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German Pages 189 [192] Year 1997
Gotthilf August Francke • Hertzliebe Mama
A b b . 1: P o r t r ä t von G o t t h i l f A u g u s t F r a n c k e . Uni 1765.
Gotthilf August Francke
Hertzliebe Mama Briefe aus Jenaer Studientagen 1719-1720
Herausgegeben von Thomas Müller und Carola Wessel unter Mitarbeit von Christel Butterweck und eingeleitet von Udo Sträter
Verlag der Franckeschen Stiftungen Halle im Max Niemeyer Verlag Tübingen
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Francke, Gotthilf August: Hertzliebe Mama: Briefe aus Jenaer Studientagen 1719-1720/Gotthilf August Francke. Hrsg. von Thomas Müller ... und eingeleitet von Udo Sträter. - Halle : Verl. der Franckeschen Stiftungen im Niemeyer-Verl. Tübingen, 1997 ISBN 3-484-84200-8 Max Niemeyer Verlag ISBN 3-931479-03-x © Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1997 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz: Computersatz Anne Schweinlin, Tübingen Druck: Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten Einband: Buchbinderei Geiger, Ammerbuch
Inhalt Einleitung Briefe
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Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
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Register
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Personenregister Ortsregister Sachregister
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Einleitung Am 30. April 1719, einem Sonntag, traf der Theologiestudent Gotthilf August Francke vormittags um 11 Uhr in Jena ein. Die Reise von Halle hatte anderthalb Tage gedauert. Dabei war ihm die mühsame Fahrt mit der allgemeinen Landkutsche erspart geblieben; er reiste in der Privatkutsche einer befreundeten Familie, sogar begleitet von deren Diener; dieser half ihm auch, in Jena die Stube zu beziehen, die nun für ein knappes Jahr seine Studentenbude werden sollte. Am Tag seiner Ankunft in Jena beginnt die Reihe seiner Briefe an die »hertzliebe Mama« in Halle. Vierundsiebzig dieser Briefe sind erhalten, gesammelt und in einen Kartonumschlag gebunden liegen sie unter der Signatur H A : 128 im Archiv der Franckeschen Stiftungen zu Halle. Die Briefe der Mutter sind nicht erhalten. Zumindest einmal pro Woche, häufig öfter, berichtete der junge Francke von seinem Ergehen am Studienort, von seinen Lebensumständen und von seinen Krankheiten und Unpäßlichkeiten, deren es eine Menge gab; er berichtete von Begegnungen mit Kommilitonen und mit Freunden der Familie, von seinen Ausflügen nach Weimar, Erfurt und Köstritz, von den Studienbedingungen und von seiner persönlichen Entwicklung. Manchmal scheint auch die große Politik am Horizont auf, manchmal die theologischen und kirchenpolitischen Streitigkeiten der Zeit, in denen sein Vater als Wortführer des pietistischen Lagers eine entscheidende Rolle spielte. Doch zumeist geht es um Fragen des Alltags, eröffnen die Briefe detailreich und farbig Einblicke in das private Leben des frühen. 18. Jahrhunderts und in die Welt eines dreiundzwanzigjährigen Theologiestudenten, der vor gelegentlichen Predigten von Kopfschmerz überfallen' wird und voller Sorge seiner ersten öffentlichen Disputation entgegenfiebert. Gotthilf August Francke war am 21. März alten Stils, dem 1. April heutiger Rechnung, des Jahres 1696 in Glaucha vor Halle (Saale) geboren worden. 1 Sein Vater, August Hermann Francke (1663 1727), Pfarrer der Gemeinde St. Georgen und Professor der griechischen und orientalischen Sprachen an der 1694 gegründeten Universität Halle, war eine bekannte und umstrittene Persönlichkeit. Als Gründer des »Waisenhauses« und der daraus seit 1695 erwachsenen Schulstadt, den noch heute bestehenden
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Zu G. A. Francke s. Udo Straten Gotthilf August Francke, der Sohn und Erbe. Annäherung an einen Unbekannten. In: Reformation und Neuzeit. 300 Jahre Theologie in Halle. Halle 1994, 211-232.
