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German Pages [493] Year 2023
Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von
Corinna Körting (Hamburg) ∙ Konrad Schmid (Zürich) Mark S. Smith (Princeton) ∙ Andrew Teeter (Harvard)
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Erasmus Gaß
Gott, Gewalt und die Landnahme Israels Eine literarhistorische Analyse von Josua 9–12
Mohr Siebeck
Erasmus Gaß, geboren 1971; 2001 Promotion; 2008 Habilitation; 2014–2020 Professor für biblische Einleitung, 2020–2021 Professor für Altes Testament in Trier; seit 2021 Professor für Alttestamentliche Wissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg. orcid.org/0000-0002-8667-7703
ISBN 978-3-16-162405-6 / eISBN 978-3-16-162769-9 DOI 10.1628/978-3-16-162769-9 ISSN 0940-4155 / eISSN 2568-8359 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Mit meiner dritten Studie zur Literargeschichte des Josuabuches wende ich mich dem dtr. gestalteten Abschnitt Jos 9–12 zu, der die Eroberung des Verheißungslands in den Blick nimmt. Auf diese Weise werden die beiden früheren Arbeiten zum priesterlich geprägten Teil des Josuabuchs (Jos 13–22), der die Landverteilung ausführlich geschildert hat, konsequent weitergeführt. In den Kapiteln Jos 9–12 sind im Gegensatz zu Jos 13–22 die literarischen Brücken ins Buch Deuteronomium auffällig, auch wenn sporadisch priesterliche Einschübe ebenfalls auszumachen sind. Die komplexe Entstehungsgeschichte des Josuabuches bewegt sich auch hier zwischen den beiden Polen Deuteronomium und Numeri, wobei die priesterliche Prägung in Jos 9–12 weitgehend zurücktritt. Vor diesem Hintergrund ist die vorliegende Untersuchung auch für Großhypothesen zu Pentateuch, Hexateuch oder Enneateuch relevant. Prof. Dr. Hermann Spieckermann regte wiederum die Publikation meiner Studien zu Jos 9–12 in den „Forschungen zum Alten Testament“ an, auch wenn er bereits seine Herausgeberschaft zurückgegeben hatte. Umso mehr danke ich Prof. Dr. Konrad Schmid und den anderen Mitherausgebern für die Aufnahme in diese renommierte Reihe. Dadurch ist es möglich, meine Untersuchungsergebnisse zum Josuabuch geschlossen vorzulegen, ohne Reihe und Verlag wechseln zu müssen. Elena Müller, die Programmleiterin Theologie und Judaistik vom Verlag Mohr Siebeck, betreute wiederum in sehr fachkundiger Weise die Publikation meiner Studie. Meine Sekretärin Ulrike Willmann hat in enger Absprache mit dem Verlag Mohr Siebeck ein ansprechendes Layout erstellt. Jana Trispel gab außerdem immer wieder hilfreiche Anregungen für die Erstellung der Druckvorlage. Betina Burkhart übernahm kompetent das Lektorat. Ein weiteres Mal gestaltete sich die Kooperation mit den Mitarbeiterinnen des Verlags Mohr Siebeck als wahres Vergnügen. Selten erlebt man bei Publikationen ein derart hohes Maß an Professionalität, Kompetenz und Zuverlässigkeit auf Seiten des betreuenden Verlags. Aufgrund meines Wechsels nach Augsburg musste ich ein neues Lehrstuhlteam aufbauen, das mich bei meinen Arbeiten tatkräftig unterstützen kann. Glücklicherweise habe ich nach nur kurzer Zeit die einzelnen Begabungen meiner neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen- und schätzen gelernt, sodass jederzeit ein effektives Arbeiten möglich war. Unterstützt wurde ich darüber hinaus durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die mein Projekt „Die Ortsangaben im Buch Josua“ bewilligt hat. Mein Projektmitarbeiter
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Vorwort
Dr. Johannes Bremer, der nach Abschluss einer ersten Fassung des Manuskripts zum Professor für Biblische Theologie an die Katholische Stiftungshochschule München, Campus Benediktbeuern berufen wurde, hat die Arbeit kritisch gelesen und zahlreiche weiterführende fachliche Anregungen vorgeschlagen. Mein zweiter Projektmitarbeiter Mag. theol. Jakob Luz y Graf entlastete mich durch sein großes Engagement bei der Entwicklung des VHB-Online-Kurses „Gottesbilder des Alten Testaments“. Durch seine verdienstvolle und zuverlässige Arbeit konnte ich mich auf eigenes wissenschaftliches Arbeiten konzentrieren. Darüber hinaus kontrollierte er die Einheitlichkeit meiner Transkriptionen. Meine studentischen Hilfskräfte Katharina Ditsch, Elisa Pretzl sowie Daniel Karg lasen in hervorragender Weise Korrektur. Felicitas Löhlein und Alexander Mall haben zuverlässig die Indexeinträge erstellt. Gabriel Lienhart und Dominik Stefulic sowie Christina Wall haben mich zudem mit Literatur der Universität Augsburg bestens versorgt. Die Damen und Herren der Universitätsbibliothek Augsburg waren bei komplizierten Fernleihen ebenfalls sehr behilflich. Artikel, die nicht in Augsburg vorhanden waren, haben mir Kollegen freundlicherweise zur Verfügung gestellt, namentlich seien hier Prof. Dr. Johannes Bremer, Stiftungshochschule Benediktbeuern, Prof. Dr. Christian Frevel, Universität Bochum, Prof. Dr. Klaas Spronk, Universität Amsterdam sowie Prof. Dr. Martin Staszak, École Biblique genannt. Allen Genannten sei herzlich für Ihre vielfältige Unterstützung gedankt. Die vorliegende Studie entstand zu einer Zeit, als ich mich in Augsburg eingewöhnen musste. Dies wurde schon dadurch erschwert, dass aufgrund der Corona-Beschränkungen Veranstaltungen und Treffen in Präsenz lange Zeit nicht bzw. nur eingeschränkt möglich waren. Allerdings eröffneten sich aus diesen Gründen genügend Freiräume, die ich für die Beschäftigung mit den schwierigen Texten des Josuabuches nutzen konnte. Meine Frau Susanne unterstützte mich zudem nach Kräften, damit ich mit meiner Arbeit zügig vorankommen konnte. Immer wieder munterte sie mich auf, wenn ich an einem schwierigen Problem zu verzweifeln drohte. Mein Sohn Josef sorgte immer dann für die nötige Abwechslung, wenn meine Gedankengänge im Morast des bisherigen Forschungsgeländes festgefahren waren. Durch den gewonnenen Abstand konnte ich viele Dinge klarer sehen. Augsburg, an Rosh Hashana 5784 Erasmus Gaß
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort ....................................................................................................... V Einleitung .................................................................................................... 1 1. Forschungsgeschichte ............................................................................. 2 2. Aktuelle Forschungsfragen ....................................................................... 9 Kapitel 1: Die List der Gibeoniter oder wie man eine religiöse Vorgabe ungestraft umgehen kann (Jos 9) ....... 13 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Textkritische und sprachliche Beobachtungen ........................................ 13 Verbindungslinien zu Dtn und zum Kontext ............................................ 71 Literarkritische Beobachtungen ............................................................. 76 Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Entwürfe ......................... 91 Eigener Entwurf ................................................................................... 104 Historische Verortung .......................................................................... 111
Kapitel 2: Mit Gottes Hilfe oder doch auf eigene Faust? Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10) ....................................... 115 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Vorbemerkungen .................................................................................. Sprachliche und textkritische Probleme ............................................... Literarkritische Beobachtungen ........................................................... Literarkritische Entwürfe ..................................................................... Eigener Ansatz ..................................................................................... Historische Auswertung .......................................................................
115 117 204 239 253 262
Kapitel 3: Der Kampf gegen Jabin von Hazor. Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11) ..................................... 271 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Vorbemerkungen .................................................................................. Textkritische und sprachliche Beobachtungen ...................................... Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Beobachtungen ............. Literarkritische Vorschläge .................................................................. Eigener Entwurf ................................................................................... Historische Verortungen ......................................................................
271 276 329 340 346 350
VIII
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 4: Das eroberte Ostjordanland und die Liste der westjordanischen Könige (Jos 12) .................................. 357 1. 2. 3. 4. 5.
Vorbemerkungen .................................................................................. Textkritische und sprachliche Bemerkungen ......................................... Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Entwürfe ....................... Eigener Entwurf ................................................................................... Historische Verortung ..........................................................................
357 360 393 400 405
Ergebnisse und Folgerungen ..................................................................... 411 1. Textkritik ............................................................................................... 411 2. Literarkritik und Redaktionsgeschichte ................................................. 412 3. Historische Verortung der ursprünglichen Erzählungen ....................... 420 Anhang I – Übersetzung von Jos 9–12 ...................................................... Anhang II – Vor-dtr. Traditionen .............................................................. Anhang III – Erste dtr. Redaktion (nur in Jos 9) ....................................... Anhang IV – Dtr. Landeroberungserzählung Jos 9–11 .............................
425 435 437 439
Literatur ................................................................................................... 445 Hebräische Lexeme .................................................................................. 469 Stellenregister ........................................................................................... 473 Sachregister .............................................................................................. 479 Namenregister .......................................................................................... 481 Ortsregister ............................................................................................... 483
Einleitung Während in Jos 13–22 zahlreiche priesterliche Bearbeitungsspuren aufzufinden sind,1 ist der erste Teil des Josuabuches Jos 1–12 vor allem durch Idiome geprägt, die der Sprachwelt des Buches Deuteronomium entstammen und daher als dtr. klassifiziert werden können. Vor diesem Hintergrund scheint eine grundsätzliche Teilung des Josuabuches in ein dtr. (Jos 1–12.23–24*) und ein priesterliches Josuabuch (Jos 13–22*) durchaus plausibel zu sein. Fraglich ist jedoch, inwieweit im ersten Teil kleinere Quellen oder größere Schichten verwendet wurden und wie diese verortet werden können. In der Forschungsgeschichte vermutete man immer wieder Bezüge zu den Pentateuchquellen, was sich wohl auch der inhaltlichen Beobachtung verdankt, dass erst mit der Landeroberung im Josuabuch der im Pentateuch begonnene Erzählfaden zum Abschluss gebracht wird.2 Insofern war der Hexateuch seit jeher eine literarhistorische Größe, mit der man sich durchaus mit viel Gewinn beschäftigen konnte. In den meisten neueren Entwürfen wird wiederum von einer Art Hexateuch entweder als literarhistorischer Ausgangspunkt oder als redaktionelle Zwischenstufe ausgegangen.3 Zunächst soll ein Blick in die Forschungsgeschichte geworfen werden, bevor dann aktuelle Fragen aufgeworfen und Lösungsansätze entworfen werden können, die anschließend im Textbereich Jos 9–12 behandelt werden.
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Zur priesterlichen Redaktionsarbeit im Josuabuch vgl. RUDOLPH 1938, 280f.; WELL1963, 127f.; MOWINCKEL 1964, 51–78; PETERSEN 1980, 144f.; VAN SETERS 1983, 331–337; CORTESE 1990, 111f.; SVENSSON 1994, 97f.; DE VOS 2003, 301–307; HARVEY 2004, 100 Anm. 5; RÖSEL 2009, 562; FRANKEL 2011, 191; RÖSEL 2011, 5–7; SCHMID 2011, 23f.; SCHWARTZ 2016, 785 Anm. 11; GASS 2019b; GASS 2021a. 2 Vgl. BLEEK 1822, 47. OETTLI 1893, 125 hält es sogar für eine Tatsache, „daß die Quellenschriften des Pentateuch durch das ganze Buch Josua weiter laufen, wie nach ihrer Anlage von vorneherein nicht anders zu erwarten steht. Denn wenn sie schon in der Gn den künftigen Landbesitz in bestimmte Aussicht stellen, so werden ihre Verfasser auch die Erfüllung der bezüglichen Verheißungen erzählt haben.“ 3 Selbst KRAUSE 2017, 183–202 geht davon aus, dass durch Jos 24 ein Hexateuch gegenüber einem Pentateuch etabliert werden sollte, vgl. auch BLUM 1997, 194–206; BLUM 2012, 146–148. Allerdings lehnt er einen Hexateuch ab, der redaktionell als eigenständiger Buchzusammenhang entstanden sei, zumal lediglich in Jos 24 eine Art Hexateuch-Redaktion naheliegend sei. HAUSEN
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Einleitung
1. Forschungsgeschichte Zumindest in der früheren Forschungsgeschichte wies man große Teile des Josuabuches vor-dtr. Schichten zu, was wohl auch dem Umstand zu verdanken ist, dass man am hohen Alter der verwendeten Quellen unbedingt festhalten wollte. Allerdings wurden schon Anfang des 19. Jahrhunderts Beobachtungen angestellt, die auf eine späte Entstehungszeit des Josuabuches und auf Verbindungslinien zu den Königsbüchern hindeuten.4 Trotzdem hielt man noch lange Zeit an dem hohen Alter der einzelnen Josuaerzählungen fest, wobei man innerhalb des Josuabuches die unterschiedlichsten redaktionellen Schichtungen feststellte. Die dtr. Bearbeitung wurde bei diesen Entwürfen meist als die letzte Stufe betrachtet, während die verwendeten Quellen vor allem aus der vor- und frühstaatlichen Zeit stammen.5 Schon in dieser frühen Zeit der Forschungsgeschichte wurden explizite Bezüge des Josuabuches zum Pentateuch gezogen, wobei die späteren Quellenschriften der neueren Urkundenhypothese sowohl hinsichtlich der chronologischen wie auch der lokalen Verortung schon vorgezeichnet waren.6 Allerdings wurde der dtr. Anteil am Josuabuch in der Regel noch weitgehend unterbewertet,7 was sich später aber massiv in die andere Richtung verschieben sollte. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts verabschiedete man sich immer mehr von der Frühdatierung der einzelnen Schichten.8 Es verwundert daher nicht, dass zumindest der Deuteronomiker und der priesterliche Gesetzgeber erst in die spätvorexilische oder (nach)exilische Zeit datiert wurden. Außerdem wurde erkannt, dass das Josuabuch im Sinne des Deuteronomiums umfangreich bearbeitet und ergänzt worden sei, während die im Pentateuch anzutreffenden Quellen kaum noch vorhanden seien. Demgegenüber sei eine relativ eigenständige prophetische Geschichtserzählung verwendet worden, die aus verschiedenen Quellen zusammengestellt wurde und einem Jehovisten zugeordnet werden 4
Vgl. DE WETTE 1806, 136–151. Vgl. EWALD 1843, 75–164; KNOBEL 1861, 488–606. Gerade die Königsliste in Jos 12,9–24 wurde meist als ein alter Schlüsseltext betrachtet. 6 Vgl. auch DILLMANN 1886, 439: „die dort zu Grund liegenden 4 Hauptquellenschriften kommen im B. Josua alle wieder zum Vorschein, wenn auch in etwas anderer Weise als dort.“ Neuerdings wird die Urkundenhypothese des Pentateuch wiederum mit Nachdruck als „Neo-Documentary Hypothesis“ vertreten, vgl. nur BADEN 2009; BADEN 2012; STACKERT 2014. Allerdings ist diese Hypothese nach RÖMER 2013b, 8 lediglich ein „archaisch anmutender Rückschritt hinter Wellhausen“. Ein endgültiges Ende der Urkundenhypothese fordert auch BERNER 2010, 449. 7 Vgl. KNOBEL 1861, 605f., der den anderen Quellen Grundschrift, Rechtsbuch und Kriegsbuch sowie dem Jehovisten wesentlich mehr Raum zugesteht. 8 COLENSO 1871, 128f. verteilt die einzelnen Abschnitte des Josuabuches nicht mehr auf alte Schichten, sondern auf eine Original Story, die dem Jehovisten nahesteht, einen Deuteronomiker und eine Later Legislation. 5
