”) is needed. While increased public funding sends a critical signal about the importance of remembering the Nazi past, I would argue that we would do well to revisit the civic origin stories of so many of today’s Holocaust sites and particularly activists’ willingness to challenge established narratives about appropriate remembrance. Rather than con56 Interview with Gunnar Richter. 57 www.swr.de/swraktuell/neue-stellen-100.html, accessed January 8, 2021. 58 Interview with Thomas Lutz.
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tinuing to insist on the – undoubtedly vital – principles of memorialization that have become established, we might interrogate whether some of the rituals and taboos of memory that they have also produced need to be challenged or revitalized. A new generation of Germans (and non-Germans) must find their own connection to the Nazi past and its meaning for democratic and anti-discriminatory values. This means permitting young people to ask uncomfortable questions and to allow for new forms of civic engagement – including through social media and transnational linkage – to emerge. Thus, remembering the Shoah “from below” and through transnational networks may well hold the key to its continued vibrancy.
Aleida Assmann
Jüdisches Unbehagen an der deutschen Erinnerungskultur Die deutsche Erinnerungskultur erlebt gerade einen Umbruch. Es gibt einen weiteren Generationswechsel, es gibt das Ende der Zeitzeugen, es gibt einen technologischen Umbruch in Gestalt der Digitalisierung, es gibt politische Veränderungen durch einen neuen Nationalismus in Europa und es entsteht eine neue Verbindung von Einheimischen und Zuwanderern in der Einwanderergesellschaft. Und noch etwas Neues gibt es: einen „multimedialen Erinnerungsmonitor“ (MEMO), der diese Entwicklungen gegenwärtig wissenschaftlich begleitet. Die Forschungsgruppe von Andreas Zick führt seit 2019 wiederholt Befragungen von 1.000 Personen in Deutschland durch. Sie „befasst sich mit dem Konzept der Erinnerungskultur in Deutschland auf verschiedenen Ebenen. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, ob und wie sich Erinnerungskultur aktuell in unserer Gesellschaft verändert.“1 Auch die Stiftung „Erinnerung Verantwortung Zukunft“ (EVZ) begleitet die deutsche Erinnerungskultur aufmerksam und kritisch: „Ziel der Stiftung EVZ ist es, eine lebendige Erinnerungskultur mit innovativen Formen und frischen Ansätzen zu schaffen. Wir sind auf dem Weg zur Gedenkstätte 4.0.“2 Das Projekt Erinnerungskultur steht heute unter Druck. Ist es überhaupt noch zu retten? Vielleicht muss es ja ab und zu mal zum TÜV. Nach einer solchen Prüfung lässt sich dann leichter entscheiden, was nicht mehr funktioniert, was ersetzungsbedürftig, was unbedingt zu erhalten ist und welche neuen Schwerpunkte zu setzen sind. Trotz einer zunehmend heterogenen Gesellschaft wird in Deutschland die Erinnerungskultur immer noch weitgehend aus der Mehrheitsperspektive gedacht. Deshalb möchte ich hier einmal dem jüdischen Unbehagen an dieser Erinnerungskultur Raum geben. In einem 1996 erschienen Buch hat der Soziologe Y. Michal Bodemann die Gedenkriten um den 9. November in der Nachkriegszeit in West- und Ostdeutschland untersucht. 1944 geboren, ist er selbst Überlebender des Holocaust, wuchs in Deutschland auf, emigrierte von dort in die USA und nach Kanada und lebt inzwischen in Berlin. Bodemann hat die Entwicklung von den ersten Gedenkfeiern jüdischer Familien und Opfergruppen 1 www.uni-bielefeld.de/(de)/ikg/projekte/memoII.html, letzter Zugriff: 30. September 2020. 2 www.stiftung-evz.de/fileadmin/user_upload/EVZ_Uploads/Pressemitteilungen/MEMO_PK_final_13.2.pdf, letzter Zugriff: 30. September 2020. https://doi.org/10.1515/9783110710601-006
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bis zur staatlichen Übernahme des Gedenkens nachgezeichnet und den damit verbundenen Wandel der Gedenkpraxis eindringlich beschrieben: An dem Punkt, an dem das Gedenken in nationale Gedenkfeiern umgemünzt wird, werden Juden gebraucht – die toten Juden und die lebendigen Körper von Juden. Sie liefern dem Staat jene politische Ressource, die ich mit dem Begriff der ideologischen Arbeit beschrieben habe: Sie werden zu Akteuren im jährlichen Bußritual, zu Zeugen gegenüber der internationalen Öffentlichkeit, und sie werden schließlich gebraucht, damit Deutsche in jüdische Schuhe schlüpfen und sich mit ihrer Schuld befassen können.3
Dieses Bußritual, das Jahr für Jahr auf deutschen Bühnen mit festgelegten Rollen aufgeführt wird, nannte Bodemann „Gedächtnistheater“. Zwanzig Jahre später ist Max Czollek (geb. 1987) auf diesen Begriff zurückgekommen und hat sich und seine Generation in Bodemanns Beschreibung wiedergefunden. In seinem Buch Desintegriert euch! analysiert er dieses eingespielte Verhältnis zwischen der deutschen Dominanzgesellschaft und der jüdischen Minderheit im Allgemeinen und das Skript im Besonderen, in dem den Juden die Aufgabe zufällt, „die Wiedergutwerdung der Deutschen“ zu bestätigen. „Die Juden und Jüdinnen in Deutschland sind dazu da, die Nachkommen der Täter*innen bei der Konstruktion ihrer Identität zu unterstützen.“4 Hierzu einige Hintergrundinformationen. In den 1970er-Jahren entstand eine „Theologie nach Auschwitz“, zu der der Holocaustüberlebende Elie Wiesel und der katholische Theologe Johann Baptist Metz entscheidende Impulse lieferten, die eine neue Generation von Theologen geprägt haben. Ein Schlüsselsatz dieser Bewegung stammt von Metz: „Wir Christen kommen niemals mehr hinter Auschwitz zurück; über Auschwitz hinaus aber kommen wir, genau besehen, nicht mehr allein, sondern nur noch mit den Opfern von Auschwitz.“5 Auf Metz geht auch der Begriff der „anamnetischen Solidarität“ zurück. Diese Position hatte ihre historische Stunde. Es ist aber auch verständlich, dass sich an ihr heute das jüdische Unbehagen der dritten und vierten Generation entzündet. Nach weiteren jüdischen Einwanderungswellen aus der DDR, Russland und Israel ist die Gruppe der rund 200.000 Jüdinnen und Juden in Deutschland sehr vielfältig geworden und lässt sich mit ihren Geschichten, Orientierungen und Erfahrungen nicht mehr auf ein stereotypes Rollenmuster festlegen. Das genau aber ist es, was die Dominanzgesellschaft mit einer Minderheit macht: Ob Mus3 Y. Michael Bodemann, Gedächtnistheater. Die jüdische Gemeinschaft und ihre deutsche Erfindung, Hamburg 1996, S. 118. 4 Max Czollek, Desintegriert Euch! München 2018, S. 9, 30. 5 Johann Baptist Metz, Jenseits bürgerlicher Religion. Reden über die Zukunft des Christentums, München 1995, S. 31.
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lime oder Juden, die nicht-ethnischen Deutschen werden zu Repräsentanten ihrer ethnischen Identität, also nur noch unter dem Vorzeichen des Anderen oder Fremden wahrgenommen.
Opferidentifizierte und opferzentrierte Erinnerung Ein wichtiger Grund für Czolleks Unbehagen an der deutschen Erinnerungskultur ist die Identifikation der Deutschen mit der jüdischen Opferperspektive. Bodemann war bereits der Ansicht, Juden würden für das Gedächtnistheater „gebraucht, damit Deutsche in jüdische Schuhe schlüpfen und sich mit ihrer Schuld befassen können“.6 Aus diesem „in jüdische Schuhe schlüpfen“ ist der Begriff der „opferidentifizierten Erinnerung“ geworden, den Ulrike Jureit und Christian Schneider eingeführt und als Merkmal der deutschen Erinnerungskultur kritisiert haben.7 Da dieser Begriff Missverständnisse ausgelöst und Verwirrung gestiftet hat, möchte ich hier einen Klärungsversuch unternehmen. Die Form der Weitergabe der Erinnerung an den Holocaust unterscheidet sich grundlegend je nach der historischen Position der Gruppe und ihrer Beziehung zu diesem Geschichtsereignis. Ich gehe dabei von drei Zugängen der kollektiven Erinnerung aus und nenne sie das „Paradigma der Identifikation“, das „Paradigma der Ethik“ und das „Paradigma der Empathie“. In Israel und jüdischen Exilgemeinden gilt das Paradigma der Identifikation mit den Opfern. Die nachwachsenden Generationen identifizieren sich mit den Verfolgten und Toten der Shoah und werden durch ihre Erinnerung Teil ihrer Geschichte. Besonders deutlich wird dies beim jährlichen „Marsch der Lebenden“ von Auschwitz nach Birkenau, bei dem die Kinder und Kindeskinder ihre Angehörigen begleiten und damit auch körperlich in das Trauma des jüdischen Kollektivs initiiert werden. Die Identifikation mit den Toten und Überlebenden besagt: Mit dem Holocaust sind alle Juden getroffen worden, deshalb sind auch die Nachgeborenen Teil dieses Opferkollektivs; in ihrer Erinnerung nehmen sie die Toten in ihre Zukunft mit. In Deutschland gilt das Paradigma der Ethik. Die Erinnerung dieser Gruppe geht von dem Menschheitsverbrechen des Holocaust aus, das von ihrem Land ausgegangen, von ihren Großeltern vollstreckt und mit sehr wenigen Ausnahmen billigend in Kauf genommen wurde. Das hat hierzulande aber keineswegs, wie immer wieder polemisch behauptet wird, zu einem „Schuldkult“ geführt. 6 Bodemann, Gedächtnistheater, S. 118. 7 Ulrike Jureit/Christian Schneider, Gefühlte Opfer. Illusionen der Vergangenheitsbewältigung, Stuttgart 2010.
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Andreas Zick, Leiter des Bielefelder „MEMO-Monitors“, zieht aus seiner Befragung den Schluss, dass der Anteil derer, die sich für den Holocaust schuldig fühlen, sehr gering ist. Da die Deutschen sich aber in der rechtlichen Nachfolge des NS-Regimes und seiner Tätergesellschaft befinden und für seine Verbrechen eine historische Verantwortung übernehmen, scheidet für sie das Identifikations-Paradigma kategorisch aus und wird durch das ethische Paradigma ersetzt. Dieses besagt, dass die Erinnerung an die jüdischen Opfer immer das Wissen um die Rolle der Deutschen als Täter und Anstifter des Judenmords mit einschließt. Ich nenne dieses Paradigma „ethisch“, weil es mit einer Identitätswende verbunden ist. Diese besteht in der Verurteilung der Taten sowie in der Reue und Trauer angesichts dieses Gewaltexzesses der eigenen Geschichte. Das ethische Paradigma mündet in ein emphatisches „Nie wieder!“. Es galt übrigens nicht für die DDR, die eine ausschließlich heroische Erinnerung an die Helden des kommunistischen Widerstands pflegte und deshalb keine Veranlassung zu einer Umkehr oder ethischen Wende sah. Drittens schließlich das Paradigma der Empathie. Diese Erinnerung an den Holocaust schließt die anderen Formen nicht aus, aber sie geht über die Opferbzw. Täter-Beziehung hinaus und gilt auch für Individuen und Kollektive, die keinen historischen Bezug zu dem Trauma haben. Empathie stellt ein persönliches Verhältnis zu individuellen Opfern und ihren spezifischen Leidensgeschichten her. Diese Empathie war in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit in Deutschland kaum entwickelt oder konzentrierte sich auf symbolische Stellvertreter wie Anne Frank. Empathie entwickelte sich nicht, solange sich die meisten Deutschen selbst als Opfer sahen, im öffentlichen Diskurs das Reden über Auschwitz in Abstraktionen stecken blieb und es noch wenig Anschauung für individuelle Zeugnisse in den Medien gab. Das änderte sich mit der amerikanischen Fernsehserie Holocaust, die 1979 die Empathieblockade in der westdeutschen Gesellschaft durchbrach. Dieser Film konfrontierte die Gesellschaft in allen Generationen mit genauen Details und eindrücklichen Bildern der jüdischen Verfolgungs- und Vernichtungsgeschichte, die den damals fest etablierten Reizschutz durchbrachen und zum ersten Mal auf einer breiteren Basis gesellschaftliches Mitgefühl ermöglichten. Der Begriff der Empathie sollte nicht vorschnell mit christlichem Mitleid, Sentimentalität oder anderen diffusen Gefühlen gleichgesetzt werden. Seit dem Jahr 2000 hat ihn aufgrund aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse die Hirnforschung neu entdeckt. Seither steht Empathie für eine allen Menschen angeborene emotionale und kognitive Ressource, auf der, so versichern uns die Evolutionsbiologen, kulturelle Entwicklung generell aufgebaut ist. Im Kern geht es um die menschliche Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln und sich in die Lage anderer zu versetzen, ohne dabei die eigene Ichposition aufzugeben. Sich
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mit etwas zu „identifizieren“ ermöglicht deshalb einen entscheidenden Erfahrungszuwachs und bedeutet keineswegs, dass man damit automatisch die eigene Position, Perspektive und Identität aufgibt und negiert. Das Paradigma der Empathie gilt inzwischen als eine allen Menschen zugängliche Beziehungsform für die Erinnerung an den Holocaust, die jenseits von Gedächtnistheater und rituellen Erinnerungsanlässen auf der ganzen Welt über Literatur, Filme und Kunstprojekte medial vermittelt wird. Gefühle der Empathie gehen in das Paradigma der Identifikation natürlich ebenso mit ein wie in das ethische Paradigma, sie stellen aber auch emotionale Bezüge zum Holocaust her, die außerhalb der Täter-Opfer-Konstellation liegen. Vor dem Hintergrund dieser Begriffsunterscheidung kann ich die Aussage nicht unterschreiben, dass es sich bei der deutschen Erinnerungskultur um eine opferidentifizierte Erinnerung handelt. Ich will gar nicht bestreiten, dass es immer wieder Fälle der Überidentifikation und der pathologischen Identitätsverwechslung gegeben hat, die meist zu Skandalen geführt haben. Als Beispiel sei hier der Schweizer Binjamin Wilkomirski alias Bruno Dössekker genannt, der 1995 mit seiner Autobiografie Bruchstücke. Aus einer Kindheit 1939–1948 Schlagzeilen machte und 1998 enttarnt wurde. Dass es sich bei dem „Wilkomirski-Syndrom“ um eine gravierende Psychopathologie handelt, zeigt der tragische Fall der Historikerin und Bloggerin Marie Sophie Hingst, die in ihrer Familiengeschichte 22 vermeintliche Holocaustopfer entdeckte und in Yad Vashem angemeldet hat. Nach der Aufdeckung ihrer Erfindungen im Spiegel beging sie im Juli 2019 Selbstmord. Diese Fälle zeigen: Es geht um Ausnahmen, sie sind nicht die Regel. Die opferidentifizierte Erinnerung steht allein Menschen in jüdischen Familien und Gemeinden zu. Das kulturelle Muster der offiziellen deutschen Erinnerungspraxis ist dagegen die opferzentrierte Erinnerung. Das hat wiederum dazu geführt, dass in dieser Erinnerungskultur sehr viel mehr von jüdischen Opfern die Rede ist als von deutschen Tätern. Czollek kritisiert zu Recht, dass die Nazis allmählich aus dem Bewusstsein der nachwachsenden Jugend verschwinden. Das ist ein wichtiges Argument. Das Verdrängen der Täter aus der Erinnerungskultur ist aber noch kein Beweis für die Übernahme der jüdischen Opferperspektive, sondern hängt mit der neu erworbenen und weltweit etablierten Empathie gegenüber den jüdischen Opfern zusammen. Diese normative Verschiebung führt bei den nachwachsenden Generationen in Deutschland zu einer kognitiven und emotionalen Dissonanz: Sie identifizieren sich mit den jüdischen Opfern und wissen, dass deren Peiniger die eigenen Familienmitglieder waren. Sie bereinigen das Dilemma, indem sie ihre Familiengeschichten an die neuen Normen der opferzentrierten Erinnerung anpassen, und erfinden eine Vergangenheit, wie sie sie gerne gehabt hätten: „Opa war kein Nazi“. Czollek schreibt: „Noch eine Generation,
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und in deutschen Familien wird es nie Nazis gegeben haben.“8 Diese Entwicklung wird vom empirischen „Erinnerungsmonitor“ bestätigt. Das vermehrte Wissen über die NS-Zeit und ihre transnationale Bewertung führt bei der Jugend nicht zu einer Eingliederung in die Tätergesellschaft. Vielmehr zeigt sich ein Loyalitätskonflikt in der Anfälligkeit von Familiennarrativen für Tendenzen der Umdeutung und Verdrängung. Mit Blick auf die Rolle der eigenen Vorfahren zur NS-Zeit ergab die Studie, dass in den in Deutschland lebenden Familien vor allem Geschichten von Opfern (35,9 Prozent) und Helfer*innen (28,7 Prozent) weitergegeben werden, während das Wissen um Täter*innen unter den direkten Vorfahren vergleichsweise gering ist (19,6 Prozent). Die Hälfte der Befragten geht außerdem davon aus, dass ihre Familienmitglieder nicht zu den „Mitläufer*innen“ des NS-Systems gehörten. Dieser Trend ist aber nicht zwingend. Denn es gibt ja nicht nur mündliche Traditionen, die sich geschmeidig an die herrschenden Normen anpassen, sondern auch materielle Daten, darunter auch Hinterlassenschaften auf Dachböden, auf die die Enkel und Urenkel stoßen. Manche von ihnen überlassen diese Dokumente nicht dem Strom des Vergessens, sondern arbeiten gegenwärtig ihre Familiengeschichten auf und eröffnen damit eine neue Phase der Erinnerungsgeschichte, die unter dem Motto stehen könnte: „Opa war ein Nazi!“ Winfried Nerdinger hat in München 2015 das NS-Dokumentationszentrum eröffnet und bis 2018 geleitet, das die Täter in den Mittelpunkt stellt. Er hat die begriffliche Unterscheidung von „Gedenken“ und „Erinnern“ vorgeschlagen. Das Gedenken gilt den jüdischen Opfern und Widerstandskämpfern, während sich das Erinnern auf die Täter bezieht, keinen rituellen Charakter hat und auf Aufklärung und Wissen ausgerichtet ist. In Deutschland hat die opferzentrierte Erinnerung lange Zeit dazu geführt, dass man von den Tätern nichts mehr wissen wollte. Die Aufklärung trat hinter das Gedenken zurück. Als Geschichtszeugen kamen ältere Jahrgänge nicht infrage, weil man annahm, dass ihr Denkund Erfahrungshorizont die Normen der Gegenwart unterlaufen könnte. Diese Angst vor Geschichtsrevisionismus ist nicht mehr dominant; es gibt heute Großeltern, die in Schulen aus ihrer Jugend berichten und ihre Erfahrungsperspektive der NS-Zeit schildern. Wer mit 15 Jahren ein Flakhelfer war, muss heute kein Altnazi sein. Im Gegenteil können gerade auch diese Zeug*innen Wichtiges zur Erweiterung unseres Wissens und zur Stärkung der Demokratie beitragen.
8 Czollek, Desintegriert Euch, S. 98.
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Das Integrationsparadigma Zurück zum jüdischen Unbehagen. Was sich aus der Perspektive der Dominanzkultur selbstgefällig als deutsche Normalisierung darstellt, erscheint aus Czolleks Minderheiten-Perspektive als Skandal und Zumutung. Er erläutert in seinem Buch die beiden wichtigsten Machtinstrumente der Dominanzgesellschaft gegenüber der jüdischen Minderheit: Gedächtnistheater und Integrationsparadigma. Czollek richtet den Appell „Desintegriert euch!“ an seine jüdischen Freund*innen. Er empfiehlt ihnen, die ihnen zugedachte Rolle für die Stabilisierung des deutschen Selbstbildes zu verweigern und sich innerhalb der Gesellschaft politisch und kulturell neu zu erfinden. Besonders wichtig und informativ ist in diesem Zusammenhang das Kapitel über innerjüdische Vielfalt. Hier werden die alten Normen der aschkenasischen Eltern- und Großeltern-Generation durch die befreite Kreativität der dritten und vierten Generation ersetzt, die ein großes Spektrum an queeren und popkulturellen Optionen für sich entdecken. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Czolleks Utopie der Vielfalt nach innen wird durchkreuzt durch die Dystopie der Realität einer immer völkischer und rassistischer werdenden deutschen Gesellschaft, die eine strikte Polarisierung fordert. So differenziert die jüdische Minderheit in der Innenperspektive gesehen wird, so homogen erscheint die deutsche Dominanzgesellschaft in der Außenperspektive. Vom rechten Rand geht ein Sog aus, der vorauseilend die ganze Gesellschaft vereinnahmt und unter dem dünnen Firnis der „guten Deutschen“ nur die negative Kontinuität des Völkischen bestätigt sieht. Diese Wahrnehmung ist von Angst grundiert. Kein Wunder, denn für die jüdische Minderheit nimmt das physische Bedrohungspotential in diesem Land täglich zu. Aus dieser Sicht erscheint es verständlicherweise als unerträglich, dass Wähler der AfD mit einer „Rhetorik der Zärtlichkeit“ umworben werden und man sich um ihre Sorgen und Ängste kümmert, während die ethnischen Minderheiten einer „Rhetorik der Härte“ und immer neuen Forderungen ausgesetzt sind. Zu Recht beklagt Czollek den Mangel an Empathie und Solidarität für Menschen, die durch ihre Verfolgungsgeschichte über Generationen traumatisiert sind. Diese unterschiedliche Behandlung ist auch deshalb skandalös, weil im gegenwärtigen politischen Reizklima eine neue Allianz dringend gebraucht wird. Von einer „‚breiten Bundesgenossenschaft‘ im Kampf gegen Fremdenhass und die politische Rechte“ hatte bereits Ralph Giordano Anfang der 1990er-Jahre gesprochen und gehofft: „Deutsche, Menschen des Tätervolkes, werden endlich Bundesgenossen der Juden.“9 Von einem solchen Bündnis will Czollek freilich 9 Zit. n. Bodemann, Gedächtnistheater, S. 125.
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nichts wissen. Sein Bild der deutschen Gesellschaft ist so stark von Abwehr und Aversion geprägt, dass hier keine Möglichkeit für Brücken und Allianzen mehr übrig bleibt. „In einer zunehmend vielfältigen Gesellschaft“, so argumentiert er, „müssen Juden und Jüdinnen nicht auf ihre Rolle für das Gedächtnistheater, Deutsche nicht auf ihr Bedürfnis nach Abgrenzung vom Nationalsozialismus festgelegt bleiben. Ich bin überzeugt, dass es Wege raus gibt aus der historischen Schleife.“10 Das würde heißen: Schluss mit dem Gedächtnistheater, fertig erinnert! Ich kann die angedeuteten Auswege derzeit allerdings nicht wahrnehmen. Czollek offenbar auch nicht, denn einige Seiten später heißt es: „Die Behauptung, Deutschland habe den Antisemitismus bewältigt, teilen übrigens gerade diejenigen, die öffentlich völkischen und antisemitischen Positionen nahestehen.“11 Offenkundig ist die Abgrenzung von Faschismus und Nationalsozialismus in Europa heute in einer Weise wieder aktuell, die man sich bis vor kurzem nicht hätte vorstellen können. Sollte die Frage deshalb nicht eher lauten: Welche Bündnisse gibt es, um den gemeinsamen demokratischen Staat, in dem wir leben, gegen diese Bedrohung zu verteidigen? Noch schützen seine Gesetze ja die radikale Vielfalt, von der Czollek spricht, aber das ist in Zeiten des Populismus keine Ewigkeitsgarantie, deshalb müssen sich die Bürger*innen dieses Staates auch aktiv für den Fortbestand seiner Rechtsstaatlichkeit einsetzen. Der Imperativ „Desintegriert euch!“ ist wichtig, um das Selbstverständnis der jüdischen Minderheit in Deutschland zu klären und zu stärken. In diesem Fall sieht es aber so aus, als schlösse die jüdische Identifikation eine Identifikation mit dem demokratischen deutschen Staat kategorisch aus. Das liegt nicht zuletzt an einem tiefsitzenden Misstrauen gegenüber allem Nationalen, das in diesem Land eine lange Geschichte hat: Es tauchte auf, als Helmut Kohl 1987 zwei Jahre vor der Wende das Deutsche Historische Museum eröffnete, das heute einen jüdischen Direktor hat, es war akut bei der Wiedervereinigung und bei der Entscheidung, von Bonn nach Berlin umzuziehen, und es wurde wieder aktuell mit der Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses, das den Palast der Republik der DDR verdrängt hat. Die kritische Auseinandersetzung um Bild und Begriff der Nation begleitet die Geschichte des deutschen Staates, der wiederum, das dürfen wir nicht vergessen, vor und nach der Wende ein Teil der europäischen Geschichte ist. In der EU allerdings identifiziert man sich in allen Mitgliedstaaten zuerst als Bürger*innen der Nation und erst an zweiter Stelle als Europäer*innen, während in Deutschland weithin das Umgekehrte gilt. Von „Normalisierung“ kann hier also noch nicht wirklich die Rede sein, solange es 10 Czollek, Desintegriert Euch, S. 32–33. 11 Czollek, Desintegriert Euch, S. 37.
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noch keinen entspannten und entkrampften Umgang mit nationalen Symbolen gibt. Dies könnte jedoch ein neues Projekt sein, das die Deutschen gemeinsam mit ihren Migranten entwickeln, indem vielleicht ein neuer Text für die Nationalhymne geschrieben wird und die Einbürgerungsfeiern das Willkommen- und Aufgenommensein auch symbolisch markieren. Jan Plamper hat in seinem Buch Das neue Wir konkrete und konstruktive Ideen zu diesem gemeinsamen Projekt einer selbstbewusst auf Vielfalt, demokratische Teilhabe und Rechtsstaatlichkeit gegründeten deutschen Nation in Europa beigesteuert.12
Die Nation als Feindbild Mit seinem Imperativ „Desintegriert euch!“ zieht Czollek eine scharfe Grenze zwischen der jüdischen Minderheit und der Dominanzgesellschaft. Er markiert diese Grenze mit einer radikalen Ablehnung aller nationalen Symbole. Das Jahr 2006 der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland mit seinem „schwarz-rot-goldenen Rausch“ beschreibt er als ein „traumatisches Datum der deutschen Geschichte“, das er in direkter Linie mit dem Jahr 2017 und dem Einzug der AfD in den Bundestag verbindet. „Mir ging es gut in den Neunzigerjahren, ganz ohne Schmerzen von wegen unterdrücktem Nationalismus oder Fahnenentzugserscheinungen.“13 Es ist sehr nachvollziehbar, dass in jüdischen Familien alle deutschen Zeichen und Symbole des Nationalen als traumatische Erfahrung über die Generationen weitergegeben wurden. Das Schwingen von Deutschlandfahnen, das manche in euphorischer Stimmung erlebt haben mögen, erlebt Czollek als ein Trauma der Trennung und Ausgrenzung: „Meine Freund*innen und ich haben die Flagge nicht vermisst. Ihr habt sie vermisst. Ihr habt sie euch auf die Wangen geschmiert. Ihr habt gemeinsam auf den Bierbänken gestanden und die Nationalhymne gesungen. Ihr habt euch von der Feiermeute bis zum klugen Feuilletonisten gefreut, dass Deutschland endlich wieder ein Land sei, auf das man stolz sein könne.“14 Psychologen würden diese Reaktion auf die Ereignisse von 2006 vielleicht als eine „Retraumatisierung“ beschreiben. Ein tief gespeichertes Schreckbild der Vergangenheit bricht plötzlich in die Realität ein und bestätigt das Misstrauen, dass sich in diesem Land nichts geändert hat: Die neuen Deutschen sind die alten Deutschen, die guten Deutschen sind die schlechten Deutschen. Genau so formuliert Czollek: „Was in diesem Land ge12 Jan Plamper, Das neue Wir. Warum Migration dazugehört. Eine andere Geschichte der Deutschen, Frankfurt am Main 2019. 13 Czollek, Desintegriert Euch, S. 38. 14 Czollek, Desintegriert Euch, S. 39.
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genwärtig passiert, ist nichts Neues. Es lässt sich auch nicht allein durch den Aufstieg des Rechtspopulismus in Europa erklären.“15 Der Autor zeichnet ausschließlich Linien negativer Kontinuität und sieht in diesem Land keinerlei Veränderungen zum Guten, nur Bestätigung des Schlechten. Deshalb ruft die dritte Generation zum Widerstand auf: Desintegriert euch! Elf Jahre nach dem „Sommermärchen“ scheint Czollek die Geschichte Recht zu geben: Überall in Europa kam es zu einem Rechtsruck. Wir haben nach einer längeren Phase der Abstinenz erlebt, wie sich hierzulande vor dem Hintergrund der Einwanderungsbewegungen völkische und fremdenfeindliche Parteien die Symbole und Zeichen des Nationalen angeeignet und auf ihre Fahnen geschrieben haben. Ich sehe hier eher ein Umkippen als eine direkte Linie: Was 2006 noch Symbole der Begegnung und Interaktion waren – man ließ sich ja bei diesem Karneval der Nationen beständig mit den Gästen aus aller Welt fotografieren –, ist gekippt und seit 2017 zu einem gewalttätigen Symbol der Abwehr und Ausgrenzung geworden. Max Czollek hat vollkommen recht: In dieser Situation zunehmender Gewaltakte hat „der Schutz eines knappen Viertels der Bevölkerung Deutschlands gegen rechte Übergriffe“ höchste Priorität und ist „die Pflicht demokratisch gewählter Politiker*innen in einer pluralen Gesellschaft wie dieser“.16 Dieser Aufgabe hat in erster Linie der Staat mit seinen Institutionen und Behörden nachzukommen. Das kritische Überwachen all dieser Organe aber ist ein Teil der lebendigen Demokratie, also Aufgabe und Anliegen nicht nur der Politiker*innen, sondern auch der Bürger*innen. Czollek gehört mit Y. Michal Bodemann, Robert Menasse, Ulrike Guérot und anderen zu einer Gruppe von Wissenschaftler*innen, Autor*innen und Künstler*innen, die der Nation den Kampf angesagt haben. Weder sehen sie einen Unterschied zwischen liberalen demokratischen Nationen einerseits und illiberalen und totalitären Nationen andererseits, noch sehen sie einen Unterschied zwischen Nation, Nationalismus und Nationalsozialismus. Die Nation ist für diese Gruppe der Ursprung allen Übels, weshalb sie für eine Abschaffung der Nationen eintritt. Da es im Augenblick aber noch keine erprobten Beispiele für eine politische Existenz außerhalb von Nationen gibt, kann man hier einstweilen nur von einem radikal utopischen Konzept sprechen. Das wichtige Anliegen dieser Gruppe, nämlich radikale Vielfalt und der Schutz von Minderheiten, lässt sich bisher nur innerhalb demokratischer Nationalstaaten verwirklichen. Deshalb kommt es jetzt darauf an, diese demokratischen Nationalstaaten, die sich in der EU nach der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts zusammengeschlossen haben, um den Nationalismus zu zähmen und ihn 15 Czollek, Desintegriert Euch, S. 184. 16 Czollek, Desintegriert Euch, S. 119.
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rechtsstaatlich zu verankern, zu stützen anstatt ihnen ihre Legitimität zu entziehen. Stützen heißt: sie kritisch zu begleiten und sie gegen anti-demokratische Kräfte zu verteidigen. Desintegriert euch! Dieser Imperativ könnte ja auch an die demokratischen Deutschen gerichtet werden, damit sie sich mit dem migrantischen Viertel der Bevölkerung solidarisieren und sich den Einflüsterungen von rechts widersetzen. Denn bei der Verteidigung des demokratischen Staates, in dem wir leben, geht es ja keineswegs um das Phantasma und die Zumutung einer „nationalen Einheit“, sondern im Gegenteil um ein pragmatisches politisches Bündnis für das Empowerment und die Selbstbestimmung marginalisierter Minderheiten innerhalb einer heterogenen Gesellschaft mit ihren vielen Geschichten. Susan Neiman, die seit 2000 in Berlin lebt, kommentiert: „An einer neuen deutschen Identität müssen wir alle arbeiten.“17 „Wenn du deine Identität nur durch ein Feindbild aufrecht erhalten kannst, dann ist deine Identität eine Krankheit.“18 Dieser Satz von Hrant Dink, den Czollek am Ende seines Buches zitiert, ist ein Wegweiser für die Zukunft der Nationalstaaten in Europa. Identitäten sind ja niemals kompakt und geschlossen, sondern immer schon aus vielen Teilidentitäten zusammengesetzt auf der Ebene der Familie, der Stadt, der Region, der Generation, der Peer Group, der Berufsgruppe, der politischen Bewegung, der Kultur, der Religion, der Nation und Europas. Welche dieser Identitäten eine Rolle spielt und welche nicht, das hängt von den jeweiligen Überzeugungen, Bedürfnissen und Handlungsinteressen ab. Die schlechte Nachricht ist, dass Identitäten unter Abgrenzungsdruck eins zu eins auf Feindbilder reduziert werden können. Die gute Nachricht aber ist, dass sie, um neue Allianzen zu schmieden, wie ein Kartenspiel immer wieder neu gemischt und anders sortiert werden können.
17 Susan Neiman, Rezension von Jan Plamper, Das neue Wir, in: Spiegel Online, 12. Mai 2019, www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/das-neue-wir-von-jan-plamper-migration-als-erfolgsgeschichte-a-1264831.html, letzter Zugriff: 30. September 2020. 18 Czollek, Desintegriert Euch, S. 192.
Erinnerung aus jüdischer Perspektive
Micha Brumlik
Erinnerung und Menschenwürde im Zeitalter der Globalisierung Spätestens seit der Erklärung des 27. Januar zum Internationalen Gedenktag an den Holocaust durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 1. November des Jahres 2005 wird dieses Menschheitsverbrechens und seiner Opfer weltweit gedacht – Erinnerung und Gedenken wurden und werden globalisiert. Nicht – darauf ist später einzugehen – ohne Folgen. Zunächst aber soll es – auch in pädagogischer Perspektive – um Sinn und Form der westlichen, genauer der deutschen Erinnerungspraxis und -kultur gehen.
Theologische Vorbemerkung Warum erinnern wir uns? Warum sollen wir gedenken? Mit dieser Frage hat sich gerade jüdische Theologie schon seit Jahrhunderten befasst. Für das Judentum, zumal für die jüdische Mystik gehörten Verbannung, Exil, Erinnerung und Erlösung untrennbar zusammen. So hat im achtzehnten Jahrhundert der historische Begründer des Chassidismus, der „Baal Schem Tov“, Rabbi Israel ben Elieser – er lebte von 1700 bis 1760 in Podolien – das entscheidende Wort geprägt: „Das Vergessen verlängert das Exil und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.“ Es ist jedoch dieser mystischen Einsicht zufolge Gott selbst, der aus dem Exil erlöst werden soll – und zwar von den Menschen. Gott selbst befindet sich gemäß der jüdischen Mystik, der Kabbala, in die Materie verbannt– in das Exil von Materie und Geschichte, und es sind die Menschen, und nur und ausschließlich die Menschen, die ihn, Gott, und damit sich erlösen können – durch Erinnerung. Nach der im sechzehnten Jahrhundert von Rabbi Isaak Luria entwickelten Theosophie der Kabbala entstand die Welt nicht durch einen kreativen Schöpfungsakt Gottes, sondern durch seinen Rückzug in sich selbst: den Zimzum, die Zusammenziehung. Diese, als „jüdische Mystik“ geltende Metaphysik lehrt, dass die Welt nicht durch einen Befehl Gottes aus dem Nichts entstanden ist, sondern dadurch, dass Gott sich in sich selbst zusammengezogen hat, um so Raum für die Welt zu schaffen. Der so entstandene Raum wies Gefäße göttlichen Lichts auf, die schließlich zerbrachen, sodass die Welt gleichsam eine Schutthalde darstellt, unter deren Trümmern sich verborgene Funken göttlichen https://doi.org/10.1515/9783110710601-007
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Lichts finden. Gemäß dieser mystischen Theorie ist es also nicht das jüdische Volk, sondern Gott selbst, der in das Exil der Materie verbannt ist. Der anormale Zustand des Exils wird in der messianischen Zeit beendet sein, einer Zeit, in der kein menschlicher Messias geboren werden, sondern sich eine messianische Potentialität entfalten wird. Unter Bezug auf diese Lehre und auf die geschichtsphilosophischen Thesen des Philosophen Walter Benjamin, der 1940 auf der Flucht vor den Nazis seinem Leben ein Ende setzte, hat der Theologe Helmut Peukert den Begriff der „anamnetischen Solidarität“, der erinnernden Solidarität geprägt: Im revolutionären, im gesellschaftsverändernden Handeln bekennen sich die jeweils später Lebenden zu den Vergessenen, Geschundenen und Ermordeten, holen sie in der Einrichtung gerechter gesellschaftlicher Verhältnisse aus der Ausgrenzung, aus dem Exil des Vergessens zurück und zollen ihnen als den Opfern des historischen Prozesses ein Minimum an Respekt durch Erinnerung und Gedenken. Benjamin postuliert in seinen Thesen über den Begriff der Gesichte eine geheime Verabredung zwischen den gewesenen und jeweils lebenden Generationen: „Dann sind wir auf der Erde erwartet worden. Dann ist uns wie jedem Geschlecht, das vor uns war, eine schwache messianische Kraft mitgegeben, an welche die Vergangenheit Anspruch hat.“ Er betont einen bedrückenden Tatbestand: dass auch die Toten, vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein werden. „Und“, so Benjamin1940, „dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört.“1
Das Prinzip der deutschen Demokratie In Deutschland steht die politische Lebensform der Demokratie unter einem organisierenden Prinzip, der „Würde des Menschen“. So jedenfalls die Verfassung mit ihrem ersten Artikel, gemäß dessen die Würde des Menschen, nicht die des Deutschen, unantastbar ist. (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.2
1 Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, Teil 2, Frankfurt am Main 1980, S. 691–704, hier S. 694 u. 695. 2 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, www.bundestag.de/gg, letzter Zugriff: 31. August 2020.
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„Würde“ aber ist ein Begriff, der in Bezug auf Menschen und im Unterschied zur Würde – und das heißt der Unantastbarkeit und Erhabenheit – Gottes erstmals in der italienischen Renaissance, im Humanismus auftaucht und dort durch die völlige menschliche Freiheit, das eigene Leben zu bestimmen, analysiert wird. „Wir haben dich“, heißt es etwa bei Pico della Mirandola, „[…] geschaffen, damit du als dein eigener, vollkommen frei und ehrenhalb schaltender Bildhauer und Dichter dir selbst die Form bestimmst, in der du zu leben wünschst.“3 Hier ist der intime Zusammenhang von Würde und Freiheit erstmals angesprochen. Die Philosophie der Aufklärung lässt schließlich die Bezüge auf das jüdische und christliche Erbe der Gottesebenbildlichkeit bzw. der Menschwerdung Gottes ganz hinter sich und bestimmt die menschliche Würde selbstgenügsam, als jenes Prinzip, wonach Angehörige der Gattung Mensch als der Vernunft teilhaftig werdende Wesen Zwecke in sich sind. Es war nach einer längeren Rezeptionsphase dieses Begriffs schließlich die kosmopolitische Philosophie der deutschen Aufklärung, zumal Immanuel Kants, die die nach dem Nationalsozialismus geschaffene deutsche Verfassung, das Grundgesetz, wesentlich geprägt hat. Als oberstes Prinzip der Tugendlehre weist Kant in der Metaphysik der Sitten folgendes aus: „Nach diesem Prinzip ist der Mensch sowohl sich selbst als andern Zweck und es ist nicht genug, dass er weder sich selbst noch andere bloß als Mittel zu brauchen befugt ist, sondern den Menschen überhaupt sich zum Zwecke zu machen, ist des Menschen Pflicht.“4 Einen Menschen als Zweck seiner selbst zu betrachten, bedeutet, ihn in mindestens drei wesentlichen Dimensionen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, zu tolerieren, sondern auch anzuerkennen. Es bedeutet ihn zu bejahen hinsichtlich körperlicher Integrität, personaler Identität und soziokultureller Zugehörigkeit. Dieser Anerkennung korrespondiert ein Demütigungsverbot. Das Demütigungsverbot aber bezieht sich auf die „Würde“ eines Menschen. Diese „Würde“ eines Menschen ist – wie der israelische Philosoph Avishai Margalit gezeigt hat – der äußere Ausdruck seiner Selbstachtung, also jener Haltung, „die Menschen ihrem eigenen Menschsein gegenüber einnehmen, und die Würde ist die Summe aller Verhaltensweisen, die bezeugen, dass ein Mensch sich selbst tatsächlich achtet.“5 Diese Selbstachtung wird verletzt, wenn Menschen die Kontrolle über ihren Körper genommen wird, sie als die Person, die sie sprechend und handelnd sind, nicht beachtet oder ernst genommen bzw. wenn die Gruppen oder sozialen Kontexte, denen sie entstammen, herabgesetzt oder verächt3 Pico della Mirandola, Über die Würde des Menschen, Zürich 1988, S. 10–11. 4 Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, in: ders., Werke Bd. 7, Darmstadt 1968, S. 526. 5 Avishai Margalit, Politik der Würde. Über Achtung und Verachtung, Berlin 1997, S. 72.
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lich gemacht werden. Die Verletzung dieser Grenzen drückt sich bei den Opfern von Demütigungshandlungen als Scham aus. Entsprechend gibt es eine absolute Scham. In Primo Levis kristallklarem und nüchternem Bericht über seine Haft in Auschwitz wird den Erfahrungen absoluter Entwürdigung Rechnung getragen; der Ausdruck von der „Würde des Menschen“ gewinnt vor dieser Kulisse von Auschwitz eine gebieterische und einleuchtende Kraft. So notiert Levi für den 26. Januar 1944, einen Tag vor der Befreiung des Lagers: Mensch ist, wer tötet, wer Unrecht zufügt oder erleidet; kein Mensch ist, wer jede Zurückhaltung verloren hat und sein Bett mit einem Leichnam teilt. Und wer darauf gewartet hat, bis sein Nachbar mit Sterben zu Ende ist, damit er ihm ein Viertel Brot abnehmen kann, der ist, wenngleich ohne Schuld, vom Vorbild des denkenden Menschen weiter entfernt als der roheste Pygmäe und, der grausamste Sadist.6
Unter diesen Bedingungen schwindet dann auch die natürliche Neigung zur Nächstenliebe. Levi fährt fort: „Ein Teil unseres Seins wohnt in den Seelen der uns Nahestehenden: darum ist das Erleben dessen ein nicht-menschliches, der Tage gekannt hat, da der Mensch in den Augen des Menschen ein Ding gewesen ist.“7 Auch Avishai Margalit lässt im Übrigen keinen Zweifel daran, dass eine Gesellschaft, die in ihren Institutionen oder Handlungen die Würde des Menschen schützt, weder eine demokratische noch gar eine gerechte Gesellschaft sein muss und dass umgekehrt sowohl demokratische als auch gerechte Gesellschaften wenn auch nicht durchgängig, so doch in weiten Bereichen die Würde ihrer Mitglieder verletzen und beeinträchtigen können. Mit dem Begriff der „Würde des Menschen“ ist also lediglich ein Minimum angesprochen, gleichsam der kleinste gemeinsame Nenner nicht von Gesellschaften, sondern von politischen Gemeinwesen, die wir jener Welt zurechnen würden, die wir als „zivilisiert“ bezeichnen würden. Dabei ist es offensichtlich, dass die Trenn- und Bruchlinie durch alle Gesellschaften und Staaten geht, wir uns hier aber mit der Frage befassen, in welchen politischen Gemeinwesen die menschliche Würde auch institutionell geschützt wird. Zudem sei darauf hingewiesen, dass der Begriff der „Würde des Menschen“ seine historischen Wurzeln vielleicht in der biblischen Tradition hat, er aber grundsätzlich nicht auf diese Tradition angewiesen ist, um in seiner ganzen Tragweite verstanden zu werden. Das Verständnis für Menschenwürde ist weder an die Voraussetzungen von Judentum und Christentum, noch gar an die abendländische Zivilisation im Ganzen gebunden. 6 Primo Levi, Ist das ein Mensch? Die Atempause, München 1991, S. 164. 7 Levi, Ist das ein Mensch, S. 164.
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Dabei ist die Einsicht in die Würde des Menschen nicht alleine auf eine kognitive, intellektuelle Operation beschränkt, mehr noch oder gar anders: Das Verständnis für die Würde des Menschen wurzelt in einem moralischen Gefühl. Dieses Gefühl ist moralisch, weil es Beurteilungsmaßstäbe für Handlungen und Unterlassungen bereitstellt, es ist indes ein Gefühl, weil es sich bei ihm nicht um einen kalkulatorischen Maßstab, sondern um eine umfassende, spontan wirkende, welterschließende Einstellung handelt. Wer erst lange darüber nachdenken muss, ob einem oder mehreren Menschen die proklamierte Würde auch tatsächlich zukommt, hat noch nicht verstanden, was „Menschenwürde“ ist. Mit anderen Worten: es handelt sich um ein moralisches Gefühl mit universalistischem Anspruch, das unter höchst voraussetzungsreichen Bedingungen steht. Zumal in Deutschland, wo Erinnern und Gedenken immer auch an den Holocaust und damit auch an den Antisemitismus gebunden ist.
Diskursverschiebungen: Globalisierung und Erinnerung Und damit zur Gegenwart, zur Aktualität: Die jüngsten Debatten um die Nichtpreisverleihung an den kamerunischen Philosophen Achille Mbembe und die postkoloniale Kritik am Zionismus haben gezeigt, dass die Erinnerung an das Menschheitsverbrechen des Holocaust Dimensionen aufweist, die bisher – jedenfalls hierzulande – zu wenig beachtet wurden. Die Genealogie des Antisemitismus, also des rassistischen Antijudaismus, reicht nämlich ins koloniale Zeitalter, in die Zeit der Sklaverei zurück. Und das in einer gegenwärtigen Gesellschaft Deutschlands, die mit der Gesellschaft der ersten Jahrzehnte des Landes nur noch wenig zu tun hat. Die gesellschaftliche Konstellation, um die es derzeit geht, ist die einer an eine globale Mediengesellschaft angeschlossenen Einwanderungsgesellschaft – Teil einer durch nationale Grenzen nicht mehr unbegrenzten Weltgesellschaft. Was aber die Erinnerungskultur und die ihr eng angeschlossene Bekämpfung des Antisemitismus betrifft, so gilt, dass die paradigmatische Diskursverschiebung darin besteht, dass im judenfeindlichen Diskurs, den diese Erinnerungskultur auch bekämpfen soll, gegenwärtig der Staat Israel und seine Macht jene Funktion übernommen hat, die die Familie Rothschild sowie die Finanzwirtschaft im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert eingenommen haben.
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Genauer: Man wird sich klarmachen müssen, dass die militärische Macht des Staates Israel mitsamt seinen tatsächlich vorkommenden Verletzungen von Menschen- und Völkerrecht für judenfeindliche Bewusstseinsformen exakt dieselbe Rolle spielt wie die ja ebenfalls unbezweifelbare, keineswegs demokratisch ausgeübte Geldmacht des Hauses Rothschild im neunzehnten Jahrhundert und dass die Schwierigkeit einer Bildung gegen Antisemitismus eben darin besteht, jungen, oftmals ressentimentgeladenen Menschen differenzierendes Denken und Fühlen ebenso nahezubringen wie eine strikt postkonventionelle, universalistische Ethik. Vor diesem Hintergrund erscheint ausgerechnet der Staat Israel, der die Juden in aller Zukunft vor Antisemitismus bewahren soll, selbst unter dem Verdacht, Ausdruck europäischen Überlegenheits- und Unterjochungsstrebens zu sein. Daher: Weder ist Antisemitismus nichts anderes als ein lediglich auf Juden bezogener Rassismus, noch ist der europäische Rassismus letztlich nur Ausfluss diskriminatorischen Denkens der christlichen oder der aufklärerischen Tradition. Vielmehr müssen beide als einander wechselseitig beeinflussende Diskurse, als ideologische Ausdrucksweisen im Gefolge der europäischen Expansion mit dem Beginn der Eroberung der Amerikas im fünfzehnten Jahrhundert über die koloniale Beherrschung Afrikas bis zur Neugliederung des vormals osmanischen Iraks, Arabiens und Palästinas nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Gründung des Staates Israel verstanden werden. Damit ist ausdrücklich nicht gesagt, dass andere – nichtwestliche – Kulturen nicht auch ihre ganz eigenen Rassismen entwickelt haben. Dabei ist unter dem Diskurs des alten Rassismus die Abwertung, Unterjochung, Rechtlosstellung und Tötung von Menschengruppen aufgrund einer vermeintlich unveränderlichen, minderwertigen oder gefährlichen biologischen Anlage zu verstehen, während als „neuer Rassismus“ all jene „Theorien“ gelten können, nach denen sog. „Kulturen“ weitgehend unveränderlich sind und auch die Dispositionen jener, die unter ihnen aufgewachsen sind, prägen. Aber was genau ist Rassismus? Als paradigmatische Fälle von zunächst nicht judenfeindlichen rassistischen Diskursen in Europa kann der sogenannte Antiziganismus sowie der gegen Schwarze gerichtete Hautfarbenrassismus gelten. In beiden Fällen ging es um die Konstruktion einer Klasse entweder abzuwehrender oder auszubeutender, menschenartiger Wesen, die biologisch und normativ unter dem Wert der ebenfalls ideologisch konstruierten weißen Rasse standen. Das konnte nicht nur Klaus Michael Bogdal in seinem Werk Europa erfindet die Zigeuner zeigen, sondern auch die Bremer Amerikanistin Sabine Broeck, die nachgewiesen hat, wie sehr der transatlantische Sklavenhandel auch das Bewusstsein und das Un-
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bewusste von Gesellschaften wie der deutschen geprägt hat, die jedenfalls nicht offen am Sklavenhandel beteiligt waren.8 Die Frage der deutschen Kolonialherrschaft ist damit keineswegs übergangen. Freilich verweist der transatlantische Sklavenhandel auch darauf, dass „Rassismus“ keineswegs nur ein Problem der weißen, europäischen Kultur ist, wie vor allem am Beispiel des Sklavenhandels in islamischen Gesellschaften gezeigt werden konnte. Gleichwohl ist Rassismus in der westlichen Kultur in jeder Hinsicht, auch philosophisch, tief verankert.
Das neue Problem: Auch vor dem Hintergrund von Auschwitz geraten Anti-Antisemitismus und AntiRassismus in Widerspruch Dabei zeichnet sich gegenwärtig – und das markiert die erwähnte paradigmatische Verschiebung im Zeitalter der Globalisierung – ein Wechsel des Themas ab: jedenfalls, was die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus und damit der – auch immer wieder verdrängten – Erinnerung an Auschwitz angeht. An die Stelle eines direkten, auf Schuldverdrängung basierenden, „sekundären“ Antisemitismus tritt ein je nachdem „linker“, „postkolonialer“ oder eben „universalistischer“ Antisemitismus. Dieser Umstand ermöglicht es etwa Astrid Messerschmidt, pointiert von zweierlei Formen des Antisemitismus zu schreiben: einem die „Freiheit“ ins Zentrum stellenden Antisemitismus der neuen bürgerlichen, deutschen Mitte sowie einem Antisemitismus der „Gleichheit“ vor allem benachteiligter und diskriminierter Gruppen von Migranten: Während jener mindestens in Deutschland den Versuch unternimmt, die Verbrechensgeschichte „zu normalisieren, indem die Auseinandersetzung damit als übertrieben, aufgebürdet und an ein Ende gekommen abgewehrt wird“, zeichnet sich dieser – so die Sozialwissenschaftlerin Messerschmidt – „durch projektive Besetzungen von Opfer und Täterpositionen aus.“9 So etwa, wenn Juden in Deutschland umstandslos mit den israelischen Besatzern des Westjordanlandes gleichgesetzt werden. 8 Michael Bogdal, Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung, Berlin 2011; Sabine Broeck, Legacies of Enslavism and White Abjectorship, in: dies./Carsten Junker (Hrsg.), Postcoloniality – Decolonality – Black Critique. Joints and Fissures, Frankfurt am Main 2014, S. 109–128. 9 Astrid Messerschmidt, Bildungsarbeit in der Auseinandersetzung mit gegenwärtigem Antisemitismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 28–30/2014, S. 38–44.
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Auf jeden Fall: in der Bildungsarbeit mit jüngeren, aus migrantischen Milieus stammenden Jugendlichen wird man sich mit der katalysatorischen Rolle der Besatzungspolitik Israels als eines besonders medienwirksamen Beispiels für (post)koloniale, westliche und eben nicht universalistische Machtausübung befassen müssen. Dabei sind die normativen Prinzipien einer solchen Bildungsarbeit mindestens in der Theorie klar: Hauptprinzipien im Zeitalter der Globalisierung können nur sein: a.) sensibilisierende Solidarität mit allen Opfern sowie b.) unnachsichtige, aber umso genauere Kritik an allen Tätern, Tätergruppen und den sie tragenden gesellschaftlichen Strukturen. Außerdem c.) die bewusste Übernahme einer staatsbürgerlichen, deutschen und europäischen, ja globalen Verantwortungsperspektive.
Die Zukunft der Erinnerung: Menschenrechtsbildung und Bildung zum Weltbürger Die Einheit einer sowohl anti-antisemitischen als auch antirassistischen, postkolonialen Bildungsarbeit wird sich nur dann herstellen lassen, wenn auch in Unterricht und Lehre nach differenzierter sachlicher Information und Analyse die Ebene einfacher, moralistischer Stellungnahmen verlassen und die Perspektive einer universalistischen Bildung zu den Menschenrechten sowie zu einem im Zeitalter der UN-Konventionen auch effektiv gewordenen Weltbürgertum angestrebt wird. Was die Menschenrechtsbildung betrifft, habe ich einen Versuch dazu in meinem Buch Aus Katastrophen lernen vorgelegt, die Aufgabe einer Bildung zum Kosmopoliten liegt noch vor uns.10 Kritische Bildungsarbeit konnte sich die Bedingungen, unter denen sie anzutreten hatte, noch nie aussuchen. Globalisierung und Migration haben eine Lage geschaffen, die neu ist und überhaupt erst als solche erkannt und anerkannt werden muss. Eine am 19. Juni 2018 in Berlin eröffnete, aufsehenerregende Jugendgerichtsverhandlung gegen einen jungen Syrer, der in Berlin einen Kippah tragenden Mann angegriffen hatte und dabei gefilmt wurde, hat die Frage nach obligatorischen Gedenkstättenbesuchen migrantischer Jugendlicher, sofern sie aus muslimischen Ländern kommen und daher erwartbar ein gewisses Maß an israelbezogenem Antisemitismus mitbringen, erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Aus langjährigen Begleitforschungen lässt sich jedenfalls gesichert sagen, dass derlei Besuche, sofern sie nicht intensiv vorbereitet und penibel nachberei10 Micha Brumlik, Aus Katastrophen lernen? Grundlagen zeitgeschichtlicher Bildung in menschenrechtlicher Absicht, Berlin 2004.
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tet werden, wegen mangelnder Nachhaltigkeit ebenso gut unterbleiben können. Wenn etwas nicht gebraucht wird, dann eine Form des Kurzzeit-KZ-Tourismus, der im besten Fall als interessanter Aufenthalt, im schlechtesten Fall als nur noch abzuwehrende Zwangsmaßnahme erfahren wird. Das wäre besonders der Fall, wenn derartige Besuche ausschließlich von kürzlich eingewanderten Jugendlichen unternommen werden, nicht aber, wenn dies – was für eine staatsbürgerliche Bildung im Sinne des Grundgesetzes unerlässlich ist – von allen Schülerinnen und Schülern erwartet wird. Tatsächlich steht einer Pädagogik des Eingedenkens ein tief greifender Umbruch bevor. Politikern und Pädagogen, KZ Gedenkstätten sowie in Schulen engagierten Lehrerinnen und Lehrern – keineswegs nur in Deutschland, sondern auch in den USA und in Israel – ist das Problem nicht fremd. Sie wissen, dass die letzten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aufgrund ihres hohen Alters, ihrer ohnehin angeschlagenen Gesundheit und des absehbaren Endes ihres Lebens als authentische Zeugen immer weniger zur Verfügung stehen. Über Jahre hinweg galt es in Bildung und Unterricht – zumal angesichts immer jüngerer Schülerinnenund Schülern bzw. von solchen aus Herkunftsländern, in denen die deutschen, die nationalsozialistischen Verbrechen an den europäischen Juden kein Teil des offiziellen nationalen Gedächtnisses und Gedenkens waren und sind, mehr noch, angesichts von Schülerinnen und Schülern, die die Geschichte des Holocaust für „zionistische“ Propaganda halten – als Königsweg, Überlebende einzuladen. Deren erschütternde Lebenszeugnisse sowie ihr großer Altersabstand zu den Schülerinnenund Schülern schufen eine Atmosphäre des Respekts ebenso wie der Berührbarkeit: eine unübertroffene Chance, die schwierige, spontan abstoßende Thematik Kindern und Jugendlichen, die sich in der Lebensphase des Aufbaus ihrer persönlichen Identität befinden, nahe zu bringen. Bei dem jetzt zu vollziehenden Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis (Jan und Aleida Assmann) werden daher schriftliche, ja literarische Zeugnisse eine immer größere Rolle spielen, wobei es nicht nur um das Tagebuch der Anne Frank gehen kann, sondern auch und gerade um Berichte aus den Todeslagern selbst. Dabei wird man, zumal jüngeren Jugendlichen, die literarischen Werke etwa des Literaturnobelpreisträgers Imre Kertesz nicht immer zumuten können. Umso besser geeignet ist jedoch ein bisher noch nicht genügend beachtetes, vor kurzem erschienenes Buch, das der Frankfurter Verleger Abraham Melzer in einer luziden deutschen Übersetzung vorgelegt hat. Shalom Weiss’ „Wie konntest du Mensch sein in Auschwitz?“ stellt nicht nur eine äußerst anschauliche Rechenschaft über das ungarische Judentum der Vorkriegszeit, die Todeslager und den Aufbau des jungen Staates Israel dar, sondern – vor allem! – eine
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außerordentliche pädagogische Leistung.11 Der vierte Teil des Buches enthält auf rund einhundertfünfzig Seiten die Fragen sowohl der Kinder des Erzählers als auch die Fragen seiner Enkel, auf die er jeweils ebenso klar und engagiert, aber auch authentisch emotional antwortet. Wer als Lehrerin oder Lehrer, als Sozialpädagogin oder Sozialarbeiter mit Jugendlichen zusammenarbeitet, kann hier lernen, wie man das überaus schwierige Thema lebensnah aber auch historisch gesättigt präsentieren kann. Es ist dieses Buch, das beispielhaft als Basis für die anfangs genannten Vorbereitungen auf entsprechende Besuche dienen kann.
Universalisierung und Multidirektionalität des Gedenkens Wie selbstverständlich nehmen westliche Gesellschaften die Erfahrungen und das Erbe jener Massenvernichtung, die sich in den Bränden des 9. November 1938, als brennendes Ganzopfer, als „Holokaust“ ankündigten und die in den Gaskammern und Krematorien von Auschwitz und Treblinka endeten, als Teil der eigenen westlichen Zivilisation, als jene zentrale Erfahrung an, die deren Lebensform und politisches Handeln legitimiert. Es könnte jedoch sein, dass darüber vergessen wurde, dass sich die industrielle Massenvernichtung schon Jahre früher in Europas Kolonien, in den Ländern des Südens ankündigte. Wie sich sinnvoll, ohne die Leiderfahrungen der einen unter Bezug auf die Leiderfahrungen der anderen zu vernachlässigen über die das singuläre Menscheitsverbrechen der Shoah nachdenken lässt, hat schon Jahre vor der Mbembe-Debatte der US-amerikanische Historiker Michael Rothberg – er lehrt vergleichende Literaturwissenschaft und Holocauststudien an der University of California in Los Angeles – in einem in Deutschland viel zu wenig bekannten Buch gezeigt.12 Im Zuge der deutschen Debatte hat er sich in einer Zeitschrift des Goethe Instituts geäußert und u. a. geschrieben: Meiner Theorie der multidirektionalen Erinnerung liegt die Annahme zugrunde, dass […] der Vorgang des Erinnerns nicht der Logik des Nullsummenspiels folgt. Vielmehr entwickeln sich alle Erinnerungskulturen dialogisch, durch Anleihen, Aneignungen, Gegenüberstellungen und Wiederholungen anderer Geschichten und anderer Erinnerungstradi11 Shalom Weiss, „Wie konntest Du Mensch sein in Auschwitz?“ Drei Generationen versuchen zu verstehen, Frankfurt am Main 2017. 12 Michael Rothberg, Multidirectional Memory. Remembering the Holocaust in the Age of Decolonization, Stanford 2009.
