Handbuch der Publizistik: Band 1 Allgemeine Publizistik [Reprint 2018 ed.] 9783111452548, 9783111085210


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German Pages 344 [352] Year 1968

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Einleitung
I. Die Grundbegriffe Der Publizistik
II. Die Erscheinungsformen Der Publizistik
III. Die Wege Des Publizistischen Prozesses
IV. Die Publizistik Der Massenführung
V. Freiheit Und Bindung In Der Publizistik
VI. Praktische Publizistik - Die Publizistischen Mittel
Literaturverzeichnis
Personenregister
Sachregister
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Handbuch der Publizistik: Band 1 Allgemeine Publizistik [Reprint 2018 ed.]
 9783111452548, 9783111085210

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H A N D B U C H DER P U B L I Z I S T I K 1

Handbuch der

Unter Mitarbeit führender Fachleute

Herausgegeben von EMIL DOVIFAT

Band 1 ALLGEMEINE

PUBLIZISTIK

von Emil Dovifat

W A L T E R DE G R U Y T E R & C O vormals G. J. Gösdien'sdie Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp.

Berlin 1968

©

Copyright 1968 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbudihandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp., Berlin 30. — Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vom Verlag vorbehalten. — Ardiiv-Nr.: 13 67 671. — Satz und Drude: Thormann & Goetsch, Berlin. — Ausstattung: Barbara Proksch. — Prmted in Germany.

Allen gewidmet, denen tätige Mitarbeit im öffentlichen Leben Gewissenspflicht ist

Vorwort

Im ersten Band des „Handbuches der Publizistik" wird versucht, die publizistischen Erscheinungen des öffentlichen Lebens in ein System zu bringen. Die Arbeit ist von der Praxis her gesehen und möchte ihr auch in der Nutzung allgemein-wissenschaftlicher Erkenntnisse dienstbar sein. Daher meidet sie abstrakte Theorien. Im zweiten und dritten Bande des Gesamtwerkes erörtern fachkundige Persönlichkeiten zu dem gleichen Ziele publizistische Einzelgebiete. Der Herausgeber

Inhalt

Band I, ALLGEMEINE PUBLIZISTIK Einleitung

1

1. Aufgabe und Begriff 2. Ubersicht und Gliederung 3. Systematik und Methode I. Die Grundbegriffe

1 5 9

der Publizistik

4. Öffentlichkeit a) Öffentlichkeit = publice b) Die Öffentlichkeit in ihren geistigen Beständen = publica c) Die Öffentlichkeit in ihrer Festigung = Publikum 5. Aktualität — Gegenwartswirkung a) Wesen und Begriff b) Darbietung und Nutzung 6. Gesinnung 7. Uberzeugung oder kollektive Ausrichtung 8. Anschaulichkeit und Eindringlichkeit 9. Die publizistische Persönlichkeit II. Die Erscheinungsformen 10. 11. 12. 13. 14.

Die Die Die Die Die

der Publizistik

ideenfindende und wegebahnende Publizistik verbreitende und erobernde Publizistik (Propaganda) kämpfende, angreifende, zerstörende Publizistik (Agitation) illegale Publizistik verdeckte und maskierte Publizistik

III. Die Wege

des publizistischen

Prozesses

15. Die unmittelbare Ansprache 16. Die mittelbare Ansprache a) Die Nachrichtenpolitik b) Das Unterhaltende c) Der umgrenzte Lebenskreis /V. Die Publizistik der Massenführung 17. Die Natur der Masse 18. Das Auftreten der Masse 19. Die Grundgesetze der Massenführung a) Die geistige Vereinfachung

13 13 14 16 19 20 20 21 29 34 37 40 55 55 61 68 71 79 84 84 85 86 90 94 101 101 108 114 114

X

INHALT

b) Die hämmernde Wiederholung c) Die gefühlsmäßige Steigerung („Emotionalität") 1. Der Haß 2. Das Mitleid 3. Das sexuelle Element 4. Das massenüberhöhende Geltungsbedürfnis 5. Der moralische Grundwille der Masse 6. Ethischer Entlastungstrieb — Der Massenwahn 7. Die psycho-chemische Überwältigung — Das Ende der Publizistik

V. Freiheit und Bindung in der Publizistik

165

20. Die totalitäre und die demokratische Publizistik a) Von der individuellen zur institutionellen Freiheit b) Die totalitäre Publizistik c) Die demokratische Publizistik 1. Die Entwicklung 2. Die Gegenwart 21. Die Fortentwicklung der publizistischen Freiheit — Freie Ordnung im vorstaatlichen Raum a) In der Presse b) Im Film c) Im Rundfunk (Hörfunk — Fernsehen) d) Die Freiheit organisierter Wechselwirkung

VI. Praktische Publizistik — Die publizistischen

117 121 122 128 133 140 143 146 157

Mittel

165 165 166 169 169 178 183 185 191 193 197

204

22. Die Tat 204 a) als Vorbild 204 b) als Opferleistung (wahres und falsches Martyrium) 205 c) als publizistische Aufmerkaktion 206 d) als publizistisches Bekenntnis 210 e) als politisches Soldatentum 212 f) als publizistischer Terror 213 g) gespielt — gesungen — vorgeführt (Theater — Kabarett — Laienspiel, Lied) 215 23. Das gesprochene Wort 224 a) Rede und Redner 224 b) Niedere Formen der Publizistik des Wortes (Gerücht und Klatsch) 229 c) Der Rundfunk 231 d) Schallplatte und Bandaufnahme 238 24. Zeichen, Symbole, Bilder 239 a) Symbole in der publizistischen Praxis 239 1. Symbolzeichen 240 2. Lied-Symbole 243 3. Tatsymbole 244 b) Das Bild 245 c) Der Film 252

INHALT

25. Das Fernsehen 26. Das geschriebene Wort a) Sichtwerbung (Plakat) b) Flugblatt und Flugschrift c) Die Zeitschrift d) Die Zeitung e) Das Buch 27. Ausblicke

XI

258 265 265 269 274 281 289 293

Literaturverzeichnis

297

Personenregister

320

Sachregister

327

Allgemeine Publizistik

Einleitung 1. Aufgabe und Begriff „Es gibt eme zarte Empirie, die sich mit dem Gegenstand innigst identisch macht und dadurch zur eigentlichen Theorie wird . . . Das Höchste wäre, zu begreifen, daß alles Faktische schon Theorie ist. .. Man suche nur nichts hinter den Phänomenen: sie selbst sind die Lehre." J. W .

GOETHE

Maximen u. Reflexionen 564, 575

Seit dem Jahre 1964 kann die Publizistik unmittelbar und gleichzeitig eine Weltöffentlichkeit erreichen. Durch die Nachrichtensatelliten ist es in diesem Jahre theoretisch möglich geworden, den drei Milliarden Menschen der Erde gleichzeitig ein Bild zu zeigen, eine Stimme ertönen zu lassen. Die Sender brauchen nur die Schaltung zu vereinbaren, die Millionen nur die Empfänger bereitzuhalten. Technisch ist das langst zu machen. Umstritten bleibt nur, welcher Sprecher sprechen und welches Bild gezeigt wird. Es kann also eine Öffentlichkeit angesprochen werden, wie sie — von kosmischen Phantasien abgesehen — auf dieser Erde nicht mehr größer sein kann. Die Öffentlichkeit, von der die Publizistik ihren Namen nimmt, hat somit ihre endgültige Grenze erreicht. Als Weltöffentlichkeit gewinnt sie Weltbewußtsein. Sie läßt gleichzeitig gleichzeitige Vorgänge und Ereignisse erleben. Wer wird für sie sprechen, schreiben, bildern? Wird sie einer Vielzahl freier Kräfte offen sein, oder wird sie auf die krasse Einzahl diktatorischen Befehls hören müssen? Wird die Publizistik, unabhängig in ihrer Zielsetzung und reich in ihrer Differenzierung, über Länder und Völker bis hinunter in die Meinungen und Wollungen individueller Kreise wirken oder mit technischer Präzision und totalitärem Anspruch auch in das privateste Dasein einbrechen, es suggestiv bestimmen und ihm jede Freiheit nehmen? Die Entscheidung darüber muß in den nächsten Jahrzehnten fallen. Die technischen Mittel für beide Möglichkeiten stehen bereit. Sie wird der materiellen Brisanz der Atomkraft, hier im Geistigen und Politischen, in nichts nachstehen. 1

Puh1l719tlk I

2

EINLEITUNG

Ob nun durch eine bereits vorgeplante Vervollkommnung der Transistorgeräte es in absehbarer Zeit schon jedem Einzelnen möglich werden wird, von den um die Erde kreisenden Satelliten die dort in Computern gespeicherten Meinungen und Forderungen der demokratischen oder totalitären Mächte abzurufen, im Wort oder im bewegten Bild, macht das Problem nicht leichter. Nicht das Wesen des publizistischen Vorganges ist hier das Entscheidende, sondern die Wirkung, die er auslöst. Demzufolge bedarf es wohl keiner Bekräftigung, daß die publizistischen Aktionen mit all ihren technischen und psychologischen Mitteln und Methoden wissenschaftlicher Forschung, Systematik und Darstellung bedürfen. Sie sollen nicht nur der publizistischen Praxis, sondern auch dem öffentlichen Leben dienen. Dem zu widersprechen oder sich da gleichgültig zu verhalten hieße, in sehr abgelegenen Kammern der elfenbeinernen Türme zu verharren. Ein solches Verhalten bewiese sträfliche Ahnungslosigkeit gegenüber den schicksalstragenden Ereignissen des öffentlichen Lebens. Diese Ereignisse werden publizistisch vorbereitet, publizistisch getragen, zum Siege geführt oder in die Katastrophe getrieben. All das ist tausendmal erlebt und erlitten worden, auch und gerade vom Volke selbst. Ist es auch in dessen Bewußtsein übergegangen? Von den auf Erden lebenden Menschen (nach den Zählungen der UNESCO sind es 3,2 Milliarden) können etwa die Hälfte lesen. Um aber publizistisch angesprochen, geführt oder verführt zu werden, brauchen sie die Schlüsselkunst des Lesens gar nicht mehr. Der Lautsprecher, der Film und in wachsendem Maße das Fernsehen lehren sie, was sie wissen wollen oder wissen sollen, je nach dem politischen System, das sie sich geben oder dem sie verfallen sind. Diese mit der schnell wachsenden Menschheit schnell wachsende Technik des Verstehens und Mißverstehens, der Leitung und Verleitung in allen Phasen und Nuancen der politischen Meinungs- und Willensbildung, ist doch wohl ebenso wichtig wie etwa die Lehre von der Wetterbildung. Die meteorologischen Institute dienen mit ihren Informationen nicht nur der Landwirtschaft und den Sonntagsspaziergängern, sondern sie machen auch den Ausbruch von Taifunen aus und sagen den gefährlichen Lauf der Stürme voraus. So ist auch die wissenschaftliche Publizistik („Publizistikwissenschaft") die Lehre vom Entstehen und Wirken der Stürme in der geistigen Welt und im öffentlichen Leben, mag sie bei Atempausen auch den sonnigen Tagen gerecht werden. Ähnliche Vergleiche bietet die Lehre von der Seuchenabwehr, vom Kampf gegen Krankheit und Tod. Sie hat Millionen Menschen gerettet und dem Leben erhalten. Der Mangel an rechten Erkenntnissen der Phänomene geistiger Massenerkrankungen, die durch publizistische Führung und Verführung sich verbreiten, hat Millionen Menschen das Leben gekostet. Die 17 Millionen, die am 5. März 1933 ihre Stimme für Adolf Hitler abgaben, haben damit zu einem Teil ihr eigenes Todesurteil gefällt und, sicher meist unbewußt, unsagbare Leiden über die Menschheit gebracht. Auf keinen Arzt wurde gehört und keine Medizin wurde angenommen. Vor der Erkrankung stand man wie

AUFGABE UND BEGRIFF

3

gebannt und glaubte, „daß das deutsche Volk sich auf die Seite des sachlichen Ernstes stellen wird" 1 . Aber auch wenn Katastrophen so blutiger Art ausblieben, sobald Revolutionen von den Massen Besitz ergriffen, sind Menschenschicksale immer hart geschlagen worden. Auch die angenehmen zivilisatorischen Formen sachlicher Information, wohlverbürgter Unterweisung, liberaler Diskussion: alles, was das bildungsstolze 19. Jahrhundert an Kultur und Wissenschaft entwickelt hat, konnte die alle Menschlichkeit verhöhnenden Grausamkeiten nicht aufhalten, die mit den Weltkriegen ausbrachen. Sie vollzogen sich zum Teil mit der Zustimmung der Massen, mochten sie nun unwissend gehalten, künstlich — auch mit ethischen Begründungen — irregeführt oder ganz einfach fanatisiert sein. Die unter den Erscheinungen des Massenwahns bewußt oder unbewußt gezeigte Duldung brutaler Tätlichkeiten wurde von den Trägern der Gewalt als Consens, als Billigung immer neuer Schandtaten ausgelegt. Am Anbeginn, der Höhe und dem Niedergang solcher Erscheinungen stehen immer die publizistischen Kräfte in all ihrer Mannigfaltigkeit. Sie sind es auch, die später im Rücklauf dann die Anklage erheben und Wiedergutmachung verlangen. Sie erscheinen in freier geistiger Auseinandersetzung ebenso wie unter der Gewalt in totalitärem Zwang. Das nicht erkannt und folglich auch keine freie aber wirksame Gegenwirkung gegen den Mißbrauch publizistischer Kräfte getroffen zu haben, ist schon manchen Völkern, insbesondere dem deutschen, zum Verhängnis geworden. Das Studium der publizistischen Vorgänge ist also kein „heiteres wissenschaftliches Spiel" 2 . Noch weniger kann bei der Behandlung dieser Probleme eine „werturteilsfreie Haltung" 3 eingenommen werden, wie sie M A X W E B E R für die Sozialwissenschaften vor Jahrzehnten einmal gefordert hat. In der Zeit danach wurde mit dieser Forderung viel Verwirrung angestiftet. Es unterblieben, zumal in den verhängnisvollen Jahren 1930—33, klare Entscheidungen. Wollte man der Publizistik das Recht absprechen, Werturteile zu fällen, könnte man auch ebensogut die Strafrechtslehre von Werturteilen frei halten, wenngleich die Wissenschaft der Publizistik sich, im Gegensatz zur Strafrechtslehre, überwiegend dem Positiven zuwendet. Aber sie muß Wahrheit Wahrheit und Lüge Lüge nennen können, 1 Reichskanzler BRÜNING: Rundfunkrede 8. XII. 1931. Berliner Tageblatt 1931, Nr. 579, 9. XII. 31. 2 Vgl. SOMBART, W . : Wissenschaft und Journalismus. In: Berliner Tageblatt v. 1. Januar 1914. 3 W E B E R , M.: Wissenschaft als Beruf. 2. Aufl. München und Leipzig 1921. — Unbegreiflich ist der Versuch, die von allen politischen und publizistischen Erfahrungen längst uberholte Forderung Max Webers, die er nur einmal, und das auch nur in einem kurzen Vortrag, ausgesprochen und gegen die er in seiner eigenen politischen Haltung, erfreulicherweise, selbst verstoßen hat, nun für die wissenschaftliche Publizistik wieder in Anspruch zu nehmen. Vgl. EBERHARD, F.: Thesen zur Publizistikwissenschaft. In: Publizistik 1961. H. 5—6, S. 259 ff. und die Erwiderung: DOVIFAT, E.: Ergebnisse der Publizistikwissenschaft. In: Publizistik 1962. H. 2, S . 7 8 ff. — Vgl. dazu auch SPRANGER, ED.: Gedenkrede zur 150-Jahrfeier der Gründung der Friedrich-Wilhelm-Universität. In: Hans Rothfels (Hrsg.): Berlin in Vergangenheit und Gegenwart. Tübinger Vorträge. Tübingen 1961, S. 61 ff.

l

EINLEITUNG

4

dies zumal in einer Zeit, w o die Lüge Weltmacht geworden ist. Gleichzeitig wurde die Technik der Verschleierung und Verdrehung, die Stellungnahme aus dem Hinterhalt, der Rufmord, die Mittel des Querschusses, des Umwegs, der Camouflage und schließlich sogar des physiologischen Eingriffs durch die Droge zum Zwecke der psychologischen Gewalt in den publizistischen Kämpfen — leider! — angewandt. Die publizistische Wissenschaft gehört somit in die Reihe der normativen ziplinen.

Dis-

Sie werturteilsfrei zu machen hieße, sie in ihrem Innersten treffen und

lähmen. Es lassen sich die großen publizistischen Kämpfe des öffentlichen Lebens nicht gleich chemischen V o r g ä n g e n in Reagenzgläsern beobachten, festhalten und wieder wegstellen. Um naturwissenschaftliche Erscheinungen geht es nicht, sondern um lebendige Menschen. Diese Menschen haben ein Recht auf das wertende Urteil. W i e bereits angedeutet, hat die Publizistik, ihrem W e s e n nach, auch eine sehr erfreuliche Seite zu beleuchten. Das öffentliche Leben wird ja nicht nur von den Kampfaktionen der Titanenmächte beherrscht und auch nicht allein von publizistischem Alltagskrakeel. Publizistische Kräfte führen und entscheiden die großen Gesinnungskämpie

um aufsteigende geistige Ziele, sittliche A u f g a b e n und soziale

Verpflichtungen. Sie sind die Künder der großen Freuden, der großen Errungenschaften, der großen Erfolge der Menschheit. W i e werden diese Freuden und Leistungen, die zu den trostreichsten Heilkräften gegen die Angstpsychose unserer Tage zählen, der breitesten Öffentlichkeit am wirksamsten mitgeteilt? Es gehört zu den vornehmen und dringlichen Aufgaben, die W e g e zu erforschen und zu weisen, auf denen die W e r k e der Zuversicht, die wahren Großtaten in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gelangen. Diese W e r k e müssen publizistisch ebenso zielstrebig durchgesetzt werden w i e billige Untergangsdrohungen und leere, aus bloßem Profitstreben heraufgespielte Sensationen der publizistischen Freizeitindustrie. Die wissenschaftliche Publizistik hat die W e g e zu zeigen, die der praktischen Publizistik offen sind in ihrer nicht ernst genug zu nehmenden Aufgabe. Sie tut es in sachlicher Feststellung, ohne Lehr'naftigkeit, ohne Pharisäertum, aber doch in klarer Wertung. Schließlich bleibt noch ein weiteres Arbeitsgebiet: die fachliche Hilfe und praktische Förderung der aus der Pflicht zu zuverlässiger

Information

arbeitenden

Nachrichtendienste. Darin sind seit Jahrhunderten die Zeitungen, dann die Nachrichtenbüros und neuerdings Rundfunk und Fernsehen führend tatig. Sie haben die Aufgabe, im demokratischen Leben die nachrichtenmäßigen Grundlagen der politischen Meinungs- und Willensbildung zu schaffen. W o sie aus Gesinnungsgründen tendenziös werden, treiben sie Nachrichtenpolitik und sollten dann in dieser Zielsetzung öffentlich erkannt werden. In der totalitären

Welt, die wir im

folgenden in unser System einzubeziehen bemüht sind, dienen die Organisationen der Nachriditensammlung und -Verbreitung planmäßig dazu, Nachrichten nur so zu formen und zu verbreiten, daß sie unerbittlich in die Einbahnstraßen zwangs-

UBERSICHT U N D

5

GLIEDERUNG

bestimmten Denkens und M e i n e n s münden. So umschreiben w i r , beide Systeme zusammenfassend, den Begriif

der

Publizistik:

Publizistik ist j e d e öffentlich bedingte 4 und öffentlich geübte 5 g e i s t i g e Einw i r k u n g auf die Öffentlichkeit 6 , um diese ganz oder in ihren T e i l e n durch f r e i e Überzeugung 7 oder k o l l e k t i v e n Z w a n g 8 mit Gesinnungskräften 9 über W i s s e n und W o l l e n 1 0 im Tun und Handeln zu bestimmen.

2. Übersicht und Gliederung Unter diesen auf den letzten N e n n e r gebrachten W e s e n s z ü g e n der Publizistik tritt eine Reihe v o n Hauptelementen h e r v o r , die in kausalem Zusammenhang die publizistische Leistung b e w i r k e n . Publizistik ist immer A k t i o n , d. h. ein aktiver V o r g a n g . Dieser V o r g a n g läßt sich mit einem Bild aus d e m neuen Sprachgut des Rundfunks anschaulich v e r g e g e n w ä r t i g e n : Jede Publizistik hat ihren Sender, ihre Sendung, den Sendungsempfang (Empfänger) und die W i r k u n g der Sendung. Den V o r g a n g v o n der Sendung bis zum Empfang bezeichnen w i r als den Prozeß.

publizistischen

Publizistisch ist er nur, w e n n er eine Grundvoraussetzung erfüllt: er muß

sich in der Öffentlichkeit v o l l z i e h e n . Ohne den Weg es keinen

publizistischen

durch die Öffentlichkeit

gibt

Vorgang.1

Jedes publizistische H a n d e l n erfüllt sich in der Öffentlichkeit, muß sich hier durchsetzen, muß sich den Strömungen in der Öffentlichkeit mehr oder w e n i g e r anpassen, erleidet im Durchgang durch die Öffentlichkeit A b w a n d l u n g e n . Öffentlichkeit ist das eigentliche Element

Die

der Publizistik, sie zu erreichen und zu

durchdringen erfordert Kunst und K ö n n e n der publizistischen

Persönlichkeit.

Der

Begriff „ Ö f f e n t l i c h k e i t " ist schillernd und v i e l f ä l t i g . Ihn zu klären ist die erste A u f g a b e der wissenschaftlichen Betrachtung. 2 Der Inhalt aber jedes publizistischen Handelns, v o n der Nachrichtenübermittlung bis zur revolutionären A k t i o n , entstammt den zeitbestimmten Spannungen und Gegensätzen, der „Fortentwicklung des a l l g e m e i n e n L e b e n s " (Ranke), d . h . er ist immer aktuell,

und z w a r im w e i t e s t e n Sinne. Immer steht publizistisches

4 Aus der Öffentlichkeit bedingt, also zeitgebunden (Aktualität). — 5 Geübt, bewirkt, bewerkstelligt nur durch die Öffentlichkeit hindurch (Publizität). — 6 Persönliche Einwirkung (Aktivität und Personalität). — 7 Uberzeugungsmacht (Persuadität) in der liberalen Welt. — 8 Zwangsbestimmung (Kollektivität) in der totalitären Welt. — 9 Von Gesinnungskräften geht jede Publizistik aus (Idealität). 10 Publizistik nimmt den W e g über Nachrichten, Informationen, Vermittlung sachlichen Wissens (Rationalität) oder Ansprache des Wollens und der Triebe (Suggestibilität). Die hier, um des Systems willen, in Klammern beigegebenen fremden Fachausdrücke werden in den nachfolgenden Untersuchungen im allgemeinen nicht mehr verwandt. Ihre deutsche Fassung reicht völlig, die Begriffe deutlich zu bezeichnen. 1 Hier schon die Abgrenzung gegen die „Kommunikationslehre", die im weitesten Sinne von der Tatsache ausgeht, „daß Lebewesen untereinander in Beziehung stehen". Vgl. MALETZKE, G.: Grundbegriffe der Massenkommunikation. München 1964, S. 25. Vgl. auch S. 197

EINLEITUNG

6

Handeln unter dem Druck des Zeitgeschehens. Es ist „öffentlich bedingt" und damit „in actu" = aktuell. Die Betrachtung der Aktualität ist die zweite wissenschaftliche Grundaufgabe.3 Alle Aktionen der Publizistik sind Aktionen der Gesinnung. Auch der nüchterne Nachrichtendienst nimmt für sich die „öffentliche Aufgabe" sachlicher Unterrichtung verpflichtend in Anspruch. Die großen Publizisten revolutionärer Kämpfe oder weltanschaulicher Zeitwende bezeichnen alle die „Menschheitsbeglückung" als ihr Ziel. Andererseits beruft sich selbst der schmierigste Pornograph auf „aufklärende" oder „künstlerische" Absichten. Ernsthaft und berechtigt nimmt jede gute Zeitung, jede wertvolle Zeitschrift, nehmen Rundfunk und Fernsehen die Ehre der Gesinnungsleistung für sich in Anspruch. Der Begriff „Gesinnung" hat eine O-Linie. Was sich oberhalb der Mittelachse bewegt, ist positiv was unterhalb zu finden, ist niedrig, „niedrige Gesinnung". Auch die „Gesinnungslosigkeit" ist eine Gesinnung. Selbst die furchtbarsten Vorgänge der Weltgeschichte, vom Hexenwahn bis zu den Gaskammern von Auschwitz, werden mit Gesinnungsmotiven verbrämt. Jede publizistische Aktion also ist von Gesinnungen getragen und getrieben. Die tragende Gesinnung zu werten ist die dritte wissenschaftliche Grundaufgabe, eine normative Aufgabe 4 . Publizistik bliebe aber labile Meinung, unartikuliertes Wollen, führte sie die Angesprochenen nicht zu Tun und Handeln. Sie muß die Gewißheit so steigern, daß sie „über alle Zeugen" überzeugend ist und zur Tat führt.5 Sie kann aus der rationalen Gewißheit ebenso stammen wie aus dem Glauben.6 Sicher entspringt sie häufiger dem Glauben, als Verehrer des Intellektes es wahrhaben wollen. Ebenso kann sie Ergebnis von Triebregungen oder suggestiver Überwältigung sein. Die totalitäre Welt, die äußerlich die Zustimmung der Massen braucht, sie aber in freier Überzeugung nicht gewinnen kann, bedient sich psychologischer Zwangsausrichtungen. Sie treten mit Einschlägen scheinbarer Überzeugung, terroristischer Nötigung auf. Oft enden sie in einem Zwangsenthusiasmus von so massensuggestiver Wirkung, daß selbst anfangs Widerstrebende wie von einem Rausch ergriffen werden.7 So erreicht die totalitäre Propaganda bewußte Unterwerfung oder unbewußten Selbstbetrug.8 Sie steigert sich bis zur Lähmung und Ausschaltung des individuellen Willens. Alle Aktionen erfolgreicher Publizistik verdanken ihre Wirkung der Macht freier Überzeugung oder dem kollektiven Zwang. Überzeugung aufgrund verstandesklarer Argumente und aufrechter Gesinnung, ebenso solche suggestiver Überwältigung sind, so stark sie sich auch voneinander unterVgl. S. 13 ff. — 3 Vgl. S. 20 f. Vgl. S. 29. 5 V i e l e ernsthafte Definitionen der Publizistik verweisen auf die Tat als ihr eigentliches Ziel. So schon WILHELM KAPP: „In aller Publizistik handelt es sich um Verbreitung geistiger Antriebe, die Handlungen auslösen sollen." In: Zeitungswissenschaft 1937, H. 1, S. 53—56. 6 „Rhetorik" ist nach ARISTOTELES (Rhetorik, Kap. I) die Kunst, „das in den Dingen liegende Glaubenerweckende" wachzurufen. 7 Vgl. S. 226. 8 Selbstbetrug als Entlastung gegenüber dem eigenen Schuldgefühl vgl. S. 46 ff. 2 4

OBERSICHT U N D GLIEDERUNG

7

scheiden, Grundelemente der Publizistik.® Entscheidendes Gewicht erhält jede Publizistik durch die Fähigkeit des Publizisten, den öffentlich Angesprochenen in Wissen und Wollen so zu beeinflussen, daß der Erfolg des Appells im Tun und Handeln des Umworbenen wirklich zutage tritt. Alle Publizistik bedarf daher der Anschaulichkeit und Eindringlichkeit der Form und des Ausdrucks. Damit ist ein weiteres Grundelement von kardinaler Bedeutung genannt.10 Wer in der Publizistik die Form nicht beherrscht (sei es in Rede, Flugblatt, Flugschrift, Plakat, Bild, Zeitung, Zeitschrift, Rundfunk, Film oder Fernsehen), braucht publizistisch erst gar nicht anzufangen. Dabei hat jedes publizistische Mittel seine eigene Form und seine unbewußt oder bewußt angewandte Psychologie, freilich aus einer gemeinsamen publizistischen Grundlage: der „allgemeinen Publizistik". Die Kausalität und Wechselwirkung all dieser Elemente der Publizistik werden durch die publizistische Persönlichkeit11 bestimmt und in Regie genommen. Die Persönlichkeit ist die letztlich entscheidende Kraft in der Publizistik. Ob sie nun öffentlich in jedermann sichtbarem persönlichem Auftritt oder ob sie anonym, Pseudonym, maskiert oder nur persönlich in der organisatorischen Leistung, dort aber entscheidend, sich durchsetzt, das ist nicht von Belang. Das Wirken der Persönlichkeit ist in jedem Falle entscheidend. Dabei stehen die Persönlichkeiten selbst, je nach Natur, Ziel und Herkommen, oft kraß gegeneinander. Das Charisma letzter Aufopferung kann sie beflügeln, aber auch niedrigster Ehrgeiz. Sie können in leidenschaftlicher reformatorischer Mission kämpfen, aber auch für den Gewinn der höchsten Auflage und des besten Anzeigengeschäfts. 12 Schon in der Antike gab es interessante Mischtypen, große Publizisten, in denen Höhen und Tiefen nach Bedarf wirksam wurden.13 In der totalitären Welt werden die publizistischen Mittel von oft überragenden Massenführern virtuos, aber ohne moralische Hemmungen oder liberale Toleranz gemeistert (Trotzki, Mussolini, Goebbels). In jedem Falle gehören Macht und Leistung der publizistischen Persönlichkeit zu den Grundvoraussetzungen aller Publizistik. Das muß bei jeder systematischen Darstellung berücksichtigt werden. Ferner sind die verschiedenen Erscheinungsformen systematisch zu untersuchen, unter denen die Publizistik j e nach der spezifischen publizistischen Aufgabe und gemäß dem Wesen und der Natur der Umworbenen öffentlich in Aktion tritt. Die publizistische Aktion kann vorbereitend, sammelnd, ideenfindend und wegebahnend sein.14 Wenn die Grundsätze gefestigt und die Ziele bestimmt sind, wird die Publizistik, sobald die Stunde geschlagen hat, verbreitend und erobernd auftreten.15 Sie kann aber auch ruhig werbend, planmäßig aussäend vorgehen und weitsichtig für eine reiche Ernte in Ausführt. Darstellung s. S. 121 ff. Ausfuhrl. Darstellung s. S. 114 ff. 11 Ausfuhrl. Darstellung s. S. 40. 12 Näheres über die „publizistischen Begabungen" S. 48 ff. 13 Vgl. u. a. DRERUP, E.: Aus einer alten Advokatenrepublik (Demosthenes und seine Zeit). Paderborn 1916. — Ders.: Demosthenes im Urteil des Altertums. Würzburg 1923. » Vgl. S. 55 f. — 1 5 Vgl. S. 61. 16 Das wäre dann Propaganda im Ursinn des Wortes. Vgl. dazu S. 62. 9

10

8

EINLEITUNG

der Zukunft sorgen.16 Ferner kann sie in skrupellosen Kampfaktionen (deren Äußerstes psycho-physische Gewaltanwendung ist) angreifend, vernichtend, zerstörend wirken17; sie kann Agitation in allen Temperaturen betreiben.18 Schließlich zwingt der natürliche Freiheitswille auch und gerade unter totalitären Gewalten die dort kämpfenden oppositionellen Publizisten, sich eine Tarnkappe überzuziehen. Sie müssen sich maskieren, auf Um- und Schleichwegen, zwischen Zeichen und Zeilen, aber dem Wissenden deutungsoffen, ihre wahre Meinung trotz der gefährlichen Überwachung an den Kreis der „Verstehenden" bringen. Dieser in der Vergangenheit wie in der Gegenwart oft begangene W e g der Camouflage19 verdient es, systematisch erforscht zu werden. Schließlich ist jede Form illegaler und unterirdischer Publizistik in den geistigen Kämpfen um die Freiheit aufrüttelnd und von oft erweckender Bedeutung. Auch ihre Betrachtung gehört in ein System der Publizistik.20 Alle diese vielfältigen Formen und Grundsätze finden sowohl in bestimmten aktuellen Situationen als auch in den verschiedenen publizistischen Mitteln entsprechende Behandlung. In kaum einer der Erscheinungsformen des öffentlichen Lebens sind die psychologischen und taktischen W e g e so eigenartig verschlungen wie in der Publizistik. Mindestens wären die unmittelbaren von den mittelbaren Wegen zu unterscheiden. Die mittelbaren werden am häufigsten beschritten.21 Die zivilisatorische und technische Entwicklung in den letzten hundert Jahren hat es mit sich gebracht, daß alle Publizistik sich an die breiteste Öffentlichkeit oder doch wenigstens an bedeutende Teile dieser Öffentlichkeit wendet. Sie spricht eine Vielzahl, sie spricht Massen an, sie ist überwiegend Massenpublizistik. Diese Tatsache übt markanten Einfluß auf die gesamte Publizistik. Daraus ergibt sich, daß in einer Systematik der Publizistik die Probleme der Massentührung einbezogen werden.22 Da der weitaus größte Teil der publizistischen Führung heute Massenlührung ist, bleibt in jeder Systematik der Publizistik diese Problematik beherrschend. Aber auch in den bunten Massenerscheinungen unserer Tage bleibt doch der Mensch, der in der Millionengesellschaft oft so isolierte und also verlassene Mensch, das letzte Ziel eines öffentlichen Wirkens, wenn es aus der Macht des Gewissens geleitet ist. Das sollte der tragende Grundsatz einer Publizistik sein, die Würde und Wert des menschlichen Lebens in ihren Mittelpunkt stellt. Auch darum gehört die wertende Beurteilung der publizistischen Mittel und Methoden in ihr System.23 Sie macht unsere Disziplin, darauf sei erneut hingewiesen, zu einer normativen Wissenschaft.24 Eine kurze Darstellung der Aufgaben und Methoden der wissenschaftlichen Publizistik („Publizistikwissenschaft") folgt. Näheres darüber S. 68. Nicht jede Agitation erreicht diese letzte Siedehitze. Sie kann, wenn auch hart streitend, durchaus im Rahmen verpflichtender demokratischer Formen bleiben, um in zeitlich begrenzten Feldzügen (z. B. bei freien Wahlen) Zeiterfolge zu erringen. 19 Vgl. S. 79. — 2 0 Vgl. S. 71. — 2 1 Vgl. S. 84. 22 Vgl. Die Publizistik der Massenführung, S. 101 ff. 23 Vgl. S. 3. 24 Mit der Forderung an den sich Informierenden, jede Information auf das Werturteil 17 18

SYSTEMATIK

UND

METHODE

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3. Systematik und Methode Der Kampf um die Eigenständigkeit wissenschaftlicher Disziplinen ist eines der seltsamsten Kapitel der allgemeinen Wissenschaftslehre. Das erste geschlossene System der Publizistik, die Rhetorik des Aristoteles, hat, wenn die Philologen nicht anders entscheiden 1 , klare Eigenständigkeit. Was heute die wissenschaftliche Behandlung publizistischer Erscheinungen anbelangt, so wird sie von den mannigfachsten Disziplinen in Anspruch genommen. Das spricht für ihren Wert, ihre innere Vielgestalt und ihre öffentliche Bedeutung. Ein Historiker degradierte die Publizistik schlankweg zur historischen Hiliswissenschait, verwandt der Paleographie und der Chronologie. 2 Warum sollte sie das nicht sein? Sie ist es gewiß, aber sie ist es keineswegs allein. Wer die historische Darstellung großer Ereignisse liest, ist oft beinahe amüsiert zu beobachten, welche Irrgänge entstehen, wenn die publizistischen Kräfte verkannt werden. 3 Großen Teilen der Geschichtswissenschaft fehlten zur richtigen Einschätzung publizistischer Vorgänge ganz einfach die Maßstabe. Kein Wunder also, daß man in den zwanziger Jahren auch die Gefährlichkeit der Hitlerschen Propagandasuggestionen leider völlig verkannte. Verständlich ist es auch, die Publizistik als „gesellschaftliche Erscheinung" der Soziologie zur Aufgabe zu stellen. Auch manche Politologen sehen unser Fach als einen Teil ihrer weitgesteckten Mutungsflächen an. Warum sollte uns das weniger willkommen sein? Von je mehr Seiten das Objekt unseres Faches umworben ist, um so zahlreicher sind die Kräfte, die zur Lehre und Forschung antreten, ernsthin zu untersuchen, schreibt der britische Historiker A R N O L D T O Y N B E E : „Wir können das Verhalten unserer Mitmenschen nicht registrieren, ohne Gefühle zu haben oder Urteile zu fallen. Wir können menschliche Handlungen nicht mit der gleichen intellektuellen Unbeteiligtheit und gefühlsmäßigen Gleichgültigkeit untersuchen wie die Umwandlungen von Elektronen. Bei der Betrachtung des physikalischen Universums ist unsere Beziehung zum Gegenstand rein physisch. Bei der Betrachtung menschlicher Natur ist unsere Natur dagegen auch emotionell und ethisch bestimmt." In: Werden wir richtig informiert? Massenmedien und Publikum. Hrsg. von L . REINISCH. München 1 9 6 4 , S. 5 9 . Auch K A R L JASPERS vertritt diese Auffassung: „Soll der Journalist etwa neutral sein und nur berichten? . . . Der Journalist berichtet nach Kräften richtig und vollständig. Aber er soll das Berichtete deuten und beurteilen. Verläßlich ist er nur, wenn er beides in Klarheit tut: das Berichten auch der ihm unerwünschten Tatsachen — das Urteilen aus einem Grundwillen, der sich bezeugt in der glaubwürdigen Kontinuität. Diese Spannung zwischen der Objektivität des Wißbaren und der Objektivität eines begründeten Wollens ist unaufhebbar und gehört zur Wahrheit selber." Ebd., S. 25. 1 Der Streit darum entbrennt bereits in P L A T O N S Gorgias. Piaton sieht die Rhetorik als eine bloße Technik an, wie die Kosmetik und die Kochkunst. Vgl.: P L A T O N S GORGIAS. Ubers, v. F. Schleiermacher, hrsg. von O. Guthlmg Leipzig 1882 Kap. 18 f. vgl. auch: PIEPER, J.: „Was heißt akademisch?" Münster 1964 S. 46 ff. 2 Verständlich ist dieser Entschluß wenn man weiß, daß im Institut des annektionsfreudigen Historikers wertvolle Bestandteile eines unter dem Hitlerregime heruntergewirtschafteten „Instituts für Zeitungskunde" von der Institutsbibliothek übernommen und das „Institut für Zeitungskunde" zu einer Unterabteilung des historischen Instituts gemacht worden ist. 3 Selbstverständlich gilt das nicht allgemein. Großartig ist z. B. die Erkenntnis der publizistischen Kräfte in MOMMSENS Römischer Geschichte (s.S. 7 1 , Anm. 2 ) . Mommsen hatte in jungen Jahren publizistisch und politisch gearbeitet.

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EINLEITUNG

hafte Arbeit natürlich vorausgesetzt. Auch die Psychologie erhebt Ansprüche, wenngleich ihre Disziplin nur einen Teil des publizistischen Feldes beeinflußt. Die wissenschaftliche Publizistik dankt jedem, der mittut. Den Standort im einzelnen zu bestimmen, überlassen wir gerne den kritischen Köpfen, die sich in der dünnen Luft dialektischer Polemik wohlfühlen. Für die praktische Anwendung, um die wir uns bemühen, und um zu vermeiden, daß man sich in Winkelzänkereien zerredet, aber auf anderen Feldern geerntete Erkenntnisse findet und berücksichtigt, scheint uns eine regelnde und ordnende Eigenständigkeit des Faches nützlich zu sein: nicht, um sie zum Selbstzweck werden zu lassen, sondern um der Praxis zu dienen. So wie die Literaturwissenschaft den künstlerischen Gesetzen der Dichtung nachgeht, die Kunstgeschichte denen der bildenden Künste, die Volkswirtschaft der Eigengesetzlichkeit des Wirtschaltsvorganges, so studiert die Publizistikwissenschaft — um es bündig zu wiederholen — den publizistischen Prozeß, die Mittel, Formen und Normen der Meinungs- und Willensbildung im öffentlichen Leben und durch das öffentliche Leben. W i r glauben, daß es wichtig genug ist, diesen Prozeß systematisch als Ganzes zu betrachten, zu erforschen und darzustellen. Dazu sind dann auch die zweckgerichteten geistigen, wirtschaftlichen, technischen und organisatorischen Mittel zu untersuchen. Durch Gesinnungskräfte legitimiert führen sie zeitbestimmt und zeitbedingt die Öffentlichkeit zu Wissen, W o l l e n und Handeln. Glaubt eine andere Disziplin, daß wir mit dieser A u f g a b e zu ihr gehören, so sollte sie sich um unsere Probleme bemühen. Wesentlich ist uns, daß wir den V o r g ä n g e n des öffentlichen Lebens und den sie bewegenden Kräften nachspüren, den Mitteln, die sie beeinflussen, und den Wirkungen, die sie erstreben. W i r nehmen dazu auch unsere eigene Methode in Anspruch. Sie ist einfach, wie alle publizistischen V o r g ä n g e einfach sind und sein müssen, da es ihnen auf breite W i r k u n g ankommt. Das Fach hat sich lange Zeit methodisch mit deskriptiven Aufgaben beschäftigt. V o n einer Phänomenologie zu sprechen war es immer zu bescheiden. V i e l e solche Arbeiten, zumal in der Zeitungslehre, suchten bewußt nur die deskriptive Darstellung. 4 Es sind viele aufschlußreiche darunter. Sie haben dazu beigetragen, die Mittel der Publizistik — nicht nur der Presse — genau zu erkennen. Die Vielzahl der ineinander fassenden und miteinander wirkenden Kräfte persönlicher, wirtschaftlicher und technischer A r t wurde herausgearbeitet, anfangs nur bei Zeitung und Zeitschrift, später, mit dem Sichtbarwerden der Grundsätze einer allgemeinen Publizistik 5 , ausgedehnt auf alle publizistischen Mittel, vor

4 Hier sei dankbar der Lebensleistung des verstorbenen Ordinarius der Zeitungswissenschaft an der Universität München, KARL D'ESTER, gedacht. Er hat mehr als hundert A r b e i t e n dieser Art angeregt und herausgebracht. 5 Diese A u s d e h n u n g erfolgte ganz einfach aus der Erkenntnis der V i e l z a h l der publizistischen Mittel in den Propagandakämpfen des 1. W e l t k r i e g e s und in der Technik der Hitleragitation bei der Überwindung der Demokratie. Sie fand in den damals möglichen Formen ihren ersten Ausdruck in dem A u f s a t z DOVIFAT, E.: Die Erweiterung der zeitungskundlichen zur allgemempublizistischen Lehre und Forschung. In: Zeitungswissenschaft

SYSTEMATIK UND METHODE

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allem auf den Film, bald auch auf den Rundfunk und schließlich auf Theater, Rede, Flugblatt, Flugschrift, Plakat. Das ist etwas anderes, als etwa ein Studium der „politischen Herrschaftsverhaltnisse". Hier sind neben den technischen und psychologischen Mitteln auch geistige, weltanschauliche, künstlerische und kulturelle Kräfte, auch ganze Institutionen einbezogen, soweit sie sich publizistischer Mittel bedienen.6 Alle diese Kräfte durchlaufen den publizistischen Prozeß als den natürlichen Mechanismus aller öffentlichen Kämpfe und Auseinandersetzungen. Es kann dabei um die höchsten Güter der Menschheit ebenso wie um niedrigste Verirrungen gehen. Die publizistischen Ziele werden die Natur der publizistischen Mittel bestimmen und durchdringen, sie adeln oder verteufeln. Die innere Natur dieser Vorgänge aufzudecken und klarzustellen, fordert methodisches Vorgehen. Die gewissenhaft beobachteten Vorgänge müssen interpretiert werden. Es ist zu prüfen, ob sie sich den bestehenden Regeln und Gesetzen anpassen oder ob sich aus ihnen neue Regeln und Gesetze ableiten lassen. Für die Wesens- und Eigenart der publizistischen Persönlichkeiten sind z. B. solche Gesetzmäßigkeiten gefunden. Sie sind aus einer großen Zahl persönlicher Beobachtungen und Erfahrungen gewonnen.7 Das Wirken der materiellen Kräfte und Mächte, die innere Gestaltung publizistischer Aktionen aus ihrer wahren oder vorgespiegelten Zielgebung8, klare Analysen der dabei zutage tretenden Gesetzmäßigkeiten haben eine eigene Methodik entwikkelt. Soziologische und massenpsychologische Vorarbeiten aus der Methode des jeweiligen Faches sind dankbar anerkannt und in Anspruch genommen. Das publizistisch-wissenschaftliche Ergebnis hat dadurch immer gewonnen, so wie die Ergebnisse unserer Arbeit von anderen Disziplinen, z. B. jetzt auch von der Soziologie und der Geschichte, insbesondere aber für die Praxis oftmals genutzt worden sind.9 Die Frage nach der Wirksamkeit oder Wirkungslosigkeit publizistischer Aktionen wird durch die empirische Soziologie, vor allem also durch die Meinungsforschung (Demoskopie) gestellt und beantwortet. Das sei hier schon dankbar bestätigt.10 Andererseits glauben wir, wiederum, daß die Erkenntnis publizi1934, H. 1, S. 12—20. Lebhafte Gegenwirkung und an Verbot grenzende Behinderung erfolgte durch die amtlichen Stellen des Hitlerregimes, denen diese Darstellung die Illusion ihrer Propaganda verdarb. So durch Kurth, K.: Kritik der Publizistik. In: Zeitungswissenschaft 1938, H. 8, S. 504. 6 Die streng religiösen Probleme freilich sind besonderer Art. Wir möchten sie darum, weil wir sie hoch einschätzen, in die Religionswissenschaft einordnen, wo sie in der Homiletik ihren Platz finden. Als politisch wirkende Kräfte werden auch religiöse Kämpfe Gegenstand der allgemeinen Publizistik. 7 Vgl. 40. 8 Vgl. 55 ff. 9 Das gilt z. B. weitgehend für Zeitung und Zeitschrift und für die Begriffe und Vorgänge der Nachrichtenpolitik, insbesondere der Zeitungsstatistik und Typologie, in der die wissenschaftlichen Prägungen unserer Disziplin in den Sprachgebrauch übergegangen sind. 1 0 Vgl. Noelle, Elis.: Umfragen in der Massengesellschaft. Einführung in die Methoden der Demoskopie. Hamburg (rde) 1963. — Dies.: Die Wirkung der Massenmedien. Bericht

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EINLEITUNG

stischer Tatsachen (also die Forschungsergebnisse unseres Faches) für die Fragestellung aller die Öffentlichkeit angehenden Meinungsbefragungen richtungsweisend sein kann. Die schweren massenpsychologischen Fehlgange, die innerhalb der letzten 50 Jahre die furchtbarsten Folgen für die gesamte Menschheit zeitigten, erinnern uns ständig an die Gefahr, daß mit wachsenden Menschenzahlen und bei den noch unvollkommenen Formen der Führung großer Massen in Freiheit und zur Vernunft, Wiederholungen solcher Menschheitskatastrophen leider im Bereich des Möglichen liegen. Die publizistischen Vorgänge, die dabei wieder in Erscheinung treten können, in ihren Gesetzen zu erforschen, und diese Gesetze zu publizieren, ist doch wohl eine Aufgabe, die gewissenhaft erfüllt werden muß: es ist die Aufgabe unseres Faches I Alle Streitereien und Meinungsverschiedenheiten um Standort und Methode werden von dieser Aufgabe beiseite gerückt." Die Probleme selbst sind durch eine Reihe grundsätzlicher Arbeiten, auf die im folgenden Bezug genommen wird, weitgehend gefördert worden. 12

über den Stand der empirischen Forschung. In: Publizistik 1960, H. 6 (Festschrift für Dovifat), S. 532—543. 11 In dankenswerter Weise hat auch die Konferenz der Kultusminister 1964 diese Aufgabe erkannt und auf die Notwendigkeit der akademischen Arbeit in unserem Fache besonders hingewiesen. Vgl.: „Publizistik" 1964 S. 153. 12 Vgl. HAGEMANN, W.: Grundzuge der Publizistik Münster 1947, neu hrsg. als eine Einführung in die Lehre von der sozialen Kommunikation von H E N K PRAKKE. 2., Überarb. u. erg. Aufl. Münster 1966 (Schriftenreihe für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft). — DOVIFAT, E.: Publizistik. In: Universitas Litterarum. Handbuch der Wissenschaftskunde Berlin 1955, S. 329—341. — HAACKE, W.: Publizistik. Elemente und Probleme. Essen 1962. — FELDMANN, E.: Theorie der Massenmedien. München/Basel 1962. — BINKOWSKI, JOH.: Die Massenmedien im modernen Staat. In: Stimmen der Zeit. Februar 1963. — MALETZKE, G.: Psychologie der Massenkommunikation. Hamburg 1963. — SEIDEL, H A N N S : Vom Mythos der öffentlichen Meinung. Aschaffenburg 1961. Diese Arbeit hat für das Publizistische eine erheblich größere Bedeutung als es der Titel vermuten läßt. — DOVIFAT, E.: Publizistik als Wissenschaft. In: Publizistik 1956, H. 1, S. 3—10. — PRAKKE, H. J.: Thesen zu einer neuen Definition der Publizistikwissenschaft. In: Publizistik 1961, H. 2, S. 81—84. —• Weitere systematische Arbeiten: Alteste unmittelbar publizistische Arbeit derZeit nach dem 1. Weltkrieg in Deutschland ist das Buch von S T E R N - R U B A R T H , E.: Die Propaganda als politisches Instrument. Berlin 1921. — Erster Ansatz einer Systematik: PLENGE, J.: Deutsche Propaganda. Mit einem Nachwort von Ludwig Roselius. Bremen 1922.

I. Die Grundbegriffe der Publizistik

4. Öffentlichkeit D e r Begriff „ Ö f f e n t l i c h k e i t " ist n i r g e n d s e i n d e u t i g f e s t g e l e g t . Er w i r d i m Sprachgebrauch so mannigfaltig angewandt, daß eine alles erfassende Begriffsumschreib u n g nur s c h w e r g e l i n g t . H ä u f i g e r schon, ist der Begriff „öffentlich"

definiert, s o

i m Staatsrecht 1 , i m Strafrecht 2 , in der B e t r i e b s - u n d V o l k s w i r t s c h a f t . D a s GRiMMsche W ö r t e r b u c h v e r z e i c h n e t nicht w e n i g e r a l s s e c h s D e f i n i t i o n e n z u m Begriff „ ö f f e n t lich", e i n e a m ü s a n t e V i e l f a l t v o n A u s l e g u n g e n ! 3 U n s i n t e r e s s i e r t d e r Begriff nur, s o w e i t e r d i e Publizistik

a n g e h t , d e n n d e r e n L e b e n s e l e m e n t ist „die Ö f f e n t l i c h -

keit". D a z u ist der Begriff in d r e i f a c h e m S i n n e g e g e b e n : a) „ Ö f f e n t l i c h k e i t " ist n a c h d e m e r s t e n S p r a c h g e b r a u c h e i n e unbegrenzte onyme

Vielzahl

von

Menschen

an-

( e i n z e l n e n o d e r v e r b u n d e n e n ) d i e a l l g e m e i n er-

reichbar u n d a l l g e m e i n a n s p r e c h b a r s i n d (öffentlich, Ö f f e n t l i c h k e i t =

publice).

b) „ Ö f f e n t l i c h k e i t " ist n a c h d e m z w e i t e n S p r a c h g e b r a u c h a l l e s , w a s n o c h unartikuliert in den Köpfen und Herzen einer unübersehbaren Vielzahl v o n Menschen g e i s t i g u n d g e f ü h l s m ä ß i g „im G e w o g e " , „im S c h w a n g e " ist. Ein „breiter D a s e i n s -

1 N A W I A W S K Y , H.: Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe. Teil III: A l l g e m e i n e Staatslehre. Einsiedeln/Köln 1956. — A L T M A N N , R.: Das Problem der Öffentlichkeit und seine B e d e u t u n g f ü r die m o d e r n e Demokratie. Diss. M a r b u r g 1954. — P L E S S N E R , H.: Das Problem der Öffentlichkeit u n d die Idee der Entfremdung. G ö t t m g e n 1960. — Sehr umfassend, philosophisch wie historisch, untersucht H a b e r m a s den W a n d e l d e r Öffentlichkeit mit vielen H i n w e i s e n auch auf die publizistischen Mittel („Massenmedien"): H A B E R M A S , J.: S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit. N e u w i e d 1962. — Auch M A L E T Z K E , a.a.O., S. 5 0 , gibt k e i n e Definition.

Für die Staatsrechtslehre ist „Öffentlichkeit" und „öffentlich" die u b e r g e o r d n e t e Institution oder, w i e im römischen Recht (Ulpian): „Publicum ius est, quod a d statum rei r o m a n a e spectat, p r i v a t u m , quod ad singulorum utilitates . . .", Öffentlichkeit ist somit alles w a s „das Gesamtinteresse" angeht. 2 S C H R O E T E R , G. v.: Der Begriff „Öffentlichkeit". Eine strafrechtliche Untersuchung. In: Deutsche Justiz 1936, H. 6. H e u t e sdieint m a n in der Rechtslehre auf eine allgemeine Definition zu verzichten, aber sofort auf die k o n k r e t e A n w e n d u n g a u s z u g e h e n („öffentliches Recht", „öffentliches Ärgernis", „öffentliches U n t e r n e h m e n " usw.). Vgl. K O E P , L . : Der Öffentlichkeitsbegriff u n d seine A n w e n d u n g auf die kirchlichen Büchereien. Bonn (Borromäusverein).

3 GRIMM: Deutsches W ö r t e r b u d i . Bd. 7, bearb. v. M. Lexer, Leipzig 1889: öffentlich = 1. allgemein verständlich, b e k a n n t , deutlich; 2. aufrichtig; 3. nicht geheim, v o r aller A u g e n ; 4. offen im Sinne v o n W i r t s h ä u s e r n , M a r k t , Platz, Brunnen, Gericht, Sitzung, Bordells; 5. große bürgerliche Gesellschaft, Gemeinde, Land, Staat, Anstalt, Gesetz u. ä. — Ähnlich in (Karl) T R Ü B N E R S Deutschem Wörterbuch. Berlin 1939—57.

EINLEITUNG

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ström" (TRAUB)4 von Ideen, Gedanken, Meinungen und Wollungen lebt hier und bewegt sich (öffentlich, das öffentliche hier = publica). c) „Öffentlichkeit" bringt im dritten Sprachgebrauch bereits die ersten Artikulierungen eines Niederschlags aus dem „Gewoge". Die bewegenden Inhalte erhalten einen Namen: die „deutsche Öffentlichkeit", die „gebildete Öffentlichkeit", die „gewerkschaltliche Öffentlichkeit". Man stellt Bindungen der Angesprochenen fest oder stellt sie her, man sammelt ein „Publikum" (also: Öffentlichkeit = Publikum). a) öiientlichkeit

=

publice

Weil „Öffentlichkeit" in diesem Sinne freie Zugänglichkeit, allgemeine Ansprechbarkeit einer anonymen Vielzahl von Menschen5 bedeutet, ist sie die Voraussetzung jeder Publizistik. Die Freiheit, sie anzusprechen, gilt als demokratische Freiheit überhaupt und ist daher in Ländern mit liberaler Staatsverfassung verfassungsrechtlich gesichert.8 In dieser Freiheit wurzelt alle öffentliche Freiheit, sei es die der „öffentlichen" Äußerung (Pressefreiheit, Redefreiheit usw.) oder die der Koalition und Demonstration. Diese Freiheit, einst erkämpft gegen die absolute Monarchie, wird Ausdruck der Volksfreiheit und bleibt es auch gegenüber allen staatlichen Organen, der Regierung, der Verwaltung, der Rechtsprechung. Wird der freie Zugang eingeschränkt (Zensur, Verbote, Beschlagnahme), so ist ein Grundrecht eingeschränkt. Das kann aus aktuellem Anlaß durch Notverordnung, Notstand oder Kriegsrecht auf Zeit angeordnet werden, teils aber auch gegen Mißbrauch der Freiheit und in Abwehr gegen alle Willkür auf verfassungsrechtlicher Grundlage vorbereitet sein.7 Ist der Zugang zur Öffentlichkeit und der Appell an sie nur der Staatsführung oder einer Einheitspartei (über ein „Propagandaministerium" oder das „Politbüro") gestattet, so sind die Voraussetzungen für eine totalitäre Publizistik gegeben.8 TRAUB, H.: Grundbegriffe des Zeitungswesens. Stuttgart 1933, S. 144 ff. Zur Unterscheidung von „Volk" s. S. 14. 6 Grundgesetz der Bundesrepublik, Artikel 5, Abs. 1 u. 2. 7 Grundgesetz, Art. 5, Abs. 3. 8 Bemerkenswert ist die Tatsache, daß sowohl die Verfassung der UdSSR als auch insbesondere die Verfassung der „DDR" (in § 8) die Freiheit der Presse, der Versammlung, der Rede usw. ausdrücklich zulassen. So innerlich begründet ist der Glaube an das Recht auf diese Freiheit, daß auch totalitäre Regime es wenigstens formal anerkennen müssen. In der Verfassung der „DDR" ist, nach dem Vorbild ähnlicher Verfassungen, die Kraft dieses Rechts durch einen vorangestellten Paragraphen (§ 6) v o n vornherein aufgehoben. Eine „Öffentlichkeit" ist nach dieser Gesetzgebung überhaupt nur möglich, nur zugelassen, wenn sie nach dem obersten Grundsatz der kommunistischen Ideologie klassenmäßig bestimmt und ausgerichtet ist. Vgl. S. 166. 4 5

Eine klare Darstellung des totalitären Stils vgl. LÖWENTHAL, R.: Die totalitäre Diktatur: In „Gegenwartskunde" 1966, H. 3, S. 199 ff.

ÖFFENTLICHKEIT

In d e r w i s s e n s c h a f t l i c h e n publizistischen

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B e t r a c h t u n g 9 ist d e r 1934 f r ü h v e r s t o r -

b e n e P r o f e s s o r d e r Z e i t u n g s l e h r e in L e i p z i g ,

ERICH EVERTH10,

d e m Begriff a m n ä c h -

s t e n g e k o m m e n in s e i n e m A u f s a t z D i e Z e i t u n g im D i e n s t e d e r Ö f f e n t l i c h k e i t 1 1 . D i e Ö f f e n t l i c h k e i t w u r d e a u s d e r l i b e r a l e n E n t w i c k l u n g d e s 19. J a h r h u n d e r t s als e i n e A r t I n s t i t u t i o n a n g e s e h e n , d i e d i e F r e i h e i t d e s E i n z e l n e n g e w ä h r l e i s t e t 1 2 („. . . e r f l ü c h t e t e in d i e Ö f f e n t l i c h k e i t " ) . M i t d e r D u r c h s e t z u n g d i e s e s R e c h t s a l s e i n e s R e c h t s d e s I n d i v i d u u m s ( f r a n z ö s i s c h e R e c h t s e n t w i c k l u n g ) s o w i e e i n e s Rechts, d a s i m I n t e r e s s e d e r G e s a m t h e i t g e ü b t w i r d ( e n g l i s c h e G r u n d a u f f a s s u n g ) , ist m i t d e m Begriff „ Ö f f e n t l i c h k e i t " d i e V o r s t e l l u n g v o n e i n e m i d e e l l e n Z u f l u c h t s o r t v e r b u n den w o r d e n . V o r allem aber erschien die nur v a g e definierte „öffentliche Mein u n g " 1 3 a l s e i n I n s t r u m e n t , d a s d e m G e m e i n w o h l d i e n t e . „ G e m e i n w o h l " u n d „öffentliches W o h l " w u r d e n als gleiche Begriffe v e r s t a n d e n . D a h e r n a h m e n

auch

v i e l e I n s t i t u t i o n e n , d i e I n t e r e s s e n d e r G e s a m t h e i t z u v e r t r e t e n h a t t e n , d i e Bez e i c h n u n g „ ö f f e n t l i c h " a l s K e n n z e i c h e n in i h r e n N a m e n auf. 1 4 F ü r d i e P u b l i z i s t i k w i r d d e r m o r a l i s c h e A n s p r u c h auf d a s v e r p f l i c h t e n d e A m t einer „öffentlichen A u f g a b e " erhoben. Alle Mittel u n d M a ß n a h m e n der Publiz i s t i k m a c h e n f ü r sich e i n e „ ö f f e n t l i c h e A u f g a b e " , e i n e „ ö f f e n t l i c h e V e r p f l i c h t u n g " , e i n e „ ö f f e n t l i c h e V e r a n t w o r t u n g " g e l t e n d . 1 5 D i e s e r A n s p r u c h ist n i c h t n u r s e l b s t 0 G R O T H , O T T O : Die Zeitung 4 Bde., Mannheim 1928—30 nimmt die Öffentlichkeit nur in dem von uns als ersten Sprachgebrauch bezeichneten Sinne, d. h. er versteht darunter den freien Zutritt zu den Vorgängen des öffentlichen Lebens. — TONNIES, F E R D . : Kritik der öffentlichen Meinung Berlin 1922 gibt nur eine kurze Darstellung, keine Definition. — VIERKANDT, A.: Aufsätze in: Handwörterbuch der Soziologie (Hrsg. A. Vierkandt). Stuttgart 1931, 2. Aufl. 1959 bleibt die Beantwortung der Frage n a d i der Öffentlichkeit schuldig. 10 EVERTH stammte aus dem Journalismus. 1926 w u r d e er Professor in Leipzig. Sein Hauptwerk: Die Öffentlichkeit in der Außenpolitik v o n Karl V. bis Napoleon, J e n a 1931, ist heute noch mit Gewinn zu lesen. 11 In: Archiv fur Buchgewerbe und Gebrauchsgraphik. Leipzig 1928, H. 4. 12 So schrieb z. B. JOSEPH v. GORRES im Roten Blatt: „Publizität ist der mächtige Hebel, der das Geisterreich in Bewegung setzt. Den Bösewicht prangert sie unbarmherzig an. Ihr Falkenauge durchdringt alle N e b e l . . . " ; vgl. GORRES, J.: Ges. Schriften Köln 1926, Bd. I. Ähnlich idealisiert MONTALEMBERT (L'église libre dans l'état libre. Paris 1 8 2 6 ) noch 3 0 J a h r e später die Öffentlichkeit: „Die Öffentlichkeit ist die Waffe des Schwachen, der Zufluchtsort der Besiegten, der Zügel für die Starken, aber auch für die Schlechten, für die L ü g n e r . . . " Diesen Geist gibt auch die schon im amerikanischen Unabhängigkeitskampf geprägte Parole wider: „Light IS the great policeman . . ." 13 N ä h e r e s über den Begriff „öffentliche Meinung" s. S. 16. 14 öffentliches Recht, öffentliche Hand, öffentliche Wohlfahrt, öffentliche Gesundheitspflege, Körperschaft öffentlichen Rechts, öffentliche Ordnung usw. Der Begriff „öffentlich" dient im gesellschaftlichen Leben auch zur Unterscheidung v o n „privat": öffentliches Tanzvergnügen — geschlossene Gesellschaft; öffentliche Anlage (der Öffentlichkeit zuganglich und ihrem Schutze empfohlen) — private Gartenanlage usw. „Öffentliche Sachen" dienen dem Gebrauch der Allgemeinheit. Schon im Romischen Recht sind die res publicae (Straßen, Gewässer, Wasserleitungen) nicht privatrechtsfähig. 15 Diesen Anspruch auf eine öffentliche Aufgabe erhebt jede Publizistik, ob sie nun opfermutig den höchsten Zielen der Menschheit dient oder, maskiert, materielle Ziele verfolgt. Vgl. dazu das Kapitel über die Gesinnungen, S. 29. Ähnliche Formulierungen finden sich m den Rundfunkgesetzen oder -Satzungen, nach denen die Sender in der Bundesrepublik und in West-Berlin als „Körperschaften öffentlichen Rechts" tätig sind. Vgl. S. 193.

DIE GRUNDBEGRIFFE DER PUBLIZISTIK

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gesetzt, er wird nicht nur von den Tragern des Berufs verfochten, sondern er ist auch gesetzlich, heute in der Mehrzahl der Länderpressegesetze, anerkannt. 18 Der gesetzlich sanktionierte Anspruch auf eine öffentliche Aufgabe und der gesetzlich garantierte Zugang zur Öffentlichkeit sind somit Grundvoraussetzungen einer demokratischen Meinungs- und Willensbildung. In der totalitären Welt haben nur die Machthaber freien Zugang zur Öffentlichkeit. Uniformierung aller Nachrichten und einseitige Ausrichtung der Meinungen sind die zwangsläufige Folge. b) Die Öffentlichkeit

in ihren geistigen

Beständen

=

publica

Öffentlichkeit ist aber nicht nur die anonyme Vielzahl von Individuen, frei oder kollektiv gebunden. Sie stellt, nach dem zweiten Sprachgebrauch, auch die geistigen Inhalte dar, also all das, was in Köpfen und Herzen an Vorstellungen, Gefühlen und Meinungen sich bewegt und darauf wartet, unter publizistischer Führung Ausdruck und Richtung anzunehmen. Dieser Schatz an mehr oder weniger geprägten Inhalten kann geformt werden. Der noch ungeformte Bestand gilt oft als Träger eines gesellschaftlichen oder moralischen Urteils. Man gibt ihm eine „Meinung", die man dann als „öffentliche Meinung" plakatiert. Einst als Göttin verehrt 17 , als immanente moralische Macht überschwenglich gefeiert, zum Richterspruch aufgerufen, galt sie als eine ethische, als gute Macht, als liberale Kraft, bis dann die organisierte totalitäre Gewalt bewies, was alles mit ihr anzufangen ist, wenn sie skrupellos und brutal in die Mache genommen wird. Wissenschaftlich war sie freilich schon vorher längst entzaubert. F E R D I N A N D hat in seinem spröden, aber lehrreichen Werk „Kritik der öffentlichen Meinung" den Begriff längst umgebracht.18 Der Begriff „die öffentliche Meinung", wie er im Sprachgebrauch immer wieder auftaucht und immer wirkt, ist ein logischer Unsinn, ein propagandistischer Winkelzug zur Bekräftigung eigener Meinungen und Absichten, ein politischer Hilfsbegriff. Er ist eine Art Vorwegnahme von Entscheidungen, von denen behauptet wird, die Öffentlichkeit habe sie längst angenommen. Es gibt, kurz gesagt, nie die öffentliche Meinung, es gibt nur „öffentTÖNNIES

Vgl. hierzu Freiheit und Bindung in der Publizistik, S. 165 ff. „Im Fackeiglanze der öffentlichen Meinung müssen alle Feinde der Nation und der Gleichheit sich beeilen, von ihren schändlichen Anschlägen abzusehen." (ABBE SIEYES beim Ausbruch der Franz. Revolution in seiner Flugschrift: ,,Qu'est-ce que le tiers-état" 1789). 19 W i r folgen hier der u. E. keineswegs überwundenen Theorie von TÖNNIES, F.: Kritik der öffentliche Meinung. A.a.O. Anschauliche historische Beispiele bietet BAUER, WILH.: Die öffentliche Meinung und ihre geschichtlichen Grundlagen. Tübingen 1914. — Ders. in dem bebilderten W e r k : Die öffentliche Meinung in der Weltgeschichte. Potsdam 1930. — Den m der jüngsten Literatur neu entwickelten Begriff der „Attitüden" glauben wir in den Meinungsbegriff einordnen zu können. Anderer Auffassung ist MALETZKE, G.: Grundbegriffe der Massenkommunikation. A.a.O., S. 202 ff. — Vgl. auch die systematischen Angaben über „öffentliche Meinung" in: DOVIFAT, E.: Zeitungslehre, 2 Bde., 5., neubearb. Aufl. Berlin 1967. (Sammlung Göschen Nr. 1039 a u. 1040 a) Bd. I, S. 116, auf die hier verwiesen sei. Eine neue Blickrichtung öffnet: NOELLE-NEUMANN, E.: Offentl. Meinung u. soziale Kontrolle", Antrittsvorlesung 1965. Slg: Recht u. Staat i. d. Gegenw. Heft 329 Tubmg. 1966. 16

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ÖFFENTLICHKEIT

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liehe Meinung" (die in sich pluralistisch ist) oder „Meinungen in der Öffentlichkeit". Diese Meinungen können, zumal wenn sie von starken Majoritäten getragen werden, laut auftreten, überwiegend sein: alleinig sind sie nie. Auch will die Lautheit, mit der sie vertreten werden, noch nichts besagen. Gewaltentschlossene Minoritäten lärmen oft am lautesten, überfahren und lähmen ruhige Gesinnungen. Der früh verstorbene bayerische Ministerpräsident H A N N S S E I D E L hat in einem hinterlassenen Werke von großer politischer Erfahrung und Verantwortung, „die öffentliche Meinung" als einen „tatsachenblinden Mythos" bezeichnet19. Kluge Staatsmänner haben sich seit jeher über den Begriff mokiert, die einen offen20, die anderen — mit augurenlächeln — unter sich. Trotzdem behauptet sich der Begriff im Vokabular der Politiker und Agitatoren. Er ist unzerstörbar. Die „Meinungen in der Öffentlichkeit" sind, in ihren Werten und Unwerten, die geistigen Inhalte der „Öffentlichkeit", also im zweiten Sinne des Begriffs. Sie leben und weben dort in einer bestimmten Gradfolge21 (Tönnies: Aggregatzustände22). Sie sind entweder tagesbestimmt, d.h. von unmittelbaren aktuellen Ereignissen spontan wachgerufen und bewegt, aber noch nicht gefestigt, oder sie sind, bereits angesprochen, geformt, bezeugt, urteilend abgewogen, vielfach schon in Programmen verhärtet: zeitgebunden. Alle Meinungen, ob tagesbestimmt oder zeitgebunden, entstehen aber auf der Grundlage tief eingeprägter, aus langer Tradition überlieferter Leitbilder, die, obwohl auch sie sich in der Fortentwicklung des allgemeinen Lebens und unter publizistischer Einwirkung wandeln, nur bedingt Meinungscharakter haben. Nennen wir diese traditionellen Leitgedanken die „allgemeinen Grundmeinungen". In allen diesen Stufen der Meinungsbildung ist die Publizistik aktiv. Sie liefert die Nachricht für die erste tagesgebundene Meinung und führt sie weiter — durch Kommentar und Wertung oder schon durch Fassung und Färbung — zum zeitgebundenen Urteil, überdies sind es keineswegs nur Meinungen, deren Träger die Öffentlichkeit ist. Es sind die emotionalen Kräfte, von den edlen Gefühlen bis zu massiven Instinkten, die hier gestaut sind und geweckt, entwickelt und zur Aktivität getrieben werden können.23 Man hat sie zutreffend die Träger eines „gemeinsamen Lebensgefühls und eines allgemeinen Strebens nach Sicherheit und Vgl. Seidel, H. a.a.O. S. 178. BISMARCK (am 6.9. 1849) in der preuss. verfassunggebenden Versammlung: „Sie kennen unzweifelhaft den Ausspruch des alten Napoleon, daß drei schreiende Weiber mehr Lärm machen als 1000 schreiende Männer. Es ist daher sehr unrecht, den schreienden Weibern der öffentlichen Meinung irgendeine größere Bedeutung zuzulegen." 19

20

Vgl. DovirAT, E.: Zeitungslehre. A.a.O. Bd. I, S. 118. TÖNNIES, F.: Kritik der öffentlichen Meinung. A.a.O., S. 137 ff. unterscheidet gasförmige, flüssige und feste öffentliche Meinung. 23 WEBER, MAX kennzeichnet die öffentliche Meinung „unter den Bedingungen der Massendemokratie" als „ein aus irrationalen .Gefühlen' geborenes, normalerweise von Parteiführern und Presse inszeniertes oder gelenktes Gemeinschaftshandeln". „Politik als Beruf". Ges. Schriften 1921. 21

22

2

Publizistik

I

DIE G R U N D B E G R I F F E DER PUBLIZISTIK

18

Wohlstand" 24 , eines „moralischen Grundwillens" 25 genannt. Alle großen Publizisten der Geschichte, welchen geistigen und religiösen Uberzeugungen sie auch immer dienen mochten, haben die besten ethischen Kräfte ansprechen und entwickeln können und Außerordentliches ermöglicht, indem sie die Aufgerufenen zu gläubiger Hingabe und größten Opfern bewogen. Leider zeitigte, und das ist die traurige Kehrseite, eine scheinheilig höchste Ziele vortäuschende Massenpublizistik ähnliche Ergebnisse, wenn sie die Opfer- und Hingabebereitschaft der Umworbenen und Umnebelten mißbräuchlich zu niederen Zwecken nutzte. 26 Hinter den emotionalen Elementen in der Öffentlichkeit sind die negativen Triebkräfte gewiß nicht überwiegend, so doch leichter zu mobilisieren. Kaum gereizt, greifen Vorurteil und Mißgunst, Bosheit und Schadenfreude gefährlich um sich. Die diabolische Form publizistischen Angriffs, mit ätzendem Hohn oder nacktem Zynismus verbreitet, kann einen moralischen Kahlfraß bewirken, der den positiven Kräften jedes Wachstum nimmt. Höchstes und Tiefstes liegen hier dicht nebeneinander. Auf die publizistische Führung kommt es an.27 EVERTH hat die Inhalte der Öffentlichkeit aus der Gegensatzhaltung heraus untersucht. Er ist damit der Vielfalt dieser Erscheinungen gerecht geworden und einer umfassenden Definition sehr nahe gekommen. Klar kontrastiert er die Begriffe: öffentlich —• geschlossen; öffentlich — privat; öffentlich — geheim; öffentlich — intim. Indem Everth diese Gegensätze mit dem ebenso farbigen Begriff des Interesses, des öffentlichen Interesses in Zusammenhang sieht, untersucht er ihre Beziehung zu Tun und Handeln, also zum Ziel aller Publizistik. 29

Jede Publizistik nimmt für sich einen „öffentlichen Auftrag" in Anspruch. 26 Erfüllt sie diesen Auftrag sachlich, so wird sie sich mit ihrer Berichterstattung auf den „öffentliehen" Bereich beschränken. Es gehört aber zu den umstrittenen Grenzgebieten publizistischer Arbeit, auch Vorgänge des Privaten, des Persönlichen, ja des Intimen da zu beleuchten, wo es öffentliche Interessen beeinträchtigt. Es kann durchaus notwendig werden, private und persönliche Dinge grell an die Öffentlichkeit zu ziehen, wenn von dorther Verbrechen drohen oder öffentliche Angelegenheiten gefährdet sind.30 Wo aber diese Pflicht nicht besteht, ist es ein Mißbrauch der „öffentlichen Aufgabe" der Publizistik, in die Sphäre des Persönlichen, des privaten Lebens einzubrechen. Auch die öffentlich nicht bedingte Nutzung solcher Stoffgebiete zur Sensation oder zum bloßen Amüsement schädigt die ernsthaften, die öffentlichen Aufgaben der Publizistik. Diese ganze Seite einer Publi24 L Ö C K E N H O F F , H . : Public Relations. Versuch einer Analyse der öffentlichen Meinungsund Beziehungspflege. Diss. Berlin 1958. 25 Vgl. die Ausführungen über die emotionalen Kräfte in der Massenführung, S. 121. 2e Vgl. Der moralische Grundwille der Masse, S. 143. 27 Vgl. Die publizistische Persönlichkeit, S. 40. 28 Vgl. S. 15, Anm. 11. 29 Vgl. S. 180. 30 Die Art, wie C I C E R O in seinen Reden gegen Catilina dessen Privatleben bloßstellte und seine revolutionären Absichten damit überwand ist ein klassisches Beispiel.

ÖFFENTLICHKEIT

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zistik der billigen Unterhaltung ist umstritten. Derartige publizistische Leistungen sind zum Teil freizeitindustrielle Produkte.31 Anhand anderer Gegensatzpaarungen deutet Everth 32 weitere Inhalte, die in der Öffentlichkeit „im Schwange" und für die publizistische Ansprache geeignet sind, weil sie Verwandtschaft zur Publizistik haben. Gegenübergestellt werden: das subjektive und das objektive, anschaulich das individuell-subjektive öffentliche Interesse (z. B. am Sechstagerennen) und das generell-objektive öffentliche Interesse an Erscheinungen von allgemeiner Bedeutung (z. B. aus Politik, Kultur, Verwaltung). 33 Das materielle und das ideelle öffentliche Interesse — eine weitere Kontrastpaarung Everths — gehen, bei vorsichtiger Abschätzung der Mischwerte, vielleicht ineinander über. Sie sind dann einander zugeordnet. Auch der himmelblaue Idealismus kommt nicht ohne irdische Nahrung aus. Beide Interessen laufen in der aktiven Politik oft parallel (Förderung der privaten Wirtschaft aus volkswirtschaftlichem Interesse usw.). Ihr Verhältnis zueinander, ihre Dosierung gehören zu den wichtigen Aufgaben der praktischen Publizistik, in Sachurteil und Diskussion. Große Teile der Publizistik (Zeitung, Zeitschrift, Film) leben j a ohnedies aus einer gesunden Wechselwirkung geistiger, wirtschaftlicher und technischer Interessen 34 . c) Die Öffentlichkeit

in ihrer Festigung

=

Publikum

Alle in der Öffentlichkeit wirkenden publizistischen Kräfte haben naturgemäß das Ziel, Menschen zu gewinnen, Tendenzen zu fixieren, Gruppen zusammenzuschweißen, Anhänger, Gläubige anzusprechen, Machtblöcke zu schmieden, die Angesprochenen zu überzeugen und sie dadurch in Tun und Handeln zu bestimmen. So ist eine letzte Spielart des Öffentlichkeitsbegriffs im Sprachgebrauch entstanden. Die aus aktuellem Anlaß sich sammelnden Gruppen des öffentlichen Lebens glauben vorwegnehmen zu können, indem sie ihr politisches Wollen und Meinen verkünden, daß sie die Öffentlichkeit oder doch eine Öffentlichkeit schon sind. Es wird nichts Genaues gesagt; eine Konsolidierung wird einfach behauptet, eine in Umfang und Tiefe kaum fixierte „Rahmengruppierung" 35 gezeigt. Noch lange ist keine Bewegung entstanden, erst recht keine Partei. Man gibt, aus Gründen der Werbung, der Sache den Anschein der Weite. Wie bei „der öffentlichen Meinung" geht es auch hier um einen werbenden Hilfsbegriff. Konkrete Angaben bleiben noch aus. Nie würde man z. B. von einer SPD-Öffentlichkeit sprechen, wohl aber

31 Eine brillante Kritik haben HORKHEIMER, M., TH. W. A D O R N O : Dialektik der Aufklärung Philosophische Fragmente. Amsterdam 1947 an dem modernen Amüsierbetrieb bestimmter publizistischer Mittel geübt. EVERTH, E . : Die Zeitung im Dienste der Öffentlichkeit. A.a.O. 33 Treffend unterscheidet Schneider zwischen „öffentlichem Interesse" und ,,'öffentlichkeitsinteresse". Vgl. SCHNEIDER, F R A N Z : Die öffentliche Aufgabe der Presse. In: Die Presse. Arbeitsheft 10 der Bayer. Landeszentrale für Heimatdienst. München 1963. 34 Vgl. dazu DOVIFAT: Zeitungslehre. A.a.O. Bd. I, S. 18 f. KRUMBACH, J . H.: Grundfragen der Publizistik. Berlin u, Leipzig 1 9 3 5 , S . 1 6 4 ff. 32

35

2*

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DIE G R U N D B E G R I F F E DER

PUBLIZISTIK

von einer „sozialistischen Öffentlichkeit". Es gibt auch keine FDP-Öffentlichkeit, wohl aber spricht man von einer „liberalen Öffentlichkeit". Konkreter schon wäre der „Kreis": „Wie aus Kreisen der CDU verlautet". Das hat eine genaue Adresse, also gerade das, was dem vagen Öffentlichkeitsbegriff fehlt. Um so lieber verwendet man die Bezeichnung „Öffentlichkeit", um vage, aber werbende Idealgebilde zu umreißen: Es spricht die „gebildete Öffentlichkeit", es mahnt die „christliche Öffentlichkeit", es mehrt sich „die interessierte Öffentlichkeit". Eine Sammlung auf die Sache, eine Aufgabe, eine Gesinnung, eine gemeinsame Haltung ist gegeben. Um dem gerade im Sprachgebrauch so mannigfaltig schillernden Begriff annähernd gerecht zu werden, wird man (mit aller Vorsicht) zusammenfassend formulieren dürfen: Die Öffentlichkeit ist das Lebenselement der Publizistik. Die im Sprachgebrauch geübte dreifache Sinndeutung kennzeichnet ebenso dreifache Aufgaben jeder Publizistik: den Zugang zu einer Vielheit der Anzusprechenden zu erreichen (publice), eine anzusprechende Vielfalt von Meinungen und Wollungen ist im Schwange (publica), deren Träger sind für feste publizistische Ziele zu gewinnen und zu überzeugen (Publikum). Die der zweiten Deutung immer wieder beigelegte Bezeichnung „die öffentliche Meinung" ist ein propagandistischer Hilfsbegriff. Es gibt nicht „die" öffentliche Meinung, es gibtnur „öffentliche Meinungen" oder „Meinungen in der Öffentlichkeit".

5. Aktualität - G e g e n w a r t s w i r k u n g a) Wesen und

Begriff „Si nemo me quaeret, scio, si quaerenti e x p h c a r e vellim — nescio." AURELIUS

AUGUSTINUS

So eröffnet — resigniert — Augustinus1 seine, wie S P E N G L E R meint, „einzig ehrfürchtige Definition der Zeit". Sucht man die „Aktualität" in prägnanter Kürze zu erklären, möchte man ebenso resignieren. 2 Eines aber gilt: jede Aktualität wird aus der Zeit geboren und von ihr bestimmt. Sie wird nicht aus dem Schoß der Zeit entlassen, um freischwebend zu verwehen, sondern sie entspringt dynamisch der Zeit, besser noch: der Gegenwart, ihren Wünschen und Strebungen. Aktualität und Gegenwart sind öffentlich bestimmt. Das steckt bereits in der Zeitdefinition 1 Vgl. AUGUSTINUS: Confessiones, Buch XI, Kap. 14. Siehe auch das Kap. über die publizistische Persönlichkeit, S. 40. 8 Die m. E. beste kritische Zusammenfassung aller für die Publizistik interessanten Deutungen und Deutelungen der „Aktualität" hat WILMONT HAACKE in einem Vortrag gegeben, den er bei der Ernennung zum Leiter des Instituts für Publizistik an der Hochschule für Sozialwissenschaften in Wilhelmshaven gehalten hat. Vom W e s e n der Aktualität. In: Publizistik 1959, H. 1, S. 3—19. Auf die Arbeit sei verwiesen; wir beschränken uns hier auf das Wichtigste.

AKTUALITAT — GEGENWARTSWIRKUNG

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des Augustinus, der den Begriff „Gegenwart" in Bezug auf das sie messende Individuum bestimmt: „Wenn also die Gegenwart nur darum Zeit ist, weil sie in die Vergangenheit übergeht, wie können wir da sagen, daß sie ist, und wenn sie deshalb ist, weil sie sofort nicht mehr ist, so können wir in Wahrheit nur sagen, daß sie eine Zeit ist, weil sie dem Nichtsein zustrebt . . . Ich messe also nicht die Zeit, die, ehe ich sie fasse, schon nicht mehr ist, sondern etwas, was sich meinem Gedächtnis eingeprägt hat." Die Zeit ist also nur durch Ereignisse meßbar, die sich einprägen. Es müssen sich Vorgänge ereignen, die Wirkung hinterlassen, die „in actu" (von „agere"), die „agentes", wirkend und handelnd sind. Im ewigen Fluß der Dinge 3 werden diese Ereignisse bedeutsam, wichtig, tatauslösend. Sic geschehen, sind Zeitgeschehen, Gegenwartsgeschehen, von Menschen und für Menschen als wichtig, im Kern als lebenswichtig erkannt. Von der Öffentlichkeit dynamisch aufgenommen, durch sie „bedingt", wird das Aktuelle von ihr getragen und verbreitet. Nicht durch das bloße Geschehen, sondern erst durch die Wertung wird ein Ereignis aktuell. Aktuell ist zu Handeln und Wirken treibendes Gegenwartsgeschehen, Aktualität „faßt die Beziehungen zwischen Zeit und Leben in sich"4. Erst durch das Leben also, für und durch die Lebensbedeutung werden Ereignisse „aktuell". Ereignisse, die uns nicht unmittelbar berühren, kümmern uns nicht. Kosmische Katastrophen, bei denen ganze Welten untergehen, überlassen wir dem Schaudern des Astronomen, solange unser kleiner Erdball nicht hineingezogen wird. Aber nach dem Wetter erkundigen wir uns besorgt, wäre es auch nur vor dem Spaziergang oder um der Ernte willen. Nuancenreich gliedert sich das „Aktuelle". Seine Bedeutung reicht von bloßen gesellschaftlichen Nichtigkeiten bis zu Leben und Tod. „Nachrichten" 3 als Träger von Mitteilungen über die im Existenzkampf des Einzelnen und der Gruppe oder des ganzen Volkes auftretenden neuen Ereignisse lösen Meinungen aus und oft auch Handlungen. Sie sind, wie die Sprache sagt, Mitteilungen „zum Danachrichten", ob sie nun von entscheidenden Weltereignissen Kunde geben oder von alltäglichem Kleinkram, der uns gerade angeht und oft besonders interessiert. Die Publizistik verbreitet als erster Nachricht und Bericht des aus öffentlichem Interesse gewerteten Zeit- und Gegenwartsgeschehens. Sie ist zugleich Künder („Informator"), aber auch Deuter dieses Geschehens. Daraus entwickeln sich die mannigfaltigen Formen der Darbietung und Gestaltung aktueller Ereignisse. b) Darbietung und Nutzung

der

Aktualität

Erste Nutzung und bevorzugter Ausdruck der Aktualität ist die Nachricht. Sie ist dem Empfänger und der Öffentlichkeit oder doch Teilen der Öffentlichkeit von 3 Philosophischer Begriff des „Aktualismus", des in actu-Seins aller Dinge: pantarei = alles fließt, nichts beharrt. 4 K R U M B A C H , J. H.: Grundfragen der Publizistik. A.a.O., S. 33. 3 Vgl. die Theorie der Nachricht bei D O V I F A T : Zeitungslehre. A.a.O. Bd. I, S. 59.

22

DIE GRUNDBEGRIFFE DER PUBLIZISTIK

Bedeutung, wenn sie wirklich publizistisch ist. Nachrichten geben sachliche Information oder sollten es tun. Jedenfalls schaffen sie die Grundlage der Meinungsund Willensbildung. J e aktueller die Nachricht ist, um so höher ist ihr Wert. Ihre Ubermittler suchen daher die größte zeitliche Ereignisnähe zu erreichen. So nutzt die Publizistik jeden technischen Fortschritt, die Frist zwischen Ereignis und der darüber gegebenen Nachricht zu verkürzen. Sachliche Richtigkeit und höchstmögliche aktuelle Vollständigkeit sind weitere Kennzeichen für den objektiven Wert einer Nachricht. Noch nie in der Geschichte der Menschheit hat man es für so wichtig wie heute gehalten, aktuell tatsachengetreu und umfassend informiert zu werden. So schreibt der britische Historiker A R N O L D T O Y N B E E : „Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, daß von der Antwort auf diese Frage (ob wir richtig informiert werden; d. Verf.) die Zukunft der menschlichen Gesellschaft im Atomzeitalter abhängt, wie immer die richtige Antwort auch lauten mag. c " K A R L J A S P E R S vertritt dieselbe Auffassung, wenn er schreibt, daß die Atombombe alle Menschen vernichten werde, wenn die Menschen nicht allen Ernst und alle Kraft aufböten, sich richtig zu informieren. 7 Einer der Hauptgründe für die Schwierigkeit sachgerechter Information ist die subjektive Einwirkung auf nahezu jede Nachricht. Sie wird nun einmal von Menschen übermittelt. Wortauswahl, Aufbau und Aufmachung sowie die innere Haltung des Mitteilenden bilden stets Quellen der Subjektivität. 8 Ferner ist zu berücksichtigen, daß die Nachricht jeweils nur einen Augenblickszustand wiedergeben kann, einen umzirkelten Teil des Ereignisses. Das gilt für die knappe Wortnachricht, aber erst recht für das stehende Bild, die Bildnachricht. Sie wird immer „punktuell" 9 berichten und belichten. Das aktuelle Ereignis kann aus der punktuellen Starre der Wort- und Bildnachricht in anschauliche Bewegung gebracht werden. Der Film10 leistet das. Er kann den ganzen Ablauf eines Ereignisses sozusagen reproduktiv im Laufbilde wiederholen. Die zeitliche Ereignisnähe freilich bleibt hinter der Aktualität von Zeitung und Rundfunk zurück. Höriunk und Fernsehfunk11 aber haben, wo sie unmittelbar (live) übertragen, das zeitliche Problem der Ereignisnähe überwunden. Sie haben eine freilich bedingte und fremdgesteuerte Ohren- und Augenzeugenschaft an die Stelle der bloß reproduzierenden Nachrichtengebung gesetzt. Bedingt insofern, als dem Hörer bei der Direktübertragung immer nur übermittelt ist, was auf den Sender genommen wird, und im Fernsehen, was von der Kamera auf den Schirm gegeben wird. Damit kann dem höchsten Wahrheitsstreben ebenso wie eindeutiger Fälschung gedient sein. Durch die Beschaffenheit des jeweiligen Mittels und die Einstellung des übermittelnden entstehen viele subjektive 0

7 8 9 10 11

W E R D E N WIR RICHTIG INFORMIERT? A . a . O . , S . 5 1 .

Ebd., S. 15. Ebd., insbes. S. 21 u. S. 59 f. — Vgl. auch DOVIFAT: Zeitungslehre. A.a.O. Bd. I, S. 64. TRAUB, H.: Grundbegriffe des Zeitungswesens. A.a.O., S. 24. Vgl. S. 252. Vgl. S. 258.

AKTUALITAT — GEGENWARTSWIRKUNG

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Fehlerquellen. Aus jeder Nachricht läßt sich in der Auswahl der Tatsachen, der Form, Fassung, Wortwahl und sprachlichen Gestalt, kurz: bei der flexiblen Dehnungsfähigkeit des Inhalts zu höchst subjektiven Wertungen übergehen. Die subjektive Gestaltung triumphiert von der ungewollten Färbung über die verantwortungsbewußte Führung bis zur glatten Fälschung. Man betreibt Nachrichtenpolitik12. Die Skala der Leistungen geht also von ernsthaft sachlicher Aktualität und zuverlässiger Information bis zur Verdrehung und Kopfstellung der Tatsachen. J e vollendeter die technischen Mittel sind, um so großartiger können sie für die Wahrheit zeugen, um so raffinierter vermögen sie aber auch zu lügen. So tragen sie Lügen und Wahrheiten bis in die breiteste Öffentlichkeit. 13 Wenn auch „Wahrheiten" immer schwer zu fassen sind, zu fordern ist Wahrhaftigkeit, d. h. der Wille zu sachlich zuverlässiger Wiedergabe des Tatsächlichen, wobei die bei Film, Funkhören und Funksehen viel größere Gefahr der Entstellung (Schnitt im Film, Tönung im Funk, Mischung im Fernsehen) sorgfältig zu berücksichtigen ist.14 Die wichtigste Vorsichtsmaßregel der Wahrhaftigkeit ist, so meint A R N O L D T O Y N B E E , das öffentliche Bekenntnis des Informanten zu der weltanschaulichen, religiösen, gesellschaftlichen und politischen Position, von der aus er urteilt.15 Außerdem fordert Toynbee, daß die Gesamtheit der Menschen sich in einer prinzipiellen Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge, Recht und Unrecht treffen: „Wir müssen uns auch bis zu einem gewissen Grade darüber einig werden, was wir nun faktisch für schlecht und recht, für falsch und wahr halten. Dies bedeutet, daß wir einen allgemein anerkannten Grundstock an Informationen brauchen, deren Wahrheit wir alle anerkennen. 16 " Bis zur Erfüllung dieser Forderung ist es noch weit.17 Um so dringlicher ist die wissenschaftliche Analyse. 1 2 U b e r den Begriff vgl. DOVIFAT: Zeitungslehre. A.a.O. Bd. I, S. 108. — Die Nachrichtenpolitik der F r a n k f u r t e r A l l g e m e i n e n hat HANS MAGNUS ENZENSBERGER in seiner Studie: „Journalismus als Eiertanz". Beschreibung einer A l l g e m e i n e n Zeitung für Deutschland, kritisch zu deuten versucht in: „Einzelheiten". Frankfurt a. M. 1962. Im Spätsommer 1963 v e r sandte die Frankfurter A l l g e m e i n e eine Broschüre, die Enzensbergers Darstellung entschieden und mit überzeugenden Gründen entgegentritt. Die A u s e i n a n d e r s e t z u n g zeigt die große Schwierigkeit, die auch der sachlichen und unabhängigen A r b e i t im Nachrichtenwesen entgegenstehen. 1 3 Vgl. DOVIFAT, E.: Publizistische Fälschungen und ihr dokumentarischer Mißbrauch. In: Journalismus. Schriftenreihe d. Dt. Instituts f. publizist. Bildungsarbeit. Bd. I. Düsseldorf

1960. 1 4 Vgl. dazu die Darstellung des W e s e n s und der Wirkungsmöglichkeiten der einzelnen publizistischen Mittel, S. 204 ff. 1 5 W e r d e n wir richtig informiert? A.a.O., S. 60. — Auch KARL JASPERS fordert: „Objektiv soll sie (die Information) auch die e i g e n e w e r t e n d e Auffassung mitteilen und dazu die fremden W e r t u n g e n berichten, die ihrerseits geistige Tatsachen sind." Ebd., S. 21. — Vgl. auch S. 195 der v o r l i e g e n d e n Arbeit. 16

TOYNBEE, a . a . O . , S . 6 2 .

ü b e r die vergeblichen Bemühungen der U N E S C O , dieser F o r d e r u n g zur allgemeinen A n e r k e n n u n g zu verhelfen, siehe S. 28 und Handbuch der Auslandspresse. Hrsg. v. Institut für Publizistik der F r e i e n Universität Berlin. Bonn, Köln und Opladen 1960, S. 14 ff. 17

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DIE GRUNDBEGRIFFE DER PUBLIZISTIK

Die harte und unmittelbare Nutzung der Aktualität, d. h. der dynamischen Ereignisnähe, bietet, geschickt berechnet und entschlossen gehandhabt, gefährliche Möglichkeiten zu überraschend plötzlichen publizistischen Erfolgen. Vom bloßen Bluff in Wahlkämpfen bis zum Reichstagsbrand von 1933, der die Gewaltmaßnahmen des Hitlerregimes rechtfertigen sollte, reichen die Möglichkeiten des sogenannten Nachrichtenschocks,18 In Auswahl und Form hat sich die Nachricht der Natur und der Erwartung der Empfänger anzupassen. Wie weit das, auch gegenüber dem Sensationsbedürfnis, geht, ist Sache der publizistischen Verantwortung. Die Publizistik wird je nach den vorherrschenden Stimmungen und Neigungen, den sogenannten „Trends", und je nach der Ereignisbedeutung für die Allgemeinheit die Aktualität in ganz bestimmter Fassung wirken lassen. Sie muß in der „breitesten Öffentlichkeit" ankommen. Das zu belegen, bedarf es kaum besonderer Beispiele. Sie treten alltäglich auf und werden um so wirksamer, je schneller und zuverlässiger und je angepaßter sie übermittelt werden. Daneben stehen die Aktualitäten subjektivindividueller Interessen, die bestimmten fachlichen Bezirken und Aufgaben gewidmet sind. Das sind Ereignisse großen öffentlichen, aber deshalb noch nicht allgemeinen Interesses (Exzentritäten jeder Art). Dabei gibt es Sachberichte in gediegener Form, ebenso wie schwindelhaft heraufgetriebene Aktualitäten. Man denke an den Unfug der Horoskope! Die ernsthafte Spielart aber, die Darbietung dessen, was eben subjektiv-individuell interessiert, bietet in der Angleichung an die jeweiligen Massenneigungen, Moden und Gewohnheit zugkräftige und unentbehrliche Leistungen, in allen publizistischen Mitteln, so in bestimmten Sparten der Zeitung, in Wochenschau und Dokumentararbeit des Films, im Rundfunk und Fernsehen, auf allen erdenklichen Gebieten subjektiven Masseninteresses auch ohne zwingende öffentliche Aktualität, „Öffentlichkeits-Interesse". Gesteigert wird die publizistische Wirkung aktueller Ereignisse durch ihren rechtzeitigen Einsatz. Er bleibt ohne Wirkung oder wird nicht einmal wahrgenommen, wenn die Öffentlichkeit dazu noch nicht reif und für die Aufnahme noch nicht vorbereitet ist. Er muß also „öffentlich bedingt" sein. Nur so kommt die Aktualität zum Zuge. Es müssen die Voraussetzungen, daß ein aktuelles Geschehen publizistisch wirksam zündet, vorhanden oder doch geschaffen sein. Beispiele für erfolglosen publizistischen Einsatz in einer unvorbereiteten Öffentlichkeit gibt die Geschichte genug. Die pazifistischen Aktionen der Sozialistischen Internationale konnten in den Sommerwochen 1914, vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, weder in Deutschland noch in Frankreich — wo J A U R È S bei diesen Aktionen sein Leben opferte 19 — Einfluß üben. Die bürgerlich-nationalen Kräfte beherrschten die Öffentlichkeit. Ihre Argumente und ihre aktuellen Aktionen 18 Vgl. dazu D O V I F A T : Publizistische Fälschungen und ihr dokumentarischer Mißbrauch. A.a.O., S. 42 ff. — Uber den Reichstagsbrand vgl. S. 27, Anm. 26. 19 Vgl. dazu WER WIE, B.: Jean Jaurès. Wesensbetrachtung publizistischer Aktion und Persönlichkeit. Diss. Berlin 1957.

AKTU ALITAT — GEGENWARTSWIRKUNG

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wirkten bis tief in die Reihen derer, die noch wenige Wochen vorher auf internationalen Tagungen vom „Sieg der Arbeiterbataillone" gesprochen hatten. Wirkungslos blieben — um ein anderes Beispiel zu nennen — in der englischen Politik des Appeasement (bis 1939) die harten aktuell-publizistischen Argumente Churchills gegen die Münchener Abmachungen von 1938. Der Versöhnungsglaube CHAMBERLAINS überwog noch in der britischen Öffentlichkeit. Erst die schockartigen aktuellen Ereignisse, die Angriffe HITLERS bewirkten die Wende. Kunst des Politikers wie des Publizisten ist es, die überzeugenden Tatsachen und wirkenden Aktualitäten im rechten Augenblick zu bringen. Auf die in den Reden CICEROS gehäuften Tatsachenbeweise der korrupten und verdorbenen Anhängerschaft Catilinas wurde schon hingewiesen. Sie wurden in dem Augenblick an die Öffentlichkeit gebracht, als die Öffentlichkeit durch die drohenden Ereignisse außerordentlich hellhörig war. Allen Revolutionen gehen provozierend aktuelle Fälle, wahre und falsche, erregend vorauf. Meist sind es Enthüllungen über sittliche und gesellschaftliche Verfehlungen, wie der Halsbandprozeß um MARIEANTOINETTE vor dem Ausbruch der Franzosischen Revolution, oder es sind provozierend gefaßte Nachrichten, die mit zündender Aktualität politische Erregung auslösen und alle Besonnenheit ausschalten. BISMARCKS Spiel mit der „Emser Depesche" gehört in dieses Kapitel. Drohende politische Aktionen, wie die angebliche Absicht der deutschen Kriegsführung im Oktober 1918, die deutsche Flotte vor der englischen Küste zu opfern, lösten die Novemberrevolution von 1918 aus. Als Nachrichten höchst aktuell in Umlauf gesetzte Gerüchte wirken, mit publizistischer Zugkraft schreiend aufgemacht, wie Dynamit20. Um Angriffskriege zu begründen, können derart explosive Nachrichten auch künstlich geschaffen werden. Durch die Technik der Greuelmeldungen begründete Hitler die Okkupation der Tschechoslowakei. Den Anlaß zum Angriff auf Polen schuf Hitler durch den von maskierten SS-Leuten ausgeübten „polnischen Handstreich" auf den Gleiwitzer Sender. 21 Selbst künstlerische Ereignisse, aktuell geboten, entwickeln publizistische Dynamik zu politischen Aktionen. BEAUMARCHAIS' „Figaros Hochzeit", ein mitreißendes Schauspiel, das die Franzosische Revolution entfesseln half, und die Aufführung der „Stummen von Portici" in Brüssel, die das aktuelle Startzeichen der belgischen Revolution von 1830 war, sind nur zwei Beispiele. Als tragisch und verhängnisvoll können sich die Versäumnisse einer Publizistik erweisen, die sich ihrer wirksamen Aktualitäten zu spät besinnt. Es war zu spät für ALEXANDER KERENSKIJ, 1917 den Versuch zu machen, auf die wahrhaft demokratischen Reformpläne zurückzugreifen, die noch das Zarenregime im Sommer

Vgl. dazu auch den V o r g a n g massenpsychologisch, S. 111. Eine g e n a u e Darstellung der Presselenkung zur Begründung Hitlers Kriegserklärung an Polen gibt SAENGER, F.: V o r 25 J a h r e n . Der W e g zum Krieg. Die Presselenkung in den letzten V o r k r i e g s t a g e n . In: Z V u Z V 1964, H. 40—41, S. 1736 ff. — ü b e r die Technik des „armen Angegriffenen", s. S. 132. 20

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DIE GRUNDBEGRIFFE DER PUBLIZISTIK

1914 vor dem Ausbruch des I. Weltkriegs entwickelt hatte. 22 Unter der notleidenden, kriegsmüden und lethargischen Bevölkerung widerstand niemand der rücksichtslosen Entschlossenheit der bolschewistischen Revolutionäre. Der aktuelle Wirkungspunkt einer Aufklärung über das kommunistische Regime war längst vorüber. Es war zu spät, als die Weimarer Demokratie schon im Niedergang noch einmal versuchen wollte, die wahre Natur der Hitlerei zu enthüllen. Die unter brutaler Ausnutzung der Wirtschaftsnot entwickelte Propaganda der Hitlersleute hatte bereits alle publizistisch noch zugänglichen Türen zugeschlagen. Spätestens mit Wiederaufkommen der Hitlerbewegung, also nach dem Wahlerfolg von 1930, wäre der aktuelle Wirkungspunkt einer Gegenbewegung gewesen. Ein harter publizistischer Kampf und die Veröffentlichung aktueller Argumente gegen Hitler, die damals bereits vorlagen, hätten eine aufklarende Wirkung erzielt. Die Stunde wurde nicht genutzt. Die Weimarer Republik scheiterte an der mangelnden Widerstands- und Angriffskraft ihrer politischen Führer in der aktuellen Abwehr der publizistischen Demagogie. In allen niedergehenden Zeiten fehlt es immer wieder an positiven, aktuell kämpfenden Gegenwirkungen. Es gebricht an der Kraft, bereits anhebende gesunde Reformen publizistisch durchzusetzen. Nach dem Abfließen revolutionärer Fluten tauchen solche Reformen — wenn sie der Zeit entsprachen — wieder auf. Sie werden dann zu Grundsteinen des brauchbar Neuen. Was die Weimarer Republik leistete, aber zu ihrer Verteidigung aktuell publizistisch nicht nutzte, — im Aufbau der Bundesrepublik ist es zum Teil anerkannte Wirklichkeit geworden. Es gibt echte und unechte Aktualitäten. Zu den unechten, die der Zeit nicht entstammen, sondern erst in sie heraufgeholt werden, gehören neumobilisierte historische Vorgänge. Mit mehr oder weniger Nachhilfe werden sie wieder lebendig. Die Spartakusaufstände, die Bauernkriege, die Weberrevolten, alle Ereignisse der Empörung gegen Gewaltherrschaften gehen in das aktuell-publizistische Propagandamagazin der kommunistischen Bewegung ein. Die gleiche Technik wandte die Hitlerpropaganda an. Indem sie K A R L D E N G R O S S E N zum „Sachsenschlächter" diffamierte, reaktualisierte sie mehr als tausend Jahre zurückliegende Vorgänge, um sie der von ihr bekämpften Kirche zur Last zu legen. Im Tone sittlicher Entrüstung prangerte man Greueltaten an, wie sie das Hitlerregime millionenfach größer verübte. 23 Natürlich gehört auch der Kult, der mit historischen Persönlichkeiten getrieben wird, ab- und aufwertend, zur Technik der Reaktualisierung, je nach Bedarf und Absicht. So können ebenso bestimmte Werbeformen und -figuren, Symbole, Wahrzeichen erneut zeitwirksam werden. Das gilt für das Hakenkreuz ebenso wie für das Liktorenbündel, das von der faschistischen Bewegung erneut erhoben wurde und 22 23

Vgl. dazu STEPUN, F.: Vergangenes und Gegenwartiges. 3. Bde. München 1947—50.

Vgl. dazu die Ausfuhrungen über die Wirkung des ethischen Entlastungstriebs in der Massenführung, S. 146 ff.

AKTU AL IT A T — GEGENWARTSWIRKUNG

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vieles andere. Auf Fahnen und Emblemen feierten all diese Formen eine Auferstehung zur politischen Wirkung für eine neue Massenbewegung.24 Eine besondere, publizistische Technik besteht darin, Aktualitäten, die man brauchen könnte, künstlich zu schaffen, um den Schock auszulösen, der erstrebte Wirkungen in der Öffentlichkeit erzielen soll. So wurde am 9. November 1918, um der neuen Regierung freie Fahrt zu geben, in Berlin die Abdankung des Kaisers verkündet, ehe sie überhaupt erfolgt war. So wurde versucht, eine gewalttätige Entwicklung aufzuhalten. Als — ein anderes Beispiel — erst wenige Kompanien der Truppen F R A N C O S beim Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs (Juli 1936) von Afrika auf das spanische Festland übergesetzt waren, ging der General Q U E I P O DE L L A N O an den südspanischen Sender und erklärte, alle Garnisonen seien bereits zu Franco übergegangen25. Das traf gar nicht zu, bezwang aber die Entschlußlosigkeit der zögernden Kommandeure. Der bekannteste Vorgang dieser Art, einer der verhängnisvollsten unter den künstlichen explosiven Aktualitäten, ist der Reichstagsbrand am 27. Februar 19335". Er schuf in der ohnedies ängstlich oder kochend erregten Öffentlichkeit die Stimmungs- und Aktionsvoraussetzungen wichtigste Verfassungsrechte aufzuheben27 und die Oppositionsführer zu verhaften. Indem die Nationalsozialisten ihren gefährlichsten Gegnern diese Brandlegung unterstellten, gelang es ihnen, sie in der Öffentlichkeit zu diffamieren, ihr Gewaltprogramm durchzusetzen und Beifall dafür zu finden (17,2 Millionen Stimmen für Hitler bei den Wahlen am 5. 3. 1933). Auch die kommunistische Weltpropaganda lebt heute zum großen Teil von künstlich geschaffenen, falschen oder mißdeuteten Vorgängen, für die man die kapitalistische Welt verantwortlich macht. Sie mobilisiert die Kräfte des Mitleids28 in den gerade hier leicht ansprechbaren Massen und nutzt deren ethische Grundhaltung aus. Die Kommunisten allein „wollen den Frieden". Sie sind die Anwälte der von ihren Gegnern angeblich „verletzten Menschenrechte", und jeder falschen oder mißverstandenen oder überhaupt erfundenen Aktualität. Auch im Ersten Weltkrieg machte die Technik mobilisierter Aktualitäten gefährlich Schule.29 Beispiele gezüchteter oder erfundener Schocks haben in allen propagandistischen Kämpfen der Geschichte eine nie zu unterschätzende Rolle gespielt.30 Skrupellos wird diese Technik dann genutzt, wenn man die Betroffenen mit Hilfe von Gewalt (brainwashing) oder Drogen dazu zwingt, über sich selbst die ungeheuerlichsten Falsch-

Vgl. das Kapitel über die Symbole, S. 239 ff. Vgl. dazu auch BRECHT, B.: Die Gewehre der Frau Carrar. Brecht nennt Queipo de Llano den Radiogeneral. 26 Der Streit, ob der Reichstag von Hitlerleuten angezündet wurde oder nicht, ist bekannt. Dazu sei hier nicht Stellung genommen. Jedenfalls zog das Hitlerregime aus diesem Brand die entscheidenden Begründungen schärfsten diktatorischen Vorgehens. 27 „Notverordnung zum Schutze von V o l k und Staat" vom 28. 2. 1933. 28 Vgl. S. 128. 29 Vgl. S. 272, Anm. 18. 30 PONSONBY, A.: Falsehood in war time. London 1928. 24

25

28

DIE G R U N D B E G R I F F E DER

PUBLIZISTIK

meidungen („Schuldbekenntnisse") auszusagen. 31 Versuche, falsche Aktualitätsschocks international aufzuhalten und abzutun, haben die UN vergeblich angestellt. Sie scheiterten am Widerstand der sowjetischen Mitglieder. 32 Schließlich sind in der Publizistik die Gegenwartswirkungen des Aktuellen nach den Stärkegraden zu unterscheiden. Maßvoll noch und unter vorsichtiger Erprobung des öffentlichen Erfolges, werden die zeitbestimmten Themen in den ersten Ansätzen junger Bewegungen vorgeführt. Sie erhalten vorläufige Fassungen. Sie bleiben eine Weile in ihrer Inkubation; sie zeigen sich noch wägend und zögernd. Aber sie suchen die Durchbruchstellen durch die Mauer der Widerstände, die Gewohnheit und althergebrachte Uberlieferung ihnen entgegenstemmen. 33 Aber wenn sie sich gefestigt haben, so brennen sie in der breitesten Öffentlichkeit los und entfesseln in der verbreitenden und erobernden Publizistik alle Energien, die Zeit zu bestimmen und ihre Spannungen zu nutzen. 34 Ein Erfolg stellt sich nur ein, wenn das Programm der neuen Bewegung, ihre Argumente, ihre Beweise, ihr „Material", aus unmittelbarster Gegenwart geschöpft, dem Gange der Zeit und ihren großen Spannungen entgegenkommen. Indem sie unausgesetzt ihre zeit- oder tagesbestimmten Werbungen vorträgt, führt die Publizistik ihre öffentlich geübte und öffentlich bestimmte Kraft mit den Aktualitäten zum Erfolg. Der Massenführer wird niemals müde, seinen Anhängern, ob er sie nun freiheitlich überzeugt oder terroristisch überwältigt, den Trank der Aktualität einzutrichtern. 35 Auch das zur Begründung von Meinungen aus dem aktuellen Geschehen gegriffene Tatsachenmaterial wird agitatorisch gestutzt und gedreht. Dieser dritten Nutzung aktueller Inhalte begegnen wir in der angreifenden und vernichtenden Publizistik 36 , in der Agitation. Von allen Mitteln der Massenführung wird diese am häufigsten geübt. Sie erreicht den größten Stärkegrad der Gegenwartswirkungen und zeigt in den Weltkämpfen der Propaganda die unheimliche Macht der Gewissenlosigkeit. Aus der Aktualität erhält die Publizistik Antrieb und Auftrag. In den Spannungen des Zeitgeschehens wird ihre Arbeit „öffentlich bedingt" und erhält die Zugkraft, „öffentlich bewirkt" zu werden. Sie erreicht dabei, je nach der Natur der publizistischen Mittel, in Bericht und Urteil eine gradweise gesteigerte Nähe zum Ereignis („höchst aktuell"), bis sie mit ihm zusammenfällt und ein mittelbarer Faktor („in actu") des Ereignisses werden kann (Live-Sendungen, Hörfunk, Sehfunk). Unmittelbarste Gegenwärtigkeit ist ihr Ziel, vorzeitige (nicht vorbereitete) und verspätete (verpaßte) Aktualität mißlingt. Wieder aktualisiertes historisches Geschehen, ebenso Ereignisse, die zur Schocklösung (sogenannte „Nachrichtenschocks") künstlich geschaffen werden, sind überraschend erfolgreich, besonders da, wo jede aufklärende Gegenwirkung unterbunden ist, wie in totalitären Systemen. In diesen Zusammenhangen steht nun das Problem der Gesinnungen an. 31 32 33 34 35 30

Vgl. S. 157. Vgl. Handbuch der Auslandspresse. A.a.O., S. 14 ff. Vgl. die Ausfuhrungen über die wegebahnende Publizistik, S. 55. Vgl. die Ausfuhrungen über die verbreitende und erobernde Publizistik, S. 61. Näheres darüber s. u. Massenführung, S. 117 ff. Vgl. die Ausfuhrungen über die angreifende und vernichtende Publizistik, S. 68.

29

GESINNUNG

6. G e s i n n u n g Unter den sechs Grundelementen der Publizistik nimmt die Gesinnung

einen

sehr b e v o r z u g t e n Rang ein. Sie tritt in j e d e m A k t publizistischen W o l l e n s führend auf. In den geistigen, seelischen, technischen und wirtschaftlichen Spannungen des „publizistischen Prozesses", dem dynamischen V o r g a n g : Sender — Sendung — Empfänger, w i r k t sie deutlich und bestimmend. Erst recht tut sie es da, w o sie, w i e so oft, v e r k a p p t und maskiert ihre Rolle spielt. Die Aktualität mag minder drängen, die Öffentlichkeit umgrenzt bleiben, die Form in W o r t , Schrift oder Bild mißlungen sein, an der Gesinnung darf es niemals fehlen. Es fehlt auch niemals an ihr in all den v i e l f ä l t i g e n M ö g l i c h k e i t e n des publizistischen Lebens. Sie findet sich in der V e r t e i d i g u n g höchster Menschheitswerte ebenso w i e im letzten publizistisch drapierten Dreck. Gesinnungsbestimmt ist selbstverständlich und v o r allem die politische zistik.

Publi-

Gibt es doch in der politischen Publizistik, das kann niemand bestreiten,

keine A k t i o n , die v o n ihren Urhebern nicht als gesinnungsmäßig edel und uneigennützig v e r t e i d i g t würde. Sie wurde es in all den geistigen Kämpfen, die zum Fortschritt der Menschheit beitrugen. A b e r auch alle Gewalttater, s o w e i t sie ihre „Machtergreifung"

publizistisch erkämpften, sprachen den moralischen

Grund-

w i l l e n der Massen an, kamen als „ B e f r e i e r " und barsten v o r edelmütiger Gesinnung. Es befreiten die Kommunisten v o n der „Herrschaft des Kapitals" und das H i t l e r r e g i m e v o n der „Herrschaft des Judentums", alle unter der F l a g g e

der

Menschlichkeit, der Ehre und Freiheit. A u d i in der A l l t a g s p r a x i s w e r d e n die Gesinnungen strapaziert und verdecken vielfach massiven Materialismus. So reklamieren manche der hochstprofitablen publizistischen Massenproduktionen im schlechten Deutsch der W e r b e s l o g a n s für sich den „Dienst am V o l k " , den „Dienst am Menschen", den

„Dienst an der

Jugend". Auch die rein geschäftliche, die privatwirtschaftliche W e r b u n g , die Reklame, hat der Publizistik die Zugkraft der Gesinnung abgeguckt und nutzt sie. Sie tut es freilich mit gelegentlicher Selbstironie, in ihrer Sorge um das W e i ß der Wäsche, die Kräftigung der N e r v e n , die Beruhigung der Gehetzten und den „Duft der großen W e l t " . Im Saisonverkauf ist ihre Gesinnung so opferbereit, daß sie W a r e „verschenkt" oder doch „fast verschenkt". Dabei tritt dann der W i t z zutage: der behauptete Gesinnungsanspruch schlagt in eine geschäftliche Gewinnabsicht um. D i e beste psychologische Deutung des Begriffs „Gesinnung" gibt PFÄNDER1: Gesinnung sei s o w o h l eine charakterliche Haltung w i e auch ein Streben, eine Absicht, eine „ V i r u l e n z " . Schon der Sprachgebrauch stellt das überzeugend klar. 2 Er spricht v o n „ g u t e r " und v o n „schlechter" Gesinnung, kennt den „gesinnungsfesten" und

1

PFÄNDER, A . : Zur Psychologie der Gesinnung. In: Jahrbuch für Philosophie und phäno-

menologische Forschung. Bd. III. Halle 1930. 2 V g l . zum Begriff „Gesinnung" und zum Folgenden: GRIMMS Deutsches Worterbuch. Bd. I V , 1,2. Leipzig 1897, S. 4122 und TRÜBNERS Deutsches Wörterbuch. 3. Bde. Berlin 1939,

S. 145 f.

30

DIE GRUNDBEGRIFFE DER PUBLIZISTIK

den „gesinnungslosen" Menschen, den Mann „edler Gesinnung" und den „Gesinnungslumpen". Eine Gesinnung zu haben wird ethisch einfach vorausgesetzt. Als in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die sogenannte „Generalanzeigerpresse" als eine politisch nicht bekennende Massenpresse aufkam, distanzierte sich die Verlegerschaft der alten Blatter von den neuen Unternehmen, indem sie sich „Gesinnungspiesse" nannte, den anderen aber, nach ihrem damaligen Start, die Bezeichnung „Geschäftspresse" gab. Der Gesinnungsbegriff ist immer ethisch gewertet, ehrlich oder unehrlich. Das ist nicht nur in der Publizistik so. Gesinnung als eine bestimmte „habituelle Grundhaltung" (Pfänder) gilt auch in der Pädagogik. Sie doziert „Gesinnungsfächer" (Religion, Deutsch, Geschichte) und naturwissenschaftliche Fächer. In der Politik begrüßen sich die „Gesinnungsgenossen", die „Gesinnungsverwandten" ( G O T T F R I E D K E L L E R : Die Leute von Seldwyla). Man rühmt die Gesinnungstreue und weiß, daß die „Gesinnungsreinheit" eine seltene Tugend ist. Danach wäre der Begriff zu umschreiben: Gesinnung ist eine charakterliche Grundhaltung, oft auch geneigt, ein Ziel anzugehen, eine Aufgabe zu lösen, ein Programm durchzusetzen oder zu zerschlagen. Gesinnung bejaht oder verneint, entbindet Liebe oder Haß in allen Graden und Dichtigkeiten. Im öffentlichen, insbesondere im politischen Leben erscheint die Gesinnung äußerlich immer als positive Kraft, bejahend bis zur Opferbereitschaft. Unter äußerer positiver Vorgabe aber erscheint sie innerlich in den Tatsachen oft negativ, bis zur vollen Irreführung. Der öffentliche Umgang mit der Gesinnung ist eine schwierige Aufgabe. Recht und kraftvoll in Bewegung gesetzt, ist sie „ glaubener wekkend" 3 , stärker und dauerhafter als Terror und Gewalt. Zum „Guten" und „Großen" angesprochen oder zu dem, was so genannt wird, kann Gesinnung hingabebereit bis zum Letzten sein. Später wird sie dann oft tragisch enttäuscht. Die 17,4 Millionen, die 1933 bei den letzten demokratischen Wahlen, unter der Gesinnungspropaganda der Nationalsozialisten, Hitler ihre Stimme gaben und auf die scheinethische Gesinnung hereinfielen, sind später zu Millionen an ihrer eigenen Entscheidung zerbrochen. Hat doch selbst die Persönlichkeit, die tapfer und mit voller Opferbereitschaft später den Versuch machte, Hitler zu beseitigen, G R A F V O N S T A U F E N 4 BERG, zu Beginn des Hitlerregimes nationalsozialistische Sympathien gezeigt. Auch jüdische Staatsbürger haben, von ehrlicher nationaler Gesinnung begeistert, mittelbar, durch deutsch-nationale Stimmen Hitler gewählt. (Wie dem Verfasser z. B. von bürgerlich-nationalgerichteten Persönlichkeiten des Berliner Judentums bekannt ist.) Ganz auf die Führung und Verführung durch ideale Gesinnung abgestellt zeigt sich der Propagandist des Hitlerregimes, J O S E F GOEBBELS, von Anfang an in seinen Argumenten. Wirksam erwies sich auch die Werbekraft der auf Ideo-

3 ARISTOTELES: Rhetorik, Kap. I; vgl. DÜRING, I.: Aristoteles. Darstellung u. Interpretation seines Denkens. Heidelberg 1966, S. 118 ff. 4 Vgl. ZELLER, E.: Geist der Freiheit. Der zwanzigste Juli. 4. vollst, neubearb. Aufl. München 1963.

GESINNUNG

31

logie und Ethos ausgerichteten kommunistischen Propaganda. Sie zog eine Fülle junger „Avantgardisten" an, die in den Schwierigkeiten und der Not des Weimarer Staates die demokratische Hoffnung aufgaben. Gesinnung war auch die snobistische, also egozentrische Haltung, die intellektuelle Kräfte in den Kommunismus trieb (Salonbolschewismus). Vielfach stießen die so oder anders für den Kommunismus gekaperten jungen Schriftsteller sich wieder von ihm ab, als sie Einsicht in seine eigentliche Gesinnung gewonnen hatten. 5 Der Gesinnungswandel in der Publizistik ist häufig. Er ist natürlich und keineswegs immer gesinnungslos. Vielfach beweist er ein ehrliches Gewissen und ist die Folge ernster innerer Krisen. Es müßten Publizisten geschichtlicher Größe ohne weiteres als Gesinnungslumpen gezählt werden, wenn dem nicht so wäre. ( A U G U S T I N U S , G Ö R R E S . ) Hinter ihnen geht die große Zahl derer, die vom Irrtum zur Wahrheit wandern, zu ihrer Wahrheit. Gesinnungswandel und Gesinnungswechsel ist nicht dasselbe. Sich gewandelt zu haben, und das zu bekennen, ist ehrlicher als ein Verbleiben im Zwielicht unter einer sich verfremdenden Ideologie. Es ist bitter, wenn das geschehen muß, um die wirtschaftliche Existenz zu erhalten, noch bitterer, wenn politischer Terror es erzwingt und der Mut, die Möglichkeit des Bruches, fehlt, oder der Bruch mit dem Leben bezahlt werden muß. Allerdings gibt es auch eine formal oft gekonnte zynische Publizistik. Sie verhöhnt bewußt jegliche Gesinnungsbindung. Hinter ihr steht gähnend das Nichts. Das ist dann auch eine Gesinnung, die Gesinnung der Negation. Schließlich gibt es eine rein von der Zweckmäßigkeit oder dem geschäftlichen Gewinn geleitete Gesinnung. In ihren Dienst treten oft große Begabungen, und sie wissen warum. Dann gibt es noch die feige und schmierige Manteltragerei, deren Wesen Schmock in G. F F R E Y T A G S Lustspiel „Die Journalisten" (1853) so köstlich formuliert: „Kann schreiben rechts, kann schreiben links, kann schreiben nach jeder Richtung . . . " In der Publizistik unserer Tage, die überwiegend Massenpublizistik und heute weitgehend Informationspublizistik ist, steht das Gesinnungsgebundene nicht mehr so klar vornean. Das Gesinnungsproblem stellt heute die Aufgabe, Massen auszurichten. Sei es, daß sie, sehr einfach, unter totalitärem Gebot, sei es, daß sie, sehr schwierig, unter der Freiheit und im politischen Pluralismus der Demokratie anzusprechen sind. Die Masse, soweit man bereit ist, ihr eine Gesinnung zuzusprechen, gehorcht einfachen Gesetzen. Sie hat eine Art Gesinnung, eine moralische Emphase. In der ihr fehlenden Ausdruckskraft und uneignen Manövrierbarkeit bezeugt sie, daß sie von einem moralischen Grundwillen erfüllt ist.6 Sie will nicht belogen und nicht betrogen werden. Sie reagiert jäh, wenn sie glaubt, es zu sein. Darum eben tritt jede Massenführung immer im Gewände moralischer Gesinnung auf, so übel die Haltung sonst auch sein mag. Daher startet jeder, auch der verbrecherische Krieg, unter ethischer Begründung. Aus gleichem Grunde 5

S o ARTHUR. KOESTLER, IGN. SILONE, ANDRE GIDE, STEPHAN SPENDER U. a . — V g l . D i e p u -

blizistische Persönlichkeit, S. 40 ff. c Vgl. hierzu S. 143.

32

DIE GRUNDBEGRIFFE DER PUBLIZISTIK

geht in der Welt totalitärer Härte die gesinnungsmäßige, d. h. die ethische Diffamierung einer Persönlichkeit ihrem politischen Sturz immer vorauf. Als eine „korrupte Existenz" wird sie beseitigt und fällt dann unter dem erzwungenen Konsens der Massen. Man sei erinnert an die Säuberungsaktion S T A L I N S gegen die „Trolzkisten" (1936/37) und die Erledigung der politischen Gegner durch den Nationalsozialismus. 7 Die Formen und Richtungen, die in der Massenführung der Gesinnung gegeben werden, liegen fernab von der Filigranarbeit tiefenpsychologischer Analysen. Alle Massenvorgänge bleiben bis auf Ausnahmen unkompliziert. Meist sind sie deutlich beim Namen zu nennen. Welches sind diese Gesinnungen? Aufzublicken, zu feiern, zu verehren, ist die eine große Gesinnungsrichtung in der Massenführung, aufzublicken zu erfolgreichen Persönlichkeiten, oft in ausbrechender Bewunderung. Diese Gesinnung steckt eigentlich in allen Massen. Oft ist das unaufgeschlossen der Fall, kann aber geweckt und kultiviert werden. 8 Sei es, daß sie dynastische Gefühle konserviert oder einen Mann — wie es heute heißt — „aufbaut", einen Führerkult also bewußt züchtet (Adolf-Hitler-Plätze, -Straßen und Schulen wurden sofort nach dem Beginn des Hitlerregimes in Spekulation auf das Verehrungsbedürfnis der Massen geschaffen). Umgekehrt können die heraufschauenden Gesinnungen aus der politischen Ohnmacht, aus dem Gefühl der Unterlegenheit, der Vergewaltigung, dem wirklichen oder propagandistisch angeheizten Bewußtsein der Unterdrückung zu fanatischem Haß gegen die Träger der Macht oder des Machtmißbrauches emporgetrieben werden. Alle Aufstände erwachsen aus solchen Gesinnungen, die politischen vor allem. Aus allen revolutionären Aktionen ergeben sich die Beispiele von derartigen kämpferischen Kräften. Sie werden in der Gegenwart oft reaktualisiert. 9 Andererseits wächst aus dieser Gesinnung auch der Stolz der Verfolgten, die Zuversicht in den kommenden Sieg: „Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten, sie haben eine Welt zu gewinnen . . .", so im „Kommunistischen Manifest" (1847). Hitler baute agitatorisch die „Herrschaft der Juden und Judengenossen" auf, um die angreifenden Gesinnungen auszulösen. Besonders erfolgreich ist immer der persönliche Angriff. Weil er das Menschliche und damit das jedem Verständliche herholt, fallen Viele schon aus boshafter und schadenfroher Gesinnung dieser Zugkraft zum Opfer. Die diabolische Gewalttätigkeit des Judenhasses ist im Hitlerregime bewußt aus dem Minderwertigkeitsbewußtsein der Masse errechnet. Sie ist das Zeugnis niederer, herabblickender Gesinnungen einer alten Technik, auch im religiösen Fanatismus tritt sie immer wieder auf. Herabblickende Gesinnungen lösen aber keineswegs nur den Haß, sie lösen auch die zweitstärkste Emotion in der Reihe der massenwirksamen Gefühle aus: das Mitleid.™ Bei den großen, die Massen erregenden Ereignissen in Kriegen, Kata7 8 9 lu

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

hierzu S. 157. hierzu S. 143. S. 122. die eingehende Begründung S. 128 f.

GESINNUNG

33

Strophen, Notzuständen bewirkt das Mitleid eine bewundernswerte Hilfs- und Rettungsbereitschaft. Es erhebt sich die Menschenliebe, aus der Macht des Gewissens. Auch sie kann freilich sofort wieder in die Mache genommen, des Adels freier Bereitschaft enthoben und in totalitären Regimen zur künstlichen Zwangserscheinung herunterterrorisiert werden. Es ist kaum nötig, für beide Vorgänge Beispiele zu nennen. Da sind die freiwilligen Hilfen aus wahrhafter Gesinnung, die Katastrophenhilfen, „Brot für die Welt", „Misereor", Hamburger Flutkatastrophe usw. Leicht terroristisch bestimmt, erscheinen in den totalitären Sphären ethisch begründete, aber zwangsweise geleistete Hilfsbewegungen (Winterhilfe, Volkssolidarität). Auch verhärtete gesellschaftliche Bräuche, Sitten, Gewohnheiten, Traditionen können zu Gesinnungszwang führen und erscheinen doch nach außen freiwillig. Die Vielfalt der „Gesinnungsrichtungen" ist kaum zu überschauen, in jedem Falle sind sie immer, ober- oder unterhalb einer moralischen Null-Linie, ethisch gemessen. In der Praxis der publizistischen Mittel sind die Gesinnungen konkret zu beobachten. Unverfälscht stehen sie in dem frühesten aller Mittel publizistischer Führung: in der Überzeugung durch Tat und Opfer, durch Leistung und Beispiel. Daher hier ihre stärkste Werbekraft, die des Martyriums. Berühmtes Vorbild der letzten Jahrzehnte: die Publizistik G A N D H I S . " Allerdings ist auch in diese Form der Werbung bereits die technische Spekulation eingebrochen. Der einstmals erschütternd realistische, das Mitleid spontan erzwingende Marsch hungriger Menschen, ist als „Hungermarsch" heute organisiert. — Für die Rede, wenn der Redner nicht schauspielert, ist die Gesinnung das Geheimnis des wahrhaftigen und bleibenden Erfolgs, mehr als alle rhetorische Dekoration. Mit der Schrift als publizistischem Mittel geraten die Gesinnungen in den Bereich der technischen Eigenständigkeit. Das publizistische Ziel wird kunstvoll in Lettern dargeboten und hatte sofort, als es so aufkam, große Wirkung. Das „gedruckte Wort" imponierte durchschlagend und fand nur Gläubige. Stolz hat das 15. Jahrhundert die Erfindung G U T E N B E R G S eine „ars artiiicialiter scribendi" genannt. Das „Artificialiter" überzeugte so, daß ohne weiteres als wahr angenommen wurde, was sich so darbot. Um so empfindlicher war die Gegenwirkung, als man dahinter kam, daß dieses „Künstliche", dieses technisch Bewirkte, dieses Präparierte, dieses „artificialiter" übermittelte einen Teil seiner Natur auch an die Stoffe und Aufgaben abgab, deren Ausdruck es sein sollte. Und man erkannte, daß die praktische Anwendung gerade dieser Technik oft skrupellos genutzt wurde. Die Enttäuschung reagierte mit dem Wort „Gelogen wie gedruckt" (Ende des 16. Jahrhunderts). Dies nun ist eine publizistisch sehr gewichtige Tatsache: In allen publizistischen Mitteln 12 ist das technisch, das artificialiter Bewirkte, die von 11

Vgl. S. 205. Wir haben heute die „ars artificialiter pingendi" (Photo), „agendi" (Film), „dicendi" (Rundfunk). Eingehende Belege über die Wirkung des „artificialiter" in der Publizistik vgl. die Kapitel der „Praktischen Publizistik" u. a., S. 231, Anm. 1 ff. 12

3

Publizistik I

34

DIE GRUNDBEGRIFFE DER PUBLIZISTIK

dorther kommende Beigabe gesinnungsmäßig zur Steigerung oder auch Verfälschung der Wahrheit von richtunggebender Bedeutung. Ein gewisser Endpunkt des artificialiter ist im Fernsehen erreicht. Wir sehen nur, was man uns zeigt, was die Kamera oder der Mann am Mischpult uns auf den Schirm bringt. 13 So kann das artificialiter im publizistischen Eindruck große Wahrhaftigkeit oder ebenso große Entstellung bringen. Hier beweisen auch die jüngsten publizistischen Mittel, und sie ganz besonders, daß gerade ihre Technik gesinnungsmäßig mitbestimmt. Diese Skizze der Gesinnungskräfte wird bei der Darstellung der publizistischen Mittel ausführlich gegeben und angewandt. Auch die Andeutungen zeigen schon, wie stark die Kraft der politischen Führung in den jüngeren Techniken ist. Darum zu wissen, sollte längst Gemeingut sein. Die eigentliche Größe der publizistischen Leistungen wie ebenso die Gefahr ihres Mißbrauches sind noch keineswegs den Millionen bewußt, die ihnen ausgesetzt sind. Ihre Macht wird erst dann im demokratischen Sinne zuverlässig sein, wenn der Charakter der artificiales und die Gesinnungskräite, aus denen sie genutzt werden, klar im Bewußtsein aller stehen. Ob diese Gesinnungen über oder unter der moralischen Null-Linie liegen und wo diese Linie selbst läuft, das wird sich nach den ethischen, den religiösen und auch den politischen Grundüberzeugungen der Zeit ergeben. Sehr heilsam ist es — das sei wiederholt —, wenn sie in demokratischer Aussprache geklärt, gegebenenfalls erkämpft und nicht nur demoskopisch festgestellt werden. Zusammengefaßt: Alle Publizistik ist gesinnungsbestimmt. J e grandioser die publizistischen Mittel sich entfalten, um so grandioser können sie der Wahrheit dienen oder sie aufheben und in ihr Gegenteil kehren. Auf die Gesinnung kommt es an.

7. Überzeugung oder kollektive Ausrichtung Da es das Ziel jeder Publizistik ist, die Angesprochenen zu Tun und Handeln zu führen, sind auch die Wege dazu niemals nur Selbstzweck. Ihnen allein die Aufgabe zu setzen, Nachrichten zu verbreiten, Meinungen, „öffentliche Meinungen" wachzurufen, hieße, sie auf einer Vorstufe stehenlassen. Wenn auch noch so interessante Diskussionen angestiftet werden, das Ziel ist damit nicht erreicht. Was sind denn schon „Meinungen"? Bestenfalls Vorziele: sie können zu entschlossenen Handlungen der Angesprochenen führen, können aber ebenso in breitem Klatsch und snobistischer Selbstbespiegelung verrinnen. Damit wäre das Ziel verpaßt, durch Meinen und Wollen schließlich zur Tat zu bewegen — und sei es nur zur Abgabe eines Stimmzettels. Die Tat aber ist die Krone jeder publizistischen Aktion. Ansporn, Begeisterung, Leidenschaft zur Tat zu geben ist das Endziel der Publizistik, ob sie die Tat nun 13

Vgl. S. 258.

OBERZEUGUNG ODER K O L L E K T I V E

AUSRICHTUNG

35

in demokratisch freier Überzeugung oder in totalitärer Ausrichtung vor sich gehen läßt, darin unterscheidet sich die freie demokratische von der gebundenen totalitären Publizistik.1 Überzeugung, so deutet G R I M M den Begriff2, ist das Durchdrungensein von einer Wahrheit, deren „Zeugen" über jeden Zweifel gesiegt haben. Auch logisch schließt sie im Urteil Gewißheit und Einsicht ein. Darauf zu vertrauen, daß einmal eine Zeit kommen könnte, wo der Einzelne, eine Masse, ein Volk, j a die Menschheit einfach durch klare rationale Argumente angesprochen, überzeugt und zu zweckmäßigem Handeln geführt werden könnten, hieße an Utopia glauben. Äußerst mannigfaltig sind die Urteile und Vorurteile, die Triebe und die Antriebe, die Widerstände und Leidenschaften, die berücksichtigt werden müssen, soll eine Masse, ein Volk durch publizistischen Appell zu bestimmten Handlungen und Haltungen bewogen werden. Was aber auch immer dieses Ziel ist und wie geartet auch die mobilisierenden Motive sein mögen, sie in den Köpfen und Herzen der Einzelnen wie der Massen durch die publizistischen Mittel so zu verdichten, daß der Entschluß zur Tat reift, ist erforderlich, wenn die publizistische Aufgabe sich bis zu ihrem letzten Ziel erfüllen soll. Somit wäre festzustellen: Jede publizistische Aktion muß in den Angesprochenen so verdichtet werden, daß nicht nur Meinen und Wollen, sondern Tun und Handeln ausgelöst werden („Persuadität": überzeugungs- und Wirkungskraft aller Publizistik). Die Kraft und die Wirkung der publizistischen Aktion kann sich — um zunächst die Grenzen zu bezeichnen — auf zwei Wegen vollziehen: durch freie rationale Überzeugung oder emotional wirksamen Glauben einerseits, durch kollektiven Zwang andererseits. Beide Methoden sind an sich in beiden politischen Grundsystemen möglich. Dabei steht aber die freie Uberzeugung als Grundprinzip im Ethos der Demokratie. Die totalitären Systeme hingegen geben jeder publizistischen Aktion ein im voraus festgelegtes doktrinäres Ziel.3 Zwar suchen auch sie es durch rationale Uberzeugung oder gläubige Begeisterung oder leicht gezielte Terrorwirkung den Massen als naturgemäße Bestimmung einzuhämmern, sie verhüten aber durch kollektiven Zwang jegliches Ausweichen in eine andere Richtung. Die Wege zur publizistisch bestimmten Tat bewegen sich somit in der Demokratie

1 Gerade die totalitär bestimmte Presse, z. B. die Presse sowjetischer Haltung, ganz und allein ausgerichtet auf die Festigung der sozialistischen Basis, begnügt sich unter keinen Umständen mit der „Meinungs- und Bewußtseinsbildung". Mit aller Entschiedenheit stößt sie „zur Willensbildung vor, um Handlungen auszulösen". Vgl.: Die Presse kollektiver Organisator der sozialistischen Umgestaltung. 3. Pressekonferenz des ZK der SED am 1 7 . und 1 8 . 4 . 1 9 5 9 in Leipzig. Berlin (Ost) 1 9 5 9 . — Siehe hierzu auch KRAUSZ, G.: Dem Verbandstag entgegen. In: Neue Deutsche Presse 1959, H 5. — Hierzu und zu dem Folgenden vgl. weiter die Darstellung und Materialsammlung bei H E R R M A N N , E. M.: Zur Theorie und Praxis der Presse in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Bd. 2 der Abhandlungen und Materialien zur Publizistik. Berlin 1963. 2

3'

Vgl.

GRIMMS

Deutsches Wörterbuch, Bd. XI, 2, Leipzig 1936, S. 674 f.

36

DIE GRUNDBEGRIFFE DER PUBLIZISTIK

grundsätzlich über die Freiheit, in der totalitären Welt dagegen münden sie in die Einbahnstraße einheitlicher Ausrichtung. Wenn also die Publizistik ihre edelste Form immer darin findet, die psychologische Verdichtung zum Tatentschluß durch freie Überzeugung herbeizuführen, so werden doch auch in der Demokratie Überzeugungen keineswegs immer auf dem hohen Forum einer freien Aussprache und in geistiger Erkenntnis geformt. Audi in einer freiheitlichen Staatsordnung sublimiert sich die publizistische Tatbereitschaft über viele, kaum kalkulierbare Einwirkungen. Darunter höchst materielle: gegebene oder befürchtete Abhängigkeiten, gesellschaftliche Vorurteile, Sitte, Tradition, eingefahrene Regelungen, Gewohnheiten. Aus allem zusammen braut sich unter der publizistischen Einwirkung schließlich der Tatentschluß zusammen. In der Darstellung der Kräfte und Mittel der Massenführung werden diese Faktoren zu untersuchen sein. 4 Auch in der Demokratie kann der in Freiheit gedachte Vorgang verdrängt werden durch emotionale Triebregungen. Sie reichen von den Verführungen durch die „hidden persuaders" 5 bis zu sturem Fanatismus und vollendetem Massenwahn. Wie hätten sonst Hitler und mit ihm fast alle Diktatoren der jüngeren Zeit über demokratische Systeme in die Macht steigen können. Eigentlich verbieten sich in der Demokratie solche Vorgänge. Jedenfalls dürften sie, auch wenn sie sich in der Öffentlichkeit vollziehen, nicht als „freie" Formen der Überzeugung bezeichnet werden. Wenn die Willensfreiheit der Person nicht mehr gewährleistet ist, also wenn, wie sehr oft in den Formen der verbreitenden und erobernden Publizistik 8 (Propaganda), unbewußte Vorgänge bestimmend werden, kann von Freiheit kaum noch die Rede sein. „Frei sind wir nur, soweit bewußte Vorgänge unser Leben regieren. 7 " Es ist die Schwäche der Demokratie, daß sie sich —• in Freiheit — mit ihrer eigenen Methode ums Leben bringen kann, wie der Untergang der Weimarer Republik beweist. Im totalitären System wird von vornherein Sorge getragen, die Möglichkeit dieses Selbstmords auszuschließen. 8 Der Mensch gerät bewußt oder unbewußt in die von einem Seeleningenieur geleitete Maschinerie allgegenwärtiger permanenter Propaganda. Jede freie Information ist ihm verboten. Es soll ihm jede Möglichkeit genommen werden, anders zu denken, anders zu wollen, als es 3 „Parteilichkeit" ist das oberste Prinzip der marxistisch-leninistischen Pressetheorie. Vgl. hierzu HERRMANN, a.a.O., S. 41 ff. u. S. 51; und insbesondere H E C H T , G.: Sprachregelung in der Sowjetischen Besatzungszone. Berlin 1961. — Ferner ERFURT, E . - R . : Nachrichtenpolitik in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Diss. Berlin 1957. — Für die allgemeine Übersicht: R I C H E R T , E . u.a.: Agitation und Propaganda. Das System der publizistischen Massenführung in der Sowjetzone. Schriftenreihe des Instituts für politische Wissenschaft. Bd. 10. Berlin und Frankfurt a. M. 1958. 4 Vgl. S. 111 ff. 5 Vgl. dazu PACKARD, V.: Die geheimen Verführer. Der Griff nach dem Unbewußten in jedermann. Ullstein-Buch Nr. 402. Berlin 1963. 6 Vgl. S. 61. 7 Es ist dies auch die einzige Freiheit, die die Psychoanalyse anerkennt. Vgl. KUBIE, L. S.: Psychoanalyse ohne Geheimnis. Hamburg 1956. 8 Vgl. S. 166.

ANSCHAULICHKEIT UND EINDRINGLICHKEIT

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vorgeschrieben ist." Gewiß verfallen viele, suggestiv überwältigt der vorgeschriebenen Linie und handeln danach. Viele folgen auch aus Bequemlichkeit, Gleichgültigkeit und Dummheit. Äußerer Widerstand wird durch die kollektive Geschlossenheit, in der Tun und Handeln vor sich gehen, ausgeschaltet. Der innere Widerstand wird nicht zuletzt durch die oft enthusiastische Begleitmusik 10 , eine terroristisch gesteuerte und erhitzte Begeisterung gebrochen, die es unmöglich macht, sich auszuschließen. Uber allem aber klingt der Cantus firmus aller totalitären Systeme: der Terror.11 Angst lähmt nicht nur, sondern lenkt auch jede Handlung. Ob nun die wirtschaftliche Existenz oder die Sicherheit der Familie auf dem Spiele stehen oder der Verlust der persönlichen Freiheit droht, niemals haben die Menschen unter totalitären Diktaturen die Möglichkeit rechtlicher Gegenwehr gegen Strafen, die von der Schutzhaft über das KZ bis zur Gehirnwäsche 12 , reichen. Empfindliche Menschen retten sich angesichts dieses Terrors oft in den Selbstbetrug 13 , oder sie zerbrechen und gehen zugrunde. Man muß diesen Terror einbeziehen, wenn man die Wirkung totalitärer Agitation verstehen will. Die publizistischen Aktionen, die die umworbenen Massen zur Tat bewegen sollen, sind oft nur die geistige Maske, hinter der sich die mit höchst ungeistigen Zwangsmitteln arbeitende Radikalität verbirgt.

8. Anschaulichkeit und Eindringlichkeit Ohne Eindringlichkeit und Anschaulichkeit ihrer Form und ihres Ausdrucks vermag keine Publizistik etwas zu leisten. Die Form ist für jede publizistische Aktion das Mitentscheidende. Sie ist der Schlüssel, der öffnet. Die technischen Mittel der Publizistik haben in den letzten Jahrzehnten an Schnelligkeit, Weite der Verbreitung und Tiefe der Wirkung gewonnen. Aber auch die älteren Formen sind innerlich erstarkt. Sie vermögen immer breitere Massen anzusprechen und tragen in die weiteste Öffentlichkeit, was noch vor fünfzig Jahren nur in engen Kreisen umlief. Eine alte publizistische Erfahrung lehrt, daß die publizistischen Mittel sich der Breite der Öffentlichkeit anpassen, die zu erfassen die geistige und politische Aufgabe der Zeit gebietet. Zu gegebener Stunde sind die neuen technischen Mittel da. So der Buchdruck mit dem Beginn der individuellen Anteilnahme auch des 8 Sehr anschaulich vorgeahnt ist dieser Zustand in der modernen angelsächsischen Romanliteratur. So bei ORWELL, G.: Nineteen Eighty Four (London 1949) und bei HUXLEY, A.: Brave New World Revisited (London 1932). — Vgl. auch: BORINSKI, L., U. G. KRAUSE: Die Utopie in der modernen englischen Literatur. Frankfurt a. M., Berlin, Bonn 1958. 10 Vgl. S. 124. 11 Vgl. S. 125. 12 Vgl. S. 157. 13 Vgl. dazu die massenpsydiologische Erscheinung des ethischen Entlastungstriebs, S. 146.

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Einzelnen am öffentlichen Leben und am Ende der mittelalterlichen Bindung. So sind auch die modernen Rotationen, Film, Rundfunk und Fernsehen typische Techniken eines Zeitalters, das Massen ansprechen und führen muß. Die Öffentlichkeit selbst ist in Weltweite wach. Große Teile der Milliardenbevölkerung der Erde sind unausgesetzt bemüht, sich zu unterrichten, auf die publizistischen Mittel zu horchen. Ohne diese Mittel zu beherrschen kann heute kein Politiker sich durchsetzen1. Jeder politisch denkende Mensch ist fortlaufend mit den publizistischen Informationen und Sendungen (im weitesten Sinne) verbunden. Selbst der politisch Nichtinteressierte bleibt mindestens auf das ihm gerade nahe Teilgebiet aufmerksam oder aber er wird von der Unterhaltung erfaßt, die mit den publizistischen Mitteln meist verbunden ist. Er unterliegt dann, oft unbewußt, den dort ausgespielten publizistischen Einflüssen 2 . Zuerst muß der Publizist selbst ein Mann der Form und des Ausdrucks sein. Mindestens eine der hier gegebenen vielfachen Möglichkeiten muß er beherrschen. In Wort und Bild Vorstellungen wachzurufen und Gedanken in Bewegung zu bringen ist seine Aufgabe, ehe die eigentliche Argumentation überhaupt anfängt. J e nach der Natur der Umworbenen, seinem Ziel und seiner Gesinnung arbeitet er sachlich überzeugend oder gefühls- und stimmungsmäßiger bewegt oder in skrupelloser Demagogie. 3 In der Behandlung der Form ist also auch das zu berücksichtigen, was an formalen Techniken da angewandt wird, wo es nicht um nobele, ehrliche Überzeugung, sondern um Überwältigung des Einzelnen oder der Massen geht. Form ist hier also keineswegs nur künstlerisch oder gar ästhetisch auch nicht moralisch bedingt. Aus rationaler Berechnung ebenso wie aus instinktsicherem Trieb werden massenpsychologische Führungsformen entwickelt. 4 Dabei geht die Leistung weit über das unmittelbar persönliche Tun hinaus. Die modernen publizistischen Aktionen setzen umfassende organisatorische Mittel ein. Sie beschäftigen Tausende von Menschen. Sie ziehen auch die Kunst in ihre Aufgabe ein, aber nur als eine publizistische Technik unter anderen. Bauten und Bilder, Musik und Theater 5 treten in den Dienst der Propaganda. Sie sind dann ihrer eigentlichen Wesensaufgabe entfremdet und werden streng auf den publizistischen Zweck ausgerichtet. Gewiß ist die persönliche Gestaltung der Form auch hier noch ungeschmälert Voraussetzung. Auch wo die Elektronentechnik regiert, ist es die Persönlichkeit, die sie lenkt und ein Millionenpublikum anspricht. Wenn sich dem Redner der Versammlungsraum zur Weltweite dehnen soll, bedarf er des klugen Umgangs mit dem Mikrophon und im Fernsehen eines gewandten Verhaltens vor der Elektronenkamera. Die Kamera kann ihn abwerten oder aufwerten in Anwendung der 1 2 3 4 5 6

Vgl. Die publizistische Persönlichkeit, S. 40. über die Rolle der „Unterhaltung" in der Publizistik s. S. 90. Vgl. die Darstellung der publizistischen Persönlichkeit, S. 48. Näheres darüber S. 108 f. Vgl. hierzu die Darstellung der publizistischen Mittel, S. 215. Vgl. dazu S. 33.

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künstlichen Mittel („artificiales"). 9 Die Rede selbst, einst stundenlang packend und mitreißend vorgetragen, hat ihren langen Atem verloren und fügt sich der Kurzatmigkeit unserer Zeit. Sie fesselt die Hörer heute mit knappen, einprägsamen, gefühlsgeladenen Wortprägungen, die dann gleich Losungen umlaufen. 7 Sie geben der Sache, um sie zu beflügeln, das Menschliche bei. 8 Damit ist eine verwandte Form des in der Sache harten Schlagworts gefunden, das im übrigen mehr Sprossen treibt als je zuvor, so z. B. in allen Formulierungen des Kalten Kriegs. Auch die geschriebene Publizistik steht in ihren alten Formen vor neuen Aufgaben. In einer fast unbegrenzten Weite der Verbreitung erreicht sie über die Rotationen in der Zeitung, den Tief- und Farbdruck in den „Illustrierten", im Flugblatt, der Streitschrift, dem Paperback eine Millionenleserschaft. Diese Leserschaft anzusprechen erfordert wiederum Begabungen besonderer Art und Anpassung. Unerläßliche Voraussetzung für jede publizistische Leistung ist heute eine solide wirtschaftliche Grundlage. Nur sehr wenige, auf primitiver Zivilisationsstufe sich vollziehende publizistische Direktaktionen, z. B. in Entwicklungsländern, vermögen noch ohne oder doch fast ohne diese wirtschaftliche Grundlage auszukommen. Einst sind große publizistische Impulse in opferbereiter Arbeit einzelner Weniger in Fahrt gekommen. So die Sklavenbefreiung in den USA und die großen christlich-sozialen und sozialistischen Bewegungen. Aber auch die schönsten Formen publizistischer Gesinnung für noch so hohe Menschheitswerte müssen heute „finanziert" sein, ob sie nun in Schrift, Wort, im stehenden oder im bewegten Bild sich auf den Weg machen. Unter den publizistischen Formen hat das Bild den vielleicht triumphalsten Aufschwung genommen." Es konnte den psychologischen Vorgang, publizistische Inhalte aufzunehmen, weitgehend umgestalten. Erkenntnisse und Vorstellungen, früher durch Begriffe mühsam erworben, werden heute komplex durch das Bild übermittelt. Das geschieht im Fernsehen mit den nicht live gesendeten Stoffen (für die andere Voraussetzungen bestehen), vor allem aber im Film mit der Bewegung der überdimensionalen und im „Kino" entspannend abgerollten Bilder.10 Für das stehende Foto mit all seinen herrlich wahrhaftigen und ebenso teuflisch fälschenden Möglichkeiten gilt das gleiche.11 In der Karikatur schließlich nimmt die kämpfende Publizistik unmittelbare Eindringlichkeit an. Graphisch am lautesten ruft jedoch das Plakat, dem die Bilderreihen und Comics 12 , womit wir auf der untersten Stufe der Bildpublizistik angekommen sind, an schreiender Wirkung nicht nachstehen. Erst recht bedürfen all diese Formen der Publizistik der Finanzierung. 7 Vgl. Slogans, „bon mots", aktuelle, fest einprägsame Kurzformen der Rede in deren Darstellung, S. 224. 8 Uber diese Technik, die der ermordete Präsident K E N N E D Y ebenso beherrschte wie der gestürzte sowjetische Ministerpräsident C H R U S C H T S C H O W siehe die Darstellung Rede, S. 227. 9 Näheres über diese Entwicklung siehe die Darstellung Bild, S. 245. 10 Vgl. dazu die Darstellung Film, S. 252. 11 Vgl. S. 250. 12 Vgl. S. 265.

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Sie vollzieht sich um so leichter, je mehr die Eindringlichkeit und Anschaulichkeit der Form gewonnen ist. Zusammenfassend sei festgehalten: Eindringlichkeit und Anschaulichkeit der Form sind entscheidend für das Gelingen jeder publizistischen Arbeit. Die Publizistik tritt in der modernen Massengesellschaft großorganisatorisch auf, technisch weittragend, wirtschaftlich (oft mit reinem Geschäftsinteresse) fest fundiert, aus der Grundlage persönlicher Leitung und Leistung auf zweckbestimmte Wirkung gerichtet und daraus auch in ihrer Form geprägt. Jede publizistische Formgebung ist zweckbestimmt. Das unterscheidet sie von der Dichtung. Daß gleichwohl auch große ästhetische Leistungen in publizistischen Unternehmen auftreten, wo ästhetische und die publizistische Wirkung ineinander übergehen und sich gegenseitig steigern, zeigen viele Beispiele heute und gestern. Wie denn auch die Publizisten selbst die Freude an der Form gründlich auskosten, ohne sich in sie zu verlieren. Wo sie ganz in die Eigengesetzlichkeit der Kunst geraten, erfüllen sie keine publizistische Aufgabe mehr. Die unerbittliche Zweckbestimmung gehört zur Wesensvoraussetzung jeder Publizistik.