1. Forschungsgeschichte
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konnte.9 Auch wenn das Josuabuch meist im Rahmen eines Hexateuchs gedeutet wurde, stellte sich somit schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Frage, ob sich die Urkunden des Pentateuch auch im Josuabuch nachweisen lassen, zumal man schon bald daran zweifelte, ob man zwischen den beiden Quellen Jahwist und Elohist überhaupt unterscheiden könnte.10 Hinzu kommt, dass der Jahwist im Josuabuch eigentlich schon deshalb nicht gefunden werden kann, da eine jahwistische Landnahmeerzählung bereits in Ri 1,1–2,5 vermutet wurde11 und daher die Landnahme nicht ebenfalls vom Jahwisten in Jos 1–12 geschildert werden konnte. Vor diesem Befund musste man alternativ zwischen zwei jahwistischen Quellen unterscheiden12 oder den Anteil des Elohisten verstärken, sodass der Elohist den Hauptteil der Erzählungen des Josuabuches beigesteuert hat.13 Demgegenüber wird aber auch mit einer Reduktion der verwendeten Quellen gearbeitet, zumal der Elohist ohnehin schon einen schweren Stand im Pentateuch hat.14 Bei derartigen Entwürfen wurden lediglich der Jahwist und die Priesterschrift als Quellen zugelassen, wobei die Priesterschrift erst im zweiten Teil gefunden werden kann.15 Außerdem hat man bereits im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts festgestellt, dass man nicht von nur einer dtr. Redaktion, sondern von vielen dtr. Redaktoren ausgehen muss.16 Darüber hinaus wurde die Vorstellung eines größeren dtn Erzählzusammenhangs entwickelt, der sich auch ins Josuabuch hinein erstreckt und somit eine dtr. Landeroberungserzählung (DtrL) bereits vorwegnimmt.17 Während der dtn/dtr. Anteil am Josuabuch zunächst auf dementsprechende Redaktionen zurückgeführt wurde, hat sich demgegenüber auch die Ansicht herausgebildet, dass im Josuabuch eine dtr. geprägte Quelle verwendet
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Vgl. KUENEN 1885, 63–165. Vgl. OETTLI 1883, 125, der die exakte Quellenscheidung vor allem zwischen Jahwist und Elohist insgesamt in Frage stellt. 11 Vgl. MEYER 1881, 135. 12 Vgl. ALBERS 1891, 141f.; SMEND 1912, 340–342. 13 Vgl. STEUERNAGEL 1900, 134. 14 Vgl. schon die Kritik bei VOLZ/RUDOLPH 1933; RUDOLPH 1938. Auch neuere Wiederbelebungsversuche des Elohisten, vgl. ZIMMER 1999; GRAUPNER 2002; GNUSE 2017, waren nicht wirklich erfolgreich. 15 Vgl. RUDOLPH 1938, 280f. 16 Vgl. KUENEN 1885, 131: „It seems hardly possible, however, to ascribe the deuteronomic recension to a single author; nor is there anything against our supposing several hands to have been at work on the same lines“. Die Endgestalt des Josuabuches wurde zudem von einer dtr. Hand geschaffen, vgl. DILLMANN 1886, 440. 17 Vgl. DILLMANN 1886, 440: „Es hat keine Schwierigkeit, zu denken, dass schon bei D von dem Wirken Josua‘s im Geiste der Moselehre u. von der Austilgung der Bewohner des Landes eine kurz u. allgemein gehaltene Darstellung gegeben war, welche Rd benützte u. mit dem früheren Buch möglichst zusammenarbeitete.“ 10
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Einleitung
wurde, die von dtr. Redaktionen eingearbeitet und noch durch spätere dtr. Zusätze ergänzt wurde.18 Schließlich wurden priesterliche Anteile vor allem im zweiten Teil des Josuabuches gefunden.19 Interessanterweise wird bisweilen eine priesterliche Quelle im ersten Teil des Josuabuches gänzlich geleugnet. Erst im zweiten Teil seien schließlich auch priesterliche Texte zu finden.20 Auf diese Weise wird eine Zweiteilung in ein dtr. und priesterlich geprägtes Josuabuch bereits vorbereitet. Trotz dieser sehr differenzierten Beobachtungen gab es lange Zeit weiterhin traditionelle Stimmen, die die Quellenschriften Jahwist und Elohist auch noch im Josuabuch voneinander getrennt haben.21 Hinzu kommt noch eine Vervielfältigung der einzelnen Schichten, sodass es jeweils zwei Jahwisten, Elohisten und dtr. Redaktoren gegeben habe.22 Selbst die Anteile einer priesterschriftlichen Schicht im ersten Teil des Josuabuches werden bei dieser traditionellen Auslegung immer wieder vergrößert.23 Allerdings gibt es auch hierzu eine Gegenbewegung, bei der die priesterschriftlichen Anteile im Josuabuch heruntergefahren werden,24 wobei letzter Ansatz bereits die grundsätzliche Infragestellung der Quellenschriften des Pentateuchs im Josuabuch und darüber hinaus vorbereitet.25 18 Zu dieser umfangreichen dtr. Redaktionsarbeit vgl. STEUERNAGEL 1900, 136–140. 144f. Außerdem wurde der Elohist erst in einer dtr. bearbeiteten Version aufgenommen, während nur noch wenige jahwistische Fragmente berücksichtigt wurden, vgl. STEUERNAGEL 1900, 143f. 19 Vgl. hierzu RUDOLPH 1938, 280f.; WELLHAUSEN 1963, 127f. 20 Vgl. EISSFELDT 1922, 202*–250*. 21 Vgl. z.B. ALBERS 1891, 6: „Und wenn wir die bisherige Quellenkritik des Pentateuchs im Grossen und Ganzen anerkennen, und es stellt sich bei unserer Untersuchung heraus, dass auch in ‚Josua‘ verschiedene Quellen verarbeitet sind, so können wir, ohne damit in einem unerlaubten Vorurteil befangen zu sein, von der Voraussetzung ausgehen, dass wir auch hier dieselben Quellenschriften zu erwarten haben.“ Es verwundert daher nicht, dass man bei solchen methodischen Weichenstellungen die Quellenschriften des Pentateuch im Josuabuch wiederfinden muss. 22 Vgl. ALBERS 1891, 148–150. Gegen eine derartige Vorgehensweise aber schon OETTLI 1893, 125: „Diejenige Kritik, die es unternimmt, mit unfehlbarer Sicherheit jedem Vers und Versteil den Attest seiner Herkunft auszustellen, bewegt sich in einer Illusion, die sofort von der Einsicht zerstört wird, daß wir in dem massoretisch vereinheitlichten Text nur das Endergebnis eines uns in der Hauptsache unbekannten Entwicklungsprozesses vor uns haben.“ 23 Vgl. ALBERS 1891, 108, der auch noch Jos 7,1.18b*.25bα als priesterlich beurteilt. Während bei den anderen Erzählungen noch ein Zusammenhang rekonstruiert werden konnte, ist das bei den priesterlichen Fragmenten nicht mehr möglich. 24 Vgl. den Entwurf bei SMEND 1912, 279–342, der priesterschriftliche Anteile nur noch im zweiten Teil des Josuabuches vermutet. Die priesterliche Sprache im ersten Teil gehe hingegen auf einen priesterlichen Redaktor zurück. 25 Vgl. in neueren Entwürfen die priesterliche Komposition (KP) des Pentateuch bei BLUM 1984; BLUM 1990. Auch BERNER 2010, 448–451 löst die Quelle Priesterschrift zugunsten eines redaktionellen Fortschreibungsmodells auf.
1. Forschungsgeschichte
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Die priesterlichen Texte sind dann nicht mehr auf eine Quelle zurückzuführen, sondern nur noch auf eine späte Redaktion. In der Folgezeit kam im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die literarkritische Forschung am Josuabuch weitgehend zum Erliegen, auch wenn noch keine wirklich befriedigenden Ergebnisse vorgelegt werden konnten. Der Hexateuch wie auch die Vermutung, dass die klassischen Pentateuchquellen im Josuabuch aufzufinden sind, galten zumindest als minimaler Grundkonsens.26 Anstelle der literarkritischen Forschung befasste man sich nun mit der Religionsgeschichte und Archäologie sowie mit der Gattungskritik, sodass die klassische Literarkritik angesichts neuer Forschungsfelder und dem frustrierend disparaten Ergebnis in den Hintergrund rückte.27 Trotzdem hielt man immer noch epigonenhaft an der traditionellen Quellenscheidung des Hexateuchs fest,28 obschon andere Entwürfe ebenfalls vorgelegt wurden. Erst durch die Arbeiten von Albrecht Alt und Martin Noth wurde der bislang erreichte Grundkonsens der Annahme eines Hexateuchs mit durchlaufenden Quellenschriften im Rahmen der überlieferungsgeschichtlichen Arbeit gänzlich in Frage gestellt.29 Nach Alt und Noth eröffnen erst die Landverteilungstexte ab Jos 13 einen gesamtisraelitischen Blickwinkel. Im Gegensatz dazu liegen den Landnahmeerzählungen ätiologische Sagen zugrunde, die nur eingeschränkt historisch auszuwerten sind, da sie sich auf isolierte Einzelphänomene beziehen und topographisch nur kleine Ausschnitte des Landes abdecken.30 Im zweiten Teil des Josuabuchs wurden zudem Listen verwendet, wobei zwischen Grenzbeschreibungen und Städtelisten unterschieden werden muss.31 Der wesentliche Unterschied zu den in Jos 1‒12 verwendeten Ätiologien liegt zudem darin, dass die rekonstruierten Listen weitgehende Rückschlüsse auf zeitgeschichtliche Erfahrungen erlauben. Der überlieferungsgeschichtliche Zugang wurde schließlich in den größeren Zusammenhang des sogenannten DtrG eingepasst, wobei der stämmegeographische Abschnitt Jos 13‒21 weitgehend vernachlässigt wurde. Bei diesem Entwurf geht folglich der erste Teil des Josuabuches zum einen auf ätiologische Stoffe, die in Gilgal tradiert und erst sekundär mit der Person Josua verbunden 26
Vgl. ROBINSON 1907, 258f., der von Jahwist, Jehowist und dtr. beziehungsweise priesterlichen Redaktionen ausgeht. In noch klassischeren Bahnen bewegt sich HOLZINGER 1901, ix–xv; COOKE 1918, xiv–xix. 27 Vgl. zu diesem Haltepunkt in der Forschung NOORT 1998b, 82. 28 Vgl. zu derartigen Entwürfen NOORT 1998b, 87. 29 Vgl. NOTH 1971a, 16: „Man muß sich nun darüber klar sein, daß wir es in der Josuaerzählung nicht nur mit einem stofflich eigenständigen Überlieferungskreis zu tun haben, in dem nur ganz gelegentlich und ganz allgemein auf vorher Geschehenes Bezug genommen wird, sondern daß auch dort, wo das einmal geschieht, greifbare literarische Beziehungen zu bestimmten Erzählungsstücken des Pentateuch sich nicht zeigen.“ 30 Vgl. ALT 1953b, 176–187. Zum ätiologischen Charakter der Landeroberungserzählungen vgl. auch ELSSNER 2019, 49f. 31 Vgl. schon ALT 1925; ALT 1927.
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Einleitung
wurden, sowie auf Kriegserzählungen in Jos 10–11 zurück.32 Lediglich in der Heldensage von Jos 10 könnte Josua fest eingebunden sein.33 Hinzu kommt, dass das dtr. bearbeitete Josuabuch in den größeren Kontext des DtrG eingearbeitet und damit aus dem Hexateuch ausgegliedert wurde.34 Außerdem wurde der Abschnitt der Landverteilung dtr. redigiert, sodass kein Raum mehr für eine priesterlich geprägte Schicht verbleibt und dementsprechend nur priesterliche nachdtr. Zusätze eingebracht werden konnten.35 Auf diese Weise wurde auch die in der Forschung am Pentateuch anzutreffende Diskussion um die Klassifikation der Priesterschrift als Quelle oder Redaktion zugunsten der zweiten Option zumindest für das Josuabuch entschieden, wobei aber die nachdtr. priesterlichen Zusätze im Josuabuch lediglich gering zu veranschlagen sind. Mit dem DtrG war aber nicht nur das Ende des Hexateuchs vorübergehend besiegelt. Vielmehr hat man in der Folgezeit auch nicht mehr nach zugrunde liegenden Quellen wie Jahwist und Elohist in den Vorderen Propheten gesucht. Allerdings gibt es derzeit wiederum eine Gegenbewegung, auch wenn hier nicht mehr Quellenschriften, sondern eher Trägergruppen vermutet werden.36 Nach der Herausarbeitung des DtrG und der Verortung des Josuabuchs innerhalb des DtrG haben sich nur wenige, wirklich abweichende Stimmen zur literarhistorischen Entstehung des Josuabuches geäußert. Vor allem in der skandinavischen Exegese wurde der mündlichen Traditionsbildung weit mehr Raum gestattet. Hierbei wurde der literarische Prozess des Abschreibens und Umschreibens durch mündliche Weitergabe ergänzt, sodass es zu einem Nebeneinander von mündlichen und schriftlichen Stoffen kommen konnte.37 Durch diese mündlichen Prozesse sei aus einem ursprünglichen Jahwisten ein jüngerer mündlich variierter Jahwist geworden. Vor diesem Hintergrund wurde bei der Entstehung des Josuabuches von drei Quellen ausgegangen (Jahwist, Deuteronomist, Priesterschrift).38 Darüber hinaus wurde der erste Teil des Josuabuches gelegentlich kultdramatisch vor dem Hintergrund eines Mazzotfestes in Gilgal gedeutet, wobei hier zwei Quellen herausgearbeitet wurden (Jahwist und Deuteronomist).39 32
Vgl. NOTH 1971a, 11f. Vgl. ALT 1953b, 187–189. 34 Vgl. NOTH 1971a, 9. 35 Vgl. NOTH 1971a, 10f. 36 Neuerdings wird genau diese Fragestellung wiederum aufgeworfen. Jahwist und Elohist werden zudem eher als Schulen und nicht als vorexilische Literaturwerke verstanden, vgl. SCHWARTZ 2016, 783–793. Kritisch aber EDENBURG 2016, 811; RÖMER 2016, 827, die eine wirkliche Fortführung der Pentateuchquellen im Josuabuch bezweifeln. Höchstens auf redaktioneller Ebene seien Angleichungen erfolgt. 37 Vgl. MOWINCKEL 1964, 5. 38 Vgl. MOWINCKEL 1964, 8. 39 Vgl. OTTO 1975, 26–97. Allerdings ist die kultdramatische Deutung der Grundschicht des Josuabuches nicht über jeden Zweifel erhaben, da die entsprechenden Verse erst späten nachexilischen Bearbeitungen zugewiesen werden können, vgl. BIEBERSTEIN 1995, 430. 33
1. Forschungsgeschichte
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In der Folgezeit prägte das Modell eines deuteronomistisch geprägten Josuabuchs lange den wissenschaftlichen Diskurs,40 sodass die priesterlichen Anteile meist unterbewertet wurden. Allerdings wurde in der weiteren Forschungsgeschichte die zunächst vertretene Annahme eines einzelnen „Deuteronomisten“ weitgehend aufgegeben und demgegenüber die Rekonstruktion mehrerer deuteronomistischer Bearbeitungen, späterer Zusätze und nachpriester(schrift)lichen Redaktionen erwogen.41 Diese Differenzierungen gehen auch mit unterschiedlichen Großhypothesen zum DtrG einher (Schichtenmodell oder Blockmodell).42 Hinzu kommt, dass eine einheitliche dtr. Redaktionsarbeit bei den einzelnen Büchern des DtrG kaum nachweisbar ist.43 Es verwundert daher nicht, dass sich derzeit die Stimmen mehren, die einen Großentwurf des DtrG ablehnen und eher von kleinteiliger Redaktionsarbeit ausgehen.44 Die große Schwäche des DtrG liegt zudem in der Beobachtung, dass ein Trito- oder Tetrateuch ein inhaltlich unvollständiges Werk ist, zumal ein Abschnitt über die Landnahme fehlt. Insofern hat sich forschungsgeschichtlich die Vorstellung von einem Hexateuch subkutan immer noch halten können.45 In der aktuellen Debatte wird darüber hinaus sowohl die traditionelle Quellenscheidung im Pentateuch wie auch ein groß angelegtes DtrG gänzlich in Frage gestellt. Vielmehr habe es ursprünglich einen großen Erzählzusammenhang Ex–Jos* gegeben.46 Zu dieser Exodus-Landnahme-Erzählung gehören Teile des Exodus- und Numeribuches sowie Dtn 34,5* und Teile des Josuabuches.47 Mittlerweile ist ein vor-dtr. und vor-priesterlicher Buchzusammenhang
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Nach RÖSEL 2011, 5–7 habe es jedoch vor dem DtrG noch einen vor-dtr. Sammler gegeben, auf den der Kern von Jos 1–10 zurückgehe. Außerdem nimmt er neben dem traditionellen Entwurf eines DtrG vor allem noch eine nach-dtr. Redaktion an. 41 Vgl. BOLING 1982, 132–134; FRITZ 1994, 2–9; SMEND 2002, 162–173. 42 Vgl. hierzu auch RÖMER 2013a, 296–302. 43 Vgl. KRATZ 2020, 118–126. Zur Kritik am DtrG vgl. FREVEL 2013, 69f.; RÖMER 2015. 44 Es verwundert daher nicht, dass in jüngerer Zeit ein großer dtr. geprägter Erzählzusammenhang von Dtn bis 2Kön in Frage gestellt wird. Die „fundamentalen Einwände“ gegen die DtrG-Hypothese werden jedoch von BLUM 2012, 271–283 scharf kritisiert. Zu einem ursprünglichen Erzählzusammenhang eines DtrG vgl. auch KRAUSE 2014, 406–415. 45 Vgl. zu Hexateuch-Entwürfen, die sich vom DtrG markant abheben, GERMANY 2018, 135–138. Auch KNAUF 2008, 20f.; ALBERTZ 2018, 86 gehen von einer Hexateuch-Redaktion aus. 46 Vgl. KRATZ 2000, 195–204, dem zufolge Ex–Jos* später als die dtr. redigierten Samuel- und Königsbücher dtr. überarbeitet wurde. Eine Exodus-Landnahmeerzählung, die von Ex 3–Jos reicht, wird schon von BIEBERSTEIN 1995, 341 vorsichtig ins Gespräch gebracht, auch wenn dies nicht gesichert sei. Zuvor hat bereits TENGSTRÖM 1976, 14–16 eine „Israelsage“ vermutet, die einen Hexateuch umfasst und die früheren Quellen ersetzt. 47 Vgl. GERMANY 2017, 448–455. Nach BÜHRER 2019, 28 ist aber fraglich, ob hier tatsächlich eine „plausible Alternative für einen literarisch rekonstruierbaren vor-priesterschriftlichen Hexateuch“ vorliegt.