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tionen. […] Zum Teil können wir in der Mbembe-Debatte die bereits bekannte Tatsache beobachten, dass sich mit der Globalisierung der des Holocaust-Gedenkens dieses Gedenken auch zu einer Plattform entwickelte, auf die andere Erinnerungen an Gewalterfahrungen zum Ausdruck gebracht werden konnten. Dies bezieht sich besonders auf die Zeit der Sklaverei und des Kolonialismus.13
Dem ist in jeder Hinsicht beizupflichten. Wie nicht zuletzt auch die Diskussionen um die Umbenennung Berliner Straßen seit der „Black Lives matter“-Bewegung zeigen, ist inzwischen auch die Rolle des Deutschen Kolonialismus mitsamt dem ersten von ihm verübten Genozid an den Herero und Nama in „Deutsch-Südwest“ Thema der öffentlichen Aufmerksamkeit. So führte General von Trotha 1904 in Deutsch-Südwestafrika einen erklärten Vernichtungs- und Rassekrieg und trieb etwa 30.000 Herero ebenso auf Todesmärschen in die Wüste, wie das später die Jungtürken mit den Armeniern tun sollten. Ab 1905 richtete das deutsche Kolonialregime Konzentrationslager für gefangene Herero ein, die von deutschen Firmen zum Eisenbahnbau eingesetzt wurden und – einzigartig in der kolonialen Welt – gezielt der Vernichtung durch Arbeit dienten. Heute gewinnt die schon früh von Jürgen Zimmerer aufgestellte Hypothese von der Vorbildfunktion der deutschen Kolonialkriege für den von ihm als „deutscher Faschismus“ bezeichneten Nationalsozialismus immer stärker an Plausibilität. Immerhin nahmen Rassehygieniker und Lehrer nationalsozialistischer KZ-Ärzte wie Josef Mengele, nämlich die bekannten Eugeniker Theodor Mollisson und Eugen Fischer ihre ersten Forschungen an Eingeborenen während des Kolonialkrieges in Deutsch-Südwestafrika vor. Damit steht die Frage nach dem Verhältnis von Kolonialismus, Sklaverei und Rassismus auf der Tagesordnung, also die übrigens erstmals von Hannah Arendt erörterte Frage nach der Bedeutung des kolonialen Ausgreifens Europas nach Afrika für rassistische und totalitäre Politik in Europa. Darum wird es bei der Zukunft der Erinnerung gehen.
13 Michael Rothberg, Das Gespenst des Vergleichs, www.goethe.de/lhr/prj/daz/mag/mip/ de16769282.htm, letzter Zugriff: 31. August 2020.
Yael Kupferberg
„Erinnern“ und „Eingedenken“ als jüdische Praxis Der Auftakt zu den Zehn Worten, zum Dekalog, erscheint fast menschlicher Natur: Legitimiert wird Gott und „sein“ Gesetz durch die Erinnerung an den von ihm ermöglichten Exodus. Der Verkündung des Gesetzes geht eine narrative Referenz voraus: „Ich bin der Ewige, dein Gott, der dich herausgeführt aus dem Lande Mizraijim, aus dem Hause der Knechte.“1 Durch eben jene Erinnerung an die Befreiung aus Sklaverei, dem das Verbot von Götzendienst folgt, ist die Autorität der Gesetze als Zeugnis der autoritativen Selbstermächtigung des Ewigen legitimiert. In dieser Evokation erweist sich Erinnerung bereits als eine fast politische Praxis, als ein in die Wirklichkeit eingreifendes und bindendes Legitimationsargument. Der juridische Gehalt des Gesetzes baut nicht auf Erinnerung allein als einem spontanen, biografischen Rückblick, sondern entfaltet vielmehr seine spezifische Bindung umfassender.2 Treffend wäre es mit dem Begriff „Eingedenken“ zu bezeichnen, der sehr spezifisch Geschichte, Metaphysik und genealogisches Gedenken umfasst. Der Begriff „Eingedenken“ findet sich, so formuliert es Rolf Tiedemann, „bei einigen Juden, die alle große Schriftsteller deutscher Sprache sind: zuerst wohl bei Bloch, dann bei Benjamin und Adorno und eben bei Scholem, finden wir ein Wort, das kein deutsches Wörterbuch kennt: Eingedenken.“3 Faktisch ist diese Aussage nicht ganz zutreffend. Jacob und Wilhelm Grimm, auch Johann Christoph Adelung führen den Begriff nicht als Substantiv, jedoch als Adverb auf, als „eingedenk“.4 Dennoch ist Tiedemann zuzustimmen; 1 Schemot 20, 1–3, in: Walter Homolka/Hanna Liss/Rüdiger Liwak (Hrsg.), Die Tora. Die Fünf Bücher Mose und die Prophetenlesungen (hebräisch-deutsch) in der revidierten Übersetzung von Rabbiner Ludwig Philippson, Basel 2015. Der vorliegende Artikel benennt die Fünf Bücher Mose nach ihren hebräischen Bezeichnungen, 1. Buch Moses, „Bereschit“ („Im Anfang“), 2. Buch Moses, „Schemot“ („Namen“), 3. Buch Moses, „Wajikra“ („Und er rief“), 4. Buch Moses, „Bemidbar“ („In der Wüste“), 5. Buch Moses, „Dewarim“ („Worte“). 2 Freilich ist das Erinnern im gesamten liturgischen Zyklus des jüdischen Jahres präsent, denn mindestens seit „Schemot“ ist die Hebräische Bibel politisches Zeugnis, Erzählung und Gesetzesbuch, wohingegen „Bereschit“ noch eher ein konflikthaftes, genealogisches Fundament narrativ entwirft. 3 Rolf Tiedemann, Nachwort, in: ders. (Hrsg.), Gerschom Scholem, Walter Benjamin und sein Engel, Frankfurt am Main 1983, S. 214. 4 Vgl. „EINGEDENK, memor, memoria fixus, bald ohne casus eingedenk sein, werden, bleiben, bald mit zugefügtem genitiv, bald unpersönlich, mir ist eingedenk […]“, in: Deutsches https://doi.org/10.1515/9783110710601-008
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„Eingedenken“ ist durchaus im jüdischen linksliberalen, bürgerlichen, intellektuellen Denken eingegangen und zwar als säkularisierter Ausdruck, dessen Referenz deutlich durchscheint. Das Judentum kennt „Eingedenken“ als rituelle Praxis. Es ist, und dies ist bemerkenswert, kennzeichnend für eine bestimmte Wahrnehmung von Gott, Zeit und Mensch. Dabei ist es charakteristisch, dass „Eingedenken“ im Judentum weniger als theoretische Maxime, sondern als Praxis besteht: Hier fallen Physis und Metaphysis zusammen. Die umfassende „Rettung“, die von „Eingedenken“ erhofft wird, bezieht sich auf die „doppelte“ jüdische Existenz; der Existenz im Hier und Jetzt und der Existenz in der vorgestellten kommenden Welt, in „ha olam haba“. In „Eingedenken“ ist nicht die jüdische Praxis des Erinnerns allein artikuliert; namentlich das Zusammendenken, d. h. die Überlagerung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Vielmehr korrespondiert diese Verdichtung auch mit einem spezifischen Verständnis von Zeit überhaupt. In der Hebräischen Bibel hat „ha olam“ sowohl räumliche wie auch zeitliche Bedeutung, es meint sowohl „Ewigkeit“ wie auch „Welt“.5 Es ist eine Konzeption, die sowohl auf die physische sowie auf die metaphysische Existenz der Menschen abhebt. In der bedeutenden Hymne adon olam („Herr der Welt“ / „Herr der Ewigkeit“), die Eingang in die Liturgie gefunden hat und prominent (auch populär) rezipiert wird, heißt es: „ve hu haja“ („und Er war“), „ve hu hoveh“ („und Er ist“), „ve hu jijeh“ („und Er wird sein“).6 In dieser Weise ist das Zeitverständnis zentral und im göttlichen Namen enthalten.7 Im unaussprechlichen Namen Gottes, der im Tetragramm „JHWH“ bezeichnet ist, zeigt sich bereits die Eigenschaft an. So spricht Gott von sich selbst als ewige Bewegung: „Ich werde sein, welcher ich werde sein.“ (Schemot, 3,14) Hier, und das ist der fundamentale Unterschied zwischen Judentum und Christentum, geht es nicht um „Identität“,
Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Teilbänden, Bd. 3, Leipzig 1962, Spalte 185 bis 188; Johann Christian Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen. Zweyte, vermehrte und verbesserte Ausgabe, Bd. 1, Leipzig 1793, Spalte 1701 bis 1704. 5 Vgl. dazu Sylvie Anne Goldberg, Zeit, in: Dan Diner (Hrsg.), Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur, Bd. 6: Te–Z, Weimar 2015, S. 507–516. 6 Avigdor Herzog, Art., Adon Olam, in: Fred Skolnik/Michael Beerenbam (Hrsg.), Encylopaedia Judaica, Bd. 1, Aa–Alp, New York 1972, S. 414–415. 7 Yosef Chaim Yerushalmi bemerkt in seinem Werk Zachor: Erinnere Dich! Jüdische Geschichte und jüdisches Gedächtnis, Berlin 1988, dass das fehlende Zeitbewusstsein der rabbinischen Autoren eher gegenwartslos erscheint: Die Vergangenheit war bekannt, die messianische Zukunft gewiss, die Gegenwart der Diaspora ist dunkel verhüllt.
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sondern um „Präsenz“, bzw. um „Permanenz“8: An Moscheh gerichtet, spricht Gott: „Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Awrahams, der Gott Jizchaks und der Gott Ja’akows. […] Da sprach Gott zu Moscheh: Ich werde sein, welcher ich werde sein! […] Dies ist mein Name für ewig und dies mein Andenken für Geschlecht auf Geschlecht.“ (Schemot 3,15) Sowohl im Tetragramm, als auch in der Aussage „ich werde sein“, wie auch in der genealogischen Bestimmung und Bezeichnung, dann als „der Gott eurer Väter“, ist die zeitliche Dimension angezeigt – als universale, übergeschichtliche Dimension. Die (natur)geschichtliche und damit partikulare Dimension ist in der universalen Präsenz Gottes aufgehoben. Die Individualgeschichte hingegen, bzw. ein bestimmendes biografisches Moment der biblischen Person, der individuelle Name, geht als Bezeichnung dem Verlauf der biblischen Erzählung voraus. Dem Namen ist ein bedeutendes Charakteristikum eingeschrieben: im Falle Ja’akows und Esavs, bei Jitzchak, Rachel, Rivka, Leah und Sara, bei Moscheh, dann in der Änderung des Namens Abrahams und Israels.9 In ihren Namen ist bereits ein bedeutendes Moment ihrer Geschichte semantisch angezeigt: Ihre schon im Namen benannte und offenbarte Geschichte macht sie zu etwas Besonderen. Ihre Geschichte wird zur Erzählung im Namen konkret. Während Gott, philosophisch gesprochen als das Allgemeine, die Bewegung, das Ewige, das objektiv Absolute apostrophiert wird und namenlos ist; ist der Mensch das Besondere, das Subjektive – der Mensch hat einen Namen und er hat eine Geschichte. Die israelische Dichterin Zelda Schneurson Mishkovsky gibt diesem theologischen Gehalt einen modernen, lyrischen Ausdruck. Gleichwohl sind die Verse ihres Gedichts lechol isch jesch schem („Jeder Mensch hat einen Namen“) ohne die Vorstellung der „doppelten“ Existenz, d. h. ohne die Vorstellung von metaphysischer Existenz, die einen Begriff von Seele „eindenkt“, kaum nachvollziehbar: Jeder Mensch hat einen Namen/ den Gott ihm gegeben/ den Vater und Mutter ihm gegeben./ Jeder Mensch hat einen Namen,/ den seine Gestalt und sein Lächeln ihm geben./ Jeder Mensch hat einen Namen,/ den das Gebirge ihm gibt/ und die Wände, in denen er lebt./ Jeder Mensch hat einen Namen,/ den seine Sünde ihm gibt/ und die Sehnsucht, die 8 Stéphane Mosès, Eros und Gesetz, Zehn Lektüren der Bibel, München 2004, S. 67. 9 Als Beispiel führt Mosès die bedeutende Umbenennung „Abram“ zu „Abraham“ an: „Wenn Gott zu Abraham sagt: ‚Man wird dich nicht mehr Abram nennen. Abraham (Vater der Menge) wirst du heißen; denn zum Stammvater einer Menge von Völkern habe ich dich bestimmt (Av hamon goyim)‘, (Gen 17, 5)“, vgl. dazu Mosès, Eros und Gesetz, S. 70. Die monotheistischen Religionen, Judentum, Christentum sowie Islam berufen sich auf Abraham als den Stammvater ihrer Religion – insofern verweist die Umbenennung auf die bedeutende Rolle, die Abraham in den Religionen einnimmt.
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sein Leben prägt./ Jeder Mensch hat einen Namen,/ den seine Feinde ihm geben/ und den seine Liebe ihm gibt./ Jeder Mensch hat einen Namen,/ den seine Feste ihm geben/ den seine Arbeit ihm gibt./ Jeder Mensch hat einen Namen/ vom Kreislauf des Jahres/ und von seiner Blindheit ihm beigelegt./ Jeder Mensch hat einen Namen,/ den das Meer ihm gibt/ und schließlich auch der eigene Tod.10
Dieses Gedicht, das mit der Geburt und Namensgebung eines Menschen beginnt, dem Lebensweg folgend dialektische Bögen zeichnet, endet schließlich mit dem Tod und enthält bei aller literarisch-populären Zugänglichkeit eine signifikante Einlassung: Gott, Mutter und Vater sind die Namensgeber, und die Namensgebung ist eine Initiation in die Ewigkeit und in die diesseitige Welt hinein. Der Tod hingegen ist subjektiv. Trost bietet den Lebenden, dass die eigene Existenz in „ha olam“, das heißt in der metaphysischen Welt, als eine gesicherte vorgestellt ist; dass die menschliche Zeit im göttlichen Raum beheimatet ist. „Doppelt“ erscheint diese Existenz, weil das menschliche Leben in dieser religiösen Vorstellung nicht allein in der (Natur-)Geschichte, sondern auch im universellen, göttlichen Raum fortbesteht. Ernst Bloch artikuliert dies am Ende seines Werkes Das Prinzip Hoffnung: hier scheint der Begriff von „ha olam“ säkularisiert als Inbegriff von „Heimat“ und Utopie gleichermaßen durch.11 „Heimat“ erscheint ihm als Rückkehr „nach Hause“, und dies im universalen und im genealogischen Sinne. Es ist darin die Hoffnung ausgedrückt, mehr noch die Gewissheit, das am Ende der Tage der Mensch aufgehoben, geschützt und umfangen ist. Freilich ist darin auch ein infantiler Wunsch ablesbar: Es ist die Vorstellung, dass die exilierte menschliche Existenz in den (mütterlichen) Schoß zurückkehren wird. Die religiöse Vorstellung von der Rückkehr imaginiert hingegen die göttliche Obhut: In dieser Vorstellung ist dann der anthropologische Wunsch sakral überhöht. Dann wäre die ritualisierte und säkulare Erinnerung an die Menschen mit der Hoffnung verknüpft, die verlorene „Heimat der Kindheit“ wiederzuerlangen, wie es Ernst Bloch formulierte. Ihm gilt dies als Telos für „Das Prinzip Hoffnung“. Anthropologie und Theologie erweisen sich auf das engste verknüpft. Beide artikulieren das Bedürfnis der Rückkehr, das rituell und säkularisiert zum Ausdruck kommt. Dieser Ausdruck erscheint als Bedürfnis und Vorstellung zugleich, er findet sich als prominentes biblisches Thema in Bereschit; es wiederholt sich die Sehnsucht des exilierten, des aus „gan eden“ vertriebenen „adam“ (hebr. „Mensch“). Die Erzählung, auch die liturgische, arbeitet dieses Trauma der Vertreibung aus 10 Dieses Gedicht hat Eingang in die liberale Liturgie gefunden, als Abendgebet zu Jom Kippur, in: Jonathan Magonet, Walter Homolka, Anette Böckler (Hrsg.), Seder hat-tefillôt. Das jüdische Gebetbuch, Bd. 2. Gebete für die hohen Feiertage, Gütersloh 1997, S. 297. 11 Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Bd. 3, Frankfurt am Main 1979, S. 1628.
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dem Paradies zyklisch und rituell wöchentlich durch. Gleichwohl hält das religiöse Ritual ebenso wie die säkular übersetzte Erzählung und Lyrik in der Erinnerung an der Utopie fest; als Beharren an der heimatlich imaginierten und ewigen Geborgenheit. Das Postulat der erhofften, imaginierten, umfassend heimatlichen Geborgenheit hat in der traditionellen Praxis des Judentums vor allem im rituellen Erzählen ihren festen Ort: „Die historischen Vorgänge der biblischen Zeit bleiben zwar einmalig und irreversibel; psychologisch erlebt werden sie aber als zyklisch wiederkehrend und zumindest in diesem Sinn als außerzeitlich.“12 Im traditionellen Judentum vermittelt sich mythisches Wissen und historisches Wissen als mündliche, liturgisch-narrative und rituelle Praxis. Die biblischen Ereignisse werden als historische im Rhythmus der Lesung der Paraschot (hebr. Tora-Abschnitte) im Verlauf des religiösen Jahres erinnert und dadurch evident. Ereignisse der jüngeren Vergangenheit finden Eingang in die Liturgie und insofern verdichtet sich die narrativ-mythische Vorzeit und die historische Zeit; die Vertreibung des „adam“ aus „gan eden“ wird als Beginn der historischen Zeit imaginiert und damit in eins gesetzt. „Gegenwärtigkeit“ jedoch erhält Gott und dessen Handeln durch die Perzeption jener, die ihm gedenken. Die jüngere Geschichte wird memorierend in den sakralen Raum integriert und damit objektiviert – verbunden mit einem gesellschaftlichen Kodex des Gesetzes. Die liturgisch-rituelle Erinnerung an die Taten Gottes legitimiert mithin die Praxis des Gesetzes. In der Verinnerlichung des Gesetzes durch die ritualisierte Lektüre, d. h. in der Liturgie und in der Tradition, werden Gott und Geschichte für diejenigen „wahr“, die dessen „eingedenken“; d. h. hier fallen Geschichte und Gegenwart verknüpft mit der Hoffnung auf eigene und kollektive Zukünftigkeit in eins. Erhofft (erzeugt) wird ewige Präsenz. Dass diese mnemotechnische Handlung dem magischen Denken verhaftet ist, dass die Betenden, Erinnernden, „Eindenkenden“ mehr von sich hineingeben, als das Objekt zurückgibt und zurückgeben kann, liegt dem mimetischen Verhalten zu Grunde. Die sakrale (und säkulare) Aneignung der Hebräischen Bibel ist somit ein Akt des wiederholenden Erinnerns. Allein durch den Rezipienten ist es Erinnerung; der fordernde Blick auf das jüdische Narrativ strebt nach Sinnhaftigkeit und Bedeutung. Der liturgisch festgelegte Rückblick als dauernde und rituelle, mimetische Praxis des Erinnerns hebt die subjektive Erinnerung ins Objektive auf. Hier vollzieht sich die Aufhebung der eigenen jüdischen Biografie in die Universalbiografie des Judentums. Es drückt aus, dass sich das Judentum eher als Kollektiv versteht, dass die partikulare Einzelseele in der universal vorgestellten Kollektivseele aufgeho12 Yerushalmi, Zachor, S. 54.
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ben ist. Darin zeigt sich das synthetische Selbstverständnis des Judentums, nämlich als historische Erfahrungsgemeinschaft und als religiöse Praxis, an. Beide Ausprägungen streben nach Präsenz.13 Der „eindenkende“ Blick ist ein theologisch-utopischer; der „Eindenkende“ erscheint als ein „rückwärtsgewandte(r) Prophet“14 – sein Blick ist in die Vergangenheit und in die Zukunft in gleicher Weise gerichtet. Die säkulare Intention ist darin offenkundig. Es ist der Wunsch nach Erkenntnis, wissen zu wollen, „wie es wirklich war“. Die Erkenntnis, die der Historiografie innewohnt, verspricht, dass in der Gegenwart und in der Zukunft erlittenes Leid wieder gutzumachen wäre, dass eine Lehre aus der Geschichte zu ziehen wäre und für die Gegenwart und Zukunft das Wissen Prävention bedeutet. Für das Streben nach Aufklärung ist der Wunsch nach besseren zukünftigen Verhältnissen eine Voraussetzung. Darin erscheint der Wunsch utopisch, da er – als gedankliche Bewegung – bereits eine bessere Zukunft antizipiert. Es kann durchaus gesagt werden, dass dem Erinnern sowohl ein affirmatives als auch ein progressives Moment zu eigen ist; affirmativ ist Erinnern in dem Sinne, dass das Vergangene im stetigen Wiederholen manifestiert, ideologisiert und instrumentalisiert werden kann. Progressiv erscheint Erinnern hingegen, wenn Erinnern objektiviert, wenn der ethische Imperativ „eingedacht“ wird. Dann ist „Eingedenken“ eine Sublimierungsleistung, weil die „Eindenkenden“ von sich selbst absehen und das objektive, auf Vergesellschaftung hin orientierte postulierte Gesetz als gedankliches und praktisches Moment aufnehmen. Obgleich „Eingedenken“ nicht als wissenschaftliches Denken per se gelten kann, so verspricht es jedoch Erkenntnis. Erkenntnis ist hier, im Narrativ, zugleich subjektiv und objektiv. „Eingedenken“ schafft Erkenntnis in der Lektüre und in der Liturgie. Wissen wird damit medial anders, nämlich lustvoller als in der Wissenschaft vermittelt; beides, Wissenschaft und „Eingedenken“, fordert und fördert eine Reflexivität. Dabei liegt das Potential von „Eingedenken“ darin, dass hier, im Modus einer Praxis und vor dem Hintergrund des theologischreligiösen Horizonts, „ha olam haba“ ins Gegenwärtige und ins politisch-messianische gewendet wird. Darin hebt sich „Eingedenken“ von „Erinnern“ ab. Im Begriff der „Erinnerung“ erscheint eher die subjektive, suggerierte Einbildung, die Introversion dominierend, es könnte auch als „Ver-innern“ be13 Darin sind noch die Spuren magischer Praxis enthalten. Bereits die „magische Praxis“ kann als eine bestimmte, berechnende Form von Aneignung von Welt gelten, als ein Bemühen um (Natur-)Beherrschung und Fortschritt, vgl. dazu u. a. Max Horkheimer/Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente (1944), Frankfurt am Main 1988, S. 10. 14 Helmut Thielen, Eingedenken und Erlösung: Walter Benjamin, Würzburg 2005, S. 241.
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zeichnet werden.15 „Erinnerung“, so Hegel, ist das Versenken im „Mannigfaltigen“. Um jedoch „ganz“, bzw. objektiv zu werden, bedürfe die „Erinnerung“ noch das „Gedächtnis“ und das „Denken“.16 Die „mannigfaltige“ Erinnerung bedarf eines Gegenübers; das Gegenstück ist ihr Veräußern ins Objektive, ins Kategoriale, ins Gesellschaftliche. Das Erinnerte wird im Veräußern korrigiert, modelliert, verallgemeinert; bestenfalls, und dieses Potential sieht Hegel im Erinnern durchaus gegeben, aufgehoben. Jedoch geschieht dies, wie in jedem dialektischen Prozess, um den Preis des Selbstopfers, wie Hermann Schmitz treffend bemerkt: „In vielfältigen Wendungen und Ausdrucksweisen finden wir dieses zentrale Thema wieder: die Zerstörung und die Wiedergeburt des Geopferten im Sichselbsterfassen.“17 Das Besondere wird im Allgemeinen aufgehoben, durch das Allgemeine geordnet. Das Erinnern bewegt sich, sofern das Selbstopfer gelingt, von dem Besonderen ins Allgemeine. Gelingt dies nicht, und wird das „Opfer“ der Reflexion nicht erbracht, bleibt die Erinnerung im Subjektiven. Dann verharrt das Erinnern im Individuellen und kann sein Potential der möglichen gesellschaftsrelevanten Erkenntnis nicht entfalten. Während Erinnern im Stande des Subjektiven verharrt, wenn es nicht das Selbstopfer der Veräußerung aufbringt, sich also nicht mit dem Äußeren in Beziehung setzt, so wird im „Eingedenken“ von vorn herein die Bewegung in das Universale und Objektive hinein vollzogen. Das Besondere, das Subjektive bettet sich ein in das Objektive; das „Opfer“ ist bereits vollzogen. Es verspricht sich davon Rettung. Diesem Versprechen liegt ein metaphysisches, theologisches Moment zu Grunde, das gesellschaftlich relevant ist.18 Das Subjektive wird dem Objektiven untergeordnet. Dies erscheint als die anzuerkennende Bedingung der Praxis des „Eingedenkens“. Das „Eingedenken“ erscheint objektiver als die Erinnerung, weil es nach Vergesellschaftung strebt. Augenfällig ist aber auch, dass das Memorieren ins Objektive hinein, narrativ und nicht visuell, als bewusste Denkleistung praktiziert wird. Nicht das affektive, sondern eher das reflexive, eher das bewusste als das unbewusste Denken entspricht der jüdischen Erinnerung. Der bewusste Umgang mit dem Gesetz, dass narrativ verbürgt ist, verschränkt eine bewusste Handlung gleichermaßen mit einer Mahnung und einer Verheißung.
15 Hermann Schmitz, Hegels Begriff der Erinnerung, in: Archiv für Begriffsgeschichte 9 (1964), S. 37–44, hier S. 38. 16 Schmitz, Hegels Begriff der Erinnerung, S. 44. 17 Schmitz, Hegels Begriff der Erinnerung. Anzumerken ist, dass dies durchaus auch theologische, christliche Anklänge hat; zu denken sei an Jesu als das Opfer par excellence. 18 Denn Vergesellschaftung, folgt man u. a. Hegel, Freud, Horkheimer und Adorno, verlangt nach Objektivierung und Selbstopferung.
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Die Praxis des „Eingedenkens“ setzt das Objektive, um nicht zu sagen die göttliche Ordnung, das Gesetz, die Genealogie bereits anerkennend voraus. Letztlich heißt „Eingedenken“ in theologischer Hinsicht das Göttliche, in säkularer Hinsicht das Gesellschaftliche einzubeziehen. Beides verweist darauf, dass das „Eingedenken“ einer zutiefst ethischen Haltung entspringt, die davon ausgehen kann, dass der Mensch „mehr“ ist als Körper und Natur, dass er zu retten sei, wenn nicht in dieser, dann doch in der kommenden Welt. Insofern besitzt „Eingedenken“ im jüdischen Kontext stets sowohl eine religiöse als auch eine säkulare Dimension, weil die Ethik, weil der gesellschaftliche Kodex darin inbegriffen ist und zugleich die metaphysische Existenz angenommen, angesprochen und als eine zu rettende verstanden wird. Die Praxis des „Eingedenkens“ verspricht eine Form der Versöhnung. Und diese Eigenschaft verdankt sie dem ihm innewohnenden religiösen Moment. Darin ist es für das praktische Leben des (religiösen oder politischen) Menschen relevant. „Eingedenken“ kann säkularisiert Geltung beanspruchen, weil es das Objektive einbezieht – und dieses religiöse Moment wendet die Philosophie und die Literatur ins Politische. Eine säkularisierte Form dessen, was „Eingedenken“ heißt, ist konkret in der Literatur als Form anzutreffen. Denn hierin vollzieht der innere Blick eine Bewegung; das Innere wird in der Komposition der Sprache als Literatur veräußerlicht, weil es sich vermitteln möchte. Vermittlung und „Eingedenken“ vollziehen sich in der Literatur durch Sprache und werden evident. Benjamin steht dafür an prominenter Stelle; die Geschichtsphilosophischen Thesen (1939/1940) postulieren und verteidigen eine bestimmte Form des Erinnerns. Benjamin – sowohl mit Scholem als auch mit Brecht im Gespräch – verwahrte sich gegen die Geschichtsschreibung der „Sieger“, die über die „Besiegten“ triumphierten, in dem sie diese aus der Geschichte ins Vergessen verdrängten. Er forderte vielmehr eine Geschichtsschreibung, die jene „eingedenken“ solle, die heute „am Boden liegen“. „Wer immer bis zu diesem Tage den Sieg davontrug, der marschiert mit in dem Triumphzug, der die heute Herrschenden über die dahinführt, die heute am Boden liegen. Die Beute wird, wie das immer so üblich war, im Triumphzug mitgeführt.“19 Dass Benjamin hier auch im Bewusstsein des Klassenkampfes denkt und schreibt ist offensichtlich. Gleichwohl können diese Zeilen auch an die für die jüdische Geschichte ein19 Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, in: ders., Gesammelte Schriften, hrsg. von Rolf Tiedemann und Helmut Schweppenhäuser, Bd. I/2, Frankfurt am Main 1991, S. 691– 704, hier S. 696. Freilich steht diese Geschichtsschreibung in der marxistischen Tradition. Auch sei hier verwiesen auf Bert Brechts Gedicht: „Fragen eines lesenden Arbeiters“ (1936). Geschichte müsse hinterfragt und umgeschrieben werden – vom Standpunkt des Unterlegenen – aufgedeckt werden.
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schneidende Niederlage der Souveränität gemahnen: Die Zerstörung Jerusalems, die Vertreibung der Juden aus der „Stadt des Friedens“, die Zerstörung des Tempels – der Triumph der Römer über die Juden, der in dem berühmten antiken Relief in der Innenwand des Titusbogen in Stein gemeißelt ist. Die Darstellung des römischen Triumphzuges zeigt den Sieg Vespasians und Titus’ über die Judäer im Jahr 70. Der Sieg wird hier bildhaft inszeniert: zu sehen sind römische Soldaten, jüdische Sklaven. Die Kriegsbeute aus dem Jerusalemer Tempel, die Menora, die Silbertrompeten und der Schaubrottisch werden mit den versklavten und den totgeweihten Besiegten im Schlepptau fortgebracht. Eine moderne literarische Übersetzung des Siegeszuges findet sich im Historischen Roman Der Jüdische Krieg: Die Beute des Feldzugs kam, jene Beute, von der man so Märchenhaftes gehört hatte. Man war verwöhnt, übersättigt. Aber als das nun vorbeikam, Gold, Silber, Elfenbein, nicht einzelne Stücke, sondern ein Strom, da konnte man nicht an sich halten. […] Es floß daher, unendlich, Gold, Silber, edle Stoffe, Gewänder, und immer wieder Gold, in jeder Form, gemünzt, in Barren, gegossen in Gefäße aller Art. […] Getragen von Soldaten die goldenen Schaubrottische, der riesige, siebenarmige Leuchter, die dreiundneunzig heiligen Geräte des Tempels, die Schriftrollen des Gesetzes. Hoch heben sie die Träger, auf daß alle die Rollen sehen können, das Gesetz Jahves, erbeutet von dem großen guten Jupiter der Römer […]. Jetzt kam der lebendige Anteil der Beute, die Kriegsgefangenen. Man hatte aus der ungeheuern Schar siebenhundert ausgesucht, hatte sie in bunte Festkleider gesteckt, die wirkungsvoll kontrastierten mit ihren finstern Gesichtern und mit ihren Hüten und Gürteln […] nach dem Festspiel werden sie als Zwangsarbeiter verschickt, die Besiegten, ein Teil in die Bergwerke, an die Tretmühlen, an die Kloaken, ein Teil an die großen Schauhäusern für Kampfspiele und Tierhetzen.20
Es ist Lion Feuchtwanger, der sich in seiner Josephus-Trilogie (1932–1942) den Schriften des jüdischen Historikers Flavius Josephus annimmt und als Historischen Roman zeitgenössisch fiktionalisiert übersetzt. Jüdische Existenz im Kontext der römischen Gesellschaft und Kultur, die Auseinandersetzung mit Herrschaft, Gewalt und Ausgrenzung bilden den Rahmen des Romans. Die Konfliktlinien des Judentums, die bis dahin (und wohl bis heute) existieren, sind hierin inbegriffen: jüdische Selbstbehauptung, die Spannung zwischen Diaspora und Nation, zwischen Religiosität und Säkularität, zwischen Kosmopolitismus, Akkulturation und Zionismus. Der Roman kann als „parabolische Gegenwartserzählung“ gelten.21 Im Bewusstsein der Teleologie wird hier literarisch säkularisiert erzählt; in der Annahme, dass der fiktionale Rückgriff auf die antike jüdische Existenz eine gegenwartsbezogene Bedeutung ent- und bereithält. 20 Lion Feuchtwanger, Der jüdische Krieg (1932), Berlin 1994, S. 430–431. 21 Gabriele von Glasenapp, Jüdisch-Historischer Roman, in: Hans Otto Horch (Hrsg.), Handbuch der Deutsch-Jüdischen Literatur, Berlin 2016, S. 391–406, hier S. 403.
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Indem Lion Feuchtwanger das antike Relief in der Erzählung als fiktiven Zeitzeugenbericht Josephus’ übersetzt, erzeugt er eine dreifache und literarisch komplexe Zeitdimension – in der Lektüre vollzieht sich eine säkularisierte Form des rituellen Memorierens. Dass Feuchtwanger die jüdische Erfahrung, die als Ereignis im antiken Relief dargestellt und bis heute in Rom zu sehen ist, literarisch in die Lektüre-Gegenwart holt, offenbart: Die „Zeit“ gehört nicht allein zur „Philosophie der Natur“, zur „Weltgeschichte“, sondern auch zu „ha olam“: „Der Begriff der Zeit ist – als Einheit des Gegenwärtigen, Zukünftigen und Vergangenen […] friedlich und ewig.“22 Diese nur kursorisch vorgestellten geschichtsphilosophischen, historischen und literarischen Dokumente binden sich somit in das Postulat und die Praxis des „Eingedenkens“ ein; und zwar nicht allein als Dokumente der Erinnerung, sondern als ethisch motivierte. Insofern kann die säkulare Literarität als Übersetzung der religiösen Praxis gelten. „Eingedenken“ hebt darauf ab, sich als ein Glied in eine Kette einzubinden. Damit erscheint also das „Eingedenken“ als eine Form von Vergesellschaftung. Im Grunde ist es ein metaphysischer Generations- und Gesellschaftsvertrag, der hier immer wieder aufs Neue und in vielfältiger Form bestätigt, erhofft oder ersehnt wird. Die Hoffnung darauf, die eigene Existenz in den Traditionszusammenhang einzubetten, bezieht sich auch auf die genealogische Rückkehr in die Familie, zu den Altvorderen – in die beschützte Obhut des „ha olam“ einzugehen ist zweifellos die religiöse Dimension.23 Einen subjektiveren Akzent setzt Adorno. Als prominentes literarisches Dokument kann Minima Moralia (1944) gelten. So verfasst Adorno seine Aphorismen unter der Prämisse des „Eingedenkens“24:: „Es gibt nichts Harmloses mehr. […] Noch der Baum, der blüht, lügt in dem Augenblick, in welchem man sein Blühen ohne den Schatten des Entsetzens wahrnimmt; […] Mißtrauen ist geraten gegenüber allem Unbefangenen, Legeren, gegenüber allem sich Gehenlassen, das Nachgiebigkeit gegen die Übermacht des Existierenden einschließt.“25 22 Vgl. dazu Jacques D’Hondt, Raum und Zeit in der Philosophie Hegels, in: Hans Jörg Sandkühler/Hans Heinz Holz (Hrsg.), Fortschritt der Aufklärung. Klassische europäische Philosophie und materialistische Dialektik, Köln 1987, S. 105–120, hier S. 116. 23 Diese Sehnsucht hat auch eine psychoanalytische Dimension, auf die ich hier nicht eingehe. Politisch, säkularisiert, ist sie nicht allein im Judentum zu finden – sie ist im Lyrischen und damit Protosakralen, nämlich in Dichtung und Prosa aufgehoben. 24 Die Reflexionen aus dem beschädigten Leben sind an Max Horkheimer, das institutionelle und philosophische Haupt der Kritischen Theorie gerichtet; gemeinsam sind sie im US-amerikanischen Exil und arbeiten an den bedeutsamen „Philosophischen Fragmenten“, der Dialektik der Aufklärung. 25 Theodor W. Adorno, Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben (1944), in: ders., Gesammelte Schriften 4, hrsg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main 1997, S. 26–27.
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Diese aphoristischen Zeilen können als eine biografisch-metaphysische Übersetzung der Liturgie in der Gattung der philosophischen Literatur gelten. Im „Eingedenken“ wird ausgedrückt, dass die Wahrnehmung von Welt nicht in der eigenen, subjektiven und situativen Erfahrung begrenzt sei, sondern dass der Mensch als Subjekt kollektiv eingebunden ist; dahinter verbirgt sich der Gedanke der Universalität von „ha olam“. Jedes Schreiben und Denken stehe unter dem Eindruck der sich vollziehenden Katastrophe. Dieses spezifische Bewusstsein findet sich bei vielen exilierten, jüdischen Autorinnen und Autoren – angesichts von Krieg, Vernichtung und Vertreibung gibt es keine „Unschuld“, kein nicht-schuldiges Leben, keine naive Anschauung von Natur und Kunst. Vor diesem historischen Hintergrund verbietet sich die gedankenlose, gedächtnislose Leichtigkeit. Gedanken- und Gedächtnislosigkeit hieße Kapitulation, die Aufgabe aller Bemühungen, dass die Welt eine bessere ist und werde – es wäre die Aufkündigung des Gesellschaftsvertrags, den, theologisch gefasst, die Israeliten am har sinai in Empfang genommen haben, mit dem Versprechen verbunden, dieses Gesetz an die zukünftigen Genrationen weiterzugeben. Niedergeschrieben ist dieses mahnende Versprechen in Dewarim 29,13–14: Hier richtet Moscheh am Ende der Wüstenwanderung und kurz vor seinem Tod das Wort an die versammelten Israeliten. Der Bund mit Gott, so verkündet er, gelte für alle künftigen, noch ungeborenen Generationen: „Aber nicht mit euch allein schließe ich diesen Bund […], sondern mit dem, der hier mit uns ist, heute stehend vor dem Ewigen, unserm Gotte, so auch mit dem, der nicht hier mit uns heute ist.“ Die rabbinischen Kommentatoren verweisen darauf, dass damit die zukünftigen Generationen angesprochen und eingebunden werden; nämlich, dass Gott für die Juden drei Gaben bereithält: den Bund, das Land Jisrael und „ha olam haba“ – die kommende, künftige Welt. Versprechen und Bann ist in der Mahnung und Verheißung von Moscheh gleichermaßen ausgesprochen; damit ist auch ein Verantwortungs- und Schuldzusammenhang hergestellt.26 Der gerechte Lebensweg im Diesseits verspricht den Eintritt in die kommende Welt, in „ha olam“– die guten Taten im Diesseits sind darauf ausgerichtet. Dazu gehört die Praxis des „Eingedenkens“, das sich säkularisiert in die Moderne hinein als literarische und politische Praxis fortgeschrieben hat. Dieser Zusammenhang klingt in der Literatur, die hier kursorisch vorgestellt ist, deutlich nach; noch bei Adorno und Horkheimer ist er aphoristisch zu vernehmen – etwa im Fragment Zur Theorie der Gespenster im Anhang der Dialektik der Aufklärung. Hier wird der Zusammenhang sowohl psychoanalytisch als auch philosophisch auf die zeithistorische Dimension der Shoah bezogen thematisiert: 26 Babylonischer Talmud, The William Davidson Talmud, Brachot 5a, www.sefaria.org/Berakhot.5a?lang=bi, letzter Zugriff: 30. August 2020.
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Der Haß gegen die Verstorbenen ist Eifersucht nicht weniger als Schuldgefühl. Der Zurückbleibende fühlt sich verlassen, er rechnet seinen Schmerz dem Toten an, der ihn verursacht. Auf den Stufen der Menschheit, auf denen der Tod noch unmittelbar als Fortsetzung der Existenz erschien, wirkt das Verlassen im Tod notwendig als Verrat, und selbst im Aufgeklärten pflegt der alte Glaube nicht ganz erloschen zu sein. Dem Bewußtsein ist es unangemessen, den Tod als absolutes Nichts zu denken, das absolute Nichts denkt sich nicht. Und wenn dann die Last des Lebens sich wieder auf den Hinterbliebenen legt, erscheint die Lage des Toten ihm leicht als der bessere Zustand. Einzig das ganz bewußt gemachte Grauen vor der Vernichtung setzt das rechte Verhältnis zu den Toten: die Einheit mit ihnen, weil wir wie sie Opfer desselben Verhältnisses und derselben enttäuschten Hoffnung sind.27
Die Haltung, die gegenüber den Verstorbenen angedeutet wird, ist von Ambivalenz geprägt – hier schreiben Adorno und Horkheimer psychoanalytisch. Der Verstorbene übt scheinbar „Verrat“ an den Lebenden, die er zurücklässt. Diese Zurückweisung evoziere Eifersucht und Schuldgefühle; die narzisstische Kränkung, die der Tod darstellt, ist eine doppelte, verspricht dieser doch, die Entlastung von den Leiden, die das Leben auch bereithält. Die Einheit jedoch wird über die Erfahrung hergestellt; Lebende und Tote sind „Opfer desselben Verhältnisses“. Auch diese Vorstellung, so ist zu bemerken, erfasst die kollektive Dimension von „ha olam“; sie ist psychoanalytisch und philosophisch übersetzt. Der antithetische Duktus kulminiert in der biblisch-jüdischen Referenz: „In Wahrheit wird den Toten angetan, was den alten Juden als ärgster Fluch galt: nicht gedacht soll deiner werden. An den Toten lassen die Menschen die Verzweiflung darüber aus, daß sie ihrer selber nicht mehr gedenken.“28 „Nicht gedacht soll seiner werden!“ heißt es als Imperativ bei Ezechiel (21,32), den Gott gegen die feindlichen Ammoniter ausspricht. Bei Jeschajahu wird hingegen das Versprechen des immerwährenden Gedenkens durch Gott ausgesprochen: „Zijon spricht: Der Ewige und mein Herr vergessen mein. Vergisst wohl eine Frau ihres Säuglings, ihres Leibes Sohnes, sich nicht zu erbarmen? Ob sie vergäßen: So werd’ doch ich nicht dein vergessen.“ (Jeschajahu 49,14–15) Demgegenüber steht die politische und individuelle Notwendigkeit des Vergessens, um Bedingungen des Friedens zu schaffen, um den mythischen Kreislauf von Schuld und Vergeltung durchbrechen zu können; dies hat prominent Kant in Die Metaphysik der Sitten postuliert.29 Die politische Dimension, nicht 27 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, S. 225. 28 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, S. 226. 29 Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, in: Werke in sechs Bänden, hrsg. von Willhelm Weichedel, Bd. IV, Darmstadt 1956, S. 472. Vgl. dazu Helmut König, Erinnern und Vergessen. Vom Nutzen und Nachteil für die Politik, in: Osteuropa 58, Nr. 6 (2008), S. 27–40.
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zu vergessen, jedoch sehr wohl zu vergeben, ist das zentrale Moment des höchsten Feiertags, Jom Kippur. „Versöhnung“ erscheint hier als der zentrale Begriff des Judentums; sie gilt dem Nächsten und Gott. Das ethische Verhalten eines jeden verspricht Eintritt in „ha olam haba“ – ins Kollektiv: Das Besondere ist im Allgemeinen aufgehoben. Diese Vorstellung ist zugleich eine religiöse und eine säkulare. Im Erinnern verharrt das Subjekt eher im Besonderen. Im „Eingedenken“ ist das Subjekt als Idee und als Praxis, nämlich durch seinen juridischen Gehalt und im Ritual, objektiviert. „Eingedenken“ zielt auf Vergesellschaftung ab, die bereits im Bund mit Gott angelegt ist. In der Dialektik von Erinnern und Vergessen ist Leben möglich; im „Eingedenken“ kommt diese Dialektik zu einer Aufhebung, weil „Eingedenken“ einen gesellschaftlichen Auftrag, einen juridischen und objektiven Gehalt enthält. „Eingedenken“, so ist zu postulieren, gilt stets dem Leben und ist damit gegenwärtig.
Martina Steer
Jüdisches Gedächtnis ohne Juden? Die Erinnerung an Moses Mendelssohn nach 1945 Im Jahr 2012 regte die Schulkonferenz des Jüdischen Gymnasiums in Berlin an, die Schule nach dem Philosophen Moses Mendelssohn zu benennen. Sie begründeten ihren Vorschlag damit, dass die Wurzeln der Schule in der sogenannten Jüdischen Freischule lägen, die 1778 als Lehranstalt für mittellose, begabte jüdische Knaben von dem Maskil David Friedländer und dem Hoffaktor Daniel Itzig in Berlin gegründet worden war und Mendelssohns progressive Ideen zu jüdischen Erziehung umsetzen sollte.1 Die Jüdische Gemeinde zu Berlin als Trägerin des Gymnasiums lehnte diese Idee zunächst kategorisch ab. In ihren Augen eignete sich Mendelssohn als Namensgeber denkbar schlecht. Sie sahen in ihm den Gründervater der Haskala, der jüdischen Aufklärung, und damit als den Hauptverantwortlichen für Auflösungserscheinungen innerhalb des Judentums, konkret Konversionen und Mischehen. Ihr negatives Bild Mendelssohns sahen sie in der Taufe von Brendel, Henriette, Abraham und Nathan bestätigt, vier der sechs Kinder Mendelssohns, die das Kindesalter überlebt hatten. Sie schlug stattdessen vor, die Schule nach Theodor Herzl oder Golda Meir zu benennen, um die pro-israelische Haltung der Schule herauszustreichen. Die Elternvertreter hielten dagegen, dass die Schule keine israelische, sondern eine jüdische Schule in Berlin sei.2 Sowohl die Einschätzung Mendelssohns durch die Schulkonferenz als auch durch die jüdische Gemeinde sind aus wissenschaftlicher Sicht fragwürdig. Weder war Mendelssohn aktiv an der Gründung der Freischule beteiligt, noch war er der alleinige Initiator der damit verbundenen Entwicklungen und Bewegungen innerhalb des Judentums. Der Mendelssohnforscher Shmuel Feiner stellte klar, Mendelssohn sei „nicht die historische Gestalt […], die einen Wandel mit dramatischen Konsequenzen für das jüdische Volk in der Moderne einleitete. Er 1 Britta L. Behm, Moses Mendelssohns Beziehungen zur Berliner jüdischen Freischule zwischen 1778 und 1786. Eine exemplarische Analyse zu Mendelssohns Stellung in der Haskala, in: Britta L. Behm/Uta Lohmann/Ingrid Lohmann (Hrsg.), Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Analysen zum späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, Münster 2002, S. 107– 135. 2 http://gemeindewatch.blogspot.com/2012/06/umbenennung-der-jos-wir-haben-das-mit. html, letzter Zugriff: 19. Februar 2021. https://doi.org/10.1515/9783110710601-009
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war kein Volkstribun an der Spitze einer Modernisierungsbewegung und kämpfte nicht für die Emanzipation. Er war nicht der Begründer der Haskala-Bewegung und legte ganz sicher nicht den Grundstein für die Veränderung religiöser Riten.“3 Nach einer intensiven Auseinandersetzung setzte sich die Schulkonferenz der Oberschule schließlich durch und die Repräsentantenversammlung der Gemeinde beschloss trotz der Bedenken zahlreicher Vertreterinnen und Vertreter die Umbenennung der Schule in Jüdisches Gymnasium Moses Mendelssohn.4 Die Geschichte der Erinnerung an Mendelssohn in Deutschland vor 1945 lässt die ablehnende Haltung der Berliner Gemeinde gegenüber ihrem prominentesten Mitglied überraschend erscheinen. War doch der Philosoph der „Schutzheilige“ der deutschen Jüdinnen und Juden für mehr als 150 Jahre gewesen, von seinem Tod im Jahr 1786 bis zur nahezu völligen Auslöschung des europäischen Judentums in den 1940er-Jahren.5 Wie kein anderer hatte Mendelssohns Biografie den Übergang zwischen Jahrhunderten der Isolierung hin zu einer Öffnung zur nichtjüdischen Gesellschaft verkörpert, hatten deutsche Jüdinnen und Juden ihn als Helden der Haskala gesehen. Seine Bedeutung als Denker der Aufklärung, sein exemplarischen Leben sowie der Wunsch und das Bestreben nach Integration in die und Akzeptanz durch die nichtjüdische Umgebung machten Mendelssohn zu einem zentralen Referenzpunkt in der modernen jüdischen Geschichte, zuerst in den deutschen Staaten, nur wenig später auch in anderen Ländern. Mendelssohn war zu einem jüdischen lieu de mémoire, einem Erinnerungsort geworden, um mit Pierre Nora zu sprechen, und als solcher zum Objekt von Gedenkfeiern, Publikationen, Ausstellung, Gedenkgottesdiensten und anderen Ritualen und Praktiken des Erinnerns und Gedenkens.6 Dabei war Mendelssohn keineswegs eine unumstrittene Figur. Orthodoxe Jüdinnen und Juden erinnerten und erinnern ihn bis heute als den Hauptverantwortlichen der von ihnen verdammten und gefürchteten Modernisierung des Judentums und der Assimilation. Frühe Zionisten wie Perez Smolenskin dachten
3 Shmuel Feiner, Moses Mendelssohn. Ein jüdischer Denker in der Zeit der Aufklärung, Göttingen 2009, S. 198. 4 SK, Repräsentantenversammlung. Aus der Sitzung vom 13. Juni 2012, in: Gemeindeblatt jüdisches Berlin 15. Jg. Nr. 146 (2012), S. 13. 5 Alexander Altmann, Moses Mendelssohn as the Archetypal German Jew, in: Jehuda Reinharz/Walter Schatzberg (Hrsg.), The Jewish Response to German Culture. From the Enlightenment to the Second World War, Hanover 1985, S. 17–31, hier S. 18. 6 Vgl. dazu Martina Steer, Moses Mendelssohn und seine Nachwelt. Eine Kulturgeschichte der jüdischen Erinnerung, Göttingen 2019.
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ähnlich und verachteten Mendelssohn wegen der Konversion seiner Kinder.7 Insgesamt jedoch war die jüdische Erinnerung an Mendelssohn vor 1945 überwiegend positiv gewesen. Zwar spiegelte sie sowohl die zunehmende Diversifizierung des Judentums, als auch die unterschiedlichen Lebensbedingungen von Jüdinnen und Juden in verschiedenen Ländern wider, aber mit keinem anderen jüdischen Erinnerungsort ließen sich die beiden zentralen Themen, welche die Jüdinnen und Juden des 19. und 20. Jahrhunderts beschäftigten – die Transformationen des Judentums in der modernen Welt und eng damit verbunden das Verhältnis zur nichtjüdischen Umwelt – so überzeugend deuten wie mit Mendelssohn. Ebenso wenig wie die ablehnende Haltung der jüdischen Gemeinde gegenüber Mendelssohn als Namenspatron für die Schule lässt sich der Enthusiasmus der Schulkonferenz für Mendelssohn – in der mehrheitlich nichtjüdische Berlinerinnen und Berliner vertreten waren – aus der Geschichte der Erinnerung an Mendelssohn erklären. Abgesehen von den Befürworterinnen und Befürwortern der Emanzipation, die einige Jahre nach Mendelssohns Tod am Gedenken an ihn mitwirkten und den Leserinnen und Lesern, welche die 1829 erschienene Übersetzung von Mendelssohns Werk Phädon in das Polnische subskribierten, hielt sich das nichtjüdische Interesse an Mendelssohn in Grenzen.8 Obwohl er in einigen frühen Nationalbiografien Eingang fand, blieb ihm beispielsweise ein Platz in der Walhalla, dem vom bayerischen König Ludwig I. in Auftrag gegebenen deutschen Pantheon nationaler Geistesgrößen, bis heute verwehrt.9 Die Philosophenzunft wertete ihn als „Populärphilosophen“, als wenig originellen Philosophen minderen Ranges. Frühe Pläne, ihn mit einem Denkmal in Berlins Mitte zur würdigen, scheiterten.10 Aus der Sicht der kollektiven Erinnerung geschah hier etwas Spannendes: Der Erinnerungsort Mendelssohn „überlebte“ einen Genozid an den Menschen,
7 Isaac Barzilay, Smolenskin’s Polemic Against Mendelssohn in Historical Perspective, in: Proceedings of the American Academy for Jewish Research 53 (1986), S. 11–48. 8 Vgl. z. B. Johann Erich Biester, Zum Andenken Moses Mendelssohns, in: Berlinische Monatsschriften 7 (1786), S. 205 und 212; Moses Mendelssohn, Fedonczyli o nieśmiertelnościduszy w trzechrozmowach. Przeł. na jęz. pol. przez J. Tugendholda [Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele in drei Dialogen. Übersetzt ins Polnische von J. Tugendhold], Warszawa 1829, S. I–XIV. 9 Vgl. z. B. Karl August Kütner, Charaktere teutscher Dichter und Prosaisten. Von Kaiser Karl, dem Großen bis aufs Jahr 1780, Bd. 2, Berlin 1781, S. 315–317 10 Zur Geschichte eines Denkmals für Mendelssohn in Berlin vgl. Cem Sengül, Das unsichtbare Denkmal. Moses Mendelssohn und das Monument der Weltweisen, in: Heinz Ludwig Arnold/Cord-Friedrich Berghahn (Hrsg.), Moses Mendelssohn, München 2011, S. 159–168. Erst 1890 wurde in Mendelssohns Geburtsstadt Dessau ein Denkmal für ihn errichtet.
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die ihn als Erinnerungsort geschaffen, gestaltet und über 150 Jahre tradiert hatten. Doch griffen nicht die wenigen Überlebenden der Shoah oder ihre Kinder und Enkel das Mendelssohngedenken in den Folgejahren wieder auf, sondern vor allem die Täterinnen und Täter und deren Nachfahren. Während der Erinnerungsort derselbe blieb, wechselten die Hauptakteure des Gedenkens. Es stellt sich also die Frage, warum nach 1945 der Erinnerungsort Mendelssohn für die Jüdinnen und Juden in Deutschland so unwichtig geworden war, und warum er umgekehrt für die Nichtjüdinnen und Nichtjuden an Bedeutung gewann und sie ihn sich aneigneten. Ein Blick in die Forschungsliteratur gibt darauf nicht sofort eine schlüssige Antwort, denn das zentrale Thema der deutschen Erinnerungsforschung ist nach wie vor die Erinnerung an die Shoah. Die schiere Menge an Projekten, Monografien, Artikeln und Vorträgen, die sich diesem Gebiet widmen, und die mittlerweile bis in kleinste Details gehende Forschung legen beeindruckendes Zeugnis davon ab, wieviel wir mittlerweile darüber wissen, wie sich die Shoah in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingeprägt hat. Allerdings klammert dieser zeitliche Fokus zwangsläufig Erinnerungsorte aus, die es bereits vor der Shoah gab und diese überdauert haben. Bach, Oberammergau oder die Schlacht bei Tannenberg – viele der Erinnerungsorte, derer heute noch auf die eine oder andere Weise in Deutschland gedacht wird, waren bereits vor 1945 wichtige Referenzpunkte im kollektiven Gedächtnis der Deutschen. Man braucht nur in Etienne François’ und Hagen Schulzes Deutsche[n] Erinnerungsorte[n] blättern, oder, wer über den deutschen Tellerrand hinausblicken möchte, etwa die Deutsch-Polnische[n] Erinnerungsorte zur Hand nehmen.11 Auch sagt die Forschung zur Erinnerung an die Shoah wenig über die Beziehung zwischen Jüdinnen und Juden und nichtjüdische Deutschen nach 1945 aus, obwohl beiden Gruppen als Subjekt oder Objekt die Hauptakteure dieser Erinnerung sind. Das deutsche „Holocaustgedenken“ gilt dennoch sowohl als Gradmesser für die politische Kultur als auch für die jüdisch-deutschen Beziehungen. Je umfassender das Schuldeingeständnis, je konsequenter die Erinnerungsarbeit und je aufrichtiger die Vergangenheitsbewältigung der Deutschen, desto näher kommen sie der Erlösung in Form von Versöhnung, so die Logik. Dass Jüdinnen und Juden dabei oft zur Staffage in diesem „Gedächtnistheater“ degradiert wurden, ist spätestens seit Y. Michal Bodemanns gleichnamigem
11 Etienne François/Hagen Schulze (Hrsg.), Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde., München 2001; Hans Henning Hahn/Robert Traba (Hrsg.), Deutsch-polnische Erinnerungsorte, 5 Bde., Leiden 2019.
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Buch ein Gemeinplatz, wenn auch kein überraschender, wenn man sich die Funktion des kollektiven Erinnerns und Gedenkens vergegenwärtigt.12 Der Blick auf die Erinnerung an Mendelssohn nach 1945 in Deutschland führt diese beiden Stränge zusammen. Er ermöglicht uns zu sehen, wie langfristige Erinnerungsorte den „Zivilisationsbruch“ der Shoah überstehen, Kontinuität in der Diskontinuität entsteht, und er hilft uns gleichzeitig, die komplexen Dimensionen der Beziehung zwischen den Akteuren der Erinnerung differenzierter auszuleuchten, als es die simple Dichotomie zwischen Täter und Opfer vermuten lässt. Im Mittelpunkt soll das Jubiläum zum 250. Geburtstag Mendelssohns im Jahr 1979 stehen, nicht nur, weil zu diesem Anlass die Menschen sich besonders intensiv an Mendelssohn erinnerten. Neben dem Erinnerungsort Mendelssohn selbst rückt auch der Akt des Gedenkens an sich, etwa wer das Jubiläum organisierte und welche Veranstaltungen stattfanden, als soziale Dimension der kollektiven Erinnerung ins Blickfeld. Um besser verstehen zu können, warum Mendelssohn als Erinnerungsort und das Gedenken an ihn für die Jüdinnen und Juden vor 1945 so wichtig war und welche, wechselnde, Bedeutung sie durchliefen, wenden wir uns zunächst kurz dem 200. Geburtstag Mendelssohns 1929 und den Jubiläumsfeiern zu, die aus diesem Anlass überall in Deutschland stattfanden. Die Tradition, Mendelssohn an einem seiner runden Geburtstage zu ehren, war 1829 aus Anlass von Mendelssohns 100. Geburtstag von Reformjuden erfunden worden. Die Organisatoren, darunter einer der Begründer der Wissenschaft des Judentums, Leopold Zunz, waren damit Teil einer europäischen Avantgarde, die ein „Fieber der Jahrhundertfeiern“ von Dichtern, Denkern, Musikern und Malern in ganz Europa entfachte.13 Indem sie Mendelssohn in den gerade entstehenden Kanon deutscher Kulturgrößen einzuschreiben und damit jüdische und deutsche Geschichte zu verbinden suchten, verfolgten sie das Ziel, die Verbürgerlichung des deutschen Judentums voranzutreiben und damit ihre Emanzipation und ihre Integration in die sich ebenfalls gerade formierende deutsche Nation zu forcieren. Im Jahr 1929 erreichte der Mendelssohnkult seinen Höhepunkt. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob die Weimarer Republik einen ihrer intellektuellen Giganten mit großem Aufwand feierte und damit einer deutsch-jüdischen Symbiose feierlich Ausdruck verlieh. An prominenten Veranstaltungsorten wie der Berliner Sing-Akademie und im Wörlitzer Park bei Dessau fanden aufwendige Gedenkveranstaltungen statt, an denen die politische, wirtschaftliche und 12 Y. Michal Bodemann, Gedächtnistheater. Die jüdische Gemeinschaft und ihre deutsche Erfindung, Berlin 1996, S. 83–84. 13 Joep Leerssen/Ann Rigney (Hrsg.), Commemorating Writers in Nineteenth-Century Europe. Nation-Building and Centenary Fever, New York 2014, S. 9.
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kulturelle Elite des Reiches, Reichs- und Staatsminister, kirchliche Würdenträger und Wirtschaftskapitäne teilnahmen. Die Staatsbibliothek in Berlin und andere Bibliotheken zeigten Mendelssohnausstellungen und zahlreiche Theater inszenierten Lessings Nathan der Weise.14 Unzählige Vorträge, Sondereditionen von Zeitungen und Zeitschriften, eine hochwertige Jubiläumsausgabe seiner Schriften und Radiosendungen verbreiteten die Erinnerung an Mendelssohn.15 Ein genauerer Blick offenbart jedoch, dass das Jubiläum zum 200. Geburtstag des Philosophen überwiegend oder fast ausschließlich von Jüdinnen und Juden organisiert und getragen wurde, egal ob sie sich dem liberalen, konservativen oder orthodoxen Judentum zuordneten oder Zionistinnen und Zionisten waren. Sie kuratierten die Ausstellungen. Sie sprachen auf den Veranstaltungen und hielten die Festreden. Auch waren sie es, die Artikel und Bücher zum Jubiläum schrieben. Die überwiegend nichtjüdische Umwelt stellte die Bühne zur Verfügung, auf der Jüdinnen und Juden das Gedenken an Mendelssohn inszenierten. Aber abgesehen von freundlichen Grußworten von Ministern und Oberbürgermeistern trugen Nichtjüdinnen und Nichtjuden kaum eigene Gedanken zur Erinnerung an Mendelssohn bei. Mendelssohn war also mitnichten im Kanon deutscher Dichter und Denker angekommen. Das Jubiläum war daher weniger ein Zeichen von tatsächlicher Integration und Anerkennung der Jüdinnen und Juden in der deutschen Mehrheitsgesellschaft, sondern eine eindrucksvolle Demonstration des erfolgreichen wirtschaftlichen und sozialen Aufstiegs des deutschen Judentums. Doch soll angesichts dieser kollektiven jüdischen Anstrengung nicht verschwiegen werden, dass einige Jüdinnen und Juden Mendelssohn durchaus kritisch sahen, nicht nur Orthodoxe.16 In der jüdischen Presse diskutierten sie offen, welche Bedeutung Mendelssohn für das Judentum überhaupt noch haben könne, und kamen nicht selten zu dem Ergebnis, dass die Ideen der Aufklärung überholt seien und damit die Schriften Mendelssohns für die weitere Entwicklung des Judentums unwichtig geworden sei.17 14 Vgl. z. B. Ludwig Grote/Paul Wahl (Hrsg.), Führer durch die Moses Mendelssohn Gedächtnis-Ausstellung, Dessau 1929. 15 Zur Jubiläumsausgabe vgl. Michah Gottlieb, Publishing the Moses Mendelssohn Jubiläumsausgabe in Weimar and Nazi Germany, in: Leo Baeck Institute Year Book 53 (2008), S. 57–75; Bertha Badt-Strauss, Moses Mendelssohn. Der Mensch und das Werk, Berlin 1929; Radio Funk am Abend, in: Der Abend, 5. September 1929, S. 2. 16 Vgl. dazu z. B. Michael Brenner, The Construction and Deconstruction of a Jewish Hero. Moses Mendelssohn’s Afterlife in Early-Twentieth-Century, in: Lauren B. Strauss/Michael Brenner (Hrsg.), Mediating Modernity. Challenges and Trends in the Jewish Encounter with the Modern World. Essays in Honor of Michael A. Meyer, Detroit 2008, S. 274–289. 17 Vgl. z. B. Fritz Bamberger, Mendelssohns Begriff vom Judentum, in: Korrespondenzblatt des Vereins zur Gründung und Erhaltung einer Akademie für die Wissenschaft des Judentums
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Es war also weniger das Werk Mendelssohns, sondern sein Leben als geformte Erinnerung, das 1929 als Wegweiser für die Existenz von Jüdinnen und Juden in der deutschen Gesellschaft diente, oder wie es ein Redner auf der Dessauer Jubiläumsfeier ausdrückte, als „Apologie des Judentums“ in einer Zeit, in der das Lebenskonzept von vielen Jüdinnen und Juden, deutsch und jüdische zu sein, von verschiedenen Seiten unter Druck geriet.18 Fünfzig Jahre später, 1979 zum 250. Geburtstag Mendelssohns sollten sich die Rollen von Jüdinnen und Juden und Deutschen im Gedenken an Mendelssohn sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik komplett umkehren.