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Einleitung
»Franckeschen Stiftungen«, hatte er der auf praktische Frömmigkeit ausgerichteten Reformbewegung des Pietismus ein organisatorisches Zentrum geschaffen, das zeitweilig über weltweite Verbindungen verfügte und seinen Anhängern als Ausgangspunkt einer bevorstehenden Generalreformation von Kirche und Gesellschaft galt. August Hermann Francke gelang es in den Jahren seit 1695, den brandenburgisch-preußischen Staat von der Nützlichkeit seiner Arbeit in Halle zu überzeugen. Gestützt durch Kurfürst und König, die seine Anstalten durch Privilegien sicherten und ihnen wirtschaftliches Gedeihen eröffneten, konnte er sich gegen seine Gegner in der strikt lutherisch-orthodoxen Stadtgeistlichkeit Halles durchsetzen und die Position des Pietismus festigen. Seine Ernennung zum Professor der Theologie 1698, seine Berufung zum Pfarrer an der Halleschen Stadtkirche St. Ulrich 1715 und seine »Reise ins Reich« 1717/18, eine Kontakt- und Predigtreise zu den Freunden der pietistischen Bewegung in Süddeutschland, auf der ihn Gotthilf August Francke begleiten durfte, waren Ausdruck seines Erfolges. 2 Über Franckes Mutter Anna Magdalena (1670 1734) sie stammte aus der adligen Familie von Wurm wissen wir immer noch zu wenig, obwohl sie eine durchaus eigenständige Persönlichkeit war und auch einen umfangreichen eigenen Briefwechsel geführt hat, nicht nur mit ihrem Sohn, sondern mit einer Vielzahl von Briefpartnern aus dem pietistischen Umfeld, darunter Radikalpietisten und Spiritualisten, zu denen ihr Ehemann lieber Distanz hielt. 3 Gotthilf August Francke hat seine erste Bildung im Elternhaus erhalten. Im fünften Lebensjahr soll er Hebräisch gelernt haben, nebenher auch Englisch und Französisch. Studenten, die als Hauslehrer fungierten, gab es im Hause Francke immer. Mit dreizehn Jahren kam Gotthilf August dann als Schüler an das Paedagogium Regium, die für Kinder höherer Stände gedachte Musterschule in der Schulstadt seines Vaters. Im Frühjahr 1714 hatte er seine Schulzeit abgeschlossen und verabschiedete sich im feierlichen Akt der öffentlichen Abschlußprüfung mit einer lateinischen Rede zu dem Thema, wie man sich vor der Torheit neuerfundener Kunstwörter hüten könne. Am 27. März immatrikulierte er sich an der Universität Halle und
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Zu A. H. Francke s. Gustav Kramer: August Hermann Francke. Ein Lebensbild. 2 Bde. Halle 1880 1882. Erich Beyreuther: August Hermann Francke 1663 -1727. Zeuge des lebendigen Gottes. Stuttgart 1956 (Ndr. Marburg 1987); ders.: August Hermann Francke und die Anfänge der ökumenischen Bewegung. Hamburg-Bergstedt 1957. Friedrich de Boor: Art.: »Francke, August Hermann«. In: Theologische Realenzyklopädie 11, 1983, 312 320. Udo Sträter: Art.: »Francke, August Hermann«. In: Deutsche Biographische Enzyklopädie 3, 1996, 392 394. Gertraud Zaepernick: Johann Georg Gichteis und seiner Nachfolger Briefwechsel mit den hallischen Pietisten, besonders mit A. M. Francke. In: Pietismus und Neuzeit 8, 1983, 74-118.