8
Einleitung
Ex–Jos durchaus konsensfähig geworden, da eine Exodus-Landnahme-Erzählung aufgrund der inhaltlichen Geschlossenheit durchaus plausibel erscheint.48 Es ist jedoch fraglich, wie und wann die Verbindung mit dem Buch Deuteronomium und mit den priesterlichen Texten stattfand. Gerne wurde in dieser Frage die aus dem Pentateuch erprobte chronologische Abfolge einer dtn/dtr. Redaktion, die eine Art Pentateuch von Exodus bis Josua schuf, vor einer priesterschriftlichen Redaktion vertreten, die als Gegenentwurf schließlich einen Hexateuch schuf. Weitere Redaktionen hätten danach für eine Abspaltung des Pentateuch und eine Verbindung von Josua- und Richterbuch sowie für den Buchzusammenhang der Nebîʾîm gesorgt.49 Fraglich ist zudem, wie viele vordtr. und vor-priesterliche Redaktionen herausgearbeitet werden können. Möglicherweise ist nämlich der Erzählzusammenhang Ex–Jos von mehreren vordtr. Redaktoren bearbeitet worden.50 Darüber hinaus wurde der Erzählzusammenhang Ex–Jos bisweilen nach vorne erweitert und ein vorpriesterliches „Jerusalemer Geschichtswerk“ (JG) rekonstruiert, das von Gen 12 bis Jos 24 reicht und im 7. Jahrhundert v. Chr. angesetzt wird.51 Manchmal wurde demgegenüber ein ursprünglicher Erzählzusammenhang sogar von Ex–1Kön 12 vermutet,52 sodass am Anfang der literarhistorischen Genese eine Art dtr. redigierter Enneateuch beziehungsweise Octateuch gestanden hätte.53 Als Gegenentwurf zu einer Exodus-Landnahme-Erzählung wurde hingegen auch eine dtr. Landeroberungserzählung (DtrL) vermutet,54 die einem vor48
Vgl. zu einem Erzählzusammenhang Ex–Jos KRATZ 2002, 316–322; BECKER 2006, 152; SCHMID 2008, 89; BERNER 2010, 430f.; GERTZ 2010, 289–293; FREVEL 2011, 28f.; NIHAN 2012, 107–109; FREVEL 2014, 298; KNAUF 2014, 73; SCHMID 2014, 45f.; FREVEL 2020, 119. Vgl. auch FREVEL 2011, 29, der von einem „nahezu neuen Konsens der Pentateuchforschung“ ausgeht. Dagegen aber BLUM 2012, 141, dem zufolge die Exodus-Landnahme-Erzählung nur einen schütteren Erzählzusammenhang bilde. 49 Vgl. KNAUF 2008, 17–22, der in diesem Zusammenhang von einer Propheten-/Buchredaktion, einer Jos-Ri-Redaktion und einer Sichem-/Tora-Propheten-Redaktion spricht. 50 BIEBERSTEIN 1995, 431–433 geht von einer Grundschicht A aus, die von einer Redaktion B und C bearbeitet wurde. Ob ein DtrA bereits nach der Grundschicht A gewirkt hat, sei fraglich. Auf alle Fälle habe es danach noch zwei dtr. und eine priesterliche Redaktion sowie zwei weitere Bearbeitungen gegeben. 51 Vgl. ZENGER 2004, 101–103. Kritisch zu derartigen Entwürfen jedoch KRATZ 2002, 296–299. 52 Vgl. SCHMID 1999, 138–143. 53 Schon Baruch Spinoza hat im 8. Kapitel seines Tractatus theologico-politicus die Zusammengehörigkeit des Enneateuch begründet, der auf einen einzigen Verfasser zurückgeführt werden könne, vgl. SPINOZA 1870, 129–142. Kritisch zu einem Enneateuch aber ACHENBACH 2005, 126–132. 54 Zu einer derartigen DtrL mit jeweils unterschiedlicher Abgrenzung vgl. LOHFINK 1981, 92–96; MOENIKES 2003, 71–77; NOORT 2008, 119; OSWALD 2009, 96; BIEBERSTEIN 2011, 165–167; BRAULIK 2011a, 89–95; GROSS 2011, 189.201. Kritisch zu einer DtrL jedoch BLUM 2012, 148–151; NIHAN 2012, 83–93; KRAUSE 2014, 413–415. Zur konzeptionellen Zweiteilung des Josuabuches vgl. auch GASS 2019b, 377–382.
2. Aktuelle Forschungsfragen
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priesterlichen Hexateuch vorausging.55 Denn mit den historischen Zusammenfassungen in Dtn 1–11 liegt vermutlich der Anfang eines unabhängigen literarischen Werks vor.56 Ein Hexateuchredaktor habe schließlich eine DtrL entweder mit nicht-priesterschriftlichen Materialien57 oder mit der Priesterschrift58 verbunden. Darüber hinaus hat man ältere Beobachtungen zu einer priesterschriftlichen Bearbeitung in Jos 13‒22 weiterverfolgt. Dies ist schon deshalb sinnvoll, da die Priesterschrift erzählimmanent auf die Einlösung der zugesagten Verheißungen hin angelegt ist. Dementsprechend wurde Jos 13–22 bisweilen als ein priesterschriftlicher Abschnitt gedeutet, der möglicherweise erst sekundär in das Josuabuch transferiert wurde.59 Auf diese Weise bietet es sich an, von einem dtr. (Jos 1–12) und einem priesterlich geprägten Josuabuch (Jos 13–22) zu sprechen. Demnach wäre erst dann ein Hexateuch redaktionell gebildet worden, als man eine DtrL mit einem priesterlich geprägten Buchzusammenhang Genesis–Levitikus verbunden hat.60 Schließlich wird das Josuabuch neuerdings als unabhängige zweiteilige Erzählung gedeutet, die sich von einem DtrG abhebt. Der Autor des Josuabuchs habe verschiedene Quellen sowie Traditionen aus dem Richterbuch verwendet. Das Josuabuch habe zudem den Pentateuch gekannt, wobei durchwegs dtr. und priesterliche Idiomatik gemischt werden. Eine nomistische Redaktion habe schließlich diesen samaritanischen Gründungsmythos in die jetzige Form gebracht.61 Dieser Entwurf unterscheidet nicht mehr wirklich zwischen einzelnen Schichten und betrachtet die Entstehung des Josuabuchs unabhängig von Pentateuch und Richterbuch, auch wenn Materialien davon durchaus aufgenommen wurden.
2. Aktuelle Forschungsfragen Vor dem oben skizzierten Befund der Forschungsgeschichte ergeben sich zahlreiche Fragestellungen, die am Textabschnitt Jos 9–12 näher profiliert werden sollen. In den Landeroberungserzählungen haben sich – wie schon oft gezeigt
55
Vgl. CARR 2011a, 290f.; CARR 2011b, 83. Vgl. CARR 2011b, 75f. Vgl. zu einer Diskussion dieses schwierigen Problems auch GASS 2019b, 380–382. 57 Vgl. CARR 2011a, 291f.; CARR 2011b, 82. 58 Vgl. zu diesem Entwurf vor allem ACHENBACH 2003, 31–33; OTTO 2011, 101–103; OTTO 2015, 340. 59 Vgl. CORTESE 1990. 60 Vgl. OTTO 2004, 29; Otto 2011, 101–103; OTTO 2015, 339f. 61 Vgl. DOZEMAN 2015, 24–32. 56
10
Einleitung
wurde – zahlreiche dtr. Idiome erhalten, die es nahelegen, dass dieser Textabschnitt zumindest von einer dtr. Redaktion bearbeitet wurde.62 Die Untersuchung der Landnahmetexte soll vor allem folgende Fragen näher in den Blick nehmen: 1)
In der neueren Forschung werden insbesondere die unterschiedlichen Textformen des Josuabuches verstärkt in den Blick genommen. Vor allem die altgriechische Übersetzung könnte mitunter einen älteren Text bewahrt haben, der zuverlässiger als der mittelalterliche MT ist. Außerdem sind die abweichenden Lesarten der Vetus Latina zu berücksichtigen, da dieser Übersetzung noch eine sehr alte Textform zugrunde liegt. Glücklicherweise liegt mit dem Codex Lugdunensis eine vollständige Ausgabe der altlateinischen Übersetzung des Josuabuches vor.63 In neueren Studien wurde zudem gezeigt, dass die textkritische Arbeit auch für die Bestimmung von literarkritischen Vorstufen wichtig ist.64 Vor dem disparaten Befund der Versionen ist die literarhistorische Bewertung einzelner Textteile besonders zu profilieren. Denn Verse oder Versteile, die ohne Grund im altgriechischen beziehungsweise altlateinischen Josuabuch noch fehlen, können keinen Anspruch darauf erheben, zur frühesten oder zu frühen Formen des Josuabuchs gerechnet werden zu dürfen. Dementsprechend ist es methodisch nicht geboten, die beiden Untersuchungsschritte der Textund Literarkritik strikt voneinander zu trennen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit man bei der literarkritischen Arbeit auch den idiomatischen Befund einbeziehen muss. Es hat sich zumindest gezeigt, dass gerade im zweiten Teil des Josuabuchs ein spezifisch priesterlicher Idiolekt verwendet wurde,65 was auch literarkritische Konsequenzen für die Abgrenzung einer frühen Zusammenstellung der Stammesgebiete und darüber hinaus hatte. Da es gute Gründe für eine
2)
62
Vgl. nur WEINFELD 1972, 320–359: hammāqôm ʾašær yibhār „der Ort, den er erwählen wird“ (Jos 9,27) vgl. Dtn 12,5.11.14.18.21.26; 14,23.24.25; 15,20; 16,2.6.7.11.15.16; 17,8. 10; 18,6; 26,2; 31,11; ḤZQ weʾMṢ „stark und mutig sein“ (Jos 10,25) vgl. Dtn 3,28; 31,6.7.23; loʾ/ʿal YRʾ weloʾ/ʿal ḤTT „nicht fürchten und erschrecken“ (Jos 10,25) vgl. Dtn 1,21; 31,8; loʾ hišʾîr śārîd „keinen Entronnenen übriglassen“ (Jos 10,28.30.37.39.40) vgl. Dtn 2,34; ʿad biltî hišʾîr lô śārîd „sodass keiner entrinnen konnte“ (Jos 10,33; 11,8) vgl. Dtn 3,3; kål nešāmāh „Gesamtheit an Atem“ (Jos 10,40; 11,11.14) vgl. Dtn 20,16; yeruššāh „Besitz“ (Jos 12,6.7) vgl. Dtn 2,5.9.12.19; 3,20. 63 Vgl. ROBERT 1900. Weshalb in den meisten Studien auf Vetus Latina weitgehend verzichtet wird, ist nicht ersichtlich. Zur Bedeutung dieses wichtigen Codex vgl. SIGISMUND 2012, 633f. 64 Vgl. für das Josuabuch DE TROYER 2005; DE TROYER 2016; DE TROYER 2017; MÄKIPELTO 2018; DE TROYER 2018; GASS 2019b; GASS 2021a. Schon STIPP 1990a; STIPP 1990b hat sich intensiv mit der Frage nach einer Verbindung der beiden Methodenschritte Textkritik und Literarkritik auseinandergesetzt. 65 Vgl. GASS 2019c, 215–223.
2. Aktuelle Forschungsfragen
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Ausgrenzung des priesterlich geprägten Abschnitts Jos 13–22 aus dem Josuabuch gibt,66 muss darüber hinaus geklärt werden, wie die wenigen priesterlichen Idiome im ersten Teil des Josuabuchs redaktionell eingeordnet werden können. Außerdem ist fraglich, welche Idiome tatsächlich als dtn/dtr. betrachtet werden können. Während die ältere Exegese zahlreiche Bezüge zwischen dem Josuabuch und dem Buch Deuteronomium herausgestellt hat,67 ist man mittlerweile viel vorsichtiger geworden.68 Trotzdem sollte man die dtr. Überarbeitung und Redaktion vor allem im ersten Teil des Josuabuchs (Jos 1–12) nicht unterbewerten. Möglicherweise kann man nach Abzug der dtr. Übermalung eine ursprüngliche Landeroberungserzählung oder Teile derselben herausschälen. In jedem Fall sollte man die einschlägige dtr. Idiomatik nicht vorschnell zu den ursprünglichen Erzählungen rechnen. Somit bleibt zu zeigen, dass auch noch nach Abzug der geprägten Idiomatik ein verständlicher Text übrigbleibt. Wenn nur eine fragmentarische ursprüngliche Erzählung rekonstruiert werden kann, dann ist die literarkritische Abgrenzung höchst unsicher. Darüber hinaus muss aber auch gezeigt werden, dass die redaktionellen Erweiterungen logisch nachvollziehbar erfolgten. Denn man sollte nicht von gedankenlosen Redaktoren ausgehen, die den Text jeweils nach Gutdünken erweitert haben. Da der Text des Josuabuchs zudem zahlreiche Wachstumsspuren aufweist, ist davon auszugehen, dass die Suche nach vor-dtr. Schichten und dtr./priesterlichen Redaktionen durchaus sinnvoll ist. Auch wenn sich zeigen wird, dass vermutlich viele Hände an den Landeroberungserzählungen gearbeitet haben, sollte man bei der literarkritischen Arbeit jeweils nur die Textteile ausgrenzen, für die es keine andere Erklärung gibt, getreu dem Grundsatz von Ockhams Rasiermesser (Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem69). Darüber hinaus sollte man nicht vorschnell kleinste Einheiten zu Quellen oder redaktionelle Zusätze zu redaktionellen Schichtungen verbinden, es sei denn, dass diese Elemente aufgrund von sprachlichen Beobachtungen mit großer Wahrscheinlichkeit zusammengehören. Schließlich müssen die einzelnen Textschichten in eine relative Chronologie gebracht und literarhistorisch verortet werden. Bei der literarkritischen Arbeit sollen zudem bisherige literarhistorische Entwürfe kritisch diskutiert und deren Schwachstellen aufgewiesen werden. Auch in früheren Arbeiten wurden gute Beobachtungen angestellt, die ebenfalls zu berücksichtigen sind. Bei der folgenden Untersuchung soll jedoch nicht
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66
Vgl. GASS 2019c, 208–210. Vgl. nur exemplarisch HOLLENBERG 1874. 68 Vgl. nur WEINFELD 1972, 320–359. 69 CLAUBERG 1654, 320. 67
12
Einleitung
vor die Zeit von Martin Noth zurückgegangen werden, da die frühere Diskussion – wie gesehen – von zu vielen überholten Thesen der Pentateuchkritik geprägt war. Abschließend stellt sich die Frage, auf welcher literarhistorischen Ebene überhaupt ein Hexateuch entstanden sein kann. Auf der einen Seite wurde in der Forschungsgeschichte davon ausgegangen, dass es seit jeher einen primitiven Buchzusammenhang gegeben habe, der den Bereich Exodus– Josua umfasst. Auf der anderen Seite vermutete man, dass der Hexateuch ein spätes redaktionelles Produkt sei, das durch die Zusammenstellung eines Trito-/Tetrateuchs mit dem DtrG oder einer DtrL erst redaktionell und als Alternative zu einem Pentateuch entstanden sei.70 Im zweiten Fall wäre der Hexateuch nicht seit jeher eine Buchgröße gewesen, die den im Pentateuch aufgeworfenen Sinnzusammenhang einlöst.
5)
Freilich können nicht alle Fragen angesichts ihrer Komplexität befriedigend gelöst werden. Aber die Beobachtungen dieser Studie sollen helfen, ein konsensfähiges Modell der Entstehung des Josuabuchs im Rahmen eines Buchzusammenhangs Dtn–Jos (DtrL), eines Hexateuchs (Gen–Jos) beziehungsweise Pentateuchs (Ex–Jos) oder gar eines Enneateuchs zu entwickeln, wobei diese drei Optionen zunächst noch offengehalten werden müssen. In früheren Studien hat sich zudem gezeigt, dass die Zweiteilung des Josuabuchs in einen dtr. und einen priesterlich geprägten Teil durchaus plausibel ist.71 Vor diesem Hintergrund muss die literarhistorische Einordnung der dtr. Anteile in Jos 1–12 angemessen beurteilt werden, gerade in ihrer Verhältnisbestimmung zu den vor-dtr./vor-priesterlichen Anteilen und den übrigen redaktionellen Bearbeitungsschichten. Sollte sich nämlich herausstellen, dass in Jos 1–12 die priesterlichen Bearbeitungsspuren vor der dtr. Redaktion eingetragen wurden, dann ist ein dtr. geprägter Buchzusammenhang Dtn–Jos eigentlich ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund liefert die folgende Untersuchung weitere Hinweise, die künftig bei Großhypothesen berücksichtigt werden müssen.
70 71
Vgl. insgesamt zu diesen Positionen GERMANY 2018, 142f. Vgl. GASS 2019b; GASS 2021a.