Mendelssohn in der DDR Das Gedenken an Mendelssohn in der DDR prägten mehrere Faktoren: das politische System des Staates, sein Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und die Beziehung zwischen dem Staat, seinen Vertreterinnen und Vertretern und der jüdischen Bevölkerung. Die DDR war ein zentralistischer Einparteienstaat, in dem der Ministerrat als oberstes Exekutivorgan die Leitgedanken der Geschichtspolitik festlegte und über die öffentliche Darstellung von Geschichte in Ausstellungen, Museen, Gedenkstätten, Denkmäler und Jubiläumsfeiern bestimmte.19 Untergeordnete Gremien oder private Initiativen hatten dagegen nur begrenzte Möglichkeiten, eine regionale oder lokale Gedenkkultur zu gestalten. Darüber hinaus bedingte das sozialistisch-antifaschistische Geschichtsbild des Staates, wie mit der nationalsozialistischen Vergangenheit umzugehen war.20 Die DDR verstand sich als das „bessere Deutschland“, das als kommunistischer Staat keine Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen trug und zu den Siegern des Zweiten Weltkrieges gehörte. Zudem verneinte das antifaschistische Geschichtsverständnis die historische Spezifik des Nationalsozialismus und ließ daher keinen Platz für ein Gedenken an die 10 (1929), S. 19; Hermann Vogelstein, Moses Mendelssohn. Zur zweihundertsten Wiederkehr seines Geburtstages. 6. September 1929, in: Breslauer Jüdisches Gemeindeblatt 6, Nr. 8 (August 1929), S. 131. 18 N. N., Dem Andenken Moses Mendelssohns. Reden bei der Mendelssohn-Feier der Stadt Dessau am 8. September 1929, in: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland 1, Nr. 3 (1929), S. 188–189. 19 Mary Fullbrook, DDR-Geschichtswissenschaft und Geschichtspolitik, in: Historische Zeitschrift. Beihefte Neue Serie, Bd. 27 (1998), Die DDR-Geschichtswissenschaft als Forschungsproblem, S. 419–429, hier S. 419. 20 Ausführlich zum Umgang der DDR mit der nationalsozialistischen Vergangenheit vgl. Jeffrey Herf, Divided Memory. The Nazi Past in the Two Germanys, Cambridge 1997, S. 162–200.
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Shoah. Die DDR gedachte 20 Millionen sowjetischer Soldaten und Zivilisten, die im siegreichen Kampf gegen den Faschismus umgekommen waren, und nicht den von den Deutschen und ihren zahllosen Helferinnen und Helfern ermordeten sechs Millionen Jüdinnen und Juden. Auch der Antisemitismus der DDR-Führung spielte eine Rolle bei der Gestaltung des Gedenkens an Mendelssohn. Dass Mendelssohn sehr lange in der DDR ignoriert worden war, mag dem negativen Mendelssohnbild Georg Wilhelm Friedrich Hegels geschuldet gewesen sei, der Mendelssohn eine größere Bedeutung als Philosoph abgesprochen hatte.21 Ähnlich abfällig hatte sich Marx geäußert, der Mendelssohn dessen angebliche Geringschätzung Spinozas übel genommen und ihn als „Urtyp eines Seichbeutels“ bezeichnet hatte.22 Er hatte geglaubt, dass sich die Judenfrage (und das Judentum) mit der Überwindung des Kapitalismus und der Klassengesellschaft erübrigen würde und mit seinem Frühwerk Zur Judenfrage aus dem Jahr 1844 eine der Grundlagen dafür geliefert, dass Antisemitismus auch im Kommunismus Verbreitung fand.23 Dies wirkte sich natürlich auch auf die jüdische Minderheit und ihre Beziehung zum Staat aus. Hatten kurz nach dem Zweiten Weltkrieg jüdische Remigrantinnen und Remigranten wie Ernst Bloch oder Anna Seghers geglaubt, ein „besseres Deutschland“ aufzubauen, zerstörte die Verhaftung Paul Merkers und die Veröffentlichung der Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slansky durch das Zentralkomitee der SED für viele diese Hoffnung. In den 1950er Jahren verließen die meisten Jüdinnen und Juden das Land und die nach und nach überalterte jüdische Bevölkerung umfasste 1989 nur noch 380 Personen. Als verschwindend kleine, marginalisierte Minderheit, in deren Führungsriege sich SED-Mitglieder und Stasiinformanten tummelten, entwickelte die jüdische Gemeinschaft kaum eigene Akzente im Bereich der Gedenkkultur.24 Obwohl in der DDR wegen ideologischer Vorbehalte keine idealen Bedingungen für ein „jüdisches“ Jubiläum herrschten, gab es doch etwas, was für das Mendelssohngedenken sprach: Auf dem Territorium der DDR befanden sich alle Orte, an denen Mendelssohn einst gelebt hatte und die sich daher auf das 21 Vgl. z. B. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gesammelte Werke, hrsg. von der NordrheinWestfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste, Bd. 2, Hamburg 1968, S. 35–39. 22 Karl Marx an Ludwig Kugelmann, 27. Juni 1870, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 32, Berlin 1965, S. 686. Ausführlicher zu Marx’ Haltung zu Mendelssohn vgl. Siegbert S. Prawer, Moses Mendelssohn zwischen Heine und Marx. Ein Kapitel deutsch-jüdischer Wirkungsgeschichte, in: Michael Albrecht/Eva Engel/Norbert Hinske (Hrsg.), Moses Mendelssohn und die Kreise seiner Wirksamkeit, Tübingen 1994, S. 411–430. 23 Micha Brumlik, Deutscher Geist und Judenhass. Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum, München 2000, S. 280. 24 Mike Dennis, The Stasi. Myth and Reality, London 2003, S. 151.
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Trefflichste für die Inszenierung des Jubiläums nutzen ließen: Die Stadt Dessau, in der Mendelssohn am 6. September 1729 geboren worden war, ebenso wie die Spandauer Straße in Berlin, wo er als Erwachsener gelebt und gearbeitet hatte und der jüdische Friedhof an der Großen Hamburger Straße, auf dem Mendelssohn nach seinem Tod am 4. Januar 1786 beerdigt worden war. Die Möglichkeiten, ein republikweites Gedenken für einen der größten deutschen Philosophen zu organisieren, waren ideal. Nur zeigte die DDR-Führung kein Interesse, Mendelssohn in einem größeren Rahmen zu ehren. Auf eine Anfrage des Rates des Bezirks Halle, ob Gedenkveranstaltungen im „Republikmaßstab oder territorial“ vorgesehen seien, teilte der stellvertretende Minister für Kultur, Werner Rackwitz, in einem knappen Schreiben mit, dass Veranstaltungen anlässlich des Mendelssohnjubiläums nur in Dessau stattzufinden hätten.25 Ein jüdisches Gedenken verhinderte die Obrigkeit ebenso. Die jüdische Gemeinde hatte eine kleine Zeremonie an Mendelssohns „Grabstein“ geplant.26 Davor wollte sie den verwahrlosten Friedhof säubern lassen und hatte dazu bereits evangelische Jugendliche aus der Bundesrepublik organisiert.27 Offensichtlich hatte sie keinerlei Unterlagen, wie der Friedhof früher ausgesehen hatte, denn über die Vermittlung der jüdischen Widerstandskämpferin Charlotte Holzer schickte das Leo Baeck Institut in London Informationen und Fotografien des Friedhofs an den Gemeindevorsitzenden Peter Kirchner.28 Doch es kam nie zu einer Veranstaltung auf dem Friedhof und das jüdische Mendelssohngedenken beschränkte sich auf eine Buchpräsentation im jüdischen Gemeindezentrum und den Abdruck von drei Artikeln über Mendelssohn im Nachrichtenblatt der jüdischen Gemeinde von Berlin und des Verbandes der jüdischen Gemeinden in der Deutschen Demokratischen Republik. Doch selbst diese Artikel lassen keinen Schluss zu, wie die Jüdinnen und Juden in der DDR Mendelssohn erinnerten. Zwei der Artikel stammten von Nichtjuden, der dritte Artikel war der Nachdruck eines Texts des Rabbiners Judah Bergmann, der bereits 1929 anlässlich
25 Werner Rackwitz an Werner Süß (Rat des Bezirkes Halle), ohne Datum, Stadtarchiv Dessau (künftig: SD), 77/185. 26 Dies war jedoch nicht mehr der originale Grabstein, sondern ein Gedenkstein, der daran erinnerte, dass auf diesem Friedhof einst Mendelssohn begraben lag. Über die Geschichte der Grabsteine Mendelssohns schreiben Nathanja Hüttenmeister/Christiane E. Müller, Umstrittene Räume. Jüdische Friedhöfe in Berlin. Große Hamburger Straße und Schönhauser Allee, Berlin 2005, S. 81–84. 27 MM, Hauptverwaltung Jüdische Gemeinde, Centrum Judaicum (künftig: CJA), 5A1, Nr. 584. 28 Werner Rosenstock and Fred Grubel, 19. Juli 1979 und Sybil Milton an Peter Kirchner, 4. September 1979, CJA, 5A1, Nr. 588.
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des 200. Geburtstages Mendelssohns im damaligen Gemeindeblatt der Berliner jüdischen Gemeinde erschienen war.29 In Dessau hingegen stellte der Stadtrat für Kultur nach dem Schreiben des stellvertretenden Kulturministers umgehend die „Arbeitsgruppe Moses-Mendelssohn“ zusammen, der die Kulturfunktionäre der Stadt angehörten.30 Sie begann das Jubiläum generalstabsmäßig zu organisieren. Am 6. September schließlich weihte der Stadtrat für Kultur, Klaus Hamalim vor etwas mehr als zwanzig Menschen im Stadtpark ein Mendelssohn-Denkmal ein, eine überdimensionierte Bronzebüste Mendelssohns auf einem Betonblock, die Gerhard Geyer, einer der prominentesten Bildhauer der DDR, geschaffen hatte. Geschickt verknüpfte die staatliche Propaganda die Geschichte des Denkmals Mendelssohns in Dessau mit sozialistischem Geschichtsverständnis und Arbeiterlob. Die Mitteldeutsche[n] Neuesten Nachrichten schilderten ausführlich, wie schwer die Arbeit für den Bildhauer gewesen sei, da alle Büsten und Denkmäler Mendelssohns von den Faschisten zerstört worden wären. Nun aber pflege die Stadt Dessau das „humanistische Erbe des 18. Jahrhunderts“, woran auch Betriebe und Arbeiter beteiligt gewesen seien, konkret der VEB Bronzegießerei Fritz Noack, der VEB Betonwerkstein und „Rentner Hein, der in freiwilliger Arbeit den Sockel gehauen hat“.31 So als ob es keinen Zusammenhang mit der Stadt Dessau gäbe, die 1933 das 1890 auf dem Bahnhofsvorplatz errichtete Denkmal Mendelssohns selbst auf den jüdischen Friedhof hatte bringen lassen, wo es später bei einem Fliegerangriff zerstört worden war. Wie wenig enthusiastisch die Erinnerung an Mendelssohn und dafür umso plumper die Vereinnahmung für den Staat war, fiel schon einem Zeitzeugen oder einer Zeitzeugin auf, der oder die einen ausführlichen anonymen Bericht im Stadtarchiv Dessau über die Denkmalerrichtung hinterließ. Darin kritisierte er bzw. sie nicht nur die „nicht einmal gut abgelesene Rede“ des Kulturstadtrats, der die Bedeutung Mendelssohns völlig unterbewertet habe, sondern auch den wenig kunstvollen Versuch den bald bevorstehenden 30. Jahrestag der Republikgründung mit dem Mendelssohnjubiläum ein Einklang zu bringen.32 Am Tag darauf wurde an dem Wohnblock, der an der Stelle des abgerissenen Ge29 Gustav Erdmann, Moses Mendelssohn, in: Nachrichtenblatt des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR, September 1979, S. 7–11; Heinz Knobloch, Von Verlusten und Seltenheiten. Auf der Suche nach Bildern von Moses Mendelssohn, in: Nachrichtenblatt des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR, September 1979, S. 11–13; Judah Bergmann, Moses Mendelssohn und die Berliner Gemeinde, in: Nachrichtenblatt des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR, September 1979, S. 13–15. 30 Maßnahmenplan zur Durchführung der Moses-Mendelssohn-Ehrung 1979, SD, 77/185. 31 Mitteldeutsche Neuesten Nachrichten, 11. September 1979, ohne Seitenangabe. 32 Handschriftliche Notiz, ohne Datum, SD, E 1585.
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burtshauses Mendelssohns stand, wieder die Gedenktafel angebracht, die seit 1880 das Geburtshaus geziert hatte und vor dem Abriss 1952 entfernt worden war.33 Darunter wurde später eine kleinere Tafel mit der Aufschrift: „Wiederangebracht zum 250. Geburtstag im Jahre 1979 in der neuerstandenen August-Bebel-Straße“ hinzugefügt.34 So übertünchten die Verantwortlichen den unsensiblen Umgang der sozialistischen Baupolitik mit der jüdischen Geschichte der Stadt und schrieben auch hier die neuere Stadtplanung in die Tradition des Mendelssohngedenkens ein. Die Festveranstaltung des Rats der Stadt am 9. September in der Aula des Bauhauses ähnelte im Ablauf stark der Feier, die 1929 in Dessau stattgefunden hatten. Die Anwesenden lauschten der Musik von Mendelssohns Enkel, Felix Mendelssohn Bartholdy, und nach Grußworten der Oberbürgermeisterin Thea Hauschild und anderen Funktionären hielt Günter Hartung von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg einen Festvortrag, in dem er Mendelssohns doppelte Existenz als Deutscher und als Jude gegen Vorwürfe der Orthodoxie verteidigte und darauf verwies, dass „große Leistungen im deutschen Sprachraum“, wie sie Heine, Marx und andere hervorgebracht hätten, ohne Mendelssohn nicht möglich gewesen wären.35 Damit war Hartung einer der wenigen, der Mendelssohns Judentum überhaupt ansprach. Die Autoren der wenigen Artikel in regionalen Zeitungen, die über das Jubiläum berichteten, deuteten Mendelssohn komplett im Sinne der antireligiösen und antikapitalistischen DDR-Doktrin. Sie beschrieben ihn als deutschen Humanisten und populären Philosophen der Aufklärung, als einen progressiven Kämpfer für den sozialen Fortschritt. Mendelssohns Engagement gegen die ungerechte Behandlung von Jüdinnen und Juden und für die Emanzipation münzten sie um in einen Kampf gegen den preußischen Feudalismus.36 Marx’ negatives Mendelssohnbild diskutierten sie dabei ebenso wenig wie Mendelssohns Rolle im Frühkapitalismus als Teilhaber einer Seidenfabrik. Für die lokale Arbeiterschaft organisierte die örtliche Sektion des Kulturbundes mehrere Vorträge über Mendelssohn, die allerdings oft schlecht besucht waren und daher manchmal wiederholt wurden. Auf einer seien sogar nur sechs Personen anwesend gewesen, berichtete jemand anonym und vergaß dabei
33 Die Gedenktafel an Mendelssohns Geburtshaus war 1938 unter Putz gelegt und dann vor dem Abriss entfernt worden. 34 Mitteldeutsche Neueste Nachrichten, 4. September 1979, ohne Seitenangabe. 35 Günter Hartung, Moses Mendelssohn zum Gedenken (MS, masch., Durchschrift 1979), SD, E 1611. 36 Vgl. z. B. Hartmut Kühn, Im engen Bunde mit Lessing und Nicolai. Zum 250. Geburtstag Moses Mendelssohns, in: Nationalzeitung, 7. September 1979, S. 7.
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nicht, die Person zu denunzieren, die zu spät gekommen war.37 Wie stark die obligatorische Aufführung von Lessings Nathan der Weise im Landestheater besucht wurde, die bereits 1929 nicht hatte fehlen dürfen, ist nicht bekannt. Das Gedenken an Mendelssohn in Dessau 1979 wirkt wenig ambitioniert im Vergleich zu den Dessauer Feiern 1929, so sehr die Organisatorinnen und Organisatoren sich auch bemühten, sich in die Tradition des Gedenkens vor 1945 einzuschreiben und teilweise auch Interesse in der Bevölkerung für diesen bedeutenden Sohn der Stadt zu wecken. Doch neben dem fehlenden Enthusiasmus und der Größe der Feierlichkeiten gab es noch einen großen Unterschied zu 1929: Es nahmen keine Jüdinnen und Juden teil. Mehr noch, die staatlichen Stellen verhinderten ein jüdisches Gedenken. Sieben Jahre später, zum 200. Todestag Mendelssohns am 4. Januar 1986, gestaltete sich das Gedenken ganz anders. Zum einen durften Jüdinnen und Juden aktiv an der Organisation des Jubiläums mitwirken, zum anderen förderte der Staat ein öffentliches jüdisches Gedenken in Ost-Berlin, das er 1979 noch abgelehnt hatte. Wie war es zu diesem Gesinnungswandel der staatlichen Stellen gekommen? Im September 1985 trat Werner Händler, Vorsitzender des Sachsenhausen-Komitees, an Klaus Gysi, den Staatssekretär für Kirchenfragen heran. Händler war gerade von einer „Goodwilltour“ im Auftrag der Liga für Völkerfreundschaft in den USA zurückgekehrt und berichtete Gysi in einem Brief, dass amerikanische Reformjuden, in seinen Augen „begrenzte Verbündete“ seien, da sie sich nicht von der „zionistischen und offiziellen Propaganda“ vereinnahmen ließen, Veranstaltungen zum 200. Todestag Mendelssohns planten und einen Rabbiner in die DDR schicken wollten, um dort Material für das Jubiläum zu sammeln.38 Man solle überlegen, so Händler, ob die Berliner jüdische Gemeinde nicht auch eine Veranstaltung organisieren könne. Nur wenige Tage später berichtete Gysi, dass die jüdische Gemeinde in OstBerlin eine Veranstaltung zum Todestag Mendelssohns plante und einer seiner Mitarbeiter bemühte sich, den Kulturbund in die Vorbereitungen der jüdischen Gemeinde mit einzubeziehen.39 Inwieweit staatliche Stellen dann tatsächlich an der Organisation des Gedenkens beteiligt waren, lässt sich anhand der Akten 37 Handschriftliche Notiz. Material zu Moses Mendelssohn und Gotthold Ephraim Lessing u. a., SD, E 2286. 38 Werner Händler an Klaus Gysi, 26. September 1985, Bundesarchiv Berlin (künftig: BArch), Staatssekretär für Kirchenfragen, DO 4/1503. 39 Aktennotizen vom 24. Oktober und 31. Oktober 1985, BArch, Staatssekretär für Kirchenfragen, DO 4/1503. Ob Gysi deshalb über die Pläne der Jüdischen Gemeinde informiert war, weil Mitglieder des Gemeindevorstands informelle Mitarbeiter der Stasi waren, lässt sich nicht eruieren. 1979 hatte Kirchner die Stasi Hauptverwaltung über die geplante Veranstaltung auf dem Friedhof vorab informiert. Vgl. CJA, 5A1, Nr. 584.
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nicht nachvollziehen. Offiziell organisierte die jüdische Gemeinde Berlins die Kranzniederlegung an Mendelssohns Grab. Vor etwa 25 Menschen, darunter „Vertreter des Magistrats, des Staatssekretariats für Kirchenfragen, traditionsbewußte Berliner, Neugierige, Passanten, an Philosophie und Schriftstellerei Interessierte“ sprach der Gemeindevorsitzende Kirchner über Toleranz bei Mendelssohn und erinnerte an das Schicksal der Berliner Jüdinnen und Juden in der „Zeit des Hitlerfaschismus“.40 Dies war eines der ersten Male überhaupt, dass in der DDR im Rahmen des Gedenkens an den Nationalsozialismus Jüdinnen und Juden als spezifische Opfergruppe erwähnt wurden. Nach Kirchners Ansprache waren in Beisein der staatlichen Obrigkeit sogar religiöse Elemente gestattet. Der einzige Kantor Ostdeutschlands, Oljean Ingster, sang das El male rachamim und sprach das traditionelle jüdische Totengebet, das Kaddisch. Danach besuchten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Vortrag des stellvertretenden Gemeindevorsitzenden Heinrich Simon im Gemeindezentrum zum Thema Moses Mendelssohn – Deutscher Aufklärer und gesetzestreuer Jude. Einen weiteren Unterschied gab es zum Mendelssohngedenken 1979, das nur in Dessau stattgefunden hatte und über das auch nur regional berichtet wurde. 1986 erschienen Bilder und Berichte der Ost-Berliner Mendelssohnfeier auch in den größeren, überregionalen Zeitungen und vermittelten den Eindruck einer regen, vom Staat geförderten jüdischen Gedenkkultur.41 Es ist schwer zu sagen, ob dieser Sinneswandel der staatlichen Stellen etwas damit zu tun hatte, dass Händler und Gysi, die den Anstoß zur Veranstaltung der Berliner jüdischen Gemeinde gaben, jüdischer Herkunft waren. Sie verstanden sich in erster Linie als überzeugte Sozialisten und in ihrer Kommunikation weist nichts darauf hin, dass ihnen Mendelssohn wegen seiner Bedeutung für die Aufklärung oder das moderne Judentum wichtig gewesen wäre. Dass 1986 ein jüdisches Mendelssohngedenken in Berlin möglich war, muss daher eher im Kontext der Wirtschafts- und Außenpolitik der DDR gesehen werden. Seit Ende der 1970er-Jahre befand sich die DDR in einer ernsthaften Wirtschaftskrise. Ihre Produkte waren auf dem internationalen Markt nicht konkurrenzfähig, und der Staat war im Ausland hoch verschuldet. Die Staatsführung sah einen Ausweg in der Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen zu den USA. In konventionell antisemitischer Logik überschätzte sie den Einfluss des amerikanischen Judentums auf die Politik der US-Regierung und glaubte, wenn 40 Nachrichtenblatt des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der Deutschen Demokratischen Republik, März 1986, S. 15. 41 Vgl. z. B. Mendelssohns Werk gewürdigt, in: Junge Welt, 6. Januar 1986, S. 2; Hermann Simon, Schicksale der Mendelssohn-Büste, in: Neue Zeit, 4. Januar 1986, S. 5; Ehrungen für einen großen Denker der Aufklärung, in: Berliner Zeitung, 6. Januar 1986, S. 1–2.
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sie die jüdischen Gemeinden besser behandeln und das jüdische Erbe auf ihrem Territorium pflegen würde, könnten amerikanisch-jüdische Organisationen dafür sorgen, dass die DDR unter die Meistbegünstigungsklausel fällt. Die jüdische Gemeinde Berlins durfte Mendelssohns 200. Todestag nur deshalb gedenken, weil die DDR sich bei den amerikanischen Jüdinnen und Juden einschmeicheln wollte, die in ihren Augen die Macht hatten, die DDR-Wirtschaft zu retten. Die staatlich unterstützte jüdische Gedenkveranstaltung zählt damit zu den ersten Aktivitäten, mit denen die DDR versuchte, ihre Reputation in den USA zu verbessern. Es folgten weitere Anbiederungsversuche, wie etwa die Anstellung des amerikanischen Rabbiner Isaac Neumann für die jüdische Gemeinde in Berlin 1987 oder die Grundsteinlegung für den Wiederaufbau der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße 1988.42 Mitnichten stellten diese Aktionen die antisemitische und vor allem antizionistische Grundhaltung der DDR ernsthaft infrage. Die Politiker verhandelten weder ernsthaft mit der Jewish Claims Conference, noch dachten sie daran, die historische Verantwortung für den Mord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden zu übernehmen. Die DDR lieferte weiter Waffen an die Palästinensische Befreiungsorganisation, und bis 1990 flogen palästinensische Kämpfer nach OstBerlin, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen.43 Dennoch waren nicht alle Nichtjüdinnen und Nichtjuden, die in das Jubiläum involviert waren Antisemiten, und die Jüdinnen und Juden keine Zyniker. Die meisten, die am Gedenken mitwirkten oder teilnahmen waren aufrichtig an Mendelssohn und seiner historischen Bedeutung interessiert. Das Mendelssohnjubiläum von 1986 zeigt jedoch, wie die DDR-Führung eine jüdische Gedenkkultur ermöglichte, sich aneignete und instrumentalisierte, wenn es ihnen für die eigenen Zwecke opportun erschien.
Mendelssohn in der Bundesrepublik Die Erinnerung und das Gedenken an Mendelssohn in der Bundesrepublik gestalteten sich in mehrerlei Hinsicht anders als in der DDR. Die Bundesrepublik war und ist ein föderaler Staat, und kulturelle Angelegenheiten fallen in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Obwohl der Staat eine offizielle Gedenkpolitik verfolgt, gerade was den Umgang mit dem Nationalsozialismus angeht, wer42 Stefan Meining, Unerfüllte Träume. Erich Honecker, die jüdische Wiedergutmachungsfrage und die USA, in: Uta Andrea Balbier/Christiane Rösch (Hrsg.), Umworbener Klassenfeind. Das Verhältnis der DDR zu den USA, Berlin 2013, S. 71–76. 43 Lutz Maeke, DDR und PLO. Die Palästinapolitik des SED-Staates, Berlin 2017, S. 475.
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den die Erinnerungskultur(en) in der Bundesrepublik von vielen regionalen, lokalen und zivilgesellschaftlichen Stellen und Initiativen gestaltet und getragen.44 Die Bundesrepublik konnte die deutsche Schuld an den nationalsozialistischen Verbrechen nach den Nürnberger Prozessen und den Ausschwitzprozessen nicht leugnen. Sich der Verantwortung gegenüber den jüdischen (und anderen) Überlebenden zu stellen, war eine andere Angelegenheit. Die „Wiedergutmachung“ und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel basierten daher nicht zwangsläufig auf einem gesamtgesellschaftlichen Schuldeingeständnis, Bundeskanzler Konrad Adenauer war Realist, was die antisemitische Grundhaltung der deutschen Bevölkerung anging. Er forcierte sie auch aus außenpolitischem Kalkül.45 Ihm ging es um die Westbindung der Bundesrepublik und ihre Anerkennung als geachtetes Mitglied der westlichen Staatengemeinschaft.46 Die 1970er-Jahre markierten einen Wendepunkt im Umgang der deutschen Politik und der Gesellschaft mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Der Kniefall Willy Brandts vor dem Ehrenmal des Warschauer Ghettoaufstands 1970 war nur ein Ausdruck dieses Wandels. Auch die amerikanische TV-Serie Holocaust, die ab Januar 1979 auch in der Bundesrepublik ausgestrahlt wurde, spielte in zweierlei Hinsicht eine wichtige Rolle: Während die westdeutschen Politiker fürchteten, dass die TV-Serie in der amerikanischen Gesellschaft das Bild der positiven Entwicklung Nachkriegsdeutschlands beschädigen könnte, und sie außenpolitisch in den USA intervenierten, bekamen die Deutschen noch nie so deutlich wie zuvor gespiegelt, dass nicht sie die Hauptopfer des Nationalsozialismus waren, sondern Jüdinnen und Juden.47 Zu gleichen Zeit begann die nichtjüdische Bevölkerung sich mehr und mehr für jüdische Geschichte und Kultur zu interessieren.48 Anders als in der DDR entsprang daher in der Bundesrepublik die Idee, Mendelssohns 250. Geburtstag zu gedenken, zivilgesellschaftlichen Initiativen. In Berlin hatte Cecile Lowen44 Zur Geschichte der Geschichtswerkstätten vgl. Jenny Wüstenberg, Civil Society and Memory in Postwar Germany, Cambridge 2017. 45 Vgl. z. B. Constantin Goschler, Luxemburger Abkommen, in: Dan Diner (Hrsg.), Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur, Bd. 3: He–Lu, Stuttgart/Weimar 2012, S. 576–583. 46 Zum Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und Israel vgl. Carole Fink, West Germany and Israel Foreign Relations, Domestic Politics, and the Cold War, 1965–1974, New York 2019. 47 Vgl. dazu Jacob S. Eder, Holocaust Angst. The Federal Republic of Germany & American Holocaust Memory since the 1970s, Oxford 2016. 48 Anthony D. Kauders/Constantin Goschler, Dritter Teil: 1968–1989. Positionierungen, in: Michael Brenner (Hrsg.), Geschichte der Juden in Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart. Politik, Kultur und Gesellschaft, München 2012, S. 375.
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thal-Hensel, eine Ur-Ur-Urenkelin Mendelssohns, bereits 1967 Gleichgesinnte um sich gesammelt und die Moses-Mendelssohn-Gesellschaft gegründet, deren Aufgabe es war, das Andenken Mendelssohns zu pflegen.49 Sie konnte den Senat der Stadt überzeugen, den prominentesten Juden der Stadt anlässlich seines 250. Geburtstag zu ehren und den „Moses-Mendelssohn-Preis“ zu stiften, der mit einem Preisgeld von 20.000 Mark ausgestattet war. Er sollte alle zwei Jahre, möglichst am 6. September, dem Geburtstag Mendelssohns, an Personen oder Institutionen verliehen werden, die sich um die „Förderung der Toleranz gegenüber Andersdenkenden und zwischen den Völkern, Rassen und Religionen“ verdient gemacht hätten.50 Der Preis wurde zum ersten Mal 1980 verliehen und ging an die Juristin Barbara Just-Dahlmann, welche mit ihrer unermüdlichen Arbeit für die Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen, die deutsch-jüdische Aussöhnung und die Liberalisierung des Sexualstrafrechts „Haltung und Leistung“ gezeigt habe, so die Laudatio Lowenthal-Hensels.51 Im September 1979 zeigte die Berliner Staatsbibliothek eine MendelssohnAusstellung, anlässlich deren Eröffnung die Stadt eine öffentliche Feier veranstaltete. Obwohl diese Ausstellung aufgrund der deutschen Teilung nicht mehr in dem imposanten Bibliotheksgebäude Unter den Linden stattfinden konnte, sondern im gerade eröffneten Bibliotheksneubau von Hans Scharoun in der Potsdamer Straße und wesentlich bescheidener war, ähnelte ihr Konzept sehr der Jubiläumsausstellung des Jahres 1929: Sie erzählte von Mendelssohns Bedeutung als deutsch-jüdischer Gelehrter und präsentierte Berlin als Zentrum der deutschen Aufklärung.52„Frühe Werke“, „Mendelssohn und Lessing“, „Die Preisschrift“, „Mendelssohn und Lavater“ und alle weiteren Stationen und Narrative waren so oder so ähnlich auch 1929 Bestandteil der Ausstellung.53 Die Ausstellung des Jahres 1979 versuchte nicht Mendelssohns Leben und Werk und seine Bedeutung für nachfolgende Generation in den Kontext der jüngeren deutschen oder jüdischen Geschichte zu stellen, sondern präsentierte das strahlende Bild einer deutsch-jüdischen Symbiose, so als ob es die Zeit zwischen 1933 und 1945 nie gegeben hätte und man immer noch für die gesell49 Ich bin Sebastian Panwitz zu tiefstem Dank für die Einsicht in die Akten der Moses-Mendelssohn-Gesellschaft verpflichtet. 50 Amtsblatt für Berlin, 30. Jg. Nr. 27 (1980), S. 768. 51 Cécile Lowenthal-Hensel, Laudatio auf Dr. Barbara Just-Dahlmann. Ungedrucktes Manuskript, Archiv der Moses-Mendelssohn-Gesellschaft (künftig: AMMG), Ordner Studien V, Moses-Mendelssohn-Preis 1980–82, Buchstabe S. 52 Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Moses Mendelssohn. Leben und Werk. Ausstellung, Berlin 1979. 53 Zur Berliner Mendelssohns-Ausstellung 1929 vgl. u. a. M. O., Die Berliner Mendelssohn-Ausstellung, in: C. V. Zeitung, 20. September 1929, S. 513.
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schaftliche Akzeptanz der Jüdinnen und Juden argumentieren wollte. Kein Wort über Antisemiten wie Wilhelm Marr oder Erich Ludendorff, die Mendelssohn als Beispiel dafür herangezogen hatten, dass Juden sich in täuschender Absicht wie Deutsche geben würden und damit einen antijüdischen Topos perpetuiert hatten, der zur fast völligen Auslöschung des europäischen Judentums beigetragen hatte.54 Mit der Eröffnungsveranstaltung selbst versuchten die Organisatoren ebenfalls an die Erinnerungstradition des deutschen Vorkriegsjudentums und die damals angeblich tolerante Atmosphäre Berlins anzuknüpfen. Selbstverständlich rahmte Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy die Reden ein. Kultursenator Dieter Sauberzweig erinnerte daran, dass 1929 wie heute herausragende Persönlichkeiten der deutschen politischen, kulturellen und intellektuellen Elite zusammengekommen seien, um Mendelssohn zu gedenken und zitierte sogar aus der Festrede, die Leo Baeck 1929 gehalten hatte.55 Doch sei dieses glückliche Zusammenleben von Juden und Nicht-Juden 1933 zu Ende gegangen, so Sauberzweig weiter. Heute könnten die Deutschen kaum mehr ihre Toleranz gegenüber Juden beweisen, da es wegen des Nationalsozialismus nur noch wenige jüdische Mitbürger in Deutschland gebe. Aktuell könne man einen Mangel an Toleranz im Verhalten der bundesrepublikanischen Gesellschaft gegenüber den Migrantinnen und Migranten erkennen, den es zu reflektieren und überwinden gelte. Der einzige jüdische Redner der Eröffnung, Alexander Altmann, geboren 1906 in Österreich-Ungarn, Emigrant, orthodoxer Rabbiner in den USA und für das Jubiläum nach Deutschland eingeflogen, griff das Thema der Toleranz hingegen nicht auf. Bereits vor 1933 hatten Jüdinnen und Juden realisiert, dass ihre prekäre Lage kein Problem des „Toleriert-Werdens“ sei; Toleranz sei eine „edle Eigenschaft auf Seite des Gebers“, verliere aber „diese Größe auf Seite des Empfängers, der sich ihrer freut“, so Robert Weltsch 1929 in der zionistischen Jüdischen Rundschau.56 Nun war Altmann kein Zionist, er hatte seine Ausbildung am Berliner orthodoxen Rabbinerseminar absolviert, an dem Mendelssohn naturgemäß alles andere als gut angesehen war.57 Doch auch er erteilte dem Bild von Mendelssohn als Zeuge für die tolerante Atmosphäre Berlins, an die es anzuknüpfen gelte, 54 Steer, Moses Mendelssohn, S. 172 u. 263. 55 Hans Lamm, Von Mendelssohn über Liebermann zu Mehring, in: Jüdische Allgemeine Wochenzeitung, 34. Jg. Nr. 37 (1979), S. 9. 56 Robert Weltsch, Zum 200. Geburtstag G. E. Lessings, in: Jüdische Rundschau, 22. Januar 1929, S. 35. 57 Vgl. z. B. Joseph Wohlgemuth, Moses Mendelssohn und das thoratreue Judentum, in: Jeschurun 16 (1929), Nr. 7/8, S. 321–341.
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eine deutliche Absage. Er verwies zwar auf den besonderen Geist Berlins, wo man Mendelssohn als „Stolz und die Zierde“ der Stadt empfunden habe.58 Doch heute, da das deutsche Judentum nur noch ein Schatten seines früheren Selbst sei, sei Mendelssohn in seiner Rolle als „Schutzpatron“ obsolet geworden. Vielmehr solle man sich heute, da Berlin zum Vorposten des Westens geworden sei, auf Mendelssohn als Vertreter der Humanität besinnen. Altmann spielte hier direkt auf die Funktion Berlins im Kalten Krieg an und welche Rolle die Erinnerung an Mendelssohn in diesem Zusammenhang spielen könnte. Paradoxerweise stimmte seine Einschätzung der Bedeutung Mendelssohns mit der Einschätzung der DDR-Funktionäre überein. Doch während die einen aus einer ideologischen Abneigung gegenüber allem Religiösen heraus Mendelssohn auf sein „humanistisches Erbe“ reduzierten, hatte sich für Altmann der religiöse Aspekt in der Erinnerung an Mendelssohn in Deutschland aufgrund der Shoah erübrigt. Selbstverständlich besaßen die Veranstaltung und die Ausstellung in WestBerlin nicht die Strahlkraft des Vorkriegsjubiläums. Berlin war nicht die Hauptstadt der Bundesrepublik und selbst für deutsche Maßstäbe kein kulturelles Zentrum. Die überregionale Presse hatte ihren Sitz in Hamburg, Frankfurt und München und berichteten kaum über Berliner Lokalereignisse. Doch auch die anderen Jubiläumsveranstaltungen, wissenschaftliche Tagungen in Wolfenbüttel und Hamburg und eine kleine Ausstellung im Hamburger Haus der Geschichte blieben in ihrer Wirkung lokal beschränkt.59 Ein republikweites Gedenken manifestierte sich in einer Briefmarke der Deutschen Bundespost mit Mendelssohns Konterfei sowie ausführlichen Feuilletonbeiträgen zu Leben und Werk des Philosophen, etwa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitungen und einigen Rundfunkanstalten.60 Sie zeichneten das Bild Mendelssohns als angesehenen deutsch-jüdischen Denker, der von den Gelehrten seiner Zeit wie Lessing und Kant trotz seines Festhaltens am Judentum bewundert worden war.61 Mendelssohn verkörperte darin die fruchtbare deutschjüdische Symbiose, an welche die Jüdinnen und Juden 1929 noch hatten glau58 Kurzfassung der Festrede von Prof. Alexander Altmann, AMMG, Ordner Studien Band 3/4, Moses Mendelssohn Jubiläum, 1978/1979, Buchstabe A. 59 Karl Heinrich Rengstorf, Moses Mendelssohn 1729–1979. Reden der Wolfenbütteler Gedenkfeier anläßlich seines 250. Geburtstages im September 1979, Wolfenbüttel 1980. 60 Z. B. Das kurze Glück der deutschen Juden. Ein Beitrag zum 250. Geburtstag des Philosophen Moses Mendelssohn von Friedrich Heer, Rundfunk Bayern 2, am 10. September 1979 um 21.00 Uhr. 61 Vgl. z. B. Peter von der Osten-Sacken, Toleranz heute. 250 Jahre nach Mendelssohn und Lessing, Berlin 1979; Cécile Lowenthal-Hensel, Moses Mendelssohn. Gedanken zu Toleranz und Emanzipation, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 36/79 (1979), S. 3–6
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ben wollen und die sie daher in Form des aufwändig inszenierten Mendelssohnjubiläums beschworen hatten. 1979 war das Leitmotiv dagegen nicht mehr gegenseitige Akzeptanz auf Augenhöhe, sondern Toleranz, welche Nichtjüdinnen und Nichtjuden Mendelssohn zu seinen Lebzeiten angeblich entgegengebracht hatten, und das sie mangels einer größeren jüdischen Gemeinschaft in Deutschland nun den Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern angedeihen lassen wollten. Wie schwierig es mit der Toleranz gegenüber den lebenden Juden war, zeigt der Brief des Leiters des Mendelssohn-Archivs in der Staatsbibliothek, Rudolf Elvers an Lowenthal-Hensel aus dem Jahr 1982, in dem er über eine Sitzung der Jury des Moses Mendelssohn-Preises berichtete. Anwesend waren neben Elvers selbst, die Herausgeberin der Wochenzeitung Die Zeit, Marion Dönhoff, zwei Vertreter der jüdischen Gemeinde zu Berlin, darunter Heinz Galinski, Vertreter der katholischen und evangelischen Kirchen und des Freidenkerverbands und Mitglieder der Senatsverwaltung. Galinski habe „mit seiner totalen Humorlosigkeit“ das Treffen beherrscht, so Elvers, der „Gräfin“ [gemeint ist Dönhoff; Anm. d. Verf.in] sei das zu viel geworden.62 Dass Galinski, der in Marienburg geboren worden war und seine Lehrjahre in Elbling absolviert hatte, als Jude Ostpreußen von einer weniger schönen Seite kennengelernt hatte als die Großgrundbesitzerstochter Dönhoff und beide die Zeit des Nationalsozialismus unterschiedlich erlebt hatten – während Galinski bereits ab 1940 Zwangsarbeit leisten musste, konnte Dönhoff 1941 noch entspannt mehrere Tage durch Masuren reiten – mag dazu beigetragen haben, dass die beiden ein schwieriges Verhältnis hatten, von Dönhoffs publizistischen Ausfällen gegen Israel ganz zu schweigen. Verständnis oder, um im Duktus des Preises zu bleiben, Toleranz gab es für das jüdische Unbehagen von nichtjüdischer Seite nicht. Dies zeigte sich auch in der Diskussion um mögliche Preisträger. Galinski schlug den Judaisten Jakob Allerhand vor, den Elvers unbedingt verhindern wollte, und ihn dazu verleitete, gegen seine Überzeugung, wie er schrieb, für Alexander Altmann einzutreten. Zu Elvers offensichtlich großer Erleichterung sei der aber „durch Roby Bohnckes [gemeint ist Alexander-Robert Bohncke, ein UrUr-Ur-Urenkel Mendelssohns; Anm. d. Verf.in] Brief bereits hingerichtet“ worden.63 Man fragt sich, was 1979 bei Altmanns Besuch in Berlin vorgefallen war und derart zynische Äußerungen hervorrief. In einem ähnlichen Ton ging es in dem Brief weiter: Galinski habe „hochbeinig“ gekaut, als Oberkonsistorialrat Erich Klausner, Vertreter der katholischen Kirche, Hans Rosenthal für den Preis 62 Rudolf Elvers an Cécile Lowenthal-Hensel, 13. Mai 1982, AMMG, Ordner Studien V, Moses Mendelssohn Preis, Buchstabe S. 63 Brief Elvers an Lowenthal-Hensel.
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vorgeschlagen habe. Der Rabbiner Manfred Swarsensky sei als „Toter“ abgelehnt worden, Leo Baeck ebenfalls. Der letzte Vorschlag sei von Joachim Hoppe gekommen, „einer von den evangelischen Israel-Bewunderern“ in Elvers Augen.64 Die Jury des Mendelssohn-Preises war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen Deutsche Jüdinnen und Juden einluden, gemeinsam mit ihnen das Gedenken an Mendelssohn zu gestalten. Dass dabei von jüdischer Seite das Gefühl aufkam, dass die nichtjüdische Erinnerung an Mendelssohn eine andere als die jüdische war, lässt sich anhand eines Artikels von Hans Lamm erkennen, in dem er von den Berliner Feierlichkeiten berichtete. Zwar kritisierte er nicht die Veranstaltungen, vielmehr rekapitulierte er wohlwollend die Reden Sauberzweigs und beschrieb in ähnlicher Weise die Ausstellung. Aber er bezweifelte, dass die „fundamentale Bedeutung“ die Mendelssohn für Jüdinnen und Juden als Initiator und Ausgangspunkt des modernen europäischen Judentums habe, deutlich genug zur Sprache gekommen sei.65 Genau diesen Aspekt in der Erinnerung an Mendelssohn wollte die 3. Jugend- und Kulturtagung des Zentralrats der Juden in Deutschland beleuchten, die unter dem Motto Zum 250. Geburtstag von Moses Mendelssohn: Deutsches Judentum und Juden in Deutschland vom 13. bis zum 18. September 1979 in Hannover stattfand. Mendelssohn stehe für den Beginn einer Entwicklung, der „Konfrontation der Juden mit der modernen Welt“, die in Deutschland Herausragendes, aber auch die „grausamste aller denkbaren Antworten“ hervorgebracht habe, erklärte Hans Jakob Ginsburg in der Ankündigung der Tagung.66 Ähnlich sah dies Hilde Spiel in ihrem knappen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.67 Gerade deshalb biete es sich für die jüngere Generation zur Orientierung an, sich mit dieser denkwürdigen Geschichte auseinanderzusetzen – ohne „kritiklose Übernahme“ und ohne „Verdammung“.68 Die Vorbereitungen zur Tagung verliefen nicht reibungslos.69 Es war zunächst schwierig, prominente Redner zu finden. Altmann hatte bereits für Veranstaltungen in Berlin und Hamburg zugesagt und konnte daher nicht kommen. Der Literaturkritiker Hans Mayer wollte erst kommen, aber als er realisierte, dass dies kein öffentlicher Vortrag sein würde (für dessen Verbreitung er bereits den Norddeutschen Rundfunk und Die Zeit organisiert gehabt hätte), son64 Brief Elvers an Lowenthal-Hensel. 65 Lamm, Von Mendelssohn, S. 9. 66 Hans Jakob Ginsburg, Zum 250. Geburtstag von Moses Mendelssohn: Deutsches Judentum – Juden in Deutschland, in: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, 34 (1979), Nr. 26, S. 7. 67 Spiel, Hilde, Der Fremdling aus Dessau. Zum 250. Geburtstag von Moses Mendelssohn, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. September 1979, S. 21 68 Ginsburg, Zum 250. Geburtstag, S. 7. 69 Zentralarchiv zur Erforschung der Juden in Deutschland (künftig: ZA), B 1/7-328.
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dern für ein jüdisches Publikum, sagte er ab. Die innerjüdischen Auseinandersetzungen über die Emanzipation seit Mendelssohn seien doch bekannt, und daher sei der von ihm geplante Vortrag funktionslos, so Mayer.70 Statt Altmann und Mayer konnte man schließlich unter anderem die beiden Emigranten, den amerikanischen Rabbiner Joachim Prinz und den Philosophen Hermann Levin Goldschmidt gewinnen.71 Nicht nur die Suche nach geeigneten Rednern zog sich, auch die Teilnehmerplätze für die Tagung füllten sich nur schleppend.72 Schließlich reisten zwischen 80 und 90 junge Jüdinnen und Juden, darunter viele Studentinnen und Studenten, nach Hannover. Wer nun aber eine würdevolle Festveranstaltung mit Musik von Mendelssohn Bartholdy und feierlichen Ansprachen erwartete, wurde enttäuscht. Mendelssohn und seine Bedeutung für die Nachwelt waren kein Thema, das der jüngeren Generation unter den Nägeln brannte. Das hatte sich bereits gezeigt, als die Münchner jüdische Gemeinde anlässlich des Jubiläums Preisausschreiben für Jugendliche zum Thema Mendelssohn veranstaltet hatte und trotz verlockender Gewinne, darunter Reisen, nur eine einzige Einsendung eingetrudelt war.73 Darüber hinaus waren die Jugend- und Kulturtagungen nicht der passende Ort für besinnliches Gedenken. Nachdem die Funktionäre der Gemeinden und des Zentralrats jahrzehntelang jüdisches Leben nach innen und außen bestimmt und Initiativen von jungen Leuten abgewehrt hatten, hatten sie realisieren müssen, dass die jüngere Generation ihre Ignoranz mit Desinteresse am jüdischen Gemeindeleben quittierte. Mit den Jugend- und Kulturtagungen versuchten sie nun, mit den jungen Leuten ins Gespräch zu kommen. Diese nutzen dieses Angebot und stritten und diskutierten mit den Funktionären und untereinander über die Zukunft der Gemeinden, die Haltung zu Israel und viele andere Themen. Auch 1979 in Hannover wurde, wenn man den Erinnerungen von einigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern glauben darf, weniger über Mendelssohn gesprochen, sondern über Themen, welche die jungen Leute mehr beschäftigten als ein vor 250 Jahren geborener Aufklärer, etwa das Problem der Mischehe.74 70 Hans Mayer an den Zentralrat der Juden in Deutschland, 17. Juni 1979, ZA, B 1/7-329. 71 Der Zionist Joachim Prinz hatte in seiner populärwissenschaftlichen „Jüdischen Geschichte“ aus dem Jahr 1931 Mendelssohn noch für Zerfallserscheinungen in den nachfolgenden Generationen verantwortlich gemacht. Vgl. Joachim Prinz, Jüdische Geschichte, Berlin 1931, S. 243–248. 72 ZA, B 1/7-328. 73 Anthony D. Kauders, Unmögliche Heimat. Eine deutsch-jüdische Geschichte der Bundesrepublik, München 2007, S. 189–190. 74 Vgl. z. B. Schreiben von I. R. an die Verfasserin, 6. Juli 2008; Schreiben von J. M. an die Verfasserin, 15. Mai 2008; Hans Jakob Ginsburg, Die Jugendtagung in Hannover. Forum jüdi-
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Nach 1945 hatte Mendelssohn als Erinnerungsort für die Jüdinnen und Juden in Deutschland massiv an Bedeutung verloren. In der Bundesrepublik mag es eine Rolle gespielt haben, dass die meisten der dort lebenden Jüdinnen und Juden ursprünglich aus Osteuropa gekommen waren oder von orthodoxen Religionslehrern und Rabbinern ihre religiöse Erziehung erhalten hatten, die ebenfalls osteuropäische Wurzeln hatten. Auch wenn das Bild Mendelssohns bei den osteuropäischen Juden mit Ausnahme der Chassidim nicht ganz so negativ war wie es oft angenommen wird, so hatte Mendelssohn doch dort nie denselben Heldenstatus erlangt wie in Deutschland. Entscheidend aber war, dass den Jüdinnen und Juden die Erinnerung an Mendelssohn offensichtlich unbrauchbar erschien, um mit ihr innerjüdische Themen zu diskutieren und zu durchdenken. Mendelssohns Irrelevanz für die Entwicklung des Judentums hatte sich bereits 1929 abgezeichnet. Aber anders als 1929 eignete sich 1979 Mendelssohn für eine jüdische Standortbestimmung innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft nicht mehr. Das Modell der deutsch-jüdischen Doppelexistenz hatte sich mit der Shoah erledigt. Auch von der jüdischen Gemeinschaft in der DDR kamen wenig Impulse für das Mendelssohnjubiläum, wenn auch aus anderen Gründen. Eine komplett überalterte, von Stasispitzeln unterwanderte kleine Gruppe hatte der staatlichen Repression nichts entgegenzusetzten. Der Versuch, eine bescheidenen Gedenkveranstaltung an Mendelssohns Grab abzuhalten, wurde verhindert. Erst als sich die Staatsführung davon einen außenpolitischen Vorteil versprach, war ein jüdisches Gedenken möglich. Der große jüdische Wunsch vor 1945, Mendelssohn als Juden in den Kanon deutscher Dichter und Denker zu integrieren, ging in Erfüllung, als es den Jüdinnen und Juden in Deutschland egal geworden war. Sie hatten Mendelssohn nicht „vergessen“, sondern schlichtweg keine Verwendung mehr für ihn. Es werde „nicht an Versuchen mangeln, sich in eine Tradition hineinzustehlen“ hatte Ernst-Peter Wieckenberg in der Süddeutschen Zeitung zum Mendelssohnjubiläum prophezeit und damit Recht behalten. 75 In der Tat eigneten sich nichtjüdische Deutsche unter verschiedenen Vorzeichen und aus unterschiedlichen Gründen in der DDR und in der Bundesrepublik die 1829 begründete jüdische Erinnerungstradition der Mendelssohnjubiläen und versuchten sich damit nach der Shoah positiv in eine deutsch-jüdische Geschichte einzuschreiben, die spätestens seit 1933 nicht mehr existierte. scher Aussprache. Probleme der Juden in Deutschland, in: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, 34 (1979), Nr. 33, S. 2. 75 Ernst-Peter Wieckenberg, Philosoph der Toleranz. Zum 250. Geburtstag von Moses Mendelssohn, in: Süddeutsche Zeitung, 8./9. September 1979, S. 108.
Erinnerung an die Shoah in Israel
Natan Sznaider
Zivia Lubetkin und Hannah Arendt: Die Beschreibungen des Holocaust in Israel Eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben, eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit zum Ausreißen der Pflanzen, eine Zeit zum Töten und eine Zeit zum Heilen, eine Zeit zum Niederreißen und eine Zeit zum Bauen (Prediger3,2–3)
Am 7. Juni 1946, zwei Jahre vor der offiziellen Staatsgründung, trat die schon totgeglaubte Zivia Lubetkin im Kibbuz Yagur auf, um Zeugnis abzulegen. Lubetkin, 1914 in Byten im heutigen Weißrussland geboren, war Kommandantin im Warschauer Ghettoaufstand gewesen. Viele dachten, dass sie die Vernichtung des Ghettos nicht überlebt hätte. Aber sie überlebte den Aufstand und dessen Niederschlagung und drei Jahre später kam sie in Palästina an. Die Nachricht von ihrer Ankunft verbreitete sich wie ein Lauffeuer, nicht nur unter den Kibbuz-Mitgliedern und ihren Freunden aus der sozialistischen und zionistischen Bewegung. Man wollte Zivia Lubetkin hören. Sie kam nach Yagur und sprach vor 6.000 Zuhörern. Aus Zivia Lubetkin wurde Zivia. Ihr Vorname wurde in Israel zur Ikone. Es gab eine Zeit, in der jeder in Israel wusste, wer Zivia war und was sie repräsentierte. Einen Tag lang stand Zivia in einem großen Zelt und erzählte vom Aufstand und dessen Niederschlagung. Drei Jahre nach dem Aufstand und knapp zwei Jahre vor der offiziellen Staatsgründung war ihre Aussage eines der ersten öffentlichen Zeugnisse aus dieser Zeit. Ihre Sprache war klar und deutlich. Es war ein ritueller Moment. Die Sprache, mit der man in Israel über den Holocaust spricht, wurde geboren. Es war die Sprache des Widerstands, des „Nie wieder wir“, der Kampfbereitschaft und des würdevollen Todes. Zivia Lubetkin betonte mehr als einmal, dass ihr die Worte fehlen, ja dass Worte überhaupt fehlen und die Bedeutung des Ereignisses nicht einfangen können. Sie sprach über die Millionen, die nicht mehr da sind, über ihre Traurigkeit, ihren Kummer, ihren Verlust. Sie sprach in der Ichform, aber ihr Ich war das kollektive Wir. Sie sprach über ihre Schuld, junge Menschen in den Tod geschickt zu haben, über ihre Unfähigkeit den Überlebenden in die Augen zu schauen. Sie sprach über Trauer und Traurigkeit: „So konnte ich mir dieses Treffen mit euch nicht vorstellen. Ich konnte mir nicht vorstellen, euch als Einzige von Millionen zu treffen.“1 Danach 1 Zivia Lubetkin, Die Letzten mit dem Rücken zur Wand. Rede vor der Versammlung des Kibbuz Ha’Meuchad in Yagur, 8. Juni 1946, En Harod 1947 (Hebräisch), S. 3. Auf Deutsch wurde https://doi.org/10.1515/9783110710601-010
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wurde ihre Sprache nüchterner. Sie sagte, dass sie entweder weinen oder berichten könne, und sie wollte berichten. So erzählte sie vom Ghetto in Warschau, den Bedingungen, dem Hunger, den Massentötungen und dem Beschluss einiger, Widerstand zu leisten. Sie betonte ihren Stolz auf den Aufstand und die Aufständischen. Der Aufstand war Teil der sozialistischen Jugendbewegung und hatte seine Kraft aus ihr bezogen. Sie sprach über die Jugend und wie diese Jugend eine alternative Führung im Warschauer Ghetto schuf. Es waren nicht mehr die alten Juden, sondern die Jungen, die Teil der Bewegung waren und die Warschau mit dem Land Israel verbanden. Und sie sprach über die zionistischen und sozialistischen Jugendbewegungen, die den Aufstand führten. Auch ging sie auf die schwere Frage ein, die in den nächsten Jahrzehnten immer wieder gestellt werden sollte: Warum haben sich die Juden nicht gewehrt? Warum waren es so wenige, die sich an Aufständen beteiligten? Lubetkin war in ihrer Analyse nachsichtiger als viele andere. Sie erzählte von den Bedingungen der Machtlosigkeit und wie schwierig es war, sich inmitten einer feindlichen Bevölkerung, unterdrückt und ausgehungert, wehren zu können. Immer wieder betonte Lubetkin, was man wissen konnte und was nicht und was sie wusste und was sie nicht wusste. Sie hob hervor, dass sie und ihre Freunde selbst nicht wussten, was einige Kilometer weiter sich abspielte: „Wir waren kleine Gruppen voneinander isoliert“, heißt es immer wieder bei ihr.2 Lubetkin war sehr klar in ihrer Ablehnung der Judenräte, mit denen sie in Warschau Kontakt hatte. Mit „Judenrat“, dieser schon vor den Nazis geschaffenen und auch so bezeichneten Institution, sind diejenigen gemeint, die in den Ghettos mit den Nazis verhandelten, die versuchten die Gemeinden auf ihre Weise des Kompromisses und der Verhandlungen mit den NS-Instanzen zu retten. Dieses Wort wurde in Israel in seiner deutschen Form zur Gegenikone des Aufständischen. Eine „Selbstverwaltung“, die keine war, die später sogar beschuldigt wurde, mit dem Teufel zu paktieren. „Judenrat“ war alles, was Ziva Lubetkin nicht war. Sie sah sich und ihre Mitstreiter als die klare Alternative zu der Handlungsweise der Judenräte, die glaubten, dass Kollaboration mit den Nazis der beste Weg war, Juden zu retten. Mit ihrer Rede wurde der kaum zu überbrückende Gegensatz zwischen „Judenrat“ und Ghettokämpfer zu einem der wichtigsten Themen, wie in Israel über den Holocaust gesprochen wurde und immer noch gesprochen wird. „Judenrat“ gilt immer noch als Ausdruck für das hilflose Diasporajudentum, das sich auf die Gunst der Nichtjuden verlässt – im Hintergrund natürlich die Vernichtung des Ghettos. Mit der Rede Zivia Lubder Text als „Die letzen Tage des Warschauer Ghettos“ im VNN Verlag in Berlin 1949 veröffentlicht. Die Zitate stammen aus der Hebräischen Ausgabe und wurden von mir übersetzt. 2 Lubetkin, Die letzten Tage, S. 33.
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etkins wurde kein glorreicher Sieg gefeiert, sondern der Widerstand an sich. Militärisch machte der Aufstand keinen Sinn, aber darum ging es nicht. Nichts hatte den Aufstand bisher mehr symbolisiert als die berühmte Fotografie des kleinen Jungen mit den erhobenen Armen. Es ist ein Bild der Verzweiflung und Schwäche. Das Bild war zum Inbegriff des Holocaust selbst geworden. Aber Lubetkin stand für ein anderes Bild.
Abb. 10-1: Aufstand im Warschauer Ghetto (gemeinfrei)
Lubetkin forderte aber auch einen menschlichen Umgang mit den Überlebenden, die ins Land kamen und noch kommen würden: „Ihr müsst für sie Vater, Mutter und Zuhause sein“, betonte sie.3 Zwei Jahre vor der Staatsgründung forderte sie, dass so viele Überlebende wie möglich aus Europa ins Land gebracht werden sollten. Ihre Aussage im großen Zelt im Kibbuz Yagur wurde zu einem Medienereignis. Man schrieb darüber in den Zeitungen und viele betonten die Nüchternheit ihrer Beschreibungen. Das von ihr verwendete Vokabular war für die Öffentlichkeit wichtig. In dieser Zeit wurden verschiedene Worte für den gewaltsamen Tod der Juden in Europa und in Palästina benutzt. Die Getöteten in Europa galten als „Opfer“, während man die Toten im Land als „Gefallene“ be3 Lubetkin, Die letzten Tage, S. 4.