9. Die publizistische Persönlichkeit Die Aufgabe, das Wesen der publizistischen Persönlichkeit zu umreißen, birgt zwei Schwierigkeiten. Die mehr als zweitausendjährige Geschichte der Publizistik zeigt viele Beispiele. Wo ist das allen Gemeinsame? Wo aber ist es erst in der verwirrenden Vielfalt alles dessen, was heute Publizistik ist, und all derer, die sich Publizisten nennen? Quer durch das Vergangene zieht sich das Urteil der Geschichte, die Scheidelinie der Erfolge und der Mißerfolge. Aber auch die Gegenwart verlangt bereits eine Wertung, zum mindesten den Versuch eines sachlichen Urteils. Wo sind die Maßstäbe in der Vielzahl der Publizisten, die sich heute mit mächtigen technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Kräften durchsetzen? Sie unterscheiden sich im Kampf der geistigen Hemisphären nach dem frei bestimmten oder hart gebundenen Auftrag ihres Wirkens. Ziehen wir also, wie bisher, auch den unter totalitären Gewalten wirkenden Publizisten in den Begriff ein, dann sei versucht, schon vorbereitend zusammenzufassen: Aus freier innerer Berufung oder — totalitär — im kollektiven Auftrag ist der Publizist der persönliche Träger seiner öffentlich bestimmten und öffentlich bewirkten Aufgabe. Aus der Gabe der Einfühlung und der Form sucht er sachlich unterrichtend und überzeugend oder emotional überwältigend Wissen, Wollen und Handeln der Angesprochenen zu bestimmen. (384—322 v. Chr.) bereits faßte als erster den Begriff des Publizisten, für seine Zeit, also den des Redners: „Er hat in den Menschen das GlaubenARISTOTELES

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erweckende wachzurufen.1" In der politischen Bindung der Spätantike (Augustinus), in der geistigen Einheit des hohen Mittelalters (Kreuzzüge, politische Spruchdichtung, Bankelsang), dann aber in dem Übergang zur individuellen publizistischen Aktion, in der sich der Einzelne erhebt, auch gegen eine Gesamtheit 2 , immer in Anpassung an die Gegebenheiten und aus den Spannungen der Zeit, setzen die Publizisten ihre Aktion durch. So gibt es in der Gestalt P I E T R O A R E T I N O S ( 1 4 9 2 bis 1556) schon in der Renaissance den ersten Revolverjournalisten. 3 Noch vor Überwindung der absolutistischen Staatsgewalten, früh schon in England mit J O H N M I L T O N S ( 1 6 0 8 — 1 6 7 4 ) Forderung auf „unlicensed printing 4 " und in Frankreich anfangs noch mit dem wissenschaftlich gearbeiteten Konversationslexikon 5 , treten publizistische Persönlichkeiten auf, die eine neue Freiheit verfechten. Noch vor dem Ausbruch der Französischen Revolution verkündet L U D W I G W E C K in seinem „Chronologon": „Der Schriftsteller ist der geborene Advokat der Menschheit . . . Ihm ist es vorbehalten, die Stimme der öffentlichen Gerechtigkeit in Bewegung zu setzen. 6 " Mit gleichem Schwung erklärt C A M I L L E D E S M O U L I N S ( 1 7 6 0 — 1 7 9 4 ) : „Der Journalist trägt das Amt des römischen Zensors, er verteidigt das Volk gegen Senat und Konsulen. 7 " Dies ist fast das gleiche, was A L B E R T C A M U S ( 1 9 1 3 — 1 9 6 0 ) bei der Entgegennahme des Nobelpreises 1 9 5 7 in Stockholm, mit der heute üblichen Resignation, sagte: „Seiner Bestimmung nach kann der Schriftsteller sich heute nicht in den Dienst derer stellen, die Geschichte machen: Er steht im Dienste derer, die sie erleiden. 8 " HERLIN ( 1 7 3 9 — 1 7 7 7 )

überzeugend formuliert J O S E P H v. G Ö R R E S ( 1 7 7 6 — 1 8 4 8 ) seinen Auftrag: „Einer muß sein, der da die Wahrheit zu sprechen verbunden ist, unumwunden, ohne Vorbehalt und Hinderniß . . . Die aber, die da kundtun die Meinung der Versammlung, seien Herolde, aus der Menge ausgewählt, als Männer bewährter Treue und geprüfter guter Gesinnung. 9 "

ARISTOTELES: De Arte rhetorica. Drei Bücher der Redekunst bei DÜRING: a.a.O., S. 120 ff. Mit symbolischer Anschaulichkeit ist das in der Annagelung der Thesen LUTHERS an der Tür der Schloßkirche zu Wittenberg erwiesen. Aus der Ruhe der professoralen Thesendebatte wird die publizistische Forderung vor breitester Öffentlichkeit ausgerufen. Der Vorgang ist in der jüngeren Forschung umstritten vgl. S. 265. 3 Vgl. MARTIN, TATJANA: Pietro Aretino als Publizist. Diss. Berlin 1943. — KESTEN, H.: Vorwort zu Pietro Aretino „Die Gespräche" 2. Bd. Hamburg 1962. Vgl. auch S. 265, Anm. 3, 4 „Areopagitica for the Liberty of Unlicensed Printing." Die Auseinandersetzung entzündete sich an einer 1643 erschienenen Schrift MILTONS über die Ehescheidung, Noch 1637 hatte das englische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das gegen Pressevergehen die Prangerstrafe vorsah. 5 Die „Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences", Herausgeber DIDEROT und D'ALEMBERT, wird die Rüst- und Waffenkammer aller Ideen der Französischen Revolution von 1789. Vgl. LEHMANN, E.H.: Geschichte des Konversationslexikons. Leipzig 1934. Vgl. auch S. 290. 6 12. Bde. 1779—1781. — Vgl. auch D'ESTER, K.: Zeitungswesen. Breslau 1928, S. 45 ff. 7 30.12.1789, Brief an seinen Vater, Vgl. CUNOV, H.: Die revolutionäre Zeitungsliteratur Frankreichs während der Jahre 1789—1794. Berlin 1912, S. 80 ff. 8 Zitiert nach: KOCH, THILO: Literatur und Journalismus. Stuttgart i960, S. 14. ' In: Rheinischer Merkur, Nr. 80 u. 81 v. 1. u. 3. Juli 1814. 1 2

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Nüchterner, aber aus publizistischer Grundhaltung erklärt K A R L M A R X ( 1 8 1 8 bis noch in seiner liberalen Zeit ( 1 8 4 2 ) : „Nur der kann die Gesinnung der Gesamtheit vertreten, der selbst Gesinnung und Charakter hat! 10 " 1883)

Das 19. Jahrhundert, das Jahrhundert des Liberalismus, gibt dem Publizisten eine erhöhte Stellung, arbeitet er doch zunächst noch für ein kultiviertes Publikum und führt die „große Feder". Oft wirkt er auch in doppelter Aufgabe. H E I N RICH H E I N E ( 1 7 9 7 — 1 8 5 6 ) versteckte unter genialer Lyrik seine satirischen Fallgruben. LUDWIG B O E R N E ( 1 7 8 6 — 1 8 3 7 ) vertritt im kritischen Kleide seine politische Uberzeugung und GUSTAV F R E Y T A G ( 1 8 1 6 — 1 8 9 5 ) strahlte seinen pathetischen Liberalismus in sauber geputzten Stillinien aus. Am Fin de siècle vertrat MAXIMILIAN HARDEN ( 1 8 6 1 — 1 9 2 7 ) wechselnde Ideologien im wilhelminischen Stuck seiner Sprache. Auch A L F R E D K E R R S ( 1 8 6 7 — 1 9 4 8 ) kritischer Typ gehört noch hierher mit den Zündungen und Fehlzündungen seiner Pointen. Die Tagespresse entwickelt den internationalen Klub der Leitartikler. Wohlgepflegt, gleichsam in Seide gekleidet, erregten sie die „gebildete Welt". Für Deutschland war wohl THEODOR W O L F F 1 1 der Letzte dieses Kreises der Publizisten aus Tradition, Reputation und Bürgerlichkeit. Von Frankreich her kommt der publizistische „Einmannbetrieb" der „Pamphlétaires". H E N R I DE ROCHEFORT ( 1 8 3 1 bis 1 9 1 3 ) und seine „Lanterne" gehören hierher, und in Wien war es K A R L KRAUS ( 1 8 7 4 — 1 9 3 6 ) , der die „Fackel" zündete. Im gleichen Stil erschien in Berlin TUCHOLSKYS ( 1 8 9 0 — 1 9 3 5 ) und v. OSSIETZKYS ( 1 8 8 9 — 1 9 3 8 ) „Weltbühne". Meist von wenigen oder von einem Manne geprägt, erschienen diese Blätter in einer auch aus intimer Sachkunde betriebenen schlagenden Polemik. Dieser extreme, um ein „Ich" gebaute publizistische Typ macht im Zeitalter der Massenpublizistik dem „Wir" Platz. Hochkritische Polemik, wie sie etwa die „Nachrichtenmagazine" treiben, sind weniger individuelle Leistungen eines Einzelnen, sondern Ergebnisse präsent gehaltenen Archivmaterials, großer Mitarbeiterstäbe im Besitz der Schlüssel zu den Vorder- und Hintertüren des öffentlichen Lebens. Das Organisatorische, das Technische der Publizistik ist unentbehrlich, aber immer noch steht die persönliche Leistung hinter dem Werke. Die Mittel der Massenführung wandeln die Haltung und den Charakter des Publizisten. Er treibt die Zeitung auf Großauflagen, die „Illustrierten" in die Millionen. Er redet vor Zehntausend in der Massenkundgebung, im Rundfunk aber bereits vor Millionen. Er lenkt den Massenaufmarsch unter Lautsprechern und Spruchbändern. Im Fernsehen nutzt er eine kombinierte Einflußmöglichkeit im Sehen und im Hören.12 Der Publizist hat den Zylinder abgenommen. Das Arbeitszimmer des Denkers und Ästheten, die gepflegte Stilform hat er verlassen. Er steht R h e i n i s c h e Z e i t u n g v . 1. 10. 1 8 4 2 . THEODOR WOLFF ( 1 8 6 8 — 1 9 4 2 ) , C h e f r e d a k t e u r d e s B e r l i n e r T a g e b l a t t , b e k a n n t d u r c h seine politisch k l u g e n und sprachlich sehr gepflegten Artikel, starb als O p f e r rassischer Verfolgung. 1 2 V g l . die D a r s t e l l u n g F e r n s e h e n , S. 2 6 0 . 10

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in überhitzten Sälen vor tobenden Massen. Er zähmt sie oder wiegelt sie auf, marschiert mit ihnen vor die Gefängnisse, die Parlamente, vor unliebsame Botschaften und in verhaßte Regierungsviertel. Uberzeugend ist nicht mehr oder kaum mehr die Feinheit des Wortes und der durchdachten Argumente, sondern auch die unmittelbare Anschaulichkeit der Aufmärsche, heute theatralisch konstruiert in der Publizistik des Wohlstandes. Die Publizistik der totalitären Welt meistert die „kochende Volksseele" der innerlich oft widerstreitenden, äußerlich zusammengezogenen Volksmassen. An den Tribünen, vor Film- und Fernsehkameras fallen sie in den Marsch der „Arbeiterbataillone". Sie erscheinen äußerlich im Jubel, unter dem „Terror des Enthusiasmus" und sinken nach dem Erlöschen der Jupiterlampen wieder in den grauen Alltag. Geistige Greifer, Bagger und Förderbänder sind in den Bereich des Publizistischen eingebrochen. Beispiele und Bilder rotchinesischer Massenkundgebungen übersteigen die phantasievollsten Vorstellungen. 13 Der Publizist des 19. Jahrhunderts galt noch als Mensch innerster Uberzeugung und öffentlichen Bekenntnisses. Dieser Typ lebte und wirkte, wenn auch keineswegs in der Ausschließlichkeit, wie der ethische Liberalismus ihn forderte. Geblieben ist in allen Techniken organisatorischer oder persönlicher Ansprache die Gesinnung, freilich im Guten und im Bösen.14 Sie ist die Atmosphäre, durch die jede publizistische Aktion sich darbietet. Es gibt keine Aktion, die nicht die gute Absicht, das ethische Ziel, den öffentlichen Dienst für sich in Anspruch nähme. Selbst furchtbare Vernichtungsaktionen sind unter solchen vorgespiegelten Vorzeichen begangen worden. Ehrliche öffentliche Verantwortung, Sachbegeisterung und Hingabe, unterhaltende Zugkraft, gewinnreiches Geschäft, politische Führung und Verführung, das alles geht heute in der Gesamterscheinung „Publizistik" schwer unterscheidbar, schwer auseinander zu bringen, nebeneinander her. So unterschiedlich zeigt sich heute auch der Publizist in den manigfaltigsten Typen. Sein Lebenselement ist die öifentlichkeit. Vermag er sich in ihr nicht zu bewegen und durchzusetzen, dann scheitert er! Oder er übt ein achtenswertes aber rein handwerksmäßiges Treiben. Nach der üblichen Typologie kann man ihn eine Persönlichkeit extroveitieitei Haltung nennen. Seine Neigung zur Öffentlichkeit zeigt sich verständlicherweise mit Geltungsbedürfnissen gepaart. Schon als Schuljunge zieht Joseph v. Görres ein verhaßtes Lehrbuch an einem Strick durch die Gossen 15 , E M I L E DE G I R A R D I N ( 1 8 0 2 — 1 8 8 1 ) , anfangs im Makel außerehelicher Geburt, nimmt Dandykleidung an, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu zwingen1". F E R D I N A N D LASSALLE ( 1 8 2 5 — 1 8 6 4 ) provoziert Lehrer und Mitschüler so, daß er die Schule verlassen muß. Von dem größten deutschen Wirtschaftspublizisten, 13

Vgl. S. 268. Vgl. S. 29 f. 15 Vgl. SCHELLBERG, W . V.: Joseph von Görres. Köln 1 9 2 6 . 18 SCHAUSEIL, A.: Émile de Girardin. Studien über die Grundzüge und das Werden eines publizistischen Charakters. Diss. Berlin 1958. 14

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wird Ähnliches berichtet. 17 L E O B R O N S T E I N G E N . T R O T Z K I 18 ( 1 8 7 7 — 1 9 4 0 ) wird wegen seiner politischen Opposition von der Schule gewiesen. Genauso der erfolgreichste amerikanische Massenverleger, W I L L I A M R A N D O L P H H E A R S T ( 1 8 6 3 — 1 9 5 1 ) . 1 8 So weit auseinander ihr Wollen steht, so nah sind sie sich in ihrer Anlage, aufzutreten und sich durchzusetzen. Der junge Publizist wird von dem ergriffen, was man eine Art von „Berufung" nennen kann. 20 Er will Altes mattsetzen, Vergängliches umstürzen, Neues aufbauen. Aus seiner Berufung entwickelt sich, hoch gesprochen: eine Sendung. Keine politisch-publizistische Kraft würde sich durch die Widrigkeiten einer kämpfenden Aktion behaupten, die nicht von diesem Bewußtsein besessen wäre. Meist gab ein Erlebnis, eine Erfahrung hier den Antrieb. Oft wird die Erkenntnis dessen, was not tut, plötzlich erfaßt und sofort unter schweren Wandlungen, oft unbegreiflich und unter dem Anschein krasser Gesinnungsbrüche, in Angriff genommen. Sie ist häufig, nicht immer, ein „Damaskus". Man könnte von einem Augenblick plötzlicher Erkenntnis sprechen. Es wäre wohl berechtigt, ihn den „Paulinischen Punkt" zu nennen. 21 So erlebt ihn A U G U S T I N U S (354—430), als er jäh nach einer Predigt des A M B R O S I U S (340—397) von einem Lehrer advokatorischer Künste zu einem Prediger Christi wurde. 22 Im Massenwahn der Hexenverfolgung steigt in dem Jesuiten G R A F F R I E D R I C H V O N S P E E (1591—1635), dem Beichtvater vieler als Hexen angeschuldigter Frauen, der Zweifel an der Richtigkeit der Anklagen auf, und tief erschrocken erkennt er den grauenvollen Irrtum der Hexenverfolgung. Er schreibt die „Cautio criminalis". 23 Joseph v. Görres erlebt als begeisterter Verteidiger der „Frankenrepublik" bei seiner „Sendung nach Paris" (1799) abstoßende Zeichen des Niederganges. Er bekennt offen seinen Irrtum. Die praktische Auswirkung sah aus wie ein Gesinnungsbruch. 24 G I U S E P P E M A Z Z I N I (1805—1872), Meister der illegalen Publizistik 25 , erlebt als Knabe die Mißhandlung italienischer Freiheitskämpfer durch Napoleonische Soldaten. Dieses Erlebnis trieb ihn in die Aufgabe, Vorkämpfer der Einigung Italiens zu sein. Er sagt von sich: „Ich muß schreiben, als

FRIEDRICH LIST ( 1 7 8 9 — 1 8 4 6 ) ,

17 Vgl. MÖLLER, J . : Friedrich List. Charakter und Wesensveranlagung einer publizistischen Persönlichkeit. Diss. Berlin 1952. 18 Vgl. TROTZKI, L.: Mein Leben. Berlin 1930. " LUNDBERG, F . : W . R . Hearst. New York 1 9 3 6 . 20 So die Berufsentwicklung der Begründer des Nachrichtenmagazins T I M E , BRITON H A D D E N und H. R. LUCE. Vgl. M A G N U S , H. U.: T I M E . Studien über die amerikanischen Nachrichtenmagazine. Diss. Berlin 1962. Beide Publizisten steuern von der Redaktion einer Schülerzeitung her in ungebrochen gerader Linie auf ihre Zeitschrift, heute mit Weltverbreitung, zu. Ähnliche Beispiele aus allen Jahrhunderten. 21 Oft lustig angewitzelt ist der Begriff doch treffend. 22 Er wollte aus einem „Venditor verborum" ein „Venditor verborum Dei" werden. Vgl. AUGUSTINUS: Bekenntnisse (Confessiones, deutsch). Eingel., übers, u. erl. von Joseph Bernhart. Berlin und Darmstadt 1957. 23 Vgl. das auch publizistisch und massenpsychologisdi höchst aufschlußreiche Werk von ROSENFELD, EMMY: Friedrich Spee v. Langenfeld. Eine Stimme in der Wüste. Berlin 1 9 5 8 . — Vgl. S. 1 4 8 . 24 GÖRRES, J. v.: Resultate meiner Sendung nach Paris. Koblenz 1801. 25 Vgl. S. 73.

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wenn ich kämpfe . . . Es ist vielleicht nicht überflüssig, daß man sehe, wie ein Ziel zu dem Streben veranlaßt, den Gedanken der Tat dienen zu lassen, dem einzigen Ziel, das unserer Epoche wahrhaft wichtig ist. 2 '" D A N I E L O ' C O N N E L ( 1 7 7 5 — 1 8 4 7 ) , der irische Freiheitskämpfer, erlebt in jungen Jahren die Verfolgung irischsprechender Männer. Er wird der Vorkämpfer der irischen Freiheit 27 in großen ersten Massenkundgebungen 28 . Friedrich List verliert seine Mutter an den verhängnisvollen Folgen einer falschen Verwaltungsmaßnahme. Ein ähnlicher Anlaß führt kurz danach zum Tode seines Bruders. Er verfaßt seine erste Schrift „Gegen das Schreiberunwesen in Schwaben". 29 Darin sagt er: „Jeder Staatsbürger hat die heilige Verpflichtung, sich auszusprechen, wo er vermeint, der großen Sache des Vaterlandes dienen zu können. Wenn mich diese Überzeugung ergriffen hat, ist es dann nicht meine heilige Pflicht, öffentlich zu sprechen'?3"" Karl Marx entwickelt seine Theorie des Klassenkampfes, deren Bestätigung er in den sozialen Notzuständen zu Beginn der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts sieht. Er begnügt sich nicht mehr, „über die Welt zu philosophieren", er gelobt sich, „sie zu verändern". 81 F R I E D R I C H E N G E L S ( 1 8 2 0 — 1 8 9 5 } bringt aus England die Berichte über die Notlage der arbeitenden Klassen. Sehr bald rundet sich die publizistische Einordnung ökonomischer Tatsachen in ein sozialphilosophisches System.32 Volkstümlich vereinfacht und publizistisch genial formuliert, findet es im „Kommunistischen Manifest" ( 1 8 4 7 ) eine der besten Flugschriften der Weltgeschichte. In einem nicht nur publizistisch vertretenen, sondern in harter Arbeit bewährten Zusammenwirken von Publizistik und Leistung entwickelte sich vom gleichen Jahre ab die christlichsoziale Bewegung. Sie wird unterstützt durch die in Zeitungen und Zeitschriften vollzogene Werbearbeit von J O H . H. W I C H E R N (1808—1881) 33 auf evangelischer, und, auf katholischer Seite von dem Mainzer Bischof W. E. F R E I H E R R V O N K E T T E L E R ( 1 8 1 1 — 1 8 7 7 ) und A D O L F K O L P I N G ( 1 8 1 3 — 1 8 6 5 ) , vor allem aber gefördert durch die soziale Tat. Nicht nur politische Aufgaben wecken publizistische Leistung, persönliche Schicksale bewirken das gleiche. Im Kampf gegen den ungetreuen Vormund, der sein Erbe unterschlug, wäcäist der junge D E M O S T H E N E S (384—322 v. Chr.) in seine 20 Vgl. VOSSLER, O.: Mazzinis politisches Denken und Wollen in den geistigen Strömungen seiner Zeit. München und Berlin 1927. — Vgl. auch S. 73. 27 Vgl. HERBST, W O L F G . : Daniel O'Connel. Die Betrachtung eines publizistischen Lebens. Diss. Berlin 1952. 28 Vgl. S. 211. 29 Vgl. MÖLLER, J.: Friedrich List. A.a.O. 30 LIST, FRIEDRICH. Gesamtausg. d. Fr.-List-Ges., 10 Bde., 1927—35. 31 Notlage der Moselbauern, Ursachen des Forstfrevels und des Holzdiebstahls. In: Rheinische Zeitung. Artikelreihe Oktober 1842. Zur publizistischen Entwicklung im einzelnen vgl. KÜMHOF, H.: Karl Marx und die Neue Rheinische Zeitung in ihrem Verhältnis zur demokratischen Bewegung der Revolutionsjahre 1848/49. Diss. Berlin 1961. Vgl. S. 283. 32 ENGELS, F . : über die Not der arbeitenden Klassen in England ( 1 8 4 5 ) . 33 Vgl. BÖTTCHER, H.: Das publizistische Werk J. H. Wicherns. In: Publizistik 1965, H. 1. — SCHNABEL, W.: Bischof v. Ketteler als sozialpolitischer Publizist. Liegnitz 1934. — SCHMOLKE, M.: Adolf Kolping als Publizist. Münster 1966.

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rhetorische Aufgabe. Weit von ihm entfernt — nach Zeitalter und Charakter — muß der junge Franzose Émile de Girardin 34 , der Schöpfer der Massenpresse seines Landes, die Legitimierung durch seinen Vater durchsetzen und damit seinen gesellschaftlichen Rang erkämpfen. 35 Der junge Ferdinand Lassalle wird durch die Diffamierung seiner jüdischen Herkunft in die publizistische Aufgabe berufen. „Mein Vater", so berichtet er, „fragte mich, warum ich nicht Medizin oder Jura studieren wollte. Der Arzt und der Advokat, entgegnete ich, sind Kaufleute, die mit ihrem Wissen Handel treiben. Ich aber will studieren der Sache und des Wirkens wegen . . . Mein Vater fragte mich, ob ich glaubte, daß ich ein Dichter sei. Nein, antwortete ich, aber ich will mich der publizistischen Sache -widmen. In jedem Land, unter jeder Nation erhoben sich Männer, die mit den Worten kämpften, fielen und siegten. Es ist mir jetzt klar, daß ich Schriftsteller werden will. Ja, ich will hintreten vor das deutsche Volk und vor alle Völker und mit glühenden Worten zum Kampf für die Freiheit aufrufen. 36 " M A H A T M A G A N D H I ( 1 8 6 9 — 1 9 4 8 ) führt in Südafrika die Verteidigung eines Inders durch. Er wird von der Not vieler Tausende seiner dort fronenden Landsleute ergriffen. Er erkennt seine Aufgabe, auch die besonderen Formen, unter denen sein in Sprachen, Religionen, in Klassen und Kasten zerrissenes Volk durch Tat und Beispiel, Gewaltlosigkeit und passiven Widerstand zur Befreiung Indiens zu führen war. 37

Gewiß sind die Fälle des plötzlichen Anrufes nicht alle so deutlich. Lange Wege des Werdens müssen zurückgelegt werden: G E O R G E S B E R N A N O S (1888—1948) war schon ein bedeutender französischer Schriftsteller, als das Erlebnis des 1. Weltkrieges ihn zum Publizisten und Kämpfer gegen den totalitären Staat macht.38 Den vielen Publizisten zum eigenen Willensentschluß so notwendigen Gegensatz, man könnte fast sagen die Gnade einer Feindschaft, sucht der junge Bernanos bewußt. So schreibt der 18jährige an einen Lehrer: „Ma conviction monte à mes lèvres quand je la defend, si non, elle dort en moi. Il faut le stimulant des objections pour vivre, et je crois aussi le secours d'une bonne piété, d'une practique constante du devoir quotidien. J'ai peur d'être un être flou et de me laisser endormir. 39 " Treffend beobachtet ist hier die seelische Situation eines zum Kampfe berufenen Charakters. Der Anruf ist bei religiösen Kämpfern wie eine Stimme von oben. So empfand es Görres, als der Streit um die Freiheit der Kirche 1837 mit dem soge-

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GIRARDIN, E. DE: Émile. Paris 1829, S. 9—14. SCHAUSEIL, A.: Emile de Girardin. A.a.O., S 21. — Girardin schrieb: „J'ai fait du malheur de ma naissance la méditation de toute ma vie." 36 Vgl. HILDEBRANDT, R.: Ferdinand Lassalle und die Anfänge der modernen Massenpublizistik. Diss. Berlin 1951, S. 9 f. 37 über diese besondere publizistische Form vgl. RENFORDT, K.: Mahatma Gandhi. Ein Publizist der Tat und des Beispiels. Diss. Berlin 1958, S. 54 ff. 38 BERNANOS, G.: Lettres aux Anglais. 10. éd., Paris 1946. 39 BERNANOS, G.: La France contre les robots. Paris 1945. — Vgl. auch WARNACH, W.: Georges Bernanos' polemische Schriften. In: Hochland. 41. Jg., Okt. 1948, S. 57 ff. 35

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nannten „Kölner Ereignis" einsetzte und er seinen „Athanasius" schrieb40. Görres sagt, wie er entstand: „Das Gebot lautete peremptorisch: ,Nimm die Feder zur Hand und schreibe, was dir gesagt wird!'" Auch unsere säkularisierte Welt zeigt Beispiele jähen Erwachens in publizistischen Aktionen. Sie treten z. B. auf bei der nicht geringen Zahl begabter Publizisten, die jung zum Kommunismus stießen, sich dann in reiferer Sicht wieder abwandten und den Ruf zu neuen Aufgaben empfingen. Beide Male, in der Hinwendung und der Abwendung, gab es „Paulinische Punkte", z.B. bei A R T H U R KOESTLER 41 (geb. 1905). Seinen Übergang in die kommunistische Linie begründete er in einem politischen Bekenntnis. Jahrelang hatte er in Budapest und in Wien soziale Notstände erfahren, dazu den wirtschaftlichen Zusammenbruch der eigenen Familie. Da kam in ihm, wie er erzählt, „während Europa unter dem Gedröhn der Hungermärsche erzitterte und mein Vater seine abgeschabten Manschetten unter dem Tisch verbarg", . .. das „archetypische Erlebnis zur Explosion". Koestler wurde Kommunist. Bei den Massensäuberungsaktionen aber, die Stalin in der Sowjetunion in den dreißiger Jahren durchführte, verlor Koestler seinen Bruder und zwei seiner engsten Freunde. Er erkannte, „daß man Menschen nicht als Zahlen in einer politischen Gleichung behandeln kann . . . , daß der Zweck die Mittel nur innerhalb sehr enger Grenzen heiligt". Eine Weile versuchte er noch, die Loyalitat gegenüber der Sowjetunion aufrechtzuerhalten. Dann kam der Bruch: „. . . an dem Tage, an dem zu Ehren Ribbentrops die Hakenkreuzfahne auf dem Moskauer Flugplatz gehißt wurde und die Kapelle der Roten Armee das HorstWessel-Lied anstimmte. Damit war es Schluß." T H E O D O R B A R T H ( 1 8 4 9 — 1 9 0 9 ) , Herausgeber der „Nation", ein Wirtschaftspolitiker des Liberalismus, gewann die Triebkraft in das Publizistische, als er in Bremen den schweren Betrug feststellte, der an armen Auswanderern geübt wurde. 42 Ein anderer liberaler Publizist und Politiker, dessen Leben uns Theodor Heuss dargestellt hat43, F R I E D R I C H N A U M A N N ( 1 8 6 0 — 1 9 1 9 ) , sah als Kind in Lichtenstein, wo sein Vater Pfarrer war, das Elend armer Strumpfwirker. So faßte er seine soziale Erkenntnis: „Notbeseitigung ist Christensache." Er kam zu Wichern ins Rauhe Haus und von dort zur Politik als einer „christlichen Pflicht". Später versuchte er eine „nationalsoziale Bewegung". Aber der „Volksmann voll heiligen Geistes" vermochte die harten Realitäten des politisch Gegebenen nicht zu zwingen. Gerade die Publizisten ethischer Gesinnung scheitern oft an diesem Gegensatz.

GÖRRES, J. V.: Athanasius. 4. Aufl. Regensburg 1838. Einleitung. Vgl. zu dem Folgenden: KOESTLER, A.: Meine Entwicklung zum Revolutionär. Zürich 1953. — Ein Gott, der keiner war. Aufsätze von Koestler, A., I. Silone, A. Gide, Louis Fischer, St. Spender u. a. Köln 1952. — KRÜGER, H O R S T : Das Ende einer Utopie. Hingabe und Selbstbefreiung früherer Kommunisten. Ölten und Freiburg 1963. 42 Vgl. A R N O L D , H. W.: Der Publizist Th. Barth. Diss. Berlin 1956. 43 HEUSS, TH.: Friedrich Naumann und die deutsche Demokratie. Wiesbaden 1960. 40

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Natürlich führt nicht nur die paulinische Erfahrung in den Beruf. Auch die innere Neigung zum öffentlichen Leben leitet dahin. So suchte G U S T A V S T O L P E R 4 4 ( 1 8 8 8 bis 1 9 4 7 ) , der österreichische, später deutsche Wirtschaftspolitiker, den journalistischen Beruf, weil er „stets mit seinem Wort eingreifen will, wo Mißverständnisse die Dinge zu verzerren drohen" und „die moralische Verpflichtung den leidenden Menschen gegenüber" gegeben ist. Als B E R N H A R D G U T T M A N N ( 1 8 6 9 — 1 9 5 9 ) , lange ein führender Kopf der alten „Frankfurter Zeitung", als Neunzigjähriger starb, schrieb Benno Reifenberg: „Dies machte für ihn den Sinn des Menschen aus: parat sein, wach zu bleiben, zu erkennen und zu sprechen" . . . Sein letzter Aufsatz galt der Erscheinung der Propheten, den Ausrufern, Anschlägern, Warnern. 4 5 " Dieser Ruf des Gewissens ist vielfach bezeugt. Die Beispiele waren beliebig zu vermehren. 46 In den vielen Fällen verantwortlich schaffender Publizisten ist das Gewissen „der höhere Ruf" die Triebkraft gewesen. Das gilt schon für die höfische Spruchdichtung. 47 Als „Bote Gottes" tritt W A L T H E R V O N D E R V O G E L W E I D E vor den Kaiser: „Her keiser, ich bin vrönebote und bringe iu boteschaft von gote." Einem Gegner singt er entgegen: „Nu hei und stel, doch breit ich's an die Sunnen!" 4 8 Die erste Voraussetzung jedes Publizisten ist: er muß „ankommen". Dazu bedarf er der Gabe der Einfühlung und der Form.49 Keine Rede gelingt, ohne daß der Redner tastend sich den Neigungen und Abneigungen seiner Zuhörer nähert. Kein publizistischer Akt schlägt ein ohne diese Einfühlung. Unfähig zu dieser Einfühlung — und damit für die publizistische Arbeit ungeeignet — sind monomane Typen, Blasierte und Snobs. Auch Persönlichkeiten von abgekapselter Gelehrsamkeit und forschungsemsiger Isolierung vermögen — so nützlich sonst ihr Schaffen sein mag — keine publizistischen Kontakte zu finden. Mit der Meinungsbefragung kann heute eine Massenmeinung mit einiger Sicherheit herausgefragt werden. Doch bleiben instinktsichere Augenblicksentscheidungen immer wertvoll und oft unerläßlich. Sie richtig zu treffen, ist die Stegreifkunst jedes begabten Publizisten. Er ist ein Seismograph des öffentlichen Lebens und seiner Erschütterungen. Versagt diese Gabe, stumpft sie ab, dann versagt auch der Mann in seiner publizistischen Aufgabe. Immer bleibt die Einfühlung in die Bewußtseinslage der Umwor44 Vgl. STOLPER, TONI: Gustav Stolper. Ein Leben im Brennpunkt unserer Zeit. Tübingen 1960, S. 31 ff. 4 5 B(ENNO) R(EIFENBERG) : Bernhard Guttmann 1869—1959. In: Frankfurter Allgemeine. Nr. 17 v. 21. 1. 1 9 5 9 . 46 Vgl. auch DOVIFAT, E.: Die publizistische Persönlichkeit. Festgabe für Basdiwitz. In: Gazette. Nr. 3/1956, Vol. II, S. 157—172. 47 Schon die lateinischen „Carmina Burana" lassen, obgleich sie lyrisch geneigt sind, Ansätze solcher Haltung erkennen. 48 Vgl. GENT, H.: Die mittelalterliche politische Lyrik. Breslau 1938. — Uber die im besten Sinne publizistische Haltung der führenden Köpfe im Kampfe zwischen Kaiser und Papst in der Zeit Heinrich IV. hat CARL MIRBT in seinem Buche Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII. Leipzig 1894 anschaulich berichtet. 4 9 Vgl. S. 37.

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benen die erste Voraussetzung des publizistischen Erfolges. Sie ist das Irrationale, das unwägbare Element in seinem Schaffen. Die Gabe der Form und des Ausdrucks ist die andere Begabungsvoraussetzung.50 Der Publizist muß anschaulich, eindringlich, überzeugend, einprägsam und gedächtnishaftend sprechen, schreiben und bildern. Ohne eine persönliche Liebe zur Sprache und allgemein zur Form erreicht er das nicht. Große Redner bewältigen die Form aus einer Art Naturbegabung. Dazu nutzt der Redner heute die gesteigerte Besitzt er Lautungskraft des Mikrophons und die Tiefsicht der Elektronenkamera. die Gabe der Form und der Einfühlung, kann er hier zu schnellen und unmittelbaren Wirkungen kommen.51 Der „Mann der Feder", der schreibende Publizist, scheint von der Höhe der publizistischen Kunst zurückgetreten zu sein. Die Schönheit und Würde der geschriebenen Form gilt noch für intellektuelle Spitzenleistungen, sonst aber geht die Form auf eine Art massenwirksamer, geistiger Plakatschrift zurück. Es entleert sich die Sprache, mattgeredet und flachgetreten. Sie löst sich in Schlagworte und Headlines auf. Die ganze Pharmakologie der publizistischen Mittel, der psychologischen und auch der physiologischen, muß der Publizist beherrschen. Mit dem alten, aber immer wieder zugkräftigen Anreiz des Spottbildes, der Karikatur, erscheinen die Publizisten des Zeichenstiftes, typenprägend von D A U M I E R zu T H . T H . H E I N E , L O W und S Z E W C Z U K . In der Zeit der Glaubensspaltung nur auf Flugblatt und Anschlag angewiesen, kommen heute die Kampfbilder in die Millionenauflagen. Die Publizisten des Stiftes erreichen Weltruhm. Ebenso erreicht sie der Publizist des Lichtbildes. Er bleibt nicht bloß „Bildberichter", mit der Kamera tastet er sich in ein neues Erleben der Ereignisse und des Menschen. Er findet die „vierte Dimension", den charakteristischen Augenblick.52 Er fixiert glorifizierende ebenso wie diffamierende Züge im Menschenbild. Er faßt unergründliche Gesichter und bietet sie politisch an. Unter der Suggestion der „photographischen Treue" kann er letzte Wahrhaftigkeit des Bildes erzielen oder es ebenso fälschen und entstellen. Als Publizist des Films, in Nachricht, Bericht oder politischem Spiel, überwindet er die punktuelle Starre des Stehbildes und gibt in Kameraführung und Bildschnitt objektiv oder subjektiv das Nach- und Miterleben eines Vorganges. Weitgesteckt ist die Aufgabe des Publizisten im Fernsehen, in der Größe der Wahrhaftigkeit ebenso wie in der Gefahr der Fälschung.53 Schließlich ist es heute auch publizistische Aufgabe, die räumlich und architektonisch auf Wirkung hergerichteten Stätten und Plätze, die weiten Versammlungsräume zu suchen und für deren „Beschallung" zu sorgen. Unter einer elektrisch oft brüllenden Akustik erkennen die Massen sich selbst und geben sich in der „Großkundgebung" diesem Machtgefühl hin.

50

4

Vgl. die Ausfuhrungen über die publizistische Form, S. 39.

51

Vgl. S. 232 und 261.

52

Vgl. die systematische Darstellung dieser Vorgänge S. 250.

53

Vgl. hierzu S. 261.

Publizistik I

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Das alles leistet der Publizist unserer Tage. Seine Sache ist die Eroberung breiter Volksmassen für ein politisches Ziel.54 Allerdings hat er sich auch im Wirtschaftlichen und Organisatorischen zu bewähren. Mit der Erfindung der Buchdruckerkunst kam der Kapitalismus in die geistige Welt. Keine publizistische Aktion vermag ohne eine wirtschaftliche Basis auszukommen. Dies ist ein schwieriges, ein sehr altes Problem. Schon Walter von der Vogelweide sucht den Herrn, für dessen Macht er singt, der ihn aber dann auch ernähren muß. Bis zum Selbstüberdruß kämpft er darum: „Ich bin ze lange arm gewesen an minen danc. Ich war so voller Scheltens, daz min atem stanc." Schließlich jubelt er dankbar: „Ich han min lehen, all diu Welt, ich han min lehen." Das K A R L M A R X zugeschriebene Wort: „Die Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein", ist leicht gesagt und schwer anzuwenden. L A S S A L L E S zugespitzte Mahnung an die Journalisten, nicht mehr „bei Annoncenverlegern Stallknechtsdienste zu leisten", ist nicht erhört worden, hätte auch nur unter Verelendung der publizistischen Aufgaben erhört werden können, denen er selber diente. Auch der Verlegerberuf ist gewandelt und zimmert als „öffentliche Aufgabe" dem Publizisten auch und gerade aus dem „Annoncengeschäft" eine freie Tribüne. Ebenso freilich kann er sich im bloßen Erwerbsstreben verlieren und Geschäftsverleger sein. Ein Teil der Presse, vor allem bestimmter Massenzeitschriften, ist in die Unterhaltungs- und Freizeitindustrie gerückt. Sie hat die publizistische Ideologie verlassen oder schützt sie nur vor. Es ist eben in der demokratischen Welt die Voraussetzung der publizistischen Freiheit — von den deutschen Rundfunksendern abgesehen —, ihre wirtschaftliche Basis selbst zu verdienen. Darum haben Verlage und Verleger sich publizistisch bekannt, können freilich unter der Parole „Freiheit der Presse" auch der Unterhaltungsindustrie dienstbar sein, und sind es zu bestimmten Teilen: das muß in Kauf genommen werden, als die Schattenseite der Freiheit. Anders die Presse der totalitären Länder. Sie steht weniger im wirtschaftlichen Existenzkampf, dafür unter strengem politischem Gebot. Oft ist sie auch aus Staatsmitteln finanziert oder jedenfalls von ihnen nicht im Stich gelassen. Sie ist frei von der Sorge der erwerbsmäßigen Sicherung, darum aber auch frei von jeder Möglichkeit unabhängigen publizistischen Schaffens aus eigener Berufung. Hinwiederum ist in der freien Welt der Zusammenstoß zwischen dem erwerbstechnisch Notwendigen und dem publizistisch Erstrebten häufig. Für den Publizisten geht er oft tragisch aus und ist der Sold, den er der Freiheit zu zahlen hat. 55 Im totalitären Lager, in der kommunistischen Publizistik, liegt der Konflikt wieder auf einer anderen Ebene. Hier entscheiden sich die grundsätzlichen Kämpfe auf Leben und Tod (so in der Sowjetunion 1936 oder nach dem Tode Stalins) im Sekretariat 54

Vgl. S. 115. Daher ist in freien Staaten der Redakteur, als täglich wirkender Publizist der Zeitung, vertraglich, durch persönliche oder arbeitsrechtliche Abmachung besonders gesichert, soweit publizistische Naturen überhaupt zu sichern sind. Vgl. hierzu: DOVIFAT, E . : Zeitungslehre. A.a.O. Bd. I, S. 44 ff. 55

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des ZK. Der „Publizist" dieses Systems hat das Ergebnis anzunehmen. Er schweigt und gehorcht. Er kämpft nicht als freie Person. Zur eigentlichen Entscheidung wird er gar nicht zugelassen. 58 Eine kleine Auswahl in der sowjetischen Publizistik hat einen gewissen Spielraum der Freiheit, über den hinaus aber keine Entfaltung ist. Ihr bißchen Freiheit haben sie durch doppelte Gesinnungsbewährung erkauft. In der freien Welt, z. B. auch im Kampfe gegen das aufkommende Hitlerregime, erleben wir neben frühen Kapitulationen und angebiederter Mitarbeit (Hugenberg) auch viele Zeugnisse unabhängiger Haltung, nicht nur im unmittelbar publizistischen Schaffen. Auch der organisatorisch wirkende Publizist, der Verleger, versuchte anfangs die wirtschaftliche Organisation seines Blattes für dessen geistige Bestimmung noch zu halten. Das war 1933 eine harte Aufgabe, zumal eine Reihe führender Verleger und bester Federn bald als rassisch oder politisch Verfolgte verhaftet oder in die Emigration getrieben wurden. In einer schärfstens überwachten Publizistik versuchten vermittelnde Kräfte, Blätter großer Tradition, sich durch eine Politik der „Camouflage" vorübergehend zu behaupten, bald aber erlagen sie.57 Der Rang der publizistischen Persönlichkeiten in der Gegenwart mindert sich nicht dadurch, daß Tausende anonym in publizistischen Unternehmungen und Institutionen tätig sind. Organisation ist heute die erste Voraussetzung, an die Massen heranzukommen. Jede geistige Arbeit fordert — will man sie öffentlich durchsetzen — den organisatorischen Einsatz, aber in einer vom Geist bestimmten Leistung. Der Publizist wird Beauftragter, „Funktionär" im guten Sinne. Er kann seine Aufgabe als einen „Job" betreiben, aber ebenso auch der öffentlichen Sache innerlich verpflichtet sein. Hierzu gehört vor allem die nie genug bedankte tapfere Alltagsarbeit im weiten Felde der modernen Massenmittel: der Redakteure und Reporter, der Kameramänner und Nachrichtenleute, der Kommentatoren, Interviewer, Bildjournalisten und Zeichner mit ihrer tüchtigen und unentbehrlichen Tagesleistung. Hoch einzuschätzen ist das Lebenswagnis und Lebensopter bedeutender publizistischer Persönlichkeiten. Jeder Publizist, wie jede publizistische Leistung erfahren ihre Zukunttsbewährung, d. h. die Geschichte wertet sie, als Erfolg oder als Mißerfolg. Dazu einige Beispiele. Friedrich Lists publizistischer Kampf galt drei wirtschaftlichen Forderungen. Er kämpfte für die wirtschaftliche Einheit Deutschlands, entwickelte seine Industrie, erschloß den Eisenbahnverkehr, wurde heftig bekämpft, allein gelassen und starb durch eigene Hand. 58 H O R A C E G R E E L E Y 5 8 baute 56

Vgl. Handbuch der Auslandspresse. A.a.O., Kap. Sowjetunion. Zur Camouflage vgl. S. 79 und S. 47 dieses Kapitels. — Vgl. hierzu auch BETZ, A.: Die Tragödie der Münchener N e u e s t e n Nachrichten 1932/33. In: Journalismus. Schriftenreihe des Dt. Instituts für publizistische Bildungsarbeit. Bd. 2. Düsseldorf 1961. — DOVIFAT, E.: Die publizistische Persönlichkeit. In: Festschrift für A n t o n Betz. Düsseldorf 1963. 58 MÖLLER, J . : Friedrich List. A.a.O. 68 DOVIFAT, E.: Der amerikanische Journalismus. Stuttgart/Berlin 1927. — COOPER, M.: Horace G r e e l e y als publizistische Persönlichkeit. Düsseldorf 1966 (Journalismus. Schriftenreihe des Dt. Inst. f. publizistische Bildungsarbeit. Beiheft 2; Diss. Berlin 1966). 57



DIE GRUNDBEGRIFFE DER PUBLIZISTIK

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mit A B R A H A M L I N C O L N die politische Gestalt der Vereinigten Staaten, fand darin selber keine Aufgabe mehr und starb verbittert. Karl Marx und Friedrich Engels und ihre dialektisch-materialistische Lehre des Klassenkampfes trieb zur Revolution, wurde aber auch Antrieb für eine Evolution, einer sozialen Reform, der wiederum durch die stillere und opferbereit dienende christliche Soziallehre in die Wirklichkeit geholfen wurde. Erfolgreich kämpfte Mahatma Gandhi durch die publizistischen Aktionen der Tat und des Opfers für die Einheit und die Freiheit Indiens. Die Einheit seines Volkes konnte er nicht erreichen, seine Freiheit aber hat er gewonnen.' 0 Den Gestaltern, die aufbauten, sich und ihre Freunde opferten, steht ein anderer Typ publizistischer Persönlichkeiten gegenüber, denen die kritische Aufgabe, die kritische Verpflichtung zugewachsen ist. Wir finden sie selten oder fast nie in den Feldern positiver Leistung und entsagender Mitarbeit. Doch bleibt ihre wichtige Aufgabe in der modernen Gesellschaft unentbehrlich. Sie streichen die Fehler an, rügen, was sie für falsch halten, und graben die Mängel aus. Gleich Tribunen erheben sie, oft auch laut und provozierend, die Frage nach der Leistung, den Mißerfolgen, den Gefahren und Bedrohungen der praktischen Politik. Ihr Gewicht, da wo es von sachkundiger Hand und verantwortungsbewußt in die Waagschale gelegt wird, gilt viel und kann nicht entbehrt werden. Sie geben auch der Öffentlichkeit Einsicht, wenn nicht gar Tiefsicht in die Dinge. Die eigenartige, massenpsychologisch bedingte Neigung der Öffentlichkeit, gierig den Kritiker zu hören, öffnet ihrer Stimme oft eine gefügige Glaubensbereitschaft. Wert und Würdigung dieser publizistischen Persönlichkeiten nimmt bei aller Schärfe und Brillanz erst dann einen Rang an, wenn sie nicht nur aus kritischem Wollen kommt, sondern ebenso aus dem Vermögen und der Bereitschaft, die besseren Wege zu weisen, sie zu kennen und mitzugehen. Die Gefahr jeder Kritik ist, daß sie Selbstzweck wird. Das Spiel der Form, des Fabulierens aus Selbstgefühl, der Zwang schließlich, gelesen, debattiert und diskutiert zu werden, verleitet den Kritiker, sein „Ich" in den Mittelpunkt zu stellen. „Es gibt keine Kritik, es gibt nur den Kritiker." 81 Bei A L F R E D K E R R wird diese Auffassung Grundsatz: „Der Kritiker ist ein Gegenschöpfer." Anders: der englische Schriftsteller W. S. M A U G H A M wendet sich gegen die Kritiker, „die auf Kosten des Autors amüsant sind". K A Y S S L E R , als Schauspieler und Künstler, verlangt „Ratschläge stammverwandten Geistes". L E S S I N G warnt, dem Künstler „die Sorge zu überlassen, selbst für seinen Verlust und Gewinn zu arbeiten". 62

80

Vgl. RENFORDT: Mahatma Gandhi. A.a.O., S. 97 f.

01

E i n A u s s p r u c h SIEGFRIED JACOBSOHNS. V g l . STEINKE, W . : D e r P u b l i z i s t S i e g f r i e d

Jacob-

sohn als Theaterkritiker. Diss. Berlin 1960, S. 87 ff. 82 Die Literatur kennt daher den Begriff des „Ich-Kritikers". Ausführliche Literaturangaben zu diesem umstrittenen Problem und systematische Darstellung vgl. DOVIFAT: Zeitungslehre. A.a.O. Bd. II, S. 63 ff. — Aufschlüsse über die Persönlichkeiten kritischer Publizistik geben ihre Sammlungen oder Lebenserinnerungen. — Vgl. u. a. KERR, A.: Gesammelte Schriften in 2 Reihen. Reihe 1.2. Berlin 1917 bis 1920. 1. Die W e l t im Drama. Bd. 1—5. — Ferner SIEBURG, F.: Nur für Leser. München 1961. — STUCKENSCHMIDT, H . H . : Glanz und

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Desweiteren sei hier auf die publizistischen Persönlichkeiten verwiesen, die in ihrer Sendung zäh und gegen jeden Rückschlag gewappnet blieben: Publizisten, die aus der Not und Vereinsamung der Emigration oder aus der Illegalität in ständiger Lebensbedrohung arbeiteten, aber auch in der Zwischenzeilentechnik (Camouflage) ihren Kopf riskierten. Manche gaben ihr Leben für ihre Überzeugungen." Mit besonderer Hochachtung werten wir, unter Anerkennung aller Quer- und Umwege, die publizistischen Persönlichkeiten, die das Leben wagten und opferten. 04 Unter ihnen seien aus der jüngsten Geschichte nur zwei genannt. In ihrer politischen Überzeugung und ihrer Weltanschauung stehen sie weit auseinander, im Wagemut und der Tapferkeit stehen sie gleich: F R I T Z M I C H A E L G E R L I C H , der Herausgeber des „Geraden Weg", und C A R L VON OSSIETZKI, der Redakteur der „Weltbühne". Gerlich (1883—1934) schuf 1931 die Zeitschrift „Der Gerade Weg". Er bekämpfte darin in sehr realer Einschätzung die skrupellose Gewalttätigkeit des Nationalsozialismus. Das Verfahren mochte manchen damals allzu laut erscheinen. In Wahrheit aber wäre es, wie wir heute wissen, die einzige Möglichkeit gewesen, ein über uns hereinbrechendes schonungsloses System auch schonungslos zu bekämpfen und vielleicht, wie es anderswo gelang, abzuschlagen. Im März 1933 wurde Gerlich verhaftet und am 30. Juni 1934 im Gefängnis ohne Richterspruch umgebracht." 5 Die zweite Persönlichkeit ist C A R L V O N OSSIETZKY. Auch er verfocht seine Überzeugung bis zum letzten. Noch in der Weimarer Zeit, im sogenannten „Weltbühnenprozeß" zu Gefängnis verurteilt, lehnte er die Flucht ins Ausland ab. Seinen Freunden hat er das publizistisch begründet: „Der politische Kampf", so sagte er, „läßt sich nur im eigenen Lande führen . . . Im Ausland dient der Publizist gegen den Militarismus, gewollt oder ungewollt, fremden Interessen." „Wenn man", so fährt er fort, „den verseuchten Geist eines Landes wirkungsvoll bekämpfen will, muß man dessen allgemeines Schicksal teilen". Als dem vom Hitlerregime Verhafteten 1938 der Nobelpreis verliehen wurde, bekräftigte er erneut diese Überzeugung. Freiheit und Leben hätte er gerettet, wenn er den Preis abgelehnt hätte.

Elend der Musikkritik. Berlin 1957. — CARL LINFERT: Glückwünsche seiner Freunde zum 60. Geburtstag. Köln 1960. — Uber die Publizisten der Neuen Rundschau vgl. GROTHE, WOLFG.: Die N e u e Rundschau des Verlages S.Fischer. Ein Beitrag zur Publizistik und Literaturgeschichte der Jahre v o n 1890—1925. Diss. Berlin 1960. — Vgl. BAB, ILSE: Der Theaterkritiker Julius Bab. Diss. Berlin 1952. — Vgl. DOVIFAT, E.: Kritik der Kritik. Festschrift für Hanns Braun. In: Publizistik 1963. H. 5. 63 Vgl. hierzu Die illegale und Die verdeckte und maskierte Publizistik, S. 79 ff. Die publizistische und charakterliche Leistung ist dort im einzelnen dargestellt. 64 Vgl. hierzu, zum Vorangegangenen und Nachfolgenden S. 77. Ebendort auch weitere Literaturangaben. 65 Vgl. ARETIN, E.V.: Fritz Michael Gerlidi. München 1949. — BENDER, O.: Der Gerade W e g und der Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur katholischen Widerstandspresse. Diss. München 1954.

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DIE GRUNDBEGRIFFE DER PUBLIZISTIK

Er nahm ihn an und starb als Gefangener. Er opferte sein Leben in vollem Bewußtsein.®6 In der jüngeren Entwicklung der Publizistik kommen Charaktere hoch, die glauben, in grundsätzlicher Negation eine Aufgabe zu erfüllen. Dieser W e g — so notwendig jede freie Demokratie scharfen politischen Kampf und sachliche Polemik braucht — zielt früher oder später aus der Totalität der Negation in das totale Ende aller Freiheit. Das Leben der Demokratie bedarf auch überzeugender Verteidigung, ja werbender Anerkennung und Hilfe für die verantwortlich Schaffenden, so wie es der begründeten und sachkundigen Kritik aus entgegengesetzter Überzeugung bedarf. Einen Nihilismus, der beides verneint, kann die Demokratie, zumal im Zustande leicht entzündlicher Massenbewegungen, nicht ertragen. Die Weimarer Demokratie ist nichtzuletzt darum untergegangen, weil gerade die politischen Grundlagen, die allen gemeinsam hätten sein sollen, bekämpft und negiert wurden. Der publizistischen Persönlichkeit muß es heute gelingen, auch in der Massendemokratie die immer neuen Aufgaben, die das öffentliche Leben stellt, von der Gemeinde bis zur Staatsführung und sogar bis in die internationalen Bindungen hinein dem Volksganzen in Freiheit und Verantwortung nahe zu bringen. Das Volksganze sollte aufmerken, verstehen, in der Tiefe wahrhaftigen Lebens angesprochen sein, überzeugt und bereit zur Mitarbeit, also bestimmt im Tun und Handeln. Damit wäre eine Aufgabe höchsten Ranges erreicht, die einzige, die uns die demokratische Freiheit erhalten kann.

"

V g l . KANTOROWICZ, A . : B e g r a b e n e F r e i h e i t . I n : D i e W e l t b ü h n e . N r . 1 0 / 1 9 4 6 . —

KOPLIN,

R.: Carl von Ossietzky als politischer Publizist. Berlin u. Frankfurt/M. 1964 (Diss. Berlin 1963). — ENSELING, A.: Die Weltbühne. Organ der intellektuellen Linken. Münster 1962.

II. Die Erscheinungsformen der Publizistik

W i r unterscheiden in der publizistischen A k t i o n , j e nach der Reife der Idee und der N ä h e des Zieles, j e nach der erstrebten W e i t e der V e r b r e i t u n g , j e nach der Entschiedenheit und Schärfe des publizistischen Kampfes, drei Erscheinungsformen: die ideenfindende und w e g e b a h n e n d e ; die v e r b r e i t e n d e und erobernde (Propaganda), die kämpfende, ü b e r w ä l t i g e n d e , vernichtende Publizistik (Agitation). Alle

drei Formen

mäßige Beeinflussung

haben

eines

gemeinsam:

anderer zu bestimmten

sie werben.

Werbung

Willensäußerungen

und

ist die

plan-

Handlungen.

Das W e s e n der W e r b u n g ist B e w e g u n g , ihr Ziel Tun, Handeln, Leisten. Die Sprachwurzel v e r r ä t uns den Sinn. Mittelhochdeutsch „ w e r v e n " bedeutet „sich drehen", „unablässig tätig sein". A u s gleicher Sprachwurzel stammt „hwerf", der „ W i r b e l " , eine Höchstleistung sich drehender Beweglichkeit. Ins A k u s t i s c h e übertragen, heißt der Begriff folgerichtig „Trommelwirbel" 1 . Die Trommel, der „Trommler" sind h e u t e das S y m b o l j e d e r W e r b u n g („die W e r b e t r o m m e l rühren!"), j e d e s lauten, inständigen, ausdauernden und z w i n g e n d e n A n r u f e s der Öffentlichkeit. 2

10. Die ideenfindende und wegebahnende Publizistik Die erste Erscheinungsform des Publizistischen g e h t zunächst noch bei gedämpftem Trommelklang. J e d e n e u e B e w e g u n g in der Weltgeschichte braucht gleichsam eine Zeit ersten Keimens. Die Idee bedarf behutsamer Pflege, muß wachsen, W u r z e l schlagen. So g e w i n n t sie geistige und politische Stoßkraft. Nach ihrer Natur und ihrem Ziel plant sie den W e g in die Öffentlichkeit und bestimmt, w i e sie ihn g e h e n soll. Solange sich publizistische A k t i o n e n in der Geschichte beobachten lassen, gibt es für j e d e g e i s t i g e und politische B e w e g u n g Anlauffristen, Starts und Fehlstarts, Konzentrierung auf das Ziel, Proben und Prüfungen, es zu erreichen. 1

1 Vgl. KLUGE, F.: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 19. Aufl. Berlin 1963, S. 855. Zur Theorie und Geschichte der Werbung: BUCHLI, H.: 600 Jahre Werbung. Geschichte der Wirtsdiaftswerbung u. der Propaganda 3. Bd. Berlin 1962. 2 In gefährlicher Fehleinschätzung hat man Hitler „nur einen Trommler" genannt und danach geglaubt, man werde ihn, „wenn er erst regieren muß", spielend überwinden. 1 Auch religiöse Entwicklungen, wenn wir sie in die publizistische Systematik auch nicht einbeziehen (vgl. S. 11, Anm. 6), zeigen solche Phasen klärender Vorbereitung. Im Christentum z. B. geht der Weg von den Beratungen und Erwägungen der Apostel (Briefe, Rundschreiben) bis zur Weite des Pfingstwunders und den Gang in die universale Sendung.

DIE ERSCHEINUNGSFORMEN DER PUBLIZISTIK

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Kaum etwas ist in der Geschichte der Publizistik so lehrreich, wie das erste Aufsprudeln neuer Ideen aus den Quellgebieten des geistigen, des politischen und sozialen Lebens. Zustände, Ereignisse, Mißbräuche, unerläßliche Zeitforderungen, zwingende Notlagen bereiten, mit mehr oder weniger Dynamik, die neue Lehre, die „glückbringende Lösung" des Lebens vor. Sie regen zu verheißungsvollen Plänen an, die fordern, wie es sein müßte, in einer neuen, erst zu erkämpfenden Welt. Diese Pläne reichen bis zur Utopia (ou topos = der Ort, den es nirgends gibt), aber die den Realitäten Rechnung tragenden Kräfte suchen die W e g e zu bahnen, die Öffentlichkeit anzusprechen und sie vor den neuen Karren zu spannen. Sie betreiben ideentindende und wegebahnende Publizistik. Jede Bewegung formuliert zuerst ihr Piogiamm. Dann schaut sie, wie sie es durchsetzen kann, wie sie der Idee den W e g in die Verwirklichung öffnet. Allein aus den letzten drei Jahrhunderten gibt es, im folgenden skizziert, treffende Beispiele. J O H N M I L T O N S Schrift „Areopagitica for the Liberty of Unlicensed Printing" (1644) leitete die Bewegung ein, die schließlich die Pressefreiheit durchsetzte.2 Durch sein Buch „An Inquiry into the nature and causes of the wealth of nations" (1812) setzte A D A M S M I T H die Freihandelsbewegung, den Wirtschaftsliberalismus in Fahrt, dessen Auswirkung in der verbreitenden und erobernden Publizistik später große wirtschaftliche Umwälzungen bewirkte. Auf dieser Grundlage wurde in England auch die „Anti-Korn-Zoll-Liga" ins Leben gerufen. R I C H A R D COBDEN organisierte publizistisch die ersten Massenkundgebungen der jüngeren Geschichte. In Frankreich war ein Konversationslexikon: die „Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences" (1751—72), die politische, ideenfindende Vorbereitung dessen, was in der Französischen Revolution sich durchsetzte.3 FRIEDRICH LIST gründete auf dem Frankfurter Handels- und Gewerbetag 1819 den „Deutschen Handels- und Gewerbeverein" mit dem Ziele der wirtschaftlichen Einigung Deutschlands. Zellen-, Gruppen- und Vereinsbildungen sind die Anfänge wegebahnender Publizistik. Lists nächster Schritt war die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift. Zeitschriften stehen, wie die Gruppenbildungen ebenso am Anfang vieler jungen Bewegungen.4 Es kam zur Gründung des „Deutschen Zollvereins" und 1833 zur Aufhebung der deutschen Binnenzölle, der Vorstufe zur deutschen politischen Einheit.5 Auf ähnliche Weise brach List den Widerstand gegen den Bau eines deutschen Eisenbahnnetzes."

Vgl. S. 172. Die Auseinandersetzung entzündete sich an einer 1643 erschienenen Schrift MILTONS über die Ehescheidung, die verboten worden war. 3 Vgl. LEHMANN, E. H.: Geschichte des Konversationslexikons. A.a.O. sowie die Darlegungen S. 290. 4 Vgl. S. 278. 5 W e r hier, was naheliegend ist, die Parallele zur Europabewegung sucht, wird feststellen, daß die ideenfindende Vorbereitung sich gründlich vollzieht, die verbreitende, massenerobernde Publizistik hier aber —- wenigstens zur Zeit — noch nicht eingesetzt hat. 6 Vgl. MÖLLER, J.: Friedrich List. A.a.O. 2

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DIE IDEENFINDENDE UND WEGEBAHNENDE PUBLIZISTIK

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Die marxistische Bewegung hatte in den „Deutsch-französischen Jahrbüchern" Mitte der 40er Jahre bereits die Grundsätze erarbeitet, die dann im „Kommunistischen Manifest" (1847) die breiteste internationale Öffentlichkeit erreichten. Was K A R L M A R X mit dem Ausbruch der Revolution von 1848 in seiner „Neuen Rheinischen Zeitung" an Schlagworten und Redewendungen prägte 7 , erfüllte jahrzehntelang den agitatorischen Katechismus des marxistischen Sozialismus. Die kommunistische und nihilistische Bewegung in Rußland hat ihre ideenfindenden Vorläufer in Publizisten wie M I C H A E L B A K U N I N 8 und A L E X A N D E R H E R Z E N . Selbst die Fortentwicklung des marxistischen Lehrgebäudes durch Lenin hat sich zunächst in den langen Jahren der Emigration nicht explosiv, sondern langsam und in harter Gedankenarbeit vollzogen. Die kommunistische Umwälzung brach dann 1917 als die revolutionäre Aktion einer Minderheit aus, die sich mit Gewalt durchsetzte. Sie konnte sich nur durchsetzen, weil das Programm scharf und genauestens in der Emigration vorbereitet und in der Phase der ideenfindenden Publizistik reif geworden war.' Weniger laut, evolutionär und praktisch bemüht ist die ideenfindende Vorbereitung und Verbreitung der christlich-sozialen Bewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ihre Ansätze bestanden nicht aus großen Programmen. Sie lagen im Vorbild und Beispiel der sozialen Leistung, der Hilfe, der Sorge und Fürsorge. W I C H E R N , V I C T O R A I M E H U B E R , K E T T E L E R , K O L P I N G U. a. gaben das Vorbild für die äußerlich oft unscheinbare soziale Tat. Aber ihr Beispiel entwickelte eine Werbekraft, die soziale Reformen durchsetzte, die heute selbstverständlich sind, niemals aber aus rein agitatorischer Arbeit hätten gewonnen werden können. 10 In dieser Werbung durch Vorbild und Beispiel erkennen wir die zweite Form der ideenfindenden und wegebahnenden Publizistik. Handlung und Werbung fallen nicht auseinander. Tat und Beispiel selbst werden überzeugende publizistische Mittel. Die durch ihr Beispiel Werbenden sind also gleichzeitig die Träger der sozialen Zusammenarbeit. In Arbeitszeiten11 überwinden sie durch praktische 7 Vgl. KÜMHOF, H.: Karl Marx und die N e u e Rheinische Zeitung in ihrem Verhältnis zur demokratischen Bewegung der Revolutionsjahre 1848/49. A.a.O. — Vgl. auch SCHWARZSCHILD, L.: Der rote Preuße. Leben und Legende von Karl Marx. Stuttgart 1954, Kap. 7 und 8. Vgl. auch S. 271. 8 Vgl. TANNEWITZ, H. K.: M. A. Bakunins publizistische Persönlichkeit. Diss. Berlin 1962. 9 In kaum einer politischen Schrift tritt diese Arbeit deutlicher hervor als in der Anfang 1918 abgeschlossenen Flugschrift LENINS: Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht. Berlin 1919. Vgl. HAAS, L.: Lenins unbekannte Briefe 1912—14. Zürich 1966. 10 Vgl. S. 45. — Kolping ebenso wie Wichern fanden auch im Bereich des geschriebenen Journalismus die Möglichkeit, erste Erwägungen ihrer Lehre zu entwickeln und sie werbend in Fahrt zu setzen. Für beide Bewegungen fallen interessanterweise begründende Kundgebungen in das gleiche Jahr wie das „Kommunistische Manifest". Vgl. u. a. BÖTTCHER, H.: Das publizistische Werk J. H. Wicherns. A.a.O. sowie die Arbeiten Kolpings in der frühen rheinischen katholischen Presse. Vgl. RIDDER, B : Person und Leben Kolpings. Köln 1955 und SCHMOLKE, M.: Adolf Kolping als Publizist. A.a.O., S. 17 ff. und S. 79. Die Arbeit bringt treffende Beispiele für die ideenfindende Publizistik. 11 Zellenbildungen sind häufig das Mittel der wegebahnenden Publizistik, besonders dann, wenn die geschriebene Form der Werbung nicht möglich ist. THOMAS MÜNZERS radi-

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DIE E R S C H E I N U N G S F O R M E N DER PUBLIZISTIK

Hilfe die radikale Agitation. Aus diesem Geist tätiger Hilfe kam F R I E D R I C H N A U zur Politik. Seit Dezember 1894 gab er die Wochenschrift „Die Hilfe" heraus, um die sich die jüngeren Christlich-Sozialen scharten. 12 In seiner „Hilfe" hat Naumann ein typisches Beispiel für die ideenfindende und wegebahnende Publizistik gegeben. In seinem Buch Friedrich Naumann, der Mann, das Werk, die Zeit13 zeigt T H E O D O R H E U S S , wie die publizistische Leistung Naumanns die politische nach sich zog. Die Bewegung, die zur Sklavenbefreiung in den Vereinigten Staaten führte (1865), begann bei einem Quäker namens B E N J A M I N LUNDY14, der in Ohio zunächst dürftige Vorarbeit leistete und der Idee die ersten Wege bahnte, die später zum großen humanitären Siege führte. Lundy gründete ein Blatt gegen die Sklavenhaltung. Er schrieb, setzte und druckte dies Blatt selbst, trug die gedruckten Stücke auch selbst aus. W I L L I A M L L O Y D G A R R I S O N übernahm dann spater (1831) die Forderung Lundys und brachte sie in seinem Blatte „The Liberator" in weitere Kreise. Die Idee wurde dann — trotz heftigster Gegenwehr 15 — von G R E E L E Y und anderen in die Breite getragen. Die Auseinandersetzung führte zum Bürgerkrieg (1861 bis 1865), der dann die Aufhebung der Sklaverei zur Folge hatte. MANN

Auch der im Hitlerregime zu so furchtbaren Menschenvernichtungen führende Antisemitismus begann in einer publizistischen Inkubationszeit. Die Anfänge des Antisemitismus gehen bis tief ins Mittelalter zurück, das — u. a. im Zusammenhang mit den Kreuzzügen — blutig ausbrechende Judenpogrome erlebte. Im 19. Jahrhundert hat der Antisemitismus in Deutschland sowohl bei den Demokraten (Richtung A H L W A R D T ) als auch in Gruppen der Christlich Sozialen in Berlin 1 ( S T O E C K E R ) und in Wien gefährliche Aufwallungen erfahren. ' Seine folgenschwere Entwicklung nahm der Antisemitismus aus einer zunächst ganz liberal gedachten Idee, die der französische Diplomat G R A F G O B I N E A U in seinem „Essay sur l'inégalité des races humaines" (1853—1855) vortrug. Diesen Gedanken variierte H O U S T O N S T E W A R T C H A M B E R L A I N (1855—1927), geborener Engländer und Wahldeutscher, Schwiegersohn R I C H A R D W A G N E R S , in seinem Buch über „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts" 17 . Sein Buch, das der „nordisch-arischen Rasse" allein Kulturkraft kale, gegen L U T H E R gerichtete Bewegung begann mit einer solchen Zellenbildung, die dadurch ihr besonderes Gepräge erhielt, daß die Beteiligten, der religiösen Bindung der Zeit entsprechend, sich für den kleinen Kreis der „Berufenen" hielten. Vgl. B L O C H , E.: Thomas Münzer als Theologe der Revolution. München 1921 u. Frankfurt a. M. 1962. 12 Vgl. S. 278. 13 Stuttgart/Berlin 1937. 14 Vgl. D O V I F A T , E.: Der amerikanische Journalismus. A.a.O. — C O O P E R , M.: Horace Greeley als Publizist. A.a.O. 15 Die Pflanzer des Sudens fürchteten Greeleys publizistische Aktion so, daß sie einen Preis auf seinen Kopf setzten. 16 Dieser Antisemitismus war allerdings nicht rassisch bestimmt. Wer getauft war, galt z.B. für Stoecker nicht mehr als Jude. Vgl. F R A N K , W A L T E R : Hofprediger Adolf Stoecker und die christlich-soziale Bewegung. Berlin 1928. S. auch S. 151. 17 München 1899, spater in vielen Volksausgaben verbreitet. Einzelheiten über die Technik Ch's. s. S. 152. Vor Chamberlains Werk erschien E U G E N D Ü H R I N G S Schrift: Die Juden-

DIE IDEENFINDENDE UND WEGEBAHNENDL

PUBLIZISTIK

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zusprach, war in gefährlicher Weise Vorläufer der nationalsozialistischen Ideologie. Von dorther übersetzte D I E T R I C H E C K A R T den Antisemitismus in volkstümliche Parolen, die auch T H E O D O R F R I T S C H in seiner Zeitschrift „Der Hammer" mehr lebensreformatorisch als politisch vortrug. A L F R E D R O S E N B E R G gab dem Antisemitismus dann die diffamierende Wendung. J U L I U S S T R E I C H E R radikalisierte darauf den Antisemitismus bis in die niedrigsten Formen des Rassen- und Massenhasses, in die blutige Agitation der Wochenschrift „Der Stürmer". Offen wurde die Absicht vorbereitet, die Juden auszurotten, ein erschreckendes Beispiel der gefährlichen Stufenfolge publizistischer Erscheinungsformen. Ebenso auch eine Mahnung, wohin unwahre Theorien, falsche Mythen, unrealistische Phantasien und wissenschaftliche Fehlanalysen führen können, wenn sie, publizistisch ausgebeutet, zum Ziel politischen Handelns werden.18 Die ideenfindende Publizistik ist auch in den großen politischen Gruppen unserer Zeit unschwer festzustellen. Die zwar nicht publizistisch hart markierte, aber doch entschlossene Abwendung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands von ihrer marxistischen Herkunft ist seit den frühen fünfziger Jahren zu beobachten. Wie jede geistig-politische Bewegung führte die SPD, ehe sie die verbreitende Publizistik freigab, eingehende und gründliche Überlegungen durch. Die Fortentwicklung ihrer Ideologie wurde publizistisch sorgsam geplant, im Für und Wider erörtert." Wieder sind es die Zeitschriften, in denen die Argumente für geplante

frage als Racen-, Sitten- und Culturfrage. Mit einer weltgeschichtlichen Antwort. Karlsruhe, Leipzig 1881, die dem Antisemitismus philosophische Begründung zu geben suchte. Uber die antisemitische Bewegung in Frankreich, vor allem im Zusammenhang mit der DreyfusAffaire, unterrichtet: SCHMIDT, LIESELOTTE: Edouard Drumont — Emile Zola. Publizistik und Publizisten in der Dreyfus-Affaire. Diss. Berlin 1962. 19 So wie sie Massenwahn schaffen können, können und müssen publizistische Leistungen ihn auch wieder bannen, ein Vorgang, der nur sehr viel langsamer zu vollziehen ist. Vgl. A D L E R , H. G.: Die Juden in Deutschland. München 1960. — A R E N D T , H.: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. München 1964. — BÖHM, F R A N Z : Antisemitismus. Vortrag anl. d. Kongresses d. dt. Ges. für Christl.-Jüdische Zusammenarbeit in München am 12. März 1958. Frankfurt a. M. 1958. — KRUMMACHER, F. A.: Die Kontroverse Hannah Arendt, Adolf Eichmann und die Juden. München 1964. — MASSING, P . W . : Vorgeschichte des politischen Antisemitismus. Frankfurt a. M. 1959. •— REITLINGER, G.: Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939—1945. Berlin 1956. — SALLER, K.: Die Rassenlehre des Nationalsozialismus in Wissenschaft und Propaganda. Darmstadt 1961. — SCHEFFLER, W O L F G . : Judenverfolgung im Dritten Reich 1933—1945 Berlin 1960. — STERLING, E.: Er ist wie du. Aus der Frühgeschichte des Antisemitismus in Deutschland. München 1956. 18 Die Geschichte des Sozialismus, in seiner freiheitlich demokratischen wie in seiner totalitären Gestalt, ist getragen von den inneren Gegensätzen, die, wiederum ideenfindend vorbereitet, zu Spaltungen und Neurichtungen führten. Eine der folgenschwersten Spaltungen erfolgte 1903, als sich die radikalen, alles fordernden „Bolschewisten" von den gemäßigten „Menschewisten" trennten. In der deutschen Sozialdemokratie gab es lange die Aufteilung zwischen dem Radikalismus (BEBEL — LIEBKNECHT) und dem Revisionismus (KAUTSKY, Sozialistische Monatshefte). Noch heute beziehen sich die chinesischen Kommunisten in Ihrer publizistischen Auseinandersetzung mit den Sowjets auf diesen Gegensatz. Die Koexistenzpolitik bezeichnen sie als einen Revisionismus, „der Kautsky gut ange-

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DIE ERSCHEINUNGSFORMEN DER PUBLIZISTIK

Kehrt- oder Neuwendung diskutiert werden. Ehe Zeitschriften möglich sind, werden für kleine Kreise „Rundbriefe" oder ähnliche halbpublizistische Erzeugnisse ins Leben gerufen. Hier wird umsichtig und unter Beteiligung auch entgegenstehender Kräfte die neue Haltung erarbeitet. Für die deutsche Sozialdemokratie gründete O T T O S U H R 1 9 4 8 eine unabhängige Zeitschrift: „Das sozialistische Jahrhundert". Ihr war die unbeeinflußte Aussprache als Aufgabe gesetzt. Sie wurde eingestellt, als die Unabhängigkeit nicht mehr zu wahren war.20 1954 wurde in der Zeitschrift „Die neue Gesellschaft" eine um die Idee und die Grundhaltung der SPD diskutierende Publikation geschaffen. Sie hat sich mit der ideologischen Neuausrichtung in grundsätzlichen Artikeln eingehend beschäftigt. Einen Vorläufer typisch schürfender Art fanden 1954 die ersten Erwägungen über die Umwandlung der Partei zur „Volkspartei" in einem publizistisch interessanten Vorgang. Eine Reformgruppe ( P A U L H E R T Z , G. K L I N G E L H Ö F E R , S. A U F H Ä U S E R , P A U L L O B E und E. U M R A T H ) mühte sich, die Diskussion über den „geistigen und politischen Standort der SPD" zu fördern. Die Aussprache sollte in „Ernst Reuter-Briefen" erfolgen. 21 1960 hat die publizistisch so sorgfältig vorbereitete Aktion die Reife zur verbreitenden Publizistik erreicht. Die Wendung ist durch das „Godesberger Programm" und H E R B E R T W E H N E R S programmatische Bundestagsrede vom Sommer I 9 6 0 2 2 deutlich geworden. Auch in der Geschichte der CDU zeigt sich die publizistische Stufengliederung. Die Gründungsprogramme, 1945 in Berlin und im Westen Deutschlands getrennt beraten, stimmten dennoch fast bis in die stilistischen Formulierungen überein. Ohne eine voraufgegangene ideensuchende Publizistik wäre das unmöglich gewesen. Allerdings lag die ideenmäßige Vorbereitung weiter zurück. Die von großen Teilen der evangelischen, insbesondere der bekennenden Kirche und der katholischen Kirche im Widerstand gegen das Hitlerregime gemeinsam gewonnene Erfahrung ist eine der Gründungskräfte der CDU/CSU. Ferner greift die ideenmäßige Vorbereitung sowohl auf das Gedankengut der alten Zentrumspartei („Politik aus christlicher Verantwortung" usw.) als auch auf die Grundauffassungen der kirchlich evangelischen Gruppen zurück, die sich in der Weimarer Zeit von den Nationalisten Hugenbergischer Richtung trennten. Beide Bewegungen, die des Zentrums und die der nichtnationalistischen Gruppen der Rechten, standen der „Christlich-nationalen Gewerkschaftsbewegung" nahe (Essener Programm).

standen hatte". Die Wandlungen des totalitären Sozialismus hat HANS-JOACHIM LIEBER festgehalten in: Die Philosophie des Bolschewismus m den Grundzugen ihrer Entwicklung. Frankfurt a. M., Berlin, Bonn 1957. 20 Persönliche Mitteilung SUHRS an den Verfasser, auch im letzten Heft seiner Zeitschrift angedeutet. 21 dpa-Meldung v o m 15. 1. 1954 und Mitteilung KLINGELHÖFERS an den Verfasser vom 16. 1. 1954. 22 Vgl. SANDOW, J.: Die Rhetorik i. dt. Bundestag. Eine Studie zur Publizistik der parlamentarischen Rede. (Ungedruckte Dissertation der Phil. Fakultät der Freien Universität Berlin 1962) Auszug in: Publizistik 1962, H. 5, S. 278—292.

DIE V E R B R E I T E N D E U N D EROBERNDE PUBLIZISTIK

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Es s t a m m t e schon aus d e m J a h r e 1920 u n d f o r d e r t e eine „christliche Linie" 2 3 in d e r Politik, e b e n s o a b e r h o b es die Ü b e r w i n d u n g der k o n f e s s i o n e l l e n G e g e n s ä t z e durch eine entschieden d e m o k r a t i s c h e P a r t e i als K e r n p u n k t h e r a u s . Die d e r a r t a u s vielen Q u e l l e n z u s a m m e n s t r e b e n d e n G r u n d g e d a n k e n f a n d e n 1945 i h r e n A u s druck in d e n P r o g r a m m e n der CDU u n d CSU u n d w u r d e n d a n n die Basis ihrer politischen A r b e i t . Mit d e m Ü b e r g a n g der zur „ v e r b r e i t e n d e n Publizistik" g e r e i f t e n Ideen, bleibt d e r e n W e i t e r b i l d u n g im K r e i s e der f ü h r e n d e n Persönlichkeiten e i n e unerläßliche A u f g a b e . Sie erfolgt meist auf d e m W e g e der Zeitschrift. Es e n t s t e h e n s o g e n a n n t e Führungsblätter mit k l e i n e r A u f l a g e f ü r W e i t e r f ü h r e n d e u n d W e i t e r d e n k e n d e . Bei d e n G e w e r k s c h a f t e n sind es die „ V e r b a n d s b e a u f t r a g t e n " (Funktionare), die durch F u n k t i o n ä r s z e i t s c h r i f t e n b e s o n d e r s u n t e r r i c h t e t werden. 2 4 V i e l e Beispiele ähnlicher A r t w ä r e n aus der Geschichte der politischen P a r t e i e n u n d B e w e g u n g e n in Deutschland u n d im A u s l a n d a n z u f ü h r e n . " Sie b e w e i s e n : J e d e n e u e B e w e g u n g in der Öffentlichkeit — politischer, k u l t u r e l l e r , wirtschaftlicher o d e r sozialer A r t — bedarf d e r v o r b e r e i t e n d e n Publizistik. Die Idee findet so die p r o g r a m m a t i s c h e Form. Für d a s P r o g r a m m muß der W e g in die Öffentlichkeit g e b a h n t u n d die Mittel, sich in der Öffentlichkeit durchzusetzen, m ü s s e n geschaffen w e r d e n . Die i d e e n f i n d e n d e u n d w e g e b a h n e n d e Publizistik ist d a h e r stets die erste Stufe j e d e r publizistischen A k t i o n . Ihre publizistischen Mittel sind Zellen-, G r u p p e n - u n d V e r e i n s b i l d u n g e n , R u n d b r i e f e , Flugblätter, Flugschriften u n d schließlich u n d b e v o r z u g t die Zeitschrift.

11. Die verbreitende und erobernde Publizistik In d e n publizistischen L e b e n s f o r m e n der m o d e r n e n M a s s e n g e s e l l s c h a f t vollzieht sich, ob n u n aus d e m o k r a t i s c h e r o d e r t o t a l i t ä r e r G r u n d h a l t u n g , e i n e f o r t l a u f e n d e A n s p r a c h e der breitesten Öffentlichkeit. Sie vollzieht sich in Nachricht u n d Meinung, oft mit d e m deutlichen publizistischen Ziel, T u n u n d H a n d e l n auszulösen. Die Öffentlichkeit steht u n a u s g e s e t z t in d i e s e m publizistischen Prozeß, in kollektiver A u s r i c h t u n g o d e r in f r e i e r Position u n d Opposition. Der S t a a t e b e n s o w i e die politischen G r u p p e n , als E i n h e i t s p a r t e i o d e r im parteipolitischen Pluralismus, b e g r ü n d e n o d e r v e r k ü n d e n politische, k u l t u r e l l e , soziale, wirtschaftliche Ziele, u m sie durch publizistische Mittel aller technischen F o r m e n in T u n und H a n d e l n der Angesprochenen umzusetzen. 23

Audi diese Linie hatte wiederum in der evangelischen und in der katholischen Soziallehre und in deren Verbreitung ihre „wegebahnende Publizistik". Vgl. S. 45, Anm. 32 und die Arbeit der Männer um Wichern, Ketteier und Kolping. 24 Vgl. S. 278. 25 So die Beispiele aus der englischen Parteigeschichte, etwa in der Publizistik der „Fabier" als Vorbereitung der Ideologie der Labour Party. Frankreich war seit je ein Laboratorium, Ideen zu finden und ihnen den Weg zu bahnen, nicht nur mit der Ideologie

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DIE E R S C H E I N U N G S F O R M E N DER PUBLIZISTIK

Ist schon das Nachrichtenwesen, die Information, eine Voraussetzung des gesellschaftlichen Lebens überhaupt, die geistig-politische Einflußnahme ist organisch damit verbunden, sei es nur, daß sie die Grundelemente liefert für die wirklich oder vermeintlich freie politische Entscheidung des Einzelnen. Dieser Wille, zu unterrichten, zu beeinflussen, ja zu führen, zeigt sich in dieser Aktivität, die wir die verbreitende und erobernde Publizistik nennen. Wird dieser dynamische Wille, zu beeinflussen, penetrant oder überspitzt, spricht man — nach dem Sprachgebrauch seit 45 Jahren — v o n „Propaganda". Dieser Begriff „Propaganda"1 ist in der freien Welt in Verruf geraten, man hat ihn in Verruf gebracht. In seiner neuen A n w e n d u n g entwickelte er sich im Ersten Weltkrieg. Man bezeichnete auf Seiten der Alliierten als Propaganda zunächst die geistige Kriegführung, die den militärischen W a f f e n g a n g begleitete. 2 In der Tat wurde der Kampf mit einer massenpsychologischen Schärfe geführt, w i e sie, in der W e i t e der Verbreitung, bis dahin noch nicht aufgetreten war. 3 Sicher hing das mit der Natur dieses ersten wirklichen Weifkrieges zusammen. Die ganze W e l t war zum erstenmal beteiligt. Es galt, Neutrale zu überzeugen, hereinzuziehen oder fernzuhalten. Vor allem aber mußten die breiten Massen in den kriegführenden Staaten (zumal in den kolonialen Ländern) ideologisch mobilisiert werden, Massen, denen ideologische Begründungen bis dahin kaum geläufig waren. A l s sich Ende des Ersten Weltkriegs der propagandistische Qualm verzog, hatte die unausgesetzt hämmernde Propaganda sehr verhärtete Bewußtseinsbestände in den Massen zurückgelassen. Feste Vorurteile, Diffamierungen, stereotype Entstellungen und Fehlbegriffe waren so tief eingewurzelt, daß sie selbst in

von 1789, sondern auch mit anderen Doktrinen, die hier entwickelt, anderswo aber zu politischen Bewegungen wurden; man vergleiche die Rolle SORELS im Wachsen der faschistischen Ideologie und der „Action Française" D A U D E T S , von der das „politische Soldatentum" seinen Ausgang nahm und in Deutschland und Italien viel Unheil anrichtete, nicht aber in Frankreich. 1 Die Herkunft des Begriffs ist oft beschrieben worden. Es erübrigt sich, ihn hier nochmals zu analysieren. Wichtig ist nur zu wissen, daß das 1622 gegründete päpstliche Missionsinstitut „Congregatio propagandae fide" bereits über zahlreiche, den Missionen dienstbare Werbemittel, Bibliotheken, fremdsprachliche Druckereien usw. verfügte. Das gehört bis heute zur Propaganda: Sie ist ohne eine Organisation, einen Apparat nicht denkbar. Wenn man ihn aus seiner Sprachwurzel versteht, muß man dem Begriff zunächst einen durchaus friedlichen Sinn zugestehn. Die Wurzel „pac" von lateinisch „pangere" ( = einstecken, einschlagen, übertragen, verbreiten und aussäen) ist auch im Worte „pax" ( = Frieden) enthalten. Vgl. Entwicklung und Wertung: KRUMBACH, J . H.: Grundfragen der Publizistik. A.a.O., S. 1 1 ff. vgl. auch BUCHLI, H.: a.a.O. Bd. I . , S. 1 8 . 2 Man sprach damals von einem „Katalaunischen Problem", in Erinnerung an die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern zwischen Châlons-sur-Marne und Troyes (wo die vereinigten Römer, Westgoten und Burgunder 451 die Hunnen unter Attila schlugen). Von dieser Schlacht wird berichtet, daß die Geister der Gefallenen in den Lüften das Ringen auf dem Schlachtfelde weiterführten. Einzelheiten in den Schriften über die Propaganda im 1. Weltkrieg, so bei P L E N G E , J.: Deutsche Propaganda. A.a.O., S. 19. — S T E R N - R U B A R T H , E.: Die Propaganda als politisches Instrument. A.a.O., S . 7 und SCHULTZE-PFÄLZER, G.: Propaganda, Agitation, Reklame. Berlin 1923, S. 79. — BLAU, A.: Geistige Kriegsführung. Potsdam, 1937. 3 über die Massenführung im Kriege vgl. S. 134.

DIE VERBREITENDE U N D EROBERNDE PUBLIZISTIK

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der Friedenszeit eine wahre Versöhnung und Befriedung hintertrieben. Die propagandistisch in langer massenpsychologischer Arbeit festgeforenen Eisfelder falscher, in künstlichem Frost erstarrten Haßkomplexe unterliegen dem Kältegesetz und sind nicht von heute auf morgen in freundliche Wärme wieder aufzutauen.4 Nicht zuletzt auch an diesen massenpsychologischen Verhärtungen scheiterte die gutgemeinte Friedensaktion der

„14

Punkte"

des Präsidenten

WOODROW

WILSON. So war diese Versteifung mitverantwortlich für die scharfen Bestimmungen des Versailler Vertrags, die sich so verhängnisvoll auswirkten, weil sie halfen, in Deutschland den Nationalismus großzuziehen. Es spricht für die Einsicht und Loyalität der angelsächsischen Mächte, daß sie Anfang und Mitte der zwanziger Jahre ihre propagandistischen Entstellungen im Ersten Weltkrieg zurück nahmen.5 Der Begriff „Propaganda" kam weiter dadurch in Verruf, daß das Hitlerregime ihn m suggestiver Ubersteigerung zu einem „Mittel der Staatsführung" machte und ein Ministerium nach ihm benannte.6 Mag der Begriff auch noch so gelitten haben: öffentliche Unterrichtung und Führung sind auch in der Demokratie notwendig. Aber sie erfolgen hier unter dem Vorzeichen der Freiheit und in der anerkannten Vielzahl der politischen Richtungen. Jedoch wendet weder die verbreitende und gewinnende Publizistik der Parteien noch die der Exekutive den Terminus „Propaganda"

an. Man spricht von „Information", und entsprechend

hat man auch die damit befaßten Ämter bezeichnet, man verwendet gerne diesen Begriff „Information". Pocht doch in der Demokratie jeder einzelne nach der suggestiven überhitzung der Meinungsführung in den Weltkriegen wieder auf sein Recht, „informiert zu sein". Jeder sagt heute, er ist es seiner Selbstachtung schuldig, nicht „geführt", sondern unterrichtet zu werden, um aufgrund „objektiver" Information „freie Entscheidungen" zu fällen. 7 Doch wurde schon vor dem Ersten Weltkrieg vor der „Propaganda" gewarnt. Der englische Klassiker in der Darstellung der amerikanischen Demokratie, JAMES BRYCE, schreibt schon 1914:

4 BASCHWITZ, K.: Der Massenwahn. Ursache und Heilung des Deutschenhasses. 3. Aufl. München 1932. — BUCHANAN, W . , H. CANTRIL: HOW nations see each other. Urbana 1953. — GUETZKOW, H. S. U. P. H. BODMAN: M e n and hunger. Elgin 1946. — HEINTZ, P.: Soziale V o r urteile. Ein Problem der Persönlichkeit, der Kultur und der Gesellschaft. Köln 1957. — HOFSTÄTTER, P. R.: Gruppendynamik. Kritik der Massenpsychologie. Hamburg (rde) 1957. —• MANNHEIM, K.: Ideologie und Utopie. Frankfurt a. M . 1952, zuerst Bonn 1929. — SEARS, R. R., C. I.HOVLAND U. N.E.MILLER: Measurement of aggressive behavior. In: Journal of Psy chology 1940, H. 9 (Provincetown/Mass.). — SODHI, K. S. U. R. BERGIUS: Nationale Vorurteile. Berlin 1953. — Politisch-ideologische Stereotypen und Einstellungen. Eine Umfrage unter der Bevölkerung der Bundesrepublik. Infratest, München 1962. 5 V g l . dazu PETERS, DETLEF R.: Das „US-Committee on public information". Ein Beitr. zur Organisation und Methodik der geistigen Kriegsführung in den U S A im Ersten W e l t k r i e g . Diss. Berlin 1964, S. 100. 6 Uber den Propagandabegriff des Hitlerregimes siehe unten S. 65. 7 In welchem Maße auch die demokratische Massenführung suggestiven Einflüssen unterliegen kann, wird später darzustellen versucht, vgl. S. 294.

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DIE ERSCHEINUNGSFORMEN DER PUBLIZISTIK

„Jenes Aussäen von Unwahrheiten, falschen Folgerungen, Anreizungen zur Gewalt, das wir Propaganda nennen, ist ein mächtigerer Einfluß unter den Massen in großen Ländern geworden, als ihn jemals der Demagoge unter den kleineren Völkern früherer Tage zustandebrachte . . . Propaganda ist ein Mittel, diejenigen irrezuführen, die nicht die Mittel und nicht die Zeit haben, sich selbst über die Tatsachen zu vergewissern. 8 " Nach dem Ersten Weltkrieg stellte W A L T E R L I P P M A N N , der bekannteste Columnwriter in den Vereinigten Staaten, in seinem Buche „Public opinion" unter dem Eindruck der Propaganda sogar die Demokratie in Frage: „Es ist nicht mehr möglich, dem eigentlichen Dogma der Demokratie Glauben zu schenken, daß nämlich das Wissen, das für die Leitung der Dinge der Menschen nötig ist, spontan aus dem Herzen der Menschen stammt („comes up spontanously from the human heart"). Es hat sich erwiesen, daß wir niemals die bloße Gefühlserkenntnis, das Gewissen oder zufällige Meinungen zu Hilfe nehmen können, wenn wir über eine Welt urteilen, die wir nicht selber überschauen. Unter dem Druck der Propaganda — ohne das Wort damit bereits im üblichen Sinne zu meinen — ist der alte feste Inhalt unseres Denkens ins Wanken geraten. 9 " Volkstumlich wurde in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg die Redensart: „Propaganda, that's a long word for the short word ly." Auch in Frankreich sprach man von dem Phänomen der Propaganda als von einer „Verkleisterung der Gehirne10. " Alles Lamentieren aber über die Gefahr der Propaganda und über die Methoden, die Massen anzusprechen, helfen nicht über die Tatsache hinweg, daß in der modernen Massengesellschaft allgemein und im Staatswesen ganz besonders es unerläßlich ist, die Öffentlichkeit fortlaufend zu unterrichten. Jeweils nach der Staatsform und des allgemeinen Bildungsstandes eines Landes richten sich die Verfahren. In einem hochzivilisierten Staatsleben werden diese verbreitenden Mittel andere Formen annehmen als in einem Lande, das noch zu 80 Prozent analphabet ist. Markant aber ist die Unterscheidung zwischen dem Informationsapparat der freien und der toalitären Lander. Die kommunistische Ideologie hat einen eigenen Begriff „Propaganda". All ihre Definitionen beruhen auf der schon von L E N I N vertretenen Kardinalthese, daß in der Periode der „Diktatur des Proletariats" eine geschlossene und einheitlich ausgerichtete Massenführung dadurch erfolgen muß, daß alle Massenführungsmittel, insbesondere die Presse, in die Hände des Proletariats übernommen werden. 11 In diesem Verfahren wird unterschieden zwischen den Begriffen „PropaJames: The American Commonwealth. New York 1888, 2. Aufl. 1920. W.: Public opinion. New York 1 9 2 2 , S . 120ff., deutsch: Die öffentliche Meinung. München 1964. Das Buch gibt eine kenntnisreiche Darstellung der Wege und Irrwege der Propaganda, ohne den Begriff selbst eingehend zu untersuchen. Die „Information" ist der Grundbegriff. So in Teil VII und VIII der letzten Ausgabe. 10 „Bourage des crânes". Vgl. DEMARTIAL, G.: Comment on mobilise les consciences. Paris 1922; deutsch: Die Mobilmachung der Gewissen. Berlin 1926. 11 Vgl. dazu: LENIN, W . I.: Agitation und Propaganda. Wien 1 9 2 9 . KALNINS, B.: Der sowjetische Propagandastaat. Das System und die Mittel der Massenbeeinflussung in der Sowjetunion. Stockholm 1956. Eine systematische Untersuchung der Probleme im Hinblick 8

BRYCE,

9

LIPPMAN,

DIE VERBREITENDE U N D EROBERNDE PUBLIZISTIK

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ganda" und „Agitation". Propaganda ist die publizistische Strategie im Kampf für die kommunistische Idee und Agitation das der jeweiligen Situation angemessene Einzelgefecht im publizistischen Nahkampf des Alltags. Stets ist beides erforderlich: Die Strategie weist die große Linie, im Nahkampf wird neues Terrain erobert. „Die Propaganda hat die Aufgabe, die Gesamtheit der Kampfbedingungen und Kampfziele des Proletariats zu erhärten, anschließend an die Grundsatze des Marxismus. Sie muß auf die Erfahrungen des wirtschaftlichen Aufbaus begründet sein." ( K A L N I N S ) Der Propagandist wird also z. B. die „kapitalistische Natur der Krisen erklären" (Kalnins). Anders der Agitator: Er wird krasseste Beispiele aus der Tagespolitik herausgreifen, die Richtigkeit der marxistisch-leninistischen Theorie daran zu beweisen. Propaganda und Agitation sind in der sowjetischen Publizistik somit die Schlüsselkräfte, die Massen, unter Führung der Partei, in die kommunistische Uberzeugung hinüberzubringen, hinüberzuzwingen. Die nationalsozialistische Doktrin radikalisiert mit der ihr eigenen auftrumpfenden Unbekümmertheit die Methoden der verbreitenden und erobernden Publizistik. „Was Propaganda ist, welche Macht sie darstellt, mit welchen Mitteln und Methoden sie betrieben wird, das wissen wir; wir sind ihre Meister geworden. 12 " Nach der Machtübernahme wurde die Propaganda diktatorisch zu einem „technischen Mittel der Staatsführung". Schon am 11. März 1933 entstand das „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda". Auf der ersten Pressekonferenz, die J O S E P H G O E B B E L S 1 3 in seiner Eigenschaft als „Propagandaminister" abhielt, mußten sich die anwesenden Journalisten von Goebbels belehren lassen: „Ich werde hier nicht nur Informationen, sondern auch Instruktionen geben." Im Propagandaministerium wurde der umfangreiche technische Apparat geschaffen, der alle publizistischen Mittel beherrschte und lenkte. Dieser bis zum letzten perfektionierte Apparat durchdrang alles, was mit öffentlicher Führung und Beeinflussung auch nur entfernt zu tun hatte, selbst die „Flüsterpropaganda" hatte ihr eigenes Referat. 14 So handhabte das Hitlerregime die Propaganda als „aktives, revolutionäres Instrument" : „Die Propaganda war unsere schärfste Waffe bei der Eroberung des Staates. Sie bleibt unsere stärkste Macht bei der Behauptung und beim Aufbau des Staates. Propaganda ist darum eine unbedingte Lebensfunktion des modernen Staates. 15 " auf die Presse gibt H E R R M A N N , E. M.: Zur Theorie und Praxis der Presse in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. A . a . O . — Desgl. R I C H E R T , E. U. a.: Agitation und Propaganda. 12 GOEBBELS, J.: Signale der neuen Zeit. 25 ausgewählte Reden. München 1933, S. 218, 8. Aufl. 1940. 13 HEIBER, H . : Joseph Goebbels. München (dtv) 1965. 14 Das Propagandaministerium (nach den publizistischen Mitteln in sechs Abteilungen gegliedert) ist „. . .zuständig für alle Aufgaben der geistigen Einwirkung auf die Nation, der Werbung für Staat, Kultur, Wirtschaft und Unterrichtung der Öffentlichkeit". Vgl. H A G E M A N N , W.: Publizistik im Dritten Reich. Hamburg 1 9 4 8 . 15 Rede GOEBBELS, J O S E P H auf dem NS-Parteitag 1 9 3 6 in Nürnberg. 5

Publizistik. I

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DIE E R S C H E I N U N G S F O R M E N DER PUBLIZISTIK

Propaganda blieb so ein Mittel der totalitären Staatsführung, bis in die Stunde des Zusammenbruchs, in die noch die Verkündigung des „Endsiegs" und der „Entsetzung Berlins" hineinklang.19 Die totalitäre Gewalt griff zum äußersten Mittel, ihre Fiktion der Ereignisse einfach zu behaupten und jede Gegenmeinung auszuschalten. Sie setzte auf die Verbreitung entgegenstehender Tatsachen (z. B. aus fremden Sendern) die Todesstrafe. Propaganda und Terror vereinigten sich endgültig. Zusammengefaßt: Die totalitäre Propaganda bestimmt, nach dem Willen des Staates oder der Einheitspartei einheitlich geprägt, einseitig gelenkt und vor jeder gesirmungsmäßigen Gegenwirkung terroristisch abgeschirmt, die politische Meinungsund Willensbildung der Öffentlichkeit. Amtliche Institutionen („Propagandaministerien", „Informationsministerien", „Politbüros") leisten, staatlich oder parteibestimmt, strffg ausgerichtete Dienste, die, teils durch Zensur, häufiger aber durch organsatorische und personalpolitische Maßnahmen, die Gleichschaltung der publizistischen Aktionen schon im Entstehn sichern. Film, Rundfunk und Fernsehen sind konkurrenzlose Einheitsunternehmff; totalitär geleitet und totalitär dienstbar führen sie ein politisches Monopol. 1 ' Der Formulierung „verbreitende und erobernde Publizistik" wird man für die großen Demokratien die Fassung „verbreitende und gewinnende Publizistik" vorziehen. „Erobern" trägt nach trüben Erfahrungen noch den Beigeschmack der Uberwältigung, ja der Unterwerfung, wenngleich der Begriff „Eroberung" auch ohne diese Abgeltung als Ergebnis sachlicher und rationaler Überzeugung genommen werden kann. Unbestritten bleibt, daß auch die Demokratie an der Unterrichtung der Öffentlichkeit ein ebenso tiefes Interesse zeigt wie die politischen Parteien und die ganze Vielzahl der ideal- und interessenten-politischen Gruppen, Vereine und Verbände. Jede Gruppe meldet sich laut zu Wort, um ihre Interessen, ihre öffentlichen Aufgaben und Ziele zu vertreten. Alle Mittel der Publizistik werden dazu eingesetzt und können über den vermittelnden Begriff der „Public Relations" hinaus schließlich in reklamehaften Aufmachungen enden. Die verbreitende und gewinnende Publizistik in der Demokratie gliedert sich in die aus den individuellen und gesellschaftlichen Kräften getragene freie Publizistik und die heute in ihrer Aufgabe anerkannte amtliche Publizistik. Ziel ist, die

19 Vgl. die letzte Nummer des Völkischen Beobachter v. 24. April 1945 sowie die Berliner Soldatenzeitung Der Panzerbär vom gleichen Datum. 17 V o n der totalitären Führung im kommunistischen und dem NS-Regime sind die totalitären Formen zu unterscheiden, die — w i e in Spanien und Portugal — ihre publizistische Organisation als eine Art „autoritärer Demokratie in Erwartung" aufziehen. Lehrreich ist auch die Tatsache, daß Entwicklungsländer enthusiastisch gegebenen demokratischen Verfassungen in den Aufgabengebieten der geistigen Führung autoritäre Elemente mindestens „vorübergehend" einschalten. Vgl. das Handbuch der Auslandspresse. A.a.O., Spanien, S. 260 ff.; Portugal, S. 208 ff.; Indien, S. 678 ff.; Pakistan, S. 719 ff.; sehr markant in Ägypten, S. 642 ff.

DIE V E R B R E I T E N D E UND E R O B E R N D E

PUBLIZISTIK

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Anteilnahme der Öffentlichkeit am politischen Leben anzuregen und die Staatsgewalt unter fortlaufende demokratische Kontrolle zu stellen. Diese Aufgabe ist in allen demokratischen Staaten verfassungsrechtlich (Bundesrepublik, USA) oder durch eine zum Verfassungsrecht gewordene Rechtstradition (Großbritannien) gesichert. In den großen Demokratien wurde der Exekutive zunächst verwehrt, ihre Ziele in eigenen Organen zu vertreten. Das verleitete Regierungen dazu, geheime Subventionen an äußerlich unabhängige Blätter zu zahlen oder den Versuch zu machen, um ihren politischen Willen publizistisch zu vertreten. 18 Spätestens seit dem Ersten Weltkrieg wurde erkannt, daß der Exekutive die Möglichkeit gegeben werden muß, ihre Politik nach drinnen und draußen, über ihre Stellungnahme im Parlament hinaus, publizistisch zu verfechten. Es kam zur Errichtung der „Presseämter", „Informationsstellen", „Offices of Information" usw. Sie sind etatmäßig gesichert18 und im größeren Teil ihrer Ausgaben meist auch parlamentarisch kontrolliert. Ihr Auftrag ist, die Regierung, die Ministerien, die Verwaltung über das öffentliche Echo ihrer Tätigkeit zu unterrichten, vor allem aber publizistische Informationsaufträge zu erfüllen und in der allgemeinen Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Arbeit der Regierung wirksam zu werden. Daß diese Ämter dabei naturgemäß nicht bemüht sind, der eigenen Regierung das Grab zu schaufeln, sondern, wenn auch in vorsichtiger Form, deren Interessen vertreten, leuchtet ein. Von der Informationsarbeit solcher Ämter hängt für die im modernen Staatsorganismus aufklärende und unterrichtende Publizistik und ihren Erfolg vieles ab. Sie müßen entsprechend ausgebaut sein. Ihnen gegenüber hat die in der Information und Meinungsbildung völlig unabhängige Publizistik, sich frei entwickeln können. Seit den Weltkriegen machen auch die publizistischen Gemeinschaltsinstitutionen eine für die Demokratie wichtige Entwicklung durch. Von überparteilichen, demokratischen Gremien unabhängig gesteuert, müssen sie in ihrem Wirken allen demokratischen Richtungen zugute kommen. So sind vielfach Pressekonferenzen in dieser Art überparteilich geleitet. In der Organisation der 18 Viel Staub wirbelten z. B. die Subventionen auf, die das zaristische Rußland (1904 bis 1914) an französische Blätter zahlte für Artikel, die den Absatz russischer Rüstungsaktien auf den französischen Märkten fördern sollten. — BISMARCK benutzte die ihm nach 1866 zufallenden Mittel der abgesetzten Hannoverschen Dynastie, eine ihm genehme Presse zu finanzieren (sogenannter „Reptilienfonds"). Solche Subventionen, auch in verkappten Formen (Anzeigenaufträge, überbezahlte Anzeigen, Massenbezug) gewährt, kommen auch heute vor, sind aber bei der allgemeinen Aufmerksamkeit gegenüber den publizistischen Mitteln seltener geworden und müssen sehr verdeckte Formen annehmen. 19 Hierzu umfangreiche Literatur: G R O T H , O . : Die Zeitung. A.a.O. Bd. I I . — über die spätere Entwicklung V O G E L , W A L T E R : Die Organisation der amtlichen Presse- und Propagandapolitik des Deutschen Reiches. In: Zeitungswissenschaft 1 9 4 1 , H. 8 — 9 . — B A U E R , PETER: Die Organisation der amtl. Pressepolitik in der Weimarer Zeit. Diss. Berlin 1962. — Zur gegenwärtigen Lage in Deutschland vgl. D O V I F A T : Zeitungslehre. A.a.O. Bd. I, S. 1 0 8 ff. — Uber die Presse- und Informationsämter der jungen Staaten, die überall zu den ersten Einrichtungen der neuen Regierungen gehörten, vgl. das H A N D B U C H DER AUSLANDSPRESSE. A.a.O. Ebendort findet sich unter den einzelnen Landern auch Material über die einschlägigen Institutionen in den alten Demokratien und den großen Zeitungsländern der Welt.



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DIE ERSCHEINUNGSFORMEN DER PUBLIZISTIK

Nachrichtenbüros sind sie zur Regel geworden. Publizistische Unternehmen mit monopolistischer Macht, wie z. B. die bundesdeutschen Rundfunkanstalten und Westberlins, unterliegen in ihrer informatorischen und politischen Aufgabe der Kontrolle überparteilicher Gremien (Rundfunkräte). Nach ihrer gesetzlichen und satzungsmäßigen Verpflichtung haben sie alle demokratischen Grundrichtungen angemessen und fair zu vertreten. 20 Die lebendige, kaum übersehbar vielfältige, geistige Unterrichtung, die kritische oder polemische Stellungnahme durch die regierenden und die oppositionellen Kräfte, durch die Parteien und Gewerkschaften, durch die sozialen Verbände und die kulturellen Gesinnungsträger sind in der Vielfalt der Argumentationen und in der Mobilisierung möglichst weiter Kreise der Öffentlichkeit ein Beweis für die Stärke und Mannigfaltigkeit demokratischen Lebens. Sie leisten — wenn eine chaotische Zersplitterung (wie im Ausgang der Weimarer Republik) vermieden wird — als kräftiger Pulsschlag eines gesunden öffentlichen Lebens einen entscheidenden Beitrag zur Sicherung der allgemein-demokratischen und damit auch der persönlichen Freiheit. Verbreitende und erobernde (überzeugende und gewinnende!) Publizistik ist jede Aktion, die vor der breitesten Öffentlichkeit in planmäßiger Zusammenfassung persönlicher, technischer und wirtschaftlicher Kräfte politische, soziale, wirtschaftliche oder kulturelle Ziele frei und gleichberechtigt vertritt („Propaganda" im demokratischen Sinne). Das nicht jede Kraft aus der Vielzahl der hier gegeneinander stehenden Interessen, politischen Ideen und Bekenntnissen sich der nobeln Formen geistiger Aussprache befleißigt, sondern viele sich auch demagogischer Kampfmittel bedienen, zeigt die jahrhundertealte Erfahrung. Die Agitation spielt sich in den Vordergrund.

12. Die kämpfende, angreifende, zerstörende Publizistik Nicht immer also bleibt die verbreitende und gewinnende Publizistik aus Uberzeugung und Zuversicht auf den Erfolg besonnen und gemäßigt. Vielleicht ist der Widerstand der Gegner hart1, oder aber die Gleichgültigkeit der Angesprochenen verleitet den publizistisch Handelnden zu schrilleren Tönen. Oft fordert auch die Natur des Verfochtenen selbst zügellose Angriffe und vernichtende Schläge. So werden dann Forderungen laut wie die, den Gegner zu „vernichten", Mißliebige

20

V g l . BRACK, H . , G . HERRMANN, U. H . - P . H I L L I G : O r g a n i s a t i o n d e s R u n d f u n k s

1948—1962.

Hamburg 1962. 1 Der Gegner selbst ist für nahezu alle publizistischen Aktionen eine Voraussetzung. Nur wer einen starken Gegner vor sich sieht oder ein zu überwindendes Prinzip, kommt nach allgemein-publizistischen Erfahrungen in Fahrt und bleibt darin. Einmal in Fahrt gebracht aber wird man leicht zu den agitatorischen Formen hingerissen, mit denen die folgenden Ausführungen sich beschäftigen.

DIE K A M P F E N D E ,

ANGREIFENDE,

ZERSTÖRENDE

PUBLIZISTIK

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„über Bord zu werfen", bei Widersachern „aufzuräumen", nötigenfalls mit Gewalt, nicht zu reden von dem aus Haß und Verblendung hervorbrechenden Ruf zu politischem Mord und zur „Erledigung" der Gegner, des „Klassenfeindes", des „Rassenfeindes11. Publizistische Kämpfe solcher Art können immer nur zeitlich begrenzt geführt werden, sofern sie nicht von politischen Terrorakten begleitet und totalitär geleitet werden. Mit der Zeit stumpfen die Parolen ab, der Lärm ermüdet. So sind denn die Springfluten der angreifenden und zerstörenden Publizistik meistens kurz, aber sie überschwemmen oft auch das Hinterland, wo die Gleichgültigen wohnen. Die zeitliche Begrenzung der agitatorischen Phasen ist auch politisch bedingt: innenpolitisch z. B. durch terminierte Wahlkämpfe, außenpolitisch durch die Spannungen vor einem Krieg, der entweder abgewehrt oder vorbereitet und begründet werden soll.2 Aber auch ideologische Gegensätze werden agitatorisch aufgebauscht und dramatisiert, um dem Bewußtsein der Massen eingeprägt zu werden, so etwa durch die diffamierenden Schlagworte, mit denen die totalitäre Publizistik die Vertreter der freiheitlichen Demokratien bedenkt. 3 Auch sie werden überschrien, abgenutzt und verblassen. Die Öffentlichkeit wird auch nicht nur von agitatorischen Sandstürmen heimgesucht. Es rieseln auch agitatorische Sandkörner bei vielen publizistischen Aktionen jeglicher Art in sie hinein. Agitation steht dann nur andeutend zwischen den Zeilen. Es wird dem Leser überlassen, sich den angedeuteten Vorwurf bewußt, d. h. sich ihn innerlich zu formulieren und so zu eigen zu machen. Große Feuilletonisten versetzen mit dem Stilett der Sprache scharfe Stiche, oder sie verteilen Andeutungen und Nebensätze wie Stacheln, die oft späte Entzündungen hervorrufen, größer als auf den ersten Blick vermutet wurde.1 Viel Agitation steckt in der Brillanz einer künstlerisch gehobenen Sprache der Publizistik. Keineswegs alle, aber doch manche ihrer Ausdrucksformen — so etwa die Glosse — bieten sich geradezu an, Polemik, vom Nadelstich bis zu realer geistiger Exekution, zu treiben. Die Agitation verdrängt die sachliche Polemik immer dann, wenn Verdächtigungen, Unterstellungen, Zweideutigkeiten — meist locker, aus bloßen Vermutungen zubereitet — serviert werden und die derbe Hausmannskost der Tatsachen verabscheut wird. Kaum ein Kampf in der Weltgeschichte kam ohne die Zutaten bösartiger Verdächtigung aus, kaum ein Massenführer der Geschichte hat seine Gegner überwunden, ohne den Massen den Trank des Hasses einzuschänken.5

2 Eine Zusammenstellung aller agitatorischen Kriegsanlässe ergäbe ein interessantes Buch. LUDWIG X I V . , FRIEDRICH II., BISMARCK, Weltkrieg I, HITLER, Weltkrieg II. Kaum etwas ist so mannigfach wie die Angriffsvorwände. 3 Monopolkapitalisten, Ausbeuter, Finanzhyänen, Revanchisten, Kriegshetzer usw. Daß die ewige Wiederholung derartiger Schlagwörter geradezu negative Realitäten schaffen und das bessere Wissen verdrängen kann, darauf ist schon hingewiesen. Vgl. S. 35. 4 Vgl. dazu S. 220. Hierhin gehören auch gewisse Formen des politischen Kabaretts. 5 Vgl. S. 122.

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DIE ERSCHEINUNGSFORMEN DER PUBLIZISTIK

Eine besonders gefährliche Form der Agitation ist der Rufmord. In der totalitären Welt ist er gleichsam die Vorankündigung für den Sturz eines Politkers.' Um ihn von seinen Freunden zu trennen und ihm jedes öffentliche Vertrauen zu nehmen, wird er in gezielt massenpsychologischen Aktionen vieler Schandtaten bezichtigt, so daß die Massen einsehen müssen: der muß „entfernt werden"! Vielfach sind politisch zu erledigende Persönlichkeiten auch unter Zwang zu Selbstbezichtigungen veranlaßt worden, die dann „Selbstkritik" genannt wurden.7 Die agitatorische Vernichtung politischer Persönlichkeiten ist so alt wie die Politik. Als beim englischen Thronwechsel 1760 der neue Leiter der Regierung, L O R D B U T E , die Subsidienzahlung einstellte, mit der F R I E D R I C H I I . z. T. die Mittel für den 3. Schlesischen Krieg bestritten hatte, suchte Friedrich die englische Öffentlichkeit gegen Lord Bute aufzuwiegeln: „Was Euch betrifft", schrieb er an seinen Gesandten, „so werdet Ihr so viel wie möglich die Verfasser von Pamphleten, wie sie drüben erscheinen, anfeuern, um das Verhalten dieses Ministers in Verruf zu bringen. 8 " Auch in der Demokratie sind Rufmorde keine Seltenheit. Sie können bei der Reichweite der heutigen publizistischen Mittel und der bildhaften Eindringlichkeit ihrer Wirkung (vor allem im Fernsehen) gefährlich sein. Wenn die Publizistik, nach gewissenhaften Recherchen, eine Persönlichkeit aus nachgewiesenem öffentlichen Interesse, also verantwortungsbewußt angreift, so gehört das in die publizistische Aufgabe. Das Gegenteil: unverantwortliches Eindringen in die private Sphäre und ohne öffentliche Pflicht geübte Bloßstellung ist Rufmord. Wehrt sich der Angegriffene erfolgreich, so bleibt es bei dem Rufmordversuch. Die Abwehr gelingt aber nur, wo ein publizistisches Mittel sich berichtigend und aufklärend zur Verfügung stellt. Gegebenenfalls stellt eine unabhängige Rechtsprechung den sachlichen Tatbestand fest, und das Ergebnis wird veröffentlicht. Selten aber gelingt es, einen Rufmordversuch in allen seinen Folgen auszuräumen. Es bleibt also immer „etwas hängen". Darauf auszugehen ist eine niedere Form der Agitation. Die totalitäre Welt, in ihrer lückenlosen publizistischen Zwangsorganisation, kennt keine agitatorischen Formen, die im politischen Meinungsstreit frei einander gegenüberstehen. Die Agitation soll nach der bereits dargestellten kommunistischen Auffassung die Richtigkeit der marxistisch-leninistischen Theorie an 6 Man denke an die systematische Entehrung und Entwürdigung aller Opfer des Hitlerregimes vor ihrer Ermordung. Diese Verunglimpfung traf nicht nur die Vorkämpfer des Widerstandes sondern auch die Unliebsamen und „Führergefährdenden" aus den eigenen Reihen (Röhm-Putsch 1934). — Vgl. auch TRAVAGLINI, TH.: Der 20. Juli 1944. Technik und Wirkung seiner propagandistischen Behandlung. Diss. Berlin 1963, S. 61 ff. sowie: ADOLF, W.: Erich Klausener. Berlin 1955, S. 100 u. 120. 7 Vgl. dazu eingehender S. 79. 8 MARCUS, HANS: Friedrichs des Großen literarische Propaganda in England. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Begr. von L. Herrig, hrsg. v. A. Brandl u. O. Schultz-Gora. Bd. 151 (51 der neuen Serie). Braunschweig und Berlin 1927, S. 161—243. — Vgl. dazu auch EVERTH, E.: Die Öffentlichkeit in der Außenpolitik von Karl V. bis Napoleon. A.a.O., S. 365 f.

DIE ILLEGALE PUBLIZISTIK

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Tagesereignissen beweisen. Um beweiskräftig zu wirken, werden sie dialektisch zurechtgebogen." In der freien Welt wird die Agitation seit langem kritisch beurteilt. 10 Sie wird als unerfreulich bezeichnet, scheint aber z. Zt. noch unentbehrlich. J e nach Geschmack und Haltung legt man dabei den Ton entweder auf unerfreulich oder auf unentbehrlich. Sie zu überwinden sollte das Ziel eines gereiften demokratischen Lebens sein. Zusammengefaßt: Die Agitation greift im publizistischen Tageskampf herabsetzend, entstellend und verfälschend an, meist in kurzen wiederholten, heftigen Aktionen. Sie kann dabei verschiedene Hitzegrade annehmen: von lärmender Beschuldigung über boshafte Erniedrigung bis zu zerstörendem Hohn und vernichtender Diffamierung (Rufmord). Ihre Sprache ist nuanciert: der Schlag eines Holzhammers oder ein tödlicher Herzstich.

13. Die illegale Publizistik Wird eine publizistische Aktion verboten und verfolgt, so kann sie auf zwei Wegen sich dennoch durchsetzen. Entweder sie arbeitet verkappt aus dem Dunkel oder sie bleibt in der Öffentlichkeit, aber maskiert, nur denen verständlich, die zu verstehen bereit sind. So unterscheiden wir die illegale und die verdeckte (maskierte) Publizistik („Camouflage"). Beide sind eigene Erscheinungsformen. Der Publizistik wird die Freiheit meist von regierenden Gewalten bestritten. Aber auch kollektive Mächte, soziale und politische Kräfte 1 , selbst Sitte, Brauch und gesellschaftliche Vorurteile können publizistische Aktivität bedrängen und in die Illegalität treiben: „Illegal" nennen wir eine publizistische Aktion, die mit staatlicher oder kollektiver Macht niedergehalten ist, sich aber trotzdem ihre Verbreitung erzwingt. In Rom wurden in frührepublikanischer Zeit „Schmählieder" mit Rutenschlägen geahndet. Man ging in die Illegalität und sang sie hinter verschlossenen Türen. 2 Mit dem Ende der römischen Republik, als Volksversammlung und Senat das Recht der Abstimmung (suffragium) verloren und stattdessen zur begeisterten Zustimmung (acclamatio) verpflichtet wurden, war das untrügliche Zeichen der DikVgl. S. 168. TÖNNIES, FERD. nennt die Agitation „die Verbreitung eines Gedankens ohne Rücksicht auf Wahrheit und Richtigkeit". Kritik der öffentlichen Meinung. A.a.O. 1 Die ersten Anfänge des Kampfes für die Sklavenbefreiung in den USA fanden im Süden einen so leidenschaftlichen Widerstand, daß für die Ermordung der Befreiungskämpfer ohne richterlichen Spruch Kopfprämien ausgesetzt wurden. DOVIFAT, E.: Der amerikanische Journalismus. A.a.O., S. 67. 2 „Lex duodecim Tabulorum" 462 v. Chr.; vgl. MOMMSEN, TH.: Römische Geschichte. 1. Bd. Leipzig 1854, Kap. XV. — Verfolgungen von Schmähschriften waren selbst während der späteren republikanischen Zeit üblich. Die Schriften gingen in die Illegalität. — TRAUMANN, E.: Zeitung und kirchliche Zensur. Heidelberg 1936. 9

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DIE E R S C H E I N U N G S F O R M E N DER P U B L I Z I S T I K

tatur gegeben. Jede Ireie Diskussion war unterbunden. An die Stelle des freien Redners vor den Comitien, der Volksversammlung, trat der Dithyrambe, der politisch bezahlte Lobredner. 3 Das „Crimen laesae majestatis" wurde Kapitalverbrechen und verfiel dem Todesurteil. Die ganze publizistische Arbeit in Wort und Schrift,4 ging in die Illegalität. Es entstanden die „libelli famosi". Man fand köstliche Formen, z. B. durch die eifrig weitergeschriebenen politischen Testamente (codicilli) und ähnliche, nur schwer oder überhaupt nicht mehr zu fassende Illegalitäten. Als das ausgehende Mittelalter mit der Erfindung der Buchdruckerkunst überraschend die unbegrenzte Verbreitung geistiger Aktionen („volet irrevocabile verbum") möglich machte, erwuchs eine Publizistik, deren ungewohnte Freiheit Kirche und Staat zunächst tief erschreckten. Schon 1487 kam die erste kirchliche Zensur auf. Schnell aufeinander folgten dann die Zensuranordnungen der Reichstagsabschiede. 5 Die illegale Literatur, nahm im Ausbruch der Glaubenskämpfe, harte Formen an. Ihre vielfältige Natur tritt in der Reichspolizeiverordnung von 1548 plastisch zutage. Verboten wird: „Pasquilisch . . . Gedicht, geschrieben, in Druck gebracht, gemahlet, geschnitzet, gegossen oder gemacht". Bestraft wird auch der „Verkäufer und Teilhaber" und, um den Autor zu ermitteln, auf der Folter befragt, genau ebenso auch der „Käufer und Besitzer". 6 Mit Beginn der neuen, der diskutierenden Öffentlichkeit, also mit dem 16. Jahrhundert, wächst trotzdem auch die Illegalität und wird als solche schon eine Macht.7 So gerät die Zeitung8 zu Beginn des 17. Jahrhunderts bereits in ein ausgereiftes Zensursystem. Die Fortdauer der geschriebenen, geschlossen postversandten und nicht öffentlichen Zeitungen, der „Bulletins" 9 , blieb für die Verbreitung zensurgefährdeter Nachrichten und des immer gerne genossenen politischen Klatsches unentbehrlich. Je indiskreter sie sich zeigten, um so versteckter blieb ihre Herkunft. 10 Sie waren vielfach illegal. 3 Vgl. FISCHER, JOSEF: Völkerwanderung im Urteil der zeitgenössischen Schriftsteller. Diss. Heidelberg 1 9 4 7 . — A L T H E I M , F.: Spätantike und Christentum. Tübingen 1 9 5 1 , S. 4 6 ff. 4 Vgl. N O R D E N , ED.: Die antike Kunstprosa. Leipzig 1 8 9 8 , S . 3 9 2 ff. u. S . 4 3 4 ff. — A L T H E I M , F.: Literatur und Gesellschaft im ausgehenden Altertum. Halle 1948, S. 30 ff. 5 Vgl. T R A U M A N N , E.: Zeitung und kirchliche Zensur. A.a.O., S. 32 ff. 6 Vgl. hierzu und zum Folgenden H O F F M A N N , L U D W . : Geschichte der Bücherzensur. Berlin 1819. 7 Vgl. E V E R T H , E . : Die Öffentlichkeit in der Außenpolitik von Karl V. bis Napoleon. A.a.O. 8 Vgl. D E I N I N G E R , F.: Die Anfänge des Berliner Zeitungswesens. Diss. Berlin 1 9 4 0 . — C O N S E N T I U S , E.: Die Berliner Zeitungen bis zur Regierung Friedrich des Großen. Berlin 1 9 0 4 . 9 Friedländer, E.: Berliner geschriebene Zeitungen aus den Jahren 1713—1717 und 1735. Ein Beitrag zur preußischen Geschichte unter König Friedrich Wilhelm I. Berlin 1902 (mit vielen Beispielen). — B L I N D O W , U.: Berliner geschriebene Zeitungen. Diss. Berlin 1940. — H O P P E , KL.: Roderique' Nachrichtengebung u. Politik in der Gazette de Cologne 1740—45 in „Publizistik" 1965, Hft. 2. 10 Diese „Bulletins" sind in ihrem Willen, „außerhalb der Presse", d.h. der Öffentlichkeit interessant zu sein, die Vorläufer der heutigen, zum Teil inhaltszuverlässig, zum Teil sensationell gestimmten sogenannten „Informationsdienste" mit oft spektakulärem „background"-Material. Vgl. Die Deutsche Presse (1954/1956) 1961. Hrsg. v. Institut für Publizistik der Freien Universität Berlin. Berlin ('1954, 21956) 31961, S. 118*.

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Im 18. Jahrhundert blühte in Frankreich die illegale Flugschrift. 11 Die besonders heftigen Verfolgungen haben aber diesen unterirdischen Flugblättern nur wenig anhaben können. 12 Ihre Verbreitung und Verfolgung aber haben viel zum Fanatismus der Revolution beigetragen. Sie haben aber auch die Farbenkarte der politischen Parteiaufgliederung des 19. Jahrhunderts vorbereitet, die 1789 so überraschend schnell da war. 13 Mit der Verkündung der Meinungs- und Pressefreiheit lockert sich nur langsam der geistige Zwang. Immer wieder drängen Zensurmaßnahmen die Meinungsbildung in die Illegalität. Anschauliche Beispiele solcher Kämpfe liefert das publizistische Lebenswerk G I U S E P P E M A Z Z I N I S . 1 4 Im Kampf der Geheimbünde um die Einheit Italiens brachte er illegal sein „Giovine Italia" (1831) heraus. Für die Demokratisierung Europas ließ er ebenso verboten „Giovine Europa" (1834) erscheinen und entzündete damit die anderen „jungen" Bewegungen in Europa, so auch „Das Junge Deutschland" 15 . Von Marseille und Genf hat Mazzini unter schwersten persönlichen Opfern mit seinen meist kurzlebigen aber in der erregenden Sprache aller Illegalität verfaßten Flugschriften unterirdisch gekämpft. Genial erfinderisch schmuggelte er seine „geistige Contrebande" über alle Grenzen Europas. In Teerfässern trieben sie die Flüsse hinab und über die oberitalienischen Seen, in den Polstern und Futtersäcken der Postwagen, in gefälschten Bibeleinbänden und ausgehöhlten Gipsbüsten reaktionärer Herrscher passierten sie die Kontrollen. Eine Organisation der Seeleute und Postbeamte war eigens geschaffen, die verbotene Fracht nach Italien einzuschleusen. Dort lief sie weiter von Hand zu Hand, worauf zeitweise die Todesstrafe stand. Schließlich wird diese illegale Publizistik Mazzinis neben C A V O U R S positiver Politik die stärkste Kraft zur Einigung Italiens. 16 11

Vgl. S. 271. Im 17. Jahrhundert wurde der Kampf gegen M A Z A R I N mit umfangreichen Schriften illegal geführt, die zeitweise von Wirkung waren. Vgl. u. a. EVERTH, E . : Die Öffentlichkeit in der Außenpolitik von Karl V. bis Napoleon. A.a.O., S . 157 ff. — GRUBER, W . : Die Presse im Wandel der politischen Systeme Frankreichs. Frankfurt 1937 (Sammlung Zeitung und Zeit, Reihe B.) — VAULTIER, R.: L'imprimerie clandestine en France. In: Le Courrier graphique. Nr. 27 (Paris) 1946. — H A T I N , E . : Histoire politique et littéraire de la presse en France avec une introd. historique sur les origines du journal et la bibliographie générale des journaux depuis leur origine. Bd. 1—8. Paris 1859—1861. Bd. 1, S. 60 ff. — D A H L , F., F . PETIBOR U. M. BOULET: Les Débuts de la Presse Française. Nouveaux aperçus. Goeteborg und Paris 1951. 13 Vgl. C U N O W , H . : Die revolutionäre Zeitungsliteratur Frankreichs während der Jahre 1 7 8 9 — 1 7 9 4 . A.a.O. — MIRABEAU, H . G . : Sur la liberté de la presse London 1 7 8 8 . 14 MAZZINIS publ. Charakter vgl. S. 44. 15 Nach dem Verbot des „Jungen Europa" und der Schriften des „Jungen Deutschland" (1835), unter denen die Werke von Heine, Laube, Wienbarg u.a. zusammengefaßt waren, entwickelte sich auch in den damaligen deutschen Staaten, freilich ohne die Wirkung Mazzinis zu erreichen, eine vorübergehend illegale Verbreitung. Vgl. H O U B E N , H . H . : Verbotene Literatur. 2 Bde. Bremen 1925. 19 Vgl. VOSSLER, O.: Mazzinis politisches Denken und Wollen in den geistigen Strömungen seiner Zeit. A.a.O. — SCHAEFFER, W.: Der Journalist Mazzini. In: Italien (Zs.). H. 8 (Heidelberg) 1930. — DRESLER, A.: Geschichte der italienischen Presse. Bd. II. Berlin 1934, S. 38 ff. 12

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Wirksame Formen illegaler Publizistik lieferte die deutsche Sozialdemokratie während der Sozialistengesetze (1878—1890). 17 B E B E L und L I E B K N E C H T gründeten in Zürich 1879 den „Sozialdemokrat. Internationales Organ der Sozialdemokratie deutscher Zunge". Das Blatt wurde teils in Ruderbooten über den Bodensee gebracht, teils Nummer für Nummer an Deckadressen oder postlagernd nach Deutschland versandt. In Obst- und Gemüsekörben kamen die Blätter aus der Schweiz unmittelbar an politische Empfänger in die großstädtischen Markthallen oder als Eilpakete an unauffällige ständig wechselnde Empfänger. Selbst die Schrift, der Umschlag und die Adresse wechselten. Im Reichstag mußte der Innenminister 1878 zugeben, „daß der .Sozialdemokrat' in etwa 10 000 Exemplaren verbreitet ist und daß jedes Exemplar ganze Gruppen weiterer Leser findet" 18 . Diese illegale Arbeit wurde ein voller Erfolg. 19 Nach Aufhebung des Gesetzes stieg die Zahl der SPDBlätter auf 60, die der Reichstagsabgeordneten verdreifachte sich. Im illegalen Kampf hatte die Partei sich stabilisiert. Die Übernahme der Macht in Rußland durch die Kommunistische Partei (1917) war kein demokratischer Akt. Es war die Okkupation der Macht durch eine Minderheit. Sie wurde aber durch jahrzehntelange illegale Vorbereitung in intensiver Zellenarbeit möglich. Das stärkste Bindemittel war auch hier die illegale Publizistik. 20 Leitend beteiligt ist Trotzki von 1905 ab, als er unter dem Namen „Die Feder" zunächst in Samara, dann in London Mitarbeiter der Zeitung „Iscra" („Der Funke") wird. Das Blatt ging später zu den Mensdiewisten über und wurde durch „Wperjod" („Vorwärts") ersetzt. Trotzki hat in seinen Erinnerungen alle Phasen dieser illegalen Arbeit geschildert. 21 1908 gründete er in Wien die „Prawda", die durch illegale Korrespondenzen aus Rußland gespeist, von draußen her ständig an Einfluß gewann. 22 Das Blatt wurde durch kommunistische Grenzwärter über die galizische Grenze und von Matrosen der Schwarzmeerflotte nach Rußland geschmuggelt. Dort wurde es von einer festen Verbreitungsorganisation erwartet, zum Teil in einem System von Geheimdruckereien weiter vervielfältigt. Sie bestanden nie lange, wurden ausgehoben, aber immer wieder neu gegründet. Der publizistische Erfolg dieser Arbeit hatte wesentlichen Anteil am Gelingen des 17 Aufschlußreich die Darstellung bei APITZSCH, F.: Die deutsche Tagespresse unter dem Einfluß des Sozialistengesetzes. Leipzig 1928 (Sammlung Das Wesen der Zeitung, H. 3). sowie zum Thema illegaler u. emigrierter Journalismus KOSZYK, K. u. EISFELD, G.: Die Presse der deutschen Sozialdemokratie, eine Bibliographie. Schriftenreihe der F.-Ebert-Stiftung. Hannover 1966.

i6 APITZSCH, a.a.O., S. 64.

19

APITZSCH, a . a . O . , S . 8 2 f.

Eingehende Darstellung bei JUST, A. W . : Die Presse der Sowjetunion. Berlin 1931 (Sammlung Zeitung und Zeit, Bd. I). — Eine Sammlung der illegalen und Emigrantenpresse in der „Russischen öffentlichen Bibliothek" umfaßt 250 periodische Presseerzeugnisse und rund 5000 Nummern. Vgl. JUST, a.a.O., S. 15 f. — über die Arbeit LENINS in dieser Aufgabe vgl. OMELTSCHENKO, K.: Die bolschewistische Presse. Moskau 1939. 2 1 TROTZKI, L.: Mein Leben. Versuch einer Autobiographie. Berlin 1930, S. 144 ff. Vgl. auch: HAAS, L.: Lenins unbekannte Briefe, a.a.O. passim. 2 2 TROTZKI, a.a.O., S. 210 f. — Ähnlich „Golos Socialdemokratitsdiki" aus Paris. 20

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Oktoberumsturzes 1917.23 Diese jahrelange illegale Arbeit schuf ein System von treuverpflichteten Anhängern, die nach dem Zusammenbruch des Zarenreiches die Macht auch gegen eine riesige, publizistisch damals aber nicht ansprechbare Mehrheit an sich brachte. Während des Ersten Weltkrieges begleitete eine gegen die deutsche Regierung geführte Propagandawelle von draußen her die militärischen Aktionen der Gegner Deutschlands.24 Eine innerhalb Deutschlands illegal betriebene Aktivität wurde erst mit sinkendem Kriegsglück wirksam. Auch die illegale Arbeit, die sich um emigrierte Persönlichkeiten wie Richard Greiling, H. Roesemeir, Hugo Bell und die „Freie Zeitung" gesammelt hatte, blieb politisch zunächst ohne Erfolg.25 Innerhalb der Sozialistischen Internationale, gegen die deutsche Sozialdemokratie und die Bewilligung der Kriegskredite arbeitete in dem Kreise (Spartakusbund), aus dem 1919 die Kommunistische Partei entstand, ROSA LUXEMBURG. Sie trieb eine gewagte Illegalität. Als sie verhaftet wurde, schrieb sie aus dem Gefängnis ihre „Spartakus-Briefe", die herausgeschmuggelt und illegal verbreitet wurden. Auch ihre bedeutendste publizistische Arbeit, die sogenannte „Junius-Broschüre" (Leitsätze über die Arbeit der internationalen Sozialdemokratie, Zürich 1916), wurde im Gefängnis verfaßt, illegal in die Schweiz gebracht, dort gedruckt, illegal zurückgebracht und in Deutschland verbreitet.26 So gelang es, auf illegalen Wegen die revolutionären Ziele vorzubereiten, die in den Kämpfen Dezember 1918 bis März 1919 nach russischem Vorbild eine Bolschewisierung Deutschlands herbeiführen sollten, aber abgewehrt wurden. Im besetzten Frankreich und Belgien erhob sich schon während des Ersten Weltkrieges eine illegale Publizistik.27 Wirksam und organisatorisch vorbildlich entwickelte sie sich dann im Zweiten Weltkrieg innerhalb der französischen standsbewegung.28

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Wider-

Sie war von leidenschaftlichem, opferbereitem Oppositions-

TROTZKI, ebd., S. 161. — BONCH-BRUJE WITSCH, W . : W i e w i r unsere P r e s s e i m A u s l a n d

gedruckt und nach Rußland befördert haben (russisch). Moskau 1924 zeigt die Methoden der „unterirdischen" Arbeit. — LENIN, W . I. u. G. I. SINOWJEW: Aus der Geschichte der Arbeiterpresse. Leningrad 1924. Ein klassisches Buch für die Ideologie und Methodik der illegalen Presse. 24 Genaue Darstellung bei THIMME, H.: W e l t k r i e g ohne W a f f e n . Stuttgart und Berlin 1932. — Ebenso in der entsprechenden englischen und französischen Literatur. Siehe auch S. 150. 25 V g l . dazu THIMME, H.: W e l t k r i e g ohne W a f f e n . A.a.O., S. 65 f. u. S. 95. 29 Mitteilungen v o n PETER HEILMANN aus den Vorbereitungen einer Dissertation über Rosa Luxemburg. 27 V g l . FORGE, H.: Feuilles Françaises dans la tourmente. Paris 1932. — Eine umfassende Darstellung illegaler Technik in besetzten Gebieten gibt MASSART, J.: La presse clandestine dans la Belgique occupée. Paris/Nancy 1917. 28 Geschichte und Methode dieser Widerstandsbewegung sind in einer deutschen Arbeit systematisch und mit großer Fülle der Beispiele festgehalten. V g l . FREIBERG, R.: Die Presse der französischen Résistance. Technik und Positionen einer Untergrundpresse 1940/44. Diss. Berlin 1962. Ebendort umfassende Literaturangaben. — ZIEBURA, G.: Die Idee der Demokratie in der französischen Widerstandsbewegung. Festschrift für Herzfeld. Berlin 1958.

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willen getragen. In wenigen Monaten, nach dem Juni 1940, stand ein System illegaler Publizistik, das in seinen unterirdisch geschaffenen und geheim verbreiteten Erzeugnissen über 1000 Titel umfaßte. An Tagen der Hochspannung erzielten bestimmte „Zeitungen" einer zwar nicht immer regelmäßigen Periodizität bis zu 400 000 Auflage. Sie verbreiteten normal Auflagen von 3- bis 10 000 Stück.29 Die Vervielfältigung reichte von einfachen Schreibmaschinendurchschlägen bis zur Rotationsleistung. Eigene Informationsdienste erschienen und waren meist auf die Sendungen des englischen Rundfunks gestützt. Die Blätter, Flugschriften und Handzettel nahmen politisch Farben und Richtungen an (christlich, sozialistisch, kommunistisch, intellektuell) und standen in Verbindung mit den entsprechenden Widerstandsgruppen. Von hier aus erfolgte auch die Zellenbildung für den „Maquis", der später an der militärischen Befreiungsaktion beteiligt war.30 Die Arbeit wurde schwer verfolgt und forderte viele Opfer. 31 Ohne sie wäre — nach französischer Auffassung — niemals der „nationale Aufstand" möglich gewesen. Die Widerstandsbewegung in Deutschland konnte nicht der gleichen Art sein. Das Hitlerregime war keine auswärtige Macht, sondern ein von Deutschen getragenes System. Wirtschaftliche und später große militärische Anfangserfolge, auch mancherlei sympathisierende Besuche führender Ausländer bei Hitler (Lloyd George, Hearst, Chamberlain) entmutigten die sehr gewagte illegale Publizistik so wie sie auch später die aktive Widerstandsbewegung hemmten. 32 Aus der Emigration wurden Versuche illegaler Aufklärung gestartet. Der sozialdemokratische „Vorwärts" erschien schon im Juni 1933 als „Neuer Vorwärts" in Prag und wurde unter Opfern eingeschmuggelt. 33 Auch „Die Weltbühne" wich im April 1933 nach Prag aus und erschien später als „Neue Weltbühne" in Wien. Die illegale Einfuhr blieb gering. 34 Die katholische Opposition vertrat sehr entschieden und mit anfänglich guter Verbreitung M A I E R - H U L T S C H I N mit seiner aus Polen eingeschmuggelten Zeitschrift „Der Deutsche in Polen". 35 In gleicher Richtung arbeitete F R I E D R I C H M U C K E R M A N N , der wechselnd erst aus Holland, dann aus Paris und der Schweiz den „Deutschen Weg" vertrieb. Unter Opfer seines Lebens schrieb F R I T Z M I C H A E L G E R L I C H seinen

28 FREIBERG, a . a . O . , S. 1 3 4 u. S . 2 6 4 . — Allein in der Sudzone wurden bis 1 9 4 3 4 5 0 0 0 0 Nummern von illegalen Blattern beschlagnahmt und eingestampft. 30 FREIBERG, a.a.O., S. 1 2 3 und BELLANGER, C . : La presse clandestine. Sammlung Kiosque. Paris 1961, S. 146 f. 31 FREIBERG, a.a.O., S. 273 ff. sowie BELLANGER, a.a.O. 32 Vgl. u. a. RITTER, G.: Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung. Stuttgart 1 9 5 4 , S. 2 0 1 . 33 STAMPFER, FR.: Die ersten 1 4 Jahre der deutschen Republik. Offenbadi 1 9 4 7 , S. 2 7 2 . — HENKELS, W . : 9 9 Bonner Kopfe. Berlin 1 9 6 3 , S. 1 8 3 schildert die illegale Arbeit von H E I N Z K Ü H N . Der „Vorwärts"-Redakteur F R A N Z K L Ü H S , der Stücke des „Neuen Vorwärts" von Prag nach Berlin schmuggelte, wurde gefaßt u. zu langer Gefängnishaft verurteilt. 34 Vgl. K O P L I N , R.: Carl von Ossietzky als politischer Publizist. A.a.O., S. 204 ff. — ENSELING, A.: Die Weltbühne. A.a.O. 35 Mitarbeit des Verfassers.

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„Geraden Weg". 36 Eine spontane, vieltausendfache illegale Verbreitung durch hand- und z. T. maschinenschriftliche Vervielfältigung kritischen Materials (Predigten V O N G A L E N S und N I E M Ö L L E R S , Enzyklika „Mit brennender Sorge" u. a. mehr) leistete der oppositionelle Teil in der Bevölkerung. Ein Musterbeispiel gefährlicher Illegalität gaben die G E S C H W I S T E R S C H O L L 3 7 mit ihrer Flugblattaktion. Die Kühnheit, Flugblätter während der Vorlesungspause in den überfüllten Lichthof der Münchener Universität zu werfen, war eine Tat größten Mutes. Sie kostete den Geschwistern das Leben als ein bewundernswertes Beispiel opferbereiten Widerstandes und ging über die vorsichtige Technik illegaler Publizistik einfach hinweg. Vorzeitige, noch so hingebende Demonstrationen vernichten die Kämpfer und lähmen die Aktionen. Aber das bewußte Lebenswagnis wie es die Geschwister Scholl übten, war um so überzeugender. Besondere Verfahren publizistischer Illegalität leistet sich die Kommunistische Partei nach ihrem Verbot in der Bundesrepublik durch eine illegale oder maskierte Presse. Eine differenzierte Organisation, Spitzel und Agentendienste vermitteln und betreiben diese Publizistik. Die liberale Großzügigkeit der Bundesbehörden ermöglicht den Vertretern der SBZ, selbst mit der Kamera innerhalb der Bundesrepublik zu arbeiten und die Ergebnisse gegen die Bundesrepublik auszunutzen. Aus der SBZ, z. T. auch über benachbarte Länder, wird ein vielfältiges, kostspielig hergestelltes illegales Material eingeschleust. Insbesondere richtet es sich gegen die Bundeswehr. Es umfaßt periodisches Schrifttum ebenso wie Flugblätter und Broschüren. Dazu kommen „menschlich betonte" Rührschriften, die kollektiv ebenso aus Altersheimen wie von Schulklassen versandt werden. Immerhin bringen sie die Parolen von drüben ins Gespräch. Amtliche Schätzungen beziffern das teils im direkten Postversand, teils durch Kuriere, teils auch — nach alten Formen — in schwimmenden Plastikbällen eingeschmuggelte Schrifttum auf ca. 8 Millionen (1964). Unmittelbar wird die Arbeiterschaft über die Betriebe angesprochen. Vor dem Verbot der KP gab es rund 500 kommunistische Betriebszeitschriften, 1964 waren noch 39 bekannt, 40 erscheinen nur ein- bis zweimal jährlich. 38 36

Vgl. S. 53 und BENDER, O.: „Der gerade Weg" und der Nationalsozialismus. A.a.O. — H.: Waldemar Gurian und die Deutschen Briefe — ein Beitrag der deutschen Emigration zum Widerstand gegen Hitler. Vortrag gehalten am 4. Okt. 1965 vor der Görres-Gesellschaft in Mannheim. In: Jahres- u. Tagungsberidit der Görres-Ges. 1965. Köln 1966. 37 Vgl. SCHOLL, INGE: Die Weiße Rose. Frankfurt a. M . 1 9 5 2 . Vgl. auch S . 2 6 9 , Technik des Flugblatts. 38 Vgl. KOMMUNISTISCHE BETRIEBSZEITUNGEN. Stand, Taktik, Abwehr. Hrsg. v. Deutschen Industrie-Institut. Köln 1956. — Jüngere Angaben: B E R I C H T DER BUNDESREGIERUNG ÜBER DIE KOMMUNISTISCHE TÄTIGKEIT IM J A H R E 1964. Juni 1965. — Das vorstehende Kapitel hat aus der Fülle illegaler publizistischer Mittel nur charakteristische Beispiele herausgestellt, um den Begiiii zu belegen. Weitere Beispiele: über Kossuths illegale Publizistik vgl. DEZSENYI, B.: 250 Jahre ungarische Presse, Bd. I. Budapest 1954, S. 168 ff. — Die illegale Taktik in der Entstehung und Entwicklung der armenischen Presse. Vgl.: FROUNDIJAN, B.: Diss. Berlin 1961, S. 49, 101 f., 162, 186 f. — Für die illegale Publizistik im frühen russischen Emigrantensozialismus vgl. TANNEWITZ, H. K.: M. A. Bakunins publizistische Persönlichkeit. A.a.O. HURTEN,

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Die publizistische Illegalität geht heute auch auf den Rundfunk über. Geheimsender sind — illegal begründet und betrieben — Mittel in erregten Zeiten, auch den Äther illegal zu nutzen. Das Hitlerregime errichtete solche Sender in Frankreich39, wo sie als französische Sender maskiert in den Kampftagen 1940 die Panik der französischen Bevölkerung schürten. Sogenannte „Schwarzsender" liegen auf Frequenzen, die in den internationalen Wellenabkommen nicht genehmigt sind. Ihre Tätigkeit ist also illegal. Sie werden technisch und rechtlich verfolgt (Aufspürung und Beschlagnahme), je nach dem gefährlichen (Hoch- oder Landesverrats) oder weniger gefährlichen (Propaganda) Inhalt. Nachrichten und Meinungen propagandistisch abgefaßt und auf genehmigten Wellen gesandt oder Störsender vom Ausland her sind zwar unangenehm, aber nicht illegal. Beliebt und immer wirksam sind die meist von draußen erfolgenden illegalen Zwischenrufe in legale Sendungen hinein („falsch!" „umgekehrt!" „Lüge!"). Die Sendezeit und der Standort illegaler Sender sind wegen der Gefahr entdeckt zu werden begrenzt und wechselnd. Ihr Einsatz zu Kriegszeiten und heute, in der noch ungeklärten Rundfunklage einiger Entwicklungsländer, ist häufig, bevorzugt in analphabeten Ländern und dort von besonderer Wirkung (Kongo und Vietnam). In der Bundesrepublik gab es illegale Sender der kommunistischen Propaganda. Sie wurden aber angepeilt und stillgelegt. Ein noch 1965 in die Bundesrepublik hinein arbeitender Sender, der „Deutsche Freiheitssender 904" steht in Burg bei Magdeburg. Seine Sendungen, die angeblich Material von vielen Informatoren in der Bundesrepublik verarbeiten, geben auch den illegalen Funktionären Anweisungen und neuerdings auch eine Sendung für die in Deutschland tätigen Gastarbeiter. 40 Eine illegale Filmpublizistik hat sich nicht entwickelt. Die hier nötige Vorführanlage entzieht sich der strikten Geheimhaltung und damit fehlt ein Grundprinzip aller illegalen und subversiven Publizistik. Illegale Publizistik ist verfolgte und verbotene Publizistik. Geheim („unterirdisch") in der Herstellung, abgesichert in der Verbreitung sucht sie Beschlagnahme und polizeilichen Zugriff zu überspielen, um ihre Anhängerschaft zu erreichen. Sprache und Form, Ausdruck und Technik zeigen die Erregung der oft nur unter Gefahr zupackenden publizistischen Aktion. In der Geschichte der Verschwörungen und Umsturzversuche hat die illegale Publizistik große Erfolge erzielt, ebensooft ist sie auch — samt ihren Autoren — wirkungslos geblieben und trotz tapferen Kampfes untergegangen. Im heutigen Angriff der kommunistischen Länder gegen die freie Welt sind die illegalen Kampf- und Verbreitungsformen üppig finanziert und mit allen technischen Mitteln ausgestattet. Sie sind daher mit den opfervollen Unternehmen der kommunistischen Bewegungen vor den Weltkriegen nicht zu vergleichen, sondern stehen in festen geistigen Kampffronten und schießen aus abgeschirmten Stellungen. Der abenteuerliche Reiz der Illegalität, auch ihr oft wahrer Heroismus, sind der technischen Spekulation und Perfektion gewichen. 39

Persönliche Berichte von Kriegsteilnehmern. Vgl. WALTHER, G.: Der Rundfunk in der Sowjetischen Besatzungszone. Bonn/Berlin 1961, S. 146 ff. 40

DIE VERDECKTE UND MASKIERTE PUBLIZISTIK

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14. D i e v e r d e c k t e u n d m a s k i e r t e Publizistik Nennt die illegale Publizistik die Dinge hart beim Namen und erzwingt sich, wenn auch von verborgenem Boden, den Zutritt zur Öffentlichkeit: die verdeckte Publizistik geht den umgekehrten Weg. Sie stellt sich in die volle Öffentlichkeit, macht ihre Gedanken, Vorschläge und Berichte offenbar, meint es aber gänzlich anders, als sie es sagt. Was sie meint, soll erst in den Köpfen und Herzen der Leser und Hörer zünden, sich dort erst entwickeln. 1 Das publizistische Wollen wirkt hier also gleich einer Induktion. Es zündet erst, wenn der Funke gesprungen ist. Im publizistischen Prozeß stellt das Verfahren zwei Funktionen in Rechnung: einerseits die minderwertige geistige Urteilskraft des Machtträgers (ihm wird Rauch um Nase und Gesicht geblasen 2 ), andererseits die geistige Wachheit und das helle Begreifen der Opposition. Alle unter Zensur stehenden publizistischen Systeme haben es kunstvoll fertiggebracht, mit verhüllender Taktik Enthülltes darzubieten. 3 Publizistisch aber sind diese Dinge ernst und oft tragisch, wie sie es für H. v. in seinen „Berliner Abendblättern" waren, da er als Leitartikel der Eröffnungsnummer ein „Gebet des Zoroaster" schrieb, mystifiziert als „gefunden in den Ruinen von Palmyra". Das „Gebet" erflehte, was Kleist von seinen Zensoren erwartete: Freiheit und Wahrheit, seine Sendung zu erfüllen. 4 KLEIST

Es geht in diesem mittelbaren Verfahren um einen Vorgang, für den es in unserem Wortschatz eine anschauliche Bezeichnung noch nicht gibt. Das Verfahren wurde aber während der Hitlerherrschaft zu großer Feinheit, zeitweise bis zur Vollendung entwickelt, so vollendet, daß es heute oft von denen nicht mehr verstanden wird, die ihrem Alter nach die Zwangsgewalt des totalen Regimes niemals erlebt haben und sie sich nicht vorstellen können. Ein Meister dieses Verfahrens war R U D O L F P E C H E L mit seiner „Deutschen Rundschau" und seinen Mitarbeitern (Carl Goerdeler, Adolf Reichwein, Reinhold Schneider, Paul Fechter, Ludwig Bergsträsser u. a. mehr). 5 Die „Deutsche Rundschau" begleitete mit geistvoller Raffi1 Das Verfahren ist auch literarisch oft angewandt. GOETHE schreibt an Schiller in Vorbereitung der „Hören": „Besonders sinne ich auf Vehikel und Masken, unter welchem wir dem Publico manches zuschieben können." (Goethe — Schiller. Briefwechsel. 13. Brief.) Vgl. auch SCHNEIDER, G E O R G : Schlüsselliteratur. 3 Bde. Stuttgart 1 9 5 1 . — 5 3 . 2 Daher „Camouflage" von französisch „camoufler" — einen Dampf um die Nase blasen. Das Wort hat sich — schwer übersetzbar —• eingebürgert, zeigt auch die Verschlagenheit des Vorganges, nimmt aber nur die eine Seite ins Bild. Deutung im einzelnen vgl. TRÜBNER: Deutsches Wörterbuch. Bd. 7. Berlin 1956, S. 19. 3 HEINE verspottet diese Technik: ach, ich kann nicht mehr schreiben, ich kann nicht, denn wir haben keine Zensur I Wie soll ein Mensch ohne Zensur schreiben, der immer unter Zensur gelebt hat?" HOUBEN, H. H.: Gespräche mit Heine. Potsdam 1948. 4 Vgl. SEMBDNER, H.: Die Berliner Abendblätter H. v. Kleists. Berlin 1 9 3 9 . 5 Vgl. MIRBT, K. W.: Methoden publizistischen Widerstandes im Dritten Reich. Nachgewiesen an der „Deutschen Rundschau" Rudolf Pecheis. Diss. Berlin 1958. — Ders.: Theorie und Technik der Camouflage. In: Publizistik 1 9 6 4 , H. 1. Ebendort auch FECHTER, S.: Paul Fechter. Wege und Formen der Opposition im Dritten Reich. — Sehr aufschlußreich, auch im Hinblick auf die tragische Note aller Camouflage, vgl. BOVERI, M.: Wir lügen alle. Eine

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nesse die Handlungen des Hitlerregimes. Politisch geschickt abgesichert, allen denen aber verständlich, die in den Verfolgungen der Zeit die Fähigkeit bewahrt hatten, zu wittern, was an oppositionellen Nachrichten und Meinungen auch unter Masken verborgen lag. Da wurden parallele Vorgänge in anderen Diktaturen' historisch und geographisch dargestellt, Hitler als „Urbild" 7 nie genannt, aber deutlich anderen Bildern (Dschingis Khan, Tamerlan, Robespierre, Talleyrand, Napoleon und Stalin) gegenübergestellt. Ähnlich wurden auch Zustände in Parallelen gerückt („Sibirien"). Stromsdiläge zündeten, wenn Erfahrungen anderer die bitteren eigenen Erlebnisse trafen. Sie entflammten auch aus Glossen, Buchbesprechungen, Gerichtsberichten, aus Fabeln und alten oft erfundenen Weisheitssprüchen, die dem Hitleregime auf den Leib geschneidert waren. 8 „Vergangenes und Zukünftiges wird so aktuell im übertragenen Sinne. Alle Themen wurden zu heißen Eisen. 8 " Man stellte Tagesereignissen, die man nicht zu nennen brauchte, die „Aktualität des Absoluten" gegenüber und traf so die Gewissen. 10 Um die „Rundschau" bildete sich ein oppositioneller Kreis. Er strahlte aus und wurde jedem verständlich, der nicht dem System verfallen war. Bis zum Jahre 1942 wurde das oft mit beispielloser Kühnheit, ja mit Frechheit durchgehalten. Dann erkannte das Hitlerregime, was gespielt wurde. Pechel hatte sich erlaubt, nach einer Darstellung der publizistischen Zwangsregulierungen im Ersten Weltkrieg Goebbels den Dank für die Freiheit im Zweiten Weltkrieg auszusprechen. 11 Jetzt griff die Geheime Staatspolizei durch. Die „Rundschau" wurde verboten. Pechel und seine Frau kamen ins KZ. Erst 1945 waren sie wieder frei. Unter der fast ausweglosen Zwangsrichtung der gesamten Publizistik wurde die gedeckte, maskierte Sprache bald das einzige Verständigungsmittel für die, denen diese Sprache gelang und die, denen die Antenne gegeben war, sie zu verstehn. Schließlich machten Verbot oder Aufkauf der Presse all dem ein Ende. Genannt sei hier auch die Zeitschrift „Hochland", der es mit Unterstützung oppositioneller Hauptstadtzeitung (Berliner Tageblatt) unter Hitler. Texte und Dokumentationen zur Zeitgeschichte. Ölten und Freiburg 1965. — Die vier Arbeiten enthalten überzeugende Belege, die geistige Situation im Dritten Reich zu verstehen. Sie bringen Beispiele, die zeigen, wie das Regime damals, den Eingeweihten verstandlich, sogar polemisch zu treffen war. 6 Die Gegenüberstellungen, Gleichklänge und Parallelen gehen bis in die Doppelsinnigkeit und die Täuschungen zurück, zu denen die Sprache die Hand bietet. Die Germanisten (KAINZ, F.: Psychologie der Sprache. Stuttgart 1954) sprechen reichlich unverstandlich von „Amphibolien" und „Äquivokationen". — Vgl. auch M I R B T : Methoden publizistischen Widerstandes im Dritten Reich. A.a.O., S. 323. 7 M I R B T : Theorie und Technik der Camouflage. A.a.O., S. 6. — Ders.: Methoden publizistischen Widerstandes im Dritten Reich. A.a.O. 8 Besonders beliebt, weil nicht nachzuweisen, war orientalische und antike Spruchweisheit. Mitten im Erfolg des Hitlerregimes wurde den Lesern das Zitat AUGUSTINS gebracht: „Nichts ist schlimmer als das Glück der Frevler." 9 BERGENGRUEN, W.: Einführung in: Zwischen den Zeilen. Der Kampf einer Zeitschrift für Freiheit und Redit. 1932—42. Aufsätze v. Rudolf Pechel. Wiesentheid (Ufr.) 1948, S. 7. 10 FLÜGEL, H.: Geschichte und Geschicke. München 1946, S. 7. 11 In: Deutsche Rundschau. Januar 1942.