Kapitel 1: Die List der Gibeoniter oder wie man eine religiöse Vorgabe ungestraft umgehen kann (Jos 9) Einleitung
Die Erzählung in Jos 9 hebt sich von den übrigen Josuaerzählungen markant ab. Zum einen wird Josua nicht in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt. Vielmehr werden viele Handlungsträger genannt, die beim Bundesschluss und bei der rechtlichen Beurteilung des erschlichenen Bundes auftreten. Es zeigt sich hier, dass weder Josua noch die Anführer Israels als Helden geschildert werden. Denn neben ihren Triumphen werden auch ihre Fehler gezeigt. Vielleicht soll auf diese Weise betont werden, dass lediglich YHWH der einzig wirkliche Held bei der Landnahme ist,1 während die menschliche Mitwirkung immer wieder von Fehlern gezeichnet ist. Zum anderen wird nur hier ein göttliches Gebot absichtlich nicht ausgeführt.2 Denn das dtn. Banngebot in Dtn 7 hätte eigentlich den Vollzug der Bannweihe an der vormaligen Bevölkerung des Verheißungslandes erfordert. Möglicherweise ist Jos 9 entstanden, um sich mit der schwierigen Frage nach dem Verbleib von indigenen Bevölkerungsgruppen im Verheißungsland auseinanderzusetzen.3 Denn eine vollständige Auslöschung der Vorbevölkerung ist historisch nicht erfolgt, sodass der Umstand, dass es die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen in Israel gibt, erklärt werden musste. Mithilfe einer List, die Vorgaben der Tora berücksichtigt und kreativ anwendet, hat es zumindest ein Teil der indigenen Bevölkerung erreicht, dass man mit Israel im Land leben konnte, auch wenn der rechtliche Status eingeschränkt war.
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen Im Folgenden sollen die auffälligen textkritischen und sprachlichen Probleme versweise vorgestellt und diskutiert werden, um einen ersten Überblick über Jos 9 zu erhalten. Die vielen Spannungen des Textes werden in einem eigenen Punkt zusammengetragen.
1
Vgl. COLESON 2012, 93. Vgl. SCHMITT 1970, 31. 3 Vgl. zum Problem LATVUS 1998a, 114. 2
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
V.1: Während MT von kål hammelākîm „Gesamtheit der Könige“ spricht, verzichtet LXX auf den All-Quantor und ergänzt stattdessen noch das Ethnonym „Amoriter“ (οἱ βασιλεῖς τῶν Αμορραίων), mit dem danach im gleichen Vers ein Teil der indigenen vorisraelitischen Bevölkerung beschrieben wird. Vielleicht gleicht LXX hier an Jos 5,1 an, wo bereits im MT von malkê hāʾæmorî „Königen der Amoriter“ die Rede ist.4 Beide Stellen sind zumindest Parallelen, bei denen zunächst die Könige der indigenen Bevölkerung Kanaans vom Siegeszug der Israeliten hörten und danach entweder mit Furcht oder mit vereinten Kräften reagierten. In Jos 12,7 werden zudem die malkê hāʾāræṣ „Könige des Landes“ in LXX als „Könige der Amoriter“ bezeichnet (οἱ βασιλεῖς τῶν Αμορραίων). Vor diesem Hintergrund ist es naheliegend, dass der griechische Übersetzer beide Stellen aneinander angeglichen hat.5 Bisweilen wird angenommen, dass die Völkerliste in V.1 sekundär ergänzt wurde. Da in dieser Liste ebenfalls Amoriter unter den sechs Völkern der Vorbevölkerung genannt werden, habe MT das Ethnonym „Amoriter“ hinter „Könige“ gestrichen, während LXX diese Tilgung noch nicht bezeuge.6 Allerdings gibt es keinen zwingenden Grund dafür, dass die Völkerliste sekundär ergänzt wurde. Dann entfällt aber auch der Grund dafür, dass es in V.1 zu einer Ausscheidung von Amoriter hinter „Könige“ kommen konnte.7 Möglicherweise wird das Wort „Amoriter“ hier nicht als Ethnonym, sondern entsprechend seiner Etymologie als generische, inklusive Beschreibung für „westlich“ verwendet. Dann hätte man ein Wortspiel zwischen der Bevölkerungsgruppe der Amoriter und der Vorbevölkerung westlich des Jordan.8 Zunächst wird die feindliche Urbevölkerung topographisch beschrieben. Im Anschluss folgt mit der Völkerliste eine ethnographische Umschreibung. Der Ausdruck beʿebær hayYarden „jenseits des Jordans“ ist vor allem dtr. geprägt.9 Hier wird eine ostjordanische Perspektive eingenommen,10 die das Westjordanland in den Blick nimmt. Dementsprechend ist beʿebær hayYarden mit „westlich des Jordans“ zu übersetzen.11 Da in V.1 zudem mit den geographischen 4
Vgl. BENNETT 1895, 27. Vgl. hierzu auch DEN HERTOG 1996, 73. 6 Vgl. zu dieser literarhistorischen Konstruktion HOLMES 1914, 46; BRIEND 1990, 126. 7 Vgl. COOKE 1918, 75. 8 Vgl. hierzu BOLING 1982, 261. 9 Vgl. Gen 50,10.11; Dtn 1,1.5; 3,8.20.25; 4,41.46.47; 11,30; Jos 1,14.15; 2,10; 5,1; 7,7; 9,1.10; 12,1.7; 13,8; 22,4.8; 24,8; Ri 5,17; 10,8; 1Sam 31,7. In der Regel ist mit dieser Idiomatik im Josuabuch – abgesehen von Jos 5,1; 9,1; 12,7; 22,7 das Ostjordanland gemeint, vgl. JERICKE 2020, 25. 10 Vgl. SOGGIN 1982, 108; HAWK 2000, 137. 11 Vgl. COOKE 1918, 75; BUTLER 2014, 444. Vgl. auch LLOYD 1886, 119; OETTLI 1893, 152; HERTZBERG 1985, 65; BIEBERSTEIN 1995, 169; RÖSEL 2011, 145. Dieser Ausdruck kann aber auch das Ostjordanland bezeichnen – je nach Standpunkt des Erzählers, vgl. HOWARD 1998, 220. Nach BRIEND 1990, 126f. werde der Ausdruck beʿebær hayYarden von 5
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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Bezeichnungen deutlich wird, dass es sich um Cisjordanien handeln muss, musste nicht noch ein erklärender Zusatz hinter beʿebær hayYarden eingetragen werden.12 Insofern ist es auch nicht nötig, dass hier implizit der Jordanübertritt zurückgenommen wird und Israel wieder von außen auf das Verheißungsland blickt.13 Die Trias „Gebirge, Hügelland, Küste“ findet sich ansonsten nur noch in Dtn 1,7, wo den Israeliten befohlen wird, in das Verheißungsland einzuziehen.14 Durch diese geographischen Bestimmungen wird der Ausdruck beʿebær hayYarden auf das Westjordanland hin präzisiert.15 Allerdings wird in V.1 im Gegensatz zu Dtn 1,7 auf Araba und Negev verzichtet, da diese Regionen bei den folgenden Feldzügen nicht berücksichtigt werden. Die beiden geographischen Begriffe „Gebirge“ und „Hügelland“ beziehen sich in erster Linie auf das Stammesterritorium von Juda. Erst die dritte Bezeichnung umfasst die gesamte Küstenebene bis zum Libanon.16 Der Begriff ḥôf „Küste“ findet sich fast ausschließlich in poetischer Literatur.17 Nur in Dtn 1,7 wird dieser seltene Ausdruck für Küste ebenfalls verwendet, sodass hier ein dtr. Bezugssystem vorliegen könnte. Schon vor diesem Hintergrund wird klar, dass hier eine dtr. Hand die geographischen Angaben im Blick auf Dtn 1,7 eingetragen hat. Im Gegensatz zu MT verwendet LXX das Toponym Antilibanon anstelle von Libanon.18 Ab Jos 11 wird Libanon auch von LXX korrekt mit Λίβανος wiedergegeben. Möglicherweise gab es einen zweiten Übersetzer, der die bisherige Praxis nicht übernahm. Es ist demgegenüber aber wahrscheinlicher, dass LXX das Gebiet von der phönikischen Küstenebene nach Nordosten vergrößern wollte und aus diesem Grund noch den Antilibanon genannt hat.19 Dadurch dass der Antilibanon in LXX syndetisch angeschlossen wird (καὶ οἱ πρὸς τῷ ᾿Αντιλιβάνῳ), könnte es sich in der Tat um eine sekundäre Ausweitung des griechischen Übersetzers handeln, zumal die geographische Angabe „jenseits des Jordan“ den Antilibanon bereits per se ausgeschlossen hätte. Aus alledem folgt, dass zwei verschiedenen Redaktionen jeweils entweder für die Region westlich oder östlich des Jordans verwendet. 12 Vgl. STEUERNAGEL 1900, 186. 13 So aber BALLHORN 2011, 207. 14 Nach HARSTAD 2004, 376 seien die geographischen Angaben ergänzt worden, um die historische Zuverlässigkeit der Ereignisse zu unterstreichen. 15 Vgl. auch BRIEND 1990, 128. 16 Vgl. zu dieser Gliederung RÖSEL 2011, 145f. 17 Gen 49,13; Ri 5,17; Jer 47,7; Ez 25,16. 18 Zu dieser Wiedergabe vgl. Dtn 1,7; 3,25; 11,24; Jos 1,4. Anders hingegen Jos 11,17; 12,7; 13,5.6, wo diese Änderung zu Antilibanon nicht belegt ist. Vgl. zum Problem auch AULD 2005, 88. Die zusammengesetzte Präposition ʾæl mûl könnte zwar „gegenüber von“ heißen, aber die Grundbedeutung von mûl ist eigentlich „nahe an der Vorderseite“, vgl. GASS 2021a, 213. MULDER 1984, 464f. vermutet, dass die Bezeichnung halLebānôn meist eine allgemeine Bezeichnung für das gesamte Libanongebirge ist. 19 Vgl. OETTLI 1893, 152.
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
die abweichende Übersetzung Antilibanon eine sekundäre Ausweitung des Gebiets anzielt. Während MT die Völkerliste asyndetisch anreiht und auf diese Weise die Unterscheidung zwischen Königen und Völkern nicht mitträgt,20 verwendet LXX hier die Kopula καὶ. Die Lesart der LXX ist somit eine lectio facilior, die den sperrigen Text vereinfacht. Darüber hinaus erweitert LXX die Liste der Vorbevölkerung um die Girgaschiter. Auf diese Weise wird eine Siebenerliste an indigenen Völkern geschaffen.21 Die Lesart der LXX ist somit eine nachträgliche Angleichung an die Völkerlisten in Jos 3,10 und Jos 24,11, wo ebenfalls sieben Völker – allerdings in abweichender Reihenfolge – genannt werden. Außerdem sollte auf diese Weise der Bezug zu Dtn 7,1 verstärkt werden, wo ebenfalls auf sieben Völker verwiesen wird, die unbedingt von YHWH hinausgetrieben werden. Demgegenüber wurde im MT die Anzahl und Anordnung der sechs Fremdvölker von Dtn 20,17 eingetragen.22 Da ansonsten in Jos 9 immer wieder ein intertextueller Bezug zu Dtn 20 vorliegt,23 verwundert es nicht, dass man die Sechserliste aus Dtn 20,17 verwendet hat. Die Girgaschiter fehlen zudem in Jos 11,3 – sowohl in MT wie in LXX –, wo ebenfalls die sechs indigenen Fremdvölker genannt werden. Schon vor diesem Hintergrund muss auch in V.1 MT nicht abgeändert werden. Die Verwendung der sechs Völker des Verheißungslandes aus Dtn 20,17 ist darüber hinaus eine ironische Einleitung zur folgenden Gibeonitererzählung.24 Denn Israel schließt mit den Hewitern von Gibeon im Anschluss einen Bund, was nach Dtn 20,17 aber strikt verboten war.25 Die bislang geschilderten Abweichungen der LXX werden zudem allesamt nicht von Vetus Latina und Vulgata mitgetragen. Außerdem beschränkt sich Vetus Latina nur auf die Hetiter, Perisiter und Hewiter und gibt den Ausdruck šefelāh „Hügelland“ als Toponym Secelat wieder.
20
Vgl. BOLING 1982, 257. Vgl. BOLING 1982, 257; SOGGIN 1982, 108; BUTLER 2014, 431. Nach HOLMES 1914, 46; HERTZBERG 1985, 65 seien die Girgaschiter versehentlich entfallen. LLOYD 1886, 120 vermutet, dass die Girgaschiter aufgrund ihrer geringen Größe ausgefallen seien. Nach jüdischer Tradition seien die Girgaschiter nach Afrika emigriert, vgl. HARSTAD 2004, 375. Die Anordnung der Amoriter hinter den Hewitern und vor den Girgaschitern in LXX lässt sich hingegen kaum erklären. Nach GROSS 2012, 124 beruhen diese Listen nicht auf historischen oder territorialen Vorstellungen; außerdem sind einige Völker rein sagenhaft zu beurteilen. 22 Die Abfolge Hetiter, Amoriter, Kanaanäer, Perizziter, Hewiter, Jebusiter ist nur in Dtn 20,17; Jos 9,1; 12,8 belegt. Nach DEURLOO 1992, 71 spiele Jos 9 zudem midraschartig mit den Vorgaben von Dtn. Nach EDERER 2017, 157 werde aufgrund der Völkerliste aus Dtn 20 ein deutlicher Bezug auf die Kriegsgebote und das Bannweihegebot hergestellt. 23 Zu der Verbindung zwischen Jos 9 und Dtn 20 vgl. auch HUBBARD 2009, 283. 24 Vgl. HOWARD 1998, 221. 25 HUBBARD 2009, 285 weist noch auf Ex 34,11–12 hin, wo ebenfalls auf das Verbot des Bundesschlusses mit der autochthonen Bevölkerung hingewiesen wird. 21
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
17
Das Idiom wayehî kišmoaʿ „und es geschah, als … hörten“ ist mit einem gewissen Schwerpunkt vor allem im Josuabuch belegt.26 Das dazugehörige Objekt ist in V.1 kontextgetilgt. Es handelt sich hierbei sicherlich um die in den Kapiteln zuvor beschriebenen Ereignisse,27 die hier nicht noch einmal beschrieben werden mussten. Allerdings ist fraglich, ob entweder die Eroberung von Jericho und Ai in Jos 6–828 oder der Altarbau auf dem Garizim nach Jos 8,30–35 im Blick ist. Die zweite Deutung ist freilich nur dann möglich, wenn die Erzählabfolge des MT beibehalten wird, zumal in den anderen Versionen die Position von Jos 8,30–35 differiert. Bei der Anordnung des MT könnte man folglich Jos 9,1–2 als Reaktion auf das Bundesritual in Jos 8,30–35 werten, das als Kolonialisierungsritual verstanden worden wäre.29 In diesem Fall wäre die Versammlung der kanaanäischen Könige eine Folge der religiös konnotierten Handlung der Israeliten. Allerdings ist die Position von Jos 8,30–35 vor der Gibeonitererzählung nicht über jeden Zweifel erhaben. In frühjüdischer Zeit trug Flavius Josephus eine Erzählung vom Altarbau bereits nach dem Jordanübergang,30 und später noch einmal vor der Landverteilung ein.31 Offenbar teilte man zur Zeit des Zweiten Tempels die Textanordnung von MT nicht. Die Textzeugen aus Qumran setzen in 4QJosha zudem die Passage mit dem Altarbau in Jos 8,30–35 zwischen Jos 4 und Jos 5,32 sodass direkt nach dem Einzug ins Verheißungsland der Altar gemäß Dtn 27,2–8 bereits gebaut wird. Diese redaktionelle Positionierung von Jos 8,30–35 könnte darauf zurückzuführen sein, dass hier Josua weniger als Krieger, der sofort das Verheißungsland einnimmt, sondern eher als Mann der Tora stilisiert werden sollte.33 Letztendlich ist die Positionierung von Jos 8,30–35 weder in LXX noch in MT wirklich gelungen.34 Auch die übrigen Textzeugen trugen ihr eigenes Vorverständnis ein, um den Altarbau an einer für sie prominenten Textstelle zu positionieren. Das Verb ŠMʿ „hören“ ist zudem ein Leitwort der Erzählung, das die Erzählabfolge in Jos 9 motiviert. Die Kanaanäer (Jos 9,1) und die Gibeoniter 26 Vgl. Gen 29,13; 39,19; Jos 5,1; 6,20; 9,1; 10,1; Ri 7,15; 1Kön 13,4; 14,6; 21,27; 2Kön 6,30. Nach FRITZ 1994, 104 handele es sich um eine typische Überleitungsformel dtr. Stils. 27 Vgl. zum Problem HOLZINGER 1901, 32; STONE 1991, 29. 28 Nach VAN DER MEER, 481 schließe Jos 9,1 perfekt an die Jericho- und Ai-Erzählung an. 29 Vgl. SANDERS 2005, 134f. Kritisch hierzu aber KRAUSE 2014, 283 Anm.35. 30 Vgl. Jos Ant 5:20. 31 Vgl. Jos Ant 5:69. Zu Flavius Josephus vgl. auch BEGG 1997, 125. 32 Vgl. NOORT 1998a, 129–135; RÖSEL 2001, 199. 33 Vgl. zum Problem NOORT 1998a, 139. 34 Vgl. FABRY 2000, 40f. Die Beobachtung der Sperrigkeit spricht dafür, dass Jos 8,30– 35 tatsächlich zunächst irgendwo zwischen Jos 8 und Jos 9 stand und erst im Nachhinein nach vorne gezogen wurde, wo die Erzählung besser passt, vgl. auch KRAUSE 2014, 286. Zum Problem der Positionierung von Jos 8,30–35 vgl. auch HECKL 2013, 92–96; RICHTER/HAWKINS 2021, 349–352.