Einleitung
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begann sein Theologiestudium bei den Kollegen seines Vaters. Von November 1716 bis März 1719 war er wie zahlreiche seiner Kommilitonen zugleich Informator (Lehrer) am Paedagogium Regium und sammelte praktische Erfahrungen im Unterrichten. Mit dem Wechsel an die Universität Jena verließ Gotthilf August erstmals für längere Zeit den unmittelbaren Kreis seiner Familie. Immerhin tat man alles, um ihm den Weg zu ebnen und ihm im pietistischen Freundeskreis der Franckes Halt zu geben. Das begann mit dem ausgewählten Quartier. Die Professoren jener Zeit konnten meist nicht nur von ihrem Gehalt und den Colleggeldern leben, die ihnen die kostenpflichtigen Lehrveranstaltungen einbrachten. Häufig vermieteten sie auch Zimmer an Studenten, und ihre Ehefrauen führten oft eine große Wirtschaft mit Kost und Logis. Umgekehrt war es für Studenten ein hochgeschätztes Privileg, im Hause und am Tisch eines bedeutenden akademischen Lehrers zu logieren und seinen täglichen Umgang zu genießen (oft auch seine Bibliothek zu benutzen, sich als Hilfskraft nützlich zu machen oder gar was auch vorkam seine Tochter zu heiraten und auf seine Nachfolge zu reflektieren). Für Gotthilf August Francke sorgte in Jena ein früherer Kollege seines Vaters in Halle: Johann Franz Budde (1667-1729), meist unter seinem latinisierten Namen Buddeus bekannt. Er war im pommerschen Anklam als Sohn eines Pfarrers geboren worden, hatte seit 1685 in Wittenberg studiert, wo er 1687 den Magistergrad erwarb und zum Adjunkten der Philosophischen Fakultät ernannt wurde, wechselte dann an die Universität Jena und erhielt 1692 eine Anstellung als Professor der griechischen und lateinischen Sprache am renommierten Gymnasium Casimirianum in Coburg. Schon ein Jahr später folgte er einem Ruf als Professor der Moralphilosophie an die Universität Halle. Seit er 1695 mit einer Disputation den Grad eines Licentiaten der Theologie erworben hatte, war er ein denkbarer Kandidat für eine Professur an der Theologischen Fakultät, zeitweise in Konkurrenz zu August Hermann Francke, der diesen Schritt 1698 vollziehen konnte. 1704 wurde dann auch Buddeus zum Theologieprofessor ernannt, doch schon im folgenden Jahr ging er nach Jena, wo er bis zu seinem Lebensende blieb. Den Lebensdaten nach derselben Generation angehörend wie August Hermann Francke, wird Buddeus theologisch doch einer anderen Generation zugerechnet: der »Übergangstheologie«, für die weder der Gegensatz zwischen Orthodoxie und Pietismus kennzeichnend ist noch der zwischen beiden und der Aufklärung. Jedenfalls standen Buddeus und Francke senior in freundschaftlichem Briefwechsel miteinander und in einem offenkundigen Vertrauensverhältnis. 4
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Zur theologischen Position von Buddeus vgl. A. F. Stolzenburg: Die Theologie des Jo. Franc. Buddeus und des Chr. Matth. Pfaff. Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung in Deutschland. Berlin 1926. Dort S. 249f. auch Hinweise auf den Briefwechsel zwischen Buddeus und August Hermann Francke.