DIE VERDECKTE UND MASKIERTE PUBLIZISTIK

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Kräfte, gerade auch solcher, die in den Machtgruppen arbeiteten und von dorther sich oppositionell bewährten, noch eine Weile gelang, über Wasser zu bleiben.12 Ähnlich — aber auch nur vorübergehend — arbeiteten die „Weißen Blätter", herausgegeben von K. L . V O N G U T T E N B E R G . 1 3 Tapfer kämpfte das von F R I T Z K L E I N und 14 P A U L F E C H T E R geschriebene Wochenblatt „Deutsche Zukunft". In den Zeitungen war das verdeckte Spiel besonders schwierig und wurde unter den ewigen Zwangsauflagen immer schwieriger. Doch fanden sich — bis zum traurigen Ende — immer wieder Induktoren, deren Funken bei hochgespannten Empfängern einschlugen. Man lernte, aus einem überlauten Dementi erkennen, wo die Wahrheit eigentlich lag. Man brachte in Fettdruck und unterstrichen „pflichteifrig" das auferlegte Propagandamaterial, und jeder Mitfühlende verstand. Provokatorisch schrie man die Wahrheit im Gewände der Lüge heraus und gab die Wahrheit, vorsichtig geformt, im Kleindruck am Seitenende. Im bildungsstarken und geflegten Fachartikel und dem Kunstbericht war ohnedies mehr zu sagen als von der Überwachung verstanden wurde.15 Die „Frankfurter Zeitung" erhielt das bereits 1937 durch eine „denunziantorische Arbeit"16 quittiert. Später wurde es auch sachlich bezeugt. Bis zu ihrem Verbot leistete die katholische „Germania" ähnliches17 und eine ganze Reihe kleinerer Blatter, die ihrer Verpflichtung bewußt wurden, selbst unter dem eisernen Druck der Überwachung mit verdeckten und maskierten Mitteln den immer mehr bedrängten Oppositionellen Zeichen einer Gemeinsamkeit zu übermitteln.18 Das alles ging so lange, bis dann hier Verbot oder Aufkauf der 12 RAPPMANNSBERGER, F . : Karl Muth und seine Zeitschrift „Hodiland" als Vorkämpfer für die innere Erneuerung Deutschlands. Diss. München 1 9 5 2 . — ACKERMANN, K . : Der Widerstand der Monatsschrift „Hochland" gegen den Nationalsozialismus. München 1965. Ebendort anschauliche Beispiele gewandter Camouflage. 13 RITTER, G.: Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung. A.a.O., S. 131. 14 Vgl. FECHTER, S.: Paul Fechter. A.a.O., S. 21. 15 Das galt für eine größere Zahl deutscher Zeitungen. KLIESCH, H. J.: Die Film- und Theaterkritik im NS-Staat. Diss. Berlin 1957. Genannt sind dort mit ihren verdeckt oppositionellen Arbeiten u. a. Werner Fiedler, Heddy Neumeister, Werner Diebold, Jürgen Schüddekopf, Theo Fürstenau u. a. m. 16 M I R B T : Methoden publizistischen Widerstandes im Dritten Reich. A.a.O., S. 29 nennt die Dissertation von HEINRICHSDORFF, W.: Die liberale Opposition in Deutschland seit dem 30. Januar 1933 (dargest. an d. Entw. d. „Frankfurter Zeitung"). Versuch einer Systematik d. polit. Kritik. Hamburg 1937. — Zur Frankfurter Zeitung und ihrer Haltung vgl. HEPP, F.: Der geistige Widerstand im Kulturteil der „Frankfurter Zeitung" gegen die Diktatur des totalen Staates 1933—1943. Diss. München 1950. — Aus Kreisen des Blattes selbst: STERNBERGER, D.: Figuren der Fabel. Berlin und Frankfurt a. M. 1950. — REIFENBERG, B.: Die zehn Jahre/1933—1943. In: Die Gegenwart. Sonderheft zum 29. Oktober 1956. Ein Jahrh. „Frankfurter Zeitung" begr. v. Leopold Sonnemann. S. 40—54. — ü b e r die ähnlich geführte verkappte Arbeit des Berliner Tageblatts unter PAUL SCHEFFER vgl. BOVERI, M.: Wir lugen alle. A.a.O., S. 185, 256, 264, 270 u. a. m. 17 HAGEMANN, W.: Publizistik im Dritten Reich. A.a.O., S. 194. 18 Dazu: STOECKER, H.: Zwischen den Zeilen. Ein Beitrag zur Geschichte des Widerstandes unter der NS-Diktatur. Dusseldorf 1948 (zeigt die Arbeit im Droste-Verlag). — GeneralAnzeiger der Stadt Wuppertal: 1887—1945 6 Jahrzehnte Zeitgeschehen im Spiegel der Heimatzeitung. Wuppertal 1954. — Zusammenfassend: DOVIFAT, E.: Deutsche Zeitungen, deutsches Schicksal. Widerstand — Zusammenbruch •—• Neuaufbau. In: ZVuZV 1955, H. 18, S. 588 ff.

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Publizistik I

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Blätter auch diese maskierten Sprecher verstummen ließ. In der letzten Verschärfung des Krieges wird es ganz still um sie. Die fremden Sender boten dann die einzige Information. Auch in Reden wurde das maskierte Verfahren, vor allem in den politisch-religiösen Kämpfen, geübt, umso wirkungsvoller, je zuverlässiger der Zuhörerkreis war.19 Wie sehr die Öffentlichkeit schon 1934 darauf aus war, hinter einer Rede einen ganz anders gemeinten Sinn herauszufinden, beweist die Aufnahme, die die am 1 7 . 6 . 1 9 3 4 in Marburg gehaltene Rede des Vizekanzlers VON PAPEN fand, in der man eine oppositionelle Wendung vermuten mußte. Verfasser soll der Mitarbeiter Papens, E D G A R J U L I U S J U N G (auch Autor der „Rundschau") gewesen sein, der sich der Opposition zugewandt hatte. Die Rede kostete Jung das Leben. Bei den von Goering veranlaßten Morden des 30. Juni 1934 war er unter den Opfern. Hier hatte die regierende Gewalt die Gefahr der maskierten, publizistischen Form erkannt, nicht zuletzt auch durch die oppositionelle Deutung, der sie aus Dummheit oder aus Denunziation sofort in der Öffentlichkeit unterlag.20 Man konnte damals auch durch eine gut gemeinte unvorsichtige Belobigung ans Messer geliefert werden. Die verdeckte und maskierte Publizistik ist eine „stilistische Notform" unter der Diktatur. Dem Scheine nach gefügig, kann sie zur ganzen Öffentlichkeit sprechen. Dort sucht sie aber die oppositionellen Kräfte, denen sie äußerlich harmlose, dem Verstehenden aber auszudeutende Stoffe bietet. Historische und persönliche Parallelen, provozierend umgekehrte Wertungen, künstlerisch verpackte Negation, enthusiastisch gefeierte Leere, zensurfreie Dichterzitate, bejahendes Schweigen, Einhüllen des Wesentlichen im Unwesentlichen u. a. mehr, wobei die Schlußfolgerung jeweils im Spannungsfeld des wartenden Empfängers — niemals aber im publizistischen Text — gezogen wird (Induktionstechnik) . Das Verfahren, raffiniert vollzogen, lebt, solange es gelingt, die Träger der Diktatur zu umnebeln („Camouflage"). Da die Eingeweihten sich leicht zusammenfinden und die Werbung weiter tragen, gibt das Verfahren einige Strahlkraft. Bewährtes kann es erhalten, Ansatz für die illegale und später wieder für die freie Publizistik entwickeln. 19 Vgl. ADOLPH, W.: Im Schatten des Galgens. Zum Gedächtnis der Blutzeugen in der nationalsozialistischen Kirchenverfolgung. Darstellung und Dokumente. Berlin 1953. 20 Vgl. MIRBT, Methoden publizistischen Widerstandes im Dritten Reich. A.a.O., S. 85 ff. — Ders.: Theorie und Technik der Camouflage. A.a.O., S. 3 sowie RITTER: Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung. A.a.O., S. 483. — Es wird hier davon abgesehen, die Technik der verdeckten Sprache auch in der religiösen künstlerischen und wirtschaftlichen Arbeit aufzuweisen. Es wäre sicher dem heute oft mißdeuteten oppositionellen Geschehen in den Hitlerjahren nützlich, einmal sachlich untersucht und dargestellt zu werden. Dabei wäre auch der oppositionellen Form des Lehrvortrags zu gedenken, meist durch Professoren durchgeführt, die dem in den Hitlerjahren reichlich geübten „NS-Pairssdiub" entgegenstanden. Es gab „oppositionelle Vorlesungen", in denen der Widerstand so deutlich war, daß der Andrang zur Gefahr wurde. (Wust: Münster; Kapp: Freiburg; Dovifat: Berlin). Diese Bestrebungen werden heute von einer jüngeren, in der Technik totalitärer Gewalttätigkeit unerfahrenen Kritik falsch und oft ungerecht beurteilt. Sätze werden aus dem Zusammenhang gerissen, demonstrativ herausgehoben, die wenige Seiten später im damaligen Stil gegebenen Widerlegungen aber weggelassen oder einfach nicht verstanden. Für heute vgl.: HILDEBRANDT, D.: „Quasi Riek u. andere". Flucht u. Ausflucht in der Literatur der „DDR" FAZ. Nr. 94, 1967.

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Es erübrigt sich festzustellen, daß das hier analysierte Verfahren auch im künstlerischen Schaffen zu Hause ist. In Deutschland sei auf die Romane von REINHOLD SCHNEIDER, von W E R N E R BERGENGRUEN („Der Großtyrann u. das Gericht") und F R I E D R I C H R E C K - M A L L E C Z E W E N („Bockelson") 21 u. a. mehr hingewiesen. Sehr gut weiß man über das Verfahren in den totalitär regierten Ländern Bescheid. Genannt seien nur Namen wie B O R I S PASTERNAK, M I L O V A N D J I L A S , M I H A J L O M I H A J L O W und LADISLAW M N A C K O .

2 1 HARPPRECHT, K.: Friedrich Rede — Malleczewen. Chronist des Unterganges. Der Monat, 1966, Nr. 214.

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III. Die Wege des publizistischen Prozesses

15. Die unmittelbare Ansprache Der publizistische Prozeß geht seine Wege unmittelbar oder mittelbar. Er kann sich offen, deutlich, ohne Maske abwickeln, geradeaus ansprechend: also unmittelbar. Häufiger geht er auf Umwegen, oft nicht erkennbar, maskiert, mit fremden Effekten durchsetzt und durch sie erst zugänglich. Er erscheint auch im Ziel zunächst verkappt, wirkt auch im Unbewußten und Unterbewußten: also mittelbar. Die weitaus größte Zahl publizistischer Einwirkungen zieht den mittelbaren Weg vor. Aber der unmittelbare Weg ist der wahrhaftige. Offenes Bekenntnis kennzeichnet ihn und persönliche Verantwortung. Als erstes Mittel dieser Art ist immer wieder die Rede zu nennen. Sie ist die schönste Form unmittelbarer Ansprache. 1 Die Psychologie der Rede, der echten Rede, nicht des Vortrags, ist ganz auf dieser unmittelbaren Begegnung aufgebaut. Wenn sich der Redner und die Zuhörer direkt gegenüberstehen ergibt sich eine starke Gegenseitigkeit, eine lebendige Wechselwirkung. Ohne die Unmittelbarkeit des ganzen Vorgangs könnte sie kaum entstehen. Unmittelbar sind weiter alle nicht anonymen, direkten Mittel der Publizistik. Jede verantwortlich gezeichnete Zeitung ist unmittelbare Aktion. In Leitartikel, Glosse, Kommentar usw. ist sie es ganz besonders. Das gleiche gilt für die Zeitschrift, wenngleich Zeitung sowohl wie Zeitschrift vielfach auch mittelbare Publizistik sein können, etwa in politischen Romanen, nachrichtenpolitisch durch Nachrichtenauswahl, durch Unterstreichung oder Weglassen, Hervorkehren oder Verschleiern usw. Aber das geschieht in Zeitung und Zeitschrift doch unter einer deutlichen und bekannten persönlichen Verantwortung. Plakate, Flugblätter — soweit sie nicht anonym erscheinen — Flugschriften und Bücher, so die jüngst in der publizistischen Auseinandersetzung häufiger erscheinenden Taschenbücher mit politischer Polemik sind Beispiele einer unmittelbaren Publizistik. Sie sagt, was sie will, für wen und für was und gegen wen und gegen was sie sich wendet. Der Film ist dann unmittelbare publizistische Aktion, wenn er sich in geschlossener politischer Haltung gesinnungsmäßig kämpferisch einsetzt (klassisches Beispiel: Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin); unverschleiert politisch kämpferische Filme schafft die totalitäre Publizistik (unter dem Hitlerregime „Jud Süß": in der 1 Durch Rundfunk und Fernsehen vor ein Millionenpublikum gebracht, verliert sie nichts von dieser Bekenntnishaltung, wenn sie sich auch der Natur des neuen publizistischen Mittels sehr anpassen und auf die unmittelbare Wechselwirkung mit ihren Zuhörern verzichten muß. Vgl. S. 231 und 258.

DIE MITTELBARE ANSPRACHE

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SBZ „Rotation" und viele andere mehr). Im Rundfunk und Fernsehen demokratischer Haltung kommen publizistisch unmittelbare Aktionen mit deutlich ausgesprochener Tendenz ebenso vor. Diese Anstalten öffentlichen Rechts in der im freien Teile Deutschlands gegebenen Organisation haben die Pflicht, fair allen wichtigen Gruppen, selbst wenn die eine oder andere von ihnen ein überdeutliches Etikett erhält, unter gegenseitigem Ausgleich das Wort zu geben. Sie haben auch dort, wo sie eigene Aktionen starten, die Gegenseite zu hören. Allerdings sind Film, Rundfunk und Fernsehen besonders mächtig in der mittelbaren Form der publizistischen Ansprache.1

16. Die mittelbare Ansprache Ganz anders geartet ist die mittelbare Ansprache. Sie ist, soweit publizistische Aktionen überhaupt meßbar sind, auch darum beliebter, weil sie selten persönlich aufdringlich sich gebärdet, was in Gesinnungsdingen dem heutigen Menschen oft störend ist. Noch peinlicher ist es ihm, wenn ihm eine Stellungnahme oder gar ein Bekenntnis abgefordert wird. Besuch einer Versammlung, Beifall für den Redner, Lektüre einer bestimmten Zeitung mit festgelegter Richtung usw. sind meist schon mit einer Stellungnahme verbunden, vor der sich der verantwortungsscheue Durchschnittsbürger leider schnell drückt. Die mittelbare Ansprache nützt diese Scheu. Sie bringt ihre Appelle unausgesprochen an, rechnet auf das Unterbewußtsein des Umworbenen. Nach draußen hin erscheinen die Angesprochenen unabhängig und sie glauben auch, ihre Entscheidungen ganz aus Eigenem zu fassen. Die „geheimen Verführer" schmeicheln diesem Glauben; denn wer möchte nicht „frei" entscheiden, wer geleitet, beeinflußt oder gar geschult werden.1 Auf drei Gebieten des öffentlichen Lebens wird die mittelbare Aktion häufig und wirksam vorgenommen: durch die Nachrichtenpolitik, die Unterhaltung und die Vorgänge persönlicher Art, die sich in dem umgrenzten Lebensraum, dem Eigenen und Eigensten, abspielen. Solchen engeren Bindungen ist jedermann verpflichtet, er ist darin oft mehr gebunden, als er glaubt. Es gehören dahin alle Dinge des Alltags, die des persönlichen Schicksals und der Familie, des Berufs, schließlich auch der Wohnung, Kleidung und Nahrung. Auch die meinungsmäßig oft sehr bindende Liebe zu einem Steckenpferd, einem Hobby gehört hierher, und schließlich geht vom gesellschaftlichen Leben in seinen sich immer mehr verzweigenden Gruppen und Zirkeln eine starke Wirkung aus (Vereine, Verbände, Clubs usw.). 1 Sehr bemerkenswert ist, wie z. B. auch die deutsche Presse diesem Bemühen, „frei" zu sein oder doch zu scheinen, entgegenkommt. Viele Blätter nennen sich „überparteilich", „unabhängig" und versichern, daß ihr Nachrichtendienst frei von Parteieinflüssen ist. Der Leser hat also die Möglichkeit „frei" zu wählen und zu entscheiden. Vgl.: DOVIFAT, Zeitungslehre II a.a.O., S. 41.

DIE WEGE DES PUBLIZISTISCHEN

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PROZESSES

Wir gliedern hier nach der Natur der Mittel. Ein Hinweis auf die ebenso gegebene Mittelbarkeit

in der psychologischen Ordnung der Stoffe, die publizistisch

verbreitet werden, folgt weiter unten.2

a) Die

Nachrichtenpolitik

Daß Nachrichten Mitteilungen sind, die als solche der subjektiven Einflußnahme des Mitteilenden unterliegen, ist genügend dargetan.3 Die Zeitungslehre hat den Begriff „Nachrichtenpolitik" eingehend begründet.4 Folgen wir den bekannten Begriffen: Nachrichtenpolitik ist die Beeinflussung der Öffentlichkeit durch Verbreitung bestimmter Nachrichtengruppen oder Zurückhaltung anderer Nachrichtengruppen. Schon in der sprachlichen Fassung der Nachricht, in ihrer Auswahl, Reihenfolge und graphischen Wertung schlägt sich die unvermeidliche Subjektivität nieder. Subjektivität ist auch da nicht zu umgehen, wo, getreu dem berühmten englischen Wort „comments are free, but facts are sacred", die ehrliche Absicht besteht, die in den Nachrichten übermittelten Tatsachen „heilig" zu halten.5 „Objektivität" wäre, streng genommen, nur dann möglich, wenn die Tatsache in Ziffern, Zahlen und Maßen wiedergegeben werden könnte. Auch mit dem subjektiven Willen und der subjektiven Auslegung der Leser und Hörer ist zu rechnen. Jeder Redakteur weiß, was kritische Leser aus noch so vorsichtig abgefaßten Texten herauslesen. Das braucht aber nicht bewußt zu geschehen, es kann auch ganz unbewußt erfolgen." Jeder Nachrichteninhalt ist dehnungsfähig. Auch wer gutmeinend und sehr gewissenhaft formuliert, kann eine Information ungewollt subjektiv färben. Schon psychologische Gründe können dafür verantwortlich sein.7 Subjektiver Wille aber und bewußte Tendenz können

Vgl. S. 94. In der vorliegenden Arbeit findet sich auf S. 23 ein erster Hinweis auf diesen Begriff. 4 OTTO GROTH in seinem Standardwerk: Die Zeitung. A.a.O. würdigt zwar eingehend die Problematik, aber den eigentlichen Begriff, später als „Nachrichtenpolitik" definiert, gibt es dort noch nicht. Vgl. die eingehende Darstellung bei DOVIFAT, E.: Zeitungslehre. A.a.O., Bd. I, S. 108. Sehr ausführlich äußert sich dazu auch die angelsächsische Literatur, so u. a. MANSFIELD, E.: The complete Journalist. London 1948 und alle amerikanischen Lehrbücher der Journalistik. 2

3

5

V g l . TOYNBEE, A . i n : WERDEN WIR RICHTIG INFORMIERT? A . a . O . , S. 59.

The Journal of Abnormal and Social Psychology berichtet über ein Experiment mit Leuten, „die entweder als entschiedene Pro- oder Antidemokraten bekannt waren. A l l e zusammen hörten eine Zehn-Minuten-Rede über staatliche Angelegenheiten. Der Inhalt war je zur Hälfte prodemokratisch und antidemokratisch gerichtet. Nach einundzwanzig Tagen stellte sich heraus, daß die Befragten in bezug auf den Inhalt, der mit ihrer eigenen politischen Meinung in Einklang stand, ein .bedeutend besseres' Gedächtnis hatten." PACKARD, V.: Die geheimen Verführer. A.a.O., S. 143. 7 DOVIFAT, E.: Zeitungslehre. A.a.O., Bd. I., S. 64 hat die Fehlerquellen analysiert, die zu berücksichtigen sind. Sie ergeben sich 1. aus physiologischen Fehlern der Berichtenden (Verhören, Versehen, Übersehen); 2. aus technischen Fehlern der Übertragung (Schreibfehler, Satzfehler, Übertragungsstörungen); 6

DIE MITTELBARE A N S P R A C H E

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die Nachrichtenpolitik bis in die vollendete Fälschung treiben. In allen diesen Graden aber wird die Nachricht publizistisch wirksam. Das ist ein dauernder und unausgesetzt rollender Vorgang. Jeder ist heute Verbraucher von Nachrichten.8 Er ist schon zur Sicherung seiner persönlichen Existenz darauf angewiesen und wird in seinem Handeln weitgehend davon bestimmt.9 Mit der Nachricht, auch wenn sie innerlich von jedem meinungsmäßigen Drall streng freigehalten ist, trinkt er den anregenden oder lähmenden Trank.10 Schon die Auswahl wird von der Haltung des Informanten bestimmt und beeinflußt wiederum die Haltung der Informierten.11 Auch die Wahl der Worte, der Rhythmus der Sätze verraten die Subjektivität in der geschriebenen Nachricht. Viel eindrucksvoller noch sind die Möglichkeiten des gesprochenen Worts.12 Die gesteigerte Lautungskraft der Stimme im Mikrophon ist anpackender und oft suggestibel für den, der sich „das Ohr bewahrt" hat. Die Stimme aber vermag durch Sprache, Farbe, Ton usw. auf das Unterbewußtsein der Hörer zu wirken.13 Nun gar in der Nachricht des Bildes sind Aufnahmeausschnitt und Bildausschnitt, ist die Belichtung, ist die Wahl des Aufnahmeaugenblicks, ist also der „Schnappschuß", der nur einen Moment aus dem Handlungsablauf erschnappt und Bewegung erstarren läßt, maßgebend für den Grad der Subjektivität. Ebenso subjektiv bestimmt ist das Laufbild, etwa durch die Bewegung der Kamera und den Schnitt. Bei der Mehrkameraaufnahme des Fernsehens ist die Leistung des Redakteurs am Mischpult entscheidend.14 3. aus der natürlichen psychologischen Einstellung des Berichtenden zum Ereignis (zustimmend — ablehnend, suggestiv erfaßt — kritisch ablehnend, gefühlsmäßig engagiert — gleichgültig, flüchtig, gedankenlos oder bedenkenlos ablehnend usw.). 8 Verbraucher v o n Nachrichten ist er, selbst wenn er die für den modernen Menschen so typische „Verbraucherhaltung" nicht einnimmt. Vgl. RIESMAN, D. U. a.: Die einsame Masse. Hamburg (rde) 1958. 9 Vgl. Karl Jaspers, Nathalie Sarraute, Arnold Toynbee und Theodor Eschenburg in: W E R D E N WIR RICHTIG INFORMIERT? A . a . O . 10

Sehr entschieden äußert sich A R N D T , A D O L F in einem Vortrag: Vom Sinn der Pressefreiheit, Bielefeld (Verlag Freie Presse) 1956. Dort heißt es: „Jede Nachrichtengebung ist Nachriditenpolitik. Denn eine politische W i r k u n g hat nicht nur, was gesagt wird, sondern ebenso daß etwas nicht gesagt wird, ferner wie es gesagt wird, also wie man es bringt oder autmacht." 11 Auf die Studie „Journalismus als Eiertanz". A.a.O. v o n H A N S M A G N U S ENZENSBERGER w u r d e bereits hingewiesen (S. 23, Anm. 12). Ein Vergleich mit elf gleichrangigen internationalen Zeitungen führt ihn zu dem Schluß, daß die Frankfurter Allgemeine nicht nur zahlreiche Nachrichten manipuliere, sondern einige unterdrückt habe. — 1963 hat die Frankfurter Allgemeine Enzensbergers Darstellung, wie wir meinen, überzeugend widerlegt. Vgl. auch SCHOECK, H.: Die vorenthaltene Wahrheit. Nachrichten-Management und Echtheit der öffentlichen Meinung. In: Die Gegenwart v. 11. September 1963, S. 11. 12 O T T O K Ö H L E R (Der Vorgriff auf die Entscheidung des Hörers. Eine Untersuchung verschiedener Methoden, Kommentare in die Rundfunknachrichten einzuschmuggeln. In: Die Zeit, Nr. 9 v. 26. 2.1965, S. 17) k a n n trotz des sachlichen Tons den Satiriker nicht ganz verleugnen, w e n n er die Nachrichtengebung der deutschen Rundfunkanstalten untersucht. 13 14

Vgl. S. 233. ü b e r die Subjektivität der technischen Mittel vgl. Praktische Publizistik, S. 204 ff.

DIE WEGE DES PUBLIZISTISCHEN PROZESSES

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Wer die intensive, oft kraftvoll entschiedene und energisch ausgerichtete Nachrichtengabe vor allem auch durch die neuen publizistischen Mittel in den verschiedenen politischen Systemen vergleicht, der mag kaum mehr an die Möglichkeit einer sachlichen Unterrichtung glauben. Er läßt den resignierten Satz des Epiktet gelten: „Sunt non res, sed rerum opiniones." Die Dinge erscheinen nicht so, wie sie sind, sondern wie sie uns dargestellt werden. Die beste Voraussetzung, wenigstens annähernd richtig informiert zu werden, bietet die Demokratie mit ihren konkurrierenden Systemen der Nachrichtenübermittlung und Meinungsbildung. Fast alle großen Nachrichtenbüros der freien Welt werden von einer politisch mannigfaltig ausgerichteten Trägerschaft geführt und kontrolliert. 15 Widersprüche und Differenzen sind bei diesem System natürlich unvermeidlich. Die totalitäre Welt versucht daraus propagandistisch und politisch Kapital zu schlagen.19 Sie diffamiert das gesamte freie Nachrichtenwesen und setzt an seine Stelle die eine und einzige Tendenz einer festgesteuerten Nachrichtenpolitik. Sie verbietet jede Abweichung und unterbindet jede Möglichkeit umfassender, sachgerechter Information. Hier herrscht also eine bewußte einseitige fest in eine Richtung gezwungene Nachrichtenpolitik von Weltweite. Innerhalb ihres Einflußbereichs bleibt sie souverän, und damit unwiderlegbar. Sehr früh schon hatte L E N I N erkannt, daß das sowjetische Herrschaftssystem nur ein gelenktes, hart ausgerichtetes Nachrichtenwesen vertrug. Schon in seiner Schrift „Agitation und Propaganda 17 " verwahrte er sich dagegen, die kommunistische Doktrin rein ideologisch zu verbreiten. Er fordert eine Werbung „aus der politischen und wirtschaftlichen Erfahrung des Aufbaus". Daher war die erste sowjetrussische Nachrichtenagentur nicht nach nachrichtentechnischen, sondern nach propagandistischen Gesichtspunkten ausgerichtet. Diese erste, später in die TASS aufgegangene Agentur („Rosta") betrieb zunächst fast die ganze kommunistische Erziehungsarbeit. Auch nur der Versuch, objektiv zu unterrichten oder wenigstens mehrere politische Grundauffassungen liberal wiederzugeben, wird als „liberale Heuchelei 18 " diffamiert. So betonte 1 9 5 5 der damalige TASS-Direktor PALGUNOW: „Nachrichten sind Agitation mit Hilfe von Tatsachen . . . Nachrichten müssen didaktisch und instruktiv sein 18 ". So AP, dpa u. v. a. Vgl. DOVIFAT, E.: Zeitungslehre. A.a.O., Bd. I, S. 74 ff. Sie tut selbst nichts, dem Nachrichtenwesen international zur Klärung und Zuverlässigkeit zu verhelfen, etwa indem sie die wirklich nützlichen Versuche der UNO, eine weltweite sachliche Nachrichtengebung zu verwirklichen, unterstützt. Vgl. das Handbuch der Auslandspresse. A.a.O., S. 14 f. 15

19

" A.a.O., S. 6. 18 Vorlesungen an der Universität Moskau, dt. in: Ost-Probleme 1956, H. 24, S. 833. 19 Ebd. — Vgl. HERRMANN, E. M.: Zur Theorie und Praxis der Presse in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. A.a.O., S. 38 f. u. S. 152, Arnn. 175. Hier wird dieser Standpunkt auch anhand einer eingehenden Analyse der journalistischen Schulungsbriefe der SBZ erläutert.

DIE MITTELBARE A N S P R A C H E

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Nach dem sowjetischen Vorbild richtet sich die Nachriditengebung in der SBZ aus. Ein Beschluß des Politbüros der SED rügt „die dilettantische Methode, jeder Nachricht einen Kommentar anzuhängen, statt mit der Nachricht zu kommentieren und zu überzeugen 20 ". Das ist die genaue Umkehrung des genannten Grundsatzes „Comments are free, but facts are sacred". Die Verhärtung der Begriffssubstanzen erschwert hier alle ehrlich gemeinten Versuche zu tatsächlicher Verständigung zwischen der freien und der totalitären Welt. Die sogenannte „friedliche Koexistenz" ist schon technisch nicht leicht zu verwirklichen. Völlig könnte sie nur durch eine Art Tauwetter erreicht werden, das aber — wie die Zeit nach Stalins Tod (1953—56) beweist — wiederum die Existenz der totalitären Macht bedroht. J e mehr aber die Bildungsarbeit in den Ländern des sowjetischen Systems um sich greift, desto eher scheint die Hoffnung berechtigt, daß dort der dem Menschen natürlich innewohnende Drang eigenen und freien Denkens einmal stark genug wird, die harten Mauern falscher Vorstellungen zu brechen oder sie doch Stein um Stein abzutragen. 21 Bekannt in der politischen Arbeit durch die Nachrichtenpublizistik ist der Nachlichtenschock. So nennen wir die raketengleich hochgeschossene Nachricht von einem tatsächlichen oder auch aufgebauschten, erfundenen, vielleicht sogar eigens in Szene gesetzten Ereignis überrumpelnder Wirkung. Der Nachrichtenschock soll Schrecken, Entsetzen, Empörung, Panik oder (seltener) Freude und Sympathie auslösen. Er soll die Öffentlichkeit spontan zu ganz bestimmten Reaktionen hinreißen. Das bekannteste Beispiel dieser Art ist die Nutzung des Reichstagsbrandes vom 27. Februar 1933 durch das NS-Regime.22 Kriege werden meist mit nachrichtenschockartigen Propagandaaktionen eingeleitet. 23 Mit Aufkommen der Atomwaffen und damit der Möglichkeit, weite Gebiete plötzlich zu vernichten, sind bei kommenden internationalen Auseinandersetzungen für die Publizistik des Nachrichtenschocks sehr gefährliche Möglichkeiten gegeben. Vorstellbar werden Panikvorgänge, katastrophale Flucht und Auflösungserscheinungen weltweiten Ausmaßes. Vielleicht werden sie ausgelöst, ohne daß oder ehe noch das furchtbarste aller Kampfmittel überhaupt angewandt wird.24 Die 20

Pressekonferenz des ZK der SED vom 17./18. April 1959 in Leipzig. Vgl. dazu auch E.-R.: Nachrichtenpolitik in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. A.a.O. — BUDZISLATTSKI, H . : Uber aktuelle Probleme der Informationspolitik in der DDR. In: Aktuelle Probleme der Information in Presse, Funk und Fernsehen. Berlin (Ost) 1963. 21 Sehr bemerkenswert ist die totalitäre Ausrichtung des Nachrichtensystems auch in einigen jungen Entwicklungsländern, die im Enthusiasmus der Verselbständigung in ihren Verfassungen zwar auf die Demokratie schwörten, in der politischen Praxis aber auf eine mindestens gouvernemental ausgerichtete Nachrichtenpolitik umschalteten. Vgl. die Analyse im Handbuch der Auslandspresse. A.a.O., Afrika und der südasiatische Kontinent. 22 Vgl. S. 24 u. S. 27. 23 Vgl. S. 132. 24 Eine blasse Vorstellung davon, welche Panik Nachrichtenschocks auszulösen vermögen, gab die 1940 über amerikanische Sender ausgestrahlte Hörspielfassung eines utopischen Romans von HERBERT GEORGE W E L L S . Teile der Bevölkerung im Osten der USA glaubten wirklich, daß „Marsmenschen" auf der Erde gelandet seien. ERFURT,

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PROZESSES

Bevölkerung davor zu behüten, verlangt publizistische Vorsorge. Sie ist mindestens so wichtig wie der Bau von Schutzräumen zur Erhaltung des physischen Lebens.25 Es wird publizistische Atombomben geben. Man sollte sich dessen in den freien Demokratien immer bewußt sein, auch und gerade bei der Fassung der Notstandsgesetze. Jede Nachrichtenpolitik steuert die Zugkraft des Aktuellen in einen meinungsmäßigen Effekt. Ihre Methode reicht von leichtester Tendenz bis zu krassester Fälschung und geht so, unausgesetzt mit dem Zeitgeschehen, den am meisten beschrittenen und meist erfolgreichen Weg der mittelbaren Publizistik. Sperrt die Nachrichtenpolitik gewaltsam jede anderweitige Unterrichtung, so kann sie ein völlig falsches Bild der Menschen und der Zustände zu mächtiger Scheinwahrheit aufbauen. b) Das

Unterhaltende „Zufrieden jauchzet groß und klein, hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein." GOETHE: Faust, Osterspaziergang

J U V E N A L S bis zum Überdruß zitiertes Wort, die Massen seien (im alten Rom) durch „panem et circenses 29 " zu beherrschen, ist zu grob, den Vorgang zu werten, den die „circenses" in der Massenführung unserer Tage spielen. Aber die circenses sind ein charakteristisches und besonders wirksames Element der mittelbaren Publizistik. Als große Unterhaltung jeder Art beweisen sie ihre Zugkraft auf das breite Publikum.

Doch ist dér Begriff des Unterhaltenden, der Unterhaltung nicht einmal differenziert genug für alles, was heute über diesen Weg, über die Entspannung, die Zerstreuung, die Muße, den Genuß, kurz: über die Unterhaltung mittelbar publizistisch dienstbar wird. Eine Zeitschrift hat „das Unterhaltende", die „Unterhaltung", einmal als eine Mixtur aus drei Essenzen bezeichnet: aus Freude, Wissen und Stimmung". Damit hat sie die gehobene Unterhaltung charakterisiert. Die Qualität der Unterhaltung verschiebt sich sofort, wenn an die Stelle der Freude das „Vergnügen" oder das „Amüsement" oder gar der „Fez" tritt. Zur Kennzeichnung der primitiven Unterhaltung wäre ferner das lehrhafte Wissen durch „Sensation" (Horror, Sexus, Einbruch in die Intimsphäre) zu ersetzen. Die „Stimmung" wird durch „Trubel", „Rummel" und „Klamauk" verdrängt. Diese in Wert und Tempo sehr unterschiedenen Formen der Unterhaltung können alle zum Tollen und Groben hinführen, erschließen aber auch nach der andern Seite mancherlei Nuancen z. B. sehr geistiger Art, etwa in der intellektuellen Polemik. Da lacht nicht mehr herzlich die Freude, sondern es spottet die Satire und höhnt die Ironie, sei es in Worten, sei

25

Vgl. S. 157.

26

JUVENAL, Satiren X , 81.

27

Plakat der „Koralle", 1928.

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es im Federstrich der Karikatur, sei es in subjektiven photographischen Schnappschüssen oder im Filmbild durch Schnitte entstellt. Das immer wieder zugkräftige Mittel, mit der „human side" zu den Massen zu sprechen, wird mächtig hergenommen, Entgleisungen ins Allerpersönlichste treten hinzu. Der immer ergiebige „Background des Menschlichen" wird mit allen Lampen angestrahlt. Auf diese Weise kann das Ansehen eines Politikers gehoben28 oder unterminiert werden. Die mittelbare Form des Publizistischen ist hart ins Unmittelbare zurückgefallen. Ein politischer Wi'iz läuft um und zündet.29 Das Theater und das Theatralische sprechen aus ihrem unterhaltenden Charakter, aber wirken auch kritisch in scharfen Urteilen unter brausendem Applaus. Theaterspiele haben schon den Anlaß zu Revolutionen und Aufstanden gegeben.30 Das Kabarett kann ohne die politischen und damit publizistischen Themen gar nicht auskommen, heute viel weniger denn je.31 J e nach ihrem Typ ist auch die Zeitung Träger mittelbarer publizistischer Einwirkung. Sie erhöht die Leserzahl und den Leseanreiz für ihren politischen Teil durch den Roman, die anziehende Kurzgeschichte, die Bilderseite, die Rätselecke usw. Ein Roman kann publizistisch bahnbrechend positiven oder negativen politischen Absichten zum Erfolg verhelfen.32 Starke, aber mangels geeigneter Begabungen seltener angewandte Wirkung übte die Publizistik aus feuilletonistischer Haltung. Der Feuilletonismus läßt, seiner Natur entsprechend, Einzelheiten, scheinbare Zufälligkeiten des Tages in menschlich persönlicher Betrachtung treffend sehen und Wesentliches anklingen. Wesentliches ist in dem hier besprochenen Zusammenhang nicht der dichterische Selbstzweck, sondern überzeugende, oft auch politisch in seiner gefährlichen Art angreifende Werbung, aus den Neben28 Die Zugkraft einer „reizenden Familie" haben besonders amerikanische Politiker erkannt. Nach „Time" gebührt der politischen Agentur des Ehepaars Clem Whitaker und Leone Baxter das Verdienst, Earl Warren auf die Werbekraft seiner Familie aufmerksam gemacht zu haben. P A C K A R D : Die geheimen Verführer. A.a.O., S. 147. 29 Vgl. dazu GAMM, H . - J . : Der Flüsterwitz im Dritten Reich. München 1 9 6 3 . — H I R C H E , K . : Der .braune' und der ,rote' Witz. Düsseldorf/Wien 1964. — KRACHT, U.: Pankow scharf pointiert. Der politische Witz in Mitteldeutschland. Bad Godesberg 1961. — KUKIN, M.: Humor hinter dem Eisernen Vorhang. Gütersloh 1 9 6 2 . — D O R , M. U. R. F E R D E R M A N N : Der politische Witz. Mit einer Einführung von Werner Finde. München 1 9 6 4 . V A N D R E Y , M.: Der politische Witz im 3 . Reich, München 1 9 6 7 . — T O R B E R G , F.: Fug u. Unfug des politischen Witzes, „Der Monat", Mai 1967, S. 36 ff. 30 Einzelheiten s. S. 217. 31 MÜLLER, C. W.: Das Subjektiv-Komische in der Publizistik. Dargestellt an den Anfängen des politischen Kabaretts in Deutschland. Diss. Berlin 1 9 5 6 . — BUDZINSKI, K.: Die Muse mit der scharfen Zunge. Vom Cabaret zum Kabarett. München 1961. — Ders.: So weit die scharfe Zunge reicht. Die Anthologie des deutschsprachigen Cabarets. Mit einem Essay von W E R N E R F I N C K . München/Bern/Wien 1 9 6 4 . Vgl. S . 2 1 9 . 32 Beispiele vgl. S. 290. — W O L F G A N G LANGENBUCHER setzt sich in seiner Dissertation „Der aktuelle Unterhaltungsroman. Beitr. zur Geschichte und Theorie der massenhaft verbreiteten Literatur (Bonn 1964, Bonner Beiträge zur Bibliotheks- und Bücherkunde, Bd. 9) leider nicht mit dem politischen Roman auseinander. — Vgl. LUDWIG, N.: Parteilichkeit und sozialer Auftrag im dichterischen Schaffen. Gräfenhainichen 1958. — RÜHLE, J.: Literatur und Revolution. Köln/Berlin 1960. — BALLUSECK, L. v.: Dichter im Dienst. Der sozialistische Realismus in der deutschen Literatur. Wiesbaden 1956. — Ders.: Literatur und Ideologie. Bad Godesberg 1963.

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sächlichkeiten des Alltags gefiltert, Allgemeingültiges, Beispielhaftes, Typisches. H E I N R I C H H E I N E war der Klassiker dieser publizistischen Sprache. Im wilhelminischen Stil wandelte M A X I M I L I A N H A R D E N den Feuilletonismus ab, später, in der Weimarer Republik, führte ihn K U R T T U C H O L S K Y in der „Weltbühne" zu heftig polemischen Wirkungen. Der nationalistischen Propaganda hat W I L H E L M S T A P E L in der Zeitschrift „Deutsches Volkstum" und der nationalsozialistischen Agitation J O S E P H G O E B B E L S im „Reich" mit feuilletonistischen Mitteln gefährliche Impulse gegeben. Das Herzerwärmende, sonst eine Kraft des Feuilletonismus, ist hier durch einen mörderischen Sarkasmus ersetzt und tat so seine Wirkung. Der Film verbirgt, als Spielfilm, publizistische Absichten mit besonderem Geschick. Als politischer Film treibt er unmittelbar Publizistik. 33 Auch der Rundfunk trägt seine politischen und publizistischen Absichten oft im Gewände des Unterhaltenden vor. In dieser Verpackung können Meinungen treffend manipuliert werden.34 Das Hörspiel ist in hervorragendem Maße geeignet, politische Werbung auf mittelbarem Wege zu betreiben. Es hat sich allerdings immer mehr zu einer Kraft unmittelbarer Publizistik in gefälligem Unterhaltungston entwickelt. 35 Als politisches Hörspiel nimmt es den Rang unmittelbarer Publizistik in Anspruch. Im Fernsehen schließlich gehen Unterhaltung und publizistische Absicht eine innere Verbindung ein, im Ton und im Bild kombinierter Kameraleistung sind höchst politische Dominanten in die Unterhaltung einzubauen. 3 ' Neuerdings hat die jüngere partei-politische Werbung auch in Deutschland nach amerikanischem Vorbild 37 das Unterhaltende bewußt in die publizistischen Mittel eingeordnet. Kabarett- und Konzertbeiträge leiten politische Wahlversammlungen ein oder füllen das ganze Programm aus, während die direkte Wahlpropaganda nur noch, geschickt dosiert, als Einstreusei und in politischer Satire gebracht wird. Dabei bleibt es keineswegs immer bei unterhaltendem Frohsinn. Sie arten gelegentlich in wilde Aktionen aus.38 Mit der Entschiedenheit, die der totalitären Macht eigen ist, geht, z. B. in der Sowjetunion, die Unterhaltung weitgehend in der Publiü b e r die Methode vgl. S. 254. Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1958—1964. Hrsg. v. Noelle, Elis. u. E. P. Neumann. Allensbach und Bonn 1965. 3 5 HAESE, J . : Das Gegenwartshörspiel in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Ein Beitrag zur Erforschung künstlerischer Formen in der sowjetisch-totalitären Publizistik. Diss. Berlin 1963. — SCHWITZKE, H.: Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte. Köln/Berlin 33

34

1963.

Vgl. dazu die Systematik, S. 263. Vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen von 1956 kaufte die Republikanische Partei die letzten fünf Minuten der Unterhaltungssendungen im Fernsehen. Dazu schreibt VANCE PACKARD: „Das verschaffte ihnen ein im wesentlichen aufmerksames Auditorium, weil die meisten Leute es für zu spät halten würden, noch ein anderes Programm einzuschalten. In ,The Saturday Review' schrieb John Steinbeck über die Aufnahmebereitschaft eines solchen Auditoriums, es sei durch einen .dicken Komödianten' belustigt und schon halb hypnotisiert worden. Die Zeit nach einem derartigen Programm, sagte er, ,ist sehr wertvoll, denn hier haben sie Millionen Menschen in einem willen- und hilfslosen Zustand, unfähig, einer Suggestion Widerstand zu leisten'." (Die geheimen Verführer. A.a.O., S. 150.) 3 8 Vgl. dazu S. 256. 36

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zistik, hier der Agitation, unter. Auch die Kunst ist dort nur ein Propagandainstrument. Der totalitäre Staat nutzt die W e g e der mittelbaren Publizistik mit derselben unbeirrbaren Konsequenz wie die der unmittelbaren Publizistik. Die mittelbare Beeinflussung beginnt schon mit dem Märchen39, schon im Kindergarten 40 und in der Schule41. Schließlich sei unter dem Stichwort Unterhaltung auch auf das Lied hingewiesen. Aus dem Rhythmus der Arbeit 42 , aus dem religiösen Leben und der volkstümlichen Unterhaltung entsteht, zunächst im Beiklang, dann im Alleinklang, das politische, das publizistische Lied.43 Besonders das Soldatenlied mit seinem zwingenden Marschrhythmus wirkt in diese Richtung: von dem politischen Nachrichtenlied der Landsknechte 44 bis zum „Englandlied" und „Frankreichlied" von Herms Niel 45 und zu den politischen Sängen der Betriebskampfgruppen in der SBZ46. Mit Berechnung wird das politische Lied auf die Jugend abgestimmt. Die gewinnende Melodie und der packende Rhythmus prägen auch den Text ein. Aus heiteren Wanderliedern werden angreifende Kampflieder. 47 In sehr alten Liedern, die längst romantisiert sind, klingen gelegentlich Reste publizistischer Absichten an.48 Es charakterisiert die schwere Zugänglichkeit der Massen in der industriellen Gesellschaft für politische Argumente, daß sie in ihrer politischen Gesinnung oft nur auf dem Umweg über die Nachrichtenpolitik, über ihren privaten Lebensraum oder nur über die Unterhaltung angesprochen werden können, und daß sogar politische Information nur in solcher Aufmachung bei ihnen ankommt.4* In Krisen39 Vgl. z. B. die Berichterstattung über die Märchenschau auf dem Ostberliner Weihnachtsmarkt in: Hinter dem Eisernen Vorhang 1960, Nr. 39 (seit 1961 unter dem Titel Pressespiegel der Sowjetzone erscheinend). 40 MÖBUS, G.: Klassenkampf im Kindergarten. Berlin 1 9 5 6 . 41 HERRMANN, E. M.: Zur Theorie und Praxis der Presse in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. A.a.O. 42 Vgl. BÜCHER, K.: Arbeit und Rhythmus. 4. Aufl. Leipzig/Berlin 1909. 43 Historische Angaben dazu und Systematik der Anwendung vgl. S. 221. 44 Vgl. u.a. LILIENCRON, R . V.: Die historischen Volkslieder der Deutschen vom 13. bis 16. Jahrhundert. 4 Bde. Leipzig 1865—69. — KIESLICH, G.: Das „Historische Volkslied" als publizistische Erscheinung. Münster 1958 (Studien zur Publizistik, Bd. 1). — Zum Bänkelsang siehe RIEDEL, K. V.: Der Bänkelsang. Wesen und Funktion einer volkstümlichen Kunst. Hamburg 1963 (Volkskundliche Studien, Bd. 1). 45 Einige nationalsozialistische Kampflieder sind aufgeführt bei GAMM, H.-J.: Der braune Kult. Das Dritte Reich und seine Ersatzreligion. Hamburg 1962. — Vgl. auch die vorliegende Arbeit, S. 220 f. 46 KÖNIG, HELMUT: Rote Sterne glühen. Lieder im Dienste der Sowjetisierung. Bad Godesberg 1955. — „Singt das Lied des Sozialismus 1" Das Motto des „I.Kongresses der sozialistischen Sängerbewegung". In: Kulturspiegel der Sowjetzone 1960, Nr. 17 (v. 20. Dezember), Beilage zu: Hinter dem Eisernen Vorhang 1960, Nr. 39. 47 Vgl. die Beispiele S. 222. 48 Mehrere Beispiele in „Des Knaben Wunderhorn". 49 Auch die Unterhaltung verflacht dadurch. JOHAN HUIZINGA vertritt in seinem Buch „Homo Ludens" (rde, Bd. 21, S. 201) die Ansicht: „Das echte Spiel schließt alle Propaganda aus. Es hat sein Ziel in sich selber. Sein Geist und seine Stimmung sind frohe Begeisterung. Die heutige Propaganda arbeitet mit den Mitteln hysterischer Massenreaktionen und ist darum . . . nicht als eine moderne Äußerung des Spielgeistes anzusehen."

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PROZESSES

zeiten ist diese unberechenbare Unwissenheit und emotionale Anfälligkeit der Massen eine lebensgefährliche Belastung für die Demokratie.60 Die Publizistik nutzt Reiz und Zugkraft des Unterhaltenden, um mittelbar Informationen und Meinungen zu verbreiten. Das Unterhaltende wirkt als Vorspann. Es vermittelt den publizistisch günstigen Effekt. Schließlich kann eine ganze publizistische Aktion also mittelbar mit den Werten oder Unwerten des Unterhaltenden bestritten werden. Wirkungsvoll ist das Herausstreichen der „human side" und, oppositionell oft gesucht, die Degradierung des Gegners durch das Komische. Wo immer die Publizistik dessen Wirkung in Satire, Ironie und Humor51 ausspielt, geht sie zunächst vom Unterhaltenden aus.52 c) Der umgrenzte

Lebenskreis

Wer im öffentlichen Leben steht, irrt sich oft über das Ausmaß des Interesses, das seine Arbeit tatsächlich findet. Im Glauben an seine Sache ist es ihm schwer begreiflich, warum sich z. B. die Öffentlichkeit nicht in viel stärkerer Weise in Aktion oder Opposition am politischen Leben beteiligt. Das ist eine gefährliche Berufsblindheit. In der Wirklichkeit sind die Schwergewichte des Interesses völlig anders verteilt. Auf die Frage: „Einmal ganz allgemein gesprochen: Interessieren Sie sich für Politik?" hat das Institut für Demoskopie in Allensbach nur 30 Prozent der Befragten ermittelt, die mit „ja" antworten, 35 Prozent zeigen sich als kaum Interessierte und 35 Prozent als völlig uninteressiert.53 Allerdings vermögen erregende politische Ereignisse, z. B. die Bundestagswahlkämpfe, die Bevölkerung politisch zu aktivieren. Es steigt dann die Zahl der politisch Interessierten auf reichlich 35 50 Vgl. dazu z. B . den hoffnungslosen Pessimismus JOSE O R T E G A Y GASSETS (Der Aufstand der Massen. Hamburg [rde Bd. 10, 12. Aufl.] 1961; spanische Originalausgabe 1930). — Kritisch, aber weniger fassungslos ist BASCHWITZ, K.: D U und die Masse. 2. Aufl. Leiden 1951, S. 26 ff. 51 Vgl. dazu S. 248, Anm. 15. 52 Die publizistische Natur der Unterhaltung ist auch durch ein bundesgeriditlidies Urteil anerkannt. Das sogenannte „Rundfunk- und Fernsehurteil" des Bundesgerichtshofes (vgl. Neue juristische Wochenschrift 1961, Nr. 12, S. 547 ff.) leitet aus Artikel 5 GG Folgendes ab: „Rundfunk ist mehr als ein .Medium', er ist ein eminenter Faktor der öffentlichen Meinungsbildung, er beschränkt sich keineswegs auf Nachrichtensendung, politische Kommentare, Sendereihen über politische Probleme der Gegenwart. Meinungsbildung geschieht ebenso in Hörspielen, musikalischen Darbietungen, Übertragungen kabarettistischer Programme bis hinein in die szenische Gestalt einer Darbietung. Jedes Rundfunkprogramm wird durch Auswahl und Gestaltung der Sendung eine gewisse Tendenz haben. Rundfunk ist .neben der Presse stehend' gleichbedeutsam für die Bildung der öffentlichen Meinung. Er bedarf der gleichen institutionellen Freiheit wie die Presse." 53 Vgl. hierzu N O E L L E , ELIS. u. E. P. N E U M A N N : Antworten. Politik im Kraftfeld der öffentlichen Meinung. 2. Aufl. Allensbach 1958. •— N O E L L E , ELIS.: Umfragen in der Massengesellschaft. A.a.O. — SCHMIDTCHEN, G.: Die befragte Nation, ü b e r den Einfluß der Meinungsforschung auf die Politik. Freiburg i. Br. 1959 (Freiburger Studien zur Politik und Soziologie). — Die Meinungsumfragen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, mögen nicht immer genaue Wegweiser sein, aber als Richtungsweiser können sie gelten, wenn sie gewissenhaft, wie in den hier genannten Befragungen, gearbeitet sind.

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Prozent, um aber bald wieder auf knapp 30 Prozent abzusinken. Das beweisen auch die Erhebungen der Wahljahre, wie sie durch das Institut für Demoskopie in Allensbach ermittelt wurden. 54 Aber auch aus sicherer publizistischer Einfühlung stellt H O R A C E G R E E L E Y , Abraham Lincolns publizistischer Mitarbeiter, an den Anfang alles publizistischen Schaffens den Leitsatz: „Beginne mit der klaren Einsicht, daß der Gegenstand tiefsten Interesses für einen Durchschnittsmenschen immer er selber ist; das nächst Interessante ist ihm dann sein Nachbar." In weiterem Abstand folgt — nach Greeleys Analyse — „alles, was in der Gemeinde sich abspielt". Der Rat endet: „Machen Sie Ihr Blatt zum Spiegel alles dessen, was der Bürger aus dem Alltagsleben wissen und erfahren will.55" Was Greeley hier umschreibt, nennen wir in der publizistischen Systematik den „umgrenzten Lebenskreis".56 Jeder Publizist muß sich in diesem Lebenskreis des Alltagsmenschen zurechtfinden. Er muß wissen, was ihn erfüllt. Hier liegen die Schlüssel, das öffentliche Leben auf mittelbaren Wegen in Bewegung zu bringen. Erst von dorther ist es — vielleicht — möglich, dem Bürger auch verwandte Probleme nahezubringen und ihn für die eigentlichen öffentlichen Aufgaben zu gewinnen. Der Kreis umgrenzten Lebens umfaßt in etwa fünf Gebieten die Umwelt des Ich. Zu diesem Kreis, der an sich zunächst „privat" ist, also gar nicht ohne weiteres ins öffentliche Leben gehört, ist zu rechnen: — — — — —

das Ich in seiner engeren Umwelt, der Mensch in seiner Einzelexistenz; die Familie; der Beruf; das Reich der Steckenpferde (Liebhabereien, Amateurleidenschaften, Hobbys); die Gemeinde, aus der sich dieser Kreis aufschließt und in das öffentliche Leben übergeht.

Jedes einzelne der fünf Gebiete und alle gemeinsam bezeichnen wir als den „umgrenzten Lebenskreis". In ihm vollzieht sich zunächst auch durch nicht publizistische, nicht öffentliche Mittel, Gespräch und Erlebnis von Mensch zu Mensch, in der Familie, im Beruf, bei Geselligkeiten usw. die nicht öffentliche Meinungsbildung. Sie ist in die weitere Fassung der „Kommunikationslehre" einbegriffen. Ihre Ergebnisse werden für die Überlegungen dieses Kapitels dankbar angenommen, die Lehre selbst ist nicht in die Publizistik einbezogen, die sich nur mit den 54 Vgl. hierzu Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1958—1964. A.a.O., S. 239, ebenso auch die vom Institut für Demoskopie im Wahljahr veröffentlichten Zahlen. 55 DOVIFAT, E.: Der amerikanische Journalismus. A.a.O., S. 90. 6 * Es sind die Gebiete, die nach der amerikanischen Lehre des Behavioiismus zwingend das Verhalten des Einzelmenschen mitbestimmen. — Vgl. HULL, C.: A Behaviour System. Yale 1952. — M C N E L L Y , J.: Mass Communication and People Interest. In: Search, Vol. 6, Nr. 1 (1961).

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öffentlich vollzogenen Vorgängen beschäftigen kann.57 Soweit aber Vorgänge aus der „umgrenzten Sphäre" öffentliche Vorgänge mitbestimmen oder darauf ausgerichtet sind, werden sie einbezogen. Andererseits ist ja auch die Tatsache zu berücksichtigen, daß die „nicht öffentliche Meinungsbildung" dem Einfluß der publizistischen Mittel fortdauernd unterliegt; insbesondere gilt das für die in „nicht öffentlicher Meinungsbildung" aktiven sogenannten „Meinungsführer 58 " („opinion leaders"). Der „umgrenzte Kreis" umfaßt im weitesten Sinne das Persönliche bis in die Einzelheiten des Daseins, seine Sicherung und Erhaltung in millionenfacher natürlicher Gleichartigkeit, aber nicht ohne gelegentlich jäh auftretende Differenzierung. Jede publizistische Einflußnahme muß diese einfache millionenfach verbreitete Grundhaltung beachten und plötzliche Wendungen voraussehen. Sie muß das Eigeninteresse zwar vertreten, aber auch überzeugend dem öffentlichen Interesse einzuordnen suchen. Sie muß die Angesprochenen aus ihrer Ichbefangenheit zu lösen suchen. Immer regen sich im umgrenzten Kreis auch ethische Kräfte gegenüber den Vorgängen im öffentlichen Leben, ob nun als Gewissenskonflikte oder als moralisches Urteil. Oft suchen diese Kräfte auch nach Entlastung von drängenden Fragen bei zweifelhaften oder schwer verständlichen politischen Vorgängen. Sie fühlen sich z. B. bei schuldhaften Vorgangen mit dem Staat, einer Partei, einer Bewegung in einer Verantwortungsgemeinschaft.59 Das sind bedeutsame Regungen in einer Welt, in der meistens der Egoismus der Einzelnen oder interessierter Gruppen entscheidet. Hier also sucht die ernste Publizistik den Menschen unmittelbar auch im Bereich seines persönlichen Lebens auf und ermuntert ihn zu einer Beteiligung am öffentlichen Leben. Mit der Sorge um die persönliche Existenz gleichlaufend ist die Sorge für die Familie. Die Frau vor allem zeigt sich für jede Form der Ansprache innerhalb dieses Kreises gewogen. Auch Männer — sogenannte Hausväter •— können nicht nur für die Familie, sondern auch in der Familie aufgehen. Oft sind sie dann Familien-, Wohnungs-, Ausstattungs- oder Erziehungsfanatiker und streben voller Tatendrang in alle öffentlichen Wirkungsmöglichkeiten, die diese Gebiete beeinflussen. Hier fangen sie publizistisch sofort Feuer. Die Familienzeitschrift und die Frauenzeitschrift kann, zumal da, wo sie bis in die Tagesmühen der Kleinarbeit gehen, im umgrenzten Lebensraum Träger der publizistischen Einflüsse werden. Sie können von dorther hinübergelenkt werden bis in die aktive politische Meinungsbildung. Die Propaganda des Hitlerregimes hat dieses menschlich so natürliche Gebiet geschickt für ihre Werbearbeit ausgenutzt. Hier wurde der Speisezettel ebenso wie der Textilverbrauch je nach der Rohstofflage politisch zwangs-

Vgl. S. 13 ff. Die amerikanische Kommunikationswissenschaft spricht hier von einem „two-step flow of communication". Vgl. KATZ, E.: The Two-Step Flow of Communication. A n UP-TODate Report on an Hypothesis. In: The Public Opinion Quarterly 1957, Nr. 1, S. 61—78. — Zum gesamten Problem: KATZ, E. U. P. F. LAZARSFELD : Persönlicher Einfluß und Meinungsbildung. München 1962. 59 Vgl. Der ethische Entlastungstrieb, S. 146. 57

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bestimmt. Höchstens der Schnittmusterbogen hielt sich von Propaganda noch frei. 60 Ähnlich liegen die Dinge heute in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands. 61 Ganz allgemein wird die Frau im umgrenzten Räume auf dem Umwege über ihre persönlichen Interessen und als Hausfrau auch für allgemein politische Pflichten und Aufgaben angesprochen. Das beweist u. a. das Wachstum und die redaktionelle Stoffbehandlung und Einflußnahme in den Frauenzeitschriften. 6 2 Ebenso die publizistische Intensität der Frauenzeitschriften gesinnungsbestimmter Gruppen und Verbände.' 3 Genauso wächst im gleichen Raum das Interesse publizistischer Mittel an der Familie. Ein Teil der großen Rundfunkillustrierten geht vom krasssensationellen Stil der „Illustrierten" in ruhigere Felder familiengemäßer Stoffdarbietung über. 6 4 1965 setzt, vielfach mit Themen der „Familienplanung", die Gründung neuer Typen der Familienpresse ein, von denen einige zu sehr hohen Auflagen kommen. Ebenso erzwingt der Berut

und seine persönliche Bedeutung in der „Umwelt

des Ich" die Beachtung des Publizisten. Eine Aufgliederung der Menschen nach ihrer Haltung zum Beruf ergibt, grob gegliedert, zwei Typen: den und den Freizeitmenschen.

Berufsmenschen

Den ersten, den sich verzehrenden Berufsmenschen 6 5

gibt es in jedem Beruf und in jeder gesellschaftlichen Schicht. Ihm gehen die Probleme des Lebens besonders aus der Sicht des Berufes und oft nur aus dieser Sicht auf. W e r ihn gewinnen will, muß davon ausgehen. Hier liegen die Erfolgsmöglichkeiten publizistischer Mittel, die unmittelbar in das berufliche Leben wir-

Vgl. dazu: LEHMANN, E. H.: Einführung in die Zeitschriftenkunde. Leipzig 1936, S. 100 ff. HOHMANN, CH.: Unser Ziel war eine Frauenzeitschrift. In: Neue Deutsche Presse 1965, Berlin (Ost), H. 4, S. 52. 62 Vom 4. Quartal 1962 bis zum gleichen Quartal 1966 erhöhte sich die Druckauflage der Frauenzeitschriften von 2,5 auf 4,5 Mill. (Bericht d. Zeitschriftenhandels 1966, S. 7. Durch eine Befragung des Instituts für Demoskopie unter den Lesern einer sehr auflagestarken Frauenzeitschrift wurde 1956 festgestellt, daß auch allgemeine Ratschläge des Blatts (Schulfragen, Bildungsfragen) von 60 Prozent der Leserinnen genutzt wurden. 63 über die Verbreitung der religiös bestimmten Frauenzeitschriften, die um ihrer Gesinnungsziele willen weitgehend auch die allgemein interessierenden Aufgaben berücksichtigen, vgl.: Die Deutsche Presse 1961. A.a.O., S. 572 f. u. S. 593 f. — Sozial- und gewerkschaftspolitische Einflüsse auf die Frau sucht die Gewerkschaftspresse. Wie stark bei der politischen Aufgabe der Umweg über den umgrenzten Lebensraum gesucht wird zeigt die Tatsache, daß die SPD ihre offizielle Frauenzeitschrift „Gleichheit" im Juli 1965 eingestellt und einer neuen Zeitschrift mit milderen politischen Werbeformen und allgemeiner Haltung den Titel „Leben" gegeben hat. 64 So die Rundfunkprogrammzeitschrift „Hör zu". (Werberundschreiben des Verlags, Sommer 1965). — über die geschichtliche Entwicklung gerade der politischen Note in der Frauenzeitschrift vgl. KIRSCHSTEIN, E. M.: Die Frauenzeitschrift. Ihre Entwicklung und Bedeutung. Berlin 1937. — Hervorgehoben sei die Tatsache, daß die bedeutende, immer belächelte Familienzeitschrift „Die Gartenlaube" so ausgesprochen politisch war, daß sie zeitweise in Preussen verboten wurde. Vgl. ZARIG, H.: „Die Gartenlaube" als politisches Organ im Dienste der liberalen Politik. Diss. Würzburg 1935. 65 über Berufseignung und Berufsschicksal der Arbeiterschaft. Erhebung des Vereins für Sozialpolitik. Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 133—135. — FERBER, CH.: Arbeitsfreude. Wirklichkeit und Ideologie. Stuttgart 1959. 60 61

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Publizistik I

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ken. Besonders die Fachpresse übt diese Einwirkung. Der leidenschaftliche Berufsmensch zieht sie jeder Tageszeitung vor. Die Vorgänge im Fach sind für ihn auch die Maßstäbe zur Beurteilung der Vorgänge im öffentlichen Leben. Hier muß daher versucht werden, aus der fachlichen Einstellung des Berufsmenschen die höhere politische Erkenntnis wachzurufen. Es ist kein Zufall, daß die in Propagandadingen meist geschickte totalitäre Publizistik mehr oder weniger auf psychologischen Brücken oder auch unverfroren selbstverständlich die Berufsmenschen, ebenso aber auch die Familienväter und -mütter, in ihrem umgrenzten Bereich heimsucht, um sie von dorther in die Welt der großen Politik zu ziehen. 6 " Dem Berufsmenschen also muß das Allgemeinpublizistische aus dem Beruflichen begreiflich werden. Ein weiteres Beispiel für die Mobilisierung im beruflichen Gewände bietet die Gewerkschaftspresse, der allerdings das Allgemeinpublizistische (Politische) schon sachlich naheliegt und dort vielfach auch weit über das Gewerkschaftspolitische hinaus ausgenutzt wird." Auf die Fülle der oft gediegenen fachlichen Bildungsarbeit (in Zeitschriften, Fortbildungskursen, Wochenendtagungen usw.), die den Berufsmenschen erfaßt, ihn aber auch in der Gewerkschaft hält, sei hingewiesen. 68 Kirchen und kirchliche Verbände sind ebenso bestrebt, auf den Berufsmenschen einzugehen, seine Probleme in publizistisch überzeugender Form (Zeitschriften, Berufsvereinigungen, Kundgebungen) zu behandeln und von dorther die Brücke zum religiösen Leben zu schlagen. Der Freizeitmensch aber ist publizistisch gerade am anderen Ärmel anzufassen. Zahlenmäßig ist er im Vormarsch. Immer mehr Menschen sehen in ihrem Beruf nicht mehr das Schwergewicht ihres Daseins. Nicht etwa, daß Freizeitmenschen nur widerwillig arbeiteten. 69 Auch sie leisten pflichtgetreu ihre Arbeit, aber die innere persönliche Bindung ein ihr berufliches Tun schwindet, wenngleich sie beruflich sich weiter verpflichtet fühlen. Die Freizeit aber erfüllt eigentlich ihren Lebensinhalt. In der Hauptsache sammelt der Freizeitmensch seinen Fleiß auf Arbeiten, die seinen Beruf gar nicht berühren: er gibt einer Liebhaberei mindestens Die nationalsozialistische Propaganda versuchte den Einbruch in die Fachpresse u. a. dadurch zu bewerkstelligen, daß sie das Komische, die Karikatur aus dem Berufsleben, mobilisierte: ECKERT, G.: Karikaturen in der Zeitschrift. In: Der Zeitschriften-Verleger 1941, H. 22 v. 28. Mai, S. 165—167. — ST.: Politische Karikaturen auch in der Fachzeitschrift? In: Der Zeitschriften-Verleger 1940, H . 20 v. 15. Mai, S. 155 f. — H E R R M A N N , a.a.O. Dort besonders lehrreiche Beispiele aus der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. — Ähnlich sind die berufs- und sozialkundlichen Sendungen verschiedener Rundfunkanstalten zu werten. " Z. B. im Bundeswahlkampf 1965. 68 Vielfach gehen in der Gewerkschaftspresse die Beiträge über das eigentliche Fachgebiet hinaus. — T H Ö N N E S S E N , W . : Zur Öffentlichkeitsarbeit der Gewerkschaften. In: Gewerkschaftliche Monatshefte 1965, Nr. 6, S. 321—323. " Auf die Frage „Glauben Sie, es wäre am schönsten zu leben ohne arbeiten zu müssen, antworteten in der Bundesrepublik 1952 82, 1960 80 der Befragten mit „Nein"; 13 (in beiden Jahren) mit „Ja". Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1958—1964. A.a.O., S. 388 sowie Gesellschaftsbild 1970. Hrsg. v. Inst. f. Demoskopie. Allensbach 1964, S. 8. 55 Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik erklären, durch ihre Arbeit befriedigt zu sein.

DIE MITTELBARE ANSPRACHE

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seine bevorzugte Tätigkeit an Arbeitskraft und Nerven 70 und sei es nur durch die vielgeübte „Mach-es-selbst"-Bewegung der Amateurbastler 71 . In manchen, auf ehrenamtliche Hilfe angewiesenen Unternehmen ist der Freizeitmensch völlig unentbehrlich, z. B. in der emsigen Kleinarbeit für Gewerkschaften und politische Parteien, in der kirchlichen Laienarbeit und den sozialen Hilfswerken jeder Art. Dort kann der Berufsmensch immer nur kurz mittun, während der Freizeitmensch seine Sendung darin sieht, gerade dort zu arbeiten. Der Sport z. B. käme ohne die ehrenamtliche Tätigkeit begeisterter Freizeitmenschen gar nicht mehr aus.72 Daß in der Freizeitbetätigung auch viel Banales sich einfindet versteht sich. Spiele aller Art, von den ernsten Formen bis zu den großen Glücksspielen, dem Lotto und dem Toto, heute sogar in Konjekturaltechnik gesellig betrieben, verzehren die freien Stunden. Selbst der gröbste Unfug der Massenpublizistik, die Horoskope, haben den Rang eines Hobbys angenommen. 73 Nicht umsonst hat die totalitäre Welt den Sport als ein propagandistisches Hauptelement in ihre allgemeine Werbung einbezogen. Er wird Mittel und Ausdrude der Weltanschauung. Die Schauleistungen sollen das kollektive Bewußtsein stärken, außerdem — durch Film und Fernsehen millionenfach verbreitet — massive Suggestivpublizistik sein.74 Der umgrenzte, fachlich bestimmte Lebenskreis öffnet sich, wenn das Interesse für das Leben der Gemeinde geweckt ist und von hierher in die allgemeine politische Anteilnahme übergeht. Die Gemeinde hängt am engsten mit der Umwelt des „Ich" zusammen; sie hat viele die Einzelexistenz berührende Fragen zu lösen. Es sind die Probleme der Nahrung, der Preise, der Wohnung, des Weges von und zur Arbeit, der Schulen, der Krankenhäuser, der Sozialleistungen, der Unterhal70 Uber die Entwicklung der Freizeitgestaltung vgl. KIESLICH, G.: Freizeitgestaltung in einer Industriestadt. Dortmund 1956. — BLÜCHER, V. v.: Freizeit in der industriellen Gesellschaft. Stuttgart 1956. — D I E FREIZEIT. Eine sozialpsychologische Studie unter Arbeitern und Angestellten 1958. Ein nicht veröffentlichter Bericht des Instituts für Demoskopie in Allensbach. — H A N H A R T , D.: Arbeiter in der Freizeit. Bern und Stuttgart 1964. — ROSENMAYR, L . : Familienbeziehungen und Freizeitgewohnheiten jugendlicher Arbeiter. Wien 1963. 71 Im „Do-it-your-self-Markt" und seiner industriellen Belieferung steht Deutschland heute an dritter Stelle (vgl. Der Spiegel v. 21. 4. 1965, S. 47). Entsprechende Zeitschriftgründungen erreichen ansehnliche Auflagen. Das Hobby ist übrigens oft auch die „Entspannungstechnik" sonst sehr erfolgreicher Berufsmenschen. 72 Begeistert für den Sport interessieren sich 24 Prozent der Bevölkerung (38 Prozent der Männer, 12 Prozent der Frauen); 36 Prozent sind nur allgemein an ihm interessiert. Vgl. Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1958—1964. A.a.O., S. 33. Arten des Hobbys vgl. Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1957. Hrsg. v. Noelle, Elis. u. E. P. Neumann. Allensbach 1958, S. 31 f. 73 Vgl.: SCHMIDTCHEN, G . : Soziologisches über die Astrologie. In: Zeitschrift für Parapsychologie (Bern) 1957 Bd. I, S. 47—72. — GOTTSCHALK, H.: Der Aberglaube. Wesen und Unwesen. Bielefeld 1965 sowie Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1957. A.a.O., S. 196. 74 „Der Deutsche Turn- und Sportbund nimmt aktiv am Aufbau des Sozialismus teil .. er erzieht seine Mitglieder zu sozialistischem Denken und Handeln und bekämpft die reaktionäre bürgerliche Theorie der politischen Neutralität des Sports." Grundsatzerklärung des DTSB vom 28. 4. 1957.

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DIE ERSCHEINUNGSFORMEN DER PUBLIZISTIK

tungs- und Bildungsmöglichkeiten. Ebenso spielen hier die unmittelbar persönlichen Kontakte im Nachbarschaftsklatsch75 wie in der Nachbarschaftshilfe eine Rolle. Der lokale Teil der Tageszeitungen für Millionen von Lesern (85 Prozent) wichtigste und erstgelesene Spalte, gibt Zeugnis für die im Gemeindeleben und in der Kommunalpolitik meist eng mit dem Menschlichen und Persönlichen verbundenen Interessen (Lokalberichte, Gerichtsberichte, Familiennachrichten usw.).7' Auch die großen Sender nutzen die hier immer wachen Interessen und strahlen ihre Regional" und Lokalsendungen aus. Die Gemeinde, der engere Wohn- und Heimatbezirk, gehören in die umgrenzten Lebensgebiete. Ernste publizistische Bemühungen manövrieren hier die gängigen Vorstellungen und Begriffe aus der Perspektive der Kirchturmspolitik vor den Horizont der größeren allgemeinpolitischen Erkenntnisse. So bietet die Gemeinde eine Vielzahl von Möglichkeiten mittelbarer Publizistik. Im industriellen Massenzeitalter kann sie besonders erfolgreich genutzt werden. Sie hat den Vorzug, von realen und lebensnahen Tatsachen auszugehen und ihnen dienstbar zu sein, je nach Gesinnung und Aufgabe. Es ist lehrreich, daß die erste Publizistik junger Satellitenstädte vom Lokalen her in die größeren Zusammenhänge aufbaut. Eifrig folgt ihr darin die gelegentlich immer wieder auftauchende illegale „Häuserblockzeitung" kommunistischer Haltung. Die Publizistik wirkt unmittelbar, wenn sie in Wort, Schrift, Bild oder in Tat und Leistung frei und offen ihre Werbung übt und sie offen verantwortet. Die Publizistik wirkt mittelbar, wenn sie ihren Einfluß Umwege gehen läßt. Sie kann den Nachrichten Tendenz geben, Unterhaltendes über mannigfaltige Reizmittel publizistisch lenken, den Einzelnen durch Ansprache des Menschlichen und Persönlichen aus der umgrenzten Umwelt des „Ich", aus den Bereichen der Familie, des Berufes, der Gemeinde zu gewinnen suchen, ohne dabei das publizistische Ziel geradewegs hervorzukehren. Die moderne Entwicklung der publizistischen Mittel mit ihrem Einschlag in das Unterhaltende kommt dieser Ansprache entgegen. Sie vermag auch, die dem öffentlichen Leben Abgewandten zu fassen und reicht bis in das Unbewußte und Unterbewußte. In der Zusammenfassung dieser Technik wird ein hoher Prozentsatz der industriellen Massengesellschaft Tag für Tag unter publizistische Einwirkung gestellt. Die der Publizistik in ihren Mitteln verwandte Werbewirtschaft macht von diesen Umwegen reichlich Gebrauch. Sie wirbt nicht, wie das die grobe alte Reklame tat, um gesteigerten Verkauf, also um geschäftlichen Gewinn: „sie verkauft keinen Wagen, sondern Prestige, keine Zigarette, sondern den Duft der großen Welt, keine Sauberkeit, sondern das „schönste Weiß meines Lebens", keine Apfelsinen, sondern Gesundheit und Lebenskraft, keine Seife, sondern persönliche Sympathie."

Vgl. S. 229. Vgl. Dovifat, E.: Zeitungslehre. A.a.O., Bd. II, S. 51. — Bemerkenswert ist auch, daß selbst die auf großen Massenabsatz angewiesene Boulevardpresse sich seit einigen Jahren bezirklich in besondere Ausgaben aufteilt. 75 78

IV. Die Publizistik der Massenführung

17. Die Natur der Masse „Es ist schwer hinzunehmen, daß es Masse gibt: sehr viele Menschen, und man selbst einer unter ihnen. Daß ein guter Gedanke von Vielen gedacht und dabei flachgetreten, daß ein blühendes Wort von Vielen gesagt und dabei zerstört w i r d . . . Die Tatsache, daß es sehr viele Menschen gibt, gehört zu den schwersten Lasten unseres Daseins." 1 ROMANO GUARDINI

Die Masse ist kein Mythos 2 . Die Frage, ob es Massen gibt, werden die schlüssig beantworten, die mit ihnen zu tun, ihre Erfahrungen mit ihnen gemacht haben: die Publizisten. An ihnen ist es, die Massen anzusprechen, ihr Verhalten vorauszusehen, sie zu gewinnen und zu führen. Der größte Teil der Publizistik — und politisch sicher der wichtigste — ist heute Massenführung. Die totalitären Mächte kennen nur sie, richten alle Publizistik nach ihr aus und wissen sie zu führen. In den freien Demokratien sind alle Wahlkämpfe und die Vorbereitungen dazu Massenpublizistik. Man sollte aufhören, sich darüber zu amüsieren oder die damit zusammenhängenden Fragen leicht zu nehmen. Es müßte doch zur Warnung dienen, daß Hitler die Macht nicht zuletzt deshalb an sich brachte, weil einflußreiche Persönlichkeiten in Politik und Wirtschaft seine Massenführung leicht nahmen und seine demagogischen Umtriebe von oben herab abtaten und meinten, er sei „nur ein Trommler". Jede Massenführung kann Massenverführung, Massenüberwältigung sein. „Verführung" nicht nur zu politischen Aktionen. Verrückte Mode- und Zeitkrankheiten sind zu allen Zeiten aufgetreten, ganz gleich, wie die Herrschaftssysteme gerade geartet waren. Schwärmer, Schwindler, Schwadroneure, Gaukler und Scharlatane brachten die Öffentlichkeit in Bewegung und führten sie bis hart an den Massenwahn. 3 Neue Formen der Massenansprache entwickelt heute die Unterhaltungs- und Freizeitindustrie. Oft unter publizistischem Vorwand nutzt sie die Technik der Massenführung sehr erfolgreich für ihren geschäftlichen Gewinn. 4 Der „Aufbau" 1 GUARDINI, R.: Im Spiegel und Gleichnis. Mainz 1949, S. 98 f. Der Pessimismus, der aus diesen Zeilen spricht, wird später ins Positive gewendet. 2 Vgl. HAGEMANN, W.: Vom Mythos der Masse. Heidelberg 1951, S. 114 f. 3 FRANCESCO, G . D E : Die Macht des Scharlatans. Basel 1 9 3 7 . 4 Es sei in diesem Zusammenhang nochmals auf HORKHEIMER, M . U. T H . W . ADORNO: Dialektik der Aufklärung. A.a.O. (bes. Kulturindustrie) verwiesen. — Vgl. auch SCHMIDT-

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DIE PUBLIZISTIK DER MASSENFUHRUNG

bestimmter Stars zu bizarren Grundtypen, die zumal jugendliche Massen zu pathologischem Enthusiasmus hinreißen, gehört auch hierher.5 So wie die Publizistik durch die Massenführung einerseits verflachen kann, vermag sie die Massen auch aus Verantwortung und Gewissen anzusprechen. Es könnte ihr gelingen und es muß ihr einmal gelingen, den individuellen Willen wieder zu wecken, den Einzelnen anzusprechen, die „Depersonalisierten" (Röpke") wieder in die Heimat ihrer Personalität zurückzuführen. Vom Gelingen dieses „Aufstands gegen die Massen7" wird das künftige Menschheitsschicksal in hohem Maße abhängen. Obwohl die Masse also kein Mythos ist, wurde sie oft romantisch oder gar mystisch verklärt. Vor allem hat sie die Dichter fasziniert. Dieses Interesse zieht sich von den Griechen (die Chöre in den antiken Tragödien) über Shakespeare („Julius Caesar", „Coriolanus"), Schiller („Demetrius") und Kleist („Robert Guiskard") bis zu den Naturalisten (Hauptmann in den „Webern" bringt eine psychologisch ausgezeichnete Darstellung einer Revolte), den Expressionisten (Kaiser)8 und dem intensiv politischen Theater der jüngsten Zeit (Majakowski, Brecht u. a.).9 In der Wissenschaft sind die Untersuchungen über das Wesen und die Aktionen der Massen äußerst zahlreich: von L E B O N S längst überholtem, aber klassischem ersten Werk10 bis zu den ganz aus publizistischer Haltung geschaffenen Arbeiten von B A S C H W I T Z " und den Beiträgen vieler soziologischer Theoretiker.12 Joos, S.: Geschäfte mit Schlägern. Bremen 1960 sowie LAMPRECHT, H.: Teenager und Manager. München 1965. 5 Z . B . das Phänomen der Beatles! Vgl. auch: HAACKE, W . : Vom Wesen der Aktualität. A.a.O. ' RÖPKE, W.: Die Massengesellschaft und ihre Probleme. In: Masse und Demokratie. Hrsg. v. A. Hunold. Erlenbach/Zürich/Stuttgart 1957. 7

RÖPKE, e b d .

R I C H T E R , J O A C H I M : Massen und Massenführung in der deutschen Literatur der Zeit des Expressionismus. Diss. Berlin 1955. 9 Vgl. BRECHTS eigenwillige „Coriolan"-Interpretation in den Schriften zum Theater, Bd. VII. Literatur über das politische Theater s. S. 216. 10 LE BON, G.: Psychologie der Massen. Stuttgart (Kröner) 1964 (französische Originalausgabe 1 8 9 5 ) . Das Werk, in packender Sprache geschrieben, ist schärfstens kritisiert worden (so von HOFSTÄTTER, P. R.: Gruppendynamik. A.a.O., S. 1 3 ff. — Kongenial wird Le Bon durch O R T E G A Y GASSET (Der Aufstand der Massen. A.a.O.) widerlegt. 11 BASCHWITZ, K.: Der Massenwahn. A.a.O. — Ders.: Du und die Masse. A.a.O. 12 Sehr aufschlußreich und oft zitiert: RIESMAN, D. U. a.: Die einsame Masse. A.a.O. — HOFSTÄTTER, a.a.O., S. 2 3 f. bezeichnet nur diejenigen aktivierten Mengen als Massen, in denen sich (noch) kein ordnendes und integrierendes Rollensystem entwickelt hat. Demonstrationszüge, Protestversammlungen und Bittprozessionen haben s. E. daher kaum noch etwas mit Massen zu tun. Sobald durch Rollenverteilung und Differenzierung eine Struktur der Menge gegeben ist, spricht Hofstätter von Gruppe. Ders.: Von der Massenpsychologie zur Gruppendynamik. In: Psychologische Rundschau 1 9 5 7 . H. 8 , S. 1 0 3 — 1 1 9 . — SCHARMANN, TH.: Zur Systematik des „Gruppen"-begriffs in der neueren deutschen Psychologie und Soziologie. In: Psychologische Rundschau 1 9 5 9 . H. 1 0 , S. 1 6 — 4 8 . — A D O R N O , T H . W.: Meinung, Wahn, Gesellschaft. In: Der Monat. H. 1 5 9 ( 1 9 6 1 ) . — A I C H , TH.: Massenmensch und Massenwahn. München 1 9 4 7 . — C A N E T T I , E.: Masse und Macht. Hamburg 1 9 6 0 . — E H R E N STEIN, W.: Dämon Masse. Frankfurt a. M. 1 9 5 2 . — FREUD, S.: Massenpsychologie und Ich8

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DIE N A T U R DER M A S S E

Wenngleich die Masse in wissenschaftlichen Abhandlungen kaum romantisiert wird, so ist das Urteil über sie nach Ansicht vieler Autoren doch oft emotional belastet. W i e schwer ein nüchternes Urteil ist, geht bereits aus der Tatsache hervor, daß schon in der Sprache mit dem W o r t „Masse" wenig erfreuliche, oft bewußt herabsetzende Vorstellungen verbunden sind." Es sind weniger die Darstellungen über die Masse als akuten Zustand oder über die sichtbare bzw. die manifestante Masse, die — besonders bei Hofstätter



Widerspruch geweckt haben, vielmehr sind es die Ausführungen über die Masse als chronischen Zustand (Röpke 14 ), über die unsichtbare (Baschwitz 15 ) bzw. über die latente Masse (Münster 18 ), in denen mißtrauisch erörtert wird, ob die Vermassung als geistig-moralische Entpersonalisierung im Zusammenspiel mit der Auflösung der Gesellschaftsstruktur 1 7 das ebenso negative wie charakteristische Kennzeichen unserer Zeit ist. Im folgenden steht im Vordergrund des Interesses, die Masse in ihrer publizistischen Bewegung zu schildern, wie sie in dynamische Fahrt zu bringen und wie diese Fahrt zu beeinflussen ist. 18 W i r gehen aus von der „latenten

Masse". Darunter verstehen wir eine Vielheit

von Menschen, die durch die latente Bereitschaft oder die Anfälligkeit charakterisiert wird, sich in eine dynamische Masse zu verwandeln oder dahin plötzlich auszubrechen. Das „disperse Publikum", wie

MALETZKE

die „latente Masse" nennt,

muß diese Anfälligkeit als „Publikum" nicht besitzen. 1 9 Publikum ist ein bereits

Analyse. 2. Aufl. Leipzig 1923. — FROMM, E.: Die Furcht vor der Freiheit. Zürich 1945. — GEHLEN, A.: Die Seele im technischen Zeitalter. Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft. Hamburg 1 9 5 7 . — G E I G E R , TH.: Die Masse und ihre Aktion. Ein Beitrag zur Soziologie der Revolutionen. Stuttgart 1926. Ders.: Demokratie ohne Dogma. Die Gesellschaft zwischen Pathos und Nüchternheit. München 1 9 6 3 . —• HABERMAS, J . : Strukturwandel der Öffentlichkeit. A.a.O. — K Ü P P E R S , H E I N Z : Die Gesellschaft, in der wir leben. Hrsg. i. A. des DGB. Köln 1957. — MAN, H. DE: Vermassung und Ausweg. Köln 1953. —• Ders.: Vermassung und Kulturzerfall. Eine Diagnose unserer Zeit. München 1951. — MÜNSTER, CL.: Mengen, Massen, Kollektive. München 1 9 5 2 . — R E I N A L D , P.: Vom Geist der Massen. 3. Aufl. Zürich 1948. — The Process and the Effects of Mass Communication. Hrsg. v. W. Schramm. Urbana 1 9 5 5 . — Ausführliche Bibliographie bei HABERMAS, a.a.O. und bei M A L E T Z K E : Grundbegriffe der Massenkommunikation. A.a.O. — T R O J A N , R . : Massenlenkung und Zeitung. Diss. Wien 1 9 4 7 . — PFAFF-SONNEMANNS, T H E A : Kritik der Massentheorien und das Problem der Nivellierung. Diss. Marburg 1954. 13 Einen entsprechenden Gefühlswert besitzen oft diffamierende Wortverbindungen wie Massenwille, Massenforderung, Massenmeinung, Massengeschmack, Massenprodukt, Massenroheit, Massendummheit, Massenhaß, Massenwahn, Massenmensch. Uber die Entstehung des Wortes „Masse" lehrreiche Ausführungen bei H O F S T Ä T T E R , a.a.O., S. 13 ff. 14 RÖPKE: Die Massengesellschaft und ihre Probleme. A.a.O., S. 18. 15 BASCHWITZ ( D U und die Masse. A.a.O., S. 55) unterscheidet zwischen sichtbarer und unsichtbarer Masse. 16 M Ü N S T E R (Mengen, Massen, Kollektive. A.a.O., S. 54) unterscheidet zwischen manifester und latenter Masse. 17

RÖPKE, a . a . O . , S. 20.

Es ist hier versucht, den publizistischen Aspekt herauszurücken. 19 M A L E T Z K E , a.a.O., S. 28 ff. Daher vermeidet Maletzke auch bewußt in diesem Zusammenhang den Terminus „Masse". Doch nimmt die Bezeichnung „disperses Publikum" für „latente Masse" diese doch schon für allzu sehr gefestigt. 18

DIE PUBLIZISTIK DER MASSENFÜHRUNG

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durch eine gemeinsame Aufmerksamkeit (Konzertpublikum, gebildetes Publikum) ausgerichtete Masse. Physikalisch ist Masse eine zunächst noch amorphe, eine ungegliederte Substanz, eine Vielheit gleicher Teile. Bei Lebewesen spricht man nur dann von Masse, wenn eine gewisse Gebundenheit vorhanden ist. Diese Gebundenheit in der Masse kann zwar stark 20 , sie darf aber, wie noch näher zu erläutern sein wird, nicht organisch gewachsen sein. Der Mensch erscheint in der Masse zunächst „depersonalisiert", d.h. Gesicht, Eigenwert, Seele und Persönlichkeit scheinen verloren. Ein „Sandhaufen von Individuen 21 ", eine Summe von nicht differenzierten Komponenten, Mangel an individueller Unterscheidung, an Initiative, an Originalität und Bewußtsein, Quantität ohne Qualität: das ist Masse. Menschen von Fleisch und Blut werden als „bloße statistische Ziffern" begriffen22, weil sie immer Objekt sind. Sie sind durchweg „außengeleitet" oder scheinen es doch zu sein: Staub, den jeder Wind bewegt 23 . Der Anblick der Massen, da, wo sie auftritt, ist verschieden j e nach dem, was sie bewegt oder wie sie bewegt sind. Oft ist er wenig trostvoll. Dabei ist freilich zu berücksichtigen, daß das Auge nur eine Vielheit registriert, ohne in der Lage zu sein, gleichzeitig individuelle Einzelheiten aufzunehmen. Wo Menschenmengen in die gleiche Richtung streben (etwa vor und nach der Arbeit an den Bahnhofsausgängen oder vor Fabriken), scheinen sie sogar gleichgerichtet zu sein, aber wenn man dann einen Einzelnen aus der Schar der gleichmäßig Strebenden beobachtet, ist man nicht selten überrascht und ermutigt: man entdeckt ein Individuum, einen Menschen! Die Dinge sind dann nicht mehr so trostlos. Auch die Kamera, die des Films wie die des Fernsehens, zeigt oft überraschend originelle Individualitäten, wenn sie, unter den Massen, Einzelne in Großaufnahme aufs Korn nimmt. Und doch sind es dieselben Menschen, die bei Massenausbrüchen, und wären es nur die des fanatischen Beifalls, plötzlich leidenschaftlich mit der Masse agieren und in ihr aufgehen. Man sollte darüber aber nicht die ermutigende Betrachtung vergessen, die E R N S T J Ü N G E R anstellt: „Der Einzelne ist immer noch bedeutender, als er in diesem Rahmen erscheint. Oft gleicht er auch einem Korne, das in der Dürre unansehnlich wurde, und doch ruht tief im Innern der grüne Keim. 24 " 2 0 Bei vielen Gattungen herdenmäßig lebender Tiere ist der Herdentrieb so stark, daß er bis zur gemeinsamen Vernichtung führen kann; so bei den Lemmigen in der Tundra. (Vgl. AICH, a.a.O.). — Ähnliches schildert FRISCH, K . V.: Aus dem Leben der Bienen. Heidelberg 1959. Im allgemeinen ist es ein Aktivierungsgrund, der die Masse zusammenhält. Entsprechend seiner Auffassung, daß Masse nur eine Zwischenstufe zwischen Menge und Gruppe ist, kann HOFSTÄTTER die These vertreten, daß die Masse sofort wieder zerbröckelt, wenn der Aktivierungsgrund entfällt (Gruppendynamik. A.a.O., S. 24). 21

RÖPKE, a . a . O . , S . 2 8 .

MAN, H. DE: Vermassung und Kulturzerfall. A.a.O., S. 46. RIESMANS a.a.O. gegebene Grundgliederung, die in naturwissenschaftlicher Kühle die „einsame Masse" in außengeleitete, traditionsgeleitete und innengeleitete Menschen aufteilt, ist für grobe publizistische Aufgaben sehr brauchbar. 2 4 JÜNGER, E.: Geheimnisse der Sprache. Hamburg 1934. 22

23

DIE NATUR DER MASSE

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G U A R D I N I findet das Heilmittel im Religiösen. Das Grauen vor dem Menschen in der Masse ist zu überwinden, wenn jedes einzelne Menschenleben, seine Ehre und seine Würde eingeordnet werden in die „turba magna" zum Preise Gottes.25 Dies wäre die religiöse Lösung. Aber auch wer die Lösung nur mit Menschenhilfe sucht, wird einer Grunderkenntnis der religiösen Antwort beipflichten: Nur aus der Anerkennung der Würde des Einzelmenschen in der Masse ist die menschenwürdige Überwindung des Phänomens Masse überhaupt möglich. Von dieser Einsicht her bestimmen sich generell auch die moralischen Grenzen aller publizistischen Einwirkungen auf die Massen. Massen gleich physikalischen Phänomenen zu behandeln und Persönlichkeiten, die sich nicht in die Masse einordnen, in ihrer seelischen Haltung durch physiologische Mittel (Drogen) botmäßig zu machen, ist die niedrigste Art materieller Gewalt gegen geistige Freiheit.26 Erwünschte Aussagen werden künstlich herausgeholt. Diese Methoden werden zu einer vollständigen materiellen Mechanik zur Überwältigung der Massen durch erzwungene Selbstbekenntnisse ausgefeilt. Die aristotelischen Staatsmodelle sind damit um eine weitere, allerdings sehr fragwürdige Kategorie ergänzt: Zur Demokratie, Aristokratie, Oligarchie und Ochlokratie gesellt sich die „Psychagogie". Sie bedeutet die endgültige Gewalt der Materie über die Freiheit und Würde des Geistes und über unveräußerliche Menschenrechte. Die Rückkehr der auf diese Art bis zum äußersten „depersonalisierten" Massen zu organischen Gemeinschaftsformen würde, wenn überhaupt, nur mehr in langen Tauwetterperioden möglich sein. Obwohl die durch Terror und Suggestion zu Herden erniedrigten Massen von der totalitären Publizistik mit Vorliebe als „Volk" bezeichnet werden, stellen sie doch einen krassen Gegensatz dar zu allem, was man ursprünglich unter Volk verstanden hat. Der Begriff „Volk" ist im Zeitalter des Nationalismus überstrapaziert worden und die NS-Ideologie verklärte „das Volk" zu einer Gottheit. „Das Volk" schlicht und ohne Sentimentalität auf seine charakteristischen Eigenschaften hin zu untersuchen heißt, einen Begriff finden, der von dem Begriff „Masse" deutlich Abstand nimmt. Volk ist in allem natürlich, organisch gewachsen und gebunden, keine zusammengetriebene, sondern eine durch gleiche Art und Herkommen gewordene Gemeinschaft.

Volk ist die gewachsene Gemeinschaft von Menschen gemeinsamen Schicksals, gemeinsamer Geschichte und Heimat. Volk entfaltet sich aus natürlichen und innerlichen Bindungen in Familie, Beruf, Stand, religiösem Glauben und aus der gleichen kulturellen Tradition. Das Merkmal der organischen Gebundenheit fehlt der Masse, in welchem Zustand sie sich auch immer befindet. Es fehlen ihr Festigkeit, Gelassenheit, Ruhe, 1 5 GUARDINI: Im Spiegel und Gleichnis. A.a.O. Er nimmt dabei Bezug auf ein Bild in der Geheimen Offenbarung (7/9 und 14, 1—2). Allgemeine Literatur über die Massenführung in kommunistischen Staaten: COUNTS, G. S. u. N. LODGE: The country of the blind. The Soviet system of mind control. Boston 1949. — ERTEL, CH.: Der Kollektivmensdi. Limburg 1949. — KALNINS, B.: Der sowjetische Propagandastaat. A.a.O. — Vgl. insbes. S. 157.

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das Bewußtsein gesicherten und gemeinsamen Herkommens und vor allem Lebensvertrauen für das Ganze. Alle Massenbewegungen fühlen, daß eben dies ihnen fehlt. Also versuchen sie, Brauchtum und Tradition aus der eigentlichen Volkstradition heranzuziehen. 27 Solche folkloristischen Attribute hängen dann wie fremde Girlanden vor der höchst nüchternen Fassade der Massenarchitektur. Im publizistischen Sinne ergibt sich eine vereinfachte Umschreibung des Begriffs: Masse ist eine nicht organisch und nicht bleibend gebundene Vielheit von Menschen, die, meist vorübergehend und begrenzt, von gleichen Neigungen, Strebungen und Trieben geleitet sind. Weil sie ihre Lage als vorübergehend, als verbesserungsfähig oder gefährdet empfindet, ist Masse leicht in dynamische Bewegung zu bringen. 27 ® Umschrieben ist hier die Masse, wie sie heute da ist, wie die Bevölkerungsvermehrung sie möglich gemacht und die hochindustrielle Entwicklung sie geschaffen hat. In früheren Jahrhunderten, so im Mittelalter und in der Antike, erschienen Massen nur dann, wenn Menschen revolutionär gegen soziale, ständische oder religiöse Bindungen auftraten (Sklavenaufstände, Aufstände der Zünfte, Kämpfe religiöser Sekten), um nach den Aktionen wieder in die alten, dann vielleicht verbesserten Bindungen zurückzufallen oder in neu erkämpfte einzugehen. Die durch Gemeinschaftszerfall und soziale Entwurzelung entstandene Isolierung, Vereinsamung, Atomisierung der Menschen macht den Einzelnen im allgemeinen nicht oder doch nicht auf die Dauer selbstbewußter und eigenständiger, sondern weckt eine gewisse Sehnsucht nach Anpassung, nach festeren Bindungen. 28 Diese Sehnsucht ist in allen Schichten lebendig. So rekrutieren die Massen sich heute nicht aus besonderen Ständen oder aus einer Klasse (etwa der des „Proletariats"). Sie setzen sich zusammen aus Menschen der verschiedensten Herkunft und mit den verschiedensten Einzelschicksalen, die dennoch gleichgerichtet sind in bestimmten Neigungen, Wünschen und Forderungen. 29 Die „Massen", die Hitler aufrief und 27 So nimmt der italienische Faschismus altrömische Machtsymbole (Liktorenbündel) in seine Propagandaliturgie. Das Spanien Francos holt in den Falangen Wappenzeichen des 15. Jahrhunderts in die Gegenwart. „Trachten- und Volksgruppen" wurden vom Hitlerregime zwecknüchtern in die politische Werbung gebracht. Ebenso steigerte die politische Propaganda z. B. die Bauernkundgebung auf dem Bückeberg zu einer monströsen Schau des „Brauchtums". Vgl. auch SCHMEER, K.-H.: Die Regie des öffentlichen Lebens im Dritten Reich. München 1956. Auch die UdSSR gesteht den in ihr vereinigten Volksgruppen gewisse folkloristische Spielformen zu, um hinter dieser Kulisse die kommunistische Erziehung zum „Sowjetmenschen" vorantreiben zu können. Vgl. dazu die Rolle des Symbols, S. 240. — Zum Problem „Volk" vgl. auch BARTHOLMES, H.: Das Wort „Volk" im Sprachgebrauch der SED. Düsseldorf 1964. 27 a Der Begriff ist hier bewußt zunächst sehr allgemein gefaßt. Der Publizist hat mit allen Erscheinungsformen der Masse zu tun, der „latenten" wie auch der „aktiven" Masse. Die publizistisch bedingte Definition soll noch nicht eine differenzierte Aufteilung enthalten und die theoretische Problematik wiedergeben, wie GERHARD M A L E T Z K E sie in seiner Psychologie der Massenkommunikation. Hamburg 1963, S. 24 ff. sehr lehrreich zusammenfaßt. 28 Vgl. RÖPKE: Massengesellschaft und ihre Probleme. A.a.O., S. 27. 29 Vgl. hierzu FROMM, E.: Die Furcht vor der Freiheit. A.a.O. — HABERMAS, J.: Strukturwandel der Öffentlichkeit. A.a.O. — LEDERER, E.: State of the masses. The threat of the classless society. New York 1940.

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bewegte, hatten nichts mehr mit „klassenkämpferischen Proletariern" zu tun. Aus allen Lagern kamen die Menschen, die diese Massen bildeten. Die Not diktierte ihre verzweifelten Forderungen und öffnete sie der nationalistischen Verführung. Diese bunt zusammengewürfelten, aber in wesentlichem Streben gleichgerichteten Massen verlangen unausgesprochen nach einem Führer, nach einer Persönlichkeit starker Hand, die ihren Sehnsüchten Ausdruck gibt, ihrem Wollen ein Ziel setzt, sie zu politischer Aktivität mobilisiert und organisiert.30 So können sie zu Aktionen von geschichtsbildender Kraft aufgerufen werden. Vorausgesetzt ist, daß die Führer den Glauben zu wecken verstehen und den allgemeinen politischen Erwartungen der Massen entgegenkommen. J e stärker dieser Glaube ist, desto mehr wächst das Vertrauen in die Führer und damit die Willenlosigkeit der Massen, desto leichter sind sie zu gängeln, zu überwältigen.31 Jeder Versuch, die Massen aus ihrer Hörigkeit zu befreien, kann nur davon ausgehen, die suggestive Wirkung ihres Glaubens aufzuheben und den Einzelnen in der Masse gegen die Versuchung immun zu machen, unter Aufgabe des eigenen Willens und der eigenen Verantwortung im Kollektiv Halt zu finden. Gelingen kann diese Gegenbewegung nur, wenn die Gesetze der Massenverführung der breiten Öffentlichkeit einleuchtend klar geworden und durch Ereignisse belegt sind, wenn echte Werte und gesunde Bindungen in freiem Entschluß gefunden und durchgesetzt werden. Immer wird das eigene (politische) Erleben diese Erkenntnis fördern. Einfacher ist es freilich, eine Massensuggestion durch eine andere zu ersetzen. Daher die leichte Fluktuation zwischen radikalen Gruppen, wie sie z. B. in den sogenannten Kampfjähren des Nationalsozialismus sich mit dem Kommunismus vollzog. Allerdings wird jede, auch die desillusionierende Kampfaktion, gegen jede Form der skrupellosen Ansprache zuerst selbst energisch massenüberzeugende, ereigniserhärtete Mittel einsetzen müssen. Ziel der Publizistik muß es dann sein, die sittlichen Elemente wieder zu wecken, die in jedem gesunden Volk leben. Die „Massen" nehmen dann wieder persönliche Bindungen an, „personalisieren" sich, kommen wieder zu eigenem Urteil, und sei es nur, daß sie gelernt haben, gegenüber jeder Massenparole Abstand zu halten.

Vgl. hierzu S. 117 ff. Vgl. BORTOLOTTO, G.: Massen und Führer in der faschistischen Lehre. Ubers, v. P. u. A. Mirgeler. Hamburg 1934. — REICH, Wilhelm: The Mass Psychology of Fascism. Transl. by Th. P. Wolfe. 3. ed. New York 1946. — In einer Rede über die Propaganda sagte GOEBBELS, daß die Menschen immer und immer wieder angesprochen werden müßten, „bis sie uns verfallen sind und nicht mehr von uns los kommen" (Rede am 8. 5. 33. Signale der neuen Zeit, München 1933). 30

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18. Das Auftreten der Masse Die „latente Masse" also erscheint im Alltag als eine Vielzahl von Einzelnen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann sie in eine Bewegung geraten, „dynamische Masse" werden. „Latente Masse" als „dispers" 1 zu bezeichnen, als „zerstreute Masse", trifft nur für einen (großen Teil) der latenten Masse zu, insofern sie in ihren Zimmern oder an ihren Arbeitsplätzen zerstreut ist. Sie erscheint aber auch in Bewegung, ohne bereits in ihrem Wollen angesprochen zu sein, z. B. vor Arbeitsbeginn an Bahnhofsausgängen, vor Fabriktoren, wenn „die Kirche ausgeht" oder „das Kino". Erste massenpsychologische Erscheinungen treten oft nur zufällig auf. Z. B. eine plötzlich im Straßenverkehr eingeführte Verkehrsordnung entspricht nicht den individuellen Wünschen. Es bilden sich Gruppen Debattierender und Protestierender. Gerät aber die latente Masse unter politischen Parolen in Bewegung, so vollzieht sich das in oft beschriebenen Steigerungsstufen, unter ganz bestimmten publizistischen Aktionen, vom Auflauf, zur Rotte, zum Protestmarsch, zur umwälzenden revolutionären Aktion. Der Einzelne, in diese Dynamik einbezogen, gibt dabei einen Teil seines Ichgefühls, damit auch seines Gewissens, auf. Es entfesselt sich ein Massentrieb (Massen„geist"). Er kann politische Entscheidungen erzwingen, wenn die regierende Macht, aus welchen Gründen auch immer, versagt, eine publizistische Gegenbewegung ausbleibt oder nicht zur Stelle ist. Entstehung und Ablauf einer solchen Dynamik sei aus eigenem Erleben an einem kleinen, aber schulmäßig-typischen Fall gezeigt. Es war in den Hungermonaten nach dem Ersten Weltkrieg. An einem Tag Anfang des Jahres 1919 sammelten sich Hausfrauen vor den dürftig belieferten Gemüseständen auf dem Marktplatz einer ostdeutschen Mittelstadt. Sie ereiferten sich über die Preise. Es blieb nicht bei Worten. Man schritt zu „Aktionen der Selbsthilfe": die Körbe wurden umgestoßen, die Ware zertreten. Spontan bildete sich der „Auflauf". Unter die protestierenden Frauen mischten sich Agitatoren des „Spartakusbundes 2 ". Eine Protestversammlung wurde in wenigen Stunden inszeniert. Es sprach ein aus Berlin angereister Redner. Aufwiegler agitierten unter den sich langsam sammelnden Menschen, die durchaus nicht den Eindruck von Proletariern, eher einer Ansammlung von ärmlichen Kleinbürgern machte. Den Zorn über die Gemüsepreise nahm der radikale Redner zum Anlaß schwerer politischer Agitation. Die Versammlung, solch aktivierenden Tons damals noch kaum gewohnt, geriet in wachsende Erregung. Polizei trat nicht in Aktion, das Rathaus schloß seine Tore. Nichts schien dem Willen im Wege zu stehen, der Erregung durch Taten Luft zu machen, das Streben jeder in Aktion geratenen Masse. Aus 1

siehe MALETZKE: Grundbegriffe der Massenkommunikation. A.a.O., S. 35 ff. „Spartakusbund" war der Name der damaligen Kommunistischen Partei. — Diese „Rollenverteilung" berechtigt, so meinen wir, noch nicht dazu, an der spontanen Massenaufwallung zu zweifeln und die Aufgewiegelten nicht mehr als Masse zu bezeichnen. Vgl. HOFSTÄTTER: Gruppendynamik. A . a . O . , S. 2 3 f. 1

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dem Auflauf bildete sich — von Wühlern geschickt angetrieben — ein Protestmarsch, zunächst noch eine Rotte. Sie zog zum Gefängnis, wo die Tore erbrochen und den „Opfern der Klassenjustiz" (damals nur Kriminellen) die Zellen geöffnet wurden. Die wachhabenden Polizisten (zwei Beamte) wurden entwaffnet. Diese Rotte, durch ihr Vorgehen gegen „die Staatsgewalt" zur „revolutionären Aktion" geworden, zog zum Marktplatz zurück. Der ursprüngliche Protest gegen die Gemüsepreise wuchs sich jetzt zu massiven Gewalttaten aus. Bald splitterten die Fenster eines kleinen Kaufhauses, die Dekorationen flogen auf die Straße, die Masse brach in das Gebäude ein, um schließlich mit oft sehr unsinnigen Beutestücken der damals sehr mageren Warenbestände zurückzufluten. Als man sich anschickte, auch weitere Läden zu plündern, erschien plötzlich ein Zug Infantrie. Die Soldaten gehörten zu einem der militärisch noch disziplinierten, aber politisch fragwürdigen Freikorps. Es war vom Bürgermeister zur Hilfe gerufen worden. Ein kurzes Gewehrfeuer ging über die Köpfe der Masse hinweg. Klassisch klar entstand sofort die letzte, die jähe Stufe im Ablauf einer Massenaktion: die Panik. „Sauve-quipeut" hieß es: „Rette sich, wer kann!", eine anschauliche Deutung des Begriffs. Im Augenblick waren Marktplatz und Straßen leergefegt, die Aufwiegler verschwanden als erste. So schnell der Massentaumel die Menschen gepackt hatte, so schnell wich er von ihnen. Die Mitläufer und Mittäter, darunter viele „sonst anständige Menschen", kamen schockartig wieder in den Besitz ihres Individualbewußtseins, ihres „Ichgefühls", und sie erkannten, was sie getan hatten. Noch in der Nacht, die die Reuigen gnädig mit Regen und Nebel deckte, wurden viele Stücke des geraubten Gutes in die Nähe des Kaufhauses zurückgebracht. Manches wurde aus dem Fluß angetrieben, einiges sogar im Korridor der Polizeistation niedergelegt. Hier also war eine Massenaktion, wenn auch in kleinstem Rahmen, schulbuchmäßig abgelaufen. Der oft geleugnete „Massengeist", besser: der kollektive Massentrieb hatte das normale Individualbewußtsein gelähmt3, der Massenrausch hatte sich in allen Steigerungsstufen ausgetobt, bis die Enthemmten auf Gewalt stießen, panikartig flohen und mit dem Schock ihr Selbstgefühl und ihr Gewissen wiedergewannen. Längst überholt ist die ältere These, daß Massen immer nur zu niederen Ausbrüchen neigen. Ganz allgemein lebt in der Masse ein moralischer Grundwille. Bei Massenaktionen kann er zu ganz erstaunlichen Taten der Selbstverleugnung anspornen.4 Das Bedürfnis zu helfen, mitzutragen, zu sorgen und zu retten kann die 3 Nachdrücklich sei darauf hingewiesen, daß zwischen solchen im Massenrausch spontan vollführten Aktionen und organisierten „Volksaktionen" zu unterscheiden ist. Die Nationalsozialisten waren meisterhafte Drahtzieher von scheinbar spontanen, in Wirklichkeit aber nüchtern hergerichteten „Volksaktionen". Ein besonders markantes Beispiel dafür lieferten sie, wie bekannt ist, 1938 in der sogenannten „Kristallnacht". Vgl. S. 213. 4 Vgl. hierzu die Darstellung über den moralischen Grundwillen der Massen und dessen publizistische Nutzung S. 143. Siehe auch die Ausführungen über Gandhis Führungstheorie S. 206.

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Massen ebenso stark und wesentlich länger bewegen als der Ausbruch eines Zerstörungstriebs; das beweisen nicht nur die spontanen Hilfsaktionen bei Katastrophen. 5 Der gute Wille kommt aber nicht immer zu guten Ergebnissen. Gerade er kann blind sein und geht dann die seltsamsten Irrwege." Auf die Führung kommt es an. Bei Revolutionen gehen die Maßstäbe für Gut und Böse oft verloren, und Verbrechen werden als Tugenden verkündet. 7 Spontane oder auch gelenkte Massenaktionen haben heute viel von der umstürzenden Kraft verloren angesichts der modernen Waffen der Polizei und des Militärs. Sie nehmen daher meist nur demonstrativen Charakter an, was bei einem Fall schon in der französischen Revolution galt, beim Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789. Im Grunde war er von rein symbolischer Bedeutung. Die Bastille barg nur wenige Gefangene. Sie war eine Art Alters- und Pflegeheim für idiotische Sprößlinge der Aristokratie. Aber die Bastille war in der Erinnerung des Volkes noch die Zwingburg der Despotie. 8 C A M I L L E D E S M O U L I N S sammelte unter den Bäumen im Hofe des alten Palais Royale die „Massen": Flaneurs, Pflastertreter, Arbeiter und Handwerker. Er machte aus diesem bunten Haufen die „Vorkämpfer der Freiheit". Indem der Anführer Desmoulins jedem Einzelnen ein Lindenblatt von den Bäumen' überreichte, verlieh er ihm eine Art Ritterschlag, gab er ihm das Gefühl, feierlich in die Schar der Freiheitskämpfer aufgenommen worden zu sein. Der Freiheitstaumel brach aus: aus dem Auflauf wurde eine Kundgebung und aus der Kundgebung eine „revolutionäre Aktion". Die Eroberung der Bastille bedeutete den „Sturz der Tyrannei". 10 Spontane Aktionen solcher Art konnten nur solange erfolgreich sein, als sie noch nicht auf die vernichtende Feuerkraft der heutigen Waffen stießen, — etwa eines Maschinengewehrs, von Panzern und Flugzeugen ganz zu schweigen. In Sekunden5 Als sich 1963 anläßlich der Bergwerkskatastrophe in Lengede das — falschel — Gerücht verbreitete, es mangele an Freiwilligen, die als erste in die Höhle der Eingeschlossenen zu fahren bereit seien, meldeten sich Leser großer Zeitungen sofort nach der Lektüre freiwillig.

• Dahin gehört die Erscheinung der Spionitis, wie sie z. B. 1914 in allen Ländern, auch in Deutschland, fast epidemisch auftrat. Im Gegensatz zu 1939 waren damals die Massen in Deutschland stürmisch, fast aufdringlich aktionsbereit. Völlig harmlose Menschen, die nachts am Mansardenfenster rauchend Ausschau hielten und die Pfeife zündeten, wurden bezichtigt, dem Feind „Lichtsignale gegeben zu haben". Menschen fremder Zunge oder in fremdartiger Kleidung wurden als Spione verdächtigt, aufgegriffen, festgehalten, oft verprügelt. Aber schon das Auftauchen eines im beliebten „Feldgrau" gekleideten Soldaten weckte sofort wieder soviel kindliches Vertrauen, daß die im „Auflauf" aktiven Spionensucher von ihrem Opfer abließen. 7 Am 7. 2. 1794 sagte ROBESPIERRE vor dem Nationalkonvent: „Terror ist nichts anderes als rasche, strenge und unbeugsame Gerechtigkeit. Er ist eine Offenbarung der Tugend." In: Proklamationen der Freiheit. Fischer-Bücherei Bd. 283, S. 85. 8 Vgl. dazu u. a. BASCHTITZ, K.: Du und die Masse. A.a.O., S. 84 ff. 9 Das Lindenblatt ist wahrscheinlich der Ursprung der Kokarde. Vgl. S. 240. 10 So konnte die Erstürmung zum ideologischen Symbol der französischen Freiheit werden. Noch heute ist der 14. Juli Nationalfeiertag. Zur Technik des Symbols s. S. 244.

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schnelle ist heute jede Barrikade weggefegt. 11 Bestenfalls hat sie noch symbolischen Wert („auf die Barrikaden gehen"). Dies zeigte sich schon 1905 bei der ersten russischen Revolution. Damals zog der Pope Gapon mit einer gläubigen Masse, guten Willens und in der Absicht, dem Zaren ein Manifest zu überreichen, zum Winterpalais. In Prozession ging man mit Fahnen und Heiligenbildern. Der Zug endete im Feuer der zaristischen Garden. Revolutionäre Massenaktionen, spontan und entschlossen vorgehend, können heute nur Erfolg haben, wenn das Militär entweder Gewehr bei Fuß verharrt oder selbst revolutionär ausgerichtet ist.12 Sobald so geschossen wird, zerstiebt die leidenschaftlichste Masse. Publizistisch lehrreich sind die revolutionären Aktionen, die 1918 die massenpsychologischen Kettenreaktionen bestimmten. Am Anfang stand der Aufstand der Matrosen und Werftarbeiter in Kiel, der sich, wie ein Flugfeuer auch auf andere Küstenstädte verbreitete. Anlaß war ein Gerücht. 13 Es hieß, die Flotte werde auslaufen, um im Kampfe ein „heroisches Ende" zu finden. Trotz eines Demonstrationsverbots folgten die Matrosen und Werftarbeiter einem Aufruf der improvisierten „revolutionären Führung" und protestierten auf dem Kieler Exerzierplatz. Man forderte die Freigabe politischer Gefangener. Der Befehlshaber wies dieses Ansinnen zurück. Vom Exerzierplatz aus marschierte eine Rotte zur Militärstrafanstalt. Die Kolonne wuchs zum revolutionären Aufmarsch an, zog sich aber auf einige Warnschüsse der Gefängniswache hin wieder zurück (was darauf hindeutet, daß sich die Masse bis zu einem gewissen Grad schon organisiert hatte). Der erste Ansturm war abgewiesen. Ein neuer Ausbruch folgte auf dem Schlachtschiff „König". Die Revolutionäre unter den Matrosen setzten dort den Kommandanten fest, hißten die rote Flagge und richteten die Geschütze auf das Oberkommando der Marine. Die militärische Macht ging in die Hände der Aufständischen über. Die Revolte wuchs ins Revolutionäre. Von Kiel aus fuhren Rotten roter Matrosen auf requirierten Lokomotiven in deutsche Städte. Die Suggestivkraft ihres Erscheinens lähmte in vielen Orten die militärische Führung. Die revolutionäre Bewegung setzte sich durch.14 Ein anderer revolutionärer Marsch wurde fünf Jahre später von Hitler versucht, der Marsch zur Feldherrenhalle im November 1923. Er scheiterte an dem damals 11 Man stelle sich demgegenüber die Hilflosigkeit einer Wache vor, die, noch mit alten „Vorderladern" ausgestattet, eine wirklich entschlossene, vielköpfige revolutionäre Masse abwehren sollte. Axt und Dreschflegel waren schneller als der Vorderlader (1848). Aber gegen die Feuerkraft moderner Waffen vermögen sie nichts auszurichten. 12 Die Aktion des 20. Juli 1944 konnte, so sehr sie von zivilen Widerstandskämpfern vorbereitet war, nur von der bewaffneten Macht ausgehen. 13 über die Verführungskraft von Gerüchten in politischen Spannungszeiten vgl. S. 229. 14 In Leipzig z. B. zogen etwa 50 von Kiel her angereiste Matrosen mit roten Fahnen und verkehrt umgehängten Gewehren in das Arbeiterhaus in der Zeitzerstraße und besetzten von dort aus, ohne auf Widerstand zu stoßen, das Rathaus und die Ortskommandantur (Augenzeugenschaft des Verfassers). In der Garnison war Schießbefehl erteilt, aber dann wieder zurückgezogen worden.

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noch festen Widerstandswillen der Staatsgewalt, war allerdings keineswegs spontan.15 Er sollte, nachdem eine revolutionär gedachte Kundgebung im Bürgerbräukeller keine Entscheidung gebracht hatte, den Sieg der Nationalsozialisten erzwingen. Wie in jeder revolutionären Aktion wurde erprobt, ob die Staatsmacht standhielt oder nachgab. Hier hielt sie stand. Die bayerische Polizei gab Feuer. Bei der panikartigen Flucht verschwand Hitler als erster. Einige Tote blieben auf dem Platze.16 Die Hitlerbewegung war zunächst zusammengebrochen. Das Gefüge des Staats hatte sich noch einmal als stärker erwiesen. 17 Totalitäre Machthaber bemühen sich stets, den Eindruck zu erwecken, als entsprächen ihre Willkürakte dem Willen des Volkes, ja seien von ihm gefordert. Dies ist das Kerngesetz aller totalitären Publizistik. Es wird daher alles publizistisch nur mögliche an Suggestion und Terror dazu aufgeboten, um die Massen zu Forderungen und Taten zu bewegen, die den Machtzielen der Führer dienen. Sie bringen, wie eine bekannte Redensart lautet, die „Volksseele zum Kochen", wenn sie sich aus propagandistischen Gründen auf die „Volksmeinung" berufen müssen. Sie schaffen, scheinbar spontan, in Wirklichkeit bis in Einzelheiten geplante und einstudierte Aufläufe, Demonstrationen, Terrorakte, den Schein einer generellen Zustimmung. Das Hitlerregime arrangierte „Massenaktionen" mit Meisterschaft. Die sogenannte „Reichskristallnacht" ist nur ein besonders folgenschweres Beispiel. Als Zivilisten verkleidete SS-Leute schlugen die Scheiben jüdischer Geschäfte ein, zündeten die Läden an und verhafteten die Inhaber. Andere setzten die Synagogen in Brand. Auf Befehl Hitlers griff die Polizei nicht ein. Hunderte von Menschen schauten tatenlos zu. Wenige versuchten, den Terrorakten Einhalt zu gebieten. Sie wurden erledigt.18 Den übrigen lag die Angst, „abgeholt zu werden", im Nacken. Nach draußen hin wurden die Gewalttaten gegen die Juden als „Aktionen des empörten deutschen Volkes gegen die jüdischen Blutsauger und Mörder" ausgegeben.19 Diese organisierten, aber als spontaner Volkswille maskierten Aktionen, die zur publizistisch-propagandistischen Überwältigungstaktik gehören, bezeichnen wir als propagandistisches Suggestivtheater.20 15 V g l . die w a h r s c h e i n l i c h z u t r e f f e n d e D a r s t e l l u n g H i t l e r , A . : M e i n K a m p f . Bd. 1: Eine A b r e c h n u n g . Bd. 2: D i e nat.-soz. B e w e g u n g . M ü n c h e n 1925—1927. 2 Bde. in 1 Bd. 906. A u f l .

1944.

" Ihre K ö r p e r w u r d e n 10 J a h r e s p ä t e r a l s die „ M ä r t y r e r der B e w e g u n g " in b r o n z e n e n S a r k o p h a g e n a u f g e b a h r t u n d bis z u m E n d e d e s R e g i m e s gleich H e i l i g e n v e r e h r t . V g l . d a z u S. 1 3 2 . 1 7 D i e Leiter der d a m a l i g e n A b w e h r , der S t a a t s k o m m i s s a r v o n K a h r u n d d e r K o m m a n d e u r der b a y e r i s c h e n S t a a t s p o l i z e i , m u ß t e n ihr V o r g e h e n b e i d e r e r s t e n G e l e g e n h e i t , die sich H i t l e r nach d e r M a c h t ü b e r n a h m e d a z u bot, a m 30. J u n i 1934 mit d e m L e b e n b e z a h l e n . Sie w u r d e n im Zuchthaus S t a d e l h e i m u m g e b r a c h t . 18 V g l . G r a m l , H.: D e r 9. N o v e m b e r 1938 (Reichskristallnacht). Hrsg. v . d. B u n d e s z e n t r a l e f ü r H e i m a t d i e n s t . Bonn, 1958, s o w i e D a s Parlament, Nr. 45 v o m 11. 11. 1953. 1 9 V g l . d e n V ö l k i s c h e n B e o b a c h t e r v . 10. u. 11. 11. 1938. D i e E r m o r d u n g d e s deutschen D i p l o m a t e n Ernst v o m Rath a m 9. 11. 1938 in Paris durch e i n e n jüdischen M a n n mit N a m e n Grünspan w u r d e zum V o r w a n d für diese ganze A k t i o n genommen. 20 U n t e r Suggestivtheater v e r s t e h e n w i r e i n e künstlich i n s z e n i e r t e u n d z u r (gestei-

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Im entschiedenen Gegensatz zu solchem Suggestivtheater steht der spontane Zug der Bauarbeiter von der Ostberliner Stalinallee in das Regierungsviertel und der Protestmarsch der Hüttenarbeiter aus Henningsdorf zur Berliner Stadtmitte am 17. Juni 1953. Der Vorgang vollzog sich ohne vorgeplante Ordnung. Passanten schlössen sich der Protestaktion an, und so schwoll die Zahl der Marschierenden von Minute zu Minute. Schon sammelten sich die Massen in der ganzen Zone zu Protestkundgebungen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß das Regime gestürzt worden wäre, wenn nicht die Panzer der Roten Armee die Massen auseinandergetrieben hätten. Hier wie später auch in Ungarn mußten die Freiheitskämpfer der straff geführten Militärmacht weichen. Die Ehre und das Symbol der Aktion selbst bleiben ungeschmälert. 21 Derart spontane Aktionen bilden in kommunistischen Ländern seltene Ausnahmen. Die traurige Regel ist das Suggestivtheater. So entschieden sich nun die Massenaktionen in demokratischen Ländern dem Geiste nach von den totalitären unterscheiden, eines scheinen sie gemeinsam zu haben: sie sind nur in seltenen Fällen ganz spontan. Das will nicht besagen, daß Massenaktionen in Demokratien nicht den Willen der Mitwirkenden ausdrückten. Aber die Tatsache, daß die Beteiligung freiwillig erfolgt, fordert trotzdem eine intensive Vorbereitung der Aktionen selbst, die freiwillige Teilnahme erweist den Erfolg. Die Vorbereitung von Massenaktionen ist moderne publizistische Generalstabsarbeit. Man vergleiche den Unterschied zwischen den wirklichen „Hungermärschen" in harten Notzeiten und der heutigen Variante: Massenmärsche, die verkehrstechnisch geregelt und unter polizeilicher Obhut vonstatten gehen: alle Beteiligten erhalten reichliche Verpflegung, am Demonstrationsziel erwarten sie Fürsorge und Unterkunft. 22 Massenpsychologische Entartungen (Einzelmorde, Lynchakte) sind auch in der freien Welt leider noch nicht ausgeschlossen. Derartige Massenaktionen können durch einen Massenwahn bedingt sein oder aus einem Massenrausch entstehen. Auch die „Masse par distance", das „disperse Publikum", kann, selbst bei scheinbar persönlicher oder gerade bei so eindringlicher Ansprache, wie sie die elektronischen Mittel ermöglichen, in panikartige, ja massenwahnähnliche Zustände geraten. Der Massenwahn — vom Hexenwahn bis zu den Judenverfolgungen — ist eine furchtbare Geißel der Menschheit, der fünfte apokalyptische Reiter. 23 gerten) Wiedergabe in Rundfunk und Fernsehen bis in Einzelheiten planmäßig organisierte Kundgebung mit bewußter technischer Fälschung. Näheres darüber S. 222. 21 Vgl. dazu BRANDT, ST.: Der Aufstand. Vorgeschichte, Geschichte und Deutung des 17. Juni 1953. Stuttgart 1954. 22 Eingehendere Darstellung s. S. 208. Dort auch Näheres über die Gesetze, die das Demonstrationsrecht garantieren und über das historische Herkommen der Massenaktionen. 23 Vgl. dazu S. 146. 8

Publizistik I

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Die Masse tritt unter publizistischer Führung in Aktion, um für oder gegen eine Forderung die Straße zu erobern, sich im „ A u f l a u f " zu sammeln, als „Rotte" aufzubrechen, außen gelenkt, v o n innen getrieben, den „revolutionären Marsch", die „revolutionäre Tat" durchzusetzen oder auseinanderzufegen, w o geordnete Kräfte ihr entgegentreten. Der Einzelne erlangt dann das im kollektiven Rausch getrübte oder im sogenannten „Massengeist" geminderte Ichgefühl schockartig zurück {„Panik"), oder es stellt sich langsam nach rationaler Überlegung oder überzeugender publizistischer Einwirkung wieder ein. Die heute hochentwickelte Technik der Kundgebung kann eine Veranstaltung (durch Rede, Musik, Lied, Aufmarsch usw.) zu einem Kult aufbauen, der ganz darauf zielt, die Massen sich an ihrer eigenen Zahl berauschen zu lassen, sie in ein Hoch- und Machtgefühl zu steigern. Die Übertragung solcher Kundgebungen durch Funk und Fernsehen oder deren Reaktualisierung im Film lassen Millionen v o n Menschen diese Kundgebungen miterleben, ob die Wiedergabe nun wahrhaft ist oder ob sie durch Entstellung oder Fälschung ein „propagandistisches Suggestivtheater" vorspielt. So ist auch die „Masse im Abstand" („par distance"), das „disperse Publikum", früher nur durch das geschriebene oder gedruckte W o r t oder den Lauf des Gerüchts erreichbar, heute durch die massenmäßig geübten (wenn auch individuell empfangenen) Sendungen der elektronischen Mittel als ein „Publikum unbegrenzter W e i t e " , als Masse zu führen. A l l e publizistischen Mittel, auch in der Massenführung, sind gesinnungsbestimmt. Es kann aus dem ehrlichen W i l l e n zur Wahrhaftigkeit gearbeitet, aber auch in agitatorischer Absicht gefälscht werden. Freiheitliche Bewegungen können in Gang gesetzt, aber auch demagogisch-pathologische Erscheinungen hervorgerufen werden bis zur Ausartung in den Massenwahn.

19. Die Grundgesetze der Massenführung aj Die geistige

Vereinfachung

Jede umfassende Publizistik ist heute Massenpublizistik oder möchte es (ideenfindend und wegweisend) werden. Damit soll den fachlichen und gruppengebundenen Mitteln (etwa der Fachpresse) ihre Bedeutung nicht abgesprochen werden. Jedes Fachblatt besitzt schon stofflich eine Individualität. Es ist eine Insel im Meer der Masse, ein Gegengewicht gegen die Isolierung des Einzelnen und die Verflachung des Ganzen. A b e r die Vergangenheit hat gelehrt, daß gerade der öffentlichkeitsblind gewordene Spezialist massenpsychologisch gefährdet ist. Die Notwendigkeit, die Masse als Ganzes anzusprechen, bleibt. geDaß bei jeder Massenführung klar und verständlich, massenverständlich, sprochen werden muß, sollte eine Binsenweisheit sein, aber sie ist es nicht! Man mokiert sich über die vereinfachende Ausdrucksweise der Massenführung anstatt sie als unerläßlich anzuerkennen, damit zu rechnen und gegebenenfalls den Mut aufzubringen, sie anzuwenden. Uber die ebenso platte w i e skrupellose aber gerade deshalb wirksame Propaganda-Aktion Hitlers hat man so lange gespottet, bis das Unglück da war. J A K O B B U R C K H A R D T S oft zitiertes W o r t v o n den „terribles simpli-

DIE GRUNDGESETZE DER MASSENFUHRUNG — DIE GEISTIGE VEREINFACHUNG

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ficateurs", genau übersetzt den „gräßlichen", den „erschreckenden" Vereinfachern wird meist vorgetragen, um die Vereinfachung abzuwerten und vor ihr zu warnen. Der Satz ist auch abwertend gemeint. Aber muß diese Mahnung immer so gedeutet werden? Müssen nicht auch erfreuliche, nützliche, wissenswerte, notwendige Dinge, Forderungen, Ereignisse vereinfacht gedeutet werden, sollen sie im Zeitalter des allgemeinen Wahlrechts jedem Staatsbürger klar sein? Ist nicht dieses Verständnis heute die allein sichere Basis für vernünftige politische Entscheidungen? — Die Vereinfachung, darüber darf keine Sentimentalität hinwegtäuschen, geht dem publizistischen und folglich dem politischen Erfolg voraus. Wer aus ästhetischem Dünkel oder gelehrtem Geiz auf diese Technik verzichtet, überläßt den Skrupellosen das Feld. Auch die Gewissenhaften müssen lernen, als gutartige „Simplificateure" die bösartigen oder auch nur die gegnerischen Simplificateure in verblüffender Vereinfachung matt zu setzen. Eben darin hat man in den Jahren von 1930 bis 1933 versagt. Man hat damals nicht gesehen: die publizistische Vereiniachung ist ein Mittel der Staatsräson. Den „terrible" simplificateur sollte man also unterscheiden vom „simplificateur utile", vom simplificateur „persuadant". Dem „simplificateur radical" sollte man den „simplificateur rational (rationalisé)" gegenüberstellen. Auch sollte der Unterschied zwischen der einfachen, der schlichten Sprache und der banalisierenden Sprache nicht übersehen werden. Viele Zusammenhänge können erst von der Öffentlichkeit begriffen werden, wenn sie eine vereinfachte Darstellung davon erhält. Der totalitäre Staat mauert das Gesetz der Vereinfachung als Grundstein in das Gebäude seiner unausgesetzt gleichschaltenden und ausrichtenden Propaganda.1 Aber auch im demokratischen Staat ist eine Publizistik erforderlich, die ständig überzeugend vereinfacht. Diesem Streben kann Temperament und Farbenfreude gegeben werden, solange Freiheit und Vielfalt der Meinungen gewährleistet und die Grenzen nicht überschritten werden, die die Würde des Menschen und seine unveräußerlichen Rechte einzuhalten gebieten.2 Die Kunst der Vereinfachung, so sollte man sie nennen, ist im komplizierten Lebens- und Leistungsvorgang der modernen Demokratie unentbehrlich. Man versuche nur einmal, einfache Gesetzestexte denen klar zu machen, auf die sie angewandt werden. Wie sollte es erst gelingen, schwierige und unpopuläre Gesetze verständlich zu machen?3 Es geht also in dieser Kunst der geistigen Vereinfachung darum, die ganze Mannigfaltigkeit des politischen Lebens in einfachste und gemeinverständliche Anschaulichkeit zu bringen, die große Kunst des politischen Publizisten. 1 Vgl. dazu S. 166. — über die Technik der Vereinfachung in der frühen marxistischen Agitation unterrichtet: KÜMHOF, H.: Karl Marx und die „Neue Rheinische Zeitung" in ihrem Verhältnis zur demokratischen Bewegung der Revolutionsjahre 1848/49. A.a.O., S. 106 ff. 2 Grundgesetz, Art. 1 und 2. 3 In der letzten Phase der Weimarer Republik z. B. wurden die tiefeingreifenden „Notverordnungen" als „sehr harte" „Notmaßnahmen charakterisiert, ohne plausibel zu machen, warum sie nötig waren, nämlich zur Verteidigung der Demokratie.

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DIE PUBLIZISTIK DER MASSENFÜHRUNG

Egozentrische Fachleute, in Details verzückte Sachbearbeiter, Goldwaagentiftler und Filigrannaturen sind in der Massenführung unbrauchbar, so wichtig sie auch in der Vorbereitung sein mögen. Intellektuelle Geizkragen, Steckenpferdreiter auf Nebensachen können, zumal wenn viele Köche die Zutaten für eine Rede oder eine Kundgebung liefern, eine an sich gesunde Kost ungenießbar machen. Formulierungen, die „sitzen", die „hinhauen", sind meist Einmannarbeit. Zum Kapitel der Vereinfachung gehört auch das Schlagwort mit seiner gedächtnishaftenden Kraft4 ebenso wie die jüngst üblich gewordene Neigung guter Redner, der langen Rede kürzesten Sinn in werbestarken Typensätzen zu modeln und sie so in Umlauf zu setzen.6 Oft werden auch Personen zu Schlagworten oder doch zu „Schlagtypen". Polemikern des Zeichenstiftes, genialen Karikaturisten gelingt es, sparsam in Strich und Schraffur, solche gedächtnishaftende Persönlichkeitstypen zu prägen. Person und das Persönliche •— angegriffen oder gefeiert — sind immer massenwirksam. Die Karikatur, die das Wesentliche übertreibt und das Nebensächliche fortläßt, lebt aus dem Grundgesetz der Vereinfachung." Hier, wenn auch nicht hier allein, kommt auch der Künstler in der Publizistik zu Worte. Er hat sich dabei aber immer der publizistischen Zweckmäßigkeit zu unterordnen. Die konkrete Auiga.be muß packend gelöst werden. A R I S T O T E L E S schon gab den anschaulichen Rat: Wer vor Zehntausenden Theater spiele, habe eine Szenerie aufzubauen, deren Kulissen in der Vereiniachurig „um so gröber sein müssen, je größer die Zahl der zuschauenden Massen ist".7 Dieses Grundgesetz bedeutet für den fähigen Massenführer noch nicht, daß er nun gleich den Allerdümmsten sich zum Richtmann nehmen müßte. Auch die Vereinfachung kann differenziert sein. Hitler z. B. kannte in seinen Reden verschiedene Grade der Vereinfachung und vermochte gerade deshalb die Masse stets zu packen.8 Auch der kritische Kopf, der „Eingeweihte", wird bei genialer Vereinfachung unerwartet die großen Zusammenhänge sehen. Sie würden nur schwer sichtbar werden, solange das Unterholz der Nebensachen die Aussicht versperrt.8 Diese Erfahrung haben z. B. alle großen Redner an ihren eigenen Reden gemacht: Bei Konzentration auf das Anschaulich-Wesentliche tut sich oft überraschend eine Fernsicht auf, die der nie genießt, der sich verzettelt. Wo aber in Kampfaktionen gesinnungsbestimmte Forderungen erhoben werden, erhalten sie durch Vereinfachung erst ihr verständliches Profil. Auch die vereinfachende Publizistik kann Vgl. S. 114. Ebenso in der Sowjetunion (Chruschtschow) wie in den USA (Kennedy) liegen treffende Beispiele vor. 6 Vgl. S. 248. Dort Einzelbegründung. ' ARISTOTELES: Drei Bücher der Redekunst und a.a.O. bei DÜRING: Aristoteles. 8 Hitler sprach 1932 in Düsseldorf mehrere Stunden vor Industriellen und soll — das wird neuerdings angefochten — allgemeinen Beifall gefunden haben. 9 Solche schlagend überzeugenden Prägungen finden sich z. B. in den Kriegsreden Churchills im Zweiten und in den Reden Lloyd Georges und Clemenceaus im Ersten Weltkrieg (vgl. S. 227). Zwei großpolitischen Gegnern der jüngsten Zeit war diese Gabe besonders zu eigen: Chruschtschow und J. F. Kennedy. 4 5

DIE GRUNDGESETZE DER MASSENFUHRUNG — DIE HÄMMERNDE WIEDERHOLUNG

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eine hohe Qualität erreichen. Billiger, aber keineswegs immer wirkungslos, ist es, auf niedrigste Stufen herunterzugehen. Geistige Vereinfachung also bleibt immer auf breiter Straße und meidet die Seitenwege. Dort, in den Seitenwegen, verlaufen sich die Massen. Um aber die Einfachheit und Anschaulichkeit der Form zu erhalten, das Wesentliche herauszuholen und das Nebensächliche abzustoßen, bedarf es einer vierten Voraussetzung: jede Massenwerbung verlangt aus den genannten Gründen eine zentrale und geschlossene Leitung. Daher hat es die Publizistik der totalitären Führung so einfach. Sie kommandiert. Jede demokratische Führung hat es sehr schwer. Sie muß frei gegeneinander stehende Meinungen auf einen Nenner bringen. Ihn auszuhandeln ist eine schwierige Aufgabe in der Demokratie. Sie ist aber eine Voraussetzung ihres Bestehens. Außenseiter sind gewiß Ausdruck liberaler Toleranz, schaden aber in der Massenführung. Sie werden lebensgefährlich, wenn sie in Kampfzeiten auftreten. 10 Lächerlichkeit tötet nicht, wie die publizistische Erfahrung vielfach zeigt, aber sie schwächt die Kampffreude und entwertet die Argumente. Jedenfalls haben es die freiheitlichen demokratischen Parteien schwer, zu überzeugenden Vereinfachungen zu kommen. Verfeinern können sich die Parolen in ihrer inneren Ausdeutung. In ihrer äußeren Kraft müssen sie ungebrochen sein. Erste Voraussetzung, die Massen anzusprechen, ist der vereinfachte, einprägsame, anschauliche Ausdruck. Noch der Letzte soll begreifen, und der Erste darf nicht abgestoßen sein. Das fordert eine geschlossene und einheitliche Führung. Der totalitäre Staat verkündet das Vereinfachte diktatorisch. Die Demokratie muß einen allgemein verständlichen Nenner aushandeln, mobilisiert damit aber auch aus freier Zustimmung Uberzeugungen in innerer publizistischer Wirkung. b) Die hämmernde

Wiederholung

Auch sie ist längst zum Gesetz geworden. Sie kann in breiter Werbung immer dasselbe sagen und damit oder gerade damit Wirkungen erzielen. 11 Verfeinern kann sie sich in der Aufmachung und Verpackung, aber im Inhalt sollte sie stets gleich bleiben. Kein Gesetz der Massenführung wird und wurde gerade in Kreisen geistiger Arbeit oder gewissenhafter Lebensauffassung weniger verstanden als dieses. Kaum eines wurde so verspottet und behauptete sich doch so verhängnisvoll, 10 So kann man sich darüber streiten, ob es den großen Parteien des Liberalismus mehr genützt als geschadet hat, daß sie sich in ihrer Parteigeschichte immer wieder gespaltet haben, gerade in der Auseinandersetzung über werbewirksame Programmpunkte. An krankhafter, als liberal gefeierter Zersplitterung seiner Parteien ist der Staat von Weimar zugrunde gegangen. Gerade gegen diese Zersplitterung hat die brutal einfache Propaganda der Nationalsozialisten leichte Erfolge erzielt. 11 Die (gegenüber der wissenschaftlichen Publizistik mit sehr kostspieligen Tests arbeitende) Wirtschaftswerbung zeigt auch bei teueren Werbeträgern (Fernsehen, großen „Illustrierten") in ihren Anzeigen eine oft kaum begreifliche Wiederholungstechnik. Sie wird wissen, warum.

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DIE PUBLIZISTIK DER M A S S E N F U H R U N G

stattete die A r g u m e n t e mit so unheimlicher Zugkraft aus. Hätte man die Diffamierung der W e i m a r e r Republik durch Hitler damit beantwortet, daß man das höchst anfechtbare Treiben v i e l e r seiner Leute und seiner selbst mit noch stärkerer, unerbittlicher W i e d e r h o l u n g immer w i e d e r und immer aufs n e u e mit allen Mitteln angeprangert, man w ä r e ihm beigekommen. 1 2 Stattdessen w u r d e versucht, s e i n e Lehre zu „analysieren", sie „zu erkennen", sie „einzuordnen". Bald hat man sich dann herbeigelassen, die nationalsozialistischen Agitationsformeln — der Schein ihrer Uneigennützigkeit b l e n d e t e — w e n i g s t e n s zum Teil als entwicklungsberechtigt zu bezeichnen. 1 3 Damit k a m e n sie erst recht in immer n e u e n Umlauf und hämmerten sich in die Köpfe und verbreiteten sich immer n e u aktuell eingekleidet. Sie erzeugten h e f t i g e Erregung, e n t z w e i t e n Freunde, Brüder und ganze Familien. Ihre eigentliche Leere und Unwahrhaftigkeit w u r d e oft kaum erkannt. Achtzig Jahre vorher hat der marxistische Sozialismus unter erfolgreicher W i e derholungsdynamik wachsende Teile der deutschen Arbeiterschaft g e w o n n e n . Der Arbeiter litt damals unter schlimmster sozialer Ausbeutung. V o n N o t bedrängt fand er kaum Muße, die n e u e Lehre zu durchdenken. A l s o mußte sie ihm einfach, 12 Als Schulbeispiel allgemein bekannt ist die Art, wie Cicero durch seine immer wieder aufgenommenen Reden Catilina überwand. Lehrreich stellen GEORGE O R W E L L und A L D O U S HUXLEY in ihren utopisch-totalitären Zukunftsromanen die Wiederholung als massensuggestive Kraft dar. So stellt Huxley in „Brave New World" dar, wie durch ständige Wiederholung einer These eine neue „Wahrheit" gewonnen wird („62 000 Wiederholungen ergeben eine Wahrheit"). Auch in Orwells „1984" kommt die Massenbeherrschung durch die unermüdliche Wiederholung des gleichen zustande. Ist eine Illusion erst allen eingehämmert, „ist sie für alle praktischen Zwecke von einer Wahrheit nicht zu unterscheiden". Vgl. auch: H O L Z , LUDWIG: Methoden der Meinungsbeeinflussung bei George Orwell und Aldous Huxley. Diss. Hamburg 1963. — BENJAMIN FRANKLIN hat das Gesetz der hämmernden Wiederholung in einem Brief an Richard Price (13.6. 1782) wie folgt charakterisiert: „The facility, with which the same truths may be repeatedly enforced by placing them daily in different lights in newspapers, which are everywhere read, gives a great chance of establishing them. And we now find, that it is not only right to strike while the iron is hot, but that it may be very practicable to heat it by continually striking." Zitiert bei C R A N E , V. W.: Benjamin Franklin's Letters to the Press 1758—1775. University of North Carolina Press (Chapel Hill, N. C„ 1950), p. 2. — Ober die Anwendung des Gesetzes der Wiederholung in der frühen marxistischen Agitation vgl. K Ü M H O F , a.a.O., S. 112 f. 13 So von den TAT-Leuten, die an den „starken Mann" glaubten, von Wilhelm Stapel in seinem „Deutschen Volkstum" und von Hugenberg und seinen Anhängern. Sie glaubten zu überwinden und wurden überwunden. Die NS-Propaganda hatte die Macht der Wiederholung frühzeitig erkannt und übte sie skrupellos und mit großem Erfolg. H I T L E R schrieb dazu in Mein Kampf: „Die Masse braucht in ihrer Schwerfälligkeit immer eine bestimmte Zeit, ehe sie von einer Sache Kenntnis zu nehmen bereit ist, und nur einer tausendfachen Wiederholung einfachster Begriffe wird sie endlich ihr Gedächtnis schenken." Ähnlich GOEBBELS: „Das Wesen der Propaganda ist unentwegt die Einfachheit und die Wiederholung. Nur wer die Probleme auf die einfachste Formel bringen kann und den Mut hat, sie .. . ewig . . . zu wiederholen, der wird auf die Dauer zu grundlegenden Erfolgen kommen." Vgl. dazu HEIBER, H . : Joseph Goebbels. A.a.O., insbes. S. 147 ff. — Die 220 Leitartikel, die Goebbels in der Zeitschrift Das Reich veröffentlichte, behandeln nur sieben Themen, für die er immer neue aktuelle Einkleidungen fand. Siehe dazu: BAUMANNS, B . : Der Hexenmeister der Masse. In: Einigung (Studentenzeitschrift) 1964, Nr. 4. 14 Vgl. dazu K Ü M H O F , H.: a.a.O., S. 29 ff.

DIE GRUNDGESETZE DER MASSENFÜHRUNG — DIE HÄMMERNDE WIEDERHOLUNG

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anschaulich und im Rhythmus einhämmernder Wiederholung nahegebracht werden. Im „Kommunistischen Manifest" geschah das mit einmaliger Überzeugungskraft.14 Seine Kernsätze bleiben, gleich rhythmischen Melodien, im Gehör, im Gedächtnis hängen. Sie treiben dazu, den Fall der Worte und Sätze sich immer wieder herzusagen.15 W i e jede „klassische" Flugschrift1" bringt das Manifest einschlagende Formeln, die sich festwurzeln wie ein von der Kindheit her gelerntes Glaubensbekenntnis. Das „Kommunistische Manifest" schuf die Terminologie des Marxismus.17 Heute hat der demokratische Sozialismus das Gehäuse dieser entzauberten Ideologie längst verlassen. Die Prophetie aber, fast ein Jahrhundert lang ständig wiederholt und unermüdlich verkündet, hat große Massen dem Sozialismus zugeführt. Das Gesetz der Wiederholung ist heute auch in der Publizistik der Entwicklungsländer wirksam. Wegen des noch vorherrschenden Analphabetentums muß sich die publizistische Ansprache akustisch und im Bilde vollziehen, was ihre immer erneute Wiederholung (vor allem auch im Rhythmus des Liedes) nur um so dringlicher macht.18 Umgekehrt sind andere Formen der Wiederholung, aber eben doch Formen der Wiederholung angebracht, wenn, wie in den europäischen Ländern, eine in großer Wirtschaftskonjunktur genießerisch lebende Gesellschaft zu notwendigen politischen Erkenntnissen („Maßhalten", „Notstandsgesetzgebung") angehalten werden soll. Jede ernsthafte Publizistik hat es um so schwerer, je selbstsicherer und sorgenloser die Angesprochenen sind. Mephistos Vorschlag: „Du mußt es dreimal sagen" wird in der modernen Massenführung vertausendfacht.19 Eine der Folgen der hämmernden Wiederholung ist die Verhärtung von bestimmten Erfahrungen und Vorstellungen in erstarrte Typen, sogenannten Stereotypen. Das sind unbewegliche, klischeehafte, oft verzerrte und unzutreffende Verallgemeinerungen, für die Einzelne sowohl wie ganze Gruppen, Berufe, Völker sich so anfällig zeigen.20 Solche Stereotypen sind oft sehr alt, werden aber von publizi-

15 „Der Proletarier hat nichts zu verlieren als seine Ketten, er hat eine W e l t zu gewinnen. Proletarier aller Länder vereinigt Euch!" 16 Uber die Technik der Flugschriften s. S. 269. 17 „Das Kapital" (unvollendet; 3 Bde. 1867—94), das Hauptwerk von Karl Marx zu studieren, blieb den Theoretikern der Partei, ihren geistigen Pfadfindern, den Professoren und den akademischen Seminaren vorbehalten. Vgl. dazu S. 57. 18 Vgl. dazu das publizistisch aufschlußreiche Buch v o n PRAKKE, H. J.: Publizist und Publikum in Afrika. Köln 1962. 18 Publizistische Mittel, die ihrer Natur in regelmäßiger Periodizität stehen, vor allem die Zeitung, kommen der Technik der Wiederholung bewußt entgegen. Festliegende Nachrichten- und Kommentarsendungen haben eine ähnliche, aber, da sie ihre Aussagen nicht schriftlich fixieren, geringere Wirkung. 20 Vgl. dazu MALETZKE: Grundbegriffe der Massenkommunikation. A.a.O., S. 205. Meisterhaft, wenigstens in der praktischen Darstellung, hat WALTER LIPPMANN in der 40 Jahre nach der Erstauflage von 1922 erscheinenden deutschen Fassung seines Buches Die öffentliche Meinung. A.a.O. (S. 61 ff.) die gesellschaftliche Wirkung der Stereotypen geschildert.