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
(Jos 9,3.9) hörten vom Eroberungszug der Israeliten und treffen daher unterschiedliche Entscheidungen. Auch die Israeliten hörten (Jos 9,16), dass sie betrogen worden sind.35 Die Darstellungsweise von Jos 9 mit dem Motiv des Hörens lässt sich gut mit außerbiblischen Parallelen vergleichen.36 Das „Hören“ von der machtvollen Eroberung des Landes durch die Israeliten löst zum einen die Mobilmachung der kanaanäischen Könige, aber auch die Unterwerfung der Gibeoniter aus.37 Aber auch in der ersten Hälfte des Josuabuchs ist das Verb ŠMʿ „hören“ ein wichtiges Element der Strukturierung. Schon zu Beginn und im Verlauf des Josuabuchs hörten die Kanaanäer von der Geschichtsmächtigkeit YHWHs und dem Siegeszug der Israeliten. Nach Jos 2,10–11 löst das Wunder am Schilfmeer und die Vernichtung der ostjordanischen Amoriterkönige Furcht und Schrecken aus. Nach Jos 5,1 hörten die Könige der Amoriter von der Überquerung des Jordans, was ebenfalls zu Panik führt. In Jos 9,1 ist hingegen die Situation und die formale Gestaltung eine ganz andere.38 Zum einen wird nicht ausgeführt, was die Kanaanäer gehört haben. Zum anderen wird hier eine Völkerliste genannt, die offenbar vom Siegeszug Israels gehört hat. Darüber hinaus fürchtet sich die indigene Bevölkerung nicht vor Israel. Ganz im Gegenteil: Man trifft nun Vorbereitungen, um Israel gemeinsam zu bekämpfen. Während sich die Kanaanäer zuvor lediglich verteidigt haben, gehen sie jetzt zum Angriff über. Die Niederlage der Israeliten vor Ai könnte den Kanaanäern gezeigt haben, dass die Israeliten eben nicht unbesiegbar sind.39 Insofern stehen die Chancen nicht schlecht, gemeinsam Israel besiegen zu können. Nicht ohne Grund soll die lange Völkerliste und der Verweis auf die Gesamtheit der Könige unterstreichen, dass die Kanaanäer alles aufbieten, um der drohenden Auslöschung durch die Israeliten zu entgehen.40 V.2: Unmittelbar nachdem die kanaanäischen Könige von den Ereignissen hörten, versammelten sie sich, um das weitere Vorgehen abzusprechen. Das Adverb yaḥdāw kann verschiedene Bedeutungen haben. Es kann kooperativ 35 Vgl. zu diesem Leitwort NELSON 1997, 130; MATTHEWS 2016, 80. Nach KNAUF 2008, 91 sei dieses Lexem auch ein Leitmotiv, das die erste Hälfte des Josuabuches insgesamt strukturiere, vgl. Jos 2,10–11; 5,1; 6,27; 7,9; 9,1.3.9; 10,1; 11,1. 36 Vgl. zu den Parallelen YOUNGER 1990, 200f. 37 Zu den unterschiedlichen Reaktionen auf das „Hören“ vgl. auch WAZANA 2021, 106. WAZANA 2019, 122 Anm.2 weist darauf hin, dass in neuassyrischen Texten ebenfalls die Idiomatik „Hören“ in vergleichbaren Kontexten verwendet wird. 38 Nach RÖSEL 2011, 145 sei daher V.1–2 nicht auf den Autor von Jos 5,1 zurückzuführen. 39 Vgl. hierzu schon KEIL 1847, 156. HESS 1996a, 193 vermutet, dass die Generalmobilmachung der Kanaanäer eine Reaktion und eine Konsequenz auf die Sünde Achans in Jos 7 sei. Ähnlich auch HOWARD 1998, 218, der zusätzlich auf den Fluch bei Ungehorsam gegenüber den Weisungen YHWHs nach Dtn 28 hinweist; HUBBARD 2009, 283. 40 HESS 1996a, 194 weist zusätzlich darauf hin, dass auch Jos 10,1 und Jos 11,1 mit einem Hören beginnt, worauf eine Allianz geschmiedet werde. Nach HOWARD 1998, 218 werden Jos 9–11 durch dieses Leitwort insgesamt zusammengebunden.
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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„gemeinsam“ oder temporal „zur gleichen Zeit“ übertragen werden.41 LXX schlägt demgegenüber eine lokale Wiedergabe ἐπὶ τὸ αὐτὸ „an einem Ort“ vor,42 was vermutlich auch von Vetus Latina gestützt wird (in unum), während Vulgata eher an die temporale Bedeutung denkt (pariter). In jedem Fall versammeln sich nun die Könige der indigenen Bevölkerung, um gegen die Israeliten vorzugehen.43 Eine spezifische Prägung von QBṢ-tD ist nicht zu erkennen. LXX übersetzt LḤM-N zudem mit ἐκπολεμῆσαι. Auf diese Weise wird verdeutlicht, dass die Könige Kanaans mit Israel Krieg führen wollen, um Israel „aus“ dem Verheißungsland zu schaffen.44 Josua und Israel sollen folglich von der kanaanäischen Koalition aus dem Land „herausgekämpft“ werden. LXX übersetzt das seltene Idiom pӕh ʾӕḥād „einstimmig“45 als Zeitangabe „alle miteinander“ (ἅμα πάντες).46 Vermutlich soll aber nicht die Gleichzeitigkeit des Angriffs der kanaanäischen Streitkräfte, sondern die Einmütigkeit im Vorgehen gegen Israel betont werden, sodass die erste Deutung naheliegend ist. Da sich die kanaanäischen Völker nun zusammengetan haben, um gemeinsam gegen Israel zu kämpfen, ist das Idiom pӕh ʾӕḥād durchaus zutreffend, da der geschmiedeten Koalition tatsächlich ein einmütiger Entschluss vorausgeht. Diese Deutung wird auch von Vetus Latina (ore uno) und Vulgata unterstützt (uno animo eademque sententia). Keines der genannten Völker hat sich offenbar gegen die Allianz gegen Israel gestellt.47 Allerdings ist in den folgenden Erzählungen von einem einheitlichen Vorgehen der kanaanäischen Könige nichts zu spüren.48 Allerdings kann man das Adverbiale pӕh ʾӕḥād mitunter 41 Nach EHRLICH 1910, 31 heiße der Ausdruck QBṢ yaḥdāw nicht „zusammenkommen“, sondern „gemeinsame Sache machen“. 42 Vgl. hierzu DOZEMAN 2015, 400. 43 Ob die Ortlosigkeit allerdings mit BALLHORN 2011, 201 dergestalt zu deuten sei, dass sich auf diese Weise „ein feindlicher Ring um das im Land versammelte Israel legt“, sei dahingestellt. 44 Vgl. zu dieser Übersetzung AULD 2005, 151. 45 Vgl. sonst nur noch 1Kön 22,13; 2Chr 18,12. KNOBEL 1861, 392; DILLMANN 1886, 480 weisen zusätzlich auf Ex 24,3 hin, wo allerdings qôl ʾӕḥād steht. Nach ZIESE 2008, 192 Anm.3 werde hier betont, dass die vielen unterschiedlichen Völkerschaften Kanaans zumindest in diesem Punkt einstimmig agieren. Auf diese Weise wird der Widerstand der Kanaanäer gegen Josua, Israel und YHWH besonders hervorgehoben, vgl. HERTZBERG 1985, 65. Nach HARSTAD 2004, 375f. könnte diese Bezeichnung auf eine abgesprochene Vereinbarung hinweisen. Durch pӕh ʾӕḥād wird zumindest yaḥdāw als vorläufiger Entschluss enttarnt, vgl. HOLZINGER 1901, 32. Nach LABUSCHAGNE 1976, 408 sei pӕh ʾӕḥād als „einträchtig“ wiederzugeben. WAZANA 2019, 126; WAZANA 2021, 110 weist noch darauf hin, dass eine ähnliche Idiomatik auch in neuassyrischen Inschriften verwendet wird (ana/kî pî ištēn), wenn die Feinde gemeinsam eine Revolte oder eine Tributabgabe planen. 46 Vgl. BUTLER 2014, 431. 47 Vgl. auch EHRLICH 1910, 32. Zur Einmütigkeit vgl. schon KEIL 1847, 157. 48 Vgl. zu diesem Problem RUDOLPH 1938, 200. Nach VAN BEKKUM 2011, 143 sei der Aufruf zu einer Koalition der kanaanäischen Könige erfolglos geblieben.
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
auch mit Josua und Israel verbinden.49 Dann würde damit ausgedrückt werden, dass die kanaanäischen Könige in ihrer Pluralität gegen das geeinte Israel vorgehen würden. Vielleicht ist diese Doppeldeutigkeit durchaus angezielt, da es mit der hier gepriesenen Einmütigkeit der kanaanäischen Könige nicht sehr weit her ist und schon bald die Koalition durch das Bündnisgesuch Gibeons geschwächt wird. Hinzu kommt, dass in Jos 10–11 berichtet wird, dass nicht eine große Koalition gegen Israel antritt, sondern eine südliche und eine nördliche. Eine Vereinigung aller kanaanäischen Streitkräfte gab es demnach in Jos 9–11 nicht, auch wenn man dieses literarische Detail nicht historisch verwerten sollte. Vielleicht sollte mithilfe der Aufteilung in einen südlichen und einen nördlichen Feldzug ausgedrückt werden, dass zwei große feindliche Koalitionen noch gefährlicher für die Israeliten gewesen wären als nur eine.50 LXX hat zudem die Erzählung vom Altarbau in Jos 8,30–35 zwischen V.2 und V.3 gesetzt. Durch diese Anordnung der LXX zeigt sich die besondere Frömmigkeit der Israeliten, die trotz unmittelbar drohender Gefahr nicht die Erfordernisse des Kults vernachlässigt haben. Durch diese Einschaltung des Altarbaus zwischen V.2 und V.3 werden darüber hinaus die Gibeoniter von den sechs indigenen Völkern abgesetzt. Nicht ohne Grund werden die Gibeoniter in V.7 von LXX nicht als Hewiter gedeutet, sondern als Horiter, was ebenfalls die Gibeoniter von der autochthonen Bevölkerung abhebt.51 Aufgrund der spezifischen Aussageabsicht der LXX liegt es nahe, dass hier nachträglich die ursprüngliche Anordnung geändert wurde. Da der Abschnitt mit dem Altarbau an unterschiedlichen Stellen eingetragen werden konnte, könnte es sich hierbei um einen dtr. Zusatz handeln, der erst spät und an unterschiedlichen Stellen ergänzt wurde.52 Bisweilen wird vorgeschlagen, dass die wechselhafte Anordnung von Jos 8,30–35 darauf hinweisen könnte, dass demgegenüber die Einleitung Jos 9,1–2 erst zu einem späteren Zeitpunkt geschaffen und sekundär vor die Szene mit dem Altarbau platziert wurde,53 was die Anordnung der LXX anzeigen könnte. Für den sekundären Charakter von V.1–2 sprechen darüber hinaus die fehlende inhaltliche Anbindung an Jos 8,30–35, der fehlende Bezugspunkt von kišmoaʿ und die gegenüber den Kanaanäern entgegengesetzte Einstellung der Gibeoniter ab V.3, die einen Kontrast zu V.1–2 bildet.54 Hinzu kommt, dass 49
Vgl. zu dieser Option HAWK 2000, 138. Vgl. RÖSEL 2011, 146. 51 Vgl. zur unterschiedlichen Interpretation der LXX DOZEMAN 2015, 401. Nach BUTLER 2014, 447 könnte Hewiter eine frühe linguistische Verwechslung mit Horiter widerspiegeln. 52 Vgl. zum Problem schon STEUERNAGEL 1900, 186. Zur unterschiedlichen Platzierung von Jos 8,30–35 vgl. auch ROFÉ 1994, 75–78; FABRY 2000, 50. 53 Anders hingegen BRIEND 1990, 129f., der lediglich Jos 8,30–35 für einen späten Einschub hält, der in den Versionen an unterschiedlichem Ort eingetragen wurde. In MT wird hingegen der ideale Toragehorsam in Jos 8,30–35 dem falschen Bündnis mit den Gibeonitern gegenübergestellt, vgl. VAN DER MEER, 509–511. 54 Vgl. schon DILLMANN 1886, 480. 50
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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die kanaanäischen Könige im weiteren Erzählverlauf von Jos 9 überhaupt keine Rolle mehr spielen und diese erst wieder in Jos 10 auftauchen.55 Auch die Masoreten deuteten durch eine Parasche an, dass sich V.1–2 als selbstständige Einheit offenbar vom Folgenden absetzt. Allerdings berechtigt die Anbindung von V.1–2 an Jos 10 nicht zu der Annahme, dass V.1–2 lediglich die Einleitung zu Jos 10 gewesen sind und infolgedessen die Gibeonitererzählung nicht benötigt wird.56 Denn Jos 10,1 erfordert den zuvor in Jos 9,3–27 erfolgten Friedensschluss der Israeliten mit den Gibeonitern. Insgesamt legt sich folgende Deutung nahe: V.1–2 sind zumindest auf der Ebene des Endtextes die Einleitung zu den südlichen und nördlichen Eroberungen Josuas nach Jos 9–11.57 Diese Verse sind dtr. geprägt und spielen Dtn 20,17 (Völkerliste) und Dtn 1,7 (geographische Angaben) ein. Außerdem ist der Erzählanschluss mit wayehî kišmoaʿ für das Josuabuch typisch. Hier hat ein dtr. Redaktor die unterschiedlichen Erzählungen offenbar miteinander verbunden. Noch später als V.1–2 ist die Altarbauerzählung an unterschiedlichen Positionen eingebunden worden. V.3: Schon zu Beginn der Erzählung werden die Gibeoniter als yošbê Gibʿôn von den Königen Kanaans unterschieden.58 Offenbar gab es keinen König in Gibeon, da in Jos 9,3 lediglich von den yošbê Gibʿôn die Rede ist.59 Es hat somit den Anschein, dass Gibeon von seinen grundbesitzenden Bürgern regiert wird. Vermutlich kann man yošbê Gibʿôn aufgrund dieses Gegensatzes nicht mit „Herrschern von Gibeon“ übertragen.60 In V.3 sind demgegenüber die Bewohner von Gibeon im Blick, nicht eine Führungselite. Aufgrund von V.17 scheint es sich sogar bei Gibeon nicht nur um eine einzelne Stadt, sondern um ein ganzes Gebiet zu handeln,61 in dem die yošbê Gibʿôn siedelten. Die Bezeichnung yošbê Gibʿôn wird darüber hinaus in Jos 10,1 und Jos 11,19 aufgegriffen, wenn auf das besondere Verhältnis der Israeliten zu den Gibeonitern verwiesen werden soll. Die yošbê Gibʿôn haben vermutlich eine politisch-profane Bedeutung.62 Insgesamt herrschen in Gibeon wie in Israel stammesähnliche Verhältnisse,63 was die Gibeoniter an Israel zusätzlich annähert. Schon am Anfang der Erzählung zeigt 55
Vgl. GERMANY 2017, 412. Vgl. LANGLOIS 2011, 234. 57 Vgl. auch SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 62; STONE 1991, 31. 58 Nach DOZEMAN 2015, 416 treten im Josuabuch Könige und ihre Stadtstaaten als Antagonisten der Israeliten auf. 59 Vgl. hierzu auch WOUDSTRA 1981, 155. Vielleicht gehörten die Gibeoniter jurisdiktionell zu Jerusalem, vgl. BLENKINSOPP 1972, 28–30; GOTTWALD 1979, 523. Nach SAPIN 1979, 260 war Gibeon für Jerusalem besonders wichtig. 60 So GOTTWALD 1979, 521. 61 Vgl. auch DOZEMAN 2015, 402. 62 Vgl. ROSE 1981, 190. 63 Vgl. KNAUF 2008, 91. Schon STEUERNAGEL 1900, 187 geht von einer republikanischen Verfassung mit Ältesten aus. Kritisch gegenüber einer historischen Deutung der Hinweise in Jos 9 aber zurecht RÖSEL 2011, 145. 56
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
sich folglich eine negative Einstellung gegenüber dem kanaanäischen Königtum.64 Gegenüber derartig verfassten Gemeinwesen gilt es somit, keine Gnade walten zu lassen. In V.3 werden die yošbê Gibʿôn als Subjekt des Satzes vor das Verb gesetzt, um den Kontrast der Gibeoniter zu den kanaanäischen Königen in V.1–2 besonders hervorzuheben.65 Während die kanaanäischen Könige nach V.1–2 auf die Taten von Josua und den Israeliten reagieren, handeln die Gibeoniter auf der Grundlage der Heilsgeschichte YHWHs, was beide Kontrahenten Israels nachhaltig unterscheidet.66 Die kontrastive Gegenüberstellung wird schließlich noch durch die Formulierung gam hemmāh in V.4 verstärkt.67 Der Kontrast der Gibeoniter zu den kanaanäischen Königen wird auch durch die Bezeichnung yošbê Gibʿôn herausgearbeitet. Im Gegensatz zu den Königen übernehmen hier die Bewohner Verantwortung. LXXBL setzt anstelle von Josua das Appellativ κύριος.68 Diese Änderung findet sich schon in der Vetus Latina, wird aber bereits von Vulgata zugunsten von MT aufgegeben. Möglicherweise handelt es sich bei der LXX-Lesart um eine theologische Korrektur.69 Vermutlich wollten die Übersetzer nicht einem Menschen die Zerstörung der beiden großen Kanaanäerstädte Jericho und Ai zuschreiben.70 Hinzu kommt, dass vielleicht eine Parallele zu Jos 2,10–12 und Jos 5,1 geschaffen werden sollte, wo die Geschichtsmächtigkeit YHWHs besonders betont wird. Dementsprechend musste man die Eroberung von Jericho und Ai auf das geschichtsmächtige Handeln YHWHs zurückführen.71 Außerdem konnte man auf diese Weise die Motivation der Gibeoniter theologisch begründen, sodass es nicht nur um das politische Überleben gegen einen menschlichen Gegner geht. Betrug aus religiösen Gründen hat zudem eine gewisse Tradition in den biblischen Erzählungen72 und wird nicht immer negativ gesehen. Manchmal wird vermutet, dass die MT-Lesart von V.2 kontaminiert sei, zumal dort Josua einer der Handlungsträger ist.73 Allerdings ist demgegenüber die Lesart des MT untheologisch und daher wohl ursprünglich. Darüber hinaus verstärken Vulgata und LXX die Eroberungstaten dadurch, dass die Gibeoniter „alles“ hörten, was getan wurde. Auch einige hebräische 64
Vgl. NELSON 1997, 133, der hier zudem ein Echo auf die soziale Polemik der Rahaberzählung vermutet. 65 Vgl. zu dieser betonten Voranstellung schon STEUERNAGEL 1900, 186; HARSTAD 2004, 378. 66 Vgl. zu dieser kontrastiven Gegenüberstellung HESS 1996a, 195. 67 Vgl. auch STONE 1991, 30. 68 Vgl. BOLING 1982, 257. DEN HERTOG 1996, 53 geht hier von einer „theologischen Variante“ aus. 69 Vgl. SOGGIN 1982, 108. 70 Vgl. BUTLER 2014, 431. 71 Vgl. AULD 2005, 154. 72 Vgl. DOZEMAN 2015, 401, der auf Ex 1,15–21 hinweist. 73 Vgl. BOLING 1982, 257.