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zeichnete. Lubetkin selbst hat diese klare Unterscheidung nicht benutzen können, aber ihre Worte wurden so ausgelegt, so dass auch die spätere Unterscheidung zwischen „Holocaust und Heldentum“ oder „Holocaust und Erlösung“ als zwei verschiedene, aber miteinander verknüpfte Begriffe Teil des offiziellen Vokabulars wurden. Es ging darum, auch die Art des Todes zu wählen. Auch dafür stand Lubetkin. Ihre große Rede wurde schon 1947 als Buch veröffentlicht, und damit die hebräische Sprache der Judenvernichtung in Israel geschaffen. Dichte 54 Seiten in ihrem genauen Hebräisch. Gleichzeitig blieb kaum noch eine Erinnerung an Europa zurück. Der Kontinent wurde für Juden in Israel zu einem schwarzen Loch, zu einem nicht definierbaren „Dort“, das nicht mehr existiert. Lubetkin musste in den Jahren danach zwischen ihrer Rolle als Inkarnation des Ghettokampfes und derjenigen in der internen Politik des Landes hin und her manövrieren. War sie eine Holocaustüberlebende oder die Verwirklichung der zionistischen Utopie? Oder beides? 1949 gründete sie mit ihrem Mann Jitzhak Zuckermann, ebenfalls Kommandant des Warschauer Ghettoaufstandes, und weiteren Kämpfern und Partisanen, im Norden Israels den Kibbuz Lochamej Hagetaot (Die Ghettokämpfer) als Symbol für Widerstand und Kampf. Dort war sie auch an der Gründung eines Ghettokämpfermuseums beteiligt. In den nächsten Jahren sprach sie oft in Schulen über den Aufstand. Aber sie selbst blieb zeitlebens ein Rätsel und niemand außer ihren Freunden und ihremEhemann wussten wirklich viel von ihr. Sie blieb auf ewig die Ikone, Zivia, die Aufständische. Und sie war nicht die Einzige, die im jungen Israel zwischen der öffentlichen, vom Holocaust her definierten Identität und den privaten Identitäten verhandeln musste. Israels „Umgang“ mit dem Holocaust war von Anfang an ambivalent, so wie die Person Zivia Lubetkin ambivalent war. Auf der einen Seite legitimiert sich der Staat „negativ“ gegenüber dem Holocaust. In der israelischen Unabhängigkeitserklärung von 1948 heißt es klar: Die Katastrophe, die in unserer Zeit über das jüdische Volk hereinbrach und in Europa Millionen von Juden vernichtete, bewies unwiderleglich aufs Neue, dass das Problem der jüdischen Heimatlosigkeit durch die Wiederherstellung des jüdischen Staates im Lande Israel gelöst werden muss, in einem Staat, dessen Pforten jedem Juden offenstehen, und der dem jüdischen Volk den Rang einer gleichberechtigten Nation in der Völkerfamilie sichert.4
Nur ein starkes Israel kann einen erneuten Holocaust verhindern, heißt es da klar und deutlich. Die Souveränität ist der Schlüssel zum „Nie wieder“. Israel 4 Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel, deutsche Übersetzung, www.hagalil.com/israel/independence/azmauth.htm, letzter Zugriff: 1. September 2020.
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war der Bruch mit der machtlosen jüdischen Vergangenheit. Es legitimiert sich aus diesem Bruch mit der Vergangenheit, der aber nie wirklich vollzogen werden kann. Deshalb auch immer Kontinuität. Zivia Lubetkin stand für diese Kontinuität. Die Kämpfer des Warschauer Ghettos waren auch die Kämpfer für die israelische Unabhängigkeit von 1948. Damit wurden die Kämpfer des Ghettos – obwohl Opfer in diesem Aufstand – nachträglich zu Siegern des Krieges von 1948. Lubetkinschaffte es mehr als andere Personen, die nicht zu überbrückende Distanz zwischen Warschau und Israel, zwischen Vernichtung und Erlösung zu überwinden. Der Unabhängigkeitskrieg Israels fand nach dieser latent wirksamen Geschichtsschreibung nicht 1948 in Israel statt, sondern 1943 in Warschau. Auch wenn nicht alle Kämpfer des Aufstands Zionisten waren, auch wenn der Aufstand brutal niedergeschlagen wurde, wurde er doch als Inbegriff des Widerstandes und nicht als reales historisches Ereignis in die Geschichte Israels integriert. Es ging darum, dem sinnlosen Tod einen Sinn zu geben und damit nicht nur eine Sprache zu finden, die für den jungen umkämpften Staat überlebenswichtig war, sondern überhaupt eine Sprache zu finden, die an die Welt vor dieser jüdischen Katastrophe anknüpfen konnte. Die Sprache existierte schon in der hebräischen Literatur, es war eine Sprache, die sich auf die Pogrome Anfang des 20. Jahrhunderts bezogen und insbesondere das Pogrom von Kishinev von 1903. Chaim Nachman Bialik, einer der einflussreichsten Dichter Israels, wurden von einer jüdischen historischen Kommission nach Kishinev geschickt, um das Pogrom zu dokumentieren. Er schrieb darauf eines der eindringlichsten hebräischen Gedichte über den jüdischen Tod, Wehlosigkeit und Wehrhaftigkeit.5 Bialik spricht immer wieder von Schande, vom hilflosen Zuschauen der Männer, die nichts taten, als ihre Frauen und Töchter geschändet wurden. Reaktionen in der jüdischen Welt waren eindeutig. Es ging um Hilflosigkeit, Passivität, der Wunsch nach Souveränität und Machtausübung. Etwa 40.000 russische Juden wanderten in den Jahren zwischen dem Pogrom und dem Ersten Weltkrieg in das spätere Gebiet des noch nicht existierenden Israels ein, eine kleine Gruppe, aber eine signifikante, da sie in vielerlei Hinsicht den politischen und kulturellen Ton des späteren Israels angeben sollten. Auch von den Ereignissen Kishinevs mitbeeinflusst, gründeten diese Einwanderer paramilitärische Verteidigungsorganisationen, welche die Grundlagen für die spätere israelische Armee bildeten. Die souveräne und auch revolutionäre Ausübung von Gewalt als Akt der Emanzipation, als Akt des Lebens gegen die Fügung in den Tod wurde zu einer der wichtigsten öffentlichen Sprachen Israels. Und es war die Sprache, die zu Beginn den Umgang mit der Shoah in Israel bestimmte.
5 Chaim Nachmann Bialik, Nach dem Pogrom, Wien 1919.
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Israel sieht sich als den rechtlichen und moralischen Nachfolger der Holocaustopfer. Und es ging dem Staat auch darum, die geraubte Würde jenseits des Überlebens wiederherzustellen. Die Holocausterinnerung in Israel wird immer in der Spannung zwischen dem partikularistischen Charakter eines jüdischen Staates und dem universalistischen Anspruch einer demokratischen Gesellschaft hin und her gerissen sein. Innerhalb der jüdischen Tradition konnte der Holocaust nur ein jüdisches Problem bleiben. Den Holocaust zu universalisieren hieße, das einschneidende Ereignis der jüdischen Geschichte zu einem Bruch mit der Moderne werden zu lassen, was natürlich als Beschreibung möglich sein kann. Das ist auch der Grund, warum Anne Frank – im Gegensatz zu Zivia Lubetkin – in Israel nie zu einer Ikone werden konnte. Ihr Tagebuch wurde zwar 1953 ins Hebräische übersetzt, aber das änderte nichts daran, dass man Anne Frank in Israel nie die Bedeutung als Zeugin der Shoah zumaß, wie es in der übrigen Welt geschah. Anne Frank war zu privat in ihrem Leiden. Und sie glaubte an das Gute im Menschen, ein Satz, der in den kollektiven Erinnerungen Israels an die Judenvernichtung keinen Platz finden konnte. Deshalb konnte sie auch nur privat gelesen werden, um dem privaten Wunsch nach einer kosmischen Ordnung zu folgen: unserem Dasein einen höheren Sinn zu geben, ein Weltbild zu schaffen, in dem Gott, Mensch und Welt einen Sinnzusammenhang bilden, in dem Religion und Moral nicht mehr zu trennen sind. Das ist aber auch die christliche Vereinnahmung des Holocaust, die sich zwischen Universalisierung und Individualisierung bewegt. Diese christliche Deutung des Holocaust zählt zu den Gründen, warum die sogenannte Universalisierung des Holocaustgedenkens in Israel – vor allen in den ersten Jahrzehnten – nicht auf fruchtbaren Boden fallen konnte, aber gerade in der jüngsten Zeit von Intellektuellen, die sich universalistisch orientieren, aufgegriffen wird. Vor der Staatsgründung Israels war es schwierig, jüdische und nationalstaatliche Identitäten in Europa miteinander in Einklang zu bringen. Die zionistische Bewegung und die Gründung des Staates Israel versöhnten zwar diese Identitäten für die Juden in Israel, aber jüdische Erfahrungswelten außerhalb Israels konnten dort ihren Platz vorerst nicht finden. Zivia Lubetkin wiederum steht für das klare territoriale Verständnis der politischen Existenz. Das Warschauer Ghetto wurde zum israelischen Territorium – das auch in den Reisen israelischer Jugendlicher seit Mitte der 1980er-Jahre dorthin immer wieder aufs Neue erobert wird. Neben dem „Nie wieder“ verband sich im entstehenden politischen Vokabular des Staates Israel eine weitere negative Abgrenzung mit dem Holocaust: das zionistische Credo der Aktivität gegenüber der mit der Vernichtung assoziierten Passivität. Die Nazis raubten den Juden im Vernichtungslager die Möglichkeit eines sinnhaften Todes, den die Ghettokämpfer und der Staat Israel den Juden wieder zugestehen wollten. Die neue souveräne Politik wurde
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mit aktivem Handeln, mit souveränen Entscheidungen gleichgesetzt. Der Holocaust geschah dort, eben im Exil, doch der Aufstand war gerade nicht dort. Besonders prägend für diese Haltung von Zivia Lubetkin und der israelischen Öffentlichkeit der 1950er-Jahre insgesamt war der Ausspruch, dass die Juden sich wie „Schafe zur Schlachtbank“ führen ließen. 1942 hatte der Partisan und Dichter Abba Kovner diese Worte gewählt, und auch wenn die Formulierung bereits vorher im Zusammenhang mit Pogromen in Osteuropa – wie bei Bialik – aufgetaucht war, wurde sie doch hauptsächlich mit der Haltung der Juden gegenüber den Verbrechen der Nazis in Verbindung gebracht. Es war diese Metapher, die gerade in den Anfangsjahren Israels das Bild der jüdischen Holocaustopfer bestimmte. Es war ein Bild der Machtlosigkeit und Ohnmacht, wobei der souveräne Staat Israel Macht symbolisierte. Der Warschauer Ghettoaufstand war Hoffnungsschimmer – auch deshalb, weil bis 1948 ungefähr 350.000 Juden in Israel eintrafen, die das Naziregime als Verfolgte und Vertriebene überlebt hatten. Es gab neben dieser heldischen nationalen Erinnerung auch kaum wahrgenommene religiöse Erinnerungsprojekte. Das israelische Rabbinat organisierte die Bestattung von aus dem Konzentrationslager Flossenbürg nach Israel überführte Asche auf dem Zionsberg in Jerusalem. Diese Beisetzung fand am 10. des Tewet statt, ein jüdisches Datum, welches an den Beginn der Belagerung Jerusalems durch Nebukadnezar erinnerte. Der Zionsberg ist auch die Grabstätte von König David, aus dessen Haus der Messias kommen soll. Die religiöse Erinnerung, die die Motive „Zerstörung“ und „Erlösung“ verbindet, ist ebenso Bestandteil nationaler Erinnerungen, da beide in Israel nie trennbar sind. Gerade in der Holocausterinnerung und der sprachlichen Beschreibungen sind die nationalen und religiösen Elemente eng verbunden. Dies gilt auch für die 1953 gegründete offizielle staatliche Gedenkstätte in Jerusalem, „Yad Vashem“. Ihr Name „Denkmal und Name“ geht auf das biblische Buch Jesaja zurück, wo es heißt: „Ihnen allen errichte ich in meinem Haus und in meinen Mauern ein Denkmal, ich gebe ihnen einen Namen, der mehr wert ist als Söhne und Töchter: Einen ewigen Namen gebe ich ihnen, der niemals getilgt wird“ (Jesaja 56,5). Er trägt damit eine göttliche Verheißung in sich. Aber auch zu dieser Form des Gedächtnisses trug Lubetkin mit ihren Erinnerungen an den Warschauer Ghettoaufstand bei. Der Aufstand als Schlüsselereignis institutionalisierte die Verknüpfung zwischen Vernichtung und Heldentum. So wurde auch der nationale Gedenktag „Tag des Gedenkens an Holocaust und Heldentum“ genannt. Das geschah 1951, drei Jahre nach der Staatsgründung. Der Tag wurde auf den 27. Nissan des jüdischen Kalenders gelegt. Auch hier ist die Vermischung von nationaler und religiöser Symbolik offensichtlich: Das Datum fällt auf die sogenannten Omer-Tage, an denen traditionelle Juden des Massakers an Juden während der Kreuzzüge gedenken. Außerdem fällt das Datum genau zwischen das Ende des
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Pessachfestes – an welchem man des Aufstands im Warschauer Ghetto gedenkt, er begann Pessach 1943 – und dem israelischen Unabhängigkeitstag. Alle Komponenten des damaligen israelischen Selbstverständnisses kulminieren in dieser Gedenkperiode: die ewige Geschichte jüdischer Verfolgung, der Widerstand gegen die Nazis und die Unabhängigkeit des Staates Israel. Und sie bündeln sich in der Person Zivia Lubetkin. 1953 wurde das Gesetz zur Einrichtung des Holocaustgedenktages endgültig verabschiedet. Seit 1959 erklingt jährlich am Morgen dieses Tages ein zwei Minuten anhaltendes Sirenensignal im ganzen Land, und alle Menschen in Israel sind aufgefordert innezuhalten. All das geschah inmitten von Konflikten und Debatten über die Vergangenheit und Israels Umgang damit, die das Land in den 1950er-Jahren erschütterten. Nach außen hin betrafen sie vor allem die Verhandlungen, die Israel mit der Bundesrepublik Deutschland um Reparationszahlungen führte, nach innen ging es auch darum, wer in welchem Maße während der Zeit der Vernichtung mit den Nazis zusammengearbeitet hatte. Bei all diesen Debatten ging es um die Bedeutung des Todes, des guten würdevollen Todes und der dunklen würdelosen Vernichtung. Ein Beispiel für die israelinternen Auseinandersetzungen ist der sogenannte Kastnerprozess, eine Verleumdungsklage des aus Ungarn kommenden Rudolf Kastner in den Jahren 1954 und 1955. Kastner hatte 1944 mit Eichmann um die Rettung von ungarischen Juden verhandelt. Seit 1943 hatte er in Budapest die stellvertretende Leitung des „Komitees für Hilfe und Rettung“ inne, welches versuchte, Juden aus Polen und der Slowakei nach Ungarn zu schmuggeln. Nach dem Einmarsch der Nazis in Ungarn im März 1944 war diese Arbeit obsolet. Eichmann und Kastner verhandelten daraufhin darüber, ob das Komitee dafür sorgen könnte, britische Lastwagen an die Wehrmacht zu liefern. Im Gegenzug würde Eichmann den Transport ungarischer Juden in den Tod verzögern. Kastner schaffte es 1944, 1.685 Juden vor dem Tod zu retten, zur gleichen Zeit, als ungefähr 400.000 ungarische Juden in den Tod geschickt wurden. Kastner, der nach dem Krieg nach Israel auswanderte, war inzwischen auch Teil des Establishments der herrschenden Mapai-Partei Ben Gurions. Er klagte gegen den Autor eines Zeitungsartikels, der ihn als einen Nazikollaborateur beschuldigt hatte. Der Prozess wurde sehr schnell zu einem öffentlichen Politikum, die israelische Rechte nahm sich der Sache an, Kastner wurde als „Judenrat“ beschimpft und mit ihm auch die Partei Ben Gurions. Der „Ankläger“ Kastners (oder der Verteidiger von Malchiel Grunwald, dem Autor des Artikels gegen ihn) Shmuel Tamir zog die Linie zwischen denjenigen, die heldenhaft Widerstand leisteten, und denjenigen, die mit den Nazis kollaborierten, wobei auch Anspielungen auf „Kollaborationen“ der herrschenden Partei mit den Briten während der Mandatszeit und der Widerstand rechter Gruppierungen mit ins
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Spiel gebracht wurden. Gleichzeitig betonte Tamir auch die Lektionen für die junge Generation, die in Israel aufwuchs und die lernen müsse, wohin Verhandlungen und Kollaboration mit dem Feind führten. Es war der heroische Zionismus, der in diesem Prozess – ebenso wie bei Lubetkin, obwohl sie aus einer radikaleren linken Position heraus argumentierte – als Deutungsmöglichkeit des Holocaust Teil der israelischen Erinnerungslandschaft wurde. Der Richter dieses Verfahrens, der aus Deutschland stammende Benjamin Halevi, urteilte dann auch, dass Kastner seine Seele dem Teufel verkauft habe. Eichmann war der Teufel. Halevi konnte im Juli 1955 kaum ahnen, dass er knapp sechs Jahre später einer der drei Richter im Prozess gegen den „Teufel“ Eichmann sein würde. Kastner wurde im März 1957 vor seiner Haustür erschossen, so dass er nicht mehr erlebte, wie das oberste Gericht im Januar 1958 den „Schuldspruch“ über ihn zurücknahm: Nicht jeder Akt der Zusammenarbeit ist Kollaboration, urteilte das Gericht. Auch die Gespräche mit der Bundesrepublik Deutschland, die Anfang der 1950er-Jahre geführt wurden und die man in Deutschland „Wiedergutmachungsverhandlungen“ nannte, sowie das in Luxemburg 1952 unterzeichnete Gesetz darüber stießen auf Widerstand in Israel. Lubetkin und weitere ehemalige Ghettokämpfer, aber auch die israelische Rechte, positionierten sich klar gegen diese Verhandlungen und das Abkommen: Blasphemie, eine Verunglimpfung der Opfer, eine Schande, der Ausverkauf der nationalen Ehre, mit diesen Begriffen wurde gegen die Verhandlungen mit der Bundesrepublik argumentiert. Der Ghettoaufstand als Inbegriff der israelischen Ehre, des Kampfes der wenigen gegen die Übermacht, als lebende Metapher für die israelische Kampfbereitschaft wurde dem gegenübergestellt. Das Akzeptieren von sogenannter „Wiedergutmachung“ (auf Hebräisch werden die Worte Restitution und Zahlungen benutzt) sei nicht vereinbar mit dieser israelischen Haltung. Es war eine harte Debatte in der israelischen Politik und Öffentlichkeit. Die Erinnerung an den heldenhaften Aufstand musste in dieser Zeit mit der Realpolitik Israels konkurrieren. Das Abkommen mit der Bundesrepublik wurde letztendlich akzeptiert. Es ging vielen Bürgern Israels auch darum, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Der Staat Israel war neue Heimat der Überlebenden. Für Israel als staatliche Institution waren die Zahlungen von Deutschland wichtig, um die großen Einwandererwellen aus dieser Zeit aufzufangen. Hier lässt sich auch eine klare Präferenz für eine institutionelle Strategie zeigen, die sich pragmatisch an der Zukunft orientierte. Aber die Menschen, die überlebt hatten und aus Europa nach Israel kamen, waren nicht nur zukunftsorientiert. Sie suchten in Zeitungsanzeigen nach vermissten Verwandten und auch das israelische Radio hatte eine allabendliche Sendung, über die man nach Freunden und Familien suchen konnte. Die Jewish
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Agency gründete schon 1945 das „Suchbüro für vermisste Verwandte“. Das Büro arbeite bis 2002 und hatte bis dahin mehr als eine Million Anfragen registriert. Auch wenn in den öffentlichen Debatten der 1950er-Jahre der Blick auf die Opfer des Holocaust wenig Raum hatte, kam es zu privaten Äußerungen des Verlustes und des Schmerzes über den Verlust der ermordeten Verwandten und Freunde. Diese privaten Erinnerungen bündelten sich in den Sendungen des Büros, in denen ständig Namen von Suchenden und Gesuchten verlesen wurden. Auch wurde jede Woche eine Zeitschrift veröffentlicht mit Namenslisten von Familien, die einander suchten. Es war eine private Sprache, die sich in dieser Zeit neben der offiziellen Sprache etablierte. Diesem Hören auf die Namen der Gesuchten hat David Grossman in seinem Roman Stichwort Liebe ein Denkmal gesetzt: Im Roman hört der neunjährige Momik Ende der 1950er-Jahre der Radiosendung zu. Momik weiß nicht, was „dort“ passiert war. Seine Eltern reden nicht mit ihm darüber. Für den kleinen Momik sind die Nazis Monster, die das „Dort“ beherrschen. Ende der 1950er-Jahre kam fast ein Viertel der israelischen Bevölkerung von „dort“. Es ist also nicht so, wie oft angenommen, dass die Judenvernichtung in Europe in Israel zwischen 1948 und 1961 ignoriert wurde. Es spielten sich sowohl öffentliche als auch private Ereignisse ab, die es im Bewusstsein der Menschen in Israel ließen. Aber all dies wurde dann durch das Großereignis des Eichmannprozesses in Jerusalem von 1961 überschattet. Zivia Lubetkins nächster großer öffentlicher Auftritt war ihre Aussage als Zeugin im Prozess gegen Adolf Eichmann 1961 in Jerusalem. Dieser Prozess stellte eine wichtige Zäsur für die gesprochene Sprache des Holocaust in Israel dar. Diese wurde zum Zeichen der israelischen Souveränität. Eichmann war 1960 vom israelischen Geheimdienst in Argentinien gefasst und nach Israel entführt worden. Dort stellte ihn Israel – in der Person des Staatsanwalts Gideon Hausner – als Verbrecher gegen das jüdische Volk vor Gericht. Hausner wurde 1915 in Lemberg geboren, ein galizianischer Jude, Sohn eines Rabbiners und eines Zionisten, der mit seiner Familie 1927 nach Palästina einwanderte. Nach seinem Jura-Studium an der Hebräischen Universität arbeite er als Militärrichter und wurde 1960 zum Generalstaatsanwalt ernannt. Der Prozess war sein Prozess und die offizielle hebräische Sprache des Staates und des Prozesses war seine Sprache. Der souveräne Staat Israel, repräsentiert durch Hausner, war das Zentrum des Prozesses. Allein die Tatsache, dass der souveräne Staat Israel einen der wichtigsten Verantwortlichen für die Vernichtung der Juden aus seinem Versteck in Argentinien nach Israel bringen und ihm dort den Prozess machen konnte, war Beleg und Beweis der israelischen Souveränität. Aber in diesem Prozess liefen alle Stränge zusammen: private Erinnerungen, die im Prozess als Zeugenaussagen institutionalisiert wurden, die Debatten um Widerstand und Kollaboration und die Rolle des souveränen Israel. Aus den Juden in Israel wur-
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de im Eichmannprozess ein Staat, der über den Holocaust vor Gericht sitzen kann. Hier konnte sich Israel zum ersten Mal als diese souveräne Repräsentanz der Juden gegen seine und ihre Feinde positionieren – nicht nur gegen die aktuellen Feinde des Landes, sondern gegen die Feinde der Juden in der Vergangenheit. Hier wurde die Unabhängigkeitserklärung mit ihrem Passus über der jüdischen Heimatlosigkeit in die Praxis übersetzt. In diesem Prozess kamen unter weltweiter Beachtung auch die Opfer zu Wort. Und sie kamen in all den Sprachen zu Wort, die Juden in Europa gesprochen haben. Anders als in den Nürnbergern Prozessen (1945–1946) ging es hier nicht um „Verbrechen gegen die Menschheit“, sondern um Verbrechen gegen das jüdische Volk. In diesem Prozess standen – wie in den heute in manchen posttotalitären Ländern eingerichteten Wahrheitskommissionen – weniger die historische Wahrheit und die Verurteilung der Täter im Vordergrund als vielmehr die psychologische und emotionale Wahrheit der Opfer, das Heilen ihrer Wunden. Es ging darum, Zeugnis abzulegen. Vom moralischen Standpunkt aus gesehen sind die Nürnberger Prozesse und der Eichmannprozess keine Dichotomien, die einen vor die Notwendigkeit stellen, zwischen Universalismus und Partikularismus, zwischen Menschheit und Juden zu wählen. Sie sind vielmehr zwei Seiten derselben Medaille. Gut möglich, dass der Prozess dazu dienen sollte, der jungen Nation das, was man gemeinhin Identität nennt, zu vermitteln, den Legitimationsanspruch Israels zu verstärken und dem Gefühl, dass nur Israel Juden verteidigen könne, gerecht zu werden. Aber der Prozess hatte auch zur Folge, dass ehemalige Opfer in einer kollektiven Katharsis offen über ihre Erlebnisse sprechen konnten. Nicht nur heroische Stärke kam zur Sprache, sondern ebenso abgrundtiefe Schwäche, die auf diesem anderen Planeten Auschwitz vorherrschte. Die Stimmen, die in dem Prozess zu hören waren, änderten nicht nur in Israel die Art und Weise, wie man erlittenem Leid eine öffentliche Sprache gibt. Es war nicht mehr nur das nüchterne Verlesen der Namen in den Radiosendungen, nicht mehr das stille Zuhören, es war nicht mehr die Scham, dass man nicht gekämpft hat und Widerstand leistete, sondern das öffentliche Auftreten des „Ich war dort“, fast ein Vierteljahrhundert bevor Claude Lanzmann diesem öffentlichen Auftreten der Zeugen mit seinem Film Shoah ein Denkmal setzte. Und diese Stimmen der Opfer waren die Zeugen der Anklage, was ihren Stimmen die Autorität der Öffentlichkeit gab. Es war, als ob die lebenden Israelis einen Bund mit den ermordeten Juden Europas eingingen. Eine Nation der Überlebenden wurde in diesem Prozess geformt, ein Bündnis zwischen der staatlichen Souveränität und den hilflosen Opfern. Fast einhundert Zeugen sagten im Eichmannprozess aus. Die Geschichten, die sie erzählten, wurden dadurch zur Geschichte. Diese Geschichten waren davor Geschichten sinnlosen Todes und Leidens. Durch die Zeugenschaft wurde ihnen Sinn gegeben und die
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Sprache radikal verändert. Die Sprache des heldenhaften Todes war nun einer der Sprachen, mit denen in Israel über den Holocaust gesprochen wurden. Der Ankläger Hausner versuchte all dem in seiner Eröffnungsrede den Rahmen zu geben: „An dieser Stelle, an der ich vor Sie trete, Richter in Israel, stehe ich nicht allein. Mit mir treten zu dieser Stunde sechs Millionen Kläger auf“, so Gideon Hausner, Staatsanwalt und Ankläger Eichmanns. „Ihr Blut schreit, aber ihre Stimme ist verstummt. Darum werde ich ihr Mund sein: in ihrem Namen werde ich die furchtbare Anklage erheben.“6 Die rechtliche Grundlage für diesen Prozess bestand in einem 1950 vom israelischen Parlament verabschiedeten Gesetz, welches die Todesstrafe für Nazis und deren Helfershelfer in Israel festsetzte. Seine moralische Grundlage war die Absicht, Israel zum Sprecher des gesamten Judentums in der Welt zu machen. Es scheint heute, dass die Planer des Prozesses vor der gesamten Weltöffentlichkeit ein medial vermitteltes Lehrstück als Beleg und Untermauerung von Israels Legitimation zu inszenieren wünschten, wie sie in der israelischen Unabhängigkeitserklärung artikuliert war. Dieses Lehrstück mag zwar geglückt sein, aber die Prozessstruktur, die eine lange Reihe von Zeugenvernehmungen umfasste, löste nicht eingerechnete und unvorhergesehene Konsequenzen aus. Private Erinnerungen vieler Überlebender wurden mit den öffentlich anerkannten Erinnerungen des Widerstands gemischt und zum ersten Mal in dieser Form präsentiert. Noch gab es kein Fernsehen in Israel und der Prozess war für die meisten Menschen ein Hörerlebnis. Und es war ein Hörerlebnis ganz anderer Art als die Verlesung der Namen der Vermissten. Während der Staat eine Aura der Stärke und Macht vermitteln wollte, sprachen Überlebende, immer wieder von Weinen übermannt, von einer ungeheuren Schwäche und von Ohnmacht. Das in den Zeitungen verbreitete Bild, das zum Symbol des Prozesses werden sollte, war das des im Zeugenstand zusammengebrochenen Autors Yehiel Dinur, besser bekannt als „Ka-Tzetnik“, der den Begriff „Planet Auschwitz“ schuf. Schamvolle Erinnerungen vermischten sich mit sakralen Erinnerungen, die der Staatsanwalt historiografisch veranschaulichte. Israel wurde durch den Eichmannprozess jüdischer, als es vielleicht geplant war. Die stolze Nationalstaatlichkeit musste nun mit der außerstaatlichen jüdischen Kultur konkurrieren – und mit ihr gemeinsam über den Holocaust sprechen. Mit ihrer Zeugenaussage im Eichmannprozess spielte Zivia Lubetkin erneut die Vermittlerrolle, indem sie Warschau und Jerusalem zusammenbrachte, aber auch die verschiedenen Betrachtungen des Holocaust. Wie schon 1946 in Yagur war ihre Aussage nüchtern und präzise. Am 3. Mai 1961 saß sie gefasst im Zeugenstand und erzählte vom Ghettoaufstand in Warschau. Ruhig erzählte sie, 6 Gideon Hausner, Justice in Jerusalem, New York 1970, S. 323–324.
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wie einige Kämpfer den deutschen Soldaten trotzten, dass sie wussten, dass sie den Kampf verlieren würden, aber auch dass die Deutschen einen hohen Preis für ihre Niederlage zahlen würden: „Wir haben um unser Leben gekämpft. Wir haben zurückgeschlagen. Das machte es einfacher für uns zu sterben.“7 Das erzählte sie ruhig, mit kontrolliertem Pathos, während sie Eichmann betrachtete und er ihr zuhören musste. Während die Zeugen des Eichmannprozesses vor allem über ihr privates Leid sprachen, blieb mit ihrer Stimme die offizielle Sprache, die Sprache des Widerstands und der Ghettokämpfer, weiter im Raum. Lubetkin war immer noch die Jugend, die die Ehre der Juden rettete. Doch mit der Gleichberechtigung der Stimme dieser Jugend und derjenigen, die vom Leid sprachen, läutete der Eichmannprozess einen Wandel in der Wahrnehmung der Opfer ein. Nicht nur Widerständler, sondern Menschen, die „nur“ überlebten, hatten ein Recht auf Gehör. Lubetkin war schon fast eine Stimme aus der Vergangenheit, ikonisch, heldenhaft, das Symbol für die kämpfende Jugend, Symbol auch für weiblichen Widerstand. Aber nachdem bis 1961 ihre Stimme und diejenigen ihrer Mitkämpfer fast die einzigen offiziellen Stimmen waren, die im Land gehört wurden, musste ihre Stimme nun mit anderen konkurrieren, mit keineswegs heldenhaften Stimmen, mit Stimmen des Alltags. Es war, als ob die Scham für das Überleben in den Zeugenaussagen von 1961 abgeschüttelt wurde. Wie schon in ihrer großen Rede von 1946 trug Lubetkin auch in ihrer Zeugenaussage von 1961 dazu bei, die Überlebenden nicht zu verurteilen. Doch die virulente Spannung zwischen Heldentum auf der einen Seite und traumatisiertem Opfer auf der anderen sollte Teil der Erinnerung in Israel werden wie auch die Spannung zwischen universalen und partikularen Erinnerungen. Zivia Lubetkin starb 1978. In Israel noch immer ein Symbol ist sie außerhalb des Landes kaum bekannt. Und im Jahre 2001, sechsundfünfzig Jahre nach dem Aufstand in Warschau und dreiundzwanzig Jahre nach Zivia Lubetkins Tod, wurde ihre Enkelin, Roni Zuckermann, die erste Kampfpilotin Israels und damit der Kreis zwischen Warschau und Jerusalem geschlossen. Adolf Eichmann wurde am 15. Dezember 1961 zum Tode verurteilt, das Urteil am 1. Juni 1962 vollstreckt. Eichmann wurde durch den Strang hingerichtet, seine Leiche eingeäschert und seine Asche im Meer verstreut. Das bisher einzige vollstreckte Todesurteil in der israelischen Geschichte. Wohl die berühmteste Prozessbeobachterin war Hannah Arendt, die aus New York angereist kam, um für die Zeitschrift The New Yorker über den Prozess zu berichten. Arendt war acht Jahre älter als Lubetkin, 1906 in Hannover geboren. Die beiden haben sich 7 Lubetkin im Eichmann-Prozess. Ihre Zeugenaussage kann hier eingesehen werden (auf Hebräisch): www.youtube.com/watch?v=d8o_kHC1r3A&feature=youtu.be&t=428, letzter Zugriff: 1. September 2020.
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wohl nie getroffen. Ihre Wege kreuzten sich nur am 3. Mai 1961, als Arendt der Zeugenaussage Lubetkins zuhörte. Während Lubetkin in Osteuropa in der Jugendbewegung aktiv war, studierte Arendt in Deutschland Philosophie. Während Lubetkin auf die Naziherrschaft mit sozialistischer Jugendarbeit reagierte, flüchtete Arendt nach Frankreich, wo auch sie in den 1930er-Jahren mit zionistischer Jugendarbeit beschäftigt war. 1940 floh Arendt vor den Nazis in die USA. Als der Warschauer Aufstand 1943 ausbrach, war Arendt schon in New York und arbeitete für amerikanische jüdische Organisationen. Sie wurde durch ihre Totalitarismusstudie in den USA berühmt, während Lubetkin in Israel ihre Arbeit fortsetzte. Zwei weibliche und jüdische Schicksale dieser Zeit. Hannah Arendt ist im deutschsprachigen Raum eher als Weltbürgerin und assimilierte deutsche Jüdin bekannt und gefeiert. Viele sehen sie dort als eine Kosmopolitin, für die ihr Judentum keine Bedeutung hatte, ohne Herzenstakt und Liebe zum jüdischen Volk, wie es ihr auch von Gershom Scholem öffentlich vorgeworfen wurde. Gerade ihr 1964 auf Deutsch erschienenes Buch Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen (der Bericht in englischer Sprache erschien zuerst in mehreren Teilen im New Yorker, 1963 als Buch) bestätigte für viele diesen Eindruck.8 Es war dieses Buch, das den Eichmannprozess außerhalb Israels zu einem Ereignis machte. Arendts Bericht über den Prozess hat den Prozess selbst überlebt, ja die Sprache, wie man über den Holocaust spricht und denkt, insbesondere außerhalb Israels, mitbestimmt. Das Buch wurde zwar erst im Jahre 2000 ins Hebräische übersetzt, aber das heißt nicht, dass ihre Prozessbeobachtungen für das israelische Holocaustverständnis keine Rolle spielten. Arendt trug mit ihrem Bericht zur weltweiten Wahrnehmung des Eichmannprozesses bei, die Person Eichmann lebte in ihrem Buch weiter. Der „gedankenlose“, kleine Schreibtischtäter war geboren. Eine Teufelsgestalt in kleinkarierter Uniform, ein „Hanswurst“, wie sie ihn auch bezeichnete. In Israel war es der Prozess selbst, der die Jahrzehnte danach mitbestimmte, außerhalb Israel war es Arendts Buch über den Prozess. Es waren zwei Bedeutungsweisen des Prozesses, die sich an manchen Stellen überschneiden. Arendts Position war in den 1960er-Jahren die einer amerikanischen Jüdin. Sie konfrontierte die israelische mit einer jüdischen diasporischen Sichtweise und konnte daher auch in einigen Punkten mit ihr übereinstimmen. Arendt vertrat eine andere Form des jüdischen Nationalismus, sie war keine territoriale Zionistin. Und doch hatte sie mit Lubetkin viel Gemeinsames. So hatte sie für Kastner nichts als Abscheu übrig und stimmte mit Halevi überein, dass er in der Tat seine Seele dem Teufel verkauft habe, obwohl der Teufel sich selbst als „Idealist“ 8 Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 1965.
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entpuppte, wie sie bissig bemerkte.9 Ihre Ausführungen über Kastner standen denen von Shmuel Tamir in nichts nach. Obwohl Kastner im Eichmannprozess so gut wie nicht erwähnt wurde, war die mit seinem Namen verbundene Problematik ständig im Raum. Richter Benjamin Halevi sorgte allein durch seine Anwesenheit für die Verknüpfung beider Prozesse.10 Arendt hatte auch kein Problem damit, dass Israel den Prozess durchführte, und sie störte sich auch nicht an der über Eichmann verhängten Todesstrafe. Was sie an dem Prozess kritisierte, war die Interpretation oder die Deutungsform des Holocaust selbst. Und sie hatte auch Einwände gegen die Prozessführung, die mit den Taten Eichmanns selbst nichts zu tun hatte. Es gehe doch in dem Prozess um Eichmanns Taten und nicht um das Leiden der Juden, schrieb sie – und wollte damit einen der wichtigsten politischen Aspekte des Prozesses für Israel nicht erkennen. Hannah Arendt glaubte nicht, dass juristische Prozesse sich zur Aufarbeitung politischer Problematiken eigneten, obwohl sie den Prozess selbst begrüßte. Und sie war auch teilweise entsetzt über die öffentliche Zurschaustellung des Leidens. So sehr sie Lubetkin bewunderte, so sehr konnte sie ihre Abneigung gegen Dinurs Aussage nicht verbergen. Sie wollte und konnte nicht fassen, dass Dinur sich der „normalen“ Zeugenaussage verweigerte und zusammenbrach. Während des Prozesses war Arendt nicht imstande, den paradigmatischen Wandel gerade dieses öffentlichen Mitteilens des Leids voll zu erfassen. „Es geht um seine Taten und nicht um die Leiden der Juden“, wie sie bitter in ihrem Buch schrieb.11 Doch das war zu dieser Zeit wohl niemand. Es dauerte bis 1989, als zum ersten Mal am Holocaustgedenktag ein offizielles Erinnerungsprojekt von Yad Vashem ins Leben gerufen wurde, „Zu jedem Menschen gehört ein Name“, wobei nicht nur alle Namen der Holocaustopfer gesammelt werden sollen, aber die Namen auch laut bei den Trauerfeierlichkeiten verlesen werden und damit auch den individuellen Opfern jenseits der kollektiven Zuschreibungen gedacht werden konnte. Arendts „Widerpart“ im Prozess war der Ankläger Gideon Hausner. Man kann durchaus behaupten, dass sie eine alternative Anklageschrift schrieb, ein alternatives Geschichtsverständnis des Holocaust anbot und damit auch eine alternative Form, wie über den „Teufel“ Eichmann nachzudenken sei. Hausner wollte die jüdische Komponente, die in den Nürnberger Prozessen gefehlt hatte, zum Zentrum des Prozesses machen. Es ging ihm um „Verbrechen gegen das 9 Ahrendt, Eichmann in Jerusalem, S. 117. 10 Benjamin Halevi wurde am 6. Mai 1910 in Weißenfels geboren und wanderte 1933 nach Palästina aus. 1955 führe er den Vorsitz im Kastner Prozess. Einige Jahre später hatte er auch den Vorsitz im Kfar Kassim Prozess gegen israelische Grenztruppen, die ein Massaker an der arabischen Bevölkerung verübten. 11 Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 72.
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jüdische Volk“ und nicht um „Verbrechen gegen die Menschheit“. Historisch geht die universale Deutung des Holocaust auf die Nürnberger Prozesse zurück, auf die sich Arendt und Hausner aus verschiedenen Gründen oft bezogen. Dort konnten Juden nicht als Juden vertreten sein. Vergeblich haben jüdische Organisationen dafür plädiert, als Ankläger in Nürnberg dabei sein zu können. Aber die Siegermächte wollten und konnten das nicht zulassen. Am Ende wurde der organisierte Mord an den Juden als Verbrechen gegen die Menschheit zum Gegenstand der Verhandlungen. Wer sind bei diesen Verbrechen die Opfer – die Juden oder die Menschheit, also alle? Und hier liegt natürlich die Falle dieser Universalität. Die Erinnerung an den Holocaust wird in diesem Sinne zu einem Mahnmal an die allgegenwärtige Modernisierung der Barbarei. Darin drückt sich die historische Erfindung der national und staatlich entgleisten Moderne aus, die das moralische, politische, ökonomische und technologische Katastrophenpotential wie im Schreckensbilderbuch des Reallabors ohne Erbarmen und Rücksicht auf Selbstzerstörung entfaltet hat. In der Erinnerung an den Holocaust gewinnt der Bruch mit der Vergangenheit Macht für die Zukunft. Aber gleichzeitig wurden damit auch die moralischen Grundlagen für globale Institutionen der Gerechtigkeit geschaffen. Aus dem Negativen – aus der Erfahrung dessen, was nie wieder passieren darf – entstanden die UN-Konventionen der Allgemeinen Menschenrechte und der Versuch, den Völkermord als illegal zu erklären, bis hin zu dem Versuch, durch internationales Recht zukünftige „Holocauste“ zu vermeiden. Noch ein weiterer Aspekt prägte Arendts Blick auf den Eichmannprozess in Jerusalem: Sie betrachtete den Prozess als eine aus den USA kommende Jüdin. Es war die von außen kommende jüdische Betrachtungsweise, die mit den israelischen Deutungen konfrontiert wurde. Nicht nur die Formulierung von der „Banalität des Bösen“ oder die Betonung auf den bürokratischen Charakter des Vernichtungsapparats machen Arendts Bericht über den Prozess zu einem bis heute viel gelesenen Buch über den Holocaust, sondern auch ihre Überlegungen, in welcher Sprache man über dieses Ereignis spricht. Bei all dem sollte man aber nicht vergessen, dass Arendt von Anfang an das Heroische in der Katastrophe betonte und dass sie ebenso wie die israelische Rechte und Linke die Zusammenarbeit der Judenräte mit den Nazis von Grund auf verurteilte. Ihr Buch war also auch ein Buch über jüdische Verantwortung und die Möglichkeit des jüdischen Handelns in der finsteren Zeit der Vernichtung. Der Prozess selbst streifte diese Themen nur am Rande, obwohl Lubetkin und ihr Mann Zuckermann diese Frage mit Hausner vor dem Prozess diskutiert hatten, wie Hausner in seinen Erinnerungen an den Prozess berichtete. Arendt war auf jeden Fall von Lubetkins Zeugenaussage sehr beeindruckt. So schrieb sie in Eichmann in Jerusalem: „Den klarsten und aufschlußreichsten Bericht erhielt man von Zivia
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Lubetkin Zuckermann, einer heute etwa 40jährigen und noch sehr schönen Frau, die völlig frei war von Sentimentalität und Selbstbewunderung, die ihre Fakten wohl geordnet im Kopf hatte und stets sicher war, worauf sie hinauswollte.“12 Doch was Hannah Arendt in dem Eichmann-Buch vortrug, war für sie kein neues Thema. Über Lubetkin hatte sie indirekt schon im April 1944, zum ersten Jahrestag des Warschauer Ghettoaufstandes, in einem bewegenden Aufsatz in der deutschsprachigen Exilzeitung Aufbau in New York geschrieben, einem Text, der voller Stolz an den Aufstand der Juden erinnerte: „Für Ehre und Ruhm des jüdischen Volkes“.13 „Ehre“ und „Ruhm“ waren für sie neue politische Vokabeln, die für Juden in ihrer schwersten Stunde relevant wurden. In dem Text erwähnt Arendt auch ihre Einschätzung, dass die Kämpfer sich „als Juden für die Freiheit der Juden zu schlagen wünschen“.14 Es ging ihr darum, dass sich die Juden über diese Kämpfer – und perspektivisch über eine Armee – als Gleichberechtigte in die Völkergemeinde integrieren könnten: „Damit liquidierten sie die Pariastellung des jüdischen Volkes in Europa und ordneten sich als Gleichberechtigte in den Freiheitskamps der europäischen Völker ein“, schrieb sie.15 Aus hilflosen Opfern wurden kämpfende und politisch aktive Menschen. Wenn Arendt in ihrem berühmtesten Aufsatz von 1941 im Aufbau, wo sie für eine Formierung einer jüdischen Armee plädierte, glaubte, dass Juden sich als Juden verteidigen müssen, hatte sie nicht nur Palästina im Blick, sondern forderte Juden in der ganzen Welt auf, mit der Waffe in der Hand für ihre Freiheit zu kämpfen. Der hilflose Tod hat keine Bedeutung für Arendt. Er bleibt stumm. Für sie war es wichtiger „lieber stehend sterben als auf den Knien leben“ wie sie das 1942 in einem anderen Aufbau-Aufsatz, Keinen Kaddisch wird man sagen, betonte.16 Ihr Anliegen sind die jüdische Öffentlichkeit und die Rückkehr der Juden in die Geschichte – auch hier spricht sie eine klare zionistische Sprache, eine Sprache, die bis heute in Israel widerhallt, aber es geht ihr um mehr als um die territoriale Souveränität. Sie versuchte eine öffentliche jüdische Sprache zu (er)finden, die sich politisch versteht und aus der sich ein neues politisches Handeln ableitet. Es ist eine Sprache, die der jüdischen politischen Erfahrung vor der Vernichtung verpflichtet ist, eine Sprache die sich schwer tat, nach der Vernichtung einen Ort zu finden. Die Forderung nach einer jüdischen 12 Ahrendt, Eichmann in Jerusalem, S. 214. 13 Hannah Arendt, Für Ehre und Ruhm des jüdischen Volkes, in: Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde sicher. Beiträge für die deutsch-jüdische Emigrantenzeitschrift Aufbau 1941–1945, München 2000, S. 129–132. 14 Ahrendt, Für Ehre und Ruhm des jüdischen Volkes, S. 132. 15 Ahrendt, Für Ehre und Ruhm des jüdischen Volkes, S. 130. 16 Hannah Arendt, Keinen Kaddisch wird man sagen, in: Vor Antisemitismus, S. 66–68.
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Armee ist da nur ein Beispiel, aber ein wesentliches. Sie ist ein Aspekt ihres Engagements, Juden aus der Anonymität der Geschichte zu holen, sie quasi in griechische Helden zu verwandeln. Daher auch die Anknüpfung an die Makkabäer. Auch das verbindet Hannah Arendt mit Zivia Lubetkin. Arendt und Lubetkin, obwohl in der Sache einig, argumentierten von verschiedenen existenziellen und historischen Voraussetzungen her. Hier die Ghettokämpferin selbst, die Zionistin, Kibbuzgründerin, Ikone des Landes, dort eine aus Deutschland stammende Jüdin, die in den USA lebte, den Prozess selbst kritisierte und eine klare Alternative zur jüdischen Existenz nach dem Holocaust in Israel repräsentierte – in den USA. Die Fragen, die Arendt stellte, sollten auch über die nächsten Jahrzehnte für das israelische Selbstverständnis entscheidend werden: War der Holocaust ein Menschheitsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Juden? Ist das Verbrechen mit anderen vergleichbar? Muss eine besondere Sprache gesprochen werden, um über die Judenvernichtung zu reden? Auch in Israel gibt es natürlich diese Unterscheidungen. In den letzten Jahren haben der Holocaust und das Denken an ihn eine zentralere Bedeutung als je zuvor in der israelischen Geschichte, könnte man auf den ersten Blick meinen. Es gibt mehr Unterrichtseinheiten darüber als je zuvor, die Reisen nach Polen sind so gut wie Pflichtprogramm, der Unterricht darüber ist intensiver, das Sprechen über den Holocaust ist Teil der politischen Sprache geworden, ob es sich um die Bedrohung aus dem Iran oder um Menschenrechtsverletzungen handelt. Aber was heißt das? Das offizielle Gedenken am Holocaustgedenktag wird zur eingespielten Routine. Man hört die Sirenen, man bleibt stehen, der Körper hat die entsprechenden Betroffenheitsrituale schon seit Jahren gelernt. Es gibt Gedenkveranstaltungen in Schulen und Universitäten, es wird traurige Musik im Radio gespielt, es gibt keine Unterhaltungsprogramme im Fernsehen, und Politiker halten Reden, in denen die Wichtigkeit der Erinnerung und das „Nie wieder“ betont werden. Und dann ist der Tag auch wieder vorbei. Israel hat sich mehr oder weniger zu einer westlichen bürgerlichen Gesellschaft entwickelt. Der Heldentod hat in einer solchen Gesellschaft seine Bedeutung eingebüßt. Mit der zeitlichen Entfernung vom Geschehen und mit dem Tod der letzten Überlebenden verändert sich das Gedächtnis des Holocaust, aber es geht jetzt nicht mehr nur um die Universalisierung gegenüber der partikularen Erinnerung, sondern um die Pluralisierung der jüdischen Erinnerungen innerhalb Israels. Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion sehen sich eher als Kriegsveteranen und nicht als Holocaustüberlebende. Für sie ist der „Große Vaterländische Krieg“ wichtiger als Auschwitz. Orientalische Juden wollen ihre eigene Opfergeschichte aufgrund ihrer Vertreibung aus arabischen Ländern. Die arabische Bevölkerung hat ihre eigene Katastrophe, die sie anerkannt ha-
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ben will. Aber auch die Erinnerung an den Ghettoaufstand selbst wird verändert. Das Monopol der sozialistischen Kämpfer wie Lubetkin ist inzwischen gebrochen. Mit der größeren politischen und gesellschaftlichen Pluralisierung des Landes werden mehr Stimmen gehört, die vorher nur unterschwellig präsent waren. Sicher wird der Holocaust immer wieder als Legitimationsgrundlage genutzt. Oft ist es aber auch diese leicht durchschaubare Funktionalisierung und Instrumentalisierung, die spürbar werden lässt, dass dieses Ereignis nicht mehr die formative Rolle spielt, die es einst einnahm.
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Israeli Memory of the Shoah in a Digital Age: Is it Still “Collective”? In this article, we will explore several recent changes in the practices of remembering the Shoah in Israel. Much research on Israeli collective memory has relied on school curricula and textbooks, Holocaust museums, commemorative ceremonies, Poland voyages, museums and political pronouncement of government leaders and politicians. We suggest that the current generation is far more influenced by global digital and social media. The interactive, popular, more iconic and less hierarchical nature of media technologies pose challenges for traditional conceptualizations of collective memory, which often privilege topdown productions and representations. By focusing on several of the forms and products of these technologies, we raise questions as to the relevance of previous analyses of Israeli collective memory for charting trends in the digital generation. We begin with a brief sketch of collective memory and the role of generations as carriers of particular memories, and argue for the relevance of media technologies in determining the shape of memory. We then outline several challenges that digital and social media pose for understandings of collective memory of the Holocaust. Next, we apply these issues to several contemporary Israeli phenomena: selfies in concentration camp visits, the shift from nationwide ceremonies held at key symbolic sites to on-line, home-based gatherings, the diffusion of Holocaust humor and satires in electronic and social media, and the conservative reaction to digital technologies on the part of Israeli Holocaust museums.
Collective Memory of the Shoah As Maurice Halbwachs1 and Jan and Aleida Assmann2 wrote, memory is not something stored in the skull of the individual. It is situated in social frame1 Maurice Halbwachs, The Collective Memory (New York: Harper & Row, 1980). 2 Aleida Assmann, “Memory, Individual and Collective”, in The Oxford Handbook of Contextual Political Analysis, ed. Robert Edward Goodin et al. (Oxford: Oxford University Press, 2006), Note: This research was supported by THE ISRAEL SCIENCE FOUNDATION (grant No. 228/19). https://doi.org/10.1515/9783110710601-011
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works, enabled by changing media technologies, confronted with cultural institutions and shaped by political circumstances. For Halbwachs, collective memory is a current of continuous thought that retains from the past only what still lives or is capable of living in the consciousness of the group keeping the memory alive.3 Memory, he writes, is dependent on groups such as family, class, religion, nation, and generation. We may summarize his thought as follows: 1. Memories are located in space and time. 2. Memories form identities of particular groups, as groups reform memories. Each group in a particular epoch selects from the wealth of history what corresponds with its own understandings. 3. Memories can be and are reconstructed, primarily through ritual, image and word. 4. Unlike memory, history flattens the social differences, reorganizes and homogenizes facts. It is free of loyalties, seeks distance and objectivity. Thus, history is not memory.4 Consequently, there are as many memories as there are groups, and memories are constantly being revised as time passes and the nature/identity of the group changes. Holocaust memory is shaped in different ways by political, linguistic and social circumstances in different locations5, as well as by the passage of time marked by generations. A generation is a social and cultural group that shares common experiences, even a common destiny, by virtue of historical events that occur in their members’ lifetimes, and their position relative to other generations that experienced the event.6 The classification of Holocaust memory transmission according to generations began when, in the clinical context of PTSD (Post Traumatic Stress Disorder) the symptoms and malaise that were diagnosed among the sur210–224; Jan Assmann, “Communicative and Cultural Memory”, in Cultural Memory Studies, ed. Astrid Erll and Ansgar Nünning, (Berlin: de Gruyter, 2008), 109–118. 3 Halbwachs. The Collective Memory, 80. 4 Suzanne Vromen, “The French Pantheon: A study in Divisiveness”, The Journal of Arts Management, Law, and Society, 25 (1995): 27–37. Following Foucault and Said, the objectivist view of history has been contested extensively. For the Israeli context, see Yael Zerubavel, Recovered Roots: Collective Memory and the Making of Israeli National Tradition (Chicago: University of Chicago Press, 1995). 5 For a book-length survey of several countries, see The World Reacts to the Holocaust, ed. David S. Wyman, (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1996). 6 Karl Mannheim, “The Sociological Problem of Generations”, in Essays on the Sociology of Knowledge. (London: Routledge, 1952), 286–320; Amy Corning and Howard Schuman, Generations and Collective Memory (Chicago: University of Chicago Press, 2015); Ulrike Jureit and Christian Schneider, Gefühlte Opfer. Illusionen der Vergangenheitsbewältigung (Stuttgart: Klett-Cotta, 2010).
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vivors were applied to their descendants in the psychological literature of the 1990s.7 In Israel, the term “generation”, as related to the Shoah, refers to the age cohort in the society at large. It is in this broader sense that we speak of different generations to describe societal or global processes of change, rather than the more intimate practices of transmission, traumatization or workingthrough within families, especially those of victims or perpetrators.8 After an initial post-war period of silence on the part of many survivors and the silencing of the witnesses in Israel as elsewhere,9 various countries erected memorials and later, museums of the Shoah. The peak period of museum creation was in the 1980s and 1990s, as the survivors and their generation reached old age. This interval accords with the wider memorial phenomenon Pierre Nora termed lieux de mémoire: “moments of history torn away from the movement of history, then returned; no longer quite life, not yet death, like shells on the shore when the sea of living memory has receded.”10Lieux de mémoire are sites and rites consciously established to arrest the flow of time, to create something that can guarantee tradition and memory in the future, when the protagonists are no longer alive. The rapidity of change, the increased mobility of people, ideas, capital and technologies often led to the disappearance of organic communities that could preserve and transmit memories. Thus, nations and larger imagined communities11 erect monuments, found commemorations, build museums, and create uniform educational practices instead. Generations that grow up beginning in this period have little or no direct access to the event through personal experience of the Shoah or family eyewitness accounts, and instead rely on what Marianne Hirsch termed “postmemory”, a memory “mediated not by recall but by imaginative investment, projection, and creation”.12 This kind of memory has also been called “prosthetic memory” – memory transmitted through media (like films, memorials, museums and ceremonies) that 7 Yael Danieli, “The Treatment and Prevention of Long-Term Effects and Intergenerational Transmission of Victimization: A Lesson From Holocaust Survivors and Their Children”, in Trauma and its Wake, ed. Charles R. Figley (New York: Brunner/Mazel, 1989), 295–313. 8 The Holocaust in Three Generations: Families of Victims and Perpetrators of the Nazi Regime, ed. Gabriele Rosenthal (Opladen: Barbara Budrich, 2010); Dan Bar-On, Fear and Hope: Three Generations of the Holocaust (Cambridge: Harvard University Press, 1995). 9 The process of social silencing of the Holocaust has been well-documented for Israel, Germany, the USA and many other countries. See Wyman, The World Reacts. 10 Pierre Nora, “Between Memory and History: Les Lieux de Mémoire”, Representations 26 (1989): 7–24, here 12. 11 Benedict Anderson, Imagined Communities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism (New York: Verso, 2006). 12 Marianne Hirsch, The Generation of Postmemory: Writing and the Visual Culture after the Holocaust (New York: Columbia University Press, 2012), 5.
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has integrated itself into our recall, even though we have not experienced it directly.13 Historian Annette Wieviorka named the period from the Eichmann trial in 1960 through the 1990s, “The Era of the Witness”.14 The eyewitness testimony of the survivors, rather than the documents of the perpetrators, took center stage. Survivors’ and victims’ objects were collected and the places of their former lives and suffering were marked and signposted. New Holocaust memorials and museums throughout the Western world centered on the personal experiences of the victims and survivors.15 This is also the time of the “memory boom”, a proliferation of books and articles on the subject of memory, in part occasioned by the moral command to “remember and never forget” the Shoah.16 In the contemporary period, as the last of the survivors is passing away, the new global discourse has made the Holocaust a universal “moral touchstone in an age of uncertainty [in] the absence of master ideological narratives” and “a moral certainty that now stretches across national borders”.17 Technological innovations have always changed the nature and possibilities of memory – whether it be the invention of alphabetic writing, the printing press or the television.18 Beginning in the 1980s, the memory of the Shoah has been shaped by innovations in media technologies and representations, such as the Yale Video Archive. As a result of this new visual technology, not the words (as in documents or written materials), but the bodily presence of the aging witnesses becomes the sign of authenticity. The facial expressions and tears, stuttering and silences, become hallmarks of “deep memory”19. In Amit Pinchev13 Allison Landsberg, Prosthetic Memory: The Transformation of American Remembrance in the Age of Mass Culture (New York: Columbia University Press, 2004). 14 Annette Wieviorka, The Era of the Witness, trans. Jared Stark (Ithaca: Cornell University Press, 2006). 15 We cannot detail here the processes of cosmopolitization, European unification, perpetrator and colonial guilt, identity politics and the adoption of screen memories that, along with the passage of generational time, account for the spread of these memory forms. See Daniel Levy and Natan Sznaider, The Holocaust and Global Memory (Philadelphia: Temple University Press, 2006). Michael Rothberg, Multidirectional Memory: Remembering the Holocaust in the Age of Decolonization (Stanford: Stanford University Press, 2009). 16 Jay Winter, “The Generation of Memory: Reflections on the ‘Memory Boom’ in Contemporary Historical Studies”, Canadian Military History 10, no. 3 (2001): 57–66. 17 Daniel Levy and Natan Sznajder, “Memory Unbound: The Holocaust and the Formation of Cosmopolitan Memory”, European Journal of Social Theory 5 (2002): 87–106, here 102. 18 Marshall McLuhan, The Gutenberg Galaxy: The Making of Typographic Man (Toronto: Toronto University Press, 2011). 19 Shoshana Felman and Dori Laub, Testimony: Crises of Witnessing in Literature, Psychoanalysis, and History (New York: Routledge, 1992); Lawrence L. Langer, Holocaust Testimonies – The Ruins of Memory (New Haven: Yale Univ. Press, 1991).
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sky’s words, “the technological unconscious of trauma and testimony discourse is the videotape as an audiovisual technology of recording, processing, and transmission”.20 Thus, changes in technology – in this case, widely accessible video recording, reproduction and circulation – determine the shape of memory. Over the last two decades, the generational divide between older and younger generations in respect to Holocaust memory and commemoration is most crucially defined through their relation to digital media. Hartmut Rosa argues that “‘digital natives’ belong to another ‘country’ and the ‘digital generation’ is separated by a huge gap from the ‘analog’ generation”.21 Whereas older generations often feel foreign to the digital practices they witness, for many young people, previous memorial forms are unattractive, whereas enacting memory practices through digital media is a way of meaningfully relating to the past. The changes incurred by the rise of digital media correspond, and may be accelerated, by the passing away of the last of the eyewitnesses or flesh-witnesses. The demise of the witness as the auratic “embodied memory” provides greater space for electronically-mediated representations to fill the gap. Some of the significant changes resulting from the transmission of the past through new media are: 1. Traditions become detached from moorings in particular locales.22 The knowledge and experiences once concentrated in sacrosanct Holocaust shrines such as Auschwitz or Yad Vashem are now accessible from any cellphone. Moreover, the profusion and easy accessibility of images of the sites on cellphones, means that increasingly the sites are consumed and authenticated only insofar as they correspond to those images. 2. The greater capacity for interactivity bypasses the gatekeepers of knowledge and memory, and challenges the authority of educational and memorial institutions. Even when they respond to social media, they do so with reduced authority. Thus, popular, privately initiated projects (such as Eva’s Stories, see below) and humorous and parodic accounts of the Holocaust are available alongside centralized top-down forms. 3. The mediation of tradition becomes detached from personal face-to-face interaction in locales of everyday life. This generates a broader spectrum of 20 Amit Pinchevski, “The Audiovisual Unconscious: Media and Trauma in the Video Archive for Holocaust Testimonies”, Critical Inquiry, 39 (2012): 142–166, here 144. 21 Hartmut Rosa, Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in de Moderne (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2015), 45. 22 John B. Thompson, “Tradition and Self in a Mediated World”, in Detraditionalization: Critical Reflections on Authority and Identity, ed. Paul Heelas, Scott Last, and Paul Morris (Malden: Blackwell, 1996), 89–108, here 99.
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commemorative forms and has implications for the significance of commemorations in creating social solidarity. Some media scholars have suggested that the changes incurred by the rise of digital and social media are so profound, that it renders the notion of “collective memory” obsolete. Andrew Hoskins therefore suggested replacing the term “collective memory” with the term “memory of the multitude”23 and David Lowenthal noted that, in this context, the past is “no longer what elites and experts tell us it was; the past becomes what Everyman chooses to accept as true”.24 On the other hand, as Andrei Zavadski and Florian Toepfl have showed, in certain contexts – as in Russia, for example – digital practices reproduce and reinforce narratives supported by the elites.25 And Yasmin Ibrahim argues that “by recording, archiving, and re-playing trauma, these technologies can re-distribute trauma to new audiences, making these available ‘on-demand’ and through ‘click’ economies of downloading, co-creation, and curation in the digital economy. In enabling the release of testimony as an artefact, these technologies of trauma produce in renewed terms the audiences as ‘witnessing’ subjects.”26 We now explore the implications of these media technologies for the transmission of the Holocaust in Israel.