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DIE PUBLIZISTIK DER M A S S E N F Ü H R U N G

stischen Aktionen immer wieder geweckt. Sie liegen sozusagen in den Gehirnschubladen der Massen bereit. Zäh behauptet sich z. B. die anfangs nur preußische, dann als Symbol des deutschen Militarismus immer wieder hergeholte „Pickelhaube". 21 Lange vor dem Ersten Weltkrieg wurde sie von der deutschfeindlichen Propaganda als Zeichen für den „Boche" und den „Hunnen" in der Karikatur verwandt. Es blieb dies Symbol auch in den Propagandakämpfen des Zweiten Weltkriegs. Schon seit Gillray wird der Deutsche als dickwanstiger Biertrinker, Sauerkraut- und Würstchenesser dargestellt. Weitere Attribute sind der Tirolerhut, die Seppelhose, der Dackel. Auch die kirchenfeindliche Propaganda arbeitet — international — mit eingefahrenen Stereotypen. Die polemische Typisierung des „Pfaffen" hat sich seit 400 Jahren kaum geändert. Es gibt den „Pfaffentyp" in evangelischer und in katholischer Version. 22 Beide Spielarten sind bereits im Zeitalter der Glaubensspaltung entstanden 23 und stehen bis heute unentwegt und in jeder graphischen Technik gegen Männer geistlichen Standes jeder Konfession. Tausendfach vervielfältigt und immer wieder eingehämmert sind sie schon vor vier Jahrhunderten in das internationale Arsenal kritischer Gegner der Kirchen eingegangen. In der scharf religionsfeindlichen Agitation der Französischen Revolution tauchen sie, kaum modernisiert, wieder auf.24 Im (alten) „Simplicissimus" sind sie von T H . T H . H E I N E scharf satirisch und von O L A F G U L B R A N S S O N polemisch aber mehr humorvoll weitergebildet, um dann in der sowjetrussischen Karikatur, beinahe wie kopiert, wieder da zu sein.25 Es gibt also durch unermüdliche Wiederholung geradezu gestanzte Begriffstypen (Stereotypen), die der sogenannten Flüchtigkeit und Vergeßlichkeit der Masse Hohn sprechen. Die Geschichte selbst hat sie, zäh wiederholend, so erfolgreich zurechtgemodelt, daß sie zum Dauerbestand geworden sind. Auf den Erfolg der Wiederholungsdynamik in der Wirtschaftswerbung wurde bereits hingewiesen. 26 Umfassend über diese Problematik orientiert der 3. Bd. der Reihe Politische Psychologie: VORURTEILE. Ihre Erforschung und ihre Bekämpfung. Frankfurt a. M. 1964. 21 Ihre Entstehung wird auf die Helmzier der Deutschen Ordensritter zurückgeführt, die, als sie in Palästina kämpften, an der „Spitze" auf ihrem Helm einen Schutzschleier gegen den Sandsturm befestigten. Sie geht also bis in das 12. Jahrhundert zurück. 22

Vgl. S. 248. Passional Christi et Antichrist! 1522; vgl. CENTGRAF, A.: Martin Luther als Publizist. Frankfurt a. M. 1940, S. 65 ff. 23

24

BLUM, A.: La caricature révolutionnaire. Paris 1916. So in der Zeitschrift der sowjetischen Gottlosenbewegung Beschbosdinik und später in der Moskauer satirischen Zeitschrift Krokodil. Besonders bezeichnend sind die Karikaturen über KARDINAL MINDSZENTY für die vorgeprägten Züge einer jahrhundertealten Wiederholung. Einzelheiten und Literaturangaben vgl. S. 245 ff. 25

28 Wir rechnen das uns rein technisch in manchem verwandte Gebiet der Wirtschaitswerbung nicht zur Publizistik und gehen daher auf die dort sich abspielenden interessanten Vorgänge der Massenführung nicht näher ein vgl.: SEYFFERT, R.: Theorie u. Praxis der Werbung 2. Bd. Stuttgart 1966. •— Auch die Typenbildung rein unterhaltender Natur, z. B. in Wildwest- und Kriminalromanen, lassen wir beiseite. Aber die dort mit dem Wiederholungsgesetz bewirkten Erfolge belegen überzeugend das hier festgestellte Grundgesetz.

DIE GRUNDGESETZE DER MASSENFUHRUNG — DIE GEFUHLSMÄS5IGE

STEIGERUNG

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Die hämmernde Wiederholung ist das rhythmische Gesetz der Massenführung. Sie ist das immer wiederkehrende Fugenwerk der Publizistik. Erst diese unermüdliche Wiederholung setzt Haltepfeiler in die Vergeßlichkeit der Massen. Auch wenn die Dynamik der Wiederholung auf wenige abstoßend wirkt, stößt sie keineswegs allgemein ab. Die stets gleiche Aussage wechselnd und geistvoll einzukleiden und einen Rhythmus zu finden, dem sich die Umworbenen überlassen, der ihnen schließlich ins Blut geht, erfordert den Geschmack oder die Unverfrorenheit, jedenfalls das Geschick eines großen Könners. c) Die gefühlsmäßige

Steigerung

(„Emotionaiität")

Das dritte Element der Massenführung ist das wirksamste: das Emotionale, die gefühlsmäßige Steigerung. Sie reicht vom flach Sentimentalen über die flammende Erregung bis zur krassen Triebhaftigkeit. Das „Emotionale27" ist mehr als das bloße „Gefühl". Der Begriff umfaßt auch die in der Massenführung so oft entfesselte Gewalt der Triebe. Mit ihm ist auch der leidenschaftliche Aufschwung im persönlichen Sinne bezeichnet. Die Masse, so heißt es, habe einen kleinen Verstand, aber ein großes Herz. Man kann dieses Urteil aus Erfahrung ergänzen: die Masse ist zu einem inneren Enthusiasmus fähig, zu einer Hingabebereitschaft, die sich bis zur Selbstaufgabe steigern, aber sich auch in Haß verzehren kann. Der Zauberstab des Massenführers ist immer über ihr. Die Emotionaiität, also die Steigerung aller Gefühle und Triebe, kann ebenso die ethische Kraft wie die Brutalität auslösen. Wer also Masse anspricht, muß gefühls- und triebmäßige Kräfte in Bewegung setzen. Die Mittel dazu sind, der Natur der Massenführung entsprechend, psychologisch einfach. Gelegentlich nehmen sie Umwege, bleiben aber auch dann unkompliziert und immer höchst eingängig. Die publizistischen Mittel, wie die übrigen Kräfte der Massenführung, müssen auch hier auf lange hin wiederholbar sein aber gleichwohl weiter zünden. Soviel Hitze müssen sie haben, so starke potentielle Spannungen bereithalten, daß sie Aktionen auslösen können. Für später notwendige Kampagnen lassen sich Energien in seelischen Druckkammern sammeln. Zum Platzen gestaut können sie explosiv losgehen.28 Diese harten Kennzeichnungen sollten uns nicht lähmen, daran zu arbeiten, daß Massen aus Vernunft und Gewissen geführt werden. Solange aber Teile der heute weltweit verbreiteten Propaganda Masseninstinkte ansprechen, sollte deren Technik auch zur Abwehr bekannt und erkannt sein. 27 Emotio von lat. movere = bewegen, erregen; mens emota heißt, vom Menschen gesagt, irrer, verrückter Sinn; franz. émotion bedeutet Aufregung im weitesten Sinne der Gefühlsskala. Der Begriff wird oft publizistisch gebraucht in dem Sinne von Gärung, Spannung; engl, emotion heißt bewirkte Erregung, während der deutsche Begriff „Gefühl" („Gefühl ist alles, Name ist Schall und Rauch") von dieser Dynamik nichts weiß. In der „Emotion" — das also besagt der Begriff — werden die trieb- und instinktmäßigen Mittel in ihrer Dynamik sichtbar. Vgl. auch HOFFER, E.: Der Fanatiker. Eine Pathologie des Parteigängers. Hamburg (rde) 1965, S. 54 ff. 28 Die strategischen und taktischen Feldzüge der totalitären Mächte zeigen solche Planung. Siehe auch „Aktualität", S. 21.

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DIE PUBLIZISTIK DER MASSENFÜHRUNG

Die trieb- und gefühlsmäßigen Kräfte der Massenführung gliedern wir in sieben Gruppen mit sehr einfachen Unterteilungen. 1. Der Haß Unumstritten geht in fast jeder publizistischen Aktion die negative Kraft vor der positiven, die Beschuldigung vor der Anerkennung, die Kritik vor der Begeisterung. In der Massenführung — das haben die Propagandakämpfe in den Weltkriegen gezeigt — ist der Haß die wirksamste Kraft, eine bedauerliche, aber immer wieder erwiesene Realität. Der Haß (besonders da, wo er aus der Urangst wächst) zündet selbst in gefühlsstumpfen Menschen. Er führte in der Menschheitsgeschichte zu den gefährlichsten Ausbrüchen. Haß ist eine unausgesetzt bohrende, ätzende Kraft, in der sich vielerlei zusammenfindet: Empörung und Ohnmacht, Wille zur Gewalt und dumpfe Angst, überhitzung und Kälte, übelwollen und Verbitterung. Der Haß erwächst aus Verachtung wie aus Bewunderung, aus Minderwertigkeits- und Überlegenheitsgefühl, aus schlechtem Gewissen und aus dem Glauben, auserwählt zu sein. Er löst weitere Negativgefühle, Destillate seiner Grundnatur. In der Vielfalt sind sie der Vielfalt der publizistischen Aufgaben leicht anzupassen. Vor allem ist der Neid ein mächtiger Antrieb aller Agitation. Mißgunst und Bosheit werden in bestimmten Formen der Publizistik mit Wollust geübt und mit Ingrimm applaudiert. Zu den giftigen Antrieben gehört schließlich auch das Ressentiment, die schleichende Erinnerung an ärgerliche Vorkommnisse. In der Massenführung verfällt der Einzelne dem Haß um so eher, j e mehr er notbelastet und bedrängt ist oder j e stärker er die Wiederkehr einmal durdilittener Notzeiten fürchtet. So wird der Haß gleichsam ein natürlicher Selbstschutz gegen das Befürchtete oder als bedrohlich Vorgespielte. Man sucht oder zeigt einen Schuldigen und haßt ihn in Vergeltung alten oder in Abwehr neuen Leides. So werden Haßgefühle auch zur Abwehr wirklicher oder angenommener oder vorgespielter Bedrohung wachgerufen: ein immer wieder angewandter Propagandatrick, aus dem vor allem die totalitären Mächte sich erhalten. Nur selten ist diese Tatsache, daß Haß der stärkste Motor der Massenführung ist, von den Massenführern selbst offen ausgesprochen worden. Klug hat H E I N E argumentiert, was Liebe nicht vollbringen könne, schaffe ein gemeinsamer Haß. 29 Unter den Massenführern hat Hitler sich am deutlichsten zum Haß bekannt, sogar in religiöser Verbrämung: „Gott gab uns in unserem Kampf seine Gnade in 29 HEINE, H.: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. 1834. — Vgl. die aphoristischen aber treffenden Ausführungen über den Haß in der Massenführung bei HOFFER, a.a.O., S. 65. Nur sehr wenige Massenführer der Geschichte sind, ohne den Haß zu mobilisieren, zu Erfolg gekommen. Einer der wenigen ist BERNHARD VON CLAIRVAUX, der sich z. B. in der Abwehr der furchtbaren, mit den Kreuzzügen aufkommenden Judenverfolgungen durch Autorität und zwingende Güte („doctor mellifluus") durchsetzte. Vgl. VACANDARD, E.: Das Leben des hl. Bernhard. Mainz 1897. — VOGT, K. A.: Bernhard von Clairvaux. Saarbrücken 1949. — HEER, F.: Aufgang Europas. Wien 1949.

DIE GRUNDGESETZE DER MASSENFÜHRUNG — DER HASS

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übervollem Maße. Als schönstes Geschenk brachte er uns den Haß unserer Feinde. 30 " Psychologisch hat M A X S C H E L E R festgestellt: „Haß ist das notwendige Anregungsmittel wenig kampflustiger Elemente. 31 " Die amerikanische Literatur über die Propaganda des Ersten Weltkriegs kennzeichnet die Rolle des Hasses aus einer fast naturwissenschaftlichen Beobachtung. G E O R G E C R E E L , während des Ersten Weltkriegs Leiter des Propagandakomitees in den Vereinigten Staaten, schreibt über die Haßwirkung: „Without hate, there can be no propaganda. Give me something to hate and I guarantee to organize a powerful propaganda-campaign within twenty-four hours. 32 " Allerdings blieb man sich in den angelsächsischen Staaten der Unwahrhaftigkeit dieses Mittels bewußt. Man hat seine Anwendung nach dem Friedensschluß in loyaler Form bedauert. 33 Die Auswirkung von Haßaktionen zwischen den Völkern ist hochpolitisch. Wenn ganze Eisfelder des Hasses sich zwischen ihnen ausbreiten, so werden politische Tatsachen geschaffen, die politischen Kräften gleichkommen. 1918 etwa hatten C L E M E N C E A U 3 4 in Frankreich und L L O Y D G E O R G E in England (er führte noch 1918 die „Khakiwahlen" mit leidenschaftlichen Appellen an die Haßkomplexe der Massen durch) eine Intensität des Hasses geschaffen, gegen die W I L S O N S idealistische Friedensidee sich nicht durchsetzen konnte 35 . Es wäre lehrreich, zu prüfen, inwieweit dieser metertiefe Bodenfrost des Hasses verhängnisvolle Bestimmungen des Versailler Vertrags mitverschuldet hat.3® Aus diesen Erfahrungen lernten die Völker, vor allem die Vereinigten Staaten. Sie haben die Haßpropaganda, die im Gange des Zweiten Weltkriegs nichts zu erfinden brauchte, weil das Hitlerregime ihr mit furchtbaren und diesmal wahren Vorgängen den Stoff lieferte, nach dem Zweiten Weltkrieg sofort abgebremst. Als damals große Teile der amerikanischen Öffentlichkeit feindschaftlich die Verwirklichung des Morgenthau-Plans, also die Reagrarisierung Deutschlands forderten, gelang es einer bewundernswerten weitgefaßten Publizistik, die Öffentlichkeit von der Unmöglichkeit dieses Plans zu überzeugen. Man gewann sie für den Kriegsrede 1942. Hitler sah im Haß seiner Gegner eine Wertung seiner selbst. SCHELER, M . : Antisemitismus. Berlin 1 9 2 0 . 32 CREEL, G.: HOW we advertised America. New York 1920, S. 40. — Vgl. dazu vor allem PETERS, D . : Das „US-Committee on public information". Ein Beitrag zur Organisation und Methodik der geistigen Kriegsführung in den USA im Ersten Weltkrieg. A.a.O. 30

31

33

V g l . PETERS, a . a . O . , S. 1 0 0 .

Das ihm nachgesagte, auf die Deutschen bezogene Wort: „Vingt Millions de trop" hat er nie gesagt. Vgl. MEIER, E.: 20 Millionen zu viel. Zur politischen Schlagwort- und Legendenbildung. In: Publizistik 1958, H. 3. 35 Wie die deutsche Propaganda des 1. Weltkriegs die Haßkomplexe schürte, beweist ein Teil der Kriegslyrik schon von 1914. Dabei ist Lissauers Haßgesang gegen England („Gott strafe England") noch milde gegen manche Strophen auch literarisch bedeutender Persönlichkeiten. Freilich kam die Intensität des Hasses nicht an die Übersteigerung heran, die durch Northcliffe der Propaganda der Entente im Ersten Weltkrieg gegeben wurde. Vgl. S. 27 Anm. 30. 36 Die Haßvorstellungen gingen z.T. in Massenwahn über. Vgl. BASCHWITZ, K.: Der Massenwahn. A.a.O. 34

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DIE PUBLIZISTIK DER MASSENFUHRUNG

Marshall-Plan, der zum Wiederaufbau Deutschlands entscheidend beitrug. Nur wer weiß, wie schwer eingehämmerte Haßkomplexe zu überwinden sind, kann die Größe dieser Leistung würdigen. Sie war ein Meisterwerk der verbreitenden und gewinnenden Publizistik. Als „Sicherung der Freiheit" mobilisierte Hitler den Haß in grober Psychologie: „Zum Freiwerden gehört Haß, Wille, Trotz .. . , vor allem aber immer wieder Haß.37" In der völkischen38, vor allem in der nationalsozialistischen Ideologie und Publizistik spielt der Haß eine entscheidende Rolle.39 Auch die kommunistische Massenführung kennt seine Brisanz. Besonders in den unteren Rängen der Agitation wird er immer wieder geschürt. Aber auch in der Literatur40 und in theoretischen Leitartikeln41 wird der Haß gegen den „Klassenfeind" beschworen. Im Januarheft 1965 der Monatszeitschrift des ZK der SED, „Einheit", ist z. B. zu lesen: „Unser Kampf für Frieden und Menschlichkeit, gegen Militarismus und Imperialismus . . . schließt auch die Erziehung unserer Staatsbürger zum Haß gegen die Feinde unserer Nation ein. Wir sagen es laut, daß wir hassen und zum Haß erziehen, denn wer seine Mitmenschen liebt . . . , der muß um der Liebe willen die monokapitalistischen Strategen und Fabrikanten des Todes hassen." Eine lehrreiche Aussprache über die Erziehung zum Haß führten Pädagogen und Politiker in der sowjetzonalen Zeitschrift „Sonntag" 1965.42 Haß wird hier als 37

Rede vor der Jugend auf dem NS-Parteitag 1936, V. B. 13. 9. 36. Vorher in ähnlicher Fassung in einer Rede vom 10. 4. 1923. BOEPPLE, E.: Hitler-Reden. München 1933. Haß ist auch das Antriebsmittel des Antisemitismus. Die Person und die Aktionen Streichers liefern dafür den Beweis. Vgl. vor allem REICHMANN, E. G.: Flucht in den Haß. Die Ursachen der deutschen Judenkatastrophe. Frankfurt o. J. Verbreitet wurde der Judenhaß auch in den politischen Liedern. Vgl. S. 222. 38 G Ü N T H E R , H A N S : Ritter, Tod und Teufel. Der heldische Gedanke. 3. Aufl. München 1928 verklärt den Haß als eine Art völkischen Mythos. 39 GOEBBELS, J.: Die Juden sind schuld. In: Das Reich v. 16. 11. 1941. Schärfer noch in: Der Angriff v. 20. 7. 1943: „Erbarmungslos und ohne Gnade soll der Haß geführt werden! Der Weltfeind stürzt, und Europa hat seinen Frieden." — M J Ö L N I R (d. i. Hans Schweitzer) und (J.) GOEBBELS haben mit dem „Buch Isidor". 2. Aufl. München 1929 ein Paradebeispiel für die Aufstachelung zum Haß gegeben. Der Untertitel ihres Buches lautet ausdrücklich: Ein Zeitbild voll Lachen und Haß. 40 In der „Freiheit" (SED), Halle a. d. Saale, Nr. 261 v. 6. 11. 1959 erschien ein Gedicht von ERIK N E U T S C H , in dem es u. a. heißt: „Haß! Schreit doch den Haß in jede Wohnung, / lernt doch zu hassen ohne Schonung! / Haßl Tragt ihn hinein in stille Gassen, / lehrt auch die Blumen, heiß zu hassen. / Haß! Kehre in meine Feder wieder, / werde das Lied jetzt aller Lieder. / Haß! und es erhebt sich in heißem Hasse / gegen den Klassenfeind die Klasse." 41 Vgl. z. B. EISLER, G.: Polemik mit heißem Herzen und blühender Feder. In: Neue Deutsche Presse 1 9 5 3 . H. 5 , S. 5 . —• N O R D E N , A.: Für eine kämpferische und parteiliche Satire. In: Neuer W e g 1957. H. 1, S. 9—12. — Uber die Anfänge der Haßpropaganda in der frühmarxistischen Agitation vgl. auch KÜMHOF, a . a . O . , S. 1 1 4 f. 42 Vgl. Sonntag 1965, Nr. 24—29: „Die kommunistische Ethik erzieht dazu, die Feinde zu hassen und verlangt, diesen Haß nicht nur in Worten, sondern auch in Taten wirksam werden zu lassen." (Zitat aus: SISKIN, A. F.: Die Grundlagen der kommunistischen Moral. Berlin [Ost] 1958. — Ders.: Grundlagen der marxistischen Ethik. Berlin [Ost] 1964.) Fanatisch erklären jugendliche Autoren den Haß als eigentliches Lebensziel. JOSEF SOKOLLNIK, ein

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eine Art Technik zur Abwehr des „Klassenfeindes" verkündet. „Haß", heißt es weiter, „weil er hilft, Leben zu schützen, ist . . . größere Liebe als Duldung". Das Blatt regt dann an, statt dem Haß künftig dem Patriotismus eine Vorzugsstellung einzuräumen. Terror ist die Umkehrung des Hasses, Umkehr, nicht Gegenteil. Er ist die berechnete, haßgeleitete Aktion, einen angenommenen oder erwarteten Widerstand von vornherein zu unterdrücken, ihn durch Schrecken zu lähmen, schon seinen Ausbruch unmöglich zu machen. Terror kann durch eine Regierung ebenso betrieben werden wie durch eine organisierte, oft sogar durch eine spontane Masse. Die oppositionelle Publizistik weicht unter dem Druck der Terroristen in die Illegalität oder die Camouflage aus.43 Selbst gespielten Enthusiasmus vermag der Terror zu erzeugen, wenn er die Massen zu Pflichtkundgebungen auf die Straße zwingt 44 , wenn er sie in geschlossener Phalanx marschieren und vor den Tribünen vor der Kamera im Lichte der Jupiterlampen jubelnd und mit Blumen grüßend paradieren läßt. Zum terroristisch erzeugten und terroristisch wirkenden Enthusiasmus gehört auch, was wir in der Theorie der Propaganda bereits das Suggestivtheater nannten. 43 Selbst Klarsehende haben es schwer, der terroristisch angekurbelten Massenwalze auszuweichen. Naive und Unerfahrene verfallen dem Suggestivtheater! Hat erst der Terror die Verfallenen und Fanatisierten kollektiviert, schlägt der Haß gegen Andersmeinende oder Anderswollende jäh um sich. Schließlich wird der Terror Mittel der Staatsführung, z. B. in den totalitären „Reinigungsaktionen". Er legt sich wie eine lähmende Starre über die terrorisierte Masse. Die ständige Furcht vor dem Spitzel sowie die als psychologisches Druckmittel hochgetriebene Angst davor, „abgeholt zu werden", tragen erheblich zur Entstehung dieser Atmosphäre bei.46 Neben dem alter Kämpfer der Kommunistischen Partei, erklärt: „Wenn man mich heute fragt, wer mir die Kraft gab, all die Prüfungen zu bestehen, dann sage ich: es war der Marxismus-Leninismus, und dazu gehört ein glühender Haß. Ein im Herzen glühender Haß gegen den Klassengegner braucht auch Nahrung, wenn er nicht erlösdien soll." — Moebus, G.: Erziehung zum Haß. Berlin 1956. 43 Vgl. S. 71 u. S. 79. 44 Mannigfach sind die Zwangsmaßnahmen, die kollektive Begeisterung anzuheizen: Zwang, zu flaggen; Zwang, Fahnen und Hoheitsträger zu grüßen; Zwang zur Teilnahme an Kundgebungen; Zwang, politische Lieder zu lernen und zu singen; Zwang, Beifall zu zollen (zur Kontrolle mit hochgehobenen Händen!); Zwang, öffentlich und deutlich hörbar mit „ja" zu stimmen; Zwang, zum Zeichen der Zustimmung Plaketten oder Spruchbänder in Umzügen zu tragen; Zwang, Bilder, Bücher, Zeitungen zu kaufen und sie auszulegen. Wer im Höhepunkt der NS-Hybris (schon 1938, spätestens aber 1940) die einer marschierenden Gruppe voraufgetragene Hakenkreuzfahne nicht grüßte wurde aus der Kolonne heraus beschimpft, angehalten, zur Reverenz gezwungen oder, bei Widerstand, verprügelt. 45 Vgl. S. 112. 46 über die Zustände in den KZ verlautete nur so viel, als nötig war, um diese Atmosphäre zu schaffen. Dazu Hitler: „Ich will nicht, daß man aus den KZ Pensionsanstalten macht. Der Terror ist das wirksamste politische Mittel. Diese sogenannten Greueltaten ersparen mir 100 000 von Einzelaktionen gegen Aufsässige und Unzufriedene." Rauschning, H.: Gespräche mit Hitler, Zürich 1940, S. 81 f. Hier ist der publizistische Zweck des Terrors eindeutig ausgesprochen.

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DIE PUBLIZISTIK DER MASSENFUHRUNG

krassen Haß sind verdünnte oder legierte Haßgefühle Triebmittel mancher Teile der Publizistik. Da ist der Neid. M C D O U G A L L nennt ihn „eine zweigliedrige Verbindung aus negativem Selbstgefühl und Zorn.47 Die Natur dieser für publizistische Zwecke oft entfachten Leidenschaft hat aber mit Zorn nichts zu tun. Zorn ist offener, ehrlicher Ausbruch („der Zorn der freien Rede", A R N D T ) . Er verraucht schnell, Neid dagegen wühlt. Er ist eine Verbindung von Besitzstreben mit dem Gefühl der Ohnmacht, zu erringen, was man gerne haben möchte und dem anderen nicht gönnt. Gerade die Zwitternatur dieses Gefühls ist es, die sich für publizistische Ziele so gut nutzen läßt. Ähnlich dem Haß ist der Neid bei sozialen Kämpfen ein wirksames Antriebsmittel. Hier tritt er meist verbrämt auf. H E L M U T S C H O E C K hat das in seiner Studie „Das Problem des Neides in der Massendemokratie" 48 an aktuellen Beispielen einleuchtend dargetan. Mehr oder weniger versteckt aufgewiegelte Neidkomplexe zeigen sich in den Parolen der Wahlkämpfe, oft als ein mächtiger Motor. Auch technisch unrentable Steuern werden nur mit Rücksicht auf die vielen „Neidhammel" erhoben. 4 " Sogar großzügige soziale Hilfsaktionen können aus der Angst vor dem Beneidetwerden ertragreich werden, Zeugnisse für das Entlastungsbedürfnis der Besitzenden. 50 Ein weiterer verdünnter Haßkomplex wirkt in der Mißgunst. Ihr publizistischer Ausdruck ist die Bosheit. Sehr unerfreulich aber auch sehr geeignet, in publizistischer Polemik die Mauer der Gleichgültigkeit zu durchbrechen51, also unmittelbare Anteilnahme wachzurufen. Bosheit ist immer zugkräftig, wenn sie die Minderwertigkeit gegen die Leistung, die Dienenden gegen die Autorität aufruft. Im Fachjargon wird dieser Riß, dieser Verriß erfolgreicher Persönlichkeiten ins Niedermenschliche als „Striptease der Prominenz" glossiert. Es ist der Protest des Einzelmenschen gegen die Nummernhaftigkeit seines Daseins. Wenn er schon MCDOUGALL, W.; Grundlagen der Sozialpsychologie. Bern 1945. In: Masse und Demokratie. Erlenbach/Zürich/Stuttgart 1957, S. 239—272. Ausführlich ist er auf diese publizistisch sehr wichtige Emotionskraft in einem Buche eingegangen: SCHOECK, H.: Der Neid — Eine Theorie der Gesellschaft. Freiburg i. Br. 1966. 49 Als Beispiel nennt SCHOECK die Sektsteuer. 50 SCHOECK, Das Problem des Neides in der Massendemokratie. A.a.O., S. 271 f. zitiert ein Wort Wilhelm Roschers: „Während die meisten anderen Sünden am Anfange doch wenigstens scheinbar Freude machen, macht das Neidgefühl von vornherein unglücklich. Und doch ist der Neid in demokratischen Zeitaltern wie dem unsrigen ganz besonders verbreitet. Unzählige Stimmungen, die wir uns selber als Rechtsgefühl ausmalen, sind im tiefsten Grunde von neidischen Regungen angekränkelt." ROSCHER, W.: Geistliche Gedanken eines Nationalökonomen. Dresden 1895, S. 57. 51 Wo in der Publizistik die Bosheit zum Selbstzweck wird, gehört sie meist kaum noch zu den Mitteln eigentlicher Massenführung, wenngleich Bosheit immer dahin tendiert, vom nützlichen Zweck abzulenken. Ein Schuß Bosheit steckt in jeder Satire, besonders da, wo sie einem intellektuellen Publikum schmeicheln soll. Auch diese nicht immer auf Massenführung ausgehenden Kräfte sind so alt wie die Publizistik selbst. Genannt seien LUKIAN (etwa 125—180 n. Chr.), dessen „Göttergespräche", heftige zeitkritische Glossen, KURT TUCHOLSKY begeisterten, und den Vater der Revolverjournalistik, den hochbegabten, aber korrupten PIETRO ARETINO (vgl. MARTIN, T.: Pietro Aretino als Publizist. A.a.O.). 47

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DIE GRUNDGESETZE DER MASSENFÜHRUNG — DER HASS

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unbeachtet „da unten" ist, so verschlingt er mit Eifer, was alles „die da oben" sich erlauben. Sie tragen ja die gleichen Fehler und Gebrechen! Herunter also mit ihnen in das Niedermenschliche! Diese Haltung trifft sich mit der faszinierenden Zugkraft des Klatsches.52 Neuerdings läuft er nicht nur von Mund zu Mund. Er wird auch durch dazu hergerichtete Zeitschriften verbreitet.53 Klatsch ist nichts anderes als die breitgetretene Schadenfreude über die menschliche Minderwertigkeit der anderen. Die klatschsüchtige Neugierde der modernen Masse kehrt die einst so devote Verehrungsbereitschaft „gegen die da oben" um. Das heute noch rege Interesse an der Intimsphäre der Angehörigen europäischer und orientalischer Fürstenhäuser ist eine säkularisierte Form dieser Anbetungsbereitschaft, eine seltsame Mischung aufdringlicher Neugierde und unterschwelliger Märchensehnsucht. Eine weitere Mischform des Hasses ist das Ressentiment. W i r haben keinen deutschen Ausdruck für dieses ungemütliche und mißlaunige Gefühl („Nachgroll" wäre zu laut, „ErinnerungsVergiftung" zu gesucht). Ressentiment ist nachtragende Mißgunst aus wirklich oder vermeintlich schlechten Erfahrungen oder Erwartungen. Wechselt ein Regierungssystem, so wird der neuen Sache aus Ressentiment gegen das Alte Auftrieb gegeben. Die Anhänger des Alten aber leben aus der Erinnerung an früher und stehen scharfblickend für alle Schwächen des Neuen im Ressentiment der Besiegten. Unter diesen Spannungen stand die Publizistik der Weimarer Republik. Im polemischen Kleinkampf sind Ressentiments aus persönlicher Erfahrung besonders reizbar.54 Sie zu bereinigen ist oft schwerer, als überlebte Grundsätze zu überwinden. Die Reife eines demokratischen Staatswesens aber zeigt sich u. a. darin, ob es gelingt, das Neidmotiv und seine Verzweigungen auf ein erträgliches Maß zu verringern.56 Die Voraussetzung dafür ist ein natürliches Verständnis auch für den Lebensstil leitender Persönlichkeiten, aus der Einsicht, daß schließlich jedem Tüchtigen der W e g „nach oben" freisteht, und daß dem, der heraufgelangt ist, dann auch eine bestimmte Lebenshaltung zusteht. Der schmähliche Mißbrauch des Autoritätsglaubens durch das Hitlerregime hat bisher die Massen im freien Teile Deuschlands gegenüber den führenden Persönlichkeiten in skeptischer Reserve gehalten. Jeder Kritik ist man voreilig zugeneigt als einer „Kontrolle der Mächtigen". Mit Anerkennung hält man sehr zurück. Daher konnte sich hier noch nicht voll entfalten, was in einem demokratisch gefestigUber Gerücht und Klatsch vgl. S. 229. Etwa durch die amerikanische Zeitschrift Confidential. Elsa Maxwell war der T y p der Klatschtante, belächelt, gefürchtet, hochbezahlt, sie gab Publicity. 64 Als die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik Deutschland politisch notwendig wurde, setzte man sich dagegen jahrelang nicht mit sachlichen Gründen, sondern mit ressentimentgeladenen Schlagworten (Kasernenhof, Kommißgeist, Barras usw.) zur Wehr. 55 Das ist z. B. in England und den U S A besser gelungen als z. Z. noch in Deutschland. W i e weit wir noch davon entfernt sind, beweist etwa der Krakeel über die Diäten der Parlamentarier. Bemerkenswert ist auch, daß vor einigen Jahren ein deutscher Bundesminister hoch gerühmt wurde, weil er nicht mit dem Auto, sondern „mit dem Fahrrad zum Dienst kam". Schon diese Formulierung zeigt die Herkunft des Arguments. 62

53

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DIE PUBLIZISTIK DER M A S S E N F Ü H R U N G

ten Staat selbstverständlich ist: Vertrauen in die gewählte Führung und Hochachtung vor der persönlichen Leistung. Zusammengefaßt: Der Haß mit seinem Gefolge von Neid, Mißgunst, Bosheit und Ressentiment steht publizistisch als Mittel der Massenführung an erster Stelle. Aus Grundgefühlen der Angst oder der Abwehr kann er, ätzend im Bewußtsein des Einzelnen und vereisend im öffentlichen Leben, politische Erstarrungen und Wahnzustände wachrufen. Der Haß ist auch Antrieb des Terrors. Autoritär gewaltsam und kollektiv triebhaft ausbrechend, führt er in unmenschliche Zwangslagen. Die Reife und die Festigkeit eines demokratischen Staatswesens zeigt sich daran, inwieweit die Publizistik des Hasses und seiner Trabanten ausgeschaltet ist. Sucht der Haß die eigene Schuld vor denen zu verbrämen, die darum wissen, oder auch vor dem eigenen Gewissen, so entsteht ein emotionaler Vorgang eigener Art: das „ethische Entlastungsbediirinis".5° 2. Das Mitleid Unter den emotionalen Kräften der Massenführung steht das Mitleid an zweiter Stelle. Das beweisen die großen geistigen Massenkämpfe auch im internationalen Raum. Das Mitleid erscheint in verschiedenen Farben und mit mancherlei Beimischungen. Daß es neben dem Haß das am leichtesten aufzurufende und auch ein starkes Gefühl ist, mag Menschenfreunden einigen Trost spenden, darf aber nicht zuversichtlich stimmen. Auch die schönsten Gefühle bleiben innerhalb der publizistischen Vorgänge nicht ohne ihre Zweckbestimmung. Die Massen sind in ihrem kollektiven Wollen oft durch aufrichtiges Mitleid bestimmt. Sie sind durchaus zum Guten ausgerichtet und im Höheren ansprechbar. Man erlebt, daß Massen spontan „mit-leiden". Sie müssen dazu nicht erst aufgerufen werden. Wer Massen beobachtet hat, etwa in der Trauer um politische Führer, Volksmänner oder um die Opfer einer Katastrophe, der wird bestätigen, daß sie zu selbstlosem Mitleiden fähig sind und zu spontaner Opferbereitschaft.67 Ergreifend und weltweit zeigte sich die mitleidende Anteilnahme bei der Nachricht von der Ermordung Kennedys.58 Aber nicht jedes Mitleid ist zweckfrei, weder im Ursprung noch in seinen Äußerungen. Oft ist es durch Eigenliebe bedingt. Mitleid mit den „armen Opfern" einer Eisenbahnkatastrophe etwa führt zu der Forderung, die „Allgemeinheit" vor solchen Katastrophen zu schützen. Mit der „Allgemeinheit" meinen wir dann 5»

Vgl. S. 146.

Sehr bemerkenswert war die Anteilnahme der Weltöffentlichkeit an der Rettung der Uberlebenden der Bergwerkskatastrophe in Lengede (Nov. 1963). So groß war die Mitleidswelle, daß eine geschäftstüchtige Sensationsjournalistik sie für ihren Profit nutzte (Befragung der Angehörigen, der Frauen und Kinder, gestellte Rührbilder u. a. m.). 57

58 An der Gedenktafel für Kennedy am Rathaus Schöneberg in Berlin werden immer wieder von Unbekannten Blumen und Kränze niedergelegt.

DIE GRUNDGESETZE DER MASSENFÜHRUNG — DAS MITLEID

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uns selbst. 59 Jeder hätte zu den Opfern zählen können. Ebendarum ist es verhältnismäßig leicht, Mitleidsgefühle sensationell auszunutzen. Aber wenn unter Tausenden nur einer natürliches menschliches Mitleid empfindet, ist das schon ein Wert. Propaganda und Agitation aber schrecken, besonders in Kriegszeiten, vor der volligen Pervertierung dieses großen Menschheitsgefühls nicht zurück und wandeln es in eine gefährliche Leidenschaft. In drei Formen vollzieht sich diese Verkehrung: 1. in der Verbindung von Haß und Mitleid zur „Greuelpropaganda", 2. in der Ausbeute der Werbekraft des Martyriums und 3. im Herüberspielen des Angreifers in die Rolle des Angegriffenen. 1. Der Vorwurf, Schandtaten an wehrlosen Menschen begangen zu haben, ist ein uraltes Mittel der geistigen Kriegsführung, wie sie jeden Krieg begleiten. Er ist auch eine Waffe des Kalten Krieges. 60 Jeder Krieg bringt heute für Millionen Menschen die Spannung zwischen Leben und Tod. Früher litt besonders der Soldat, heute leiden die Völker insgesamt. Hand in Hand mit der Totalisierung des Krieges wurden die natürlichen Grundsätze des Menschlichen beseitigt. Die ständige Todesgefahr des Soldaten, die ständige Todesbereitschaft verursachten Erregungszustände in der Truppe. Bei Disziplinlosigkeit oder aufgelöster Ordnung, im Taumel des Sieges oder der Niederlage, kann sich das steigern zu Ausschreitungen. Ihre an die Empörung appellierende publizistische Wiedergabe hilft zur Diffamierung des Gegners. Im 2. Weltkrieg steht die Vernichtung rassisch und politisch Verfolgter außerhalb jeder „Greuelpropaganda", weil sie jede Greuelpropaganda in dem tatsächlich Geschehenen weit übersteigt. Verbrechen, besonders die millionenfache Vernichtung von Menschen unter dem Hitlerregime 81 , würden verharmlost werden, wenn man sie mit „Greuelpropaganda" auch nur entfernt in Verbindung brächte. Planmäßig vorbereitet und durchgeführt übertrafen sie alles, was der deutschen Kriegsführung im 1. Weltkrieg vorgeworfen wurde und zum Teil auf Erfindungen, zum Teil auf äußerster Übertreibung beruhte. 62 Unter Greuelberichterstattung verstehen wir publizistisch die planmäßige Verbreitung übertriebener oder erfundener Greueltaten, die darauf zielt, das Mitleid der Massen zu wecken und in Empörung und Haß gegen den Gegner umzumünzen oder durch die Furcht vor dem Gegner den Widerstandswillen zu steigern. 63 59

Vgl. hierzu HOLZSCHUHER, L. V.: Praktische Psychologie. Seebruck 1948, S. 744. — a.a.O., S . 1 2 9 ff. Hier wird das Mitleid besonders als „edlere Emotion" charakterisiert. 60 Unübersehbar groß sind die Greueltaten, über die in der Geschichte der Kriege berichtet worden ist. Die Namen ganzer Völker wurden zu abschreckenden Schimpfwörtern: „die" Hunnen, „die" Vandalen, „die" Türken, „die" Schweden, „die" Deutschen. 61 Ebenso andere, in den besetzten Gebieten auch an Deutschen nach dem Zusammenbruch des Hitlerregimes verübten grausamen Vergeltungen. 62 Vgl. dazu die englischen und französischen Quellen: PONSONBY, A.: Falsehood in war time. A.a.O. — DEMARTIAL, G . : Comment on mobilise les consciences. A.a.O. — Weitere Literatur bei PETERS, a.a.O. 63 So die Taktik der Propaganda des Hitlerregimes in den Monaten vor dem ZusammenMCDOUGALL,

9

Publizistik I

DIE PUBLIZISTIK DER M A S S E N F Ü H R U N G

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So ist es unbestritten und durch die englische und amerikanische Literatur belegt, daß die Greuelpropaganda im Ersten W e l t k r i e g v o n den damaligen

Gegnern

Deutschlands für nötig gehalten wurde. W o , w i e in England, die a l l g e m e i n e W e h r pflicht noch nicht eingeführt w a r , mußte die Empörung derart geschürt w e r d e n , daß sich die M ä n n e r spontan zum f r e i w i l l i g e n Kriegsdienst meldeten. 64 Z u den durchschlagenden G r e u e l m e l d u n g e n gehörten die Märchen v o n den „im brennenden Haus verlassenen belgischen Babys" und v o n den „Kindern mit den abgehackten Händen".' 5 I m Z w e i t e n W e l t k r i e g und in der V o r b e r e i t u n g auf ihn hat der Propagandaapparat Hitlers die Greuelberichterstattung bewußt zu einer skrupellos organisatorisch durchgebildeten Technik gemacht, den A n g r i f f s k r i e g zu begründen. Er e r r e g t e bürgerkriegsähnliche Spannungen, sprach v o n „ V e r g e w a l t i g u n g deutscher V o l k s g r u p p e n " und multiplizierte — geschehene und erfundene — Greuel um ein Vielfaches, bis g e n ü g e n d V o r w ä n d e f ü r den Einmarsch vorlagen.* 6 Auch bei den planmäßigen D i f f a m i e r u n g e n des Judentums

w u r d e n Mitleids-

g e f ü h l e mobilisiert. Schon die antisemitischen A k t i o n e n des Mittelalters entzündeten sich an der Behauptung v o n „Ritualmorden" und d e m M i t l e i d für die angeblichen Opfer. D i e K e t t e der aus Dummheit und B ö s w i l l i g k e i t g e b o r e n e n V e r l e u m dungen reicht bis in unsere Zeit. So w i e man einst selbst für Seuchen die Juden verantwortlich machte, w u r d e n auch durch das H i t l e r r e g i m e alle Fehlschläge den Juden aufgebrannt. Besonders gefährlich, denn sie haben eine dreifache Zündkraft (Mitleid, Haß und sexueller A n r e i z ) sind die „ V e r g e w a l t i g u n g s b e s c h u l d i g u n g e n " . CHERS

JULIUS STREI-

Zeitschrift „Der Stürmer", hat für diese massenpsychologisch

wirksame

Triebkombination die abscheulichsten Beispiele g e l i e f e r t . W e n n die mit Sadismus und Triebbesessenheit publizierten Scheußlichkeiten auch bei w e i t e n K r e i s e n auf A b l e h n u n g stießen und selbst v o n der nationalsozialistischen Anhängerschaft sehr zurückhaltend beurteilt wurden, so übten sie doch auf labile N a t u r e n starke W i r kung aus. Ein kleiner, aber sehr aktiver T e i l geriet in w i l d e n Fanatismus und nahm alle Zeichen des Massenwahns an.

bruch. Vgl. SCHRÖDER, J.: Der Kriegsbericht als propagandistisches Kampfmittel der deutschen Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg. Diss. Berlin 1965. 64 Vgl. dazu die sehr umfassende Literatur, insbes. BASCHWITZ, K.: Der Massenwahn. A.a.O. sowie PETERS, a.a.O. 65 Der erfundene Bericht darüber regte — ein schönes Beispiel des Massenmitleids! — in England zu einer Hilfsaktion so großen Ausmaßes an, daß der Korrespondent in Belgien sich vor tätiger Hilfe in Gestalt von Wäsche, Nahrungsmitteln, Adoptionsangeboten nicht retten konnte und das erfundene Baby schließlich sterben ließ. PONSONBY, a.a.O. — Vgl. ferner GOODE, W . A. M.: W i l l you let them die? An appeal for the children in Belgium. London 1916. — THIMME, H.: Weltkrieg ohne Waffen. A.a.O. 66 Die NS-Presse war vor dem Einmarsch in die Tschechoslowakei (1938) und in Polen (1939) voll von äußerst drastischen Greuelmeldungen, auch bebilderten, wobei freilich manche der Illustrationen ohne weiteres als Fälschung erkennbar waren. Vgl. Völkischer Beobachter 1939, Nr. 236, 238, 252, 258.

DIE GRUNDGESETZE DER MASSENFUHRUNG — DAS MITLEID

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Mitleid war dem Hitlerregime jedoch nicht immer willkommen. Je schwerere Opfer der Krieg forderte, desto rücksichtsloser hat die NS-Propaganda alle Äußerungen des Mitleids unterdrückt, und versucht Mitleid und Trauer in Stolz und Heroismus umzuwerten. Mit zynischer Berechnung wurde die Presse angewiesen, Unglücksschläge als „Bewährungsproben" und „Feuertaufen" einer heldischen Generation zu begrüßen. So wurden die für die Zivilbevölkerung furchtbaren Folgen der Bombenangriffe als Heldenmut der Bevölkerung gefeiert. 67 Peinlich war auch die stereotype Schlußformel auf Tausenden von Todesanzeigen gefallener Soldaten: „In stolzer Trauer . . . " 2. Die Werbekra.it des Martyriums wird in der Massenführung ebenso oft mißbraucht. Damit wird ein großer Sinn erniedrigt. Wer für eine Sache stirbt, überzeugt durch seinen Tod die anderen. In allen geistigen Bewegungen zog das Martyrium die Gläubigen nach: „sanguis martyrum semen Christianorum", ein frühchristlicher Satz. Aus dem Blute der Märtyrer erwuchsen dem Christentum immer neue Glaubende. 68 Die totalitären Mächte kennen diese Werbekraft. Sie erheben künstlich Vorkämpfer ihrer Sache zu Märtyrern, vor allem verhüten sie, daß dem Gegner Märtyrer erwachsen. Also wird jeder, der wegen seines Bekenntnisses verurteilt wird, falls er auf Grund seiner gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Stellung noch angesehen ist, zunächst öffentlich diffamiert. Ein Mittel dazu sind die Schauprozesse, bei denen „präparierte" Angeklagte haltlos bekennen, was immer ihnen an Schandtaten vorgeworfen wird. Der drohende Mitleidserfolg wird dann aufgehalten und oft ins Gegenteil gekehrt. Die Masse glaubt, daß den oder die Verurteilten die gerechte Strafe ereile. Das ist der Sinn dieser unmenschlichen Form massenpublizistischer Technik.69 Ähnlich wird die Masse betrogen, wenn bei einem politischen Mord die eigentliche Todesursache verschleiert werden soll und erfundene Beschuldigungen („auf der Flucht erschossen") als bare Münze ausgezahlt werden. Der Beispiele gibt es genug: Die Ermordung von R O S A LUXEMBURG und K A R L L I E B K N E C H T am 1 5 . 1 . 1 9 1 9 während der von den Kommunisten entfachten Kämpfe um Berlin wurde so begründet. Unter ähnlichem Vorwand wurde M U S S O L I N I (am 2 8 . 4 . 1 9 4 5 ) umgebracht. Der Leiter der Katholischen Aktion in Berlin, E R I C H K L A U S E N E R , wurde auf Befehl Görings (am 30. 6. 67 Vgl. die Presseanweisungen vom 13. August und vom 18. September 1942: „die Schäden sollen nicht beweint w e r d e n . . . Die Bevölkerung ist zur Harte zu erziehen und nicht zur Weichheit" . . . „Es wäre falsch, Berichte zu bringen, die auf die Tränendrüsen drücken. Die Bevölkerung soll nicht bemitleidet, sondern ihr Heldenmut soll bewundert werden." 68 Zahlreiche Beispiele in jeder Massenwerbung. Goebbels ließ den aus einem ganz anderen, sehr fragwürdigen Grunde ums Leben gekommenen Horst Wessel als „den" Märtyrer der N . S. Bewegung auf den Schild heben; vgl. RIESS, K . : Josef Goebbels, BadenBaden 1950, S. 82 ff. Das Mitleid mit einem wirklich oder vermeintlich um eines Bekenntnisses willen ums Leben gekommenen jungen Menschen erregt sofort tausendfaches Mitleid und schaltet oft jede nationale Wertung des Ereignisses aus. 69 Uber die Selbstbeschuldigungen unter Einwirkung von Drogen und brain-washing s. S. 157.



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DIE PUBLIZISTIK DER MASSENFUHRUNG

1934) ermordet. Göring ließ dann verbreiten, Klausener habe sich, „weil er seine Beteiligung am Komplott gegen Hitler endeckt sah", das Leben genommen. In Wahrheit hat der Mörder dem Ermordeten nach der Tat befehlsgemäß die Pistole in die Hand gegeben. So seine Aussage vor Gericht.70 Die totalitären Systeme, so auch das Hitlerregime, lassen ihre Gegner „im Dunkeln" sterben. In den Kellern der GPU oder der Gestapo, in den Konzentrationslagern Stalins oder Hitlers erlitten die Märtyrer ihren Tod, ohne daß das Opfer seine Wirkung tat. Es konnte keine Werbekraft mehr ausstrahlen. So sehr fürchtet die totalitäre Macht die Zeugenschaft und Zeugniskraft des Martyriums. 71 Von besonderer Verschlagenheit war die Methode, politische Gegner, die, ihrer großen Volkstümlichkeit wegen, nicht „im Dunkeln" sterben konnten, zum Selbstmord zu zwingen, oder einen Unfall vorzutäuschen, um sie dann durch ein Staatsbegräbnis als Helden zu ehren. So handelte Hitler an dem durch seine Afrikafeldzüge sehr populären Feldmarschall R O M M E L (f 1 4 . 1 0 . 1944), nachdem dessen Gegnerschaft zur Kriegspolitik Hitlers klar geworden war. 3. Ungerecht behandelt sein, erweckt Sympathien. Nahezu alle Gewaltangriffe werden daher als Abwehr drohenden oder erlittenen Unrechts plakatiert. Im großen Stil geschieht das in der propagandistischen Begründung von Angriffskriegen. Der Angegriffene, nicht der Angreifer ist schuld. Der spielt sich in die Rolle des armen Opfers. 72 Hitler führte all seine Feldzüge aus der vorgetäuschten Position des Angegriffenen. So erklärte er den Einmarsch in Polen als Gegenstoß gegen den von ihm selbst inszenierten Angriff auf den Gleiwitzer Sender. Wenige Stunden später erklärte Hitler im Reichstag: „Seit heute früh 4 Uhr wird zurückgeschossen. 73 " Daß man ihm, wenigstens in Deutschland, glaubte, ist ein Beweis dafür, wie mächtig das Mitleidmotiv propagandistisch wirken kann.

70

Vgl. ADOLPH, W . : Erich Klausener. Berlin 1955, S. 107 f.

71

Vgl. TRAVAGLINI, TH.: Der 20. Juli 1944. A.a.O.

LUDWIG XIV. veröffentlichte anläßlich seines dritten Eroberungskriegs g e g e n die Pfalz (1688—97) am 24. 9 . 1 6 8 8 ein Manifest, in dem er v o r g a b , die Ruhe Europas wiederherstellen zu wollen. V o r dem Siebenjährigen K r i e g veröffentlichte FRIEDRICH II. W i e n e r Akten, die den Angriff Österreichs begründen sollten. (Friedrich selbst w a r v o r h e r schon angriffsbereit.) Den Larm, der sich in E u r o p a bei seinem Einmarsch in Sachsen erhob, versuchte er dadurch zu dämpfen, daß e r seinen K r i e g als „defensive Offensive" ausgab. Abschriften aus sächsischen Akten, die erobert waren, w u r d e n z w a r eine publizistische Sensation, blieben aber wirkungslos (vgl. dazu u . a . die sehr interessanten Untersuchungen HOPPE, K.: Roderiques Nachrichtengebung und -politik in der „Gazette de C o l o g n e " 1740—1745. In: Publizistik 1965, H. 2, S. 140—149 sowie als Diss. Münster 1948. Ebenso wirkungslos blieb es, als Deutschland 1914 Belgien besetzte und in den belgischen A r c h i v e n nach B e w e i s e n für eine belgische Kriegsschuld suchte. In beiden Fällen galt das Mitleid der W e l t den Unterlegenen. Vgl. EVERTH, E.: Die Öffentlichkeit in der Außenpolitik v o n Karl V . bis N a poleon. A.a.O., S. 355 ff. 72

7 3 Hitler im Reichstag am 1. 9. 1939. Diese Rede ist Satz um Satz ein schulmäßiger B e w e i s für die Zugkraft des Mitleidmotivs. „Der a r m e Führer, w i e konnte er anders", hieß es in den Reihen der Verblendeten.

DIE GRUNDGESETZE DER MASSENFUHRUNG — DAS SEXUELLE ELEMENT

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Das Element des Mitleids zeigt in der Massenführung tiefgehende Wirkung. Aus der allgemein ethischen Grundhaltung, ebenso aber auch der persönlichen Anteilnahme des Einzelnen — sei es in echtem Mitgefühl oder der Furcht vor gleichem Unheil — entsteht eine intensive Kraft, die überzeugt und hinreißt. Aber auch dieses oft wahrhaft menschliche Gefühl gerät in die massentechnische Zweckbestimmung. Märtyrer werden künstlich „aufgebaut" und von den mitleidigen Massen als Vorbilder angenommen. In der „Greueitechnik" verbinden sich Mitleid, Haß und sexueller Anreiz zu einem publizistischen Antrieb von zwingender Wirksamkeit (Vergewaltigungsmotiv). Schließlich gelingt im propagandistischen Ringen um Kriegsursachen nicht selten die völlige Verkehrung der Tatsachen. Der laut anklagende Angreifer läßt sich als Angegriffener bemitleiden. 3. Das sexuelle Element Die natürliche Lebensmacht des Sexuellen wirkt heute in große Teile der Publizistik. In seiner öffentlichen, also publizistischen, ebenso wie in seiner geschäftlichen Ausnutzung ist es Gegenstand scharfer Auseinandersetzungen. Die Streitfrage führt in die Problematik aller Bildungsaufgaben. 74 Auch das Sexuelle ist im publizistischen Prozeß immer nur zweckbestimmt eingeordnet, es sei denn, daß es als solches Thema ist. Die ihm innewohnende Zugkraft macht es zu einem Schlüssel, der immer schließt und der auf die meisten Zugänge paßt. Sein Gebrauch in der Publizistik ist so alt wie diese selbst, vor allem da, wo satirisch angegriffen wird. Allerdings ist es ebenso — sogar in publizistischer Form und unter demonstrativer Berufung auf die publizistische Freiheit (Art. 5 des Grundgesetzes) — ein immer erfolgreiches Mittel, unter publizistischem Vorwand Geschäfte zu machen. Auch in der Wirtschaftswerbung strahlt das Sexuelle in Wort und Bild seine Reize aus.75 In der Antike erscheint das sexuelle Motiv im publizistischen Kampf der satirischen Komödie oder in der Karikatur. Die Graffiti, die Mauerkritzeleien, die in Pompeji einem Wahlkampf dienten, sind voller lasziver Andeutungen.78 Karikaturistische Tonfiguren, z. B. gegen die spätrömischen Kaiser, bringen pornographische Motive. 77 Ebenso zeigt sich mit sexuellen Eindeutigkeiten reichlich ausgestattet die geschriebene Publizistik der Antike. 78 Die wirksame Ausnutzung 74 Wie weit hier die Meinungsverschiedenheiten klaffen geht etwa aus den Auffassungen des Buchs von MARCUSE, L.: Obszön. Geschichte einer Entrüstung. München 1962 und dem Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland hervor, das zum Büß- und Bettag 1964 sich „gegen die Diktatur der Unanständigkeit" wandte. 75 Vgl.: MAYER, K.: Der massenwirksame Emotionalappell in der Bildanzeige. Diss. Berlin 1962, S. 32 ff. 79 Vgl. MAIURI, A.: La villa dei Misteri. Roma 1931, S. 241 ff. und DIEHL, E.: Pompejanische Wandschriften. Berlin 1930. 77 Vgl. BAUER, W.: Die öffentliche Meinung in der Weltgeschichte. A.a.O., S. 49 ff. — Bekannt ist eine karikaturistische Tongruppe, die pornographisch den Kaiser Caligula verhöhnt (Museum Avignon). — Vgl. auch FUCHS, E.: Die Karikatur der europäischen Völker vom Altertum bis zur Neuzeit. Berlin 1901, S. 28. 78 Vgl. dazu auch: PÖHLMANN, R.: Zur Geschichte der antiken Publicistik. München 1904 (Akademie der Wissenschaften. H. 1). — Eine Darstellung der sexuellen Elemente in der

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DIE PUBLIZISTIK DER MASSENFUHRUNG

sexueller Motive wird dann zu Beginn des individuellen Zeitalters durch P I E T R O A R E T I N O ( 1 4 9 2 — 1 5 5 6 ) fortgeführt. Dieser sehr begabte, aber ebenso korrupte Publizist verbreitet angreifende Briefe zunächst schriftlich, dann gedruckt. Sie strotzen von heikein Berichten über das Leben der Persönlichkeiten, die anzugreifen er bezahlt war.78 Weniger das intellektuell Erotische, mehr das animalisch Derbe findet dann in der Entwicklung der volkstümlichen Publizistik des 16. und 17. Jahrhunderts eine immer wirksame Anwendung.80 Während des Kampfes Englands gegen Napoleon erlebt die Sexualisierung des Publizistischen abermals einen Gipfel.81 In der französischen Karikatur D A U M I E R S wie 5 0 Jahre später im alten „Simplizissimus" T H . TH. HEINES und GULBRANSSONS erscheint das S e x u e l l e in o f t g r o ß a r t i g e m künstle-

rischen Ausdruck.82 Vom Zeitalter der Glaubensspaltung abgesehen verbleibt allerdings diese künstlerisch gehobene Publizistik überwiegend im Kreise der literarisch und politisch Interessierten, vor allem da, wo sie (wie durch Hogarth u. a.) gesellschaftskritisch betrieben wird. Auch die künstlerisch bedeutende Satire des (alten) „Simplizissimus" fand nicht eigentlich Massenanklang. Dafür standen andere satirische Mittel bereit (z. B. das damals sozialdemokratischen Blättern beigelegte Witzblatt „Der wahre Jakob"). Erst als die technischen Mittel der Publizistik massenwirksam wurden erfolgt der Ausbruch in die allerbreiteste Öffentlichkeit. Das setzt mit dem Ersten Weltkrieg ein. Die Fanatisierung ganzer Volksmassen unter häufiger Verwendung sexueller Antriebsmittel ist zunächst nationalistisch aufgezogen. Im Zweiten Weltkrieg geht sie in die Weltauseinandersetzung zwischen totalitärer und demokratischer Macht über. In allen publizistischen Mitteln und Methoden beginnt jetzt der überlegte Einsatz sexueller Motive. Die Verwendung in der Greueltechnik83 wurde bereits dargestellt. Die Typenprägung Geschichte der Publizistik wäre wertvoll, zumal wenn sie nicht als „sittengeschichtliches" Zugstück gearbeitet würde, w i e Arbeiten des in seinen Materialbelegen ergiebigen, aber in der Darbietung einseitigen EDUARD FUCHS (vgl. z. B. Das erotische Element in der Karikatur. Berlin 1904). — Wertvoll sind die Arbeiten v o n LE GRAND-CARTERET, J.: Les mceurs et la caricature. Paris 1927. 79 Vgl. MARTIN, T.: Pietro Aretino als Publizist. A.a.O. — KISCH, E. E.: Klassischer Journalismus. Die Meisterwerke der Zeitung. Berlin 1923, S. 219 ff. hat kennzeichnende Selbstbekenntnisse Aretinos festgehalten: „Meine Komödie ,die Kurtisane' hat mir eine goldene Kette eingebracht. Verehrte Madonna, den Leuten von W e l t wurde nicht die göttliche Gnade zuteil, aber das Feuer der Begierde verzehrt sie." Zu Aretino, vgl. auch S. 41. 80 Die Bildpublizistik des Jahrhunderts der Glaubensspaltung bietet grotesk-massive Belege. Vgl. FEHR, H.: Massenkunst im 16. Jahrhundert. Berlin 1924. Ebenso spielt der grobsexuelle Trieb in der Grausamkeit der Hexenverfolgung und Folterung eine teuflische Rolle (vgl. S. 146, Massenwahn). 81 Vgl. hierzu: FUCHS, E.: Die Karikatur der europäischen Völker vom Altertum bis zur Neuzeit. A.a.O. — EBBINGHAUS, TH.: Napoleon, England und die Presse. Hist. Bibl. Bd. 35. München und Berlin 1914. 82 Vgl. WOLKERS, U.: Beiträge zum publizistischen Schaffen Olaf Gulbranssons, Diss. Berlin 1964 und TRÜBENBACH, A.: Th. Th. Heines karikaturistisches Schaffen und publizistisches Wollen. Diss. Berlin 1956. 83

Siehe das voraufgegangene Kapitel.

DIE GRUNDGESETZE DER MASSENFÜHRUNG — D A S SEXUELLE ELEMENT

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in der Bildpublizistik (auch im Film) nimmt im Ersten Weltkrieg scharfe Eindringlichkeit an. So findet K U R T B A S C H W I T Z in der französischen Kriegspropaganda des Ersten Weltkrieges Produkte einer wahren „Lustmordphantasie", die „mit Greuelbehagen aufgenommen werden".84 Hitler hat diese deutschfeindliche Propaganda des Ersten Weltkrieges genau studiert und als „vorbildlich" hingestellt. Er hat sie später weit übertroffen.65 Sein Kampf gegen die Juden wird überwiegend — soweit nicht das Neidmotiv noch kräftiger zog — mit sexuellen Motiven geführt. Sie werden bis in die Massenwahnerscheinungen hinaufgetrieben. Wer heute das nationalsozialistische „Kampfblatt" „Der Stürmer" nachblättert (durch Julius Streicher 1923 gegründet), begreift nicht, daß diese perverseste Phantasie, die jemals in Druckerschwärze aufgetischt wurde, überhaupt wirksam war.86 Man trug von dort aus die sexuellen Motive in „Volks"- und „Bilderbücher".87 Den Publikationen fügte man einen „Pranger" an. Dort wurden die Gegner des Regimes bloßgestellt, denen damit, in Berechnung auf den Fehlschluß der Massenleser, die Beteiligung an den erfundenen Ausschweifungen angedichtet wurde.88 Die Praxis des Rufmordes wurde hier entwickelt. Eine zweite skrupellose Nutzung der sexuellen Kampfform ergab sich im Kampf des Hitlerregimes gegen die katholische Kirche. Nachdem sich herausgestellt hatte, daß sie trotz des Konkordats in scharfer Opposition (unter den damals möglichen 84 BASCHWITZ, K.: Der Massenwahn. A.a.O., S. 68 ff.: „Die Bilder, in unzählbaren Mengen a u s g e s t r e u t . . . , sind durchtränkt von einer widerlichen Mischung geschlechtlicher Geilheit und untermenschlicher Blutrünstigkeit." — Vgl. dazu: SCHULTE-STRATHAUS, L . : Das Bild als Waffe. Die französische Bildpropaganda im (Ersten) Weltkrieg. Würzburg 1938. — HUGENDUBEL, H . : Die Vorbereitung des Weltkriegs durch die französische Presse. München 1936 (Zeit und Leben, Bd. XVIII). — HUBER, G.: Die französische Propaganda im Weltkrieg gegen Deutschland (1914/18). München 1928 sowie die S. 123, Anm. 32 f. genannte Literatur zur Propaganda im Ersten Weltkrieg. Außerdem PETERS, D.: Das „US-Committee on public information". A.a.O. — Vgl. ferner: HANSI ET TOUNELAT: A travers des lignes ennemis. Paris 1922. — HANSI (Waltz): Le pangermanism en Alsace. Paris 1915. — Sachliche Zusammenfassung: THIMME, H . : Weltkrieg ohne Waffen. A.a.O. 85 HITLER: Mein Kampf, Kapitel 6, Kriegspropaganda. A.a.O., Bd. I, S. 193. 86 Das Blatt hatte bereits seit 1920 einen Vorläufer: „Deutscher Volkswille". Es verschwand Ende 1923 mit dem Zusammenbruch der Partei, um 1929 wieder, leider mit ständig wachsender Auflage, neu herauszukommen. Sogenannte „Stürmerkästen" vermittelten als eine Art „Wandzeitung" die zugkräftigen Bilder dem Straßenpublikum. An den dargestellten erfundenen Ausschweifungen werden gelegentlich im Bilde auch Freimaurer und katholische Geistliche beteiligt. 87 BAUER, ELVIRA: Ein Bilderbuch für Groß und Klein, 2 . — 7 . Aufl. Nürnberg (Stürmer) 1937. — HINTERLEITNER, F.: Die Abenteuer des Juden Täte. Karikaturenbuch des „Deutschen Volksblatts". Wien 1938. — DIEBOW, H.: Der ewige Jude. Bilddokumente. München 1937. — In pseudowissenschaftlicher Haltung hat das vom Hitlerregime gegründete „Institut zum Studium der Judenfrage" einen Band herausgebracht: DIE JUDEN IN DEUTSCHLAND. München 1936. Das Buch ist eine agitatorische Materialsammlung für die späteren Verfechter der „Endlösung". 88

Das Buch Isidor. Ein Zeitbild voll Lachen und Haß. A.a.O. — Vgl. K.: D U und die Masse. A.a.O., S. 179 f.

MJÖLNIR-GOEBBELS:

dazu auch

BASCHWITZ,

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DIE PUBLIZISTIK DER MASSENPÜHRUNG

Formen) gegen das Regime stand 80 , wurde eine sehr kleine Zahl von sexuellen Vergehen katholischer Geistlicher und Ordensleute vor großer Öffentlichkeit mit sensationellen Schauprozessen in Szene gesetzt. Die darüber von der offiziösen Nachrichtenagentur abgefaßten bis ins einzelne gehenden streng sprachgeregelten Berichte erschienen „um der Sauberkeit der Nation willen" als „Zwangsauflage" in allen Blättern. Daß man im eigenen Hause mit viel schwereren und belastenden Vergehen dieser Art solange glimpflich verfuhr, bis die an diesem Treiben Beteiligten für Hitler politisch gefährlich wurden, beweist das Beispiel der „Röhm-Revolte". Röhms längst bekannte perverse Veranlagung wurde erst empört öffentlich festgestellt, als er gegen Hitler konspirierte. Sie wurde als Ursache seiner Ermordung vorgeschützt. Diese Technik der sexuellen Diffamierung setzte sich in den Aktionen fort, mit denen die Besetzung der Tschechoslowakei und später der Einmarsch in Polen vorbereitend begründet wurde. Die dabei verbreiteten „Greuelberichte" ziehen ihre Werbekraft fast ausschließlich aus dem Bereich des Sexuellen. 90 Bald aber wurden sexuelle Motive zu einer Art erotischer Ideologie zurechtgemodelt. Es galt, Anhänger für die rassischen Züchtungsabsichten des Nationalsozialismus zu gewinnen. Schon im Buche Mein Kampf wird gefordert, daß die „Eitelkeit" auf einen schönen, wohlgeformten Körper gerichtet werde: „Das Mädchen soll seinen Ritter kennenlernen. Würde nicht die körperliche Schönheit heute vollkommen in den Hintergrund gedrängt . . . wäre die Verführung von Hunderttausenden von Mädchen durch krummbeinige, widerwärtige Judenbankerte gar nicht möglich. Auch dies ist im Interesse der Nation, daß sich die schönsten Körper finden. 91 Bei den Mädchen ist das Hauptgewicht", so heißt es, „vor allem auf die körperliche Ausbildung zu legen, erst dann auf die Förderung der seelischen und zuletzt der geistigen Werte". Bei den Kundgebungen der NSDAP, vor allem in den Frauenversammlungen, verbreitete dieses Motiv eine schwüle Atmosphäre. In der Massenversammlung der Frauen auf dem Nürnberger Parteitag warteten 1937 zwanzigtausend Frauen auf „ihren Führer". Bewußt ließ man sie mehrere Stunden warten. Immer neue Gesänge und Sprechchöre schufen in der überhitzten Halle eine Spannung, die mehr Gier als Erwartung war. Als endlich Hitler unter den Klängen des Badenweiler Marsches einzog, wurde der Begrüßungsjubel zur Orgie. Der Vorgang dauerte fast 15 Minuten. Erst als Hitler sprach, trat Ruhe ein. Die Rede war von berechneter Verführungskraft. Mit Verachtung verspottete Hitler die Männer, die schon „ein bißchen Zahnweh mürbe mache", aber „was leistet die Frau, wenn sie ein Kind gebiert?" Die Arme verschränkt, als wiege er ein Kind, feierte Hitler die Gebär89 Deutlich wurde das u. a. durch die Enzyklika „Mit brennender Sorge" vom März 1937, eine Verurteilung der Kultur- und Rassenpolitik der NSDAP. Einzelheiten siehe H A G E MANN, W.: Publizistik im Dritten Reich. A.a.O., S. 343 ff. 90 Vgl. die Photomontagen z. B. in den (letzten) Augustausgaben des Völkischen Beobachter 1939, so die Nummern: 236, 238, 252, 255. 81 HITLER: Mein Kampf. A.a.O., S. 475 ff. u. S. 276 f.

DIE GRUNDGESETZE DER MASSENFUHRUNG — DAS SEXUELLE ELEMENT

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leistung der Frau. Die Versammlung raste. Die Wirkung war unbeschreiblich. Anwesende Vertreterinnen der britischen faschistischen Frauenbewegung (Oswald Mosleys) umarmten ihre deutschen Gastgeberinnen und verlangten stürmisch „sofortige Übersetzung der Rede des Führers". 92 O T T O S T R A S S E R hat den Vorgang ungeschminkt beschrieben: „Auf dem Nürnberger Parteitag 1937 spricht er (Hitler) zu 20 000 Frauen, zu alten und jungen, häßlichen und schönen, verheirateten und ledigen und verwitweten, versauerten und zuversichtlichen, nervösen, einsamen, tugendhaften und leichtlebigen. Hitler weiß nichts von Frauen, er weiß nichts von ihrem Innenleben. Und dennoch springt von seinem Mund ein Satz, der ein begeistertes Delirium auslöst: ,Was habe ich Euch allen gegeben? Was hat Euch der Nationalsozialismus gegeben? Den Mann, den Mann!' Ich bitte um Entschuldigung wegen der Unverschämtheit des Ausdruckes: aber was jetzt bei diesen Frauen vorgeht, ist nur dem Orgasmus vergleichbar." 3 " Das ist nicht übertrieben. Die Frauen, die der Hitlerschen Suggestion verfielen, entfalteten nach der einen Seite eine dem Vorbild der „Reichsfrauenführerin" Scholz-Klink nachgeahmte „germanische" Weiblichkeit. Nach der anderen Seite ist nicht zu leugnen, daß viele gleichzeitig in der Alltagsarbeit der Partei, irregeführt, ihr Bestes für eine Sache gaben, die ihnen später die Männer und die Söhne raubte. Einige wenige wurden höchst gefährliche Denunziantinnen aus einem Fanatismus, in dem auch die letzten weiblichen Züge verlorengingen. 84 Doch kann das keinesfalls verallgemeinert werden. Millionen Frauen, vor allem die Mütter, waren Gegner des Regimes, auch wenn ihnen keine Gelegenheit gegeben war, sich zu äußern. In der stillen, unauffälligen Hilfe für die Widerstandskämpfer hielten sie tapfer stand. 043 92

Bericht eines Augenzeugen. STRASSER, O.: Hitler und idi. Konstanz 1948, S. 90 ff. 94 Wer als Zuschauer häufig Freislers Volksgerichtsprozesse besuchte, konnte junge BDM-Mäddien in solcher Rolle erleben. Ihre Zeugenaussagen führten zu Todesurteilen. (Augenzeugenbericht.) 84a Zur Ehre der Frauen während der Jahre des Hitlerregimes sei hervorgehoben, daß die überwältigende Mehrheit zwar terroristisch zum Schweigen gezwungen, aber keineswegs Hitler folgte, wenn sie auch in Organisationen zusammengefaßt waren. Es sei vielmehr festgestellt, daß die große Zahl derer, denen die Natur Hitlers klar geworden war und die aktiv den Kampf gegen ihn aufnahmen, dies in einem oft übermännlichen Mut taten, der keine Gefahr scheute. Das muß im Hinblick auf viele schiefe Verallgemeinerungen im Urteil über das deutsche Volk in den Jahren des Hitlerregimes gesagt sein. Die Formen, unter denen vor allem auch die Hilfeleistungen für die Verfolgten und Verurteilten damals möglich gemacht werden mußten, sind heute oft mißverstanden und als das Gegenteil dessen gedeutet, was sie waren. (Vgl. dazu die in manchen Belegen falsch verallgemeinernde Dokumentation von WULF, JOSEPH: Presse und Rundfunk im Dritten Reich. Gütersloh 1 9 6 4 ) . — Aus wirklichem Erleben unbedingt wahrhaftig sind: DELP, A.: Kämpfer, Beter, Zeuge. Freiburg 1962. — EHRLE, G.: Licht über dem Abgrund. Hrsg. v. einer Arbeitsgemeinschaft kath. u. ev. Christen. Freiburg i. Br. 1951. Der Band enthält in „Aufzeichnungen und Erlebnissen christlicher Frauen 1 9 3 3 — 4 5 " überzeugende Beispiele, was wirklich geschah und wie es möglich gemacht wurde, daß es geschehen konnte. — LEBER, A. U. F. v. MOLTKE: Für und wider. Entscheidungen in Deutschland. Berlin 1961. — Weitere Literatur S. 146 (Massenwahn). 63

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DIE PUBLIZISTIK DER M A S S E N F U H R U N G

Die Monate vor dem Zusammenbruch 1945 gaben der NS-Propaganda noch einmal Gelegenheit zu dem vergeblichen Versuch, durch eine scharfe Greuelpolitik gegen die vormarschierende Rote Armee einen letzten Widerstand zu mobilisieren. Dabei muß festgestellt werden, daß die Rote Armee im Vormarsch Tatsachen in erschreckender Weise lieferte, die mindestens einen Teil der berichteten „Greuel" als vorgekommen bestätigt.95 Vielfach wurde die Tatsache vermerkt, daß — von außen her gesehen — die totalitäre Welt, das Hitlerregime und auch die Länder kommunistischen Regimes den Einbruch sexueller Werbekräfte, wie sie z. B. im Auflagenkampf eines Teiles der freien demokratischen Presse vor sich gehen, nicht zugelassen hat. Diese Tatsache, die lange auch für die SBZ galt, ist aber keineswegs als ethische Haltung zu werten. Sie ist eine Maßnahme typisch totalitärer Art. Ein Wettbewerb zwischen den anziehenden und anzüglichen sexuellen Stoffen und der notwendig einzuhämmernden politischen Ausrichtung konnte, so meinte man, unmöglich gewonnen werden. Der Leser, der Hörer, der Zuschauer ist dort eben nicht nur politisch, er ist auch „moralisch"geführt. Der ganze Haushalt seiner Gefühle ist reguliert. Das Moralische bleibt dort nur so lange, bis die Zugkraft des Sexuellen im Kampf gegen den Gegner nützlicher wird. Das zeigen mancherlei Karikaturen der Zeitschriften, die gelenkt-saiiriscft sind" (z. B. „Krokodil" in der UdSSR und „Eulenspiegel" in der SBZ) und die z. T. in Staatsverlagen herausgegebenen minderwertigen aber kommunistisch ausgerichteten Jugendschriften, deren gefährlicher Einfluß dem z. B. in Westdeutschland so eifrig produzierten Schundheftchen nahe kommt. Eine Ausbeute sexueller Motive im westlichen Stil hat in den letzten Jahren eingesetzt, z. B. auch in einigen Unterhaltungsblättern der SBZ sowie im Kabarett. Es werden Bilder in leichter Anlehnung an die Vorbilder sexualisierter Massenblätter der freien Welt gebracht und in Tanz- und Unterhaltungslokalen „freie" Darbietungen zugelassen. Auch der Film ist stark in die sexuellen Stoffe eingestiegen, was z. T. zu Aussprachen und Beschwerden führte, ohne daß sich die neue Linie geändert hätte. (Vgl. z. B. „Filmspiegel" 1965, Nr. 10, 21, 23 u. 25.) Zahlreiche Bilder dieser Filme des Ostblocks werden zu Werbezwecken groß herausgestellt. Die Wahrheit gebietet allerdings festzustellen, daß die Presse der kommunistisch regierten Länder z. Z. noch weit hinter dem zurückbleibt, was bestimmte Typen der westlichen Publikumszeitschriften ihren Lesern vorsetzen."

95 Vgl. hierzu: SCHRÖDER, J.: Der Kriegsbericht als propagandistisches Kampfmittel der deutschen Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg. A.a.O. " Während des Koreakrieges erschienen Comic strips, die in eindeutiger pornographischer W e i s e angebliche Vergewaltigungen von Koreanerinnen durch Amerikaner schilderten. (Der Ami und die Koreanerin, Flugblatt 1952.) 97 Gemeint sind in der SBZ Blätter wie die Wochenpost und das Magazin seit einigen Jahren auch der Filmspiegel. Hierher gehört auch die Entwicklung von Boulevardtypen in den Ländern des Ostblocks, z. B. Esti Hirlap in Budapest, Vecerni Praha in Prag und Express Wieczorny in Warschau. „Eine Konzession an die Bedürfnisse kleinbürgerlicher Leser, die die (ständig politisch einseitige) Tagespresse nicht befriedigen kann." Vgl. RICHERT, E. U. A.: Agitation und Propaganda. A.a.O., S. 175.

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Mitte 1965 berichtet die Ostpresse über Titeländerungen des Filmmonopolbetriebs der SBZ, „DEFA", die eine Hinwendung zum Sexuellen deutlich erkennen lassen. 98 Anfang 1966 wird diese Entwicklung offiziell wieder zurückgeschraubt. In der Publizistik der treien Welt wird das sexuelle Element zum Aufbau einer Massenauflage zur Zeit von den Verlegern dieser Blätter als unentbehrlich angesehen. 98 Durch die hochgetriebene Auflage soll, wie behauptet wird, das Unternehmen — insbesondere auch aus den Gewinnen durch die Anzeigeneinnahmen — seiner publizistischen Aufgabe genügen, soweit eine solche gesucht wird. So sind sexuelle Motive in bestimmten Blättern der unterhaltenden Massenpresse, insbesondere einiger „Illustrierten", und in Teilen des Films bevorzugter Gegenstand eines auf Tod und Leben ausgefochtenen Konkurrenzkampfes. 100 In diesem Kampf wird der Öffentlichkeit häufig ein überhitztes unwirkliches Lebens- und Daseinsbild vorgeführt. Der Leser und der Zuschauer, die Konsumenten dieser Publizistik, fördern den Eindruck, als dienten sie einer zügellosen Libertinage, die sie selbst oft gar nicht teilen, aber im sensationellen Bericht gerne genießen. Das ist eine Folge der Isolierung und des Nummerngefühls im seelischen Zustand des Massenmenschen. Nun gerade sucht er in die „Intimsphäre" der von ihm vielleicht politisch bekämpften oder aber auch gefeierten Prominenz (Starkult) Einblick zu gewinnen. Auf diesen Hang wird in Teilen der Massenpresse — auch politisch — bewußt spekuliert. 101 Er ist seit Jahren Gegenstand ernster öffentlicher Auseinandersetzungen und beginnt Gegenstand oppositioneller Volksbewegungen zu werden. 102 Auch sie sind nicht nur moralisch bestimmt. Für die Zukunft der Demokratie ist die Frage wichtig, welche Kräfte das öffentliche Leben, die Meinungs- und Willensbildung der Massen entscheidend bestimmen: die Erkenntnis der politischen Realitäten oder die emotionalen sexualisierten Inhalte der Unterhaltungsindustrie. 68

Nationalzeitung (Ostberlin) v. 10. 7. 1965. Vgl. DOVIFAT, E.: Bild und Bildpresse in der Publizistik. Heft 8 der troost-Sdiriftenreihe. Düsseldorf 1 9 6 1 . — Der Mitbesitzer des Stern, GERD BUCERIUS, führte in seinem Vortrag Die Illustrierten und die Massengesellschaft (Heft 9/62 der troost-Schriftenreihe) u. a. aus: „Wir haben unsere leidvollen Erfahrungen gemacht... Wenn wir gerade wieder einmal im ,Stern' die Auflagenspitze erreicht hatten und glaubten, uns freigeschwommen zu haben..., dann wurde uns regelmäßig die Nase blutig geschlagen. Sie glauben gar nicht, wie sehr sich eine Redaktion bemühen muß, um den Geschmack des Publikums zu überlisten, ihm mehr zuzumuten, als es in Wirklichkeit haben will. (Vom Verfasser gesperrt.) 100 GERD BUCERIUS, der Verleger des Stern, erklärte auf einer Tagung in Bad Boll (April 1966) den „Sex" als unerläßlichen Auflagenmotor. Durch „Sex" höhere Auflagen und damit vermehrte Anzeigen zu erreichen und konkurrenzfähig zu bleiben, sei „eine unheilvolle aber unvermeidliche Spirale". Der Auffassung wurde lebhaft widersprochen. Vgl. IN GEMEINSAMER VERANTWORTUNG. Korrespondentenbericht der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).Nr. 17 v. 19. 4.1966. 101 Der politische Kampf gegen den Vorsitzenden der CSU und späteren Finanzminister FRANZ JOSEPH STRAUSS, wurde mit ähnlichen Mitteln geführt. Vgl. APROPOS STRAUSS. Eine Dokumentation. Frankfurt a. M. 1965, hier vor allem S. 113 ff., S. 191 f. 102 Vgl. RÖPKE, W.: Eindrücke einer Reise in die Bundesrepublik. Wer Deutschland liebt. Hrsg. v. d. Studienges, f. staatspol. Öffentlichkeitsarbeit. Frankfurt a. M. 1962. —• Tagung in Bad Boll s. o., Anm. 100. 89

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In der Massenführung totalitärer Mächte werden diese Erscheinungen ehrlich oder unehrlich als Waffen gegen die freie Welt gewendet, deren Niedergang damit bewiesen sein soll. Die freie Welt aber hat ihre Freiheit zu bewähren, indem sie Wege findet, Sog und Zugkraft sexueller Triebe in der Publizistik aufzuhalten, aber eine starke Anteilnahme jedes Einzelnen am Aufbau, der Verteidigung und Erhaltung der Demokratie herbeizuführen. Nur so wird sie in Freiheit sich behaupten. In der Massenführung wirkt neben Haß und Mitleid das sexuelle Element als gesteigerte emotionale Kraft. Hier gewinnt es weiteste Öffentlichkeit an Vielfalt und konkreter Anschaulichkeit. Das reicht bis ins Perverse, wie es z. B. im Rufmord planmäßig angewandt wird. Doch kann es sich in bestimmter Haltung auch verfeinern, in polemischen und satirischen Formen großen künstlerischen Rang annehmen und damit positive Geltung gewinnen. Die totalitären Mächte nutzen das sexuelle Element skrupellos gegen ihre Gegner, drängen es aber zeitweilig zurück, um ihrer politischen Zwangsausrichtung keinen so überlegenen Konkurrenten entgegenzustellen. In der freien Welt wird deren gesicherte publizistische Freiheit häufig mißbraucht, das sexuelle Element rein geschäftlich auszunutzen. 4. Das massenüberhöhende Geltungsbedürfnis Der Einzelne kann es satt bekommen, in der Masse nur mitzulaufen. Ein Geltungsbedürfnis treibt ihn, über die Massenschablonen heraufzukommen, sich höher zu setzen und gehört zu werden. Er scheut sich auch nicht, unter die Angeber zu rangieren, die Vorlauten, die Wichtigtuer, die Vorpreller, die Zwischenrufer. Man kennt diese Geltungsbedürftigen aus allen Massenversammlungen in ihrer impertinenten Aktivität. Sind sie nun alle negativ? Kann nicht politischer Wille dahinterstecken, auch dann und gerade dann, wenn die Begabung zum geistigen Ausdruck fehlt? Man will doch mittun, dabei sein. Solche Vorgänge bringen nicht nur die ewigen Opponenten und Stänker zu Wort, es melden sich auch die zu allem Entschlossenen. Sachliche Arbeit ist leider nur eines, ein zeitraubendes Mittel, emporzukommen. In der Massenführung setzt sich oft schneller durch, wer sich laut und tatkräftig anbietet. Hier beginnt in der Massenführung die Auswahl einer seltsamen „Elite", die Auswahl der Straßenkämpfer, vom ehrlichen Fanatiker bis zum Randalierer und Rowdy. Aber ganz allgemein sind die, die über die Masse hinauswollen, leichter zu gewinnen in der Stufenfolge vom Mitläufer zum Sympathisierenden, zum Anhänger und schließlich zum Mitglied. Die totalitäre Publizistik zeigt da viele Beispiele. In Hitlers Buch Mein Kampf ist nachzulesen, wie die Partei ihre Anhänger rekrutierte. 103 — Hitler selbst kommt zur Partei, weil er „auffällt", angesprochen, gehalten, gewonnen wird. Wenig später wird dieser „Aufstieg" zum Prinzip, Interessierte festzuhalten, sie zu bearbeiten und der Sache „verfallen" zu lassen. Dabei geht es zunächst auch um die, deren Intelligenz zu mehr nicht langt. Sie 103 Hier ist die wohlüberlegte und damals leider erfolgreiche Zweckmäßigkeit dieser Werbeform gezeigt. A.a.O., S. 237.

DAS MASSENUBERHOHENDE GELTUNGSBEDÜRFNIS

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sind „wackere Kämpfer" und stehen den Intellektuellen an Geltungsbedürfnis in nichts nach. Sie werden ehrenvoll in kollektive Pflichten genommen; sie greifen an, sie verteidigen, sie werben. 104 Es entsteht das „politische Soldatentum" der Geltungsbedürftigen, die sich andrängen, manche aus Überzeugung, manche aus Not, viele aus Abenteuerlust, einige brutale Schläger immer darunter. Das „politische Soldatentum" ist die halbmilitärische Kampfgruppenbildung mit dem Ziel, die Demokratie zu unterhöhlen. Erste Aufgabe ist immer der „Saalschutz"105 zum „Schutz der Versammlung", d. h. zum Herauswurf der Gegner. 109 Es folgen die Kundgebungen und Aufmärsche. Sie sind durchzusetzen, auch gegen die Polizeimacht. Es folgt das „Kleben und Malen" der Werbetexte, das zu blutigen Zusammenstößen bei nächtlichen Plakataktionen führte. Dem schloß sich dann die natürliche Werbung an, die diese Truppe selbst ausstrahlte, mit Uniformen, Fahnen, Abzeichen und Emblemen. Darauf wurde das Geltungsbedürfnis der Gewonnenen untereinander scharf gemacht. Litzen an Ärmel und Kragen hoben den einen über die anderen. Anstieg in höhere Gruppen folgte, mehr Litzen, mehr Knöpfe und schließlich Titel, Orden und Auszeichnungen, Ruhm und Ruf. Man feiert den „unbekannten SA-Mann". 107 Neben echter Opferbereitschaft wurde auch das Geltungsbedürfnis ausgenutzt, das der Angeschlossenen oder noch Ausgeschlossenen. Die „Werbekraft der Umzäumten" tat damals im Andrang zur SA geradezu Wunder. Ähnlich war das auch später, so bei der NSDAP, als die Sperrung des Zulaufes den Werbeanreiz verdoppelte. 108 Das massenüberhöhende Geltungsbedürfnis wurde also zunächst aufgefangen und dann zum parteidienstbaren Geltungsbedürfnis umgeformt und dann oft zu starrem Fanatismus erhärtet. 109 Die Idee des politischen Soldatentums stammt aus Frankreich, das so manche politische Methode experimentell entwickelt und dann an andere zu Glück oder Unglück, weitergegeben hat. Es war der monarchistische Integralismus der Action Française, der unter C H A R L E S M A U R R A S ( 1 8 6 8 — 1 9 5 2 ) und L E O N D A U D E T ( 1 8 6 7 bis 1942) als antiliberale Bewegung Massenkundgebungen riskierte und sich dabei

104

V g l . HITLER, a . a . O . , S . 6 5 5 .

Das „Hemd als Uniform", das alle diese Bewegungen annehmen, ist dadurch gekennzeichnet, daß der „Saalschutz", um den Herauswurf der Gegner, die berühmten „Saalschlachten", vorzubereiten, die Jacken auszog. (Braunhemden, Rothemden, Schwarzhemden, Grünhemden, Blauhemden u. a. m.) Hitler a.a.O., S. 612. 10» v g l . HITLER, a.a.O. mit einer genauen Schilderung der Vorgange, S. 562. 107 Vgl. GOEBBELS, J . : Kampf um Berlin. München 1939, S. 105. LOS v g l . HITLER, a.a.O. Nach der Machteroberung verschwanden diese Motive und machten anderen Platz. Der Zustrom zur SA geschah nur, um in der beruflichen Laufbahn eine Legitimation der Zuverlässigkeit vorzuweisen (wie heute noch in der SBZ); der Zustrom zur Partei erfolgte zur beruflichen und persönlichen Sicherheit überhaupt. Ob diese Konzession nötig war oder nicht, hing von sehr verschiedenen Voraussetzungen ab, die hier nicht untersucht seien. 109 Das geschah in der Ideologie der SS, die nach der Vermassung und Entmachtung der SA in ihrem Kern die Prätorianergarde der Bewegung wurde, mit allen Folgen, die heute bekannt sind. — Hitler a.a.O., S. 598. 105

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DIE PUBLIZISTIK DER MASSENFDHRUNG

durch eine Art Privatsdiutztruppe sichern ließ. Diese Truppe setzte sich aus geltungsbedürftigen jungen Söhnen des reaktionären Bürgertums zusammen. Man verhöhnte sie als „Jeunesse dorée", als „Fils à Papa". Sie trugen als „Camelots du roi" Uniform (Baskenmütze), verteilten Flugblätter, führten Straßenschlägereien, schmissen den Gegnern die Fenster ein und trieben allerlei Werbeaktionen. Sie befreiten Daudet aus dem Gefängnis, in dem er wegen Beleidigung saß.110 M U S S O LINI erlebte in der Emigration die Propagandaformen der „Action Française". Er bildete sie für seine radikale Bewegung als „Leibwache" nach, als er im Ersten Weltkrieg die sozialistische Partei Italiens verließ und als Nationalist den Eintritt seines Landes in den Weltkrieg durch Straßen- und Massenkämpfe durchsetzte. Er faßte die geltungsbedürftigen und fanatisierten Anhänger (gefeiert als die „nuclei", „Kerne der ersten Stunde") in den „Fasci" zusammen und stellte sie unter altrömische Insignien. 111 Nach dem Ersten Weltkrieg wurde aus den „Faci d'azione intervenista" im Kampf „um ein größeres Italien" gegen Demokratie und Liberalismus die „Faci di combattimento", die radikalen Vorkämpfer des Fascismus. Sie trugen das schwarze Hemd.112 Nachdem in Deutschland in den Kämpfen von 1918/19 der kommunistische Umsturzversuch gescheitert war und der „Spartakusbund" sich als Kommunistische Partei Deutschlands (30. Dezember 1918) organisierte, fand dann auch hier das fanatisierte und geltungsbedürftige Angebot junger Kräfte sich zu dem kämpf- und schlagtüchtigen „Rot Front-Kämpierbund" zusammen (1924). Er nahm proletarischmilitante Formen an, soll zeitweise 120 000 Mann umfaßt haben. Auch seine Aufgabe lag in der „Eroberung der Straße". In den nächtlichen Schlägereien mit der SA kam es später zu blutigen Opfern, sie wurden auf beiden Seiten zu „Märtyrern" erhoben." 3 Andere politische Wehrverbände, z. B. der „Stahlhelm", sind teils weitergeführte Organisationen alter Soldaten oder — wie das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" und die „Eiserne Front" — Gegenbewegungen gegen die politischen Leibwachen der radikalen Parteien, insofern auch Träger publizistischer Aktionen aus Tat und Beispiel.111 Sie kamen leider zu spät, die aus der Not der Zeit und durch skrupellose Agitation überlegene Hitlersche Privatarmee zu überwinden. Auch stand die Ideologie der Demokratie dieser Kampfform entgegen. Politisches Soldatentum gehört nicht in eine Demokratie. Der Staat von Weimar hat das zu spät erkannt. Das oft Zugkräftigste bei diesen politischen Schutztruppen, die Uniform, ist daher 110

Vgl. DAUDET, L . : Maurras. Paris 1 9 2 8 . — GURIAN, W . : Der integrale Nationalismus in Frankreich. Charles Maurras und die Action Française. Frankfurt a. M. 1931. Dieser Vorgang ist eine Art Vorbild der Befreiung Mussolinis aus seinem Berggefängnis am Ende seiner Macht. 111 Siehe zur Publizistik der Symbole S. 240. 112 Vgl. die eingehende Darstellung bei PAPPENHEIM, H. E.: Mussolinis Wandlung zum Interventionismus. Dresden/Berlin 1 9 3 5 (Diss. Berlin 1 9 3 5 ) . 113 Vgl. DÜNOW, H . : Geschichte des Roten Frontkämpferbundes. Berlin (Ost) 1 9 5 8 . 114 Vgl. S. 212.

DIE GRUNDGESETZE DER MASSENFUHRUNG — DER MORALISCHE GRUNDWILLE

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heute für politische Gruppen verboten und ist nach dem deutschen Versammlungsgesetz selbst den Saalordnern untersagt. Schmale Armbinden sind das einzige, was geblieben ist 115 . Die Demokratie hat es wesentlich schwerer, ihre Aktivisten zu gewinnen und auszuzeichnen. Der Werbeanstoß muß von innen gegeben sein. Er muß ohne äußere Uniformierung — bis auf winzige Rockaufschlagzeichen — um der Sache willen geleistet werden. Die zur Mitarbeit Bereiten können sich nur in gesinnungsbestimmten Gruppen sammeln. Sie suchen die Möglichkeit, sich geistig-politisch mit anderen Gruppen zu messen 1 1 6 . Für die entschiedene Führung demokratischer Aktionen ist das nicht immer ein Vorteil. Es würde aber dem inneren Sinn der Demokratie widersprechen, sie durch ein politisches Soldatentum zum Erfolg zu bringen. überhöhtes Geltungsbedürfnis Einzelner aus der Masse wird in der totalitären Publizistik durch politisches Soldatentum abgefangen und in ein der Partei bedingungslos dienstbares Geltungsstreben verwandelt. Für freie Demokratien ist dieses Verfahren eine gefährliche Bedrohung, einer der Vorgänge, an denen die Republik von W e i m a r scheiterte. Massenüberhöhendes Geltungsbedürfnis und ernsthaftes politisches Streben müssen sich in der Demokratie freiwillig in gesinnungsbestimmten Gruppen finden, die in freier geistig-politischer Auseinandersetzung stehen und so auch publizistisch wirken. 5. Der moralische Grundwille der Masse In ihrem Verhalten kann die Masse höchst eigensüchtigen Trieben verfallen. Ideologisch aber zeigt sie sich immer ethisch gestimmt. Mag sie zum Niedrigsten fähig sein, auch zum Höchsten, zum letzten Opfer, dem des Lebens kann sie geführt werden. Das würde nicht so sein, wenn ihr nicht ein moralischer Grundwille innewohnte, ein „urmenschlicher Drang zur Verantwortungsgemeinschaft", der sich schließlich „im Willen zum Staat und anderen übergeordneten Einheiten" dartut. 117 Gebrauch und Mißbrauch dieses Grundwillens ist die natürliche Voraussetzung aller positiven und aller zerstörenden Massenführung. 1 1 8 Aber auch im Alltagsumgang, in den einfachen Führungsformen, so derb und brutal sie sein mögen, die Masse gibt immer vor, eine ethische Grundvorausset115 Auch England hat frühzeitig seinen faschistischen Bewegungen die Uniformen untersagt. Nicht zuletzt darum blieb ihre Rolle dort so unbedeutend. 118 Vgl. S. 169 f. 1 1 7 BASCHWITZ betont ebendies ganz besonders gegenüber FREUD, der den moralischen Grundwillen auf den Trieb zur Familie begrenzen möchte (vgl. BASCHWITZ, K . : Der Massenwahn. A.a.O., S. 170). 118 Meisterhaft verstand sich die NS-Propaganda darauf, dies fertig zu bringen. HANS FRITZSCHE, der Rundfunkkommentator der Hitlerzeit, hat vor dem Nürnberger Gericht ausgesagt, wie viele „anständige Menschen" in den Bann der NS-Lehre gerieten, weil die Ideologie so „ethisch überzeugend" vor der verteufelten „Feindlügenpropaganda" stand. Eine Analyse des Verfahrens gibt THATE, W.: Die Rolle des Emotionalen in der nationalsozialistischen Propaganda. Diss. Berlin 1954, S. 142 ff.

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DIE PUBLIZISTIK DER M A S S E N F U H R U N G

zung zu haben. Auch ihre Empörung hat oder sucht ihre sittlichen Ursachen, selbst der Krawall sucht und findet sie. Wir sahen, daß selbst die verworfensten Absichten der Masse nur moralisch verbrämt beizubringen sind. Auch sonst reagiert sie äußerst empfindlich, z. B. dann, wenn man ihr nachweist oder von ihr behauptet, sie sei belogen worden. Nichts erregt sie mehr, wenn man sie glauben macht, sie sei irregeführt. Jenes emphatische, gefährliche und überhebliche Wort Wilhelms II.: „Brandenburger, zu Großem sind wir noch bestimmt, und herrlichen Tagen führe Ich euch entgegen" 118 hat, als Irreführung gedeutet, bis tief in die Weimarer Jahre die antimonarchische Agitation stärker gefördert als alle politische Werbung für die Republik. Die Weimarer Republik wiederum wurde von Hitler mit der „Lüge" Scheidemanns vom 9. November 1918 angegriffen: „Das deutsche Volk hat auf der ganzen Linie gesiegt." Als der Satz gesprochen wurde, hatte er sachlich seine Richtigkeit. Nun aber, als ein bewußter „Volksbetrug" ausgelegt, hat er der Propaganda Hitlers Erfolge eingebracht. Hitler hinwiederum, verblendet von der Wirkungskraft chiliastischer Prophezeiungen, erreichte die Höhe der Hybris mit seiner Fanfare vom „Tausendjährigen Reich".120 Es ist heute die Spottbezeichnung seines Regimes. Alle Ideologien der Weltgeschichte leben von der Prophetie ihrer paradiesischen Zukunft, und immer glauben die Massen aus innerem ethischen Antrieb, ihrem Glauben und Hoffen, goldene Zeiten zu erreichen, berechtigt zu sein. Gerade in notvollen Lebenslagen leuchten die Ideale wie ein erwärmendes Licht. Die Masse braucht die Ideale. Sie sind die Träger ihres moralischen Grundwillens, so sehr auch jeder Einzelne oder die Gesamtheit dagegen verstoßen. Es ist gewiß nicht nur das Streben nach dem Glück des Einzelnen im Glücke aller, das die Massen dabei antreibt. Mit der Immanenz eines Gewissens — sei es das wirklich oder Selbstbetrug — scheinen sie das Gute zu suchen. Wo sie auf Krawall, auf Plünderung, „mobbing" oder wie die unbeherrschten Ausbrüche heißen mögen, aus sind, finden sie immer naiv die ethische Begründung. Zäh und fanatisch bekennen sie sich zu dem, was sie „Wahrheit" nennen, gegen das, was sie für „Lüge" halten. Dies auch darum, weil ihre rationale wie reale Aktionsunfähigkeit auf die Führung angewiesen ist und sie also doppelt verbittert sind, wenn sie glauben, belogen zu sein. In der Massenführung einem Politiker — nachgewiesen oder nicht — Lüge vorzuwerfen, ist äußerst zugkräftig, aber auch billig. Der Begriff der Lüge ist im Politischen immer schwer zu fassen. Alle dynastische Tendenzhistorie lebt aus dem moralischen Grundwillen der „Untertanen". Jede Heldenverehrung, sie mag wahrhaftigen Grund haben oder erfunden sein, zieht aus diesen Grundneigungen ihre Kraft. Das geht heute bis in 119 Rede vor dem Brandenburgischen Provinziallandtag am 24. Februar 1892, zitiert aus: Die Reden Kaiser Wilhelm II. Ges. u. hrsg. v. Joh. Penzier. T. 1—4 Leipzig 1897—1913, 1. Teil, S. 209. 120 Proklamation zum Abschluß des Nürnberger Parteitages am 5. September 1934: „Es ist der Wunsch und Wille, daß dieser Staat und dieses Reich bestehen sollen in den kommenden Jahrtausenden". In: Völkischer Beobachter, Nr. 254 v. 11. 9. 1934.

DIE G R U N D G E S E T Z E DER M A S S E N F U H R U N G — DER M O R A L I S C H E G R U N D W I L L E

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die politisch bedingten Glorifizierungen etwa der Stechanow-Antriebe innerhalb des Hennecke-Systems, das damit z. B. in der SBZ arbeitstechnische Spitzenleistungen, eine Aktivistenproduktivitat erzielt. 121 Aber auch in der Demokratie zeigt die Masse starke Neigung zu verehren. Das ist nur der natürliche Ausfluß des Gefühls Halt zu suchen, aufzuschaun, der eigenen Mindereinschätzung entgegen zu arbeiten. Oft sucht sie geradezu Objekte ihrer Verehrung. Kluge Massenführer kommen dem bewußt entgegen, geben sich den entsprechenden Nimbus oder werden, wie das heute technisch heißt, „aufgebaut", erhalten ihr Image („Imitsch"). Alle Massenführer aber haben weiter begriffen, daß die Masse sofort positiv anspricht, wenn ihr die paradiesische Zukunft als natürliche Folge ihres ethischen Wollens verkündet wird. Bestes Beispiel ist der orthodoxe Marxismus. Er bekämpft bedingungslos jede religiöse Haltung und hat das schon in den ideenfindenden Argumenten seiner Frühzeit bewiesen, aber mit allen Kräften strebt er in die irdische Ideologie einer moralisch und geistig gestalteten Zukunft, als die gegebene Alternative gegenüber der Absage an ein Jenseits. 122 Wie kühn hier dies Paradies der Zukunft verkündet wird, beweist die Tatsache, daß ein so nüchterner Mann wie Trotzki, dem doch trotz der sprachlich ausgezeichneten Form, die er seinen Ideen gibt, der materialistische Realismus immer im Nacken sitzt, mit beinahe religiösem Glauben die bolschewistische Zukunft preist 123 : „Der Mensch wird unvergleichlich stärker, klüger, freier werden. Sein Körper harmonischer, seine Bewegung rhythmischer, seine Stimme musikalischer, die Formen des Seins werden eine dynamische Theatralik gewinnen. Der menschliche Durchschnitt wird sich hier bis zum Niveau eines Aristoteles, Goethe, Marx erheben. Uber diesen Berggrat werden sich neue Gipfel erheben." 124 Wächst somit die Illusion der Massen auf ihrer moralischen Grundhaltung, so wächst der Einzelne in ihr schnell und gedankenlos in eine engstirnige Selbstüberhebung. Natürlich entstammt das dem Bewußtsein der eigenen moralischen Minderwertigkeit. Eine helle Freude ist es, wenn „andere", besonders Leute des 1 2 1 Vgl.: HENNECKE, A.: Aktivisten zeigen den W e g . (Herbert Deeg: Die Hennecke-Aktivistenbewegung.) Berlin: Die Wirtschaft (1948). — Die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft in der Sowjetzone, ideolog. Mittel zur Steigerung der Produktivität. Bonner Berichte. 2. Aufl. Bonn 1953. 122 Der Satz ist bekannt: „Die Religion ist das Opium des Volkes." KARL MARX in den Deutsch-französischen Jahrbüchern 1844. „Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks." Marx, ebd. — überzeugende Beispiele der publizistischen Technik, den moralischen Grundwillen der Masse in der marxistischen Frühagitation zeigt KUMHOF, H.: Karl M a r x und die „Neue Rheinische Zeitung" in ihrem Verhältnis zur demokratischen Bewegung der Revolutionsjahre 1848/49. A.a.O., S. 118 ff. — Eingehend ist die moralische Grundhaltung der Masse als Quelle der Utopien nachgewiesen bei TILLICH, P.: Die politische Bedeutung der Utopie im Leben der Völker. Berlin 1951 (Schriften der Dt. Hochschule für Politik). 123

TROTZKI, L . : A B C d e s K o m m u n i s m u s 1919.

Zahlreich sind auch die Belege der Massenillusion im Marxismus, die auch im revisionistischen Sozialismus vorliegen. Ähnliche erstaunliche Äußerungen hat z. B. BEBEL getan, aber auch der revisionistisch gestimmte KAUTSKI. Einzelheiten vgl. SOMBART, W . : Deutscher Sozialismus. (Berlin-) Charlottenburg 1934, S. 104 ff. sowie KÜMHOF, a.a.O., S. 57, 86 ff. 124

10

Publizistik I

DIE PUBLIZISTIK DER MASSENFUHRUNG

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öffentlichen Lebens, moralisch wirklich o d e r vermeintlich entgleisen. H i e r w i r d d e r moralische A n s p r u c h „ m a s s e n l a u t " . M a n n i m m t pharisäisch j e d e s moralische Urteil in Anspruch, ü b e r Einzelne w i e ü b e r g a n z e Volksteile, Rassen u n d Klassen, auch da, u n d g e r a d e da, w o e i n e Einsicht in die wirkliche Lage gar nicht offen ist. Auf d i e s e r F u n k t i o n b a u t die Technik d e s Rufmordes auf. Der M a s s e w o h n t ein moralischer G r u n d w i l l e inne. Er k a n n zu ethisch g r o ß e n A k t i o n e n bis zur H i n g a b e des Lebens entwickelt w e r d e n , b e h e r r s c h t a b e r auch die alltägliche M a s s e n f ü h r u n g . Die M a s s e will nicht b e l o g e n , nicht irreg e f ü h r t w e r d e n . G l a u b t sie es zu sein, r e a g i e r t sie s p o n t a n . In i h r e m moralischen S e l b s t g e f ü h l v e r f ä l l t sie leicht p a r a d i e s i s c h e n Illusionen. Im A l l t a g w i e d e r u m zeigt sie pharisäische Überheblichkeit; f ü r j e d e D i f f a m i e r u n g ist sie leicht zu h a b e n (Technik d e s R u f m o r d e s ) . B e d e u t s a m u n d in d e r M a s s e n f ü h r u n g u n d - V e r f ü h r u n g v o n Gewicht ist die Tatsache, d a ß diese ethische G r u n d h a l t u n g d e r M a s s e v o n ihr u n d d e n Einzelnen in ihr mit d e r K r a f t e i n e s S e l b s t e r h a l t u n g s t r i e b s v e r t e i d i g t wird. Es bildet sich d a n n ein m a s s e n p s y c h o l o g i s c h e r Z u s t a n d , d e r die Ursache des Massenwahns sein k a n n : d a s ethische E n t l a s t u n g s b e d ü r f n i s . 6. Ethischer E n t l a s t u n g s t r i e b — Der M a s s e n w a h n „Die Menschen ertragen vieles, nur nicht den Vorwurf stummer Feigheit." KURT BASCHWITZ K U R T BASCHWITZ h a t u n s d e n M a s s e n w a h n als publizistisches P h ä n o m e n dargestellt, historisch, a b e r auch a k t u e l l a u s Beispielen u n d V o r g ä n g e n der letzten Jahrzehnte. 126

Die v e r h ä n g n i s v o l l e „ V e r n u n f t t r ü b u n g " d e s M a s s e n w a h n s vollzieht sich u n t e r T e r r o r u n d Z w a n g . Sie v e r k e h r e n d e n moralischen G r u n d w i l l e n d e r M a s s e , w e n n es ihm unmöglich gemacht ist, G e w i s s e n s v o r w ü r f e a b z u b ü r d e n , u n t e r d e m multip l i z i e r t e n m o r a l i s c h e n Druck d e r Einzelnen in d a s ethische Gegenteil. So tritt der M a s s e n w a h n politisch u n d publizistisch in Erscheinung. 1 2 7 Mit o d e r o h n e E r k e n n t n i s

128

KURT BASCHWITZ (geb. 2. 2. 1886) hat die M a s s e n w a h n e r s d i e i n u n g e n

der letzten

60 Jahre erlebt. Sein erstes Buch: Der Massenwahn. 1. Aufl. 1923, 2. Aufl. 1924, 3. Aufl. München 1932 galt der „Ursache und Heilung des Deutschenhasses". B. arbeitete als Redakteur in Berlin, als ihn das Hitlerregime 1933 zur Auswanderung zwang. Er ging nach Holland, wo er später die deutsche Besetzung illegal überstand und nach der Befreiung fortfuhr, in seinen Büchern eine vor allem auch durch eigene Erfahrung gekennzeichnete Darstellung des Massenwahns zu geben. Du und die Masse. 1. Aufl. Amsterdam 1938, 2. Aufl. Leiden 1951. In einem grundlegenden Aufsatz: Verstand und Unverstand in der Masse (Festschrift für Dovifat. Bremen 1960) charakterisiert er die positiven und die negativen Werte im Begriff der Masse. Sein Buch Hexen und Hexenprozesse. Die Geschichte eines Massenwahns und seiner Bekämpfung. München 1963 gibt die systematische Darstellung eines der grausigsten Massenwahnersdieinungen der Weltgeschichte. Die Arbeiten von Baschwitz verbinden tiefe Sachkunde mit geistiger Freiheit und Unabhängigkeit. 187 Die Mediziner erkennen den Begriff „Massenwahn" nicht an. Sie sehen im „Wahn"

DIE GRUNDGESETZE DER MASSENFUHRUNG — DER M A S S E N W A H N

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dieser Zusammenhänge wird politisch immer wieder, vor allem in der totalitären Welt, versucht, Massenwahn wachzurufen. Dabei zeigt sich, daß publizistische Kräfte, so sehr sie als Mittel des Kontaktes und der Infektion und dann später auch wieder der Gesundung und Befreiung auftreten, allein nicht in der Lage sind, den geistigen Krampf zu schaffen, den wir „Massenwahn" nennen. Dazu ist nötig, einen Schuldbegriff zu verkehren, einen Täter in die Rolle des Opfers zu manövrieren: „Nicht der Mörder, der Ermordete wird schuldig." Teilphänomene des V o r g a n g e s gibt es im Privatleben. W e r gegen einen Mitmenschen, und wäre es nur in kleinen Dingen, schuldig geworden und zu einer Entschuldigung verpflichtet wäre, pflegt eine gewisse Glaubensbereitschaft zu zeigen, wenn er von dem, der seine Entschuldigung erwartet, Ungünstiges hört. Oft möchte er wünschen, immer mehr der Art zu hören, so viel, daß das eigene Schuldgefühl in der „Schuld" des anderen untergeht. Stellen wir uns nun vor, im öffentlichen Leben geschieht z. B. durch die regierende Macht ein schuldhaltes Ereignis (etwa die Judenverfolgungen und Vernichtung), so ist damit in der natürlichen Verantwortungsgemeinschaft jedem Bürger eine gewisse Schuld aufgebürdet, ohne daß er sich an dem V o r g a n g überhaupt beteiligt, geschweige denn schuldig ist. Wird ihm nun die freie Aussprache, der freie Widerspruch, gesperrt, ja verboten, wird es ihm unmöglich gemacht, gegen das ihn mitbelastende Ereignis Stellung zu nehmen und also sein Gewissen zu entlasten, muß er „den Vorwurf stummer Feigheit" zusammen mit Millionen Gleichempfindender tragen, vor sich selbst und vor der Öffentlichkeit. Dann sucht der moralische Selbsterhaltungswille spontan nach einem A u s w e g . Er hat ihn gefunden, wenn es gelingt, im Verhalten dessen, dem Unrecht angetan ist, Gründe nachzuweisen oder zu behaupten, das ihm Angetane sei nur recht und billig gewesen. Das Opfer wird schuldig gesprochen („Die Juden sind schuld!"). Die millionenfache Gewissensbedrängnis 1 2 8 ist durch Selbsttäuschung überwunden. Der Massenwahn hebt an, hier aus ethischem Entlastungstrieb. Das große Gefühl des Gewissens ist massenpsychologisch mißbraucht. Auch andere Antriebe, moralische Entlastung zu suchen, gibt es: veraltete Rechtsordnungen, Sitte, Brauch, religiöses und gesellschaftliches Vorurteil, auch erstrebte politische Erfolge, und nicht zuletzt geschäftlicher Profit können Anlaß sein, den zu diffamieren, der eigentlich der Geschädigte, das Haßopfer ist und nun zum eigentlich Schuldigen gemacht wird. Bereitwillig sucht die Masse die Gewissensskrupel abzuschirmen gegen die Schuldgefühle, gegen jedes Schuldbewußtsein. „Das Gefühl, mit vielen anderen dieselbe Meinung hegen zu dürfen, immer den Zustand eines Einzelnen.

in der Einleitung (S. Bitter. Stuttgart 1 9 6 5 , S.

BITTER, W .

IN GESCHICHTE UND GEGENWART. HRSG.

v.

W.

zu MASSENWAHN spricht von „psycho-

10—35) 15

pathologischem Kollektiv". 128 über die Macht des Gewissens, das schuldhaft zur Seelenmarter werden kann, vgl. SPRANGER, ED.: Menschenleben und Menschheitsfragen. München 1 9 6 4 , S. 2 4 ff. 10'

148

DIE PUBLIZISTIK DER M A S S E N F U H R U N G

gewährt Urlaub von der Oberaufsicht des Verstandes. 129 " Es entsteht „ein Schlechtdenken — ein Bösdenken wollen.1""' Die „Vernunfttrübung" in millionenfacher Häufung steckt an. Sie wird zu einem „Wahn" im pathologischen Sinne, d. h. zu einem emotional bedingten, rational nicht zu behebenden Irrtum. Es entsteht eine Selbstbetäubung vor dem „geheimen Richter in der eigenen Brust".131 Nur so ist die Tatsache zu verstehen, daß auch anständige, ethisch bemühte Menschen aus irrregeleitetem moralischen Grundwillen dem Massenwahn verfallen. Die Geschichte ist reich an Beispielen. Die im hohen Mittelalter mit Idealismus begonnenen Kreuzzüge endeten in schweren Mißerfolgen. Von fanatischen Kräften mystisch genährt erhob sich der Ruf: die Kinder sollen wieder gut machen, was die Erwachsenen verdorben hatten. „Blut und Opfer unschuldiger Kinder sollte die wunderbare Rettung bringen." So erhoben sich „Führer" im kindlichen Alter (das Kind Stephan in Vendome, das Kind Nikolaus in Köln). Zu vielen Hunderten geschart zogen die „Kinderkreuzzüge" zur Mittelmeerküste. 132 Vernünftige Uberlegungen hätten dazu führen müssen, die Kinder aufzuhalten. Der Zwang der mystischen Sendung nahm die Möglichkeit, einzugreifen. Keiner traute sich. „Das ideale Ziel lähmt den Einspruch der Vernunft" (Habermann). Erst in Südfrankreich und Italien, nachdem ganze Gruppen der Kinder im Schiffbruch ertrunken oder auf Sklavenmärkten verkauft waren, haben entschlossene Männer sich dem Massenwahn entgegengestellt und die Kinder heimgeschickt. Wie sehr man nach Rückkehr der Vernunft den ganzen Vorgang einschätzte, zeigt die Tatsache, daß der Vater des „Kindes Nikolaus" in Köln, „weil er den Knaben aus Ruhmsucht zu seinen Predigten ermuntert habe" zum Tode verurteilt und gehängt wurde. 133 Die furchtbarste massenpathologische Erscheinung war der Hexenwahn,134 Von 1450—1730135 kostete er mehr als einer Million Menschen das Leben. Er ergriff alle Stände, alle Konfessionen, alle Länder und jedes Lebensalter. Der Ablauf erweist den ethischen Entlastungstrieb als eine wesentliche Ursache. Der Hexenglaube, aus altheidnischen Vorstellungen gewachsen, wurde durch den christlichen Teufelsglauben genährt, durch die Inquisition und die päpstliche 129 Vgl. BASCHWITZ: Der Massenwahn. A.a.O., S. 161. Dies bestätigt auch unsere Behauptung v o n der intellektuellen Minderung des Einzelnen in der Masse. Vgl. S. 109. 180 BASCHTITZ: Du und die Masse. A.a.O., S. 75 ff. 131 B A S C H W T Z : Der Massenwahn. A.a.O., S. 5. 132 Eine aufschlußreiche jüngere Untersuchung liefert H A B E R M A N N , P . : ü b e r die Kinderkreuzzüge. In: Massenwahn in Geschichte und Gegenwart. A.a.O., S. 185—197. — P E R N O U D , R.: Die Kreuzzüge in Augenzeugenberichten. Dusseldorf 1951. — R U N C I M A N N , ST.: Geschichte der Kreuzzüge, übers, v. P . de Mendelssohn. 3. Bde. München 1957—60. —• FRIEDELL, E.: Kulturgeschichte der Neuzeit. 13.—17. Aufl. München 1930, S. 96 f. nennt die Kinderkreuzzüge und den Hexenwahn eine krankhafte Erscheinung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit.

a.a.O., S. 195. Eine auch publizistisch wertvolle Untersuchung gibt phie: Friedrich Spee v. Langenfeld. A.a.O. 133

HABERMANN,

134

135

Letzte Hexenhinrichtung 1782 im Kanton Glarus.

EMMY ROSENFELD

in der Biogra-

DIE GRUNDGESETZE DER MASSENFÜHRUNG — DER M A S S E N W A H N

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Bulle von 1484 gefördert. 136 Ursachen der sinnlosen Verfolgung waren Richter, die nach „Fällen" mit Sportein bezahlt übereifrig hausten, Denunzianten aus religiösem Fanatismus, aus persönlichen Rachegefühlen und intellektueller Wichtigtuerei (z. B. fahrende Scholaren) und schließlich aus Mindereinschätzung der Frau. 137 Niedere Beweggründe spielten häufig mit und „erfolterten Geständnisse". Sie trugen zu immer neuen Verhaftungswellen bei. Schließlich entwickelte sich ein bürokratisiertes Verfahren von eigenem Schwergewicht gleich einer Institution. Zwang und Terror, drohender Verdacht auf Mitschuld und Beteiligung lähmten jeden Widerspruch. Vor allem wurde schon die Vorstellung abgewehrt, all diese Urteile, diese Scheiterhaufen könnten vielleicht ungerecht und ungerechtfertigt sein; das trieb erst recht dazu, sie fortzusetzen: „Gott würde es nicht zulassen, wenn es nicht gerecht wäre." Auch von dieser Vorstellung her erzwang sich das Entlastungsbedürfnis moralische Atemfreiheit." 8 W i e die Stimmung auch publizistisch hochgetrieben wurde zeigt unter vielen anderen ein Bericht aus SchwabMünchen vom 30. August 1590.""Er bringt die typischen Zeichen des Massenwahns, fanatischer Starrsinn, Unbelehrbarkeit und boshaftes Bösglauben. Unter solchen Zwangsvorstellungen multiplizierte sich die Hexenjagd. Die Dichte der Wahnvorstellungen konnte nicht mehr übertroffen werden. Anhänger des alten und des neuen Glaubens verfielen dem Hexenwahn, darunter große und bedeutende Persönlichkeiten. 140 Der Jesuitenorden war teils für, teils gegen den Hexenglauben, Calvin, Melanchton, Geiler von Kaisersberg waren hexengläubig. Luther, sonst ein so harter Kämpfer, hat nichts gegen den Hexenwahn unternommen. Nur Erasmus v. Rotterdam war frei davon. So ist zu ermessen, welcher Mut dazu gehörte, diesen W a h n zu lichten, und es war verständlich, daß der Jesuit F R I E D R I C H V O N S P E E (1591—1635) in seinem eigenen Orden sich vor Verfolgern hüten mußte, als er den Kampf gegen die Hexen Verbrennung aufnahm. Nicht einmal konnte er den „Constitutiones" des Hexenhammers scharf entgegentreten, sondern er mußte vor-

Die zur Verfolgung genutzte juristische Doktrin gab der „Maleus Maleficarum", der Hexenhammer von JACOB SPRENGER und H E I N R I C H INSTITORIS 1 4 8 7 . Grundregel: „Das Leugnen der Hexerei ist schon Ketzerei." 137 Eine methodisch-soziologisch überzeugende Arbeit hat grade diesen Punkt klargestellt: BAEYER-KATTE, W. v.: Die historischen Hexenprozesse. Der verbürokratisierte Massenwahn. In: Massenwahn in Geschichte und Gegenwart. A.a.O., S. 220—231. —• Eine unerschöpfliche Quelle und zuverlässige Darstellung gibt BASCHWITZ in seinem Werke: Hexen und Hexenprozesse. A.a.O. 138 ZACHARIAS, G.: Satanskult und Schwarze Messe. Wiesbaden 1964. 1M Abgedruckt bei CLARVILLE: Die Fuggerzeitungen. Wien u. Leipzig 1 9 2 8 . Aus Schwab-München, 30. 8. 1590: „Seitdem man 2 Hexen jüngst hingerichtet, sind in der vergangenen Woche wieder deren 2 von Wehringen gefangen hierher gebracht worden. Man will dies Dorf zuerst von diesem verfluchten Geschmeiß reinigen, . . . ehe man anderswo zugreift. Es sollen auch von diesen Weibern daselbst nicht mehr viele vorhanden sein, da man davon schon eine gute Anzahl weggeputzt hat. Bei Euch aber, wo man deren schon genug bekommt, will man doch nicht recht heran. Es sei aber beschaffen, wie es wolle, so sehe die Obrigkeit zu, wie sie es dermaleinst vor Gott verantworten will." 140

V g l . ROSENFELD, a . a . O .

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DIE PUBLIZISTIK DER MASSENFÜHRUNG

sichtig zunächst nur die „Dubia", die Zweifel wecken und zur „Cautio criminalis"141 mahnen. Das Buch erschien anonym und wurde lange als „irrtümlich veröffentlicht" gekennzeichnet. Spee mußte also noch Camouflage üben, um dem Fanatismus des Massenwahns auszuweichen. Dann endlich erhebt sich die Abwehr in allen Konfessionen. Der tapferste evangelische Gegner, der im Hang der Zeit als Professor in Halle zunächst noch ein teilgläubiges Hexengutachten abgegeben hatte, wurde dann ein entschiedener Gegner: C H R I S T I A N T H O M A S I U S ( 1 6 5 5 — 1 7 2 8 ) mit seinem Werke „Theses inaugurales de crimine magiae" ( 1 7 0 3 ) . 1 4 2 Der Kampf gegen Massenwahnzustände gehört, wie dies Beispiel zeigt, zu den schwersten, aber auch zu den tapfersten Aktionen in der Geschichte der Publizistik.143 Die Geschichte der Hexenverfolgung vermittelt überzeugende Beispiele über mitwirkende publizistische Kräfte in der Pathologie des Massenwahns. Sie sind es, die in den Wahn treiben, seinen Ablauf befeuern, um dann, wenn die Erkenntnis dämmert, auf schwierigen Umwegen in oft mutigen Kämpfen der Vernunft wieder Einkehr zu geben. Es ist die alte Rolle der Publizistik in allen ekstatischen Ausbrüchen der Weltgeschichte. So auch in den großen Weltkriegen. Da sie als „Volkskriege" und schließlich als „totale Kriege" geführt wurden, mußte auch der letzte Zivilist gewonnen werden. Dadurch erst ist der Begriff der „geistigen Kriegsführung" als eine Parallele zu den militärischen Kämpfen im Ersten Weltkrieg aufgekommen. Er bezeichnete einen seit jeher bekannten publizistischen Vorgang in seiner nunmehr massenpsychologischen Natur. Sein Arsenal ist daher fast ausschließlich publizistisch, unter reichem Einsatz suggestiver Kampf- und Überwältigungsformen.144 Sie werden von den Autoren, die den Ersten Weltkrieg schildern145 fast als selbstverständlich hingestellt.14" Die in den angelsächsischen Ländern der allgemeinen Wehrpflicht bis 1914 kaum geneigten Massen mußten für den soldatischen Dienst durch sehr massive Mittel gewonnen werden. Das gleiche galt erst recht für die ideo141 Von BASCHWITZ treffend als „Gewissensbuch" übersetzt, s. Hexen und Hexenprozesse. A.a.O., S. 272. 112 Näheres darüber bei BASCHWITZ: Hexen und Hexenprozesse. A.a.O., S. 440. 143 Vgl. auch S. 44. 144 Aus der Sicht des Ersten Weltkriegs: LUDENDORFF, E.: Der totale Krieg. München 1935. — Historisch und systematisch für die damalige Auffassung: BLAU, A.: Geistige Kriegsführung. Potsdam 1937. Man sprach damals vom sogenannten „Katalaunische Problem" nach der Sage, daß in der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern (451 n.Chr.) die Geister der Gefallenen in den Wolken weiter kämpften. 145 So unter vielen anderen in dem bekannten Werke von LASSWELL, H. D.: Propaganda technique in the world war. New York 1927, S. 87, S. 208. — PONSONBY, A.: Falsehood in war time. A.a.O. — RAUSCHENBACH, H.: High Power Propaganda. New York 1928. — THIMME, Weltkrieg ohne Waffen. A.a.O. 149

PETERS: Das „US-Committee on public information". A . a . O . , S. 101. — VIERECK, G. S.:

Spreading germs of hate. New York 1930, S. 168: „Propaganda and war hysteria induced a pathological State which was no longer susceptible to common sense."

had

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151

logisch völlig unbeteiligten Völkerschaften aus den Kolonien Englands und Frankreichs auf dem europäischen Kriegsschauplatz. In welchem Ausmaß und mit welcher Wirkung dabei einem bereits vorhandenen Deutschhaß mit massenpsychologischen Mitteln Auftrieb g e g e b e n wurde, hat uns 147 K U R T B A S C H W I T Z überzeugend dargetan. Er zeigt, w i e bestehende deutschfeindliche Strömungen genutzt wurden, auch eigene Kriegsvorbereitung zu verschleiern. 149 Mit Ausbruch des Krieges und des leider erfolgten Bruches der belgischen Neutralität erhält diese Propaganda Weltauftrieb. Im Gange des Kampfes schuf sie Wahnzustände, die sich später nur langsam lichteten. Unbestritten haben sie, darauf sei nochmals hingewiesen, die Härte des Versailler Vertrages mitbestimmt und damit wiederum zur Entstehung eines fanatischen deutschen Nationalismus beigetragen. W e n n es heute über diese schweren Diffamierungen Deutschlands im Ersten Weltkrieg stille g e w o r d e n ist, so darum, weil das W ü t e n des Hitlerregimes Teile dessen wahrgemacht und im Rassenwahn übertroffen hat, w a s der deutschen Führung im Ersten Weltkrieg fälschlich oder doch einseitig zur Last gelegt wurde. Auch der Judenhaß ist in seiner Geschichte v o m Massenwahn begleitet. Mit allen publizistischen Mitteln wurde er in den Krisenzeiten des Mittelalters geschürt.149 Immer wieder ist der Jude in unheilbelasteten Jahren Objekt des Triebes, „Schuldige" zu suchen, „Schuldprojektionen" „Sündenböcke" in die W ü s t e zu schicken für alle Leiden der Zeit. Anstiften v o n Pest, Hunger und Krieg, Brunnenvergiftung, Ritualmord, Hostienraub u. a. mehr waren die Vorwürfe. In Einblattdrucken und Bilderbögen wurden diese Judenverfolgungen publizistisch vorbe147 BÄSCH WITZ: Der Massenwahn. A.a.O. Vgl. bes. die Kapitel: Regeln des Völkerhasses (S. 254 ff.); Gelehrte im Massenwahn (S. 205 ff.); Wandlungsfähigkeit des Völkerhasses (S. 262 ff.); Der moralische Selbsterhaltungstrieb (S. 159 ff.). 148 Vgl. dazu BASCHWITZ, Der Massenwahn. A.a.O., S. 111 ff., S. 117 u. S. 262 ff. Der Deutschhaß war vor 1914 auch „eine Quelle glänzender Einnahmen" für das skrupellose Sensationsgeschäft. „Die im Massenwahn mitschwimmende Presse vervielfachte die allgemeine Geistesverwirrung", S. 141. — HUGENDUBEL, H . : Die Vorbereitung des Weltkriegs durch die französische Presse. A.a.O. — Im gleichen Sinne aufschlußreich: SCHELER, M.: Die Ursachen des Deutschhasses. Leipzig 1917. — Ebenso, in bezug auf den Film, TRAUB, H.: Der Film als politisches Machtmittel. München 1933, S. 3 ff. 149 Während der Werbung für die Kreuzzuge kam es zu wilden Ausbrüchen des Judenhasses in Frankreich, England und in Deutschland. Am Rhein hetzte ein Zisterziensermönch (Radluf) im Stile Streichers gegen die Juden, die damals durch eine immer wieder bestätigte päpstliche Bulle (Calixtus II „Sicut Judaeis") geschützt, von den Bischöfen verteidigt wurden und z. T. nach Osten abwanderten. An der Verfolgung beteiligt waren Mitglieder des niedern Adels, der z. T. bei den Juden verschuldet war und so aus der „Schuldprojektion" Nutzen zog. Es bedurfte der Autorität Bernhards von Clairvaux, die wütenden Verfolger aufzuhalten. Er schickte Radluf in sein Kloster zurück. Vgl. VACANDARD, E.: Das Leben des hl. Bernhard. A.a.O. und HÜFFER, G.: Die Anfänge des 2. Kreuzzuges. In: Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 1887. — ROTH, C.: Geschichte der Juden. 2. Aufl. Köln 1965, S. 219 ff. — Auch BASCHWITZ: D U und die Masse. A.a.O., S. 172 ff. zeigt die Judenverfolgungen in der Geschichte unter den Merkmalen des Massenwahns. Die Päpste haben mit hohen Kirchenstrafen gegen die Judenverfolgung Stellung genommen. So die Synode von Narbonne (1188) und die Enzyklika Innocenz' IV (1246) vgl.: ASARIA, Z V I : „Die Juden in Köln", Köln 1959.

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reitet. 150 Immer w i e d e r w i e d e r h o l t sich die W a h n k o m p o n e n t e , die „Projektion", die Suche nach d e m „Schuldigen". Auch die rechtliche Gleichstellung der J u d e n durch ihre „Emanzipation" i m liberalen Geist d e s 19. Jahrhunderts brachte nicht das Ende einer J u d e n g e g n e r s c h a f t , die selbst in demokratischen Ländern i m m e r w i e d e r ausbrach. In Deutschland w a r e s die i m christlich-konservativen G e w ä n d e auftretende S t o e c k e r b e w e g u n g 1 5 1 und der „demokratische"

Radauantisemitismus

Ahlwards 1 5 2 ; in Österreich z e i g t e n sich starke judenfeindliche Kräfte 153 . In Frankreich führte die D r e y f u s - A f f a i r e zum Ausbruch der v o n Drumont

getragenen

antisemitischen A g i t a t i o n , der Emile Zola durch die b e r ü h m t e Flugschrift „ J'accuse" entgegentrat. Hier e r s c h e i n e n mit aller Kraßheit P h ä n o m e n e d e s M a s s e n w a h n s , publizistisch im Angriff und in der Abwehr. 1 5 4 In Deutschland

b e r e i t e n sie sich publizistisch zunächst aus ästhetischen und

scheinwissenschaftlichen A r g u m e n t e n vor, auch suchten k o n s e r v a t i v e

Gruppen

mit d e m A n t i s e m i t i s m u s d e n Liberalismus zu treffen. Sobald d a n n aber der A n t i s e m i t i s m u s auch rassisch v e r f o c h t e n wurde, traten die t r i e b m ä ß i g e n Kräfte auf. 155 Es b e g a n n publizistisch mit d e n hier bereits g e n a n n t e n (s. S. 58) rassischen W e r t u n gen, die

GOBINEAU158

mehr literarisch bot und die d a n n

H . ST. CHAMBERLAIN

wissenschaftlich verkündete. 1 5 7 A l s dann auch e i n e w i s s e n s c h a f t l i c h e

pseudo„Rassen-

150 Vgl. J A C O B , H. E.: 6000 J a h r e Brot. Hamburg 1954 bringt S. 207/10 das Facsimile eines „Hostienraubs" aus Passau und zeigt die Gefangensetzung und Hinrichtung der „Täter". 151 A D O L F STOECKER (1835—1909), 3 . Hofprediger, erlebte als Seelsorger des Berliner Stadtteils um den Hausvogteiplatz (Sitz der Konfektion), daß seine religiösen Predigten normalen Zulauf, seine antisemitischen, aus sozial-kritischen Motiven geführten Vorträge einen sehr erheblichen Zulauf hatten. Er ließ sich davon zu immer schärferen (allerdings nicht rassisch-bedingten) Aktionen hinreißen, die er auch publizistisch vertrat. — F R A N K , W.: Hofprediger Adolf Stoecker und die christl.-soziale Bewegung. A.a.O. Der Berliner Antisemitismusstreit. Hrsg. v. W. Boehlich. Frankfurt a. M. 1965, S. 237 ff. 152 H E R M A N N A H L W A R D T ( 1 8 4 6 — 1 9 1 4 ) , ein Berliner Lehrer, brachte eine niedere Form des Antisemitismus (Flugschrift „Judenflinten") in die antisemitische Bewegung. 153 Die judenfeindlichen Strömungen fanden eine fanatische Ausprägung unter G E O R G VON S C H Ö N E R E R in dessen Deutschnationaler Partei. Sie waren mit nationalistischen und antikatholischen (Los-von-Rom-Bewegung) Parolen verbunden. (Alldeutsches Tageblatt, Redesammlungen 1886 und 1891.) Milder zeigte sich der Antisemitismus in der Christlichsozialen Partei K A R L LUEGERS. Sein Antisemitismus ist wirtschaftlich, nicht rassisch bestimmt. 154 Vgl. die eingehende Darstellung nach der publizistischen Seite bei S C H M I D T , L . : Edouard Drumont — Emile Zola. A.a.O. Hier bringen die leidenschaftlichen Kämpfe Beispiele typischen Massenwahns. So z. B. in der „jüdischen Personifikation des Übels" und dem Verhalten Drumonts („Moralisches soll mit unmoralischen Mitteln erreicht werden"), S . 161 ff. 165 Vgl. Der Berliner Antisemitismusstreit. A.a.O., S. 256 ff. 156 G O B I N E A U , J. A. D E : Essai sur l'inégalité des races humaines. 4 Bde. 1 8 5 3 / 5 4 . Das umfangreiche W e r k wurde später in zahlreichen publizistisch zugkräftigen Auszügen verbreitet. Es bildeten sich eigene publizistisch arbeitende Vereinigungen, die Lehre zu verbreiten. S C H E M A N N , L.: 2 5 Jahre Gobinbeau. In: Vereinigungen. Berlin 1 9 1 9 . 157 CHAMBERLAIN, H . S T . : Die Grundlagen des 1 9 . Jahrhunderts. 2 Bde. München 1 8 9 9 , später auch in Volksausgaben verbreitet (28. Aufl. 1942). Das Buch behauptet und feiert die alleinige Führerschaft des „Ariertums". Es sucht die Minderwertigkeit anderer, vor allem der jüdischen Rasse zu beweisen. Seine zugkräftige Form zog damals ganz besonders die Jugend an. Unter den publizistisch den Nationalsozialismus vorbereitenden Büchern ist

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hygiene" aufkam 158 , leichtfaßlich in Broschüren und Artikeln verbreitet, war der Raum frei für eine triebmäßig bestimmte Judenfeindschaft, die nach den Gesetzen des Hasses 1 5 9 publizistisch höchst emotional wurde. Dann nahm sie durch die publizistisch gesteuerte Agitation Hitlers unmenschliche und schließlich pathologische Formen an. Die Tatsache, daß, zumal in Berlin, jüdische Persönlichkeiten in der Wirtschaft, in Kunst und Kultur und in der Presse an führender Stelle standen 160 , gab nun gar noch dem Fehlschluß Nahrung, ihnen die schwere wirtschaftliche N o t l a g e als Schuld anzurechnen. Das N e i d m o t i v verband sich dem Haßmotiv. Der „Schuldige", der „Verderber" war „projeziert". Im Buche M e i n Kampf hat Hitler bereits 1924 Auschwitz geradezu vorausgeplant, als er den Verlust des Ersten W e l t k r i e g e s den Juden in die Schuhe schob: „Hätte man zu Kriegsbeginn . . . einmal 12- bis 15-Tausend dieser hebräischen V o l k s v e r d e r b e r so unter Giftgas gehalten, w i e hunderttausende unserer allerbesten deutschen A r b e i t e r . . . es im Felde erdulden mußten, dann wäre das Millionenopfer der Front nicht vergeblich gewesen. 1 6 1 " In der politischen Vernichtungsaktion Hitlers g e g e n das Judentum zeigt sich deutlich die berechnete massenpsychologische Regie. Jeder Gewalttätigkeit g e g e n die Juden geht ihre Diffamierung vorauf, angekündigt im „Stürmer" Streichers. So brach die in der publizistischen Vorbereitung längst geplante Zerstörung der jüdischen Geschäftshäuser und der jüdischen Kultstätten „spontan" aus, als in Paris am 9 . 1 1 . 1 9 3 8 der deutsche Botschaftssekretär E R N S T V O M R A T H durch den jüdischen Studenten G R Ü N S P A N ermordet wurde. Immer lieferte Goebbels sehr berechnet der deutschen Öffentlichkeit, w e n n B e d e n k e n und Mißbilligung g e g e n kaum eines so durchschlagend gewesen wie dieses. Hitlers — wahrscheinlich in Wien entstandene — Judenfeindschaft entnahm diesem Buche die „wissenschaftliche" Bestätigung. Vgl. auch S. 55 „Wegebahnende Publizistik". — Den geistesgeschichtlichen Wurzeln des Nationalsozialismus geht der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, H E L M U T K R A U S N I C K , in seinem Buche Die geistigen Voraussetzungen der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Wiesbaden 1965 nach. Die dort gegebene Linie ist zutreffend, was aufgrund langjähriger Beobachtung gesagt werden kann. 158 vgl. hierzu: B A U R , E., E. FISCHER U. F . L E N Z : Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene. 2 Bde. 3 . Aufl. 1 9 2 7 — 3 1 und LENZ, F R I T Z : Die Rasse als Wertprinzip. Zur Erneuerung der Ethik. München 1 9 3 3 . — Vgl. auch K R A U S N I C K , a.a.O. 139 Vgl. S. 122. 160 Die Ursache liegt darin, daß auch nach der Emanzipation der Zugang von Juden in fuhrende beamtete Berufe versagt blieb. Daher wandten sie sich freien Berufen zu. Sie beruht weiter in der scharfen kritischen Begabung jüdischer Künstler, Schriftsteller und Journalisten und in ihrem sicheren Sinn für publizistische Wirkung (Lassalle, Heine, Börne, Harden, Jacobsohn, Kerr, Tucholsky). Von einer „überwältigenden Durchdringung" des öffentlichen Lebens durch jüdische Persönlichkeiten kann jedoch nicht die Rede sein. Nur in Berlin trat das jüdische Element hervor, weil dort 48 Prozent aller in Preußen wohnenden Juden ansässig waren. Die Glaubensjuden waren unter der Gesamtbevölkerung nur mit 0,9 Prozent vertreten. Eine einheitliche judische Interessenvertretung gab es nicht. In Berlin stand eine ganze Reihe führender jüdischer Persönlichkeiten, auch der Presse, in den Rechtsparteien, so z. B. leitende Redakteure des Berliner Lokalanzeigers. Vgl. hierzu: Entscheidungsjahr 1932. Zur Judenfrage in der Endphase der Weimarer Republik. Schriftenreihe des Leo Baeck-Instituts. Tübingen 1965. 161 H I T L E R : Mein Kampf, a.a.O., S. 629.

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die Judenverfolgungen aufkamen, künstlich den Anlaß, sich „ethisch zu entlasten". Selbst in der für „die geistige Welt" und das Ausland bestimmten Zeitschrift „Das Reich" riskierte er das hemmungslos 162 : „Die Juden sind unser Verderb. Sie haben diesen Krieg angezettelt und herbeigeführt. Sie wollen mit ihm das Deutsche Reich und unser Volk vernichten. . . . Sie erleiden durch die Behandlung, die wir ihnen angedeihen lassen, kein Unrecht. Sie haben sie mehr als verdient." Jeweils vor Beginn der geheimgehaltenen Vernichtungsaktionen von Auschwitz, Treblinka und Maidanek setzte eine um so heftigere Agitation gegen die Juden ein. Aufkommende Gewissensbedenken, soweit man von den Vorgängen „gerüchtweise" erfuhr oder den Abtransport der Juden „mit unbekanntem Ziel" erlebt hatte, sollten massenpublizistisch abgefangen werden. Inwieweit das damals noch gelang, als das Volk in der Heimat unter dem schweren Bombenkrieg und den immer mehr wachsenden Kriegsverlusten, sowie der Wende der militärischen Erfolge dem noch zugänglich war, ist schwer festzustellen. In den „Vertraulichen Informationen" an die Presse und die Parteistellen, die als „Verschlußsache" zu behandeln und deren Verbleib jeweils aktenmäßig nachzuweisen war, liefen die Diffamierungsaktionen mit den Vernichtungsaktionen geradezu parallel. Schwerpunkte der Propaganda des Judenhasses entstanden 1941 und erreichten 1943 und 1944 eine kaum mehr zu überbietende Schärfe.163 Nach den Notizen, die Goebbels in seinen Tagebüchern vermerkte, geschah das auf direkte Anweisung Hitlers. 164 In der propagandistischen Ausbeutung des Falles Katyn, wo die Leichen von über 4000 erschossenen polnischen Offizieren gefunden wurden (nach jüngeren Forschungen von den Sowjets ermordet), zeigte sich geradezu das politische Kehrbild von Auschwitz. „Das Mordkommando der GPU", so heißt es, „war aus jüdischen Kommissaren zusammengesetzt". „Juden", so wurde behauptet, „stellten das Liquidationskommando" (Anweisung vom 14. 4. 1943). Jede deutsche Zeitung, so wurde angeordnet, sollte „nachdrücklichst auf die Blutfratze des Judentums" hinweisen. Greueltaten waren immer „typisch jüdischen Charakters", „britischjüdische", „jüdisch-plutokratische Haßphantasien" und „jüdische Vernichtungsparolen" (Anweisung v. 16. 10. 1943). Der behauptete Abwurf „explosiver Füllhalter" für die deutschen Kinder sei ein „hinterlistiges . . . gegen Kinder gerichtetes Verbrechen jüdischer Perversität". Selbstverständlich werden auch die Bombenangriffe „jüdischer Urheberschaft" zur Last gelegt. Bis in die Tage des Zusammen182 Das Reich v. 16. 11. 1941. — über die Natur der Zeitschrift vgl.: Facsimile Querschnitt durch Das Reich. Hrsg. v. Hans Dieter Müller. Mündien/Bern/Wien 1 9 6 4 . — A B E L , K . D.: Die Problematik der Presselenkung im N. S. Staat z. Z. noch ungedrudtte Phil. Diss. Berlin 1967. Hier Analyse der Ztschr. „Das Reich". 163 Hierzu: H A N O , H.: Die Taktik der Pressepropaganda des Hitlerregimes 1943/1945. Eine Untersuchung auf Grund unveröffentlichter Dokumente des Sicherheitsdienstes und des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda. München 1963 (Diss. Berlin 1963). Vgl. hier besonders das Kapitel: Die antisemitische Propaganda, S. 98 ff., belegt durch die „vertraulichen Informationen" in der Fassung des Propagandaamtes, Frankfurt (S. 11, S. 129). 1,4 GOEBBELS, J.: Tagebücher. Hrsg. v. L. P. Lochner. Zürich 1948. Eintragung v. 17.4. 1943.

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bruchs wird „das internationale Judentum" als der alleinige Schuldige am Kriege und all seinen Folgen bezeichnet. 165 Deutlicher kann die Umkehr der Schuldbelastung kaum vollzogen werden. Die aktive „Schuldprojektion" wurde bis ins Äußerste getrieben.16® Die Frage, inwieweit im Deutschland des Hitlerregimes diese systematisch geleitete Judenhetze zum echten Massenwahn wurde, also zu blindem Judenhaß, der pathologisch ansteckte, ist nach den bisherigen Erhebungen nicht eindeutig zu beantworten. Befragungen geben sehr verschiedene Ergebnisse und ihr Wahrheitsgehalt ist problematisch, dazu auch regional und nach Lebensalter sehr unterschieden. Die Zeit der größten Verdichtung des Judenhasses durch die Propagandaführung und während der Vernichtungsaktionen gegen die Juden war, wie bereits gesagt wurde, auch die Zeit stärkster persönlicher Bedrängnis jedes Einzelnen durch die Not des Krieges, aber auch durch die lebensgefährliche Bespitzelung jeder Haltung und jedes Wortes. Viele Todesurteile und hundertfach erfolgte „Abholungen" in die KZ lagen als schwerer Terror über der Bevölkerung. Goebbels schreibt am 12. Nov. 1943 in sein Tagebuch: „Die ewigen Meckereien haben stark abgenommen, seit wir gegen Defaitisten Todesurteile aussprechen, vollstrecken lassen und veröffentlichen." Trotzdem war die für die Bildung eines Massenwahns notwendige Terrorsituation und die gleichzeitige Absperrung vor jeder freien Information keineswegs mehr so dicht, daß einem unabhängigen Urteil nicht doch noch Wege — meist gefährliche Umwege (fremde Sender) — zur Information möglich gewesen wären. Zum mindesten war man über die für das Hitlerregime immer schlechter werdende Lage unterrichtet. So kam es zu keinem kompakten Massenwahn, statt dessen zu einer sich immer mehr ausbreitenden aber völlig ohnmächtigen inneren Opposition. Wohl zeigten sich massenwahnähnliche Teilerscheinungen bei denen, die dem Regime verfallen waren. Sie stellten sich auch bei denen ein, die sich dem System zur Verfügung hielten, ohne zu seinen verbrecherischen Trägern zu gehören. Eben darum suchten sie sich vor sich selbst zu rechtfertigen, waren also „entlastungsbedürftig". Derartiges gab es auch in den ersten Jahren des Regimes, als die Judenfeindschaft erst anlief, als die Behauptungen von der „Schuld der Juden", ihrem „Besitz großer und ertragreicher Positionen", ihrem „Profitgeist und Verdienenwollen" 197 von manchen gerne gehört wurden, die dem Regime verpflichtet waren oder glaubten, ihm — trotz aller „Kinderkrankheiten" — Vertrauen schenken zu müssen. „Auf die Barrikaden" zu gehen, bestand, nachdem das erste Jahr des Regimes mit den Morden des 30. Juli 1934 zu Ende gegangen war, keinerlei Möglichkeit. 165 Die Tagebücher von GOEBBELS zeigen diese bewußte Regie. So z. B. a.a.O., S. 302: „Es muß soweit kommen, daß auch ein feindlicher Staatsmann sich an der Seite eines Juden gar nicht mehr zeigen darf." Scharfe Verfolgung der Juden in Berlin, S. 304 ff. Deutliche Versuche, die Verfolgungstaktik auch international zu Erfolgen zu bringen, treten hier hervor. Immer wieder berichtet Goebbels über Besprechungen mit Hitler in der „Judenfrage" und gibt entsprechende agitatorische Anweisungen, s. S. 313, S. 316. 166 Vgl. hierzu B I T T E R , W.: A.a.O., S. 22 und den Hinweis auf den Aufsatz von H O C H HEIMER, W.: über Projektionen. In: Psyche 1955, S. 279.

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Bis dahin hatten viele einen kurzfristigen Ablauf des Regimes erhofft. Mit dem Sommer 1934 machte der Terror dicht. Gleichzeitig lähmten ausländische Anerkennungen des Regimes (Olympische Spiele) erst recht jede scharfe Aktion. In der inneren Opposition war das Stillehalten gegenüber Propagandaparolen Existenzbedingung. 188 Die Berichte des SD können bei der ängstlichen Vorsicht der bedrückten Bevölkerung, die mit den Verfolgungsgefahren wuchs, nur mit Vorbehalten gewertet werden. 198 Der Streit, was hätte geschehen sollen oder was schuldhaft unterlassen wurde, geht nicht nur um die Haltung des Papstes Pius XII, sondern geht auch um jeden einfachen Menschen im damaligen deutschen Volke. Er geht aber auch um die Feststellung, daß hier von „unbekannten Helden" viel weitgehender Hilfe und Rettungsaktionen geübt wurden als heute bekannt ist.170 Publizistische Mittel, Widerstand zu leisten, hielten sich in der Illegalität und waren nur begrenzt wirksam. Mit zunehmender Härte des Krieges wurden auch die Mittel der verkappten Publizistik gelähmt. 171 Tapfere Aktionen, wie die der Geschwister Scholl, bleiben leider vereinzelt. Sie hätten größere Opfer und damit gewiß deutlichere Dokumente des Widerstandes geboten, aber keine Wende herbeigeführt (s. S. 77). Die nach dem Zusammenbruch eingenommene Haltung der Bevölkerung bewies mindestens die Tatsache, daß auch die sich längst der Verwerflichkeit des Hitlerregimes bewußt geworden waren, die unter gänzlich anderen Vorstellungen der Suggestion und der publizistischen Überwältigung erlagen. Damit sollen die eigentlich Schuldigen nicht verteidigt werden. Sie zu finden und zu stellen ist historisch, moralisch und rechtlich Pflicht und Aufgabe, die durch keine Verjährung zu beenden ist. Die Welt ist nicht frei von den Gefahren des Massenwahns. In arabischen Ländern erhob sich der Kampf gegen das Judentum in kaum begreiflicher Schärfe. 107

Vgl. S. 126 dieses Kapitels: die Rolle des Neids. über den „Wahncharakter" schreibt BITTER (a.a.O., S. 23): „Daß ein großer Teil der deutschen Bevölkerung diese Verbrechen toleriert oder — soweit er Gegner des Systems war — nicht zum aktiven Widerstand aufgerufen hat, wird als pathologisches Massenphänomen und eines der dunkelsten Kapitel in die Geschichte eingehen." Diese kritische Haltung ist verständlich, zeugt aber nicht von genauer Kenntnis der Sachlage. Es gab — außer mit der Folge sofortiger Vernichtung — keine Möglichkeit, öffentlich zu zeigen, daß man nicht tolerierte, noch viel weniger gab es die Möglichkeit, zum aktiven Widerstand aufzurufen. Wie hätte das wirksam geschehen können? Vergleichsweise sei auf die heutige Lage in der sowjetisch-besetzten Zone hingewiesen. — Wie verdeckt selbst die aktive Opposition arbeiten mußte, wollte sie zu Erfolg kommen, zeigt überzeugend SCHLABRENDORFF, F.: Eugen Gerstenmaier im Dritten Reich. Stuttgart 1965, S. 9 u. S. 24. Dazu kommt, daß die große Mehrheit des deutschen Volkes auch nicht entfernt über die Verbrechen unterrichtet war, die heute durch die großen Prozesse zu Tage liegen. 169 über diese SD-Berichte vgl. HANO, a.a.O., S. 11. — über die „Stimmungslage" nach dem 20. Juli 1 9 4 4 berichtet mit neuem Material: TRAVAGLINI, TH.: Der 20. Juli 1 9 4 4 . A.a.O. 170 Vgl. dazu u. a. die S. 137 angegebene Literatur sowie ergänzend dazu: Frauen in Fesseln. Erinnerungen einer Berliner Gefangnisfursorgerin 1933—45. Aufgeschrieben von Erich Klausener. Berlin 1962. 171 Vgl. S. 71 u. S. 79. Die Technik einer erzwungenen moralischen Gefolgschaft, zumal in Zwang des Kriegsdienstes, hat BASCHWITZ: Der Massenwahn. A.a.O., S. 1 8 3 treffend geschildert. 1,8

DIE G R U N D G E S E T Z E DER M A S S E N F U H R U N G — DIE P S Y C H O - C H E M I S C H E Ü B E R W Ä L T I G U N G

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Neue Zündstellen des Rassenwahns haben selbst in einer so freien Nation wie den USA zu fanatischen Ausbrüchen geführt. Durch die publizistischen Mittel kommen die großen Massen der Weltbevölkerung immer näher zueinander. Das kann zu Frieden und Ausgleichen führen, bietet aber ebenso die Gefahr, politische und rassische Ausbrüche zu steigern und — vielleicht — weltweit zu machen.172 Der Massenwahn entsteht aus dem irregeleiteten moralischen Selbsterhaltungstrieb der Masse als „die gemeinsame Ausflucht unfreier Menschen vor der eigenen Gewissensforderung" (Baschwitz). Wo Menschen an der Schuld einer Verantwortungsgemeinschaft (Staat, Partei, Wirtschaftliche Macht) beteiligt sind oder zu sein glauben, aber durch Terror, gesellschaftliche oder religiöse Vorurteile oder wirtschaftlichen Zwang gehindert sind, ihren Gewissensdruck frei abzubürden, verkehren sie aus ethischem Entlastungstrieb die Schuld und schieben sie dem Haßopfer, dem durch die Schuld eigentlich Geschlagenen, zu. Steht der Einzelne dabei in einer Vielzahl von Menschen gleichen Wollens, so finden sich bald alle in ihrem Entlastungstrieb bestätigt. Unter ständigem „Böswollen" und „Schlechtdenken" gegen das Objekt ihrer Schuld (einen Menschen, eine Rasse, ein Volk, eine Religion) erwächst eine Vernunfttrübung, die schließlich in einem Wahn, dem Massenwahn endet. Solche pathologischen Zustände sind politisch und menschlich (im Völkerhaß, im Rassenhaß) von furchtbaren Folgen. Sie fälschen den ethischen Grundwillen der Massen in sein Gegenteil um und finden selbst unter Wohlmeinenden ihre Opfer. In der so aus verdrängter Gewissensnot verhärteten Unduldsamkeit kann Massenwahn nur langsam und nur unter gefährlichen Rückschlägen gelichtet werden. Nur tapferen und sehr klugen publizistischen Kräften ist es in der Geschichte gelungen, gegen ihn anzugehen. Die Abwehr gegen aufkommende Zeichen des Massenwahns ist eine überzeugende öffentliche Meinungs- und Willensbildung, die wirklich frei, also weder von staatlichen, kollektiven oder wirtschaftlichen Mächten beeinflußt oder gar abhängig, aber von einem verantwortungsbewußten Staatsbürgertum getragen wird. 7. Die psycho-chemische Überwältigung — Das Ende der Publizistik Der publizistische Prozeß ist immer ein geistiger Vorgang. Er bleibt es auch dann, wenn er unter überwältigender Propaganda oder diktatorischem Befehl abläuft. Ob er also frei bekennend oder nur gehorchend, kapitulierend sich vollzieht: wo er bewußt, wenn auch verbittert sich dem Zwange beugt, bleibt er doch ein geistiger Vorgang. In der Härte politischer Kämpfe haben die Eroberer der Macht sich oft bemüht, die Zustimmung der überwundenen zu erhalten. Sie haben versucht, bejahende Erklärungen gerade der führenden Gegner auch durch Gewalt zu erzwingen, um das Bekenntnis publizistisch auszubeuten. 1 , 2 Vgl. hierzu die Aufsätze über den Massenwahn in der von Bitter herausgegebenen Sammlung: Massenwahn in Geschichte und Gegenwart. A.a.O. Ebd. ist auch die Massenpsychologie in den bolschewistischen Ländern dargestellt durch MÖBUS, G.: Der Bolschewismus in pädagogisch-psychologischer Sicht. S. 50—58. — Ders.: Psychagogie und Pädagogik des Kommunismus. Köln und Opladen 1959.