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Einleitung
Im Hause des Buddeus zu wohnen, bedeutete für Gotthilf August jedoch nicht sofort, auch an seinem Tisch zu speisen. Erst als das Essen der Wirtsfamilie, die im Auftrag der Frau Buddeus für das Gros der studentischen Untermieter sorgte, dem sensiblen Magen des Hallensers unerträglich wurde, konnte er an die Tafel des Hausherrn aufrücken, nicht ohne diplomatische Schachzüge, wie uns die Briefe belehren, denn die Materie war delikat angesichts der Tatsache, daß selbst zwei Studenten gräflichen Standes dieses Privileg nicht erhielten. Die täglichen Kontakte mit Halle blieben eng, und sie sind nicht auf die Mutter beschränkt. Zugleich führte Gotthilf August einen intensiven Briefwechsel mit seinem Vater. Die Daten dieses Briefwechsels lassen sich großenteils rekonstruieren aus August Hermann Franckes Tagebuch und aus den zahlreichen Angaben in den Briefen Gotthilf Augusts an seine Mutter; erhalten ist dieser Briefwechsel leider nicht. Dem einzigen vorliegenden Stück, einem Brief August Hermann Franckes vom 2. August 1719, läßt sich entnehmen, daß dieser Briefwechsel in der Gelehrtensprache Latein geführt wurde. Die Möglichkeiten, zwischen Jena und Halle zu korrespondieren, waren vielfältig - und dennoch nicht völlig sicher. Trotz aller Umsicht gingen Briefe verloren, und in sehr wichtigen Fällen schickte man die Nachricht besser auf zwei getrennten Wegen gleichzeitig. Eine Möglichkeit bot die gewöhnliche Post, aber sie war weder wirklich pünktlich noch billig. Auch die regelmäßige Kutsche beförderte Briefe und Pakete, doch die Kutsche war schwerfällig und verspätete sich bei schlechtem Wetter, fiel auch bisweilen ganz aus. Natürlich konnte man seine Briefe Reisenden anvertrauen, die den Bestimmungsort berührten, namentlich Studenten, doch ein Risiko blieb, zumal gerade die Studenten »im bestellen nicht accurat« (Brief Nr. 6) waren. Der schnellste, aber auch teuerste Weg, einen Brief zu befördern, war der Express-Bote. Einmal, als er die Nachricht von einer Krankheit der Mutter erhielt, leistete sich Gotthilf August diesen Luxus (Brief Nr. 21). Der Botenlohn betrug einen Reichstaler. Zwischen Jena und Halle gingen aber nicht nur Informationen und Nachrichten über das tägliche Befinden hin und her, sondern Halle lieferte, was Gotthilf August dringlich erwartete: Neben Geld waren dies immer wieder Medikamente aus der berühmten Hallenser Waisenhaus-Apotheke, mit denen Francke junior sich und seine Freunde kurierte, waren es Bücher des Waisenhaus-Verlages und Kupferstich-Porträts des Vaters, aber auch Kleinigkeiten des täglichen Bedarfs wie Schreibpapier, Federn und Streusand zum Löschen der Tinte. Immer wieder stand auch Kaffee auf seiner Wunschliste; er war, wie andere Importgüter auch, durch die Wirtschaftsbeziehungen der Anstalten aus Halle billiger zu erhalten als in Jena. Gotthilf August Francke konnte rechnen, und er mußte es auch. Sein Vater, der als Student selbst das reich dotierte Schabbelsche Familiensti-
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pendium genossen hatte, konnte seinen Sohn zum Studium nicht üppig ausstatten. Zwar erhielt auch er ein Stipendium, das die Gemeinde St. Ulrich ihm gewährte, aber dieses lieferte mit rund 25 Reichstalern doch nur einen Zuschuß zu den Studienkosten. So konnte Gotthilf August nicht aus dem Vollen schöpfen; er mußte billig einkaufen und vergleichen. Damit eröffnet er uns Einblicke in die Preisstruktur der Jahre 1719/20: Strümpfe, ein schwarzes Oberkleid, Brennholz, ein Löffel, der Lohn für Schneider und für Druckergesellen ... Die Quartalsrechnung über die Ausgaben wurde penibel geführt, und die Bitte um Geld durchzieht die Korrespondenz. Und wenn das Stipendiengeld nicht hinreichte, mußte Mutter Francke auch wohl daran denken, zur Unterstützung ihres Sohnes eine Schale zu verkaufen. Man rechnete in Reichstalern, Groschen und Pfennigen. Das Addieren ist kompliziert: der Taler zählte 24 gr., der Groschen 12 Pfennige. Gotthilf August Francke verfolgte die Preisentwicklung mit spürbarem Interesse und läßt damit vielleicht auch den Wirtschaftshistoriker aufhorchen; etwa wenn er notiert (Brief Nr. 6), daß schon der Regen der vergangenen Tage den Getreidepreis habe steigen lassen und seine Auswirkungen auf die Tagessätze für Verpflegung und Bier in den studentischen Quartieren gehabt habe; bei Hagel und weiteren Preissteigerungen seien Tumulte zu befürchten. Von studentischen Ausschweifungen in Jena hören wir nur indirekt. Gotthilf August hatte als Pietist gelernt, problematische Kommilitonen und anrüchige Orte zu meiden. Dennoch lebte er in Jena nicht als Einzelgänger. Er bewegte sich im Freundeskreis des hallischen Pietismus, und dieser umfaßte Angehörige aller Stände. So finden wir ihn häufig im Umfeld gräflicher Familien, die engen Kontakt mit Halle hielten, und als Gesprächspartner studierender Grafensöhne und ihrer Hofmeister. 