Selfies and Authority in Memorial Sites Over the past three decades, Holocaust tourism has continued to increase, corresponding to a desire for multi-sensory experience of “being there”.27 Schools
23 Andrew Hoskins, “Memory of the Multitude – The End of Collective Memory”, in Digital Memory Studies – Media Pasts in Transition (New York: Routledge, 2017), 85–109. 24 David Lowenthal, “The Past Made Present”, Historically Speaking 13 (2012), no. 4, 2–6, here 3. 25 Andrei Zavadski and Florian Toepfl, “Querying the Internet as a Mnemonic Practice: How Search Engines Mediate Four Types of Past Events in Russia”, Media, Culture & Society 41 (2019): 21–37. 26 Yasmin Ibrahim, “Technologies of Trauma: Flesh Witnessing to Livestreaming Online”, Human Arenas, June 1, 2020, https://link.springer.com/article/10.1007/s42087-020-00120-y, accessed March 1, 2021. 27 Carol Kidron, “Being there Together: Holocaust Tourism and the Emotive Experience of Copresence in the Holocaust Past”, Annals of Tourism Research 41 (2013): 175–194; Jackie Feldman, Above the Death-Pits, beneath the Flag: Youth voyages to Poland and the Performance of Israeli Identity (New York: Berghahn, 2008), 30–55.
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in Israel, as well as the Israeli army28 and other institutions, have integrated visits to the death camps in Poland or to local camps and Shoah museums and memorials into formal and informal education. In many cases, the virtual has become co-present at the site. Israeli students view Schindler’s List on the bus ride to Auschwitz and expect the site to look like the film. A forest of selfie-sticks springs up at the entrances to Auschwitz, as visitors need to prove (immediately!) to others that one has “been there” by instantaneously posting photos and receiving “likes”.29 As Andrew Hoskins notes, “there is a digital creeping inversion of the relationship between the sanctity of the occasion and its vulnerability to hyperconnective interruption. The more special the moment, the greater the compulsion to render it grey and digitally deferred to another (and even real-) time, another ‘social’ network, another archive”.30 Here, the emptiness and silence of the death camps seems to be obscured completely by the forest of selfie-sticks and the sounds of clicking shutters. The resulting photos can be framed, tinted, manipulated, and posted and circulated everywhere – from Holocaust education sites and documentary films to hashtags such as #Auschwitz and #girl, Flickr and Grindr platforms.31 Both the performance of the taking of selfies, as well as their subsequent circulation, provoked protest by institutions and educators, some of whom see this as a desecration of the sanctity of the site and of the memory of the dead. The taking and posting of selfies privileges the online social media friends over those in physical proximity. Thus, the performance of digital communication (posing, posting, receiving likes, etc.) ignores the effect that the selfie sticks have on other visitors to the physical site. The effect of proximity and simultaneity as an expression of social solidarity – the ritual frame of entering the camp together through the Arbeit Macht Frei gate – is dissolved. It is hard to remain a solemn pilgrim when surrounded by posing tourists. Thus, the prolif-
28 Avner Ben-Amos and Tammy Hoffman “‘We Came to Conquer Majdanek’: The Israel Defense Forces Delegations to Poland and the Military Usage of Holocaust Memory”, Israeli Sociology 12 (2011): 331–354. 29 Tanja Seider, “Inszenierung in den Filmen Austerlitz und #uploading_holocaust: Praktiken des Shoah-Gedenkens in zwei Dokumentarfilmen”, in Erinnerungspraxis zwischen Gestern und Morgen. Wie wir uns heute an NS-Zeit und Shoah erinnern, ed. Thomas Thiemeyer, Jackie Feldman and Tanja Seider (Tübingen: Tübingen Vereinigung für Volkskunde, 2018), 111–127. 30 Wulf Kansteiner, “The Holocaust in the 21st Century: Digital Anxiety, Transnational Cosmopolitanism, and Never Again Genocide without Memory”, in Digital Memory Studies: Media Pasts in Transition, ed. Andrew Hoskins (New York: Routledge, 2018), 110–140. 31 Stephanie Benzaquen, “Post, Update, Download: Social Media and the Future of Auschwitz Remembrance”, in: Auschwitz Heute – Dzisiaj – Today (Berlin: Hentrich & Hentrich, 2015), 135– 148, here 142.
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eration of virtual media poses challenges to traditional forms of solidarity and social memory grounded in place.32 For example, the Auschwitz Memorial posted tweets to admonish tourists taking selfies of themselves as they performed balancing acts along the rails of Birkenau: “When you come to Auschwitz Museum, remember you are at the site where over 1 million people were killed. Respect their memory”, the post said. “There are better places to learn how to walk on a balance beam than the site which symbolizes deportation of hundreds of thousands to their deaths.”33 They posted a series of proper, “respectful” photos and selfies of visitors on their site. This rebuke engendered talkbacks on the part of visitors; with each reply, the curators of the memorial lose of their authority and become simply one more talkback in the chain. Indeed, some of these phenomena predate the cellphone. Already in the 1970s, the educational staff of German memorial sites complained about the disrespectful behavior of visitors, and in the early 1990s, bottlenecks of picturetaking youths clogged the entrance to Auschwitz 1. But the proliferation of cellphones and instantaneous communication has made the situation much worse. If earlier scholars identified the functions of Holocaust photos as “caught between performing as a history lesson and providing a site for mourning”,34 one wonders if the primary function of these selfies is the replacement of the memory of the Holocaust by its trivialization – the celebration of the status of the picture-taker as tourist.35 Other scholars, however, have warned against the equation of Holocaust tourism with frivolity36 and have argued that the “selfie can be construed as […] a way to inscribe oneself into a memory-scape […]. This makes the ‘I was there’ doubly reliable as it is conveyed through both the body and an emblematic site”.37 The gesture of holding a camera, looking into it and taking a snapshot of oneself consolidates, as Paul Frosh has noted, the selfie as a “reflexive im-
32 See Sergei Loznitza’s film Austerlitz. 33 Twitter account, Auschwitz Memorial, March 20, 2019. 34 Andrea Liss, Trespassing Through Shadows: Memory, Photography and the Holocaust (Minneapolis: University of Minnesota Press: 1998). 35 Victoria Grace Walden, “New Ethical Questions and Social Media: Young People’s Construction of Holocaust Memory Online”, Frames Cinema Journal 7 (2015), http://framescinemajournal.com.proxy.ub.uni-frankfurt.de/article/new-ethical-questions-and-social-media-youngpeoples-construction-of-holocaust-memory-online/, accessed October 1, 2020. 36 Daniel P. Reynolds, Postcards from Auschwitz: Holocaust Tourism and the Meaning of Remembrance (New York: New York University Press: 2018). 37 Benzaquen, “Post, Update, Download”, 144.
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age.”38 In addition, since selfies are usually uploaded to the web almost at the moment of being taken, they are not a snapshot of the past, but a snapshot of the present that can affect it and eventually change it. Students in a German-Israeli exchange project claimed that the selfies they posted were a way of getting their friends, who otherwise suffered from “Holocaust fatigue”, interested in the events of the Shoah.39 Some students claim that the manifestation of vivacity in the often ludic photos should be understood as a triumph of life over death or as an act of bearing witness. Many of the selfie-taking and posting practices continue pre-digital trends: In Israeli trips to Poland, the survivors played a key shamanistic role in connecting between the dead and the living, bringing the remains to life, and according a key role to the youth as future transmitters. In the Israeli trips to Poland, “through the ritual re–enactment of the path of the witness, the students become witnesses of the witnesses (emphasis mine, JF), and their bodily presence – as young, vital Israelis on the site of the murder of the Jewish people – is cast as proof of Jewish continuity, a redemptive answer to the Shoah”.40 In the absence of survivors, video recordings of their testimony and accounts of their lives were often played in situ. With selfies, however, the visitors situate themselves as vicarious witnesses. They ask their digital friends to relate to the Holocaust because they have been “there”; their experience, rather than that of the victims, becomes central in memory. They claim to be witness of the witnesses, without experiencing the trauma and pain that was the witnesses’ lot, sometimes without even having heard the testimony of the witnesses. This lack of trauma/suffering is even more blatant when the selfies are posted on tourist sites or dating platforms, as an act of seduction. The replacement of the witness/survivor by the tourist/selfie taker is also a continuation of pre-digital practices of corporeal identification. On Israeli trips to Poland, some Israeli guides crowded participants into the gas chambers or barracks so that they could sense what it was like to be a victim/prisoner. The Israeli youths who filmed themselves stripping down to their underwear on a winter’s day in Birkenau to experience the cold of the victims may be just an extension of this tendency. A most recent expression is the 2020 posting on the TikTok social media platform of contemporary teenagers who draw scars on 38 Paul Frosh, “The Mouse, the Screen and the Holocaust Witness: Interface Aesthetics and Moral Response”, New Media & Society 20 (2018): 351–368. 39 Thiemeyer, Feldman and Seider, Erinnerungspraxis, 144a–d. 40 Jackie Feldman, “Nationalizing Personal Trauma, Personalizing National Redemption: Performing Testimony at Auschwitz-Birkenau”, in Remembering Violence: Anthropological Perspectives on Intergenerational Transmission, ed. Nicolas Argenti and Katharina Schramm (New York: Berghahn, 2010), 103–134, here 110.
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their faces and “report from heaven”, positioning themselves as victims of the gas chambers. The Auschwitz Museum reacted: “The ‘victims’ trend on TikTok can be hurtful and offensive. Some videos are dangerously close or already beyond the border of the trivialization of history.[…] While it is essential to use personal stories, not every social media activity can commemorate the Holocaust.[…] We are not allowed to put people in a victim’s position.”41 Far more people will view the TikTok post than will read or heed the Auschwitz museum’s warning, which has become just one more talkback in the blogchain. Victoria Grace Walden offers an alternative view: Shaming these young people, who, after all, had made the effort to visit a Holocaust memory site […] seems unproductive and unethical in the context of Holocaust education and Holocaust memory […]. Should we more carefully consider their intent, their learning experience, and the effect the circulation of their images might have on encouraging other young people to visit these sites? Are their images distortion or rather a new aesthetic form that more mature Holocaust educators do not understand?42
Witnessing as a cultural form is changing: from flesh witnessing to a post-digital age, in which there are no more flesh witnesses and we are left with mediated witnessing.
Changing Forms of Holocaust Commemoration One of the key nodes of Israeli Holocaust remembrance is the annual Yom Hashoah ceremony. By standing together in silence at the sound of the siren, by coordinating school and local ceremonies with the national ceremony held at Yad Vashem, solidarity in memory is achieved. While state-sponsored events like the Yad Vashem ceremony are still widely viewed on television, ratings have consistently weakened over the years, as has participation in local civic ceremonies.43 A new form, Zikaron basalon (Hebrew for memory in the living room) has become exceedingly popular. These meet41 Auschwitz Museum, Twitter account, August 26, 2020, also cited on BBC News, August 27, 2020, www.bbc.com/news/newsbeat-53934500, accessed January 9, 2021, and The Guardian, www.theguardian.com/technology/2020/aug/26/auschwitz-museum-calls-tiktok-holocausttrend-hurtful-and-offensive, accessed January 9, 2021. 42 https://digitalholocaustmemory.wordpress.com/2020/09/10/tiktok-holocaustchallenge, accessed September 12, 2020. 43 Ben-Amos and Hoffman, “We Came to Conquer Majdanek”.
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ings, held in private homes, have rallied together 750,000 people in 100,000 ceremonies. They contain a testimony of a witness or second generation, a discussion, and other elements They are personalized, intimate and interactive. Most are scheduled for the eve of Yom Hashoah, so that those participating will not attend a local evening ceremony or watch the central YV ceremony on TV. One reports: (Zikaron basalon) is doing to memory what Google did to our email, and what Facebook did to the way we communicate. It takes this thing and personalizes it. Adjusts it just for you […] this is why we are successful – [our generation] needs and loves things to be just right for us: our coffee, our Facebook – our memory […]. And it’s amazing because it is to take something so sensitive like memory and adjust it.[…] Now there is a platform that is just right for me, and I can do what I want and talk about what I choose.44
In April 2020, during Yom Hashoah, Israelis were confined to their homes. Due to the corona virus restrictions, no public ceremonies were held. Thus, commemorations and meetings moved online. Yad Vashem broadcast the traditional ceremony on Remembrance Day but, without a live audience. zikaron basalon held zoom meetings, in which audience members, each in their living room, shared memories, thoughts and conversation. It is estimated that the number of online participants exceeded that of in-person gatherings of previous years. Digital technologies allowed a private-public space in which to remember, thus extending Pierre Nora’s lieux de mémoire to include many places merging into a digital one. Victoria Grace Walden suggested: “Perhaps we can go forward and think further about how digital media might enable a return to personal, embodied memory, yet without destroying the powerful communal experience of commemorations.”45 Perhaps the most popular medium of Holocaust memory consumed on Holocaust Memorial Day 2019 was Eva’s Stories.46 Based on the wartime diary of a Hungarian Jewish victim, the teaser asked: “What if a girl in the Holocaust had an Instagram account?” It was broadcast on Instagram in 220 60-second segments on Holocaust Memorial Day 2019. Its producer, Matti Kochavi, explained: “In the digital age, when the attention span is low but the thrill span is 44 Rebecca Kook, “Agents of Memory in the post-Witness Era: Memory in the Living Room and Changing Forms of Holocaust remembrance in Israel”, Memory Studies, forthcoming; Liat SteirLivny, “Remembrance in the Living Room [Zikaron b’Salon]: Grassroots Gatherings as New Forms of Holocaust Commemoration in Israel”, Holocaust Studies 26 (2019): 241–258. 45 https://digitalholocaustmemory.wordpress.com/2020/05/04/implications-of-physical-distancing-for-commemoration/, accessed September 12, 2020. 46 Noam Tirosh, “Understanding @Eva.stories: Holocaust Memory in the Instagram Era”, Jewish Film & New Media, forthcoming.
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high, and given the dwindling number of survivors, it is imperative to find new models of testimony and memory.”47 As of April 2020, the Instagram account of Eva’s Stories has 1.4 million subscribers. Other popular forms are satires of Holocaust memory in mass media beginning in the 1990s, and subsequently, in digital media. A fairly recent one is a 2012 sketch on the popular television comedy program Eretz Nehederet. It portrays a group of diaspora Jewish teenagers on a guided tour led by the Israeli guide Ze’ev, following their visit to Masada: I quote Avinoam Patt’s description and analysis: (Ze’ev): Here is the schedule for the rest of the day. At 12:00 we will arrive at the Haganah Museum [the tour groups screams and claps in joy; Josh shouts, “Fucking awesome!”], from there we will continue to Hasmonean village to see the olive press [more cheers and applause], and at the end, only if there is time, only if we have time and all goes according to plan [“please, please, please”, says Melissa, the New York Jewish princess], I intend to take you to […]Yad Vashem Museum [kids are beside themselves, “Fucking awesome”, screams Josh, while Melissa and her friend sing “Yad Vashem, you so fine, you so fine you blow my mind!”]. Ze’ev continues with his explanation: “Yad Vashem is a museum dedicated to the Holocaust [as he plays a recording of the theme from Schindler’s List]. We will give you some time to yourselves to be sad and at the same time to SMS your parents to continue donating to the state of Israel so there won’t be a second Holocaust, because the sequel is never as good as the original.” (“No problem”, says one of the girls. “My parents have lots of money; abba sheli has tons of kesef rav [my dad has tons of money].”) Ze’ev passes around a blue JNF pushke (charity tin) equipped with a credit card swiper to collect donations. The skit pokes fun at the degree to which the Holocaust has become a tourist attraction (“Yad Vashem, you so fine”).[…] The commentary extends, however, to the willingness to make use of the Shoah as a philanthropic tool – please continue to support Israel “so there won’t be a second Holocaust, because the sequel is never as good as the original.” […] The tour guide, Ze’ev, like Prime Minister Netanyahu, is willing to invoke the prospect of a second Holocaust to justify defense of Israel (where there are now 6 million Jews).48
An interesting question is: Why do the same Israeli youths who consume these skits and jokes on their cellphones continue to participate and even initiate sacrosanct commemorative ceremonies in their schools on Holocaust Memorial Day? Steir-Livny suggests that “the satirists […] [turn] the Holocaust from an historical event to a representation of the representation, a situation in which the creators do not refer to actual historical events from the Holocaust, but 47 Tirosh, “Understanding @Eva.stories”. 48 Avinoam Patt, “‘Yad Vashem, You So Fine!’: The Place of the Shoah in Contemporary Israeli and American Comedy”, in Humor and the Holocaust, ed. David Slucki, Gabriel N. Finder and Avinoam Patt (Detroit: Wayne State University Press, 2020), 261–284, here 268.
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rather respond to other texts representing the Holocaust as acts of homage to them.”49 In other words, these satires do not question the events of the Holocaust, but rather the state culture of representation and political instrumentalization, thus “recovering” the Shoah from its trivializations.50 We question this somewhat functionalist interpretation. If we take the spread of social media seriously, we need to question which represents Israeli collective memory more accurately: the official Yad Vashem and school ceremonies or the Eretz Nehederet spoof or social media meme?51 We contend that in order to understand how collective memory is (re-)constructed in Israeli public culture, we must follow the tensions between traditional commemorations and the architecture of new media and digital commemorations. Rather than having the top-down forms stand for the national Israeli “collective memory”, while allowing some room for minority or protesting voices (Temuna Theatre, Haredim, Mizrachim, Palestinian citizens of Israel), we suggest that the digital age gives rise to multiple memories of the Shoah, without a clear “collective”.
Israeli Holocaust Museums: Institutional Responses and Resistance to Digital Media Smartphones and social media pose a challenge to the centralization and sanctification of memorials and museums, which serve as “temples of the Shoah”. Media researchers argue that both mass media and social media tend to provide entertainment rather than moral effect, demand superficial attention and a short attention span, rather than lasting change.52 Because of the diffuse nature and easy accessibility of virtual data, and the shift from a top-down distribution model to a horizontal one, in which audiences comment, critique, reframe and remix the content; curators, administrators and educators at memorial sites often hesitate to embrace digital and, especially, social media. Some Holocaust museums and memorials attempt to combat the flattening of authority and the disappearance of the living witness, by investing heavily in the authority of the artifact as a way of conveying the presence and experience 49 Liat Steir-Livny, Is it OK to Laugh about It? Holocaust Humour, Satire and Parody in Israeli Culture (London and Portland: Valentine Mitchell, 2017), 103–104. 50 Steir-Livny, Remembrance in the Living Room. 51 Patt, “Yad Vashem, You So Fine”; Amit Pinchevski, Transmitted Wounds: Media and the Mediation of Trauma (Oxford: Oxford University Press, 2019), 91. 52 Motti Neiger, Oren Myers, and Eyal Zandberg, On Media Memory: Collective Memory in a New Media Age (New York: Palgrave MacMillan, 2011), 6.
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of the victims. As the chairperson of Yad Vashem, Avner Shalev, related in an interview: When we wrote the program [for the new museum, opened 2005] […] we knew that we wanted to amplify dramatically the authority of the artifacts we possess.[…] The objects were to serve as metonyms for the individual victims, to “tell their story”: Many survivors told me this, when we opened the museum for a week just for them. The response was tremendous and the sentence that repeated itself over and over was, “now we know that we can leave the world. Someone took over the ability to transit what we wanted to transmit to others”.53
Recently (2017), Yad Vashem initiated a section in the museum and on their website called “Artifact of the Month”.54 Selected objects from the Yad Vashem artifact collection are narrated by their donors and owners/wearers. The personal testimony about the object, presented by the survivor (often along with family members) is filmed and photographed. The object and story are placed on temporary display in the reception building of Yad Vashem, and are made available on the Yad Vashem website. We might argue that the filmed/video testimony is seen as a supplement needed to personalize the object, beyond the aura of the artifact itself and at the same time it may increase the aura of the artifact and thus its authority.55 Holocaust museums and memorials hesitate to bring more adventurous forms of digital media into the core of the museum/memorial. When they do adopt digital media, they are most likely to provide documents and recordings of witnesses, but limit interactivity and attempt to assert control over its contents.56 Even relative to other Holocaust museum practices (e. g. the adoption of hologram-testimony of survivors), Yad Vashem is particularly conservative. The museum of Yad Vashem provides no platform for interactive involvement on 53 Chairman of Yad Vashem, Avner Shalev, interview with Jackie Feldman, September 25, 2005. 54 For one example, see www.yadvashem.org/blog/artifact-of-the-month-marcel-levi.html, accessed October 1, 2020. 55 It is thus perhaps no accident that augmented reality screens are used at Bergen-Belsen, where no buildings or artifacts compete for the visitor’s attention. Without the augmented reality, visitors cannot succeed in imagining the Holocaust in what looks like a “natural park with trees and flowers” (www.belsen-project.specs-lab.com, accessed October 1, 2020). On the relation between testimony and artifact in museums, see Thomas Thiemeyer, “Work, Specimen, Witness: How Different Perspectives on Museum Objects Alter the Way they are Perceived and the Values Attributed to Them”, Museum and Society 13 (2015): 396–412. 56 Kansteiner, “The Holocaust in the 21st Century”; Anna Reading, “Digital Interactivity in Public Memory Institutions: The Uses of New Technologies in Holocaust Museums”, Media, Culture, and Society 5 (2003): 25–67.
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the part of visitors, and both the architecture and the training of guides are designed to present a consistent, teleological narrative: to get the facts right, to highlight identification with the individual victim, and to portray the State of Israel as the redemptive close of the Holocaust.57 The extensive network of survivor contacts and the wealth of artifacts in Yad Vashem may make them wary of undercutting their authority by promoting digital interactivity. As guardians of what they refer to as “the heart/core of the Shoah” – the historical events of 1939–1945, they see the unfiltered mass of information as a threat to their responsibility towards the memory of the victims and to the veracity of the history they seek to curate. The proliferation of mediatized representations may also compete with the site and its artifacts. Hence, the more extensive the in situ remains and artifacts, the more likely that the museum and memorial will refrain from adopting augmented reality or other adventurous applications to visualize the Shoah.
Cracks in the Consensus: Can We Still Speak of Israeli Collective Memory of the Shoah? Israeli Holocaust memory must cope with a series of challenges resulting from the juxtaposition of the death of the last of the survivors with the emergence of digital technology. Many digital media have been employed in order to make the body of the witness present to a generation that will never see the witnesssurvivors in the flesh. The easy access and interactivity of digital media may succeed in creating a link with the Holocaust with those who otherwise are beset with “Holocaust fatigue” or are simply ignorant of the events. But, this accessibility comes at a price: the risk of replacing the experience of the survivor with the contemporary experience of the viewer. While scholars of media see changes in representation, identification and mediation as inevitable, and often defend the representation of the Holocaust in these forms (interactive games and apps, selfies, TikTok accounts), many Holocaust institutions and historians decry these changes as a falsification of history, a dumbing-down of the public and desecration of the dead and their memory. Ye they find themselves increasingly obliged to adopt digital communication to maintain contact with younger generations.
57 Amos Goldberg, “The ‘Jewish Narrative’ in the Yad Vashem Global Holocaust Museum”, Journal of Genocide Research 14 (2012): 187–213.
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Holocaust education and commemoration will continue to be promoted by Israeli institutions and politicians.58 Here too, the overuse/abuse of the Holocaust to refer to every Israeli enemy or to justify political interests provokes some cynicism and even opposition, sometimes in the heart of the consensus. Thus, in late 2019, when Prime Minister Netanyahu signed an agreement with Poland sanctioning an account of the Holocaust that places Poland firmly on the side of the victims, it elicited vociferous opposition, even from normally quiescent Yad Vashem scholars. Likewise, when, under government pressure, Yad Vashem hosted a Russian keynote speaker at their conference commemorating 75 years of the liberation of Auschwitz, they later found themselves obligated to apologize for the falsified and revisionist speech delivered from the platform. If agents of Holocaust memory seek to tell historical truths, provide symbolic reparations for the dead, and be agents of ethical education – digital media pose challenges for all three aims.59 Historical truth is challenged by the plethora of parodies, fake news and Holocaust denial sites diffusing content over the web, in spite of gatekeepers’ attempts to counter them. The respect for the dead is challenged by the flippancy of many of the selfies and posts, although many selfie takers and their online friends contest this reading. Ethical education may be broadened by bringing Holocaust atrocities in digital contexts that relate them to present-day injustices. Arguably, the social solidarity that makes memory a path to ethical action may be difficult to realize if face-to-face communication and synchronized commemoration is replaced by digital mediatization that caters to individual consumers and their smartphones.60 On the other hand, events like zikaron basalon, are a case in point that show how digital technologies can connect people situated in distant places in a digital space to share the memory of the Shoah. We suggest then, that Israeli collective memory is not one, but many memories that cannot be reduced into a single narrative. Digital technologies allow for mnemonic practices of remembering and at the same time create new ones that can do different things for different people. Thus, we see the need to develop a critical digital literacy that would foster a more nuanced analysis of digital forms of collective memory.
58 Although here too, Eva’s Stories shows that a privately-funded memory project may successfully compete against those produced by more official bodies. 59 Amy Sodero, Exhibiting Atrocity: Memorial Museums and the Politics of Past Violence (New Brunswick: Rutgers University Press, 2018), 9–10. 60 Hoskins goes so far as to claim that the digital age marks the end of the processes that formed collective memory. Hoskins, Memory of the Multitude, 85–109.
Erinnerung in der Praxis
Mirjam Wenzel
Zur Bedeutung des Ortes von und für Jüdische Museen MVSEVM, heisset sowol ein Tempel, darinnen die Musen verehret wurden, als auch eine Kunst-Kammer, ein Müntz-Cabinet, Rarität- und Antiquitäten-Kammer, wovon unter besondern Artickeln nachzusehen ist. Ins besondere aber ein Gebäude, darinnen die Gelehrten beysammen wohnten, mit einander aßen, und ihr Studieren abwarteten
schrieb Johann Heinrich Zedler 1739 in seinem Großen Vollständigen UniversalLexikon in einem der ersten Versuche, ein Museum zu definieren.1 Was einst die Wunder- und Kunstkammern des Adels und des Klerus gewesen waren, die ausschließlich dem privaten Kunstgenuss dienten, wandelte sich zum Zeitpunkt von Zedlers Definitionsversuch allmählich zu einem Gedächtnis- und Lernort für eine privilegierte Öffentlichkeit. 1753 eröffnete in London mit dem British Museum das erste Museum Europas, dessen Sammlungen allgemein zugänglich waren; nach der französischen Revolution und im Zuge der europäischen Nationalbewegungen entstanden europaweit weitere nationale Museen, die auf die Sammlungen der Königshäuser auf- und diese im Zuge von Kolonial- und Eroberungskriegen systematisch weiter ausbauten. Der Begriff Museum ist von dem griechischen Wort mouseîon abgeleitet, einem Heiligtum, das den Musen gewidmet war. Um die Frage, wie dieser Musentempel zeitgemäß zu definieren sei, tobt derzeit – von der breiten Öffentlichkeit weithin unbemerkt – in der internationalen Museumswelt ein vehementer Streit. Im Zentrum dieses Streits steht die Frage, welchen Stellenwert den beiden Aspekten beizumessen ist, die schon Zedler an einem Museum voneinander unterschied: Sind Museen ist erster Linie moderne Kunstkammern oder sind sie öffentliche Räume des Beisammenseins und Forschens? Sind sie dem Sammeln, Bewahren und Präsentieren materieller Zeugnisse verpflichtet oder bilden sie soziale Orte der Begegnung und des gemeinsamen Lernens? Sind sie Türhüter vergangener Zeiten oder Gestalter des Kommenden? Dass sie stets beide Aspekte miteinander in Verbindung bringen müssen, zugleich Gedächtnis- und Bildungseinrichtung sind, ist dabei weniger strittig als vielmehr die Prioritätensetzung und damit nicht zuletzt die Bedeutung von Zeitgenossenschaft, also das Verhältnis von Museen zu der sie umgebenden Gesellschaft. 1 Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Bd. 22, Halle und Leipzig 1739, S. 1375. https://doi.org/10.1515/9783110710601-012
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Die derzeit gültige Museumsdefinition des International Council of Museums (ICOM) baut auf einer Fassung aus dem Jahr 1974 auf, die 2007 minimal modifiziert wurde. Sie lautet: „A museum is a non-profit, permanent institution in the service of society and its development, open to the public, which acquires, conserves, researches, communicates and exhibits the tangible and intangible heritage of humanity and its environment for the purposes of education, study and enjoyment.“2 2016 beschloss die General Conference von ICOM, ein Komitee zu gründen, dass in einem partizipativen Prozess unter Einbeziehung von Mitgliedern, Fachkolleginnen und -kollegen sowie der verschiedenen Ländervertretungen eine neue Definition erarbeiten sollte. In diesem drei Jahre währenden Prozess wurden insbesondere auch außereuropäische Vertreterinnen und Vertreter aus dem globalen Süden miteinbezogen und ein besonderes Augenmerk auf die Zukunftsthemen in den sich wandelnden Gesellschaften, ja auf die gesellschaftsbildende Funktion von Museen gelegt. Der Prozess mündete 2019 in dem Vorschlag einer grundlegend neuen Definition, die das Selbstverständnis von Museen maßgeblich erweitern wollte. Sammeln, Bewahren und Vermitteln als die traditionellen Tätigkeitsfelder sollten, so die Idee, in Zukunft vor allem als die Form verstanden werden, in der Museen ihren sozialen, gesellschaftlichen und auch politischen Aufgaben nachkämen.3 Die vorgeschlagene Definition des „Definition, Prospects and Potentials Committee“ von ICOM lautete: Museums are democratising, inclusive and polyphonic spaces for critical dialogue about the pasts and the futures. Acknowledging and addressing the conflicts and challenges of the present, they hold artifacts and specimens in trust for society, safeguard diverse memories for future generations and guarantee equal rights and equal access to heritage for all people. Museums are not for profit. They are participatory and transparent, and work in active partnership with and for diverse communities to collect, preserve, research, interpret, exhibit, and enhance understandings of the world, aiming to contribute to human dignity and social justice, global equality and planetary wellbeing.4
Die emphatische Indienstnahme traditioneller Museumstätigkeiten für eine zukunftsfähige Gestaltung gerechter und nachhaltig agierender Gesellschaften in 2 Vgl. International Council of Museums, Resources. Standards and Guidelines: Museum Definition, https://icom.museum/en/resources/standards-guidelines/museum-definition/, letzter Zugriff: 28. Dezember 2020. 3 Siehe dazu Jette Sandahl, The Museum Definition as the Backbone of ICOM, in: Museum International 71 (2019), Nr.1–2, S. 2–9. 4 International Council of Museums, News vom 25. Juli 2019: ICOM announces the alternative museum definition that will be subject to a vote, https://icom.museum/en/news/icom-announces-the-alternative-museum-definition-that-will-be-subject-to-a-vote/, letzter Zugriff: 28. Dezember 2020.
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einer miteinander vernetzten Welt und die unmittelbare Bezugnahme auf diverse Gemeinschaften, also der utopische Zuschnitt dieser vorgeschlagenen Museumsdefinition stieß insbesondere bei den mitteleuropäischen Museumsvereinigungen innerhalb von ICOM auf Ablehnung. In diesen wird seither über einen Kompromiss zwischen der traditionellen Definition und dem neuen Vorschlag diskutiert. Es ist noch nicht abzusehen, wann und ob ICOM in absehbarer Zeit eine einvernehmliche Antwort auf die Frage finden wird, was ein Museum ist und in Zukunft sein soll. Die folgenden Ausführungen erörtern am Beispiel Jüdischer Museen das spezifisches Bezugsverhältnis zwischen kulturhistorischen Museen, Formen der Erinnerung und der jeweils gegenwärtigen Gesellschaft und legen anhand der Geschichte des Jüdischen Museums Frankfurt dar, worin die von der neuen Definition geforderte aktive Partnerschaft eines Museums mit einer Gemeinschaft bestehen kann. Dabei gehen sie zunächst auf die Funktion Jüdischer Museen in Europa und deren Geschichte ein, skizzieren dann anhand des Jüdischen Museum Frankfurts, welche Bedeutung der lokale Rahmen und Bezug für die Konstitution eines Jüdischen Museums als Gedächtniseinrichtung hat. Vor dem Hintergrund der Krisen einiger großer Jüdischer Museen in den letzten Jahren diskutieren sie abschließend die Problematik nationalstaatlicher Perspektiven auf jüdische Geschichte und Kultur. In der Gründungsgeschichte Jüdischer Museen in Europa und den USA nach der Shoah spielte die gesellschaftsgestaltende Perspektive, welche die vorgeschlagene neue Museumsdefinition in den Vordergrund rückt, stets eine zentrale Rolle. Im Unterschied zu naturkundlichen, historischen und Kunstmuseen basierten diese Gründungen, zumal jene in der Bundesrepublik Deutschland, weniger auf umfänglichen, mit privaten oder gar öffentlichen Geldern finanzierten Sammlungen, die es zu pflegen und zu erforschen galt, als vielmehr auf dem politischen Willen, die Reste der europäisch-jüdischen Kultur einzusammeln und sichtbar zu machen, die vom Dritten Reich geraubt und zerstört worden waren. Vor diesem Hintergrund nehmen sich Jüdische Museen heute weltweit unweigerlich jenes Auftrags an, den die neue ICOM-Definition an den Anfang stellt. Sie widmen sich der kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, um an der Gestaltung einer möglichen Zukunft in einer demokratischen und diversitätssensiblen Gesellschaft mitzuwirken. Gelegentlich wird eben dieses gesellschaftsgestaltende Selbstverständnis Jüdischer Museen bereits in der Namensgebung betont: Jewish Museum and Tolerance Center etwa heißt das 2012 eröffnete Jüdische Museum in Moskau, Museum of Tolerance die Einrichtung des Simon Wiesenthal Centers in Los Angeles.
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Dass eine Gedächtnis- und Bildungseinrichtung, die sich gleichzeitig jüdischer Geschichte zuwenden, aus dieser eine allgemeingültige Lehre ziehen, die Sensibilität für Diversität steigern und das Verständnis von Demokratie festigen will, zwangsläufig auch ein Ort der Kontroverse ist, zeigen die Debatten der vergangenen Jahre. Jüdische Museen treffen den gereizten Nerv unserer Zeit. Sie adressieren Fragen, die unmittelbar mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Veränderungen zusammenhängen und im Zentrum politischer Auseinandersetzungen stehen, wie etwa: Welche Bedeutung hat Flucht und Migration im Selbstverständnis einer Gesellschaft? Welchen Stellenwert haben Identitätsund Geschichtspolitik in den öffentlichen Debatten um symbolische Handlungen und Orte? Welchen Schutz genießen gesellschaftliche und religiöse Minderheiten in den jeweiligen Verfassungen? Und last but not least: Wie gehen die jeweilige Regierung und die politische Öffentlichkeit mit antisemitischer oder rassistischer Gewalt um? In Anbetracht des Streitwerts, den jedes dieser Themen für sich genommen hat, ist nicht nur die Relevanz Jüdischer Museen in Europa und den USA beträchtlich gewachsen. Auch die Zahl der Einrichtungen, die sich jüdischen Geschichten und Kulturen widmen, steigt weltweit an. In den vergangenen Jahren wurden in Sao Paulo (Brasilien) und New Orleans (USA) ein neues, eigenständiges Jüdisches Museum aufgebaut, in Ferrara (Italien) das Museo Nazionale dell’Ebraismo e della Shoah in Betrieb genommen, im litauischen Dorf Šeduva der Grundstein für ein groß angelegtes Lost Shtetl Museum gelegt, in Stockholm (Schweden) das Jüdische Museum wiedereröffnet und in Berlin sowie Frankfurt, den beiden größten Jüdischen Museen in Deutschland, die Dauerausstellungen neu gestaltet. Viele dieser Museumsneugründungen oder -weiterentwicklungen streben eine nationale Perspektive auf jüdische Geschichte und Kultur an. Sie verabschieden sich damit von der Bindung an die jüdische Gemeinde- und Lokalgeschichte, die für die ersten Jüdischen Museen prägend war.
Die ersten Jüdischen Museen in Europa Die ersten Jüdischen Museen Europas entstanden im ausgehenden 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts und präsentierten im Wesentlichen jüdische Kultgegenstände, die nicht mehr im Gebrauch waren. Ihre Gründungen wurden von den ersten, groß angelegten öffentlichen Ausstellungen, wie etwa der Anglo-Jewish Historical Exhibition im Jahr 1887 in der Royal Albert Hall in London angebahnt, die unter kunstgewerblichen Aspekten zeremonielle Gegenstände, Textilien und Schriften präsentierten, die im Zuge der fortschreitenden Säkularisie-
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rung ihren rituellen Zweck verloren hatten. Zwei Jahre zuvor war in Wien das erste Jüdische Museum Europas eröffnet worden; es folgten weitere Museumsgründungen in Prag (1906), Budapest (1909), Worms (1912), Frankfurt am Main (1922), Breslau (1927), Amsterdam (1932) und Berlin (1933). Die meisten dieser Museen wurden entweder von den jüdischen Gemeinden selbst gegründet oder von Vereinigungen initiiert, in denen sich zumeist jüdische Sammler zusammengetan hatten, um die prachtvollen Objekte des traditionellen Ritus zu bewahren, die im Zuge der fortschreitenden Säkularisierung als Relikte aus einer vergangenen Zeit wahrgenommen und vielerorts nicht mehr genutzt wurden. Mit diesen Jüdischen Museen entstanden nicht nur Sammlungen jüdischer Kultgegenstände, sondern auch ein kunstgewerblicher Markt, auf dem diese erworben werden konnten (wobei nicht selten Reproduktionen als wertvolle historische Zeremonialobjekte gehandelt wurden). Zeitgleich erhoben Künstler wie Lesser Ury, Jakob Steinhardt, Moses Ephraim Lilien und Ludwig Meidner biblische Erzählungen oder rituelle Praktiken zum Gegenstand der Bildenden Kunst. Die Motivwahl ihrer Gemälde, der kunstgewerbliche Handel mit jüdischen Zeremonialobjekten und die Gründung Jüdischer Museen wie auch jüdischer Abteilungen in stadtgeschichtlichen Museen waren, so Katharina Rauschenberger in ihrer umfassenden Studie zur Entstehung Jüdischer Museen im Deutschen Reich, Ausdruck eines „Rückbesinnungsprozesses“, in dem „zunächst von religiöser Seite, später aber auch von wissenschaftlich theologischer und historischer die Frage nach den Eigenarten des Judentums und seiner Identität gestellt wurde.“5 Martin Buber bezeichnete diesen Prozess, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ereignete, als eine „Renaissance der jüdischen Kultur“6 unter säkularen Vorzeichen und charakterisierte diese mit den Worten: „Dem jüdischen Volke steht eine Auferstehung von halbem Leben zu ganzem bevor. Darum dürfen wir seine Teilnahme an der modernen nationalinternationalen Kulturbewegung eine Renaissance nennen.“7 Die Gründung der ersten Jüdischen Museen in Europa und die künstlerischen Auseinandersetzungen mit der jüdischen Tradition geschahen im Zusammenhang mit einer sowohl deutschsprachigen, wie auch europaweiten Bewegung von jüdischen Kulturschaffenden, der an einer Erneuerung des jüdischen Selbstverständnisses gelegen war. Ein Teil dieser Kulturschaffenden gehörte 5 Katharina Rauschenberger, Jüdische Tradition im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Zur Geschichte des jüdischen Museumswesens in Deutschland, Hannover 2002, S. 18. 6 Vgl. Michael Brenner, Wie jüdisch waren Deutschlands Juden? Die Renaissance jüdischer Kultur während der Weimarer Republik, Bonn 2000. 7 Martin Buber, Jüdische Renaissance und Kultur, in: Martin Buber Werkausgabe, hrsg. von Barbara Schäfer, Bd.3: Frühe jüdische Schriften 1900–1922, Gütersloh 2007, S. 143–148, hier S. 144.
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der kulturzionistischen Bewegung und verstand jüdische Renaissance als einen Prozess jüdischer Nationalwerdung, ein anderer Teil hingegen interpretierte sie als eine Form jüdischer Selbstvergewisserung in der europäischen Diaspora. Jüdische Museen hatten in diesem Prozess eine paradoxale Funktion inne: Sie sammelten und präsentierten zumeist unter kunstgewerblichen und gelegentlich auch ethnografischen Aspekten Gegenstände einer vergangenen rituellen Praxis, die unter den Vorzeichen fortschreitender Säkularisierung ihre Selbstverständlichkeit verloren hatte. Zugleich waren sie Bestandteil eines Entwicklungsprozesses in der jüdischen Kulturgeschichte, der die diesem Zugang innewohnende Distanz überwinden und Kulturgüter in den Dienst einer Wiederentdeckung und -belebung der jüdischen Tradition stellen wollte. Die „Renaissance der jüdischen Kultur“ endete mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und deren Expansion in andere kontinentaleuropäische Länder, die die Plünderung jüdischer Kulturgüter und die Zerstörung der meisten Jüdischen Museen nach sich zog. Diese Zerstörung ereignete sich maßgeblich im Rahmen des Novemberpogroms – so auch in der Stadt mit dem prozentual größten Anteil von Jüdinnen und Juden an der Gesamtbevölkerung im Deutschen Reich, in Frankfurt am Main.
Das Museum Jüdischer Altertümer in Frankfurt Hier eröffnete im Jahr 1922, kurz nach der Gründung des Freien Jüdischen Lehrhauses durch Franz Rosenzweig, an dem auch Martin Buber unterrichtete, das erste Jüdische Museum Frankfurts. Es wurde von der Gesellschaft zur Erforschung jüdischer Kunstdenkmäler getragen, die 1897 auf Initiative des Direktors des Düsseldorfer Kunstgewerbemuseums, Heinrich Frauberger, mit Unterstützung des Frankfurter Mäzens Charles Hallgarten entstanden war und sich der Erforschung und Sammlung jüdischer Zeremonialgegenstände widmete. Nachdem eine beträchtliche Sammlung aufgebaut worden war, sondierte die Gesellschaft verschiedene Möglichkeiten, diese öffentlich zu zeigen. Eine ebensolche ergab sich, als die Familie Rothschild das Gebäude in der Fahrgasse 146, das einst als Geschäftshaus des Bankhauses M.-A. Rothschild & Söhne gedient hatte, der Israelitischen Gemeinde vermachte. Das Haus umfasste im Erdgeschoss Verwaltungsräumlichkeiten, das bedeutende Archiv und die Bibliothek der Gemeinde mit sehr wertvollen Drucken und im ersten Stock eine kleine Präsentation zur Geschichte des Bankhauses Rothschild. Im zweiten Stock durfte die Gesellschaft zur Erforschung jüdischer Kunstgegenstände fortan ihre Sammlung präsentieren. Sie tat dies unter dem Namen Museum Jüdischer Altertümer.
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Das Museum war eines der ersten Museen im Deutschen Reiches, das jüdische Zeremonialgegenstände, bedeutende Schriftzeugnisse und Textilien sowie Kunstwerke präsentierte. Ebenso wie die Jüdischen Museen, die andernorts in Europa im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert entstanden, verstand es sich in erster Linie als ein Kunstgewerbemuseum, das die von ihm verwahrten Kultgegenstände und die mit ihnen verbundene jüdische Tradition als geschichtsträchtige Zeugnisse sowohl der jüdischen wie auch der europäischen Kultur präsentierte. Neben der Familie Rothschild liehen auch die Israelitische Gemeinde Frankfurts, das Museum Kunst und Gewerbe und das Historische Museum Frankfurt dem neugegründeten Museum wertvolle jüdische Zeremonialgegenstände. 1936 schenkte Siegmund Nauheim, ein weithin bekannten Sammler jüdischer Kunst und Kunsthandwerks, dem Museum seine wertvolle Sammlung. Neben dem Museum und Archiv der Israelitischen Gemeinde in Worms und dem Jüdischen Museum in Berlin zählte die etwa 18.000 Objekte umfassende Sammlung des Frankfurter Museums zu den bedeutendsten Sammlungen jüdischer Kultgegenstände im Deutschen Reich.8 In der Reichpogromnacht des 9. November 1938 wurde das Gebäude von SA- und SS-Leuten gestürmt, viele Räumlichkeiten in Brand gesteckt, wertvoll erscheinende Gegenstände geraubt und geplündert, die heiligen Texte geschändet und das Archiv zerstört. Der Wert der zerstörten Gegenstände betrug, späteren Schätzungen zufolge, ca. 8,5 Millionen Reichsmark.9 Als Graf Ernstotto zu Solms-Laubach, der damalige Direktor des Historischen Museums, von dem Raub und den Zerstörungen hörte, fuhr er mit einem Möbelwagen vor, drang in das zerstörte Haus ein und sicherte etwa tausend Gegenstände für das Historische Museum. Auf die eigenmächtige Aktion des späteren Kunstschutzoffiziers folgte eine Beschlagnahmung der Gegenstände durch die Gestapo und eine Evakuierung der versiegelten Objekte an einem gesicherten Ort. Der Raub jüdischen Kulturguts führte in der Folge in diesem Fall paradoxerweise dazu, dass dieses in Teilen bewahrt werden konnte.10
8 Vgl. Commission on Jewish Cultural Reconstruction (Hrsg.), Tentative List of Jewish Cultural Treasures in Axis-Occupied Territories, in: Supplement to Jewish Social Studies 8 (1946), Nr. 1, S. 12–13. 9 Vgl. Katharina Rauschenberger, Die Entstehung und Zerschlagung des Museums Jüdischer Altertümer, in: Angela Jannelli (Hrsg.), Gekauft gesammelt geraubt? Vom Weg der Dinge ins Museum, Frankfurt am Main 2019, S. 18–23, hier S. 22. 10 Zum Ende des Museums Jüdischer Altertümer siehe Guido Schönberger, Das ehemalige Jüdische Museum in Frankfurt am Main, in: Hans Stubenvoll, Synagoga. Jüdische Altertümer, Handschriften und Kultgeräte, hrsg. im Auftrag des Historischen Museums, Frankfurt am Main 1961, ohne Seitenangaben.
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Nach Ende des Zweiten Weltkriegs begannen US-amerikanische Organisationen damit, Inventarlisten von Büchern und Objekten aus jüdischen Einrichtungen anzufertigen, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft geplündert worden waren. Dabei spielte die Commission on European Jewish Cultural Reconstruction mit namhaften Wissenschaftlern US-amerikanischer Universitäten, deutsch-jüdischen Emigranten und Repräsentanten jüdischer Organisationen eine zentrale Rolle, die sich 1944 auf Initiative des Historikers Salo W. Baron bildete und binnen zwei Jahren ein umfassendes Verzeichnis über europäisch-jüdische Kulturgüter vor Beginn des Zweiten Weltkriegs erstellte.11 Die Arbeit der Kommission führte 1947 zur Gründung einer Treuhandgesellschaft mit ähnlich lautendem Namen, der Jewish Cultural Reconstruction Incorporation (kurz JCR), die im Namen des ermordeten jüdischen Kollektivs Restitutionsverfahren für die jüdischen Schrift- und Kulturgüter organisierte. 1951 kam einer der ehemaligen Kustoden des Museums Jüdischer Altertümer, Guido Schönberger, im Auftrag der JCR nach Frankfurt, um zu sondieren, was von der ihm bekannten Sammlung übrig geblieben war. Er arbeitete mittlerweile für das neu gegründete Jewish Museum in New York und setzte sich dafür ein, dass viele der etwa 340 Objekte, die er in der Sammlung des Historischen Museums identifizieren konnte, an sein Museum sowie weitere jüdische Einrichtungen in den USA und in Israel verschifft wurden.12 Eine der Kisten aus dem Museum Jüdischer Altertümer verblieb dabei im Historischen Museum. Sie umfasste Gegenstände aus der Sammlung Nauheim. Diese Kiste wurde 1987 dem Jüdischen Museum Frankfurt übereignet und zur Basis seiner Sammlung jüdischer Zeremonialgegenstände.
Zur Geschichte des Jüdischen Museums Frankfurt 1961 berief der Magistrat der Stadt Frankfurt eine Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden ein, um die jüdische Geschichte Frankfurts eingehend zu studieren und in einer Schriftenreihe zu dokumentieren. Zu Mitgliedern dieser Kommission wurden unter anderem der kommissarische Inhaber des Lehrstuhls für Religions- und Geistesgeschichte des Judentums an der Universität Frankfurt, Rabbiner Kurt Wilhelm, der Leiter des Instituts für Sozialforschung, Max Horkheimer, Rabbiner Georg Salzberger aus London, der Be11 Siehe dazu Elisabeth Gallas, Fragmente einer verlorenen Welt. Zur Rettung und Restitution jüdischer Kulturgüter in der Nachkriegszeit, in: Kata Bohus/Atina Grosmann/Werner Hanak/ Mirjam Wenzel (Hrsg.), Unser Mut. Juden in Europa 1945–48, München 2020, S. 224–243. 12 Vgl. Rauschenberger, Jüdische Tradition, S. 18.
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gründer der Wiener Library, Alfred Wiener, und der Leiter des Leo Baeck Instituts London, Robert Weltsch, ernannt. Die konstituierende Sitzung der Kommission fand an demselben Tag statt, an dem das Historische Museum Frankfurt seine Übernahme der ersten großen Ausstellung in der Bundesrepublik Deutschland zur jüdischen Zeremonialkultur, Synagoga, eröffnete, welche vom Stadtmuseum Recklinghausen konzipiert worden war. Angesichts dieser Schau entwickelte Kurt Wilhelm noch im selben Jahr die Idee zu einer „soliden Ausstellung […]: Das jüdische Frankfurt“.13 Eine ebensolche Präsentation war schließlich 1975 als Tafelausstellung im Rahmen des Evangelischen Kirchentags in der Frankfurter Paulskirche zu sehen. In demselben Jahr richtete auch das Historische Museum Frankfurt eine jüdische Abteilung in den Räumen seiner Dauerausstellung ein. Der Kustos eben dieser Abteilung, Detlef Hofmann, plädierte nach Ausstrahlung der US-amerikanischen Fernsehserie Holocaust zu Beginn des Jahres 1979 schließlich zum ersten Mal öffentlich für die Gründung eines eigenständigen Jüdischen Museums als Bestandteil des Frankfurter Museumsufers, das damals von Kulturdezernent Hilmar Hofmannentwickelt wurde. Sein Plädoyer fand Gehör: nur ein Jahr später beschloss die Stadtverordnetenversammlung die Einrichtung eines Jüdischen Museums im Rothschild-Palais. Laut Beschluss sollte die Sammlung des Museums nach Möglichkeit auf Originalzeugnisse und Objekte aus dem Historischen Museum, dem Stadtarchiv und dem Museum für Kunsthandwerk aufbauen und die Mitglieder der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden sowie der Jüdischen Gemeinde Frankfurt an der Erarbeitung des Museumskonzepts beteiligen. Acht Jahre später, am 50. Jahrestag der Novemberpogrome eröffnete Bundeskanzler Kohl schließlich das erste Jüdische Museum der Bundesrepublik Deutschland in kommunaler Trägerschaft. Das symbolische Datum war Programm: Das Museum verstand seine permanente Ausstellung zunächst eher als eine Dokumentation der 800-jährigen jüdischen Geschichte Frankfurts bis zur Shoah, denn als ein Ort, an dem jüdisches Leben gestaltet werden könnte. Dementsprechend hieß seine erste Wechselausstellung auch Was übrig blieb und präsentierte Objekte aus dem vormaligen Museum Jüdischer Altertümer, die verschiedene Museen in den USA und in Israel als Leihgaben zur Verfügung gestellt hatten.14 Mit dieser ersten Wechsel13 Kurt Wilhelm an Max Horkheimer, Brief vom 6. Januar 1961, zitiert nach: Georg Heuberger, Zur Vorgeschichte der Gründung des Jüdischen Museums Frankfurt, in: ders., Die Pracht der Gebote. Die Judaica-Sammlung des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, Köln 2006, S. 20– 35, hier S. 23. 14 Vgl. dazu und zur Restitutionsgeschichte der Kulturgüter aus dem Museum Jüdischer Altertümer Felicitas Heiman-Jelinek, Was übrig blieb. Das Museum jüdischer Altertümer in Frankfurt am Main 1922–1938, Jüdisches Museum Frankfurt, Frankfurt am Main 1988.
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ausstellung unterstrich das Museum nicht nur das kommemorative Vorzeichen, unter dem es sein Arbeit aufnahm, sondern auch, dass es die ideelle, nicht aber die juristische Nachfolge des Museums Jüdischer Altertümer anzutreten beabsichtigte.15 Als eines der ersten Jüdischen Museen in Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs musste das Jüdische Museum Frankfurt in den Jahren nach seiner Eröffnung Pionierarbeit leisten. Das Museumskollegium konnte in wissenschaftlicher Hinsicht kaum auf bereits existierende historische Forschung zur deutsch-jüdischen Geschichte zurückgreifen. Auch das Wissen über das kunstgewerbliche Handwerk der Judaica-Produktion war mit seinen Protagonisten in die Emigration ausgewandert oder aber ermordet worden und daher kaum noch verfügbar. Auch wenn die deutschsprachige Geschichtswissenschaft soeben begonnen hatte, sich mit den Verbrechen der Shoah zu befassen, blieben jüdische Zeugnisse dabei noch weithin unberücksichtigt, so dass auch hier wenig Grundlagen erarbeitet wurden, auf die ein Jüdisches Museum zurückgreifen konnte. Neben bis dato ungesichteten Dokumenten in Archiven, die das Museumsteam also erschließen musste, suchte es von Beginn an einen engen Austausch mit Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Frankfurt. Diese waren weitgehend Überlebende und deren Nachfahren, die nach dem Zweiten Weltkrieg oder später vor antisemitischen Pogromen, Übergriffen und Kampagnen in ihren Herkunftsländern Polen, Ungarn, der Ukraine und der Tschecheslowakei in die DisplacedPersons-Lager der US-amerikanischen Zone geflohen waren. Die vergangene deutsch-jüdische Geschichte, deren Erforschung und Vermittlung sich das Jüdische Museum widmete, war nicht die ihre. Die Erinnerung an den Zivilisationsbruch der Shoah, die das Museum pflegte, prägte hingegen ihr Leben. Die Distanz, welche insbesondere die erste Generation der Überlebenden gegenüber den Spuren der deutsch-jüdischen Geschichte Frankfurts empfand, zeigte sich im besonderen Maße in dem sogenannten Börneplatzkonflikt des Jahre 1987. Worin genau bestand der Konflikt, der die Eröffnung des Jüdischen Museums Frankfurt zu überschatten drohte?
15 Vgl. zu diesem Verhältnis Zarin Aschrafi, Das Frankfurter Jüdische Museum. Eine Erinnerung an seine Gründung im Jahr 1988, in: Mimeo. Blog der Doktorandinnen und Doktoranden des Simon Dubnow Instituts vom 9. November 2020, https://mimeo.dubnow.de/das-frankfurter-juedische-museum/, letzter Zugriff: 28. Dezember 2020.
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Der Börneplatz-Konflikt 1987 begann die Stadt Frankfurt auf dem Gelände des Börneplatzes, also an dem Ort, wo einst die prächtige Börneplatz-Synagoge gestanden und sich zuvor der Judenplatz und die Judengasse befunden hatte, ein Verwaltungsgebäude zu bauen, in dem zynischerweise just die städtischen Gaswerke untergebracht werden sollten. Bei den Ausschachtungsarbeiten für die Tiefgarage stieß man auf die überraschend gut erhaltenen Fundamente von insgesamt 19 Häusern der Frankfurter Judengasse ebenso wie auf die Reste der Börneplatzsynagoge. Es entbrannte der erste öffentliche Konflikt um einen angemessenen Umgang mit Zeugnissen jüdischen Lebens aus den Jahrhunderten vor der Shoah, der in Kundgebungen, Protesten vor Ort und schließlich in der Besetzung der freigelegten Fundamente mündete, um diese vor dem Abriss zu bewahren. Die bundesweite Rezeption dieses Konflikts hatte nicht allein mit der damals auch andernorts beginnenden Beschäftigung lokaler Initiativen mit den Spuren deutsch-jüdischer Geschichte und dem spektakulären und bis dato größten archäologischen Fund eines jüdischen Siedlungsgebiets aus der Frühen Neuzeit in Europa zu tun. Sie war vor allem dadurch bedingt, dass die Beseitigung dieser Spuren als erneute Zerstörung des jüdischen Kulturerbes und der Neubau nach Räumung der Besetzung als „Geschichtsentsorgungspark“ kritisiert wurde.16 Die Auseinandersetzungen zwischen dem Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung auf der einen Seite, und Eva Demski, der von ihr initiierten Petition für einen Garten des Gedenkens, der Bürgerinitiative, der Jüdischen Gruppe17 und den Demonstranten auf der anderen Seite kreisten dementsprechend um die historische Verantwortung der Stadt Frankfurt, wobei das geflügelte Wort des in der Judengasse geborenen Publizisten Ludwig Börne eine zentrale Rolle spielte: „Wo die toten Menschen schweigen, da sprechen desto lauter die lebendigen Steine.“18
16 Vgl. das Foto von Abisag Tüllmann vom Bauschild am Börneplatz im Katalog zur Dauerausstellung im Museum Judengasse in: Fritz Backhaus/Raphael Gross/Sabine Kössling/Mirjam Wenzel (Hrsg.), Die Frankfurter Judengasse, München 2016, S. 57. 17 Die sogenannte Jüdische Gruppe war ein Kreis von intellektuellen Persönlichkeiten wie etwa Dan Diner, Micha Brumlik, Lena Inowlocki und Cilly Kugelmann, die sich ab 1980 in privatem Rahmen über jüdische Selbstverständnisfragen wie etwa das Verhältnis zur Jüdischen Gemeinde, zu Israel oder zur jüdischen Tradition verständigte. Aus ihrem Zusammenhang ging die Gründung der Zeitschrift Babylon. Beiträge zur jüdischen Gegenwart hervor, die ab 1986 im Verlag Neue Kritik erschien. 18 Ludwig Börne zitiert nach Heinrich Heine, Ludwig Börne. Eine Denkschrift, Neuausgabe mit einer Biografie des Autors, hrsg. von Karl-Maria Guth, Berlin 2017, S. 14.
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Im Börneplatz-Konflikt kulminierten zentrale und für alle Beteiligten schmerzhafte Fragen, in denen das Selbstverständnis von nicht-jüdischen Deutschen und Jüdinnen und Juden in Frankfurt am Main, ja die Beziehungen zwischen Juden und Nicht-Juden in der Bundesrepublik Deutschland nach Auschwitz verhandelt wurden. Dabei ging es weniger um die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Funde, sondern vielmehr um die Frage, was die Shoah für die Gegenwart und für die Interpretation jüdischer Geschichte in Frankfurt bedeute. Der unbedingte Wille zur Erinnerung auf Seiten der Bürgerinitiative traf auf die hilflose und von Schuldabwehr gekennzeichneten Versuche vieler Stadtverordneter, die Bedeutung der archäologischen Funde herabzuspielen und eben die Verbindung zwischen der Frankfurter Judengasse und den nationalsozialistischen Ghettos historisch abzustreiten, welche von den Protestierenden wie auch von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde als solche empfunden wurde. Innerhalb der Jüdischen Gemeinde Frankfurts wurde die Auseinandersetzung unterschiedlich wahrgenommen. Viele der älteren, aus Osteuropa stammenden Gemeindemitglieder konnten sich mit der deutsch-jüdischen Geschichte vor Ort und der vormaligen Frankfurter Gemeinde nicht so identifizieren, dass sie umgehend für den Erhalt der Reste der Judengasse eingetreten wären. Das eigene Überleben der nationalsozialistischen Ghettos prägte die Wahrnehmung der frühneuzeitlichen Ghettoreste am Börneplatz. Für jüngere Gemeindemitglieder bildete der Konflikt hingegen häufig die Begegnung mit einer bis dahin vergessenen Geschichte, die sie für sich entdecken wollten. Es zeichnete sich ein Generationenkonflikt zwischen den älteren Mitgliedern ab, die ihr Leben in Frankfurt auf „gepackten Koffern“ verbracht und sich gegenüber ihren Verwandten im Ausland sowie internationalen jüdischen Organisationen stets dafür gerechtfertigt hatten, unter den nationalsozialistischen Tätern zu leben, sowie jüngeren Jüdinnen und Juden wie etwa den Mitgliedern der Jüdischen Gruppe, die sich zunehmend als Teil der bundesdeutschen Gesellschaft verstanden und sich in deren Entwicklung einmischen wollten. Auf Seiten der nicht-jüdischen Demonstranten empfanden viele den Einsatz für die jüdischen Zeugnisse als notwendige Konsequenz und Gegenreaktion auf die Teilnahme der Elterngeneration am Massenmord oder zumindest ihrem mangelnden Widerstand dagegen. Einige von ihnen hatten ein Jahrzehnt zuvor im Rahmen des Häuserkampfes im Frankfurter Westend wenig Sensibilität gegenüber den jüdischen Besitzern gezeigt. Im nunmehr gemeinsamen Einsatz für die Ruinen ging es, so Dieter Bartetzko, letztendlich um das aus Sehnsucht und Abwehr gemischte, von zahllosen Traumata belastete Bemühen deutscher
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Nicht-Juden und Juden, zueinander zu finden.19 Eben dieses Bemühen mündete in einem beiderseitigen Entgegenkommen, nämlich der Erweiterung des unmittelbar vor seiner Eröffnung stehenden Jüdischen Museums um eine Dependance im Erdgeschoss des Verwaltungsgebäudes. Dem Museum Judengasse, das hier 1992 eröffnet wurde, haftete der Kompromiss, der ihm zugrunde lag, in der Gestalt an: Es präsentierte nicht nur eine Rekonstruktion der archäologischen Fundamente von lediglich fünf Häusern, sondern verzichtete auch weitestgehend darauf, Fundstücke zu zeigen, welche erhalten geblieben waren. Anstelle einer Präsentation von Objekten, die einst in der Judengasse genutzt worden waren, setzte der von schweren Säulen durchzogene, niedrige Ausstellungsraum auf die Wirkung von inszenierten Gegenständen und erklärenden Texttafeln. Mit der Neueröffnung des Museums Judengasse im Jahr 2016 entwickelte das Jüdische Museum Frankfurt eine neue Perspektive in der Darstellung jüdischen Lebens in der Frühen Neuzeit. Die neugestaltete Ausstellung präsentiert nicht nur zeitgenössische Gegenstände und Schriften in den fünf Häuserfundamenten der Judengasse. Auf den Erkenntnissen neuerer Forschungen zur frühneuzeitlichen jüdischen Geschichte aufbauend macht sie das Ghetto auch als ein teilautonomes Gebiet erfahrbar, das gegen den Willen des Gemeinderats eingerichtet wurde, der jüdischen Bevölkerung aber über 350 Jahre hinweg eine weitgehend uneingeschränkte Traditionspflege ermöglichte, weshalb sich die Judengasse zu einem europaweit bedeutenden Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit entwickeln konnte. Eine ebensolche Perspektive auf jüdischen Leben in Frankfurt in der Frühen Neuzeit, die das Ghetto als solches benennt, zugleich aber in seiner Zeit auch als einen Möglichkeitsraum beschreibt, war angesichts der psychischen Nachwirkungen der Shoah und des emotionalen Streitwerts, der im Börneplatz-Konflikt auf dem Spiel stand, bei der ersten Konzeption des Museums Judengasse unmittelbar nach der Eröffnung des Jüdischen Museums Frankfurt nicht möglich.