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DIE P U B L I Z I S T I K DER M A S S E N F U H R U N G

In der Geschichte der Menschheit sind Versuche dieser Art grauenvoll gehäuft: herausgefolterte Aussagen über Mitverschworene, erpreßte Bekenntnisse, Selbstbeschuldigungen unter „peinlichen Befragungen". Die Technik ist so alt wie die Verteidigung der Macht gegen Bekennertum oder politische Opposition, vom Kampf gegen das junge Christentum über die Inquisition und die Hexenverfolgung173 in die Leidenschaften der Glaubenskämpfe. Nur zögernd haben sich die Grundsätze allgemeiner Menschenrechte dagegen durchgesetzt. Unter den totalitären Mächten sind sie dann wieder verfallen. GPU, GESTAPO, NKWD und „Staatssicherheitsdienst" sind traurige Meister der Technik, wehrlose Gefangene auszuholen und den „Widerstand zu brechen". Dabei wird mit einer oft unvorstellbaren Grausamkeit verfahren. Die Bezeichnung des Verfahrens als „Gehirnwäsche" (nach USA-Erfahrungen im Koreakrieg „brainwashing") klingt für die qualvollen Formen, mit denen sie betrieben wird, fast zynisch. Immerhin deutet sie die Gewalttätigkeit des Verfahrens an. Ziel ist, jedes Persönlichkeitsgefühl beiseite zu schaffen. Schon die rein menschliche Erniedrigung, ebenso wie die durch körperliche bis zur Halluzination und zum Irrsinn getriebene Dauerfolter (Entzug des Schlafs, wochenlanges Stehen, grelle Anstrahlung, geistige Drohungen und seelische Quälereien, Sippenhaft usw.) vernichtet jede Selbstachtung und führt oft zu lauter Selbstanklage. Die Fälle sind nicht selten, daß Gefangene in den Tod gingen, weil sie fürchteten, unter der Folterung Namen von Freunden und Mitarbeitern verraten zu müssen.174 Diese Methoden werden nun durch Anwendung chemischer Mittel (Drogen) in neue Form gebracht. Sie fälschen die Person in der Persönlichkeit um. Die so 173

Beispiele vgl. S. 146. Um nur aus den letzten Jahrzehnten aus der kommunistischen und nationalsozialistischen Welt Literatur zu nennen: Vgl. DICKLER, G.: 13 Prozesse, die Geschichte machten. München 1964. Hier werden die Prozesse Stalins gegen die „Trotzkisten" 1936—38 dargestellt. — Aktenmaßig belegte Darstellung in: Die Moskauer Schauprozesse 1936—38. Hrsg. v. Theo Pirker. München (dtv) 1963. Ebd. auch Chruschtschows berühmte Rede zum XX. Parteitag der KPdSU 1956 (S. 252 ff.) mit zahlreichen entsprechenden Belegen. — ü b e r die Vorgänge im Hitlerregime vgl. u. a. SCHLABRENDORFF, a.a.O. sowie LEBER, A., u. F. v. M O L T K E : Für und Wider. A.a.O., S. 94, S. 251. — Der wegen Verschwörung gegen Hitler 1944 in Haft genommene deutsche Widerstandskämpfer M A X H A B E R M A N N hat sich im Gefängnis das Leben genommen, weil er fürchtete, unter der Folter die Namen seiner Mitarbeiter preiszugeben. — Uber die Verfolgungen in der SBZ und die Anwendung der Foltertechnik vgl.: Der Staatssicherheitsdienst. Ein Instrument der politischen Verfolgung in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Bonn/Berlin 1962. Hier vor allem S. 187, S. 197, S. 218 und ebend. beglaubigte Zeugenaussagen. — In den kommunistischen Richtungskämpfen Ungarns uberstand Vincent Savarius die Praparierung für einen Schauprozeß. Vgl. S A V A R I U S , V . : Freiwillig für den Galgen. Die Geschichte eines Schauprozesses. Köln 1963. — Das rotchinesische Verfahren schildert COILLIE, D. V.: Der begeisterte Selbstmord. Im Gefängnis unter Mao Tse Tung. Donauwörth o. J. — Eine systematische Gesamtdarstellung gibt H U N T E R , ED.: Brain washmg in Red China. The calculated destruction of men's mind. New York 1953. — Genaue Verfahrenstechnik gibt S A R G A N T , W.: Battie for the mind. A Physiologie of conversion and bram-washing. Melbourne 1957. — Vgl. auch B U L L , G. T.: Am Tor der Gelben Götter. Wuppertal 1961. — Eine Darstellung des „Reichstagsbrandprozesses" mit dem heute umstrittenen, aber sicher auch unter Drogeneinfluß stehenden Holländer van der Lübbe siehe bei DICKLER, a.a.O. 174

DIE GRUNDGESETZE DER M A S S E N F U H R U N G — DIE P S Y C H O - C H E M I S C H E Ü B E R W Ä L T I G U N G

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zwangsumgekehrten Aussagen werden dann publizistisch als freie Erklärungen grell aufgemacht und verbreitet. Auf die Folterung, die meist äußerlich erkennbar wäre, wird verzichtet. Die Drogen stülpen den Delinquenten von innen her um. Indem sie seinen physiologischen Status verkehren, beseitigen sie alle psychologischen Schutzhemmungen. Die Mittel selbst werden unauffällig der Gefangenenkost beigegeben. 175 Der Delinquent weiß nicht darum oder ahnt nur. Er wird durch die ihm heimlich gegebenen Mittel in eine tiefe Depression oder eine krankhaft erhöhte Piauder- und Mitteilungsfreudigkeit, jedenfalls in eine Phase stärkster Suggestibilität bis zur labilen Willenlosigkeit gebracht. Daraufhin setzt dann die geistige Steuerung ein. Es gelingt, jede dem Delinquenten eingesagte Erklärung zu gegebener Zeit automatisch wieder aus ihm herauskommen zu lassen. Meist in der Aussage vor Gericht oder in einer veröffentlichten Erklärung, ja selbst in brieflich festgelegten Bekenntnissen werden die so gefälschten Aussagen in Schauprozessen propagandistisch mißbraucht. Schauprozesse sind Sdieinprozesse, pseudorechtliche Verfahren, vorher bearbeitete Angeklagte vor breitester Öffentlichkeit nach deren eigenem Schuldbekenntnis moralisch zu diffamieren, äußerlich aber ein geregeltes Rechtsverfahren vorzutäuschen, um dann die Ergebnisse propagandistisch um so glaubwürdiger gebrauchen zu können. Die von Stalin 1936—38 vorgenommenen sogenannten „Säuberungsaktionen" gegen „Trotzkisten" und „Links- oder Rechts-Abweichler" trafen eine Reihe beliebter alter Bolschewiken, so Sinowjew, Kamenew, Bucharin, Krestinski, die in den Massen bekannt und geehrt waren. Sie alle wurden vor Gericht — ebendarum — zu erschöpfender Selbstbezichtigung gebracht. Nach eigenem Bekenntnis, zum Teil nach selbst gestellten Forderungen strengster Bestrafung, wurden sie zum Tode verurteilt und hingerichtet. Es bedurfte gerade wegen des Ansehens dieser Persönlichkeiten eines öffentlichen „Beweises" ihrer Schuld aus ihrem eigenen Schuldbekenntnis. Krestinski 176 , früherer Botschafter in Berlin und zeitweise stellvertretender Außenminister, nahm vor Gericht zurück, was er in der Voruntersuchung ausgesagt hatte, um jetzt — wie er sagte — im Hauptverfahren frei sprechen zu können. Mit seiner wiederholten Erklärung „Ich bin kein Trotzkist" brachte er die Staatsanwaltschaft (unter Wyschinski) in Verlegenheit. Schließlich wurde er ins Gefängnis zurückgebracht. Nach drei Tagen, in der Wiedereröffnung des Verfahrens, schwieg er gegenüber allen neuen Anschuldigungen und erklärte: „Ich gebe voll und ganz meine Verantwortung für den 175

über die angewandten Chemikalien usw. siehe weiter unten. ° N. N. KRESTINSKI (1883—1936) war 1919 Sekretär des Zentralkomitees, 1918—21 Volkskommissar, 1921—30 Botschafter in Berlin, dann stellv. Außenminister, 1935 verhaftet, 1936 hingerichtet. Krestinski war, wie der Verfasser aus journalistischer Fühlungnahme mit K. während dessen Berliner Zeit erfahren hat, eine unabhängige, gebildete Persönlichkeit, ebenso wie seine Frau, eine Ärztin, von sachkundigem und verstandesklarem Urteil. Sein totales Schuldbekenntnis, nach anfangs überzeugender Verneinung, kann nur künstlich in ihn hineingebracht und ohne eigenes Bewußtsein wieder aus ihm herausgeholt sein. 17

DIE PUBLIZISTIK DER MASSENFUHRUNG

160

V e r r a t und d i e T r e u l o s i g k e i t zu, d e r e n ich mich schuldig gemacht habe." Mit d i e s e m , ihm psycho-chemisch b e i g e b r a c h t e n B e k e n n t n i s erhielt er d a s

Todes-

urteil. 1 7 7 B e w e i s k r ä f t i g b e l e g b a r z e i g t sich d i e p s y c h o - c h e m i s c h e Ü b e r w ä l t i g u n g in der V e r f o l g u n g u n d V e r u r t e i l u n g d e s Kardinals

MINDSZENTY

1949 in Ungarn. D a s Land

ist z u 70 Prozent katholisch. Im K a m p f e der k o m m u n i s t i s c h e n Partei U n g a r n s g e g e n die k a t h o l i s c h e Kirche m u ß t e a l s o mit Vorsicht v o r g e g a n g e n w e r d e n . D e r Fürstprimas, Josef Kardinal M i n d s z e n t y , der schon d e m H i t l e r r e g i m e tapfer w i d e r s t a n d e n h a t t e u n d e i n „ S y m b o l d e s W i d e r s t a n d s w i l l e n s einer g a n z e n N a t i o n " g e w o r d e n war 178 , b e w ä h r t e sich e b e n s o im Konflikt s e i n e r Kirche mit der K o m m u n i s t i s c h e n Partei. Er z e i g t e ä u ß e r s t e Entschlossenheit 1 7 9 . D e r Kardinal w u r d e am 27. D e z e m b e r

1948 auf A n o r d n u n g d e s u n g a r i s c h e n I n n e n m i n i s t e r s

verhaftet.

W e n i g e M i n u t e n v o r s e i n e r V e r h a f t u n g k o n n t e er noch auf e i n e n Briefumschlag f o l g e n d e Erklärung n i e d e r s c h r e i b e n : „1. Ich w a r an k e i n e r V e r s c h w ö r u n g beteiligt. 2. Ich w e r d e n i e m a l s abdanken. 3. Ich v e r w e i g e r e j e d e A u s s a g e . 4. S o l l t e m a n dennoch h ö r e n o d e r l e s e n , daß ich e i n G e s t ä n d n i s a b g e l e g t o d e r a b g e d a n k t habe, s o l l t e m a n s o g a r m e i n e e i g e n e Unterschrift als B e w e i s dafür v o r l e g e n k ö n n e n , s o m u ß d a s als e i n Zeichen menschlicher U n z u l ä n g l i c h k e i t betrachtet w e r d e n , und ich erklare d i e s v o n v o r n h e r e i n als ungültig. 1 8 0 " Der Kardinal h a t t e recht v o r a u s g e a h n t . A m 29. D e z e m b e r b e r e i t s berichtet die k o m m u n i s t i s c h e P r e s s e : „Minds z e n t y hat a l l e s g e s t a n d e n " , u n d sehr bald, am 19. Januar, erschien e i n „Gelbbuch", d a s „handschiiitliche

Geständnisse"

d e s Kardinals veröffentlicht, d e r e n Fälschung

h e u t e durch d i e Fälscher s e l b s t k l a r g e s t e l l t ist. 181 177 Die von der Polizeiakademie in Moskau um 1935 erfundenen chemischen Formeln zur Präparation der Angeklagten auf publizistisch brauchbare Aussagen vor Gericht haben Schule gemacht. Sie werden auf die b e k a n n t e n Lehren des russischen Physiologen P. P. PAWLOW (1849—1936) der „bedingten Reflexe" zurückgeführt. Vgl. HILDEBRANDT, R.: Von der psychologischen zur physiologischen Form der Massenführung. Ein Versuch über die Anw e n d u n g der Theorie P. Pawlows in der sowjetischen Propagandatechnik. In: Publizistik 1956, H. 2. S. 67—77 sowie BYKOW, K. M.: Zur Stellung der Lehre Pawlows in der heutigen Wissenschaft. Berlin 1952. 178 KÜHN, H.: Skizze eines großen Lebens. Berlin 1951, S. 45 ff. Der Kardinal hatte im Kampf gegen den deutsch-ungarischen Faschismus (Organisation der „Feuerkreuzler") seinen deutschen N a m e n Josef Pehn niedergelegt und den magyarischen N a m e n angenommen. 179 Vgl. dazu: Weißbuch Vier J a h r e Kirchenkampf in Ungarn. Hrsg. I. A. v. Kardinal Mindszenty. Deutsche Dbers. Hamburg 1949. 180

181

WEISSBUCH, a . a . O . , S. 1 5 6 .

Es handelt sich um Briefe an den Justizminister mit einem klaren Schuldbekenntnis, um Briefe an die ungarische Bischofskonferenz mit Dankbarkeit für die „Mäßigung der Regierung", gleichzeitig um einen angeblichen Kassiber an den amerikanischen Gesandten mit der Bitte um Fluchthilfe durch W a g e n und Flugzeug unter Gewährung einer Prämie von 4000 Dollar für den Piloten (!). Aus alten Schriftstücken Mindszentys sind diese Briefe durch den amtlichen Graphologen der Regierung zusammenphotographiert worden. Vgl. die glaubwürdige Schilderung des später aus Ungarn geflohenen Graphologen LASZLO SULNER in: Le Figaro v. 15. und 16. 7. 1950 (Comment on domestique un Cerveau). Dort ist die Technik genau beschrieben. Schon vor diesen Feststellungen w a r e n die Brieffacsimiles des „Gelbbuches" analysiert und als Montagen nachgewiesen. Vgl. Die Presse (Wien) v. 12. 2. 1949. — Carrefour (Paris) Februar 1949. — Bericht eines Gefangenen über die „aveux

DIE GRUNDGESETZE DER MASSENFUHRUNG — DIE PSYCHO-CHEMISCHE ÜBERWÄLTIGUNG

161

In dem Schauprozess im Februar 1949 erscheint — unter sechs Mitangeklagten — ein in seinem Persönlichkeitstyp völlig verwandelter Kardinal.182 Er ist ebenso wie seine Mitangeklagten „geständig". Gesenkten Blicks nimmt er auch die vor seiner Verhaftung niedergeschriebene Notiz in abgehackten, eingelernten Sätzen zurück. Alle Angeklagten beharren in einer „ausgesprochenen Geständnisfreudigkeit". 183 Mindszenty wurde aller Punkte der Anklage für schuldig befunden, derer er sich ja auch selbst beschuldigt hatte (Hochverrat, Verschwörung, Spionage und Devisenschmuggel). Als „Feind des Volkes" traf ihn das lebenslängliche Gefängnis. Die psycho-chemische Überwältigung hatte damit der kommunistischen Propaganda aus dem Munde des Kardinals selbst die überzeugenden Argumente „gegen die Kirche" geliefert. Im gläubigen Volke hieß es: „Man hat ihm die Seele gestohlen." Daß Mindszenty nach seiner Befreiung 1956 durch die ungarische Revolution nach deren Zusammenbruch in der US-Gesandschaft Schutz suchte und immer noch dort verharrt, obgleich Wege zur Ausreise ihm geöffnet sind, ist wohl darin begründet, daß er volle Rehabilitierung verlangt. Das aber wiederum würde bedeuten, daß die kommunistische Regierung von den künstlichen Begründungen abrückt, aus denen der Schuldspruch 1949 möglich wurde, was sie propagandistisch nicht riskieren will. So verharrt der Kardinal, in dauerndem Protest gegen die Fälschungstechnik des Verfahrens von 1949. Auch das ist eine publizistische Aktion. über die damals und 1936 in der Sowjetunion angewandten chemischen Mittel gibt es nur unsichere Angaben. Soweit Fachurteile vorliegen184 wird von Substanzen gesprochen, die Depressionen ebenso wie übersteigerte Stimmungen erzeugen, jedenfalls hemmungslos schwatzhaft machen können und die freie Entscheidung des „Objektes" aufheben. (Genannt werden in verschiedenen Dosen und Verbindungen Skopolamin, Andrenalin, Ephedrin, Pervitin, Aktedron.) Man spricht laienhaft von einer „Wahrheitsspritze", aufgrund derer das arme Objekt auch das Letzte und mehr als das bekennt.165 Unabhängig von jeder politischen Absicht spontanés". In: Le Figaro v. 9. u. 10. 2. 1949. — Vgl. ebenso einen Aufsatz von Professor JEAN DELAY über die Anwendung der Drogen in: Le Figaro v. 11. 2. 1949. — Fachliche und bibliographische Zusammenfassung: Mindszenty-Dokumentation. Bearb. u. übers, v. J . Vescey u. J . Schwendemann. 3 Bde. St. Pölten 1956—59. — KARDINAL MINDSZENTY. Bei-

träge zu seinem 70. Geburtstag. Hrsg. v. J . Vescey. München 1962. — Uber die Natur der Drogen siehe weiter unten. 182 Selbst in den damals mit amtlicher Genehmigung verbreiteten Bildern ist der Zustand zu erkennen. Vgl. die Bilder bei KÜHN, a.a.O. und die Die Presse (Wien) v. 12. 2. 1949. 183 Times, zitiert nach KÜHN, a.a.O. — Vgl. ebenso die Mindszenty-Dokumentation, a.aO., Bd. 3. — CCAKY, K. Z.: Ich schwöre, daß Kardinal Mindszenty unschuldig ist. Zürich 1949. 184 Vgl. Die Weltwoche (Zürich): Kein Mindszenty-Rätsel. März 1949. 185 Sogenannte „Amythalinterviews" (von Novakowsky als „Narko Analyse" beschrieben (österreichische Juristische Blätter 1949, Nr. 7) mit der ausdrücklichen Feststellung, daß das Verfahren „den Betroffenen zum bloßen Objekt" macht. Die „Narkoanalyse" als Heilverfahren und zur medizinischen Diagnostik wird ärztlich angewandt (vgl. KRANZ, A.: Die Narkoanalyse als diagnostisches und kriminalistisches Verfahren. Tübingen 1950). Umstritten ist sie als kriminalistische Untersuchungstechnik. Scharfe Einwirkungen und mannigfaltige Ergebnisse sind hier möglich, bleiben aber in bezug auf die „Wahrheitsfindung" 11 Publizistik I

162

DIE PUBLIZISTIK DER MASSENFOHRUNG

also (auch die nukleare Entdeckung wurde nicht zu dem Zwecke gesucht, ein Mittel der Weltvernichtung zu finden) hat die medizinische Forschung psychochemische Wirkungen bestimmter Mittel gegen bestimmte Krankheiten entwickelt und heilsam angewandt. 186 Es kündigt sich jetzt aber an, daß die psycho-physiologische Auswirkung dieser Drogen nun politisch, pseudo-publizistiscii, auch kollektiv auf Massen angesetzt wird, also nicht nur unter ärztlicher Vorsorge am Krankenbett, sondern in entsprechenden Dosen, und nicht nur auf den wehrlosen Gefangenen in der Kerkerzelle. Was in utopischen Romanen A L D O U S H U X L E Y S und G E O R G E O R W E L L S vorausgeschaut ist, gerät in die Gefahr, verwirklicht zu werden. Es ist die Bewältigung der Masse und ihre propagandistische Ausrichtung von innen her durch chemische Mittel187. In Brave N e w World schildert z. B. Huxley die Überwindung der Massenerregung eines Krawalles durch ein als „Sorna" bezeichnetes Mittel. Zur „social stability" ist eine tägliche „Ration Sorna" vorgeschrieben. Es gilt, „die Menschen zu beruhigen, sie weniger bewußt und damit lenkbarer zu machen"188. Das gleiche Mittel soll auch „religious chemical Surrogate" sein und die immer wieder gesuchte „Flucht aus der Wirklichkeit in die Welt des Traums" möglich machen189. Indem das Mittel beruhigt und beglückt, ja, gesteigert, Visionen vorgaukelt und höchst beeinflußbar macht, bietet es dem Diktator die Möglichkeit, seinen propagandistischen Willen durchzusetzen. Führende Neurologen und Psychiater darüber befragt, nennen diese Prognose romanhaft spannend, aber praktisch undurchführbar. Allerdings sollte auch die nachfolgende Äußerung nicht übersehen werden. Befragt, höchst unsicher (Kranz a.a.O., S. 28). Zugegeben ist eine immer erreichbare starke Suggestibilität (ebd., S. 26). Da der hemmungslosen Nutzung der Droge in den aus der Sowjetunion und aus Ungarn genannten Fällen keine gesetzliche Begrenzung und keinerlei ärztliches Gewissen entgegenstand, hat die übersteigerte Anwendung und Wirkung in den hier genannten Verfahren ohne Zweifel stattgefunden, überzeugend mahnt die moralische Grundhaltung. Es leuchtet hier „die weit über den juristisch-kriminalistischen Bereich hinausgehende Sorge auf, wir möchten, geblendet von den neuesten naturwissenschaftlichen Triumphen, wieder einmal wertblind werden... und allmählich einem seelischen Exhibitionismus auf der einen Seite und einer respektlosen Neugier auf der anderen Seite zusteuern, die das Geheimnis der Person, jenen letzten Eigenraum mit seinem stillen Wechselgespräch zwischen Mensch und G o t t . . . nicht mehr kennen und damit entscheidende Werte der Persönlichkeit allzu leichtfertig freigeben". (Kranz, nach Gemelli, a.a.O., S. 35.) 188 Im einzelnen wissenschaftlich erarbeitet und dargestellt in EYSENCK, H. J.: Experiments with Drugs. Studies in the relation between Personality and Drug Action. Oxford/London/ New York/Paris 1963. — Ders.: Handbook of abnormal Psychology. London 1960. — Aus medizinischer Sachkunde ist das Verfahren überzeugend dargestellt durch den Neurologen W. RORARIUS in seinem Beitrag Gehirnwäsche — Manipulierbarkeit des Geistes. In: Massenwahn in Geschichte und Gegenwart. A.a.O., S. 59—67. 187 Vgl. HUXLEY, A.: The olive-tree. London 1936. Ebendort nennt der Verfasser in einem Aufsatz „Writers and Readers" die Tatsache „completely disquieting", daß nämlich entfaltet werden kann „a system of propaganda, combining pharmacology with literature. It should be completely and infallibly effective". „Eine Dosis Chloral und Skopolamin werde ganze Menschenmassen suggestibel machen." — Vgl. auch HOLZ, L.: Methoden der Meinungsbeeinflussung bei George Orwell und Aldous Huxley. Diss. Hamburg 1963. 188

HOLZ, a . a . O . , S . 4 9 .

189

BORINSKI,

L., U.

G . KRAUSE:

Die Utopie in der modernen englischen Literatur. A.a.O.

DIE GRUNDGESETZE DER MASSENFUHRUNG — DIE PSYCHO-CHEMISCHE ÜBERWÄLTIGUNG

163

welches die fünfzehn am meisten revolutionierenden Erfindungen wären, die von der kommenden Generation zu erwarten seien, hat der Vorsitzende der Atomkommission in den USA, G L E N T. S E A B O R G , geantwortet: „Pharmazeutika zu finden, die die menschliche Persönlichkeit auf jeder gewünschten Ebene zu verändern und zu erhalten vermögen.190" Seaborg fordert gesetzlichen Schutz gegen die individuelle oder kollektive Anwendung solcher Mittel. Er schlägt zur Abwehr eine Ergänzung der „Bill oi Rights" vor, durch die die Freiheit der Person von elektronischer Überwachung ebenso wie von psycho-chemischer Vergewaltigung gewährleistet werden müsse. Als gefährliches Mittel wird die aus dem Mutterkorn (Ergotin) gewonnene bekannte Droge genannt, der die Bezeichnung LSD 25 gegeben ist.191 Bekanntlich werden ihre Derivate auch im illegalen Rauschgifthandel vertrieben und führen zu traurigen Suchtkrankheiten. Amerikanische Autoren behaupten, daß eine bestimmte Droge — ähnlich der in allerkleinsten Dimensionen gewonnenen und zur Wirkung gebrachten nuklearen Kraft — in äußerster Verdünnung eine unvorstellbare Gewalt ausübe. So sollen schon 25 Mikrogramm genügen, bei einem Menschen schärfste Reaktionen zu bewirken. Mit 500 Gramm LSD 25, z. B. dem Trinkwasser einer Stadt beigefügt oder über den Wohnungen abgesprüht, soll die Droge in der Bevölkerung Psychosen wachrufen. Die Abteilung „Chemie" der USA-Wehrmacht — so wird berichtet — habe sich für diese Droge interessiert, die Massen äußerst anregen oder wehrlos erlahmen lassen kann.192 Eine Form des massenweisen „brain-washing" rückt also in den Bereich des Möglichen. Diese Entdeckung käme, würde sie angewandt, im Geistigen dem gleich, was im Physischen die Atombombe ist. Die völlige Vernichtung der geistigen Freiheit und Unabhängigkeit eines Volkes, der Völker, könnte damit herbeigeführt werden. Sicher wird es — sollte ein solches Verfahren einmal praktiziert werden, dann auch Abwehr und Feststellungsapparaturen nach Art der Geigerzähler geben. Die natürliche Differenzierung der menschlichen Haltung würde dem Versuch, sie im Unbewußten zu überwinden, gewiß schärfstens entgegentreten. Ein Gelingen freilich solcher psycho-chemischen Massenführung, z. B. überraschend angewendet, wäre die genaue Umkehr jeder Publizistik, die selbst unter äußerlichem Zwang doch noch ein bewußter, ein geistiger Vorgang bleibt. Sie wäre eindeutig 190 Vgl. PACKARD, V.: Die wehrlose Gesellschaft. Düsseldorf/Wien 1964. Das Buch setzt sich temperamentvoll für die Freiheit des Individuums und den Schutz des privaten Raumes ein. Dabei werden kollektive Einwirkungen durch psydio-diemisdie Mittel (S. 352 ff.) kurz behandelt. 191 Diese „psycho-chemische" Droge ist durch Albert Hofmann von der Schweizer Firma Sandoz AG als „Lysergsäurediäthylamidtartrat" entwickelt worden. Vgl. COUGHLAN, R.: The Chemical Mindchangers. In: Life-Intemational 1963. Vol. 34, Nr. 6 u. 7. Nr. 6 zeigt „Behavior by Electronics", die nur individuell andwendbaren elektronischen Meinungsbestimmungen. Nr. 7 analysiert die chemischen Möglichkeiten. — Vgl. auch: Glück aus der Retorte. In: Rheinischer Merkur v. 22. Oktober 1965, S. 33—35. 192 COUGHLAN, a.a.O., S. 72. Uber LSD 25 ist — vor allem in Amerika — eine unübersehbare Literatur erschienen. Die individuelle Nutzung der Drogen droht Seuche zu werden.

164

DIE PUBLIZISTIK DER MASSENFÜHRUNG

das Ende der Publizistik. Gewiß ist diese Prophetie zur Zeit noch Utopie, aber man hat ihr immerhin so weitgehend vorgearbeitet, daß eine systematische Darstellung publizistischer Vorgänge nicht darauf verzichten kann, sie hier wenigstens zu nennen. Jede Maßnahme, die bestimmte, in ihrer Wirkung pharmakologisch, vorbereitete Drogen Einzelnen oder Gruppen beibringt, um deren Urteilsfreiheit aufzuheben, psychologische Schutzhemmungen zu lähmen und durch unbewußte Zwangsreaktionen Aussagen zu propagandistischer Verwendung künstlich herstellt, fälscht die Person in der Persönlichkeit, ist somit niemals Publizistik, sondern unmenschliche Gewalt und damit Umkehr und Ende jeder freien Publizistik.

V. Freiheit und Bindung In der Publizistik

20. Die totalitäre und die demokratische Publizistik „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu v e r b r e i t e n . . . Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt." Art. 5 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949 „Als kollektiver Agitator, Propagandist und Organisator hat jedes Publikationsorgan nicht nur das Denken zu beeinflussen und zu verändern, sondern Aktionen auf allen Gebieten der sozialistischen Umwälzung auszulösen." Beschluß des Politbüros der SED vom 24. 4. 1959 a) Von der individuellen

zur institutionellen

Freiheit

W o die individuelle Freiheit in Nachricht und Meinung gewährleistet ist, erwächst aus ihr die Freiheit der publizistischen Mittel, die v o n dorther ihren grundrechtlichen Charakter gewinnen. Das ist natürlich und selbstverständlich. 1 Die publizistischen Mittel nehmen somit das Grundrecht der Meinungsfreiheit auch institutionell für sich in Anspruch. 2 Sie vertreten und verteidigen die individuellen Grundrechte und sind — w e n n auch mittelbar — deren Sprecher und 1 Es erübrigt sich, hier das Problem der Freiheit an sich, das von theologischer, philosophischer und soziologischer Sicht in verschiedenes Licht gestellt wird, eingehender zu behandeln. Jüngere Entwicklungen des Problems zeigten: H O R K H E I M E R , M . : Bedrohungen unserer Freiheit; R A H N E R , K . : Ursprünge unserer Freiheit und W E I Z S Ä C K E R , C . F. v.: Zumutungen unserer Freiheit. Referate auf dem 12. Deutschen Evangelischen Kirchentag. Köln 1965. Wenn Freiheit, allgemein gesprochen, die innere und äußere Bewegungsfähigkeit des Einzelnen ist, die Wesensprägung seiner Persönlichkeit auch im geistigen Schaffen nach eigenem Willen vorzunehmen und den Mißbrauch der Macht übergeordneter Kräfte abzuwehren, so zeigt sich sofort, daß diesem Streben natürliche Grenzen gesetzt sind, sachlich und persönlich. Sie ergeben sich für den Einzelnen aus dessen Lebenskreis, den Beziehungen zu seinem Nächsten, sie ergeben sich aus den Bedingtheiten der Gesellschaft. Damit bereits entsteht unmittelbar auch die öffentliche Auseinandersetzung, kommt also die Publizistik ins Spiel. 2 Z. B. ist die Eigenständigkeit der Presse nach dem Grundgesetz, Art. 5, neben dem Recht der Meinungsfreiheit bestehend und durch Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (10/118 ff., 121) besonders bestätigt.

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FREIHEIT UND BINDUNG IN DER PUBLIZISTIK

Sachwalter. Wie sollte sich sonst in der freiheitlichen Organisation der Massengesellschaft die individuelle, die persönliche Freiheit des Einzelnen gegen staatliche, gesellschaftliche, wirtschaftliche und selbst geschäftliche Kräfte behaupten, wenn nicht die publizistischen Mittel wirksam dafür einträten und im öffentlichen Leben selbst Sicherungen setzten, gegebenenfalls in der Kritik und in dem Streben nach gesunder Fortentwicklung auch der Gesetze. So erweist sich in der rechtsstaatlich-demokratischen Ordnung die publizistische Freiheit als ein „die Freiheit schlechthin konstituierendes Grundrecht". (Lüth. Urteil, Bundesverf. Ger. 7/198) Eine natürliche Grenze gegen Mißbrauch durch politische und gesellschaftliche Kräfte wird je nach der politischen und kulturellen Lage und den bestehenden Ordnungsbildern immer Gegenstand einer freien Auseinandersetzung sein. Die demokratische Freiheit verkörpert sich als die Freiheit der politischen Meinungs- und Willensbildung in drei Grundformen, die alle publizistisch getragen sind: 1. Die Freiheit der Information (GG., Art. 5). 2. Die Freiheit der Diskussion (GG., Art. 5). 3. Die Freiheit der Aktion (GG., Art. 8 u. 9). b) Die totalitäre

Publizistik

Allerdings gilt das nur im freien demokratischen Rechtsstaat. Den Tatsachen nach — historisch und gegenwärtig — gehört die Publizistik nicht organisch zur Freiheit. Organisch ist sie unabdingbar nur mit der Öffentlichkeit verbunden, die ist ihr Element: ohne Öffentlichkeit keine Publizistik.3 Aber es gibt große und äußerst wirksame publizistische Aktionen ohne die Freiheit und gegen die Freiheit. In historischer Uberschau könnte man schon systematisch gliedern in „Publizistik aus Machtbesitz" und „Publizistik aus Machtstreben". Zur Publizistik aus Machtbesitz gehörte dann die Gesamtheit aller publizistischen Aktionen, die, modern gesprochen, propagandistisch von totalitären Mächten aufgewandt werden, den breiten Konsens der Massen zu erzwingen. Aber auch jede demokratische Regierung hat innerhalb einer freien Staatsführung das Recht und die Pflicht, offen zu begründen und zu verteidigen, was sie tut und nicht nur vor dem parlamentarischen Forum das Wort zu nehmen. Publizistik auch Machtbesitz war längst wirksam, ehe — in Athen etwa mit der Solonischen Verfassung — freie Entscheidungen der „Polis", der stadtstaatlichen Demokratie, nach publizistischer (rhetorischer) Vorbereitung sich vollzogen. Dieser Periode der ganz unmittelbar demokratischen Entscheidungen4 gingen aber sogenannte „vorpublizistische Perioden" lange voraus. Die Träger der Macht gewährten in solchen diktatorischen Staatsformen noch keineswegs demokratische Freiheit Vgl. S. 5. Vgl. SCHAEFER, H.: Besonderheiten und Begriffe der attischen Demokratie. Heidelberg 1950. Festgabe für A. Weber. Ebenso JASPERS, K.: Solon. Heidelberg 1948. Solon ist danach der „Begründer der persönlichen Freiheit in der ,Polis'". 3 4

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und dachten w o h l auch nicht daran, sie je zu geben. Doch suchten sie bereits das Verständnis der Beherrschten. Man betrieb, primitiv, Meinungsbefragung. Man ließ sich berichten, man gewährte Petitionsfreiheit. Wir sprechen historisch v o n einer „Bittschriftenpublizistik".5 A u s unserer rechtsstaatlichen Sicht muß jede totalitäre Publizistik als „Publizistik des Machtbesitzes" bezeichnet werden. Hier geht auch die Ideologie v o n gänzlich anderen „Freiheits"-begriffen aus. Eine Freiheit der Machteroberung im demokratischen Sinne gibt es hier nicht und kann es auch gar nicht geben. Denn alle publizistischen Mittel sind in diesem System Mittel der Staats- und Parteiführung. Sie sind niemals Träger freier Meinungs- und Willensbildung und können es gar nicht sein. Ist doch die Freiheit selbst — um hier nur die marxistische Doktrin zu n e n n e n — „Einsicht in die Notwendigkeit" (Engels), also Erfüllung eines festliegenden Naturgesetzes, eines zwingenden dialektischen Vorganges, d e s s e n Verständnis nach der marxistisch-leninistisch fortgebildeten Lehre nur oder fast nur v o n der Partei erfaßt ist. Diesem „Naturgesetz" soll durch die Partei die „klassenbewußte Arbeiterschaft" ideologisch zugeführt werden, bis das „sozialistische Bewußtsein" Allgemeingut g e w o r d e n ist. 6 Die Diktatur des Proletariats" hat sich somit zu einer Lehre des absoluten Führungsanspruches einer proletarischen Elite entwickelt. 7 Die Sowjetrussische Enzyklopädie 8 formuliert das so: „Die K. P. ist die führende Kraft der S o w j e t g e s e l l s c h a f t . . . Sie bestimmt die einheitliche Linie der gesamten staatlichen und gesellschaftlichen Organe. Sie führt die Völker der Sowjetunion . . . zum Siege der kommunistischen Gesellschaft."

5 Beispiele aus der altägyptisdien „Bittschriftenpublizistik" gibt BAUER, W.: Die öffentliche Meinung in der Weltgeschichte. A.a.O., S. 25 ff. — Für Babylonien vgl. MEISSNER, B.: Babylonien und Assyrien. Heidelberg 1920, S. 25 ff. — Im alten China wurden Glocken geläutet und Flaggen gehißt und für diese Dauer der Freiheit der Klage und Bitte Auslauf gegeben. Vgl. CHIEN HSUIN YUI: Das alte chinesische Nachrichtenwesen und die chinesische Staatspresse. Berlin 1934. — Erinnert sei an die „Bittschriftentore", „Bittschriftenlinden" (Potsdam) im 18. Jahrhundert und vorher. Vgl. auch LESSING, G. E.: Emilia Galotti, 1. Akt, 1. Szene. Sehr typisch die Mahnung des oft irrtümlich durch seinen völlig falsch verstandenen Satz, daß „Gazetten nicht genieret" sein sollen, als liberal gefeierten FRIEDRICH II: „Eine Privatperson ist nicht berechtigt, über die Handlungen. . . der Souveräne und deren Staatsbedienstete . . . sogar tadelnde Urteile . . . bekannt zu geben . . . Eine Privatperson ist auch zu der Beurteilung gar nicht fähig, da es ihr an der vollständigen Kenntnis der Umstände und Motive f e h l t . . . Jeder gute Untertan zeigt Mängel des öffentlichen Wesens der Obrigkeit an, mache aber davon keinen Gebrauch im Publikum..." Königliches Reskript 1784. In: BUCHHOLZ, A.: Die Vossische Zeitung. Berlin 1904, S. 28. — Besser kann der absolutistische Charakter eines Regimes gar nicht gekennzeichnet werden. Vgl. auch HOPPE, K.: Roderiques Nachrichtengebung und -politik in der „Gazette de Cologne" 1740—45. In: Publizistik 1965, H. 2, S. 140—149. 6 Vgl. LENIN, W. I.: Was tun? Berlin 1945, S. 109. 7 Vgl. HERRMANN, E. M.: Zur Theorie und Praxis der Presse in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. A.a.O., S. 19 ff. sowie LIEBER, H. J.: Das Sendungsbewußtsein im dialektischen Materialismus. In: Deutsche Universitäts-Zeitung (Göttingen) 1956, H. 3/4. — RICHERT, E. U. a.: Agitation und Propaganda. A.a.O., Kap. IV—VIII, bes. S. 77 ff. 8 Leipzig 1959, S. 313/15, zitiert nach HERRMANN, a.a.O., S. 148.

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Also gehört — nach Lenins Theorie — die Publizistik zum „Oberbau" der gesellschaftlichen Entwicklung. Sie hat die feindlich-kapitalistische Publizistik zu zerstören, aber den (sozialistischen) Neuaufbau der klassenlosen Gesellschaft unter Führung der Partei gleich einem Naturgesetz durchzuzwingen. Damit ist an sich ein vergleichendes Nebeneinander der Publizistik des marxistisch-leninistischen Systems und der freien Publizistik des demokratischen Rechtsstaates gar nicht möglich. Man vergleicht hier Unvergleichbares. 9 Die Gesamtheit der publizistischen Mittel ist einheitlich, gleichgerichtet und gelenkt. Propaganda ist die Verbreitung der kommunistischen Ideologien, Agitation deren Beweis aus tagesaktueller Praxis und Organisation die Zusammenfassung der Massen im Klassenkampf und der Antrieb der Werktätigen, aktiv-politisch zu werden, den Plan zu erfüllen. Dieser Grundsatz durchdringt systematisch jede publizistische Form der totalitären Welt. Die Presse ist ein „operatives Mittel" (Stalin), ein technischer Apparat, der „Transmissionsriemen von der Partei zu den Massen" (Chruschtschow). Die Gesamtheit der Publizistik unterliegt der „bewußten Parteilichkeit" als selbstverständliche Voraussetzung. Der Rundiunk und das Fernsehen sind „bedeutendes Mittel der Massenagitation". 10 Unterstellt sind sie den Weisungen eines staatlichen Rundfunkkomitees. Der Film11 ist, um hier das Beispiel der SBZ zu nennen, konzentriert auf ein trustartiges Gebilde, die DEFA, in der die filmischen Produktions- und Absatzstufen (Produktion, Verleih, Theater) wirtschaftlich, und publizistisch eindeutig festgelegt sind. Eine politische Prädikatisierung bestimmt durch eine staatliche Hauptverwaltung in Prämienform den wirtschaftlichen Ertrag der publizistischen Leistung. Sie steuert schon dadurch hart nach dem vorgeschriebenen Kurs12 mit gezügelten Bemühungen, künstlerische Leistungen auch im Rahmen der „Parteilichkeit" einzurangieren. Alle publizistischen Mittel, auch die Zeitung und die einheitlich zentralisierte Nachrichtenagentur (ADN), können auf Zensur verzichten. Journalistische Aufgaben werden eben nur politisch zuverlässigen Dienern des Systems anvertraut. „Abweichler" riskieren Ausschaltung und den Weg ins Gefängnis (Wolfgang Harich) oder in die Verbannung. In der Organisation und Funktion der sowjetischen Publizistik gelten folgende Grundregeln: 1. Der Kurs ist unausweichlich einheitlich gelenkt. 2. Bis in die journalistische oder rundfunktechnische Tagesarbeit wird ausgerichtet und angewiesen (Sprachregelung). 3. Die Massenführung ist scharf und mit psychokratischer Inge8 Siehe die auf Eigenerlebnissen fußende interessante Arbeit des früheren Londoner Vertreters der CTEKA, des heute in London lebenden Redakteurs des Daily Express, BUZEK, A.: Die kommunistische Presse. Frauenfeld 1965, S. 10 ff. Buzek nennt die Systeme „kaum vergleichbar". 10 VI. Parteitag des ZK der SED. 11 Nach STALIN: „... das gewaltigste Mittel zur Einwirkung auf die Massen. 12 Vgl. dazu: W A L T H E R , G.: Der Rundfunk in der Sowjetischen Besatzungszone. A.a.O. — KERSTEN, H.: Das Filmwesen in der Sowjetischen Besatzungszone. Berlin 1962. — HAESE, J.: Das Gegenwartshörspiel in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. A.a.O. Ebendort auch umfangreiche sowjetische Literaturangaben.

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nieurkunst geleitet. 4. Ein einziges und einheitlich zentrales Nadirichtensystem beherrscht die gesamte Information. 13 Sie wird im Sinne des Systems auch durch ein von unten kommendes, aber streng manipuliertes Beobachtungssystem („Arbeiterund Bauernkorrespondenten") gespeist. 5. Jede persönlich-publizistische Leistung bleibt doktrinär und ist antiindividuell in bewußter Parteilichkeit bestimmt. Der Begriff „Freiheit" als Wille und Möglichkeit eigener individueller Daseinsgestaltung ist somit praktisch aufgehoben. Er kann nach der als „wissenschaftlich" gefeierten Doktrin ja auch gar nicht bestehen, wenigstens nicht öffentlich. Freiheitliche Neigungen, wo sie durchbrechen, mögen aus der Linie vorübergehend ausscheren (im sogenannten „Tauwetter"), sind aber bisher immer wieder zurückgeholt worden. Das System zeigt eine eiserne, streng folgegebundene Einheitlichkeit. So hat sich z. B. die Technik der publizistischen Führung trotz aller Auseinandersetzungen zwischen Peking und Moskau, vom kleinen Albanien bis zum großen Rotchina, wenigstens in der Doktrin erhalten. Auch bei den europäischen Mitgliedern des Warschauer Pakts sind nur die Nebensächlichkeiten gelockert (z. B. durch Aufkommen von Boulevardblättern, Zulassen von westlich aufgemachten, aber gelenkten Magazintypen u. a. m.). Sowjetische Publizistik ist operativ, nicht diskutiv; Ziel ist nicht die Freiheit der Aussprache, sondern die Bildung des „sozialistischen Bewußtseins". Jede vom Politbüro nicht bestimmte oder zugelassene individuelle Haltung wird ausgeschieden und bekämpft. An die Stelle der persönlichen Freiheit tritt die gebundene Verpflichtung. c) Die demokratische

Publizistik 1. Die Entwicklung

In der Publizistik der freiheitlichen Rechtsordnung ist, wie gezeigt wurde, das Grundrecht der individuellen Meinungsfreiheit institutionell auch im Verfassungsrecht verankert. Hier ist die Freiheit das Lebenselement der Publizistik. Die Angriffe der politischen Macht auf die publizistische Freiheit sind in den Ländern freiheitlicher Verfassungen heute seltener geworden. Jahrhundertelang waren sie das Ziel der liberalen Abwehr." In einer wachen Öffentlichkeit sind staatliche Bedrohungen heute schnell abzuwehren. Schwierigkeiten ergeben sich aber, wenn wirtschaftliche und soziale Mächte des öffentlichen Lebens oder auch eine Machtübersteigerung parlamentarischer Majoritäten die Freiheit der Publizistik bedrohen. Ebenso können aus dem organisatorischen Aufbau der publizistischen Mittel Freiheitsgefährdungen erwachsen. In der freien Welt sind die publizistischen Mittel auch Erwerbsunternehmen, müssen es sein, wollen sie ihre 18 Information ist „Klassenkampf durch Tatsachen", ist „Veröffentlichung von Tatsachen", die „den Komplott des Imperialismus enthüllen". PALGUNOW, Direktor der TASS. 14 Das Reichspressegesetz von 1874 ist in Erinnerung an den Absolutismus noch fühlbar gegen Eingriffe der regierenden Macht ausgerichtet. Es kennt noch keine anderweitigen Machteinflüsse.

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Unabhängigkeit erhalten. Hierbei kann sich das Schwergewicht des Geschäfts gegen die öffentliche Aufgabe stemmen, der im demokratischen Rechtsstaat die publizistischen Aktionen dienen oder auch zu dienen angehalten sind.15 Neben der äußeren Freiheit der publizistischen Mittel steht somit auch die Forderung ihrer inneren Unabhängigkeit. Diese innere Bedrohung ist von außen her oft nur schwer zu erkennen, kann aber, bei rechter Haltung, auch von innen abgewehrt und überwunden werden." Es wäre auch historisch leere Romantik, Theaterglaube, anzunehmen, die publizistische Freiheit sei in einer freien Demokratie immer gesichert. Schon in der Polis, in den griechischen Stadtstaaten, wurde sie scharf bedrängt. Es war in den großen politischen Kämpfen oft lebensgefährlich, sie zu üben. Verbannung und Tod waren häufig das Schicksal dessen, der es wagte, bestimmte Aufgaben publizistisch durchzusetzen. Die unmittelbare Volksvertretung der Antike kannte wesentlich härtere Wagnisse als der moderne Parlamentarismus sie einzugehen verlangt. Wer damals z. B. zu tief in der Minderheit blieb, wich in das Exil aus, ein Schicksal, das den größten Redner der Griechen, D E M O S T H E N E S , mehrmals traf.17 Im germanischen Thing lagen die Dinge ähnlich.18 Die Freiheit des Wortes war gewiß gewährleistet, aber oft hatte die Opposition vom Kampffelde zu verschwinden. In Griechenland traf nicht nur der Minderheit, sondern auch den allzu Mächtigen durch das direkte Votum des Volkes das Schicksal des Ostrakismos, des Scherbengerichts, wenn man fürchtete, der Machtüberhang werde die Freiheit bedrohen.19 Das Mittel hat sich in modernen Formen ja bis heute erhalten (Clemenceau 1918; Churchill 1945). In der Beurteilung des publizistischen Freiheitsbegriffs der Antike muß freilich beachtet werden, daß auf der Höhe der griechischen und lateinischen Demokratie die Mitarbeit der Freien am öffentlichen Leben als eine politische Ehre verpflichtend war. Sie war selbstverständlich. Das ganze Leben war eben politisch. Politik stand nicht, wie leider heute, in einer besonderen Sphäre, aus der man sich drücken konnte. Sie wurde nicht, wie heute so oft, nur defensiv gegen befürchtete Macht15 So z. B. für die Presse der Bundesrepublik durch die gesetzliche Anerkennung der „öffentlichen Aufgabe" der Presse. Vgl. Leitsätze des Deutschen Presserats für ein Landespressegesetz vom 19.5. 1960 sowie die entsprechenden Paragraphen in den Pressegesetzen von Schleswig-Holstein, Bayern und Baden-Württemberg, Berlin, Nordrhein-Westfalen usw. 18 über die dahin zielenden berufsfachlichen Maßnahmen siehe unten, S. 185 ff. 17 Vgl. SCHAEFER, a.a.O., S. 50. — Bezüglich der mit letztem Einsatz geführten rhetorischen Auseinandersetzungen vgl. DRERUP, E.: Aus einer alten Advokatenrepublik. A.a.O. — JAEGER, W.: Demosthenes. Berlin 1939. — Ders.: Paideia. Berlin 1944. 1 8 Vgl. NAUMANN, H.: Die Könige als Redner. In: Altdeutsches Volkskönigtum. Stuttgart 1940, S. 156 ff. n Auch sonst kannte der Stadtstaat, aller Demokratie zum Trotz, sehr erhebliche Einschränkungen der geistigen Freiheit. PLATON, in seiner vom Erziehungsideal bestimmten Staatstheorie, steigert sich bis zur Forderung des Verbots einer Dichtung, die der Jugendbildung abträglich sei (vgl. Politeia, 2. Buch). Mit dem „Frevel gegen die Religion" (sog. Asebie) wurde aus Vorwand oder aus Uberzeugung verfolgt. SOKRATES war der Asebie angeklagt; EURIPIDES wegen einiger Verse; AESCHYLOS weil er Mysterien enthüllte. Vielfach wurden ihre Schriften verbrannt, ein altes Mittel symbolischer Verurteilung (vgl. S. 244).

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einflüsse oder offensiv für besondere Interessen geführt. Jeder Bürger war ein aktiver Träger des gesamten staatlichen Schicksals.20 Wer daher das öffentliche Leben mißachtete, sich an ihm nicht beteiligte, war politisch ein „privatus", seiner Ehrenämter beraubt. Ähnlich in Griechenland „idiotus", ein Vereinsamter, ein Seltsamer, ein Ausgeschalteter. Trotz alledem aber schloß die Freiheit des Wortes die Verfolgung des Sprechers nicht aus. Immer fanden sich Elemente, die das Wort und die Macht der Freiheit durch die Verfolgung, durch Ermordung des Sprechers verstummen ließen. So fielen T I B E R I U S S E M P R O N I U S G R A C C H U S , SO C I C E R O . Mit dem Ende der römischen Republik machte — nicht zum letzten Male in der Geschichte — die Publizistik die große Wende aus dem freien in das gefesselte Wort, aus der offenen und allseitigen Diskussion in der Volksversammlung und im Senat in die erzwungene propagandistisch gelenkte Acclamatio durch die Massen. 21 Die Publizistik aus Machtbesitz herrschte, prägte und verteidigte die Diktatur. Nur das Mittelalter als die Zeit der „geistigen Finsternis" und des kollektiven Zwanges anzusehen, ist in dieser Verallgemeinerung sicher falsch und zudem durch äußerst finstere Vorgänge der Gewalt in unserer Zeit widerlegt. Die Publizistik zeigte damals eine anders bestimmte Wirkungsrichtung. Sie ging im Kern zunächst nicht auf demokratische Massenbeteiligung aus, sondern wurde in der Diskussion geistig berufener, doch auch differenzierter Kreise ausgetragen, die zum Teil den politischen Mächten pro oder contra verbunden waren, soziologisch könnte man sagen „elitäre" Gruppen.22 über die Spruchdichtung im Gehobenen, den Bänkelsang im Volkstümlichen und die oft auch religiös bestimmte, aber politisch-didaktische Predigt vollzog sich dann die Einwirkung auf die breiteste Öffentlichkeit.23 Erst mit L U T H E R S Thesenanschlag erwächst ausgesprochen wieder die Macht individueller publizistischer Aktion, hier in einem innerlichen religiösen Gewissenskonflikt.24 Gleichzeitig zeigte sich im Rom der Renaissance umgekehrt die satirischkritische, ins Korrupte abgleitende nihilistische Publizistik P I E T R O ARETINS. 25 So stand die Publizistik im Beginn des individuellen Zeitalters: in einem Falle schuf sie — durch Luther — eine tiefgehende religiöse Volksbewegung, die zur Glaubensspaltung führte, im anderen Fall erreichte sie weiteste Verbreitung durch die Zugkraft schlagenden Witzes, provozierender Bosheit und schärfster Zeitkritik. 20 Vgl. KAHLER, E. V.: Das Problem der Demokratie. Heidelberg 1948, S. 196 f. Festausgabe für A. Weber. — Sehr anschaulich und — wie Fachleute versichern — auch historisch zuverlässig ist die publizistische Situation Roms vor dem Ende der Republik trotz literarischer Fassung richtig dargestellt bei WILDER, TH.: Die Iden des März. Frankfurt a. M. 1957. 21 Vgl. hierzu S. 71. 22 W i e intensiv sich diese publizistische Auseinandersetzung vollzog, zeigt u. a. der Flugblattkampf im Investiturstreit. Vgl. MIRBT, C.: Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII. A.a.O. und VEHRE, O.: Die amtliche Propaganda in der Staatskunst Kaiser Friedrich II. München 1929. •— DIEDERICHS, P.: Kaiser Maximilian I. als politischer Publizist. J e n a o. J . (1932) und die gesinnungsmäßige Differenzierung der Spruchdichtung (vgl. S. 48). 23 Vgl. hierzu die Ausführungen über die publizistische Persönlichkeit, S. 40; ebendort Literatur zur Publizistik des Mittelalters. 24 Vgl. S. 265 Anm. 3. Die Tatsache selbst ist neuerdings umstritten. 25 Vgl. S. 41.

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„Areopagitica" 29 erweckte in England zunächst g e g e n tausend Widerstände das alte, bis heute in Großbritannien obwaltende Motiv der publizistischen Freiheit um der Gemeinschaft willen. Pressefreiheit in diesem Sinne legt das Schwergewicht auf die Gemeinschaftsaufgabe. Dann erst schützt sie individuelle Rechte." Hier liegen die altenglischen Volksredite 2 8 der „Magna Charta libertatum" (1215) zugrunde, in denen bereits die Grenzlinie zwischen staatlicher Macht und individueller Freiheit g e z o g e n ist. 1695 in der „Déclaration ol Rights" fielen die hemmenden Gesetze, die der Freiheit publizistischen Schaffens im W e g e standen. V o n dorther nehmen später die jungen Staaten Amerikas, nimmt die Verfassung der Vereinigten Staaten ihre geistige Haltung gegenüber den publizistischen Elementen im Leben der modernen Demokratie.

MILTONS

Anders in Frankreich. Hier bricht der W i l l e zur publizistischen Freiheit nach schwerer Bedrückung im alten Regime mit Heftigkeit in den 17 Artikeln der Menschenrechte (1789) durch. Sie sind zunächst Menschen- und dann erst Gemeinschaftsrechte. Die Fassung geht stracks auf die individuelle Freiheit aus.2* Die verfassungsgebende Nationalversammlung verstärkt in den „Grundsätzen" diese Haltung. 30 Sie verbietet selbst dem Gesetzgeber jede Einschränkung dieser Freiheit. Die Konstitution v o n 1793 verstärkt das noch. Sie nennt die Presse den Träger einer „liberté indéfinie et sans bornes" (Art. 122).31 Auf der Grundlage dieser Freiheit war schon im Ausbruch der Revolution eine geistig äußerst bunte und richtungsvielfältige Publizistik erwachsen (Zeitung, Zeitschrift, Plakate und Flugblätter, Clubreden, Straßenreden, Parkreden [Palais Royale], Aufmärsche, Volks29 Areopagitica. A speech of John Milton for the liberty of unlicensed printing. London 1644. Hier zeigt sich die oft beobachtete Tatsache, daß persönliche Erlebnisse und Sorgen Triebkraft öffentlicher Aktionen werden. Miltons Kampfschrift „for unlicensed Printing" war hervorgerufen durch seine vom Parlament verbotene Schrift gegen die Unauflösbarkeit der Ehe, zu der Milton wegen seiner eigenen Ehescheidung veranlaßt worden war. Milton anerkennt die Berechtigung des Verbots von „Schmähschriften", verlangt aber die Freiheit des sachlichen Meinungskampfes. 27 Diese Tatsache beherrscht bis heute die Behandlung der Pressevergehen durch das englische Libelrecht (von „libel" = Schmähschrift), das auch die Privatperson vor unrechtmäßigen Angriffen schützt (defamatory libel), aber im wesentlichen ein System ist, das dem Schutz des öffentlichen Lebens dient (seditious libel, blasphemous libel, obscene libel). Vgl. die Zusammenfassung im Handbuch der Auslandspresse. A.a.O., Artikel Großbritannien, S. 84 ff. Ebendort ausführliche Literatur. 28 Vgl. HOLTZENDORFF, F. v.: Wesen und Werth der öffentlichen Meinung. München 1879. — TOGGENBURGER, P . : Pressefreiheit und demokratische Willensbildung. Zürich 1 9 4 5 . 29 Artikel XI: „Die Freiheit der Gedanken und der Meinungen ist eines der wertvollsten Menschenrechte." — Vgl. auch JELLINEK, G.: Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. 3. Aufl. München und Leipzig 1919. 30 Titre I: „Die Verfassung garantiert jedem Menschen die Freiheit zu sprechen, zu schreiben, seine Gedanken zu veröffentlichen..., ohne daß eine Zensur ausgeübt oder vor der Öffentlichkeit eine Prüfung stattfindet." Der Gesetzgebung wird verfassungsrechtlich verboten, ein Gesetz zu schaffen, das dieser Freiheit Hindemisse setzt. Vgl. HATIN, E . : Manuelle de la Liberté de la Presse. Paris 1868. •— LE POITEVIN, G.: La Liberté de la Presse depuis la Révolution 1789—1815. Paris 1901. 31 Nur sehr allgemeine, kaum substanzierte Einschränkungen „dans les cas prévues par la loi" sind angedeutet.

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aktionen, Bastillesturm). Dem aufmerksamen Beobachter zeigen sich in den Grundlinien bereits die Hauptströmungen, aus denen sich die Parteikarte später, im 19. Jahrhundert, zusammensetzt. Lehrreich waren ebenso die unter wachsendem Radikalismus nach allen Seiten überbordenden publizistischen Ausschweifungen. Wüste Pornographie machte sich breit, eine Verhöhnung der leitenden Leute und ihres privaten Lebens, eine skrupellose Negation aller Regierungsmaßnahmen, aller Autorität überhaupt. Durch die schrankenlose Freiheit, die sie verkündet hatten, sahen nunmehr die Männer des Convent ihre eigene Macht bedroht. Schließlich wurde die Freiheit der Presse gegen die Freiheit der Presse mobilisiert, so daß die Katze sich in den Schwanz biß. In naiven Fehlschlüssen nahmen sich die Männer der Schreckensherrschaft nun das Recht, als „Vertretung des Volkes", „der öffentlichen Meinung", die Schriften zu denunzieren, die die Freiheit korrumpieren. Alle guten Bürger wurden angehalten, „nur die nachfolgend aufgezeichneten Blätter zu lesen". Dann wurden die regierungstreuen Zeitungen aufgezählt und deren Lektüre unter terroristischem Druck zur Pflicht gemacht. Man war nicht zum letzten Male in demokratischer Maske zur Diktatur zurückgekehrt. Kurz darauf scheiterte das Regime. Napoleon kam zur Macht. Seine totalitäre Publizistik war unerbittlich. Seine Erfolge überwältigten die Öffentlichkeit und zwangen die Opposition zum Schweigen. Seine Mißerfolge befreiten sie und gaben ihr die Freiheit wieder. Nach Theorie und Praxis der Revolution und der Reaktion von fast drei Jahrzehnten begann das „liberale Jahrhundert" und auch seine publizistische Wirklichkeit in Freiheit.32 Wie jede junge Freiheit griff sie zunächst nach den Sternen. Schon im Ausgang des 18. Jahrhunderts hatte man „die öffentliche Meinung" zur Göttin erhoben.33 Die Freiheit und nur die Freiheit war als ein Element angesehen, das schließlich selbständig Gesetz und Recht zu wahren in der Lage war. Diese naive Zuversicht stand damals in der Publizistik ebenso hoch und ebenso absolut im Kurs wie sie damals auch den Liberalismus der Wirtschaft beflügelte, der Glaube, daß die Welt, wenn sie nur frei sei, von alleine laufe. „Laissez aller, laissez passer, le monde va de lui même."34 Der romantische Idealismus derer, die ihn verfochten, ist für uns bewundernswert, und noch ganz ohne Skepsis. So wenn T H O M A S J E F F E R S O N , der Vater der amerikanischen Demokratie, das Volk in seiner Freiheit feiert: „Das Volk mag eine Weile in die Irre gehn, es wird sich bald zum rechten Weg zurückfinden . . . Wenn ich entscheiden sollte, ob wir eine Regierung ohne Zeitung oder 32 LE POITEVIN, a.a.O. — Vgl. zur Gesamtdarstellung auch CUNOW, H . : Die revolutionäre Zeitungsliteratur Frankreichs 1789—1794 (Die Parteien der großen Französischen Revolution). A.a.O. 33 Vgl. die Grundbegriffe S. 16. 34 Vgl. dazu S. 165. Das Schlagwort, eines der wirksamsten in der Publizistik, war die Flagge der Physiokraten und später des Freihandels, der freien Wirtschaft, auch des sozialen Lebens bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, bis man — fast zu spät — erkannte, daß dabei im sozialen Leben der Mensch das Opfer war, wenn er gegen den unbegrenzten Freiheitsbegriff nicht gesichert würde. •— Vgl. ANKEN, A . : Die Maxime „Laissez faire". Bern 1886.

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eine Zeitung ohne Regierung haben sollten, ich würde nicht einen Augenblick zögern, das letztere vorzuziehen. 35 " Ähnlich glaubt J O S E P H G Ö R R E S begeistert an die wahrheitsfindende Macht des freien Wortes: „ . . . daß in Rede und Gegenrede die Wahrheit sich ermittle" 36 . Dazu die Rolle des Publizisten, der die Wahrheit kennt und ausspricht 37 : „Einer muß sein, der da die Wahrheit zu sprechen verbunden i s t . . . ohn Vorbehalt und Hindernis . . . Die Stimmen derer, die da kundtun die Meinung der Versammelten, seien Herolde, aus der Menge auserwählt als Männer bewährter Treue und geprüfter guter Gesinnung." Nur wenige Jahre währt diese jubelnde Freiheit. Es ist die Zeit enthusiastischer Bindung an eine Gesinnung. Politische Gruppen formen sich als „Komitees" und organisieren im Zuge der großen Parteigruppierungen politische Zeitungen (sogenannte „Komitee-Zeitungen"). In Deutschland ist das Jahr 1848 mit der erstaunlichen Vielfalt der Parteipresse Spitze dieser Entwicklung. 38 Für die übrigen publizistischen Mittel, insbesondere die Rede, erfolgt der Übergang zur Freiheit des Wortes im Widerstand gegen verharschte Reste gouvernementaler Bedenken. Selbst in dem parlamentarisch führenden England blieb seltsamerweise die Parlamentsberichterstattung noch lange verboten. 39 Auch die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen war lange umkämpft, schon in den Revolutionstagen 1789 in Frankreich. Dem bedeutendsten Redner der Revolution, M I R A B E A U , verbot man (1789) die Wiedergabe seiner eigenen parlamentarischen Reden durch seine Zeitung, worauf er den Berichten Briefform gab.40 K A R L M A R X mußte als Redakteur der ersten „Rheinischen Zeitung" 1842/43 noch um die Freiheit der Berichterstattung für die Verhandlungen der „Rheinischen Provinzialstände" kämpfen. 41 35 The Writings of T H . JEFFERSON. Hrsg. v. P . L . Ford. 1 0 Bde. New York 1 8 9 2 — 9 9 . (übers, d. Verf.) 36 Ähnlich ÉMILE ZOLA sechzig Jahre später: „La vérité ne peut être que par la liberté", vgl. S. 178. 37

38

JOSEPH GÖRRES, in: Rheinischer Merkur, Nr. 80 v. 1. 7. 1814.

Dies vollzieht sich im Europa der ersten Jahrhunderthälfte fast gleichlaufend. Die liberale wie die konservative und die radikale Presse der deutschen Revolution von 1848 sind alle „Komitee-Zeitungen" eine Gründungsform, die sich in der deutschen Presse bis in die Zeit der Weimarer Verfassung für die kämpfende Gesinnungspresse erhält. — Vgl. DOVIFAT, E.: Die Zeitungen. Gotha 1925, S. 30, S. 48. 39 Vgl. GRÜNBECK, M.: Die Presse Großbritanniens. 2 Bde. Leipzig 1936, Bd. I, S. 5. — Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts war es im engl. Unterhaus verboten, auf der Pressetribüne Notizen zu machen. Journalisten mit artistischem Gedächtnis, memno-technische Kraftnaturen, diktierten draußen aus dem Kopf einen stenographischen Bericht. — Vgl. GROTH, O.: Die Zeitung. A.a.O., Bd. I, S. 785. 40 Vgl. DISCH, U.: Der Redner Mirabeau. A.a.O., S. 39 ff. sowie GROTH, a.a.O., Bd. I, S. 786 ff. Ebendort eingehende Darstellung des Problems zur Freiheit parlamentarischer Berichterstattung. 41 Vgl. KLUTENTRETER, W.: Die Rheinische Zeitung von 1842/43, Dortmunder Beiträge Bd. X, sowie KÜMHOF, H.: Karl Marx und die „Neue Rheinische Zeitung" in ihrem Verhältnis zur demokratischen Bewegung der Revolutionsjahre 1848/49. A.a.O., S. 20 und DOVIFAT, E.: Die Zeitungen. A.a. O., S. 34 ff.

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Die Publizistik der Aufmärsche und der Kundgebungen war bis tief ins 19. Jahrhundert hinein, zumal in Deutschland, keineswegs selbstverständlich. Man kleidete sie daher kulturell oder historisch ein.42 Heftig bekämpft war lange noch, in Deutschland bis 1848, die publizistische Arbeit in Bünden, Vereinen, Zellen. Der Kampf gegen die Burschenschaften und gegen ihre studentisch verfochtenen politischen Forderungen ist bekannt; ganz besonders fürchtete man die ersten Zusammenschlüsse der Arbeiter als „Assoziationen der Fabrikknechte". Erst mit Aufkommen der großen Massenaufmärsche (mass-meetings) in England43 beginnt das tiefe Mißtrauen gegen „offene und unterirdische Konventikel" zu schwinden. Die öffentliche Kundgebung wird als eine natürliche Lebensform demokratischer Freiheit angenommen. Flugblattaktionen waren noch aus dem illegalen Kampf gegen den Absolutismus in Übung. Sie nahmen neue, publizistisch wirksame Feldzüge auf.44 Aus gleicher oppositioneller Quelle stammten die satirischen Mittel der Publizistik. Von Verfolgung frei erscheinen sie jetzt regelmäßig als satirische Zeitschriften, damals „Witzblätter" genannt.45 Aber die Tagespresse in ihrer neuen Freiheit wuchs nun über den Gesinnungskampf hinaus. Seit der Jahrhundertwende hatte sie neben der Kampfpresse bestehend und zu einem Teil wirtschaftlich gesichert in großen Familienverlagen eine bedeutende Rolle gespielt. Diese war, wenn auch traditionell, so doch sehr kultiviert und gesinnungsmäßig geprägt.48 Aber nun brach unter der eben gewonnenen Freiheit ein neuer, zunächst höchst unkonsolidierter Typ in das Zeitungswesen: die Massenpresse begann. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Interessen traten in den Spielraum der geistigen Freiheit. Sie brachten kühne Entwicklungen, die publizistische Freiheit aber sah sich nun nicht von der politischen Macht allein, sondern auch von anderen Mächten bedroht. Mit dem Buchdruck ist das Erwerbsgeschäit in das geistige Leben gekommen. Der Buchdruck wurde zwar handwerklich betrieben, war aber doch eines der ersten Unternehmen kapitalistischer Natur. Er erforderte Maschinen, Typen, Papier, Farbe, angestellte Arbeitskräfte, Setzer, Drucker und schließlich Kapital, das der 42

Bestrebungen des „Deutschen Nationalverems" maskierten sich in einer Turnerschaftbewegung. Verkleidung von politischen Gruppen durch sportliche Verbände war bis im 20. Jahrhundert z. B. in der allslawischen Bewegung der „Sokols" üblich. — Vgl. die Formen der illegalen Publizistik, S. 71. 43 Vgl. HERBST, W.: Daniel O'Connel. A.a.O. — Vgl. auch S. 210. — Die ersten Massenaufmärsche entwickelten sich im Kampfe der Anti-Corn-Law-League um 1840 in England. 44 Vgl. S. 269. 45 Charivari (1832), Punch (1841), Kladderadatsch (1848). Vgl. S. 278. 46 Times ( 1 7 8 5 ) der Familie Walter; Kölnische Zeitung ( 1 8 0 5 ) der Familie Dumont; Augsburger Allgemeine ( 1 7 9 8 ) der Familie Cotta u. a. m, D'ESTER nennt sie — im Gegensatz zu der oft von einem Publizisten geschaffenen „Persönlichkeitszeitung": „Zeitungspersönlichkeit".

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„Vorleger", der „Verleger", hergab." Mit dem Aufkommen des Massenzeitalters und der Notwendigkeit, breiteste Massen wirksam anzusprechen, trat diese Bindung urkräftig auf. In fester Gesinnung, geistig überlegen gehandhabt, vermochte auch hier die Presse in Freiheit zu bestehen. Rein kommerziell genutzt aber konnte sie „kapitalistisches Erwerbsunternehmen" werden. Die publizistische Freiheit tritt damit in eine neue Phase. Unter der gleichen Ideologie wird sie auch von der industriellen Massengesellschaft beansprucht. (Deutsche Bevölkerung 1800: 19Mill. ; 1910: 66Mill.) Wirtschaftlich ist das neue Zeitalter gekennzeichnet durch den Übergang der Kundenwirtschaft zur Marktwirtschaft, die für ihren Absatz der Marktwerbung, also der Anzeigen, der Reklame bedarf. (Vgl. auch S. 283.) Politisch setzt sich das allgemeine Wahlrecht und die volle Freiheit der politischen Willensbildung durch. Das Analphabetentum wird überwunden, neue politisch und publizistisch direkt ansprechbare Lesermassen treten auf. Rotations-, Setzmaschinen und Holzpapier verbilligen den Druck, die Massenproduktion wird wohlfeil. Immer größere Teile der publizistischen Mittel (vor allem Zeitung und Zeitschrift) geraten in die Form des Großbetriebs. Neue Bildtechnik (Fotografie) und neue Vervielfältigungsmöglichkeiten (Autotypie, Tiefdruck) führen wieder — wie in vergangenen optischen Zeitaltern — von der begrifflichen zurück zur Aufnahme publizistischer Stoffe aus der unmittelbaren Anschauung. 48 Das bewegte Bild tritt auf (Film) und zwingt den Zuschauer in den Fluß der Handlung; der Rundfunk als Hörfunk wie als Sehfunk gibt gesteigert 49 die Illusion der Ohren- und Augenzeugenschaft. Die Publizistik erreicht ein weltweites Publikum. Das vollzieht sich in einem Jahrhundert, etwa von 1840 bis 1940. Alte und neue publizistische Mittel und Methoden, vor allem in den beiden Weltkriegen und den dazwischen liegenden harten ideologischen Kämpfen werden in gewaltigen publizistischen Feldzügen zusammengefaßt. Damit wird dann auch die Frage nach der Freiheit neu gestellt. Sie ist nicht nur verfassungsrechtlich gegen staatliche Einwirkung zu schützen. Die gesellschaftlichen Kräfte, ja selbst die Struktur der publizistischen Mittel entwickeln neue Einflüsse und Einschränkungen einer freien Meinungs- und Willensbildung. Die im publizistischen Prozeß neu aktiv gewordenen Mittel bringen ihre Eigennatur mit, ein eigenes „Artificialiter"50, das der Freiheit dienen, ebenso sie mißbrauchen und verbilden kann. Hier sei die Frage nach der Freiheit der einzelnen Mittel, ihrem Gewinn oder Verlust nur im Ganzen gestellt. 51 Wie immer hört man in der Zeitung ihren Pulsschlag am deutlichsten. Um 1830 in Frankreich 52 und Amerika 53 , um 1880 in Deutsch-

47 48 49 50 51 52 53

Vgl. DOVIFAT: Zeitungslehre. A.a.O., Bd. II, S. 113. Vgl. PAWEK, K.: Das optische Zeitalter. Ölten u. Freiburg 1963. Vgl. S. 231 u. 258. Uber die Natur des Begriffs vgl. S. 33. Es ist Sache der Fachgebiete, sie im einzelnen darzustellen. SCHAUSEIL, A . : Emilie de Girardin. A . a . O . DOVIFAT, E.: Der amerikanische Journalismus. A.a.O., S. 46 ff.

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land54, um 1890 in England 55 vollzieht sich der entscheidende Übergang von der kämpfenden Gesinnungspresse (oder den vornehmen „Zeitungspersönlichkeiten") zur volkstümlichen Massenpresse. 56 In der Verlagskalkulation nimmt mit dem wachsenden Schwergewicht der Anzeigeneinnahmen bei steigendem Werbebedarf der Wirtschaft auch das geschäftliche Schwergewicht zu. Es kann Übergewicht werden. Feierten die Publizisten des Revolutionsausbruchs in Frankreich, feierte G Ö R R E S , feierte noch V I C T O R H U G O die Presse „als eine Tribüne freien Worts" und meinte noch der junge K A R L M A R X : „Die Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein", so wird die Presse nun (kann sie werden) „eine kapitalistische Unternehmung, die Anzeigen als Ware erzeugt, die sie durch Beigabe eines redaktionellen Teils absetzbar macht"57, wie K A R L B Ü C H E R verärgert meint. Schon vierzig Jahre früher hatte LASALLE in seiner oft zitierten Rede „Die Feste und die Presse" 58 rhetorisch wesentlich deutlicher gesprochen: „Von Stund an (der Aufnahme von Anzeigen) wurden also die Zeitungen nicht nur zu einem ganz gemeinen, ordinären Geldgeschäft..., sondern zu einem viel schlimmeren, zu einem durch und durch heuchlerischen Geschäft, welches unter dem Scheine des Kampfes für große Ideen und für das Wohl des Volkes betrieben wird." Hier ist — agitatorisch zugespitzt und falsch verallgemeinert 58 — ein Kernproblem der freien Publizistik gestellt, das bis heute gilt und dessen Bewältigung bis heute ein Schlüsselproblem unserer demokratischen Entwicklung ist. Die freie Publizistik unserer Tage kehrt den Satz des jungen Marx um: sie muß, um frei zu bleiben, ein Gewerbe sein, d. h. sich ihre Existenzgrundlage und damit ihre Freiheit selbst verdienen. Publizistisch gilt dies — Rundfunk und Fernsehen in den Betriebsformen der Körperschaften öffentlichen Rechts ausgenommen — für die Zeitung, die Zeitschrift und den Film. Das totalitäre Pressesystem freilich nimmt der Publizistik die Sorge um das tägliche Brot ab und nimmt ihr damit auch die Freiheit. Die Tatsache selbst, daß das freie publizistische Mittel als Erwerbsunternehmen arbeitet, deutlicher gesagt, durch eine kluge kaufmännische Leistung die Basis seiner Existenz erringen muß, berechtigt jedoch keineswegs anzunehmen, daß jedes publizistische Mittel schlechthin hier nur um des geschäftlichen Gewinns 54 DOVIFAT, E . : Die Anfänge der Generalanzeigerpresse. In: Archiv für Buchgewerbe und Gebraudisgraphik. Mai 1928. 55 GRÜNBECK, M.: Die Presse Großbritanniens. A.a.O., Bd. I. 56 Für die zusammenfassende Gesamtentwicklung vgl. DOVIFAT: Zeitungslehre. A.a.O., Bd. II, S. 128. 57 BÜCHER, K.: Zur Frage der Pressereform. Tübingen 1922. 58 LASSALLE, F.: Die Feste, die Presse und der Frankfurter Abgeordnetentag. Solingen und Düsseldorf o. J . ( 1 8 6 3 ) . — Vgl. auch HILDEBRANDT, R . : Ferdinand Lassalle und die Anfänge der modernen Massenpublizistik. A.a.O. 59 Auch die sozialdemokratische Presse in Deutschland hat — ebenso wie jedes andere Blatt — selbstverständlich das Anzeigenwesen für ihre wirtschaftliche Entwicklung benutzt, ohne daß ihre Redakteure, wie LASSALLE formulierte, „Prostitution des Geistes" betrieben. Alle Argumente Lassalles sind übrigens in die dialektische Begründung der kommunistischen Pressedoktrin aufgenommen worden.

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willen betrieben oder der Politik „drahtziehender Geldgeber" verfallen wäre. 80 Das 19. Jahrhundert und auch die Gegenwart beweisen in vielen und guten Fällen das Gegenteil. Ebenso aber erbringen sie Fälle kraß-geschäftlicher Profitsucht, auf die Lasalles unerbittliche Verurteilung zutrifft. 61 2. Die Gegenwart Die publizistischen Erlebnisse zweier Weltkriege und die Erfahrungen mit den totalitären Gewalten haben es immer wieder bewiesen, daß durch die Freiheit, wenn sie nicht gesichert ist, die Freiheit selbst erwürgt werden kann. Der romantische Glaube an die alles reinigende Kraft der „Freiheit ohne Grenzen", der „Liberté sans bornes", wie sie die erste französische Revolutionsverfassung formulierte, ist ins W a n k e n geraten. Sie unter enthusiastischem Beifall zu preisen ist leicht, sie politisch verantwortlich vor Mißbrauch zu bewahren, ist ein schweres juristisches und publizistisches Kapitel. Am Ende des 19. Jahrhunderts hat EMILE Z O L A , der Verfasser von „J'accuse", der entschlossene Vorkämpfer für die Wahrheit in der Dreyfus-Affaire, in einer oft genannten Briefstelle die absolute Freiheit gefordert. 62 Der Text ist — schon der Sprache wegen — wert, gelesen zu werden. „Ich bin für die unbegrenzte Freiheit. Ich fordere sie für mich und ertrage sie bei den anderen. Ebendarum will ich nicht, daß an die journalistische Freiheit gerührt wird. Jede Einschränkung birgt große Gefahren. Die scharfe Sichel, die versucht, im Kornfelde das Unkraut herauszuhauen, wird auch gesunde Halme fällen. Wie traurig und mit welcher Gewissensempörung stehen wir vor dem üblen Treiben der niederen Presse; sie schickt sich an, durch ihr Geschäft mit den Sensationen die Nation zu entnerven und zu vergiften. Mir blutet das Herz, und ich muß mich zwingen, wieder zu hoffen. Trotz allem aber: Ich glaube, die Gesinnungspresse wird uns frei machen, sie wird unterrichten, sie wird aufklären, sie verbreitet ja das hellere Licht. Der Schmutzstrom wird alles befruchten." Zola glaubt uneingeschränkt an den Sieg der Wahrheit, auch im Schmutz mißbrauchter Freiheit. Wenig später schreibt er an P. Billiet 63 : „Die Presse, die Feder also, wird uns eine friedliche Revolution bringen. Mögen die schmierigen Blätter das Volk mit Lügen speisen und vergiften, die ernste Presse wird es wieder gesunden lassen. Sie sollte einfach die Wahrheit sagen." 60

Diese Argumentation ist der Ausgangspunkt des Feldzuges der totalitären gegen die freie Publizistik, so vor allem der kommunistischen Publizistik. Vgl. S. 166. 61 Das Problem ist so alt wie die freie Publizistik. Wirksam und bis in die Gegenwart fortgeführt ist eine Zusammenfassung überzeugender Belege über den Stand dieses alten, immer erneuerten Problems in: Pressereform und Fernsehstreit. Texte zur Kommunikationspolitik 1832 bis heute. Hrsg. v. O. B. Roegele u. P. Glotz. Gütersloh 1965. 62 Vgl. ZOLA, E.: Les œuvres complètes. Paris 1927—29. Brief an H. Bérenger vom 18. 12. 1897, Bd. 49 (Correspondence), S. 792 (übers, d. Verf.). — Historisch wichtig: ISRAEL, A.: La Liberté de la Presse hier et demain. Paris 1936. 83

ZOLA, a . a . O . , B d . 4 9 , S . 3 6 0 .

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Glaube an den Fortschritt und an die Menschen sprechen aus solchen Auffassungen und hatten hier einen publizistischen Erfolg besonderen Ranges. Zolas Flugschrift „J'accuse" erzwang die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Dreyfus und erwirkte den Freispruch. Zola setzte sich gegen einen Schmutzstrom, gegen eine starke, zum Teil schon im antisemitischen Massenwahn erstarrte Öffentlichkeit durch."4 Hier mag der „Schmutzstrom" die Kräfte der Wahrheit und Gerechtigkeit angetrieben haben, aber leider oftmals in der Geschichte, in schweren publizistischen Niederlagen, bewirkte er das Gegenteil. 1933 ist in Deutschland eine demokratische Publizistik von Weltrang, eine Presse, deren sachliche Argumentation ebenso stark war wie ihr öffentliches Ansehen und ihr entschlossener Gesinnungskampf, durch einen Schmutzstrom mit terroristischer Wucht einfach erstickt worden. Die Propaganda Hitlers hat sich gegen eine seinen Zeitungen hundertfach überlegene demokratische Presse mit neuen, in ihrer Gewalttätigkeit kaum bekannten und daher kaum abzuwehrenden Formen fast bis zur Mehrheit durchgesetzt. Das geschah, noch ehe Hitler zur Macht kam, die publizistische Freiheit aufhob und dann leichtes Spiel hatte.85 Nach der Überwindung des totalitären Systems und dem Anlauf einer neuen Publizistik unter Besatzungsvormundschaft war mit Aufhebung des Lizenzzwanges und Wiederkehr der Pressefreiheit in die drei von den Mächten der heien Welt beherrschten Zonengebiete (1949) und mit der Ubergabe der Rundfunksender in deutsche Leitung (1948) der Weg in eine freie Publizistik offen. Während im sowjetischen Zonengebiet die publizistischen Mittel im beinahe buchstabentreuen Schema der sowjetischen Systeme durchgesetzt wurden, sicherte das Bonner Grundgesetz (Artikel 5) die publizistische Freiheit im weitesten Sinne. Darauf konnte aufgebaut werden. Der Weg war dreifach. Publizistische Arbeit heißt, einer öffentlichen Aufgabe dienen. Diese alte Forderung nun gesetzlich festzulegen, sie ebenso allen publizistisch Tätigen nahezubringen und im öffentlichen Bewußtsein zu verankern, war der erste Weg. Der zweite hatte die Spannungen zu lösen, die sich zwischen dem klaren Verfassungsgrundsatz der publizistischen Freiheit ergaben und anderen schutzwürdigen Interessen, z. B. den allgemeinen Menschenrechten oder den „Vorschriften der allgemeinen Gesetze" (GG, Art.5 [2]). Zum dritten sollte versucht werden angesichts der Vielschichtigkeit auch der Probleme der inneren publizistischen Freiheit, eine eigene Ordnung zu schaffen und die Sicherung der Freiheit •4 über diese publizistischen Kämpfe vgl. SCHMIDT, L . : Edouard Drumont — Emile Zola. A.a.O., S. 96 ff. 85 Vgl. dazu die genauen statistisch-historischen Feststellungen im Handbuch Die Deutsche Presse 1954. A.a.O.. S. 47". — Die in Deutschland gelegentlich als pressefeindlich, ja als „faschistisch" dargestellten Presse-Notverordnungen Brünings aus den Jahren 1930/31 dienten nicht der Einschränkung der Pressefreiheit, sondern galten der Verteidigung ihrer demokratischen Lebensgrundlage. — Vgl. HAENTZSCHEL, K.: Die neue Verordnung zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen und ihre Bedeutung für die Presse. In: ZV 1931, Nr. 14. — Ders.: Die neue Pressenotverordnung. In: Juristische Wochenschrift 1931, Nr. 30. 12«

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denen anzuvertrauen, die an ihrer Erhaltung am allermeisten interessiert sind: den Publizisten selbst. Sie sollen die Freiheit im vorstaatlichen Räume zu sichern die Aufgabe haben. Der Ruf nach der „öffentlichen Aufgabe", 1814 und 1848 zunächst der Presse zugestanden, versank in der Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts. Selbst im Reichspressegesetz von 1874 fehlt sie, so überschwenglich, man sie auch fünfzig Jahre vorher noch gefeiert hatte. 66 Mit dem Aufkommen der Massenpresse, der Vergeschäftlichung vieler Verlagsunternehmen, kam in den Meinungsstreit die Frage, ob der Presse die „Wahrung berechtigter Interessen" zuzuerkennen sei. 67 Man besann sich also wieder auf die eigentliche öffentliche Aufgabe der Publizistik, hier also zunächst der Presse. Der Chefredakteur der Kölnischen Zeitung, E R N S T P O S S E , regt 1917 an, gesetzlich festzulegen, „daß die Zeitung in ihrem allgemeinen Teil ausschließlich öffentliche Interessen vertritt und vertreten muß".68 In den Jahren des Weimarer Staates erhoben die Verbände der Journalisten die gleiche Forderung. 69 Das 1933 erlassene „Schriftleitergesetz" des Hitlerregimes nimmt diese vorher frei und demokratisch gewollte Forderung und gibt ihr jetzt einen durch den Staat bestimmten streng ausgerichteten also totalitären Inhalt (§ 14) ,70 Heute, in der freien, rechtsstaatlichen Demokratie, hat die „öffentliche Aufgabe" für alle publizistischen Mittel Geltung gewonnen. Für die Presse ist sie gesetzlich festgelegt. 71 Der „Modellentwurf für ein Landespressegesetz" der ständigen Konferenz der Innenminister der Länder72 bestimmt in seinem § 3: „Die Presse erfüllt 66

Die öffentliche Aufgabe der Presse wurde aber im Kampf gegen die Börsenkorruption durch Bestimmungen des Reichsbörsengesetzes von 1896 (ergänzt 1908) bereits aufgenommen. Dies Gesetz verpflichtet den Börsenjournalisten, börsenbeeinflussende Wirtschaftsnadiriditen zu verbreiten (§§42, 51, 88). Es legt ihm also eine öffentliche Verpflichtung auf. Vgl. HAENTZSCHEL, K.: Reidispreßrecht (Komm.). Berlin 1927, S. 9 u. 139. 67 Ein alt umkämpftes Problem. Vgl. HAIBLE, W . : Das Recht der Presse in den Bundesländern. Diss. Würzburg 1964, S. 44 sowie Möller (Kiel): Höchstrichterliche Anerkennung des Rechts der Presse zur Wahrung der öffentlichen Aufgabe. In: ZVuZV 1960, Nr. 35 (Archiv für Presserecht). — LÜPSEN, F . : Kontrollfunktion und Selbstkontrolle der Presse. In: ZVuZV 1964. Nr. 40—41, S. 1622. — Recht der Presse. Sammlung der geltenden Pressegesetze mit Kurzerläuterungen von Roeber, H. u. H. J. Alberding. Köln 1966. — Justiz und Öffentlichkeit. Hrsg. v. H. Reynold. Köln 1966. 68 POSSE, E.: Uber Wesen und Aufgabe der Presse. Tübingen 1917. " § 3 des „Journalistengesetzes" von 1924 fordert: „Der Schriftleitungsteil dient öffentlichen Interessen. Ein Schriftleiter, der ihn mißbraucht, um . . . private mit öffentlichen Interessen zu verquicken, handelt pflichtwidrig." Vgl. BRINGMANN, K.: Die Presse und ihr Recht. Reformentwürfe als Dokument und Selbstzeugnisse 1924—1933. Festschrift für Betz. Düsseldorf 1963, S. 125. 70 über den „Schriftleiter" wird bestimmt: „Die im Hauptberuf... ausgeübte Mitwirkung an der Gestaltung des geistigen Inhalts der . . . Zeitungen . . . ist eine in ihren beruflichen Rechten und Pflichten vom Staat durch dieses Gesetz geregelte öffentliche AulgabeIm § 14 des Gesetzes wird von äußerst dehnbaren Bestimmungen das Stoffgebiet der Redaktion streng umgrenzt und fest bestimmt. — Vgl. SCHMIDT-LEONHART, H., U. P. G A S T : Das Schriftleitergesetz vom 4. 10. 1933 (Komm.). Berlin 1938, S. 85 f. n Die Entwicklung gibt SCHNEIDER, F.: Die öffentliche Aufgabe der Presse. A.a.O. 72 Vom 10. 1. 1963. Sonderdruck des Deutschen Presserats, letzte Fassung Tätigkeitsbericht 1963, S. 43.

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eine öffentliche Aufgabe." Diese Bestimmung hat — leicht abgewandelt und darin umstritten — in den meisten Länderpressegesetzen Aufnahme gefunden.73 Somit steht die Publizistik in rechter Auslegung des Art. 5 GG in einer freien, auf das Gemeinwohl ausgerichteten Verpflichtung. Sie nimmt auch „berechtigte Interessen" wahr, wenn sie im Rahmen ihrer öffentlichen Aufgabe an der öffentlichen Meinungsbildung mitwirkt.74 Jedes publizistische Mittel bleibt im demokratischen Staat frei von staatlicher Lenkung und Beeinflussung, es sei denn, der Staat nimmt es für bestimmte Aufgaben (offen und allgemein erkennbar gekennzeichnet) in Dienst. Eine von Amerika ausgehende Theorie stellt die freie Publizistik als „vierte Kraft" gleichberechtigt neben die Exekutive der Regierung, die Legislative des Parlaments und die Jurisdiktive der Rechtsprechung, macht sie zum „forth estate" im Leben des demokratischen Staates. Die Theorie hat auch in Deutschland Anhänger gefunden.75 Man wendet ein, sie berge die Gefahr und erwecke den Eindruck, als folge die Presse mit ihrer „öffentlichen Aufgabe" gleichsam einer „imperativen Weisung". A R N D T geht so weit, selbst in dem Satz: „Die Presse dient der freiheitlich-demokratischen Grundordnung" (§ 1 des Berliner Pressegesetzes) die Gefahr einer „verordneten Ideologie", einer erzwingbaren Pflicht zu sehen. Auch v. H A S E warnt vor einer Entwicklung, die vielleicht freiheitsgefährdend werden könnte. Hier wird übersehen, daß es sich in diesen Forderungen nicht um eine juristische oder gar institutionell festgelegte Aufgabe, sondern um eine moralische Verpflichtung handelt. Sie ergibt sich aus dem Artikel 5 des Grundgesetzes. So deutet es auch das sogenannte „Spiegelurteil" des Bundesverfassungsgerichts (vom 5. Aug. 1966). Dort heißt es: „So wichtig die damit der Presse zufallende (öffentliche Aufgabe' ist, so wenig kann diese von der organisierten staatlichen Gewalt erfüllt werden." 73 Z. B. das Landespressegesetz Schleswig-Holstein, § 3: „Die Presse erfüllt dadurch eine öffentliche Aufgabe, daß sie Nachrichten beschafft und verbreitet, Stellung nimmt oder Kritik übt." Ähnlich Rheinpfälzisches Pressegesetz und Saarländisches Pressegesetz, jeweils § 3. Ebenso das Landespressegesetz Berlin. Vgl. Archiv für Presserecht 1965, Nr. 36. — Ein Gesetzentwurf zur Neuordnung des zivilrechtlichen Personenschutzes bestimmte in einem neuen § 17 des BGB: „Presse, Rundfunk und Film nehmen ein berechtigtes Interesse wahr, wenn sie im Rahmen ihrer öffentlichen Aufgaben die Öffentlichkeit unterrichten oder Kritik üben" (Drucksache 217/59). Vgl. LÖFFLER, M.: Persönlichkeitsschutz und Meinungsfreiheit. München 1959. 74 Vgl. GEIGER, W. (Senatspräsident am Bundesverfassungsgericht): Gedanken zu einem neuen Presserecht. In: Archiv für Presserecht (Januar) 1959. 75 LÖFFLER, M.: Presserecht. München 1955, S. 4 ff. Die Theorie ist an sich faszinierend, aber sehr umstritten. Ders.: Der Verfassungsauftrag der Presse. Karlsruhe 1963, S. 6 ff. — Auf kurze Formel gebracht gäbe es dann eine Legislative, eine Exekutive, eine Jurisdiktive und eine Diskutive. — Gegner dieser Theorie: STEINER, T.: Die sogenannte „öffentliche Aufgabe" von Presse und Rundfunk und die unterschiedlichen strukturellen und rechtlichen Konseqenzen für diese Medien. In: Publizistik 1964,H.2,S.99—114. Ebenso durch WILMS,G.: Pressefreiheit und Privilegien. In: Die dritte Gewalt, 7/XVII, 15. 4. 1966. Hierzu und zum Folgenden vgl. A R N D T , A . : Die Rolle der Massenmedien in der Demokratie. Bd. 6 der Schriftenreihe der Deutschen Studienges, f. Publizistik. München und Berlin 1966. — Vgl. auch HASE, K.-G. V.: Wer gefährdet die Pressefreiheit? In: ZVuZV 1966, Nr. 31. Erwiderungen von BECHTLE, O. W. sowie LÜPSEN, F. in: ZVuZV 1966, Nr. 32 u. Nr. 33.

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Allerdings tritt diese öffentliche Aufgabe der Publizistik in nahezu allen publizistischen Mitteln, auch in der Zeitung, weitgehend eingekleidet auf, so z. B. in nichtpublizistische (künstlerische, unterhaltende, wissenschaftliche) Stoffe. Rundfunk und Fernsehen und vor allem der Film bieten in großem Umfang nichtpublizistische Inhalte. Sie sind aber als Unterhaltung oft gerade die Zugkraft, politische Stoffe überhaupt anzubringen. Publizistische Mittel sind daher in ihrem Inhalt als Ganzes zu nehmen. Auch die Unterhaltung ist somit publizistisch zu werten. In dem bekannten Fernsehurteil des Verfassungsgerichtes von 1961 ist das mit guter Begründung festgelegt. 7 'Anschaulich zeigt sich die Vielfalt der Stoffe und damit die manches Mal schwer begründbare „öffentliche Aufgabe" in den drastischen Niveauunterschieden unseres heutigen Zeitungswesens. S C H N E I D E R gliedert daher treffend in öffentliches und Öffentlichkeits-Interesse.11 Der zweite Weg, die verfassungsrechtliche Sicherung, ist im Artikel 5 GG eindeutig und wesentlich klarer gegeben als sie etwa in der Weimarer Verfassung auftrat, aus der nur der Satz „Eine Zensur findet nicht statt" in das neue Grundgesetz übernommen und jetzt auch auf die neuen publizistischen Mittel angewendet ist. Gegenüber dieser eindeutigen und fundamentalen Sicherheit des Verfassungsrechts können sich Spannungen aus widerstreitend genutzte Verfassungsbestimmungen oder den Schranken in den „Vorschriften der allgemeinen Gesetze" (Abs. 2) ergeben. Beispiel: Der Artikel 1 des GG wurde unter dem Eindruck der Unmenschlichkeiten des Hitlerregimes formuliert und lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Hieraus ergeben sich bestimmte Folgerungen für Persönlichkeitsschutz im öffentlichen Leben, auch gegenüber der publizistischen Freiheit.78 Noch eine weitere Schranke ist aus den Erfahrungen des Kampfes mit der Hitlerpropaganda im Abs. 2 des Art. 5 der publizistischen Freiheit gesetzt: das „Recht der persönlichen Ehre". Schließlich noch die dritte Schranke: die „gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend" (Abs. 2). Es liegt jedoch in der Natur der Verfassungssicherung, daß sie durch allgemeine Gesetze nicht ohne weiteres eingeschränkt werden kann, ebensowenig auch durch Spannungen zu anderen Verfassungsbestimmungen. Verfassungsrecht bleibt „schlechthin konstituierend". Entstehende Spannungen müssen in Güte- und Interessenabwägung, d. h. in der Unterscheidung der jeweils höheren Rechtswerte gelöst werden. Sie müssen „im Lichte der besonderen Bedeutung des Grundrechts 78

Urteil v o m 28. 2. 1961 (Bd. XII, S. 246). — Vgl. S. 94, Anm. 52. Die öffentliche A u f g a b e der Presse. A.a.O., S. 106. Ähnlid» unterscheidet auch EVF.RTH zwischen „objektivem" und „subjektivem" öffentlichen Interesse. Vgl. S. 15. 78 Vgl. Referentenentwurf e i n e s „Gesetzes zur N e u o r d n u n g des zivilrechtlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutzes", 1958. Eingehend behandelt bei LÖFFLER: Persönlichkeitsschutz und Meinungsfreiheit. A.a.O. und DOVIFAT, E.: Pressefreiheit und Schutz der Ehre und Intimsphäre. Veröffentlichung der Freien Universität Berlin. Universitätstage 1959. 77

DIE FORTENTWICKLUNG DER PUBLIZISTISCHEN FREIHEIT

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der freien Meinungsäußerung für den freiheitlich demokratischen Staat" erfolgen. 79 Hier ist der Rechtsprechung die Entscheidung anvertraut. Selbstverständlich unterliegt auch sie der öffentlichen Kritik.80 Um die Frage der Einschränkung der Grundrechte im Falle eines inneren oder äußeren Notstandes sind z. Z. in der Bundesrepublik zwischen den politischen Parteien und der Regierung Verhandlungen im Gange, um hier eine verfassungsändernde Mehrheit zu erreichen, also bei einem äußeren Notstand besondere Einschränkung der Grundrechte möglich zu machen. 81 In jedem Falle bergen die Spannungsverhältnisse zwischen den die Freiheit sichernden Verfassungsbestimmungen und anderen Verfassungsgrundsätzen und den Vorschriften der allgemeinen Gesetze in der vielfältigen Entwicklung der modernen publizistischen Mittel sachliche Schwierigkeiten. Daher wurde in den letzten Jahrzehnten versucht, eine unmittelbare Teilnahme der publizistischen Kräfte an der Lösung und Entscheidung solcher Probleme herbeizuführen. Das geschah anfangs auf gesetzlicher Basis und dann mehr und mehr in autonomen Körperschaften und führte zu einer neuen Fortentwicklung der publizistischen Freiheit durch Sicherungen im vorstaatlichen Raum.

21. Die Fortentwicklung der publizistischen Freiheit Freie Ordnung im vorstaatlichen Raum Die publizistische Freiheit ist im pluralistischen Massenstaat erst recht das „die freiheitlich demokratische Grundordnung schlechthin konstituierende Grundrecht".1 Aber die in kurzen Jahrzehnten überstürzte Entwicklung der Technik hat eine sehr gewandelte Publizistik herankommen lassen und damit auch manche 79 Bundesverf.-Ger., Entsch. 7.198. Eine Oberlandesgerichtsentscheidung (OLG. Köln 12U30/65) z.B. billigt einem Leser in Höherachtung seiner persönlichen Meinungsfreiheit gegenüber dem Geschäftsinteresse einer „Illustrierten" sogar die Aufforderung zum Anzeigenboykott zu. 80 Bezüglich der Wertung des Rechtes der „persönlichen Ehre" gegenüber der Freiheit der Meinung und des Rechtes der Kritik sind verschiedene Auffassungen zutage getreten. Z. B. wird auf einen massiven Angriff auch die ebenso massive Gegenwirkung zugelassen. Bekanntes Beispiel das sogenannte ScHMiDT-Urteil. Das Gericht (Urteil v. 25. 1. 1961, vgl. Archiv für Presserecht 1961, Nr. 43) stellte fest, daß in der freien Äußerung innerhalb der Meinungsbildung Angriff und Verteidigung in ihrer Härte sich entsprechen dürfen. 81 Viele allgemeine Gesetze könnten der Freiheit des publizistischen Wirkens entgegenstehen und verlangen bei entsprechendem Einsatz äußerste Gewissenhaftigkeit in der Rechtswertung. Die Pressegesetze treffen hier (Beschlagnahmerecht, Redaktionsgeheimnis, Zeugniszwang, Recht der einstweiligen Verfügungen, Vertriebsrecht, Verbreitungsrecht, Polizeirecht, Sonderbesteuerungen) spezialisierte Vorschriften. Mancherlei Spannungen zwischen Verfassungsrecht und allgemeinem Gesetz demonstrierte der sogenannte „Spiegel-Fall". Vgl. LÖFFLER: Der Verfassungsauftrag der Presse. A.a.O., S. 59 ff. Das Problem des Jugendschutzes in seiner Beziehung zur publizistischen Freiheit ist gesetzlich auf Grundlage einer Verfassungsbestimmung, 5 (2), gesichert. 1 Sogenanntes Lüra-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (7.198).

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FREIHEIT U N D B I N D U N G IN DER PUBLIZISTIK

Frage nach der Sicherung ihrer Freiheit neu gestellt. Die Strukturveränderung der alten Presse, mehr noch der z. T. völlig neue Status der elektronischen Mittel, brachten Probleme der publizistischen Freiheit, denen in Fällen des Meinungskampfes das richterliche Urteil nur schwer und die Gesetzgebung fast gar nicht beikommen konnte. Darum ging die Gesetzgebung darauf aus, im heiklen Raum des Publizistischen Wege zu finden, auch dem richterlichen Urteil sachkundige Laienberatung zu sichern. Daraus ergab sich in den Jahren der Weimarer Republik der Versuch des Gesetzgebers, fachlich-publizistische Probleme im vorstaatlichen Raum zu lösen und dazu Formen einer beruflich getragenen Selbstverwaltung zu entwickeln. Erste Ansätze zu einer publizistischen Selbstdisziplin („Selbstkontrolle") erstanden im Bereich der Filmindustrie. Sie waren freiwillig und von höchst nüchterner Zweckbestimmung. Es ging (1919) um rein geschäftliche Absprachen, die nach Aufhebung der alten Zensur in wilde Zügellosigkeit ausartenden Filmthemen und -titel in einer Art Konvention zu begrenzen oder auch aufzuteilen. 2 Die Stoffe blieben aber noch so deutlich, daß die Väter des Weimarer Grundgesetzes bei der Fassung des Artikels der Meinungsfreiheit zwar ausdrücklich bestimmten: „Eine Zensur findet nicht statt", aber ergänzend beifügten: „ . . . doch können für Lichtspiele abweichende Bestimmungen getroffen werden" 3 . Das geschah in den beiden Reichslichtspielgesetzen von 1920 und 1922.4 In diesen Gesetzentwürfen jedoch wurden zum ersten Mal amtliche Stellen bei der Zensur völlig ausgeschaltet. Eine Prüfstelle — mit einer Oberprüfstelle als Berufungsinstanz — entschied über die Zulassung oder Nichtzulassung der Filme. Die Prüistelle war zur Hälfte von Vertretern des öffentlichen Lebens 5 , zu je einem Viertel von Vertretern der Filmindustrie und Vertretern von „Kunst und Literatur" zusammengesetzt. Die Zulassung eines Filmes durfte nur abgelehnt werden, wenn „Ordnung und Sicherheit bedroht", das „religiöse und sittliche Empfinden verletzt" oder „Auslandsbeziehungen schwerwiegend geschädigt wurden". Aus politischen und sozialen und auch aus geschmacklichen Gründen konnte die Zulassung nicht versagt werden.' Der Öffentlichkeit sollte Verständnis für die gesetzlichen Notwendigkeiten und den Vertretern des Staats Einblick in die Forderungen der Öffentlichkeit gegeben werden. Es war eine typische Entscheidung der Weimarer Jahre, noch nicht losgelöst vom obrigkeitsstaatlichen Denken und doch bemüht, demokratische Entscheidungen verantwortlich einzuordnen. Der Film sollte das Amt, das Amt aber auch den Film verstehen. 7 2

Es war eine damals in Berlin bestehende „Vereinigung deutscher Filmiabrikanten e. V.", die so versuchte, da die alte, rein polizeiliche Filmzensur gefallen war, die Filmtitel auf gemeinsame Interessen abzumildern. Feststellungen des Verfassers 1918/19. 3 Artikel 118, Abs. 2 RV. ü b e r die weitere Entwicklung beim Film s. S. 191. 4 V o m 12. Mai 1920 und 30. Dezember 1922. 5 Vertreter der Volksbildung, der Schulen und der Jugendverbände usw. 6 Vgl. die Motive und die parlamentarischen Erläuterungen des Reichslichtspielgesetzes bei SEEGER, E.: Reichslichtspielgesetz (Komm.). Berlin 1923. 7 Die Zwitternatur des Gesetzes hat in den fälschlich als „golden" bezeichneten 20er Jahren die Entwicklung des künstlerischen Films und des Tonfilms nicht aufgehalten. Auch

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a) In der Presse Neue Anregungen zur Selbstverwaltung der publizistischen Mittel ergaben sich nach 1918, als die „Zentralarbeitsgemeinschaft" (1918) die Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zum sozialen Grundsatz erhob. In abgewandelter Form sollte sie auch für die Presse Anwendung finden. So beschlossen 1922 Vertreter der Verleger (im „Arbeitgeberverband für das deutsche Zeitungsgewerbe") und der Redakteure (im „Reichsverband der Deutschen Presse") in einer „Reichsarbeitsgemeinschaft der Deutschen Presse" „sich der lebendigen Entwicklung im Wandel der Verhältnisse anzupassen". Ziel der Zusammenarbeit (§ 2 der Satzung vom 25. April 1922) sollte sein, daß sich „Verleger und Journalisten . . . der hohen öffentlichen Aufgabe der P r e s s e . . . bewußt bleiben und allen Verstößen dagegen nach Kräften entgegenarbeiten." 8 Danach stellte die RAG sich u. a. die Aufgaben, „die Wahrnehmung und Vertretung der Interessen der deutschen Presse in der Öffentlichkeit" (§ 2, A 1) und „die Abwehr aller Versuche, die Presse an der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben zu hindern" (A4). Für die innere Freiheit der Presse, die durch ihre erwerbswirtschaftliche Großentwicklung bedroht sein konnte, wurde mit der RAG der Redakteur durch wirtschaftliche und tarifrechtliche Bestimmungen g e s i c h e r t . M i t dem Jahre 192610 wird diese Sicherung als „ allgemein verbindlich" festgelegt und durch ein Versorgungswerk ergänzt. Darin wird wiederholt: „Die Zusammenarbeit von Verleger und Redakteur ist bedingt durch die Pflicht zur Wahrung öffentlicher Interessen durch die Zeitung. 11 " Dem Redakteur ist „im Rahmen der mit den Verlegern vereinbarten. .. Richtlinien die geistige Bewegungsfreiheit... im Einzelnen gewährleistet". Leider kam in den leidenschaftlichen geistigen Kämpfen der Weimarer Zeit und der alles überflutenden wirtschaftlichen Notlage die RAG nicht zur Erfüllung ihrer Aufgaben. Sie konnte weder die demokratiefeindliche Propaganda des Nationalsozialismus noch die gefährlich sich im Hugenberg-Konzern ausweitende nationalistische Konzernmacht eindämmen. Breite radikale Teile der Presse (KPD und NSDAP, beide damals dem Einfluß ausländischer politischer Filme war anfangs kaum eine Hemmung gesetzt. Der eine neue künstlerische Ära einleitende sowjetrussische Film „Potemkin", Eisensteins Meisterwerk, lief (1926) in allen deutschen Städten. Erst mit Ausgang der Weimarer Jahre, als der nationalistische Film den Markt mehr und mehr beherrschte, wurden Filme kommunistischer Haltung verboten (Fall „Kuhle Wampe", 1931). Die heutige Ordnung der filmischen Arbeit s. S. 191. 8 Vgl. das Vertragswerk der Reichsarbeitsgemeinschaft der Deutschen Presse. Berlin 1926. 9 „Abwehr nachteiliger Folgen bei einer (damals häufigen) Änderung der politischen Richtung einer Zeitung" (B7). 10 Tarifvertrag vom 9. Januar 1926, s. VERTRAGSWERK, a.a.O., S. 13. 11 Vgl. das Vertragswerk, a.a.O., Art. 1, Abs. 1. Die tarifrechtlichen Entscheidungen waren mit einer zur perönlichen Sicherung des Redakteurs begründeten „Versorgungsanstalt" für Alter und Invalidität verbunden. Der Versuch einer gesetzlichen Durchführung der Bestimmungen war 1924 in einem sogenannten „Journalistengesetz" versucht worden und wurde weiter — auch in regierungsamtlichen Entwürfen — versucht, bis die Versuche im Zusammenbruch der Weimarer Demokratie untergingen. Vgl. BRINGMANN, K.: Die Presse und ihr Recht. A.a.O., S. 117.

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in Zusammenarbeit gegen den demokratischen Staat) brachten sie um ihre Wirkung. So wurde durch die in der Verfassung vorgesehene Notverordnung (Art. 48) versucht, die wichtigsten Voraussetzungen demokratischer Publizistik zu erhalten.12 Der Versuch mißlang. Manche der in den Notjahren des Weimarer Staates erarbeiteten demokratischen Grundsätze haben in der Bundesrepublik Deutschland neue Gestalt gewonnen. So auch der Grundsatz gemeinsamer Verteidigung der publizistischen Freiheit. Die Dinge kamen in den fünfziger Jahren durch englische Vorbilder in Fluß.15 In England erhob sich kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine politische Opposition gegen die wachsende Konzentration der englischen Presse. Man warf die Frage auf, ob die Freiheit der Presse, insbesondere der Information, in England überhaupt noch gewährleistet sei.14 Die englische Demokratie zeigte sich reif und bereit, eine „unabhängige Kommission" (nach englischem Brauch „Royal Commission", berufen 14. 4.1947) zuzulassen und ihrer Arbeit Vertrauen zu schenken. Dies Vertrauen bewiesen auch die großen Zeitungsverlage, die der Kommission offene Einsicht in ihre Bücher gaben. Ergebnis war ein 300seitiger Bericht in Buchform (1949). Dieser Bericht erklärte damals, eine Gefahr für die Pressefreiheit sei noch nicht zu erkennen. Er riet aber, einen „General Council ol the Press" aus Vertretern der Zeitungsverleger und der Redakteure zu gründen und ihm die Aufgabe zu stellen, „alle Entwicklungen unter Aufsicht zu halten, die geeignet sind, die Informationsfreiheit der Presse einzuschränken" und der Entwicklung von Konzentrationen und Monopolen Vorschub zu leisten. 15 Nach Ansicht der britischen Öffentlichkeit wurde der Press Council seiner Aufgabe nicht gerecht. Eine zweite Royal Commission wurde eingesetzt. Sie stellt 1963 die Lage wesentlich kritischer dar. Der Press Council als eine Art „Schutzschild der Pressefreiheit", so hieß es, genüge in seiner ausschließlich fachlichen Zusammensetzung seinen Aufgaben nicht. Er wurde umgebaut, erhielt einen Laienvorsitzenden in Gestalt eines hohen Richters und fünf Laienbeisitzer. 1 * Damit wurde die Selbstkontrolle über die rein fachliche Besetzung hinaus durch eine mitentscheidende Vertretung der Öffentlichkeit ergänzt. Des weiteren wurde, um der zunehmenden Konzentration der britischen Presse wirksam entgegenzuarbeiten, durch Gesetz eine richterliche Instanz geschaffen („Press Amalgamation Court"), deren Verfahrensordnung umstritten ist und von der Ergebnisse z. Z. (1967) noch nicht vorliegen. 12

Siehe oben, S. 179, Anm. 65. Das Handbuch der Auslandspresse. A.a.O. zeigt die starke Konzentration der englischen Presse, die Anlaß zum Eingreifen gab. Die Untersuchung der politischen und parlamentarischen Entstehung des General Press Council gibt S U N A R T I S U S A N T O - S U N A R I O , A.: Die politischen Kräfte hinter der Entstehung des britischen Presserates. Diss. Berlin 1964. Ferner The Press and the People. Annual Report of the Press Council. Berichte 1—12. London 1 9 5 4 — 6 4 . Royal Commission on the Press 1 9 6 1 — 1 9 6 2 . Report. London 1 9 6 2 . 14 Darstellung bei S U N A R T I S U S A N T O - S U N A R I O , a.a.O., S . 3 6 ff. und S . 1 4 7 ff. 15 Articles of Constitution vom 1. Juli 1953. " Vgl. Annual Report, Autumn 1964. 13

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Hier aber ist bereits etwas Neues vollzogen. Eine ursprünglich ganz auf berufsfadilidie Entscheidung gestellte „Selbstkontrolle" ist zu einer Sache der Öffentlichkeit geworden. Ein Beweis abermals für die Tatsache, daß in der Demokratie Großbritanniens die Gemeinschaftsaufgaben der Pressefreiheit vor ihrem Dienst für die individuelle Freiheit stehen, ohne diese darum zu vernachlässigen, jedoch sollen vorher allgemein-freiheitliche Aufgaben gesichert sein. Die Presse der Bundesrepublik und Westberlins nahm vom ersten britischen Press Council das organisatorische Vorbild, unterscheidet sich aber in der Anwendung. Die Lage der deutschen Presse war und ist auch heute noch mit der britischen kaum vergleichbar. Die deutsche Presse hat 1945 völlig neu begonnen. Seit 1949 erst war ihr (mit Ausnahme der sowjetisch besetzten Zone) die Pressefreiheit wiedergegeben. Fragen der „Selbstordnung" der Presse waren schon damals aufgeworfen.17 Als dann 1952 der Regierungsentwurf eines „Bundespressegesetzes" veröffentlicht, aber bald wieder zurückgezogen wurde und dieser Entwurf eine gesetzlich geregelte Selbstkontrolle einzuführen vorschlug, fanden sich die Verbände 18 der Zeitungsverleger und der Journalisten, später auch der Zeitschriftenverleger und gründeten am 20. November 1956 den „Deutschen Presserat'. 20 Mitglieder, je fünf Verleger und Redakteure aus Zeitungen und Zeitschriften, von den Verbänden benannt und dadurch autorisiert, traten zusammen als eine „freiwillige Instanz der Selbstordnung"19 für Zeitung und Zeitschrift. Damit beginnt auch die deutsche Presse, ihre Freiheit nach innen und außen in unabhängigem beruflichen Zusammenwirken zu verteidigen und fortzuentwickeln. Der Presserat faßt seine Aufgaben in vier Punkten zusammen: der Schutz der Pressefreiheit ist die erste, die „Beseitigung von Mißständen im Pressewesen" die zweite Aufgabe. Weiter ist die Beobachtung der „strukturellen Entwicklung" der deutschen Presse zur Pflicht gemacht, und dazu heißt es: „Freiheitsgefährdende Konzerne und Monopolbildungen sind abzuwehren". Schließlich sieht der Presserat die Vertretung der Presse gegenüber der Regierung und der Öffentlichkeit als seine besondere Aufgabe an. Der Presserat kennt keine Laienbeisitzer, wie neuerdings der englische Press Council. Alle Maßnahmen des Presserates erfolgen allein unter der Autorität des Rates und seiner Mitglieder. Er verfügt über keinerlei Exekutive. Er will sie auch nicht haben. Er kann nur seine Meinung kundtun und darüber hinaus raten und beraten, wobei er von der Presse erwartet, daß sie seine Vorschläge beachtet, zumindest vertritt und verteidigt.20 Seine besondere Aktivität zeigt der Deutsche Presserat in der gutachtlichen Mitarbeit an der Pressegesetz17

Vgl. Tätigkeitsbericht des Deutschen Presserats 1956—59, S. 7 ff. Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e. V., Bad Godesberg; Deutscher Journalistenverband e. V., Bonn und später der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger e. V., Frankfurt am Main. 18 Tätigkeitsbericht 1956—59, S. 9. 10 Das darin bisher Erreichte ist nicht allzu ermutigend. In England haben Zeitungen, gegen die sich der Presserat wandte, davon Kenntnis genommen, ihr Verhalten verteidigt oder sich entschuldigt. Beispiele in den Annual Reports. 18

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gebung, so z. B. an den juristisch und publizistisch umkämpften Gesetzentwürfen zur Neuordnung des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes21, den Richtlinien und den Modellentwurf für die Länderpressegesetze22, den Richtlinien über die Aufgabe und Begrenzung der Presse im Notstand23, den Vorschlägen zur gesetzlichen Behandlung des „publizistischen Geheimnisverrats"24, der Frage der Pressekonzentration in der Bundesrepublik25 sowie an mehrfachen Erörterungen und Richtlinien zur Berichtigungspflicht, zur Gerichtsberichterstattung, zur Trennung des Text- und Anzeigenteils, zu Fehlern und Mißbräuchen in der publizistischen Alltagspraxis, vor allem durch die im Konkurrenzkampf der Massenblätter immer ungebundener auftretende sensationelle Berichterstattung über Ereignisse außerhalb der öffentlichen Aufgabe.26 So versucht der Presserat, den Grundsatz der Selbstdisziplin, der Ordnung aus freier Gemeinsamkeit und der Selbstkontrolle ohne exekutive Rechte allein aus der demokratischen Aufgabe der Presse und der Wahrung ihrer öffentlichen Pflichten zu vertreten. Theodor Heuß hat die Gründung „ein erfreuliches Zeichen für die Selbstachtung der Presse" genannt.27 In seiner Aufgabe ist der Presserat auch durch richterliches Urteil bestätigt. Als eine auflagenstarke „Illustrierte" wegen eines sehr anfechtbaren Berichtes mehrfach Verhandlungsgegenstand im Presserat gewesen war, empfand der Chefredakteur den Presserat „nicht nur als einen lästigen Mahner", sondern sprach ihm auch die Existenzberechtigung ab. Er erhob Klage mit der Behauptung, der Presserat maße sich „Zensurrechte" an, verstoße also gegen Artikel 5 GG. Der Prozeß ging über zwei Instanzen. Die Klage wurde abgewiesen und die Entscheidung damit in vollem Umfang vom Presserat gewonnen".28 Die Begründung ist einleuchtend. Ebenso unanfechtbar wie die Pressefreiheit ist nach dem Grundgesetz die Freiheit jedes Einzelnen, seine Meinung auch über die Presse frei zu sagen.29 In dem Urteil wurde der Sinn der Zensur, wie sie durch Artikel 5 des GG verboten ist, klar umrissen. „Zensur bedeutet die Abhängigmachung der Herstellung oder Verbreitung eines Geisteswerkes von behördlicher Vorprüfung." Damit ist auch rechtlich die freiwillig und aus eigener Überzeugung der Berufsvertreter geübte Selbstdisziplin 21 Vgl. Tätigkeitsbericht 1956—59, S. 54 ff. sowie LÖFFLER: Persönlichkeitsschutz und Meinungsfreiheit. A.a.O. — DOVIFAT: Pressefreiheit und Schutz der Ehre und Intimsphäre. A.a.O. — HUBER, H., U. A. SCHULE: Persönlichkeitsschutz und Pressefreiheit. Hrsg. v. Bundesministerium der Justiz. Bonn 1960. 22 Tätigkeitsbericht 1956—59, S. 59 und 1960, S. 34 ( 1964, S. 50 (Aktion gegen den „Spiegel"). 23 Tätigkeitsbericht 1964, S. 29 ff. 24 Tätigkeitsbericht 1963, S. 55, S. 88: 1960, S 20. 25 Beratungen im Januar 1966. Beginn der Arbeit einer Studienkommission. 26 Tätigkeitsbericht 1956—59, S. 33, S. 34, S. 46: 1960, S. 32: 1961, S. 28, S. 32 1964, S. 13. ; 27 Tätigkeitsbericht 1956—59, S. 9. 28 Entscheidung Hanseatisches Oberlandesgericht in Hamburg [AZ 3 U 141 (142) (143) 1959 (150 109/58)] vom 17.12. 1959. Tätigkeitsbericht 1956—59, S. 21. 29 Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln ist diese Freiheit so auszulegen, daß über die Kritik hinaus die Freiheit der Aktion auch eines Einzelnen, z. B. gegen eine von ihm bekämpfte Zeitschrift, sogar bis zur Aufforderung zum Boykott gehen kann. Urteil vom 29. 3.1965 (AZ 12 U 30/1965). Vgl. Archiv für Presserecht 1966, Nr. 67.

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als zulässig erkannt. 30 Sie ist eine unabhängig und freiwillig geübte, dem Wesen der Presse und ihrer öffentlichen Verpflichtung angepaßte organische Weiterentwicklung der Pressefreiheit und ihrer Aufgabe im demokratischen Rechtsstaat. Das öffentliche Ansehen des Presserates ist v o n Jahr zu Jahr langsam angestiegen. Seine Bedeutung ist der deutschen Öffentlichkeit kaum so bewußt geworden wie den Engländern die des Press Council 31 im öffentlichen Leben Englands, der sich noch durch die Aufnahme von Laienmitgliedern und durch die Leitung eines hohen Richters dem Range einer „Nationalinstitution" nähert. Die Zulassung einer Laienbeteiligung am Deutschen Presserat würde dazu beitragen, sein Ansehen und die Wirkung seiner Erklärungen zu erhöhen und ihn, wie die englische Erfahrung zeigt, volkstümlicher zu machen. Eine neue Form der Selbstdisziplin haben sich einige „Illustrierte" in Form der 1957 begründeten, 1966 neu organisierten „Selbstkontrolle der Illustrierten" (SdJ) gegeben. Sie trat 1957 in der nicht uneigennützigen Absicht ins Leben, die „Illustrierten" gegen eine mögliche „Indizierung" durch die „Bundesprüfstelle" nach den Bestimmungen des „Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdenden Schrifttums" abzusichern. Dazu wurden bestimmte Richtlinien ausgearbeitet. 32 Diese „Selbstkontrolle" in der alten Form, besser als „Eigenkontrolle" bezeichnet 33 , bestand aus der Vereinigung einiger Verlage von „Illustrierten" in einem „Arbeitskreis", dem ein „Beirat" aus Vertretern der Familien-, Jugend- und Bildungsorganisationen und der Kirchen gegenüberstand. Dieser Beirat war aber, wie sein Name sagt, rein beratend. Er hatte keinerlei Mitspracherecht, geschweige denn Exekutive. Man hatte aber „Richtlinien"34, die — wären sie beachtet worden — die Möglichkeit 30 Sich selbst verteidigte der Presserat in folgender Erklärung: „Der Presserat hat die Aufgabe, die Pressefreiheit zu schützen, aber auch Mißbrauche der Pressefreiheit festzustellen und zu rügen. Träger dieses Versuches einer freiwilligen Selbstordnung der deutschen Presse sind die durch das Vertrauen der Berufsverbände der Verleger und der Journalisten in den Presserat berufenen Persönlichkeiten." Tätigkeitsbericht 1956—59, S. 36. 31 Das zeigt sich auch in einer wesentlich stärkeren Beteiligung der Öffentlichkeit an den Arbeiten des Presserates in England. 1964 wurden dem Press Council 283 Klagefälle vorgetragen, von denen er aber nur 86 als wichtig genug ansah, sie zu entscheiden. Von diesen Klagen wurden 47 abgelehnt, 39 anerkannt. Annual Report 1964, S. 27 ff. 32 Vgl. STAMMLER, E.: Die erzieherische Seite der Selbstkontrolle. In: Selbstkontrolle von Presse, Funk und Film. Hrsg. v. M. Löffler. Bd. 2 der Schriftenreihe der Deutschen Studiengesellschaft für Publizistik. München und Berlin 1 9 6 2 , S. 2 6 ff. — STAMMLER, E. u. a: Fünf Jahre Selbstkontrolle der Illustrierten 1 9 5 7 — 1 9 6 2 . O . O . 1 9 6 3 . — SACKARNDT, P.: Die Illustrierten. Ein Tagungsbericht. Rottenburg 1961, S. 28 ff. 33 „... Kontrolle — contre-röle, d. h. Gegenrolle, muß aktiv werden ..., setzt ein eigenständiges aktives Gegenüber voraus", sie kann also nicht „selbst" geübt werden. Vgl. BÖTTCHER, H.: Zum Verhältnis des Publizistischen und Pädagogischen angesichts der modernen Massenkommunikation. In: Jugendschutz, Massenpublizistik, Problemliteratur. H. 10 der Evangelischen Schriftenreihe Wir helfen der Jugend. Wuppertal 1964, S. 31. 34 Die wichtigsten Punkte dieser ursprünglich gemeinsam beschlossenen Grundsätze lauten: „Abzulehnen ist: Verächtlichmachen fremder Rassen und Völker, Verherrlichung krimineller Handlungen, Herabwürdigung der Ehe und Familie..., die den Eindruck erwecken, daß der Ehebruch übliche . . . Erscheinungsform ist, Darstellungen des menschlichen Körpers, die das Schamgefühl verletzen..., taktloses Eindringen in die menschliche Intimsphäre."

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geboten hätten, den von den Vertretern der „Illustrierten" selbst zugegebenen, durch die Heftigkeit des geschäftlichen Wettbewerbs (Kampf um die höchste Auflage) bewirkten allgemeinen Niveauabsturz aufzuhalten.35 Der Verleger des „Stern" hat diese durch rücksichtslosen Auflagenkampf bewirkte Entwicklung auch offen zugegeben.36 Ende 1964 hat dann die erste „SdJ" ihre Arbeit eingestellt. Ihre Satzung forderte, „im Bereich der Illustrierten eine gesamte, für die Jugenderziehung unbedenkliche Gesamtatmosphäre zu schaffen". EBERHARD STAMMLER, der Vorsitzende des damaligen Beirats, stellte Ende 1964 fest: „Nach annähernd siebenjähriger Tätigkeit hat es sich erwiesen, daß die SdJ diese Arbeit nicht erfüllt hat." Der „Arbeitskreis" seinerseits erwiderte damals: „Die Verleger sind überzeugt, daß der Beirat Grundsätze verficht, die mit den heute geltenden Anschauungen nicht mehr übereinstimmen." 3 ' Es wurden dann Bemühungen angestellt, eine andere Organisationform zu finden. Das ist 1966 gelungen. Eine neue „Selbstkontrolle der Illustrierten Zeitschriften" (SJZ) gab sich eine Satzung (6. 10. 1966), die auf freiwilliger Basis die vier größten Illustrierten zusammenschließt. Sie geht von der Voraussetzung aus, „das die Illustrierten Zeitschriften" als ein Teil der freien Presse ihre publizistische Verantwortung gegenüber der Gesellschaft wahrnehmen" und im besonderen „für die Vermeidung jugendgefährdender Darstellungen Sorge tragen". Zu den Vertretern der „Illustrierten" treten jetzt, und zwar mitentscheidend, „Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens". Sie beraten gemeinsam und stimmten geheim ab. Um eine fachliche Vorzugsstellung der Verlage zu sichern sind deren Vertretern zwei Stimmen mehr als den Laienvertretern gegeben. Es können Wertungen ausgesprochen und eventuell der Ausschluß einer Illustrierten aus der SJZ beschlossen werden.373 Die Entscheidung ist nicht zuletzt dadurch möglich geworden, weil diesmal breite Teile der Öffentlichkeit sich protestierend nicht nur an die Illustrierten, sondern auch an deren Großinserenten gewandt hatten. Damit war ein besonders empfindlicher Punkt getroffen. Anlaß gab der im Jahre 1965/66 vorgenommene Versuch einer „Illustrierten" durch eine massivsexuelle Ausrichtung des redaktionellen Stoffes die Auflage über die Millionengrenze zu bringen. Der Versuch gelang. Er drückte aber durch die erhitzte Wettbewerbsspannung das gesamte Niveau der drei auflagestärksten Illustrierten sichtbar herunter. Dadurch unter anderem entschlossen sich die „Illustrierten" zu einer unter Laienbeteiligung bewirkten Selbstkontrolle. So soll ein künftiger Wettbewerb gezügelt und der Wert der Leistungen vor scharfem Absinken bewahrt bleiben. Hier hatte sich die aktive Anteilnahme der Öffentlichkeit an der Leistung der publizistischen Mittel wirksam durchgesetzt.37b

35 Vgl. DOVIFAT, E.: Deutsche Zeitschrift. Markierungen 1945—1965. In: ZVuZV 1965, Nr. 46/47, S. 2248 ff. 36 Vgl. BUCERIUS, G.: Die Illustrierten und die Massengesellschaft. A.a.O., S. 12. 37 ZVuZV 1964, Nr. 50, S. 2203. 373 Vgl. ZVuZV 1966, Nr. 25. 37b Vgl. S. 197 f. Die Arbeitsfähigkeit u. Erfolgsmöglichkeit ist umstritten.

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b) Im Film Erst als der Film künstlerisch und politisch anerkannt war, wurde man sich bewußt, daß es galt, seine Freiheit zu verteidigen, denn er war fast von früh an ein publizistisches Mittel.38 Bis 1918 unterstand er in Preußen den Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts von 1794. Aber in jedem deutschen Lande wurde er verschieden behandelt, teils mit polizeilichen Anordnungen als öffentliche Lustbarkeit, teils der Theaterzensur unterworfen.3" Die Verfassung von Weimar verbürgte in ihrem Artikel 118 die Freiheit der Meinung „durch Wort, Schrift, Druck und Bild oder in sonstiger Weise". Sie schaffte die Zensur ab, bestimmte aber, wie gezeigt wurde, daß „für Lichtspiele durch Gesetz abweichende Bestimmungen getroffen werden" können. Wie sich das in den beiden Lichtspielgesetzen auswirkte und in dem ersten Versuch, die Handhabung der Zensur einem beratenden Gremium von Fachleuten und Laien anzuvertrauen, wurde bereits dargestellt (s. S. 184). Die Lichtspielgesetze waren noch gesetzgebundene Schritte auf dem Wege zur Selbstverwaltung.40 Unter dem Hitlerregime trat das Lichtspielgesetz außer Kraft. Mit der Gründung der „Reichsfilmkammer" wurde der Film in den „Dienst für Partei und Staat", gestellt und, wie die gesamte Publizistik, „ein Mittel der Staatsführung".41 1949 sicherte das Grundgesetz auch dem Film verfassungsrechtlich die publizistische Freiheit. Soweit seine Natur eine Wertung der Filmstoffe im öffentlichen Interesse noch nahelegte, wurde dazu der Weg einer freiwilligen und eigenen Ordnung beschritten. Dazu gab es Vorbilder in europäischen Ländern und in den Vereinigten Staaten. Meist vollzog sich der Vorgang in einer Selbstkontrolle, in USA seit 190842, seltener wird eine Entscheidung der Gerichte angerufen.43 In Deutschland rieten die Amerikaner nach 1945 zu einer Art Steuerung des Films in frei gewählter, demokratisch bestimmter Selbstverwaltung. Eine solche durchzusetzen, fand die Filmwirtschaft 1949, nachdem sie die Freiheit auch der Filmproduktion bestätigt hatte, nachfolgende Begründung: „Angesichts der starken Breitenwirkung des Films erscheinen jedoch Regelungen geboten, die verhindern, daß die bestehende Freiheit zum Schaden der Allgemeinheit mißbraucht wird. — Die in der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e. V (SPIO) zusammengefaßten Filmhersteller, Filmverleiher, Filmtheaterbesitzer und filmtechnischen Betriebe sind der Auffassung, daß die Regelung am besten im TRAUB, H.: Der Film als politisches Machtmittel. München 1933. Vgl. HELLWIG, H . : Die Filmzensur nach den Grundsätzen der preußischen Verwaltungsgeridite. Berlin 1914. — Zusammengefaßte Darstellung bei BÖSE, G.: Der erhobene Zeigefinger. Baden-Baden 1948. 4 0 S. S. 184 dieses Kapitels. 41 Rede GOEBBELS vor den Filmschaffenden. In: Völkischer Beobachter 1 9 3 4 , Nr. 3 1 . 42 Vgl. MÜLLER, G.: Zensur und Selbstkontrolle der Massenmedien in den USA. In: Selbstkontrolle von Presse, Funk und Film. A.a.O., S. 32. 43 So in Belgien und Schweden. 38

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W e g e d e r Selbstverwaltung Freiwillige Selbstkontrolle

v o r sich g e h t . . . Die Filmwirtschaft h a t d a h e r e i n e (FSK) eingerichtet. 4 4 "

Die Richtlinien, nach d e n e n g e p r ü f t wird, sollen, so h e i ß t es in d e r Satzung, v e r h i n d e r n , d a ß d e r Film „ n e g a t i v e Einflüsse auf moralischem, r e l i g i ö s e m u n d politischem G e b i e t a u s ü b t " . Danach sollen Filme, „die . . . d a s sittliche o d e r religiöse Empfinden v e r l e t z e n , a n t i d e m o k r a t i s c h e . . ., r a s s e n h e t z e r i s c h e T e n d e n z f ö r d e r n , die B e z i e h u n g e n Deutschlands zu a n d e r e n S t a a t e n h e r a b w ü r d i g e n , die rechtsstaatlichen G r u n d l a g e n g e f ä h r d e n , z u r ü c k g e h a l t e n o d e r nach Schnittauflage f r e i g e g e b e n w e r d e n " . Kein Film k a n n a u s geschmacklichen Gründen, keiner wegen seiner politischen Richtung v e r b o t e n w e r d e n , es sei denn, e r setzt in d e n o b e n g e n a n n t e n T e n d e n z e n W e r t e h e r a b , die nach a l l g e m e i n e r G r u n d a u f f a s s u n g „ u n b e d i n g t schutzw ü r d i g sind". Es entfällt also j e d e politische, weltanschauliche Z e n s u r w i e j e d e Geschmackszensur überhaupt. 4 5 Damit ist e i n e vorsichtige, nach d e m E r m e s s e n d e r P r ü f e n d e n a n p a ß b a r e G r e n z e gezogen. Sicher h a b e n E r f a h r u n g e n mit d e n f r e i h e i t s feindlichen K r ä f t e n , die z u m N i e d e r g a n g d e s W e i m a r e r S t a a t e s f ü h r t e n , die Fass u n g d i e s e r M a ß n a h m e n mitbestimmt. Die A r b e i t d e r Filmprüfstelle ist g e n a u g e n o m m e n nicht m e h r „Selbst"-Kontrolle, s o n d e r n eine g e m e i n s a m e W e r t u n g durch die V e r t r e t e r d e s Films u n d die d e r Öffentlichkeit im w e i t e s t e n Sinne. Ein „Arbeitsausschuß" p r ü f t in e r s t e r Instanz (Besetzung: 4 V e r t r e t e r d e s Films, 4 d e r öffentlichen H a n d , d a s sind j e ein V e r t r e t e r d e s Bundes, d e r Länder, der Kirchen u n d d e s B u n d e s j u g e n d r i n g e s ) . In z w e i t e r Instanz entscheidet ein „Hmiptausschuß" v o n 14 M i t g l i e d e r n , z u s a m m e n g e s e t z t im gleichen V e r h ä l t n i s d e r im A r b e i t s a u s s c h u ß T ä t i g e n u n d j e w e i l s u n t e r e i n e m in E i n v e r n e h m e n mit d e r „öffentlichen H a n d " b e n a n n t e n V o r s i t z e n d e n . Die Entscheid u n g e n g e h e n auf „Freigabe", „Nichtfreigabe", „Schnittauflage". In freiwilliger, a b e r bei A n n a h m e v e r t r a g l i c h b i n d e n d e r Verpflichtung k ö n n e n n u r solche, auch ausländische Filme v o r g e f ü h r t w e r d e n , die e i n e F r e i g a b e b e s c h e i n i g u n g d e r FSK besitzen. Sie liegt d e n v o m V e r l e i h v e r m i t t e l t e n F i l m r o l l e n in F o t o k o p i e bei. Die V o r f ü h r u n g e i n e s Films o h n e die F r e i g a b e o d e r die W i e d e r e i n b l e n d u n g geschnitten e r Teile w i r d mit K o n v e n t i o n a l s t r a f e n geahndet. 4 8 . Letzte B e r u f u n g g e w ä h r t e i n „Rechtsausschuß", d e r a u s J u r i s t e n (Planmäßige Richter, P r o f e s s o r e n d e s Rechts) paritätisch sich z u s a m m e n s e t z t . Die i n n e r e D i f f e r e n z i e r u n g u n t e r d e n M i t g l i e d e r n aller A u s s c h ü s s e v e r h ü t e t einseitige Gruppenbildung und Mehrheitsterror. Vor a l l e m im Rechtsausschuß ist die G e w ä h r f ü r e i n e v e r f a s s u n g s m ä ß i g e H a n d h a b u n g

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Grundsätze der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (Fassung v. 1.3.1960). Vgl. HARTLIEB, H . V.: Die rechtliche Seite der Selbstkontrolle. In: Selbstkontrolle von Presse, Funk und Film. A.a.O., S. 23. 46 B III der Durchführungsbestimmungen. — Die FSK ist durch die Landesbehörden auch beauftragt, die sogenannte „Filmbewertung" vorzunehmen, eine Prädikatisierung, die steuerliche Vorteile bringt. Ebenso wird hier über den Grad der „Jugendweihen" nach Altersstufen entschieden. Vgl. Zehn Jahre Filmbewertung. Wiesbaden 1962. — Gedanken zum Film. Ges. Aufsätze von Mitgl. der Filmbewertungsstelle. Wiesbaden 1962. 45

DIE FORTENTWICKLUNG DER PUBLIZISTISCHEN FREIHEIT

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dieser freiwilligen (das ist das wesentliche) Selbstkontrolle gegeben." Das Für oder Wider geht bei Abstimmung oft quer durch die Gruppen.48 Die Entscheidungen der FSK sind gelegentlich heftig umkämpft, was die Sache fördert und ihr nicht Abbruch tut.4" Die Öffentlichkeit kommt zur Prüfung der Werte, die, auch wenn sie umstritten sind, in das öffentliche Urteil kommen und Vorurteile beseitigen können. In der Zeit sinkender Konjunktur für den Film war die freiwillige Selbstdisziplin doppelt erforderlich, da der Film in der Bedrängnis seiner kommerziellen Natur die Zügel vielfach frei ließ. Auch satirische Angriffe 50 auf die SFK sollten nicht zu ernst genommen werden. In keinem Lande der Welt, am allerwenigsten in den totalitären Ländern, ist dem Film völlige Libertinage gegeben. In vielen demokratischen Ländern bestehen noch unmittelbare Zensurbestimmungen. Wie weit der Mißbrauch der Freiheit des Films gehen kann, lehrt ein Einblick in die durch die FSK vorgenommenen Schnitte. Der hier beseitigte „Schmutzstrom" hätte keinesfalls „alles befruchtet". 51 Daß die Prüfstelle in ihren Maßstäben oft großzügig verfährt, beweisen zahlreiche Einsprüche und Beschwerden gegen bestimmte Zulassungen. Sie geben den Prüfstellen unmittelbar Verbindung mit den Meinungen der breiten Öffentlichkeit und gestatten ihr Beweglichkeit und Anpassung an die allgemeine Entwicklung, ebenso aber auch eindeutige Entscheidung gegen die Gefährdung „schutzwürdiger Werte". Ziel des Ganzen: Die verfassungsmäßig gesicherten Grundwerte sollen geachtet und der Schutz der Freiheit gegen erkennbaren Mißbrauch möglich sein. Mehr als 60jährige Erfahrungen in der Filmproduktion haben bewiesen, daß die Freiheit des Films dieser Verteidigung bedarf. Das hat internationale Geltung in allen demokratischen Ländern. In den totalitären ist der Film ohne weiteres „Mittel der Staatsführung", die „beste Kraft in der Führung der Massen zum Klassenkampf" (Stalin). c) Im Rundfunk

(Hörfunk —

Sehfunk)

Der publizistische Fundamentartikel des Grundgesetzes gewährleistet Pressefreiheit". Er nennt nicht die „Rundfunkfreiheit". Gesichert wird nur Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film". Streng genommen hätte also nur die „Berichterstattung", d. h. der Bericht Tatsachen und Ereignisse, die allgemein informative Leistung einen freien

„die „die über Weg

47 Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist versucht worden, die Arbeit des Ausschusses als „Zensur" im Sinne Artikel 5 GG zu kennzeichnen. NOLTENIUS, J.: Die freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft und das Zensurverbot des Grundgesetzes. Göttingen 1958. — überzeugend widerlegt durch v. HARTLIEB, a.a.O., S. 14 sowie MANGOLDT, H. V., U. F. KLEIN: Das Bonner Grundgesetz (Komm.). 2. Aufl. Bd. 1—2. Berlin und Frankfurt a. M. 1957/64, S. 247 f. — FOUGEROLLAS, P.: Meinungsfreiheit im Film und Fernsehen. Gütersloh 1963.

v. HARTLIEB, a.a.O., S. 20.

48

Am meisten bekannt sind die Auseinandersetzungen über (1950) „Die Sünderin" und (1964) „Das Schweigen". 5 0 Nach dem Sitz der FSK nennt man die in der Prüfung tätigen Mitglieder „Wiesbadener Scherenmänner" oder — witziger — „Babysitter der Freiheit". 51 Vgl. S. 178. 49

13

Publizistik I

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FREIHEIT UND BINDUNG IN DER PUBLIZISTIK

im Rundfunk. Das aber hieße, ihn zu einem Nachrichtenregister herunterzudrücken, was niemals dem Geiste des Verfassungsartikels entspräche. In die „Berichterstattung" ist ohnedies die Nachrichtenpolitik einbezogen und damit eine häufige Art der Meinungsbildung.52 Dem Rundfunk und Fernsehen die Meinungsfreiheit nehmen, hieße, ihre Freiheit überhaupt leugnen.53 Funkhören und Funksehen haben sich ihrer inneren Natur nach denn auch sofort weit über die Berichterstattung hinaus entwickelt. Die Vielzahl und Vielfalt der Programmdarbietungen, die aktuelle Unmittelbarkeit des Erlebnisses machen Rundfunk und Fernsehen (zusammen mit der Presse) zu einem unentbehrlichen Lebensbedarf der Massengesellschaft, ein für Millionen zur Gewohnheit gewordenes Konsumgut. Das Unterhaltende darin ist oft die Zugkraft zum Politischen, also einbezogen auch in die publizistische Substanz und damit dem Artikel 5 unterworfen.54 Durch höchstrichterliche Entscheidung wurde dem jungen publizistischen Mittel auch die Verpflichtung zugesprochen, um die man in der Presse ein halbes Jahrhundert gerungen hat: die öffentliche Aufgabe. In dem Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 1961, das die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen für die Veranstaltung von Rundfunksendungen zur Sache der Länder macht, heißt es einleitend mit aller Klarheit: „Die Veranstaltung von Rundfunksendungen ist nach der deutschen Rechtsentwicklung eine öffentliche Aufgabe"55. Die verfassungsrechtlich gesicherte publizistische Freiheit für Rundfunk und Fernsehen gilt in der Bundesrepublik im gleichen ideellen Sinn wie bei Presse und Film. Sie ist aber, aus der Natur des Mittels und seiner ihm durch Gesetz und Satzung gegebenen Ordnung, anderer Art in Ausdruck und Wirkung als im Film oder in der Presse. Das ist im Entstehen der neuen Mittel begründet. Als der Rundfunk in Deutschland zunächst unter der Besatzungsmacht wieder begann, wurden bei der ersten internationalen Wellenkonferenz in Kopenhagen (1947) dem freien Teil Deutschlands nur wenige und schlechte (Lang- und Mittel-)Wellen zugeteilt.56 Der Wellenmangel, trotz regionaler Aufteilung der Sendebereiche (damals 5, heute 8), führte zu monopolmäßigen oder doch quasi-monopolmäßigen Organisationen. Eine Vielzahl von Sendern, wie sie z. B. in den USA in einem kommerziellen Sendesystem mehrere unterschiedliche Meinungen (so wie bei den Zeitungen) nebeneinander zulassen, war in Deutschland nur in einem inneren Aus-

52 Auch in der Weimarer Verfassung fehlen wichtige Begriffe. So kommt z. B. der Begriff „Pressefreiheit" darin überhaupt nicht vor. 53 Vgl. S. 165. Das sogenannte Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. 2. 1961 stellt eindeutig fest: „Die institutionelle Freiheit ist (für den Rundfunk) nicht weniger wichtig als für die Presse." 54 Aufgabe der Unterhaltung in der Publizistik vgl. S. 90. 55 Fernsehurteil, a.a.O., S. 53. Verwaltungsrechtlidie Bedenken äußert PETERS, HANS. Die Rechtslage von Rundfunk und Fernsehen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 1961. Gütersloh 1961. 58 Der Schaden konnte auch durch die Entwicklung der Ultrakurzwelle nur teilweise wettgemacht werden.

DIE F O R T E N T W I C K L U N G DER PUBLIZISTISCHEN FREIHEIT

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gleich möglich. Also mußte hier der pluralistischen Mehrzahl der im öffentlichen Leben der Demokratie auftretenden Richtungen ausgleichend Rechnung getragen, und vor allem mußten agitatorische Kampfhaltungen vermieden werden. So erhielten denn die Rundfunkanstalten durch Gesetz und Satzung den Auftrag, den verschiedenen demokratischen Richtungen und der Vielfalt sonstiger (religiöser, sozialer, wirtschaftlicher) Bewegungen sich sachlich und unabhängig zur Verfügung zu halten. Der Monopolcharakter der Sender legte den Rundfunkanstalten die Verpflichtung auf: „ . . . nicht einseitig einer politischen Partei oder Gruppe, einer Interessengemeinschaft oder einer Weltanschauung zu dienen" 57 . So forderte diese Monopolsituation für die Nachrichtendienste, daß sie nur mit äußerster Sachlichkeit abgefaßt sein sollten. Der Hessische Rundfunk z. B. verlangt von seinem Nachrichtendienst58, daß die Berichterstattung „wahrheitsgetreu und sachlich" sein müsse. Ähnliches fordert der Südwestfunk: „Nachrichten müssen im Inhalt wahrheitsgetreu und in der Wiedergabe sachlich sein. Zweifel an der Zuverlässigkeit... sind zum Ausdruck zu bringen". 59 Das Gesetz des Deutschlandfunks verlangt, daß die Berichterstattung „wahrheitsgetreu" sei.' 0 Ähnlich oder fast gleichlautend finden sich die Bestimmungen bei den übrigen deutschen Sendern. Ebensooft heißt es: „Nachrichten und Kommentar sind streng zu trennen". 61 Einige Sender haben, im rechten Bewußtsein menschlicher Unzulänglichkeit und subjektiver Fehlerquellen, damit gerechnet, daß Tatsachen auch einmal „wahrheitswidrig" sein können.92 Für diesen Fall ist eine z. T. weitausgebaute „Gegendarstellung" vorgesehen. 63 Sind „in angemessener und sachliche Kritik" Dienststellen und Persönlichkeiten angegriffen worden, ist den „Angegriffenen gleichwertige Sendezeit zu gewähren". 64 Schon diese Satzungsbestimmungen sind ebenso wie die Frage, ob sie eigentlich eingehalten werden, umstritten. Denn sie zeigen die Freiheit des Rundfunks in einem anderen Sinn und Ziel als die der Presse. Bei der Presse ist die Pflicht zur „Gegendarstellung" wesentlich anders gefaßt und die volle Freiheit auch entschiedener Kampfhaltung selbstverständlich. Auch der Rundfunk hat also das Privileg einer in der Verfassung gesicherten Freiheit, er hat aber ebenso die Pflicht, sich „einseitiger Stellungnahme zu enthalten", und wo er sie publizistisch

57 § 4, Abs. 2 des Gesetzes des Westdeutschen Rundfunks (1954). So ähnlich in allen, das Rundfunkwesen angehenden Gesetzen und Satzungen. 58 Gesetz des Hessischen Rundfunks (1948), § 3 Abs. 4. 59 Staatsvertrag über den Südwestfunk (1952), § 5, Abs. 3. 60 Gesetz des Deutschlandfunks (1960), § 24 (1). 81 So Südwestfunk, § 5 (2); Deutschlandfunk, § 2 4 (2); Süddeutscher Rundfunk, § 4 (6). — Hier wird also die „Freiheit der Berichterstattung" längst als institutionelle Rundfunkfreiheit geführt, da sie den Kommentar ausdrücklich zulaßt und damit selbstverständlich ist. «2 Südwestfunk, § 7. 63 Südwestfunk, Staatsvertrag, § 7; Hessischer Rundfunk, § 3 (7). 84 Hessischer Rundfunk, §3, (8); Zweites Deutsches Fernsehen, § 6 ; Süddeutscher Rundfunk, § 4 (8) i Radio Bremen, § 2 (2); Westdeutscher Rundfunk, § 4 (2).

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FREIHEIT UND BINDUNG IN DER PUBLIZISTIK

dennoch übt, muß er „bei gleicher Sendezeit und Sendedauer" 65 dem Angegriffenen das Wort, aber auch das Bild geben. Im Bilde verbreitete „Einseitigkeiten" sind oft viel gefährlicher und tiefgreifender als die des Wortes. 66 Die Freiheit des Rundfunks kennt also die entschiedene Stellungnahme, aber unter der Verpflichtung eines „Mindestmaßes innerer Ausgeglichenheit" 67 gegen den Andersmeinenden. Auch im Gesamtprogramm hat eine „innere Ausgewogenheit" der im öffentlichen Leben gegebenen Spannungen und Gegensätze zu herrschen. Hart juristisch formuliert ist von den Sendern sogar verlangt worden: „Neutralität, Paritat, Pluralität". 68 Neutralität wäre sehr blaß, aber die pluralistische Demokratie, paritätisch dargeboten, in nobeler Gegenseitigkeit durchgeführt, das wäre der innere Sinn und die Pflicht des dem Rundfunk gesicherten Freiheitsprivilegs. Daß diese Pflicht immer schwieriger wird, wenn etwa Sendungen sich satirisch betätigen, haben die Kämpfe gezeigt, die darum geführt werden. Die besondere Freiheit des Rundfunks bedingt eine besondere Organisation. Sie muß staatlichen Einfluß ausschalten, dafür aber dem Sender eine Struktur geben, die unabhängig von einzelnen Gruppen bleibt, aber ihrer Vielfalt doch gerecht wird. So ist für die Sender der Bundesrepublik und Westberlins eine besondere Selbstverwaltungsform gefunden worden.68 Es ist die „Körperschaft öffentlichen Rechts", geistig betreut durch demokratisch von den pluralistischen Gruppen oder vom Parlament gewählte „Gremien", Rundfunkräte, mit Untergliederungen Verwaltungsräte, Programmbeiräte. Sie sind Organismen autonomen Rechts. Sie sollen der gesellschaftliche Ausdruck aller tragenden Kräfte des öffentlichen Lebens sein (Schulen, Universitäten, Kirchen, Berufsverbände, Gewerkschaften, Kunst, Handel, Handwerk, in einigen Gremien auch die politischen Parteien). Sie bestimmen und überwachen die programmatische Haltung der Sender, die sie u. a. auch durch die Wahl des Intendanten oder anderer leitender Persönlichkeiten beeinflussen können. Dabei soll es ihnen gelingen, aus der politisch, sozial und religiös differenzierten Zusammensetzung der Teilnehmer eine loyale Zusammenarbeit fruchtbar und beweglich zu halten. Ihrer Natur nach sind die Rundfunkräte eine Verbindung von Exekutive und Legislative, vor allem aber sind sie „Repräsentanten der Bevölkerung". 70 Sie muß sich hier vertreten finden, denn hier können ihre Interessen wahrgenommen werden. Hörerbriefe mit Hörerwünschen und mehr noch Hörerbeschwerden gehen meist direkt an die Sender. Der richtige Adressat wären die Mitglieder der Rundfunkräte, doch werden sie, wie eine Rundfrage feststellte, gerade von dieser Verpflichtung am wenigsten 65 Radio Bremen, § 2 (2) ; Süddeutscher Rundfunk, § 4 (8); Westdeutscher Rundfunk, § 4 (2), siehe oben, S. 195. 66 Vgl. die publizistische Technik des Bildes, S. 250 und S. 260. 67 Fernsehurteil. a.a.O. 68 Vgl. BETTERMANN, K. A.: Rundfunkfreiheit und Rundfunkorganisation. In: Deutsches Verwaltungs-Blatt 1963, H. 2 v. 15. 1. 69 Die Verfassung der zentralen englischen Rundfunkgesellschaft, der BBC, hat dabei vor allem für den früher bestehenden NWDR Anregungen gegeben. 70 Vgl. LEILING, O. H.: Funk, ein neues Weltreich. München 1959, S. 242 f.

DIE FORTENTWICKLUNG DER PUBLIZISTISCHEN FREIHEIT

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belastet. Sie konnten diese Aufgaben auch wegen der schlecht unterrichteten, gleichgültigen oder bloß kritisierenden Konsumenten bisher nur unvollkommen erfüllen. Ihrer Natur und Aufgabe nach sind diese Körperschaften öffentlichen und eigenen Rechts Organe der Selbstverantwortung, Selbstkritik und Selbstkontrolle im vorstaatlichen Raum, im Dienste der Öffentlichkeit, autonome Vertreter der Freiheit eines wichtigen publizistischen Mittels und seiner Weiterentwicklung in der pluralistischen Gesellschaft. d) Die Freiheit

organisierter

Wechselwirkung

Die natürliche tägliche Wechselwirkung zwischen den publizistischen Mitteln und der von ihnen angesprochnen Öffentlichkeit für oder gegen ihre publizistischen Aktionen ist hier nicht gemeint. Sie ist selbstverständlich und natürlich. Will die Publizistik öffentlich wirken und in ihren Leistungen öffentlich bedingt, in ihrem Wollen öffentlich bewirkt sein, so ist vorausgesetzt, daß sie die Leute kennt, die sie anspricht. Es ist das eigentliche Ingenium jeder Publizistik und jedes Publizisten, dies zu meistern, wie auch immer er es zuwege bringt. 71 Anders verhält es sich mit den im Individuellen fortlaufenden, im Nichtöffentlichen sich vollziehenden Folgewirkungen der publizistischen Mittel. Sie sind willkommene Effekte, „Reziprozitäten", die den publizistischen Erfolg zustande bringen und ihn sicher beflügeln können. Aber sie vollziehen sich nicht mehr öffentlich. Sie sind private Vorgänge. Sie gehören nicht mehr in den Bereich der Publizistik und also auch nicht in ihre Wissenschaft, wie wir sie umgrenzt haben. 72 Sie sind Gegenstand der „Kommunikationslehre", deren Forschungsgebiet sich bis in die „zwischenmenschlichen Beziehungen" verbreitert. 73 Gemeint ist im Nachfolgenden etwas ganz anderes. Gemeint ist die organisierte Für- oder Gegenwirkung aus der Öffentlichkeit auf die publizistischen Mittel. Bei der nie aussetzenden Einwirkung auf die Öffentlichkeit ist j a eine geschlossene Gegenwirkung aus der Öffentlichkeit nur natürlich. Der Pulsschlag der publizistischen Mittel im Kreislauf des Wollens und Meinens heischt eine Stellungnahme der Öffentlichkeit selbst und wäre es nur gegenüber dem Wächteramt der Publizistik. Die Beantwortung der Frage des Römischen Rechts: Qui custodit custodes? 71

Im Kapitel Die publizistische Persönlichkeit ist das eingehend dargetan.

72

Vgl. S. 5.

7 3 Solche V o r g ä n g e sind besonders durch die amerikanische Soziologie untersucht. Sie haben dort den Namen „Feedback", wörtlich: Rückspiel, Rückführung erhalten. Der Begriff stammt aus der Kybernetik, wo er ein System von technischen Rückkoppelungen, v o n Interdependenzen bezeichnet. Das sehr theoretisch untersuchte Problem kann hier nur genannt werden. — MALETZKE: Psychologie der Massenkommunikation. A.a.O., S. 37—41, S. 19 erläutert das „Feedback" mitden Vokabeln der Automation.—Vgl. auch: JOHNSON, F. C. u. G. R. KLARE: General models of communication research. In: Journal of Communication

1961, S . 1 3 — 2 6 .