5 Höhepunkt und Abschluß seiner Studienzeit in Jena war für Gotthilf August Francke seine Disputation »De Statu Ecclesiarum Apostolicarum«. Disputationen gehörten zum akademischen Leben der Universität; sie waren öffentliche Akte, zu denen die gesamte universitäre Gemeinschaft Professoren, Magister und Studenten eingeladen war: manche durch persönliche Einladung, die anderen durch Anschlag des Termins am »Schwarzen Brett« der Universität. Im Mittelpunkt der Disputation steht der Respondent. Unter der Leitung eines Praeses, in der Regel sein wichtigster akademischer Lehrer, hat er in einem mehrstündigen Wortgefecht - natürlich in lateinischer Sprache eine Reihe vorher verfaßter und gedruckter Thesen
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Hofmeister waren Studenten höherer Semester, die Studenten aus wohlhabendem Hause im Studium begleiteten, sie am Studienort betreuten und ihnen die W e g e im akademischen Leben ebneten. Für ärmere Studenten war eine Tätigkeit als Hofmeister oft die einzige Chance, längere Zeit an der Universität zu bleiben und vielleicht sogar einen akademischen Grad zu erwerben.
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Einleitung
über ein wissenschaftliches Thema zu vertreten. Die Thesen stammen o f t nicht vom Respondenten selbst, sondern sind - wie im Falle Gotthilf Augusts vom Praeses verfaßt. Die eigentliche Prüfungsleistung besteht in der Verteidigung dieser Thesen gegen eine Reihe von Opponenten, vorher bestimmte Magister und Kommilitonen, die nach den Regeln des wissenschaftlichen Streitgesprächs die Thesen attackieren. Disputiert werden konnte »pro gradu« als Prüfungsleistung, um einen akademischen Grad zu erlangen, ferner »pro loco«, um einen Platz unter den Lehrenden der Fakultät, meist im Rang eines Fakultätsadjunkten, einzunehmen, oder einfach zur Übung und als Nachweis des bisherigen Studienerfolges. Mit diesem Ziel disputierte Gotthilf August Francke, denn er strebte keinen akademischen Grad und keine wissenschaftliche Karriere an. Nach einem Jahr Studienzeit in Jena war es sein größter Wunsch, möglichst bald ins heimatliche Halle zurückzukehren. Am 20. März 1720, einem Mittwoch, traf er dort wieder ein. Sein beruflicher Weg führte zunächst ins kirchliche Amt. Zum Zuchthausprediger in Halle berufen, wurde er 1720 in Magdeburg examiniert und nach bestandenem Examen zum Prediger ordiniert. Ordinator war Joachim Justus Breithaupt, ein alter Freund seines Vaters und langjähriger Kollege an der Universität Halle. Mit Stolz berichtete Gotthilf August seiner Mutter, Breithaupt habe nach dem Examen gesagt: »Mir schien, ich hätte nicht dich gesehen, sondern deinen Vater, wie ich ihn einst gesehen hatte, als er noch jung war«. 6 Schon 1723 wechselte Gotthilf August Francke als Adjunkt an die Marktkirche, an der er in den folgenden Jahrzehnten allmählich zum Archidiakon aufrückte und die Inspektion des Saalkreises übernahm. Zugleich begann er doch eine akademische Laufbahn, der er sich nicht verweigern konnte: 1723 wurde er Adjunkt der Theologischen Fakultät, 1726 zunächst außerordentlicher, nach dem Tode seines Vaters dann ordentlicher Professor der Theologie. An den theologischen Umbrüchen in seiner Fakultät war Gotthilf August Francke nicht beteiligt. Zu seinem Kollegen Rambach, dem Studienfreund aus Jenaer Tagen, behielt er ein distanziertes Verhältnis und wurde zum Haupt der konservativen »Waisenhauspartei« des Hallenser Spektrums. Darin aber, das Lebenswerk seines Vaters weiterzuverfolgen, sah er seine eigentliche Aufgabe. Unbestritten ist das Verdienst, das sich Gotthilf August Francke mit der sorgfältigen Herausgabe von Werken seines Vaters erwarb: der Lectiones Paraeneticae, der Psalter-Kommentare und des Collegium Pastorale. Schon
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Brief an die Mutter vom 24. November 1720 (AFSt/H A 128: 85). - Gotthilf August zitiert Breithaupt eigentlich lateinisch: »Visus mihi sum, videre non Te sed parentem Tuum, qualem vidi olim virum iuvenem«.