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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Handschriften haben den Zusatz kol „Gesamtheit“. Auf diese Weise wird offensichtlich betont, dass die Gibeoniter auch vom vollzogenen Bann hörten, der sie ebenfalls treffen könnte. Durch diesen Zusatz wird die Gedankenfolge stringenter und die Motivation der Gibeoniter drängender. Hier zeigt sich folglich ein spezifisches Anliegen der Versionen, die Erzählung noch stimmiger zu erzählen. Demgegenüber ist MT die ursprüngliche Lesart. Grundsätzlich setzt V.3 die im Josuabuch vorangegangenen Erzählungen voraus, was darauf deuten könnte, dass die Gibeonitererzählung in Jos 9,3–27 erst für den jetzigen Erzählzusammenhang geschaffen wurde.74 Allerdings benötigt Jos 10 den Bundesschluss der Israeliten mit Gibeon, was in der literarhistorischen Beurteilung der einzelnen Schichten in Jos 9–11 berücksichtigt werden muss. V.4: Das Verb ʿŚY „machen“ ist ein Leitwort in Jos 9. Während Josua an den Kanaanäerstädten destruktiv handelte (Jos 9,3), greifen die Gibeoniter zu einer List (Jos 9,4). Die Aktion der Gibeoniter wird aufgrund dieser lexematischen Verbindung in Korrespondenz zu Josua gesehen, der ebenfalls mithilfe einer List die Stadt Ai eingenommen hat.75 Vielleicht wird hier eine ironische Wendung angezielt. Ähnlich wie die Israeliten die Städte Jericho und Ai ausgetrickst haben, überlisten nun die Gibeoniter die Israeliten, um der drohenden Vernichtung zu entgehen.76 In V.4 wird zudem nicht zwischen den zuvor genannten yošbê Gibʿôn und der Gesandtschaft unterschieden. Vielmehr wird der Anschein erweckt, dass die Gibeoniter insgesamt zum Lager nach Gilgal kommen. Dies kann freilich nicht der Fall sein. Offenbar soll hier deutlich gemacht werden, dass durch die nicht näher differenzierte Gesandtschaft eigentlich die Gesamtbevölkerung von Gibeon spricht.77 Während die Könige gegen Israel in den Kampf ziehen, versuchen die Gibeoniter mit List die drohende Vernichtung abzuwenden.78 Die Formulierung gam hemmāh „auch sie“ ist schwierig zu deuten.79 Verschiedene Bezugspunkte sind denkbar:
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Vgl. FRITZ 1994, 102. Vgl. GORDON 2003, 171. 76 Vgl. hierzu YOUNGER 1990, 377f.; HUBBARD 2009, 284. Nach BOLING 1982, 263 seien vergleichbare Tricksereien auch für die Erzelternerzählung reichhaltig belegt. 77 Vgl. HAWK 2000, 138f. 78 Vgl. zu diesem Gegensatz WOUDSTRA 1981, 155; FORD 2015, 202. Ob allerdings die List der Gibeoniter „ein Zeichen ihres Glaubens an die Macht des Gottes Israels und an die Bundestreue seines Volkes ist“, wie BALLHORN 2011, 209 meint, sei dahingestellt. 79 Nach NOTH 1971a, 57 könnte gam hemmāh auf eine ältere Form der Überlieferung von Jericho und Ai anspielen, die ebenfalls mit List gehandelt hätten. Allerdings agierten in der Auseinandersetzung mit Jericho und Ai mit List nur Josua und Israel, nicht aber die Kanaanäerkönige. 75
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
1)
Vom Nahkontext würde damit ausgedrückt, dass die Gibeoniter mit den Königen Kanaans verglichen werden sollen.80 Ähnlich wie diese erörterten auch die Gibeoniter Möglichkeiten, wie mit der Landeroberung Israels und der drohenden Vernichtung umzugehen ist. Die Gibeoniter wählten hierfür aber das Mittel der List.81 Außerdem wäre es möglich, dass die Gibeoniter hier mit den Israeliten verglichen werden sollen, die ebenfalls mit List die Kanaanäerstadt Ai bezwungen haben,82 wobei dort aber der Hinterhalt nicht explizit als List bezeichnet wird. Vielleicht soll hier nur betont werden, dass die Gibeoniter ähnlich wie Josua und die Israeliten etwas getan haben, allerdings mit List.83 Möglicherweise ist hier von einer subtilen Ironie auszugehen. Ähnlich wie die Israeliten, die mit List Jericho und Ai erobert haben, können auch die Gibeoniter die Israeliten mit einer List austricksen, indem sie einen Bund schließen.84 Wenn man somit die Gibeoniter mit den Israeliten vergleicht, dann muss man das doppeldeutige Lexem ʿårmāh „List“ durchaus positiv werten.85 Darüber hinaus könnte aber auch das Verhalten Rahabs im Blick sein, die durch ihr beherztes Eingreifen das Überleben ihrer Sippe gesichert hat. Wie Rahab haben die Gibeoniter mit ihrem Bekenntnis zur Geschichtsmächtigkeit YHWHs ihren Untergang verhindert. Bisweilen wird vermutet, dass ein Bezug zu Gen 34 zu ziehen wäre, wo die Israeliten ebenfalls mit einer Täuschung die Hewiter von Sichem bezwingen. Diese Deutung wurde von den Rabbinen bevorzugt und könnte sich auch auf LXX stützen, die ausschließlich in Gen 34,2 und Jos 9,7 die Hewiter als Horiter bezeichnet und damit gleichsetzt.86 Ob allerdings V.4 mit einem derart weit entfernten Bezugspunkt korreliert werden darf, den nur ein kanonischer Leser im Blick hat, ist fraglich.
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80
Vgl. VAN BEKKUM 2011, 142. Vgl. EHRLICH 1910, 32. 82 Vgl. schon KEIL 1847, 158; LLOYD 1886, 121; OETTLI 1893, 152; STEUERNAGEL 1900, 186; ROBINSON 1907, 308; RUDOLPH 1938, 200; SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 62; BRIEND 1990, 146; KNAUF 2008, 91. Zum Problem vgl. auch RÖSEL 2011, 147. Nach GORDON 2003, 171 diene gam nicht als Vergleich, sondern als Hinweis auf eine korrespondierende Handlung. Dementsprechend müsse man hier gam mit „ihrerseits“ wiedergeben. 83 Vgl. hierzu KEIL 1847, 158. 84 Vgl. zu einem Bezug auf die Ai-Erzählung DILLMANN 1886, 480; COOKE 1918, 76; LAUGHLIN 2015, 137. Zu einer Verbindung mit der Einnahme von Jericho vgl. NIEHR 1989, 390. 85 Vgl. KEARNEY 1973, 6. 86 Diese Deutung wurde von den Rabbinen bevorzugt und könnte sich auch auf LXX stützen, die nur in Gen 34,2 und Jos 9,7 die Hewiter als Horiter bezeichnet, vgl. hierzu AULD 2005, 154; DOZEMAN 2015, 403. FARBER 2016, 449 verweist zusätzlich auf Midrasch Tanḥuma. Demnach würde gam auf einen versuchten früheren Betrug verweisen. Während sich aber Mose nach Dtn 29,10 nicht austricksen ließ, ist Josua zu naiv gewesen. 81
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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Allerdings könnte sich gam aber auch auf das folgende selbstständige Personalpronomen beziehen, das auf diese Weise im Sinne von „sie ihrerseits“ betont würde.87 In diesem Fall erübrigt es sich, nach einem Bezugspunkt zu suchen.
Aus alledem folgt, dass ein eindeutiger Bezugspunkt der Formulierung gam hemmāh nicht mehr herausgearbeitet werden kann. Anscheinend ist der Text darauf angelegt, dass verschiedene Deutungsmöglichkeiten evoziert werden können. Nur wenn man diesen Ausdruck mit den kanaanäischen Königen oder den Sichemitern verbindet, wäre das listenreiche Vorgehen der Gibeoniter eindeutig negativ zu bewerten. Das Lexem ʿårmāh „List“ kann positiv und negativ gewertet werden,88 sodass der Erzähler das Verhalten der Gibeoniter nicht notwendigerweise schon am Anfang kritisiert hat.89 Die Doppeldeutigkeit von ʿårmāh wird auch von LXX mit μετὰ πανουργίας ausgedrückt.90 Eine moralische Verfehlung wird mit diesem Wort ohnehin nicht ausgesagt. Mit dem Wort „List“ ist zudem keine menschliche Qualität, sondern ein spezifisches Verhalten gemeint.91 Der Begriff ʿårmāh bezeichnet darüber hinaus die Lebensklugheit und die Hinterhältigkeit gleichermaßen,92 wobei diese Hinterhältigkeit auch positiv ein Zeichen von Schläue sein kann. Dementsprechend kann die Überlistung des Gegners durchaus als positiv bewertet werden. Von einem tatsächlichen Betrug der Gibeoniter ist hier ohnehin nicht die Rede, vielmehr von klugem Verhalten, mit dem die Gibeoniter den drohenden Untergang verhindern.93 Die ʿårmāh 87
Vgl. HARSTAD 2004, 379. Vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 63; NIEHR 1989, 388; FRITZ 1994, 103; BEGG 1997, 127 Anm.13; LUC 1997, 539; NELSON 1997, 133; ZIESE 2008, 191 Anm.1; BUTLER 2014, 445. BRIEND 1990, 146; HESS 1996a, 195 entscheiden sich trotz dieser Doppeldeutigkeit für eine negative Konnotation. Ähnlich offenbar HALBE 1975, 625 Anm.72: „vorsätzlich in böser Absicht“. Vgl. auch HARSTAD 2004, 379, dem zufolge dieses Substantiv mit „cunning enemies of God’s people with a sinister or even demonic sense“ zu verbinden sei. Da sich die List der Gibeoniter gegen Israel wendet, könnte hier im Gegensatz zur Rahaberzählung, wo die Kanaanäer betrogen werden, ein negativer Unterton vermutet werden, vgl. DOZEMAN 2015, 416f. Nach LEE-SAK 2019, 124 sei das Wort ʿårmāh lediglich in nachexilischen Texten belegt. 89 Vgl. RÖSEL 2011, 147; FORD 2015, 202. Trotz der Doppeldeutigkeit des Nomens ʿårmāh hält NIEHR 1989, 390 an der negativen Deutung als „Hinterlist“ in Jos 9,4 fest. Auch LUC 1997, 539 vermutet, dass die Wurzel ʿRM außerhalb der weisheitlichen Schriften in der Regel negativ zu werten sei. 90 Vgl. DOZEMAN 2015, 402. 91 Vgl. BRIEND 1990, 146. 92 Vgl. FRITZ 1994, 103. 93 Zu einer positiven weisheitlichen Deutung vgl. NOCQUET 2019, 77. Vgl. die Diskussion in HUBBARD 2009, 304–307, der auch den erzählerischen Kontext einbezieht. Nach MATTHEWS 2016, 81f. sei zudem eine intertextuelle Beziehung zur Paradieserzählung Gen 3 zu ziehen, wo die listige Schlange wie die Gibeoniter verflucht wird. Ähnlich schon KEARNEY 1973, 12; HARSTAD 2004, 397f. 88
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
„List“ der Gibeoniter besteht zudem darin, dass man dem Verhandlungspartner nicht offenbart, dass man Angst vor der militärischen Schlagkraft des Gegners habe. Würde man dies tun, wäre der Verhandlungsspielraum massiv eingeschränkt. Dementsprechend verschweigt man besser den Siegeszug der Israeliten im Westjordanland, betont demgegenüber schmeichlerisch die ehrenvollen Beweggründe und bezieht keine Position zur eigenen Herkunft.94 MT verwendet das Hapaxlegomenon ṢīR-tD.95 Das dazugehörige Nomen ṣîr bedeutet „Bote“, sodass auch das Verb im imitativen tD-Stamm entsprechend mit „sich als Bote verstellen“ beziehungsweise „als Delegierter/Botschafter/Gesandter handeln“ wiedergegeben werden kann.96 Die Gibeoniter verstellten sich aber nicht als Boten, sondern versuchten – zumindest auf der Ebene des Endtextes –, den Anschein zu erwecken, dass sie aus einem fremden Land stammen. Manchmal wird vermutet, dass auch hier trotz der unterschiedlichen Wurzel eine Proviantierung für die Reise im Blick sei, sodass man ṢīR-tD mit „sich mit Reiseproviant versehen“ übertragen könnte.97 Die Engführung dieses Lexems auf den Proviant ist aber eigentlich nicht angezeigt. Es bleibt dabei, MT klassifiziert die Fremden als Boten, die auf einer politischen Mission sind. Die Verbindung der beiden Verben HLK und ṢīR könnte zudem als Hendiadyoin gedeutet werden.98 Vielleicht soll mit ṢīR der gesamte Verkleidungsvorgang in 4b–5 vorweggenommen werden, zumal in V.6 wiederum das Verb HLK aus 4a aufgegriffen wird.99 Demgegenüber belegen LXX, Vetus Latina und einige Handschriften eine andere Lesart, da offensichtlich auf die Wurzel ṢīD „mit Nahrungsmittel versorgen“ zurückgegriffen wurde. Allerdings ist die Lesung als ṢīD eine sekundäre Angleichung an das Nomen ṣayid „Wegzehrung“ (Jos 9,5.14), zumal das Verb ṢīD-tD auch in V.12 verwendet wird.100 Diese abweichende Lesart 94
Vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 63f. HOLZINGER 1901, 33 denkt hingegen an eine Ableitung von YṢR „formen, bilden“ mit der Nebenform ṢūR. 96 Vgl. zu dieser Bedeutung HARSTAD 2004, 379; PITKÄNEN 2010, 206; DOZEMAN 2015, 402. KEIL 1847, 159 denkt an eine Übersetzung „als Abgesandte reisen“ oder „sich als Abgesandte auf den Weg machen“. Nach BRIEND 1990, 146 sei diese Verbform allgemeiner als „ils se mirent à changer d’apparence“ zu übertragen. WISEMAN 1982, 315f. zieht auch einen Vergleich zum assyrischen ṣēru-Boten, der ebenfalls eine Botschaft des Wohlwollens (sulummû) überbringt. Zum tD-Stamm als Imitativ vgl. auch BARTHÉLEMY 1982, 14. 97 Vgl. KNAUF 2008, 91. 98 Vgl. YOUNGER 1990, 378. 99 Vgl. BARTHÉLEMY 1982, 14. 100 Nach FRITZ 1994, 100 sei daher in V.4 ṢīD-tD zu lesen. Ähnlich KNOBEL 1861, 392f.; NOTH 1971a, 52; GÖRG 1991a, 43; MALLAU 2005, 56 Anm.9; RÖSEL 2011, 147. Vermutlich ist die Lesart von V.12 in V.4 sekundär eingedrungen, vgl. LLOYD 1886, 121f. Gegen die MTLesart als ṢīR-tD zudem DILLMANN 1886, 481, da dieses Verb hinter HLK unpassend sei. GORDON 2003, 172 bezweifelt ebenfalls, dass hier eine ansonsten nicht aufzufindende Verbform vorliegt, und verweist auf V.5, wo von der in V.4 zubereiteten Proviantierung die Rede ist. 95
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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scheint auch die Vulgata zu bestätigen (cibaria).101 Allerdings fehlt in V.4 das Lexem læḥæm „Brot“, das in V.12 mit dem Verb ṢīD verbunden wird, was eine Abänderung von MT nicht nahelegt. Bisweilen wird sogar vorgeschlagen, dass im ursprünglichen Text beide Verben ṢīD-tD und ṢīR-tD nebeneinander standen, worauf die doppelte Lesart der LXX hinweisen könnte (ἐπεσιτίσαντο καὶ ἡτοιμάσαντο).102 Durch Haplographie sei dann nur ṢīR-tD im MT erhalten geblieben, wobei in der Handschriftenüberlieferung entweder ṢīD-tD oder ṢīR-tD belegt ist. Allerdings handelt es sich bei der doppelten Lesart der LXX wohl eher um eine Dublette,103 die auf ṢīD-tD beruht. Letztendlich bleibt festzuhalten, dass die von MT abweichenden Lesarten aufgrund der Ähnlichkeit der beiden Buchstaben d und r leicht entstanden sein können. Offenbar haben die von MT abweichenden Versionen ṢīR-tD in V.4 an die übrigen Stellen in Jos 9 angeglichen,104 wo von ṢīD-tD die Rede ist. Anstelle von ḥamôrêhӕm „ihre Esel“ liest LXXB ὤμων „Schulter“, während LXXA mit ὄνων „Esel“ den MT bestätigt.105 Vermutlich ist die abweichende Lesart eine innergriechische Variante, die nicht auf einen anderen Übersetzungstext zurückgeführt werden muss.106 Vetus Latina kombiniert hingegen beide Lesarten (in dorsum asinorum), was ebenfalls darauf hinweist, dass der Übersetzer zwei ihm vorliegende unterschiedliche Versionen miteinander verbinden wollte.107 Das D-pass-Partizip meṣorārîm „geflickt“ ist von einer Wurzel ṢRR „zusammenbinden“ abzuleiten. Die schadhafte Stelle wurde vermutlich zusammengeknotet, damit man den noch intakten Weinschlauch weiterhin verwenden konnte.108 Dieses Erzählmotiv ist zumindest überzeugend. Denn man hätte guten Wein sicherlich nicht in schlechte Weinschläuche gefüllt,109 zumal man die Israeliten zu einem Bundesschluss überreden möchte.