Jüdische Orte – Jüdische Museen Beinahe alle Jüdischen Museen in der Bundesrepublik Deutschland, die in den vergangenen dreißig Jahren eröffneten, basierten auf dem ehrenamtliche Engagement einzelner Persönlichkeiten, die sich für die Pflege und Vermittlung der 19 Dieter Bartetzko, Damnatio memoriae. Der Börneplatz als Ort kollektiven Vergessens, in: Georg Heuberger (Hrsg.), Stationen des Vergessens: Der Börneplatz-Konflikt. Begleitbuch zur Eröffnungsausstellung, Museum Judengasse, Frankfurt am Main 1992, S. 18–42.
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Geschichte eines bestimmten Orts einsetzten – im Fall vom Augsburg, Veitshöchheim, Worms, Erfurt und Ost-Berlin waren dies Reste von oder vollständig erhaltene Synagogen, im Fall von Fürth und Schwabach ein Haus mit einer Laubhütte, im Fall von Frankfurt ein Teil der Grundmauern des ersten jüdischen Ghettos Europas auf der einen und eines der ehemaligen Wohnhäuser der bekannten jüdischen Bankiersfamilien Speyer und Rothschild auf der anderen Seite. Jüdische Museen in Deutschland haben daher eine ganz andere Anbindung an die Zivilgesellschaft als historische, kunstgewerbliche, naturkundliche Kunst- oder Technikmuseen; ihre Gründungsgeschichte unterscheidet sich maßgeblich von der eingangs skizzierten Entstehungsgeschichte nationalstaatlicher Museen in Europa. Manche Jüdische Museen wurden im Laufe der Zeit zu Kulturinstitutionen, die von öffentlicher Hand finanziert werden; andere blieben private Einrichtungen, die bis heute maßgeblich mit ehrenamtlichem Personal arbeiten. Das Gedächtnis, das diese kleineren Museen ebenso wie die institutionalisierten Einrichtungen in Fürth, Augsburg, Rendsburg, Drosten und Frankfurt bewahren und vermitteln, ist zumeist unmittelbar mit der Geschichte des Orts verbunden, an dem sie sich befinden. Mit dem Jüdischen Museum Berlin eröffnete 2001 das erste Jüdische Museum in Deutschland, welches nicht aus einer Initiative zur Erforschung und zum Erhalt eines spezifischen Orts heraus entstanden war. Der Ortsbezug, der für die Konstitution der bundesunmittelbaren Stiftung von Bedeutung war, bestand vielmehr in einem relativ neuen Gebäude, dem spektakulären Bau von Daniel Libeskind, der unmittelbar vor dem Fall der Berliner Mauer als eine Erweiterung des Berliner Stadtmuseums konzipiert worden war und unter anderem dessen Judaica-Sammlung, die sogenannte „Jüdische Abteilung“ präsentieren sollte. Die Strahlkraft des Gebäudes und das politische Geschick von Michael Blumenthal, der das Jüdische Museum 2001 schließlich als eine bundesunmittelbare Stiftung begründete und deren erster Direktor wurde, führten zur Konzeption des ersten Jüdischen Museums, dessen thematischer Fokus sich nicht auf die Geschichte eines spezifischen Orts oder einer Region bezog und das mehr als eine spezifische Sammlung bzw. das Kulturerbe einer spezifischen Gemeinde präsentieren wollte. Mit dem Jüdischen Museum Berlin entstand – in der deutschen Hauptstadt, in der sechzig Jahre zuvor die Shoah geplant und organisiert worden war – das erste nationalstaatliche Museum für jüdische Geschichte und Kultur in Europa.20
20 Vgl. Daniel Bussenius, Von der Hauptstadtposse zur Erfolgsgeschichte. Die Entstehung des Jüdischen Museums Berlin 1971–2001, Göttingen 2014.
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Die Aporien nationalstaatlicher Jüdischer Museen Mit dem Jüdischen Museum Berlin entwickelte sich eine neue Gattung nationalstaatlicher Jüdischer Museen in Europa, deren Sammlungs- und Ausstellungsperspektive auf jüdische Geschichte und Kultur sich nicht mehr auf lokale oder regionale Entwicklungen konzentriert, sondern anstatt dessen jüdische Geschichte entweder in den Grenzen der jeweiligen Länder oder als eine Geschichte von national definierten Handlungsträgern, sprich als Geschichte der polnischen Juden, der italienischen Juden, der deutschen Juden etc. versteht. Neben dem Jüdischen Museum Berlin gilt dies derzeit für die Jüdischen Museen in Warschau, Kopenhagen, Ferrara, Amsterdam und Philadelphia. Viele dieser nationalstaatlichen Einrichtungen wurden in den letzten Jahren von substantiellen Krisen erschüttert: Das National Museum of American Jewish History in Philadelphia musste Anfang 2020 Insolvenz anmelden, das POLIN Museum of the History of Polish Jewry war 2019/1920 ohne Leitung und das Jüdische Museum Berlin wurde im selben Jahr Gegenstand heftiger politischer Debatten. Ist die Gleichzeitigkeit der problematischen Situation, in die die drei weltweit größten Jüdischen Museen gerieten, Zufall oder Symptom? Die Krisen der drei genannten Museen haben verschiedene Hintergründe. Während das Jüdische Museum in Philadelphia in Schwierigkeiten geriet, weil das private Engagement und Mäzenatentum seiner Förderer rückläufig war, wurde POLIN Museum of the History of Polish Jewry das Vertrauen von einem seiner Träger, dem polnischen Staat, selbst entzogen. Im Februar 2019 ließ der polnische Kulturminister Piotr Gliński den Vertrag mit dem Direktor von POLIN, Dariusz Stola, auslaufen und weigerte sich, dessen Wiedereinstellung nach erfolgreicher Neubewerbung vorzunehmen. Stola hatte im Jahr zuvor die bis dato erfolgreichste Wechselausstellung des Museums unter dem Titel „Estranged: March 68 and Its Aftermath“ über die antisemitische Kampagne des kommunistischen Regimes gegen die Studentenunruhen und die erzwungene Auswanderung von polnischen Jüdinnen und Juden im Jahr 1968 präsentiert, die im Epilog Parallelen zu antisemitischer Hate Speech im gegenwärtigen Polen zog. Die Kritik, die er auch andernorts an der polnischen Regierung übte, kostete ihn seine Position. Im Unterschied zur Krise von POLIN bestand diejenige am Jüdischen Museum Berlin weniger in einem Dissens zwischen Repräsentanten der bundesdeutschen Regierung und der Museumsleitung, als vielmehr zwischen den Erwartungen von jüdischen Organisationen und Gemeinden auf der einen und dem Programm des bundesunmittelbaren Museums auf der anderen Seite. Im Zuge der Einladungen an Judith Butler und Brian Klug im Jahr 2012 und 2013, der
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Ausstellung Welcome to Jerusalem (2017–2018) und der Konferenz Living with Islamophobia (2018) hatte das Jüdische Museum Berlin den Verdacht auf sich gezogen, bevorzugt israelkritische Positionen und Personen einzuladen. Der Verdacht wurde nicht nur in zunehmend lautstarker Kritik von jüdischen Organisationen und Journalisten artikuliert. Er kulminierte in einem öffentlichen Zerwürfnis mit dem der Zentralrat der Juden in Deutschland über einen Tweet des Museums, der eine Leseempfehlung für eine kritischen Stellungnahme von jüdischen und israelischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beinhaltete, die sich auf die Resolution des Deutschen Bundestags vom Mai 2019 bezog, in der die „Boycott, Divestment and Sanctions“-Bewegung als antisemitisch bezeichnet und beschlossen worden war, „keine Projekte finanziell zu fördern, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen“.21 Während in Warschau die polnische Regierung dem von ihm mitgetragenen Museum die Unterstützung verweigerte, entzogen in Deutschland die jüdischen Gemeinden und ihre politische Vertretung, der Zentralrat der Juden in Deutschland, dem bundesunmittelbaren Jüdischen Museum nach dessen impliziter Distanzierung von dem Bundestagsbeschluss öffentlich das Vertrauen.22 In einem der prononciertesten Beiträge, die im Rahmen der Debatte um das Jüdische Museum Berlin erschien, führte der Historiker Michael Wolffsohn aus, dass nicht etwa die Einladungspolitik und das Programm des Museums, sondern dessen Konstitution als bundesunmittelbare Stiftung in die Krise geführt habe. Er schrieb: Als Sondermuseum versteht sich das JMB bislang: Es ist, anders als alle anderen Jüdischen Museen in Deutschland, kein lokales Museum, sondern das deutsche Nationalmuseum zur Geschichte, Religion und Kultur des aschkenasischen, das heißt mitteleuropäischen Judentums, von den Anfängen bis zur Gegenwart. […] Als gesetzlich so definiertes deutsches Nationalmuseum aber war der Konflikt mit der jüdischen Mehrheit im In- und Ausland strukturell programmiert, denn: […] Das für ein jüdisches Museum eigentlich selbstverständlich vorherrschend Jüdische wurde durch die Unverbindlichkeit des Allgemeinen aufgelöst. 23
Mit eben dieser Unverbindlichkeit des Allgemeinen habe das Museum, so Wolffsohn weiter, dem in Deutschland vorherrschenden Paradigma einer Universalisierung von jüdischer Geschichte im Allgemeinen und der Shoah im Besonde-
21 Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Drucksache 19/10191 vom 15. Mai 2019. 22 Zu weiteren Implikationen der Krisen beider Museen siehe Mirjam Wenzel, Dritte Orte. Warum Jüdische Museen umstritten und relevanter denn je sind, in: Jalta. Positionen zur jüdischen Gegenwart 7 (2020), S. 41–47. 23 Michael Wolffsohn, Unfreiwillige Verwässerung, in: Der Tagesspiegel, 17. Juni 2019.
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ren Vorschub geleistet. Eben diese Universalisierung aber widerspreche der Partikularität der jüdischen Kultur und Geschichte. Die allgemeinen Entwicklungen und Strukturen von Kulturen, die in Makrogeschichte im Vordergrund stehen, sind für die Mikrogeschichte, die sich einem besonderen Ort oder einer bestimmten Region widmet, weniger bedeutsam: in dieser, sich der Spezifik einer lokalen Kultur widmenden Form der Geschichtsschreibung treten die sich vor Ort entwickelnden Bräuche, praktizierten Riten und Gepflogenheiten von Gemeinschaften ebenso wie die leid- und lustvollen Erfahrungen von Individuen in den Vordergrund. Eben diese lokale Perspektive, in der gleichwohl Migrationsgeschichten oder Parallelitäten zu anderen Kulturen erzählbar bleiben, kommt den Besonderheit der jüdischen Kulturgeschichte, die sich im Lokalen zeigt und weiterentwickelt, mehr entgegen als die der Makrohistoire, in der die allgemeinen Strukturen in den Vordergrund treten. Jüdische Museen, für die der Bezug auf einen bestimmten Ort konstitutiv ist, räumen der Spezifität jüdischer Erfahrung daher einen größeren Stellenwert ein, als nationalstaatliche Einrichtungen. In seiner 2020 neu eröffneten Dauerausstellung im sanierten Rothschild-Palais etwa erzählt das Jüdische Museum Frankfurt, wie die Familie des Münzhändlers Majer Amschel Rothschild ihr Unternehmen in Frankfurt auf- und schließlich europaweit ausbaute und schließlich zur zentralen diplomatischen Anlaufstelle für jüdische Belange im 19. Jahrhundert wurde. Unter dem Titel Wir sind jetzt: Jüdisches Frankfurt von der Aufklärung bis zur Gegenwart präsentiert es jüdische Geschichte dabei als Pluralität von subjektiven Geschichten, die sowohl europäische wie auch lokale Entwicklungen der jüdischen Diaspora in der Moderne widerspiegeln. Die Geschichte des Orts, das Rothschild-Palais selbst, bildet dabei nicht nur den zentralen Bezugspunkt der Ausstellung, sondern auch deren größtes Exponat. Die konstitutive Bedeutung, die der Ortsbezug, genauer: der Erhalt und die Pflege eines Gebäudes, an dem einst jüdische Gottesdienste abgehalten oder jüdischen Traditionen nachgegangen wurden, für die meisten Jüdischen Museen in Deutschland spielt, macht sie zu Gedächtniseinrichtungen in einem spezifischen Sinne. Das Gedächtnis, das sie pflegen, ist dasjenige des Ortes, der Menschen, die diesen Ort einst bewohnten, der Dinge, die sie nutzten, und der immateriellen Kultur, die sie pflegten, selbst. Die deutsch-jüdische Erfahrung von Menschen, Dingen und Gemeinschaften, die Jüdische Museen an den jeweiligen Orten auf unterschiedliche Art und Weise erzählen und bewahren, ist nicht nur eine partikulare Geschichte. Die Vermittlung dieser Geschichte ist auch und vor allem: Erinnerungsarbeit.
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Museales Gedächtnis und ortsbezogene Erinnerungspraxis Die Praxis des Erinnerns ist so alt wie die Literatur: Viele der uns heute überlieferten Erzählungen aus frühen Zeiten wurden zunächst mündlich von Generation zu Generation weitergegeben, bevor sie schließlich eine schriftliche Form fanden. Die Praxis des Erinnerns und Weitergebens, die ars memoriae gehört zu den ältesten uns bekannten Kulturtechniken. In seinen Ausführungen De oratore. Über den Redner beschrieb Cicero eine Situation, die heute gemeinhin als Urszene dieser ars memoriae gilt. In der unter anderem von Cicero geschilderten Szene verlässt Simonides, der gemeinhin als Erfinder der Mnemotechnik bezeichnet wird, nach dem Vortrag eines Lobliedes auf Castor und Pollux das Haus, in dem alle Gäste zu einem Festmahl versammelt sind. Als er zurückkehrt, ist der Raum eingestürzt und die Gäste liegen unter den Trümmern begraben. Allein durch die Erinnerung daran, wer bei Tisch wo gesessen hatte, gelingt es Simonides, die unkenntlichen Körper zu identifizieren. Cicero berichtet: Durch diesen Vorfall aufmerksam geworden, soll er damals herausgefunden haben, daß es vor allem die Anordnung sei, die zur Erhellung der Erinnerung beitrage. Wer diese Seite seines Geistes zu trainieren suche, müsse deshalb bestimmte Plätze wählen, sich die Dinge, die er im Gedächtnis zu behalten wünsche, in seiner Phantasie vorstellen und sie auf die bewussten Plätze setzen. So werde die Reihenfolge dieser Plätze die Anordnung des Stoffs bewahren, das Bild der Dinge aber die Dinge selbst bezeichnen.24
Das Gedächtnis, welche Jüdische Museen in Deutschland pflegen und vermitteln, umfasst viele einzelne, zumeist fragmentierte jüdische Erinnerungen in schriftlicher, dinglicher wie auch immaterieller Form: Dokumente, Briefe, Bücher, Alltagsgegenstände, zeremonielle Objekte, angewandte und Bildende Kunst, Musik, Geschmack und Geruch. Jede dieser Erinnerungen ist ein Zeugnis vergangenen, gelegentlich auch gegenwärtigen jüdischen Lebens. Indem Jüdische Museen diese Erinnerungen an die Orte zurückführen, an diesie gehören, praktizieren sie nicht nur eine ars memoriae im Sinne Ciceros. Sie ermöglichen auch einen Zugang zum jüdischen Gedächtnis jenseits des jüdischen Gedächtniskollektivs. Der Historiker Dan Diner hat sich intensiv mit dem Gedächtnis jüdischer Familien und der Perspektive beschäftigt, die diesem Gedächtnis in der Geschichtsschreibung entspricht, und stellt dem die minutiösen Rekonstruktionen der Verbrechen gegenüber, die viele deutsche Historiker vornahmen. Er dia24 Marcus Tullius Cicero, De oratore. Über den Redner.Übers. und hrsg. von Harald Merklin, Stuttgart 1986, S. 433.
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gnostiziert, dass „die vornehmlich administrativ und industriell, also hochgradig arbeitsteilig vollzogene Massenvernichtung“ auf Seiten der deutschen Täter ein Gefühl genuiner Verantwortungslosigkeit bedingt habe, das „von der existentiellen Erfahrung der jüdischen Opfer her massiv dementiert“25 werde. Der Abgrund, der sich zwischen diesen beiden entgegengesetzten „Erfahrungskontexten“ auftue, finde, so Dan Diner, in der Differenz zwischen jüdischem Gedächtnis und deutscher Geschichtsschreibung eine Entsprechung. Das jüdische Gedächtnis erinnere die Monstrosität im einzelnen, die Geschichtsschreibung deutscher Historiker neige hingegen dazu, sich auf einzelne Aspekte der Tat zu konzentrieren und diese in durch Vergleiche zu relativieren. Diners Gegenüberstellung der beiden Denk- und Argumentationsweisen münden in der These, dass „das jüdische Gedächtnis“ die Shoah als singulären Zivilisationsbruch erinnere, während „die deutsche Geschichtsschreibung“ um den Vollzug der Tat kreise und zu anthropologischen Betrachtungen neige. Reflexionen über und Darstellungen der Shoah, die „universellen Ansprüchen“26 Genüge tun, eine allgemeingültige Lehre ziehen und zur Prävention zukünftiger Völkermorde beitragen wollen, würden, so Diner, die dem jüdischen Gedächtnis eingeschriebene Erfahrung daher nicht gerecht. Diners Kritik an einer strukturellen oder funktionalen Geschichtsschreibung der Shoah und Wolffsohns Kritik an der Unverbindlichkeit einer nationalen Erzählung deutsch-jüdischer Geschichte betonen – zumal mit Blick auf die Shoah – die Spezifität der jüdischen Erfahrung. Die von ihnen eingeforderten Perspektive einer Geschichtsschreibung, die sich der partikularen jüdischen Erfahrung verpflichtet sieht, steht ein sich zunehmend lautstark artikulierendes Geschichtsverständnis gegenüber, das die Shoah als Bestandteil einer Menschheitsgeschichte von Krieg und Genozid perspektiviert. Eine zentrale Rolle in dem Konflikt zwischen diesen beiden Perspektiven spielt die Frage, in welchem Verhältnis die jüdische Erfahrung der Shoah zu den Erfahrungen kolonialer Gewalt steht.27 Jüdische Museen sind Gedächtniseinrichtungen, an denen über die Differenz wie auch die Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Erfahrungen debattiert werden muss und die in dieser Debatte selbst keine neutrale Position innehaben. Als Orte, die der jüdischen Erfahrung verpflichtet sind, besteht ihre Aufgabe fortwährend darin, immer wieder eine dem jüdischen Gedächtnis ange25 Dan Diner, Ereignis und Erinnerung. Über Variationen des historischen Gedächtnisses, in: Nicolas Berg/Jess Jochimsen/Bernd Stiegler (Hrsg.), Shoah. Formen der Erinnerung. Geschichte, Philosophie, Literatur, Kunst, München 1996, S. 13–30, hier S. 22. 26 Diner, Ereignis und Erinnerung. 27 Um diese Frage kreiste etwa die öffentliche Debatte um die Schriften Achille Mbembes und die Erklärung „GG 5.3 Weltoffenheit“ mehrerer bedeutender Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland.
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messene Form der Darstellung und Perspektivierung von jüdischer Geschichte zu formulieren und deren aktuelle Bedeutung zu reflektieren. Der konkrete Bezug auf den Ort, an dem sie sich befinden, und dessen spezifische Geschichte spielt dabei eine zentrale Rolle.
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Das Verschwinden der Zeitzeugen und neue Formen der Erinnerung: Perspektiven der dritten Generation im Dokumentarfilm Seit 40 Jahren wird das Verschwinden der Generation der Zeitzeug*innen antizipiert, und die Auseinandersetzung mit ihren Zeugnissen ist schon früh vom Bewusstsein dieses kommenden Abschieds geprägt. Anfang 1980 schrieb Karl Fruchtmann in einem erstens Exposé zu seinem Film Zeugen. Aussagen zum Mord an einem Volk: Diese Gesichter [der Überlebenden] sind Akteure und Szenenbildner zugleich, sie sind die Dokumente des Films. […] Die Ueberlebenden sterben aus. Nicht mehr viele Jahre, und es werden keine mehr da sein. Der Film will sie als Zeugen zu Worte kommen lassen uns sie und ihre Aussagen in gebuehrender Form festhalten, ehe es zu spaet ist.1
Dabei stand Fruchtmanns Film eher am Anfang einer Phase, die durch die Präsenz von Überlebenden geprägt ist.2 Diese Zeitzeug*innenfiguren sind nicht zuletzt medial verfasst. Entsprechend ist ihre Entwicklung stark durch medientechnische Entwicklungen und die daraus resultierende Veränderung der Möglichkeiten bedingt.3 Obwohl erste Zeugnisse und Berichte von Überlebenden der Konzentrations- und Vernichtungslager bereits nahezu unmittelbar nach Kriegsende gesammelt wurden4 – zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht im audiovisuellen Bewegtbild, sondern schriftlich oder auf Tonband – wurden sie erst im 1 Archiv der Akademie der Künste Berlin, Nachlass Karl Fruchtmann, Fruchtmann 204. 2 Vgl. beispielsweise Annette Wieviorka, The Era of the Witness, Ithaca 2006. Im Folgenden verwende ich den Begriff der Überlebenden, wenn es um Überlebende der Shoah geht und Zeitzeug*innen, wenn auch Täter*innen oder Mitläufer*innen/Bystander eingeschlossen werden sollen. Es scheint mir wichtig, ihren jeweiligen Aussagen nicht den gleichen Stellenwert des Zeugnisses zuzuschreiben und die ihre Aussagen beeinträchtigenden Faktoren wie Extremtraumatisierung und möglicherweise lückenhafte Erinnerung auf der einen Seite und den Wunsch nach Entlastung, Verschweigen oder auch Straffreiheit sowie unbewusste Verdrängung auf der anderen angemessen auf der begrifflichen Ebene zu berücksichtigen. 3 Vgl. Judith Keilbach, Mikrofon, Videotape, Datenbank. Überlegungen zu einer Mediengeschichte der Zeitzeugen, in: Martin Sabrow/Norbert Frei (Hrsg.), Die Geburt des Zeitzeugen nach 1945, Göttingen 2012, S. 279–299. 4 Yad Vashem begann bereits Ende der 1940er-Jahre Zeugenaussagen zu sammeln, wie auch David Boder 1946 mit seinem Projekt „Voices of the Holocaust“. Siehe https://iit.aviaryplatform.com/collections/231, letzter Zugriff: 10. Januar 2021). https://doi.org/10.1515/9783110710601-013
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Zuge des Eichmannprozesses 1961 als Zeuginnen und Zeugen erstmals für ein breites, internationales Publikum sichtbar.5 Die Bilder des Prozesses zeigten ihre Aussagen in ihrer ganzen Drastik und fanden schnell, wenn auch noch nicht live, in vielen Ländern ihren Weg in den privaten Raum des heimischen Wohnzimmers, wo sie ein Publikum auch affektiv erreichten. Die in der folgenden Zeit wachsende Aufmerksamkeit für die Überlebenden der Shoah war durch die gesellschaftliche und historische Situation begründet, aber sie wurde erst durch die Veränderung der medialen Bedingungen ermöglicht, wie Judith Keilbach nachzeichnet.6 In der Folge entstand eine sowohl sozial als auch medial bedingte Nachfrage nach Berichten von Überlebenden. Entsprechende Sprecher*innenpositionen wurden ihnen nun vermehrt angeboten. Doch erst mit den Interviewprojekten, die ab der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre entstanden, wurden die Überlebenden der Shoah zu den zentralen Figuren der Erinnerung. Auch dieser Zeitpunkt lässt sich medientechnisch wie gesellschaftlich begründen: zum einen gewann der Holocaust an kultureller und gesellschaftlicher Relevanz, zum anderen erlaubte die Videotechnik es nun „Amateuren“, kostengünstig lange Zeit am Stück aufzuzeichnen.7 So verwundert es kaum, dass zeitnah zu den Interviewprojekten die ersten Interviewfilme entstanden, die ausschließlich oder doch weitgehend Interviews mit Zeitzeug*innen8verwendeten und zur Etablierung dieser Inszenierungsform beitrugen: Eberhard Fechner begann im Februar 1976 die Arbeit an seinem dreiteiligen Fernsehfilm Der Prozess, Claude Lanzmanns insgesamt elfjährige Arbeit an Shoah begann 1974, Karl Fruchtmann führte Anfang 1980 die ersten aktenkundigen Gespräche über seinen Zeugen-Film, der als erster der drei 1981 erscheinen sollte.9 Es ist charakteristisch, dass in der audiovisuellen Aufnahme der Überlebenden nicht nur das Erzählte, sondern über ihre Gesichter – die Karl Fruchtmann als Akteure und Szenenbildner beschreibt – auch das Wie des Erzählens verstärkt in den Vordergrund geriet. Der Prozess des Zeugnisablegens ist in fast allen Überlebenden-Interviews, trotz aller Unterschiede in der Interviewtechnik, der gestellten Fragen und des äußeren Settings, zentral. War das Suchen nach Sprache, das Stocken, das Brechen der Stimme bereits in den Tonaufnahmen 5 Vgl. Wieviorka, The Era of the Witness. 6 Keilbach, Mikrofon, Videotape, Datenbank. 7 Keilbach, Mikrofon, Videotape, Datenbank, S. 295. 8 In Fechners „Prozess“ beispielsweise werden Opfer und Täter interviewt, weshalb hier von Zeitzeug*innen geschrieben wird. 9 Sven Kramer, Eberhard Fechners Interaktion mit Zeitzeugen in ausgewählten Interviews für die Fernsehproduktion „Der Prozess“, in: Rolf Aurich/Torsten Musial (Hrsg.), Eberhard Fechner. Chronist des Alltäglichen, München 2019, S. 104–135, hier S. 104.
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hörbar geworden, verband es sich jetzt mit Mimik, Lächeln und Tränen. Diese Gesprächsanordnung der videografierten Überlebendeninterviews ist bis heute prägend und ist nicht dem Dokumentarfilm vorbehalten, sondern wird auch auf unterschiedliche Weise im Spielfilm zitiert. Zwei Beispiele sollen hier die Bandbreite verdeutlichen: Im Actionfilm Terminator (USA 1984, Regie: James Cameron) erzählt in einer kurzen Szene Kyle Reese, ein Soldat, der aus einer von maschinenbeherrschten Zukunft von der menschlichen Résistance zurückgeschickt wurde, von dieser dystopischen Zukunft: „Most of us were rounded up, put in camps for orderly disposal.“ Dann schiebt er seinen Ärmel hoch und ein auf seinen Arm tätowierter Barcode wird sichtbar, der ihn vom Menschen zur Ware macht. „This is burned in by laser scan. Some of us were kept alive, to work, loading bodies. The disposal units ran night and day, we were that close to going out forever.“Die im Schuss-Gegenschuss-Verfahren inszenierte Szene wechselt zwischen den Gesichtern von Reese und seiner Zuhörerin Sarah Connor. Ihr Entsetzen und ihr Schrecken wird durch ihre geweiteten Augen angedeutet, bleibt aber, verglichen mit dem folgenden Beispiel, subtil. Die Szene in Terminator zeigt nicht nur, dass Camps, Leichenberge und tätowierte Häftlingsnummern 1984 bereits popkulturelle Chiffren waren, sondern auch, dass das Sprechen, das Zeugen von einem uns – den hier von Sarah Connor personifizierten Zuschauer*innen – unbekannten Horror an die Zeitzeug*innen gebunden ist, deren Autorisierung durch das in der Häftlingsnummer visuell beglaubigten Selbsterleben erfolgt.10 Der Zeuge bzw. die Zeugin braucht aber eine*n Zuhörer*in, der oder die zum sekundären Zeugen bzw. Zeugin werden kann.11 Diese Adressierung als eine doppelte, an das Figurengegenüber und das Publikum, ist für die Inszenierung im Spielfilm zentral. 30 Jahre nach Terminator erzählt der Film Der letzte Mentsch (FR/DE/CH 2014, Regie: Pierre-Henry Salfati) die Geschichte des Shoah-Überlebenden Marcus Schwartz (Mario Adorf), der mit der jungen Gül (Katharina Derr) nach Ungarn reist, um die eigene jüdische (halachische) Zugehörigkeit nachweisen und jüdisch beerdigt werden zu können. Diese wie ein Roadmovie beginnende Handlung zeigt eine Auseinandersetzung mit der lang verdrängten Erinnerung an die Shoah, die auch in der anfänglichen Verweigerung Ausdruck findet, mit dem jungen deutschen Arnold (Roland Bonjour) ein Interview aufzunehmen – 10 Vgl. Florian Evers, Vexierbilder des Holocaust: Ein Versuch zum historischen Trauma in der Populärkultur, Berlin 2011; Tobias Ebbrecht-Hartmann, Geschichtsbilder im medialen Gedächtnis. Filmische Narrationen des Holocaust, Bielefeld 2019. 11 Vgl. zur Bedeutung der sekundären Zeugenschaft u. a. Ulrich Baer (Hrsg.), Niemand zeugt für den Zeugen. Erinnerungskultur und historische Verantwortung nach der Shoah, Frankfurt am Main 2000, S. 11.
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die Figurenentwicklung zeigt sich über die langsame Auflösung dieser Verdrängung. „Ich bin kein Spielberg-Selbstdarsteller“, wendet Schwartz noch gegen das Interview ein, doch Ethel, eine andere Überlebende erwidert: „Irgendwann wird der Letzte von uns gehen und dann ist das vielleicht das Letzte, was von uns bleibt.“ In der folgenden Sequenz wird die Ästhetik des videografierten Überlebendeninterviews mit Erzählformen des Spielfilms amalgamiert: Die Gesprächsanordnung des alten Überlebenden vor und der nachgeborenen Generation – verkörpert durch Gül und Arnold – hinter der Kamera, das Ringen um Sprache, der ins Gesicht geschriebene Erinnerungsschmerz werden ausführlich gezeigt. Die Verfolgungsgeschichte der Figur wird dann aber tatsächlich in flüssiger Sprache im Off-Kommentar und mit Musik unterlegt erzählt. Die Inszenierung des Interviews erfolgt in einer Schuss-Gegenschuss-Montage, die die Gesprächssituation des Interviews betont und Gül und Arnold als die Adressat*innen des Zeugnisses immer wieder ins Bild rückt – sie werden als Anwesende adressiert und ihre emotionale Reaktion fungiert als Lektüreanweisung für das Publikum. Dabei ist die mediale Vermittlung stets im Bild präsent: Das Objektiv der Kamera wird mehrfach in Großaufnahme gezeigt, wir sehen Schwartz über das Display der Kamera. Hier wird deutlich, wie sich dreißig Jahre nach Terminator nicht nur die Erzählung über die Vernichtungslager, sondern auch die spezifische mediale Form des Überlebendeninterviews in die Erinnerung an die Shoah eingeschrieben hat. Je näher der tatsächliche Abschied von der Generation der Zeitzeug*innen rückte – und er vollzog sich ja Schritt für Schritt und nicht auf einen Schlag – desto wichtiger wurden sie. In Begriffen wie „Dekade der Zeitzeugen“ findet sich diese Entwicklung wieder.12 Gleichzeitig geht der Erinnerungsboom, der in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre beginnt, mit einer Hinwendung zum deutschen Leid während des Zweiten Weltkriegs einher.13 Doch endet die Inszenierung der Zeitzeug*innen als zentrale Medienfiguren der Erinnerung nicht mit dem Tod der Überlebenden – wie Christoph Classen beispielhaft am deutschen Fernsehen aufzeigt.14 Heute, zu Beginn der 2020erJahre, ist deutlich, dass mit den Hologrammen, die sich aus mehreren tausend Aufnahmen kleiner Kameras zusammensetzen und durch Spracherkennungs12 So bezeichnet der Historiker Nobert Frei 2005 die zurückliegenden zehn Jahre. Norbert Frei, 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen, München 2005, S. 9. 13 Vgl. Antonia Schmid, Ikonologie der „Volksgemeinschaft“. „Deutsche“ und das „Jüdische“ im Film der Berliner Republik, Göttingen 2019. 14 Christoph Classen, Der Zeitzeuge als Artefakt der Medienkonsumgesellschaft. Zum Verhältnis von Medialisierung und Erinnerungskultur, in: Sabrow/Frei, Die Geburt des Zeitzeugen, S. 300–319.
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software in die Lage versetzt werden, Teile von Interviews als vermeintliche Antworten auf Fragen eines Gegenübers auszuspielen, die Zeitzeug*innen als medial vermittelte Figuren in die Zukunft gerettet werden, nicht jedoch die Überlebenden – als Menschen, als Eltern oder Großeltern, als Freunde oder Nachbarn sterben sie. Ob und inwieweit die in Hologrammen und anderen medialen Formen präservierten Zeitzeug*innen ihre Aura einbüßen, bleibt abzuwarten, doch sie sind und werden auch in näherer Zukunft nicht aus der Erinnerungsarbeit verschwinden.
Neue Formen – neue Sorgen? Auch wenn Zeitzeug*innen als mediale Figuren in der Erinnerungsarbeit auf unterschiedliche Weisen präsent bleiben werden, ist der Abschied von den Angehörigen der sogenannten „Erlebnisgeneration“ doch bald abgeschlossen. Der sich darin abzeichnende doppelteÜbergang, sowohl generationell als auch medial, in die nun ausschließlich vermittelten, vielfach digitalen Formen von Erinnerung, wirft die Frage nach Neuerungen auf. Vielfach ist sie mit Besorgnis darüber verbunden, ob und wie sich Erinnerungskultur in Zukunft fortschreiben lässt für junge Menschen, für die NS-Vergangenheit und Holocaust noch weiter zurückliegen; ob sie sich noch interessieren (lassen) und erinnern werden. Die Debatten, die über die Nutzung von sozialen Medien wie TikTok, Snapchat oder Instagram im Kontext der Erinnerung an die Shoah geführt wurden, sind vielfach von dem Misstrauen ob der Angemessenheit der Formen geprägt. Beispielhaft dafür sind die Reaktionen auf die unter dem Hashtag #HolocaustPOVchallenge geposteten TikTok-Videos, die – vorwiegend US-amerikanische – User*innen als während der Shoah Ermordete zeigen und von ihrer Verfolgung und ihrem Tod erzählen: Ihnen wird Unangemessenheit, Trivialisierung und Respektlosigkeit vorgeworfen. Dem gegenüber stehen Versuche, die Videos zunächst in einer veränderten Medienlandschaft einzuordnen: „They were made as part of a popular TikTok trend: POV (point-of-view) videos, a new form of expression in which the creator interprets painful social-political events, such as sexual abuse, racism, school shootings, and various historical tragedies, in a creative and playful but also highly engaged way.“15 Anschließend wird diese digitale Form der Auseinandersetzung als durchaus ernsthaftes Engagement verteidigt. Ähnliche Argumente wie auch Debatten15 www.haaretz.com/us-news/.premium-let-tiktok-users-pretend-to-be-victims-of-the-nazis-itstrengthens-holocaust-memory-1.9141182, letzter Zugriff: 26. Oktober 2020.
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verläufe lassen sich für Serious Games wie Through the Darkest of Times beobachten. Digitale Spiele haben ohnehin einen schlechten Leumund in öffentlichen Diskursen, da „Computerspiele“ primär mit Unterhaltung und Freizeit assoziiert werden und darüber hinaus vor allem im Kontext von Amokläufen und anderen Formen von Gewalt über die Grenzen ihrer Nutzer*innen-Community hinaus breite Aufmerksamkeit in der Mediengesellschaft erregen.16 Dabei spielt der Nationalsozialismus schon seit Jahren eine Rolle in digitalen Spielen und es kann gleichzeitig berechtigt gefragt werden, wie der Holocaust darin angemessen auftauchen könnte, und darauf hingewiesen werden, was es bedeuten würde, wenn er im Kontext des NS im Spiel weiterhin eine Leerstelle bliebe.17 Zwei Hintergründe sind für die Auseinandersetzung mit den neuen Formen der Erinnerung relevant: Zum einen besteht die Debatte um die Angemessenheit populärkultureller Auseinandersetzungen mit der Shoah in dieser hitzigen Form spätestens seit der Serie Holocaust, die 1978 in den USA, 1979 in Deutschland ausgestrahlt wurde. Verändert hat sich, dass die medialen Anwendungen, sei es TikTok, seien es digitale Spiele, für viele Kritiker*innen in den Feuilletons, aber auch für Sprecher*innen aus vielen wissenschaftlichen Disziplinen oder aus der Politik zunehmend unbekanntes Terrain sind. Sie mögen die Funktionsweisen kennen, sind aber keine User*innen, die mit den Anwendungen technisch, vor allem aber habituell aus eigener Nutzung vertraut wären. Es mischt sich eine generelle Skepsis gegenüber der Eignung dieser digitalen Formate für ernsthafte politische Auseinandersetzungen mit einer generationellen Distanz. Hinzu kommen die – durchaus unterschiedlichen – Argumente der Auseinandersetzung über angemessene Repräsentationen der Shoah.18 Dabei scheint sich erst langsam die Erkenntnis durchzusetzen, dass jüngere Generationen nicht nur Konsument*innen von Erinnerungsmedien sind, sondern auch Protagonist*innen einer medial vermittelten Erinnerung, an der sie mit der Pro16 Auch hier entstehen interessante Initiativen, die diese Entwicklung reflexiv, vor allem aber gestaltend begleiten wollen, wie das Projekt Pitch Jam: Erinnerungskultur mit Games, das von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft gefördert wird und aus dem ein Handbuch mit zehn Leitfragen zur Anwendung spielbasierter Digitalformate in der Erinnerungskultur entstand. Siehe www.stiftung-digitale-spielekultur.de/app/uploads/2020/08/SDK_Erinnern-mitGames_bfrei.pdf, letzter Zugriff: 28. November 2020. 17 Vgl. Eugen Pfister, Das Unspielbare spielen. Imaginationen des Holocaust in Digitalen Spielen, in: Zeitgeschichte 4 (2016), S. 250–263. 18 Natürlich werden diese Veränderungen bereits vielfach reflektiert. Dabei wird häufig der Bogen gespannt von der filmischen Erinnerung zur Digitalisierung der Erinnerung über Games, Apps und Social Media Anwendungen. Vgl. bspw. Das Dialogforum Mauthausen „Holocaust in Film und Neuen Medien“, das 2018 stattfand. Siehe www.mauthausen-memorial.org/de/Teilnehmen/Veranstaltungen/10-Dialogforum-Mauthausen-Holocaust-in-Film-und-Neuen-Medien, letzter Zugriff: 13. Januar 2021.
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duktion von Inhalten aktiv beteiligt sind.19 Möglicherweise erhalten die digitalen Formen der Erinnerungskultur eine breitere Akzeptanz durch die CoronaPandemie, die nicht nur junge Menschen in die digitale Vermittlung drängt.20 Zum anderen ist es aber auch interessant, dass die inzwischen 75 Jahre seit Kriegsende als zunehmend unüberbrückbare Distanz wahrgenommen werden. Zweierlei wird dabei in diesem Kontext weitgehend übersehen: Zum einen, dass in Deutschland auch mit geringerem zeitlichen Abstand viele Menschen wenig von den nationalsozialistischen Verbrechen wissen, geschweige denn sich kritisch mit den eigenen (familienbiografischen) Bezügen konfrontieren wollten. Die Hinwendung zu Opferperspektiven ab den 1970er-Jahren mag das ein wenig verdeckt haben. Für kurze Zeit schien es einen politischen Konsens über den Stellenwert der Erinnerung an Shoah und Nationalsozialismus zu geben. Inwiefern dieser aber von der Breite der Bevölkerung mitgetragen wurde, ist nicht erst jetzt, wo er politisch in einer neuen Vehemenz und Offenheit angegriffen wird, zu hinterfragen. Dabei sind es weniger junge Generationen, die sich durch neue Erzählungen von einem vermeintlichen erinnerungskulturellen Konsens abwenden, als vielmehr eine kontinuierliche Forderung nach einem Schlussstrich, die sich seit 1945 in unterschiedliche narrative Gewänder kleidet. Auch wird übersehen, dass die zeitliche Distanz unterschiedlich wahrgenommen wird: In Familien mit Opfern der Shoah sind die Ereignisse und die Verfolgung häufig noch sehr präsent, während in Familien von Täter*innenoder Mitläufer*innennachkommen kaum oder keine familienbiografische Verbindung mit der Zeit des Nationalsozialismus empfunden wird.21 Die hier häufig fehlende oder apologetisch-verkürzte Auseinandersetzung mit der Geschichte 19 Steffi de Jong, Von Hologrammen und sprechenden Füchsen – Holocausterinnerung 3.0, erinnern.hypotheses.org/files/2015/07/Von-Hologrammen-und-sprechenden-F%C3%BCchsen%C2%AD-Holocausterinnerung.pdf, letzter Zugriff: 26. Oktober 2020. 20 Aktuelle digitale Projekte von Gedenkstätten, die aus der Pandemie heraus entstanden oder beschleunigt wurden, beschreibt Tobias Ebbrecht-Hartmann, Entfernte Erinnerung. Wie Gedenkstätten auf die COVID-19 Pandemie reagieren, www.yadvashem.org/de/education/newsletter/november-2020/entfernte-erinnerung.html, letzter Zugriff: 1. Dezember 2020. 21 Das zeigte sich auch in einer aktuellen Studie zum Umgang mit Antisemitismus an Berliner Schulen. Dort historisierten die befragten Lehrer*innen Antisemitismus nicht nur, indem sie ihn primär mit dem Nationalsozialismus in Verbindung brachten, sondern beschrieben als Berührungspunkte mit dem NS ohne Ausnahme ihre eigene Lernbiografie in der Schule und keine privaten, innerfamiliären Ereignisse. Dabei handelte es sich nicht um Jugendliche, sondern um Erwachsene der zweiten oder dritten Generation nach dem 2. Weltkrieg. Vgl. Marina Chervinsky/Friederike Lorenz, Antisemitismus im Kontext Schule. Deutungen und Umgangsweisen von Lehrer*innen an Berliner Schulen, November 2020, https://zwst-kompetenzzentrum.de/ wp-content/uploads/2021/02/Forschungsbericht_Lehrerstudie_2020.pdf, letzter Zugriff: 13. Januar 2021.
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der eigenen Eltern, Groß- oder Urgroßeltern ist vielfach konstatiert worden.22 Auffällig ist, dass in vielen erinnerungskulturellen Debatten in Deutschland hierin immer noch kein oder kaum ein Potential für künftige Auseinandersetzungen gesehen wird.23 Dabei könnten persönliche Bezüge zur Geschichte durchaus eine Brückenfunktion übernehmen, um Vergangenheit zu vergegenwärtigen und daraus für die Gegenwart eine politische Haltung und Verantwortung abzuleiten. Beide Aspekte zeigen, dass Erinnerungskultur sich nicht kohärent in eine Richtung entwickelt, weder als Fortschrittserzählung der Berliner Republik, die in der Selbstwahrnehmung als „Erinnerungsweltmeister“ kulminiert, noch einer bedrohlichen Zukunft entgegen, in der die Errungenschaften der Vergangenheit und Gegenwart verloren gehen werden. Erinnerung zeigt sich stattdessen als widersprüchlich und umkämpft, in Bewegung und Veränderung befindlich und vor allem als heterogen. Um diese vieldeutigen und multidimensionalen Ebenen der Erinnerung an die Shoah weiterhin zu fassen, werden nicht unbedingt neue mediale Formen benötigt; auch etablierte wie der Dokumentarfilm legen Beispiele für Erinnerungsarbeit vor, die gleichermaßen als Reflexionen wie auch als Vorschläge gelesen werden können. Dies zeigt sich besonders an zeitgenössischen Dokumentarfilmen der dritten Generation: Sie sind zwar trotz digitaler Aufnahmetechnik „alte“ Medienformate, doch ermöglichen sie auf Grund der kleineren Teams und der geringeren Kosten eher einen auteur-Status der Filmschaffenden, der autobiografische Ansätze erlaubt, die wiederum nicht unter dem gleichen Zeitdruck der Bildproduktion entstehen wie Social-Media-Formate.24 Als Erinnerungsmedium, das Erinnerung aufbewahrt und mit seinen Inszenierungen und Präsentationen die kollektiven Gedächtnisse prägt, kann der Dokumentarfilm nicht nur die Rekonstruktion der Vergangenheit sichtbar machen, sondern auch die Erfahrung von Erinnerung. Mehr noch zeigt er ihre doppelte Vermittlung: ein medialer und generationeller Vermittlungsprozess, der sich tief in die Generationenverhältnisse einschreibt. In den Dokumentarfilmen der dritten Generation werden diese Ver22 Vgl. z. B. Harald Welzer/Sabine Moller/Karoline Tschuggnall, „Opa war kein Nazi.“ Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt am Main 2002. 23 Natürlich weisen Publikationen darauf hin und einzelne Initiativen wie der Arbeitskreis für intergenerationelle Folgen des Holocaust, oder auch die Rechercheseminare der Gedenkstätte Neuengamme, die zur familienbiografischen Archivrecherche befähigen sollen, setzen mit ihrer Arbeit an genau diesen Lücken an. 24 Es ist auffällig, dass die Stimmen jüdischer Filmemacherinnen besonders im Dokumentarfilm zu finden sind: Von Jeanine Meerapfels Im Land meiner Eltern (1982), Ulrike Ottingers Exil Shanghai (1997), Angelika Levis Mein Leben Teil 2 (2003), bis zu Yael Reuveny, Alexa Karolinski oder Sharon Ryba-Kahn, die im vorliegenden Beitrag diskutiert werden.
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hältnisse als Ort der Erinnerungsarbeit zum Gegenstand. Sie werden intensiv befragt, Differenzen in den Perspektiven und Widersprüche offen gelegt und damit die (familiale) Tradierung von Erinnerung in den Blick genommen.
Autobiografische Dokumentarfilme der 3. Generation „Yet it seems like the war never ended in my family – […]“ It takes a family Sechs Dokumentarfilme stehen im Zentrum der folgenden Überlegungen, die aus unterschiedlichen Perspektiven die Gegenwart eines bzw. einer Icherzähler*in mit der Vergangenheit verbinden: Zwei, Schnee von gestern (DE/IL 2012/ 13, Regie + Konzept: Yael Reuveny) und Café Nagler (IL/DE/CH/CA 2015/16, Regie + Konzept: Mor Kaplansky), sind Filme israelischer Filmemacherinnen, wobei Yael Reuveny seit über zehn Jahren in Berlin lebt.25Lebenszeichen. Jüdischsein in Berlin (DE 2017/18, Regie + Konzept: Alexa Karolinski) und Displaced (DE 2018-20, Regie + Konzept: Sharon Ryba-Kahn) fragen danach, was es für die in Deutschland geborenen Regisseurinnen bedeutet als Jüdinnen dort zu leben – alle vier genannten Filme haben einen starken Berlinbezug, alle vier erzählen Familiengeschichten. It takes a family (DK 2019, Regie + Konzept: Susanne Kovács) der dänischen Regisseurin Susanne Kovács ist das einzige Beispiel, das einen eher randständigen Bezug zu Deutschland hat: Die Filmemacherin und Icherzählerin ist Tochter eines in Ungarn geborenen jüdischen Vaters und einer deutschen (nichtjüdischen) Mutter. Demgegenüber unterscheidet sich Der Krieg in mir (DE/CH 2016-19, Regie + Konzept: Sebastian Heinzel) von den anderen Filmen dadurch, dass er mit dem Filmemacher Sebastian Heinzel eine deutschnichtjüdische Perspektive einnimmt, in der die Shoah kaum eine Rolle spielt. Der letzte Film fällt auf augenfällige Weise heraus, so dass fraglich ist, ob er mit den erstgenannten in einer Reihe stehen und auf diese bezogen werden kann. Zu unterschiedlich ist die Erfahrung und Erinnerung in Familien von Opfern und denen von potentiellen Täter*innen oder Mitläufer*innen. Doch Machart und Zugang von Der Krieg in mir erinnern so deutlich an die (filmische) Erinnerungsarbeit der dritten Generation der Überlebenden der Shoah, dass es doch lohnenswert scheint, diesen Ähnlichkeiten nachzugehen und zu prüfen, ob es 25 Die Entscheidung, in Berlin zu leben, und ihr Verhältnis zu Israel thematisiert sie in ihrem jüngsten Dokumentarfilm Promised Lands (2020).
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eine tragfähige Vergleichsebene geben kann und in welchem Verhältnis die Filme stehen. Bei allen Unterschieden weisen die sechs Dokumentarfilme, um die es hier beispielhaft gehen soll, auch einige Gemeinsamkeiten auf: Erstens sind die Filmemacher*innen alle zwischen 1979 und 1984 geboren. Sie sind die Enkel*innen von Überlebenden und Zeitzeug*innen, d. h. ihre Großeltern gehören zur „Erlebnisgeneration“, während ihre Eltern nach der Shoah und dem 2. Weltkrieg geboren wurden. Man kann sie also als Angehörige der dritten Generation beschreiben, wobei der Generationenbegriff hier nicht im Sinne eines synchronen Verständnisses als verschiedene Geburtenjahrgänge umfassend, sondern als diachrone familiäre Kategorie zu verstehen ist, die weniger eine altershomogene Gruppe konstruiert, die untereinander durch Ähnlichkeit gekennzeichnet ist, als vielmehr einen zeitlichen, generationellen Abstand zu einem Ereignis bestimmen soll. Zweitens erzählen die Filmschaffenden aus der ersten Person Singular. Ein erzählerisches Ich amalgamiert sich in diesen autobiografischen Erzählungen mit dem Ich der Filmemacher*innen. Dabei sind die Filmschaffenden alle für Regie und Konzept der Filme verantwortlich. Vielfach scheint die Kamera ihre Perspektive einzunehmen, sie sind jedoch in einzelnen Szenen auch selbst sichtbar, so dass sie zu den Hauptfiguren der Filme werden. Sie sprechen aus dem Off als erzählende Instanzen. Drittens untersuchen sie mit diesen familienbiografischen Erzählungen das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart, die Frage nach deren Verschränkung, der transgenerationellen Weitergabe von traumatischer Erfahrung, der prägenden Kraft der Vergangenheit für die individuellen Perspektiven auf die Gegenwart und die eigene Verortung in ihr. Damit leisten sie zweierlei, was im Kontext dieses Bandes von Interesse sein kann: Sie untersuchen die Gegenwart mit ihrem Verhältnis zur Vergangenheit und liefern damit eine (künstlerische) Analyse gegenwärtiger Verhältnisse. Sie präsentieren in ihren filmischen Formen von Erinnerungsarbeit aber auch verschiedene Zugänge zur Vergegenwärtigung der Vergangenheit. Diese lassen sich als Vorschläge dazu verstehen, was Erinnerung künftig bedeuten und wie die Vergangenheit adressiert werden kann. Im Folgenden sollen diese Entwürfe über ihre Ausgangspunkte, die Bedeutung der Generation für die Erzählung und die Rolle von Medien herausgearbeitet werden.
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Der Ausgangspunkt „But now I have decided that we should talk together.“ It takes a family In den ersten Minuten werden Aufträge vergeben oder sich selbst gestellt, Fragen formuliert und Konflikte skizziert. Versteht man die Filme als (inszenierte) Reisen in die Auseinandersetzung mit Erinnerung und Familiengeschichte, so erklärt sich vieles über ihre Ausgangspunkte und verdichteten Anfänge: Sowohl Café Nagler als auch Lebenszeichen – Jüdischsein in Berlin beginnen mit Bildern von Händen und dem Decken eines Tisches. Doch mit diesen Anfangsszenen beginnen sehr unterschiedliche Geschichten und daraus hervorgehende Erzählrichtungen: In Café Nagler zeigt die Großmutter der israelischen Filmemacherin Mor Kaplansky, wie man einen Kaffeetisch eindeckt. Mit dem Geschirr aus dem früheren Café ihrer Großmutter wird daraus eine rituelle Handlung, in der die Erinnerung an das Leben in Berlin vor der Shoah tradiert und zum Familienmythos erhoben wird. Gleichzeitig liegt darin eine bildhafte Assoziation der Jeckes, der deutschen Juden in Israel, in deren Wohnzimmern unbeeindruckt von der neuen, nahöstlichen Umgebung immer noch Apfelstrudel und Kaffee serviert wurden. Kaplansky reist später nach Berlin, um vor Ort die Geschichte dieses in ihrer Familie mythisch aufgeladenen Cafés zu rekonstruieren. Der Film erzählt zentral von diesen Recherchen. Auch Lebenszeichen der Filmemacherin Alexa Karolinski beginnt mit dem Decken eines Tischs. Doch hier ist es kein nachmittäglicher Kaffeetisch, sondern eine große, festliche Tafel zu Rosh Hashana. Wir sehen die Hände ihrer Mutter das Silber sortieren. Sie erzählt von dem Verhältnis ihrer Eltern zu Kanada und Deutschland, was für stolze Kanadier ihre Eltern gewesen seien, die keine deutschen Produkte kauften und nie wieder einen Fuß nach Deutschland setzen wollten und wie sie dann als dort geborene Jüdin (der zweiten Generation) mit Karolinskis Vater, den sie in den USA kennengelernt hatte, als verliebte junge Frau nach Berlin kam. In Lebenszeichen schließt sich daran eine weiter gefasste Befragung des gegenwärtigen jüdischen Lebens in Berlin an, wobei das Gespräch mit ihrer Mutter und damit die eigene Familiengeschichte ein zentraler Bezugspunkt bleibt, zu dem der Film immer wieder zurückkehrt. Wie Café Nagler beginnt Schnee von gestern in Israel. In ihrem Wohnzimmer sprechen die Eltern der Filmemacherin Yael Reuveny über Deutschland, das Reuveny als ihr gegenwärtiges Zuhause bezeichnet hat und wohin sie bald wieder (zurück)reisen will. Sie sind unterschiedlicher Meinung darüber, ob Deutschland das Zuhause ihrer Tochter sein könne und was sie mit diesem Ort
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gemein haben könne. Die Szene endet mit der an Reuveny und die Kamera adressierten Frage, ob sie dort bleiben wolle. Sie hängt unbeantwortet im Raum, als der Filmtitel eingeblendet wird. Der folgende Film wird sie zu beantworten haben, obwohl es doch eigentlich um Reuvenys Großmutter und ihren verschwundenen Brudergehen soll. Durch diese Exposition wird die Zukunftsperspektive in Deutschland untrennbar mit der folgenden Rekonstruktion der Familiengeschichte verbunden. In einer animierten Sequenz ziehen Bilder eines Birkenwaldes von rechts nach links vorüber, Nebel hängt zwischen den Bäumen, Waldgeräusche sind zu hören. Dann rollt ein Panzer mit dem schwarzen Kreuz ins Bild, ein Soldat schaut aus der Luke am Maschinengewehr. Wir sehen von hinten auf seinen Helm, über der rechten Schulter der Lauf der Waffe, sehen ihn in der nächsten Einstellung von vorn und schauen in den Lauf des Gewehrs. Von oben sehen wir den Panzer auf eine Lichtung rollen und stehen bleiben. Der Soldat, wieder im Profil, schießt, sein Gesicht ist jetzt verzerrt, der Lauf der Waffe ist in Großaufnahme im Profil zu sehen, anschließend sein Gesicht in Großaufnahme. Dann ist es still, der Soldat blickt um sich, ein schneller Herzschlag ist zu hören. Mit einer Schwarzblende endet die animierte Sequenz, eine Kamerafahrt zeigt den Schwarzwald von oben, der Off-Kommentar beginnt: Warum träume ich vom Krieg? Ich wohne auf einem Biobauernhof in einem kleinen Schwarzwalddorf. Das ist so idyllisch, dass es schon einmal zum zweitschönsten Dorf Deutschlands gewählt wurde. Hier sind meine beiden Kinder auf die Welt gekommen. Wenn ich es von außen betrachte, ist mein Leben völlig in Ordnung.
Wir sehen den Filmemacher von oben auf seinem Bauernhof stehen, er wirft einen langen Schatten. Der Titel wird eingeblendet: Der Krieg in mir. Der Filmemacher spricht weiter aus dem Off:
Abb. 13-1: Der Krieg in mir (DE/CH 2016– 2019, Regie + Konzept: Sebastian Heinzel)
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Meine Träume beunruhigen mich. Nachts bin ich als Soldat in Russland. Schweißgebadet wache ich nach solchen Albträumen auf. Ich kann nicht mehr ruhig schlafen. Woher kommen meine inneren Bilder?
Sebastian Heinzel, Regisseur und erzählendes Ich des Films, begibt sich auf die Suche nach dem Ursprung seiner Kriegsträume, aber auch nach der Geschichte seiner beiden deutschen Großväter. Die äußere Idylle des Schwarzwaldes wird durch die animierten Traumbilder brüchig.26 Diese Widersprüchlichkeit soll im Folgenden durch Auseinandersetzung aufgelöst werden. Die erste Einstellung von Displaced zeigt den Abzug eines Fotos, der neben einer Seite mit gedrucktem Text liegt. Darauf liegt ein Handy, auf dessen Screen ein geöffneter Messengerdienst mit einem Chatverlauf mit „Papa“ zu erkennen ist. „Papa“ wird als online angezeigt und die letzten beiden, bereits gelesenen Nachrichten sind die abfotografierte Fotografie und der Text. Während der Text durch die Anordnung kaum lesbar ist, lediglich die Worte „Dritte Generation“, „Schoah“ und „Distanz“ an unterschiedlichen Stellen ins Auge stechen, zeigt die Fotografie deutlich erkennbar einen Mann mit einem Kleinkind im Bett. Der Mann hält das Kind im Arm und schläft, während das dunkelhaarige Kind in die Kamera schaut, die die Fotografie aufnahm. Der Blick der Fotokamera wird durch die Einstellung der Filmkamera gedoppelt, so dass das Kind uns anzuschauen scheint. Aus dem Off erzählt die Filmemacherin auf Englisch, dass ihr Vater während ihrer Geburt Tennis gespielt habe. Sie wird im Profil sichtbar, die Off-Stimme kontrastiert die Mutter, die sie großgezogen und ihr ein liebevolles Zuhause gegeben habe, und den Vater, von dem sie nie verstanden habe, warum er ihr kein Vater sein konnte. Sie habe mit ihm seit sieben Jahren nicht gesprochen. Daran schließt ein erstes (digitales) Telefonat an. Das eigene Gefühl des Displacements wird versucht über die Beziehung zum Vater und die Verfolgungsgeschichte der Familie zu verstehen. Daraus werden Fragen an die (deutsche) Gegenwart formuliert.
26 Die animierten Szenen erinnern vielleicht nicht ganz zufällig an Waltz with Bashir (IL/FR/ DE 2008, Regie: Ari Folman) – es würde über den Rahmen des Artikels hinausführen, den Bezugnahmen auf dokumentarische Formen der filmischen Erinnerung nachzugehen, doch die Frage, wann eine Bezugnahme auf eine Formsprache oder ein Zitat in einen Vergleich münden, scheint für dieses Beispiel noch nicht hinreichend beantwortet.
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Abb. 13-2: Displaced DE 2018–2020, Regie + Konzept: Sharon Ryba-Kahn) © Omri Aloni
Auch It takes a family beginnt mit einer Fotografie: Diese zeigt die Großmutter der Regisseurin auf einer niedrigen Mauer am Meer sitzend. Die nächste Einstellung zeigt die Filmemacherin selbst an eben dieser Mauer – erst mit dem Rücken zur Kamera auf das Meer schauend, dann dreht sie sich um und nimmt die gleiche Position wie ihre Großmutter auf der Fotografie ein. Aus dem Off erzählt sie, ihre Oma habe immer gesagt, man könne die Konzentrationslager nicht beschreiben; mehr habe sie nicht sagen wollen. Es scheine als habe der Krieg in ihrer Familie nie geendet und das Schicksal ihrer Großmutter auch ihres beeinflusst. Die Einnahme der Pose/Position der Großmutter setzt den folgenden Versuch, sich selbst über die Beziehung zur Großmutter und ihrer Verfolgungsgeschichte zu verstehen, ins Bild.