Einleitung
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zu Lebzeiten seines Vaters hatte er Teile der Korrespondenz mit der Dänisch-Halleschen Mission in Tranquebar (Indien) übernommen und die Missionsberichte zur Publikation vorbereitet; nach 1727 wurde die Indienmission seine eigentliche Domäne, der er einen großen Teil seiner Arbeitskraft widmete. Die Fülle von Dokumenten aus der Feder Gotthilf August Franckes im Missions-Archiv der Franckeschen Stiftungen ist noch kaum erschlossen. Als zweites überseeisches Arbeitsfeld kamen seit 1732 die nordamerikanischen Kolonien Georgia und (seit 1741) Pennsylvania hinzu, deren lutherische Gemeinden von Halle aus betreut wurden. Diese Kontakte liefen über London, wo Hofprediger Friedrich Michael Ziegenhagen der Verbindungsmann zum englischen Königshof und damit zu den Kolonien war. Seit 1728 war Gotthilf August Francke auch korrespondierendes Mitglied der weltweit operierenden Londoner Society for Promoting Christian Knowledge. Zugleich wuchsen die Franckeschen Anstalten in rasantem Tempo. Ein großer Teil der Gebäude, die heute das Bild der Franckeschen Stiftungen prägen, entstanden während des Direktorats von Gotthilf August Francke. Die oft gehörte Meinung, der eigentliche Motor der Entwicklung sei Franckes Schwager und Ko-Direktor Freylinghausen gewesen, bleibt fraglich. Der hoch angesehene Freylinghausen war aus gesundheitlichen Gründen seit 1728 nur noch bedingt einsatzfähig. Die eigentliche Verantwortung lag bei Gotthilf August Francke, und es geschah sicher nicht ohne sein Verdienst, daß in der verheerenden Wirtschaftskrise des Siebenjährigen Krieges die Franckeschen Anstalten finanziell überlebten und in einer gewaltigen Kraftanstrengung noch einmal ihre sozialen Leistungen steigerten und zum stabilisierenden Faktor für Halle und den Saalkreis wurden. Rund 46 Jahre lang war Gotthilf August Francke akademischer Lehrer an der Friedrichs-Universität zu Halle, nahezu 50 Jahre lang Prediger der Marktkirche, 39 Jahre lang Inspector des Saalkreises, über 42 Jahre lang Direktor der Anstalten, die sein Vater gegründet hatte und die unter seiner Leitung ihre intensivste Bautätigkeit und die größte geographische Ausweitung ihrer Aktivitäten erfuhren. Dennoch ist er der Nachwelt fast unbekannt, verblaßt im Schatten seines übermächtigen Vaters, an dessen Leistung er gemessen und für zu leicht befunden wird. Was gängige Lexika über Gotthilf August Francke zu sagen haben, sofern sie überhaupt ihm Zeilen widmen, ist meist nicht eben schmeichelhaft. Als den »beschränkten und zugleich herrschsüchtigen« Sohn etikettiert ihn Schräder in seiner Universitätsgeschichte, und selbst der um ein freundlicheres Urteil bemühte Kirchenhistoriker Beyreuther will nur konstatieren: »Seinem Vater war der körperlich und seelisch gehemmte Sohn nur in der selbstlosen Treue ähnlich, mit der er das Begonnene pflegte ...« Diese Verdikte wurden seither fleißig kolportiert. Wie wenig sie auf authentischer Kenntnis und eigener Forschung basieren, wie sehr sie nur sprachliche Modifikationen abge-
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Einleitung