101
Nach NELSON 1997, 122 belegen auch Peschitta und Targum diese Lesart. Vgl. BOLING 1982, 257. Dagegen aber HESS 1996a, 195 Anm.211, dem zufolge es für diese Konjektur keinen Rückhalt in der Textüberlieferung gebe. 103 Vgl. zum Problem auch HOLMES 1914, 46. 104 Vgl. BARTHÉLEMY 1982, 14. 105 Nach HOLMES 1914, 46 sei ὤμων eine korrupte Lesart von ὄνων. 106 Dieses Problem sah schon Augustinus. Aus Gründen der historischen Plausibilität entschied er sich für die Lesart „Esel“, da man kaum davon ausgehen könne, dass die Gibeoniter auf einem langen Weg diese Dinge hätten transportieren können (Augustinus, Quaestiones Iesu Nave 12, vgl. GROSS 2018, 410f.). HOLZINGER 1901, 30 geht von einem Schreibfehler aus. 107 Nach BILLEN 1927, 171 liegt hier ein „conflate reading“ vor. 108 Vgl. OETTLI 1893, 152; NOTH 1971a, 52. 109 SPRONK 1994, 80 weist darauf hin, dass es in Gibeon eine florierende Weinindustrie gegeben habe, was sich in diesem Erzähldetail widerspiegeln könnte. 102
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
V.5: Vetus Latina und LXX haben anstelle von naʿal „Sandale“ zwei unterschiedliche Arten von Schuhwerk.110 Vielleicht geht diese Doppelung auf eine veränderte Mode hinsichtlich verschiedener Schuhe in der Alten Welt zurück.111 Auf eine abweichende hebräische Vorlage ist dieser Zusatz jedenfalls kaum zurückzuführen. Möglicherweise ist hier von einer teilweisen Dittographie zu neʿālôt bālôt auszugehen,112 indem hier kelê neʿālôt von LXX eingetragen (τὰ κοῖλα τῶν ὑποδημάτων αὐτῶν) sowie b mit k und w mit y unter Ausfall von t verlesen wurde. Auf diese Weise könnte man zumindest den verdoppelten Ausdruck plausibel erklären. Die Verwendung des Demonstrativpronomens αὐτῶν beim Schuhwerk ist darüber hinaus auffällig und nicht von MT gedeckt, da nur bei „Füße“ ein enklitisches Personalpronomen steht, nicht aber beim Schuhwerk. Vielleicht wollte der griechische Übersetzer die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Gibeoniter an dieser Stelle noch verstärken, indem er darauf hinweist, dass die Sohlen der Schuhe der Gibeoniter bereits verschlissen seien, was nur durch den langen Marsch erklärt werden könne.113 Die Notiz, dass das Schuhwerk meṭullāʾôt „geflickt“ ist, könnte darauf hinweisen, dass die Gibeoniter keine Sandalen, sondern anderes Schuhwerk getragen haben, da Sandalen nicht auf diese Weise instandgesetzt werden können.114 Die Beschreibung der Kleidung der Gibeoniter ist ebenfalls auffällig, da biblische Erzählungen in der Regel auf derartige Dinge keinen Wert legen. Wenn hingegen die Kleidung extra geschildert wird, hat dies eine erzählerische Funktion.115 Dieser Teil der gibeonitischen Scharade ist zumindest glaubwürdiger als der Proviant, da die Gesandtschaft sicherlich die besten Kleider angezogen hätte, um dem Adressaten zu schmeicheln. Zu einem wichtigen Treffen geht man nicht in zerlumpten Kleidern. Der All-Quantor kol „Gesamtheit“ fehlt in Vetus Latina, LXX, Vulgata und Peschitta. Manchmal wird vermutet, dass erst MT die Situation verschärft habe, indem man darauf hinwies, dass alles Brot bereits vertrocknet und krümelig sei. Ein derartiges Brot ist ungenießbar und kann bestenfalls noch verfüttert werden.116 Insofern wäre es durchaus möglich, dass kol erst sekundär eingetragen worden ist. Darüber hinaus setzt LXXA die Pluralform οἱ ἄρτοι „die Brote“ ein, die auch in V.12 belegt ist und daher die richtige Übersetzung sein könnte.117 110
Das Lexem naʿal kann zudem maskulin oder feminin konstruiert werden. Nach HAR2004, 380 könnte der feminine Gebrauch ein Objekt von geringerem Wert andeuten. 111 Vgl. BUTLER 2014, 431. Nach HOLMES 1914, 46f. sei der zweite Ausdruck καὶ τὰ σανδάλια αὐτῶν eine Dublette. 112 Vgl. BOLING 1982, 257. 113 Vgl. DEN HERTOG 1996, 89. 114 Vgl. RINGGREN 1986, 498. 115 Vgl. ZIESE 2008, 195 Anm.10. 116 Vgl. KNAUF 2008, 92, dem zufolge die Gibeoniter reichlich übertrieben haben. 117 Vgl. HOLMES 1914, 47. STAD
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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Das hebräische Lexem læḥæm ist ohnehin nur im Singular belegt, sodass der Ausdruck kol læḥæm „die Gesamtheit an Brot“ sachgemäß mit dem pluralischen οἱ ἄρτοι übertragen werden kann. Dementsprechend muss MT nicht sekundär um kol erweitert worden sein. Die angebliche Wegzehrung ṣayid ist außerdem bestenfalls für ein Picknick geeignet.118 Es handelt sich bei ṣayid nämlich nicht um eine normale Marschverpflegung, da die zugrundeliegende Wurzel eher mit „Jagd, Wild“ verbunden wird. Dementsprechend ist der Reiseproviant lediglich für einen kurzen Jagdausflug gedacht und kann eine lange Reise nicht ermöglichen. Während man bei einem kurzen Jagdausflug Brot mitnahm, um nicht durch Feuer die Jagdtiere zu verscheuchen, führte man bei längeren Reisen Mehl mit, aus dem man jederzeit frisches Brot backen konnte.119 Frisches Fladenbrot ist zudem bereits nach einem Tag brüchig und ungenießbar.120 Es widerspricht somit dem gesunden Menschenverstand, viel Brot auf eine lange Reise mitzunehmen. Schon allein die Bezeichnung ṣayid sollte daher die Israeliten stutzig gemacht haben. Allerdings blieb den Gibeonitern auch keine andere Taktik über, da gerade am Zustand des Brotes am besten zu erkennen ist, dass die Gibeoniter schon lange unterwegs waren. Das krümelige beziehungsweise verschimmelte Brot könnte somit die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Gibeoniter unterstreichen,121 auch wenn es der ansonsten üblichen Praxis auf Reisen widerspricht. Hinzu kommt, dass durch diesen Erzählzug wiederum massiv übertrieben wird, da Fladenbrot schon nach kürzester Zeit verdorben ist. Ein derart schlechtes Brot führt niemand auf Reisen als zusätzlichen Ballast mit. Außerdem stellt sich zurecht die Frage, weshalb der Vorrat bei der langen Reise nicht schon längst verzehrt worden ist. Die Maskerade der Gibeoniter war somit nur auf den ersten Blick stringent, hätte aber sofort auffliegen müssen. LXX verdoppelt den Ausdruck niqqudîm „Krümel“ (εὐρωτιῶν καὶ βεβρωμένος), während bei der Parallele in Jos 9,12 nur das zweite Wort βεβρωμένοι steht.122 Vielleicht wurde hier das satzeröffnende wekol zu webāl(æh) „und verdorben“ verlesen,123 zumal die beiden Konsonanten k und b leicht miteinander verwechselt werden konnten. Ohne Zweifel scheint lediglich εὐρωτιῶν aufgrund der Parallele in V.12 eine Dublette zu sein.124 118
Vgl. DE VOS 2020, 168. Vgl. hierzu KNAUF 2008, 91. Auch nach BLENKINSOPP 1972, 35 sei in der Erzählung unglaubwürdig, dass die Gibeoniter auf der Reise kein frisches Brot mitführten. 120 Vgl. KNAUF 2008, 93. 121 Vgl. FRITZ 1994, 104. 122 Nach FRITZ 1994, 100 sei das Wort niqqudîm hingegen als nachklappende Glosse zu streichen, die aus V.12 eingedrungen sei. 123 Vgl. SOGGIN 1982, 108. BOLING 1982, 258 weist jedoch darauf hin, dass webālæh sich eigentlich nicht auf Lebensmittel beziehen könne. 124 Vgl. HOLMES 1914, 47. Nach DEN HERTOG 1996, 89 sei εὐρωτιῶν eine paraphrasierende Doppelübersetzung, die das missverständliche βεβρωμένος nach MT korrigiert. 119
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
Der asyndetische Anschluss hāyāh niqqudîm ist hingegen nicht problematisch,125 da hier nicht eine Abfolge von zwei Handlungen ausgedrückt werden soll. Auffälligerweise ist die fast exakte Parallele zwischen Jos 9,5 und Jos 9,12 nur in MT zu finden, nicht aber in den anderen Versionen. In LXX wird zudem ganz auf das Hilfsverb HYY „sein“ verzichtet. Vielleicht ist das Nomen niqqudîm statt mit „Krümel“ mit „Schimmel“ wiederzugeben.126 Dieses Wort ist zumindest von der Wurzel NQD „sprenkeln“ abzuleiten.127 Ob man allerdings „Schimmel“ mit dieser Wurzel verbinden darf, ist fraglich. Denn das Brot scheint sprenkelig geworden zu sein, was eher auf den Zerfall des Brotes in Krumen, als auf den Befall mit Schimmel hinweist.128 Auch die Versionen tragen wenig zum Verständnis dieses Wortes bei. LXX gibt niqqudîm mit βεβρωμένος „gegessen“ wieder.129 Dann würde es sich um Brotreste handeln, die beim Verzehr übrig geblieben sind. Diese Deutung könnte somit bestens zur langen Reise passen, bei der man das mitgeführte Brot zusehends dezimiert hat. Allerdings lässt sich diese Übersetzung nur schwerlich etymologisch begründen. Die Lesart von Symmachus als κάπυρος „trocken“, die vielleicht mit nôqādîm zusammenhängt, ist ebenfalls unwahrscheinlich.130 Grundsätzlich bleibt das Wort niqqudîm eine crux interpretum. Möglicherweise ist in V.5 ein intertextueller Verweis auf Dtn 29,4 gegeben,131 wo im Gegensatz dazu das Aussehen der Israeliten nach der vierzigjährigen Wanderung beschrieben wird. Selbst nach der langen Wanderung seien Kleidung und Schuhwerk der Israeliten unversehrt geblieben, was aber nur durch die Hilfe Gottes ermöglicht wurde. Demnach wären die Gibeoniter vielleicht noch länger und weiter als die Israeliten unterwegs gewesen. Auf diese Weise wird die Argumentation der Gibeoniter zusätzlich gestärkt. Außerdem wirken die Gibeoniter ebenso bedürftig wie Israel in der Wüste.132 Darüber 125
Nach BOLING 1982, 258 sei hingegen weder die Syntax von LXX noch MT „satisfac-
tory“. 126
Vgl. schon KNOBEL 1861, 392; GRAY 1986, 100; NELSON 1997, 122; ZIESE 2008, 195; HUBBARD 2009, 286. Dagegen aber schon DILLMANN 1886, 481; COOKE 1918, 76. HOWARD 1998, 223 Anm.157 weist darauf hin, dass Schimmel Feuchtigkeit benötige, was aber bei dem trockenen Brot nicht möglich wäre. Bisweilen wird vermutet, dass es sich um eine besondere Art von Brot gehandelt habe, das man auf Reisen gut mitführen konnte, vgl. LLOYD 1886, 123. Zum lexikalischen Problem vgl. auch DE VOS 2020, 167 Anm.26. 127 Dementsprechend könnte es sich bei niqqudîm in 1Kön 14,3 um eine Art Streuselkuchen handeln. 128 Vgl. zum Problem auch KEIL 1847, 159f. 129 Nach AULD 2005, 155 könnte diese Übersetzung darauf hindeuten, dass das Brot von Würmern gegessen und zu Krümeln zerfallen sei. 130 Vgl. DILLMANN 1886, 481. 131 In beiden relevanten Sätzen sind die Worte identisch: naʿal, BLY, rӕgӕl und śalmāh, BLY. Vgl. zu diesem Bezugssystem auch ZIESE 2008, 195. 132 Nach ZIESE 2008, 195 wären beide Abschnitte auch vor folgendem Hintergrund zu verbinden: Israel und Gibeon wären aufgrund der Tora eigentlich zu vernichten gewesen.
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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hinaus werden bei der Kostümierung der Gibeoniter in V.5 Lexeme aus Dtn 8,4 eingespielt.133 Durch die Verwendung der Lexeme aus Dtn 8,4 und Dtn 29,4 werden anscheinend die Gibeoniter als Antitypos von Israel skizziert. Allein schon diese Inszenierung hätte das Misstrauen der Israeliten wecken sollen. Hinzu kommt, dass Weinschläuche, Kleidung und Schuhwerk bei sachgemäßer Behandlung nicht so schnell beschädigt werden,134 sodass eigentlich der Verdacht der Täuschung auf der Hand liegt. Umso mehr verwundert es, dass die Erklärung der Gibeoniter von Josua und den Israeliten nicht hinterfragt wird. Bisweilen wird vermutet, dass die Israeliten in der ursprünglichen Tradition die tatsächlichen Verhältnisse durchschaut hätten, worauf der Hinweis auf das vorangegangene Wort der Fürsten nach V.21 hindeuten könnte.135 Irgendwie erweckt das auf Betrug angelegte Handeln der Gibeoniter ohnehin den Anschein von Unglaubwürdigkeit. Denn es ist kaum anzunehmen, dass die Gibeoniter zum einen ihr mitgebrachtes Brot anstatt zu essen vertrocknen lassen und auf dem Weg nicht frisches Brot besorgen konnten.136 Außerdem kann die zurückgelegte Distanz nicht so groß gewesen sein, wie man behauptete. Denn es ist noch etwas Brot übrig, aber die robusten Weinschläuche sind schon beschädigt.137 Außerdem erzählen die Gibeoniter lediglich halbe Wahrheiten.138 Denn tatsächlich haben die Gibeoniter eine Wegzehrung mitgenommen, wie sie von ihren Ältesten beauftragt worden sind. Darüber hinaus haben sie Kunde von den mächtigen Taten YHWHs erhalten. Somit ist nicht alles falsch, was die Gibeoniter behaupten. V.6: Die Vulgata überträgt die Präpositionalverbindung ʾӕl hammaḥanӕh hagGilgāl mit einem Relativsatz (qui tunc morabatur in castris Galgalae) und setzt hier wohl einen asyndetischen Relativsatz an. Dies ist aber aufgrund der direktiven Präposition ʾӕl kaum möglich.139 LXXB ergänzt noch zusätzlich „Israel“ zu maḥanӕh, um sicherzustellen, dass es sich hierbei um das Lager Israels handelt. Auf diese Weise motiviert sich auch die Anrede an Josua und Israel. Nur durch Gnade könne ein Überleben gesichert werden. Die Wurzel BLY bezeichnet den Zustand von alltäglichen Gegenständen, die im Laufe der Zeit aufgrund des Gebrauchs abgenützt sind und ausgebessert werden müssen, vgl. GAMBERONI 1973, 651; WEGNER 1997, 661. Das Gegenteil von BLY kann nur von Gott bewirkt und nicht durch Menschen beeinflusst werden. 133 Nach BLENKINSOPP 1966, 209; RÖSEL 2011, 147 werde hier auch Dtn 8,4 eingespielt. Allerdings gibt es hierfür keinen direkten lexematischen Hinweis, es sei denn, man fasst śimlāh als alternative Lesung zu śalmāh auf, die durch Metathesis entstanden wäre, vgl. HARSTADT 2004, 380. Lediglich die Worte BLY und rægæl sind auch in Dtn 8,4 sicher vertreten. 134 Vgl. MALLAU 2005, 59. 135 Vgl. LIVER 1963, 232f. 136 Vgl. hierzu auch BLENKINSOPP 1972, 35. 137 Vgl. COLESON 2012, 94f. 138 Vgl. HOWARD 1998, 226. 139 Fraglich ist, ob man wie DOZEMAN 2015, 403 die Präposition ʾӕl unterschiedlich (direktiv und lokal) übersetzen sollte. Zumindest LXX differenziert hier folgendermaßen: πρὸς ᾿Ιησοῦν εἰς τὴν παρεμβολὴν Ισραηλ εἰς Γαλγαλα. Vgl. zum Problem auch AULD 2005, 155.