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FREIHEIT UND BINDUNG IN DER PUBLIZISTIK

Eine oft sehr empörte Stellungnahme der Öffentlichkeit zeigt sich besonders dann, wenn die kritische Haltung der Publizistik kritische Gegenwirkungen wachruft. Im freien Für und Wider des demokratischen Lebens ist das wichtig und wertvoll. Drei organisierte Verfahren sind zu unterscheiden: die werbefachliche Untersuchung, die publizistische Analyse (auf Inhalt, Haltung und Wirkung) und die gesinnungsbestimmte Aktion, die sich der Förderung und Forderung der publizistischen Mittel organisatorisch annimmt. Die letzte Aufgabe ist es, die hier besonders behandelt wird, die erste und zweite nur hinweisend. Die werbefachliche Untersuchung will die Werbewirkung der mit bestimmten publizistischen Werbeträgern (Presse, Film, Rundfunk, Fernsehen) verbundenen Werbemöglichkeiten studieren. Sie geht darauf aus, diese Werbemöglichkeiten mit einem Höchstmaß von Erfolg zu nutzen. Unter der Bezeichnung der „Medienforschung"74 betreibt die Werbewirtschaft eigene Forschungsarbeiten. Sie werden in wissenschaftlicher Methode geführt. Ihre Ergebnisse sind mittelbar auch publizistisch wichtig. Der ertragreiche Anzeigenteil einer Zeitung kann die Qualität ihrer publizistischen Leistung bestimmen, er kann ebenso die Existenz einer z. B. kulturell wesentlichen Zeitschrift sichern oder sie aufheben, wenn der Anzeigenertrag ausbleibt. Der Gegenstand dieser Werbeforschung ist jedoch nicht publizistisch. Er ist, was in voller Anerkennung seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung gesagt sei, immer privatwirtschaftlich bestimmt.75 Die zweite Untersuchung der publizistischen Mittel von der Öffentlichkeit her geht um die Wirkung der publizistischen Arbeit. Sie erforscht die Wege, die Erfolge und Mißerfolge der publizistischen Leistung mit den Methoden der empirischen Sozialforschung. Die Ergebnisse können politisch, kulturell und sozial ebenso wichtig sein wie für die Erkenntnis der publizistischen Mittel selbst. Das Schrifttum ist umfassend.7' Die dritte Einwirkung aus der organisierten Öffentlichkeit ist gesinnungsbestimmt. Sie ist keine Analyse. Sie versucht, frei und demokratisch eine Einwirkung auf das Mittel selbst zu nehmen. Das kann fördernd geschehen oder auch kritisch oder in beiden Richtungen. Angewandt wird somit die Freiheit der Meinung aus der Öffentlichkeit für oder gegen die publizistischen Mittel in einer gesunden Wechselwirkung. Nur am Rande sei hier der rührenden Opferbereitschaft gesinnungsgleichgerichteter Gruppen für „ihre" Zeitung, „ihre" Zeitschrift gedacht. In den Blütezeiten der Gesinnungspresse waren die Anfänge auch bedeutender Blätter nur 74 Zur „Medienforschung" vgl. SEYFFERT, R.: Werbelehre. Theorie und Praxis der Werbung. 2 Bde. Stuttgart 1966. 75 Deshalb gehört die Werbewissenschaft auch nicht in die Wissenschaft der Publizistik. Vgl. S. 100. Vgl. NOELLE, ELIS.: Die Wirkung der Massenmedien. Bericht über den Stand der empirischen Forschung. A.a.O. Ebendort weitere Literatur. — Dieselb.: Information u. öffentliche Meinung „Publizistik". 11. Jhrg. Heft 3/4. S. 355.

DIE FORTENTWICKLUNG DER PUBLIZISTISCHEN FREIHEIT

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durch zugreifende Hilfe der Gesinnungsfreunde überhaupt möglich. Das geschah in den verschiedensten Formen. Durch Werbung von Haus zu Haus, durch eigene Vereine, besondere Veranstaltungen, materielle, oft entbehrungsreiche Unterstützungen in Geld und Ware oder durch Aktien- und Anteilleistungen 77 abgeschrieben, d. h. geschenkt. Eine der ersten organisierten Aktionen gegen ein publizistische Mittel und für dessen Reform war Lasalles berühmte Rede: „Die Feste, die Presse und der Frankfurter Abgeordnetentag". 78 Sie forderte Aufhebung des Anzeigenwesens, dessen Gefahren rhetorisch großartig, aber falsch verallgemeinert an die Wand gemalt wurden. Die mit hinreißendem Pathos vorgetragenen und ebenso umjubelten Vorschläge versickerten im Sande, ebenso wie die künstlichen Fiktionen anzeigenfreier Zeitungen in den Revolutionsmonaten 1918/19.7® Neue Impulse zur publizistischen Anteilnahme kamen mit dem Aufkommen der jüngeren publizistischen Mittel aus der Öffentlichkeit, zunächst gegenüber dem Film. Sie stammten kritisch aus Protesten und Reformvorschlägen, die der Film in seiner Sünden Maienblüte provozierte. 80 Sie gingen von den Volkshochschulbewegungen, von der Erwachsenenbildung aus, vielfach waren sie auch von religiösen Gruppen getragen. Sie wandten sich zunächst gegen Auswüchse des Films, um sich dann aber auch zu aktiver Beteiligung zu ermannen. 81 Sehr früh mühte sich das „Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht" in dieser Richtung.82 Neben den neutralen folgten die religiös gebundenen Organisationen. Schließlich reizte auch die damals völlig neue und eindrucksstarke Form des Films zur Nutzung für die eigene Sache der eingreifenden Gruppen. Nach dem Ersten Weltkrieg fanden sich in den Vereinigten Staaten, die den zielbewußten Meinungskampf in der Demokratie immer besser entzünden konnten als das in Deutschland bisher geglückt ist, organisatorische Kräfte gegen eine Filmproduktion, die nur geschäftlich bestimmt und dadurch sehr niedrig gehalten blieb. Es bildeten sich die „Ligues oi Decency". Sie wurden immer wieder verlacht, waren aber im Wollen ernst und zielbewußt. An sie hat im Jahre 1936 Papst Pius XI. seine vielzitierte Filmenzyklika gerichtet, die eine bewundernde Anerkennung des Films brachte. Sie hielt aber auch mit dem kritischen Urteil nicht zurück und mahnte „vigilanti

77 Im amerikanische Unabhängigkeitskrieg sammelten Frauen von Haus zu Haus Knochen und Lumpen, der Rohstoff des Zeitungspapiers. Vgl. DOVIFAT: Der amerikanische Journalismus. A.a.O., S. 19. Die Anfänge der konservativen „Kreuzzeitung" 1848 werden von den Anhängern „a fond perdu" finanziert, ebenso die ersten Jahre des Zentrumblattes Germania. Vgl. DOVIFAT: Die Zeitungen. A.a.O., S. 48, S. 77. — Auch die Anläufe des Daily Herald, der als Streikblatt einer syndikalistischen Gewerkschaftsgruppe begann, wurden Jahre hindurch buchstäblich von „Arbeitergrosdien" finanziert. GRÜNBECK, M.: Die Presse Großbritanniens. A.a.O., Bd. I, S. 175 f. S. auch: S. 283 Anm. 13. 78

Vgl. oben, S. 177 sowie „Pressereform und Fernsehstreit". A.a.O., S. 43. " Vgl. BÜCHER, K.: Gesammelte Aufsätze zur Zeitungskunde. Tübingen 1926, S. 391 ff. 80 Vgl. über diese Entwicklung: ACKERKNECHT, E.: Lichtspielfragen. Berlin 1928. Der Band ist eine Sammlung von Aufsätzen, die bis in die Vor-Weltkriegszeit zurückgehen. 81 Ebd.: Das Lichtspiel im Dienste der Bildungspflege. 82 BECKER, K.: Rundfunk, Fernsehen und Seelsorge. In: Seelsorge in derZeit. Mai 1953, H. 1.

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cura"83, zur Wachsamkeit. So entwickelten sich in der katholischen, ebenso auch in der evangelischen Kirche Arbeitsgruppen, um v o m Hörer und Zuschauer her zunächst einmal die Urteilsfähigkeit der „publizistischen Konsumenten" wachzurufen. V o n dort also, v o n der Nachfrage her, wollten sie zu einer Wertsteigerung des Angebots kommen. 8 4 Das gleiche vollzog sich ein Jahrzehnt später für den Rundfunk und schließlich für das Fernsehen. Dabei mühten sich die Organisationen, auch ihre eigenen Ziele, angepaßt den publizistischen Mitteln, darzulegen und sie auch in der Gesamtwertung der Mittel (Freiwillige Selbstkontrolle, Rundfunkräte usw.) zum Zuge zu bringen. 85 Bemerkenswert sind die dem publizistischen Rhythmus angepaßten fortlaufenden Bewertungen der publizistischen Mittel vor der gesinnungsmäßig angesprochenen Öffentlichkeit. Ohne Zwang und Verpflichtung werden solche Wertungen v o r g e n o m m e n und nach Gruppen gegliedert. Es handelt sich nicht um eine Zensur, die nur eine amtliche, mit Verbotsbefugnis ausgestattete behördliche Stelle übernehmen könnte, sondern um eine aus bestimmter Gesinnungshaltung geübte Beratung. Die Ergebnisse sind oft umstritten, aber anregend und b e w e g e n die Öffentlichkeit. So gibt es auch einen evangelischen „Zeitschriftenbeobachtungsdienst" und einen katholischen „Zeitschriftendienst" 8 6 . Sie beurteilen aus ihrer Grundhaltung 63 „Vigilanti cura" vom 29. 6. 1936. Acta Apost. Sedis. Bd. 28, S. 249 ff. Ihr folgte am 8.9.1957 die das gleiche Thema behandelnde Enzyklika Pius XII: „Mirandi prosus", Acta Apost. Sedis. Bd. 48. 84 Für die kath. Kirche vertritt die Kirchliche Hauptstelle für Bild- und Filmarbeit unter der Verantwortung der Bischöfe „die kirchliche Filmarbeit gegenüber der Öffentlichkeit". Dazu wird von der Katholischen Filmkommission ein filmdienst herausgegeben, der die Filme nicht nach Kunst- und Unterhaltungswert, sondern nach religiössittlichem Wert in einer Reihe von Prädikaten abschätzt. Eine Katholische Film- und Fernsehliga, als Volksbewegung gedacht, hat mit 2 Mill. Unterschriften sich die kritische Beurteilung durch den Filmdienst zur Richtlinie des Filmbesuchs gemacht. Die kath. Filmarbeit ist international in der OCIC (Sitz Brüssel) zusammengeschlossen. Vgl. BERRESHEIM, H., U. H . H O E R S C H : Die pädagogische Chance der technischen Medien. Düsseldorf 1964, S. 47 ff. Ähnlich hat die Evangelische Kirche ihren Evangelischen Filmbeobachter zur Information. Eine Evangelische Filmgilde nominiert jeweils den „besten Film des Monats". Wir haben hier also in vollem Umfange selbständig durch Gesinnungsgruppen aus der Öffentlichkeit vollzogene fordernde und kritische Institutionen gegenüber dem publizistischen Mittel Film. 85 Die Katholische Rundfunkarbeit ist ähnlich wie die Filmarbeit unter Verantwortung der Bischöfe organisiert. Auch sie „will das Interesse und die Verantwortung der Öffentlichkeit für den Rundfunk öffnen" und auch auf die Sendungen Einfluß nehmen. — Ebenso dient die Katholische Fernseharbeit (Kath. Fernseh-Dienst) der öffentlich kritischen, aber auch fördernden Arbeit für das Fernsehen. Eine Rundfunkkorrespondenz dient der Information. Ausführlicher siehe: Organisation der Katholischen Rundfunk-, Fernseh- und Filmarbeit, In: Kath. Nachrichten-Agentur (KNA) 1964, Nr. 12 v. Januar. -— Die Arbeit der Evangelischen Kirche vollzieht sich nach der Satzung Für den Evangelischen Rundfunkdienst in ähnlicher Weise. (Satzung vom 9. 4. 1959. Kirchl. Amtsblatt Berlin vom 15. 12. 1959.) Ein eigener Informationsdienst wird innerhalb des Evangelischen Pressedienstes unterhalten. Ein Fernsehbeauftragter (Sitz München) betreut die Fernseharbeit. 80 Vgl.: Zeitschriftendienst. Mitteilungen der Arbeitsstelle für Zeitschriftenberatung. Münster i. Westfalen. Erscheint vierteljährlich. — Ähnlich der Zeitschriftenbeobachtungs-

DIE FORTENTWICKLUNG DER PUBLIZISTISCHEN FREIHEIT

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bestimmte auflagenstarke „Publikumszeitschriften" der breiten Unterhaltungsindustrie. Sie geben freie Charakterisierungen sachlich und ohne falschen Eifer, das typische Beispiel einer freien institutionell getragenen Stellungnahme zum publizistischen Mittel Zeitschrift unter voller Verantwortung derer, die Stellung nehmen. Ziel ist auch hier, eine öffentliche Auseinandersetzung anzuregen und dem Einzelnen Unterlagen zur eigenen Urteilsbildung an die Hand zu geben. Verfassungsrechtlich gibt der Artikel 5 „jedem" das Recht, seine Meinung zu sagen, und Artikel 9 gewährt jedem das Recht, sich zu diesem Zwecke zusammenzuschließen. Der Verleger und Chefredakteur einer großen norddeutschen „Illustrierten" sah auch in diesen Wertungen seiner Zeitschrift, obgleich sie von keiner amtlichen Stelle kamen, „eine Zensur im Sinne des Artikels 5". Er klagte, wurde aber abgewiesen.87 In der Begründung des Gerichts hieß es: „Es gibt keine Position, in der man nur kritisieren, aber nicht kritisiert werden d a r f . . . " Die Freiheit der Meinung wäre in der Tat eine Karikatur, würde sie nicht von jedem Einzelnen, auch gegenüber der Publizistik, geübt werden können. Das gleiche gilt für die meist gesinnungsmäßig zusammengeschlossenen Gruppen, die in demokratischer Form und Freiheit öffentlich und organisatorisch gegen publizistische Erscheinungen auftreten, die sie für falsch halten und aus Überzeugung bekämpfen. Nur so kommt auch die Vielzahl der Gruppen im demokratischen Ganzen zum Zuge und wird das Interesse des Einzelnen an den Aufgaben des öffentlichen Lebens geweckt und beraten. Die Freiheit des Wortes nur der Publizistik zuzusprechen, hieße, eine Diktatur von Einzelnen und wenigen herbeizuführen. Auch darum muß das Interesse der Öffentlichkeit an den publizistischen Mitteln in ihrer Gesamtheit immer wieder wachgerufen werden. Dies gerade dann, wenn diese Mittel z. B. konzerniert oder völlig vergeschäftlicht sind und ihrer öffentlichen Aufgabe nur einseitig genügen können. In der wachen Öffentlichkeit also liegt eine natürliche Kontrolle auch des publizistischen Lebens. Ebenso gibt es freie Organisationen, die sich oft mit brennendem Sachinteresse bemühen, bestimmte publizistische Mittel zu fördern und zu diskutieren. Solches leisten z. B. die Filmklubs für den Film, der, wo er publizistisch wird, einen besonderen Rang einnimmt. Die „Deutschen Filmklubs" mit angeschlossenen 430 regionalen Filmklubs88 haben sich zur Aufgabe gesetzt, „Werke eigengesetzlicher Filmkunst, des künstlerischen wertvollen Spielfilms und des Kultur- und Dokumentarfilms im Dienste der Erwachsenenbildung" zu fördern (§ 2 der Satzung). Das geschieht durch eine dienst, den die Rheinische Evangelische Kirchenleitung herausgibt. Vgl. Dovifat, E.: Die Freiheit der publizistischen Wechselwirkung. In: Zeitschriftendienst. August 1964. 87 Hanseatisches Oberlandesgeridit, Urteil vom 6. Mai 1959 (3 U 219/58 Q 163/58). öffentliche Kritik an bestimmten schädlichen Entwicklungen der „Illustrierten" führte 1966 zur Wiedererrichtung der „Selbstkontrolle", vgl. S. 189. 88 Die Filmklubs sind im Verband der Deutschen Filmklubs e. V., Frankfurt am Main zusammengeschlossen. Der Verband umfaßt rund 430 Erwachsenen-, studentische und Jugend-Filmklubs. Auch einige Volkshochschulen sind angeschlossen.

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FREIHEIT UND BINDUNG IN DER PUBLIZISTIK

oft intensive Beschäftigung mit Filmen besonderer Leistung und künstlerischer oder publizistischer Bedeutung. Die Klubs gehen ganz bewußt darauf aus, Filmbildung zu vermitteln, Filme darum auch in Seminaren zu studieren und wertvolle Streifen zur weiteren Debatte aufzukaufen und von Klub zu Klub weiterzureichen. Dokumentationen in Buchform liefern dabei Diskussionsunterlagen. So werden die Entwicklungen deutscher und ausländischer Filme beobachtet. Fachgebieten oder schwer zugänglichen Filmen (die keinen Verleiher gefunden haben) wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Anteilnahme der Jugend wird durch die „Jugendfilmklubs" eigens angesprochen. Sie sollen dem Jugendlichen helfen, dem Film „in der ganzen Vielfalt seiner Erscheinungen kritisch wertend gegenüberzutreten". 89 Die Klubs sind gemeinnützig im gesetzlichen Sinne, sie sind politisch und konfessionell nicht gebunden. Sie bilden ein Beispiel sehr aktiver Anteilnahme der Öffentlichkeit an dem Wirken der publizistischen Mittel, hier also des Films. Dem Rundfunk gegenüber haben sich in seinen Anfangsjahren neben den von den Kirchen getragenen Einwirkungskräften Hörerorganisationen entwickelt, die zum Teil politisch geprägt waren. Sie haben zeitweise auch Vertreter in die Rundfunkräte entsandt. 90 Neue Gründungen werden versucht, hatten aber bisher noch keinen Erfolg. Daß Einzelne oder Gruppen in der Öffentlichkeit sich mit publizistischen Mitteln nur dann beschäftigen, wenn sie sie brauchen oder von ihnen angegriffen sind, macht die fördernde oder kritische Anteilnahme am publizistischen Mittel als Ganzes nicht überflüssig. Sie ist innerhalb der Öffentlichkeit in gutem Fortschreiten, in freier, sachlich fördernder Wechselwirkung. Die Tatsache, daß publizistische Probleme in wechselndem Umfange in vielen Lehi- und Informationsveranstaltungen der Erwachsenenbildung, der Akademien, der Kirchen, der Gewerkschaften behandelt werden, zeigt das Streben der Öffentlichkeit, sich über das Wesen der publizistischen Mittel ein klares Bild zu verschaffen. Sie wollen erkennen und wissen, wie der Kreislauf der politischen Meinungsund Willensbildung innerhalb des Gesellschaftskörpers sich vollzieht und woher seine kräftigsten Impulse kommen. Diese Kenntnis ist eine natürliche Therapie auch innerhalb aufkommender Krankheits- oder gewonnener Heilungsprozesse des öffentlichen Lebens. Die Wiederholung des Kollaps, des plötzlichen Schwächeanfalls jedes Freiheitsbewußtseins, wie es sich in den Jahren 1930—33 in Deutschland zeigte, ist nur so zu verhüten. Die kraftvolle Anteilnahme der Öffentlichkeit am politischen und publizistischen Geschehen ist die Gewähr ihrer Freiheit. 811 § 2 der Mustersatzung. Vgl. Praktische Hinweise für die Jugendfilmarbeit. Hrsg. v. d. Arbeitsgemeinschaft der deutschen Jugendfilmklubs e. V. Aachen, Schule Hörn. 90 So in den Rundfunkrat des Sender Freies Berlin nach dem ersten Rundfunkgesetz von 1953.

DIE F O R T E N T W I C K L U N G DER PUBLIZISTISCHEN FREIHEIT

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Im demokratischen Rechtsstaat suchen die publizistischen Mittel über die verfassungsrechtlichen Grundlagen hinaus im vorstaatlichen Raum eine eigene Ordnung. Sie wollen in berufsfachlicher Form den Schutz ihrer inneren Freiheit sichern, die gesetzlich schwer zu fassen ist. Auch sollen Gesetzgebung und Rechtsprechung beraten werden. Aus der inneren Ordnung soll der Kampf gegen den Mißbrauch der publizistischen Freiheit geführt werden, der sie oft zerstört oder gelähmt hat. In gleicher Richtung wirkt die Öffentlichkeit selbst, wenn sie durch Einzelne oder in Gruppen daran arbeitet, sich der Natur aller publizistischen Mittel kritisch bewußt zu bleiben. So kann auch in der pluralistischen Massengesellschaft in geordneter Freiheit ein festes Hemmnis gegen propagandistische Vergewaltigung errichtet sein.

VI. Praktische Publizistik - Die publizistischen Mittel

Die nachfolgende Übersicht versucht, die publizistischen Mittel systematisch einzuordnen, auf kurze Nenner zu bringen und die allgemeinen publizistischen Gesetze darin erkennen zu lassen. Band II und III dieses Handbuches werden sie jeweils umfassend darstellen.

22. Die Tat „Vouloir, Faire! A u de là rien que le silence auguste de l'action." GEORGE CLEMENCEAU

Die Tat ist das Ziel aller Publizistik, sie steht über aller Publizistik, aber sie ist auch ihr ureigenstes Mittel. Vor Wort, Schrift und Bild lösen Tat und Leistung unmittelbare publizistische Wirkungen. Sie erscheinen persönlich bekräftigt, daher ihr Erfolg, überschlägig zeigen sich Erscheinungsformen:

a)

als

Voibild.

A R I S T O T E L E S nennt als Ziel aller Politik des Staates die „Glückseligkeit (eudeimonia) der Bürger" (polites), die „Vollkommenheit des Lebens", das „vollendete, sich selbst genügende Leben (autarkes) der Familien und der Geschlechter".1 Diese natürliche Leistung ist auch publizistisch erfolgreicher und sicher dauerhafter als alle Überredung, Überzeugung und Überwältigung. Das gilt für die Demokratie, soweit das Staatsvolk sich einer sachlichen Information erfreut und sie benutzt. Das gilt für den totalitären Staat in besonderer Art. Seine Führung ist auf Erfolge immer angewiesen, vermag sie freilich auch publizistisch einseitig und ohne Widerspruch zu steuern. Wahrscheinlich wäre das Hitlerregime, was viele damals erwarteten, schon nach einem Jahre zu Ende gewesen, wäre es ihm nicht geglückt, sehr bald die erste Million der Arbeitslosen von der Straße zu bringen, wenn auch zu Kriegsrüstungen und unter falschen Beglückungsparolen.

Alle Formen der Heldenehrung und -Verehrung feiern Tat und Vorbild teils wahrhaft und in Ehrfurcht vor dem Geleisteten oder auch publizistisch je nach der historischen Sicht und der politischen Lage. Einmal ist es das soldatische, einmal das humanitäre Heldentum, das geehrt wird. Oder es werden die „Großen" in der 1 Politik. Drittes Buch, Kap. 9; Siebentes Budi, Kap. 13: Rowohlts Klassiker, Bd. 8, 1965, S. 99 und S. 252.

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DIE T A T

Geschichte der Dynastien gefeiert. So fließen dann die Gefühle wahrhafter Treue mit nationalem Selbstbewußtsein Generationen lang zu festen Glaubensbeständen zusammen. Audi Staatsmänner und erfolgreiche Politiker gewinnen diese denkmalhafte Höhe. Die Masse in ihrem natürlichen Verehrungsbedürfnis 2 sucht sie und braucht sie. Besonders die totalitäre Welt setzt sie den Massen in fast religiöser Inbrunst als die großen Leitbilder vor (Lenin-Kult, Marx-Engels-Kult, Thälmann, Liebknecht). Die operativ gehandhabte Publizistik dieser Mächte macht es allerdings ebenso möglich, bereits als Helden Verehrte aus den offenen Sarkophagen wieder in schlichte Mauergräber zurückzuholen (Stalin) oder auch Namen und Leistung in den Erinnerungen einfach auszulöschen (Trotzki).' Die Helden der Demokratie unterliegen schärferer Kritik, oft auch hartem Gegenwartsschicksal, gewinnen aber dann auch unangefochtene Höhe (Washington, Lincoln, Churchill, Clemenceau), ebenso auch die großen „Wohltäter der Menschheit", die Männer und Frauen entscheidender wissenschaftlicher Entdeckungen und caritativen Opfergeistes. Lehrreich sind die publizistisch und nicht historisch gelenkten Bemühungen aus der Geschichte, für die publizistischen Zwecke neue Helden herzurichten und ihnen wieder aktuelle Werbekraft zu geben.4 Jede Publizistik braucht Vorbilder. Sie lösen die Überzeugungen. Doch mobilisiert die Tatform aber auch ernste, oft erschütternd große Beispiele b) als Opieileistung

(wahres und falsches

Martyrertum).

Hier wird die Hingabe des Lebens publizistisches Mittel. Vorbild, Bewunderung und Mitleid fallen in einer nicht abzuwehrenden Beweiskraft zusammen. Die überzeugende Kraft des Martyriums ist eine der stärksten publizistischen Werbekräfte. 5 Wo es bewußt gegeben ist, wie etwa durch Carl von Ossietzky im Kampf gegen das Hitlerregime, erzwingt es Ehrfurcht, Überzeugung, Glauben." Daher der Wille vor allem kämpferischer Bewegungen ihre Märtyrer zu feiern, die freiwillig das Todesopfer der Idee darbringen. In jüngster Zeit ist besonders die asiatische Welt reich an Beispielen des bewußten publizistischen Opfertodes.' Die gefährliche 2

Vgl. S. 144. Der Vorgang war übrigens schon im Rom der Kaiserzeit bekannt. So wie es die „elevatio" gab, gab es das Gegenteil, die Auslöschung der Namen („damnatio memoriae") aus allen öffentlichen Nennungen und von den Stelen auf dem Kapitol. — Vgl. STURMINGER, A.: Politische Propaganda in der Weltgeschichte. Wien und Leipzig 1938, S. 41. Ebendort umfangreiche Literaturnachweise. — Das Hitlerregime veröffentlichte im Frühjahr 1934 eine Art „Wer ist's" der NS-Persönlidikeiten. Der Verlag brachte es fertig, die Namen der am 30. Juni 1934 im sogenannten Röhm-Putsch auf Hitlers Befehl ermordeten Persönlichkeiten, zu überkleben und das Buch so herauszubringen. 4 „Spartakus" Name des Führers des römischen Sklavenaufstandes wird 1918 der Name der I. K. P. in Deutschland. 6 Einzelheiten und Beispiele über das Martyrium in der Publizistik s. S. 206. ' Auf die religiöse Rolle des Martyriums ist bereits verwiesen. Sie wird hier nicht behandelt, liegt aber ethisch auf der gleichen, wenn nicht auf noch höherer Ebene. 7 In den letzten Jahren z. B. die Selbstverbrennungen buddhistischer Mönche und Nonnen. 3

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P R A K T I S C H E PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN MITTEL

Folge der publizistischen Überzeugungskraft jedes Martyriums zwingt den Gegner, diese Wirkung aufzuheben. Das kann, das kann nobel in sachlicher Begründung oder in zynischer Methode geschehn. Man diffamiert die Opfer oder gebietet terroristisches Stillschweigen über ihren Untergang (z. B. im KZ).8 Wo aber wahre Opfer gar nicht vorliegen, jedoch publizistisch erwünscht wären, werden Vorgänge, die der Sache selbst fremd sind, als Martyrium hingestellt. Oft völlig andersgeartete Todesursachen werden als „Martyrien" ausgeboten 9 , die Toten auf den Schild erhoben und gefeiert. Ein falsches Martyrium! Solche Vorgänge führen zur nächsten tatbestimmten Form. Wir bezeichnen sie c) als publizistische

Auimeikaktion.

Wir erlebten sie einzigartig in dem grandiosen Befreiungskampf, den Gandhi unter voller Opferbereitschaft für das indische Volk führte. Ebenso und dazu im Gegensatz erleben wir, organisierte Unternehmen, die in oft plumpen Formen die öffentliche Aufmerksamkeit zu erzwingen versuchen, bis herunter zu originellen und spektakulären Auftritten, einer bis in das Komische gehende Trickpublizistik. Wir sprechen in allen diesen Fällen, den ernsten und den unernsten, von publizistischen Auimerkaktionen. Der Kampf Gandhis allerdings ist auch in seiner publizistischen Form ohne Beispiel. Er war gewiß politisch, ist aber zunächst und vor allem die Leistung eines publizistischen Genies, ein Volk unter allerschwersten Bedingungen zu einem Kampf um seine Freiheit aufzurufen. Dieses Volk war keineswegs kampffreudig, kaum kampfbereit, ja für alte publizistische Methoden kampfunfähig. In 20 Sprachgebiete und in scharfen religiösen Gegensätzen gespalten umfaßte es damals als Gandhi begann (1919) 320 Millionen, die zu 9 0 % Analphabeten waren. Das Land selbst, fast ein Kontinent, dehnte sich über 4 Millionen qkm. Hier hat Gandhi durch seine publizistische Erweckung nur durch Tat und Beispiel Machtlosigkeit in Macht verwandelt. Er hat die Befreiung Indiens erzwungen. Die Stufen sind bekannt. Er begann damit, alle Zusammenarbeit mit der britischen Verwaltung abzubrechen (Non Cooperation), bewußt alle Gesetze und Verordnungen zu übertreten (Non obedience), widerstandslos alle Verfolgungen über sich ergehen zu lassen (Non violence), nicht nur sich nicht zu verteidigen, sondern für die Übertretungen die höchsten Strafen für sich zu verlangen und sie bereitwillig anzunehmen. So wurde, wenn auch gelegentlich brutale Ausbrüche stattfanden, Indiens Freiheit ohne Blutvergießen gewonnen. Jede der Einzelaktionen traf im indischen Volk in eine Auf8

Beispiele S. 131. Siehe über Schuldprojektionen S. 153 f. Bekanntester Fall der NS-Zeit der Tod HORST WESSELS, der aus gänzlich anderen als politischen Gründen ermordet wurde. Ahnlich der „Horst Wessel" der SBZ, HUBERT MÜLLER, der in einem Straßenkrawall in Essen umkam. In der Zeit der Hitlerschen Großpropaganda gerieten Nacht um Nacht Mal- und Klebkolonnen der NSDAP und der KPD in Schlägereien. Diejenigen, die dabei umkamen, sind gewiß sehr bedauernswerte Opfer der Verhetzung, aber keine Märtyrer. 8

DIE T A T

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gäbe, erweckte eine Einsicht und bewirkte ohne die Publizistik alten Stils in jedem Inder den Willen zur Freiheit des Volksganzen. 10 Publizistische Vorgänge, wie z. B. der monatelange Weg durch ganz Indien zur verbotenen Salzsud im Ozean, die Organisation von Menschenmauern vor den Opiumläden, die Verkehrssperren mit lebendigen Leibern auf den Straßen und Schienenwegen, die Überflutung der Gefängnisse durch „freiwillige Zuchthäusler", schließlich die Hungerstreiks Gandhis selbst, deren Wirkung die englische Kolonialmacht wie einen militärischen Angriff fürchtete, all das lenkte die Aufmerksamkeit der Welt eindrucksvoll auf das indische Schicksal. Dies wiederum war dann letztlich für die Freigabe Indiens entscheidend. 11 Es gehört zu den großen Tragödien der Geschichte, daß Gandhi schließlich doch mißlang, was neben der Befreiung Indiens sein Hauptziel war, die Einheit Indiens zu erhalten. Als er im Januar 1948 der Kugel eines Fanatikers zum Opfer fiel, wurde er der wirkliche Märtyrer seiner Sendung. Nach seinem Tode war zwar die Spaltung nicht aufzuhalten, aber Nehru (a.a.O., S. 117) bestätigt: Gandhi hat die Massen in einer Weise aufgeweckt, für die sonst Generationen nötig gewesen wären. Eine ergreifende auch publizistische Kundgebung für die beim Niederschlag der Freiheitsbewegung 1956 in Ungarn Gefallenen war der oft wiederholte stumme Gang der Frauen zu den Gräbern dieser Toten (Presseberichte). Dem System verwandt, wenn auch auf anderer Wertstufe, sind die vielfältigen, oft originellen Formen der Aufmerkpublizistik. Darunter solche, die aus Notzuständen entstehen. So die Hungermärsche. Mit festgesetzten Demonstrationszielen können sie aus dem Zustrom der Beteiligten und der Hilfe der Mitleidenden lawinenartig anwachsen. 12 10 Vgl. dazu RENFORDT, K.: Mahatma Gandhi. A.a.O. Hier umfangreiche Literatur- und Sachangaben aus publizistischer Sicht. — NEHRU, J.: Mahatma Gandhi. Köln 1949. — ROLLAND, ROMAIN: Mahatma Gandhi. München 1923. Diese Darstellung des Gandhischen Werkes ist begeisternd, doch ist es lehrreich, daß Rolland sich gegen Gandhi wandte, als die besondere publizistische Natur seines Kampfes deutlich wurde (vgl. den Bericht v o n PAUL SCHEFFER im Berliner Tageblatt, Nr. 27 [v. 16. 1.] 1932). — SCHENKEL, G.: Mahatma Gandhi. Stuttgart 1949. 11 Es bedarf nicht des besonderen Hinweises, daß religiöse Grundlehren des Hinduismus in dem publizistischen Verfahren Gandhis wirksam wurden (A-shima = keine Gewalt), ebenso auch volksnationale Grundbegriffe in symbolischer Prägung, so z. B. des Spinnrades in Abwehr englischer Textileinfuhr (vgl, Das Symbol in der Publizistik, S. 239.). Sehr aufschlußreich Gandhis Stellung gegen jede Radaupublizistik (. . .„dann gehen wir einfach wegl . . . ) . Ein Kern seiner Ideologie liegt in seinem offenen Brief an Hitler, dem er schrieb: „Politik ohne Religion ist eine Menschenfalle. Sie tötet die Seele." (SCHENKEL, a.a.O., S. 20.). — Vgl. auch FISCHER, L.: Gandhi and Stalin. Two signs at the world's crossroads. London

1948. 12 Anfänge aus dem letzten Jahrhundert; 1894 JACOB S. COXEY'S „lebendige Petitionen", Massenmarsch der Arbeitslosen nach Washington (The N e w York Times, April 1894 sowie The Americana. A Universal Reference Library. Bd. 5, N e w York 1909—1910). Aus vielen Teilen Amerikas setzten sich Arbeitslose in Bewegung unter großen Sympathiekundgebungen und Hilfsaktionen der „Leute am Straßenrande". •— 1932 ähnliche „Sternmärsche" der „Bonus marchers", Kriegsteilnehmer, die eine Rente verlangten und durch diese Märsche

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PRAKTISCHE PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN MITTEL

In den heutigen wirtschaftlich günstigeren Zeiten ändert sich auch die publizistische Aufmerktechnik. Es ist nicht mehr die Triebkraft der Not, es ist das Gewicht des organisierten und gelenkten Massenaufmarsches, durch den, imposant und wohlgeordnet, bestimmten Forderungen Geltung gegeben wird. Ein durch publizistische Regie gelenktes, auch in Kollektiven noch persönliches Auftreten von Zehntausenden gibt den Argumenten Gewicht. So war die Bergarbeiterkundgebung vom 1. September 1959, durch die die Bergarbeiter des Ruhrgebietes „auf Bonn marschierten", um zur Kohlenkrise zu demonstrieren, genau das umgekehrte eines „revolutionären Marsches". Es war ein mit 400 Ordnern in genauer Vereinbarung mit den Polizeikräften vollzogener streng geregelter generalstabsmäßig geleiteter Demonstrationsmarsch. 13 Ähnlich geordnet lief eine Aufmerkkundgebung der Kriegsbeschädigten ab, die als „Marsch des Leidens" am 10. Dezember 1963 nach Bonn zog. Ebenso verabredet und genauestens geregelt vollzog sich im August 1963 die Kundgebung farbiger und weißer Amerikaner „als lebendige Petition" für das Bürgerrechtsgesetz, d. h. für die volle Gleichstellung der schwarzen und der weißen Bevölkerung. 14 Ein weiteres Beispiel der Aufmerkpublizistik ist die internationale Zielgebung der „Ostermarschierer", die in Kopie des berühmten englischen Freiheitsgrundgesetzes von 1215 eine „Magna Charta 1963" gegen die „Tyrannei der Atombombe" fordern 15 und ihr Grundgesetz auf der Wiese „Runnymede" bekannt machten, wo auch das englische Verfassungsgrundgesetz im 13. Jahrhundert zuerst verkündet wurde. Neben diesen organisierten sind „originalisierte" Aktionen zur Aufmerkpublizistik bekannt. Sie treiben Seltsamkeiten, machen Sensationen, spielen symbolische Vorgänge, um unter allen Umständen Schlagzeilen zu erzwingen. 16 Naivität und ein „piain american Talk" (The N e w York Times, May 1932) wachriefen: der Sinn der Sache. 13 Er kostete lVi Millionen und brachte 50 000 (200 000 hatten sidi gemeldet) Demonstranten mit 30 Sonderzügen und 1000 Bussen und Rheindampfern in 13 Marschsäulen in die Nähe und dann in den Kern Bonns. Das Bannmeilengesetz, das den Marsch zum Bundestag verbot, wurde genauestens beachtet. Eine Marsch- und Abendverpflegung wurde in sauberen Plastikbeuteln verteilt. 14 Wilkins, Leiter des Nationalverbandes zur Förderung der Farbigen, erläuterte den Charakter der Kundgebung: „Wir sind gekommen, dem Kongreß . . . persönlich zu sagen, was unser Wunsch ist: die Freiheit und die Gleichheit." Deutlicher noch zeichnete der Direktor des Schutzverbandes gegen Rassendiskriminierung, Young, die Aufgabe und Aufmerkrichtung: „. . . alle Amerikaner zu ehren, die das religiöse Erbe der USA in Gestalt der Rassengleichheit in die Tat umsetzen." Vgl. Frankf. Allgem. v. 29.8. 1963. — In letzter Zeit hat es bei diesen Protestmärschen wiederholt heftige Zusammenstöße gegeben, doch versucht die Leitung der Bewegung, solche Kundgebungen geordnet ablaufen zu lassen. 15 Die Bewegung ist in totalitären Ländern natürlich unterbunden. Demonstrierende Werber, die aus dem W e s t e n nach Ostberlin kamen, wurden sofort ausgewiesen. Gegen die Atommacht darf nur im freien W e s t e n demonstriert werden. 19 Berühmt war die Aufmerksamkeitswerbung der englischen Frauenrechtlerinnen, der Suffragetten, die durch peinliches Auftreten bei offiziellen Gelegenheiten viel Würde verloren, gelegentlich auch Opfer brachten, aber jedenfalls in den Mund der Leute kamen.

DIE T A T

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Findigkeit erzwingen sich hier öffentliche Aufmerksamkeit. Auch der Sitzstreik gehört hierher. Er ist heute weniger ein arbeitsrechtliches als ein politisches Kampfmittel. Durch die Peinlichkeiten und Schwierigkeiten, die er z. B. für die Polizeikräfte verursacht, dient er der Aufmerkpublizistik. Zu provokanten Berichten, vor allem im Femsehen, zu kommen, ist das Ziel. Auch kleinste, von radikalen Minderheiten inszenierte Demonstrationen werden so zur Massenwirksamkeit multipliziert. Die Antreiber solcher meist ordnungsfeindlicher Aktionen behaupten, die Demokratien seien oligarchisch verkliquet, die Presse konzerniert oder nur der Sensation zugänglich. Es sind radikale Gruppen an amerikanischen Universitäten — z. B. in Berkley — , die diese „Taktik gewaltloser Revolte" aufgebracht haben. Damit soll das öffentliche Bewußtsein, z. B. auch zum Vietnamkrieg, scharf gemacht werden. So wird das Verfahren „sit-in" und „teach-in" als Methode des Sitzstreiks angewandt. Will die Polizei eingreifen, macht sie sich lächerlich. Wendet sie Gewalt an, schafft sie Märtyrer. Die Demonstranten gebrauchen, so heißt es, nur „weiche Wurfgeschosse" (Tomaten, Eier, Mehltüten, Farbsäcke, Puddingwürfe). Werfen, was kaum zu vermeiden ist, unkontrollierte Elemente auch mit harten Gegenständen, erwidert die Polizei den Angriff, gibt es (meist unschuldige) Opfer. Sehr zu bedauern, wenn es Tote sind, die dann, pietätlos, Mittel skrupelloser Propaganda werden. Solche Demonstrationsformen werden unter Berufung auf die verfassungsgesicherte Demonstrationsfreiheit oft von denen angewandt, die den mühsamen und weniger spektakulären W e g verantwortlicher, demokratischer Mitarbeit scheuen oder nicht fähig sind, ihn zu gehen. 1 " Im publizistischen System ist diese „unkonventionelle" Demonstrationsform in die Reihe der Aufmerkaktionen einzuordnen. Politische Macht zu erringen ist hier erst mittelbar beabsichtigt. Ein Gesinnungsterror Andersdenkender mag 1 6 a Diese Demonstrationen g e h e n b e w u ß t darauf aus, ordnungsstörend zu sein. Zum Kampf um das Bürgerrechtsgesetz in U S A betreten z. B. mehrere hundert Demonstranten die Selbstbedienungsläden, b e l a d e n die E i n k a u f k ö r b e , b a u e n sie in den G ä n g e n zu den K a s s e n auf und verschwinden. O d e r die V e r k e h r s w e g e w e r d e n durch debattierende Menschentrauben verstopft, die V e r k e h r s r e g e l u n g e n sabotiert und ähnliches mehr. Das schafft Ä r g e r und A u f e n t h a l t , b e w i r k t aber die F o r d e r u n g . . . „der Sache auf den Grund zu gehen". Das Ziel, A u f m e r k s a m k e i t zu erzwingen, w ä r e erreicht. — Der amerikanische Soziologe HERBERT MARCUSE (geb. 1898) v e r t e i d i g t dieses V e r f a h r e n als ein „Naturrecht" g e g e n ü b e r einer Demokratie, die er f ü r erstarrt erklärt. Er nennt es ein „Widerstandsrecht", das auch durch o r d n u n g s w i d r i g e A k t i o n e n , g e g e n das „Establishment" A u f m e r k samkeit zu e r z w i n g e n , sich für b e f u g t hält. (vgl. MARCUSE, H . : Kritik der reinen Toleranz, ed. Suhrkamp 181, Frankfurt 1966). — Die v o n MARCUSE e m p f o h l e n e n A k t i o n e n e r z w i n g e n die A u f m e r k s a m k e i t , w e r d e n aber auch gefährlich, w e i l sie in den A k t e u r e n den Sinn für den tieferen C h a r a k t e r der D e m o k r a t i e v e r d r ä n g e n , sich in praktisch-politischer A r b e i t zu b e w ä h r e n , mitzutun, die S o r g e zu tragen. MARCUSE u m g e h t es, seiner politischen Technik ein Ziel zu setzen. So z e i g t seine Lehre mindestens als Denkmodell, nihilistische und anarchistische Z ü g e , da sie sich g e g e n j e d e O r d n u n g überhaupt w e n d e t . Doch sind ihre A k t i o n e n geeignet, die D e m o k r a t i e g e g e n F e h l e r und Unterlassungen aufzurütteln. Sie sollte aber auch versuchen, diese p r o v o k a n t e n Formen durch eine ü b e r l e g e n e Publizistik zu überwinden.

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Publizistik I

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PRAKTISCHE PUBLIZISTIK — DIB PUBLIZISTISCHEN MITTEL

nicht immer beabsichtigt sein, ergibt sich aber leicht aus der Massensituation. Revolutionären Märschen sind solche Formen nicht gleichzusetzen. Dazu fehlt ihnen der innere Ernst und die Leidenschaft. Von diesen der bloßen spektakulären Aufmerkaktion gewidmeten Veranstaltungen sind Unternehmen eines kundgebenden Bekenntnisses zu unterscheiden. Sie gehen über die bloße Aufmerkwirkung weit hinaus. Sie wollen unmittelbar gewinnen und überzeugen d) als publizistisches

Bekenntnis.

Hier sind alle publizistischen Vorgänge einzuordnen, in denen zielbestimmte, ideell oder materiell gebundene Gruppen sich öffentlich zusammen finden, ein ideelles Bekenntnis oder eine materielle Forderung zu vertreten und dazu sich versammeln, demonstrieren, kundtun. Sie suchen Anhänger, treffen Gegner und schließen sich kämpfend zusammen, ihre Forderungen durchzusetzen. So bilden sich Parteien, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände, Gesinnungs-, Kultur- und religiöse Gemeinschaften. Sie sind natürlich erst möglich, seit die Freiheit der Versammlung und der Koalitionen in liberalen Staatsverfassungen gewährleistet sind.17 Als einer der ersten ist in Deutschland F R I E D R I C H L I S T diesen Weg gegangen. 18 Den Kampf um die Aufhebung der Zollschranken innerhalb Deutschlands führte er über die Gründung eines Verbandes des „Deutschen Handels und Gewerbevereins" (Frankfurt 1819) und die zähen und ausdauernden publizistischen Vorbereitungen zur Begründung des Deutschen Zollvereins und damit der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands (1834). Ebenso warb er vom Jahre 1830 an über Versammlungs- und Vereinsbildung, unterstützt durch Flugschriften und einer sehr volkstümlichen Zeitschrift für ein deutsches Eisenbahnsystem." Eine in der Quantität neue Entwicklung der publizistischen Bekenntnis- und Forderungsaktionen entstand in England durch die erste große Massenbewegung des 1 9 . Jahrhunderts, die R I C H A R D C O B D E N ( 1 8 0 4 — 1 8 6 5 ) für die Aufhebung der Kornzölle, für eine Freihandelspolitik führte und durchsetzte. Er ist der eigentliche Begründer der „Massmeetings", auch hier getragen von einer schlagkräftigen Organisation, der „Anti Cornlaw League" ( 1 8 3 8 ) . Hier wurde zum ersten Male klar, daß neben dem demokratisch-parlamentarischen Leben freie Volksbewegungen organisatorisch auftreten „as a gigantic seale to populär judgement and populär power" 20 . In ähnlicher Weise setzte O ' C O N N E L L ( 1 7 7 5 — 1 8 4 7 ) im Kampfe für die 17 Für England im Gewohnheitsrecht seit Anfang des 18. Jahrhunderts gewährt, für Frankreich seit 1789, für Deutschland in den Verfassungen der Länder nach 1848 und später in der Bundesverfassung und den Versammlungs- und Vereinsgesetzen, Art. 9 und 21 GG. 18 Vgl. seine publizistische Charakterhaltung, S. 45. 19 Die publizistischen Formen siehe MÖLLER, J.: Friedrich List. A.a.O., S. 57 ff., S. 157 ff. 20 So in der Biographie COBDENS. National Biographie, Vol. IV, S. 604 ff.

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Freiheit Irlands die neuen Formen der „Massmeetings" ein und bewährte die publizistisch-organisatorischen Machtmittel („Irish Catholic Association" und später „Repeal Association").21 In Deutschland begannen nach 1848 in der jungen Arbeiterbewegung unter der agitatorisch-rednerischen Führung F E R D I N A N D LASSALLES „Massmeetings" als publizistisches Mittel.22 Auch neben und in Begleitung politisch-parlamentarischer Kämpfe begann diese publizistische Form ebenso auf kulturellem und religiösem Gebiet.23 Ende der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts wird als eine Form der „Massmeetings" der Maifeieitag als Weltfeiertag der Arbeit ins Leben gerufen, um den 8-Stundentag zu erkämpfen.24 Diese Veranstaltung wandelte sich von einer ursprünglich rein sozialistischen Kundgebung dann (nach nationalsozialistischer Zwangrelegung und später wieder in demokratischer Freiheit) zur Feier eines „Tages der Arbeit", der schließlich allen politischen und sogar kirchlichen Segen erhielt. Diese Kundgebungsformen sind heute für jede Bewegung und Bestrebung, die öffentliche Bestätigung sucht, selbstverständlich und eingefahren. Ihr öffentliches Auftreten ist auch gesetzlich geregelt.25 Es ist ihr Reiz gegenüber anderen rein technischen publizistischen Mitteln, daß diese Demonstrationsformen mehr oder weniger überzeugend noch das persönliche Bekenntnis des Dabeiseins, des Zustimmens sich erhalten haben, wenn auch im Stil einer Massendemonstration. Durch Beifall oder Widerspruch, laute Heiterkeit oder lärmenden Zwischenruf, im gemeinsamen Singen, Rufen und Fordern kann sich die Temperatur dieser Kundgebungen mächtig steigern. In den radikalen Bewegungen nehmen sie häufig schweren Kampfcharakter an. In den totalitären Kundgebungsformen entfällt jede demokratische Haltung. Die Veranstaltung wird Verkündigung. Widerspruch und Opposition sind ausgeschaltet, aber das Ganze steigert sich zu suggestiver Uberwältigung.26 Aus solcher massiven Propaganda- und Angriffsform entsteht dann eine weitere Art publizistischer Aktion in einer nun markanten Tatform 21

O'Connell stellte seine publizistische Arbeit mit der Forderung, daß jeder Ire sich durch tätige Mitarbeit beteiligen müsse unter den Satz: Words will no longer do . . ., w e must have deeds. Vgl. S. 6 sowie HERBST, W.: Daniel O'Connell. A.a.O., S. 87. 22 Lassalle hat in jungen Jahren ein Bildnis O'Connells bei sich getragen, den er als Vorbild und Beispiel verehrte. Erste organisierte Massenversammlungen wurden v o n Lassalle mit einem der Zeit angepaßten wortreichen Pathos und monumentaler Polemik durchgeführt, ü b e r die Technik im einzelnen vgl. HILDEBRAND, R.: Ferdinand Lassalle und die Anfänge der modernen Massenpublizistik. A.a.O. sowie S. 177. 23 1848 setzen für den deutschen Katholizismus die religiösen Kundgebungsfeiern der Katholikentage als publizistisches Mittel der Laienbewegung ein. Ähnlich heute auch die „Evangelischen Kirchentage". 24 Erster „Maifeiertag" 1890 auf Beschluß des Intern. Sozialistenkongresses 1889, später oft in harten Kampfaktionen durchgeführt. Vgl. GIOVANOLI, F.: Die Maifeierbewegung. Karlsruhe 1925. 25 26

14*

Vgl. für die Bundesrepublik: Gesetz über Versammlungen und Aufzüge v. 27. 7. 1953. Vgl. S. 166.

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e) als politisches

Soidatentum.

Das Verfahren stammt aus Frankreich. Gleich e i n e m politischen Laboratorium hat d i e s e s Land so manche politische Technik entwickelt, deren gefährliche Durchführung es k l u g e r w e i s e anderen V ö l k e r n überlassen hat. 21 Mussolini, der in Frankreich bei Maurras und in der Lehre Paretos die Mobilisierung kämpfender Zellen erlebt hatte, umgab sich, als er 1914 für den Eintritt Italiens in den Krieg g e g e n die Mittelmächte eintrat, mit einer Schutzwehr junger Männer, den „Bünden zur tatbereiten Intervention" 2 8 , d e n „Fasci Intervenisti d'azione". A u s i h n e n w u r d e n später die fachistischen Kampfbünde. Darin fanden sich, n e b e n den bei solchen A u f g a b e n immer auftauchenden Landknechtsnaturen, die der B e w e g u n g v ö l l i g v e r f a l l e n e n fanatisierten Anhänger. M a n nannte sie „nuclei", „Kerne der Starken und Zielbewußten". 2 9 Da d i e s e Kerntruppe sich auch als Leibwache für den D u c e v e r w e n d e n ließ, besonders aber den „Saalschutz" übernahm, kam auch aus solcher A u f g a b e die ganz natürliche Uniform dieser „Leibwache", das Hemd. Die Mitglieder mußten zuschlagen und raufen, also z o g e n sie den Rock aus. Das ist der Ursprung des H e m d e s als politische Uniform der Totalitären. So k a m e s zu den Schwarzhemden („Fasci di combattimento"), Braunhemden (Saalschutz: SA, später als „Sturm-Abteilung" umgedeutet) 3 0 , schließlich schwarz für die Schutzstaffel (SS), Rothemden (KP für Rotfront in Deutschland) u. a. mehr.

27 Das beste Beispiel ist vielleicht die Zusammenlegung von Exekutive und Legislative in der politischen Verfassung der Communards im belagerten Paris 1871, aus der die Räteidee geboren wurde. Der Tag ihrer Begründung wurde in der Sowjetunion als Feiertag begangen (18. März). In den propagandistischen Kampfaktionen der nationalistisch-royalistischen Bewegung CHARLES M A U R R A S ' und L É O N DAUDETS sammelten sich junge Söhne des reaktionären aber finanziell potenten Bürgertums, die „fils a papa", als junge Kampftruppen zur „Eroberung der Straße" und „Schutz der Freiheit des Worts" als eine Art privaten Leibwächtertums der Führer und um jede Art von Aufmerkpublizistik zu betreiben. Die Truppe nahm den Namen „Camelots du roi" an. Politische Uniform: die Baskenmütze. ü b e r die Rolle der Uniform vgl. S. 141. Die Camelots malten Parolen an die Mauern, klebten Plakate, machten die claque bei Straßenreden, warfen den Gegnern die Fensterscheiben ein und die politische Opposition aus den Versammlungen und trieben, was sonst noch zum politischen Radau nötig war. Kritische Darstellung bei G U R I A N , W.: Die politischen und sozialen Ideen des französischen Katholizismus. Freiburg 1929 sowie LA GRANDE E N C Y -

CLOPÉDIE, B d . 8 , S . 1 0 7 8 . 28 Vgl. über die Entstehung der Bünde als publizistische Bünde „der Tat" PAPPENHEIM, H. E.: Mussolinis Wandlung zum Interventionismus. A.a.O. 29 PAPPENHEIM, a.aO., S. 67. — Kernbildungen der „letzten Getreuen" sind in allen Entwicklungen von publizistischen Werbeformen dieser Art zu finden. Schon Thomas Münzer beruft sie, religiös gesehen, als die „Bünde der Erleuchtung" vgl. BLOCH, E.: Thomas Münzer. A.a.O. — Mazzini sammelte die konsequentesten Verschwörergruppen in den „Carbonari", den Geheimaktionskräften. Vgl. S. 73. — Es ist das Verfahren, das sich später innerhalb der Kommunistischen Bewegung als „Zellenbildung" wiederfindet und wie in allen radikalen Kampfbewegungen das Grundwerk des organisatorischen Aufbaus abgab. Dieses Verfahren in der NS-Propaganda zeigt H I T L E R in: Mein Kampf. A.a.O., Bd. II, Kap. 11, eine Technik, die sich in den Jahren 1924—33 für sein Ziel als sehr wirksam bewies. 30 Vgl. die beinahe weihevolle „Berufung" des Saalschutzes durch H I T L E R . Hofbräuversammlung v. 4. 11.1921 in München. In: Mein Kampf. A.a.O., Bd. II, S. 529 u. 601.

DIE TAT

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Aus solchen Anfängen folgte der Einsatz des politischen Soldatentums zu oft mörderischen Propagandakämpfen. In den immer neuen Zusammenstößen gab es sinnlose, dann als „Märtyrer" gefeierte Opfer, vor allem in dem, was sich unter der Parole „Straße frei!" abspielte.31 So endet der Weg, der als ein geistiges, tatbetontes Mittel der Meinungs- und Willensbildung begonnen hatte und mit der Freiheit der Versammlung und der Koalition gangbar wurde, in revolutionären, halbmilitärischen Formen. Von hier aus ist der Übergang zur direkten Aktion, d. h. zum eigentlichen revolutionären Marsch politisch gestaltender Folge kurz. Das politische Soldatentuni zeigt sich zu jeder Art von Terroraktionen startbereit. Genannt seien nur die von den italienischen Faschisten an politische Gegner vorgenommenen Rizinuskuren und die Durchführung ausgesprochener Terrorund Vernichtungsaktionen durch SA und SS („Reichskristallnacht"). Gleichwohl bleibt zu unterscheiden zwischen der publizistischen Werbung und der direkten Aktion.32 Sie vollzieht sich f) als publizistischei

Teiror.

Der Terror, planmäßig geübt, ist auch ein publizistisches Mittel.33 Die anarchistische Bewegung hat ihn in ihrem Sinne programmatisch entwickelt und praktisch als „Propaganda der Tat" bezeichnet und angewandt. Der Anarchismus leitet diese publizistische Praxis mit einer — unmenschlichen — Folgerichtigkeit aus seinen Grundsätzen ab. Höchstes Gesetz ist die unbeschränkte Freiheit des Einzelnen. Sein Wohl steht vor jeder anderen Rücksicht. Wenn so der Anarchismus schon jede Regierungsform und Ordnung bewußt überwinden und durch eine „freie und freiwillige Föderation arbeitender Menschen" unter Verneinung jedes Machteinflusses und jeder Autorität ersetzen will, so will er die „gegenwärtigen Gewaltformen der herrschenden Klassen" ebenso gewalttätig zerstören. Also vernichtet er Regierungsleute und Regierungseinrichtungen und macht diese Vernichtung zum Fanal seiner anarchistischen Gesinnung.34 3 1 Darüber Goebbels: „Niemals hätte die Öffentlichkeit Kenntnis von den Reden der noch kleinen Fraktion im Reichstag erhalten. Der Marschtritt der SA sorgte dafür, daß auch der . . . verschlafenste Bürger . . . die kämpfende Truppe sehen mußte." GOEBBELS: Parteitagsrede 1937. „Die Dominante der Straße ist die nächste Anwartschaft auf den Staat." In: Der Angriff, Nr. 174 v. 5. Sept. 1931. — Vgl. auch BAYER, E.: Die SA. Geschichte, Arbeit, Zweck und Organisation. Berlin 1938 (Schriften der Deutschen Hochschule für Politik, 2. H. 21). 32 Vgl. darüber S. 110. Verspätet haben die demokratischen Gruppen in Deutschland, anknüpfend an bündische Vorstellungen, Organisationen im Stil des politischen Soldatentums ins Leben gerufen. So das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold". Auch Soldatenbünde wie der „Stahlhelm" nahmen, wenn nicht den Charakter, so doch die Formen des politischen Soldatentums an. Vgl. hierzu POSSE, E.: Die politischen Kampfbünde Deutschlands. 2. Aufl. Berlin 1931 sowie HAUBACH, TH.: Vom Gegner lernen. In: Das Reichsbanner v. 4. 10.1930. 33 über die Natur des Terrors als umgekehrte Form der Haßpropaganda vgl. S. 125. 34 Die anarchistischen Theoretiker sind die Russen Fürst Krapotkin, Netzschajew und Bakunin. Vgl. TANNEWITZ, H. K.: M. A. Bakunin als publizistische Persönlichkeit. A.a.O. Ebendort Schrifttum. — Sehr reich an Einzelheiten und sympathisierend: NETTLAU, M.:

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Das technische Verfahren dieser skrupellosen Propaganda war der sogenannte „chemische Tod", d. h. der agitatorische Aufruf, die grausame Aufmerkweckung durch das Bombenattentat. Studien zur Herstellung von Bomben gehören nach dem Parteiprogramm zur politischen Vorbildung der Anarchisten. 35 Durch die organisierte Ordnung der sozialistischen Arbeiterbewegung gelang es in Deutschland, eine anarchistische „Tatpropaganda" weitgehend hintanzuhalten. Bekannt ist nur der anarchistische Bombenanschlag August Reindorffs 36 auf die Tribüne der Fürsten anläßlich der Einweihung des Niederwalddenkmals {September 1883). Der Versuch mißlang, weil ein Gewitterregen die Zündschnüre der Bomben durchnäßte. Der Plan ist für die Natur dieser „Publizistik" bezeichnend. Ein weiteres anarchistisches Attentat in Deutschland war der Racheakt an dem Frankfurter Polizeirat Rumpf, der die Aufdeckung des Verbrechens bewirkt hatte. Rumpf wurde 1885 erstochen 37 , der Mörder hingerichtet. Viel häufiger fand die anarchistische Tatpropaganda ihre Opfer in den romanischen und slawischen Ländern 38 , so in Rußland, Frankreich und Italien. Teils wurden Bomben ohne Ziel in Gasthäusern und in verkehrsreichen Straßen geworfen oder sie führten „gezielt" „Propaganda der Tat" mit „chemischer Vernichtung" durch. In Frankreich starb so der Präsident der Republik Sadi Carnot (1894), in Italien König Humbert (1900), in Rußland starben Zar Alexander II (1881) und Ministerpräsident Stolypin (1911), in der Schweiz fiel durch die Hand eines italienischen Anarchisten die Kaiserin Elisabeth von Österreich (1898), eine typisch anarchistische Agitationshandlung. Sie übte stärkste terroristische Wirkung. Auch ohne anarchistische Ideologie sind Bombenattentate heute Mittel publizistischer Aufmerktechnik geworden. Oft nur zum Aufsehen und Aufmerken („Plastikbomben"). Daneben werden Bomben auch als direkter Terror unterirdischer Bewegungen angewandt. Beispiele in beiden Weltkriegen und heute im Kriege um Vietnam. Amoralisch bleibt meist unbeachtet, daß solche Terroraktionen zu allermeist unschuldige Opfer treffen. Von den zur Werbung bestimmten Terrorvorgängen sind also die politischen Terroraktionen zu unterscheiden, die betrieben werden, einen Gegner abzuschrecken, unterirdische Agitation zu ersticken und eine allgemeine Atmosphäre der Angst zu verbreiten, was jedem diktatorischen Machtstreben mindestens zeitAnarchisten und Sozialrevolutionäre. Berlin 1914 sowie HUCH, R.: M. Bakunin und die Anarchie. Leipzig 1923. — Für Deutschland gab die Theorie STIRNER, M.: Der Einzige und sein Eigentum (1845). Die Idee selbst verbreitete der vor allem als Organisator gefährliche J. J. MOST (1846—1906). Seine anarchistischen Agitationen liefen später von Amerika aus durch die Zeitschrift Freiheit. Seine radikale terroristische Ideologie führte schon 1880 zu seinem Ausschluß aus der Sozialdemokratischen Partei. 35 Vgl. NETTLAU, a.a.O., S. 316, ferner MOST, J. J.: Die Revolution und der Aufbau einer neuen Gesellschaft. Chikagoer Vortrag. In: Freiheit v. 28. 12. 1882 und 13. 1. 1883. 36 1885 in Halle hingerichtet. Vgl. NETTLAU, a.a.O., S. 328. 37 Most feierte den Mord als große „Propaganda der Tat". („Zittere Kanaille!" In: Freiheit v. 24. 1. 1885). Vgl. NETTLAU, a.a.O., S. 331. 38 Interessante Einzelheiten gibt NETTLAU, a.a.O., S. 59 ff., S. 232 ff.

DIE T A T

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weise willkommen ist.39 Solcher Druck maskiert, verkrüppelt, ja vergiftet den Prozeß einer politischen Meinungs- und Willensbildung und fälscht ihn im Keime.40

g) gespielt,

gesungen,

vorgeführt

(Theater,

Laienspiel,

Kabarett,

Lied)

„Das Theater ist das wirksamste und schnellste Mittel, um die Kräfte der menschlichen Vernunft mit unbezwinglichen W a f f e n auszurüsten und plötzlich in einem V o l k e ein Lichtmeer zu entzünden. " ROMAIN ROLLAND

(Theater des Volks, 1926)

Gewiß ist diese Verallgemeinerung heute durch die elektronischen Mittel übertroffen. Daß aber lange vor Schrift und Bild das Theater überwältigender Antrieb publizistischen Wollens war, ist unumstritten. Seine Grundnatur trägt, wenn auch gespielt, Tafcharakter. Jede Aufführung, mag sie noch so oft wiederholt sein, ist jedesmal einmalig und also, wenn auch nur auf den Brettern, tatverwandt. Jede Szene muß scharf auf die Konzentration gestellt sein, die der Moment des Spiels verlangt. Eben dadurch wird Theater oft viel unmittelbarer Ereignis als etwa der technisch und mechanisch fixierte Film.1 So ist das Theater ebenso wie die Anwendung theatralischer Formen in der Publizistik in die Gruppe der tatverwandten, tatbetonten Mittel einzuordnen. Weiter entspricht das Theater einer anderen Voraussetzung jeder Publizistik, es ist wie sie „öffentlich bedingt, und schließlich — drittens — ist das Theater, auch die große dramatische Kunst, aktuell, in der Wiedergabe von Zeitproblemen und in Anpassung an den Zeitgeschmack. Das Spiel selbst ist gegenwärtig. Alles sammelt sich auf den künstlerischen „Moment", jeder Augenblick muß im Augenblick gewonnen werden. Jede Szene ist in diesem Vorgang so aktuell, wie eine publizistische Leistung es nur sein kann. Es werden ihm daher oft tagesgebundene Stoffe anvertraut mit publizistischen Aufgaben und Stoffgebieten, bis hin zum bewußt politischen Theater und schließlich zur rein technischen Anwendung theatralischer Mittel in der politischen Werbung. Damit stößt dann die harte Zweckgebundenheit alles Publizistischen in die freie Gestaltung der künstlerischen Leistung, sehr zum Schmerz der Leute des Theaters. Selbst der Bedeutendste unter den Theatermännern der Sowjetunion, S T A N I S L A V SKIJ, meint, es müsse dem Kunstwerk „die Seele herausgerissen werden", wenn V g l . die Darstellung zum Thema Terror, S. 125. *o V g l . hierzu S. 80. 1 Erheblich erlebnisnäher zeigen sich Rundfunk und Fernsehen in ihren üve-Sendungen. Allerdings entsprechend verändert durch die — artificialiter — vorgeschalteten Automaten: Mikrophon und Kamera (vgl. S. 33). — ü b e r die aktuelle Natur des Theaters v g l . HAGEMANN, W . : V o m M y t h o s der Masse. A.a.O., S. 221. — Hierzu und zur gesamten Problematik des Theaters als Mittel der Publizistik v g l . die systematischen Untersuchungen v o n RAUSCHENBACH, R. F.: Publizistische Elemente im Theater. Diss. Berlin 1954. 38

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politische Zwecke an deren Stelle gesetzt würden. Resignierend muß er dann die Politisierung des Theaters doch zulassen. 2 s J U L I U S BAB klagt: „Nicht der mächtige Stoff der Politik soll die dichterische Kraft nähren, sondern die Mittel dichterischer Wirkung sollen dem Willen des Politikers dienstbar gemacht werden . . . " P I S C A T O R meint in den 20er Jahren, als er fast ausschließlich kommunistisches Theater betrieb, „daß die stärkste politisch-propagandistische Wirkung des Theaters auf der Linie der stärksten künstlerischen Gestaltung liegt". 4 In der Gliederung der Mittel wäre somit zu unterscheiden zwischen dem Theater als Stätte der hohen Kunst und den theatralischen Mitteln in ihrer propagandistischen Nutzung. Auch das große Theater dient mit dem Schwergewicht seiner künstlerischen Sendung der Gegenwart, wie es Schiller fordert: „Die Gerichtsbarkeit der Bühne fängt an, wo das Gebiet der weltlichen Gesetze sich endet." Doch ist in der Diktatur der totalitären Mächte die hohe Kunst des Theaters der konkreten politischen Zweckbestimmung eingeordnet. Das geschieht in der Sowjetunion und ist unter dem Hitlerregime geschehen. Bereits das Regime der Männer des Convents, der Gewaltperiode der Französischen Revolution, hat das unmittelbare politische Ziel des Theaters, der Schauspielkunst als deren alleinige Aufgabe dekretiert. 5 In der UdSSR unterliegt die Leitung des Theaterwesens einer einzigen Staatsbehörde, dem Komitee für Kunst beim Ministerrat der UdSSR." Dort ist das Theater, die Kunst der Bühne, ausschließlich „Pflanzstätte der Kultur, der fortgeschrittenen sowjetischen Ideologie und Moral". 7 Das Hitlerregime hat, wie es amtlich heißt, alle Theater des Reichsgebiets „hinsichtlich der Erfüllung ihrer Kulturaufgaben der Führung des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda" unterstellt. 8 Er hatte in allen Theaterdingen unbeschränktes Anweisungsredit." 2 STANISLAVSKIJ, K. S . : Mein Leben in der Kunst. Berlin 1 9 5 1 , S . 6 5 9 : „Es wäre fehlerhaft, Tendenzen oder allgemeinnütziges Wissen, die man bisweilen zur Grundregel des neuen Theaters zu machen sucht, mit dessen innerem schöpferischem Wesen zu verwechseln, das die Seele künstlerischen Schaffens ist. Man kann unmöglich ein einfaches Schaustück, Propaganda oder Agitation für wirkliche Kunst n e h m e n . . . Dazu müsse aus dem Kunstwerk die Seele herausgerissen und an ihre Stelle die politische oder utilitaristische Tendenz gesetzt werden." S. 658 gibt er dann interessante Beispiele der propagandistischen Ausbeute, auch der großen Theaterkunst: „Alle Revolutionäre haben nun mal keine Geduld." 3 BAB, J.: Soziologie des Theaters. Leipzig 1931, S. 223. 4 Vgl. PISCATOR, E . : Das politische Theater. Berlin 1 9 2 9 , S. 7 0 . „Kunst, wirkliche absolute Kunst muß sich jeder Situation gewachsen zeigen und sich an ihr beweisen." (S. 5) — über das politische Theater in den Jahren der Weimarer Republik vgl. MUDRICH, H.: Die Berliner Tagespresse der Weimarer Republik und das politische Zeitstück. Diss. Berlin 1955. 8 Die entsprechenden Dekrete bei RAUSCHENBACH, a.a.O., S. 184 ff. 6 Große Sowjet-Enzyklopädie, S. 1655 f. ' Beschluß der KPdSU (ZK) vom 26. 8. 1946. 8 § 1 des Theatergesetzes vom 15. Mai 1934, RG, Bl. I, S. 411. • Durchführungsbestimmungen v. 18. 5. 1934, RG, Bl. I, S. 413, § 12. — Vgl. PITSCH, I.: Das Theater als politisch-publizistisches Führungsmittel im 3. Reich. Diss. Münster 1952.

217

DIE T A T

In der SBZ sind d i e P r i v a t b ü h n e n abgeschafft. A l l e T h e a t e r u n t e r s t e h e n der „ A b t e i l u n g T h e a t e r u n d V e r a n s t a l t u n g s w e s e n " , d a s der scharfen Kontrolle u n d L e i t u n g durch d i e A b t e i l u n g Kunst u n d M a s s e n l e i t u n g d e s ZK untersteht. 1 0 Ihr o b l i e g t „die e i n h e i t l i c h e u n d z e n t r a l e Leitung der g e s a m t e n K u n s t a n g e l e g e n h e i t e n der DDR" (§ 1 (1)). D i e u n m i t t e l b a r e politische E x p l o s i v k r a f t d e s p u b l i z i s t i s c h e n T h e a t e r s h a t sich w i e d e r h o l t i n der Geschichte g e z e i g t . S o l ö s t e n i m s c h w ä b i s c h e n R ä u m e i n s Politische g e l e n k t e u n d d a n n a u s d e m S p i e l r e v o l u t i o n ä r i n d i e W i r k l i c h k e i t überschlagende „Narrenspiele"

1514

den Bauernaufstand des

E n t s c h i e d e n politisch k ä m p f e r i s c h w a r 1784

BEAUMARCHAIS'

„ARMEN K O N R A D "

aus."

„Le m a n a g e d e Figaro";

g e g e n d i e P r i v i l e g i e n d e s A d e l s gerichtet. 1 2 D i e A u f f ü h r u n g v o n

AUBERS

g r o ß e r historischer O p e r „Die S t u m m e v o n Portici" a m 25. A u g u s t 1830 in B r ü s s e l w u r d e A n l a ß z u m A u f s t a n d , der d i e A u f l ö s u n g der „ V e r e i n i g t e n N i e d e r l a n d e " u n d d i e B e g r ü n d u n g e i n e s s e l b s t ä n d i g e n b e l g i s c h e n S t a a t e s zur F o l g e hatte. In s e i n e r Geschichte h a t d a s T h e a t e r g e r a d e da, w o der S c h w a n k u n d d i e P o s s e d a z u das Stichwort g a b e n , s p o n t a n p o l i t i s c h e W i l l e n s a u s b r ü c h e m ö g l i c h gemacht. 1 3 I m p r o v i s i e r t e T e x t e , k ü h n e S t e g r e i f l e i s t u n g e n , aber s e l b s t a l l g e m e i n e z u m S p i e l g e h ö r i g e T e x t e u n d S e n t e n z e n f i n d e n d e m o n s t r a t i v e n Beifall, w o h i s t o r i s c h e Ere i g n i s s e e i n e R e a k t u a l i s i e r u n g erlauben. 1 4 Bei der A u f f ü h r u n g d e s „Don Carlos"

10 Gesetzliche Grundlage: V e r o r d n u n g über die Errichtung der Staatlichen Kommission f ü r Kunstangelegenheiten 1951 (GBl 51/683). — Die Theaterkunst in der Sowjetzone ist „der b e d e u t e n d e Faktor des ideologischen Klassenkampfes". Das „sozialistische Menschenbild" habe im Mittelpunkt der dramatischen Bemühungen zu stehen. „Das Poetische ist Medium zur Rekonstruktion der gesellschaftlichen Produktivkraft Mensch." (Propagandarede anläßlich der Gründung des „Verbandes der Theaterschaffenden der DDR".) 11 Im Spiel — so in Rottweil und Haigerloch — wurde unter Beteiligung der Zuschauer ein Schauprozeß gegen h a r t e und grausame Grundherren geführt, ein Urteil nach Vorschlag der Zuhörer gefallt (Ersaufen, Erhängen) und dann zunächst im Spiel verwirklicht. Als die herzogliche Behörde das Spiel verbot, erschienen die „Narrenspieler" bewaffnet, u n d das Theater w u r d e revolutionäre Aktion. Die Vorgänge sind v o n Friedrich Wolf in dessen publizistischem Drama „Der arme Konrad" bereits 1924 behandelt und als Vorläufer des „Arbeiterkampftheaters" gefeiert worden. Vgl. W O L F , F.: Kunst als W a f f e . 1926. — Für den historischen V o r g a n g vgl. KAMNITZER, H.: Zur Vorgeschichte der Bauernkriege. Berlin 1953. — Die Rolle des „Jesuitendramas" in der Geschichte der Gegenreformation ist bekannt. Eine publizistische W e r t u n g des J e s u i t e n t h e a t e r s h a t JUHNKE, S.: Biedermanns „Cenodoxus" 1617 in Ingolstadt. Eine Studie zur Publizistik der f r ü h e n Jesuitenbühne. Diss. Berlin 1957 unternommen. 12 Bekannt ist LUDWIG DES XVI. Ausspruch: „Mais c'est u n e revolte." Ein Höfling antwortete: „Non Sir, c'est une revolution." — Mozarts Oper „Figaros Hochzeit" mit dem Libretto v o n da Ponte läßt diese publizistische Spannung kaum mehr spüren. 18 Das Theater der Antike, in Griechenland wie in Rom, hat die Komödie wirksam zur publizistischen Aktion benutzt. Im Rom der Kaiserzeit brachen trotz u n d gerade w e g e n der absolutistischen Herrschaft im großen Massentheater immer wieder spontane politische Kundgebungen durch und, soweit es der Unterhaltung diente, ging es bewußt auf diese W i r k u n g aus. — Vgl. dazu die gute Ubersicht bei BAUER, W.: Die öffentliche Meinung in der Weltgeschichte. A.a.O., S . 3 5 ff. — EHRENBERG, V.: The People of Aristophanes. Oxford

1951. 14

„Reaktualisierung" vgl. S. 26. Das Problem des Beifalls als publizistisches Mittel, als

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PRAKTISCHE PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN MITTEL

in Berlin während der J a h r e des Hitlerregimes brach nach dem berühmten Satze des Marquis von Posa: „Geben Sie Gedankenfreiheit!" ein Beifall los, der mehrere Minuten anhielt. Die Aufführung des „Teil" verschwand in den letzten Jahren des Regimes vom Spielplan der Bühnen. 15 Laienspiele, seit den Anfängen des Theaters oft Mittel politischer Werbung, wurden in der Sowjetunion in großer Vielfalt als eine publizistische Mischform zwischen Theater und Agitation zweckbestimmt entwickelt. Der Zwang der kommunistischen Revolution, eine breite, noch weitgehend analphabete Bevölkerung gesinnungsmäßig auszurichten, traf auf die in den slavischen Ländern volkstümliche Neigung, Tagesvorgänge zu theatralisieren. 1 8 So kam es zum „Straßentheater", zu den Betriebs- und Kolchostheatern, politischen Märchenspielen, agitatorischen Kindertheatern, Puppenspielen u. a. mehr. Sie wurden in den Parteischulen vorbereitet. 1 7 Aktuelle Vorgänge, Nachrichten wurden dramatisch vorgespielt als eine Art dramatisierter Zeitung. 18 In pointierten Dialogen folgte der agitatorische Kommentar. „Klassenjustiz" w u r d e anhand gespielter Tribunale unter höchst aktiver Beteiligung des Publikums, vor allem am Strafmaß und dem Strafvollzug, durchgeführt. 19 Sie waren gültig und wirksam durch die alten Schauprozeßerfahrungen vor erregten und aufgeputschten Massen, die schon der römische Statthalter Pontius Pilatus im „Prozeß Christi" erleben mußte. Diese Schauprozeßtechnik wurde später auch von der Kommunistischen Partei in Deutschland überZustimmung oder Ablehnung sonst stummer Massen, ist kaum untersucht. (Einige Hinweise gibt BAUER, W . : Die öffentliche Meinung und ihre geschichtlichen Grundlagen. A . a . O . , S. 187.) Jeder Beifall ist in Temperatur und Temperament höchst verschieden. Der Beifall kann sein: höflich („weil es sich so gehört"), konventionell (als selbstverständlicher Schlußpunkt), befreit („weil es endlich zu Ende ist"), zaghaft (nur ein Teil ging mit), kompakt, dankbar (man war sehr zufrieden), rauschend und lange nicht abklingend (enthusiastische Anerkennung). Bemerkenswert ist der „Muß"-Beifall bei totalitären Kundgebungen, der sich, ein raffinierter Brauch, so vollzieht, daß die Beifallspender die Arme heben und in die hochgehaltenen Hände klatschen. Da kann sich dann niemand drücken! Oft stellen sich Beifall und Widerspruch gegeneinander. Das alles kann aber arrangiert und manipuliert werden, und es ist dann nicht einfach, die wirklichen Mehrheiten herauszuhören. Bei den elektronischen Mitteln, im Rundfunk und Fernsehen, kann Beifall künstlich eingeblendet werden. Vgl. das Suggestivtheater, S. 112 Anm. 20. 15

Vgl.

HEUSS,

1965, S. 257. 16

TH.:

Rede für die Kämpfer des

20.

Juli. In: Die großen Reden. Tübingen

Vgl. hierzu KERSCHENZEW, P. M.: Das schöpferische Theater. Hamburg 1 9 2 2 . — Eingehende Darstellung bei H A I N , S.: Vom Volkstheater zur politischen Massenveranstaltung. München 1958, S. 38 ff. Ebendort umfangreiche Literatur und Sachangaben für die Sowjetunion. — KAT.NINS, B . : Der sowjetische Propagandastaat. A . a . O . , S. 2 1 7 f. 17 Vgl. F Ü L Ö P - M I L L E R , R . : Geist und Gesicht des Bolschewismus. Zürich/Leipzig/Wien 1926, S. 207. — M Ü L L E R - H E G E M A N N , A.: Die Entwicklung der Laienkunst in der Sowjetunion. 1953, S. 67. 18 Der Verfasser sah 1921 in Berlin ein solches russisches Straßentheater: „Die blauen Blusen". Die mit Leidenschaft hingestellten schauspielerischen Leistungen waren so eindringlich, daß das deutsche Publikum, auch ohne die Sprache zu verstehen, sehr gepackt folgte. " F Ü L Ö P - M I L L E R , a.a.O., S . 1 9 0 f.

DIE TAT

219

nommen und mit beträchtlichen Erfolg angewandt. 20 Von dorther ging diese Technik in die Agitation der SED über. 21 Politisches Agitationstheater wurde zeitweise auch von bürgerlichen Parteien vor 1933 versucht, kam aber, weil die fanatische Radikalität fehlte, kaum an (Erfahrung des Verfassers über einige derartige Versuche in der Zeit der Weimarer Republik). Uber das dramatische Agitationstreiben weit hinaus, aber von ihm vorwärtsgetrieben, gehen die theatralisch angelegten und psychologisch zu Enthusiasmus gesteigerten Szenen innerhalb der Massenkundgebungen. Hier werden in riesigen Aufmärschen Menschenmassen farbig einheitlich, bewegt und zu symbolischen Bildern zusammen und wieder auseinander geführt. Sie formen sich zu plakatähnlichen Schriften, und das geschieht mit einer Exaktheit, gegen die der vielgeschmähte preußische Parademarsch ein gelöster Spaziergang ist. Auf der Höhe seiner Macht, bei den Parteitagen der NSDAP in Nürnberg, hat das Hitlerregime, unter Einbeziehung von Arbeitsdienst, Wehrmacht und Massenorganisationen mit Monstertheater geworben. Es kam zur Dokumentation einer Machtorgie, die auch dem Ausland Bewunderung und Furcht abzwangen und den Widerstand lähmte. Musik und Lied22, Bilder und Transparente, Fahnen und Flaggen, farbige Luftballons und nachts Scheinwerferdome über den Versammlungsplätzen und das unentbehrliche Feuerwerk machen 100 000 zu Schauspielern und ziehen Millionen als Zuschauer mit in das Spiel. In einem grauenhaft mechanisierten Bewegungsstil der Massen erlischt das Individuum. Rotchina erbringt zur Zeit in dieser Technik die Spitzenleistung. Dort werden bei Massenkundgebungen bis zu zweihunderttausend Menschen rhythmisch bewegt und zu gewaltigen Symbolen zusammengezwungen, oft mit gymnastischen, ja artistischen Leistungen. Hier erscheint das theatralische Mittel in seiner massenmäßig gigantischen Ausprägung. Film und Fernsehen geben ihm eine weltweite Verbreitung unter intensiver Verwendung suggestivtheatralischer Mittel. Wirkliches wird ins Mystisch-Unwirkliche gesteigert. 23 Der Mensch wird zum Sandkorn, wortwörtlich geschaufelt wie Erdmassen, kanalisiert wie Wasserfluten. Gehen wir von diesem totalitären Kollossaltheater hinüber in die demokratische Welt, zu seiner ganz aus Freiheit und Individualität gereiften Umkehr, dann haben wir das Kabarett. Es ist ursprünglich in literarisch-künstlerisch-improvisierender Form erwachsen. Unter Beteiligung eines mitspielfreudigen, oft leicht alko20

der politische „Sketch" war zeitweise ständiger Programmpunkt der kommunistischen Parteiversammlungen (Bericht des Reichsministeriums des Innern, Berlin 1931). 21 Ausführliche und überzeugende Darstellung bei HAIN, a.a.O., S. 34 ff. •— Uber das parteipolitische Kampftheater der NSDAP vgl. GENTSCH, A.: Die politische Struktur der Theaterführung. Dresden 1942. Die Arbeit, vom NS-Standpunkt her geschrieben, wertet das Theater als „politisches Führungsmittel" (§ 3). Ebendort auch Material über die NS-Kampfbühne in der Propaganda Hitlers vor 1933 und aus nationalsozialistischer Sicht Polemik gegen das „liberale" und das „kommunistische" Theater. 22 Vgl. S. 243. 23

V g l . S . 1 1 4 . — E i n d r u c k s v o l l e D a r s t e l l u n g b e i HAIN, a . a . O . , S . 8 8 .

220

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holisierten Publikums war es eine fröhliche und gekonnte literarische Unterhaltung, ungebunden, mit viel Bohème.24 Schritt um Schritt steigerte es sich ganz natürlich in die Gesellschaftskritik und schließlich sehr bald zum satirischen Urteil an der Politik und den Politikern. Zunächst bleibt es immer noch im kleinen Kreis eines Publikums, das sich im engen Räume drängt, und betreibt eine „Politisierung des Vergnügens". Der satirische Witz, so heißt es, gehe auf die „Reduzierung der öffentlichen Autoritätsansprüche" aus und bewirke die „Demokratisierung der Macht" (C. W. Müller). Eigene, oft köstlich treffende Programmdarbietungen in Gedicht, Lied, Chanson unter einer witzigen Conférence sind dazu die Handhabe und gaben diesem „Kleintheater" des politisierten Spiels öffentliche, aber sehr begrenzte Wirkung. Dann aber nahm das Kabarett seinen Weg vor ein Millionenpublikum. Es ging in den Hörfunk und schließlich in den Sehfunk. Die im Raum des Kabaretts wohl verständliche satirische Kritik und Persiflage traf am Lautsprecher und vor dem Fernsehschirm auf viele Millionen Zuhörer und Zuschauer. Sie stehen ganz außerhalb der gelösten Situation des Kabaretts und sind oft weder bereit noch vorbereitet, dem satirischen Spiel zu folgen. Manche werteten das leicht künstlerisch gedachte Spiel, die Narrenfreiheit übersteigerter Kritik als reale Aggression. Das „Millionenkabarett" fand daher neben begeisterten Freunden auch entrüstete Gegner, die z. B. in Deutschland einen Mißbrauch des Monopolcharakters der Sendesysteme darin sahen. Die Kabarettisten verteidigten sich mit dem in jedem freien Lande berechtigten Argument, Satire sei Selbstkritik und gesunde Selbstreinigung, wobei die Frage, wieweit eine solche Kritik vor einem Millionenpublikum gehen kann, umstritten bleibt. „Satire", heißt es, „zersetzt immer nur was zersetzenswert ist". Der Satz stimmt, nach allen publizistischen Erfahrungen, in dieser Verallgemeinerung leider nicht. Festzustellen ist sogar, daß er nicht selten die umgekehrte Wirkung gehabt hat.25 Mit der Übernahme des uralten Theaterelements in die elektronische Verbreitung durch Ton oder Bild (Rundfunk oder Fernsehen) unterliegt es einer im Spiel wie im Zuschauer bewirkten Verwandlung. Das „Artifizielle" tritt hinzu, was bei den elektronischen Mitteln näher darzustellen ist.26 24 „Das überbrettl" Ernst von Wolzogens als Kleinkunstbühne um 1900 gegründet. Eine genaue Darstellung gibt MÜLLER, C. W . : Das Subjektiv-Komische in der Publizistik. Dargestellt an den Anfängen des politischen Kabaretts in Deutschland. Diss. Berlin 1956. —• Vgl. auch BUDZINSKI, K.: SO weit die scharfe Zunge reicht. Die Anthologie des deutschsprachigen Cabarets. Mit einem Essay von Werner Finde. München/Bern/Wien 1964. — Ders.: Die Muse mit der scharfen Zunge. Vom Cabaret zum Kabarett. München 1961. — KÜIIL.S.: Deutsches Kabarett. Düsseldorf 1962. Kritisch äußern sich: RIEGEL, W. M.: Kabarett, die kleine Kunst des großen Angriffs in FAZ (Bilder u. Zeilen) Nr. 1, 1960 sowie HILDEBRANDT, D.: Numerierter Kummer mit Satire, FAZ 1965, Nr. 271. 25 Kaum eine Figur ist in der Geschichte der Satire im Vormarsch auf die Eroberung der Massen so verhöhnt worden wie Hitler. Gleichwohl kam er zur Macht. TH. TH. HEINE hat in seinen Lebenserinnerungen sich sehr skeptisch über die politische Wirkung auch der genialen Satire geäußert, die er übte: „Die Lächerlichkeit hat nicht getötet. Sie hat belebt. Obrigkeiten, die allwöchentlich zu fröhlichem Gelächter dienen, werden dem Publikum

DIE T A T

221

Dem Theater vielfach fest verbunden hat auch die Musik ihr Wirkungsfeld in der Publizistik. In ihrer unerbittlichen Zweckbestimmung holt sie sich besonders das Lied in ihre werbende Wirkung. Aus seinen lyrischen, sakralen, kriegerischen und unterhaltenden Aufgaben ist das Lied sehr früh in publizistische Zweckbestimmung gekommen. Es ist Nachrichtenträger ebenso wie Meinungskünder. Darin spielt es vor der Erfindung des Buchdrucks sogar eine unentbehrliche Rolle. Neben Rede und Predigt ist das Lied für das Volk im Bänkelsang, für das gehobene Publikum in der Spruchdichtung die Verbreitung von Nachricht und Meinung." R O C H U S V O N L I L I E N C R O N hat uns eine Fülle publizistischer Volkslieder des 15. und 16. Jahrhunderts erhalten. 28 Sie zeigen einen Nachrichtensang, dessen Inhaltsfülle und Form einer modernen Reportage gleichkommt. Die Verbreitung sensationeller Stoffe, gereimt und gedächtnishaftend, nimmt im Umlauf die Mundarten der Landschaften an, in denen sie gesungen werden. Auch politische Kampflieder gehen diesen Weg. Ganz auf die Meinungsbildung ausgerichtet, schildert G Ü N T E R K I E S L I C H : Das „Historische Volkslied" als publizistische Erscheinung 89 . Wirkungsvoll paßt sich das Lied in den publizistischen Prozeß. Vom Rhythmus angesprochen, durch den Text festgehalten, von der Melodie gewonnen, wird der politische Text eingeprägt und vom Gedächtnis festgehalten. Wo das Gedächtnis nachläßt, wird der Text durch die Melodie immer wieder heraufgeholt. So ist sie Bewahrerin des Liedtextes und verbürgt, leicht aufgenommen und von Ohr zu Ohr getragen, ihre publizistische Verbreitung. Zur Publizistik gehört auch die repräsentative Form des Liedes: die Nationalhymne. Ihre Geschichte ist meist publizistisch kämpferisch oder von erfolgreichen politischen Ereignissen bestimmt. 30 In der Wahl der Melodie — wenn sie nur sympathisch." Briefe aus dem Jenseits: In: Heute 1 9 4 6 , Nr. 1 7 , S . 1 5 . — Vgl. TRÜBENBACH, A . : Th. Th. Heines karikaturistisches Schaffen und publizistisches Wollen. A.a.O. — Näheres darüber und über die Satire allgemein siehe unter Karikatur, S. 248. 26 Vgl. S. 231 und S. 263. 27 Wir knüpfen hier nur an die jüngere Entwicklung, etwa seit 1500, an. Zur Publizistik der Spruchdichtung bei WALTHER VON DER VOGELWEIDE S. S . 4 8 . Ebendort auch Literaturhinweise. 28 Die historischen Volkslieder der Deutschen vom 13. bis 16. Jahrhundert. 4 Bde. 1865—69. 29 Münster 1958 (Studien zur Publizistik, Bd. 1). Kieslich gibt eine allgemeingültige Systematik des politischen Liedes. Ebd. Literaturangaben. Zum Problem selbst vgl. HAGELWEIDE, G.: Publizistische Liedforschung in Publizistik in Dialog. Festgabe für Prakke, Assen 1965. 50 In Deutschland zeigt die Entwicklung der Nationalhymne überzeugend die publizistische Natur. 1848: „Was ist des Deutschen Vaterland?" 1870: „Die Wacht am Rhein"; 1871: „Heil Dir im Siegerkranz"; 1922: „Deutschland, Deutschland über alles", 1934 mit dem „Horst-Wessel-Lied" („Die Fahne hoch") verknüpft; 1952 vergeblicher Versuch von T H . HEUSS, eine Hymne von R U D . ALEX. SCHRÖDER in der Musik von REUTER ZU starten; 1954: Deutschlandlied, 3. Strophe. — Revolutionäre Schöpfung: die französische Hymne, die „Marseillaise", gedichtet — für die Rheinarmee — 1792 von ROUGET DE LISLE. — Die Sowjetunion nahm bis 1943 die „Internationale" und schuf dann eine eigene Hymne: „Von Rußland, dem großen, auf ewig verbündet". — Englands Hymne „God save the King (the

222

PRAKTISCHE PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN MITTEL

zieht — ist man nicht kleinlich.31 Die zahlreichen jungen Staaten konstruieren Texte und Musik ihrer Nationalhymnen oft mit volkstümlichen Einschlag und suchen symbolische Inhalte.32 Von den politischen Kampfliedern hat die „Internationale" der Arbeiterbewegung wohl die weiteste Verbreitung gefunden (deutsche Übersetzung von E. Luckhardt).33 Allen revolutionären Bewegungen und allen totalitären Mächten ist das Lied Propaganda. In der Sowjetunion ist „das Mittel Musik" eingeordnet in die politische Dialektik, Organ der Zerstörung der „überwundenen Kräfte und Mittel, die neuen herbeizuführen". Das Volkslied, im Volkston verharrend, ist in Text, Haltung „aktiv revolutionär-umgestaltende Kraft", ureigenster Ausdruck des Lebens der Werktätigen. 34 Von der liedmäßigen Einzelwirkung entwickelt sich die „Volkschorbewegung" mit propagandistischer Schulung der Chormitglieder durch politische Inhaltsanalyse der Liedtexte.35 Es entsteht das „Massendiorlied", eine große hymnische Veranstaltung mit Massenorchestern und vielhundertköpfigen Chören von kompakter, zwingender Gewaltwirkung, die jeder kennt, der sich aus den sowjetrussischen oder sowjetzonalen Sendern ein Bild der Dinge zu machen versucht. Die politischen Kampflieder der Hitlerpropaganda beschafften sich die notwendigen Melodien anfangs aus fremden Quellen. Gesucht wurden meist Marschmelodien, die — wie die Melodie des später der Nationalhymne angehangenen „Horst-Wessel-Lieds" — einem Liederbuch der hündischen Jugend entstammte. Später fand die NS-Propaganda in Herms Niel einen Komponisten ihrer Kriegslieder. Er verstand es, alte nationale Lieder in einem neuen Rhythmus zu heftigem Marschtempo zusammenzureißen. Er mobilisierte damit alte Vorstellungen und Bilder für das Hitlerregime. 39 Im sowjetischen wie im NS-Regime gehört auch die Queen)" entstand in der A b w e h r eines drohenden (jakobitischen) A n g r i f f s 1745. — Die „Nationalhymne" der „DDR" („Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt"), 1949 verfaßt, ist eine künstliche Schöpfung. T e x t : J. BECHER, Musik: H. EISLER. Die M e l o d i e geht v o m Hymnischen jäh in den Marschrhythmus. — PFEFFER, E.: Deutsche Lyrik unter dem Sowjetstern (Studien zur zeitgenössischen Literatur). Frankfurt 1961. —• Eine eigene Nationalhymne hat Bayern „Gott mit Dir, du Land der Bayern", T e x t : Bayrischer Staatsanzeiger (5. 8. 66). 31 Die französische Marseillaise holt sich ihre M e l o d i e aus einem Oratorium v o n GRETRY (1750). — Eine sehr ansprechende M e l o d i e HAYDNS diente der H y m n e des österreichischen Kaiserreiches, dann der österreichischen Republik. Sie wurde v o n FALLERSLEBEN für das Deutschlandlied ausgeborgt und ist heute die M e l o d i e der deutschen Hymne. — Die spanische Nationalhymne ist in der M e l o d i e ein alter friderizianischer Militärmarsch. 32 V g l . S. 243. 33 Sie ist in Frankreich entstanden, im T e x t v o n E. POTTIER (1871), in der M e l o d i e durch e i n e n A r b e i t e r n a m e n s A . DE GEYTER (1888). 34 Hierzu v g l . ausführl. A n g a b e n bei HAIN, a.a.O., S. 46 ff. sowie die Große S o w j e t Enzyklopädie, Spalten 1637 und 1634—1640. 35 HAIN, a.a.O., S. 46. — V g l . auch GRÜTTNER. In: Volkskunst. Sondernummer März 1954. 36 In das „Frankreichlied" 1940 wurde das Kampflied v o n 1870/71 „Es braust ein Ruf w i e Donnerhall" eingebaut. A n d e r e Lieder („Engelandlied: Bomben, Bomben auf Engeland) waren v o n einer in aller Plumpheit gefährlichen Lautmalerei und agitatorischer Wirkung.

DIB T A T

223

zugeteilte „Unterhaltungsmusik" zum Überwältigungssystem kommunistischer Propaganda.37 Die totalitäre Welt liegt im Zwange eines Übermaßes der politischen Musik. Die freie Welt kennt unter der Überschwemmung mit bloß unterhaltender Musik die Schönheit des Liedes auch zur Feier, eigener Gesinnung und Leistung kaum mehr. Das gilt zum mindesten für die Bundesrepublik. Ein kultureller Fehlbetrag im öffentlichen Leben der freien Welt! Dem großen Massenchor verwandt ist der Sprechchor. Aber er bleibt ohne den Schwung der Melodie und des selbst der propagandistischen Liedmusik noch gebliebenen Restes musikalischen Reizes. Aber er ist Zündkraft in sportlichen Wettkämpfen, auch in der Massenführung wird er in Protest oder Forderung oft geübt, vielfach auch spontan.38 Die Trockenheit des gehackten, fast buchstabierten Textes ist akustisch für den Unbeteiligten schwer zu verkraften. Sprachlich vorbereitete, in wirkliche Rhythmen gefaßte Texte können eine Ausnahme machen.39 Sonst aber sind Sprechchöre die letzte Ausartung theatralisch gestimmter Massenaktionen. Die Tat ist Ziel aller Publizistik und ihr ureigenstes Mittel. Sein Erfolg liegt im persönlichen Einsatz, dem wirklichen oder dem vorgeschützten. Wir kennen die Tat als Vorbild oder als Opferleistung (Martyrium), ebenso auch als natürliche oder vorgespiegelte Aktion, um damit Aufmerksamkeit zu erzwingen. Wir erleben sie politisch bekennend (Aufmärsche, Kundgebungen) und militärisch organisiert (politisches Soldatentum). Wir haben sie als publizistischen Terror erfahren (als anarchistische Tatpropaganda oder in Gestalt der zur Erpressung provozierten Angst). Dramatisch angesetzt erscheint die Tat in allen propagandistischen Formen des Theaters: gespielt, gesungen, vorgeführt, vom politischen Bühnenwerk bis zum Sketch und dem Kabarett und wieder zu den theatralisch-propagandistischen Großformen (Monstretheater, Symbolmärsche, Massentänze und Sprechchöre). Schließlich erscheint das Lied, von Spruchdichtung und Bänkelsang bis zum politischen Kampflied, den agitatorischen Massenchören und den repräsentativen Nationalhymnen.

37 So schon Dostojewskijs Vorschau in den Worten des Großinquisitors: „Ja, wir werden sie zwingen zu arbeiten, in den arbeitsfreien Stunden aber werden wir ihnen das Leben wie ein Spiel gestalten: mit Gesängen, Chören und Tänzen." DOSTOJEWSKIJ, F. M.: Die Brüder Karamasoff. — Vgl. dazu BALLUSECK, L. V.: Dichter im Dienst. Der sozialistische Realismus in der deutschen Literatur. Wiesbaden 1956. 38 Der im NS-Regime bei Hitlerbesuchen von organisierten Massen bis zur Erschöpfung wiederholte Sprechchor: „Wir wollen unseren Führer sehen" nahm unter der enggedrängt harrenden Masse pathologische Formen an. 88 ERICH W E I N E R T in seinem kommunistischen Sprechchor „Der heimliche Aufmarsch" hat den gemeinsamen Refrain eindringlich im Sprechchorstil abgefaßt: „Arbeiter, Bauern, nehmt die Gewehre, nehmt die Gewehre zur Hand, zerschlagt die faschistischen Räuberheere, setzt alle Länder in Brand. Pflanzt Eure roten Fahnen des Siegs auf jede Schanze, auf jede Fabrik. Dann blüht aus der Asche des letzten Kriegs die sozialistische Volksrepublik." Vom Verfasser beim Besuch einer kommunistischen Versammlung 1929 aufgezeichnet.

224

PRAKTISCHE PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN MITTEL

23. Das gesprochene Wort „ . . . et quoniam, quod saepe jam dixi: tribus rebus homines ad nostram sententiam perducimus, aut conciliando, aut docendo, aut permovendo . . . Harum trium partium, prima lenitatem orationis, secunda acumen, tertia autem vim desiderat." 1 CICERO: D e O r a t o r e ,

Lib. II. XXIX, LXXVIII.

a) Rede und

Redner

„Actio" nennen die Römer die Rede.2 Sie treffen damit die Natur des im Deutschen zerfließenden Begriffs und fassen sie publizistisch auf. „Incipit actio" heißt es, wenn die Rede anhebt, und damit ist gesagt, daß sie nach Herkunft und Aufgabe nur in dem Augenblick gewonnen werden kann, wo sie gehalten wird. Jede Rede wird immer nur gelingen („ankommen"), aus der inneren Wechselwirkung zwischen dem Sprecher und dem Angesprochenen. Sie ist ein „monologer Dialog", ein „monologes Drama" (Novalis), ein „Getriebe", die „gegenwärtigste aller Künste" (Naumann). Durch den Sprechenden hindurch stürmt der Stoff auf die Angesprochenen ein und von ihnen auf den Sprechenden zurück. Unhörbar zwar, aber zu fühlen in der wachsenden Wachheit, in stummer Mitsprache der Teilnehmer und gesteigerter Gebefreude des Sprechers. Aus diesem Wechselspiel gewinnt er neue, oft sehr fruchtbare Erkenntnisse weit über den Augenblick hinaus. Die Rede steht, wenn der Stromkreis zwischen Redner und Zuhörer sich geschlossen hat. Jeder Redner muß im Augenblick der Rede die oft völlig zerrissene Hörerschaft durch kühne unmittelbare Ansprache aus der Kraft seiner Persönlichkeit gewinnen. Das ist in jedem Falle auf Tod und Leben der Rede immer ein Wagnis, ein Abenteuer. Daß der Redner gewinnt, ist die Probe seines Könnens, die klare Bewältigung des publizistischen Prozesses aus der Macht der Persönlichkeit. Danach wäre das Wesen der Rede zu umschreiben:

I

Die Rede ist die Überwindving der Zweiheit Redner—Zuhörer zur Einheit des Wollens und Glaubens.

Verbleibender Widerspruch wird nur noch gereizter, erhöht dann den Hitzegrad der Argumentation, ist fruchtbare Spannung. Diese schon in der Antike durchgebildete rhetorische Grundtatsache ist später in den sophistischen Redeschulen verbrämt, aber immer der Kern des Vorganges selbst geblieben.3 Man stand 1 „ . . . wie schon so oft wiederhole ich: Mit drei Dingen zwingen wir die Menschen auf unsere Seite: Wie gewinnen sie, wir lehren sie, wir überzeugen s i e . . . . in der Gewinnung gelassen, in der Lehre scharfsinnig aber kraftvoll im Uberzeugen." (Ubers, d. Verf.) 2 „Oratio" ist die Redeweise, der Stil, die niedergeschriebene Rede; „sermo" die lehrende Sprache, die Vorlesung. ' Auch die von den Redelehrern später entwickelte Gliederungstheorie (Inventio, Dispositio, Elocutio, Memoria, Actio) ist mehr eine Schule disziplinierter Vorbereitung, die dem

D A S GESPROCHENE WORT

225

damals der Rhetorik als wichtigster publizistischer Kraft näher als heute, w o n e u e Mittel hochgewachsen sind und das W e s e n der Rede in der elektronischen Verbreitung g e w a n d e l t ist. 4 Die aktive, die Tatnatur jeder w i r k s a m e n Rede wird auch v o n den jüngeren A u t o r e n festgehalten. So durch A D A M M Ü L L E R in dem immer noch w i r k s a m e n Redebuch 5 : „Die Rede k a n n durchaus nicht eher v o r h a n d e n sein, als der ganze Akkord v o n Menschen u n d Umständen, in die sie eingreifen soll, da i s t . . . Sollte das Geheimnis der Redekunst wirklich w o a n d e r s l i e g e n als in d e m Augenblick, w o s i e durch das Ohr in das Herz des Hörers überströmt?" D i e s e r o m a n t i s c h e W e n d u n g d e s Begriffs k a n n n ü c h t e r n auf e m o t i o n a l e w i e auf i n t e l l e k t u e l l e E r k e n n t n i s s e e r w e i t e r t w e r d e n . A u c h in d e r G e g e n w a r t v e r t r e t e n die wesentlichen Schriften die W i r k u n g der Rede aus der Gemeinschaft Redner— Zuhörer." Auch die Einzeluntersuchung der Erfolge großer Redner k o m m t

an

7

B e i s p i e l e n a u s d e r Geschichte zu d e m g l e i c h e n Schluß. Es ist A u f g a b e j e d e s R e d großen Augenblick des „Vortrags", den auch

DEMOSTHENES

als die eigentliche Voraussetzung

des Erfolges feiert, das Gelingen gewährleisten soll. Alle kleinliche Aufgliederung des Vorganges, die schon

CICERO

beklagte, ist für den Redner bestenfalls „Anwendungsfall",

niemals Gestaltungsgrundsatz. Vgl.

RITZEL, W . :

Phänomenologie der Beredsamkeit. In:

Publizistik 1957, H. 4, S. 209—16. 4 Vgl. dazu S. 232. Doch blieb die „Rhetorica" akademische Studienstufe das ganze Mittelalter hindurch bis in das 1 8 . Jahrhundert, wo noch GOTTSCHED (Leipzig 1 7 3 5 ) eine „Redekunst" schrieb, in der die erstrebte Einheit Redner—Hörer noch als Forderung durchklingt in einer sonst der Stillehre gewidmeten Systematik. HILDEBRANDT, G.: Antike Rhetorik und deutsche literarische Theorie des 17. Jahrhunderts. Marburger Beiträge zur Germanistik. Bd. 13, 1966. In Frankreich war „Rhétorique" Schulfach bis 1902 (classe de rhétorique = Unterprima). — Für die antike Redelehre vgl. PLATON: Gorgias. Uber die Beredsamkeit (reclam). — ARISTOTELES: De Arte rhetorica: Drei Bücher der Redekunst. A.a.O. — C I C E R O , M. T.: De Oratore Libri très. Drei Bücher vom Redner, übers, v. R. Kühner. 6. Aufl. Berlin 1 9 1 4 . — TACITUS, C . : Dialogus de oratoribus. Gespräche über den Redner. Leipzig 1 9 2 6 . — QUINTILLIANUS, M. F.: Institutiones oratoriae. Rednerische Unterweisungen, übers, v. G. Lindner. Wien 1881. Die Bedeutung der Rede im alten Griechenland zeigt JAEGER, W.: Demosthenes. Berlin 1 9 3 9 in einer in der Philologie sonst seltenen Einfühlung in das Publizistische. — V O L K MANN, R . : Die Rhetorik der Griechen u. Römer, Leipzig 1 9 0 1 . — NIETZSCHE, F . : Geschichte der griech. Beredsamkeit. Musarion-Ausg. 1920. 5 MÜLLER, A.: Zwölf Reden über die Beredsamkeit. Leipzig 1816. Neuausgabe durch JENS, W . : (mit einem Essay u. Nachwort, Samlg.: insel Frankfurt 1967, S. 64 f., S . 9 3 u. 108 ff. • Beste der Praxis dienende und aus ihr erlebte Studie: N A U M A N N , Fr.: Die Kunst der Rede. Berlin 1914. Hier ist der Gemeinschaftscharakter der Rede zum ersten Male wieder neu erlebt. — In philosophisch-ästhetischer Begründung bleibt einzigartig DESSOIR, M.: Die Rede als Kunst. 2 . Aufl. München 1 9 4 8 . — FRANK-BÖHRINGER, B.: Rhetorische Kommunikation. Quickborn b. Hamburg 1963 konstruiert philosophisch-soziologisch, hat aber das große Verdienst, A R T H U R SCHOPENHAUERS „Eristik", die klassische Tricklehre der Debatte, wieder abgedruckt zu haben. — WELLER, M.: Das Buch der Redekunst. Düsseldorf 1967. — Mit vielen überzeugenden Beispielen: BIEHLE, H.: Redetechnik. Berlin (Samml. Göschen) 1 9 5 4 . — Von älteren praktischen Redelehren sind immer noch brauchbar: DAMASCHKE, A.: Volkstümliche Redekunst. Jena 1 9 1 8 und SCHWEINSBERG, F.: Rednerschulung. Heidelberg 1948. 7

GAUGER, H . :

u.

H.

15

Publizistik I

METZGER:

Die Kunst der politischen Rede in England. Tübingen 1 9 5 2 . — GAUGER, H . British Political Speeches and Debates from Cromwell to Churchill.

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PRAKTISCHE PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN MITTEL

ners, den großen Augenblick zu gewinnen, das „Geheimnis der Rede" zu erschließen, den Stromkreis der Wechselwirkung aufrecht zu halten (was oft schwer wird) bis „docendo" alles gesagt ist, was gesagt werden soll und „permovendo" das Ganze gedächtnisstark zum Erlebnis geworden ist. In den dazu gegebenen Möglichkeiten ist dem Könner und der Phantasie keine Schränke gesetzt, wenn auch geschmackliche Bedingungen Grenzen ziehen. Die Antike kannte das beinahe bühnenmäßige Auftreten des Redners, er zerriß die Kleider oder schürzte die Toga zu symbolischen Demonstrationen. 8 Noch im Redekampf der Französischen Revolution konnte der Redner weinen. Im Niedersteigen von der Tribüne umarmten ihn der Reihe nach die Freunde. 9 Die Redner der Frankfurter Nationalversammlung zeigen ein uns heute fast unerträgliches Pathos.10 Pathos wird heute gemieden. Wenn der Redner klug ist, strebt er in Kleidung und Auftreten Schlichtheit an. Auch der „Brustton der Überzeugung" ist verschwunden, und anstelle der tönenden Redesprache tritt — oft mikrophonisch gesteigert — das ureigene Sprachtimbre und die Farbe der Mundart. Rhetorisch-systematisch ist auch die Rolle der Rede in der totalitären Führung. Da sind die Erfahrungen Hitlers für jeden noch so in Freiheit gesicherten demokratischen Politiker eine Vorwarnung kommender Möglichkeiten. Im Bd. I des Buches „Mein Kampf" schildert H I T L E R selbst, wie er durch die rednerischen Erfolge („Ich konnte reden!") die ersten Stufen der Macht erreichte und die zwingende Gewalttätigkeit seines Wortes von da an skrupellos benutzte.11 Seine Darstellung der rednerischen Überwältigung in „Mein Kampf" ist in der Sprache banal, aber leider zutreffend, wie die damals verhängnisvolle Auswirkung auf die deutsche Öffentlichkeit zeigte.12 Tübingen 1954. — HERBST, W.: Daniel O'Connel. A.a.O. — HEIBER, H.: Die Rhetorik der Paulskirche. Diss. Berlin 1953. — WERWIE, B.: Jean Jaurès. A.a.O. — HILDEBRANDT, R.: Ferdinand Lassalle und die Anfänge der modernen Massenpublizistik. A.a.O. — DISCH, U.: Der Redner Mirabeau. Hamburg 1965; Diss. Berlin 1965. 8 So der römische Gesandte vor dem Senat Karthagos. 8 In der von den Franzosen auch nach Rußland exportierten „Accolade" hat sich bis heute Ähnliches erhalten. 10

Beispiele bei HEIBER, a . a . O .

Mein Kampf. Vorwort zur Ausg. von 1932. Ebd. (Bd. I): „Jede große Bewegung auf dieser Erde verdankt ihr Wachsen den größeren Rednern und nicht den großen Schreibern. " 12 HITLER, a.a.O., Bd. II. Hier auch Verweisung auf die rednerischen Leistungen der Gegner Deutschlands im Ersten Weltkrieg. — Die rednerische Form und Technik Hitlers ist geschildert bei DOVIFAT, E.: Rede und Redner. Ihr Wesen und ihre politische Macht. Leipzig 1938, S. 135 ff. Die Darstellung entspricht den Voraussetzungen, unter denen damals publiziert werden konnte, enthält aber gleichzeitig, damals verständlich, heute oft übersehen und mißverstanden, die deutliche Kritik am rednerischen Uberwältigungssystem (S. 146 f.). Sie führte damals zum Verbot der Besprechung des Buches. Ein Buch zum gleichen Thema aus krasser NS-Haltung als Gegensatz: KIND, KARL: Der Führer als Redner. München 1939. — Hitlers rednerische Wirkung war übrigens nicht an die deutsche Sprache gebunden. Fremdsprachliche Gruppen, die sein Deutsch unmöglich verstehen konnten, zeigten sich fasziniert. Italienische, holländische, dänische und selbst englische faschistische Gruppen (Mosley) fielen der Suggestion zum Opfer, ebenso wie die zahlreichen Politiker und Publizisten der freien Welt, die Hitler auf dem Obersalzberg — depri11

DAS GESPROCHENE W O R T

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In der rhetorischen Praxis nimmt dieses Grundelement des Rednerischen je nach Aufgabe des Sprechers und der Natur der Zuhörer unterschiedlichen Charakter an. Die moderne parlamentarische Rede hat im Plenum im allgemeinen nur repräsentative Bedeutung. Die Meinung der Abgeordneten wird schwerlich mehr durch die Plenarreden umgeworfen, wohl aber geht sie „zum Fenster hinaus" und sucht dort, neuerdings in der Verbreitung durch die elektronischen Mittel, die, wenn auch einseitige, rednerische Gemeinschaft.13 Staatsreden ermangeln oft, aber nicht immer (z. B. in keiner Weise bei Perikles, Cicero, Pitt, Lincoln, Gambetta, Lloyd George, Churchill u. a.) rhetorischer Elemente. Meist werden sie ihrer Bedeutung wegen, z. B. in parlamentarischen Grundsatzdebatten, abgelesen, was der Tod jeder rhetorischen Wirkung ist. Daher ist in parlamentarischen Geschäftsordnungen (in der des Bundestages § 37) das Ablesen vorbereiteter Reden verboten. Doch sind auch die Reden rhetorisch begabter Staatsmänner immer noch wirksam, wenn Ort und Gelegenheit das ergeben. 14 Die Volksversammlung im breitesten Sinne (Wahlversammlung, Kundgebung usw.) bleibt trotz der groben Multiplikation der Stimmwirkung durch schlechte Lautsprecher immer noch Gelegenheit zu ganz ursprünglich rednerischen Leistungen. Auch in den Diskussionen kommt es — neben manchem leeren Schaum — oft zu köstlichen rednerischen Kunststücken. Auch andere gesprochene Darbietungen, die der Sache nach keine Reden sind und sein können, nutzen rhetorische Zugkraft. Der Vortrag, wenn er nicht überhaupt eine maskierte Rede ist, hat die Aufgabe sachlicher Stoffdarstellung. Er kann aber rhetorische Lichter aufsetzen. Sie helfen dazu, schwierige Fachgebiete anschaulich zu machen. Das Referat zeigt, wie sein Name beweist, nüchternen Übermittlungscharakter, nutzt aber gelegentlich auch rhetorische Schmuckleisten. Die Vorlesung hat ihre sogenannte „akademische Rhetorik". Aus ihrer wissenmierend für den innerdeutschen Widerstand — ihre Aufwartung machten, amerikanische Darstellung CASMIR, F. L.: The Hitler I heard. The Quarterly Journal of Speech Vol. XLIX Feb. 1963 Nr. I. 13 Das ist arrangiert oft wirksam. — über die rhetorische Natur der parlamentarischen Rede vgl. SANDOW, J.: Die Rhetorik im deutschen Bundestag. A.a.O. — über die parlamentarische Rede im 18. Jahrhundert gibt HAMILTON, W. G.: Parlamentarische Logik, Taktik und Rhetorik. 1808. übers, v. R. v. Mohl. Heidelberg 1924 Auskunft. 14 Neuerdings wird auch in Massenversammlungen, die ihrer Weite nach durch die menschliche Stimme längst nicht mehr zu erfassen sind, mit dem Mittel des Mikrophons versucht, eine Gemeinschaftswirkung künstlich herzustellen. So debattierte schon Goebbels mit dem damaligen Reichskanzler Brüning (1932) in Massenversammlungen, indem er in Stücken dessen Rede von der Schallplatte wiedergab und gegen sie polemisierte. Der französische Präsidentschaftskandidat Lecanuet ließ bei den französischen Präsidentschaftswahlen im November 1965 de Gaulle im Film seine „Ansprache an die Nation" halten und polemisierte dagegen. So wird eine Art „Forum" wieder herzustellen versucht. Auch wird versucht, die unmittelbar persönliche Einwirkung des Redners — wie man glaubte — dadurch sogar suggestiv zu steigern, daß man durch eine Fernsehkamera das Bild dieses Redners, während er sprach, auf eine Kinoleinwand oberhalb der Rednertribüne projiziert. So gelegentlich im Wahlkampf 1965. Der Versuch interessierte, weil er originell war, doch verlor der Redner durch die weit überdimensionale Vergrößerung seiner Gesichtszüge an persönlicher Sympathie. 15*

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schaftlichen Wahrheitspflicht nimmt sie — im alten Stil aus der Distanz des Katheders — eine Art Verkündigungshaltung an, geht aber im jüngeren Stil auf lebhafte, oft polemische Stoffdarbietung aus, unter Mitarbeit und Fragen der Hörer. Sie bleibt aber Lehre und ist nicht Rede. Eine besondere Stellung nimmt die Predigt ein. Sie ist „Praedicatio", Verkündigung. Gewiß nutzt sie dabei rhetorische Mittel. 15 Auch der Prediger, gerade er muß sich die Aufmerksamkeit der versammelten Gemeinde sichern. Doch findet er sie aus einer gewissen Autorität und im sakralen Raum aufnahmebereit und in festem religiösen Auftrag. Die Elemente des Glaubens und der Gnade, die dabei wirksam werden, sind publizistisch nicht zu ermitteln. Aber jede wahrhaftige Predigt, wie sie A U G U S T I N U S überzeugend gekennzeichnet hat, ist auch eine Einheit des Predigers mit den Gläubigen im Hinhören auf Gottes Wort. 1 " Eine „gewaltige Sympathie" herrsche, sagt Augustinus, zwischen beiden. „Einer wohnt im anderen", so daß „wir Prediger durch den Zuhörer gewissermaßen gerade das zu lernen scheinen, was wir ihn lehren." Dem Prediger ist von vornherein eine Gesinnungsbasis gegeben, die jeder Redner sich erst erkämpfen muß. Die Predigt ist die Rede im Bereiche des Religiösen, aber aus der Autorität des Sprechers (Priesters), des Raumes (Kirche) und des Auftrags (Heilslehre) und so von eigenem Charakter. Durch die elektronischen Mittel, durch Rundfunk, Fernsehen (auch durch den Film) wird die Rede ihrer unmittelbaren Aktionseinheit, wird sie der fruchtbaren Wechselwirkung Redner—Zuhörer beraubt. Sie verliert damit einen kostbaren Teil ihres Charakters, gewinnt aber dafür publizistische Elemente „artificialiter" eigentechnischer Kraft in der überhöhten Lautung des Mikrophons und dem Tiefblick der Kamera. 17 Die Rede ist das persönlichste aller publizistischen Mittel. Im gleichzeitigen und räumlichen Gegenüber vollzieht sich der publizistische Prozeß aus der wechselseitigen Spannung zwischen dem Sprecher und den Zuhörern mit dem Ziel ihrer Einheit im Wollen und Glauben. Verbleibende Gegensätze erhöhen die Hitze der Argumentation und die Fruchtbarkeit des Ergebnisses. Der rhetorische Grundvorgang geht verdünnt auch in die milderen Darbietungen über, in den Vortrag, das Referat, die Vorlesung, anregend und fördernd. Er paßt sich im Wechsel der rednerischen Aufgabe und der Zuhörer (Staatsrede, Parlamentsrede) den Gegebenheiten an. 15 Zur Geschichte der Predigt vgl. u. a. FENDT, L.: Grundriß der praktischen Theologie. Tübingen 1938, Bd. 1, S. 120 ff. — Ders.: Homiletik. Theologie und Technik der Predigt. Berlin (Samml. Töpelmann) 1949. — LONGHAYE, G.: Die Predigt. Große Meister und große Gesetze. Mainz 1935, S. 7. — HAENDLER, O.: Die Predigt: Tiefenpsychologische Grundlagen und Grundfragen. 3. Aufl. Berlin 1960. 1 8 AUGUSTINUS macht die Predigt zur Zwiesprache und nimmt damit die rhetorische Grundvoraussetzung auch für die Predigt an: „Höre midi, Du Christ, oder nein, höre Du mit mir. Wir wollen zusammen hören, zusammen lernen . . . Hier sind wir alle Schüler, der Himmel ist der Lehrstuhl, von ihm spricht der größte Lehrer, der unser aller Lehrer ist." AUGUSTINUS Sermones. Kap. 56, Abs. 11 und LONGHAYE, a.a.O., S. 124. Ebd. die beste Analyse des Gemeinschaftsgedankens für die Predigt. " Vgl. dazu S. 233 u. S. 260.

DAS GESPROCHENE W O R T

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Zur Wortpublizistik zählen auch die niederen Formen Gerücht und Klatsch, soweit sie spontan oder gesteuert aus dem privaten Raum in der Öffentlichkeit publizistisch zum Tragen kommen (Mundpropaganda, whispering campaign). b) Niedere

Formen der Publizistik

des Wortes

(Gerücht

und

Klatsch)

Gerücht und Klatsch treiben aus der Sphäre des Privaten sensationelle Aussagen unverbürgt, ungeprüft, unverantwortet in den Umlauf von Mund zu Mund. So können sie schließlich in die breiteste Öffentlichkeit gelangen und damit (oftmals politisch eingesetzt) zu publizistischer Wirkung (Flüsterpropaganda, Mundpropaganda, whispering campaign). Gerücht und Klatsch haben einen natürlichen Antrieb, umzulaufen. Selbst wer sie empört erzählt, gibt sie weiter. Immer gehen beide auf das Menschliche (Angst, Furcht, Hoffnung) und im Klatsch auf das Allzumenschlidie ein (Nachrede, Lästerung, Spott, Diffamierung und Haß). In Diktaturen sind Gerücht und Klatsch Zeichen der Rebellion der Ohnmacht gegen die Macht. Die Macht reagiert dann oft sehr scharf, sogar mit der Todesstrafe. 18 In den freien Ländern erträgt man Gerüchte mit einer ärgerlichen Toleranz. Man hält sie für unvermeidbar. Sogar eine umgekehrte Entwicklung setzt ein. Gilt die freie Presse als bestes Mittel, umlaufende Gerüchte zu „killen", so nehmen unter dem Schutz der Pressefreiheit jetzt bestimmte publizistische Typen, meist Zeitschriften, Gerücht und Klatsch in ihre Spalten auf in einer Art „intimer Information" und anzüglicher „badcground"-Berichterstattung. Die Grade der Gefährlichkeit von Gerüchten sind nach Zeit und Umständen verschieden. Klatsch wirkt gefährlich auch im Bereich des nur Gesellschaftlichen. 19 In der publizistisch-wissenschaftlichen Literatur wurde schon früh und mit überraschend anschaulicher Begriffsumschreibung zwischen der zuverlässig geprägten Nachricht und dem verschwommenen Gerücht unterschieden. So nennt P A U L J A C O B M A R P E R G E R 2 0 in einer bereits 1 7 2 6 erschienenen Zeitungslehre „Nachricht" das, was „sich zugetragen hat nach geschehener wohlgegründeter Bestä18 MUSSOLINI erließ schon 1 9 3 0 sein Dekret gegen die „propagatione di notice falsi". Heftig reagierte bei Verbreitung feindlicher Rundfunkmitteilungen das Hitlerregime während des Krieges in Erweiterung des sogenannten „Heimtückegesetzes" (vom 1. 12. 1934) mit der Todesstrafe. In der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands wird die Verbreitung von Gerüchten, z. B. durch Weitergabe von Nachrichten westlicher Sender, in Auslegung des Artikels VI der Verfassung als „Sabotage" mit Zuchthaus bestraft. Vgl. auch: HAGEMANN, W.: Publizistik im 3. Reich. Hamburg 1948. S. 194 ff. 19 Dort nimmt man ihn sogar pathologisch. Man spielt ihm die Rolle des Ventils, der „seelischen Entlüftung" zu, „psychischen Dampf" abzulassen, „Resignation, Unzufriedenheit, Alkoholismus und Magengeschwüre zu verhüten" (Stirling). Auch moralische Wirkungen werden ihm zugeschrieben. „Wir wären alle sicher viel hemmungsloser, wenn wir keinen Klatsch zu fürchten brauchten" (Christian Bock in einer Rundfunksendung). 80 MARPERGER, P. J.: Anleitung zum rechten Verstand und nutzbarer Lesung der Zeitungen. Lübeck 1726.

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PRAKTISCHE PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN MITTEL

tigung" und unterscheidet die „anderen Berichte, die fälschlich und erdichtet, boshafterweise auf übelgesinnter Leute Aussprengen ohne Bestätigung einsehenden Staatsleuten zum Verdruß, boshafter Gesinnung aber zu Lust und Vergnügen mitgeteilt werden". Der Gesinnungskern der Gerüchte ist meist negativ. Unleugbar ist aber auch in spannungsreichen Zeiten bei Kriegsausbruch oder in den Niederlagen und Revolutionen der Pseudonachrichtencharakter des Gerüchtes. 2 1 Seine Macht kann durch viele Beispiele belegt werden. Historisch oft genannt ist der Aufstand der Kieler Matrosen 2 2 1918, als das Gerücht aufkam, die Marineleitung wolle die britische Flotte stellen und in diesem Kampfe „glorreich untergehen". Daraufhin brach der Aufstand der Matrosen los. 23 In beiden Weltkriegen w a r die Propaganda durch genau gezielte Gerüchtverbreitung stark und wirksam. Besonders im Ersten W e l t k r i e g war sie auf der Seite der Entente klug geleitet und erfolgreich, so in England und in den Vereinigten Staaten 2 4 , sie w a r ausgerichtet, auch auf die Neutralen. Die „whispering campaign" wurde damals taktisch und auch strategisch in Gang gebracht. Hitler hat die propagandistischen Erfolge der Entente im Ersten Weltkrieg studiert und die dabei gewonnenen Erkenntnisse auf seine W e i s e genutzt. BELS

GOEB-

errichtete im Propagandaministerium eine eigene Abteilung — ohne Namen

und geheim — , die sich mit allen offensiven und defensiven Formen des Gerüchtes beschäftigte. Sie wurde mit dem Niedergang des Hitlerregimes besonders aktiv, um die Hoffnung auf den „Endsieg" durch die Erwartung der „Wunderwaffe" zu festigen. Genannt sei das kommunistische Gerücht, im Koreakrieg hätten die

21 Im belagerten Berlin April 1945, als durch Abschaltung des elektrischen Stromes das Abhören der fremden Sender nicht mehr möglich war, erhielt sich zäh das von Hoffnung und Erwartung genährte Gerücht, nicht die „Rote Armee", sondern die Amerikaner würden Berlin erobern. Es fanden sich Leute, die behaupteten, amerikanische Soldaten in den südlichen Vorstädten gesehen zu haben. Es ist schwer vorstellbar, was in den Zeiten, wo Menschen zwischen panischer Angst und befreiender Hoffnung hin- und hergerissen werden, an suggestiven Erscheinungen nahezu zum Greifen sichtbar wird, aber gleichwohl Phantome sind. Solches sind dann die „verbürgten" Quellen des Gerüchtes. Furcht und Hoffnung beflügeln es, so wie Neugier, Geltungsbedürfnis und Mitteilungsfreude auch in ruhigen Zeiten den Umlauf immer erneut antreiben. Mit einem Laufieuei ist ihre Bewegung richtig gekennzeichnet. 22 Vgl. hierzu besonders den sehr gründlich gearbeiteten Beitrag von SCHÖNE, W.: Das Gerücht. In: Gestalten und Erscheinungen der politischen Publizistik. Leipzig 1936, H. 8. Dort auch sehr anschauliche Darstellung des Gerüchts in den Dichtungen Ovids und Vergils. — ALLPORT, F. W., u. L. POSTMANN: Psychology of Rumor. New York 1947. — Eine von sieben Mitarbeitern zusammengetragene Erhebung über das Gerücht gibt Human Relation. Vol. I, Nr. 4. Oxford 1948. 23 Vgl. DOVIFAT, E.: Zur Psychologie der niederen Publizistik. Betrachtungen über Gerücht und Klatsch. In: Markierungen. Festgabe für Keilhacker. München 1964, S. 183. 24 Vgl. PONSONBY, A.: Falsehood in war time. A.a.O. — CREEL, G.: HOW we advertised America. A.a.O. — VIERECK, G. S.: Spreading germs of hate. A.a.O. — Zusammenfassung bei PETERS: Das „US-Committee on public information". A.a.O. — Vgl. HITLER: Mein Kampf. Bd. I, Kap. 6. Auswirkungen der publizistischen Gerüchtebildung im Expeditionsheer der Engländer und Amerikaner in Nordafrika 1941 schildert MURPHY, ROB.: Diplomat unter Kriegern. Berlin 1964, S. 107 f.

DAS GESPROCHENE WORT — DER RUNDFUNK

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Amerikaner Pestbazillen abgeworfen. Eindrucksvoll schildert P R A K K E 2 5 die Rolle des Gerüchtes im Kampf der jungen afrikanischen Staaten um ihre Unabhängigkeit. Gerüchte sind unverbürgt in Umlauf gesetzte spannungsgeladene Nachrichteninhalte; sie steigern ihren gefühlsmäßigen, mindern ihren sachlichen Inhalt und legitimieren sich als „vertraulich" scheinautoritär. Sie treiben in erregten Zeiten zu emotionalem Handeln. Planvoll geleitet, erwecken sie Haß und Verleumdung oder phantastische (Sieges-)Hoffnungen. Klatsch ist meist persönlich auf einen Einzelnen gerichtet. Er hält sich zäh, ist schwer wegzubringen und ist immer Nachrede gegen einen Abwesenden. Er kann harmlos sein, sich aber sehr bald zu boshaft kritischen Lästerungen verdichten, und schließlich diffamiert er. Geltungsbedürfnis und das eigene Minderwertigkeitsgefühl machen es dem Klatschenden zum Genuß, den Höheren, den Vorgesetzten, den überlegenen, die politische Persönlichkeit vor einigen lauschenden Zuhörern abzutun. Der Klatsch frißt um sich und blockiert den Betroffenen. Immer bleibt „etwas hängen". Auch bei gutem Gewissen ist es schwer, Klatschfeldzüge zu bestehen. Sie durchhalten zu können, gehört zur Nervenausstattung jedes Politikers. Der Klatsch zählt nicht nur zu den niederen Mitteln der Publizistik, er ist auch niederer Gesinnung. 2 ' c) Der

Rundfunk

Der Rundfunk rechnet — soweit er nicht Sehfunk ist — zu den Mitteln des gesprochenen Wortes. Zwar nutzt er keineswegs nur das Wort, doch steht es in seinen publizistischen Aufgaben an erster Stelle. Für die Nachricht und alle Formen des Berichts (Reportage, Interview), für die mittelbare und unmittelbare Meinungsbildung (Kommentar, Feature, in Handlung geformter Bericht, Hörspiel) bleibt das Wort, auch wenn es in Mischformen gebunden ist, tragendes Element. Allerdings unterliegt auch das Wort, das so durch die elektromagnetische Welle in unbegrenzten Weiten verbreitet wird, wie alle funkische Wiedergabe ganz bestimmten Abwandlungen. Auch der Charakter des Wortes nimmt Besonderheiten an. Sie stammen vom Technischen und sind von dorther „artificialiter" 1 beigegeben. Sie teilen sich der Substanz mit und durchdringen sie. Bei jeder technisch verbreiteten publizistischen Aussage haben wir nun zu prüfen, was „artificialiter" hinzugetreten ist und damit Einfluß auf das Ganze genommen hat. Im Rundfunk ist es das Mikrophon2, das artificialiter entscheidend abwandelt. Auch Kopfhörer und Lautsprecher nehmen Einwirkung auf die Sache. Das Mikro25 PRAKKE, H. J.: Publizist und Publikum in Afrika. A.a.O., S. 86—94, — Auch die in aufgehetzten Massen wütende Spionitis geht oft auf Gerüchtbildung zurück. Vgl. S. 110. 26 Natürlich gibt es audi einen willkommenen Klatsch, der z. B. Filmstars in den Mund der Leute bringt und sie für künftige Engagements und zum Anreiz des Kinobesuches interessant macht. 1 Vgl. S. 33. Gemeint ist die Ende des 15. Jahrhunderts für die damals als magisch empfundenen Vorgänge des Druckes aufgekommene Bezeichnung einer „ars artificialiter scribendi". Das „im Drucke stehen" galt damals so überzeugend in seinem Wahrheitscharakter wie heute das Fernsehen für unkritische Gemüter. 2 Zur Technik des Mikrophons und des Lautsprechers. — RHEIN, E.: Wunder der Wellen. 1954. BRAUNMÜHL, H. J. V.: Aufsätze im Fischer Lexikon, Bd. 9, Frankfurt 1958.

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PRAKTISCHE PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN MITTEL

phon ist in allen Schallereignissen, die es weitergibt, ein vollendetes Ohr, vollendeter als es das menschliche sein kann. Es hört auch die Klänge auf Wellenlängen, die unter oder über den schmalen Wellenräumen liegen, die unserem menschlichen Ohr zugebilligt sind. Darum ist aber das Mikrophon auch in den für uns erschlossenen Wellenlängen hellhöriger als unser Ohr es sein kann. Darum erschrecken wir so oft, wenn wir hören, was das Mikrophon mit unserer Stimme alles anstellt oder mit der Stimme uns bekannter Persönlichkeiten. Das Mikrophon hört in alles akustisch Faßbare, so auch in die Geräusche tiefer hinein und gibt sie besser, gibt sie, so glauben wir, „anders" wieder. 3 Das Hineinlauschen durch das Mikrophon und die abwandelnde Wirkung des Lautsprechers geben das jeweilige akustische Phänomen: das Schallereignis. Es bietet also unserem Ohr eine andere klangliche Wiedergabe, als sie ohne elektronische Vermittlung uns erreichen würde. Sie kommt uns nicht nur übersteigert vor, sie ist es auch.4 Da nach überschlägigen psychologischen Erhebungen die Zahl der „Augenmenschen" die der „Ohrenmenschen" übersteigt, sind die Hörer selten, die — auch außerhalb des Musikempfangs 5 — noch „ganz Ohr" sein können. Ihnen geht die fast gefährliche Eindringlichkeit des mikrophonisch übermittelten Stimmeffekts gar nicht auf oder bleibt unbewußt. W e r aber sich das „Ohr bewahrt" hat, wer sich müht, bewußt zu hören, vor dem erscheint vom Hörfeld in die Hörschau übertragen eine fast konkret plastische Persönlichkeitsvorstellung des Sprechers (ein „auditives Image'"). Damit wird durch die mikrophonische Multiplikation 3 Geräusche können im natürlichen Klang durch das Mikrophon übertragen, häufig nur erkennbar werden, wenn sie künstlich hergestellt oder klanglich aufgebessert (retuschiert) sind. 4 Stimme und Sprechweise im Rundfunk sind zwar publizistisch und künstlerisch erkannt, wissenschaftlich aber bisher nur wenig erforscht. Uber die bisher vorliegenden Erhebungen unterrichtet MALETZKE, G.: Psychologie der Massenkommunikation. A.a.O., S. 114. Neue Erhebungen wurden im Institut für Psychologie an der Wiener Universität angestellt. Nach Stimmproben konnten dort — anhand vorgelegter Fotos — die jeweiligen Sprecher mit einiger Sicherheit ermittelt werden. Ergebnisse vgl. ROHRACHER, H.: Kleine Charakterkunde. 10. Aufl. Wien/Innsbruck 1963, S. 152 f. Im Ausbau der dort eingeleiteten Methode ließe sich eine Psychologie der mikrophonischen Sprache und deren Wirkung erarbeiten. 5 Durch die Einführung des „stereophonen Empfangs" hat der Hörfunk — im Wettbewerb mit dem Fernsehen — wieder an Zulauf gewonnen. Der stereophone Empfang der Musik wird werbemäßig als „High Fidelity" (HF) gewertet, ist eine großartige, aber nur raummäßige Vollendung des Empfanges. DIEFENBACH, W. v.: Praxis der Rundfunkstereophonie. Berlin 1967. Die unmittelbare stimmliche Persönlichkeitswirkung jedoch, das oft geradezu aufwühlende Herausholen klanglicher Persönlichkeitsmerkmale aus der menschlichen Stimme mag durch die räumliche Wiedergabe greifbar „im Räume" stehen, ändert aber die Wesensnatur des sprachlichen Ausdrucks noch nicht. 8 MALETZKE, Psychologie, a.a.O., S. 114. Hier tritt ein Vorgang hervor, der gerade in der Publizistik sich allen einsinnig vortragenden Aussagen aufgeprägt hat: der Anruf und das Erscheinen anderer Sinneswirkungen, hier z. B. aus dem intensiv einseitigen Hören in der Phantasie, das Sehen und schließlich die Schau (sogenannte „Simultanität der Sinneswirkung"). Man vergleiche den gleichen Effekt bei guten Bildern, die simultan Geschmack, Geruch, Luft, Lärm und ähnliches in die Vorstellung bringen. Uber die Weckung fremder Sinneswirkungen aus Wortvorstellungen vgl. SCHROERS, G.: Die Rede als Lebensform. Bonn 1949. S. 91 f.

DAS GESPROCHENE W O R T

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eine vielleicht umstrittene, aber anschauliche Deutung des Begriffs „Person" bekräftigt, hergeleitet von „persona" und „personare"7. Aus seiner Stimme also klingt das für einen Menschen Wesentliche heraus. Im Klang verleiblicht sich die Persönlichkeit, sie wird „Personanz" und als „Person" bezeichnet. Auch ohne die elektronische Profilierung ist die menschliche Stimme längst Gegenstand der Ausdruckswissenschaft. 8 Dabei werden bestimmte Stimmtypen fixiert und in den Stimmanalysen Kräfte aufgezeigt, die dann auch im publizistischen Prozeß, zunächst der Rede, dann ebenso im gesprochenen Wort des Rundfunks anspruchsvoll auftreten. Ihre Wirkung vollzieht sich bewußt oder unbewußt." Beachtenswert ist die mangelnde akustische Vokabulatur, stimmliche Tonfeinheiten zu treffen. Mit Hilfsbegriffen akustisch fremder Vorstellungen sucht man sich zu helfen. 10 Es spricht daraus der Wille, akustisch Erlebtes anschaulich zu machen. Ohne wissenschaftliches Maßwerk, aber in intuitiver Erkenntnis der enthüllenden Wiedergabe menschlicher Stimmen durch das Mikrophon hat sehr früh schon ( 1 9 2 4 ) E R N S T H A R D T ( 1 8 7 6 — 1 9 4 7 ) , der erste Intendant des Westdeutschen Rundfunks die Stimmen der Menschen vor dem Mikrophon charakterisiert. So schrieb er, diese Stimmen seien dann für sie wie ein „Jüngstes Gericht", bar jeder Schonung und zeigten krass ihre wahre Natur.11 7

Lateinische Bezeichnung ursprünglich für die Maske des Schauspielers. Durch sie klang die Stimme der dargestellten Persönlichkeit hindurch, später auf den Schauspieler selbst und dann auf jede Person angewandt. 8 Intuitiv gewinnt NIETZSCHE diese Erkenntnis: „Das Verräterische . . . ist nicht das Wort selber, sondern Ton, Stärke, Modulation, Tempo ..., die Musik hinter den Worten, die Leidenschaft hinter dieser Musik, die Person hinter dieser Leidenschaft." — Entsprechende psychologische Tests auch bei ROHRACHER, a.a.O., S. 1 4 7 . 8 Vgl. zum Problem Stimme und Person das aufschlußreiche Werk von MOSES, P. J.: Die Stimme der Neurose. Stuttgart 1956. Der Verfasser findet in der pathologischen Analyse eine Fülle von Erkenntnissen der Stimmwirkung, ohne sie, freilich von wenigen Hinweisen abgesehen (S. 85), publizistisch anzuwenden. Gewertet durch TH. W. A D O R N O : Physiognomik der Stimme. In: Frankf. Allgem. v. 6.4.1957. — Schon Quintilian hat Tonfall und Stimmfarbe in seiner rhetorischen Theorie untersucht. Der Arzt GIOVANBATISTA DELLA PORTA (1545—1615) schrieb eine Humana Physiognomica (Rouen 1650), in der die Physiognomie des Gesichtes neben die der Stimme gestellt wird. Weitere Literatur bei MOSES, a.a.O., S. 93 ff. Ebd. auch amerikanische Literatur. 10 „hoch", „tief", „mittel" sagt nicht viel. „Tenor", „Sopran", „Bass" ist musikalisch. „Rauh", „sanft", „geschmeidig", „brüchig", „leer", „kalt", „samnet", „erzen" holen Bilder aus anderen Sphären. Aus dem Tierreich stammt „krähend", „krächzend", „bellend". In harter Polemik: „kräzig", „fett" und „versoffen". Von fachwissenschaftlichen Bezeichnungen (wie sie ROHRACHER, a.a.O., S. 153 gibt) ist hier abgesehen. — Vgl. auch TRAJAN, J.: Der Ausdruck von Stimme und Sprache. Wien 1948. 11 Hier einige Sätze des Textes: „Gelehrte werden manches Mal in der Wiedergabe ihrer Stimmen zu klingenden Schellen, Staatsanwälte zu Verbrechern, Dichter und Kritiker zu Eitelkeitsakrobaten und dummen Selbstbespieglern. Während ein Ethiker vom Werte der alles verzehrenden Menschengüte doziert hört man heraus, daß er selbst ein ungütiges Luder i s t . . . Singende Kinderstimmen vor dem Mikrophon machen an Engel glauben, hier addiert sich die Unschuld, während die einzelne Kinderstimme oft schon den angeborenen Racker verrät." 1924. Wort und Rundfunk. In: Rundfunk und Fernsehen. 1949, H. 3—4. Die Antike hatte die kennzeichnende Rolle des gesprochenen Wortes längst begriffen. (SOKRATES: Sprich, damit ich Dich sehe! PLATO verlangte „das lebendige Wort".) Im sprach-

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P R A K T I S C H E PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN MITTEL

A l s nächstes Wirkungselement des Hörfunks gilt das isoliert individuelle Zuhören.12 Die Sendung kommt in das Heim, in die dem Hörer ganz vertraute Umgebung. Sie nähert sich ihm (akustisch) auf einen halben Meter. Sie bietet sich an, w o sie rundfunkgerecht ankommt (also nicht als Übertragung etwa einer Großkundgebung), w i e ein Dialog, mit einem zwar unsichtbaren, aber aus der Stimme greifbar nahen Sprecher. Der „Plauderton" ist daher die dem Rundfunk eigene publizistisch bewährte Redeform. 13 Aktualitäten jeder Art, Ereignisse v o n allgemeiner Bedeutung, Feste, Feiern, Freizeit, aber auch politische Spannungszustände und Sensationen, unmittelbar (live) übertragen, geben dem Zuhörer das Gefühl des Dabeiseins. Das ist das dritte W e s e n s e l e m e n t des Rundfunks. Er treibt bei einiger Vorstellungskraft des Hörers das Hörbild zur Hörschau, dem Hörerlebnis und steigt damit in die Spitze des akustisch Erreichbaren. 14 Die so g e g e b e n e und zunächst völlig neue publizistisch-politische Einwirkung auf die Öffentlichkeit konnte in den Anfangsjahren des Rundfunks natürlich nicht ohne weiteres erkannt und angewandt werden. 1 5 In der allgemeinen Wertung

liehen Austausch erst kam die Erkenntnis. Der Dialog „Kratylos" (330 v. Chr.) analysiert die Lautkräfte der Sprache mit einer Lebendigkeit, die deutlich auch auf die stimmliche Wirkung ausgeht. CICERO nennt Stimme und Sprache des Redners „vinculum societatis". Mit dem politischen Element ist das ästhetische immer verbunden. Vgl. ROHDE, G.: Studien und Interpretationen. Berlin 1963. Hier sehr lehrreiche Beispiele aus den Studien der Publizistik in der Antike. 12 Der besondere Fall des Gemeinschaftsempfanges, wie er z. B. in Entwicklungsländern geübt ist, sei hier nicht weiter untersucht. Er vollzieht sich nach den Regeln des Kinobesuches. 13 ROOSEVELT hat bekanntlich seine dritte Wiederwahl gegen die Mehrheit der Presse, durch Rundfunkplaudereien durchgesetzt, die sich am Kaminfeuer (daher „fireside Chats") als „Gespräch mit Freunden" abspielten. Ähnlich vertrat — in lebhafter ganz persönlicher Unterhaltung — der General QUEIPO DE LLANO in funkischen Kurzkommentaren den Erfolg Francos vor der spanischen Öffentlichkeit (S. S. 27 Anm. 25). 14 Dabei ist auch die Rundfunksendung fähig, die übliche Technik einsinniger publizistischer Mittel zu nutzen, andere Sinneswirkungen zur Begleitung zu entwickeln, wie also etwa im Bewußtsein des Hörers aus akustischen Klängen in die Vorstellung räumlicher Vorgänge. Wir bezeichnen das als räumliche Assoziation, ähnlich beim Bild kann die optische Assoziation erscheinen, vgl. S. 232. 15 Jedes neue technische Mittel publizistischer Aufgabe kann nicht sofort vor den Zeitgenossen in seiner Wirkung übersehen werden. Das gilt für die Anfänge des Buchdruckes (als man vor Schrecken auf die Zensur verfiel), für den Film (der als Schaubudenrummel zunächst verachtet wurde) und für den Rundfunk, den man im Anfang in Deutschland als ein Volksbildungsmittel ansah und unsicher experimentierte, bis seine politischen Faktoren hervortraten. Vgl. die aufschlußreiche Darstellung von LERG, W. B.: Die Entstehung des Rundfunks in Deutschland. Herkunft und Entwicklung eines publizistischen Mittels. Beiträge zur Geschichte des deutschen Rundfunks. Bd. 1. Frankfurt am Main 1965. — POHLE, H.: Der Rundfunk als Instrument der Politik. Zur Geschichte des deutschen Rundfunks von 1923 bis 1938. Hamburg (Hans Bredow-Inst.) 1955. Hier ist die selbst im deutschen Reichstag bestehende Unsicherheit, mit dem Instrument Rundfunk politisch umzugehen, anschaulich belegt. — BAUSCH, H.: Die Rolle von Hörfunk und Fernsehen in der Demokratie. In: Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Publizistik. Bd. 6. München 1966. REICHERT, H. U.: Der Kampf um die Autonomie des deutschen Rundfunks, Stuttgart u. Heidelberg 1955.

DAS GESPROCHENE W O R T

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— die zu Beginn nur ein Unterhaltungs- und Bildungsmittel suchte — wurde man sich der politischen Natur zu spät bewußt oder fürchtete auch ihre Wirkung. Während darüber noch beraten wurde, kam Hitler zur Macht. Ab Februar 1933 gliederte er den Rundfunk skrupellos in seinen Propagandaapparat ein. Er erweiterte das bis dahin als politische Macht noch verkannte Instrument zu einem planmäßig und zielbewußt angewandten staatlich und parteipolitisch gelenkten Mittel der Führung und Überwältigung. Das Hitlerregime nutzte dabei die hier so leicht gegebene technische Fälschungsmöglichkeit aus, da im Rundfunk die Technik die Fälschungen ebenso möglich macht wie verantwortungsbewußt geführte subjektiv-wahrhaftige Kundgebungen. Die Technik vermag beides: entstellen oder getreu sein. Der nationalsozialistische Rundfunk manipulierte ab 1933 deshalb mit Erfolg, da die Zahl der naiven Hörer, die der imponierend neuen Technik aus eigenem Urteil nicht gewachsen waren (und die ihm verfielen), damals noch groß war. Die Verfahren sind heute bekannt. Der Sender kann über-, ein- und ausblenden, Frequenzen abschneiden oder umstellen, Mikrophone in gute oder böse Positionen bringen. Der Rundfunkmann kann einkopieren, aktuelle Vorgänge künstlich (von Schallplatten) herstellen, auch live-Sendungen als „Dokumente" darbieten, sie aber durch überlagerte Einschaltungen und geeignete Auswahl in ihr Gegenteil kehren, und anderes mehr. „Suggestivtheater". 15 ® Damit ist die publizistische Natur des Mittels klar. Das gesprochene Wort erreicht die Dimension unbegrenzter Weite und bleibt doch, einsinnig empfangen, Organ persönlicher Ansprache. Darüber hinaus hat der Rundfunk für sich Eigenformen kultureller und unterhaltender Leistungen aus seiner besonderen Natur entwickelt. Unter ihnen steht die Musik ernster oder leichter Art oft mit mehr als 60 °/o aller Sendungen an der Spitze. Die vielmals täglich, aber zu festen Zeiten gegebenen Nachrichtensendungen können sich, sachlich zuverlässig und vollständig, zu Spitzeninformationen äußerster Aktualität entwickeln, ebenso aber auch in suggestive und bösartige Nachrichtenpolitik verfallen, je nach den politischen und rechtlichen Voraussetzungen. Das Hörspiel16 ist zu einer funkisch-individuellen Höhe ins Künstlerische gewachsen, Features binden Reportage und Dokumentation zu fesselnden Sendeformen, die Übertragung aktueller Ereignisse jeder Art, durch Spannung und Anschaulichkeit zugkräftig, ergänzen die Vielfalt des Dargebotenen in einer breiten Skala oft sehr unterschiedlicher, notwendig unterschiedlicher Werte. 17

15a

Vgl. S. 112. Aus der großen Literatur nennen wir KNILLI, F.: Das Hörspiel in der Vorstellung der Hörer. Graz 1 9 5 9 . — SCHUPITZKE, H.: Das Hörspiel. Köln und Berlin 1 9 6 3 . Hier Literaturangaben. — FUNKE, H. G.: Die literarische Form des deutschen Hörspiels. Mainz 1963, und HAESE, J.: Das Gegenwartshörspiel in der SBZ, a.a.O. 17 GRIMME, A.: Die Sendung der Sendung des Rundfunks. Frankfurt a. M . 1 9 5 5 . Eine belegte Darstellung des Programms und seiner Wirkung beim Hörer gibt EBERHARD, F.: Der Rundfunkhörer und sein Programm. Abhandlungen und Materialien zur Publizistik. Bd. 1. Berlin 1962. 16

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PRAKTISCHE PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN MITTEL

Zusammengefaßt: Der Rundfunk übermittelt drahtlos-elektrisch einer räumlich getrennten, fast unbegrenzten Hörerzahl Nachrichten, Hörberichte, Hörbilder oder lebendig unmittelbare (live-) Übertragungen von Zeitereignissen durch die gesteigerte Lautung des Mikrophons. In einer einfach zu bedienenden Apparatur, einsinnig, nur durch das Ohr, aber in gewohnter Umgebung abgehört, entwickelt sich die Sendung in der Vorstellung des Hörers zum Hörbild, zur Hörschau, zum Hörerlebnis. Das Bewußtsein des Hörers, akustisdi mit Millionen gleichzeitig an Ereignissen unmittelbar beteiligt zu sein, erhöht seine publizistische Anteilnahme. Kulturelle und unterhaltende Sendungen binden den Hörerkreis und halten ihn aufnahmebereit für publizistische Aussagen. Die Organisation des Rundfunks ist angesichts seiner publizistisch-politischen Strahlungen und seiner geistigen Führungskraft durch die jeweilige Verfassungsform des Staates entscheidend bestimmt.18 Im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat steht die Freiheit des Rundfunks der Pressefreiheit gleich.1' Je nach den technischen Voraussetzungen und der Zahl und Aufteilung der Wellen wird er hier in drei Organisationsformen betrieben. Die kommerzielle Form entwickelt unter einer nur allgemeinen gesetzlichen Regelung viele durch Wirtschaftswerbung finanzierte Stationen (USA). Demgegenüber zeigt eine politisch oder konfessionell gegliederte Form eine Mehrzahl fest ausgerichteter Sender, durch Gebühren über eine Dachorganisation finanziert (holländisches System). Die dritte Organisationsform, die einer Mehrzahl von Sendern als „Körperschaften öffentlichen Rechts" geht darauf aus, in Freiheit, loyal und paritätisch die pluralistischen Meinungen in Sendeform und Sendezeit gegeneinander auszugleichen. Staatsfreie autonome Körperschaften (Rundfunkräte, Verwaltungsräte) überwachen die demokratische Grundhaltung (England BBC, Deutsche Bundesrepublik und West-Berlin) .20 In den totalitären Staaten ist der Rundfunk durch „Staatliche Rundfunkkommissionen" oder Propagandaämter nach dem Willen der Einheitspartei fest ausgerichtet und in die einheitliche publizistische Führung der gesamten Öffentlichkeit eingeordnet 21 (Politbüro, Propagandaministerien). 18

Vgl. dazu und zum Folgenden die systematische Darstellung, S. 193. „In der Demokratie ist die erste politische Voraussetzung des Rundfunks, daß er unparteiisch ist. Ich bin gewiß, daß dieses Verlangen für jeden Rundfunkbetrieb innerhalb einer Demokratie Geltung besitzt, unabhängig davon, wieviel Rundfunkeinheiten in einem Staate bestehen. Das Entscheidende in einer Demokratie ist der Grundsatz, Streitfragen durch das Volk entscheiden zu lassen, nachdem es alle Aussichten gehört hat. Dazu bietet der Rundfunk wirksame und unabhängige Möglichkeiten." So Sir WILLIAM HALLEY, ehem. Generaldirektor der BBC, Verw.-Direktor der TIMES. In: Verantwortung und Aufgabe des Rundfunks. Ein Vortrag, geh. am 11. Mai 1948. Sonderdrude des NWDR 1948. 20 Einzelheiten dieser Organisationsform s. S. 195. 21 „Der Rundfunk ist der geistige Willensträger der politischen Führung. Das Sprachrohr des Führers." HADAMOVSKY, E.: Propaganda und nationale Macht. Berlin 1 9 3 6 . In der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands untersteht der Rundfunk dem „Staatlichen Rundfunkkomitee" und dient der „sozialistischen Erziehung der Werktätigen", vgl. S. 168. Zur Systematik der kommunistischen Ideologie des Rundfunks vgl. HAESE, J.: Das Gegenwarts18

DAS GESPROCHENE W O R T

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Der Rundfunk ist das erste publizistische Mittel, d e s s e n Weitenwirkung keine Grenzen kennt. Der Einsatz v o n Störsendern kann die Aufnahmemöglichkeit zwar beeinträchtigen, der v o n den Regierenden so oft gefürchtete Begriff der „geistigen Contrebande" ist jedoch überwunden. Damit setzen Entwicklungen ein, die eine Weltöffentlichkeit und ein publizistisches Weltbewußtsein möglich machen. 22 Gegenwärtig sind es freilich noch große Sendergruppen der ideologisch gegeneinander gerichteten Länder, die im Ätherkrieg kämpfen oder doch im Bemühen, sich propagandistisch zu überspielen. Ganze akustische Batterien stehen in Front, gegeneinander. 2 3 A u s der Bundesrepublik Deutschland leistet der Sender „Deutsche Welle" eine Informationsarbeit in deutscher Sprache auf 23 Frequenzen in alle außereuropäischen Erdteile, ebenso fremdsprachlich in 27 Sprachen in insgesamt 47 Stunden Sendezeit pro Tag mit 75 °/o des Gesamtprogramms in 5 Minutensendungen aufgeteilt über e t w a 130 Frequenzen. Für ganz Deutschland und Europa arbeitet der „Deutschlandiunk" seit 1961 zu dem Ziele, den freien Teil Deutschlands vor den Rundfunkhörern Europas zu repräsentieren. Er sendet ein deutsches Programm mit 1 0 , 8 % aktuellem und 89,2 %> kulturellem Programm. Ebenso ein fremdsprachiges Informationsprogramm in 10 Sprachen, vornehmlich der Länder des Warschauer Pakts, sowie in französisch, englisch und in den nordischen Sprachen. 21 Der unter sowjetischer Macht stehende Teil Deutschlands betreibt durch „Radio hörspiel in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. A.a.O., S. 13—21. — Vgl. hierzu auch die S. 167 gegebenen totalitären Führungsformen. 22 Wellenbereiche gibt es in einer geographisch vielfältigen Unterscheidung. Die Ultrakurzwelle (87,5—100 MHZ) verbreitet sich bei ausgezeichneter Tonqualität im Bereich von 60 bis 100 km. Die Kurzwelle (2200—25 000 KHZ) überbrückt durch atmosphärische Reflexion jede Entfernung, ist aber am Orte der Sendung und in näherer Umgebung nicht zu hören, die Langwelle (150—500 KHZ) ermöglicht bei entsprechender Antennenhöhe und großer Sendeleistung vor allem in Flachlandgebieten Empfang auf weite Entfernung (Stimme Amerikas München 1000 KW, Moskau I 500 KW), die Mittelwelle (500—3000 KHZ) ermöglicht, da sie nur geringe Reichweite hat, Betrieb mehrerer Sender auf gleicher Welle bei entsprechendem Abstand. 23 Für die USA senden u. a. „Radio Free Europe" (gegr. 1950) in die Staaten des Warschauer Pakts in deren Sprachen und Dialekten. Auf Mittelwelle (Holzkirchen) und auf Kurzwellen (Biblis in Hessen und 18 Sender in Portugal) werden rund 90 Frequenzen benutzt, um Störsendern auszuweichen. „Radio Liberty" spricht in 17 Sprachen zu den Völkern der Sowjetunion. Die Sowjets antworten mit ähnlich starken Mitteln, neuerdings besonders auch mit Sendungen in die jungen afrikanischen Staaten, haben aber auch kostspielige Störsender in Betrieb zu halten (allein 400 Störsender in der „DDR"). Friedliche werbende Einflußnahme sucht die von einem freien amerikanischen Komitee getragene „Voice oi America" in 9 Sprachen auf Lang-, Mittel- und Kurzwelle. Ähnliche Sendersysteme stehen im subasiatischen Raum gegeneinander. In großer Form arbeitet für Großbritannien und die Staaten des Commonwealth in vielen Sprachen der überseedienst der BBC. Als Weltsender katholischer Grundhaltung arbeitet „Radio Vatican". Vgl. INTERNATIONALES HANDBUCH FÜR RUNDFUNK U N D FERNSEHEN. Hrsg. v. Hans Bredow-Institut. Hamburg 1 9 6 5 / 6 6 , S. 2 1 0 u. 2 1 3 , sowie NACHTRAG ZUM H A N D B U C H 1 9 6 5 / 6 6 . — Vgl. auch LEILING, O. H.: Funk, ein neues Weltreich. A.a.O., S. 317. 24 Vgl. Deutschlandfunk, Jahrbuch 1965/66, S. 102 ff. Beide Anstalten sind zwar bundesreditlich begründet, sind aber durch überparteilich bestimmte Aufsichtsgremien geleitet und kontrolliert. Desgl.: Jahrbuch 1967. S. 97.