schriebener Unkenntnis sind, läßt schon die Beharrlichkeit erahnen, mit der Francke junior falsche Vornamen zugeeignet werden. Die abwertenden Urteile kontrastieren auffällig mit der hohen Wertschätzung, die Gotthilf August Francke zu Lebzeiten erfuhr. Nicht uneingeschränkt freilich, denn auch in der zweiten Generation blieb der hallische Pietismus eine umstrittene Bewegung, die ihre Gegner hatte. Friedrich II. gehörte zu ihnen, und sein Haß auf die »Mucker« im Waisenhaus mag spätere Negativurteile über Gotthilf August präjudiziert haben. Doch sein Vater, Friedrich Wilhelm I., hatte den jüngeren Francke geschätzt, vertraulichen Briefwechsel mit ihm unterhalten und seinen Rat in Personalfragen eingeholt; ausdrücklich hatte er ihn aufgefordert, sich in Fragen der Anstalten oder der Fakultät direkt an ihn zu wenden. Ebenso war Gotthilf August Francke mit großer Selbstverständlichkeit ins Zentrum des inzwischen weltumspannenden pietistischen Kommunikationsnetzes gerückt; seine erhaltene Korrespondenz übersteigt die seines Vaters erheblich. Ihn zu würdigen freilich bedeutet, ihn nicht an den Stärken seines Vaters zu messen, ihm nicht Erträge auf den Feldern abzufordern, die er selbst nie beackern wollte, und dafür die Gebiete zu ignorieren, auf denen er seine eigene Leistung erbracht hat. Diese Leistungen Gotthilf August Franckes aber erschließen sich nicht aus der Lektüre dieser oder jener zentralen Schrift oder der Wirkungsgeschichte einer zündenden Idee, sondern aus dem Studium unendlicher Korrespondenzen und Wirtschaftsakten. Die Forschung an diesem Quellenmaterial beginnt gerade erst. Am 21. März 1996 jährte sich der Geburtstag Gotthilf August Franckes zum 300. Mal. Das Interdisziplinäre Zentrum für Pietismusforschung veranstaltete aus diesem Anlaß eine Feier mit Lesungen aus Franckes Schriften und Briefen und einer vom Archiv der Franckeschen Stiftungen ausgerichteten Ausstellung. Mit den hier vorgelegten »Briefen an die hertzliebe Mama« sollen die Forschungen zu August Hermann Franckes noch weithin unbekanntem Sohn und Nachfolger eröffnet werden. Abschließend noch ein Wort zu dieser Ausgabe. Sie ist eine Gemeinschaftsarbeit, deren institutionellen Rahmen das Interdisziplinäre Zentrum für Pietismusforschung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Franckeschen Stiftungen zu Halle bildet. Der Text der Briefe wurde von Christel Butterweck transkribiert. Einen ersten kommentierenden Apparat, basierend auf dem Material des Archivs der Franckeschen Stiftungen, hat Thomas Müller erstellt. Die weiteren Recherchen übernahm Carola Wessel, der auch die Endredaktion von Text und Kommentar sowie die Register zu verdanken sind. Unsere Ausgabe bietet den vollständigen Text der Briefe. Franckes Orthographie und Interpunktion wurden beibehalten. In lateinischen Buchstaben geschriebene Wörter werden kursiv wiedergegeben. Ständig verwendete Abkürzungen wie »u.« für »und« oder »1.« für »lieh« wurden still-