Abb. 13-3 u. 13-4: It takes a family (DK 2019, Regie + Konzept: Susanne Kovacs)
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Generationenerzählungen „Diese Geschichte beginnt mit Michla Pariser, die unter anderem meine Großmutter war.“ Schnee von gestern Tatsächlich aber beginnt Schnee von gestern nicht mit der Großelterngeneration, sondern mit den Eltern der Filmemacherin, der zweiten Generation. Auf den Filmtitel folgt eine Vorstellung ihrer Eltern und ihres Bruders, dann ist sie selbst zu sehen – im Gegensatz zu ihrer Familie aber nicht in Israel, sondern in Deutschland. Es fällt auf, dass die dritte Generation sich nicht primär und ausschließlich mit der Generation ihrer Großeltern befasst, sondern die zweite Generation eine zentrale Rolle spielt: In It takes a family geht es viel um Kovács Vater und sein Aufwachsen mit seinen Eltern, die als Überlebende unfähig zu einer zugewandten, stabilen Beziehung zu ihm waren – stattdessen berichtet er von Distanz, auch Gewalt und vor allem den unberechenbar wechselhaften Gefühlslagen seiner Mutter. Der Blick ist auf die unterschiedlichen Beziehungen zur Großmutter gerichtet und die daraus resultierenden unterschiedlichen Geschichten der zweiten und dritten Generation. Das wird sogar expliziert, als der Vater der Filmemacherin ihr sagt, dass er gern bei dem Filmprojekt helfen wolle, aber seine Geschichte eine andere sei als ihre (der Filmemacherin). Hier werden nicht nur die unterschiedlichen Perspektiven angesprochen, sondern auch der Umstand, dass eine Narration eine andere auch stören oder infrage stellen kann. In Displaced ist ebenfalls der Vater der Filmemacherin wichtig, jedoch steht das schwierige Verhältnis im Vordergrund, das sie miteinander verbindet und das seine Ursprünge in der Beziehung zu seinen Überlebenden-Eltern zu haben scheint. Ryba-Kahn befragt ausgehend von diesem dysfunktionalen Verhältnis ihre Beziehung zu Deutschland – ihr Gefühl, dort displaced zu sein. Das mag auch daran liegen, dass die Großeltern nicht mehr leben und somit nicht als Akteur*innen auftauchen. In Lebenszeichen hingegen ist die Mutter der Erzählerin wichtig, weniger in ihrer Beziehung zu Karolinski als vielmehr mit ihrer Perspektive auf Deutschland und auf jüdisches Leben dort – hier spielt die Shoah familienbiografisch am wenigsten eine explizite Rolle, die Befragung der Gegenwart ist titelgebendes Programm. In Der Krieg in mir ist die Blickrichtung klar auf die Erlebnisse des Großvaters und dessen möglicherweise transgenerationell fortwirkende Traumatisierung gerichtet. Ausgangspunkt ist der Großvater mütterlicherseits, der viel Zeit mit dem Filmemacher verbracht und diesem vom Krieg erzählt hat, als dieser
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noch ein Kind war. Diese wiederholten Erzählungen und damit frühkindlichen Erfahrungen wirken im Filmemacher fort und rauben ihm wortwörtlich den Schlaf, so die (anfängliche) Hypothese des Films. Die Recherchen, die im Laufe des Films nach Belarus führen, folgen jedoch dem Großvater väterlicherseits und werden vom Vater des Filmemachers begleitet. Auch hier werden Unterschiede zwischen den Generationen deutlich – vor allem, wenn der Vater angesichts der Ausführungen einer Historikerin sagt, man müsse also davon ausgehen, dass alle dort (in der Gegend in Belarus, wo sein Vater nachweislich war) Kriegsverbrecher gewesen seien, sie seien doch alle irgendwie beteiligt gewesen.27 Gegen diese Annahme wehrt sich der Filmemacher, beschreibt seinen „Reflex“, seinen Großvater zu verteidigen und dass sie ihn nicht unter Verdacht stellen könnten, da sie einfach nicht wüssten, was er getan habe. Heinzel fragt wiederholt, warum er seinen eigenen Vater nicht verstehen wolle – was er als Weigerung einer „wirklichen“ Auseinandersetzung deutet. Hier wird Verstehen im Sinne eines Nachvollziehens mit einer Legitimation enggeführt oder zumindest mit der Aufforderung, von einer moralischen Verurteilung abzusehen. Die Perspektive der dritten Generation ist in diesem Fall apologetisch und entkontextualisiert: Der Krieg wird aus seinen historischen Zusammenhängen herausgelöst und als bloße Erfahrung von Gewalt und Ausnahmesituation gesetzt, die sich traumatisch ausgewirkt haben muss. Diese grundsätzliche Annahme wird vom Filmemacher aus der Perspektive einer sicheren und friedlichen Gegenwart getroffen und rückblickend auf den Zweiten Weltkrieg, der mit der Shoah als gewalttätige Zäsur (Zivilisationsbruch) wahrgenommen wird, projiziert. Doch es geht in diesem Film nicht um die Shoah, sondern um „den Krieg“ wie es vielfach heißt. Dass die Vergleichbarkeit der hier gewählten Filme nur begrenzt besteht, wurde bereits angedeutet, doch hier wird nochmal deutlicher warum: Das Schweigen in den hier untersuchten Filmen ist zu unterschiedlich. Fehlende Puzzlestücke der Familienbiografien werden auf der einen Seite „beschwiegen“, weil die Erinnerung zu schmerzhaft oder gar unmöglich ist oder um sich und das Gegenüber zu schützen. Mitunter wird das Schweigen selbst zum Medium, in dem das Trauma „erzählt“ wird. Auf der anderen Seite werden bestimmte Geschichten mitgeteilt und andere Teile der eigenen Erfahrungen und Handlungen verschwiegen. 27 Die hier auftretende Historikerin bietet „historische Beratung und Coaching für Privatpersonen für transgenerationale Traumata mit Wurzeln im Dritten Reich, Recherche zu Biographien der (Groß-)Väter“ an und ist damit in den Kontext der Kriegsenkel-Bewegung einzuordnen, die sich in sehr unterschiedlichen Ausformungen mit der Kriegsgeschichte ihrer Großeltern befassen. Siehe www.kriegsenkel.de/recherche-beratung-und-dienstleistung, letzter Zugriff: 28. November 2020. In diesen Kontext kann auch Der Krieg in mir eingeordnet werden.
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Doch bei aller Unterschiedlichkeit haben die Filme gemein, dass es sich um Generationenerzählungen handelt, wobei die eigene Position in der Reihe der Generationen besonders reflektiert wird. Dabei geraten nicht nur die Beziehungen zur Eltern- und zur Großelterngeneration in den Blick, sondern auch die Unterschiede in der Perspektivierung und Bewertung. Es wird gegenüber den Eltern eine Eigenständigkeit in der Beziehung zur Großelterngeneration und damit zur Geschichte behauptet und gleichzeitig die eigene Position aus der Generationengeschichte hergeleitet. Zwei der Filme verlängern generationsübergreifend den Blick auf die kommende bzw. vierte Generation, die bereits in den Kinderschuhen steckt: In It takes a family und Der Krieg in mir sind die Kinder der Filmemacher*innen sichtbar und werden – unterschiedlich explizit – zur Motivation, die transgenerationelle Weitergabe der Erinnerung zu reflektieren und damit möglicherweise eine ungewollte oder „vergiftete“ generationelle Weitergabe zu unterbrechen.28
Mediale Vermittlung von Erinnerung Einführend wurde schon gezeigt, dass das Ende des kommunikativen Gedächtnisses – denn nichts anderes ist der beschriebene lange Abschied von den Zeitzeug*innen – die Erinnerungsarbeit schon seit einer Weile prägt. Das gilt auch für die vorgestellten Filmbeispiele. Für die mediale Vermitteltheit von Erinnerung finden sie Bilder, die diesen Umstand reflektieren und dabei teilweise fast medienarchäologisch anmuten. Schon das erste Bild von Displaced rückt Medialität in ihren zeitlichen Schichtungen ins Bild: Das offensichtlich analoge Foto aus der Kindheit der Filmemacherin ist ebenso abfotografiert wie der Brief oder die Notizen, die „hier“ materiell vorhanden sind, dann aber abfotografiert digital verschickt werden. Obwohl der Vater online ist und ihn die Materialien erreichen können, bleibt er doch unerreichbar – wie die späteren Gespräche in Israel auch zeigen. An einer anderen Stelle werden Filmaufnahmen des inzwischen verstorbenen Großvaters verwendet, die die Filmemacherin offensichtlich Jahre vorher in einem anderen Kontext gemacht hat. Es handelt sich hier nicht, wie beispielsweise bei den Videoaufnahmen der Eltern in It takes a family um „found footage“, sondern um eigene Aufnahmen, aber mit anderer Perspektive und anderem Kontext. 28 Mit dem Begriff der „vergifteten Generativität“ beziehe ich mich auf Kurt Grünberg, vgl. u. a. Kurt Grünberg, Szenisches Erinnern der Shoah. Über transgenerationelle Tradierungen extremen Traumas, www.yadvashem.org/de/education/newsletter/14/scenic-remembrance. html, letzter Zugriff: 28. November 2020.
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In It takes a family werden viele Familienfotos verwendet, wie auch bewegte Bilder aus der Zeit der Kindheit und Jugend des Vaters der Filmemacherin. Sie werden aber immer wieder als unzuverlässige Quellen markiert, wenn Kovács fragt, was darauf zu sehen sei oder ihre Erinnerung als abweichend von den Motiven der Fotografien beschreibt. Auf den Fotos lächele ihre Großmutter immer, sie könne sich aber gar nicht erinnern, sie jemals lächeln gesehen zu haben. In Lebenszeichen wird sogar explizit der Verlust von Erinnerung thematisiert: Karolinskis Stiefvater bzw. der neue Partner ihrer Mutter leidet unter Alzheimerscher Demenz und es gibt eine Reihe von wiederkehrenden Szenen, in denen er zu sehen ist, während er in der Sicherheit ritualisierter Gewohnheit seine Medikamente einnimmt. Diese Szenen haben einen intermittierenden Charakter und scheinen auf den ersten Blick eher mit dem Leben der Mutter und der Atmosphäre in ihrem Elternhaus verbunden zu sein, doch sie reflektieren auch den Verlust von Erinnerung, das langsame Erodieren von Erinnerung und das tastende Bewegen in einer dadurch charakterisierten neuen Zeit. Mor Kaplansky muss bei ihrer Recherche der Familiengeschichte entdecken, dass das Café Nagler kein geschichtsträchtiger Berliner Ort war und diese Überhöhung der Familienerzählung geschuldet ist. Daraufhin bittet sie alle zuvor konsultierten Expert*innen nochmals vor die Kamera und lässt sie eine historische Anekdote oder persönliche Geschichte erzählen, aber so, als hätten sie sich alle im Café Nagler ereignet. Erinnerungsarbeit, das wird hier deutlich, ist mehr als die Rekonstruktion der Vergangenheit, und so endet Café Nagler damit, dass Kaplansky den Film in Israel ihrer Großmutter zeigt, wobei der Abspann des Films gleichzeitig den Vorspann des Films im Film bildet – eine mediale Verschachtelung von Erinnerung. Neben der medialen Vermittlung spielen Bewegung und die Reise von einem Ort zum anderen eine wiederkehrende Rolle. Es sind transnationale Geschichten, die unterschiedliche Orte einbinden: Schnee von gestern beginnt in Israel mit den Eltern der Filmemacherin in deren Wohnzimmer. Die erste Einstellung, in der sie selbst zu sehen ist, ist jedoch in Berlin in einer Straßenbahn aufgenommen. Im weiteren führt der Film nach Osteuropa. Es fällt auf, dass Verkehrsmittel in den Filmen viel im Bild zu sehen sind, mit Ausnahme von Susanne Kovács in It takes a family. Die autobiografischen Erzähler*innen sind unterwegs, um der Erinnerung hinterher zu reisen und Familiengeschichte zu recherchieren. Dafür müssen sie sich unterschiedlich verorten – sie suchen ihren Platz in der Gegenwart, was über die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit geschieht. Dabei sind sie nicht nur an verschiedenen Orten, sondern vor allem in Bewegung dazwischen – wir sehen sie im Auto, im Zug, in der
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Bahn und im Flugzeug – als würden sie sich in einem räumlichen Sinne in Bezug setzen, gleichzeitig ist Erinnerungsarbeit ein in Bewegung sein.29
Unterschiede bloßlegen // Unterschiede auf- oder verdecken? „Wenn zwischen uns kein Dialog möglich ist, dann zwischen wem? Wir sind doch zusammen aufgewachsen.“ Sharon Ryba-Kahn in Displaced Die dritte Generation ringt darum, ihre eigenen Perspektiven von denen ihrer Eltern abzugrenzen. Dabei kommt es auch zur Sichtbarmachung von Dissens und Bruchlinien. Nicht immer können die unterschiedlichen Generationenperspektiven ohne wechselseitige Irritationen nebeneinander stehen. Doch es sind nicht nur innerfamiliäre Abgrenzungen. Zwei Szenen zeigen das deutlich und scheinen mir für die erinnerungskulturellen Potentiale der Filme bedeutsam: In Lebenszeichen spricht Alexa Karolinski mit der Journalistin Carolin Würfel über eine Meinungsverschiedenheit, die sich – auch hier ist die Erfahrungsdifferenz medial vermittelt – auf Instagram entfaltete. Karolinski assoziierte in einer Bildunterschrift den Schriftzug „Arbeit macht frei“ mit der Toreinfahrt des ehemaligen Vergnügungsparks „Neue Welt“ in Berlin-Neukölln. Eine Assoziation, aus der ästhetischen Nähe der geschwungenen Schriftzüge zwischen zwei gemauerten Pfeilern entstanden, der die nichtjüdische, ähnlich alte Carolin Würfel widersprach. Was sich genau in dem Konflikt zutrug können wir als Publikum anhand der kurzen Szene nicht nachvollziehen, wir sehen nur dessen Reflektion im Nachhinein. Dabei sprechen die beiden Frauen über die Differenz der Wahrnehmung, aber im Kern geht es auch um das Privileg der Freiwilligkeit in der Auseinandersetzung mit der Shoah, das eben nicht allen Nachgeborenen zuteil wird. Mit der Assoziation eines konkreten Ortes in Berlin-Neukölln mit dem Nationalsozialismus habe ihr Karolinski ihren Raum weggenommen, sagt Würfel, ohne dies weiter auszuführen. Die Verknüpfung mit Geschichte belastet hier den bisher unschuldigen, vertrauten Ort. Erinnerung wird aufgedrängt. Auch 29 Die Beziehung zu Orten kann jedoch auch ausgeblendet werden: Sharon Ryba-Kahn in Displaced ist nur in wenigen Einstellungen zuhause zu sehen, dann ist der Hintergrund so dunkel, dass er fast verschwindet – als würde sie mit diesem Ort in einer auffälligen Beziehungslosigkeit stehen und der Raum könne sie nicht charakterisieren. Hier findet ihr Zustand des „displaced“ Seins in Deutschland eine bildliche Entsprechung.
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wenn diese Szene wenig konfrontativ anmutet, wird die hier markierte Differenz nicht aufgelöst und scheint schwerer zu wiegen als es die unauffällige Inszenierung nahe legt. Deutlich offensiver konfrontiert Sharon Ryba-Kahn ehemalige Mitschülerinnen mit der Differenz der Wahrnehmung: Wie sich das anfühle, wenn man den Zweiten Weltkrieg in der Schule durchgenommen hatte. Sie sprechen von Scham und Erschütterung, aber davon, dass in den Familien nicht gesprochen worden sei und es auch klar gewesen sei, dass das, was man bei einer Suche finden würde, „einen nicht glücklich machen“ würde. In dieser Szene herrscht Unverständnis vor, es wird auch die Wut der Filmemacherin deutlich; gleichzeitig zeigt sich, dass das gemeinsame Aufwachsen ein offenes Sprechen auch erschweren kann. In einer weiteren Szene werden diese Unterschiede noch in einem anderen Kontext thematisiert: Die Filmemacherin spricht mit einem jüdisch-nichtjüdischen Paar, das offen darüber spricht, dass die unterschiedlichen Familiengeschichten von Anfang an eine Rolle gespielt hätten und es bis heute tun. Die jüdische Frau sagt ganz klar, dass sie das Privileg der Dethematisierung auch manchmal gern hätte, da die Auseinandersetzung „einfach wahnsinnig anstrengend“ sei. Doch die Allgegenwärtigkeit der Geschichte lasse sich nicht mit einem Schalter abstellen. Es fällt auf, dass Sebastian Heinzel in Der Krieg in mir eher gegenteilige Begegnungen inszeniert: Hier sind es weniger Differenzen als Vergebungen und eine Betonung von Gemeinsamkeiten, die sich auf der Reise nach Belarus mit ehemals Verfolgten oder deren Nachkommen zutragen. So attestiert ihm eine alte Überlebende, dass er ein guter Mensch sei und eine junge Theatermacherin in Minsk, dass er es richtig mache, man dürfe nicht darüber urteilen, ob sich die eigenen Eltern oder Großeltern richtig verhalten hätten oder nicht, man könne nur hoffen, dass sie stolz auf einen seien. Dieser apologetische Blick auf die Großeltern und der darin aufscheinende Wunsch nach Vergebung in Verbindung mit der weitgehend entkontextualisierten Kriegserfahrung kontrastiert hier die Differenz, die Karolinski und Ryba-Kahn mit nicht-jüdischen deutschen Nachgeborenen aufzeigen. Die Ausgangsbedingungen für die Auseinandersetzungen sind so unterschiedlich, dass es irreführend wirkt, die unterschiedlichen Nachgeborenen unter dem begrifflichen Dach der dritten Generation zu verbinden. Die Zusammenstellung macht trotz dieses gravierenden Unterschiedes aber gleichzeitig einiges deutlich für die Frage nach den Herausforderungen der Erinnerungskultur: Es scheint als wäre die Anerkennung von Differenz im Zugang zur Geschichte, die auch nicht dadurch eingeebnet werden kann, dass alle oder viele Nachgeborenen unter der Geschichte der Großeltern „leiden“, weiterhin eine Schwierigkeit, aber auch eine Chance. Sie ist im Ringen um Erinnerung seit 1945 in Deutschland der Elefant im Raum. Doch nicht nur um sie zu
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wissen, sondern sie im direkten Gespräch auch zu thematisieren scheint bis heute eine Herausforderung für die Beteiligten und ist noch immer unzureichend geschehen. Die Anerkennung von Differenz und deren Thematisierung in den individuellen, persönlichen Bezügen zur Geschichte könnte neue Möglichkeiten für Erinnerungskulturen und die Vergegenwärtigung von Geschichte eröffnen.
Volkhard Knigge
KZ-Gedenkstättenarbeit nach der Zeitgenossenschaft: Herausforderungen und Auswege Zwei Thesen bilden den Ausgangspunkt meiner Überlegungen zur „Zukunft der Erinnerung“. Erstens: Auch wenn in Medien und Öffentlichkeit immer wieder der Verlust der Zeitzeugen als vermeintlich größte Gefahr für die „Zukunft der Erinnerung“ heraufbeschworen und sogar ihr digitales „Clonen“ als Lösung propagiert wird, lassen sich die Herausforderungen einer nachhaltigen, gegenwarts- und zukunftsrelevanten Gedenkstättenarbeit keineswegs auf diesen Punkt reduzieren – so wichtig die unmittelbare Begegnung und das Gespräch mit den Überlebenden der nationalsozialistischen Verbrechen in der Vergangenheit auch gewesen ist. Zweitens: Erinnerung als solche und für sich genommen, Erinnerung ohne Rückbindung an kritisch-reflexives Geschichtsbewusstsein ist keineswegs der Königsweg für die kritische, gegenwartsrelevante Vergegenwärtigung und Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinem Nachwirken, erst recht dann nicht, wenn Demokratie und die Achtung der Menschenwürde und der Menschenrechte als Grundlagen der politischen Ordnung wie des gesellschaftlichen Miteinander auch aus der Mitte der Gesellschaft infrage gestellt werden. Sowohl personales wie öffentliches Erinnern in der Gesellschaft sind vielfältig beeinfluss- und formbar und können sowohl für die Plausibilisierung und Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten als auch – etwa nationalistisch selektiert und gewendet – zu deren Aushöhlung und Bekämpfung eingesetzt werden. Erinnerung als solche ist deshalb eine Sackgasse für die historisch-politische Bildung. Das Schwinden der Zeitzeugen wird bereits seit Beginn des forcierten Ringens um KZ-Gedenkstätten am historischen Ort in der Bundesrepublik, also seit Beginn der 1980er-Jahre beklagt. Schon auf der ersten Bundesgedenkstättenkonferenz im Oktober 1981 war davon die Rede. Denn bereits damals waren vieNotiz: Der Vortrag führt Gedanken zusammen, die an anderer Stelle im Einzelnen entwickelt und ausführlicher dargestellt worden sind. Vgl. dazu – auch hinsichtlich weiterer Literarturangaben: Volkhard Knigge, Geschichte als Verunsicherung. Konzeptionen für ein Begreifen des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Axel Doßmann, Göttingen 2020; Volkhard Knigge/Sybille Steinbacher (Hrsg.), Geschichte von gestern für Deutsche von morgen? Die Erfahrung des Nationalsozialismus und historisch-politisches Lernen in der (Post-)Migrationsgesellschaft, Göttingen 2019. https://doi.org/10.1515/9783110710601-014
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le der Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung betagt oder bereits verstorben, nicht zuletzt die politischen Häftlinge der ersten Stunde. Es waren ja keineswegs nur junge Menschen in die Lager verschleppt worden, wie es heute scheinen mag, da nur mehr die letzten der überlebenden Kinder und Jugendlichen unter den Häftlingen auf Grund ihres Alters ihre Stimme erheben können. Für manche Verfolgtengruppen – etwa ab 1933 verhaftete deutsche politische Häftlinge, darunter auch Juden – stehen schon seit vielen Jahren keine Zeugen mehr zur Verfügung, und als man diese Menschen hätte fragen können, wurden sie von der Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik eher gemieden als gesucht. In Wirklichkeit haben überlebende Zeuginnen und Zeugen den Alltag der gedenkstättenpädagogischen Arbeit in der Bundesrepublik kaum mehr prägen können. Als sich die Gesellschaft ab den 1980er-Jahren stärker für ihre Erfahrungen zu öffnen begann, gab es in der Bundesrepublik noch kaum KZ-Gedenkstätten, die so ausgestattet und institutionell abgesichert gewesen wären, dass sie Überlebende in größerer Zahl hätten einladen und wenigstens partiell in ihre Arbeit einbinden können. Der Ausbau und die staatliche Sicherung von KZ-Gedenkstätten haben mit Nachdruck tatsächlich erst nach 1990 begonnen, nicht zuletzt deshalb, weil die Bundesrepublik sich dem Druck ausgesetzt sah, mit den großen Nationalen Mahn- und Gedenkstätten der DDR – Buchenwald, Ravensbrück, Sachsenhausen – umgehen zu müssen. Erst aus Anlass der fünfzigsten Jahrestage der Befreiung 1995 sind Überlebende der Lager in höherer Zahl nach Deutschland eingeladen worden. Seitdem erst spielten sie eine größere Rolle, aber vor allem begrenzt auf besondere Momente wie etwa die Veranstaltungen zu den Jahrestagen der Befreiung der Lager oder im Rahmen von Veranstaltungen aus Anlass des 1996 in der Bundesrepublik etablierten Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus. Dazu aber mussten sie nun aus der ganzen Welt eingeladen werden, denn in der Nähe lebten sie kaum noch. Es führte deshalb in die Irre, sich – wie es der mediale Diskurs suggeriert – Gedenkstättenarbeit in erster Linie als ein gleichsam ununterbrochenes, permanentes Gespräch mit Zeitzeugen vorzustellen, die ihre Erinnerungen auf Nachgeborene übertragen. Dass nur Beteiligte Geschichte und historische Erfahrungen weitergeben können, entspricht letztlich einem vormodernen Verständnis von Geschichte und deren Überlieferung und ist darüber hinaus eine Folge kulturindustrieller, Medieninteressen folgender Engführung der Darstellung und Verwertung von Geschichte. Mit dieser Feststellung will ich nicht sagen, dass mit den unmittelbar betroffenen Augenzeuginnen und -zeugen der Verbrechen nichts verloren ginge. Für mich und viele andere bedeutet dieser Abschied den Verlust von Freundinnen und Freunden, von nachdenklichen Gesprächspartnerinnen und -partnern, die uns klüger gemacht haben, gerade dann, wenn sie darauf bestanden, dass
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es nicht hinreiche, das Grauen nur nachzuerzählen. Nicht nur was Buchenwald, was Auschwitz, was die Shoah als Geschehnisse waren, sondern was sie bedeuten für unser Verständnis – und unsere Gestaltung – von Politik, Kultur, Recht oder Gesellschaft, welches Wissen über den Menschen und seine Handlungsmöglichkeiten sich damit verbindet, darum ging es vielen in erster Linie. Der Abschied von den Zeuginnen und Zeugen bedeutet aber auch – zumindest mit Blick auf die letzten dreißig Jahre – den Abschied von einer zunehmend wichtiger gewordenen politisch-moralischen Instanz, auch einer Veto-Instanz gegen die Leugnung, Verzerrung und Relativierung von Geschichte. Und natürlich markiert der Abschied symbolisch einen Epochenwechsel, den Eintritt in die Zeit nach der Zeitgenossenschaft, und konfrontiert mit der Frage nach angemessenen und unangemessenen Formen der Historisierung. Einen grundstürzenden Umbruch für die pädagogische Arbeit hingegen, schon gar einen Umbruch, der Arbeit und Existenzberechtigung der Gedenkstätten infrage stellte, einen Schlussstrich markiert er nicht, zumal die audiovisuell aufgezeichneten personalen Zeugnisse und Dokumente ebenso bleiben wie alle anderen einschlägigen Quellenbestände; jedenfalls so lange, wie deren Aufbewahrung und Nutzung staatlich und gesellschaftlich gewollt sind und die dafür notwendigen finanziellen Mittel – einschließlich der fachgerechten Archivierung, Sicherung und Erschließung – aufgebracht werden. Die hier umrissene Diskrepanz zwischen dem Topos vom Abschied von den Zeitzeugen auf der einen und der Wirklichkeit und den Möglichkeiten fachlich fundierter Gedenkstättenarbeit auf der anderen Seite ist selbst ein Symptom. Es zeigt, wie vage und verengt die Vorstellungen von einer zeitgenössischen Gedenkstättenarbeit noch immer sind und wie sehr die Formen des staatlichen bzw. öffentlichen (rituellen) Erinnerns einerseits und geschichtswissenschaftlich wie didaktisch und museologisch reflektierte Gedenkstättenarbeit andererseits in eins gesetzt werden. Nachhaltige Gedenkstättenarbeit erschöpft sich nämlich keineswegs darin und zielt auch nicht darauf ab, Menschen a priori dazu zu verpflichten, sich mit je einzelnen Erinnerungserzählungen von Opfern zu identifizieren, also gleichsam in deren persönliche, autobiografische Erinnerung einzutreten und diese – wie ein weiterer Topos besagt – als „Zeugen der Zeugen“ fortzuführen. Nicht nur Jugendliche lehnen solch pathetische Identifizierungsgebote als eine Form moralisierender Übermächtigung ab. Übermächtigung – in welchen Formen auch immer – steht grundsätzlich im Widerspruch zu einem Lernen an und aus Geschichte, das den Erwerb historischen Wissens mit begreifender Einsicht und der Entwicklung historisch-politischer, moralischer Urteilskraft, kurz, das die Entwicklung kritisch-reflexiven Geschichtsbewusstseins als einer demokratischen Kernkompetenz fördert. Zudem sind solche Ansätze in geschichtswissenschaftlicher Sicht zweifelhaft, weil auch noch so
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viele aneinandergereihte personale Erinnerungen keine Geschichte im Sinne analytisch durchdrungener Geschichte (Historie) ergeben. Aneinandergereihte, addierte Erinnerungen einzelner Individuen sind in ihrer Summe zwangsläufig inkonsistent, bisweilen sogar widersprüchlich, nicht nur weil das Gedächtnis nachlassen oder sich irren kann, sondern auch deshalb, weil sich Verfolgung zwischen 1933 und 1945 veränderte oder sich die Zustände und Funktionen der Lager wandelten. Selbst die personalen Erinnerungen von aus gleichen Gründen Verfolgten sind deshalb mikrozeitlich und ortsbezogen geprägt. Dass uns die Erinnerungsforschung zudem gelehrt hat, dass auch personale Erinnerungen kein einfaches Abbild, keine Widerspiegelung von Vergangenheit sind, sondern dass sie sich im Laufe des Lebens im Licht neuer Erfahrungen oder unter dem Einfluss veränderter politischer, sozialer und kultureller oder medialer Verhältnisse und Zielsetzungen verändern, sei wenigstens am Rande erwähnt. Erfahrungsgeschichtliche Zeugnisse von Überlebenden sind und bleiben gleichwohl elementare Dokumente und historische Quellen für die fortgesetzte kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Als besondere Zeugnisse lege artis erschlossen und kontextualisiert, sollten sie Eingang in die Geschichtskultur und die historisch-politische, ethische Bildung in und außerhalb der Gedenkstätten finden, nicht als quasi sakrale Texte und Botschaften. Macht man sich von den hier angedeuteten Missverständnissen frei, lassen sich drei miteinander verschränkte elementare Herausforderungen zukünftiger Gedenkstättenarbeit – aber auch der schulischen und außerschulischen historischen Bildung – besser ins Auge fassen: Erstens: Spätestens mit der Erfahrungsferne von 75 Jahren läuft jede Erinnerungsrhetorik leer. Die Aufforderung, sich zu erinnern, wie sie nach 1945 entstanden ist, richtete sich unmittelbar an Zeitgenossen und Beteiligte und wandte sich konfrontativ gegen das notorische „Davon haben wir nichts gewusst“ der Mehrheit der Deutschen. Sie hatte gewissermaßen forensischen Charakter. Zeitgenossen aber gibt es nicht mehr. Eine ihnen gegenüber angemessene Praxis auf die Zukunft zu übertragen – und sei es „nur“ in Gestalt zur Routine gewordener Sprechweisen – ist nicht nur pädagogisch widersinnig. Zweitens: Der aufklärerische Wahrheits- und Gerechtigkeitsanspruch, der sich vermeintlich natürlich mit Erinnern und Erinnerung verbindet, gründet in Deutschland in der eben angedeuteten besonderen Entstehungsgeschichte des Erinnerungsimperativs. Diese Geschichte und die damit verbundene Konnotation verdecken aber die aggressiven Nachtseiten des Erinnerns und der Erinnerung, verdecken deren Ambivalenz. Erinnerung kann nicht nur ein Mittel sein, die Geschichte von Verfolgten gegen deren Verwischung oder Verzerrung in überlieferten offiziösen Quellen aus der Hand und Sicht der Verfolger zu vergegenwärtigen. Erinnerung kann auch ein Mittel der Tradierung und Verstetigung
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von Unrecht und Gewalt sein, der Legitimierung von illegitimer Herrschaft, der angeblich authentischen Begründung faktisch unhaltbarer Geschichtsbilder. Das gegenwärtige Zerplatzen emphatisch-illusionärer Vorstellungen von Erinnerungskultur angesichts der forcierten Revitalisierung von Erinnerung als Waffe gerade auch in Europa – als Waffe zur Begründung von Ansprüchen etwa auf Überlegenheit, Führung, Territorien oder als Waffe zur Begründung von Zugehörigkeit und Ausgrenzung – führt diese nie verschwundenen Nachtseiten des personalen und historischen Erinnerns scharf vor Augen. Dass Erinnerung der Königsweg für die Demokratie- und Menschenrechtserziehung sei, ist wenig mehr als eine Behauptung. Drittens: Kaum zu unterschätzende Herausforderungen für die Gedenkstättenarbeit resultieren aus dem Übergang von der kritisch-diskursiven Aufarbeitung der Vergangenheit – als einer konfliktreichen selbstkritischen gesellschaftlichen Auseinandersetzungs- und Lernprozess – hin zu einer etatistisch-repräsentativen Memorialkultur mit der Tendenz zur affirmativen Verengung. Mit affirmativer Verengung ist die deutliche Tendenz gemeint, die staatlich-politische, die gesellschaftliche Gegenwart als in jeder Hinsicht von der Vergangenheit abgetrennt und in sich vollendet positiv darzustellen. In dieser Perspektive dominiert der Abstand zur Vergangenheit, die Auffassung von ihrer endgültigen Überwindung. Fortwirkende Virulenz und Nähen geraten dabei aus dem Blick. Geschichtsbewusstsein wird stumpf, weil willentliche Selbstbeunruhigung an historischer Erfahrung, an einer Geschichte, die nicht hätte geschehen dürfen, aber geschehen ist (Hannah Arendt) durch Selbstzufriedenheit ersetzt wird. Willentliche Selbstbeunruhigung an historischer Erfahrung aber ist ein Lebenselixier für Demokratie und demokratische Kultur. Das lehrt nicht zuletzt die Geschichte der DDR. So entstand noch kurz vor deren Ende – ausgelöst von Beobachtungen in der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald, dass deren Arbeit Jugendliche immer weniger erreichte – eine nicht zur Veröffentlichung vorgesehene Untersuchung zum Bewusstsein dieser Jugendlichen. Der Tenor war eindeutig: Wenn Geschichte sowieso gesetzmäßig zur Durchsetzung des Kommunismus führe und wenn die DDR eo ipso das andere, bessere Deutschland sei, in dem der Faschismus mit seinen Wurzeln für immer ausgerottet sein sollte, warum müssten sie sich dann noch mit dieser Zeit beschäftigen und Gedenkstätten besuchen, zumal alles, was dort gesagt würde, bekannt und erwartbare Routine sei. So glücklich wir über die deutlichen Unterschiede zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der demokratischen Bundesrepublik sein können – diese Stillstellung reflexiver Geschichtskultur sollten wir auch nicht annähernd wiederholen. Statt pauschalisierend von Erinnerung zu sprechen, wären begrifflich und konzeptuell drei Dimensionen voneinander zu unterscheiden. Zum einen die Di-
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mension der personalen Erinnerung, die an je konkrete Lebensgeschichte und deren Verarbeitung gebunden ist. Dann die des historischen Erinnerns in der Gesellschaft, etwa in Gestalt von Denkmalen, Gedenktagen, Straßennamen, Jubiläen oder Gedenkzeremonien. Die Ausprägungen dieser Dimension des Erinnerns sind – von Fall zu Fall unterschiedlich – mehr oder minder durchmachtet, mehr oder minder argumentativ ausgehandelt, mehr oder minder sachgerecht mit belastbarer Überlieferung und Forschung verbunden. Die dritte Dimension bildet die geschichts- und bildungsdidaktisch begründeten Arbeit für ein kritisch-reflexives Geschichtsbewusstsein auf der Basis gesicherten historischen Wissens einerseits und dem historisch-politischen, ethischen Durcharbeiten und Begreifen von Geschichte, ihrer Erfahrung, Deutung und Bedeutung andererseits. Das personale lebensgeschichtliche Erinnern und dessen soziale und kulturelle Formung wie auch das historische Erinnern in der Gesellschaft sind für die Bildung von Geschichtsbewusstsein zwar wichtige Kontexte und Bezugspunkte, aber sie sind mit ihm nicht zwangsläufig identisch. Darüber hinaus gilt es, sich immer wieder bewusst zu machen, dass teleologische Auffassungen und Darstellungen der Geschichte nicht nur sachlich unhaltbar sind, sondern vielmehr auch die historische Neugier lähmen und die Entwicklung von kritisch-reflexivem Geschichtsbewusstsein blockieren – und damit auch demokratische Initiative und gesellschaftliches Engagement. Wie wir morgen leben werden, ist nicht vorgezeichnet, sondern hängt eben doch von unserem heutigen Denken und Handeln, Ausblenden und Unterlassen ab. Lernen an Geschichte, die nicht hätte geschehen dürfen, bedarf deshalb immer des doppelten Blicks: des Blicks für das mental und strukturell Überwundene an dieser Geschichte, sowie des Blicks für Nach- und Fortwirkendes, oder anders gesagt: Aufmerksamkeit für Abstand und Nähe zwischen Vergangenheit und Gegenwart, ein Bewusstsein von der prinzipiellen Ungesichertheit des erreichten Standes der Abständigkeit. Die politischen Regressionen der Gegenwart in völkische „Verheißungen“, Ultranationalismus oder ins Staatsautoritäre sind dafür bedrückendes Zeugnis. Ich komme auf diesen Punkt am Schluss zurück. Zuvor möchte ich aber zentrale Merkmale eines gegenwartsrelevanten historisch-politischen Begreifens der Geschichte des Nationalsozialismus, seiner Verbrechen und der ihnen zu Opfer gefallenen Menschen wenigstens antippen. Zunächst angesichts der mit der Neukonzeption der ehemaligen ostdeutschen Nationalen Mahn- und Gedenkstätten – insbesondere Buchenwald und Sachsenhausen – verbundenen Herausforderungen und Chancen kollegial entwickelt, verstehen sich die KZ-Gedenkstätten in Landes- und Bundesträgerschaft seit Mitte der 1990er-Jahre als Institutionen, die die spezifischen Aufgaben einer Gedenkstätte mit denen eines Geschichtsmuseums mit historisch-poli-
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tischem, ethischem Bildungsauftrag verbinden. Sie lassen jedoch nicht vergessen – etwa durch bauliche oder ästhetische, symbolische Eingriffe oder Überformungen –, dass sie sich an einem Tat- und Leidensort befinden, und sie nehmen vor diesem Hintergrund gerade gegenüber den ehemaligen Häftlingen und ihren Nachkommen auch humanitäre Aufgaben wahr. Außerdem sammeln, bewahren und forschen sie, realisieren Ausstellungen, Vortragsreihen und andere Formate öffentlich argumentierender Intervention. Sie kooperieren dazu national und international, mit den unterschiedlichsten kulturellen Einrichtungen und der Zivilgesellschaft. Stichworte für ihre Bildungsarbeit sind etwa: „Gedenken braucht Wissen“ oder „Forschendes Lernen“ – auch unter Einbezug der Sammlungen, des Archivs, der Bibliothek der jeweiligen Gedenkstätte wie auch dort, wo möglich, von Praktiken der zeithistorischen Archäologie. Kognitive und sinnlich-praktische Methoden des Lernens werden dabei miteinander verbunden. Bezügen zur eigenen Gegenwart, zur eigenen Alltags- und Lebenswelt wird nachgegangen. Wissensvermittlung zielt auf elementare Sachkenntnis und Argumentationsfähigkeit, nicht auf einen erkenntnisarmen Positivismus des Grauens oder äußerliche Daten und Fakten. Wissen ist kein Selbstzweck, sondern Voraussetzung für Begreifen und Urteilen und das Lernen an historischen Konstellationen. Was war und was es bedeutet – etwa für unser Verständnis von Recht, Politik, Staat, gesellschaftlicher Verfassung, letztlich für die Ermöglichung fundamentaler Mitmenschlichkeit und deren politisch-gesellschaftlicher Absicherung – das ist das elementare Thema. Dazu ist die geschichtswissenschaftliche, bildungs- und geschichtsdidaktische Bestimmung dessen notwendig, was elementar an Geschichte und Erfahrung des Nationalsozialismus – nicht zuletzt auch kontrafaktisch – begriffen werden kann. Begreifen meint in diesem Zusammenhang, kurz gesagt, die sich als Geschichtsbewusstsein realisierende, reflektierte Verknüpfung von historischem Wissen mit Gegenwartsrelevanz. Aus der Geschichte lassen sich dabei natürlich nicht unmittelbare Handlungsrezepte für die Gegenwart ableiten, aber es lässt sich doch begreifbar machen, was man besser nicht tut, damit Staat und Gesellschaft ihren humanen Atem, ihre menschenwürdige Verfassung nicht verlieren. „Jedem das Seine“ lautete das Motto, das der erste Lagerkommandant Buchenwalds, Otto Koch, in das Tor zum KZ Buchenwald einschmieden ließ. So wurde nicht nur ein ehrwürdiger römischer Rechtsgrundsatz in sein Gegenteil verkehrt, sondern es lässt sich an dieser Umwertung auch plastisch einsichtig machen, welche Folgen völkisch-rassistische Harmonieversprechen tatsächlich haben. Statt gesellschaftlichen Frieden und Harmonie zu stiften, erzeugen sie – weil sie auf der unablässigen Ausgrenzung angeblich Minderwertiger und politischer Feinde beruhen – unablässig Hass und Gewalt, forciert außerdem noch durch die Zerstörung aller Fundamente ziviler gesell-
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schaftlicher Konfliktaustragung: demokratische Verfassung, Rechtsstaat, Grundrechte, Gewaltenteilung, demokratische Öffentlichkeit. Die nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager, die Zwangsghettos und die Orte der Zwangsarbeit können deshalb auch nicht als von der Gesellschaft abgetrennt behandelt werden. Es kann und darf nicht allein um die „Welt hinter dem Stacheldraht“ gehen. Vielmehr geht es um das Beziehungsgeflecht zwischen draußen und drinnen, die Kontaktzonen und die Verschränkungen, die „Dienstleistungen“ der Lager für Staat, Industrie oder Wissenschaft, es geht um die Nutznießer und um die Weltanschauung, die diese Lager als notwendig und gerechtfertigt darstellte und damit verbunden die Formen des Konsenses zwischen Regime und Bevölkerung. Unverbindliches Mitleid mit Opfern reicht als „Lernziel“ dafür nicht aus. Historisches Lernen in Gedenkstätten muss vielmehr – pointiert gesagt – immer ein detektivisch-aufklärerisches Lernen sein. Weder Täter noch Opfer werden als solche geboren oder fallen vom Himmel. Die Ausprägung von Mitmenschlichkeit oder Gegenmenschlichkeit, von Anteilnahme oder Indifferenz verweist vielmehr auf so oder so angelegte Sozialisationsprozesse und dahinter liegende gesellschaftliche Verhältnisse und politische Normsetzungen. Auch brechen politische Ordnungen nicht von selbst ins Inhumane um. Ein Drehund Angelpunkt für die Bildungsarbeit der Gedenkstätten ist deshalb die Frage, wie Staatsverbrechen und gesellschaftliche Beteiligung, wie Zustimmung und Hinnahme fabriziert werden: Wer? – Warum? – Wozu? – Um welchen Preis? – Mit welchen Folgen? Wer diese Fragen beschweigt, historisch entkonkretisiert – „immer schon gab es Böses in der Geschichte der Menschheit“ – oder sie mit Verweis auf die angebliche „Natur“ des Menschen still stellt und so politische, soziale und kulturelle Herausforderungen nichtssagend anthropologisiert, höhlt auch das Gedenken an die Opfer aus bzw. funktionalisiert es, dichtet es ab gegen Erkenntnis und Einsicht. Elementares Ziel der hier umrissenen Praxis ist es, Geschichte und historische Erfahrung zu erschließen für die empirisch nachvollziehbare, argumentative Plausibilisierung menschenwürdiger gerechter politischer Ordnung und der sie untermauernden Werte, Rechtsformen, Institutionen, Strukturen – im Gegensatz zu deren bloß autoritativer Verordnung oder abstrakten Herleitung. An Geschehnissen und an von Menschen tatsächlich gemachter Erfahrung geschulte Einsicht schafft intensivere Zustimmung und eine höhere Verbindlichkeit als moralische Appelle, Identifikationsgebote oder scholastisches Durchdeklinieren von Normen. Die Menschenrechte beispielsweise lassen sich so gesehen als unter konkreten (welt)politischen Umständen rechtlich kodifizierte Form von Verbrechens- und Leiderfahrung begreifen, und warum das Grundgesetz allem voran die Würde des Menschen für unantastbar erklärt, wird auf die-
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se Weise erst praktisch verständlich. Darüber hinaus liegt in dieser Vorgehensweise ein Vorteil für die kulturübergreifende historisch-politische, ethische Bildung. Denn diese Form der Plausibilisierung und Einsichtsvermittlung ist – im Gegensatz etwa zu Formen kultur- oder religionsspezifischer Begründungen von Werten – nicht partikular bzw. identitär exklusiv, sondern prinzipiell universalistisch. Stark vereinfachend gesagt, folgt sie dem Sprichwort: „Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“ Indem diese Form der Einsichtsgewinnung an Geschichte, an konkreten Geschehnissen und historischen Konstellationen, an Handlungen von Menschen und deren Voraussetzungen und Auswirkungen Normativität mit Evidenz verbindet, gewinnt sie für die Entwicklung von Geschichtsbewusstsein in der (Post-)Migrationsgesellschaft, in der unterschiedliche geschichts- und erinnerungskulturelle Prägungen konflikthaft aufeinanderstoßen können, besondere Bedeutung. Denn sie beruht weder auf dem Imperativ einer fraglosen Einordnung der Einen in die Geschichtskultur und das historische Erinnern der Anderen, noch folgt sie den Dynamiken politischer bzw. gruppenspezifischer Formung und Verordnung von Geschichtsbildern und der in ihnen angelegten Zusammenstöße und Kämpfe um Erinnerung. Als begreifende Erschließung und Diskussion von Geschichte und ihrer Bedeutung für Gegenwart und Zukunft ist sie strukturell inklusiv. Gedenkstättenarbeit und deren politischer und gesellschaftlicher Rückhalt stehen heute angesichts von politischen Entwicklungen wie der Ausbreitung entschiedener Demokratieverachtung über den völkisch-identitären, ausgrenzenden Nationalismus und Illiberalismus bis hin zum offenen Rassismus, Antisemitismus und lange bagatellisierten Rechtsterrorismus vor einer erheblichen, wenn nicht eigentlichen Bewährungsprobe; zumal diese politischen Haltungen mit dem Erstarken des Rechtspopulismus und erst recht den Stimmengewinnen der AfD samt ihrem völkischen Flügel nicht nur erheblichen Widerhall in der Gesellschaft finden, sondern auch im Herzen demokratischer Institutionen wie Stadträten, Kreistagen, Landesparlamenten oder dem Bundestag angekommen sind – und damit zumindest potentiell auch in Gremien wie Stiftungsräten, die zu den Aufsichtsorganen öffentlich geförderter Gedenkstätten gehören.1 Diese Entwicklung macht sich in den Gedenkstätten deutlich bemerkbar. Ich kann hier nur einige Beispiele nennen, die auf eine erhebliche Radikalisierung wie auch eine gesteigerte Gleichgültigkeit hinweisen. Die Behauptung, selbstkritische Gedenkstättenarbeit sei Nestbeschmutzung und darauf angelegt, das nationale Selbstbewusstsein zu unterminieren, hat die Etablierung von KZ-Ge1 Im Frühjahr 2018 wäre die AfD beispielsweise im Stiftungsrat der Niedersächsischen Gedenkstättenstiftung, zuständig auch für die Gedenkstätte Bergen-Belsen, vertreten gewesen, wenn das entsprechende Gesetz nicht im Niedersächsischen Landtag geändert worden wäre.
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denkstätten in der Bundesrepublik von Anfang an ebenso begleitet wie das Bestreiten und Relativieren der NS-Verbrechen und die Leugnung des Holocaust. Beispielsweise kündigte 1994 der ehemalige Gymnasiallehrer Günter Deckert, von 1991 bis 1996 Vorsitzender der Nationaldemokratischen Partei Deutschland (NPD), mehrmals „politische Spaziergänge“ in die Gedenkstätte Buchenwald an, um die Gedenkstätte als Lügengebilde zu entlarven. Er stand damit exemplarisch für diese Haltung. Aber schon in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre ließ sich eine Verschiebung und Radikalisierung beobachten: von der Relativierung und Verleugnung der Verbrechen hin zum unmissverständlichen Bekenntnis zum Nationalsozialismus in all seinen Ausprägungen. Spuren dieser Verschiebung fanden sich etwa in den Besucherbüchern der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Hatte dort für den Typus der Leugnung z. B. gestanden: „Der Sieger schreibt die Geschichte! Es gab niemals ein Verbrechen! Grussbl“ (Gedenkstätte Buchenwald 2012), fand sich nun als Ausdruck der Zustimmung auch „Mir hat es hier gefallen! Meine Ehre heißt Treue! Schönes Deutschland!“ (Gedenkstätte Buchenwald 2000), „Schade finde ich, dass es überhaupt Leute überlebt haben. Schön wäre es [das S als Runensymbol wie bei SS geschrieben; Anm. d. Verf.], wenn die KZ’s [das S wiederum als Runensymbol; Anm. d. Verf.] noch funktionstüchtig wären. 88/18.“ (Gedenkstätte Mittelbau-Dora 2008). 88 steht für den achten Buchstaben des Alphabets, das H, also für „Heil Hitler“ und die 18 entsprechend für A und H, also Adolf Hitler. „It was not so bad. It was neccessary!“ (Gedenkstätte Buchenwald 2015), oder ganz lapidar: „Arbeit macht frei!“ (Gedenkstätte Buchenwald 2015). Da solche Einträge in die Besucherbücher anonym erfolgen (die Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora bringen sie, schon um eine rote Linie zu markieren, immer zur Anzeige), lässt sich nicht sagen, auf wen sie zurückgehen. Sie als Dummheiten oder als bloße Provokationen abzutun, verbietet sich allein schon wegen der Ergebnisse der zahlreichen sozialwissenschaftlichen Studien – wie etwa dem seit 2000 jährlich durchgeführten „Thüringen Monitor“ – zur Einstellung der Bevölkerung in der Bundesrepublik, die ein erhebliches Ausmaß an Demokratieverachtung, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus ausweisen. Darüber hinaus sprechen die Mordtaten des Nationalsozialistischen Untergrunds (2000–2006), der Mordversuch an Betenden in der Synagoge von Halle (2019), der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (2019), die Morde in Hanau (2020) wie überhaupt die Vielzahl rassistischer und antisemitischer Übergriffe ihre eigene Sprache. Schon 1994, zwei Jahre nach dem fremdenfeindlichen Pogrom in Rostock-Lichtenhagen und den rechtsradikalen Morden in Mölln, hatte der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer die Frage aufgeworfen, inwieweit der Rechtsextremismus gerade auch aus der Mitte der Gesellschaft komme. Ich kann diese Diskussion hier im Einzelnen nicht nachzeichnen. Aber allein der
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Zuspruch, den die AfD in den vergangenen Jahren bei Wahlen gefunden hat, verweist auf erhebliche antidemokratische Potenziale und völkische, rassistische Einstellungen dort bzw. die Anschlussfähigkeit neurechten Denkens. Wie massiv dieser Umbruch auch auf die Gedenkstätten und ihre Arbeit zielt, ist spätestens mit der Dresdener Rede des Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke vom Januar 2017 deutlich geworden: die Schlagworte von der „systematischen Umerziehung“, der „dämlichen Bewältigungspolitik“, dem „Schuldkult“, dem Holocaustdenkmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ und dem Aufruf zu einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ klingen ebenso noch im Ohr wie die Auskleidung dieser Wende durch den Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bundestag, Alexander Gauland: Stolz auf die Leistungen der Wehrmacht, der Nationalsozialismus samt Holocaust und aller anderen Verbrechen ein „Vogelschiss“, zwölfJahre die „unsere Identität heute“ nicht mehr beträfen. Weniger wahrgenommen worden als die Auslassungen dieser beiden ist die weiter radikalisierende Rede des Abgeordneten und AfD-Ideologen Marc Jongen im Bundestag am 5. April 2019 im Rahmen der Beratung des Antrages der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum „Bundesprogramm ‚Jugend erinnert‘ – Wissensvermittlung über Wirkungen und Folgen von Diktatur und Gewaltherrschaft stärken“.2 In dieser Rede hat Jongen unmissverständlich offen gelegt, wie die AfD das historische Erinnern und die Gedenkstättenarbeit in der Bundesrepublik einschätzt: Als eine „Gedächtnispolitik“, die „die Jugend systematisch zu Schuld und Scham über ihr Deutschsein [erzieht], dass sie lernt, mit Deutschland Negatives, ja Böses zu assoziieren und dass sie lernt […]: Deutschland habe kein Lebensrecht. Es ist gut, wenn Deutschland verschwindet. Besser ist es, andere nehmen hier unseren Platz ein. […] Sie ist darauf angelegt, den Daseinswillen der Deutschen als Volk zu brechen.“ Es handele sich – gerade wegen, so Jongen, der „Bezüge zu aktuellen Fragen von Minderheitenrechten und Phänomenen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (wie Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Islamfeindlichkeit oder Klassenideologie)“ – um nichts anderes als „ideologische Machtpolitik“, um ein Instrument, dass „wie ein psychisches Gift […] schleichend zum Tod des Patienten führt“. Im Klartext: Das historische Erinnern an den Nationalsozialismus und die Arbeit der Gedenkstätten gelten nicht mehr „nur“ als Nestbeschmutzung, sondern sie bezwecken – ganz im Sinne der neurechten Umvolkungsbehauptung – nichts anderes als den „Volkstod“ der Deutschen, damit andere ihren Platz einnehmen können. Wer diese Anderen sind, deutet Jongen in seiner in Klammern gesetzten, eben zitierten Aufzählung an. Was sich aus seiner Darstellung für die „Zukunft der Erinnerung“ ergäbe, bedarf keiner weiteren Erklärung. Kennt man sie, be2 Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, 93. Sitzung, 5. April 2019, Plenarprotokoll 19/93.
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greift man aber besser, warum Stefan Brandner, Thüringer AfD-Bundestagsabgeordneter und zeitweise Vorsitzender des Rechtsausschusses des Bundestages, selbst Überlebende im Zusammenhang mit dem jährlichen Gedenktag an die Verfolgten des Nationalsozialismus am Tag der Befreiung von Auschwitz abkanzelt, so wie etwa 2019: Was ja auch völlig unbegreiflich ist, dass sich Überlebende des Holocaust oder der Shoah hinstellen und ihr Leid, was sie ja zweifelsohne erfahren haben, und ihre Erfahrungen dazu missbrauchen, heutige Parteien und Fraktionen anzugreifen. Möglicherweise verzerren sie da auch was auf Grund ihres Alters inzwischen. Sie haben das Rederecht vor einem Parlament, um an konkrete Ereignisse zu erinnern, und nicht, um in die heutige Politik sich plumpst einzumischen.3
Die hier umrissene Radikalisierung und die damit verbundene Rehabilitierung politischer Gifte, die zur Entwicklung des Nationalsozialismus beigetragen haben, hinterlässt auch noch auf andere Weise Spuren in den Gedenkstätten als nur in den teils deutlich gestiegenen rechten Schmierereien und anderen Formen rechten Vandalismus. Gravierender noch ist auch hier die Qualitätsveränderung im Sinne einer Radikalisierung bzw. des deutlichen Absinkens des Respektes vor den Orten so großen Leidens und selbst der Toten. Hakenkreuzschmierereien hat es in Buchenwald und Mittelbau-Dora wie auch in anderen Gedenkstätten gelegentlich gegeben, etwa an Bänken oder abgelegeneren Informationstafeln. Ende September 2019 hat jemand aber erstmals ein Hakenkreuz in einen der originalen Leichentransportbehälter geschmiert, im gleichen Jahr wurden auch die Gedenksteine am Gleisbett der ehemaligen Buchenwaldbahn in Erinnerung an den Kindertransport 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau geschändet, und regelmäßig wird seit einiger Zeit im Krematorium der Wagen zur Einführung von Leichen in die Brennöfen aus seiner Verankerung gerissen. 2019 hat sich ein junges Paar bei einem völlig hemmungslosen Posing fast in einem der Öfen des Krematoriums fotografiert: Der junge Mann lag feixend auf dem Leicheneinführwagen und wies mit der Hand in die Brennkammer. Die Fotos fanden sich im Internet, man konnte sie liken: „Manu Pxxx glücklich mit Steve Sxxx – hier: Ehemaliges KZ Buchenwald.“ Dass Teile der Gedenkstätte Buchenwald und selbst Massengräber im Januar 2021 zu Rodelbahnen geworden sind, ist durch die Presse der Bundesrepublik gegangen. Weitere Beispiele der Gleichgültigkeit und demonstrativen Verrohung ließen sich anführen. Es mag dafür nicht nur einen Grund geben, aber diese Gründe lassen sich kaum abkoppeln von den umrissenen Veränderungen in Teilen der normsetzen3 Erinnerungspolitik in Zeiten des Rechtspopulismus. Die Zukunft der Vergangenheit, Deutschlandradio, 8. Mai 2019.
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den Schichten wie der bundesrepublikanischen Gesellschaft: deren Öffnung nach Rechts und der damit verbundenen Normalisierung des Nationalsozialismus. KZ-Gedenkstätten waren und sind immer auch Orte, wo solche Entwicklungen sich symptomatisch und im verstörenden, aufrüttelnden Einzelfall zeigen. Stefan Brandner zieht in dem schon angesprochenen Interview ein signifikantes Fazit: „Also, die Gedenkstätten mutieren leider alle zu so politischen Bildungseinrichtungen.“4 Das stimmt, allerdings mit der Einschränkung, dass KZGedenkstätten nicht erst jetzt dazu mutieren, sondern dass sie sich von Anfang an bewusst als solche verstanden haben. Schweigen über Gräbern, historisch entkernte Pietät, das unverbindliche Beklagen von Opfern ohne über Täter, Tathintergründe und Tatmotive zu sprechen, war, ist und soll ihre Sache nicht sein. In den vergangenen zwanzig Jahren drohte Gedenkstätten jedoch ihre gesellschaftliche Aufgabe verloren zu gehen, wenn nicht sogar abgesprochen zu werden. Zugespitzt galten sie mit der Verschiebung hin zu staatlich repräsentativen Einrichtungen zunehmend als bloße Jugendbildungseinrichtungen bzw. Feuerwehreinrichtungen gegen Jugendextremismus. Die vermeintlich umfassend demokratisierte Mehrheitsbevölkerung schien sie allenfalls emblematisch, als Ausweis für die erreichte Läuterung zu brauchen. Das ist mit den umrissenen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen anders geworden. Das Anschwellen von alt- und neurechten Einstellungen und den damit verbundenen Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit hat auch einen ganz anderen Typus von Bekennerbesuch mobilisiert. Den von Menschen nämlich, die unter Wissens- und Aufklärungsgesichtspunkten diesen Besuch gar nicht nötig hätten, die aber mit dem Besuch ein Zeichen setzen möchten. Und unter Jugendlichen wächst die Zahl derjenigen, so die Erfahrung der pädagogischen Abteilung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, die in und mit den Gedenkstätten explizit zu Wissen kommen möchten, um in ihrer Lebenswelt gegen die genannten Entwicklungen argumentieren zu können. Es wächst auch wieder das Bewusstsein, wie gegenwärtig die Vergangenheit ist. Zum Schluss zwei pragmatische Bemerkungen: Die hier skizzierte Form von Gedenkstättenarbeit lässt sich als Bildung am nachhaltigsten in intensivpädagogischen Formaten umsetzen: in Workshops und Seminaren von drei und mehr Tagen. Die ehemaligen Lager wirken nicht augenblickskathartisch, und auch ein Gedenkstättenbesuch kann nicht schlagartig ausgleichen, was in Schulen und anderswo nicht geleistet wird.
4 Erinnerungspolitik in Zeiten des Rechtspopulismus. Die Zukunft der Vergangenheit, Deutschlandradio, 8. Mai 2019.
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Und – Gedenkstätten müssen verstärkt die Möglichkeit haben, unmittelbar in der Gesellschaft zu wirken. Nicht mittels moralischer Floskeln, sondern mit präzise an Geschichte und Erfahrung des Nationalsozialismus rückgebundenen aufklärerisch-zeitdiagnostischen Interventionen und durch die Möglichkeit, eng mit anderen Akteuren vor Ort – von der Zivilgesellschaft über Medien, Bildungsund Kultureinrichtungen bis hin zur Kunst – zusammenzuarbeiten. Es reicht nicht darauf zu warten, dass die Gesellschaft in die Gedenkstätten kommt. Gedenkstätten müssen aktiv und kritisch in die Gesellschaft gehen, auch gehen können, ohne dass ihnen dann eine Mandatsverletzung vorgehalten würde.