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PRAKTISCHE PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN MITTEL

Berlin International: die Stimme der DDR" in neun Sprachen, darunter Suaheli, ein 23stündiges Auslandsprogramm.25 Der Erdball ist eng umsponnen von einem engmaschigen Netze durcheinanderoder aufeinander gesteuerter Wellen. Sie vermögen sich technisch getrennt zu halten oder mit Störsendern sich zu erwürgen, publizistisch und politisch stehen sie heftig gegen- oder miteinander in einer Diskussion rund um die Erde. Die neue Technik der Nachrichtensatelliten erst läßt erwarten, daß früher oder später von dort her eine rationale Ordnung, eine Verkehrsdisziplin, sich vielleicht entwickelt. Das Zeitalter einer permanenten Weltdiskussion hebt an, an der jeder mindestens als Zuhörer teilnehmen kann. Die Menschheit wäre dann in einem Versammlungsraum beieinander. d) Schallplatte

und

Bandaufnahme

Die Schallplatte gehört mit den Teilen ihrer Aufzeichnungen und Verbreitung in die Publizistik, die öffentlich, d. h. aktuell bedingt und gesinnungsbestimmt ihre Wirkung tun.29 Dahin gehören die großen dokumentarischen Aufnahmen reaktualisierter Geschichte27 der Zeit des Hitlerregimes oder der Weltkriege, die Schallplatten mit aktuellen Wiedergaben großer Reden, Kundgebungen und Veranstaltungen mannigfacher Art und bestimmten kritischen Aktionen (politisches Theater, Kabarett, politische Lieder usw.).28 Audi der Gesetzgeber hat die publizistische Natur der Schallplatte anerkannt, da sie auch publizistische Stoffe verbreitet. 29 So hat der „Modellentwurf für ein Landespressegesetz" (1.2.1963) unter der Begriffsbestimmung was „Presse" ist, neben Druckwerken ausdrücklich „mittels eines zur Massenherstellung geeigneten Vervielfältigungsverfahren" verbreitete Inhalte, also auch „besprochene Tonträger" (§ 7 [11]) einbezogen. Von dort ist die Bestimmung in die Mehrzahl der Länderpressegesetze übergegangen (so in die BadenWürttembergs, Niedersachsens [§ 7] und des Landes Berlin § 6). Audi die Anwendung des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften ist durch eine Novelle vom 9. 6. 1953 auf die Schallplatte ausgedehnt worden. Nach dem alten Reichspressegesetz von 1874, das, ohne Schallplatten zu kennen, von „jeder" Massenvervielfältigung sprach und damit künftige Entwicklungen bereits umgriff, 25 SBZ von A—Z. Hrsg. v. Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen. 10. Aufl. Bonn 1966, S. 407 ff. — Totalitäre Organisationsformen des Rundfunks vgl. S. 167. 26 Zu den Mitteln der sogenannten „Massenkommunikation" gehört die Schallplatte unumstritten, zur Publizistik nur in Teilen. Vgl. die sehr überzeugende Darstellung von VIEDEBANTT, J.: Die Rolle der Schallplatte. In: Die Massenmedien in der Demokratie. Bd. 6 der Schriftenreihe der Deutschen Studiengesellschaft für Publizistik. München und Berlin 1966, S. 52 ff. — REICHARDT, R.: Die Schallplatte als kulturelles und ökonomisches Phänomen. Zürich 1962. 27 Vgl. S. 27. 2 8 Vgl. KIESLICH, G.: Zeitgeschichte auf Sdiallplatten. In: Publizistik 1959, H. 5, S. 278—295. 29 Von 45 Millionen jährlicher Schallplattenproduktion verbreiten 70 °/o Unterhaltungsmusik. Die restlichen 3 0 % (13,5 Millionen) verbreiten ernste Musik und Stoffe, die wir die „publizistischen" nennen.

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DAS GESPROCHENE W O R T

hat die Rechtsprechung den Begriff „Druckschrift" auch auf die Schallplatte angewendet. Was für die Schallplatte gilt, gilt ebenso für die fixierte oder bei Gelegenheit politischer Ereignisse hergestellte Bandaufnahme. Schallplatte und Bandaufnahme sind, soweit sie publizistische Stoffe wiedergeben, bei der großen Verbreitung auch transportabler Platten und Bandgeräte und deren Nutzung in politischen Kundgebungen öffentlich und halböffentlich in Arbeits- und Freizeitkreisen besonders der Jugend ein in seiner Art wirksames publizistisches Mittel. Dies um so mehr, weil Schallplatte und Bandaufnahme auch daheim akustisch immer wieder gehört, so wie die Zeitung immer wieder gelesen werden kann. Zudem ist die Schallplatte regelmäßige Materiallieferantin für Hörfunk und Schulfunk.

24. Zeichen, Symbole, Bilder „Die Symbolik verwandelt die Erscheinung in die Idee, die Idee in ein Bild und zwar so, daß die Idee im Bilde immer unendlich wirksam unerreichbar bleibt und selbst in allen Sprachen ausgesprochen doch unaussprechlich bliebe." J . W . v . GOETHE 1

„Symbols are the shorthand of ideas."

A . KETCHUM 2

a) Symbole

in der publizistischen

Praxis

Diese Zitate zeigen die Idee und die Praxis des Symbols. Nichts wäre falscher, nichts auch gefährlicher als diese Unterscheidung zu verkennen. Die ewig unbelehrbaren Rationalisten publizistischen Lebens pflegen die immer dagewesenen und immer wiederkehrenden Kämpfe um Symbole — etwa den Streit um Flaggen oder Hymnen — als bloße Zankereien um Ideologisches abzutun. Sie raten, man solle „die Realitäten sehen" und rufen „zur Sache". Aber eben das Sachliche sind die Symbole, wenn man ihre Werbekraft einsetzt. Sie sind der verkörperte Inbegriff, wirkender Tatsachen. Zeigte nicht der Flaggenstreit zwischen Schwarz-Rot-Gold und Schwarz-Weiß-Rot in der Weimarer Republik die innersten Gegensätze, an denen dieser Staat schließlich scheiterte?3 Hitler hat danach bewußt das traditionelle Schwarz-Weiß-Rot, das die Kampffarbe des konservativen Nationalismus geworden war, als die Grundfarben seiner Propagandafahne genommen. Danach hatte er es leicht, das legendär völkisch und judenfeindWerke, Hamb. Ausg. Bd. XII, S. 470 (Maximen und Reflexionen). Uncle Same. The man and the legend. New York 1959, S. 2 u. S. 123. — Vgl. auch LASSWELL, H. D.: The comperative study of symbols. California 1954. 3 Vgl. WENTZKE, P.: Die deutschen Farben. Heidelberg 1927. — ZECHLIN, E.: Schwarz-RotGold und Schwarz-Weiß-Rot. Berlin 1926. 1

2

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PRAKTISCHE PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN MITTEL

lieh gedeutete Hakenkreuz auf das rote Fahnentuch zu kombinieren und für das so konstruierte Symbol Anbetung zu verlangen. 4 Die oft suggestive Wirkung des Symbols liegt in seiner aus der Tradition kommenden volkstümlichen, um nicht zu sagen massenpsychologischen Zugkraft. Politische Symbole sind häufig aus Ereignissen nationaler Geschichte hergeleitet und damit von emotionalen Vorstellungen erfüllt, die sie in einer eigenen bildstarken Form verkünden. Jedes Symbol faßt zusammen (to Symbolen = allgemein machen5). Es ist ein äußeres Zeichen für einen inneren Vorgang, der ausstrahlt, Gemeinsamkeiten schafft und bindet. Im religiösen Leben schlägt das Symbol sinnfällig die Brücke zur übersinnlichen Wirklichkeit." Publizistisch gesehen, erzeugt das Symbol „selbstmächtig" (TILLICH), also aus eigener Kraft, dynamische Vorstellungen, faßt sie in eindrucksvolle klare Formen. Audi ohne unmittelbar anschaulich7 zu sein, weisen sie in einen ideell erstrebten Raum oder feiern auch propagandistisch eingehämmerte Tatsächlidikeiten. 8 Sie sind „keine zufällige Hülle des Gedankens, sondern . . . wesentliches Organ".8 Wir unterscheiden in der publizistischen Praxis — um die es uns hier alleine geht — die Symbole dreifach: als Zeichen (sachliche und persönliche), als Lieder, als Handlungen. 1. Symbolzeichen Sie sind die zahlreichsten (Kreuze, Fahnen, Farben, Wappentiere, Kokarden, Abzeichen usw.). Unter ihnen ist das christliche Kreuz das einfachste, das einprägsamste: der rechtwinkelige Schnitt zweier Linien, die eine zur Höhe weisend, die andere die Welt umarmend.10 Immer wieder ist es hoch erhoben und ebenso schwer 4 HITLER: Mein Kampf. A.a.O. zeigt Hitlers Überlegungen beim Entwurf der Fahne und Flagge. Bd. II, 552—554. Alle totalitären Mächte haben sich um wirksame Symbole gekümmert, mehr als die Demokratien. Die Traditionsbindung mag echt oder künstlich reaktualisiert sein (die spanische Falange führt ein Pfeilzeichen aus dem 14. Jahrhundert). Ohne bestimmte traditionelle Anklänge geht es nicht. Der Versuch der demokratischen Gruppen, gegen das Hakenkreuz ein aus drei Pfeilen bestehendes Gegenzeidien zu schaffen, versagte. Die drei niederzeigenden Pfeile wurden als Zeichen dreifachen Niedergangs der Demokratie verspottet (Vorsicht mit leicht entstellbaren Zeichen!). 5 Im Gegensatz zu „diabolein", zerreißen, „Diabolos", der Verleumder, der Verführer. 6 In der religiösen Welt ist der Wert des Symbols tiefgehend und reich entwickelt. Vgl. TILLICH, P.: Das religiöse Symbol. In: Systematische Theologie. Bd. 2. Stuttgart 1958. — RAHNER, K.: Zur Theologie des Symbols. Einsiedeln 1960. — Für allgemein psychologische Deutungen sei verwiesen auf JUNG, C . G . : Psychologische Typen. Zürich 1950, S. 227. — Für die Tiefenpsychologie auf PHILLIPS, J . H . : Psychoanalyse und Symbolik. Stuttgart/Bern 1962. — Die Auffassungen FREUDS in dessen gesammelten Werken. London 1952. Bd. I, S. 83 f. sowie in Bd. 16, S. 205 f. 7 Im Gegensatz zu „Allegorien" nach dem griechischen Wortsinn „das gleiche, nur anders, vergleichend sagen". 8 Sehr umfangreiche Literatur im JAHRBUCH FÜR SYMBOLFORSCHUNG. Basel/Stuttgart 1 9 6 1 f. Hier K Ü H N , H.: Das Symbol in der Vorzeit Europas. Bd. 2 , S. 1 6 0 — 1 8 3 . Vgl. auch DITTMAR, H.: Symbol der Sehnsucht aller. Die Friedenstaube. Düsseldorf 1959. • CASSIRER, E.: Philosophie der symbolischen Formen. Berlin 1923. Bd. I, S. 41. 10 „Stat crux dum volvitur orbis."

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ZEICHEN, SYMBOLE, BILDER

bekämpft worden. 1 1 Zahlreich sind die ihm feindlichen Bewegungen und deren Symbole, so das des Halbmondes auf der grünen Fahne

MOHAMMEDS.

Spät erst, aus

anderem ornamentalen und symbolischen Herkommen, wird das Hakenkreuz (die „Swastika") gewaltsam umgedeutet und zum Symbol der völkisch-germanischen, dann der antisemitischen Bewegung. 1 2

MUSSOLINI

nahm für seine Partei und später

für den faschistischen Staat als Zeichen seiner Macht das altrömische bündel

Liktoren-

aus Ruten und dem eingebundenen Richtbeil, das Symbol des Gerichtes

bis zur Todesstrafe. Rom fand mancherlei Symbole, zumal als es nach dem Ende der demokratischen Freiheit um die Beherrschung der Massen ging, um den römischen Herrschaftsanspruch zwingend in das Weltreich zu tragen. So in der Entwicklung der Hoheitszeichen, aus denen später die Symbolik der Wappen13

sich ent-

wickelte, als soldatisches Abzeichen, als Kampf- und Siegeszeichen (anfangs „Fanale", die Rauchfahne der Fackeln im Vormarsch). Es entsteht die Fahne

als Sym-

bol, der der Soldat auf Leben und Tod verbunden sein soll. Die unmittelbar soldatische Bedeutung der Fahne als „Feldzeichen" („vorangetragen", „bis zum letzten verteidigt") ist durch die waffentechnische Entwicklung überholt. Ihr Sinn ist daher heute Symbol der Ehre und des Ansehens der Truppe, ihres inneren Zusammenhaltes und des Bekenntnisses zu ihrer staatlichen Pflicht und Aufgabe. 1 4 Im Politischen wird die Fahne dem Herrscher voraufgetragen. Sie ist im Mittelalter Sinnbild seiner Macht und die Voraussetzung, diese Macht rechtskräftig auszuüben. Das Rot in der Fahne des Grafen legitimiert ihn als Gerichtsherrn mit der 11 Vgl. z. B. seine Verwendung in der Karikatur, schon in den römischen Christenverfolgungen wie in der sowjetischen Gottlosenpropaganda. Die Kreuzform in allen nur möglichen Abwandlungen bleibt Grundlage einer reichen werbenden Symbolik bis in die Gegenwart: Rotes Kreuz, Dreikreuz-Kombination im Union-Jack, Kruckenkreuz (Österreich), Lothringerkreuz (de Gaulle), Eisernes Kreuz (Schinkel) und viele andere. 12 Sachlich vgl. SCHOLTEMA, V.: Artikel Hakenkreuz. In: Eberts Reallexikon der Vorgeschichte. Bd. 5. 1926. — LECHLER, J.: Vom Hakenkreuz. Leipzig 1924. — Propagandistisch gedeutet: CLAASSEN, O.: Weltwissen im Hakenkreuz. Bremen 1934 und HITLER in Mein Kampf. A.a.O., II, 556. 13 Die Symbolik der Wappen, denen es oft überzeugend gelang, Historisches und Aktuelles zu vereinen, ist zu wenig beachtet. Bei später künstlicher Herstellung ist sie nicht immer gelungen. Vgl. u.a. DECKER, J . : Deutsche Länder- und Städtewappen. Bonn o. J., sowie: Städtewappen der sowjetischen Besatzungszone und des Gebietes ostwärts der Oder-Neiße-Linie. Bonn 1955. 14 Vgl.: Rede des Bundesministers der Verteidigung bei der Übergabe von Truppenfahnen an die Bundeswehr (7.1. 65). — Eine gewisse „Fahnenmüdigkeit" (entgegen der in England, in USA, in Frankreich und vor allem in den jungen Ländern herrschenden Fahnenfreude) ist auf den Mißbrauch politischer Symbolik im 3. Reich zurückzuführen. „Der Mißbrauch der Symbole jeder staatlichen und soldatischen Tradition durch das N. S. Regime hat im deutschen Volk . . . eine gewisse Apathie auch gegenüber den Fahnen zurückgelassen. Unser Volk hat die schmerzliche Erfahrung machen müssen, daß unter Mißbrauch der Symbole echte Tradition verfälscht und dazu erniedrigt wurde, der Unfreiheit und Gewaltherrschaft zu dienen." Rede des Bundespräsidenten bei der Übergabe von Truppenfahnen. Bulletin der Bundesregierung, 8. 1.65, S. 25/26. Ähnlich: Rede vor dem „Wandertag", Bulletin 11. 8. 62, S. 1257. Kritische Äußerungen: LOHMAR, U.: Die Truppenfahnen, in „Die Neue Gesellschaft". 1965. S. 661.

IS

Publizistik I

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PRAKTISCHE PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN MITTEL

Gewalt über Leben und Tod. So begann die Symbolik der Farben15, um die oft heftig gekämpft wurde.1' Das Rot als revolutionäre Farbe gewann diesen ihm natürlichen Charakter in Frankreich 1789. Die Regierung warnte damals bei Straßenkämpfen, wenn scharf geschossen werden sollte, durch eine rote Fahne auf dem Turm des Rathauses." Darauf holten die Revolutionäre diese Flagge herunter und machten sie mit der im Kampf um Symbole häufig geübten Umkehr des Sinnes nun zum Fanal ihres Kampfes.18 P R O U D ' H O N feierte das Rot als „die Farbe der letzten Revolution". F R E I L I G R A T H im Pathos von 1848: „An meine Brust, an meine Lippen, der Menschheit Farbe, heil'ges Rot". Bunt, interessant und vielfältig ist die politisch-publizistische Symbolik, die auf den Fahnen, den Wappen und Hoheitsabzeichen auftreten. Adler und Löwe sind besonders häufig angewandt. Sie wandeln sich im Zeitgeschmack.19 Sympathische Tiere (Hirsche, Bären und neuerdings Tauben [PICASSO]) folgen den unsympathischen Drachen und Schlangen, die erschrecken sollen. Deutlich ist die Symbolik der Gegenstände: Fackeln, Glocken, Mauerzinnen, Fanfaren, Luren, Trommeln. Ein echtes Symbol ist die Charka, das Spinnrad, das durch G A N D H I bewährte Sinnbild der Befreiung Indiens, heute in dessen Flagge. Sterne im Fahnentuch der USA nach der Zahl der Staaten und Streifen nach der Zahl der Kernländer. Fünfzehn goldene Sterne auf blauem Grund trägt die Europäische Flagge. Die Flagge der United Nations zeigt einen Aufblick auf die Weltkugel von Ähren umrahmt. Die UdSSR malt in äußerster Nüchternheit Hammer und Sichel in eine Ecke des roten Fahnentuchs. Die „DDR" malt Hammer und Zirkel dahin, legt aber mit letzter Romantik um das Emblem eine schwarz-rot-goldene Schleife und einen Ährenkranz. Symbolischen Charakter haben auch die Nationalfiguren, je nach dem Zweck, für den sie auftreten. Gegenüber dem Pathos der Wappenzeichen sind diese Figuren volkstümliche Fassung gewisser nationaler Eigenarten.20 Durchgebildet 15 über Symbolik der Farben s. u. Plakat, S. 267. Rot von Rom her Zeichen der kaiserlichen Macht und später Grundfarbe der Reichsfahne zusammen mit Schwarz-Gold. Hierauf von der Romantik als Fahne der deutschen Einheit erhoben. 1848 Fahne der Paulskirche. Das Rot des alten Reichs mit dem Schwarz-Weiß der preußischen Farben wird Reichsflagge 1871. 19 Vgl. NEUBECKER, O.: Fahnen und Flaggen. Leipzig 1939. — BUSCH-SCHERNITZK: SchwarzRot-Gold. Offenbach 1952. — ESCHENBURG, TH.: Staatssymbole, ihr Bedeutungswandel in den Jahrhunderten. In: Die Zeit 1962, Nr. 30/31. Die Aufnahme der Schwarz-Rot-Goldenen Fahne für die Bundesrepublik (Artikel 22 Gg) war zunächst zurückhaltend. Seit sie am 17. Juni 1953 als „Fanal der Freiheit" auf das Brandenburger Tor gesetzt wurde ist sie „erneut Symbol geworden für unser Streben nach Einigkeit und Recht und Freiheit". (Rede des Bundespräsidenten, s. S. 241, Anmerkung 14.) 17 PERREUX, G.: Les origines du drapeau rouge en France, Paris 1930. 18 LASSWELL, H. D.: The cemperative study of symbols. Stassford 1954. " Man vergleiche den Doppeladler des alten deutschen Reichs mit dem des kaiserlichen Deutschlands und dem kluckig breiten Adlertier vor den Augen des Bundestages in dessen Plenarsaal. In den USA sind, was wiederum die Empfindlichkeit in allen Symboldingen beweist, lange Kämpfe um den Adler im USA-Wappen geführt worden, nachdem er als „Seeadler" entlarvt worden ist und diese Adlerart als feige und dumm gilt. (Vgl. Deutsche Zeitung 1960, Nr. 100.) 20 Uber ihre Entstehung und Deutung im einzelnen vgl. GROTE, B.: Der Deutsche Michel. Ein Beitrag zur publizistischen Bedeutung der Nationalfiguren. Dortmunder Beiträge z.

ZEICHEN, SYMBOLE, BILDER

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sind sie freilich nur für Deutschland (der deutsche Michel), England (John Bull), Frankreich (Marianne) und U S A (Uncle Sam). In anderen Ländern sind ähnliche Figuren gelegentlich versucht worden aber nicht volkstümlich. Die Nationalfiguren sind fester Vorstellungsbestand der internationalen Öffentlichkeit. Es sind „gebündelte Typen" (GROTE), mal kann die eine, mal die andere Eigenart herausgearbeitet werden. So treten sie zu allen möglichen Zwecken, oft auch in patriotischem Kitsch auf. Selbst privatwirtschaftlich nutzt man sie als Ursprungs- und Herkunftszeichen. Ganz besonders braucht sie die Karikatur. Solche durchgebildeten Stereotypen vereinfachen ihr die Arbeit. Man versteht sofort, w a s gemeint ist. Ihre Herkunft ist verschieden gedeutet (siehe die Literatur). Versuche, sie abzuändern, sind meist gescheitert. 2 2 Es bewährt sich, wie überall in der Massenpublizistik, die Dauer der einmal eingehämmerten Vorstellung. 2. Lied-Symbole Gleich den Fahnen sind die Nationalhymnen Symbole der Länder, die sie erhoben haben. Viele sind mit der Geschichte des Landes verbunden und kommen aus der Tradition. 2 3 Ihr Symbolcharakter wird mit Eifer gewahrt und führt häufig zu hochgespielten Auseinandersetzungen z. B. auch im sportlichen Leben und bei manchen internationalen Ereignissen. 2 4 Lieder der Bünde, Parteien und Verbände nehmen ähnliche Bedeutung an. Sie erhalten in den totalitären Ländern fast sakralen Rang. Auch sie knüpfen an wirkliche oder angenommene heroische Leistung an. 25 Besonders bekannt und in viele Sprachen übertragen ist die „Sozialistische

Internationale"

.s> Ein Lied als Symbol

volkstümlich und „im Ohr hängend" zu machen, gelingt durch die Sangbarkeit

Zeitungsforschung, Bd. II, Dortmund 1967. Ebd. Literatur zum Thema aller Nationalfiguren. — MICHAEL, W.: Das Urbild John Bulls. In: Historische Zeitschrift. Bd. 4. München 1908. — GADOFFRE, G.: French Nationalimages. In: Intern. Social Science Bulletin 1951, Vol. III, Nr. 3 (UNESCO), S. 579 ff. — KETCHUM, A.: Uncle Sam. A.a.O. 11 Der große DAUMIER hat den Typ der „Marianne" als Mädchen, als Héroïne, als Frau, als Mutter und als Matrone in einer kritischen Darstellung der Geschichte Frankreichs in vierzig Jahren immer wieder abgewandelt. S. S. 242. 22 Die Hitlerpropaganda versuchte, den „dem nationalsozialistischen Menschen unwürdigen, oft tölpelhaft und tumb auftretenden Deutschen Michel" durch die „schlanke und ranke Kampffigur der SS-Männer" zu ersetzen. Der Versuch mißlang. Vgl. SCHWEITZER, H.: Politisches Denken — politische Zeichnung. Deutsche Presse. Berlin 1936, Nr. 17, S. 193. 23 Eingehende Darstellung im Kapitel Das publizistische Lied, vgl. S. 221. Besonderes Gewicht legen auch die jungen Staaten auf ihre Fahnen und Nationalhymnen. Sammlungen und Berichte darüber im Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart, das in seinem Tonbandarchiv 127 Nationalhymnen magaziniert hat und bereithält. Vgl. HERTER, B.: Die Nationalhymnen. München 1958. Ergänzungsband München 1965. Vgl. auch Frankf. Allgem. 1955, Nr. 204 (Nationalhymnen). 24 Erinnert sei an dem Flaggenkampf und den Streit um die Siegeshymnen innerhalb des deutschen Sports zwischen den Mannschaften der Bundesrepublik und der „DDR". 25 Sehr kennzeichnend das „Horst-Wessel-Lied", vgl. S. 222 sowie die mussolinische „Giovinezza". 26 Melodie und Herkunft s. S. 222. 16«

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seiner Melodie und durch die Tradition, die es wachruft oder die man hineinzaubert. Das Gelingen ist auch von der Zeit abhängig, die aufgewandt werden kann, Melodie und Text so oft zu singen, daß sie „in Fleisch und Blut" geht, oft ist auch der historische Augenblick Grund des Gelingens (Marseillaise). Ein gutes Beispiel dazu ist das religiöse Lied als Bekenntnis mit einer in die Jahrhunderte gehende Geschichte („Ein feste Burg ist unser Gott"). Auf den wohlgemeinten, aber mißlungenen Versuch von T H E O D O R H E U S S , eine Nationalhymne zu „kreieren", ist bereits hingewiesen. 27 3. Tatsymbole Kaiser H A D R I A N , um die öffentliche Sympathie zu gewinnen, ließ auf dem Kapitol Steuerschuldscheine der Bürger öffentlich verbrennen. Symbolische Verbrennungsvorgänge sind in der Geschichte der religiösen wie der politischen Kämpfe sehr häufig. L U T H E R verbrennt die Bannbulle, G A N D H I englische Industrieware, Fanatiker des Hitlerregimes die ihnen nicht genehme Literatur. Das größte und einmalige Beispiel: G A N D H I S Gang zum Meere, dort —• rein symbolisch — das Salzmonopol der Engländer zu brechen und gegen strengstes Verbot selber Salz zu sieden. 28 Alle oft aus religiösen Vorbildern entnommenen symbolähnlichen Handlungen, wie z. B. Taufen (Schiffstaufen), Schlüsselübergaben, Bandzerschneiden sind sehr äußerliche, aber als unerläßlich angesehene und immer wieder photographierte Spielformen des Symbolischen. Symbolverwandte Mittel werden politisch angewandt in bestimmten Grußtormen mit Bekenntnischarakter („Heil Hitler", „Freundschaft" u. a.) oder auch in Gesten (z. B. das englische „Siegeszeichen", Zeige- und Mittelfinger in V-Haltung: „Victory"). Anderen Symbolzeichen werden Erkennungsmarken bestimmter Gruppen (Hahnenfedern, weiße Kniestrümpfe, Baskenmützen und alle Parteiabzeichen). Schließlich zeigen sich vernehmbare und oft hervorgekehrt Symbolelemente in allen Uniformen, deren Farben und Merkmalen. Das gilt für die Truppe, aber mehr noch für das politische Soldatentum. 2 * Bedeutsam ist für das Symbol immer die Kraft und Würde der Form. Sie ist ja ein eigener, keineswegs immer an die Idee konkret gebundener Ausdruck. So gibt es gute und auch weniger gute Formen eines symbolisierten Inhaltes. Fahnen z. B. können durch ihren äußeren erfrischenden und belebenden Anblick sympathisch in den Blick fallen und so aufgenommen werden, z. B. die Nationalfahnen der nordischen Länder mit ihren im langgezogenen Rechteck leuchtenden Kreuzemblemen. Auch die Stars and Stripes der USA, die Dreikreuzkombination der britischen Flagge, das Spinnrad im weißen Felde zwischen dem hellen Rot und lichten Grün der Flagge Indiens. Das deutsche Schwarz-Rot-Gold wird von urteils27 28 29

Vgl. S. 221 Anm. 30. Vgl. S. 207. Vgl. S. 212.

Z E I C H E N , S Y M B O L E , BILDER

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fähiger künstlerischer Seite als „schwer-trüb" und „tragisch-ernst" bezeichnet. Die Farbverbindung ist allzu dunkel. 30 So wirken das Symbol und die symbolähnlichen Abzeichen aller Art publizistisch mit oft überraschender Stärke. Sie können jäh emotionale Kräfte einer Massenbewegung aufwecken, Ehre und Prestige, lebendigen Patriotismus und krassen Nationalismus, ergriffene Verehrung oder zynische Verachtung. In jedem Falle, wenn sie echte Symbole sind, genügen sie den Voraussetzungen jeder Massenführung: einfach in der Form, gefühlsbewegt im Inhalt, in ständiger Wiederholung typenbildend und einprägsam. Mit der publizistischen Symbolik verwandt ist die Marke (Schutzmarke, Geschäftsmarke) als Kenn- und Gütezeichen einer Ware. Hier hat tüchtiger Geschäftsgeist, kunstgewerbliches Können und psychologischer Witz oft Leistungen erbracht, die man den Symbolen ernster publizistischer Aufgaben von Herzen wünschen möchte. Symbole sind Zeichen, Gegenstände oder Handlungen, die in eigenen und einprägsamen äußeren Formen einen inneren Sinn dynamisch ausstrahlen. Einfach, allgemeinverständlich und gefühlsmächtig gewährleisten sie eine publizistische Wirkung, die bis ins Mystische gesteigert werden kann.

b) Das Bild Logokratie oder Ikonokratie? 8. Jahrh. Bilderstreit in Byzanz „Man kann voraussagen, daß die Tendenz dahin geht, alles bildhaft zu zeigen, die Tiefen und die Untiefen, die Gründe und die Abgründe dieser Welt." ROBERT HEISS1

Um die Herrschaft der Bilder ist seit jeher gestritten worden, ehe noch die Technik der Massenverbreitung das Bild millionenfach multiplizierte. Bilderstürme, im Religiösen wie im Politischen, erzeugten stets heftigste Erregung. Bilder sind gleich Bekenntnissen 2 , erhobene Bilder, verbrannte Bilder, aufgerichtete und wieder gestürzte Bilder, sie nehmen Symbolcharakter an, werden meinungs- und massenführend politische Mächte. S()

Prof. K A R L H O F E R in einer Zuschrift an den Tagesspiegel (Berlin) v. 3.12. 1950. S. auch S. 267, Anm. 11. 1 HEISS, S C H O R B , H E I M A N N U. C A S E L M A N N : Bild und Begriff. München 1 9 6 3 , S . 2 8 f. 2 In den Jahren des Hitlerregimes galt das „Führerbild" als Bekenntnis, wie die Hakenkreuzfahne und das Horst-Wessel-Lied. 3 Seine Entstehung kam aus mehrfachen Anlässen: Fixierung einer Gebärde, Verständigungs- und Richtungszeichen, Schmuckbedürfnis, mythologische und sakrale Aufgabe. Vgl. u. a. PRAKKE, H.: Zur Frage der Urpublizistik. In: Festschrift für Hanns Braun. Bremen 1963.

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P R A K T I S C H E PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN

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Die Ursache liegt in der Natur des Bildes. 3 Bilder sind optisch zusammengefaßte, künstlich fixierte Wirklichkeiten. Das Element des Artifizialen 4 wohnt ihnen schon im Kern inne. In einer zweidimensionalen Fläche wird durch Perspektive, überschneiden, Schatten, Licht eine dritte Dimension hergezaubert und eine vierte (die Bewegung) in der Vorstellung des Beschauers wachgerufen.5 Damit vermag das Bild eine Fülle von Tatsachen und Vorgängen ( „ . . . kann tausend Worte s a g e n . . . ! " ) einheitlich und gleichzeitig zu übermitteln. Dies geschieht einfach, einprägsam, oft sehr gefühlsstark. Aus seiner Natur bringt das Bild alle Voraussetzungen, die Massen anzusprechen. Eigentlich ist das Bild ein technischer Trick. Es erspart dem Auge die ihm in natürlicher Sicht auferlegte Einstellung in die Raumtiefen. Es ermöglicht die gleichzeitige (simultane) Aufnahme des Ganzen einheitlich und unmittelbar. Das eben ist seine Überlegenheit gegenüber allen Begriffen; die Begriffe müssen angehört oder gelesen, in der Vorstellung erarbeitet werden. Sie gehen Umwege, das Bild packt sofort und ganz. In dieser Überlegenheit liegt auch seine publizistische Kraft. Publizistisch ist ein Bild dann, wenn es öffentliche Interessen anruft, sich darum öffentlich verbreitet und öffentlich aufgenommen wird. Das gute publizistische Bild vermittelt eine schnelle und komplexe Vorstellung des Abgebildeten, der Personen, Vorgänge und Ereignisse. Es kann der Wahrheit ganz nahe kommen, also beinahe Wirklichkeit sein. Ebenso kann es färben, fälschen und entstellen bis zur glatten Umkehr des Tatsächlichen. So vielfach ist das Bild publizistisch dienstbar. Es kann sachlich unterrichten (Information), ordnend anweisen (Instruktion), um Überzeugungen werben (Argumentation), religiös verkünden oder politisch kämpfen (Aktion). Diesem Kampf kann es polemische, agitative oder aggressiv satirisch-karikierende Formen geben. So lebhaft tritt es in die publizistische Arena. Es zwängt sich geradezu in den publizistischen Prozeß und drängt ihn zu schnellem Schluß. In der Geschichte des publizistischen Mittels 6 ist das Bild früh am Werke, anfangs noch in Fühlung mit seinen mystischen und sakralen Vorfahren. Damals, in den Anfängen, lag die eigentliche Kraft des Bildes in seiner imponierenden Einmaligkeit, so wie heute — umgekehrt — die Wirkung des Bildes aus der Überflutung mit Bildern erlahmt. Einmalig waren z. B. in der Antike die Bildwerke, die Bauten 7 , die Friese, Gedächtnissäulen, Denkmäler und Stelen, publizistische Zeugnisse der Macht und Mittel, sie zu erhalten. Von gelegentlichen MauerVgl. S.231,Anm. 1. „ . . . es ist unstreitig, daß der Künstler im Bilde zwei verschiedene Augenblicke in einen einzigen zusammenbringen kann: das, was geschehen ist, wieder in die Vorstellung zu holen und was kommen wird, vorauszuahnen." LESSING, G. E.: Laokoon. III. 6 Es gibt Theorien, die selbst die Bilder vorgeschichtlicher Höhlenzeichnungen publizistisch (also nicht nur kommunikativ) werten. Vgl. PRAKKE, H.: Zur Frage der Urpublizistik. A.a.O. 7 Z. B. unter vielen anderen die Repräsentativbauten auf dem römischen Forum zu Beginn der Kaiserzeit. 4 5

ZEICHEN, SYMBOLE, BILDER

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kritzeleien 9 , den Anfängen der Karikatur, abgesehen, gab es kaum publizistische Bilder, die anderer als staatlicher Herkunft waren und sein konnten. Im religiösen Leben, in den Kirchen des Mittelalters verkündeten die hohen Wandbilder Jahrhunderte lang die christliche Heilslehre bildhaft an den Ereignissen des Alten und des Neuen Testaments eindeutig, einprägsam, überzeugend („Bilder sind die Bibeln, den Armen die Heilsgeschichte zu lehren." G R E G O R D. G R . ) Erst als Bilder zunächst im Plattendruck (Blockdruck) vervielfältigt in Umlauf kommen, mit der Entwicklung des Papiers und der Herstellung für Bilder und Zeichnungen, steigt das Bild in seine eigentliche publizistische Aufgabe." In den Kämpfen um die Reformation gewinnt es eine religiös-publizistische Macht und eine neue differenzierte Werbeform, die heute zwar technisch überholt, in der brennenden Gesinnungsleidenschaft aber kaum wieder erreicht wurde. Daraus entwickeln sich neue zugkräftige Mittel; Moritate und Bilderbögen nehmen das „bewegte Bild", das „Wandelbild", den Film vorweg. Aus den alten improvisierten Mauerkritzeleien im Streit auf den Straßen kultiviert sich als politische und künstlerische Kraft die Karikatur. Sie wird eine schlagende Waffe, herauf- oder herabziehend in allen publizistischen Fehden. In dem Jahrhundert der Glaubenskämpfe prägt sie schon die Begriffe in den Köpfen und ist volkstümlich. Die Entwicklung kommt dem publizistischen Bedarf weiter entgegen. 10 Dreihundert Jahre später wachsen die Massen in das moderne Industriezeitalter, muß die Publizistik des Bildes sich auf die Massenverbreitung vorbereiten: die Photographie wird erfunden. Sie für die Millionenauflagen der Rotation reproduzierfähig zu machen, gelingt um 1890. Zeitung und Zeitschrift stellen das Bild in kaum mehr überschaubarer Zahl neben das Wort. Zehn Jahre später ist ein weiterer, ein alter Traum der Menschheit erfüllt, das Bild „bewegt" sich, es wird „Wandelbild" (moving pictures), Film. Auf anderem, dem elektronischen Wege, folgt vierzig Jahre später das Fernsehen. Es vermittelt eine allerdings nur bedingte „Augenzeugenschaft". Wäre sie es wirklich, dann würde die Vermittlungsa.uiga.be des Bildes zu Ende sein, und das Ereignis selbst an die Stelle treten.

8

Bekannte Beispiele vgl. MAIURI, A.: La villa dei Misteri. Roma 1931. In der Geschichte der graphischen Mittel zeichnet sich deutlich der Zeitpunkt ab, wo das religiöse Bild zunächst in den profanen und dann bald in den publizistischen Raum vordringt. Für diesen Ubergang vgl. SCHOTTENLOHER, K . : Flugblatt und Zeitung. Berlin 1 9 2 2 . Für den Übergang im einzelnen KLOSS, H . : Die publizistischen Wirkungsmittel in der Graphik des Einblattdruckes bis 1550. Diss. Berlin 1941. Für die erstmalig sturmartig ausbrechende Bildpublizistik im Zeitalter der Glaubensspaltung vgl. CENTGRAF, A.: Martin Luther als Publizist. Frankfurt a. M. 1940. — Für die alte Lehre: KRAMER, L.: Die Publizistik der alten Lehre während der Reformation. Diss. Berlin 1941. Ebd. Literatur. — KORTZFLEISCH, S. v.: Die publizistische Bedeutung von Luthers Thesenanschlag. In: Publizistik 9

1960, H . 3.

10 An die Seite des primitiven Holzschnittes treten Kupferstich und Stahlstich. Um 1881 wird es möglich, durch die von MEISENBACH entdeckte Netzätzung (Autotypie) die Ton- und Farbnuancen auch der Photographie zu klischieren und in die Massenvervielfältigung zu bringen. Es zeigt sich abermals das publizistische Gesetz, daß jede neue Zeit im Publizistischen das ihr erforderliche publizistische Mittel erhält.

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Systematisch unterscheiden wir zwischen dem „stehenden" und dem „bewegten" Bild. Das „stehende" Bild teilen wir ein j e nach der technischen Herstellung in das gezeichnete und gemalte und in das „lichtgezeichnete", die Photographie. Die A u f g a b e n des handgefertigten Bildes haben sich vermindert, seit das Photo fast alle Aktualitäten an sich zog. Doch bleibt das handgefertigte Bild Mittel großgraphischer Aufgabe in der Publizistik des Plakates und der klärenden Unterrichtung 11 (Information). Vor allem aber gehört in diese Gruppe das schärfste Mittel subjektiv-künstlerischer publizistischer Aktion: die Kaiikatui. A l s Kampfbild ist die Karikatur 12 die satirische Übersteigerung derjenigen Eigenarten einer Person oder einer Sache, die geeignet sind, das zu Bekämpfende dem Beschauer schlagend, gegebenenfalls vernichtend ins Bewußtsein zu bringen. Die Karikatur bewirkt den Kurzschluß im publizistischen Prozeß. Sie nutzt beispielhaft die komplexe Eindruckskraft des Bildes ebenso w i e seine Massenwirksamkeit. Sie schallt vereinlachte Typen, lädt sie emotional auf und setzt sie in Umlauf. Das in den Gesichtszügen, den körperlichen Eigenarten, in Figur, Schritt und Gehabe Wesentliche zu s e h e n und daraus und aus den Charaktermerkmalen bestimmter Zustände das polemisch Aufzugreifende herauszuholen und in w e n i g e n Strichen zu treffen, das ist die Genialität großer Karikaturisten. 13 Indem sie das Komische 14 mobilisiert, mobilisiert sie das Lachen und mit ihm die verschiedenen polemischen Temperaturen des publizistischen Kampfes. 15 Die Erfolgwirkung der Karikatur ist 11

Verwiesen sei hier auf die erfolgreiche amerikanische Art bildlicher Unterrichtung durch leicht witzige, oft auch dialogische Zeichnungen (sogenannte Cartoons im begrenzten Sinne), die nur die Aufgabe haben, sachlich, aber anziehend zu informieren; nach amerikanischer Deutung: „to report in the finest sense of the world, telling the story with a maximum of economy, clarity and truth"! Dieser Satz kennzeichnet auch das Wesen des Bildes. 12 Zum Grundsätzlichen vgl. R E U M A N N , K.: Das antithetische Kampfbild. Diss. Berlin 1 9 6 7 . — Systematische und literarische Einzelheiten vgl. auch bei D O V I F A T , E.: Zeitungslehre. A.a.O., Bd. II, S. 84 ff. 13 Die Beispiele sind zahllos. Jeder ins Rampenlicht tretende Politiker gerät in die kritischen Strahlenwerfer der Karikaturisten, ebenso jede karikaturistisch bekämpfte Tatsache. Das gilt so von den Karikaturisten der Glaubenskämpfe bis zu den „Witzblättern" des 19. Jahrhunderts: Punch, Kladderadatsch, Simplizissimus und zu den Karikaturisten der Gegenwart. Leicht und gleich verstanden ist die karikierende Nutzung der Nationalfiguren (Deutscher Michel, John Bull, Marianne, Uncle Sam) vgl. hierzu S. 241. Genannt seien auch die diffamierenden Kampftypen der Kriegs- und der Weltanschauungspropaganda. Eine besondere Art der karikaturistischen Publizistik ist deren antithetische Technik. Dem als verworfen charakterisierten Gegner wird strahlend die Schönheit des Eigenen gegenübergestellt. So in der Kontrastpropaganda des Hitlerregimes ( S C H W E I T Z E R - M J Ö L N I R ) und der sowjetischen Karikatur (Krokodil). Vgl. R E U M A N N , a.a.O. 14 Das Komische löst durch den Widerspruch zwischen Idee und Wirklichkeit einen Wertumschlag aus, der das Lachen zur Folge hat. Schneiden sich dabei unerwartet zwei entgegengesetzte Begriffsebenen, so entsteht (mit explosiver Pointe) der Witz. 15 Die Grundhaltung des Karikaturisten kann satirisch sein, dann ist sie vom Ideal der Dinge weg und verzerrt ins Gegenteil. Sie spottet. Die Haltung kann überlegen die bittere Wirklichkeit in die Höhe des Ideals und darüber hinaus heben und so den Widerstreit fühlen lassen, dann ist sie ironisch. Die Karikatur höhnt. Oder sie hebt den Angriffswillen in verstehendes Allgemeinmenschliches. Das Lachen ist dann befreiend: Humor.

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umstritten. Karikaturen werden leicht mißverstanden. Sie kommen dann nicht nur um ihre Wirkung 16 , sondern kehren sie ins Gegenteil. 17 Die Photomontage ist der Karikatur verwandt und oft wirksam im publizistischen Gebrauch. Als ein weitgehend photographisch bestimmtes Mittel ist sie dort zu behandeln (s. S. 251). Mit der Photographie, dem Lichtbild, kommt in die Bildpublizistik eine neue Note. Soweit ist der Beschauer schon (um von der Wirkung auszugehen), daß er heute vor der bloß gezeichneten Wiedergabe aktueller Ereignisse mißtrauisch steht. Dabei hat er gezeichnete Bilder noch vor kaum 90 Jahren kritiklos verschlungen. Solche „aktuellen", damals mit 14tägiger Verspätung eintreffenden Bilder von etwa 1870/71 haben z. B. der „Gartenlaube" in die 300 000-Auflage heraufgeholfen. Die Photographie aber hat die Menschen den Aktualitäten unmittelbar gegenübergestellt. Die Nachricht, mit dem Zeichenstift gegeben, erweckt Zweifel. Von der Photographie aber erwartet man greifbare, untrügliche Realität. Sie sei ein physikalischer Vorgang, meinte man, und so könne sie doch gar nicht entstellt werden. Die Gegenstandstreue wird hier sogar sprichwörtlich. Man sagt „photographisch getreu" und meint damit technisch genaue Wiedergabe und also sachlich Fixierung des Wirklichen. In den Anfangsjahren der Photographie hat man ihr diese genaue Wirklichkeit geradezu vorgeworfen. Noch B A U D E L A I R E sah in ihr „den bloßen Abklatsch der Natur". 18 L A M A R T I N E verachtete die Photographie als einen „Raub der Optik an der Natur". Sehr bald aber zeigte sich, daß hier ein technisches Mittel Selbständiges und Eigenes zur bildnerischen Aufgabe beisteuerte. Die „Photographie als Kunst" nutzte die technische Vielfältigkeit des „Photographischen" mannigfaltig, indem sie auch Äußerliches beigab zu einer, wenn auch umstrittenen, künstlerischen Leistung. Aber die Publizistik formt die Photographie — ähnlich wie bereits in seinen Anfängen das Theater die Aktualität des Spieles — hier die Aktualität des Bildes. Mehr noch: Sie öffnet den Tiefblick der Kamera auf und in die Menschen und Dinge. Sie mobilisiert eine neue Wirklichkeit ganz besonders auch in der Erkenntnis des Menschen (das „Meta-Photographische", PAWEK). Vom photographierten Menschenantlitz glaubt D Ü R R E N M A T T sagen zu dürfen, es sei in manchen Fällen „die höchste Form der Pornographie". Auch die Dinge holt die Kamera so plastisch nahe an uns heran, daß wir ihre Trauer, ihr Elend erkennen und mit V E R G I L sagen: sund illae lacrimae rerum". Allerdings zielt das Publizistische nie auf künstlerischen Reiz, sondern auf harte Gegenständlichkeit, nicht auf phantasievollen Vortrag, sondern auf unerbittliche Tatsächlichkeiten mit der oft grausamen Objektivität des Objektivs. Von der alten steifen Starre des Stativs, von jeder Distanz hat 1J Eine demoskopische Erhebung, die nach dem Verständnis dreier verschieden schwieriger Karikaturen gefragt hat, ergab, daß 19 bis 48 %> der Befragten mißverstanden hatten. Vgl. Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1957. A.a.O., S. 103 ff. 17 Pessimistische Betrachtungen dazu bei TH. TH. HEINE: Briefe aus dem Jenseits. A.a.O. 18 Zitiert nach PAWEK, K . : Der Streit um die Photographie. In: Panoptikum oder Wirklichkeit. Hamburg 1965,

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es sich frei gemacht und stürzt sich mit dem Darzustellenden in den Raum. Durch das physikalisch-photographisch bewaffnete Auge spürt der Publizist das Wesentliche auf. Er zeigt die starke, oft auch enthüllende Tatsache. Das allerdings will gekonnt sein. So ist denn die Kernvoraussetzung des publizistischen Bildes die Fähigkeit: „sehen können". Der Feuilletonist ist der Photograph der Feder. Aber er kann in Muße schreiben. Er kann es betrachtend tun. Der Publizist des Bildes arbeitet im Stegreif. Er hat den psychologisch-typischen Moment voraufzuahnen, ihn dann vorwegzunehmen 19 und im Bruchteil der Sekunde das Entscheidende festzuhalten.20 Aus der Schärfe des Objektivs in der Hand des Publizisten wächst ein neues Bild der Welt, aber ebenso ein Bild des Tages und, wo die Dinge bedeutend sind, das eine aus dem anderen. Das Vordergründige verblaßt, das Wesentliche wird getroffen, die Einzelheit zur Allgemeinheit heraufgeführt. Die „vierte Dimension" ist gewonnen (PAWEK). Das — wie es scheint — Nichtsehenswerte wird sichtbedeutsam und reflektiert in die Reflexion zurück, vom Bildhaften in die neue Erkenntnis. Das „Abbild" endet. Das autonome Bild tritt hervor. Das erhebliche Gewicht des hier vom publizistischen Mittel hinzugetanen Bildelements beweist abermals die Bedeutung des „Artifiziellen". 21 Auch und gerade in der aktuellen Tagesarbeit, schon im Standphoto, lange bevor Film und Fernsehen noch das ihrige beisteuerten, ergeben sich äußerst flexibel subjektive Möglichkeiten, von den veralteten Fälscherkunststücken der Retouche und Photomontage ganz abgesehen. Das neue technische Mittel kann in höchster Wahrhaftigkeit „photographisch getreu" den Dingen und Menschen gerecht werden. Es kann im gleichen Ausmaß durch Licht, Aufnahmeausschnitt und Aufnahmemoment die höchste Entstellung manipulieren. Hierher ist das stets wirksame, aber selten abgewehrte Verfahren zu rechnen, sogenannte Zwischenzeitena festzuhalten. In raffinierter Aufnahmetechnik werden z. B. aus dem bewegten Minenspiel einer Person Züge in Sekundenbruchteilen fixiert. Sie können mit normalem unbewaffnetem Auge niemals gesehen werden, sind unsichtbar zufällige und zufällig erfrorene Gesichtszüge, gewiß „photographisch getreu", aber oft, wenn auch nicht immer, von bewußt diffamierender Wirkung. In vielen, wenn auch nicht in allen Fällen sind sie Fälschungen gleichzusetzen.2®

Vgl. SMITH, W . E.: The secret in the taking of pictures. London 1959. Vgl. hierzu PAWEK, K.: Das optische Zeitalter. Olten/Freiburg 1963. — Ders.: Totale Photographie. Olten/Freiburg 1960. — Ders.: Weltausstellung der Photographie. Hamburg o. J . Ebd. BOLL, H.: Die humane Kamera. — STRELOW, L.: Das manipulierte Menschenbild. Düsseldorf 1961, S. 61 f. 2 1 Vgl. S. 33 u . S . 231. 22 Uber diese Technik vgl. MARTIN, L. A. C.: Das Pressephoto ist kein Dokument mehr. In: Publizistik 1959, H. 3. — Einzelheiten bei DOVIFAT, Zeitungslehre, a.a.O., Bd. I, S. 69, Bd. II, S. 101 sowie in den bei PAWEK, Panoptikum, a.a.O. gesammelten Aufsätzen. Hier SPIEKER, R.: S. 29 („Die Kamera kann sich demselben achtbaren Mann aus der Froschperspektive nähern") sowie BECKER, H.: Schule des Mitleidens und des Mitwissens, S. 46 ff. — Ebd. auch OTTO, T.: Schicksal Photographie, S. 224. 2 3 über das gleiche Vorgehen im Fernsehen vgl. 263. 19

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In der Reihe der publizistischen Kampfbilder gehört auch die Photomontage, die früher übliche Entstellungsverfahren, z, B. durch Retouche, weit hinter sich gelassen hat. Sie nutzt den Editheitseindruck der Photographie, indem sie nach Zeit, Sinn und Ort getrennte Aufnahmen zusammenklebt, neu photographiert und damit das Bild eines Ereignisses zur Verbreitung herstellt, das niemals stattgefunden hat, aber dem agitatorischen Zweck suggestiv dient. Die künstliche Zusammenstellung widerstreitender Bildstoffe zu symbolischer Gesamtwirkung ist ein in der Plakatpublizistik (S. 268) oft gebrauchtes Verfahren. 24 So hat das Photo in die Publizistik des Bildes neue Elemente konkreter und anschaulicher Wirklichkeiten gebracht. Das Nachrichtenbild vermag jetzt die Ereignisse so beherrschend wiederzugeben, daß auf Um- und Unterschrift fast verzichtet werden kann. Der Bildbericht folgt dem Lauf des Ereignisses und führt damit in die Nähe des bewegten Bildes (Film). Beide Bildformen dienen der Information, wenn auch mit oft subjektiven Beigaben. Das nachrichtenpolitische Bild nutzt die im Photo gegebene subjektive Dehnungsfähigkeit bei gleichzeitig behaupteter „dokumentarischer" Wirkung zur politischen und polemischen Argumentation, die oft auch aus der Kontrastwirkung gegeneinandergestellter Ereignisbilder gesteigert wird. Dabei löst sich — bewußt oder unbewußt — der sogenannte „dritte Effekt" aus, das Eigenurteil des Beschauers und wird selbständig. Bildaufmachung, Bildschnitt, Bildanordnung („Plazierung") leisten das übrige. Allen subjektiven Möglichkeiten des photographischen Mittels bis an den Rand des Künstlerischen ist das betrachtende Bild zugetan, in der Fachsprache „feuilletonistisch" genannt. Hier bewährt sich die „enthüllende Kraft der Kamera" 25 , die Entdeckung jener „vierten Dimension" hinter den Menschen und Dingen und zeigt sich als die eigentlichen Träger und Zeugnis ihres Wesens. Hier erscheint der Mensch in der Rolle, „die er im Konflikt zwischen seiner persönlichen und seiner sozialen Existenz zu führen hat". 26 So vermag das Bild ihm zu zeigen, wie er bei aller Freiheit auch aus der Freiheit der Publizistik sich seiner sozialen Verpflichtung immer bewußt zu bleiben hat. Durch das Bild ist somit auch der Grund- und Hauptaufgabe der Publizistik in der Demokratie ein verpflichtendes 24 Besonders bekannt sind die Arbeiten von J O H N H A R T F I E L D . Er hat, zunächst im Kampf gegen die Republik von Weimar (Deutschland, Deutschland über alles. Berlin 1930, zusammen mit T U C H O L S K Y ) , dann gegen das Hitlerregime und in der kommunistischen Werbung äußerst wirksame Photomontagen geschaffen. Vgl. HERZFELDE, W.: John Hartfield (Helmut Herzfelde). Dresden 1962. 25 PAWEK, Panoptikum, a . a . O . , S . 1 4 . 26 BECKER, H . : Schule des Mitleidens und des Mitwissens. A.a.O. — Führende Beispiele in den bedeutenden Bildsammlungen: The Family of Man von E D . S T E I C H E N , „the greatest Photographie Exhibition". New York 1955 (menschlich sehr bedeutsam). Vgl. auch G R U B E R , L. F.: Große Fotografen unseres Jahrhunderts. Berlin/Darmstadt/Wien 1964. — C A P A , R.: Das Gesicht des Krieges. Düsseldorf/Wien 1965. — POLLACK, P.: Die Welt der Photographie. Wien/Düsseldorf 1962. — Weitere Sammlungen: die Jahrbücher Das deutsche Lichtbild seit 1956 ff. und die Jahrbücher der Photographie seit 1958 ff. sowie die Bildbände von S A L O M O N (1931 bahnbrechend), von C A R T I E R , CHARGESHEIMER, BISCHOF, PABEL, H A U T , B R E S SON, B O U G H , W H I T E , FEININGER und vieler anderer Publizisten des Bildes.

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Mittel gegeben. Sache des Bildpublizisten bleibt es, die Eigengesetzlichkeit des Mittels, das „artificialiter" zu beherrschen und es der Aufgabe dienstbar zu machen, aus der Ikonokratie wieder zur Logokratie zu kommen, die sachliche Erkenntnis anzuregen und zum Ziele aller Publizistik zu führen: zu Tun und Handeln. Der so zu hoher Eindringlichkeit entfalteten publizistischen Wirkung des photographischen Bildes steht eine technische Vervollkommnung des Aufnahme- 2 ' wie des Vervielfältigungsverfahrens 28 zur Seite. Seit das Bild seinen publizistischen Kurswert bekommen hat, bleibt es gerade da, wo es vollkommen ist, der Lessingschen Lehre des guten Bildes verpflichtet: das eben Gewesene noch mit zu erfassen, und das gleich Folgende voraufzuahnen, aus dem Nebeneinander des Bildes in das Hintereinander der Vorgänge zu kommen. Das Streben danach entfaltete sich in naiver Freude durch die Technik der Bilderbogen. Die wahre Flut der Bilder, die heute in Zeitung und Zeitschrift („Illustrierten"), im politischen Plakat, auch in der Wirtschaftswerbung (Anzeige, Bogenanschlag, Prospekt) erscheint, hat Millionen zu einem oft kaum mehr würdigen Konsum oft auch wirklicher Bildwerte verführt. Dabei kommt die Bildleistung der Überwindung des „Standphotos" nahe, ohne sie natürlich zu erreichen. Erst der Film, das (scheinbar) bewegte Bild, erfüllt endlich eine jahrhundertelange Erwartung.

c) Der Film Nur die Photographie konnte das alte Streben der Menschheit erfüllen, Bilder ganz real und gegenständlich in Bewegung zu setzen. Was vorher war hielt sich im Range magischer Spielereien oder überraschender Effekte. Oft beschrieben ist das 65 v. Chr. geschaffene „Lebensrad", auf dessen Speichen Bilder derart aufgetragen waren, daß sie, wurde das Rad gedreht, im Auge des Beschauers ineinanderflössen.1 Der hier aufgetretene sogenannte „Stroboskopische Effekt" ist bis heute im Film das Geheimnis der sogenannten „Bewegung", die technisch auf der Tatsache beruht, daß stehende Bilder, schnell hintereinander vorgeführt, im Auge des Beschauers ineinanderfließen. Wie so mancherlei in diesem Felde ist also auch das „bewegte Bild" letztlich ein Trick, eine Täuschung, also eine artifizielle Beigabe. Nicht, wie früher, wurden 27 Vgl. u.a. S T E N G E R , E.: Siegeszug der Photographie. Seebruck 1950 und G E R N S H E I M , H.: The History of Photographie. New York 1955. 28 Von den Hochdruckformen der Strich- und Netzätzung (Autotypie) zu den Verfahren des Tiefdruckes (Kupfertiefdruck) und des Flachdrucks (Lithographie, Lichtdruck) zum Offsetverfahren und dem Vielfarbenmassendruck. 1 Vgl. dazu die mit deutlicher Entwicklung auch der technischen Grundlagen gegebene „Geschichte des Films" von G R E G O R , U . und P A T A L A S , E. Gütersloh 1962. — Dies.: Geschichte des modernen Films. Gütersloh 1965. — Eine knappe Geschichte der Technik gibt OERTEL, R.: Macht und Magie des Films. Wien 1959. — Ausführlich Z G L I N I C K I , F. v.: Der Weg des Films. Die Geschichte der Kinematographie und ihrer Vorläufer. Berlin 1956 und F R A E N K E L , H . : Die große Chronik. Von der Laterna Magica zum Tonfilm. 2 Bde. München 1956.

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nur gezeichnete Bilder bewegt2, sondern die wirkliche oder doch vermeintliche Lebensechtheit des Photos war in Bewegung gebracht. (Gezeichnete Filme, Trickfilme, so vollendet sie heute gegeben werden, zeichnen sich immer durch eine oft gespenstige Unwirklichkeit aus.) Die dem Lichtbild zu dankende Realität des Films ist eine völlig neue Erscheinung auch und gerade für die publizistischen Möglichkeiten. Das Hauptelement des Films ist die Bewegung. Sie teilt sich dem Bilde mit, das durch Montage (Schnitt) in festen Ablauf gebracht und durch Licht auf der Leinwand vor einem in Dämmerdunkel zusammengefaßten Publikum abgesponnen wird (das Kino)3. Auf letzten Nenner gebracht ist also der Film ein Spiel, das Bild, Licht und Bewegung miteinander anstellen und das unterhaltend, das künstlerisch, vor allem publizistisch gestaltet wird. Nur diese, die publizistische Natur, interessiert hier. Sie bricht bereits in der vorfilmischen Bildtechnik durch, überall, wo man das bewegte Bild künstlich versucht. Schon im 15. Jahrhundert beginnt der Holzschnitt als Illustration der „Einblattdrucke" 4 immer wieder, publizistisch interessante Stoffe, oft im Boulevardstil, schon durch graphische Mittel filmisch zu bewegen. Der Bilderbogen kam dem am nächsten. In der gesungenen Moritat nahm er dramatische Formen an und entwickelte sich bald zu einer sehr volkstümlichen Waffe in der politischen Auseinandersetzung. In der Mitte des 19. Jahrhunderts steigert sich der Drang zur sensationellen Bildbewegung. Die Bilderbogen gehen in die Millionenauflagen. 5 In den politischen Kämpfen der kommunistischen und nationalsozialistischen Propaganda ging — trotz Presse und Film — der Bilderbogen nicht zu Ende. Er sprang in das Plakat über.6 Bewegung ist auch der Grund, warum die aus den USA stammenden „Comic cuts" frisch weiter leben, später von der Technik des Films ( W A L T DISNEY) sogar neu befruchtet werden.7 So wirksam zeigt sich die Bewegung selbst da, wo sie nur graphisch vorgespiegelt wird. Auch die allgemeine, vor allem die unterhaltende Graphik nimmt Mitte des 19. Jahrhunderts seltsame Verkürzungen, übersteigerte Details, gewollt kritische Sichten auf Menschen und Dinge an, Vorahnun-

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Hierher gehören die Spielerei der Schattenbilder schon im alten China, dann später, im Barock, das Aufkommen der „Laterrva Magica", die bis heute als eine Art Familienunterhaltung sich behauptete. Ihr ist die Projektionstechnik zu danken so wie die „Camera obscura" zur Erfindung der Photographie ein Grundelement stellte. — Zum heutigen Trickfilm vgl. THIEL, R . E.: Puppen- und Zeichenfilm oder Walt Disneys aufsässige Erben. Berlin 1960. 3 „Wird Vieles vor den Augen abgesponnen, so daß die Menge staunend gaffen kann, da habt ihr in die Breite gleich gewonnen. Ihr seid ein vielgeliebter Mann." GOETHE: Faust, Vorspiel auf dem Theater. Den Satz spricht der Theaterdirektor, er ahnt nicht nur den Film, sondern auch das Kino und sein Publikum vorauf. 4 Vgl. u. a. FEHR, H.: Massenkunst im 16. Jahrhundert. Berlin 1924. 5 Z . B. die fast weltweit verbreiteten Bilderbogen von GUSTAV KÜHN aus Neuruppin. Sie gaben u. a. die Bildberichterstattung in den deutschen Einheitskriegen. 6 Vgl. S. 265. 7 Comics haben auch in der deutschen Publizistik, vor allem in der Massenpresse, eine weite Verbreitung gefunden.

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gen von dem, was später der Schwenk der Kamera sucht und zu Spitzenleistungen erhoben hat. 8 Drei Länder und drei Männer erarbeiteten die Kernleistungen in der Entdeckung des Films. E D I S O N (USA) erfand das Filmband, die Gebrüder L U M I È R E (Frankreich) die Aufnahme, M E S S T E R (Berlin) die Vorführapparatur. 9 Wie stets in einer neuentdeckten Technik zeigen sich gerade in den Anfängen bereits die wichtigsten Möglichkeiten, hier also der aktuelle Bericht, die zugkräftige Unterhaltung, die publizistische Aktion. 10 Alle drei finden sich schon (Paris 1895, Berlin 1897) in den „Aktualitätenkinos" und in den Schaubuden zur Freude des Jahrmarktpublikums. Der künstlerische Film trat nicht vor 1910 auf, als große Schauspieler ( W E G E N E R , KAYSSLER) und Schriftsteller ( H U G O V. H O F M A N N S T H A L ) sich seiner annahmen. Die publizistische Leistung des Films vollzieht sich heute vornehmlich in drei Filmarten. Wir unterscheiden: 1. Nachrichtenfilme (Wochenschau) 2. Dokumentarfilme 3. Spielfilme politischer Tendenz und gesellschaftskritischer Tendenz. Jede der drei filmpublizistischen Arten nutzt die Merkmale des „Filmischen" in seiner Art und spielt sie artificialiter aus. Der unausgesetzte Fluß der Bilder zwingt den Zuschauer in den Gang der Handlung. Er läßt ein Wegschauen, ein ermüdetes Abschalten der visuellen Seite (wie sie im Szenenablauf des Theaters meist möglich ist) einfach nicht zu, und gerade darin steckt die zerstreuende wie die überwältigende Macht des Films, er zwingt den Zuschauer 11 , zumal da, wo dessen eigene Sorgen und Sehnsüchte sich mit dem Spiel des Films begegnen. Hier, im Menschlichen, liegt der Schlüssel zu tiefer Wirkung. Dabei vermag der Film alle natürlichen Schranken von Zeit und Ort zu überspringen. Er kann die Ereignisse entgegen jedem zeitlichen Ablauf sich dehnen lassen, eine „Bewegungslupe" (irrtümlich „Zeitlupe" genannt) aufstellen, er kann den Zeitablauf beschleunigen, kann ihn bündeln, raffen (Zeitraiter). Die Kunst des Schnittes, der Montage, der Auf-, Ab- und Überblendung bestimmen harten oder milden Rhythmus der abgesponnenen Ereignisse und die ganze Bewegtheit des 8

Vgl. BERGER, L.: Der Film, bevor er war. Hamburger Filmgespräche II. Hamburg 1965, S. 13 ff. 8 Die oft genannten Brüder M A X und EMIL SKLADANOWSKY haben den Ruhm (November 1895) im Berliner „Wintergarten" den ersten Film vorgeführt zu haben, dodi wurde ihre Technik nicht fortentwickelt. 10 Die ersten noch erhaltenen Filme der Gebr. LUMIÈRE zeigen Unterhaltungsszenen, bei denen die komischen Möglichkeiten des Films sich bereits treffend zeigen, sie geben bald auch Nachrichten, die sehr schnell politische Tendenzen annehmen. So der französische Film schon in seinen ersten internationalen Erfolgen noch in der Periode des „Wanderkinos" (1894/98). 11 Der Zuschauer gerät in die „Narkose der pausenlosen Bildschau". PRAGER, G.: Zeitbild und Menschenbild. In: Gedanken zum Film. Aufsätze von Beisitzern der Filmbewertungsstelle. Wiesbaden 1 9 6 2 . — Der Film ist „die Urform der Erholung". COHEN-SÉAT, G.: Film und Philosophie. Gütersloh 1962.

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Bildablaufs. Die Vorgänge zu lichten oder zu verdichten und im Schwenk der Kamera den Dingen und Menschen sehr nahe zu kommen, war bis dahin nie dagewesen. Von der Distanz der Totalen blendet er auf Großaufnahme und gerät hauteng an die Details, in denen, nach einem alten Wort, Gott oder der Teufel wohnt. „Das Detail ist zur Seele des Begriffs geworden" ( B E R G E R ) . Die Landschaft des menschlichen Gesichts wird in dieser Aufnahmetechnik bis in die feinsten Schrunden auch des seelischen Ausdruckes auf Riesenformaten projiziert und dem Publikum im schummerigen Halbdunkel vorgesetzt. Alle Ereignisse, Vorgänge, Tatsachen können so symbolhaft zu gewaltiger Wirkung gebracht oder in fragwürdigem Gegenlicht unter erwürgenden Details fallen gelassen werden. Die Montage, die Redaktion der Bildsprache, schafft alles. Die Kamera wird allmächtig, allwissend, allgegenwärtig.12 Ihre subjektive Tiefsicht ist einzigartig und — vielleicht — nur übertroffen durch die Bildmischung einer Vielkameraaufnahme, live im Fernsehen (s. S. 262). So kann der Film in der künstlichen Bewegung konkreter Wirklichkeiten13 bis zum letzten wahrhaftig sein, er kann aber ebenso entstellen oder phantastisch und ohne Grenze sein („Traumfabrik"). Das Artifiziale des Mittels gibt alles dies her. Die Wirkung ist durch die Natur des Kinos gesteigert, das die Menschen passiv zusammenbringt und sie unentrinnbar in den Fluß der Handlungen zwingt.14 Während im Theater der Zuschauer immer noch Distanz hält, ihm auch Aufblicke und Ausruhen erlaubt sind und er selbst heute noch eine Art gesellschaftlicher Atmosphäre um sich konserviert, ist der Kinobesuch oft nur unvorbereitet, oft weil es gerade paßt. „Man kommt zu schaun und will am liebsten sehn" (Faust). Man sucht Entspannung, Ablenkung, Entrückung und findet sie. Sicher bleiben auch unbewußte Wirkungen zurück. In der Kontinuität jeder gekonnten Publizistik werden sie später wieder angesprochen und entwickelt. Das Feld für jedes publizistische come-back bleibt offen. Eine neue Bewegung junger Filmleute und Filmfreunde ist dabei, durch eine systematische Bildungsarbeit und kritische Aktion den Zuschauer aus dem Sog des Hingerissenseins herauszuhalten, ihm Distanz zum Bilde zu geben und ihn damit wieder zur Reflexion zu bringen. Freilich machen solche Bemühungen auf die breite Masse zunächst erst geringen Eindruck. Wie bei allen publizistischen Mitteln wird auch hier die Zeitentwicklung dahin wirken müssen, daß die Distanz und damit ein ausgeglichenes Urteil auch aus der Zuschauermasse wieder möglich wird. Der Spielfilm zeigt die publizistische Absicht eingewoben in das Gewand der Unterhaltung.15 In den totalitären Ländern läuft er fest zwangsgerichtet und dikta12 Eine systematische Darstellung der Formen filmischer Aussage bei IROS, E.: Wesen und Dramaturgie des Films. 2. Aufl. Zürich 1957. — In praktischer Form bei EVERSCHOR, F.: Der Film. In: Massenmedien, die geheimen Führer. Hrsg. v. J . O. Zöller. Augsburg 1965. 1 3 „Die einzelnen Bilder sind Wirklichkeiten. Wahrheit und Lüge macht die Montage." BALAZS, B.: Der sichtbare Mensch. Eine Filmdramaturgie. 2. Aufl. Halle o. J . 14 FELDMANN, E.: Die Situation des Zuschauers beim Filmerleben. In: Zur Theorie der Massenmedien. München 1962, S. 113 ff. schildert die psychologische Situation des Filmbesuchers. 15 Vgl. S. 90 f.

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torisch bestimmt, in der Demokratie frei steigend und verfassungsrechtlich geschützt, dafür aber auch durch wirtschaftliche Voraussetzungen mit bedingt. Der Film muß sich einspielen. Er gehört hier, wie die Zeitung, zu den Mitteln, die ihr Dasein erst erwirtschaften. Er muß seine Produktionskosten decken. Gut rentierende Filme auch publizistisch in Fahrt setzen konnte der Hugenberg-Konzern. 18 Das Hitlerregime unterwarf den Spielfilm seiner Propagandamacht 17 („Jud Süß", „Hitlerjunge Quex", „Der große König", „Kolberg"). Ähnlich, aber mehrfach auch aus künstlerischer Höhe (EISENSTEIN, P U D O W I N ) bezeugt neben vieler sturen Propaganda die sowjetische Produktion die Kraft des Spielfilms. In den Propagandakämpfen des Ersten Weltkriegs gehörte der Film in den Händen der damaligen Gegner Deutschlands zu einer der mitentscheidenden Waffen 18 , denen Deutschland unterlag. Der Dokumentarium sollte seinem Namen Ehre machen und nur Dokument sein, d. h. beweis- und belegbare Wiedergabe des Wirklichen mit der im Film gebotenen subjektiven, hier bis ins Künstlerische, wahrhaftige Anwendung dieser Mittel." Der Dokumentarfilm hat die Forderung nach „facts" zu befriedigen. Die Geschichte kennt große Beispiele. Wo aber der Film in bewußt publizistischer Absicht gedreht wird, ist er von der krassen Tendenz bedroht, bis zur Umkehr seiner Namensverpflichtung. Notariell gewissenhafte Sachdarstellung (neuerdings „Faktizität" genannt) liegt seiner Natur ohnedies nicht, doch gelingt ihm ein hohes Maß von Sachlichkeit, wo Quellenwert und Quellennutzung auch im bewegten Bilde sich legitimiert und die Grenze zur Subjektivität sichtbar wird. Andererseits kann unter der Vorgabe, Dokument zu sein, die naive Glaubensbereitschaft skrupellos irregeführt werden, denn der Realitätsanspruch der Photographie verführt immer wieder. Die Sowjetunion bekennt sich bewußt zum Dokumentarfilm „als dem wichtigsten politischen Kampfmittel der sowjetischen Filmkunst". 20 Nicht das eigentlich Wirkliche („Dokument"), sondern das Problem des „Typischen" soll in „schöpferischer Auswahl gelöst werden". Der sowjetische Dokumentarfilm gibt die „wesentliche Sphäre, in der die Parteilichkeit der Kunst in Erscheinung tritt." Er zeigt also eben nicht was ist, sondern was sein soll.21 16

Vgl. DIETRICH, V.: Alfred Hilgenberg. Ein Manager in der Publizistik. Diss. Berlin 1960. Verfahrensform war die Staatsregie. GOEBBELS am 9 . Februar 1934 vor den Filmschaffenden: „Wir sind der Überzeugung, daß der Film eines der modernsten Mittel zur Beeinflussung der Massen ist. Eine Regierung darf daher den Film nicht sich selbst überlassen." In: Völkischer Beobachter v. 10. Februar 1934. 18 Vgl. BUB, G.: Der deutsche Film im Weltkrieg. Berlin 1938 sowie PETERS, D.: „Das USCommittee on Public Information". A.a.O. 19 Weit, aber in gewissenhafter Sachlichkeit faßt der Engländer PAUL RÖTHA (Dokumentary Film. London 1958) den Begriff schon im Titel seines Buches: The use of the film medium to interpret creatively and in social terms the life of the people as it exists in reality. 20 Der sowjetische Film. Hrsg. v. Pudowkin, Romm u. a. Berlin (Ost) 1953, S. 138/39. — Vgl. auch KERSTEN, H.: Das Filmwesen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Bonn/Berlin 1963. 21 Beiträge zur Filmkunst. Studienmaterial hrsg. v. Ministerium für Kultur. H. I. Dresden 17

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Die Nachricht, der Nachrichtenfilm, gehört zu den allerersten filmischen Leistungen überhaupt. Schon das Schaubuden-, das Wander- und Ladenkino zeigte „Nachrichten" in seinen springenden Unterhaltungsstreifen. 22 Nichts war für den jungen Film natürlicher als mit dem bewegten Bild der bewegten Zeit zu folgen. Aber seine Natur, das Artifiziale seines Wesens machte alle seine nachrichtenfachlichen Leistungen nur bedingt objektiv. Die Filmnachricht ist für subjektive Färbung viel anfälliger als das gedruckte Wort. Sie ist auch für den Kinobesucher mißverständlicher als daheim die Zeitung. Die UNESCO deutet das treffend: „Der Zuschauer muß seine Aufmerksamkeit derart auf den überstürzten Bildablauf konzentrieren, daß jede Reaktion ins Unbewußte abgedrängt wird. Selbst wenn er kritisch ist, er hat keine Möglichkeit, die Information nachzuprüfen. Der Filmbericht bleibt anonym." 23 In totalitären Staaten ist der Nachrichtenfilm, die Wochenschau, von vornherein in die propagandistische Aktivität eingeordnet und gelenkt. In der Wochenschau der Sowjetunion wird nicht die einzelne Ereignistatsache, sondern bewußt deren Verallgemeinerung geboten. „Von Anfang an fungiert die Wochenschau als Propagandist, Agitator und Organisator. 24 " Trotzdem wird der entsprechend gearbeiteten „Wochenschau" der deutschen Sowjetzone der Name „Augenzeuge" gegeben. Eine Kriegswochenschau steht in allen Ländern unter dem Zwang der „militärischen Notwendigkeiten". In den totalitären Staaten sind sie z. B. durch Berichte, die unter Lebensgefahr aus dem unmittelbaren Kampfgeschehen kommen, gefährliche, oft ergreifende Machtmittel der propagandistischen Führung. Im Hitlerregime wurde im Kriege die Länge der „Wochenschauberichte" von 12 auf 45 Minuten verlängert. Die Tendenz war überdeutlich, aber gerade wegen der konkreten Bildinformation und weil es andere derart unmittelbare Wirklichkeiten — mochten sie auch entstellt sein — anzusehen nicht gab, wurden sie gerade auch von den Gegnern mit studiert, je mehr die Berichte auch mit dem nahenden Zusammenbruch immer einseitiger wurden. 25 So stieg in den Jahren 1939—45 der Kinobesuch auf 1,2 Milliarden jährlich (heute etwa die Hälfte). Die Fälle waren zahlreich, in denen die Besucher sofort nach dem Ablauf der Wochenschau das Theater verließen und sich den nachfolgenden Spielfilm schenkten. So stark kann die suggestive Wertung selbst des in seiner Tendenz verworfenen Filmberichtes sein. 1955. — Vgl. auch KERSTEN, H.: Das Filmwesen in der Sowjetischen Besatzungszone. Nachtrag 1954. Bonn 1955. 22 So in den ersten Streifen der Gebr. LUMIÈRE (Actualités), in EDISONS „Movies" und den „Aktualitäten" MESSTERS (am Brandenburger Tor, Wilh. II in Stettin, Besuch in Friedrichsruh) . 23 BAECHLIN, P.: News Reals across the World. UNESCO 1956. 24 Sie folgt damit der von Stalin gegebenen Regel aller publizistischer Arbeit. Vgl. S. 168, KERSTEN, H„ a.a.O., S. 138/39. 25 Vgl. SCHRÖDER, J.: Der Kriegsbericht als propagandistisches Kampfmittel im Zweiten Weltkrieg. A.a.O. 17

Publizistik I

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In der modernen Demokratie bietet die Wochenschau schon im Wettbewerb mehrerer Wochenschaufirmen die Möglichkeit des Informationsausgleiches, zumal wo die Freiheit des Filmberichts (in der Bundesrepublik durch GG, Art. 5) verfassungsrechtlich gesichert ist. Doch bleibt die Wochenschau — und was bewiese besser ihre publizistische Natur — immer umkämpft. 26 In vielen, auch demokratischen Ländern, erhalten die Wochenschauen mittelbar oder unmittelbar staatliche Subventionen. Da die Wochenschau bei den Theatern die Streifen für die Vorprogramme überhaupt absetzen muß, ist sie gezwungen, den Nachriditeninhalt in unterhaltende Sujets (spots) einzukleiden. Eine gute Regie vermag dabei das publizistische Element anregend unterzubringen. 27 Neuerdings gehen die Wochenschauen dazu über, nicht 15—20 Einzelereignisse (einen „Nachrichtensalat") zu mengen, sondern weniger Einzelbeiträge ausführlicher abzuhandeln. Es gilt dem Wettbewerb des Fernsehens zu begegnen. Das technisch verwöhnte Publikum verlangt jetzt die Gleichzeitigkeit des Berichts mit dem Ereignis. Man möchte dabei sein. Diese Aufgabe aber könnte nur das Fernsehen lösen. Wie es ihm gelingt, ist das Problem. Das Fernsehen gibt Wort und Bild mit dem Anspruch auf Augenzeugenschaft: ein publizistisches Mittel eigener Ordnung.

25. Das Fernsehen „Das Fernsehen zeigt uns die großen Präsidenten, die Redner und Manager dicht und nah, so unerbittlich echt, daß kein Verstedespiel mehr möglich ist. Ihr seelischer Kern wird aufgeknackt. Jedes Zucken in ihrem Mund, das Zwinkern ihrer Augen, die Unsicherheit im Blick enthüllt sie uns. Es macht den Helden zum allbekannten Mann, aber es entzaubert ihn zugleich. So immunisiert es gegen die Verführung des Heroentums." CARL HAENSEL 1

Das Fernsehen erschließt der Publizistik völlig neue Möglichkeiten. Sie sind zur Zeit noch kaum abzusehen. Schon der pathetische Name verrät die Zuversicht, die 26 Die „Deutsche Wochenschau" und die „Zeitlupe", deren Anteile zu einem Teil der Regierung der Bundesrepublik gehören, sind durch ein überparteiliches Gremium im vorstaatlichen Räume bestimmt („Beirat"). Dazu: ENZENSBERGER, H . M.: Die Welt als Scherbenhaufen. Frankfurt a. M. 1963. Zum gleichen Thema vgl. u. a. BAECHLIN, P.: News Reals across the World, a.a.O., sowie HAGEMANN, W.: Filmbesucher und Wochenschau. Eine Untersuchung des Inst. f. Publizistik an der Universität Münster. Emsdetten 1 9 5 9 . — CLAUSSÉ, R.: Les Nouvelles. Synthèse critique. Bruxelles. Ed. de l'Inst. Sociolog. 1963. 27 Vorschläge bei ENZENSBERGER, a.a.O. Letzte Berichte der „Deutschen Wochenschau", Hamburg (1967) zeigen die neue Aufteilung: Aktuelles Zeitgeschehen 35 °/o, Politik: innere 10 °/o, äußere 10 °/o, Sport 19 %>, Unterhaltung 10 °/o, Forschung und Technik 5 »/», Kultur und Kunst 11 °/o. 1 HAENSEL, C.: Fernsehen — Nahgesehen. Technische Fibel. Dramaturgie. Organisatorischer Aufbau. Frankfurt 1952. Eines der geistvollsten und klarsten unter den frühen Werken über das Fernsehen.

DAS FERNSEHEN

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man in das „Femsehen", die „Television", setzt. Unbegrenzten Phantasien gibt der Name Raum. Sie vorläufig noch einzudämmen, gebietet die Realität. Denn genau betrachtet ist das „Fernsehen" noch kein Fernsehen. Es ist nur ein Funksehen. Wir sehen nicht „fern" was wir sehen möchten, wir sehen nur, was uns gezeigt wird. Eben dies aber vollziehen bestimmte organisatorische Kräfte, denen gegenüber wir zwar nicht ganz, aber doch z. Z. noch mehr oder weniger machtlos sind. Fernsehen, frei Fernsehen nach eigenem Wollen werden wir dann, wenn wir überall oder doch global fast überall hinschauen können, wohin wir zu schauen interessiert sind, („Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt"2) eine Entwicklung, die durch die Telestarsysteme in den Bereich des Möglichen rückt. Doch sollte uns das nicht die Freude am Erreichten schmälern. Fernsehen ist ein eigenes, ganz neues publizistisches Mittel. Es als eine Kombination von Film und Rundfunk zu bezeichnen, ist widersinnig.3 Vor allem vom Film setzt sich das Fernsehen ab. Der Film liefert ihm zwar die seiner Sache angepaßte Materialkonserven, aber zum eigentlichen Fernsehen besteht ein Gegensatz, der nicht zu überbrücken ist. Dieses eigentliche Fernsehen ist eine genaue Fortentwicklung des Ton-Rundfunks, dem er das Bild beigibt. Bild und Ton werden übertragen durch eine elektronische Technik, die unmittelbar und gleichzeitig einen Vorgang im lebendigen („live") Zeitablauf wiedergibt. Diese Wiedergabe wird persönlich individuell und örtlich unterschieden durch einen oder einzelne Empfänger in der gewohnten Umgebung ihrer eigenen Häuslichkeit aufgenommen. Die Elektronenkamera also geht nicht den physikalisch-chemischen Umweg des Films. Sie kennt auch nicht dessen auf eine „Vorstellung" zugeschnittenen Ablauf, der vor einem zusammengefaßten Publikum abrollt. Das Fernsehen führt geradewegs, soweit die elektronische Technik das zuläßt, die sich abspielende Wirklichkeit in eine allerdings nur bedingte „Augenzeugenschaft". Die Magie des Tones4, die das Mikrophon gibt, verbindet sich mit der packenden Ereigniswiedergabe zu einer bezwingenden Einheit.® Diese Zauberwirkung des Fernsehens, des „reinen Fernsehens", wie sie die live-übertragung bringt, tragt in sich bereits starke Eigenwirkungen des technischen Mittels („artificialiter"). Sie ermöglichen auch eine künstlerische Umgestaltung, bleiben dabei aber den Realitäten immer noch 2 Die berühmten Verse des Turmers LYNKEUS in Faust II, 5 bieten übrigens („Ich blick in die Ferne, ich seh in der Näh, Den Mond und die Sterne, den Wald und das Reh") interessante Vorahnungen der „Totalen" und der „Großaufnahme". 3 Die Entwicklung von Film und Fernsehen in Fördervereinigungen zusammenzufassen oder die beiden Mittel zum Gegenstand gemeinsamer Lehre zu machen, mag organisatorisch notwendig sein, widerspricht aber den natürlichen Gegebenheiten und einer klaren Methodik. 4 Vgl. S. 232. 5 Schon diese Fixierung der Grundvorgänge sollte beweisen, daß Fernsehen mit Film und Funk in kein gemeinsames Bett gezwungen werden können. Treffend wehrt sich gegen die mangelhafte Unterscheidung schon der Engländer Hubbell. Er argumentiert: Die Entwicklung des Fernsehens an den Film zu binden wäre so gut wie „hamstring", d. h. einem jungen Rennpferd die Beinmuskeln durchschneiden." HUBBELL, R.: Television. Programming and Production. 2. Aufl. New York 1950, S. 142.

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näher als der Film, auch dann oder gerade dann, wenn es künstlerisch zu großen Leistungen kommt. Das beweist jedes gute Fernsehspiel.8 Welche publizistischen Möglichkeiten aber bietet das Fernsehen? Es kann publizistisch die wahrhaftige Anteilnahme, eine ehrliche wenn auch, begrenzte Augenzeugenschaft der Ereignisse und Persönlichkeiten vermitteln. Aber es vermag auch subjektiv aus der Vielzahl seiner Blickmöglichkeiten die Schatten über jedes Licht zu breiten. Es kann Negatives heraufspielen, es verallgemeinern und so den hilflosen Zuschauer zu einem falschen Zeugen machen. Wie aber auch immer die subjektive Deutung eingespielt wird, eines ist heute gegeben: in den weltgeschichtlichen Spannungen zwischen den Völkern kann zum ersten Male allen Beteiligten die Kraft der Tatbestände vorgeführt werden. In der Kubakrise, dem nächstliegenden Beispiel, zeigte das Fernsehen die Raketenbasen auf der Insel ebenso wie die mit ihrer Raketenladung sich nähernden sowjetrussischen Schiffe. Zwischen beiden Fernsehübertragungen wurde den rund 400 Millionen Zuschauern in der Welt die Wucht der Entscheidung klar: um einen 3. Weltkrieg. Davon ist treffend gesagt worden: „Am 24. Oktober 1962 kam der Schrecken der Wirklichkeit, das Warten auf die Weltexplosion, in unsere Stuben."7 Aus drei Grundvorgängen lassen sich die publizistischen Elemente des Fernsehens entwickeln. 1. Aus der Tiefsicht der Elektronenkamera. 2. Dem Pluralismus der Blickrichtungen (Mehrkameraaufnahmen) und 3. dem Köhlerglauben echter Augenzeugenschaft. 1. die Tieisicht der Elektronenkamera scheint — ohne daß bisher diese Behauptung technisch bewiesen wäre — in bestimmten Aufgaben stärker zu sein als die der Filmkamera. Jedenfalls ist sie es im Gange der „live"-übertragung, also des echten Fernsehens. Hier — so meinen wir — spricht sie den Zuschauer wirksamer an, als die Filmkamera, weil hier das Riesenmaß der Menschen und Dinge, von der Filmleinwand, im Kabinettformat des Fernsehschirms erscheint. Es kommen die Details hinein im Stil der Wohnung, wo sie gesehen werden und hingehören, noch bevor eine Großaufnahme sie herausstellt und hoch erstehen läßt, im Gange des Lebens selbst. Den im Film unentbehrlichen dramatischen Impuls braucht das Fernsehen nicht. Es gibt ja Wirklichkeiten, zumal da, wo es bewußt dokumentarisch-publizistisch auftritt, wo es Dinge, Zustände, Persönlichkeiten mit der Kamera einfängt und 6

Erstmalig sind dessen Grundsätze in reifer Systematik dargestellt bei ECKERT, G.: Die Kunst des Fernsehens. Emsdetten 1953. Es ist immer zwischen einem Fernsehspiel und einem durch Fernsehen übertragenen Film zu unterscheiden. 7 So KEMPE, F. in seinem erfahrenen Buche: Fetisch des Jahrhunderts. Ein Lesebuch für Photofreunde. Düsseldorf 1964, S. 238. — Verwiesen sei auch auf den gleichen Effekt, unmittelbare Teilhabe bei großen Sportereignissen, z. B. auf das umstrittene 3. Tor der Engländer im Weltfußballkampf England—Deutschland, Sommer 1966, oder durch Zufall im Fernsehen erfaßte sensationelle Tatsachen, wie die Ermordung des als Kennedy-Mörder verhafteten Oswald durch den Gastwirt Ruby 1963.

DAS FERNSEHEN

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festhält. Dabei kann es in den Zustand intensiver Betrachtung verfallen. Mehr noch und viel individueller als der Film das fertig bringt, enthüllt uns die Elektronenkamera den Menschen. Man höre, man sehe im Fernsehen Vorträge an, Podiumsdiskussionen, Interviews. Wo in aller Welt besteht die Möglichkeit, den Menschen so ins Gesicht zu sehen wie das die vor dem Fernsehschirm auftretenden, die sich dort preisgebenden Personen zulassen müssen. Dürrenmatts Wort von der „Pornographie im photographierten Menschenbild" kann durch die Elektronenkamera bis zur Schamlosigkeit heraufgetrieben werden. Die Persönlichkeit steht dem Zuschauer auf einen halben Meter Entfernung gegenüber noch ehe sie in den einzelnen Bewegungsphasen unter die Lupe genommen ist. Das kann liebend geschehen. Jede Kamera wird dann die guten Seiten des Gesichtes suchen. Das kann boshaft geschehen, jede Kamera wird dann alles Entstellende auffinden und darin verweilen. 8 Im Fernsehen kann somit loyale Sachlichkeit einem schnell aufkommenden ungünstigen Eindruck abhelfen, boshafte Regie vermag bewußt das Gegenteil zu tun. Allem voraus aber übt die Kamera selbst die ihr artificialiter natürliche Tiefsicht9 und tritt darin in Korrespondenz mit der gesteigerten Lautungskraft des Mikrophons10, mit der sie, durch das starke Bildinteresse des Zuschauers verführt, im Fernsehen gemeinsame Sache macht. Jedenfalls leistet sich die Kamera im aktuellen Einsatz manches private Kunststück. Sie bringt den Schaum des Nebensächlichen und Zufälligen mit Selbstverständlichkeit ins Bild. Diesem Eigenwillen zeigt sich nicht jeder Kameramann gewachsen.11 Wird die 8 Es ist bekannt, daß die Schärfe des Kamerablickes, bis unter die Epidermis dringt und schon die Ansätze des Bartwuchses erkennen läßt, weshalb der Amerikaner zum „Five o'clock-shave" rät. Bei Frauen kann in der Mehrkameraaufnahme ebenso gezaubert wie verteufelt werden. Die Kamera hat von sich aus keinerlei chevalereske Neigung. Die Führung muß sie haben. Läßt sie es daran fehlen, findet sie, wie alle Bosheit in der Publizistik, stets ihre besonderen Bewunderer. 9 Der Film- und Fernsehkamera gemeinsam ist nur der stroboskopische Effekt. Bei der Filmkamera das aktuelle Ineinanderlaufen stehender Photos, bei der Fernsehkamera kann das menschliche Auge, das „träge Auge", die durch den Elektronenstrahl in einer Laufgeschwindigkeit von 15 000 Metern in der Sekunde abgetasteten und durch die Impulse der Braunschen Röhre auf die Netzhaut übertragenen Lichteffekte nicht mehr trennen, und läßt sie so ineinander überfließen. Jedenfalls ermöglicht die Fernsehkamera, ob sie nun in 625 Zeilen (Deutschland) oder 819 (Frankreich) oder 405 (England) ein Abtastungsmanöver vornimmt, daß pro Sekunde rund 14 Millionen Lichtpunkte übertragen werden und damit ein intensiveres Zupacken ermöglicht und so ein kompakter Bildeindruck gerade dem kleinen Bildformat mitgeteilt wird. Das ist eine Eindringlichkeit, die, technisch richtig gesteueit, in überzeugender Weise publizistisch genutzt werden kann. 10 Vgl. S. 232. 11 Aufmerksame Beobachter und Fernseh„betraditer" sind oft erstaunt wie gerade in gleichgültigen Wiedergaben der Elektronenkamera glänzende Charakterisierungen gelingen. Bei den Quiz-Sendungen z. B. zeichnet die Kamera von irgendwelchen aufs Podium geholten Leuten aus dem Publikum köstliche Porträts. Selbst beim Schwenken der Kamera über ein beteiligtes Publikum kommt es oft zu Stichproben höchst erfreulicher oder auch weniger erfreulicher Zeitgenossen. Der Film kennt diese Technik auch, aber nicht im Banne der Gleichzeitigkeit.

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P R A K T I S C H E PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN

MITTEL

Kamera nun zielbewußt in Aktion genommen, immer vorausgesetzt, daß es echte „live"-übertragung ist, dann tritt die lenkende Hand des Publizisten in Erscheinung. Eine wirkliche oder eine manipulierte Augenzeugenschaft kann vermittelt werden. Das freilich gelingt nur, indem der 2. Grundvorgang einbezogen wird. Das ist 2. der Pluralismus der Blickrichtungen, die Möglichkeit, den Augenblick selbst, also die absolute Aktualität im „Augenblick" anzuschauen, und zwar aus drei oder mehr Kameraaugen. Das zu übertragende kann dabei in einer bestimmten Auswahl der Blickrichtungen oder sogar gleichzeitig aus mehreren Blickrichtungen auf dem Schirm erscheinen. Der„Augen"-blick im wortwörtlichen Sinne des Begriffs wird somit ein „Viel"-Augenblick. Mehrere Aspekte des gleichen Vorgangs erscheinen so gleichzeitig auf dem Schirm, eine Leistung, die vom menschlichen Auge niemals, vom Film nur in zeitraubendem Schnitt bewirkt werden kann. Diese Pluralität der Blickrichtung führt der Mann am Mischpult. Er vermittelt, selbständig oder auf Planung den eigentlichen publizistischen Ausdruck der Sendung. Wenn nicht der Chefredakteur, so ist er — ein Vergleich mit der Zeitung — doch der Leiter des Umbruches und der Aufmachung. Vom Mischpult her wird das hohe Maß überzeugender Wahrhaftigkeit geboten, das gute Fernsehsendungen auszeichnet. So vermag die Kamera z. B. den Redner — um nur einen Fall zu geben — in allen Phasen seiner natürlichen Hingabe an die Sache12 auf den Schirm zu bringen, überdeutlich und überzeugender, als er dem Publikum vor der Tribüne jemals zu erleben möglich ist. Mit der gleichen Technik kann unter entsprechender Kameraführung auch das Gegenteil erreicht und jeder Wahrhaftigkeit Hohn gesprochen werden. Eine Kamera verweilt dann auf der weniger anziehenden Seite des Profils, oder verharrt mit Vorliebe auf den Mundpartien des Redners und des dabei oft unschön bewegten Mundwerks. Gleichzeitig wird dann von einer eigens dazu angesetzten Kamera das jubelnde oder das hohnlachende Publikum eingeblendet.13 Dem Manne am Mischpult ist somit aus dem Pluralismus der Blickrichtungen jede Macht gegeben. Er kann die Wahrhaftigkeit in ganzer Größe und in ganzer Größe ebenso die Entstellung bieten. Kaum irgendwo tritt der Gesinnungscharakter jeder Publizistik so überzeugend hervor wie hier. Die unmittelbar (live) gegebenen Übertragungen machen den eigentlichen publizistischen Kern des Fernsehens aus. Doch sind sie, eingebettet in ein buntes Programm, dessen vielfach bedeutender kultureller oder auch unterhaltender Wert den Zuschauer zur publizistischen Sendung führt und ihn dort festhält. In seiner geistigen, unterhaltenden, ja amüsanten Macht gewinnt es so für Millionen FernVgl. S. 226. Die in der nobelen Freiheit der Bundesrepublik immer wieder zugelassenen Kamerateams totalitärer Länder pflegen solche Aufnahmen leider mit Eifer und Erfolg. Aber auch Sender der Bundesrepublik sind in ihren politischen und gesellschaftlichen Kritiken gelegentlich über das Ziel hinausgeschossen. 12

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DAS FERNSEHEN

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seher Eigen- und Erstwert.14 Die großen, mit Filmaufnahmen illustrierten Nachrichtensendungen sind Stützpunkte des Gesamtprogramms. Sie sind hervorragend publizistisch, und nach Auswahl und Darbietung nachrichtenpolitischen Einwirkungen zugänglich. In den totalitären Systemen sind sie ihnen völlig verfallen. 15 Auch die mit altem und neuem Material geschaffenen Dokumentationssendungen sind meist publizistisch. Sie erscheinen entweder sachlich und auf das Tatsächliche ausgerichtet (Dokument) oder im Sinne der totalitären Publizistik dem Kommenden, dem „Seinsollenden" verpflichtet.16 Von eigenem publizistischen Rang sind Übertragungen politischer Veranstaltungen, so von Parlamentsverhandlungen. Hier beweisen Sachlichkeit und Wahrhaftigkeit der Kameraführung die wahre Größe der Fernsehmöglichkeiten, doch ist auch hier, zumal in nachgeholten, in geschnittenen Sendungen, subjektive Manipulation möglich.17 Publizistisch bedeutsam, oft äußerst informativ, oft auch provokant sind montierte Mischsendungen geworden, die unter dem Namen „Magazinsendungen" laufen. 18 Sie fassen verschiedene Themen unter im allgemeinen live gegebenen Ansagen und Kommentaren mit anderen publizistischen Mitteln (Filmen, Standphotos, Tonbändern usw.) wirksam zusammen. Eindeutig „artificialiter" konstruiert, stehen sie im Fernsehen immer noch, selbst bei historischen Themen, unter der Suggestion einer Augenzeugenschaft. Ihre gesellschaftskritischen Absichten können vom Zuschauer daher leicht überwertet werden. 19 14 Ein Beliebtheitsindex ist problematisch. Die Zahl der eingeschalteten Geräte ist nicht nur vom jeweiligen Stoffgebiet, sondern auch von der hör- und sehhäufigsten Zeit und der Programmeinordnung anhängig. Zusammenfassende und koordinierte Gesamtergebnisse vgl. u. a.: „Der Fernsehzuschauer". Schriftenreihe zur empirischen Sozialforschung. Hrsg. „Infratest", Bd. 2, 1965, und M A G N U S , U.: „Aussagenanalysen". Eine Untersuchung des 1. Fernsehprogramms. Studien zur Massenkommunikation. 2 Hamburg 1966 (Hans-BredowInstitut). Bevorzugt ist das Nachrichtenwesen in der Wertungsskala ( + 10—10) mit +7, bei aktuellen Ereignissen mit + 8 und + 9 (Kubakrise, Besuch Königin Elisabeth). Für die eigentlich politischen Sendungen, einschließlich aktuell-politischer Themen, errechnet die Analyse +4. In den weiteren Programmkategorien liegen an erster Stelle Kinospielfilme, unmittelbar gefolgt von Fernsehfilmen (da meistens Krimis). Unter den Themenkreisen sind (ohne Rangfolge) als besonders erfolgreich zu nennen sogenannte Volksstücke (Ohnesorgtheater, Millowitsch), Tiersendungen, Fußballübertragungen, lebensnahe, gemütvolle Familiengeschichten. (Infratest) 15 Vgl. S. 88. 16 Vgl. dazu die gleiche Problematik beim Film, S. 256. 17 Weswegen z. B. das demokratische England jegliche Fernsehübertragung aus dem Parlament mit einer einzigen festlichen Ausnahme (Königin im Oberhaus) bisher verboten hat. 18 Z. Zt. „Report", „Panorama", „Monitor" u.a. in den Sendern der Bundesrepublik. Vgl.: Fest, J.: „Für 5 DM im Monat Objektivität. Freiheit bedeutet Widerspruch", in „Das Parlament", Sondernummer Fernsehen 17. Jahrgang, 18. Januar 1967, S. 13. 18 Die „Magazine" im Fernsehen liefern Beispiele anschaulicher Information. Allerdings eröffnet das Verfahren ebenso gefährliche Möglichkeiten subjektiver Tendenz unter Mißbrauch des Bildes in seiner verführerischen Dehnungs- und Entstellungsmöglichkeit („Viragen", „Zwischenzeiten", „stop the film" und andere Tricks), Zur rechtlichen Seite vergl.: KRAUSE-ABLASS, G. B.: Parität und Neutralität gewahrt. „Das Parlament", Sondernummer Fernsehen, a.a.O., S. 3. — Gute Wirkungsvergleiche mit der illustrierten Presse bringt H I N T Z E , M.: Massen-Bildpresse und Fernsehen. Bielefeld 1 9 6 6 .

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3. Der Fernseher, wenn er nicht zu wertendem Urteil bereit oder in der Lage ist, verfällt und verharrt allzuleicht in diesem Köhlerglauben seiner Augenzeugenschaft.20 Wie selten sie ihm wirklich gegeben ist und wie oft er auch Zeuge eines nur manipulierten Vorganges bleibt, bedarf nach dem eben Gesagten keines Beweises. Aber er ist frei von den kollektiven Bindungen, die den Kinobesucher einengen. Souverän ist er Herr der Knöpfe, mit denen er an- und abschaltet. J e überlegener er diese Möglichkeit wirklich ausübt, je mehr er in der Auswahl sicher ist und herholt, was seine Sache ist, um so wertvoller ist er als Zuschauer 21 , je besser wird er auch die publizistische Natur des Fernsehens begreifen und nutzen. Die besondere Bedeutung des Fernsehens liegt darin, daß es innerhalb der Publizistik den Menschen wieder zum Menschen führt. Der Fernseher empfängt in der entspannten Abendruhe den Politiker. Er vermag sich seiner Person und seines Wesens in einer Intensität und Schonungslosigkeit zu versichern, wie er das selbst bei einem persönlichen Besuch so niemals könnte. 22 Allerdings kann der Besucher — artificialiter — auch entstellt gegeben werden. Das ist gefährlich auch deshalb, weil die „Berichtigung" eines manipulierten Bildes bisher weder juristisch noch psychologisch entwickelt ist. Der Gesetzgeber hat zwar „Gegendarstellungen" in den Presserechten gesetzlich festgelegt. Einer „Bildberichtigung" hat er noch keine Form gegeben. Im demokratischen Rechtsstaat ist dem Fernsehen die Freiheit (meist verfassungsrechtlich) ebenso gesichert wie der Rede, der Presse und dem Film.23 Die totalitären Mächte ordnen seine gefährliche propagandistische Kraft ohne weiteres in die Mittel ihrer Staatsführung ein. Durch die Entwicklung der Nachrichtensatelliten, insbesondere der Synchronsysteme 24 ist eine ständige Weltfemsehübertragung funkisch möglich geworden, die z. Z. nur im Sammelempfang gelingt. Sie vollzieht sich heute noch kostspielig aber mit großer Sicherheit. Aktuelle Ereignisse haben gezeigt, wie Bilder ohne merkliche Fehler diesseits und jenseits der Ozeane übertragen und z. B. der Presse gleich ätzfähig geliefert werden. Noch sind Bodenstationen mit empfindlichen Empfangsgeräten erforderlich. Die technische Perfektion aber weist schon dahin, daß durch Verfeinerung, Verkleinerung und Verbilligung der Empfangsgeräte unmittelbar von den Satelliten die durch Computer sehr verschiedene poli20 Es erinnert an die Anfänge des Drucks, wo die einfachen Menschen glaubten, was „in Drude gestellt" sei müsse wohl wahr sein. Nach den Glaubenskämpfen wendet sich die Auffassung, und schließlich heißt es: „Gelogen wie gedruckt". 21 Einzelheiten vgl. Anm. 14, Beliebtheitsindex. 22 Darüber ist viel geschrieben worden, z. B. in der Präsidentschaftskampagne NixonKennedy, in den physiognomischen Fernsehanalysen der Gesichtszüge Adenauers, de Gaulles, Chruschtschows und vieler anderer. 23 Die dazu gegebenen Garantien sind S. 176 näher dargestellt. 24 Vgl. hierzu die auch dem Nichttechnlker verständliche Darstellung von E . V. G R E G O R : Fernsehen leicht verständlich. In: ECKERT, G . : 10 Jahre Fernsehen in Deutschland. Frankfurt 1963, S . 2 7 7 . Zu den Problemen des europäischen Fernsehens vgl.: ECKERT, G . U. N I C H U S , F.: Das Femsehen in den Ländern Westeuropas, Bielefeld 1965.

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tischen Staatengruppen dorthin eingelagerte publizistische Sendungen, abgerufen und individuell — sogar in Farbe — abgerufen werden können. Dann erst wird der Einzelne dazu kommen, weitgehend und wirklich nach eigenem Willen fernsehen zu können. Eine freie Weltinformation bahnt sich an. Das Farbfernsehen wird diese Wirkung verstärken, mag es zunächst auch nur ästhetisch faszinieren. Bald wird die Farbe, ihre Symbolkraft, als Stimmungselement auch ein publizistischer Faktor sein. Das verstärkt die Notwendigkeit, den sachkundigen, den kritischen Fernseher eigenen Urteils zu gewinnen. Diese gegen alle publizistischen Mittel erforderliche demokratisch-kritische Haltung ist für das Fernsehen bei seinen gewaltigen Möglichkeiten unerläßlich. Eine neue „Welt-Anschauung", im wörtlichen Sinne, ist im Kommen.

26. Das geschriebene Wort a) Sichtwerbung

(Plakat) „Das Plakat streckt sich und schwillt an, die Reklamesäulen genügen ihm nicht mehr, an Mauern und Zäunen, Hauswänden und Ecken breitet es sich aus, nebeneinander, übereinander. Es tönt und schreit in allen Farben; Worte und Sätze springen heraus und fallen den Vorübergehenden an." BRUNO PAUL, N O V .

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Die Aufgabe des Plakats gehört im Kern zu den ältesten publizistischen Vorgängen überhaupt: Bekanntgabe, Verordnung, Aufruf, Angriff, Abwehr in Wort und Bild laut zu verkünden2 und auf Straßen und Plätzen unter die Leute zu bringen. Schon unter den Vorläufern zeigt sich auch die zweifache publizistische Aufgabe (autoritäre Verkündung von oben, politischer Kampf von unten3) und früh beginnt 1

In Zs. „Wieland", 4. Jg., H. 12, Nov. 1918. Die Wortwurzel „placken" = „flecken", „anflecken" ist niederdeutsch, geht als „placard" ms Französische über und kommt als „Plakat" zurück. Vgl. KLUGE, F.: Ethymolog. Wörterbuch der deutschen Sprache. 19. Aufl. Berlin 1963. — REIMANN, H.: Wahlplakate. Mitteilung der Freunde der Studentenschaft der Univ. Heidelberg. Anhang zu Ruperto Carolo XIII. Jg., Bd. 30,1961. Der Begriff „afficher" („fiche" = Zettel) trifft sprachlich besser. 3 Auf gekalkten Tafeln wurden in Rom Anordnungen der Behörden bekanntgegeben. Von unten her äußerte sich in Mauerkritzeleien die Opposition. Vgl. MAIURI, A.: La villa dei Mysteri, a.a.O., sowie DIEHL, E.: Pompejanische Wandinschriften. Berlin 1930. — Im ausgehenden Mittelalter pflegte Maximilian I Verordnungen ankleben zu lassen „an ein gelegen Ort und gefällig uffschlagen lassen". Vgl. DIEDERICHS, P.: Kaiser Maximilian I als politischer Publizist. Jena 1932. — Renaissance und Reformation bringen das Zettelkleben in Brauch. Das Pasquill ist die in Zetteln geklebte Fortsetzung satirischer Verse, anonym am Torso einer antiken Statue angebracht und später schriftlich verbreitet. Vgl. MARTIN, T.: 2

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auch, seine geschäftliche Nutzung. Schausteller, Steinschneider, wandernde Ärzte nutzen den W e r b e w e r t des Plakats. Die eigentliche Entwicklung im modernen Sinne setzt mit dem 19. Jahrhundert ein. Die Verbilligung des Papiers, die Herstellung und der Druck auf große Bogen (Lithographie) in Farbe und Bild, die kommerzielle Nutzung des Plakats fördern seine Entwicklung, manches Mal zu lärmender Lautheit, gelegentlich aber auch zu großer künstlerischer Höhe. 4 Im 20. Jahrhundert löst sich seine Aufgabe z. T. v o m Bogenanschlag. 5 Das Plakat wird fester Tafelanschlag oder es setzt in der elektrischen Laufschrift Nachrichten und Werbetexte in Bewegung. Die Neontechnik ermöglicht imposante Lichtphänomene, und an klaren Sonnentagen l e g e n die „Himmelsschreiber" durch Flugzeuge in Kondenzstreifen Werbeworte mit einer Buchstabenlänge v o n 5 Kilometer in das Himmelsblau. Während das Plakat als Papierbogen im allgemeinen auf vorübergehende Wirkung gestellt ist, konnte es durch die festen Tafeln (in Holz, Glas, Metall) zwar „Dauersichtwerbung" werden, der aber die ansprechende Aktualität des Plakats abgeht. Dem Plakatanschlag verwandt ist das Mal- und Klebetreiben radikaler Gruppen, dessen Durchführung meist Sache einer Art politischen Soldatentums ist. Dabei entfachen sich straßenkampfähnliche Zusammenstöße mit politischen Gegnern; Opfer auf beiden Seiten sind die Folge und tragen zur Propaganda des „Martyriums" bei." In die gleiche Verwandtschaft gehört die getragene Sichtwerbung. Sie hält das Plakat hoch und provokant dem Anzusprechenden entgegen. 7 Ein Vorläufer der Methode ist der „Sandwich-man", der sich zwischen z w e i Plakat-

Pietro Aretino als Publizist. A.a.O., sowie: G N O L I , D . : La Roma di Leon X , Mailand, S . 1 6 4 , — In den religiösen Kämpfen wird das Zettelkleben beliebt. Vgl. S C H O T T E N LOHER, K.: Flugblatt und Zeitung. Berlin 1 9 2 2 . — Auch der Thesenanschlag Luthers war nichts anderes. Es ist neuerdings umstritten ob er stattgefunden hat. HONZELMANN, K.: Urfassung und Druck der Ablaßthesen. Paderborn 1966. — Unter Maximilian und für ihn schuf Albrecht Dürer in dynastischer Propaganda plakatgroße Holzschnitte. — Mit Heftigkeit führte die Französische Revolution mit den „affiches" ihre Aktionen. — Im 19. Jahrhundert beginnt dann der eigentliche Aufschwung des Plakats. 4 P A N E T H , E.: Entwicklung der Reklame vom Altertum bis zur Gegenwart. Berlin 1 9 2 6 . 5 Ber Begriff ist — um „Plakat" zu verdeutschen und plakatverwandte Mittel einzubeziehen — in der Zeit des Hitlerregimes vom Werberat der Deutschen Wirtschaft (8. Bekanntmachung vom 1. 6. 1934) eingeführt worden. Der Werberat unterscheidet zwischen Bogenanschlag als „Außenanschlag" sowie „Schildanschlag" und „Leuchtanschlag". Vgl. W I R T SCHAFTSWERBUNG. Kommentar zum Gesetz v. 12. 9. 1933. Hrsg. v. Braunmühl, C. v. u. K. Zweck. Berlin 1934. 6 Vgl. S. 206. ' In allen politischen Demonstrationsmärschen werden heute „Transparente", Spruchbänder, Schlagworte und plakatierte Forderungen getragen. In den totalitären Ländern dient dies Verfahren in kaum begreiflicher Intensität zum Personenkult (Köpfe von Stalin (ehemals), heute von Lenin bis Ulbricht, in China zehntausendfach in den Aufmärschen Mao Tse Tungs. Zäh und unerbittlich wird das Gesetz der Wiederholung angewandt. Eine amerikanische Erfindung ist die sogenannte „Picketing-Line". Die Demonstranten tragen als Einzelgänger Plakate die zusammengelesen ein Schlagwort oder einen Satz geben und gehen in ganz bestimmtem Abstand eine ganz bestimmte Route. Durch ständige Ablösung kann die Demonstration stundenlang laufen. S. 300—-329.

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Scheiben nach Art des belegten Brotes opfermütig, meist unter Selbsterheiterung, vorwärts bewegt. Unter den publizistischen Mitteln hat das Plakat es am schwersten. Ihm fehlt jede Bereitschaft der Umworbenen aufzumerken. Die Zeitung ist gekauft, für den Film sind Karten besorgt und für den Rundfunk steht das Gerät. Das Plakat muß sich selber aufdrängen, aufzwingen. Es hat die psychologische Stufenfolge jeder geschriebenen Werbung 8 , also Sinnen-, Aufmerksamkeits-, Vorstellungs- und Gedächtniswirkung in einem Schlage zu bewältigen: ein Kurzschluß des publizistischen Prozesses. Auch muß das Plakat sich deutlich von seiner Umgebung absetzen. Es muß große Fernwirkung haben, möglichst einen Überraschungseffekt bringen, vielleicht sogar verblüffend sein. Aber für bestimmte Pflichten soll es auch Ruhe spenden oder Vertrauen, in seiner markanten Sprache immer getreu der Sache, der es dient. So kann es ernst und würdig, heiter und witzig, vernichtend im Angriff oder beschwörend in der geistigen Haltung sein. Um all das in kurzem Anlauf zu erreichen, muß das Plakat eine Art Blocktechnik anwenden, dreifach. Es besteht aus Schritt- und Biidblöcken, in denen Gedankenblöcke sich verkörpern. Daraus bestimmen sich Format, Schriftgröße, Bildstärke und Farbe. Dem publizistischen Inhalt ist Schlagwortcharakter zu geben, jedenfalls eine komprimierte Sprachkraft. 9 Graphische Aufmachung (Schriftformen) und Farbe haben dem zu folgen. Die Wirkungsnatur der Farben ist, was das Plakat angeht, durch neuere Erhebungen kaum überholt. Nach den Erhebungen von S E Y F F E R T 1 0 sind nach wie vor Rot (46,4 °/o) und Gelb (38,0%), zusammen also mit 84,4% die am meisten benutzten Farben. Alle anderen folgen mit Abstand (Grün 6,8 °/o, Blau 6,1 °/o, Schwarz 1,5 °/o). Zu vielfältigen Stimmungen, auch zu Bekenntnissen dient die Farbgebung der Plakate, wie sie auch in den Nationalflaggen ihre Rolle spielen." Wichtig ist die 8

Vgl. DOVIFAT, Zeitungslehre, a.a.O., Bd. II, S. 142. Die im Propagandakampf Hitlers um die Macht (1931/33) üblich gewordenen Textplakate verschwanden bald wieder. Sie nahmen eine ganze Länge der Plakatsäule mit herunterlaufenden Agitationsargumenten in Anspruch. Z. T. wurden sie sogar in Fortsetzungen und in Polemik gegen gegnerische Plakate gegeben und widersprachen damit ihrem Wesen. 10 Vgl. dazu die Darlegungen bei SEYFFERT, R . : Werbelehre. Theorie und Praxis der Werbung. A.a.O., Bd. I, S. 334 ff. — Geradezu aufhellend für jedes Farbgefühl bleibt nach wie vor die auch sprachlich einleuchtende Farbwertung in GOETHES Farbenlehre, Teil I, 6, auch in der experimentellen Farbpsychologie. Vgl. W U N D T , W . : Grundzüge der physiologischen Psychologie. Bd. 6. Leipzig 1910. — Spezialliteratur bei SEYFFERT, a.a.O., Bd. I, S. 297 ff. 11 Vgl. dazu die Darlegungen über die Nationalflaggen, S. 244. — Lehrreich ist der Wandel in den Plakatgrundfarben der politischen Parteien. Um gegen das traditionelle Rot der sozialistischen Parteien anzugehen, gab die Hitlerpropaganda den Textplakaten ein massiv e s Rotblau, fälschlich als „Orange" bezeichnet. Die beiden großen Parteien der Bundesrepublik, SPD und CDU, haben einen Farbenwechsel vorgenommen. 1945 beginnt die SPD mit ihrem alten Rot, die CDU wählt, um dagegen auf Distanz zu gehen, Blau. Mitte der 50er Jahre dreht sich das. SPD-Plakate nahmen Blau, die CDU (siehe deren Rahmen- und Klischeesymbol) nahm Rot als Grundfarbe an. —• Für das Wirtschaftswerbeplakat hat die Farbgebung eine fein unterscheidende Rolle. Hier geht es darum, die Vorstellung, die „Atmosphäre der Ware" in Wort, Bild und Farbe so in die Gedächtnisse einzuhämmern, daß sie, wenn der Bedarf eintritt, den Kaufentschluß bestimmt. 8

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Verteilung der Plakate über den Bezirk (Wohnbezirk, Wahlbezirk), in dem sie werben sollen. J e häufiger, je eindringlicher, ja je rhythmisch regelmäßiger (Straßenseite der Plakatsäulen alle mit gleichem Plakat beklebt, Fluchtlinienwirkung) wiederkehrend, hat das Plakat, dieses Stiefkind der publizistischen Mittel, die Schwierigkeiten seiner Isolierung zu überwinden. Das Plakat („affidie", Bogenansdilag) ruft die in Schrift, Bild und Gedankenblöcken schlagkräftig und gedächtnishaftend dargebotenen Argumente in den öffentlichen Verkehr. Meist graphisch, aber auch in Licht- und Leuchttechnik herausgehoben, spricht es eindringlich, einfach und meist auch emotional die Vorübergehenden an und übt, von Straße zu Straße wiederholt, seine publizistische Wirkung. Zum Transparent (Spruch- und Bild- und Textbänder) wird das Plakat, wenn es in Kundgebungen und Aufmärschen weithin lesbar den Umworbenen entgegengetragen wird. 12 Die Technik des Plakates hat sich geschmacklich sehr gehoben. Es erreicht vielfach eine kunstgewerbliche, oft auch eine künstlerische Qualität. 13 Publizistisch ist es in der Propaganda beider Weltkriege und in den dazwischen liegenden Parteikämpfen mit oft ebenso unerfreulichen wie hochinteressanten Formen zum Zuge gekommen. 14 In geordneten Wahlkämpfen langen heute die üblichen Plakatsäulen und Mauertafeln nicht mehr. Die Parteien errichten gemeinsam Anschlagtafeln, in die sie sich teilen. Man glaubt, eine gewisse Entideologisierung beobachten zu können. Auffallend ist, daß auch die Plakate der demokratischen Länder vermehrt zur Werbung durch Persönlichkeiten übergehen. In allen Ländern hat daher das Portrait-Plakat zugenommen, wenn auch nicht in der fetischistischen Form des kommunistischen Persönlichkeitskultes. In den revolutionären Kämpfen der fernöstlichen Länder ist das Bildplakat auch wegen des Analphabetentums den anderen graphischen Formen voraus, in China in solchem Ausmaß, daß auf Straßen und Plätzen der Boden mit Riesenplakaten belegt wird, zwischen denen der Verkehr sich durch bewegt. Dort ist auch die Wandzeitung wieder groß im Kommen. 12

Zum Begriff vgl. PRAKKE, H . : Bild und Plakat. Assen 1 9 6 3 . Künstlerisch vorbildlich ist das Schweizer Plakat. Vgl. BRENDEL, R.: Das Schweizer Plakat. Diss. Berlin 1956. — CASSANDRE, A. M . : Plakate. St. Gallen 1948. — Zum künstlerischen Plakat im einzelnen und im Zeitgeschmack vgl. HAGNER, A.: Das Plakat des Jugendstils. Freiburg 1955. — Ges. Darstellung GRUPE, G.: Art. Plakatwerbung. In: Handbuch der Werbung. München 1960, S. 187ff. — Anschauliche Belege bei ARNOLD, F.: „Anschläge". Deutsche Plakate als Dokumente der Zeit 1900—1960. München 1966. 14 Vgl. die Literatur zur Propaganda des 1. Weltkrieges. THIMME, H.: Weltkrieg ohne Waffen. A.a.O. Dort sehr umfassendes Schrifttum. Ebenso bei WANDERSCHECK, H.: Bibliographie zur englischen Propaganda im Ersten Weltkrieg. Herausgeb.: Weltkriegsbüdierei. Stuttgart 1935. Für die Zeit zwischen den Weltkriegen vgl. REIMANN, H.: Die politische Affidie in der Weimarer Zeit. A.a.O., S. 5, dort auch Beispiele von Plakaten der Hitlerpropaganda, die in „Mjölnir" (Schweitzer) einen Plakatzeichner besonderer Leistung besaß. Deren frühe technische Anweisungen in: 15 ENTWÜRFE FÜR PLAKATE DER NSDAP. Hrsg. NSDAP. Elberfeld 1930 mit einem Vorwort von J. Goebbels. — Für das sowjetrussische Plakat vergl.: Plakate der Russischen Revolution 1917—1929. Berlin 1950 KALNINS, B.: Der Sowjetische Propagandastaat. Stockholm 1956, S. 162 f. 13

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DAS GESCHRIEBENE W O R T

Publizistisch sind Wandzeitungen plakatähnliche Anschläge, die aber regelmäßig redaktionell betreut und ausgewechselt sind. Als Mittel der Information und Agitation entstanden sie in den ersten sowjetrussischen Kampfjahren (1917 bis 1923).15 Sie sind stets auf einen geschlossenen Leserkreis hin gestaltet, auf dessen Mitarbeit sie rechnen. So bringen sie, an Brettafeln aufgeheftet, ein unter allgemeiner Beteiligung abgefaßtes hand- und maschinengeschriebenes, gedrucktes und gemaltes Material, das aus dem Betrieb (Kollektivwirtschaft, Fabrik, Kaserne, Schule, Häuserblock) unter Leitung und Kontrolle eines Parteimannes in Fluß gehalten wird.11 So dienen sie der politischen Ausrichtung, der Planerfüllung, dem innerbetrieblichen Wettbewerb und der Diskussion mit den Betriebsagitatoren, so auch der gelenkten Betriebskritik. Politische Schaukästen17 dienen ähnlicher Aufgabe, doch sind sie, ebenso wie die Wandzeitungen, im freiheitlich demokratischen Rechtsstaat selten, da die publizistische Auseinandersetzung hier in der freien Presse ohne Kontrolle sich vollzieht, ebenso auch in den Rundfunk- und Fernsehsendern. In der Sowjetunion ist die Blüte der Wandzeitung durch die aufkommende, ebenso regulierte Betriebspresse zurückgedrängt worden, soll aber neuerdings wieder begünstigt werden.18 Die Wandzeitung ist ein Übergang zur Flugschrift und darüber hinaus zur Zeitschrift. In der breiten Massenbevölkerung von einer im Grunde noch analphabeten und naiven Grundhaltung hat die „Kulturrevolution" in Rotchina (1967) zu einer Plakat- und Wandzeitungspropaganda größten Stils geführt. Die Lehren „Maos" in Katechismusform, zu Schlagzeilen und Kurzversen konzentriert, bilden den Stoff der Wandzeitungen und der Plakate. Da die Wandflächen fehlen, werden Plakate auf die Straßenoberflächen gemalt und der Verkehr um sie herum geleitet.19 b) Flugblatt und

Flugschrift „Solche Blätter fliegen wie ausgestreute Funken, von denen gehofft wird, sie werden hier und da ein pulvergefülltes Herz finden und zünden, damit es weiter zünde." E. M . ARNDT,

1813

15 Historische Darstellung durch JUST, A . W.: „Wandzeitungen". Ausdrucksmittel öffentlicher Meinung. In: Osteuropa. H. 10, Jg. 1. — Ders.: Die Presse der Sowjetunion. Berlin

1 9 3 3 , S . 1 9 3 . — HANDBUCH DER AUSLANDSPRESSE. A . a . O . , S . 2 5 7 .

" Vgl. KALNINS, B . : Der Sowjetische Propagandastaat. A.a.O. „Schaukästen" sollten im Anlauf der Hitlerpropaganda wichtige Zeitungsartikel verbreiten. Die antisemitische Propaganda (Streichers „Stürmer") setzte besonders in dieser Art an. 18 BUZEK, A.: Die kommunistische Presse. Frauenfeld (Schweiz) 1 9 6 5 . — Praktische Anweisung zur „Sichtagitation in den Betrieben und Kollektivwirtschaften" geben die Russen DOLMATOW, A. und MURATSCHOW, W. in der „Bibliothek des Agitators". Berlin (Ost) 1 9 5 2 , S . 2 8 ff. sowie GORELIK, B.: Der Agitator und die Wandzeitung. Berlin (Ost) 1 9 5 1 . Vgl. auch: KALNINS, B.: Der Sowjetische Propagandastaat. A.a.O., S. 1 6 4 . III Näheres darüber s. S. 274. II

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„Die Flugblätter sind eine sehr ernst zu nehmende Sache und von allen Arten der Literatur die allerwichtigste. Daher ist es notwendig, sie sorgfältiger zu durdidenken und sich dabei kollektiv zu beraten." LENIN 1

Flugblatt und Flugschrift waren für lange Jahrhunderte das vielleicht einflußreichste publizistische Mittel, sicher das temperamentvollste, das aus eigener Dynamik umlief und unerwartet zündete. Zeitung und Zeitschrift haben dem Flugblatt später einen Teil seiner e x p l o s i v e n Aktivität abgenommen und für weitere Verbreitung aus Angriff und A b w e h r gesorgt. Gute Flugblätter sind Brandfackeln, gute Flugschriften nähren die Feuersbrunst. A u s innerer Triebkraft und äußerer Aufmachung „fliegt" das Blatt, zwingt es, gelesen, besprochen und v o n Hand zu Hand weiter gereicht zu werden („laufzettelein das sich selbst auf die Beine bringt" 15. Jahrh.). Alte Flugblätter z e i g e n oft die Zeichen solchen W e g e s . Sie sind zerfaltet, voller Flecken, zerlesen und tragen heftige Randbemerkungen. 2 Auch in den Begriffen offenbart sich ihre Natur. 3 Zu dieser natürlichen Zugkraft tritt die für die illegale Publizistik reizvolle Möglichkeit: Herstellung und Vertrieb v o n Flugblättern und -Schriften können verborgen und unauffällig vor sich gehen. 4 Die Anonymität kann nach jeder Richtung gewahrt und umgekehrt die Autorenschaft kann verborgen, kann aber auch unterschoben werden. Gefälschte Flugblätter können untereinander Krieg führen und Freund und Feind gegeneinander aufbringen. Der „Mystification" ist jede Tür geöffnet. 5

1

LENIN, W. I.: Sämtliche Werke Bd. XXIX, S. 207 Russ. Ausg. Z. B. in Blättern der Schweizer Sammlung „Wickiniana". Beispiele bei FEHR, H.: Massenkunst im 16. Jahrhundert. Berlin 1924. — Für die Geschichte des Flugblattes vgl.: SCHOTTENLOHER, K.: Flugblatt und Zeitung. Berlin 1922. 3 Deutsch „Flugblatt" engl, „pamphlet" wird auf Pamphilius, einen Lyriker des 12. Jahrhunderts zurückgeführt, dessen Werk in Blättern verbreitet war. Einleuchtender ist die Annahme, der Begriff sei volksethymologisch zusammengezogen als „Palm-feuille" = handtellergroßes oder ähnlich aus „par fil-lie" = fadengebundenes Blatt. Von Frankreich lief der Begriff über die Niederlande nach England, wo er in der Geschichte als Flugschrift weit gefaßt wird. Miltons Areopagitica z. B. gilt das Pamphlet, ebenso die Flugschriften im Kampf um die Kornzölle u. a. m. Demgegenüber hieß das Flugblatt „leaflet", z. B. in den Propagandafeldzügen der Weltkriege. Im Französischen gibt der immer polemisch bedingte Begriff „pamphlet" die Wurzel zu einer bestimmten Form scharf kritischer Zeitschriften, deren Herausgeber als „pamphletairs" (so ROCHEFORT in Frankreich, KARL KRAUS in Österreich, TUCHOLSKY in Deutschland) bezeichnet werden, in Frankreich ohne die diffamierende Wirkung des deutschen Begriffs „Pamphlet" und „Pamphletist" als Schmähschrift und Schmähschriftsteller gebraucht. — Pasquill (heute selten verwandt) knüpft an die als Flugblatt umlaufende Plakatsatire des „Pasquino" an. Vgl. S. 265, Anm. 3. 4 Dazu Beispiele aus vielen Jahrhunderten. Vgl. illegale Publizistik, S. 71. s Um die Frage, ob eine Flugschrift gegen Cicero von Sallust stammte oder ihm nur unterschoben war, ist schon im republikanischen Rom ein harter Streit entbrannt. Vgl. PÖHLMANN, R.: Zur Geschichte der antiken Publizistik. München 1904 (Akademie der Wissenschaften. H. 1). 2

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Die ersten uns bekannten Flugblätter waren vielleicht religiöse Sprüche, die, mit dem Siegel des Propheten legitimiert, in Israel umliefen.® Die Antike, Griechenland und Rom kennen trotz des Analphabetentums eine auf Papyrus, später auf Pergament ausgetragene vielfältige Flugschriftenpublizistik.7 Nach dem Sturz der Republik, im Rom der Kaiserzeit erschienen die „libelli famosi", kritische Berichte, Enthüllungen, politische Testamente („codicilli"). Eine umfassende Flugschriftenliteratur knüpft unter den Kirchenvätern an die Auslegung der Evangelien an.8 Im Mittelalter wird der Investiturstreit durch Flugschriften in einer beinahe industriellen Vervielfältigung geführt. 9 Vom 15. Jahrhundert ab steigert die Einführung des Papiers die Streumöglichkeiten. Im Jahrhundert der Glaubensspaltung handhabt Martin Luther die Flugschrift gewaltig, und sprachlich und graphisch ansprechend bis heute. Das Zeitalter des Barode erlebt offizielle Flugblattkämpfe, geleitet und finanziert aus den fürstlichen Kabinetten.10 Englands Flugblattkrieg gegen Napoleon zeigt schon erste Ansätze einer Weltverbreitung. Washingtons späterer „Pressechef", Thomas Paine (1737—1809) hat durch seine Flugschriften, insbesondere „Common sense" (1776) dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg das politische Ziel gesetzt.11 Im liberalen 19. Jahrhundert stehen Flugblatt und Flugschrift in allen politischen Kämpfen vornean. Mit dem „Manifest der Kommunistischen Partei" (Februar 1848) sind auf knapp 25 Seiten Idee und Forderung der Klassenkampfbewegung — ideologisch keineswegs einfach zu begründen — allgemein einleuchtend klar gemacht und mit Schlagworten ausgestattet, die als agitatorische Prägungen international in Umlauf kamen. H. Heine kennzeichnet die Sprache des Manifestes und nennt damit die Natur der Sprache jeder guten Flugschrift: „Die Propaganda des Kommunismus besitzt eine Sprache, die jedes Volk versteht: die Elemente sind so einfach wie der Hunger, wie der Neid, wie der Tod. Das lernt sich so leicht."12 So ist das „Kommunistische Manifest" neben Zolas

8 So berichtet von JEREMIAS. Vgl. W I L K , F.: Die politische Wirksamkeit der Propheten. Leipzig 1913, S. 86. 7 Einzelheiten vgl. S. 72. 8 So die Arbeiten des Kommentators PAMPHILIUS 250 n. Chr. * Die verfeindeten weltlichen und geistlichen Mächte unterhielten in den Klöstern „Schreibkammern", die mit vielen Händen auf Diktat schrieben (libelli de lite) Verbreitung durch „Schneeballsysteme". Vgl. die Schilderung bei M I R B T , C . : Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII. Leipzig 1 8 9 4 . Für das Jahrhundert der Glaubensspaltung vgl. SCHOTTENLOHER, a.a.O. S. 59 ff., sowie zur Flugschriftenarbeit, OHSE, B.: Die Teufelsliteratur zwischen Luther und Brant. Berl. Diss. 1 9 6 1 , sowie C E N T G R A F : M . Luther als Publizist a.a.O. eingehende publ. Bibliographie. 10 EVERTH, E . : Die Öffentlichkeit in der Außenpolitik Karl V bis Napoleon. Jena 1 9 3 1 . Hier anschauliche Darstellung der Flugschriftenstrategie und -taktik. 11 Vgl. PAYN, G . H.: History of Journalism in the USA. New York 1 9 2 5 . — DOVIFAT, E.: Der amerikanische Journalismus. A.a.O., S. 25. — Eine allgemein historische Bibliographie der Schriften über das Flugblatt (bis 1 9 4 0 ) gibt KARL D'ESTER im Handbuch der Zeitungswissenschaft. Leipzig 1 9 4 0 , Sp. 1 0 4 7 — 1 0 5 2 . 12 H E I N E , H . Werke Bd. 6 . 1 8 6 7 S . 2 7 8 f. Ausführliche Darstellung und Literatur bei KÜMHOF, H . : Karl Marx und die „Neue Rheinische Zeitung" in ihrem Verhältnis zur demokratischen Bewegung der Revolutionsjahre 1 9 4 8 / 4 9 . A.a.O., S . 2 9 ff. sowie bei BERLIN, I . :

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„J'accuse" 13 und dem „ A T H A N A S I U S " v o n J O S E P H G Ö R R E S 1 4 sidier die markanteste Flugschrift des 19. Jahrhunderts geworden. Die Hitlerbewegung bedient sich mehr der Rede und des Plakats, doch empfiehlt 15 H I T L E R das „geredete Flugblatt" , w e n n es „plastisch behandelt, w a s in aller Mund" ist, fährt aber dann fort: „Aufklärung schafft aber nur die Massenversammlung". L E N I N empfiehlt das Flugblatt als „sehr ernste und gewichtige Sache" und fordert seine „kollektive Beratung". 1 ' In der sowjetischen Werbearbeit hat das Flugblatt in Verbindung mit der Wandzeitung seinen Platz, z. B. zur Verbesserung der Arbeitsmethode und Steigerung des Produktionsanreizes. 1 7 Im Gange des 19. Jahrhunderts bereiten Flugschriften die Fortentwicklung der politischen Programme vor und Flugblätter bringen sie in die Massen. Im Inhalt weiter ausgestattet w e r d e n Flugschriften Broschüren und nähern sich damit dem Buch. So braucht man sie zur amtlichen Materialvorlage in der Öffentlichkeit (sogenannte „Weißbücher", „Gelbbücher" usw.). Im 1. Weltkrieg wird das Flugblatt W a f f e des geistigen Kampfes über die Fronten hin und her. Flugblattpakete w e r d e n v o n Ballonen blattweise abgelöst, später mit Katapulten durch eine Art Granatwerfer über die Gräben gefeuert, ü b e r den feindlichen Ländern werden sie v o n Flugzeugen abgeworfen. Die Technik wird auch heute z. B. g e g e n die Bundesrepublik durch die „DDR" immer wieder angewandt. 1 8 Karl Marx, sein Leben und Werk. München 1950. — Aufschlußreich schildert Schwarzschild die Entstehung des „Manifests" (SCHWARZSCHILD, L.: Der rote Preuße. Leben und Legende von Karl Marx. Berlin 1954). 13 Dieses Flugblatt (13. Januar 1898) aus den Kämpfen gegen den Antisemitismus hatte die immer wirksame, weil persönliche Form eines „offenen Briefes" an den Präsidenten der Republik. ZOLA setzte 300 000 Flugschriften in einer Stunde ab und veröffentlichte sie auch in der „Aurore". Den Titel fand CLEMENCEAU. Schilderung bei SCHMIDT, L.: Edouard Drumont — Emile Zola. A.a.O. 14 Geschrieben 1838 im Kampf um die religiöse Freiheit anläßlich der Verhaftung des Kölner Erzbischofs durch die preußische Regierung. Die Schrift erzielte vier Auflagen in vier Wodien. 15 Mein Kampf. A.a.O. Bd. I, S. 206. 18 Siehe das voraufgesetzte Zitat. 17 Meist lokal als sogenannte „Blitze" abgefaßt und verbreitet. Vgl. KALNINS, B.: Der Sowjetische Propagandastaat. Stockholm 1956, S. 164. — In der SBZ ist der Vertrieb von Reden und Kundgebungen „in Broschürenform" üblich, wobei neben der agitatorischen Absicht die der Schulung bevorzugt wird. Vgl. RICHERT, E. u. a.: Agitation und Propaganda. A.a.O., S. 2 0 2 ff. — WAESCHER, H . : Das deutsche illustrierte Flugblatt. Dresden 1 9 5 6 . 18 ü b e r diese neuen Formen vgl. THIMME, H.: Weltkrieg ohne Waffen. Stuttgart und Berlin 1932, S. 45 ff. Ebd. Beispiele. — Für die Mächte der Entente vgl. die allgemeine Literatur sowie CREEL, G.: H O W we advertised America. New York 1920. — LASSWELL, H . D.: Propaganda technique in the world war. New York 1927. — DEMARTIAL, G.: Comment on mobilisa les consciences. Paris 1922: deutsch: Die Mobilmachung der Gewissen. Berlin 1926 sowie die Arbeit von PETERS, D. R.: Das „UP-Committee on public Information". Ein Beitrag zur Organisation und Methodik der geistigen Kriegsführung in den USA im Ersten Weltkrieg. A.a.O. Die Propagandaleitung der „DDR" wendet im Kampf gegen die Bundesrepublik „Flugblattraketen" an. In Leichtmetallhülsen werden die Flugblätter und Flugschriften über die Sperrgrenze geschossen. So allein im März 1967 bei Duderstadt durch über 200 Raketen (Pressemeldungen).

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Die Reproduktionstechnik erlaubt jetzt, faksimilierte Briefe, Bilder und Aktenstücke den Flugblattgeschossen und Ballonabwürfen beizufügen. Das 1914—18 zuerst entwickelte Verfahren wird in politischen Kämpfen auch heute immer wieder durchgeführt. In den Jahren des Hitlerregimes und der schärfsten Überwachung des geschriebenen und gedruckten Wortes bewähren sich Flugblatt und Flugschrift wieder im illegalen Kampf. Primitive, aber durch eifrigen Lauf von Hand zu Hand beflügelte Flugblattaktionen entfalten sich im „Weiterschreiben" und Vervielfältigen oppositioneller Texte. Hier war es vor allem die kirchliche Opposition, die evangelische Seite von der bekennenden Kirche her, die katholische aus Laienkräften verbotener Organisationen, die den illegalen Flugblattvertrieb in Bewegung brachten. Vertrieben wurden Auszüge aus Predigten (Pfarrer N I E M Ö L L E R , später die Predigten des Bischofs Graf G A L E N , Münster), kurze Absätze aus Enzykliken („Mit brennender Sorge" 1937) und Hirtenbriefen. Selbst handschriftliche Verbreitung wurde riskiert, Durchschläge und schließlich Blätter von primitiven Abzugsgeräten. Wegen der Postüberwachung erfolgte Abwurf meist in die Hausbriefkästen. 19 In tausenden von Fällen wurden sie abgeschrieben und weitergesandt. Ähnlich, aber zersplittert und aus der besonderen Lage weniger geschlossen arbeiteten sozialistische und kommunistische Widerstandskräfte, aus der Emigration zunächst genährt durch Zentren in Prag, Wien und Paris, später aus Zürich. Besondere Erfolge — unter großen Opfern — erzielte die illegale Flugblatt-Technik in den vom Hitlerregime besetzten Gebieten. So im besetzten Frankreich 20 ; ähnlich in den übrigen besetzten Gebieten. 21 Eine symbolisch einmalige, in ihrem tragischen Ausgang ergreifende Tat moralischen Wollens und persönlicher Tapferkeit ist die Flugblattaktion der GES C H W I S T E R S C H O L L in München gegen das Hitlerregime. Sie entsprang der Empörung, dem opferbereiten Willen und dem Glauben, „daß eine Welle des Aufruhrs durch das Land gehe, und wenn viele mitmachen, in einer letzten Anstrengung dieses System abgeschüttelt werde . . ,"2ä Selten ist aus völliger Machtlosigkeit dem Flugblatt eine solche Wirkung zugetraut worden. Das damals aussichtslose, 19 Postüberwachte Persönlichkeiten, die Gefahr liefen, von Spitzeln solche Texte zu erhalten, um sie bei einer Hausuntersuchung finden zu lassen, taten gut daran, oppositionelle Flugschriften, die durch die Post kamen, abzuschreiben, weiterzuleiten und die Originale bei der Polizei gegen Quittung abzuliefern. So gefährlich sind Flugblätter in totalitären Systemen. Treffende Beispiele über die Art der Herstellung u. Verbreitung illegalen Materials finden sich in den sehr lebensnahen Schilderungen der „Beiträge zum Widerstand im Rundfunk". „Darauf kam die Gestapo nicht". Buchreihe des SFB, Bd. 4. Berlin 1966. 24 Vgl. FREIBERG, R.: Die Presse der französischen Résistance. Technik und Positionen einer Untergrundpresse 1940—44. Diss. Berlin 1962. Ebd. interessante Belege zur Technik des Flugblattvertriebs. 21 BUSCHART, L. U. H. TÖNNESSEN: The illegal Press in Danmark during the Occupation 1940—45 — B R U N V A N D , O.: The Underground Press in Norway. In: Gazette 1963. Vol. IX, Nr. 2. 22 Vgl. SCHOLL, I.: Die Weiße Rose. Frankfurt 1952 sowie VIELHABER, K.: Widerstand im Namen der deutschen Jugend. Würzburg 1963. In beiden Bänden Beispiele der Flugblätter. Vgl. auch S. 77 Illegale Publizistik.

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Publizistik I

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heute aber symbolisch als kompromißloses Bekenntnis inneren Widerstandes gültige Unterfangen haben die Urheber mit dem Leben bezahlt. In der jüngeren Entwicklung der kommunistischen Propaganda ist die durch Plakat und Wandzeitung im lautesten Suggestivstil gehaltene rotchinesische Agitation viel genannt. Dabei ist die immer wieder zitierte „Weisheit Mao Tse-tungs", die in Katechismusform gelehrt, gelernt und verbreitet und wie ein Amulett getragen wird, nicht ein abgeschlossenes Grundsatzwerk, sondern eine Reihe zusammengefaßter Flugschriften Maos, die zu aktuellen Gegebenheiten abgefaßt, heute als die Grundgebote des chinesischen Kommunismus zusammengeschlossen sind.23 Das Flugblatt spricht knapp und eindringlich jeden an und argumentiert in herausfordernden und angreifenden Kampftexten. Es erzwingt so, gelesen und besprochen zu werden und von Hand zu Hand weiter zu laufen. Klar gefaßt, erregt im Ausdrude, weit gestreut, oft auch persönlich verbreitet ist es ein bevorzugtes Mittel der Massenführung. Die Flugschrift entwickelt und belegt aktuelle Forderungen. Sie argumentiert in Tatsachen und Dokumenten (Reden, Dialoge, Akten, Bilder). Der subjektiven Polemik leiht sie die objektive Form und ist der Wahrheit ebenso wie der Fälschung gefügig. Flugblatt und Flugschrift sind leichter im Geheimen herzustellen, anonym abzufassen und im Schmuggel zu verbreiten. Sie sind daher bevorzugte Mittel illegaler Aktionen. In ihrer begründenden sachlich weitergreifenden Art nähert sich die Flugschrift im Bestreben, sich fortzusetzen, der Zeitschrift, das Flugblatt aber führt herüber zur Zeitung. c) Die

Zeitschrift „ . . . Dabei ist es indeß nöthig, die doppelte Seite der Zeitschrift anzuerkennen, inwiefern sie einerseits auf die Zeit wirkt, andererseits selbst wieder ein Bild der Zeit seyn will . . . Wenn eine Z e i t . . . verstattet, sich zum Richter und Urtheiler aufzuwerfen, so wird sie doch bald der unberufenen Wortführer satt und schmachtet nach der Erquickung eines reinen, scharfen und gesunden Urtheils, wodurch sie erst sich selber wiedergegeben wird." F. W .

SCHELLING,

18131

Die Anfänge der Zeitschrift, Teile der Zeitschrift auch heute, liegen abseits der allgemeinen Tatsachenaktualität der Zeitung. Die Wurzeln der Zeitschrift verzweigen sich in Lebensgebiete, die oft der Öffentlichkeit abgewandt sind. Damit 23 Vgl.: Kuo, Heng-yü: China und die Barbaren. Eine geistesgeschichtliche Standortbestimmung. Pfullingen 1967. Kap. 8. — Vgl.: MAO TSE TUNG, Selected Works. 4. Bd. Foreign Languages Press, Peking Ch. — Quotations from Mao Tse Tung. Taschenbuch (engl.), 322 S., Peking 1966. Jetzt auch in einer deutschen Taschenbuchreihe erschienen. 1 SCHELLING, Werke Bd. 4. Schriften zur Philosophie der Freiheit. Hrsg. v. M. Schröter. München 1927, S. 515. — Vgl. auch SALZMANN, K. H.: Die deutsche Zeitschrift 1953/54. In:

Handbuch DIE DEUTSCHE PRESSE 1954. A.a.O., S. 96 ff.