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schweigend aufgelöst, in den anderen Fällen stehen die Ergänzungen in eckigen Klammern. Die wenigen, oftmals aber nicht uninteressanten Veränderungen, die Francke während des Schreibens vornahm, sind mit dokumentiert: gestrichene Wörter sind in Spitzklammern gesetzt, Einweisungen vom Blattrand dies fast regelmäßig bei Postskripten und Einfügungen zwischen den Zeilen stehen im Druck zwischen Schrägstrichen. Neben diesen Entstehungsvarianten weisen die Briefe auch Leserspuren auf. Anna Magdalena Francke hat mit roter Tinte markiert, was ihr besonders bemerkenswert schien. Dies sind in erster Linie selbstreflektierende und erbauliche Passagen. Auch diese Markierungen der »hertzlieben Mama« sind im Text nachgewiesen. Die Tagesdaten der Briefe sagen oft nur aus, wann Gotthilf August einen Brief zu schreiben begonnen hat. Nicht nur angefügte Postskripte oder Nachträge nach der Grußzeile stammen manchmal vom folgenden Tag; einige Briefe sind auch an mehreren Tagen in Etappen verfaßt, ohne daß Gotthilf August die jeweiligen Daten ergänzt hätte. 7 Die Anmerkungen sollen die Lektüre unterstützen. Sie bieten die Übersetzung der zahlreichen, für den Briefstil des beginnenden 18. Jahrhunderts typischen Fremdworte und die Erklärung der angesprochenen Sachverhalte, soweit sie nicht aus den Briefen selbst unmittelbar verständlich sind. Buchtitel, gedruckte Predigten und Briefe sind, soweit möglich, nachgewiesen. Die genannten Personen, mehr als zweihundert, werden im Personenregister durch kurze Biogramme vorgestellt. Nicht alle Anspielungen lassen sich aufhellen, nicht alle erwähnten Briefe auffinden und nicht alle genannten Personen zweifelsfrei identifizieren. Doch der Grad, in dem dies möglich ist, bleibt erstaunlich. Parallele Aufzeichnungen wie die fortlaufenden Tagebücher August Hermann Franckes, die in den Archiven erhaltenen Briefwechsel und die überlieferten Tagebücher und Notizen der damaligen Gesprächs- und Korrespondenzpartner schaffen ein Netz von einander korrespondierenden Informationen, denen ein nuancenreiches Bild jenes Studienjahres abgewonnen werden kann, das Gotthilf August Francke in Jena verbracht hat.
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Ein Beispiel dafür ist der Brief Nr. 54, den Gotthilf August anfangs auf Samstag, den 6. Januar 1720, datiert hat. A m Schluß des Briefes steht als Datum der 5. Januar. Hier hat sich Gotthilf August wohl irritieren lassen durch einen Brief seiner Mutter v o m 5. Januar, den er gerade beantwortete und der vermutlich vor ihm lag. Diesen Brief aber, so schreibt er ausdrücklich, hat er am 8. Januar erhalten. Damit ist Brief Nr. 54 wohl am Samstag begonnen, frühestens aber am Montag fertiggestellt und abgeschickt worden. Das entspricht auch Gotthilf Augusts Ankündigung im vorhergehenden Brief, er wolle »künftigen Montag« wieder schreiben, und seiner Mitteilung, er werde »künftigen Sonntag«, nämlich nicht am 7., sondern am 14. Januar eine Predigt halten.
Anna Magd. Francke, geb. v. Wurm Abb. 2: Porträt von Anna Magdalena Francke, geb. von Wurm. Um 1734.
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A b b . 3: Porträt von A u g u s t H e r m a n n Francke. 1719.
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Ii; ßo. , "Buclclcus Vi,' Jlicotog.ÌDoctar cfinjlca?cni. '/Jeuaiji 'Prqtefsori'^'irna nìu. iiwi.,iiiiiiiuiiiiaiiiiiii
Dacht J$ù (