Memory Studies und die Zukunft der Erinnerung
Memory Studies and the Future of Memory A Conversation between Astrid Erll and Jeffrey K. Olick Astrid Erll: What is the “future of memory”? This is the question posed in the present collection of essays. Jeff, when you gave your lecture in Frankfurt in November 2019, you playfully called it “Was heißt Aufarbeitung der Vergangenheit heute?”, quoting of course Theodor W. Adorno’s famous 1959 essay.1 You told me that only when you sat down to think more about this lecture did you realize that this had already been Jürgen Habermas’ title of an essay in 1990.2 So apart from the fact that this is another intriguing case of cryptomnesia in academia (having a “great idea” that someone had before you, whose work you know suspiciously well), the point you make is: There are innumerable instances of “Aufarbeitung heute” in German mnemohistory. Memory has a history. There is a memory of memory. There is not just one kind of Aufarbeitung, or two, or three, but instead innumerable instances in an ongoing process of attempting to come to terms with the past. So what we are really faced with is what you call in The Sins of the Fathers “an accumulated sense of past ways of speaking” of the Nazi Regime and the Holocaust.3 Jeffrey K. Olick: Exactly. One of the challenges of thinking about the “state” of memory4 at any particular point in time, of thinking about whether we approve or disapprove of the current memory politics, is that it focuses our attention in two places: on the present moment in which the commemoration of the past is happening, and on the past that is being commemorated. But this present-past constellation neglects basic facts about how memory works. Whatever contemporary thoughts we might have about the past, or about whether our attitude toward it or the role it plays in the present moment is correct, we need to recognize that we have been remembering a particular past since it happened, and that the ways we have remembered it change over time. Our present form of 1 Theodor W. Adorno, “Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit?” [1959] in Gesammelte Schriften, vol. 10.2. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977), 555–572. 2 Jürgen Habermas, “Was bedeutet ‘Aufarbeitung der Vergangenheit’ heute? Bemerkungen zur ‘doppelten Vergangenheit’”, in Die Moderne – ein unvollendetes Projekt. Philosophisch-politische Aufsätze 1977–1992, 2nd edn. (Leipzig: Reclam, 1992), 242–267. 3 Jeffrey K. Olick, The Sins of the Fathers: Germany, Memory, Method (Chicago: Chicago University Press, 2016), 427. 4 See States of Memory: Continuities, Conflicts, and Transformations in National Retrospection, ed. Jeffrey K. Olick (Durham: Duke University Press, 2003). https://doi.org/10.1515/9783110710601-015
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commemoration is thus a reaction not just to the past being commemorated or to the dilemmas of the present moment, but to the entire history of commemorating that past. So, within any memory of an event, there are always memories of earlier ways of acknowledging it. These earlier ways both shape our current memory and are objects of it. In the German case, for instance, memory in the 1950s of National Socialism was in dialogue with the ways it was remembered in the immediate postwar period. Likewise, by the late 1960s (though pre-figured by Adorno’s famous speech from 1959), Vergangenheitsbewältigung was itself not just a new attitude toward the past, but a repudiation of what were seen as the silences and the repressions of remembering the past in the previous decade. The same was true again in the 1980s with the Historikerstreit, which reacted to the era of Vergangenheitsbewältigung, and again after 1989, which in some ways was prefigured by the Historikerstreit, though obviously in radically new circumstances. We are now in yet another new era, which I think is why it was time to ask what Vergangenheitsbewältigung looks like now, in the early 2020s. But what it looks like now is not just a reaction to the present circumstances, nor obviously a mirror of the past, but is a moment in an ongoing dialogue about the past, and includes an evaluation of past ways of remembering, as well as of current ones. And how we talk about it is a product of all of this complex history. The shocking thing for me in trying to answer the question about the future of memory in Germany was to recognize that the 1990s are by now what memory scholars call “a foreign country”, even though their memory seems recent.5 So: In 1959, Adorno asked what it means to master the past. In the early 1990s, Habermas asked what it means today, meaning thirty years ago now! The conveners of the event which has given rise to this conversation asked again in 2019 what memory looks like now, which forces the recognition of a new era. Rest assured, though, we will keep needing to ask the question, like a child on a long drive who keeps asking if we are there yet until we arrive; but when it comes to memory, there is no final destination. As Karl Mannheim wrote in 1927, “Our culture is developed by individuals who come into contact anew with the accumulated heritage.”6 So, as much as we might like to settle on a formula that we can repeat until the need fades, we will never in fact arrive at one once and for all. We need to keep posing the questions this difficult past raises, if differently in each new epoch and for each new generation. What this looks 5 David Lowenthal, The Past Is a Foreign Country (Cambridge: Cambridge University Press, 1985). 6 Karl Mannheim, “The Sociological Problem of Generations”, in Essays on the Sociology of Knowledge, trans. Paul Kecskemeti (London: Routledge, 1952), 286–320, here 293.
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like now, for this new era, is what we are struggling with here, though always with an awareness of earlier moments. Astrid Erll: So what is the contribution of our field – memory studies – to the discussion about “the future of memory”? How can we connect the pressing, “hot” concerns in society about the memory of National Socialism and the Shoah with the possibly a bit “colder”, more analytic approaches provided by the interdisciplinary field of memory studies? Jeffrey K. Olick: I am happy to say – and I think you will agree – that the relatively new field of memory studies has given us the tools to ask the right questions, and the ability to provide some answers.7 For my part, of course, I approach memory studies as a sociologist. And when I introduce sociology to new students, I emphasize that sociological vision demands we look and see in at least two dimensions, a sort of x-axis and y-axis. The x-axis is comparison, and the y-axis is historicity. In the first place, the way we see things in one particular place or from one perspective is only one among many possibilities, and might or might not be shared with others. We thus need to ask about what might be called the geometry of social perception. In the case of memory, for instance, is one the legatee of perpetrators or victims? Is one inside or outside the community in question? Is one advantaged or disadvantaged by the commemoration of a particular past, and in what ways? Everything depends on where one stands in this matrix, and how the present matrix in one place compares to the matrices elsewhere. In the second place – the y-axis – we need to remember the protean nature of this geometry and the complexities of the fact that we exist in time. How we see things in the present is not necessarily the way we saw them in the past, and will certainly not be the way we, or our descendants, see them in the future; the geometries are always changing. This dual sociological perspective allows us to understand what is unique, and what is universal, in German debates. As important as direct engagement is in the particular issues of particular places, it is important to understand how those particular issues in particular places are similar to, and different from others. Our accumulating knowledge of the ways in which different groups have struggled with and over memory is an enormous help to understanding any particular case, including an exceedingly complicated one like Germany.
7 Astrid Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, 3rd edn. (Stuttgart: Metzler, 2017); The Collective Memory Reader, ed. Jeffrey K. Olick, Vered Vinitzky-Seroussi, and Daniel Levy (New York: Oxford University Press, 2011).
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Astrid Erll: I have come to memory studies from a background in literary, cultural and media studies. A memory-perspective on literature also shows that meaning is not a static property of the text, but a dynamic process, unfolding across time. This is why for literary historians, memory studies is so close to reception studies: How are certain “texts” of the past read, discussed, translated, adapted, remediated across time, space, and cultures?8 These questions, of course, are not just an additional flourish diverting us from the hard facts of past genocide. Instead, aesthetic forms – and narrative patterns, in particular – undergird, enable, and sometimes even (knee-jerk like) trigger action. I think there would be very few dispossessions, expulsions and killings in history without narratives and narrative patterns that made those actions meaningful to the perpetrators (or at least normalized them). Conspiracy narratives are a particular case in point. I think that most antisemitic stereotypes have a basic conspiracist narrative structure, which can be unfolded according to different situations. This has a direct relevance for the present, where politicians of the German AfD-party and far-right populists across the world systematically exploit the polysemy of language and the narrative potentials of such stereotypes.9 And there is a media technology dimension to be taken into account as well: Whereas toxic narratives have long traveled orally, often via the “game of telephone” (Stille Post) across the generations, today’s social media have generated the affordances for the spread of conspiracy theories and for creating transnational narrative communities around them (QAnon just being the most prominent example). But of course, narrative is not only a dangerous tool. It is also the only one we have, when it comes to human meaning-making in the face of time and history.10 In fact, it is also a precious instrument for Aufarbeitung, for workingthrough the past, and actually for any kind of commemorative memory. The great challenge for those concerned with the future of memory – for example 8 Mediation, Remediation, and the Dynamics of Cultural Memory, ed. Astrid Erll and Ann Rigney (Berlin: De Gruyter, 2009). 9 Astrid Erll, “Homer, Turko, Little Harry: Cultural Memory and the Ethics of Premediation in James Joyce’s Ulysses”, Partial Answers 17 (2019): 227–253; idem, “Against Populism: Memory for an Age of Transformation”, in European Memory in Populism: Representations of Self and Other, ed. Chiara De Cesari and Ayhan Kaya (London: Routlegde, 2020), 294–298. On the mnemonic dynamics of national narratives, see James V. Wertsch, How Nations Remember: A Narrative Approach (New York: Oxford University Press, 2021). 10 Hayden White, Metahistory: The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1973); Paul Ricoeur, Temps et recit (Paris: Ed. du Seuil, 1984); Jeffrey K. Olick, The Politics of Regret: On Collective Memory and Historical Responsibility (London: Routledge, 2007).
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those who create memorials and museums that are meant to stick around for a few decades – is to work with the inevitable polysemy of memory products: to find ways of allowing narratives and meanings to change with each new generation and political situation, while at the same time keeping in place a certain normative core. So, overall, it seems what connects your sociological perspective to my literary and media studies perspective is an interest in cultural semiotics, narrative in particular, and its transformations across time? Jeffrey K. Olick: Yes, I think that is exactly right. For my part, though we sometimes employ the terms “social memory” and “cultural memory” interchangeably, and sometimes distinctly, I see social and cultural dynamics as complexly interdependent. Social organization shapes narratives, but narratives also shape social organization. The interesting question is how the social and the cultural constantly reconfigure themselves and each other. Perhaps this is just another way of saying that memory matters for societies, and vice versa. In the case of Germany, for instance, who is on the right, left, or center, and how and why they use imagery from and narratives about the past, is constantly changing. But part of the definition of right, left, and center and who wants to associate with them depends on how these are located within stories about the past. Astrid Erll: We have spoken about narrative and meaning-making in the history of memory (your y-axis), and I think we should now also talk about the x-axis of comparison. Comparison has been a major focus in memory studies for the past decade. After discussions about the ethics of comparison and comparability of the Holocaust in the 1980s and 1990s, the field now acknowledges that comparing does not mean equating or leveling, but can engender important (mnemo-)historical insights. This is Daniel Levy and Natan Sznaider’s contention in The Holocaust in the Global Age, where they discuss how the “Holocaust” has turned into a deterritorialized template, which helped address genocide and the violation of human rights elsewhere (e. g. in Rwanda or Argentina).11 This is also Michael Rothberg’s thrust in Multidirectional Memory, where he shows how in the 1950s and 1960s memories of the Holocaust enabled the articulation of memories of colonialism.12 A sense of productive comparabil11 Daniel Levy and Natan Sznaider, The Holocaust and Memory in the Global Age, trans. Assenka Oksiloff (Philadelphia: Temple University Press, 2006). 12 Michael Rothberg, Multidirectional Memory: Remembering the Holocaust in the Age of Decolonization (Stanford: Stanford University Press, 2009).
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ity is also behind Marianne Hirsch’s studies in “affiliative postmemory” in her book The Generation of Postmemory.13 In memory studies, comparison often means connecting, i. e. finding, using, or actively creating relationalities.14 Sometimes, firstly, we find connections on the level of the very historical events we study (as entangled histories). Usually, secondly, we can trace connections on the level of recall. All remembering, according to Maurice Halbwachs, is relational after all.15 We co-construct our memories together with parents, friends, and teachers. As a result of “traveling memory”, such relational remembering can extend geographically, thus becoming long-distance and transcultural.16 Natan Sznaider and Alejandro Baer, for example, have followed the migrations of the phrase “never again!” from Argentina’s trials of the juntas (nunca más) via Europeanized Holocaust memory to the exhumation of mass graves in post-Francoist Spain.17 Their research shows how the travels of mnemonic forms can shape the articulation of memory elsewhere. More recently, we can observe the migration of the slogan “Black Lives Matter” from the United States to Europe, whose nations look back on connected and yet different and in their own ways fraught histories of people from the African continent and their descendants. Sometimes, and this is now my third type of connective memory, such travels can lead to consciously and imaginatively produced mnemonic relationalities. This is where I see the practice of “multidirectional memory” as Michael Rothberg describes it: When W. E. B. Du Bois witnessed the remains of the Warsaw Ghetto in 1949, this made him not only rethink the history of slavery and arrive at a “more complete understanding of the Negro problem”18, but according to Rothberg, he was also able to see both the “commonality and difference”19 between the Holocaust and racial slavery. For Rothberg, this is an instance of memory comparison, which does not work according to a competitive logic (the “zero sum game”, which leads to victims’ competitions and to perpe-
13 Marianne Hirsch, The Generation of Postmemory: Writing and Visual Culture After the Holocaust (New York: Columbia University Press, 2012). 14 See Astrid Erll, “Homer – A Relational Mnemohistory”, Memory Studies 11 (2018): 274–286. 15 Maurice Halbwachs, Les cadres sociaux de la mémoire (Paris: Alcan 1925). 16 Astrid Erll, “Travelling Memory”, Parallax 17 (2011), no. 4, special Issue Transcultural Memory, ed. Rick Crownshaw: 4–18. 17 Alejandro Baer and Natan Sznaider, “Ghosts of the Holocaust in Franco’s Mass Graves: Cosmopolitan Memories and the Politics of ‘Never Again’”, Memory Studies 8 (2015): 328–344. 18 Du Bois as quoted in Rothberg, Multidirectional Memory, 116. 19 Ibid., 112.
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trators’ self-exculpations), but to what he describes in his mapping of different forms of multidirectional memory as “differentiated solidarity”.20 Jeffrey K. Olick: Let me say a word about comparison in the German context first. The problem of comparability is an old one in the German discourse, articulated perhaps most vividly in the debate between Saul Friedländer and Martin Brozsat in the early 1980s.21 The question, of course, is about the purpose of comparison, not the fact of it. Scholars always engage in comparisons of various sorts (e. g. between different times, or between different places) in an effort to understand what makes each case unique. Both politicians and ordinary people also engage in comparisons when they try to orient themselves and their actions in a complex reality by way of models or what the phenomenologists call typifications. The problem comes, however, when people use comparison in bad faith in an effort to relativize what they find unfelicitous in a particular situation. Every child has at some point, when caught misbehaving, tried to excuse their behavior by saying “well, he did it too [or first].” But they learn very quickly this doesn’t work. Alas, comparison has often in the German discourse become relativization for the purpose of exculpation, or emancipation from responsibility. This must be avoided. Astrid Erll: For charting the terrain between relativization and responsibility, memory studies’ toolbox is particularly helpful. Let’s talk about what has come to be called the “Historikerstreit 2.0”, the heated discussions about the “causa Mbembe”. Achille Mbembe is a Cameroonian philosopher, who has been based at the University of Witwatersrand in Johannesburg, South Africa, for the past two decades. In summer 2020, he was meant to give the opening speech of the Ruhr Triennial, but was disinvited, because several voices, among them Felix Klein, German Commissioner for the Fight against Antisemitism, accused the philosopher of relativizing the Holocaust. As Klein and others based their accusations on Mbembe’s writings,22 let’s have a look at their rhetoric of comparative memory: Mbembe’s much-quoted statements in Politiques de l’inimitié about the relations between European colo20 Michael Rothberg, “From Gaza to Warsaw: Mapping Multidirectional Memory”, Criticism 53 (2011): 523–548, here 525. 21 Peter Baldwin, “Social Interpretations of Nazism: Renewing a Tradition”, Journal of Contemporary History 25 (1990): 5–37. 22 See, for example: “Die Causa Achille Mbembe: Schwere Vorwürfe und Streit um einige Textpassagen. René Aguigah im Gespräch mit Felix Klein und Andrea Gerk” Deutschlandfunk, April 21, 2020, https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-causa-achille-mbembe-schwerevorwuerfe-und-streit-um.1270.de.html?dram:article_id=475092, accessed February 26, 2021.
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nialism, the Apartheid regime in South Africa, and the Holocaust are a case of what Rothberg would call “differentiated solidarity”. Mbembe suggests no simplistic equations, but acknowledges “different scales” and “different contexts”.23 He is interested in the continuities and pervasiveness of colonialist forms of thinking. His comparison points back to the historical entanglements of racism, colonialism, and Nazism as well as forwards to the possibilities of solidarity among different victim groups today. (By the way, the linkage between the experience of Apartheid and the Holocaust is not new, but has a certain tradition in South African literature; it can be found, for example, in Richard Rive’s well-known novel Buckingham Palace, District Six, which was published in 1986).24 But in Mbembe’s (equally much-quoted) intervention in his preface to Apartheid Israel the rhetoric shifts.25 Calling the Israeli occupation of Palestinian territory “the greatest moral scandal of our time” and the “greatest act of cowardice in the past half century”, Mbembe uses – to draw again on Rothberg’s matrix – comparison not in a spirit of differentiation, but of equation. In its political affect, the preface points not towards solidarity, but towards victims’ competition: The phrase “the past half century” immediately calls to mind a comparison-as-body-count of the Israeli-Palestinian conflict with, say, Biafra, Vietnam, the Dirty Wars, Iraq, Afghanistan, and a dozen more global “cowardices” of the past five decades. And the claim that Israel intends to go “the whole way” towards “incremental extermination” conjures up a victim competition between Jews in the Holocaust (with whom the term “extermination” is insolubly connected) and today’s Palestinian Arabs. While I think that the 23 Achille Mbembe, Politiques de l’inimitié (Paris: La Découverte, 2016). The German translation of the relevant passage is: “Im kolonialen Kontext war die permanente Trennungs- und damit Differenzierungsarbeit zum Teil die Folge der von den Kolonisten empfundenen Angst vor Vernichtung. […] Das Apartheidregime in Südafrika und – in einer ganz anderen Größenordnung und in einem anderen Kontext – die Vernichtung der europäischen Juden sind zwei emblematische Manifestationen dieses Trennungswahns.” Achille Mbembe, Die Politik der Feindschaft, transl. Michael Bischoff (Berlin: Suhrkamp 2017), 89. 24 See Astrid Erll, “From ‘District Six’ to District 9 and Back: The Plurimedial Production of Travelling Schemata”, in Transnational Memory: Circulation, Articulation, Scales, ed. Chiara de Cesari and Ann Rigney (Berlin: De Gruyter, 2014), 29–50. 25 “The occupation of Palestine is the biggest moral scandal of our times, one of the most dehumanizing ordeals of the century we have just entered, and the biggest act of cowardice of the last half-century. And since all they are willing to offer is a fight to the finish, since what they are willing to do is to go all the way – carnage, destruction, incremental extermination – the time has come for global isolation.” Achille Mbembe, “On Palestine”, in Apartheid Israel: The Politics of an Analogy, ed. Jon Soske and Sean Jacobs (Chicago: Haymarket Books, 2015), vii-viii, here viii.
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rhetoric of this latter piece leads to unproductive forms of comparison, I do not think it calls for disinvitation, but rather for critical debate. What the productive parts of Mbembe’s writing could generate in Germany is a new thinking about memory and historical responsibility in an expanded field: Not a relativization of Germany’s historical responsibility for the Holocaust, but a consideration of Germans as “implicated subjects”26 with responsibilities to bear also for European colonialisms (including the Herero and Nama genocide by the German Empire) and for the Palestinian dispossession.27 Now, in the spirit of productive comparison: You are working at the University of Virgina at Charlottesville, i. e. the very place where, in August 2017, the “Unite the Right rally” took place and various far-right groups, some of them carrying Nazi symbols, violently protested against the removal of the statue of Confederate General Robert E. Lee from a public park in the city centre. In recent months, the world has followed other important events in the United States: strong articulations of white supremacism on the one side, the Black Lives Matter Movement on the other. At the Inauguration of Joe Biden on January 20, 2021, 22-year-old African American Amanda Gorman stated in her inaugural poem: “Because being American is more than a pride we inherit/ It’s the past we step into and how we repair it.” (Amanda Gorman: “The Hill We Climb”, 2021)
So how would you say is “repairing the past” working in the United States today, how is it different from the German case? And what can we understand about the memory process when comparing the two? Jeffrey K. Olick: Before turning to the U. S. case, let me respond briefly to your excellent recounting of the “causa Mbembe.” To be frank, I do not agree with many of Mbembe’s formulations, or even necessarily with the reasons for them. But I entirely agree with you that disinvitation was not the right response in this case (though it might be in others). The exchanges that have taken place about Mbembe’s formulations have had productive – as well as unproductive – moments, and I am always in favor of open debates with parties who are acting in basic good faith. Given my interest in the memory of memory, and the em26 Michael Rothberg, The Implicated Subject: Beyond Victims and Perpetrators (Stanford: Stanford University Press, 2019). 27 See Michael Rothberg, “Comparing Comparisons: From the ‘Historikerstreit’ to the Mbembe Affair”, Geschichte der Gegenwart 2020, https://geschichtedergegenwart.ch/comparing-comparisons-from-the-historikerstreit-to-the-mbembe-affair/, accessed February 26, 2021.
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phasis I put on looking for what you have, in your work, called “premediation”, however, the entire affair to me appears in the context of the long history of German discourse about the Israel-Palestine question. And here, to be sure, there have been some complex psycho-cultural dynamics, in which, for instance, discreditable Israeli policy can serve as a release for German guilt. Such a complexity was first clearly visible in 1967, following the Six Day War, when the sense of German obligation to Israel shifted, at least on the left. More recently, I think of Günter Grass’s 2012 poem, “Was gesagt werden muss”, in which Grass criticized the German military for its provision of a submarine to the Israeli navy that was capable of carrying nuclear weapons, for fear that Israel might use it to annihilate Iran. The poem engendered a significant controversy, especially given prior revelations about Grass’s own biography, which included long-suppressed voluntary membership in the Waffen-SS, despite Grass’s long status as an icon of critical memory. Here again, with Mbembe, I sense a strange release in the opportunity for conflicted German memory to be worked out on the case of an African outsider, whose remarks provided an opportunity for virtue-signaling of different, though perhaps easier, sorts. I think the Mbembe scandal was as vigorous as it was because it allowed for a certain easy distancing, which the Grass case did not. As for the U. S. case, many of the reflexes – and much of the geometry – are quite different. Instead of relativization, here we have something of the opposite: namely, a longstanding belief that America is exceptional, not in the sense of being different (e. g. lacking an enduring left-wing political party, as the term “American exceptionalism” is most often used by social scientists to mean), but in the sense of being better, the greatest nation on earth. This started in 1630, when the Puritan John Winthrop set out with his Pilgrim followers for “the new world”, which he declared would be “A city on a hill”, and predicted that “We will become a story.” 350 years later, U. S. President Ronald Reagan repeated the claim on the eve of his election. This fundamental belief, however, has required some significant mnemonic gymnastics, given the horrors unleashed on the indigenous peoples of North America, and the importation of enslaved laborers from Africa to do the work of building the supposedly exceptional nation. To be sure, all Americans learn about slavery and the Civil War. But these are taught very much as deep, distant, and settled history, and the progressivist metanarrative of American history uses them to show how great America is for having overcome this history. We started in a very dark place. And no nation but ours could have come so far, so we are told again and again. As what the political scientist Seymour Martin Lipset called “the first new nation”, the U. S. looks forward, not backwards. This majoritarian cultural decision, of course,
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neglects the question as to whether everyone is on board with this story, and whether there are more negative consequences for forgetting the past or moving on from it for some than for others (the geometry of memory to which I referred earlier). Clearly that is the case, and the fact that our narrative has done so is, in my view, an enduring shame, though perhaps one we are finally beginning to acknowledge, which is a first step. Better late than never? And so, in my view, there has been an American exception not just when it comes to things like economic structure or political institutions, but in regard to collective memory. History, memory, the past, don’t seem to work the same here as in other places, certainly not as in Germany; we have somehow managed to evade the rebuke of memory longer than most. As a scholar and a citizen, it is a real puzzle to me – despite what I just wrote – as to how this could have been the case so thoroughly and for so long. What is remarkable, then, about the last couple of years here is not merely that our view of our past is changing, but that it makes so clear how strange – how exceptional! – American memory has been. How is it possible that we have been so successful at repressing our horrible past, at denying equivalences between our “good” society with all the other “bad” ones that have trouble with the past? Our blindness, including my own, is actually quite stunning, and recent events have brought this into the open, though some people were more shocked than others. The challenge shared by both Americans and Germans who believe it is important to acknowledge hard truths about the past is to foster cultures of receptivity to difficult memory. Unfortunately, both countries also share widespread structures of resistance: clear understanding of unpleasant facts continually bumps into accusations of Nestbeschmutzung or weakness. The challenge, though, as we discussed above, is not only to acknowledge the horrible past, but to acknowledge the further horror of having failed for so long to acknowledge it – the (sad) memory of (bad) memory. Just a brief example of how even the critically-inclined are unreceptive to basic gestures: In the summer of 2017, in the months before the Charlottesville riots, I had several conversations with colleagues and friends about monuments, since there was a petition circulating in Charlottesville about the Robert E. Lee statue (the commander of the Confederate Army). These left-leaning, critically-inclined academics, however, expressed great reticence about the idea of tearing down or even moving (which was what was actually being proposed) any piece of public art, no matter what its provenance, purpose, or effect. I think what they had in their heads was the Taliban blowing up the giant Buddhas. These statues had been there for a hundred years (though people perhaps thought them even older), and we need to tread carefully in such matters. What a difference a month (or a year, or two) makes! So if there was an exception in
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American memory politics (though this was always as much a belief as a fact), a great deal has changed in this exceptional status in a very short time. But there is a lot of work to be done, even beyond the distasteful cretinism of neo-populism. Astrid Erll: Memory studies is not only preoccupied with traumatic histories and the ways in which they are addressed, but it is increasingly also interested in “mnemonic resources” – in memories, which could help address present challenges and envision a better future. Perhaps one example of a mnemonic resource of the United States might be Reconstruction (1865–1877), an important era at the end of the civil war, which was characterized by a radical democratization in the South and black control. This era ended in 1877 with the Southern Comprise, which gave back all power to white people. It seems that Reconstruction was more or less forgotten in American mnemohistory – until recently. This strikes me as an interesting island in history, a past potentiality, an opportunity for “remembering hope”, and thus a resource for imagining a more just American society in the future.28 Or what do you think? Jeffrey Olick: Here I think we need to investigate – to interrogate – our educational system among other cultural agencies. And we are, I believe, dealing with a lot more than even the usual appalling poor quality of most learning. Namely, we are dealing with the remnants of an intentional suppression, which gradually became an unthinking reflex. Through the so-called Jim Crow era of white supremacism in the former Confederate states (though affecting the North as well), cultural powers worked hard to eliminate the memory of Reconstruction, or at least to distort it dramatically. Thus, when W. E. B. Du Bois addressed the American Historical Association in 1909 (the first African American to do so) and challenged the conventional view of Reconstruction – namely, the consensus among white historians that Reconstruction had failed because emancipated Blacks were corrupt and irresponsible and whites thus had to re-establish order – Du Bois argued that this was a scandalous misrepresentation to cover up disgusting white supremacist ideology. Needless to say, he was not invited back. Indeed, it would be decades before another African American was invited to address this central association for professional American historians, for whom Reconstruction remained a controversial topic at least into the 1960s. Reconstruction has also never quite broken through to being an important part of
28 Ann Rigney, “Remembering Hope: Transnational Activism Beyond the Traumatic”, Memory Studies 11 (2018): 368–380.
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mainstream – which has meant white – collective memory in the U. S. If it had, perhaps things would be different today. Astrid Erll: What the “three instances of Aufarbeitung heute”, the changing discursive constellations around comparison in Germany, and the legacies of slavery in the U. S. all show is that one belief just does not hold any longer (and it was my own belief twenty years ago) – that all memory is pretty much just constructed in and for the present. So “presentist memory studies” have given way to a greater attention to how the history of memory influences our present images of the past. This perspective assigns less transformative power to the New and a greater tenacity to the Old – both for better and for worse: In our example of the U.S., memory makes possible both rallies of white supremacists and the emergence of Black Lives Matter. Another thing that we seem to agree on is that the multidisciplinary field of memory studies incorporates the important study of commemoration and commemorative politics, but it also goes far beyond that. If we consider how science studies analyze the transmission of knowledge across time,29 how digital memory studies address the impact of social media on our personal and historical memories,30 or research on memory’s longue durée such as Jan Assmann’s book on Moses the Egyptian31 or my current book project on how the Odyssey-narrative could have traveled across the world for almost three millennia – what is it that brings all these different approaches to memory together under one umbrella? What defines our field? A temporalized view on the production of meaning? And isn’t it time to deepen our dialogue with psychology and the neurosciences, listening more closely to what cognitive psychologists like Bill Hirst and his colleagues have to say about socially shared memories?32 Jeffrey K. Olick: I very much agree with you that memory studies – which asks question like that about the future of memory in Germany – needs to incorporate cognitive psychology (in addition to the more usual psychoanalytic reflexes of many of us in the field). Part of this can be captured by the question of production versus reception of images of the past, with psychology being important to understanding the latter of these. Part of it goes to questions about elite 29 Geoffrey C. Bowker, Memory Practices in the Sciences (Cambridge, MA: MIT Press, 2005). 30 Digital Memory Studies: Media Pasts in Transition, ed. Andrew Hoskins (New York: Routledge, 2018). 31 Jan Assmann, Moses the Egyptian: The Memory of Egypt in Western Monotheism (Cambridge: Harvard University Press, 2009). 32 William Hirst, Jeremy K. Yamashiro and Alin Coman, “Collective Memory from a Psychological Perspective”, Trends in Cognitive Sciences 22 (2018): 438–449.
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versus popular views of the past, which operate differently from each other. Cognitive psychology is relevant to all of these, not merely the second terms. That being said, I advocate for what I call a “strong program” for memory studies, taking up a term from science studies. Namely, I believe that memory is a lot bigger than cognition, and operates only sometimes cognitively, rather than socially or culturally. So I refer to the wide variety of mnemonic products, processes, and practices, only some of which take place in individual human minds. There are technologies of memory other than the brain. The best cognitivists, of course, share at least some of this view, which they have articulated through notions of “the extended mind” and “distributed cognition”.33 When we ask about the future of German memory, then, we must recognize that we are not only talking about what individuals think about the German past but about the patterned ways in which they do so, which cannot be explained wholly in terms of the structures of individual minds. Our habits of thought are shaped as much by those of other people, by circulating tropes and images, by patterns of social influence, by structures of taboo, by availability, as they are by the arrangement and operation of neurons. And these are – or at least have been – the bread and butter of memory studies. Astrid Erll: I think this point cannot be overstated. Memory does not reside in pristine neuronal networks. Instead it is distributed across biological, mental, social and material phenomena. And these assemblages, or ecologies, are constantly shifting. For the purposes of memory studies, the “extended mind” must be stretched all the way to objects, landscapes, archives, memorials, television series, schoolbooks, and intergenerational dialogues. And we must take into account that sometimes individual minds may not even be part of the picture for several hundred years (that unread book in the library!). So, all this suggests for memory studies a deeper dialogue with the cognitive sciences, but with its newer approaches, which have shed both their universalism and their sole focus on the mind-as-computer. In that sense the future of memory, as a continued “Aufarbeitung der Vergangenheit”, and the future of memory studies more generally will hopefully be linked: It is only with insights into the temporal dynamics of culture and societies and with its tools to compare different histories and memories that we can address the practices and politics of commemoration today and tomorrow in a nuanced way.
33 John Sutton, Memory, Embodied Cognition, and the Extended Mind (Abingdon: Routledge, 2006).
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Jeffrey K. Olick: For me, among the many things memory studies as an analytic frame can bring to concrete discussions, a few stand out. In the first place, with its broadly comparative perspective (both “synchronic” and “diachronic” or xand y-axes), memory studies can help participants in commemorative debates understand what is unique and what is general in any particular situation. In the second place, as we already discussed, memory studies can help us untangle how the questions that seem to pose themselves in the present have been formed and reformed over time, as have our impulses on how we answer them. Memory studies thus itself becomes commemorative, insofar as it reminds commentators of how we got to the present moment. The challenges of memory always come from positions within both the society and the discourse. We do not invent the languages in which we speak, and what we say is always but a moment in a discourse. In trying to understand, for example, the Mbembe controversy, it is important to know the history of the discourse about comparison; otherwise it is really impossible to understand anything about why the remarks of a Cameroonian scholar about Palestine should affect an invitation to speak in Germany. Finally, memory studies also helps us recall that no answer to these questions is final. That’s the challenging thing about the past: there’s always more of it. I hope the same thing about conversations like ours!
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Autorinnen und Autoren, Herausgeberinnen und Herausgeber Aleida Assmann ist emeritierte Professorin für Anglistik und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz. Sie studierte Anglistik und Ägyptologie an den Universitäten Heidelberg und Tübingen und hatte zahlreiche Gastprofessuren im In- und Ausland inne. 2017 erhielt sie zusammen mit ihrem Mann Jan Assmann den Balzan-Preis für ihre Forschungen zum Kulturellen Gedächtnis und 2018 ebenfalls zusammen mit Jan Assmann den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Zuletzt sind von ihr erschienen: Formen des Vergessens (Wallstein Verlag, 2016); Menschenrechte und Menschenpflichten. Schlüsselbegriffe für eine humane Gesellschaft (Picus Verlag, 2018); Der europäische Traum. Vier Lehren aus der Geschichte (Beck, 2018) und Die Wiedererfindung der Nation. Warum wir sie fürchten und warum wir sie brauchen (Beck, 2020). Micha Brumlik ist emeritierter Professor am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er studierte nach Ulpan und Studium an der Hebräischen Universität Jerusalem von 1969 bis 1977 Pädagogik und Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Nach diversen Assistentenstellen übernahm er 1977 seine erste Professur an der Universität Hamburg und war von 1981–2000 Professor an der Universität Heidelberg. Bis 2013 war er dann Professor an der Goethe-Universität und von 2000 bis 2005 Leiter des Fritz-Bauer-Instituts zur Geschichte des Holocaust und seiner Wirkung. 2013 war Brumlik Distinguished Harris Visiting Professor am Dartmouth College. 2011 übersiedelte er nach Berlin, wo er seit 2013 Senior Professor am Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg ist. Er ist Mitglied in der Jüdischen Gemeinde Berlin und war im Sommersemester 2016 Inhaber der Franz-Rosenzweig-Gastprofessur an der Universität Kassel. Astrid Erll ist Professorin für Anglophone Literaturen und Kulturen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Leiterin der Frankfurt Memory Studies Platform (www.memorystudiesfrankfurt.com). Zusammen mit Ansgar Nünning gibt sie die Reihen Media and Cultural Memory (MCM) und Medien und kulturelle Erinnerung (MKE) im Verlag De Gruyter heraus. Zusammen mit Ann Rigney hat sie u. a. Mediation, Remediationandthe Dynamics of Cultural Memory (De Gruyter, 2009) und Cultural Memory after the Transnational Turn (Memory Studies, 2018) publiziert. Ihre Einführung in die kulturwissenschaftliche Gedächtnisforschung Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen (J. B. Metzler, 3. Aufl. 2017) wurde ins Englische, Spanische, Chinesische, Polnische und Japanische übersetzt. Jackie Feldman ist Associate Professor für Anthropologie und Direktor des Rabb Center for Holocaust Studies an der Ben-Gurion University of the Negev in Beer-Sheva (Israel). Seine Forhttps://doi.org/10.1515/9783110710601-017
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schungen beschäftigen sich mit Pilgerschaft und Tourismus, Anthropologie der Religion, Erinnerung des Holocaust, ethnografischen Schriften, Prozessen der Heritagisierung und vergleichenden Museumsstudien. Neben zahlreichen Beiträgen in wissenschaftlichen Zeitschriften hat er zwei Monografien publiziert: Above the Death Pits, Beneath the Flag: Youth Voyages to Holocaust Poland and the Performance of Israeli National Identity (Berghahn, 2008) und A Jewish Guide in the Holy Land: How Christian Pilgrims Made Me Israeli (University of Indiana Press, 2016). Gegenwärtig arbeitet er an einem durch die Israel Science Foundation geförderten Projekt mit dem Titel Memorial, Museum, Smartphone: Transmitting Holocaust Memory in a Digital Generation. Darin untersucht er, wie sich die Strukturen von Macht, ortsbezogener Erinnerung und gesellschaftlicher Solidarität durch die Verbreitung von digitalen Technologien und sozialen Medien verändern. Tobias Freimüller ist Historiker und stellvertretender Direktor des Fritz Bauer Instituts in Frankfurt am Main. Er forscht zur Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus, zur jüdischen Geschichte und zur Geschichte der Medizin und Psychiatrie. Nach dem Studium der Geschichte und Germanistik an der Ruhr-Universität Bochum wurde er 2006 an der FriedrichSchiller-Universität Jena mit einer Studie über den Psychoanalytiker und kritischen Intellektuellen Alexander Mitscherlich promoviert. Seit 2005 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Dr. Norbert Frei am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena. 2010 war Tobias Freimüller Theodor Heuss Lecturer und Assistant Professor an der New School for Social Research in New York, 2012 Fellow am Franz Rosenzweig Minerva Research Center an der Hebräischen Universität Jerusalem. 2019 wurde er mit einer Studie über Frankfurt und die Juden. Neuanfänge und Fremdheitserfahrungen 1945–1990 (Wallstein, 2019) an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main habilitiert. Lea Wohl von Haselberg ist Film- und Medienwissenschaftlerin und forscht und schreibt zu deutsch-jüdischen Themen und Erinnerungskultur. Sie promovierte in Hamburg und Haifa mit einer Arbeit über jüdische Spielfilmfiguren im westdeutschen Film und Fernsehen. Ihre Forschung ist an der Schnittstelle von Medienwissenschaften und jüdischen Studien angesiedelt. Forschungsschwerpunkte liegen auf der Repräsentation jüdischer Themen in bundesrepublikanischen Diskursen, jüdischer Filmgeschichte und (audiovisuellen) Erinnerungskulturen. Sie ist assoziiertes Mitglied des Selma Stern Zentrums für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg und Mitherausgeberin des Magazins Jalta. Positionen zur jüdischen Gegenwart. Seit Oktober 2017 arbeitet sie in verschiedenen Forschungsprojekten an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, u. a. koordiniert sie mit Johannes Praetorius-Rhein das DFG-Netzwerk Deutsch-jüdische Filmgeschichte der Bundesrepublik (2019–2022) und leitet die Nachwuchsforschungsgruppe „Was ist jüdischer Film?“. Doron Kiesel ist in Ramat Gan (Israel) und Frankfurt am Main aufgewachsen. Nach dem Abitur studierte er Soziologie und Erziehungswissenschaften in Jerusalem, Frankfurt am Main und
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Heidelberg. 1998 wurde er zum Professor für Interkulturelle und Internationale Pädagogik in Erfurt berufen und ist seit 2016 wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er publizierte zahlreiche Schriften zu Migration und Integration ethnisch-kultureller Minderheiten in Deutschland. Forschungsschwerpunkte sind migrationstheoretische Aspekte der russischsprachigen jüdischen Zuwanderer in Deutschland und diversitätstheoretische Ansätze in der Migrationsforschung. Volkhard Knigge war von 1994 bis 2020 Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und von 2007 bis 2020 Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er studierte Geschichte, Germanistik und Erziehungswissenschaften mit einer psychoanalytischen Zusatzqualifikation. Er entwickelte die Neukonzeption der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und zahlreiche Ausstellungen zur NS-Geschichte. Knigge ist bzw. war u. a. Mitglied der Sachverständigenkommission bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien für die Bundesgedenkstättenförderung (2000–2020), des wissenschaftlichen Beirats für die Neukonzeption des Dokumentationszentrums Obersalzberg, des Beirats des Dokumentationszentrums NS-Besatzungsherrschaft in Berlin, des Beraterkreises für den Beauftragten für Jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus sowie des Beirates der Klassik Stiftung Weimar. Zurzeit arbeitet er an einem Forschungsprojekt zur Geschichte von Erinnerungspolitik und institutionalisierter KZ-Gedenkstättenarbeit in der Bundesrepublik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Zuletzt erschienen: Geschichte von Gestern für Deutsche von morgen? Die Erfahrung des Nationalsozialismus und historisch-politisches Lernen in der (Post-)Migrationsgesellschaft (Wallstein, 2019, hrsg. zusammen mit Sybille Steinbacher); Geschichte als Verunsicherung. Konzeptionen für ein historisches Begreifen des 20. Jahrhunderts (Wallstein, 2020, hrsg. von Axel Doßmann); Verbrechen begreifen. Nationalsozialismus, institutionalisiertes Gedächtnis und historisches Lernen nach der Zeitgenossenschaft (Wallstein, 2021, im Erscheinen). Yael Kupferberg ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin am Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA)/Forschungsinstitut für Gesellschaftlichen Zusammenhalt an der Technischen Universität Berlin. Von Oktober 2018 bis September 2020 war sie Gast- bzw. Vertretungsprofessorin am ZfA, davor war sie als Akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Jüdische Religion und Philosophie an der Universität Potsdam tätig. Sie studierte Neuere deutsche Literatur in an der Freien Universität Berlin und Jüdische Studien an der Universität Potsdam, der Tel Aviv University und der University of Pennsylvania in Philadelphia. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die deutsch-jüdische Geistes-, Literatur- und Beziehungsgeschichte, Kritische Theorie, Jüdische Religionsphilosophie sowie Ethik und Ästhetik. Norma Musih forscht zu visueller Kultur und digitalen Medien. In Argentinien geboren, emigrierte sie als Teenager nach Israel. Sie absolvierte den Bachelor of Fine Arts an der Bezalel Academy of Arts in Jerusalem und ihren Master of Arts am Department of Cultural Studies der
290 Autorinnen und Autoren, Herausgeberinnen und Herausgeber
Hebrew University of Jerusalem. Musih promovierte am Department of Communication and Culture der Indiana University und ist derzeit Postdoc am Department of Sociology and Anthropology der Ben-Gurion University of the Negev in Beer-Sheva, wo sie dazu forscht, wie neue Medien und digitale Technologien die Erinnerung an den Holocaust beeinflussen. Sie arbeitet an einem Buchmanuskript, das auf ihrer Arbeit als Kuratorin und ihrem Engagement als politische Aktivistin aufbaut und in dem sie durch eine Analyse von Archivfotografien, von Künstlern produzierten Fotografien und digitalen Bildern eine Verbindung zwischen Abbildungen und Vorstellungen herstellt. Daraus sucht sie Ansätze für das Trainieren der Vorstellungskraft in „dunklen Zeiten“ zu entwickeln. Jeffrey K. Olick ist William R. Kenan, Jr. Professor of Sociology and History an der University of Virginia (Charlottesville, USA) und, mit Aline Sierp und Jenny Wüstenberg, Co-Präsident der Memory Studies Association. Zusammen mit Stefan Berger hat er die sechsbändige History of Memory (Bloomsbury, 2020) herausgegeben. Seine jüngste Monografie ist The Sins of the Fathers: Germany, Memory, Method (University of Chicago Press, 2016). Zusammen mit John Sutton (Macquarie University, Australia) und Sarah Daynes (Univerity of North Carolina, Greensboro) arbeitet er derzeit an einer neuen Ausgabe und Übersetzung des Werks von Maurice Halbwachs zur kollektiven Erinnerung. Mit Vered Vinitzky-Seroussi (Hebrew University, Jerusalem) und Daniel Levy (Stonybrook University, USA) hat er außerdem herausgegeben The Collective Memory Reader (Oxford University Press, 2011). Samuel Salzbornist außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft am Institut für Politikwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen. Letzte Buchveröffentlichungen u. a.: Kollektive Unschuld. Die Abwehr der Shoah im deutschen Erinnern (Hentrich & Hentrich, 2020); Globaler Antisemitismus. Eine Spurensuche in den Abgründen der Moderne. Mit einem Vorwort von Josef Schuster, (Beltz Juventa, 2. überarb. u. erg. Aufl. 2020); The Modern State and its Enemies. Democracy, Nationalism and Antisemitism (Anthem Press, 2020). Gury Schneider-Ludorff ist evangelische Theologin und lebt in Frankfurt am Main. Seit 2005 ist sie Lehrstuhlinhaberin für Kirchen- und Dogmengeschichte an der Augustana-Hochschule, Neuendettelsau. Sie ist Co-Direktorin des dortigen Instituts für Christlich-Jüdische Studien und Beziehungen, seit 2011 in der Leitung des Forschungs- und Publikationsprojektes „Synagogen-Gedenkbände Bayern“ tätig und Mitherausgeberin dieser Bände. Martina Steer ist Managing Director der Doctoral School of Historical and Cultural Studies an der Universität Wien. Davor forschte und lehrte sie unter anderem an der New York University, dem Europäischen Hochschulinstitut in Florenz und der Universität Wrocław. Zu ihren Publikationen zählen u. a. Nation, Internationalism, and the Policies against Trafficking in Girls and Women after the Fall of the Habsburg Empire, in: Peter Becker/Natasha Wheatley (Hrsg.), Remaking Central Europe. The League of Nations and the Former Habsburg Lands (Oxford Univer-
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sity Press, 2020); Moses Mendelssohn und seine Nachwelt. Eine Kulturgeschichte der jüdischen Erinnerung (Wallstein, 2019); Nation, Religion, Gender: The Triple Challenge of MiddleClass German-Jewish Women in World War I, in: Central European History (2015); Kulturtransfers in der jüdischen Geschichte (Campus, 2006, hrsg. zusammen mit Wolfgang Schmale); Bertha Badt-Strauss. Eine jüdische Publizistin (Campus, 2005) und „… da zeigte sich: der Mann hatte ihr keine Welt mehr anzubieten.“ Margarete Susman und die Frage der Frauenemanzipation (Verlag Dr. Winkler, 2001). Alan E. Steinweis ist Professor of History und Raul Hilberg Distinguished Professor of Holocaust Studies an der Universität von Vermont. Er ist Verfasser von Kristallnacht 1938 (Harvard University Press, 2009; deutsche Ausgabe: Reclam, 2011); Studying the Jew: Antisemitic Scholarship in Nazi Germany (Harvard University Press, 2006); und Art, Ideology and Economics in Nazi Germany: The Reich Chambers of Music, Theater, and the Visual Arts (University of North Carolina Press, 1993). Außerdem hat er mehrere Sammelbände zur Geschichte von NSDeutschland und des Holocaust herausgegeben. Zurzeit arbeitet er an einer kurzen Gesamtdarstellung der Geschichte NS-Deutschlands, die bei Cambridge University Press erscheinen wird. Er hatte Gastprofessuren an den Universitäten von Hannover, Heidelberg, Frankfurt am Main, München und Beer-Sheva inne. Seit 2012 ist er Mitherausgeber der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Natan Sznaider ist Professor für Soziologie an der Akademischen Hochschule von Tel Aviv. Er spezialisiert sich auf soziologische Theorie, Globalisierung und Erinnerungskultur. In Mannheim geboren, wanderte er nach Israel aus, wo er sein Studium aufnahm. Er hatte mehrere Gastprofessuren in Deutschland inne. Seine letzten Veröffentlichungen sind Jewish Memory and the Cosmopolitan Order (Polity Press, 2011); Memory and Forgetting in the Post-Holocaust Era (Routledge, 2016, zusammen mit Alejandro Baer); Gesellschaften in Israel: Eine Einführung in Zehn Bildern (Suhrkamp, 2017) und Die Politik des Mitgefühls (Beltz Juventa, 2021). Er ist auch Mitherausgeber (mit Christian Heilbronn und Doron Rabinovici) von Neuer Antisemitismus? Fortsetzung einer globalen Debatte (Suhrkamp, 2019). Natan Sznaider lebt und arbeitet in Tel Aviv. Stefan Vogt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Forschungskoordinator an der Martin-Buber-Professur für jüdische Religionsphilosophie sowie Privatdozent für neue Geschichte am Historischen Seminar der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er hat an der Freien Universität Berlin promoviert und danach an der Universität von Amsterdam, der New York University und der Ben-Gurion Universität in Beer-Sheva gearbeitet. Seine hauptsächlichen Forschungsgebiete sind die deutsch-jüdische Geschichte, die Geschichte des Nationalismus und die Geschichte des Kolonialismus. Er ist der Autor von Subalterne Positionierungen: Der deutsche Zionismus im Feld des Nationalismus in Deutschland, 1890–1933 (Wallstein-Verlag, 2016) und Nationaler Sozialismus und Soziale Demokratie: Die sozialdemokratische Junge Rechte 1918–
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1945 (Dietz-Verlag, 2006), sowie einer Reihe von Aufsätzen zur Geschichte des Zionismus, zur deutsch-jüdischen Geschichte und zur Geschichte des Nationalismus und des Antisemitismus. Derzeit arbeitet er an einem Forschungsprojekt, das Verbindungsstellen zwischen deutsch-jüdischer Geschichte und deutscher Kolonialgeschichte untersucht. Mirjam Wenzel ist Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, Honorarprofessorin für Jüdische Studien an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und 2020/2021 zudem BauhausGastprofessorin in Weimar. Nach dem Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, Politik- und Theaterwissenschaft in Berlin und Tel Aviv promovierte sie 2009 mit dem Buch Gericht und Gedächtnis: Der deutschsprachige Holocaust-Diskurs der sechziger Jahre (Wallstein, 2009). Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsche Philologie der Universität München und übernahm 2007 die Leitung der Medienabteilung am Jüdischen Museum Berlin. Sie hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen zur deutsch-jüdischen Kulturgeschichte verfasst, z. B. Jüdisches Frankfurt. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart (Beck, 2020, hrsg. zusammen mit Fritz Backhaus und Sabine Kößling); Unser Mut. Juden in Europa 1945–48 (De Gruyter, 2020, hrsg. zusammen mit Kata Bohus, Werner Hanak und Atina Grossmann); Ludwig Meidner: Expressionismus, Ekstase, Exil – Expressionism, Ecstasy, Exile (Gebrüder Mann Verlag, 2018, hrsg. zusammen mit Erik Riedel); Die Frankfurter Judengasse: Geschichte, Politik, Kultur (Beck, 2016, hrsg. zusammen mit Fritz Backhaus, Raphael Gross, Sabine Kößling). Christian Wiese ist Inhaber der Martin-Buber-Professur für Jüdische Religionsphilosophie sowie Direktor des Buber-Rosenzweig-Instituts für jüdische Geistes- und Kulturgeschichte der Moderne und Gegenwart an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er studierte Evangelische Theologie und Judaistik in Tübingen, Bonn, Jerusalem und Heidelberg, nach Promotion in Frankfurt und Habilitation in Erfurt führte ihn sein Weg über Gastprofessuren in Montreal, am Dartmouth College und Dublin zur Tätigkeit als Direktor des Centre for German-Jewish Studies an der University of Sussex (2007–2010). Weitere Gastaufenthalte verbrachte er an der University of Pennsylvania und an der ETH Zürich. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der deutsch-jüdischen Geschichte, der Geschichte des Zionismus, der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne, der Geschichte jüdisch-christlicher Beziehungen und der Antisemitismusforschung. Zu seinen zahlreichen Publikationen zählen die Monografien Challenging Colonial Discourse: Jewish Studies and Protestant Theology in Wilhelmine Germany (Brill, 2005); The Life and Thought of Hans Jonas: Jewish Dimensions (Brandeis University Press, 2007) und Denken in Zeiten der Gottesfinsternis. Essays zur jüdischen Religionsphilosophie und Ethik nach der Shoah (Evangelische Verlagsanstalt, 2021). 2019 erschien seine Edition der biblischen Schriften Martin Bubers in der Buber-Werkausgabe. Jenny Wüstenberg ist Professorin für die Geschichte des 20. Jahrhunderts, Direktorin des Centre for Public History, Heritage and Memory an der Nottingham Trent University in England und
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Co-Präsidentin der Memory Studies Association. Nach ihrer politikwissenschaftlichen Promotion an der University of Maryland hatte sie akademische Positionen in Washington D. C., Berlin und Toronto inne. Ihre Forschung befasst sich mit der Rolle von sozialen Bewegungen, zivilgesellschaftlichem Engagement und transnationalen Netzwerken in der Erinnerungspolitik. Ihr aktuelles Forschungsprojekt vergleicht die Geschichte von Familientrennungsmaßnahmen (Canadian Residential Schools, Stolen Generations, Zwangsadoptionen in der DDR etc.) und wie an sie öffentlich erinnert wird. Ihr Buch Civil Society and Memory in Postwar Germany (Cambridge University Press, 2017) erschien 2020 in deutscher Übersetzung unter dem Titel Zivilgesellschaft und Erinnerungspolitik in Deutschland seit 1945 (LIT Verlag).
Personenregister Adelung, Johann Christoph 119 Adenauer, Konrad 37, 57, 75–76, 147 Adorf, Mario 217 Adorno, Theodor W. 56, 66, 119, 128–130, 253–254 Allerhand, Jakob 151 Altmann, Alexander 149–153 Arendt, Hannah 17, 117, 169–174, 241 Assmann, Aleida 3, 71, 115, 177 Assmann, Jan 3, 115, 177, 265 Augstein, Rudolf 49 Baal Schem Tov 107 Baeck, Leo 149, 152 Baer, Alejandro 258 Baron, Salo W. 202 Bartetzko, Dieter 206 Bauer, Fritz 43, 45 Ben Gurion, David 164 Benjamin, Walter 108, 119, 126 Bergmann, Judah 141 Bergmann, Werner 60 Bialik, Chaim Nachman 161, 163 Biden, Joe 261 Bloch, Ernst 119, 122, 140 Blumenthal, Michael 208 Bodemann, Y. Michal 93–95, 102, 136 Bogdal, Klaus Michael 112 Bohncke, Alexander-Robert 151 Bonjour, Roland 217 Börne, Ludwig 205 Brandner, Stefan 248–249 Brandt, Willy 147 Brebeck, Wulff E. 89 Brecht, Bertolt 126 Broeck, Sabine 112 Brozsat, Martin 259 Brumlik, Micha 205 Buber, Martin 199–200 Bubis, Ignatz 49 Butler, Judith 209 Cameron, James 217 Cicero, Marcus Tullius 212
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Classen, Christoph 218 Czollek, Max 94–95, 97, 99–103 Deckert, Günter 246 Demski, Eva 205 Derr, Katharina 217 Diner, Dan 205, 212–213 Dink, Hrant 103 Dinur, Yehiel 168, 171 Dönhoff, Marion Gräfin 151 Dössekker, Bruno 97 Du Bois, W.E.B. 258, 264 Eichmann, Adolf 17, 43, 164–172, 180, 216 Elieser, Israel ben 107 Elvers, Rudolf 151–152 Erb, Rainer 60 Fassbinder, Rainer Werner 48, 61 Fechner, Eberhard 216 Feiner, Shmuel 133 Feuchtwanger, Lion 127–128 Filbinger, Hans 46 Fischer, Eugen 117 François, Etienne 136 Frank, Anne 96, 115, 162 Frauberger, Heinrich 200 Friedländer, David 133 Friedländer, Saul 2, 259 Frosh, Paul 184 Fruchtmann, Karl 215–216 Galinski, Heinz 151 Garbe, Detlef 81, 86 Gauland, Alexander 65–69, 247 Geis, Matthias 66 Geyer, Gerhard 142 Ginsburg, Hans Jakob 152 Giordano, Ralph 72, 99 Gliński, Piotr 209 Globke, Hans 40, 44 Goebbels, Joseph 24, 28 Goldhagen, Daniel 49 Goldschmidt, Hermann Levin 153
296 Personenregister
Gorman, Amanda 261 Graml, Hermann 40 Grass, Günter 11, 262 Grimm, Jakob und Wilhelm 119 Grossman, David 166 Grunwald, Malchiel 164 Guérot, Ulrike 102 Gysi, Klaus 144–145 Habermas, Jürgen 253–254 Halbwachs, Maurice 177–178, 258 Halevi, Benjamin 165, 170–171 Hallgarten, Charles 200 Hamalim, Klaus 142 Händler, Werner 144–145 Harlan, Veit 40 Hartung, Günter 143 Haß, Ulrike 78 Hauschild, Thea 143 Hausmann, Brigitte 78, 85 Hausner, Gideon 166, 168, 171–172 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 125, 140 Hegener, Wolfgang 61 Heine, Heinrich 143 Heinzel, Sebastian 223, 226–227, 230, 234 Heitmeyer, Wilhelm 246 Herf, Jeffrey 75 Herzl, Theodor 133 Heubner, Christoph 89 Hingst, Marie Sophie 97 Hirsch, Marianne 179, 258 Hirst, Bill 265 Hitler, Adolf 21, 24, 28, 37, 39, 46, 55, 67, 246 Höcke, Björn 65, 68–69, 247 Hofmann, Detlef 203 Hofmann, Hilmar 203 Holzer, Charlotte 141 Hoppe, Joachim 152 Horkheimer, Max 129–130, 202 Hoskins, Andrew 182–183, 192 Ibrahim, Yasmin 182 Ingster, Oljean 145 Inowlocki, Lena 205 Itzig, Daniel 133
Jongen, Marc 247 Jureit, Ulrike 95 Just-Dahlmann, Barbara 148 Ka-Tzetnik 168 Kaiser, Wolf 89 Kampe, Norbert 90 Kant, Immanuel 109, 130, 150 Kaplansky, Mor 223, 225, 232 Karolinski, Alexa 223, 225, 229, 233–234 Kastner, Rudolf 164–165, 170–171 Keilbach, Judith 216 Kertesz, Imre 115 Kirchner, Peter 141, 144–145 Klausner, Erich 151 Klein, Felix 259 Klug, Brian 209 Koch, Otto 243 Kochavi, Matti 187 Kogon, Eugen 39 Kohl, Helmut 48, 65, 68, 80, 85, 100, 203 Kovács, Susanne 223, 228, 232 Kovner, Abba 163 Kugelmann, Cilly 205 Kühling, Gerd 74, 77 Lamm, Hans 152 Lanzmann, Claude 167, 216 Lavater, Johann Caspar 148 Lee, Robert E. 261, 263 Leggewie, Claus 62 Lessing, Gotthold Ephraim 138, 144, 148, 150 Levi, Primo 110 Levy, Daniel 63, 65, 257 Libeskind, Daniel 208 Lilien, Moses Ephraim 199 Lipowatz, Thanos 56, 60 Lipset, Seymour Martin 262 Lowenthal, David 182 Lowenthal-Hensel, Cecile 148, 151 Lübbe, Hermann 40 Lübcke, Walter 246 Lubetkin, Zivia 17, 157–166, 168–175 Lübke, Heinrich 44 Ludendorff, Erich 149 Ludwig I. 135
Personenregister
Luria, Isaak 107 Lutz, Thomas 81, 88–91 Mankowitz, Zeev 73 Mannheim, Karl 254 Manstein, Erich von 39 Margalit, Avishai 109–110 Marr, Wilhelm 149 Marx, Karl 140, 143 Mayer, Hans 152–153 Mbembe, Achille 111, 116–117, 259–262, 267 Meidner, Ludwig 199 Meir, Golda 133 Melzer, Abraham 115 Menasse, Robert 102 Mendelssohn Bartholdy, Felix 143, 149, 153 Mendelssohn, Abraham 133 Mendelssohn, Brendel 133 Mendelssohn, Henriette 133 Mendelssohn, Moses 17, 133–154 Mendelssohn, Nathan 133 Mengele, Josef 117 Merkel, Angela 29 Merker, Paul 140 Messerschmidt, Astrid 113 Metz, Johann Baptist 94 Meyer, Erik 62 Mirandola, Pico della 109 Mishkovsky, Zelda Schneurson 121 Mitscherlich, Alexander 56–57 Mitscherlich, Margarete 56–57 Mollisson, Theodor 117 Moors, Markus 89 Mosès, Stéphane 121 Murekatete, Jacqueline 26 Nauheim, Siegmund 201–202 Neiman, Susan 103 Nerdinger, Winfried 98 Netanyahu, Benjamin 188, 192 Neumann, Isaac 146 Niethammer, Lutz 37 Nora, Pierre 3, 134, 179, 187 Oberländer, Theodor 44
297
Patt, Avinoam 188 Peukert. Helmut 108 Pinchevsky, Amit 181 Plamper, Jan 101 Prinz, Joachim 153 Rackwitz, Werner 141 Rauschenberger, Katharina 199 Reagan, Ronald 262 Reuveny, Yael 223, 225–226 Richter, Gunnar 87–88 Rive, Richard 260 Rosa, Hartmut 181 Rosenthal, Hans 151 Rosenzweig, Franz 200 Rothberg, Michael 6, 116, 257–258, 260 Rothschild 111–112, 200–201, 208 Rothschild, Majer Amschel 211 Rürup, Reinhard 72 Ryba-Kahn, Sharon 223, 228–229, 233–234 Salfati, Pierre-Henri 217 Salzberger, Georg 202 Sauberzweig, Dieter 149, 152 Scharoun, Hans 148 Schmitz, Hermann 125 Schneider, Christian 45, 95 Scholem, Gerschom 119, 126, 170 Scholz, Stephan 75 Schulze, Hagen 136 Schwarzenegger, Arnold 21–22, 29 Schwelling, Birgit 75 Seghers, Anna 140 Senfft, Alexandra 59 Shalev, Avner 190 Siegele, Patrick 89 Simon, Heinrich 145 Simonides 212 Smolenskin, Perez 134 Solms-Laubach, Graf Ernstotto zu 201 Speyer 208 Spiel, Hilde 152 Spielmann, Jochen 79, 85 Spinoza, Baruch 140 Staffa, Christian 77 Steinhardt, Jakob 199
298 Personenregister
Steinmeier, Frank-Walter 29 Steir-Livny, Liat 188 Stola, Dariusz 209 Swarsensky, Manfred 152 Sznaider, Natan 65 Sznaider, Nathan 63, 257–258 Tamir, Shmuel 164–165, 171 Tiedemann, Rolf 119 Toepfl, Florian 182 Traverso, Enzo 71 Trotha, Lothar von 117 Trump, Donald 21, 26 Ulrich, Bernd 66 Ury, Lesser 199 Walden, Victoria Grace 186–187 Walser, Martin 2, 49, 61, 65–66, 68 Weiß 47
Weiss, Shalom 115 Weizsäcker, Richard von 80 Weltsch, Robert 149, 203 Welzer, Harald 4–5, 50 Wieckenberg, Ernst-Peter 154 Wiener, Alfred 203 Wiesel, Eli 94 Wieviorka, Annette 180 Wilhelm, Kurt 202–203 Wilkomirski, Binjamin 97 Winter, Jay 2 Winthrop, John 262 Wirsching, Andreas 79 Wolffsohn, Michael 210, 213 Würfel, Carolin 233 Zavadski, Andrei 182 Zedler, Johann Heinrich 195 Zick, Andreas 93, 96 Zuckermann, Jitzhak 160, 172 Zuckermann, Roni 169 Zunz, Leopold 137