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liegen sie an den Grenzen der Publizistik, deren Lebenselement die Öffentlichkeit ist. Gleichwohl kann ihre publizistische Wirkung ebendarum eindringlich werden. Dies ist sogar die Stärke der Zeitschrift, die letzten und feinsten Einzelheiten der Dinge zu erfassen und in die tieferen Schichten auch des individuellen Lebens hereinzureichen, in die einzutreten die Zeitung zu große Eile hat. So kann, allerdings nur ein Teil der Zeitschriften, in der Betrachtung der Menschen und der Dinge bis auf den Grund gehen. Aber das ist die eine, der beiden Aufgaben der Zeitschrift. Es meidet der eine Teil der Zeitschriften bewußt den verallgemeinerten Stoff und geht individualisierend auf das Einzelne, fachlich Gesonderte ein. Die Folge ist, daß dies „Verfahren Zeitschrift" sich auf immer mehr sich verzweigende Fachgebiete angesetzt sieht. Vielzahl der Stoilgebiete ist das daraus folgende Wesensmerkmal des Zeitschriftwesens und damit die verstärkte Begrenzung der Gruppen untereinander.2 Doch erfüllt dieser Kernbegriff des „begrenzten Stoltgebietes" noch nicht die ganze Fülle des Phänomens „Zeitschrift". Ein zweiter, entgegengesetzter Kernbegriff der Zeitschrift gibt ebenso eine Begrenzung, spaltet die Einheit der Erscheinung, hemmt die eindeutige Definition3: es ist die Begrenzung auf die gesonderten Darbietungsformen, z. B. durch das Bild oder ausschließlich durch die Unterhaltung, so daß an die Stelle der Spezialisierung des Stoffgebietes hier die Spezialisierung der Darbietung tritt. So unterscheidet sich schon im Groben die Sach- und Fachzeitschrift von der besonderen Darbietungsart, z.B. der „Illustrierten" oder der „Unterhaltungszeitschrift".4 2 Der Begriff „Zeitschrift" gibt kaum die schlagende Deutung, die den Begriff „Zeitung" = Nachricht kennzeichnet. Er ist auch erst Ende des 18. Jahrhunderts aufgekommen. Vgl. GRIMM: Wörterbuch. Bd. 15. Leipzig 1956. Sp. 572. Voraufgehende Bezeichnung wie „Journal" = Tagebuch finden auch auf Zeitungen Anwendung. Sehr anschaulich aber treffen Bezeichnungen das Wesen der Zeitschrift, die nach den gesonderten Gebieten gegeben sind. Sie führen auch in die Anfänge der Zeitschrift. Ärztliche und naturwissenschaftliche Erkenntnisse (1670) heißen „Miscellanea medico Physica" als „Mitteilung und Einzelheiten aus der ärztlichen Praxis" oder die „Acta eruditorum" (1682) enthalten wissenschaftliche Leistungen, die erste deutsche Gelehrtenzeitschrift. „Philosophical Transactions" (1665) gaben die Früchte englischer Philosophie. Klar ist auch, was unter dem „Merkur galant" (1672) oder den „Frauenzimmer Gesprächspielen" (1641) zu verstehen ist. Ein Jahrhundert später sind es streng ins Moralische weisende Titel wie „Observer", „Spectator" und „Die vernünftigen Tadlerinnen" (1725). Was die „Diskurse der Mahler" (1723) wollen, ist klar. Allen diesen Titeln ist nicht nur Fachliches, sondern oft auch die bewußte Tendenz eingebrannt, immer sauber abgetrennt zu unterscheiden, das erste Kernmerkmal der Zeitschrift: das gesicherte, das abgegrenzte Sondergebiet, „fachlich" im allerweitesten Sinne. Vgl. KIRCHNER, J.: Das deutsche Zeitschriftenwesen. Bd. I. 1 9 5 8 ; Bd. II Wiesbaden 1 9 6 2 . Ebd. umfangreiche Sach-Literaturangaben. — Ders.: Gesamtbibliographie der Zeitschriften des deutschen Sprachgebiets. Stuttgart 1962. — Sehr gewinnreich zum inneren Verständnis der Zeitschrift HAACKE, W.: Die Zeitschrift — Schrift der Zeit. Essen 1961. s Die Schwierigkeit, zu einer einheitlichen Zeitschriftendefinition zu kommen, ist oft dargestellt. So durch MÜLLER, W . C . : Die Zeitschrift als Gegenstand der Publizistikwissenschaft. In: MATERIAL ZUR EINFÜHRUNG IN DIE PUBLIZISTIK. Hrsg. v. Fachverband Publizistik. Peter Heilmann. Teil I. Berlin 1966. — Ähnlich KIESLICH, G.: Zur Definition der Zeitschrift. In: Publizistik 1965. H. 3, S. 318. — KIRCHNER, J.: Gedanken zur Definition der Zeitschrift. In: Publizistik 1960. H. 1, S. 14 ff. 4 Beide Gruppen in eins zu nehmen, verbietet schon der Augenschein und erst recht

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Nur diese bereits im Wesensgrundsatz begründete Teilung gestattet eine klare und anschauliche Begriffsbestimmung des „Zeitschriftenwesens". Die umgrenzte Aufgabe bestimmt den jeweiligen Leserkreis. Sie gibt der gelehrten Zeitschrift ihren kleinen, der großen Frauenzeitschrift die Masse ihrer Leserschaft. Die gelehrte Zeitschrift begnügt sich mit halb- und vierteljähriger Periodizität, bestimmte Wirtschaftszeitschriften aber, etwa solche, die Preisnotierungen bringen, haben darin eine höhere Aktualität als die Zeitung. Auch den Standort bestimmt die umgrenzte Aufgabe. Hat sie überregionale Aufgaben, ist der Standort weniger wichtig, er wird es in entschiedenem Sinne etwa bei der politischen Zeitschrift, die in politischen Zentren erscheinen muß, so wie die Gewerkschaftspresse, die stets die Nähe großer Bevölkerungsballungen sucht. Die zweite Gruppe, die gesonderte, weil zugkräftige Darbietungsform verzichtet auf Spezialgebiete, dafür erreicht sie höchste Auflagen. Sie rangiert in die Massenpublizistik. Die Zeitschrift umgrenzter Aufgabenbereiche steht der Zahl der Erscheinungen nach an erster Stelle. Von 6482 im Jahre 1961 analysierten Zeitschriften mit einer Auflage von 151,7 Mill. gehören 6421 mit einer Auflage von 137,4 Mill. dieser Gruppe an.5 Die grobe Aufteilung nach 31 Sachgebieten® und etwa 250 Untergruppen ergibt wenigstens ein brauchbares Register, packt zunächst in Schubfächer, deren Inhalte allerdings dann in nie geahnte Einzelgebiete sich aufgliedern. Einen allseits befriedigenden Gliederungsgrundsatz des Phänomens Zeitschrift hat bisher niemand gefunden, weil man sich zu dieser geteilten Grundgliederung nicht entschloß. So blieben die Gliederungsmerkmale immer eine Mischung nach inhaltlich-sachlicher Substanz, über allgemein soziologische, berufliche, psychologische und auch publizistische Motive, 7 bis zu rein äußerlichen Unterscheidungen (Auflage). das Stoffgebiet innerlich und in der Darbietung. Das „Archiv für Philosophie" erscheint mit einer Auflage von 370 Stück, die auflagenstärkste Illustrierte mit 8 Millionen. Jedoch gehören auch sogenannte „Publikumszeitsdirilten" zum ersten Bereich, wenn sie .Fachgebieten und entsprechenden Leserkreisen zugeordnet sind (Frauenzeitschriften, Jugendzeitschriften u. a. m.). Es ist also hier nicht die Auflage oder die Darbietungsform entscheidend, sondern das Stoffgebiet. 5 Errechnet nach der letzten wissenschaftlich aufbereiteten Statistik von 1960 (Handbuch Die deutsche Presse 1961. A.a.O., S. 103*). In streng methodischer Unterscheidung der Zeitschrift rechnen zur zweiten Gruppe der gesonderten Darbietungsform nur die „Illustrierten" und die reinen Unterhaltungsblätter, also z. B. Romanzeitschriften und die unterhaltende Wochenendpresse. Nach der Erhebung von 1961 sind es 61 Zeitschriften (0,9 °/o der untersuchten Gesamtzahl) mit 14,3 Mill. Auflage (9,5 °/o der Gesamtauflage). Jüngere Angaben sind in den Gruppen kaum verändert. 6 So durchgeführt im Handbuch Die deutsche Presse 1961. A.a.O. 7 Vgl. HUHNDORF, G.: Gruppierungsversuche der deutschen Zeitsdiriftenpresse. In: Die deutsche Zeitschrift der Gegenwart. Eine Untersuchung des Instituts für Publizistik an der Universität Münster. Hrsg. v. Walter Hagemann. Münster 1957, S. 33. — KIESLICH, G.: Zur Definition der Zeitschrift. A.a.O. rät, den Versuch einer genauen Begriffsbestimmung phänomenologisch aufzugeben und die Aufgabe „nach der Funktion der Zeitschrift in der

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Unter den Merkmalen des umgrenzten Stoffgebietes, das sich nicht allein auf die Substanz beschränken kann, steht das Menschliche an erster Stelle. Auf persönliche Ansprache der Leser kommt es an. Wenn die „Jännerunterredung" des JOHANNES R I S T ( 1 6 6 3 ) 8 wirklich die erste Zeitschrift ist, so ging sie vom Menschlichen aus. Sie war eine Fixierung von Gesprächen im Pfarrhof zu Wedel, im Druck denen weitererzählt, die einmal nicht dabei sein konnten. Auch die sogenannten „Moralischen Wochenschriften", wie THOMASIUS, ihr eigentlicher Begründer, sie sah, boten den Umgang mit dem Nächsten, einen persönlichen Austausch von Mensch zu Mensch, der in der unruhigen Vorwärtsflucht der Zeitung nicht gelingen kann. Das macht bis heute den werbenden Charakter vieler Gruppen der Zeitschrift aus und liegt z. B. in manchen Frauen- und Jugendzeitschriften in der Beratung der Leserschaft über heikle Lebensprobleme, mit denen Schreiber — meist unter mütterlichen Frauennamen — den Befragern ins Herz sprechen.® Kaum etwas aber ist so imposant wie der publizistische Parallellauf der Zeitschrift mit ihren Fachgebieten. Aus ihrem Keim im literarisch-gesellschaftlichen Leben des 17. Jahrhunderts setzt sich diese Sphäre fort, Zeitschrift auf Zeitschrift über Rationalismus und Romantik zum Familienblatt der bürgerlichen Gesellschaft des 19. in die Massenzeitschrift des 20. und jetzt, neuerdings wieder, zurück zur Familienbindung. Von der gewichtigen Wissenschaitlichkeit der „Acta Eruditorum" begleiten Dutzende von Zeitschriften die Entfaltung jeder Entdeckung, jeder Erkenntnis in die hundertfach verzweigte Vielzahl vorläufig letzter fachwissenschaftlicher Zielpunkte. 10 Die Wirtschaft autoritär in der „Kameralistik" des 18. Jahrh. fächert sich in der freien Wirtschaft des 19. in 500 Einzelgebiete. 11 Das religiöse Leben ruft Zeitschriften zur politischen Verteidigung der Kirchen, dient aber ebenso der inneren Kontemplation und dem liturgischen Dienst. 12 Mit dem Aufkommen der Verbände bedurfte es breiter Werbung durch die Zeitschrift, die in besonderen Blättern nach Innen auch die Funktionäre festigte und zusammenhielt." Da ist weiter die Fülle persönlicher Fach- und Freizeitinteressen, gediegener Bildungs- und Kulturunternehmen 14 , die einen soliden Gesellschaft" zu bestimmen. Wir versuchen, diesen Vorschlag in eine Sachdefinition einzuordnen. 8 MUTH, F.: Das Wesensgefüge der deutschen Zeitschrift. Würzburg 1938, S. 69. Die Frage ist umstritten. 9 HAACKE, W.: Die Zeitschrift — Schrift der Zeit. A.a.O., S. 14 antwortet auf die Frage „Wie spricht die Zeitschrift den Menschen an?" treffend: „Ohne aufdringlich zu wirken, duzt sie ihn." In der jüngst (1965) einsetzenden Welle neuer Familienzeitschriften ist man sogar darauf gekommen, besonders diskrete Teilgebiete der Zeitschrift in geschlossener Bogenheftung beizugeben. (Z. B. in der Zeitschrift „Eltern". 1967, Juliheft.) 10 415 Blätter, 1,5 Mill. Ges.-Aufl. Hier und im folgenden die Angaben der letzten wissenschaftlich erarbeiteten Statistik 1961: Handbuch Die deutsche Presse 1961. A.a.O. 11 2033 Blätter 60,7 Mill. Aufl. 12 z. Zt. zweitgrößte Auflagengruppe 737 Blätter, 18 Mill. Aufl. 13 300 Zeitschriften 9,4 Mill. Aufl. 14 699 Blätter mit 8,3 Mill. Aufl.

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Beruhigungsfaktor in das Volksleben bringen: Gesang, Chöre, Theater, Film, Heimatpflege, Reise, Wanderung, ebenso dann Eltern- und Schüler-Organisationen. 15 Auch die Not entwickelt ihre Zeitschriften. 1 " Im Bereich des Politischen und Kulturpolitischen ist die Zeitschrift Nährboden immer neuer Entwicklungen. Keine junge Bewegung, deren Keime nicht eine Zeitschrift gepflegt und für die Zugluft der Öffentlichkeit reif gemacht hätte." Auch die Fortentwicklung jeder Bewegung ist wiederum von bestimmten Zeitschriften betrieben. In Laboratorienkühle beraten sie, treiben sie oft mit kleiner Auflage aber großem Einfluß die Entfaltung der Führungsgrundsätze vorwärts, zunächst ohne Beteiligung der Mitgliedermassen. 18 Zeitschriften begleiten so die Weiterentwicklung, sie verhüten Spaltungen oder führen sie herbei und werden wieder die Standarten neuer Bewegungen. Um die „führenden Schichten", heute „Eliten" genannt, müht sich im 19. Jahrhundert die dem Buche angenäherte, die geheftete Zeitschrift, das „Zeitsdiriftenhe/f"." Heute hat sie — unter Beibehaltung des „gehobenen" Lesers — diese Distanz vielfach aufgegeben und erscheint als politische Wochenpresse graphisch im Zeitungsstil. Aus der Zeitschrift lockert die Satire ihre kritische Waffe. 20 Graphisch in Kleinform sprechen große Federn in den sogenannten „Persönlichkeitsblättern", publizistischen Einmanntypen, stilistisch brillant, polemisch bis zur Vernichtung.®1 „Nachrichtenmagazine" sammeln ihre skeptische Leserschaft in einer Grundhaltung, die in totalitären Ländern verpönt, in demokratischen als Zeugnis letzter Freiheit für unerläßlich gehalten wird.22 So wie die Zeitschriften teilen sich auch die Leserkreise in einer interessanten, oft geradezu sensationellen Vielgliedrigkeit. Das beweisen auch die regelmäßigen Leseranalysen, die leider meist nur für das Anzeigengeschäft, nicht für die politischen, sozialen, kulturellen und allgemein 15 78 mit 8,3 Mill. insgesamt. " Vertriebene, Flüchtlinge, Politisch Verfolgte 220 Zeitschriften 1,3 Mill. Aufl. 17 Vgl. hierzu S. 61 „Wegbahnende Aufgabe der Publizistik". Ebd. Beispiele aus politischen Bewegungen des letzten Jahrhunderts. 18 Man vergleiche die Rolle der „Neuen Gesellschaft" in der Entwicklung des „Godesberger Programms" der SPD. Ein historisches Beispiel geben die „Sozialistischen Monatshefte" (gegr. 1894) und die „Neue Zeit" in der Vorbereitung der radikalen und der opportunistischen Entwicklung der Sozialistischen Internationalen. 19 „Deutsche Rundschau", „Neue Rundschau", „Frankfurter Hefte", heute im Zeitungsstil: „Rheinischer Merkur", „Christ und Welt", „Die Zeit", „Vorwärts". 20 „Kladderadatsch", „Simplizissimus", „Punch", „Krokodil", „Nebelspalter", „Pardon". 21 Rochefort (La Lantern), Karl Kraus (Fackel), Wilh. Stapel (Deutsches Volkstum), Ossietzky — Tucholsky (Weltbühne). Zu diesen Persönlichkeiten vgl. S. 53. 22 News Week (2 Mill. Aufl.); TIME (4 Mill.); Der Spiegel (934 000). Vgl.: JUST, D.: Der Spiegel. Untersuchungen zur redaktionellen Arbeitsweise zum Inhalt u. zur Wirkung eines deutschen Nachrichtenmagazins. Diss. Berlin 1966. Ebd. umfassende Literaturangaben. — Kritische Analyse SACKARNDT, P . : Der Spiegel entzaubert. — Analyse eines deutschen Nachrichtenmagazins. Essen 1 9 6 1 — CHARGESHEIMER/KUBY: Des Spiegels Spiegel. Hamburg (Der Spiegel) 1961. Das vom Spiegel-Verlag veröffentlichte Buch ist programmatisch für das Nachrichtenmagazin und sein publizistisches Verfahren.

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gesellschaftlichen Tatbestände vorgenommen werden. 23 Aus den Zeitschriften schöpfen auch die neuerdings als sehr wichtig erkannten Persönlichkeiten ihre Informationen, die als „public leaders" im privaten Raum (Betrieb, Club, Gesellschaft) Meinungen ausstrahlen oder sie auf anderen publizistischen Ebenen (als Redner, Schriftsteller, Redakteure) auswählen und einlassen („Gatekeeper"). 24 Da Zeitschriften sich aller Erscheinungen des öffentlichen Lebens annehmen, pflegen sie auch dem flachen Amüsierbetrieb zum Erfolg zu verhelfen, massiven Geschäftsunternehmen, die da blühen, wo ein entsprechend geartetes Anzeigengeschäft Gewinne abwirft. Aber für das gesamte Zeitschriftenwesen wurde die Entwicklung der Werbung und damit des Anzeigengeschäftes entscheidend. Seine Erträge verstärkten die wirtschaftliche Grundlage der Zeitschriften. Sie haben sogar bestimmte Zeitschriftengruppen geradezu bedingt und damit bestimmte Gefahren heraufgeführt. 55 Im Wettbewerb stehende Zeitschriften legen daher besonderen Wert auf die Höhe des Absatzes, da er die Höhe der Anzeigeneinnahmen mitbestimmt. Eben weil Bild und Unterhaltung immer auflagesteigernd sind, hat sich die zweite Zeitschriftengruppe entwickelt, die Gruppe der gesonderten Stoffdarbietung. Die hier eingeordneten Blätter, so die „Illustrierten", kennen keinen begrenzten Aufgabenbereich. Sie verfügen über die Universalität der Zeitung und leben aus der Zugkraft des Bildes. Die sehr kostspielige Herstellung aber macht für diese Blätter den Anzeigenertrag in besonderer Höhe unentbehrlich (Kostendeckung in manchen Betrieben Vs aus Bezugsgeldern, 2/.s aus Anzeigen). Im harten Wettbewerb um die höchste Auflage läuft die redaktionelle Haltung Gefahr, trotz der in der Bildpublizistik oft ausgezeichneten Leistung, in flache Niederungen abzusinken, um so tiefer, je heftiger der Auflagenkampf tobt. 28 Diese Fehlentwicklung kann nur aufgehalten werden, wenn sich vom Leser her eine auf bessere Qualität ausgehende Nachfrage mit einer Selbstdisziplin der „Illustrierten" verbindet, die neuerdings wieder in der „Freiwilligen Selbstkontrolle der Illustrierten" aktiv geworden ist.27

23 Ergebnisse der Leseranalyse — Zeitschrift 1966 in ausführlichen Artikeln und kritischen Stellungnahmen vgl. ZVuZV 1966, Nr. 35. 24 MALETZKE, G.: Psychologie der Massenkommunikation. A.a.O., S. 93 ff. 25 1966 Ausgaben für Werbung (Bundesrepublik und Westberlin) insgesamt 3,8 Milliarden, davon 1,6 Milliarden für Zeitschriften. In der Quote Zeitungsanzeige—Zeitschriftenanzeige ist die Zeitschrift in langsamem Zuwachs. Vgl. ZVuZV Nr. 5, 1967 S. 126 u. Nr. 14 S. 424. 29 Statistische Erhebung über die „Illustrierten vgl. SUSCHKE, CHR.: Stoffgebiete — Gliederung und Darbietung großer „Illustrierten" 1961. Eine Untersuchung des redaktionellen Teils von Stern, Quick und Revue. Diss. Berlin 1965. Ebd. auch die sehr erhebliche und heftig streitende Fachliteratur zu diesem auch allgemein-publizistisch wichtigen Thema. Vgl. ebenso S. 139 (Bild). 27 Uber die Problematik vgl. S. 190 sowie DOVIFAT, E.: Die Pflicht zur Freiheit in der Publizistik. In: Integriats. Festschrift für Karl Holzamer. Tübingen 1966, S. 429 ff. — IPFLING, H. J.: Jugend und Illustrierte pädagogisch-zeitungswissenschaftliche Untersuchung. Slg. „DIALOGES" Zeit u. Leben, Neue Folge, Bd. I, München 1965.

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P R A K T I S C H E PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN MITTEL

Mit nur wenigen Zeitschriftentypen (Romanzeitschriften, sensationelle Wochenendpresse, Rätselzeitschrift u. ä.)28 zählen die „Illustrierten" als mächtigste Teilhaber zu der Gruppe „gesonderte Darbietungsform". In der gängig als „Publikumszeitschrift" zusammengefaßten Gruppe sind in der Mehrzahl Blätter, die in die erste Gruppe, der umgrenzten Aufgabe, einzuordnen sind.28 Wichtige, aber als solche publizistische Randerscheinungen sind die „Kundenzeitschrilten", die für bestimmte Firmen, Firmengruppen und Handelszweige in Zeitschriftenform erscheinen, aber der Werbung in Gestalt der Verkaufsberatung, oft auch als Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations) dienen und kostenlos abgegeben werden. Auflage fast 40 Millionen. 30 Ebenso ist als nichtpublizistisch die Gruppe „Betriebszeitschrilten" 31 anzusehen, die von den Werksleitungen oder in deren Auftrag für die Belegschaften herausgegeben werden und allgemein betrieblichen, auch kultur-sozialen Aufgaben oft in bester geistiger und graphischer Qualität dienstbar sind. 1960 wurden 415 Betriebszeitschriften mit einer Auflage von 4,4 Mill. gezählt. 32 In der totalitären Welt ist die Zeitschrift, gerade weil sie den umgrenzten und damit oft auch persönlichen Lebenskreis anspricht, in zutreffender psychologischer Kalkulation als Mittel politischer Ausrichtung in Anspruch genommen. Im Hitlerregime wurden die Zeitschriften über die Pressekammern streng überwacht, vor allem, wenn sie in Lebensgebiete übergriffen, die — wie es hieß •— „nicht unbedingt dem Gedankengut des ganzen Volkes (gemeint ist das NSSystem) dienen" 33 . So konnte besonders die kirchliche Presse hart verfolgt werden. In der Kriegswirtschaft ging dann die Propaganda über die gleichgeschalteten Frauenzeitschriften bis in die Kochtöpfe. In der SBZ hat ein starr verwaltetes Lizenzsystem aller Zeitschriften voran die Gruppen bevorzugt, die zur politischen Führung (stärkste Gruppe „Staat, Gesellschaft") und dann der Planerfüllung (Technik und Wirtschaftspraxis) eingesetzt sind. Die religiöse Presse steht unter 16 Gruppen an 12. Stelle.34 Unterhaltungszeitschriften üben seltsame Nachahmung westlicher Massenblätter, sind aber gleichwohl von politischen Parolen durchsetzt. 28

„Heim und Welt", „Das grüne Blatt" u. a. m. Z. B. die großen Frauen- und Modezeitschriften. Selbst politische Blätter, z. B. „Der Spiegel", sind begrifflich falsch in die Gruppe „Publikumszeitschriften" einbezogen, als sei deren Charakter nur durch die Auflagenhöhe und damit dem äußerlichsten Zeichen aller Wesensmerkmale der Zeitschrift bedingt. 30 Vgl. KERLIKOWSKY, H . : Die Kundenzeitsciirift. Diss. Berlin 1 9 6 8 . 31 WINKELMANN, A.: Die Bergmännische Werkzeitschrift. Diss. Berlin 1 9 6 4 , S. 37 ff. sowie 29

KERLIKOWSKY, a . a . O . ,

S. 6 7 ff.

Die deutsche Zeitschrift. In: Handbuch DIE DEUTSCHE PRESSE 1 9 6 1 . A . a . O . , S. 47 —• Auskunft des Intern. Verb, der Werkzeitschriften 1967. 33 Vgl. Erste Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes vom l.XI. 1933. RGBl. I 1933, S. 797 ff. sowie die darauf fußende Anordnung des Präsidenten der Reichspressekammer vom 30. IV. 1936. — Vgl. auch LEHMANN, E. H.: Einführung in die Zeitschriftenkunde. Leipzig 1936, S. 159 ff. 34 In der SBZ erscheinen 488 Zeitschriften für eine Bevölkerung von 17 Millionen. Nach dem Beziehungssatz Zeitschriftenzahl/Bevölkerungsziffer in der Bundesrepublik müßten es 2180 sein. 32

KIESLICH, G . :

281

DAS GESCHRIEBENE W O R T

Ebenso aber zeigt sich, daß in den Ländern totalitärer Macht die Zeitschrift trotz der politischen Überwachung bei jedem „Tauwetter" am ehesten sich zum Sprecher der „Abweichler" macht; die Fälle in Ungarn und Polen sind bekannt, jüngst noch der Fall Mihajlow, der in Zadoz, Jugoslawien sich mit einer Oppositionszeitschrift versuchte, aber festgesetzt wurde. Danach ergibt sich: Zeitschriften sind Druckschriften, die fortlaufend in regelmäßiger Folge erscheinen, in der Mehrzahl einem umgrenzten Aufgabenbereich verpflichtet sind, in einer kleineren Gruppe einer gesonderten Darbietungsiorm (Bild, Unterhaltung u. a. m.). Aus dem umgrenzten Aufgabenbereich der Zeitschrift bestimmt sich jeweils ihr Leserkreis, ihre Aktualität, die Häufigkeit ihres Erscheinens und die Wahl ihres Standortes. Umgekehrt bietet die Zugkraft der Gruppe gesonderter Darbietungsiorm höchste Auflagen und massenpublizistische Wirkung (Bild, Unterhaltung, Zerstreuung). d) Die

Zeitung „. . . Will aber wer klug seyn, wo er in der Staats-, Handels- und Bürgerlichen Gesellschaft leben will, so muß er die Zeitungen wissen, er muß sie stets lesen, erwägen, merken und einen Verstand haben, wie er mit ihnen umgehen soll. Wer die Zeitungen nicht achtet, der bleibt immer und ewig ein elender Prülker und Stümper in der Wissenschaft der Welt und ihrem Spielwerk. „Zeitungslust u. Nutz." KASPAR VON S T I E L E R 1

1632—1707 (Der Spaten)

Unter den publizistischen Mitteln wurzelt die Zeitung in den Urtatsachen natürlichen und allgemeinen Lebens. Welche Formen sie auch immer im Ansturm technischer Umwälzung einmal annehmen wird, in ihrer Aufgabe ist sie unentbehrlich. Sie gibt, wie ihr Name sagt2, die „Nachricht". Dem Ursinne des Wortes nach fordert die Nachricht Aktion, sie ist der laute Anruf auf Leben und Tod im Daseinskampf des Einzelnen und der Gesellschaft. Heute hat sich die Nachricht vielfach zur „Information" verfeinert. Ihr fehlt das innere Kommando der „Nach"-rieht, sie ist persönlich, menschlich getönt, auf gemessene Annahme abgestellt.3 In ihrer eigentlichen Aufgabe, „zum Darnachrichten", ist die Nachricht=Zeitung so alt wie die Menschheit.4 Sie dient dem Einzelnen, sich seiner Umwelt gewiß Hamburg 1695. Es erübrigt sich hier, den dutzendfach erläuterten Wortinhalt noch einmal darzulegen. Bemerkt sei nur, daß der Begriff „Zeitung" in der Wortgeschichte nie allein „Nachricht", sondern erregende, neue Nachricht bedeutet. Zum Begriff vgl. S. 24. 3 Uber Nachricht und Nachrichtenpolitik vgl. S. 86. 4 Die Geschichte der Zeitung ist mit vielen Monographien in Teilgebieten dargeboten. Seit LUDWIG SALOMONS Geschichte des deutschen Zeitungswesens. Oldenburg/Leipzig 1906 1 2

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PRAKTISCHE PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN MITTEL

zu werden und ist darin lebenswichtig. In der gesellschaftlichen und staatlichen Gemeinschaft ist sie Voraussetzung des geordneten Zusammenlebens überhaupt. 5 Hier nehmen wir die Zeitung, w i e sie uns seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts (1609) erscheint, als ein in regelmäßiger (kürzester) Folge erscheinendes Druckwerk, das über (jüngstes) Zeitgeschehen einer (breitesten) Öffentlichkeit berichtet. So ist die Zeitung (2. Hälfte des 16. Jahrh.) aus den Nachrichtenträgern gewachsen, die ihr voraufgingen. Der Nachrichtensang (Lied) brachte die größte Öffentlichkeit, der Brief, die Briefbeilage („cedula") berichtete über das jüngste, das „sensationelle" Geschehen', aus dem dann das Zugkräftigste, weil sich das lohnte, als „Einblatt" in Druck ging, womit die Technik g e w o n n e n war. A l s dann die Post zu festen Laufzeiten überging, brachte sie Regelmäßigkeit im Einlauf und Auslauf der Nachrichten, brachte sie die Periodizität in die Zeitung. So steht die Zeitung bis heute: im regelmäßigen Erscheinen bindet sie sich an die Macht der Gewohnheit und an die publizistische Kraft der Wiederholung. Sie dient dem natürlichen Verlangen, den Zeitereignissen auf den Fersen zu bleiben und die Nachricht, im Druck fixiert, belegt, bezeugt und verantwortet zur Hand zu haben 8 , mit der Folge, Tag um Tag politische Urteile oder auch Vorurteile anzubringen. Sehr bald nach ihrem Entstehen wird die politische Natur der Zeitungen erkannt. Nur kurze Zeit (im 17. Jahrhundert) bleiben sie, was sie anfangs den Druckern waren, Geschäftsunternehmen, gekaufte und weiter verkaufte Ware. 9 Aber sie gaben damit doch oftmals eine explosive Fracht. So gerät sehr bald die

ist eine Gesamtdarstellung nicht mehr erfolgt. Neuerdings gibt KOSZYK, K. Darstellungen in größerer Zusammenfassung, so in: Die deutsche Presse des 19. Jahrhunderts. Berlin 1966. Vom gleichen Verfasser erschien eine Bibliographie: Die Presse der deutschen Sozialdemokratie. Bad Godesberg 1966. 5 Auf die alten Streitfragen, ob die römischen „Acta diurna" bereits „Zeitungen" waren oder gar die chinesischen Staatszeitungen, sei hier nur hingewiesen. Vgl. BÜCHER, K.: Die Grundlagen des Zeitungswesens. Ges. Aufsätze. Tübingen 1926, S. 6 ff. — CHIEN HSUIN YUI: Das alte chinesische Nachrichtenwesen und die chinesische Staatspresse. Berlin 1934. — Zur allgemeinen Entstehung des Begriffs vgl. GROTH, O.: Die Zeitung. Ein System der Zeitungskunde. 4 Bde. Mannheim 1928—30. — Für die übrige, sehr umfangreiche Literatur sei auf die Bibliographien verwiesen. — Eine Universalisierung des Begriffs „Zeitung" gibt OTTO GROTH in seinem fünfbändigen Alterswerk Die unerkannte Kulturmacht (Periodik). Berlin 1 9 6 0 ff. 6 Sensation ist immer die überraschend sich entwickelnde menschlich packende Außerordentlichkeit. 7 Zu der vielfältigen, oft polemischen Literatur über diese Wurzelwege vgl. die Bibliographien und vom jüngeren Schrifttum DAHL, F., F. PETIBOR U. M. BOULET: Les Débuts de la Presse Française. Goeteborg/Paris 1951. Die Anfänge der europäischen Presse. Katalog einer Ausstellung in Bremen. Hrsg. v. d. Gesellschaft für Deutsche Presseforschung. Bremen 1965. — MEIER, E.: Zeitungsstadt Nürnberg. Berlin 1963. 8 Den elektronischen Mitteln mangelt in ihren gewiß aktuellen Nachrichten die Fixierung und das Wiederlesen sowie die Möglichkeit der gedanklichen Bewältigung berichteter Ereignisse. 9 1634 schreibt der Verleger der „Ordinari Zeitung in Frankfurt" von den Nachrichten: „.. .wie ich sie einnehme, so gebe ich sie wieder aus". Tröstend fügt er hinzu: „Stimmt's nit, Dir dann darob nicht graus. Was nicht geschehen ist, das doch geschehen kann, alles warnet einen klugen Mann."

DAS GESCHRIEBENE WORT

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Zeitung unter Kontrolle der politischen Gewalt. Sie geht von den Druckern vielfach auf die Postmeister über und damit in beamtete Führung. 10 Nur unter widerrufbarem „Privileg" schaffen junge Verleger des 18. Jahrhunderts einen Zeitungstyp, der sich sehr bald unter amtlichem Druck zum Staatsjournalismus entwickelt. Er wird nicht nur zensiert, sondern in den Kabinettskriegen aktiv kämpfend eingesetzt. So unter F R I E D R I C H II. in Preußen, hart und rücksichtslos, milder, aber nicht weniger wirksam unter M A R I A T H E R E S I A . Die Zeitung ist Mittel der Staatslührung Nach dem Ende des 17. Jahrhunderts in England, in Frankreich nach 1789, als die Freiheit publizistischer Arbeit gewonnen war 12 , wird die Zeitung das Mittel des politischen Kampfes und geistiger Auseinandersetzung. Große Federn ( M I R A B E A U , DESMOULINS, K L E I S T , G Ö R R E S u. a.) gründen die Persönlichkeitszeitung, große Verlage ( C O T T A , F A B E R , D U M O N T ) beleben die Zeiiungspersönlichkeiten ( T I M E S , Augsburger Allgemeine, Kölnische Zeitung), und im anhebenden politisch-parlamentarischen Parteienkampf wächst die kämpfende Gesinnungszeitung zunächst als „Comitezeitung", durch Parteiinstanzen getragen. 13 19. Jahrhundert: im Übergang von der handwerklichen Kundenproduktion zur industriellen Marktproduktion wird die Reklame, die Anzeige für den Absatz unentbehrlich. Sie wird ein neues finanzielles Rückgrat der Zeitungswirtschaft. Mit ihr wächst die Massenpresse heran, und erschließt breiteste Volksteile dem Zeitungslesen. Mit dieser industrieähnlichen Produktion und technischer Bedingtheit werden bestimmte Zeitungen Großbetriebe, Großunternehmen, Konzerne. 14 Ihre unterhaltende und unterrichtende Aufgabe zieht an, ihr publizistischer Einfluß mindert sich. In Deutschland halten demokratische Blätter von Weltansehen ebenso auch Massenblätter von höchster Auflage dem mit neuen publizistischen Waffen vorgetragenen Angriff Hitlers nicht Stand. 15 Auch in den alten Demokratien erlahmt zwar nicht die kommerzielle Ergiebigkeit der Zeitung, aber die feste Füh10 So geht die 1660 schon täglich erscheinende „Leipziger Zeitung", 1672 wieder an den Postmeister, der sie auf wöchentliches Erscheinen zurückdreht. Vgl. SCHÖNE, W . : Drei Jahrhunderte Leipziger Presse. In: Zeitungswissenschaft 1936. Nr. 11. — Friedrich II Pressepolitik kam der totalitären Beherrschung nahe. Er hat die Presse äußerst „genieret" und ihr bis ins hohe Alter keinerlei publizistische Rechte eingeräumt. Vgl. JESSEN, H.: Die Nachrichtenpolitik Friedrich d. Gr. In: Zeitungswissenschaft 1940, Nr. 1940, S. 632—664. — BRABANT, A.: Das Hl. Römische Reich im Kampf mit Friedrich II. Berlin 1904. — HOPPE, K.: Roderiques „Gazette de Cologne" 1740—46. Ein Beitrag zur Publizistik der ersten theresianischen Regierungsjahre. Diss. Münster 1948. 11 Eine „Zeitungswissenschaft" als Teil der Kameralistik entwickelte sidi an den deutschen Universitäten. Sie dient der Ausbildung der Beamtenschaft im absoluten Regime. 12 Die allgemeine und gesetzliche Entwicklung vgl. S. 172. 13 BISMARCK und die Konservativen mit der „Neuen Preußischen" (Kreuz-Zeitung), KARL MARX mit dem Bund der Kommunisten die „Neue Rheinische Zeitung". — KLUTENTRETER, W . : Die Rheinische Zeitung von 1842/43. Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung, Bd. X, Teil 1 u. 2. Dortmund 1967. Eine klare Darstellung des „Comitesystems". 14 GORDON BENNET, Pulitzer, Hearst, Northcliffe, Beaverbrook, Scherl, Ullstein, Mosse. 15 1933 erzielte HITLER (am 5. März) mit einer Auflage seiner Zeitungen von 0,8 Mill. 17,2 Mill. = 44% aller gültigen Stimmen. Die entschieden demokratische Presse mit 6,6 Mill. Aufl. erreichte nur 12,8 Mill. Stimmen. Vgl. Handbuch Die deutsche Presse 1954. A.a.O., S. 46*.

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rungssicherheit, wie sie die kämpfende Gesinnungszeitung des 19. Jahrhunderts auszeichnet. 18 In einer Reihe von Ländern — so in den Staaten des Warschauer Paktes — ging die Zeitung demokratischer Haltung in den totalitären Systemen unter. So zeigt sich heute das Zeitungswesen gerade in den gefestigten Demokratien weniger der kämpferischen Aktion als der sachlichen Information zugeneigt. Auch sie bleibt freilich nachrichtenpolitisch bestimmt. 17 Dafür spricht ohnedies das jeder publizistischen Leistung innewohnende Gesinnungselement und vor allem der Zwang, einen Leserkreis anzusprechen und festzuhalten. Aber der selbstbewußt demokratische Leser will nicht mehr „geführt" werden. Ihm fehlt der Enthusiasmus des Gefolgsmannes, nicht zuletzt auch, weil er in einigen Ländern auf das schwerste irregeführt worden ist. Dazu kommt der grundsätzlich kritische, der unbequeme oder unbequem gemachte Staatsbürger, der über jeden „parteipolitischen Einfluß" erhaben ist. Oft gehört er jener unproduktiven Gruppe an, der die Demokratie nur zusagt, „wenn sie seinen Willen tut". 18 Es liegt im Wesen der Demokratie, daß die demokratischen Massen als eine politisch reife und also mündige Bevölkerung angesprochen werden muß. Jeder, der aber z. B. 1933 in Deutschland das Verhalten einer zwar mündigen, aber noch nicht reifen Masse erlebt hat, kann nur hoffen, daß die Öffentlichkeit heute in schweren und schwersten Krisen, die vielleicht einmal kommen, sich bewährt. 19 In jedem Falle vollzieht die Zeitung stellvertretend das Grundrecht der Meinungsfreiheit auch für den einzelnen Staatsbürger. Der hat zwar dieses Grundrecht, kann es aber nur ausüben durch ein publizistisches Mittel, hier die Zeitung, die Zuschriften aufnimmt oder redaktionell in Aktion tritt. Die Typengliederung des Zeitungswesens in den großen freien Zeitungsländern 20 ist verschieden ausgerichtet. Die alten traditionellen Blätter haben sich erhalten oder sind als Qualitätsblätter überregionaler (engl, „national-wide") Verbreitung neu geschaffen. 21 Ihr politischer Einfluß liegt in ihrem Ansehen, manche liefern, meist umfassend informiert, eine Art gedruckter Podiumsdiskussion. Die London 19 Die dritte Wiederwahl ROOSEVELTS in den USA wurde — durch die neue Werbekraft des Rundfunks — gegen die Mehrheit der Presse durchgesetzt. " Vgl. S. 86. über das Problem der „öffentlichen Aufgabe der Presse" s. S. 180. 18 Er erscheint als das demokratische Gegenstück jener ultrareaktionären Junkertypen von 1848: „Und der König absolut, wenn er unseren Willen tut!" 19 Haben wir den berühmten Satz CICEROS wirklich überwunden? „Vulgus ex veritate pauca, ex opinione multa aestimat" (Pro Quinto Roscio, 29). 20 Für den Nahen und Feinen Osten (mit Ausnahme Japans) sowie für die jungen Entwicklungsländer gelten andere Regeln. Ein Teil dieser Länder hat die Pressefreiheit stürmisch angenommen und sie in der Praxis z. T. dann wieder vorsichtiger gefaßt (Indien, Pakistan), andere streben totalitäre Formen an (Ägypten). In manchen der jungen Staaten trägt eine politisch kämpfende Presse noch zur inneren Klärung der Fronten bei, wobei die elektronischen Mittel zunächst der Presse häufig zuvorkommen. Gesamtüberblick vgl. FRANKENFELD, A.: Weltbilanz der Pressefreiheit. In: ZVuZV 1966, Nr. 51/52. 21 London TIMES, New York Times, Le Monde, Berlingske Tidende, Neue Zürcher Zeitung, Die Welt, Frankfurter Allgemeine, Corriere della Sera, Die Presse (Wien).

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TIMES nannte sich zeitweise „a national institution".22 Die wirtschaftliche Lage dieser Blätter führte in einigen Fällen schon zu Schwierigkeiten, die redaktionelle Qualität zu erhalten.23 Sie geben in konservativen Formen liberal allen Problemen Raum. Ihr publizistischer Einfluß bleibt mittelbar. Die rentabelste Zeitung ist das Blatt, das den Leser schon auf der Straße anspricht, die sogenannte „Kauizeitung", das Boulevardblatt. In den Anfängen meist nur sensationell und zunächst ohne festen politischen Duktus haben sich diese Blätter in Anpassung an ihre Massenleserschaft gewissen volkstümlichen Forderungen in radikalen Ausdrudesformen angenommen und sich dabei Auge und Ohr der Massenleserschaft gesichert. In jedem Falle sind sie massenwirksam, daher meist oft links gerichtet (Daily Mirror 5 Mill., Paris Soir 1,3 Mill.), aber auch rechts (wie einst die Boulevardtypen Hugenbergs) oder — seltener — in einer extrem sensationell ausgestatteten Mitte (Bildzeitung — Bundesrepublik Deutschland). Ihr publizistischer Einfluß tritt schon wegen der Mindereinschätzung des Typs zur Zeit gegenüber anderen Blättern noch zurück.24 Sie erreichen jedoch die höchsten Auflagen. Das Boulevardblatt bildet Tag für Tag aus Wiederholung, geschmacklicher und gefühlsmäßiger Gewichtverteilung der redaktionellen Stoffe in die Urteilsneigung des Lesers hinein eine Grundstimmung. Sie beeinflußt politische Haltungen25 und kann es in Krisenfällen angesichts der Höchstauflage zu entscheidendem Einfluß bringen.26 Auch die totalitäre Staatsführung läßt sich die politische Wirkungsstärke dieses Typs nicht entgehen. Ostberlin, die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Paktes haben Straßenverkaufsblätter ins Leben gerufen2', deren laute Sensationen freilich immer im Kommunismus auslaufen.

22

Handbuch der Auslandspresse. A.a.O., S. 88.

Z. B. die Schwierigkeiten der TIMES 1966 und ihr Verkauf an Thomson. Manche dieser Blätter sind durch die Überschüsse volkstümlicher Massenzeitungen gesichert, die im gleichen Verlag erscheinen. 24 Vgl. dazu die differenzierten Angaben in: Die Zeitungsleser 1966. Leseranalyse der deutschen Tageszeitungen. Hrsg. v. Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e. V., durchgeführt von DIVO, Frankfurt a. M. und INFRATEST, München. (August) 1966. — Zum gleichen Thema vgl. DOVIFAT, E.: Zeitungslehre. A.a.O. Bd. II, S. 151 ff. 2a

25 Auch die Vertreter der Boulevardpresse verteidigen ihre eigene allerdings sehr umstrittene Ideologie: „Never the newspapers are dull, they are only refletions. Crime is dull, sex is dull, politics are dull, when seen by dull brains." So HUGH CUDLIPP, Chef des „Daily Mirror", (Auflagestärkstes Boulevardblatt) in seinem Buche „Publish and be damned". London 1955. Deutsche Ausgabe: „Sensationen für Millionen", München 1955. Vgl. auch: Dovifat, Zeitungslehre I, S. 122. 24 In den Zahlungssperren, die 1930/31 aus der Weltwirtschaftskrise entstanden, war in Berlin die Unruhestiftung der kommunistischen (Welt am Abend) und nationalistischen (Nachtausgabe, Angriff) Boulevardtypen so verhängnisvoll, daß die Blätter durch Notverordnungen gezwungen werden mußten, die Anordnungen zur Behebung der Finanzkrise überhaupt abzudrucken. Vgl. dazu: Verordnung gegen politische Ausschreitungen mit Ausführungsbestimmungen der Länder. Kommentar von KURT HAENTZSCKEL. Berlin 1932. 27 Boulevardtypen erscheinen in Moskau und Leningrad, in Bulgarien, Rumänien, der Tschechoslowakei, Ungarn, alle als Abendblätter. Vgl. Handbuch der Auslandspresse. A.a.O. bei den genannten Ländern.

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PRAKTISCHE PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN MITTEL

Ein Teil des publizistischen Schwergewichts der alten Zeitungsländer verlagert sich heute in die mittlere, örtlich und landschaftlich bestimmte Regionale Presse. Diese Presse lebt aus ihrer lokalen Publizistik in einer Tatsachennähe, durch die sie auch die Maßstäbe zum allgemein politischen Urteil vermittelt. In dieser ihrer kardinalen Bedeutung hat sie vielfach genossenschaftsähnliche, aber nicht ungesunde Formen angenommen. Dadurch nutzt diese Presse den Vorteil des Großbetriebes, stellt aber die lokale Differenzierung mit eigenen Redaktionen sicher (Bezirkszeitungssysteme) ,28 Oder die Blätter wenden die Nachteile des Kleinund Mittelbetriebes durch genossenschaftlichen Zusammenschluß ab. 2 ' Zwischen den Gruppen besteht oft ein äußerst harter Leistungswettbewerb, der wiederum die politische Grundrichtung — um der Weite des Absatzes willen — sowohl in den „Ringen", wie in den Bezirkssystemen in den Informationsstil treibt. Allgemein häufen sich die Zusammenschlüsse in Bezirksausgaben wie auch in „Ringen". Die Zahl der pluralistisch verschiedenen Haltungen geht zurück. Es wächst die Zahl der Kreise, in denen nur eine Zeitung erscheint.30 In den USA wird das durch ein unbeschwertes Nebeneinanderstellen auch entgegengesetzter Auffassungen im gleichen Blatt gemildert. Sehr im Rückgang ist die fest ideologisch oder parteipolitisch gerichtete Zeitung.31 In der Bundesrepublik gibt es parteigebundene Tageszeitungen nicht mehr. Der programmatische Kampf hat sich in die Zeitschriften hinübergezogen. Mit einiger Auflage kommen parteipolitische Zeitungen noch in Frankreich32, in Holland33 und den skandinavischen Ländern vor, wo sie aber gegenüber der „Informationspresse" immer in der Auflagenminderheit bleiben. Ein Land eigener Zeitungsprägung ist Japan, das die höchsten Auflagen der Welt erreicht, aber einen Boulevardtyp kaum kennt (93 %> Abonnementvertrieb). 2 8 Großbetriebe liefern einen allgemeinen Teil (den „Mantel"), lokale Redaktionen (bis zu 30 für einen Großbetrieb) fügen die eigene regionale Publizistik bei. Für die Bundesrepublik vgl. Dovifat, E.: Zeitungslehre. A.a.O. Bd. II, S. 32 ff. 2 " So in der Bundesrepublik durch sogenannte Zeitungsgemeinschaften. Vgl. das Handbuch Die deutsche Presse 1961. A.a.O., S. 203 ff. — In den USA hat die Regionale Presse auch in ihrer politischen Aufgabe gewonnen trotz bestehender Konzernierung als „chains", aber „with local autonomy". — In Frankreich hat die Regionale Presse das früher in Paris zentralisierte Zeitungswesen auflagemäßig überspielt. Vgl. das Handbuch der Auslandspresse. A.a.O., S. 60. 3 0 Vgl. Schütz, W. J.: Zeitungsdichte in der Bundesrepublik Deutschland. In: Publizistik 1966. Heft 3 u. 4, S. 443 ff. — Die Regionale Presse ist in der Bundesrepublik Deutschland am weitesten verbreitet. Sie erreicht 66,9 %> der Zeitungsleser, deren Zahl täglich 83 % der Bevölkerung ausmacht. An 2. Stelle folgt die Boulevardpresse mit 40,4%. Die überregionale Presse erreicht 6,6 Vo. (Allensb. Werbeträger Analyse 1967) 31 In der Bundesrepublik Deutschland sind auch die Blätter allgemein politisch angelegter Grundrichtung in der Zahl stark und in der Auflage noch mehr zurückgegangen (1932 75 °/o der Blätter politisch festgelegt, 1961 24 %> der Blätter und nur 11 %> der Auflage). Die Quote ist inzwischen sehr viel weiter abgesunken. 32 L'Humanité (KP) 213 000; La Croix (kath.) 102 000. Stand 1964. 33 De Tijd (kath.) 111 000; Trow (evang.) 106 000; Het Vrije Volk (soz.) 290 000. Stand: 1964.

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Durch die Bezirkszeitungssysteme (z. B. Ashai Shimbun 8,45 Mill. Aufl., 112 regionale Bezirksausgaben) wird das regionale Zeitungswesen differenziert gehalten. Die Zusammenarbeit mit Fernsehsendern ermöglicht den Blättern, auch die Konkurrenz anderer publizistischer Mittel zu bestehen. In den totalitären Ländern kommunistischer Grundhaltung ist die Zeitung Mittel der Parteiführung, die den Staat regiert. Sie ist „operatives Mittel zur Erziehung der breiten Massen in die klassenlose Gesellschaft". 34 Sie bleiben das audi trotz mehr dekorativer Lockerung der Formen des graphischen Ausdrucks und der äußeren Aufmachung. Eine Bedrohung der Pressefreiheit, die verfassungsrechtlich, als das „schlechthin konstituierende Grundrecht" auch der Zeitung gesichert ist, ergibt sich nicht erst seit heute von innen her. Wenn durch wirtschaftliche und technische Zwangsentwicklungen die Vielfalt der Meinungen eingeschränkt, das freie Angebot der Blätter sich verringert oder die Verfügung über starke Auflagenquoten in eine Hand gerät, ist eine Gefährdung der Freiheit möglich. Diese internationale Erscheinung hat zu Abwehraktionen in einigen Ländern geführt, zumal in England, wo die Konzentration am weitesten fortgeschritten ist.35 In der Bundesrepublik haben, wie gezeigt wurde, die Zusammenschlüsse zu einer Verminderung des Angebots geführt.36 Die Alternative „Konzentration oder Subvention" 37 wird drohend vorgestellt, doch ist sie nicht zwingend vorauszusehen. Durch neue Anstrengungen auf dem Gebiete freier Zusammenarbeit können gefährliche Entwicklungen abgebremst oder in freiheitlichem Geiste gehalten werden. 38 Bei den allen publizistischen Mitteln, besonders den Zeitungen, eigenen Anpassungsmöglichkeiten und den erfreulich liberalen Grundsatzbestimmungen der Gesetze wird es immer schwer sein, Konzentrationsgefahren behördlich oder durch Gesetze 34 Die ideologische Basis dieser Publizistik ist S. 168 ff. dargestellt. — Eine andere Form gebundener Publizistik herrscht in Spanien (gemildert auch in Portugal). Hier ist eindeutig die Freiheit der Presse nur insoweit gesichert, als sie „nicht mit den Grundprinzipien des Staates in Konflikt gerät" (Art. 12 des spanischen Pressegesetzes v. 17. 7. 1945). — Ähnlich in vielen jungen Staaten. Vgl. Afrika Spectrum. Hrsg. v. Deutschen Institut für Afrikaforschung e. V. Hamburg 1966. H. 2. BEHN, H. U.: Das Zeitungswesen in Ostafrika. Dersl. H. 7: Die Presse in Westafrika. Vgl. auch MUDDATHIR, A.: Die arabische Presse in den Maghreb-Staaten. Hamburg 1966. — Barton, F.: The Press in Africa, Nairobi 1966. 35 Das englische Zeitungswesen wurde zweimal unter Offenlegung aller Verlagsbedingungen durch eine „Royal Commission" untersucht (Report II Royal Commission on the Press. London 1961/62). Das Ergebnis war der Ausbau des Presserates durch Laienbeteiligung und die Errichtung eines Amtes, das durch richterliche Entscheidung Konzentrationen zu verhüten berechtigt ist. Davon ist bisher kein Gebrauch gemacht worden, über die Lage unterrichtet Ende 1966 der „Devlin-Report". Auszüge in „Der Journalist" 1967 Nr. 2.

» Vgl. dazu SCHÜTZ, W. J . : „Publizistik" 1966 Nr. 3/4.

3

AXEL SPRINGER: Deutsche Presse zwischen Konzentration und Subvention. In: ZVuZV 1967, Nr. 1, S . 1 H. 37

3 8 Vgl. EHMER, W.: Kooperation. Ein Beitrag zur Alternative: Konzentration oder Subvention. In: ZVuZV 1967. Nr. 4.

288

P R A K T I S C H E P U B L I Z I S T I K — DIE P U B L I Z I S T I S C H E N M I T T E L

abzuwehren. W i r k s a m e r sind frei gesetzte Gemeinschaftsregelungen im vorstaatlichen Raum, wie sie hier in Anwendung auf alle publizistischen Mittel schon dargestellt wurden. 3 9 Im vorstaatlichen Raum ist auch der in manchen Ländern für die Zeitung lebenswichtige W e t t b e w e r b mit anderen publizistischen Mitteln sachgerechter als durch gesetzliche Eingriffe zu lösen. 4 0 Auch haben die Zeitungen untereinander Wettbewerbsformen zu wahren, die nicht auf Leben und Tod gehn und ihrer gemeinsamen öffentlichen Aufgabe angemessen sind. Natürliches Gegengewicht gegen alle freiheitsbedrohende Gefahren für die publizistischen Mittel, die Zeitung insbesondere, ist die unmittelbare der Öffentlichkeit

Anteilnahme

an den publizistischen Kräften, deren meinungs- und willens-

bildenden Einflüssen sie unterliegt. Eine der Voraussetzungen dazu w ä r e die völlige Offenlegung der Besitzverhältnisse der Zeitungen, aber auch der Übergang der dadurch sichtbaren Zusammenhänge, in des Bewußtseins der Öffentlichkeit, also des Lesers. 4 1 Die Demokratie ist nur dann gesichert, wenn jeder Einzelne, der ihr Freiheit und Unabhängigkeit verdankt, sich um die W e g e kümmert, auf denen die zu seiner Urteilsbildung und zu seiner aktiven

Mitarbeit

notwendigen Infor-

mationen ihm gegeben werden. 4 2 Die Zeitung vermittelt, als Druckschrift verbreitet und verantwortet, in Nachricht und Meinung jüngstes Gegenwartsgeschehen in kürzester regelmäßiger Folge der breitesten Öffentlichkeit. Im demokratischen Rechtsstaat liefert sie aus eigener Unabhängigkeit der Öffentlichkeit die Grundlagen einer freien Meinungs- und Willensbildung. Im totalitären Staat ist sie „operatives Mittel" in der Hand der diktatorischen Führung und deren Zielen publizistisch dienstbar. Vgl. S. 185. Dazu in der deutschen Bundesrepublik eine sehr umfassende polemisch gestimmte Literatur. Vgl.: Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (Hrsg.) Pressefreiheit und Fernsehmonopol. Beiträge zur Wettbewerbsverzerrung zwischen den publizistischen Mitteln. Bad Godesberg 1964. — Rundfunk u. Tageszeitung. Eine Materialsammlung 4. Bd. Herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) Tatsachen u. Meinungen — Parlamentarische Beiträge — Wissenschaftliche Beiträge — Meinungsumfragen und Analysen. Frankfurt 1965. 41 In einigen Ländern der Bundesrepublik (so in Bayern und Hessen) heute gesetzlich bestimmt, aber kaum noch öffentlich erkannt. Vgl. D O V I F A T , E.: Zeitungslehre. A.a.O., Bd. II, S. 23 ff. 42 Theoretische Konstruktionen gehen neuerdings von der Auffassung aus, daß auch in der Presse die noch bestehende demokratisch notwendige Vielfalt der politischen Richtungen nicht zu erhalten sei und daß Entwicklungen bevorstünden, die Presse — ähnlich wie heute bereits Rundfunk und Fernsehen — zu monopolartigen Gebilden zusammenzuführen, die dann unter demokratischer Kontrolle den publizistischen Vorschlägen und Forderungen in Nachricht und Meinung allerseits freies Wirken zu ermöglichen hätten. Es gelte, durch Ordnungsformen aller publizistischen Medien die demokratische Kommunikation und eine demokratische Gesellschaft in einem demokratischen Staat möglich zu machen. So S T A R KULLA, H.: Presse, Fernsehen und Demokratie. Der Wettbewerb der Medien als kommunikationspolitisches Problem. In: Publizistik 1965, H. 3, S. 198 ff. — Ähnliches erhofft W A L T E R D I R K S durch einen „aus der Freiheit entwickelten Willen zu bestimmten Bindungen", in: „Information oder Herrschaft der Souffleure", 17 Untersuchungen. Hrsg. von Paul Hübner, Hamburg 1964, S. 43. 39 40

DAS GESCHRIEBENE W O R T

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e) Das Buch „ . . . Leben die Bücher bald?" HÖLDERLIN

Daß Bücher zensiert, beschlagnahmt, verboten, verbrannt werden, bezeugt ihre Macht im geistigen Leben und also in der Publizistik. Trotz der aktuellen Bewegtheit ganzer Reihen von Taschenbüchern hält das Buch — auch als Taschenbuch — immer noch eine repräsentative Distanz. Es bleibt, verzehrt sich nicht, hält sich jederzeit zugänglich, zum Immerwieder-lesen bereit. Auch im leichten Einband des Paperback bleibt es immer Gegengewicht gegen die flüchtige Verhänglichkeit aller elektronischen Publizistik. Es ist konsolidiert und nimmt Platz auf dem Bücherbrett. In unübersehbarer Vielfalt, mit jährlich 25 000 und mehr Neuerscheinungen, bietet das Buch eine kaum zu ordnende Fülle von Angeboten für alle Neigungen und aus allen Lebensgebieten.1 Publizistisch nennen wir ein Buch, das in den geistigen, politischen und sozialen Kämpfen in unmittelbarer Aktualität eine Kraft wird, ohne damit zu leugnen, daß von jedem Buch, auch dem amüsanten, dem zerstreuenden, öffentliche Wirkungen ausgehen können und sei es auch, daß die ernste Aufmerksamkeit für das öffentliche Leben dadurch zu Bruch geht. Publizistisch also ist das Buch, das im öffentlichen Leben ideenfindend und wegebahnend die Dinge ändert und in Bewegung setzt.8 Allerdings bedarf das Buch dazu oft einer publizistischen Aufbereitung. Es muß erst aufgeschlossen, auf den Weg gebracht werden. Die Kernsätze der Lehre von K A R L M A R X waren durch das „Manifest der Kommunistischen Partei"' schon verbreitet, ehe ein Buch, das Hauptwerk „Das Kapital", die grundlegende Systematik schuf. Diese wurde dann wiederum durch emsige Agitatoren zu einer politischen Macht. Alle politischen Bewegungen haben in der Gestalt eines Buches ihren ideologischen Grundbesitz. In beweglichere Verbreitungsformen wurde ihr Gedankengut umgeladen, um den Massen einzugehen.4 Ihre Schlüsselwerke bergen das „Basismaterial" der aktuellen Arbeit, die Quelle, die später oft großen Strömen Nahrung gibt. 1 Eine eigene „Budiwissensdiaft" wird erörtert. Vgl. H I L L E R , H . : Buch und Verlagswesen als Lehrgegenstand der Publizistik. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel Jahrg. 1 9 6 4 , S . 1 7 2 0 ff. — Kritische Wertung bei GLOTZ, P. U. W. R . LANGENBUCHER: Budiwissensdiaft. Ein Diskussionsbeitrag. In: Publizistik 1965. H. 3, S. 118 ff. 2 3

Vgl. S. 165. Einzelheiten vgl. S. 271.

4 F. J. STAHL (1802—1855), der christlich-konservative Politiker, beherrscht durch sein Buch „Der christliche Staat" die Ideologien der Konservativen bis ins 20. Jahrhundert. — ADAM SMITH (1723—1790) hat mit seinem Buche „Untersuchung über den Reichtum der Nationen" (1776) die liberale Wirtschaftslehre führend bestimmt. Sein Gedankengut beherrscht fast bis in das Sprachgut die journalistische Argumentation des liberalen 19. Jahrhunderts. Einen reichen Einblick in die Rolle des politischen Buches als publizistische Quelle politischer Bewegungen im 19. u. 20. Jahrhundert gibt GABLENTZ, O. H. v. d.: „Die politischen Theorien seit der Französischen Revolution" in „Die Wissenschaft von der Politik", Bd. IX. Köln-Opladen 1957.

19

Publizistik I

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PRAKTISCHE PUBLIZISTIK — DIE PUBLIZISTISCHEN MITTEL

Selbst die umständliche Buchapparatur der Konversationslexika ist Mutter publizistischer Ausbrüche geworden. Die berühmte französische Encyclopédie (1751—80)5 hat ihr Gedankengut — das sich durch Kompliziertheit des gelehrten Ausdrucks der Zensur entzogen hatte — in den Argumenten der Jakobiner zu radikaler Blüte gebracht. In ihrem „Staatslexikon" hielten R O T T E C K - W E L K E R die liberalen, im „Staats- und Gesellschaftslexikon" H E R R M A N N W A G N E R die konservativen Gedanken zur publizistischen Tagesarbeit bereit.® Bis heute haben wir Konversationslexika von einer frei gewählten weltanschaulich-politischen und also publizistischen nutzbaren Grundhaltung. In der totalitären Welt ist die „Enzyklopädie" Schlüssel der intensiven propagandistischen Arbeit. 7 Besonderen Einfluß gewinnen Bücher, deren Grundhaltung von vornherein bewußt auf publizistische Wirkung ausgeht. Ein typisches Beispiel: H O U S T O N S T E W A R T C H A M B E R L A I N S „Grundlagen des 1 9 . Jahrhunderts" ist hier bereits mehrfach genannt. 8 Wenn auch agitatorisch noch zurückhaltend, so ist dieses Buch, die Grundlage des Rassenkampfes geworden. Von hierher sind die kraß agitatorischen Argumentationen in H I T L E R S Buch „Mein Kampf" 9 beeinflußt und hier von Anfang bis zu Ende auf Massenwirkung umgestellt. Die Schriften R O S E N B E R G S , vor allem der „Mythos des 20. Jahrhunderts" 1 0 hat seine Argumente pseudowissenschaftlich eingekleidet und den Kampf gegen die christliche Lehre eröffnet. Beide Bücher sind mit großen Geldmitteln und später in Zwangsverbreitung unter die Leute gebracht worden. Sie haben Tonart und Haltung der Agitation des Hitlerregimes bestimmt. 11 Einflußreich ist die publizistische Natur bestimmter Romane in politischen oder gesellschaftskritischen Themen. Sie haben aus der Erlebnisnähe und Menschlichkeit Bewegungen in Fluß gebracht und deren Aufgabe in den Herzen verankert. Das bekannte Beispiel ist H. B E E C H E R S T O W E ' S „Onkel Toms Hütte" ( 1 8 5 2 ) , das den Kampf gegen die Sklaverei zu einer moralischen Pflicht machte. T O L S T O I ' S Roman „Auferstehung" war in Rußland von tiefgreifendem publizistischen Einfluß. Er zeigte die Natur des zaristischen Regimes in seinem Kern. H A N S G R I M M ' S Buch „Volk ohne Raum" 12 hat viele tausend Leser glauben lassen, Hitlers „Raumpolitik" entspreche einer ethischen Grundforderung. Eine ausgesprochene Kampfliteratur 5

Vgl. dazu die Darstellungen auf S. 56. Vgl. LEHMANN, E. H.: Geschichte des Konversationslexikons. A.a.O., S. 23. 7 Die große sowjetrussische Enzyklopädie ist eben darum auch in verschiedene Sprachen, so auch ins Deutsche, übersetzt. Vgl. Enzyklopädie der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Leipzig 1959. — Ein großes, während des Hitlerregimes erscheinendes Konversationslexikon, wurde in allen politischen Artikeln eindeutig nationalsozialistisch gefärbt. 8 Einzelheiten vgl. S. 152. 8 München 1926 ff. 10 München 1929. 11 Die anfangs noch in Buchform, leider nur dort, gebotenen Widerlegungen des „Mythos" fielen, als es darauf ankam, auch ihnen Massenverbreitung zu geben, dem Verbot durch das Regime auch infolge der Reglementierung der Presse zum Opfer. Vgl.: ADOLPH, W.: Hirtenamt u. Hitlerdiktatur. Berlin 1965. 12 München 1931. 6

DAS GESCHRIEBENE WORT

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wurde von emigrierten Publizisten in Buchform verfaßt, so in den Jahren 1933 bis 194513 im Kampf gegen das Hitlerregime. Autoren großer Romane wenden ihr Lebenswerk gegen den Totalitarismus. Das zeigt sich z. B. in den späten Romanen von G E O R G E S B E R N A N O S aus seiner südamerikanischen Emigration 14 , ebenso auch in den publizistisch gegen den Kommunismus gerichteten Büchern einstmaliger Anhänger. 15 Selbst in die verdeckte und maskierte Publizistik der Camoflage tritt das Buch tröstlich und ermutigend, aber auch kämpfend der inneren Emigration zur Seite. 151 Gegen die Welt der sozialistischen Totalität wandten sich, neben vielen anderen, M I L O V A N D J I L A S mit seinen Büchern „Die neue Klasse" und „Gespräche mit Stalin". B O R I S P A S T E R N A K S „Doktor Schiwago" vermittelt in Gestalt einer großen Dichtung dem sowjetrussischen Volk Verständnis für die eigentliche Natur des sowjetischen Herrschaftssystems. Das Buch konnte nur im Ausland erscheinen. Publizistisch kaum ausgeschöpft in ihrer Gedankenkraft gegen den MarxismusLeninismus sind die in der Emigration erschienenen philosophischen Werke 18 N I K O L A I B E R D J A J E W S (1874—1948) „Lüge und Wahrheit des Kommunismus" und W L A D I M I R S O L O W J E W S (1853—1900). Das alte „Taschenbuch"17 hat neue, auch publizistische Formen angenommen. Nach 1945 ist dieser Typ aus einem vierfachen Mangel geworden und in der Wirtschaftskonjunktur dann groß zur Blüte gekommen. Der Mangel an Geld förderte das billige, der Mangel an Raum das kleine, der Mangel an Zeit das bei sich zu tragende, der Mangel an Bildungsmöglichkeit das zum Selbststudium konzentrierte Buch: das Taschenbuch. 18 Auch schien das Buch nach dem Zusammenbruch einer falschen Ideologie und der Kompromittierung der übrigen publizistischen Mittel noch am wenigsten belastet. 1 " Eine nicht überschaubare Vielzahl unterhaltender, belehrender wissenschaftlicher Taschenbücher und Taschenbuchausgaben 20 ist erschienen. Selbst Tausendseitenbände umfangreicher Konversationslexika, historische Gesamtdarstellungen 13 Vgl. den Katalog Exil-Literatur 1933—1945. Eine Ausstellung aus Beständen der Deutschen Bibliothek. Hrsg. v. Kurt Köster. 2. Aufl. Frankfurt a. Main 1966. 14 Vgl. S. 46. 15 Vgl. S. 47. 153 Vgl. zur Camouflage S. 79. " Luzern 1934. Solowjew: Ausgew. Werke, Stuttgart 1922. 17 Im Biedermeier sentimental „Taschenbuch der Liebe und Freundschaft", später universell als billige Ausgaben klassischer Werke und guter Sachbücher (z. B. Universalbibliothek) sowie für konzentrierte wissenschaftliche Stoffdarstellung (z. B. Sammlung Goeschen). 18 Vgl. hierzu PLATTE, K. H.: Soziologie des Taschenbuches. Bertelsmannbriefe 1962, Nr. 15. Platte weist 1961 58 Buchreihen nach. Ders.: Der Leser und die Möglichkeiten des Taschenbuches in: Soziologie der Massenkommunikation, München/Basel 1965.

"

20

PLATTE, a.a.O., S. 2.

Vgl. das halbjährliche Verzeichnis der Taschenbücher. Ausg. 1966 (II). Marbach 1966. Dort sind 92 Fachgebietreihen verzeichnet, die von 45 Verlagen herausgegeben werden. Manche Reihen zeigen eine über 1000 ansteigende Zahl von Taschenbänden unter allgemeiner Universalität (Reclam's Universalbibliothek 1865 Nummern), aber Bevorzugung der unterhaltenden Stoffe. — Vgl. auch SCHMEISER, H.: Führer durch das wissenschaftliche Taschenbuch. München 1961. 19*

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lösten sich in schmale Taschenbücher auf. A l s o wurde der Taschenbuchtyp auch für publizistische Aufgaben beansprucht. Es gab Taschenbände, die sich ausgesprochen zweckaktuellen Themen zuwandten, z. B. zu Wahlkämpfen, oder sich in aktuelle geistig-politische Gegensätze einschalteten. 21 Sie boten Material dazu oder kämpften w i e in einem Podiumsgespräch. Da die Hefte in Reihen erscheinen und durchnumeriert sind, nähert sich ihr Typ in manchem einer Zeitschrift. Er bleibt aber immer ohne Periodizität. Die Auflage der Taschenbücher erreichte 1952—1965 insgesamt 80,4 Millionen. 82 A n s e h e n und Distanz des Buches allgemein bleiben auch dem Buch in Miniform, dem Taschenbuch, erhalten. Allerdings wird dem in Leder oder Leinen gebundenen Buche eine respektvollere Ehrung zuteil. 23 Nach fachlichen Befragungen ist die Reihenfolge des Leserinteresses überraschend. A m häufigsten g e l e s e n wird die Zeitung (60%>), es folgen Bücher (54°/o), Illustrierte (46%), sonstige Zeitschriften (20°/o).24 Es ist die zahlreiche unterhaltende Buchliteratur, der diese Auflagenspitze zu danken ist. Das Buch25 erscheint im Druck einmal und nicht periodisch als geschlossene, gebundene Einheit. Nach Art und Umfang bietet e s vertiefter Darstellung Raum, es ist im Besitz des Lesers oder doch erreichbar, und jederzeit zugänglich. Das publizistische, dem öffentlichen Leben aktuell zugewandten Buch, gibt seine Sachkunde und sein Urteil unmittelbar, aber dann auch über die anderen, die geschriebenen und elektronischen Mittel, der Öffentlichkeit weiter. Ihr ist das Buch immer eine besonders gewertete Quelle geistiger Unterrichtung geblieben. Den übrigen publizistischen Mitteln gegenüber hält es auf Abstand. 21 So etwa die Reihe rororo. Beispiel: R I C H T E R , H. W. (Hrsg.): Die Mauer oder der 13. August. Hamburg 1961. — Ders. mit 26 Autoren: Plädoyer für eine neue Regierung. Hamburg 1963. — Eine andere politische Reihe: Fromms Taschenbücher. Beispiel: BECKEL, A.: Wohin steuert die SPD. Osnabrück 1962. — Die „Stundenbücher": LILJE, H.: Im finstern Tal. Rechenschaft einer Haft. Hamburg 1963. — Herder Taschenbücher: HYDE, A.: Anders als ich glaubte. Freiburg 1961. — Ebd. HUNT, R. N.: Wörterbuch des KP-Jargon. Freiburg 1962. — Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv): „Dokumente". D I E MOSKAUER SCHEINPROZESSE. Hrsg. v. Theo Pirker. München 1963. •— HEIBER, H.: Lagebesprechung im Führerhauptquartier. München 1965. — Fischer Taschenbücher: H O F E R , W.: Der Nationalsozialismus. Frankfurt 1961. — WEISENFELD, E.: de Gaulle sieht Europa. Frankfurt 1966. — List-Bücher: LUXEMBURG, R.: Das Menschliche entscheidet. München 1961. 22 PLATTE, a.a.O., S . 8 für 1961, vgl. auch: ENZENSBERGER, H. M.: Bildung als Konsumgut. In: Einzelheiten I. Frankfurt 1965. — E N O C H , K.: The Paper-Bound Book. In: C. H. STEINBERG (Hrsg.): Mass Media and Communication. New York 1960. 23 Vgl. F R Ö H N E R , R . : Das Buch in der Gegenwart. Eine empirisch-wissenschaftliche Untersuchung. Gütersloh 1961, S. 52 ff. 50 °/o der Befragten werten Taschenbücher als „richtige Bücher", 3 8 % wünschen einen „schönen Einband" (Leder oder Halbleder). Auch heute, in der Lawinenproduktion von Büchern, wird die repräsentative Rolle des Buches nach wie vor hochgehalten. Vgl. auch P L A T T E , a.a.O., S. 17. 24 F R Ö H N E R , a.a.O., S . 4 6 sowie Platte, a.a.O., S . 1 3 . 25 Definition der U N E S C O : „Das Buch ist ein nicht periodisch erscheinendes Druckerzeugnis mit einem Umfang von 49 und mehr Seiten". Nach anderen Definitionen muß ein Buch 100 Seiten (Italien, Irland) oder 64 Seiten (Ungarn) haben. In England muß es mindestens einen Sixpence kosten. In den USA ist jede Druckschrift Buch, die über den Buchhandel vertrieben wird. Vgl. PLATTE, a.a.O., S. 24.

AUSBLICKE

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In der technischen Aufbereitung von Sachgebieten kann heute ein Computer ohne weiteres die Substanz ganzer Fachbibliotheken speichern und auf Anruf ausspeien. Aber die beiuhigende Besitzform des Buches, seine nie versagte Zugänglichkeit, seine geistige Kameradschaft gerade in den Stunden schöpferischen Denkens und Schaffens wird ihm seinen Platz immer erhalten. Das gilt auch für das dynamische, das publizistische Buch, dessen innere Substanz heute durch die elektronischen Mittel weiter getragen, ins Wesentliche, ins allgemein Verständliche gehoben, Weltinformation erreichen kann. Deren Probleme stehen uns nun vor Augen.2*

27. Ausblicke Jedes Zeitalter gewinnt die publizistischen Mittel, die ihm gemäß sind. Im Schritt auf die Sechsmilliardenzahl der Erdbevölkerung (bis zum Jahre 2000) schaffen die Nachrichtensatelliten die Vorbedingungen eines neuen Weltbewußtseins. Sie machen es möglich, die ganze Menschheit in einem und gleichzeitig anzusprechen. Mit kleinen Transistorgeräten wird man von den Satelliten Nachrichten und Meinungen in Worten und in Bildern unmittelbar abrufen. Man kann nach Belieben aufnehmen, was freundliche oder feindliche Mächte im Computer droben gelagert und immer aktuell bereit halten. Die elektronische Technik wird der Erdbevölkerung ein Forum von Weltweite öffnen. Jeder kann dabei sein, hören und sehen an jedem Tag und zu jeder Stunde. Wer aber wird zu Worte kommen, mittelbar oder unmittelbar? Werden die natürlichen Gliederungen der Weltbevölkerung alle sprechen können, und wird jede des freien Wortes immer fähig sein? Ehe aber das anlaufende Satellitenzeitalter der Publizistik auf seine Höhe steigt, steht die freie Publizistik heute schon unter den Mächten der technischen Gewalt, die wirtschaftliche Folgen und Forderungen nach sich ziehen. Die Hauptfrage bleibt: Wird es gelingen, auch in der unabwendbaren technischen Perfektion, die bis hinein in das Allerprivateste höchst gefährliche Überwachung möglich machen kann, die Freiheit zu wahren, nicht als blasses Idol, sondern in der natürlichen Wirklichkeit, die jeden Menschen, wo immer er lebt und arbeitet, sein eigenes Leben leben läßt, ihn seine Menschenwürde und darin die Freiheit der Meinung erhalten kann, doch ebenso auch seine Mitarbeit für das Ganze verpflichtend fordert: die so oft übersehene andere Seite der Demokratie. Dieser Kardinalfrage bleiben die publizistischen Mittel in all ihrer Vielzahl, in den Formen und Methoden, wie sie in dieser Arbeit dargestellt wurden, eingeordnet. ü b e r die Wege zu den großen Menschheitszielen hat sich die Welt in zwei politische Hemisphären gespalten, in Blöcke, die hart gegeneinander stehen. Übergangs* und Vermittlungserscheinungen „blockfreier" Länder haben sich dazwi28

Vgl. S. 1.

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sehen angesiedelt, die keine Entscheidung wollen oder noch keine Entscheidung getroffen haben. Der eine Block hält publizistisch und politisch die Massen in Zucht, erzieht, richtet aus, zwingt zu „gesellschaftlicher Betätigung" als Vorbedingung zur späteren klassenlosen Gesellschaft, die alle Menschenrecht und ein gesichertes Dasein verbürgen soll. Die andere Seite, die freie Welt, gewährt mit höchster rechtlicher Sicherung die individuelle, im öffentlichen Leben die publizistische Freiheit bis an die Grenzen der Lebensinteressen des Ganzen, um eben auch sie dadurch wieder zu verteidigen. Sie steht in der Erwartung, in der Hoffnung, daß so die in Freiheit gestellte Kraft jedes Einzelnen für die Gesamtheit und damit auch für das eigene Schicksal gewonnen werden kann. Unter allseitiger Mitarbeit soll so ein Staatsleben sich bewähren, das wir Demokratie nennen. Die Einordnung der Erdbevölkerung, insbesondere vieler junger Staaten, in die politischen Systeme, oder der Versuch, in der Aufweichung und Anpassung beider Teile die „dritte Kraft" zu schaffen, sind erst im Gange. Sie werden für Millionen und später für Milliarden lebensentscheidend sein. Umsomehr gilt es — und hier steht die große Pflicht der Publizistik — die freiheitlich-demokratische Lebensordnung unter Wahrung aller in ihr gesicherten Formen der geistigen und politischen Bewegung, dem Gange der Zeit immer gerecht zu halten, sie vor Niederbrüchen zu bewahren, deren furchtbare Folgen gerade wir in Deutschland erfahren haben. Auch der Raum der Freiheit muß immer wieder geplant, offen gehalten und geordnet werden. Hier hat eine noble Toleranz gegen die Minderheiten zu herrschen, aber immer wird Distanz, Kritik und Kontrolle vor der Macht, vor jeder Macht genommen. Das ist das eine; das andere aber geht über die den „mündigen Staatsbürgern" so gerne dargebotene „bloße Information" hinaus. Nur informieren genügt nicht. Nicht fordern und fördern, nicht eintreten und nicht mittun ist eine lähmende Fehlentwicklung. Die als richtig erkannte Aufgabe muß verteidigt werden, und sei es mit dem Enthusiasmus, einer ehrlichen Bewunderung, ohne die auch das öffentliche Leben krankt, wenn es sich immer nur kritisch erschöpft. Es braucht, das beweist jede Massenführung, eine Zeit der geistigen Sonnenwärme, ohne die auch eine politische Entwicklung stecken und öffentlich farblos und trocken bleibt. Der „Nurkritiker", wenn er nicht zum Positiven hinführt, es aufzeigt und möglich macht, ist unfruchtbar und wird auch gefährlich, wenn er an zügellosem Aburteilen ebenso verdient wie an sexuellen Lockspeisen. Ein großer Teil der freien Publizistik bewahrt und bewährt seine Unabhängigkeit, indem er auf eigener wirtschaftlicher Basis lebt. Es kann aber nach den Gesetzen des Wirtschaftslebens und den technischen Forderungen zu starken Konzentrationen führen, die der Vielfalt des Meinungsaustausches Abbruch tun. Andererseits kann die Komerzialisierung auch zur bloßen Profitwirtschaft bis auf den Boden der Amüsierindustrie herunterbrechen. Die „Vulgaritäten" blockieren das Wissen um die öffentlichen Pflichten. Die Demokratie — so wie sie schon einmal aus der Not ihrer Träger zugrunde ging — kann daran sterben, daß alles Wohl-

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leben mehr interessiert als die unbequemen Probleme der politischen Zukunft. Das gleiche gilt für die zynische Ohnemichpraxis, mit der snobistische Teile der Öffentlichkeit sich auf egozentrische Inseln überheblich isolieren und dort politisch vergammeln. Die größte Gefahr der publizistischen Freiheit ist ihr Mißbrauch. Ihre wichtigste Aufgabe: anzusprechen, zu gewinnen, zu überzeugen. Dazu ist es nötig, daß die demokratische Öffentlichkeit sich der Probleme ihrer geistigen Unterrichtung und Ernährung, ihrer aktuellen Führung durch die Publizistik mit Abstand und selbständigem Urteil bewußt wird. Das publizistische Leben geht uns alle genauso und eigentlich noch sehr viel mehr an, als die Verkehrsregelung, die Marktpreise, die Wohnungswirtschaft, oder der Aufstieg in die Bundesliga. Der Sinn für publizistische Werte muß wach werden. Erst die Forderung an die Qualität der Publizistik, in der anerkannte Glanzleistungen neben peinlichen Gewöhnlichkeiten stehen, wird nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage Unerträgliches aus dem Felde schlagen. Das im öffentlichen Leben zu erreichen ist eine große, kaum begonnene Aufgabe.1 Sie ist mit der für die Erhaltung der demokratischen Freiheit zwingend erforderlichen weiteren Aufgabe verbunden: dem Staatsbürger die Pflicht zur aktiven politischen Mitarbeit klar zu machen. Ihm nicht nur das Recht der Kritik, sondern auch die Erfahrung harter, politischer Arbeit zuzumuten. Voraussetzung beider Aufgaben wäre ein deutlicher moralischer Aufschwung, der vor allem die Jugend erfassen müßte. In der vorliegenden Arbeit wurden die Ansätze einer natürlichen publizistischen Wechselwirkung zwischen der Öffentlichkeit und der Publizistik gezeigt, ebenso die Formen, in denen im vorstaatlichen Raum in einer von den Vertretern der freien Publizistik geübten Selbstverwaltung der Schutz und die Sicherung der Freiheit versucht wird. Ob es gelingen kann, in demokratisch gesteuerten Körperschaften öffentlichen Rechtes, wie sie in der Bundesrepublik für die Rundfunkanstalten bestehen, oder in Form von Stiftungen, auch anderen publizistischen Mitteln, so der Presse, die natürliche Quelle freier politischer Meinungs- und Willensbildung zu erhalten und ihnen eine „von aller Kommerzialisierung und Konzernierung freie und offene Wirkungsstatt" zu gewährleisten, ist umstritten.2 Alle Publizistik aber, ob sie nun von genialen Persönlichkeiten oder den tüchtigen Tagewerkern der publizistischen Einzelarbeit in den Presse- und Funkhäusern getragen wird, ist niemals Selbstzweck. Gewiß stellt sie kulturelle Werke in bedeutenden Beispielen heraus. Sie gibt Bildung, Belehrung, Unterhaltung in allen Gütegraden. Sie dient mindestens mittelbar der politischen Aufgabe im weitesten Sinne. Sie leistet das im Räume der Nation ebenso, wie für die großen übernationalen Institutionen, die heute das Schicksal der Welt mitbestimmen. 1 Vgl. die Bemühungen der UNESCO um diese geistigpolitische Aufgabe, gefordert in dem Buche ihres Generaldirektors RENÉ MAHEU: „La civilisation de l'universel". Paris 1966. Auf die Publizistik hat Maheu seine Auffassung in einem Interview mit „Plaisir de France" pointiert. Deutsch im „Kurier", Monatsschrift der „UNESCO". Deutsche Ausgabe II. 1967. S. 21 f. 2 Vgl. S. 288, Anm. 42.

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Aber dennoch: die Tat ist letztlich, das Entscheidende, die erfolgreiche politische Leistung, die Erhaltung des Friedens, der soziale Aufbau, die Bewältigung der wirtschaftlichen Gewalten, und in alledem auch die harte, unerbittlich politische Alltagsarbeit. Sie sind es, die in der Lebensgestaltung des Volkes und der Völker das Schicksal der Welt und der Menschheit bestimmen. Vor ihrer geschichtsbildenden Kraft verblaßt jede Publizistik, aber sie bleibt ihr dienend eingeordnet und findet darin ihre großartige Aufgabe.

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290 233

225

228

Bab, Ilse 53 Bab, Jul. 53, 216 Baechlin, P. 257 f. Baeyer-Katte, W. v. 149 Bakunin, M. A. 57, 77, 213 f. Balàzs, B. 255 Balluseck, L. v. 91, 223 Barth, Th. 47 Barton, F. 287 Baschwitz, K. 48, 63, 94, 102 f., 110, 123, 130, 135, 143, 146, 148 ff., 156 f. Bartholmes, H. 106 Bauer, P. 67 Bauer, W. 16, 133, 167, 217 f. Baumann, B. 118 Bausch, H. 234 Baxter, L. 91 Bayer, E. 213 Beaumarchais 25, 217 Beaverbrook (Lord) 283

Bebel, A. 59, 74, 145 Bechtle, O. W. 181 Beckel, A. 292 Becker, H. 250 f. Becker, J. R. 222 Becker, K. 199 Beecher-Stowe, H. 290 Behn, H. U. 287 Bell, H. 75 Bellanger, C. 76 Bender, O. 53, 77 Bennet, G. 283 Berdjajew, N. 291 Bergengruen, W. 80, 83 Berger, L. 254 f. Bergius, R. 63 Bergsträsser, L. 79 Berlin, I. 271 Bernanos, G. 46, 291 Bernhard von Clairvaux 122, 151 Bernhart, J. 44 Berresheim, H. 200 Bettermann, K. A. 196 Betz, A. 51, 180 Biehle, H. 225 Binkowski, J. 12 Bismarck, O. v. 17, 69, 283 Bitter, W. 147, 155 ff. Blau, A. 62, 150 Bloch, E. 58, 112 Blum, A. 120 Böhm, F. 59 Boll, H. 250 Börne, L. 42, 153 Böttcher, H. 45, 57, 189 Borinski, L. 37, 162 Bortolotto, G. 107 Boveri, M. 79, 81 Bowman, P. H. 63 Brack, H. 68 Brandl, A. 70 Brandt, St. 113 Braun, H. 53, 245 Braunmühl, C. v. 266 Braunmühl, H. J. v. 231 Brauns, H. 232

Brecht, B. 27, 102 Brendel, R. 268 Bringmann, K. 180, 185 Brüning, H. 2, 179, 227 Brunvand, O. 273 Bryce, J. 63 f. Bucerius, G. 139, 190 Buchanan, W. 63 Bucharin N. Jw. 159 Buchholz, A. 167 Buchli, H. 55, 62 Budzinski, K. 91, 220 Budzislawski, H. 89 Bücher, K. 93, 177, 199, 282 Burckhardt, J. 114 Busch-Schernitzk 242 Buschart, L. 273 Buzek, A. 168, 269 Bykow, K. M. 160 Camus, A. 41 Canetti, E. 102 Cantril, H. 63 Capa, R. 251 Carnot, S. 214 Cartier-Bresson 251 Caselmann 245 Casmir, F. L. 227 Cassandre, A. M. 268 Cassirer, E. 240 Cavour 73 Centgraf, A. 247 Chamberlain, NEV. 25, 76 Chamberlain, H. St. 58, 152 Chargesheimer 278 Chien Hsuin Yui 167, 282 Chruschtschow, N. S. 39, 116, 158, 168, 264 Churchill, W. 25, 116, 170, 205, 225, 227 Cicero 224 f., 227, 234 Ciaassen, O. 241 Clarville 149 Claussé, R. 258 Clemenceau, G. 123, 204 f. Cobden, R. 56, 210 Cohen-Seat, G. 254

PERSONENREGISTER

Cooper, M. 51,58 Cotta 175, 283 Coughlan, R. 163 Coxey, J. S. 207 Crane, V. W. 118 Creel, G. 123, 230, 272 Cromwell 225 Cudlipp, H. 285 Cunow, H. 41,73, 173 Dahl, F. 73, 282 d'Alembert 41 Damaschke, A. 225 Daudet, L. 62, 141 f., 212 Daumier, H. 49, 134, 243 Decker, J. 241 Deeg, H. 145 de Gaulle 227, 264 Delay, J. 161 Delp, A. 137 Demartial, G. 64, 129, 272 Demosthenes 45, 170, 225 Desmoulins, C. 41, 110, 283 Dessoir, M. 225 d'Ester, K. 10, 41, 175, 271 Diderot 41 Diebold, W. 81 Diederichs, P. 171, 265 Diehl, E. 133, 265 Dietrich, V. 256 Dirks, W. 288 Disch, U. 174, 226 Disney, W. 253 Dittmar, H. 240 Djilas, M. 83, 291 Dolmatow, A. 269 Dostojewskij, F. M. 223 Dovifat, E. 3, 10, 16 f., 21 ff., 139, 182, 201, 226, 279 Drerup, E. 7, 170 Dreyfus 59, 152, 179 Drumont, E. 59, 152, 179, 272 Dühring, E. 58 Dürer, A. 266 Düring, I. 30, 41, 116 Dürrenmatt, F. 249, 261 Dumont 175, 283 Ebbinghaus, Th. 134 Eberhard, F. 3, 235 21

Publizistik I

Eckart, D. 59 Eckert, G. 98, 260, 264 Edison 254, 257 Ehmer, W. 287 Ehrenberg, V. 217 Ehrle, G. 137 Eisenstein 185, 256 Eisfeld, G. 74 Eisler, G. 124 Eisler, H. 222 Engels, F. 45, 52, 205 Enoch, K. 292 Enseling, A. 54, 76 Enzensberger, H. M. 23, 87, 258, 292 Erasmus von Rotterdam 149 Erfurt, E.-R. 36, 89 Ertel, Ch. 105 Eschenburg, Th. 87, 242 Euripides 170 Everschor, F. 255 Everth, E. 15, 18 f., 70, 72 f., 132, 182, 271 Eysenck, H. J. 162 Fallersleben, H. v. 222 Fechter, P. 79, 81 Fechter, S. 79, 81 Fehr, H. 134, 253, 270 Feldmann, E. 12, 255 Fendt, L. 228 Ferber, Chr. 97 Ferdermann, R. 91 Fest, J. 263 Fiedler, W. 81 Finde, W. 91, 220 Fischer, E. 153 Fischer, J. 72 Fischer, L. 47, 207 Flügel, H. 80 Ford, P. L. 174 Forge, H. 75 Fougerollas, P. 193 Fraenkel, H. 252 Francesco, G. de 101 Franco, F. 27, 106, 234 Frank, W. 58, 152 Frank-Böhringer, B. 225 Frankenfeld, A. 284 Franklin, B. 118 Freiberg, R. 75 f., 273

321 Freiliggrath, F. 242 Freud, S. 102 f., 143, 240 Freytag, G. 31, 42 Friedländer, E. 72 Friedrich II. 69 f., 132, 167, 283 Frisch, K. v. 104 Fritsch, Th. 59 Fritzsche, H. 143 Fröhner, R. 292 Fromm, E. 103, 106 Fuchs, E. 133 f. Fülöp-Miller, R. 218 Fürstenau, Th. 81 Gablentz, O. H. v. d. 289 Gadoffre, G. 243 Galen, v. 77, 273 Gambetta, L. 227 Gamm, H.-J. 91, 93 Gandhi, M. 33, 46, 52, 109, 206 f., 242, 244 Garrison, W. L. 58 Gast, P. 180 Gauger, H. 225 Gehlen, A. 103 Geiger, Th. 103 Geiger, W. 181 Geiler von Kaisersberg 149 Gerlich, F. M. 53, 76 Gernsheim, H. 252 Gerstenmaier, E. 156 Geyter, A. de 222 Gide, A. 31,47 Giovanbatista della Porta 233 Giovanoli, F. 211 Girardin, E. de 43, 46, 176 Glotz, P. 178, 289 Gnoli, D. 266 Gobineau, J. A. de 58, 152 Goebbels, J. 30, 65, 118, 124, 153 f., 213, 227, 256 Goerdeler, C. 76, 79, 81 f. Göring, H. 82, 132 Görres, J. v. 15, 31, 41, 43 f., 46 f., 174, 177, 272, 283 Goethe, J. W. v. 1, 79, 90, 145, 239, 253, 267 Goode, W. A. M. 130 Gottschalk, H. 99 Gottsched, J. C. 225

322

PERSONENREGISTER

Hauptmann, G. 102 Hearst, W. R. 44, 76, 283 Hecht, G. 36 Heer, F. 122 Heiber, H. 65, 118, 226, 292 Heilmann, P. 75, 275 Heine, H. 42, 73, 79, 92, 122, 153, 271 Heine, Th. Th. 49, 120, 134, 220 f., 249 Heinrichsdorff, W. 81 Heintz, P. 63 Heiss, R. 245 Hellwig, H. 191 Henkels, W. 76 Hennecke, A. 145 Herbst, W. 45, 175, 211, 226 Herrmann, E. M. 35 f., 65, 88, 93, 98, 167 Herrmann, G. 68 Herter, B. 243 Hertz, P. 60 Herzen, A. 57 Haacke, W. 12, 20, 102, 275, Herzfelde, H. 251 Herzfelde, W. 251 277 Heuß, Th. 47, 58, 188, 218, Haas, L. 57, 74 221, 244 Habermann, M. 158 Hildebrandt, D. 82, 220 Habermann, P. 148 Hildebrandt, G. 225 Habermas, J. 13, 103, 106 Hildebrandt, R. 46, 160, 177, Hadamovsky, E. 236 211, 226 Haendler, O. 228 Hillig, H.-P. 68 Haensel, C. 258 Hinterleitner, F. 135 Haentzschel, K. 179 f., 285 Hirche, K. 91 Haese, J . 92, 168, 235 f. Hagelweide, G. 221 Hitler, A. 25 f., 32, 55, 69, 76, 116, 118, 122, 132, 135 f., Hagemann, W. 12, 101, 136 140 f., 144, 153 f., 239 f. Hagner, A. 268 Hodiheimer, W. 155 Hain, S. 218 f., 222 Hölderlin 289 Halley, W. 236 Hofer, K. 245 Hamilton, W. G. 227 Hofer, W. 292 Hano, H. 154, 156 Hoffer, E. 121 f. Hansi (Waltz) 135 Hoffmann, L. 72 Harden, M. 42, 92, 153 Hofmann, A. 163 Hardt, E. 233 Hofmannsthal, H. v. 254 Harppredit, K. 83 Hofstätter, P. R. 63, 102 ff., Hartfield, J. 251 108 Hartlieb, H. v. 192 f. Hogarth 134 Hase, K. G. v. 181 Hohmann, Ch. 97 Hatin, E. 73, 172 Holtzendorff, F. v. 172 Haubach, Th. 213

Gracchus, T. S. 171 Greeley, H. 51,58, 95 Gregor, E. V. 264 Gregor, U. 252 Greiling, R. 75 Grétry 222 Grimm 13, 35, 275 Grimm, H. 290 Grimme, A. 235 Grote, B. 242 f. Groth, O. 15, 67, 86, 174, 282 Grothe, W. 53 Gruber, L. F. 251 Gruber, W. 73 Grünbeck, M. 174, 176, 199 Grüttner 222 Guardini, R. 101, 105 Günther, H. 124 Gulbransson, O. 120, 134 Gurian, W. 77, 142, 212 Guttenberg, K. L. v. 81 Guttmann, B. 48

Holz, L. 118, 162 Holzamer, K. 279 Holzsdiuher, L. v. 129 Honzelmann, K. 266 Hoppe, K. 72, 132, 167, 283 Horkheimer, M. 19, 101, 165 Houben, H. H. 73, 79 Hovland, C. I. 63 Huber, G. 135 Huber, H. 188 Huber, V. A. 57 Hudi, R. M. 214 Hübner, P. 288 Hugenberg, A. 118, 256 Hugendubel, H. 135, 151 Hugo, V. 176 Huhndorf, G. 276 Huizinga, J . 93 Hunold, A. 102 Hunter, Ed. 158 Huxley, A. 37, 118, 162 Hyde, A. 292 Ipfling, H. J. 279 Iros, E. 255 Israel, A. 178 Jacob, H. E. 152 Jacobsohn 52, 153 Jaeger, W. 170, 225 Jaspers, K. 9, 22 f., 87, 166 Jaures, J. 24, 226 Jefferson, Th. 173 f. Jellinek, G. 172 Jens, W. 225 Jeremias 271 Jessen,H. 283 Johnson, F. C. 197 Jünger, E. 104 Jung, C. G. 240 Jung, E. J . 82 Just, A. W. 74, 269 Just, D. 278 Juvenal 90 Kahler, E. V. 171 Kahr, v. 112 Kainz, F. 80 Kaiser, G. 102 Kalnins, B. 64 f., 105, 218, 268 f., 272

PERSONENREGISTER

Kamenew 159 Kamnitzer, H. 217 Kantorowicz, A. 54 Kapp, W. 6 Kaspar von Stieler 281 Katz, E. 96 Kautsky, F. 59, 145 Keilhacker 230 Keller, G. 30 Kempe, F. 260 Kennedy, J. F. 39, 116, 128, 264 Kerenskij, A. 25 Kerlikowsky, H. 280 Kerr, A. 42, 52, 153 Kerschenzew, P. M. 218 Kersten, H. 168, 256 f. Kesten, H. 41 Ketdium, A. 239, 243 Ketteier, W. E. Freih. v. 45, 57,61 Kieslich, G. 93, 99, 221, 238, 275 f., 280 Kirchner, J. 275 Kirschstein, E. M. 97 Kisch, E. E. 134 Klausener, E. 70, 131 f. Klausener, E. (Prälat) 156 Klein, F. 81, 193 Kleist, H. v. 79, 102, 283 Kliesch, H. J. 81 Klingelhöfer, G. 60 Kloss, H. 247 Klühs, F. 76 Kluge, F. 55, 265 Klutentreter, W. 283 Kniiii, F. 235 Köhler, O. 87 König, H. 93, 174 Koep, L. 13 Köster, K. 291 Koestler, A. 31, 47 Kolping, A. 45, 57, 61 Koplin, R. 54, 76 Kortzfleisch, S. v. 247 Kossuth 77 Koszyk, K. 74, 282 Kramer, L. 247 Kranz, A. 161 f. Kratylos 234 Kraus, K. 42, 270, 278 21 E

Publizistik I

Krause-Ablass, G. B. 263 Krausnick, H. 153 Krestinski, N. N. 159 Krüger, H. 47 Krumbach, J. H. 19, 21, 62 Krummacher, F. A. 59 Kuby 278 Kühl, S. 220 Kühn, G. 253 Kühn, H. 76, 160 f., 240 Kümhof, H. 45, 124, 145 Küppers, H. 103 Kukin, M. 91 Kuo, Heng-yü 274

323

Löbe, P. 60 Löckenhoff, H. 18 Löffler, M. 181 f., 188 f. Löwenthal, R. 14 Lohmar, U. 241 Longhaye, G. 228 Low 49 Lübbe, v. d. 158 Luce, H. R. 44 Luckhardt, E. 222 Ludendorff, E. 150 Ludwig, N. 91 Ludwig XIV. 69, 132 Ludwig XVI. 217 Lueger, K. 152 Lamartine 249 Lüpsen, F. 180 f. Lamprecht, H. 102 Lüth 166, 183 Langenbucher, W. 91, 289 Lukian 126 Lassalle, F. 43, 46, 50, 153, Lumière, Gebr. 254, 257 177 f., 199, 211, 226 Lundberg, F. 44 Lasswell, H. D. 150, 239, 242, Lundy, B. 58 272 Luther, M. 41, 58, 120, 149, Laube 73 171,244, 266, 271 Lazarsfeld, P. F. 96 Luxemburg, R. 75, 131, 292 Leber, A. 137, 158 Lynkeus 259 LeBon, G. 102 Magnus, H. U. 44 Lecanuet 227 Maheu, R. 295 Lederer, E. 106 Lehmann, E. H. 41, 56, 97, 280, Maier-Hultsdiin 76 Maiuri, A. 133, 247, 265 290 Majakowski 102 Leiling, O. H. 196, 237 Lenin, W. I. 57, 64, 74 f., 88, Maletzke, G. 5, 12 f., 16, 103, 106, 108, 119, 197, 232, 279 167 f., 205, 266, 270, 272 Man, H. de 103 f. Lenz, F. 153 Mangoldt, H. v. 193 Le Poitevin, G. 172 f. Mannheim, K. 63 Lerg, W. B. 234 Mansfield, E. 86 Lessing, G. E. 52, 167, 246 Mao Tse Tung 158, 266, 269, Lieber, H.-J. 60, 167 274 Liebknecht, K. 131, 205 Liebknecht, W. 59, 74 Marcus, H. 209 Liliencron, R. v. 93, 221 Marcuse, L. 133 Lilje, H. 292 Marie Antoinette 25 Lincoln, A. 52, 95, 205, 227 Maria Theresia 283 Marperger, P. J. 229 Lindner, G. 225 Lippmann, W. 64, 119 Martin, L. A. C. 250 Martin, T. 41, 126, 134, 265 Lissauer 123 List, F. 44 f., 51, 56, 210 Marx, K. 45, 50, 52, 57, 115, Lloyd George 76, 116, 123, 119, 145, 205, 271 f. 227 Maugham, W. S. 52 Maurras, Ch. 141 f., 212 Lodiner, L. P. 154 Maxwell, E. 127 Lodge, N. 105

324 Mayer, K. 132 Mazarin 73 Mazzini, G. 44 f., 73, 112 McDougall, W. 126, 129 McNelly, J. 95 Meier, E. 123, 282 Meisenbach 247 Mendelssohn, P. de 148 Messter 254, 257 Metzger, H. 225 Michael, W. 243 Mihajlow, M. 83, 281 Miller, N. E. 63 Milton, J. 41, 56, 172, 270 Mindszenty, J. (Kardinal) 120, 160 f. Mirabeau, P. M. 73, 174, 226, 283 Mirbt, C. 48, 171, 271 Mirbt, K. W. 79 ff. Mirgeler, A. 107 Mirgeler, P. 107 Mjölnir (Hans Schweitzer) 124, 135, 268 Möbus, G. 93, 125, 157 Möller (Kiel) 180 Möller, J. 44 f., 56, 210 Mohl, R. v. 227 Moltke, F. v. 137, 158 Mommsen, Th. 9, 71 Montalembert 15 Moses, P. J. 233 Mosley, O. 136, 226 Mosse, R. 283 Most, J. J. 214 Muckermann, F. 76 Mudrich, H. 216 Müller, Adam 225 Müller, C. Wolfg. 91, 220, 275 Müller Gust. 191 Müller, H. Diet. 154 Müller-Hegemann, A. 218 Münster, Cl. 103 Münzer, Th. 57 f., 112 Muratsdiow, W. 269 Murphy, R. 230 Mussolini, B. 7, 131, 142, 212, 229, 241 Muth, F. 277 Muth, K. 81

PERSONENREGISTER

Peters, Detlev, R. 63, 123, 129 f., 135, 150, 230, 256, 272 Peters, Hans 194 Pfänder, A. 29 Philipps, J. H. 240 Picasso, Pabl. 242 Picher, Th. 292 Pieper, J. 9 Pirker, Th. 158 Piscator, E. 216 Pitsch, I. 216 Pius XI. 199 Pius XII, 200 Plato(n) 9, 170, 225, 233 Platte, K. H. 291 f. Plenge, J. 12, 62 Plessner, H. 13 Pöhlmann, R. 133, 270 Pohle, H. 234 Pollack, P. 251 Ponsonby, A. 27, 129 f., 150, 230 O'Connel, D. 45, 175, 210 f., Posse, E. 180, 213 Postmann, L. 230 226 Pottier, E. 222 Oertel, R. 252 Prager, G. 254 Ohse, B. 271 Prakke, H. 12, 119, 221, 231, Ortega y Gasset, J. 94, 102 245 f., 268 Orwell, G. 37, 118, 162 Ossietzky, C. v. 42, 53 f., 76, Price, R. 118 Pudowkin 256 205, 278 Pulitzer 283 Packard, V. 36, 86, 91 f., 163 Queipo de Llano 27, 234 Paine, Th. 271 Pamphilius 270 f. Quintillianus, M. F. 225, 233 Paneth, E. 266 Papen, v. 82 Rahner, K. 165, 240 Rath, E. v. 112, 153 Pappenheim, H. E. 142, 212 Rauschenbach, H. 150 Pareto, Vilf. 212 Rauschenbach, R. F. 215 f. Pasternak, B. 83, 291 Rauschning, H. 125 Patalas 252 Reck-Malleczwen, F. 83 Paul, B. 265 Reichert, H. U. 234 Pawek, K. 176, 249 ff. Reichwein, A. 79 Pawlow, P. P. 160 Reifenberg, B. 48, 81 Payn, G. H. 271 Reimann, H. 265, 268 Pechel, R. 79 f. Pehn, J. (d. i. Mindszenty) 160 Reinisch, L. 9 Reiwald, P. 103 Penzier, J. 144 Renfordt, K. 46, 52, 207 Perikles 227 Reumann, K. 248 Pernoud, R. 148 Reynold, H. 180 Perreux, G. 242 Napoleon 80, 134, 173, 271 Naumann, F. 47, 58, 224 f. Naumann, H. 170 Nawiawsky, H. 13 Nehru, J. 207 Nettlau, M. 213 f. Netzschajew 213 Neubecker, O. 242 Neumann, E. P. 92, 94, 99 Neumeister, H. 81 Neutsch, E. 124 Niemöller, M. 77, 273 Nietzsche, F. 225, 233 Nixon 264 Noelle-Neumann, E. 11, 16, 92, 94, 99, 198 Noltenius, J. 193 Norden, A. 124 Norden, E. 72 Northcliffe (Lord) 123, 283 Novakowsky 161 Novalis 224

PERSONENREGISTER

Rhein, E. 231 Richert, E. 36, 65, 138, 167, 272 Richter, H. W. 292 Richter, J. 102 Ridder, B. 57 Riedel, K. V. 93 Riesmann, D. 87, 102, 104 Riess, K. 131 Rist, J. 277 Ritter, G. 76, 81 f. Robespierre 80, 110 Rochefort, H. de 42, 270, 278 Roeber, H. 180 Roegele, O. B. 178 Röhm 136, 205 Röpke, W. 102 ff., 106, 139 Rohde, G. 234 Rohracher, H. 232 f. Rolland, R. 207, 215 Rommel, E. 132 Roosevelt 234, 284 Roscher, W. 126 Roselius, L. 12 Rosenberg, A. 59, 290 Rosenfeld, E. 44, 148 f. Rosenmayr, L. 99 Roth, C. 151 Rötha, P. 256 Rothfels, H. 3 Rotteck-Welker 290 Rouget de Lisle 221 Rühle, J. 91 Runciman, St. 148 Sackarndt, P. 189, 278 Sänger, F. 25 Salier, K. 59 Salomon, E. 251 Salomon, L. 281 Salzmann, K. H. 274 Sandow, J. 60, 227 Sargant, W. 158 Schaefer, H. 166, 170 Schaeffer, W. 73 Schauseil, A. 43, 46, 176 Scheffer, P. 81, 207 Scheffler, W. 59 Scheidemann, Ph. 144 Scheler, M. 123, 151 Schellberg, W. v. 43 21 E*

Sdielling, F. W. 274 Schemann, L. 152 Schenkel, G. 207 Scherl, Aug. 283 Schiller, F. v. 79, 102, 116 Schlabrendorff, F. 156, 158 Schleiermacher, F. 9 Schmeer, K.-H. 106 Schmeiser, H. 291 Schmidt, L. 59, 152, 179, 272 Schmidt-Joos, S. 101 f. Schmidt-Leonhart, H. 180 Schmidtchen, G. 94, 99 Schmolke, M. 45, 57 Schnabel, W. 45 Schneider, F. 19, 180, 182 Schneider, G. 79 Schneider, R. 79, 83 Schoeck, H. 87, 126 Schöne, W. 230, 283 Schönerer, G. v. 152 Scholl, Geschwister 77, 156, 273 Scholl, I. 77, 273 Scholtema, V. 241 Scholz-Klink 137 Schopenhauer, A. 225 Schottenloher, K. 247, 266, 270 f. Schramm, W. 103 Schröder, J. 130, 138, 257 Schröder, R. A. 221 Schroers, G. 232 Sdiroeter, G. v. 13 Schröter, M. 274 Schüddekopf, J. 81 Schüle, A. 188 Schütz, W. J. 286 f. Schulte-Strathaus, L. 135 Schultze-Pfalzer, G. 62 Schwarzschild, L. 57, 272 Schweinsberg, F. 225 Schweitzer, H. 243 Schweitzer-Mjölnir 248 Schwendemann, J. 161 Schwitzke, H. 92, 235 Seaborg, G. T. 163 Sears, R. R. 63 Seeger, E. 184 Seidel, H. 12, 17 Sembdner, H. 79

325 Seyffert, R. 120, 198, 267 Sieburg, F. 52 Silone, I. 31,47 Sinowjew, G. I. 75, 159 Siskin, A. F. 124 Skladanowsky, E. u. M. 254 Smith, A. 56, 289 Smith, W. E. 250 Sokrates 170, 233 Solowjew, W. 291 Sombart, W. 3, 145 Sonnemann, L. 81 Sorel, G. 62 Spee von Langenfeld, Graf F. v. 44, 148 ff. Spender, St. 31, 47 Spieker, R. 250 Spranger, E. 3, 147 Sprenger, J. 149 Springer, A. 287 Stachanow 145 Stahl, F. J. 289 Stalin, J. W. 32, 50, 89, 132, 158 f., 168, 193, 257 Stampfer, F. 76 Stammler, E. 189 f. Stanislavskij, K. S. 215 f. Stapel, W. 92, 118, 278 Starkulla, H. 288 Stauffenberg, Graf v. 30 Steichen, E. 251 Steinbeck, J. 92 Steinberg, C. H. 292 Steinke, W. 52 Steiner, T. 181 Stenger, E. 252 Stepun, F. 26 Sterling, E. 59 Stern-Rubarth, E. 12, 62 Sternberger, D. 81 Stirner, M. 214 Stoecker, A. 58, 152 Stoecker, H. 81 Stolper, G. u. T. 48 Strasser, O. 137 Strauß, F. J. 139 Streicher, J. 59, 130, 135, 153 Strelow, L. 250 Stuckenschmidt, H. H. 52 Sturminger, A. 205 Suhr, O. 60

326 Sunarti Susanto-Sunario, A.

PERSONENREGISTER

Vandrey, M. 91 Vergil 230 Vescey, J. 161 Suschke, Ch. 279 Viedebandt, J. 238 Szewczuk 49 Vielhaber, K. 273 Viereck, G. S. 150, 230 Talleyrand 80 Tannewitz, H. K. 57, 77, 213 Vierkandt, A. 15 Vogel, W. 67 Thälmann, E. 205 Vogt, K. A. 122 Thate, W. 143 Volkmann, R. 225 Thiel, R. E. 253 Thimme, H. 75, 130, 135, 150, Vossler, O. 45, 73 268, 272 Waescher, H. 272 Thönnessen, W. 98 Wagenbach, K. 23 Thomasius, Th. 150, 277 Wagner, H. 290 Thomson 285 Wagner, R. 58 Tillich, P. 145, 240 Walther, G. 78, 168 Tönnies, F. 15 ff., 71 Walther von der Vogelweide Toggenburger, P. 172 48, 50, 221 Tolstoi 290 Wanderscheck, H. 268 Toynbee, A. 8, 22 f., 86 f. Warnach, W. 46 Traub, H. 14, 22, 151, 191 Warren, E. 91 Traumann, E. 71 f. Travaglini, Th. 70, 132, 156 Washington 271 Trotzki, L. 7, 44, 74 f., 145, 205 Weber, A. 166, 171 Weber, M. 3, 17 Trübenbach, A. 134, 221 Tucholsky, K. 42, 92, 126, 153, Weckherlin, L. 41 Wegener, P. 254 251,270, 278 Wehner, H. 60 Weinert, E. 223 Ulbricht, W. 266 Weisenfeld, E. 292 Ullstein 283 Weizsäcker, C. F. v. 165 Weller, M. 225 Vacandard, E. 122, 151 186

Wellington 205 Wells, H. G. 89 Wentzke, P. 239 Werwie, B. 24, 226 Wessel, H. 131,206 White 251 Wichern, J. H. 45, 47, 57, 61 Wilder, Th. 171 Wilhelm II. (Kaiser) 144 Wilk, F. 271 Wilkins 208 Wilms, G. 181 Wilson, W. 63, 123 Winkelmann, A. 280 Wolf, F. 217 Wolfe, Th. P. 107 Wolff, Th. 42 Wolkers, U. 134 Wolzogen, E. v. 220 Wundt, W. 267 Wust, P. 82 Wyschinski 159 Zacharias, G. 149 Zechlin, E. 239 Zeller, E. 30 Zglinicki, F. v. 252 Ziebura, G. 75 Zola, E. 59, 152, 174, 178 f., 271 f. Zöller, J. O. 255 Zweck, K. 266

Sachregister Die unter den Seitenzahlen kursiv gesetzten Ziffern verweisen auf die den meisten Kapiteln beigegebenen knappen begrifflichen Zusammenfassungen. Abzeichen siehe auch Symbolzeichen 240 Ätherkrieg 237 Agitation 8, 55, 59, 65, 68 ff., 71, 88, 93, 122, 124, 129, 144, 153, 168, 214, 218 f., 269 Agitation, rotchinesische 274 Agitationstheater 219 Agitator 65, 257 Aktion, gesinnungsbestimmte 198, 281, 284 Aktion, illegale 274 Aktion, organisierte, originalisierte 208 Aktion, publizistische 2, 6 f., 11, 34 ff., 55, 66, 84 f., 102, 108, 119 f., 122, 142, 166, 170 f., 197, 254 Aktion, revolutionäre 108 ff., 217 Aktion, spontane 110, 113 Aktualität 5 f., 20 ff., 28, 281 Aktualität, echte — künstliche 26 f. Aktualität des Absoluten 80 Aktualität des Bildes 249 Aktualitätenkino 254 aktuell 5 f. Analyse, publizistische 198 Annoncengeschäft 50 Anschaulichkeit der Form 7, 37, 40 Ansprache, mittelbare — unmittelbare 84 ff. Anteilnahme der Öffentlichkeit 288 Anzeigengeschäft 278 f. Anzeigenteil 198 Arbeiterkampftheater 217 Arbeiter- und Bauernkorrespondenten 169 „artificiales" — artificialiter — scribendi — pingendi,

dicendi 33, 39, 176, 215, 228, 231, 252, 254, 259, 261, 263 f. Aufgabe, öffentliche 15, 18, 170, 179 ff., 194 Aufgabenbereich, umgrenzter, begrenzter 276, 279 ff. Auflagenkampf 190, 279 Auflauf 108, 110, 112, 114 Aufmerkaktion, Aufmerktechnik, publizistische 206 ff., 214, 223 Auftrag, öffentlicher 18 Auftreten der Masse 108 ff., 114 Augenzeugenschaft, manipulierte, — wirkliche 262 Ausdrucksform 49 Ausrichtung, kollektive 34 Autonome Photographie 250

Bild, betrachtendes — bewegtes 248, 251 ff., 256 Bild, gefälschtes 250 Bild, manipuliertes 264 Bild, nachrichtenpolitisches 251 Bild: „photographisch gehen" 250 Bild, publizistisches 246 ff. Bildnachricht — Bildbericht 22, 251 Bildberichtigung 264 Bildblock (Plakat) 267 ff. Bilderbogen 247, 252 f. Bilderreihe — Bilderseite 39, 91

Bildersturm 245 Bildpublizist 252 Bildpublizistik 39, 134 f., 249, 279 Bildtechnik 176 Bittschriftenpublizistik 167 background-Berichterstattung Blocktechnik 267 229 Bogenanschlag (Plakat) 266, Bänkelsang 221 268 Bandaufnahme 238 f. Bosheit 122, 126, 128 Begriffstypen — Stereotypen Boulevardblatt — Presse — 120 Stil 100, 169, 253, 285 f. Bekenntnis, publizistisches brain-washing 27, 158, 163 210 f. Brief, Briefbeilage Beliebtheitsindex 263 („Cedula") 282 Bericht 231, 254, 258 Broschüre 77, 272 Berichterstattung 193 Buch 84, 272, 289 ff., 292 Berufsmensch 97 Buchdruck 175, 234 Betriebspresse 269 Bulletin 72 Betriebs- und Kolchostheater Bundespressegesetz 187 218 Betriebszeitschriften 77, 280 Camouflage 4, 8, 51, 53, 71, Bewegungslupe (Zeitlupe) 79, 82, 125, 150, 291 254 cartoon 248 Bezirksausgaben und Ausga- comics 39, 253 bensysteme 286 f. Bild 7, 39, 239, 245 ff., 252 ff., Darbietungsform, gesonderte 274 f., 279, 281 280 f.

328 Darbietungsformen der Zeitschrift 275, 280 DEFA 168 Demagogie, publizistische 26, 38 Demoskopie 11, 94 Deutscher Presserat 187 ff. Deutschhaß 151 Diffamierung 71, 118, 136, 146, 153, 229 Disziplin, normative 4, 6 Dokumentarfilm 254, 256 Dokumentationssendung 263 Drogen, als Zwangsmittel 27 Einblattdruck 253 Eindringlichkeit der Form 7, 37, 40 Einmannbetrieb, publizistischer 42 Einwirkung, nachrichtenpolitische 263 Einwirkung aus der organisierten Öffentlichkeit 198 ff. Elektronenkamera 38, 49, 259 ff. Element, sexuelles 133 ff., 140 Elemente des Fernsehens, publizistische 260 Embleme 27 Emotionalität 121 ff. Entlastungstrieb, ethischer 126, 128, 146, 146 ff., 357

SACHREGISTER

Fernsehurteil 182 Feuilletonismus 91 f., 250 Film 2, 7, 11, 19, 84, 92, 114, 138 f., 168, 176, 182, 184, 191 ff., 199, 201 f., 215, 219, 228, 234, 247, 250 f., 252 ff., 259 ff., 264, 267 Film, gezeichneter 253 Filmklubs 201 Filmnachricht 257 Filmprüf stelle 192 f. Filmpublizistik, illegale 78 Filmwirtschaft 192 Flaggen (Symbolzeichen) 242 Flaggenstreit 239 Flüsterpropaganda 65 Flüsterwitz 91 Flugblatt 7, 11, 73, 77, 84, 175, 269 ff., 274 Flugblattaktion 271 ff. Flugblattraketen 272 Flugblatt-Technik, illegale 273 Flugschrift 7, 11, 45, 73, 84, 119, 210, 269 ff., 274 Formgebung, publizistische 40 Frauenzeitschrift 96 f., 276 f., 280 Freiheit, individuelle — institutionelle 165 f. Freiheit, innere publizistische 179, 203 Freiheit, öffentliche 14 Freiheit, publizistische 166, 169 f., 172, 175 f., 179, 183 ff., 191, 194, 203, 293 Freiheit der Presse 173, 186 Freiheit der publizistischen Mittel 165 Freiheit des Films 193 Freiheit des Rundfunks 195 f. Freiheitsbegriff, publizistischer 170 Freizeitindustrie 4, 19, 50, 99, 101 Freizeitmensch 97 f. Freiwillige Selbstkontrolle (FSK) 192

Fachpresse 98, 114, 275 Fälschungsmöglichkeiten im Rundfunk 235 Fahnen (Symbolzeichen) 27, 240 f., 243 Familienblatt 96 f., 277 Familiennachrichten 100 Farben (Symbolzeichen) 240 Feature 231, 235 Fernsehen 2, 4, 6, 7, 22, 39, 84 f., 92, 114, 168, 182, 194, 200, 215, 219, 228, 247, 250, 255, 258 ff., 287 Fernsehkamera 261 Gabe der Einfühlung 48 Fernsehspiel 260

Gedankenblock 267 f. Gegendarstellung 264 Gegenwartsgeschehen 20 ff., Geheimdruckerei 74 Geheimsender 78 Gehirnwäsche 37, 158 Geltungsbedürfnis, massenüberhöhendes 140 ff., 143 Gemeinschaftsinstitutionen, publizistische 67 General Council of the Press 186 Gerichtsbericht 100 Gerücht u. Gerüchtverbreitung 25, 111, 229 ff., 231 Gesamtprogramm des Rundfunks 196 Geschäftspresse 30 Gesinnung 5 f., 29 ff., 30, 34, 93, 176 Gesinnung, angreifende •— herabblickende — heraufblickende 32 Gesinnungsbindung 31 Gesinnungscharakter der Publizistik 262 Gesinnungsfächer 30 Gesinnungskampfe 4, 175 Gesinnungskern 230 Gesinnungspresse 30, 177, 198 Gesinnungswandel — Gesinnungswechsel 31 Gesinnungszeitung 283 f. Gesinnungszwang 33 Gewerkschaftspresse 98, 276 Gliederungsgrundsatz der Zeitschrift 276 Glosse 69 Graffiti in der frühen Publizistik 133 Greuelberichterstattung 25, 129, 130, 133 f., 136, 138 Großkundgebung 49 Grundhaltung, ethische 146 Grundmeinung, allgemeine 17 Grundgesetz der Vereinfachung 116 Grundgesetze der Massenführung 114

SACHREGISTER

Grundvorgang, rhetorischer 228 Grundwille, moralischer, ethischer 18, 109, 143 ff., 146, 157 Gruppen, gesinnungsgerichtete 198 Häuserblockzeitung 100 Haltung, feuilletonistische 91 Haltung, werturteilsfreie 3 Haß 69, 122 ff., 128, 129 f., 140, 229, 231 Hexenwahn s. audi Massenwahn 113, 148 Hörbericht, Hörbild, Hörer, Hörerlebnis 234, 236 Hörerorganisation 202 Hörfunk 22, 176, 220, 232 ff., 236, 239 Hörschau 232, 234, 236 Hörspiel 92, 231, 235 Hoheitszeichen (Symbolzeichen) 241 f. „human side" 91 Hungermarsch 33 Idealität 5 Illustrierte 42, 97, 139, 188 ff., 252, 275 f., 279 f., 292 Image, auditives 232 Information 4, 22 ff., 63, 169, 204, 251, 269, 279, 281, 284, 288, 294 Information, intime 229 Informationsausgleich 258 Informationsfreiheit 186 Informationspresse 286 Informationspublizistik 31 Informationsstellen 67 Interesse, öffentliches 18 f., 70, 182 „Internationale", die 222, 243 Interview 231 Journalist 41, 187 Jugendzeitschrift 276 f. Das Junge Deutschland 73 Kabarett 91, 219 f., 223, 238 Kampfbild, publizistisches 251

Kampflied 93, 221 ff. Kampflied, politisches 221 ff. Kampfpresse 175 Kardinal Mindszenty 160 f. Karikatur 49, 98, 116, 133, 138, 241, 243, 247 ff. Karikaturist 248 Kaufzeitung (Boulevardblatt) 285 Kindertheater, agitatorisches 218 Kino 39 Klatsch 72, 127, 229 ff., 23i „Köhlerglaube" echter Augenzeugenschaft 260, 264 Körperschaft öffentlichen Rechts 15, 196 f., 236, 295 Kokarde (Symbolzeichen) 240 Kollektivität 5 Komitee-Zeitung 174, 283 Kommentar 195, 231, 263 Kommunikationslehre 5, 95, 197 Kommunistisches Manifest 32, 45, 119, 271 Komödie, satirische 133 Kontrastwirkung 251 Konzern, freiheitsgefährdender 187 Kreuz (Symbolzeichen) 240 Kriegsführung, geistige 150 „Kristallnacht" 109 Kritiker 52 Kundenzeitschrift 280 Kundgebung 110, 114, 116, 238 Kunst der Vereinfachung 115 Kurzgeschichte 91 Kurzwelle 237

329 Leseranalyse 278 Leserkreis, Leserschaft 276, 278, 281, 284 Lesermasse 176 „libelli famosi" 72, 271 Lied 93, 221 ff., 238, 243 f., 282 Lied-Symbole 243 f. live-übertragung 259 f., 262 Lokalbericht 100

Magazinsendung 263 Mann am Mischpult 262 Marsch, revolutionärer 114, 213 Martyrium, falsches u. wahres 33, 131 f., 205 f., 223 Masse 101 ff., 106, 114, 117, 121, 125, 127 f., 131, 140, 143 ff., 146, 157, 171, 176, 205, 241, 246 Masse, „depersonalisierte" 105 Masse, dynamische — latente — im Abstand — spontane 103, 108, 114, 125 Massenaktion 109 f., 112 f., 223 Massenauflage 139 Massenaufmarsch 175, 208, 210 Massenchor, agitatorischer 222 f. Massenführung 8, 31, 36, 64, 101 f., 114, 116 f., 119, 121 ff„ 128, 131, 133, 140, 143 f., 146, 163, 168, 274 Massengeist 108 f., 114 Massenkommunikation 238 Massenkundgebung 45, 56, 219 Laienspiele 218 Langwelle 237 Massenleserschaft 285 Laufschrift, elektrische 266 Massenpresse 30, 139, 175, Lautsprecher 227, 231 f. 177, 180, 283 Massenpublizistik -— FühLautungskraft des Mikrorung — Verführung — phons 49, 87, 228, 236/., Überwältigung 8, 31, 101, 261 107, 114, 146, 243, 276 Lebenskreis (-räum), umMassenrausch 109, 113 grenzter 84, 94 ff. Lehre, zeitungskundliche u. Massensuggestion 107 allgemeinpublizistische 10 Massenverständlichkeit 114

330 Massenwahn 3, 59, 113 f., 123, 130, 146 ff., 157, 179 Massenwirksamkeit 209, 248, 290 Massenzeitschrift 277 mass-meeting 210 f. Mauerkritzeleien 133, 247 Medienforschung 198 Meinung 61, 165, 288, 293 Meinung, öffentliche — in der Öffentlichkeit 15 ff., 173 Meinungsbildung, nichtöffentliche 95 f. Meinungsforschung 11 Meinungsfreiheit 165, 169 Meinungsumfragen 94 Meinungs- und Pressefreiheit 73 Meinungs- und Willensbildung 176, 288, 295 Meta-Photographie 249 Methoden publizistisch-wissenschaftlicher Arbeit 11 Mikrophon 231 ff., 236, 259 Mischpult 262 Mißgunst 122, 126, 128 Mitleid 32, 128 ff., 133, 140 Mittel, feuilletonistische 92 Mittel, publizistische 204 ff., 250, 263, 281, 287 f., 293 Mittel der Massenführung 10, 24, 42 Mittelwelle 237 Monopolbildung in der Presse 187 Monopolcharakter der Sender 195

SACHREGISTER

165, 195, 229, 236, 254, 257, 266, 281 f., 288, 293 Nachrichtenbild 251 Nachrichtenbüro 4, 68, 88, 195 Nachrichtenfilm 254, 257 Nachrichtenform 24 Nachrichtenlied 93, 282 Nachrichtenmagazin 42, 278 Nachrichtenpolitik 4, 11, 23, 85 ff., 88, 90, 93, 194, 235 Nachrichtensatellit 264, 293 Nachrichtenschock 24, 28, 89 Nachrichtensendung 263 Nachrichtenträger 282 Nachrichtenverbreitung 4 Nachrichtenwesen 62, 88 Nationalfiguren 242 f. Nationalhymne 221 ff., 243 Neid 122, 126, 128 NS-Propaganda 138, 143 Objektivität des Objektivs 249 öffentlich { — ) privat 15 Öffentlichkeit 1, 5, 13 ff., 20, 21, 37 f., 61, 69, 166, 171, 179, 190, 197 f., 202 f., 229, 234, 236, 274 f., 282, 284, 288, 295 Öffentlichkeit, organisierte 198 ff. Öffentlichkeitsarbeit 280 Öffentlichkeitsinteresse 24, 182 Organisation des Rundfunks 196 f.

Persönlichkeitstypen 116 Persönlichkeitszeitung 278, 283 Personalität 5 Persuadität 5 Phänomenologie (der Publizistik) 10 Photographie 247 ff., 251,253, 256 Photomontage 249 ff Plakat 7, 11, 39, 84, 248, 251, 252 f., 265 ff., 268, 272, 274 Plauderton 234 Pluralismus der Blickrichtungen 260, 262 Politologie (Fachrichtung) 9 Pornographie 249 Portrait-Plakat 268 Predigt 228 „Press Council" 186 f., 189 Presse, demokratische 179 Presse, deutsche 187 Presse, illegale 77 Presse, kirchliche 280 Presse, maskierte 77 Presse, regionale 286 Presse, totalitäre 50 Presse als kapitalistisches Erwerbsunternehmen 176 f. Presse als operatives Mittel 168

Presseämter 67 Pressefreiheit 14, 172, 179, 186 ff., 193, 284, 287 Pressegesetzgebung 187 f. Pressekonferenz 67 Presse-Notverordnung 179 Presserecht 183, 264 Monopolunternehmen, publi- Pamphlet 70, 270 Pressevergehen 172 zistische 68 Pamphlétaires 42, 270 Probleme, religiöse 11 Monstertheater 219 Parlamentsrede 228 Propaganda 26, 36, 38, 55, Montage 253, 255 Pasquill 72 62 ff., 68, 88, 96, 98, 106, Moralische Wochenschrift Pathos 226 115, 117, 120, (kirchen277 Paulinischer Punkt 44, 47 feindliche) 123, 129, 135, Moritat 247, 253 Periode, vorpublizistische (deutschfeindliche) 144,157, Motiv, sexuelles 133 ff. 166 168, 179, 209, 214, 222, 230, Mundpropaganda 229 253, 256, 266, 274, 280 Periodizität 276, 281 f. Musik, publizistische 221 ff., Persönlichkeit, publizistische Propaganda, totalitäre 6, 66 Propaganda der Tat 213 f. 235 5, 7, 40 ff. 14, Persönlichkeit extrovertierter Propagandaministerium 65, 230, 236 Haltung 43 Nachricht(en) 4, 21 ff., 24, 61,

331

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Propagandist 65, 257 Protestmarsch 108 f. Prozeß, publizistischer 5 ff., 10 f., 29, 84, 157, 176, 228, 233, 246, 248 Psydiagogie 105 Psychologische Zwangsausrichtung 6 Psycho-physische Gewaltanwendung 7, 157 ff. Public Relations 66, 280 publica 16 publice 14 Publikum 14, 19, 103 f. Publikumszeitschrift 276, 280 Publizist 38, 40 ff., 174, 180, 250

Publizistik, verdeckte u. maskierte 53, 71, 79 ff., 82 Publizistik aus Machtbesitz — aus Machtstreben 166 f., 171 Publizistik der Aufmärsche und Kundgebungen 175 Publizistik der Französischen Revolution 172 f. Publizistik des Antisemitismus 58 f. Publizistikwissenschaft 2, 8, 10 Publizität 5 Rätselecke, Rätselzeitschrift 91, 280 Rassenhaß — Rassenwahn 151, 157 Reaktualisierung 26, 114 Redakteur 174, 185 f., 187, 279 Rede 7, 11, 33, 82, 84, 114, 116, 174, 224 ff., 224, 228, 233, 238, 264, 272, 274 Rede, parlamentarische 227 Redefreiheit 14 Redner 224 ff., 262, 279 Referat 227 f. Reichsarbeitsgemeinschaft der Deutschen Presse (RAG) 185 Reichsfilmkammer 191 Reichslichtspielgesetze 184, 191 Reichspressegesetz (1874) 180 Reichstagsbrand 27 Reportage 231, 235 Ressentiment 122, 127 f. Retouche 250 f. Revolverjournalistik 41 Rhetorik, akademische 227 Roman, Romanzeitschrift 91,

Rundfunkanstalt 195, 295 Rundfunkfreiheit 193 Rundfunkillustrierte 97 Rundfunkrat 196, 200, 202, 236 Rundfunksendung 194 Sachzeitschrift 275 „sandwich-man" 266 Satire 134, 220, 278 Schallplatte 238 f., 239 Schaukasten 269 Schauprozeß, Schauprozeßtechnik 131, 159, 161, 218 Schlagwort 39, 57, 116, 173, 266 Schmähschrift 270 Schriftblock 267 Schriftleitergesetz 180 Schriftsteller 41, 279 Schuldprojektion, aktive 155 Schulfunk 239 Schwarzsender 78 Selbstdisziplin, publizistische 183, 184, 188, 191, 193, 196 f. Selbstkontrolle 184, 186, 191 Selbstkontrolle der „Illustrierten" (Sdl) 189 f., 279 Sensation 18, 208 f., 282, 285 Sexuelle, das 133 ff. Sichtwerbung, feste u. getragene 265 ff. simplificateur radical — rational — terrible — utile et persuadant 115 Sitzstreik 209 Sketch, politischer 219, 223 Soldatenlied 93 Soldatentum, politisches 141 ff., 212 f., 266 Sozialforschung, empirische 198 Spartakus-Briefe 75 Spielfilm, politischer, gesellschaftskritischer 254, 255 f. Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e. V. (SPIO) 191 Sport 99

Publizistik, (Begriff) 5 Publizistik, amtliche 66 Publizistik, demokratische 165, 169 ff., 179 Publizistik, Ende der 157 ff., 164 Publizistik, freie 66, 177 ff., 294 Publizistik, ideenfindende und wegebahnende 55 ff., 61 Publizistik, illegale, unterirdische 8, 44, 53, 71 ff., 78, 270 Publizistik, kämpfende, angreifende, zerstörende 68 ff. Publizistik, kämpfende, überwältigende, vernichtende 55, 71 Publizistik, maskierte 53, 79 ff., 82 Publizistik, mittelbare 100 Publizistik, nihilistische 171 Publizistik, praktische 4, 19, 204 ff. Publizistik, sowjetische 168, 276, 280, 290 169 Publizistik, totalitäre 14, 105, Rotte 108 f., 111, 114 112, 140, 143, 165 ff., 173, „Royal Commission" 186 Rufmord 70, 71, 135, 140, 146 178 Publizistik, unmittelbare 100 Rundfunk 4, 6, 7, 11, 84 f., 92, 114, 168, 176, 182, Publizistik, verbreitende und 193 ff., 200, 202, 215, 228, erobernde (gewinnende) 231 ff., 236, 259, 267 Sprachregelung 168 28, 55, 61 ff., 68, 124

332 Spruchband 266 Spruchdichtung, höfische 48, 221 Staatsjournalismus 283 Staatsrede 227 f. Standort der Zeitschrift 276, 281 Standphoto 250, 252, 263 Steigerung, gefühlsmäßige 121 ff. Stereotypen 119 f., 243 Störsender 237 f. Stoffdarbietung, gesonderte 279 Stoffgebiet, begrenztes, umgrenztes 275, 277 Straßentheater 218 Straßenverkaufsblatt 100, 169, 253, 285 f. „Stroboskopischer Effekt" 252, 261 Subjektivität der Nachricht 86 f. Subjektivität der technischen Mittel („artificialiter") 33, 39, 87, 263 f. Suggestion 112 Suggestivtheater, propagandistisches 112 ff., 125, 235 Symbole 26, 120, 239 ff., 245 Symbolik der Farben 242 Symbolzeichen 240 ff. Tafelanschlag 266 Tagespresse 175, 286 Taschenbuch 289, 291, 292 Tat als Opferleistung 205 f. Tat als politisches Soldatentum 212 f. Tat als publizistische Aufmerkaktion 206 ff. Tat als publizistischer Terror 213 ff. Tat als publizistisches Bekenntnis 210 f. Tat als publizistisches Mittel 204 ff., 223 Tat als Vorbild 204 f. Tat gespielt — gesungen — vorgeführt 215 ff., 223 Tatpropaganda 214, 223

SACHREGISTER

Tatsymbole 244 f. Terror 37, 66, 105, 112, 125, 128, 146, 155 f., 213 f. Terror, publizistischer 213 ff. Terror des Enthusiasmus 43 Textplakat 267 Theater 11, 91, 215 ff., 221, 223, 238, 255 Theater, publizistisches — politisches 215 f., 217, 223, 238 Theaterzensur 191 Tiefsicht der Elektronenkamera 260 f. Transparent 266, 268 Trickfilm 253 Trickpublizistik 206 Typengliederung des Zeitungswesens 284 Typenprägung 134 Überredung 204 Überwältigung 204, 235 Überwältigung, psychochemische 157 ff., 164 Überwältigung, suggestive 211 Überwältigungstaktik, publizistisch-propagandistische 112 Überzeugung 34 ff., 204 Ultrakurzwelle 194, 237 Universalität 279 Unterhaltende, das 90 ff., 94, 194 Unterhaltung 85, 90 ff., 94, 182, 254 f., 275, 279, 281 Unterhaltungsmusik 223 Unterhaltungszeitschrift 275 f., 280 Untersuchung, werbefachliche 198 Vereinfachung, geistige 114 ff., 317 Vereinfachung, publizistische 115 Verleger 176, 185, 187, 283 Verpflichtung, öffentliche 15 „Vierte Dimension" im Bilde 49, 250

Volk 105 Volkschorbewegung 222 Volkslied, publizistisches 221 f. Volksversammlung 227 Vorlesung 227 Vortrag 84, 227 f. Wahlpropaganda 92 Wahrheit, objektive 23 Wahrheit, subjektive (Wahrhaftigkeit) 23 „Wahrheitsspritze" 161 Wahrzeichen 26 Wandzeitung 269, 272, 274 Wappen, Wappentiere (Symbolzeichen) 240 f. Wellenkonferenz, internationale 194 Wellenmangel 194 Welt, totalitäre 4, 6 f., 43, 70, 205, 223, 280 Weltbühnenprozeß 53 Weltinformation 265 Werbekraft des Martyriums 129, 131 Werbeträger 198 Werbewirkung 198 Werbewirtschaft 198 Werbung durch Vorbild und Beispiel 57 Wesenselemente des Rundfunks 232 ff. Wesensmerkmale der Zeitschrift 275 ff., 281 Wiederholung, hämmernde 117 ff., 121 Wirkung aus der Öffentlichkeit, organisierte 197, 203 Wirkung der Farben 267 Wirkung des Symbols, suggestive 240 Wirtschaftszeitschrift 276 Wissenschaft, normative 8 Witz (politischer) 91 Witzblatt 175 Wochenendpresse, unterhaltende 276, 280 Wochenpresse, politische 278

SACHREGISTER

Wochenschau, im Film 254, 257 f. Wort, geschriebenes 265 Wort, gesprochenes 224 ff., 231 Wortnachricht 22

Zeitschrift, satirische 175 Zeitschriften Verleger 187 Zeitschriftenwesen 275 f., 279, 281 Zeitung 4, 6 f., 19, 22, 72, 84, 91, 99 f., 168, 174, 176, 182, 198, 239, 247, 252, 256, 262, 267, 270, 274 f., 279, 281 ff., Zeichen 239 ff. 288, 292 Zeitlupe u. Zeitraffer 254 Zeitschrift 6 f., 19, 84, 138, Zeitung, politische 174 176, 198, 201, 210, 229, 247, Zeitungsgemeinschaften 286 252, 269 f., 274 ff., 281, 286, Zeitungslehre 10 Zeitungspersönlichkeit 292 Zeitschrift, gelehrte 276 Zeitschrift, politische 276

177, 283 Zeitungsverleger 186 f.

333 Zeitungswesen 284, 287, 288 Zeitungswirtschaft 283 Zeitungswissenschaft 283 Zensur 14, 168, 182, 184, 188, 191, 200 Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht 199 Zuhören, individuelles 234 Zukunftsbewährung des Publizisten 51 Zweckbestimmung, publizistische 40 Zwischenzeilentechnik 53, 82 Zwischenzeit, Zwischenzeittechnik 250

Handbuch der Publizistik Inhalt der weiteren Band 2.

Bände:

Praktische Publizistik

Erster Teil

Redaktion: Wolfgang Bruhn und Juliane Weiß

A. Publizistik d e s g e s p r o c h e n e n W o r t e s I. Begriff. 2. Geschichte, Wesen und Technik der publizistischen Rede. 3. Erscheinungsformen (Staatsrede — Rede im Parlament — Straßenrede — Massenrede — Vortrag — Vorlesung — Referat). 4. Religiöse Rhetorik: Predigt. 5. Niedere Formen (Gerücht, Klatsch, Whispering Campaign). B. Publizistik d e s Bildes I. Das stehende Bild 1. Begriff. 2. Frühformen. 3. Das gezeichnete Bild. 4. Die Karikatur. 5. Das Photo als publizistisches Mittel. 6. Fälschungen (Retouchen, Zwischenzeiten, Montagen). 7. Comics. — Literatur. II. Das bewegte Bild (Film) 1. Begriff. 2. Geschichte. 3. Organisation und wirtschaftliche Grundlage. 4. Formen der publizistischen Aussage. 5. Wirkung und Wirkungsforschung. 6. Filmrecht. 7. Filmtechnik. 8, Statistik. — Literatur. C. Rundfunk I. Hörfunk 1. Wesen und Begriff. 2. Geschichte. 3. Organisation und wirtschaftliche Grundlage. 4. Formen der publizistischen Aussage. 5. Programm und Programmstruktur. 6. Wirkung und Wirkungsforschung. 7. Redit. 8. Technik. 9. Statistik. — Literatur. II. Fernsehen 1. Begriff. 2. Geschichte. 3. Organisation und wirtschaftliche Grundlage. 4. Programm und Programmstruktur. 5. Formen der publizistischen Aussage. 6. Wirkung und Wirkungsforschung. 7. Recht. 8. Technik. 9. Statistik. — Literatur. D. Theater u n d theatralische Mittel in d e r Publizistik 1. Das publizistische Theater, Geschichte, Herkommen, Wirkung. 2. Das Kabarett. 3. Das publizistische Lied. Dichtung und Lyrik. — Literatur. E. Die Schallplatte

Mitarbeiter

des zweiten Bandes,

u. a.:

Hans Arnold — H.-H. Atorf — Elisabeth Berg — Udo Blässer — Hans Brack — Wolfgang Bruhn — Emil Dovifat — Gerhard Eckert — Theo Fürstenau — Horst von Hartlieb — Karl Holzamer — Gunter Huhndorf — Anton Jerger — Günter Kieslich — Günter Krause-Ablaß — Franz Hugo Mösslang — C. Wolfgang Müller — Clemens Münster — Elisabeth Noelle-Neumann —Werner Nestel — Enno Patalas —Graf von Pestalozza — Gerhard Prager — Kurt Reumann — Rudolf Strietholt — Fritz Stückrath — Kurt Wagenführ — Juliane Weiß.

Band 3.

Praktische Publizistik

Zweiter Teil

A. Publizistik d e s g e s c h r i e b e n e n Wortes I. Plakat — Flugblatt, Flugschrift II. Zeitung 1. Begriff. 2. Geschichte (die geschriebene Zeitung — Frühdrucke — 17. J a h r h u n d e r t bis zur Gegenwart). 3. Das Nachrichtenwesen. 4. Organisation des Zeitungsverlages. 5. Wirtschaftliche Grundlagen. 6. Typologie. 7. Redaktion u n d redaktionelle Leitung. 8. Formen der Aussage und Spradie. 9. Die Sparten der Zeitung (Innenpolitik, Außenpolitik, Kulturpolitik, Lokales, Wirtschaft u n d Sport). 10. Beilagen. 11. Recht. 12. Technik u n d Umbruch. 13. Wirk u n g u n d Wirkungsforschung. 14. Anzeigenwesen. 15. Statistik. — Literatur. III. Zeitschrift 1. Begriff. 2. Geschichte. 3. Organisation, wirtschaftliche Grundlage. 4. Vertrieb. 5. Typologie (Politische Zeitschriften, Gewerkschaftszeitschriften, Standes* u n d Berufszeitschriften, Religiöse Zeitschriften, Bildungszeitschriften, Unterhaltungszeitschriften, Haus-, Betriebs- u n d Kundenzeitsdiriften). 6. Formen der publizistischen Aussage. 7. Technik. Graphik. Umbruch. 8. Recht. 9. Statistik. — Literatur. IV. Das Buch 1. Grundelemente des publizistischen Buches. 2. Autor. 3. Der Verleger. 4. Taschenbücher. 5. Buchgemeinschaften. 6. Die Leser. — Literatur.

Mitarbeiter

des dritten

Bandes, u. a.:

Herbert A d a m — Nicolas Benckiser — Ernst Braunschweig — Helmut Cron — Emil Dovifat — Erich Eggeling — W a l t e r Fabian — A l f r e d Frankenfeld — Franz G r e i s e r — Wilmont Haacke — Gert Hagelweide — Georg Hellack — Helmut Hiller — Günter Kieslich — H a n s Martin Kirchner — Joachim Kirchner — H a n s Albert Kluthe — Kurt Koszyk — A l e x a n d e r von Kuk — Winfried B. Lerg — Peter Lorch — Focko Lüpsen — Friedrich Medebach — Hans Mehlhorn — Friedrich Möhring — Ulrich Nußberger — Dietrich Oppenberg — W a l t e r G. Oschilewsky — H e n k Prakke — W i l k e n von Ramdor — Wieland Schmidt — H a n s Schmidt-Osten — W a l t e r J. Schütz — Kurt Lothar Tank — Urbain de Volder — V a l e s k a Voss-Dietrich — H a n s Ludwig Zankl.

Emil Dovifat

Zeitungslehre Band I: Theoretische und rechtliche Grundlagen. Nachricht und Meinung. Sprache und Form. 5., neubearbeitete Auflage. 162 Seiten. 1967. DM 5,80 (Sammlung Göschen 1039/1039 a)

Inhalt:

Zeitungslehre und allgemeine Publizistik/Die Zeitung Im öffentlichen Leben Die Einheit des Zeitungsunternehmens. Einheit der Kräfte: Jüngstes Gegenwartsgeschehen, Kurzeste regelmäßige Folge, Breiteste Öffentlichkeit. — Die drei Hauptaufgaben und ihre Vereinigung. Die öffentliche Aufgabe - ihre publizistische Durchführung. Die journalistische (redaktionelle) Arbeit. Die persönlichen Voraussetzungen für die journalistische Arbeit. Die verlegerische Arbeit. Charakter und Begabungsvoraussetzungen des Verlegerberufes. Die Zusammenarbeit Verleger — Redakteur.

Die Nachricht Das Wesen der Nachricht: Wert und Nutzen für den Empfanger, Die Schnelligkeit der Übermittlung, Subjektive Beeinflussung, Sammlung und Verbreitung der Nachrichten. Die Nachrichtenbüros: Das deutsche Nachrichtenwesen, Die deutschen Presseagenturen, Andere deutsche Nachrichtenbüros. Das ausländische Nachrichtenwesen: „Reuter's Ltd.", Die Agenturen der USA, Die franzosische Nachrichtenagentur, Die übrigen freien Agenturen, Die Nachrichtenbüros der UdSSR. Zusammenfassung — Vorschläge der „Vereinten Nationen" (UN), Die wichtigsten Nachrichtenunternehmen der Welt, Die „Ente" / Das „Dementi", Die Nachrichtenmittel. Die Nachrichtenpolitik: Nachrichtenstellen, Pressestellen und -ämter, Die Nachrichtenpolitik der Interessenten, „Public Relations".

Die Meinungs- und Willensbildung in der Zeitung Meinung, „öffentliche Meinung" und politische Willensbildung. Die Form der Meinungsfuhrung: Die Sprache in der Zeitung. Die Formen des journalistischen Ausdrucks: Die Nachrichtenstilform, Die Meinungsstilform, Die Unterhaltungsstilform. Die Lern- und Lehrbarkeit des Stils. Band II: Redaktion. Die Sparten Verlag und Vertrieb, Wirtschaft und Technik. Sicherung der öffentlichen Aufgabe. 5., neubearbeitete Auflage. 179 Seiten. 1967. DM 5,80 (Sammlung Göschen 1040/1040a)

Inhalt:

Die Redaktion Ihr Aufbau. Die redaktionelle Arbeit im einzelnen. Die Stoffbeschaffung: Der eigenbeschaffte Stoff, Der fremdbeschaffte Stoff / Die Korrespondenzen: Redaktionsgemeinschaften, Anzeigengemeinschaften, Regionale Blätter mit Bezirkszeitungssystemen. Die Stoffbearbeitung, die redaktionellen Sparten (Ressorts): Die Politik, Der „Handelsteil", Der „Volkswirtschaftliche Teil", Die Sozialpolitik, Der Orts- und Heimatteil, Der kulturelle Teil und seine publizistische Wertung. / Das Feuilleton / Der Feuilletonismus: Kultur und Zeitung / Der Begriff „Feuilleton", Das Feuilleton als Sparte: Nachricht und Bericht, Publizistische Wertung und Kritik, Unterhaltung und kulturelles Beispiel. Der Feuilletonismus / Stilform und journalistische Haltung. Der Sportteil, Die technische Redaktion, Das Lichtbild / Die Bildberichterstattung, Umbruch und Aufmachung.

Die Technik und Wirtschaft im Zeitungsbetrieb. Das Hauptbuch des Verlages. Die Ausgaben: Satz und Druck, Papier, Vertrieb, Die Kosten der Redaktion. — Die Einnahmen: Verkauf, Anzeigen: Die Anzeigenarten, Zeitungsanzeigen als Werbemittel, Auflage und Anzeige. Die werbewirtschaftlichen Grundlagen, Textliche Fassung und graphische Form der Anzeige. Einnahmen aus Nebenbetrieben / Zeitungsfremde Zuschüsse. Das Kostengesetz der Zeitung / Einnahmen und Ausgaben. — Der Leser

Die Sicherung der öffentlichen Aufgabe

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Hans Buchli

6000 Jahre Werbung Geschichte der Wirtschaftswerbung und der Propaganda Band I: Altertum und Mittelalter Mit 24 Kunstdrucktafeln und 4 Abbildungen. 351 Seiten. 1962. Ganzleinen DM 32,— Inhalt:

So alt wie die Menschheitsgeschichte — Am Anfang war das Wort — Frühe Zeugen der Werbung aus dem Fernen Osten — An den Ufern des Ganges — Handel und Wandel im vorchristlichen Europa — Römische Politik vor 2000 Jahren — Die Zeit der Römischen Imperatoren — Frühe Judenfrage — Aus den Anfangen des Christentums — Paulus Orator, ein Kampfer für den Glauben — Die ersten Fundamente der Ecclesia Catholica — Lehret alle Völker: Der Auftrag zur Mission — Die Konsolidierung der christlichen Kirche — Mohammed — Die Bekehrung der Germanen — Methoden der Mission — Kaiser und Papst — Der Investiturstreit und der Kampf Roms gegen die weltliche Macht — Die mittelalterliche Polemik zwischen Sacerdotium und Imperium und seine Methoden — Kreuzzugs-Propaganda — Fortsetzung des Machtkampfes zwischen Kaiser und Papst — Die gelehrten Kämpfer — Ludwig der Bayer als letztes Bollwerk des Kaisertums — Die kurialen und weltlichen Propagandisten am Ende des Mittelalters — Der Geist des Mittelalters — Die Wirtschaftswerbung im Mittelalter. Anmerkungen • Literaturnachweis

Band II: Die neuere Zeit Mit 32 Kunstdrucktafeln, 25 Abbildungen und einer 8seitigen Beilage. 286 Seiten. 1962. Ganzleinen D M 2 8 , — Inhalt:

Die Zeit der Reformation und Gegenreformation, Die Buchdruckerkunst und ihr Einfluß auf die Werbung, Die neuere Zeit Das Wunder des Buchdrucks — Eine Revolution setzt ein — Religion und große Politik — Die Auseinandersetzung beginnt — Zwingli und Calvin — Die Greuel und die Not der Türkenkriege — Die Zensur und der Index als erste Abwehr- und Kampfmaßnahmen der Gegenreformation — Aktionen der Kurie gegen die Reformation — Die Societas Jesu als Kampftruppe des Vatikans — Die Organisation der Abwehrschlacht des Katholizismus gegen die Reformation — Dem Sieg entgegen — Kampfmethoden der Kleriker — Die Propaganda Fide — Eine geniale Organisation — Eroberung der Welt — Methodische Differenzen — Lehren der Erfahrung — Blick in die Kulissen — Von der Methodik der Propaganda — Die große Krise — Buchdruck und Wirtschaftswerbung. Anmerkungen • Literaturverzeichnis

Band III: Das Zeitalter der Revolutionen Mit 22 Kunstdrucktafeln, 40 Abbildungen Im Text und 1 Falttafel. 523 Seiten. 1966. Ganzleinen D M 52,— Inhalt:

Die französische Revolution — Die Volkssouveränitat — Die Rolle der Freimaurerei — Allons enfants de la Patrie — Das Alte stürzt — Der Schatten Bonapartes — Napoleon Bonaparte, Feldherr, Konsul und Kaiser — Ein Machttraum zerrinnt — Die industrielle Revolution — Die moderne Wirtschaftswerbung wächst heran — Ideen haben Beine — Die katholische Restauration — Der Aufstieg des geistigen Imperiums Roms Die Revolutionen der Jahrhundertmitte Der Sonderbund in der Schweiz — Die Februar-Revolution in Frankreich — Der Reflex in Deutschland — Die österreichische Revolution — Der Kampf Italiens — Das Ergebnis — Nach den Stürmen von 1848 — Die Geburt des Marxismus — Proletarier aller Lander vereinigt euchl —Von der Pariser Commune zu Lenin — Eine Welt ohne Gott — Extra ecclesiam nulla salus. Anmerkungen • Literaturverzeichnis

Band IV: Das neue Antlitz der Welt. In Vorbereitung

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Otto Groth

Die unerkannte Kulturmacht Grundlegung~der Zeitungswissenschaft (Periodik) Sieben Bände mit einem Gesamtumfang von etwa 5000 Seiten. Groß-Oktav. Ganzleinen. Subskriptionspreis je Band DM 56,— Inhalt des Gesamtwerkes: I: Das Wesen des Werkes Einleitung (Stellung und Bedeutung der Zeitungswissenschaft im System der Wissenschaften) — Analyse der Merkmale und Untersuchung des Wesens und Sinnes des Periodikums. XVI, 645 Seiten. 1960. II: Das Sein des Werkes Das Äußere — Der Inhalt (Text- und Anzeigenteil) — Zwecke und Werte. VIII, 426 Seiten. 1961. III: Das Werden des Werkes (I.Teil) Der Verlag, sein Standort, seine Unternehmungsformen, seine Finanzierung, seine Einnahmen und Ausgaben, seine Rentabilität, Der Verleger. VIII, 431 Seiten. 1961. IV: Das Werden des Werkes (2. Teil) Die Redaktion, ihre Mitarbeiter, ihre Gliederung und Zusammenarbeit, die Stoffbeschaffung, das Verhältnis zwischen Redaktion und Verlag; der Journalismus, seine Tätigkeiten und Anforderungen, die Persönlichkeit des Journalisten, Vor-, Aus- und Fortbildung, Arbeitsbedingungen, soziale Stellung, Organisation des Berufs, Hilfsgewerbe. XII, 835 Seiten. 1962. V: Das Wirken des Werkes (I.Teil) Die journalistischen Wirkungsmittel. Die Sozialgebilde (Die Öffentlichkeit, das Publikum, Gemeinschaft und Gesellschaft, die Partei). Die Kultursysteme I: Der Staat. VIII, 682 Seiten. 1963. VI: Das Wirken des Werkes (2. Teil) Die Wirtschaft, Die Technik, Die Wissenschaft, Die Kuns', Die Religion. Wirkungsverhaltnis und Wirkungsvorgang zwischen Periodikum und Publikum. VIII, 466 Seiten. 1966. VII: Das Werk im Ganzen der Kulturgesellschaft Die objektiven Grundtendenzen der kulturgesellschaftlichen Gesamtentwicklung, Die subjektiven Kräfte der Kulturbewegung, Die kulturgesellschaftliche Bedeutung des Werkes. Personen- und Sachregister. In Vorbereitung.

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Wichtige Nachschlagewerke

Kürschners Deutscher Literatur-Kalender 1967 Herausgegeben von Werner Schuder. 55. Jahrgang. Oktav. XVI, 1269 Seiten. 1967. Ganzleinen DM 78,—

Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 1966 Herausgegeben von Werner Schuder. Zehnte Ausgabe. 2 Bände. Oktav. XII, 3031 Seiten. 1966. Ganzleinen DM 192,—

Minerva. Jahrbuch der Gelehrten Welt Abteilung Universitäten und Hochschulen. 1. Band. Europa. 35. Jahrgang. Herausgegeben von Werner Schuder. Oktav. XXXIV, 1669 Seiten. 1966. Ganzleinen DM 192,—

Universitas Litterarum Handbuch der Wissenschaftskunde. Unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter in Verbindung mit Willy Hoppe, Günther Ludwig, Wieland Schmidt herausgegeben von Werner Schuder. Groß-Oktav. XX, 819 Seiten. 1955. Halbleder DM 74,—

Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Sprache Von Friedrich Kluge. 20. Auflage, bearbeitet von Walther Mitzka. Lexikon-Oktav. XVI, 915 Seiten. 1967. Ganzleinen DM 35,—

Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen Von Franz Dornse/ff. 6., unveränderte Auflage mit alphabetischem Generalregister. Lexikon-Oktav. IV, 922 Seiten. 1965. Ganzleinen DM 38,—

Deutsche Hochsprache. Bühnenaussprache. Von Theodor Siebs. Herausgegeben von Helmut de Soor und Paul Diels. 18., durchgesehene Auflage. Lexikon-Oktav. IV, 355 Seiten. 1961. Ganzleinen DM 18,— Beispiele zu Siebs, Deutsche Hochsprache 3 Schallplatten. Zusammengestellt und gesprochen von Jörg Jesch. 17 cm, 45 U/min. 1965. DM 24,—

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polec Dictionary of politics and economics Dictionnaire de politique et d'économie Lexikon für Politik und Wirtschaft

Von Harry Back

• Horst Cirullies •

Günter Marquard

2., verbesserte und erweiterte Auflage. Mit 40 grafischen Übersichten. Oktav. XVI, 1037 Seiten. 1967. Plastikeinband DM 48,—

Die Arbeit im wirtschaftlichen und politischen Bereich, besonders auf internationaler Ebene, setzt eine gediegene Kenntnis der Fachterminologie voraus, die durch ständig neue Begriffsbildung nur noch schwer übersetzbar ist und zum Teil gar Verwirrung stiftet. POLEC verzeichnet rund 16000 Begriffe in englischer, deutscher und französischer Sprache in nur einer alphabetischen Ordnung. Es stellt somit das erste sprachlich integrierte Nachschlagewerk dar. Darüber hinaus gibt es für jedes Stichwort eine kurzgefaßte Erläuterung oder Definition in der jeweiligen Sprache sowie Hinweise auf das entsprechende Stichwort in den beiden anderen Sprachen. POLEC ermöglicht sowohl die schnelle Übersetzung eines Begriffes als auch dessen Erläuterung und Verwendung in einer dem Benutzer weniger vertrauten Sprache. Das Wörterbuch wird also zum unentbehrlichen Arbeitsinstrument bei jeder internationalen, behördlichen, politischen oder privatwirtschaftlichen Zusammenarbeit.

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