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
Das Lager Israels hat unterschiedliche narrative Bedeutung.140 Das Lager umfasst explizit nur die Stämme Israels. Außerdem dient das Lager als Ausgangspunkt für die folgenden Kriegszüge und kann metaphorisch für das Heer Israels stehen. Darüber hinaus hat das Lager auch sakralen Charakter und muss vor Profanierung geschützt werden. Schließlich wird das Lager nicht von einem König befehligt, sondern von Josua oder anderen Funktionsträgern. Das Eindringen der Gibeoniter in das sakrale Lager Israels ist folglich eine gefährliche Verschmutzung, die zudem die Vorgabe der Auslöschung der indigenen Bevölkerung unterminiert. Schon aus diesem kultischen Grund mussten die Gibeoniter dem Heiligen als Kultsklaven zugesprochen werden.141 Vor diesem Hintergrund wird auch der besondere Status der Gibeoniter deutlich. Zum einen werden sie besser behandelt als die nicht-assimilierten Fremden, die ausgelöscht werden mussten. Zum anderen werden sie aber auch schlechter behandelt wie die halbassimilierten gerîm und Beisassen, die inmitten Israels wohnen durften. Hier wird anstelle von Integration und Assimilation die Strategie der Unterwerfung und Unterdrückung angewendet, wobei die Unterdrückung von Fronarbeit, Sklaverei bis hin zur Auslöschung reichen kann.142 Das Lager wird darüber hinaus nach V.6 in Gilgal verortet. Diese Angabe könnte überlieferungsgeschichtlich der Ort sein, an dem die ursprüngliche Erzählung tradiert wurde. Außerdem musste das Lager Israels weit genug von Gibeon entfernt sein, damit der Betrug nicht sofort auffällt.143 Allerdings stellt sich die Frage, weshalb sich die Israeliten wieder in ein Lager im Jordangraben zurückgezogen haben, nachdem Jericho und Ai erobert waren und man in Sichem einen Bund geschlossen hatte.144 Ob man aus diesem Grund jedoch das Lager von Gilgal in der Nähe von Sichem verorten muss, kann nicht mehr definitiv entschieden werden.145 Die Ortsangabe Gilgal ist zudem in Jos 10 wiederholt belegt, sodass der weitere Erzählzusammenhang auch am Anfang von Jos 9 eine Verortung des Lagers in Gilgal erfordert. Der Ort Gilgal war darüber hinaus der zentrale Ort innerhalb der dtr. geprägten Landeroberungserzählung, unabhängig davon, ob Gilgal bereits in der vor-dtr. Erzählung vorgegeben war, oder ob Gilgal erst von einem dtr. Redaktor eingetragen wurde.146 Erst in priesterlichem Kontext wird der Zentralort Gilgal in der zweiten Hälfte des Josuabuches spätestens ab Jos 18 durch Schilo ersetzt. 140
Vgl. zum Folgenden DOZEMAN 2015, 418. Vgl. DOZEMAN 2015, 419. 142 Vgl. hierzu auch JENEI 2019, 145f. 143 Vgl. HERTZBERG 1985, 66. 144 Vgl. HESS 1996a, 196. 145 Nach HOWARD 1998, 224 müsse man das Lager von Gilgal in der Nähe von Ebal und Garizim suchen. Ähnlich schon KEIL 1847, 160. Dagegen aber schon DILLMANN 1886, 481; LLOYD 1886, 123f.; OETTLI 1893, 152; STEUERNAGEL 1900, 186. 146 Vgl. KRAUSE 2014, 218. Nach BRIEND 1990, 147 sei ʾӕl hammaḥanӕh hagGilgāl sekundär ergänzt worden, als die ursprüngliche Tradition mit Josua verbunden wurde. 141
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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In den Versionen wird der Adressat der Rede der Gibeoniter in V.6 bisweilen verkürzt oder anders wiedergegeben. Während sich Vetus Latina auf Israel beschränkt, belegt LXX anstelle des enklitischen Personalpronomens den Eigennamen Josua147 und anstelle von ʾîš Yiśrāʾel lediglich Ισραηλ. Auf diese Weise wird die Rolle der „Mannschaft Israels“ von LXX ausgeblendet.148 Möglicherweise ist die Lesart des MT eine sekundäre Angleichung an Jos 9,7–8, wo ebenfalls ʾîš Yiśrāʾel „Mannschaft Israels“ der Handlungsträger ist, zumal die Versionen gerade hier Abweichungen zeigen. Insofern sollte man bei der literarkritischen Arbeit, die auf die unterschiedlichsten Akteure zurückgreift, hinsichtlich der Beurteilung von V.6 aufgrund von den textkritischen Unterschieden sehr vorsichtig sein. Meist wird Israel mit dem Ausdruck ʾîš Yiśrāʾel als militärische Organisation beziehungsweise Armee gekennzeichnet.149 Es handelt sich bei der „Mannschaft Israels“ zumindest um einen Kollektivbegriff, der oft für das Heer verwendet wird,150 aber auch die Stammesaristokratie bezeichnen kann.151 Bisweilen wird unter ʾîš Yiśrāʾel auch ein demokratisches Element in Israels Gesellschaft verstanden.152 Der Ausdruck ʾîš Yiśrāʾel ist mit einem gewissen Schwerpunkt im Richterbuch belegt.153 Eine spezifische Prägung ist nicht zu erkennen, da dieser Begriff in priesterlichem und dtn. Kontext zu finden ist.154 Da diese Bezeichnung nur in Jos 9–10, ansonsten aber nicht im Josuabuch belegt ist, könnte es sich um eine ursprüngliche Tradition handeln.155 Das Idiom Bōʾ meʾӕrӕṣ reḥôqāh „aus einem fernen Land kommen“ findet sich nur in Jos 9,6.9, außerdem noch in Dtn 29,21, wo es um den Ausländer geht, der das über Israel gebrachte Übel zur Kenntnis nimmt, in 1Kön 8,41//2Chr 6,32, wo die YHWH-Verehrung auch der Fremden in den 147
Nach BOLING 1982, 258 sei der Eigenname Josua aus einer Randnotiz eingedrungen. Nach BUTLER 2014, 431 lesen einige griechische Handschriften „ganz Israel“. Für SOGGIN 1982, 108 ist „Mannschaft Israels“ eine Dublette, die das Folgende vorausnimmt. Nach HARSTADT 2004, 381 sei ʾîš Yiśrāʾel ein Gattungsbegriff, der die angezielte Totalität am besten ausdrücken könne. 149 Vgl. NELSON 1997, 122; HOWARD 1998, 224. 150 Vgl. FRITZ 1994, 103; SPRONK 1994, 78. Zu einer Bedeutung als Heerbann vgl. ROSE 1981, 178f. 151 Vgl. KNAUF 2008, 92. 152 Vgl. SCHMITT 1970, 38f., der hier eine Versammlung der Männer zur Beschlussfassung oder zum Krieg vermutet, sodass historisch entweder an das frühe Königtum zu denken wäre, als der Heerbann noch eine wichtige Rolle spielte, oder an die Joschijazeit, die restaurativ die alte Volksordnung wiederum aufleben ließ. Die vor-dtr. Tradition der Josuaerzählung in Jos 9 könne daher nur aus der frühen Königszeit stammen. Zu einer ähnlichen Deutung der „Mannschaft Israels“ als Versammlung der Israeliten für gemeinsame Entscheidungen oder Krieg vgl. BRIEND 1990, 144f. 153 Ri 7,8; 8,22; 9,55; 20,11.17.20.22.33.36.38.39.41.42.48; 21,1. 154 Num 25,8.14; Dtn 27,14; 29,9. 155 Vgl. BRIEND 2000, 362. 148
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
Blick kommt, und in 2Kön 20,14//Jes 39,3, wo es um die babylonische Delegation bei Hiskija geht, die einen Bundesschluss anstrebt.156 Diese Ausdrucksweise ist demnach in den unterschiedlichsten Kontexten belegt. In Jos 9,9 wird die große Distanz zum Verheißungsland noch zusätzlich unterstrichen.157 Denn dort steigern die Gibeoniter die Entfernung, indem sie behaupten, aus einem „sehr fernen Land“ zu kommen. Allerdings ist unklar, was mit „sehr fern“ tatsächlich gemeint ist.158 Nach den Vorgaben von Dtn 20 musste man zumindest aus einem Ort außerhalb des Verheißungslandes kommen, damit man von der Bannweihe verschont blieb. Allerdings ist in Dtn 20 nicht von einer Stadt ohne Kriegsnot die Rede, sodass die dortigen Bestimmungen für Gibeon nicht notwendigerweise greifen. Ein wirklicher Betrug der Israeliten und Josuas wäre demnach gar nicht nötig gewesen. Ein Bündnis mit einer Stadt, die nicht angegriffen wurde, war durchaus nicht verboten.159 Da sich die Gibeoniter listig bemühen, mit einem dehnbaren Wahrheitsbegriff ihr Anliegen vorzubringen, hätten die Israeliten eigentlich die Gibeoniter überführen müssen. Da man aber die ungenaue Argumentation der Gibeoniter akzeptiert, will man offenbar betrogen werden. Das Idiom KRT berît + l deutet an, dass es sich bei den Gibeonitern um den untergeordneten Vertragspartner handelt.160 Ein Bundesschluss unter gleichen Partnern wird demgegenüber mit ʿim oder ʾӕt formuliert. Dementsprechend wird hier ein Vasallenvertrag geschlossen, der Verpflichtungen des Vasallen und Versprechungen des Oberherrn beinhaltet.161 Durch die Verwendung der Präposition l wird zudem das Bündnisverbot von Dtn 7,2 eingespielt, wo analog formuliert wird.162 Hinzu kommt, dass das Wort berît im dtr. Kontext eine
156
Zu einer Verbindung von Jos 9 mit 2Kön 20 vgl. KEARNEY 1973, 8–11. Nach LAUGHLIN 2015, 135 haben offenbar die Gibeoniter erst im zweiten Anlauf in V.9 die korrekte Antwort gefunden, die zum Gesetzestext in Dtn 20 passt. Damit sie verschont werden dürfen, mussten sie aus einem „sehr fernen Land“ kommen. Nach COLESON 2012, 94 hätte Josua unbedingt den Namen des sehr fernen Landes erfragen sollen, damit er nicht getäuscht wird. 158 Nach EHRLICH 1910, 33 wäre hier ausgedrückt, dass die Gibeoniter aus einem so weit entfernten Land kämen, das Josua daher gar nicht kennen könne. Fraglich ist dann aber, woher die Gibeoniter von den machtvollen Taten Gottes gehört haben, wenn sie so weit von den Ereignissen entfernt leben. 159 Vgl. auch SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 64. 160 Vgl. SCHMITT 1970, 45; HALPERN 1975, 303; SOGGIN 1982, 114f.; GRAY 1986, 100; BRIEND 1990, 148; LININGTON 2005, 671f. Vgl. zum Problem schon SCHMITT 1970, 34, da mit dieser Redeweise nicht ein Vertrag zwischen gleichgestellten Partnern geschlossen werde. Nach MCCONVILLE 1997, 748 bestimmt der stärkere Partner die Vertragsbedingungen. Mit dem Idiom KRT berît wird zudem ausgedrückt, dass eine Verpflichtung festgesetzt wird, vgl. KUTSCH 1971, 344. 161 Vgl. hierzu auch VAN BEKKUM 2011, 245–247; BUTLER 2014, 448. 162 Ähnlich auch Ex 23,32 und 34,12. 157
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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Vertragsgewährung durch einen stärkeren Partner bezeichnet.163 Wenn folglich die Gibeoniter eine berît wünschen, dann erbitten sie Schutz von Israel als stärkeren Partner beziehungsweise ein friedliches Verhältnis zu Israel. Eine berît ist folglich kein Bund unter gleichberechtigten Partnern, sondern ein Kapitulationsvertrag, mit dem sich die Gibeoniter den Israeliten unterwerfen.164 Das Bündnisangebot der Gibeoniter wird mit der Zeitadverbiale weʿattāh + Imperativ zusätzlich verstärkt. Das Adverbiale weʿattāh leitet eine zeitliche oder logische Abfolge ein und dient hier im Bundeskontext als Überleitungspartikel, um eine Forderung oder Bitte einzuleiten.165 Die pluralische Aufforderung der Gibeoniter kirtû lānû kann sich syntaktisch eigentlich nur auf Josua und die „Mannschaft Israels“ gemeinsam beziehen,166 es sei denn, dass man das Kollektiv ʾîš Yiśrāʾel als pluralische Größe auffasst. V.7: LXX überträgt das Ethnonym Hewiter in V.7 entgegen der ansonsten üblichen Übersetzungspraxis nicht mit Ευαίος, sondern mit Χορραῖος, was eigentlich Horiter heißt. Hier könnte ein Übertragungsfehler vorliegen, da die beiden Konsonanten w und r leicht zu verwechseln sind.167 Nur in Gen 34,2 wird der Hewiter Hamor von LXX als Horiter bezeichnet.168 Gelegentlich wird aus inhaltlichen Gründen die Adressatenangabe ʾӕl haḤiwwî zu ʾalehӕm konjiziert,169 was aber nicht nötig ist. Vielleicht stammt diese Adressatenangabe aus der ursprünglichen Erzählung, die bereits die Identität der Fremden mitgeteilt hat.170 Auf diese Weise wäre dem Leser bereits hier deutlich geworden, dass ein Bundesschluss eigentlich nicht möglich ist. Demnach wurde hier die Bezeichnung Hewiter verwendet, um zu zeigen, dass die Gesprächspartner zu den indigenen Völkern gehören, die nach Dtn 7,1–2 der Bannweihe zu überführen sind. Allerdings bleibt diese Zuschreibung den Israeliten noch verborgen, da diese Gleichsetzung vom Erzähler nur dem Leser mitgeteilt wird.171 Allerdings wird bisweilen auch vermutet, dass durch die Gleichsetzung der Gibeoniter mit den Hewitern der Vorwurf des Betrugs abgemildert werden 163
Vgl. FRITZ 1994, 103. Vgl. KNAUF 2008, 92. 165 Vgl. KALLUVEETTIL 1982, 115. 166 Vgl. LEE-SAK 2019, 122. 167 Vgl. hierzu HOLMES 1914, 47; SOGGIN 1982, 115, der aber zusätzlich vermutet, dass die Hewiter mitunter eine hurritische Gruppe gewesen seien; MALLAU 2005, 57 Anm.13. Nach GRAY 1986, 99 sei Horiter zudem die bessere Lesart. MILLER/TUCKER 1974, 79 weisen zudem darauf hin, dass die Gibeoniter nach 2Sam 21,2 als Amoriter bezeichnet werden. Letztendlich ist somit die ethnische Zuweisung der Gibeoniter kaum noch zu bestimmen. 168 Nach AULD 2005, 154 könnte LXX hier bewusst einen Bezug zu Gen 34 geschaffen haben, wo Israel mit Betrug an den Hewitern agierte. Dementsprechend könnte der Ausdruck gam hemmāh auf den zuvor erlittenen Betrug in Gen 34 reagieren. 169 Vgl. EHRLICH 1910, 32. 170 Vgl. LIVER 1963, 232f. 171 Vgl. NOCQUET 2019, 78. 164
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könnte. Als Hewiter seien die Bewohner Gibeons irgendwann tatsächlich aus dem Norden eingesickert, sodass man ursprünglich aus einem fremden, entfernten Land stamme.172 Hierzu passt auch der biblische Befund, da nämlich die Hewiter in Jos 11,3 im Norden am Fuß des Hermongebirges verortet werden. Allerdings ist diese Schlussfolgerung nicht zwingend. Denn es wäre ebenso möglich, dass Hewiter (= „Eva-Söhne“) zunächst die Selbstbezeichnung der nicht-benjaminitischen indigenen Bevölkerung in Benjamin gewesen wäre, die erst sekundär in den Libanon abgewandert sei.173 Insofern kann man aus dem widersprüchlichen biblischen Befund kein entlastendes Argument konstruieren. Der Umstand, dass die Hewiter in der Liste der feindlichen indigenen Völker geführt werden,174 zeigt darüber hinaus, dass es durchaus Völker im Land gibt, die die Geschichtsmächtigkeit YHWHs anerkennen. Auch wenn die Vorbevölkerung eigentlich dem Bann verfallen soll, kann es durchaus einzelne Gruppen geben, die für die YHWH-Verehrung zugänglich sind und daher keine religiöse Gefahr mehr sein müssen. Gelegentlich wird vorgeschlagen, dass das Ethnonym Hewiter, das hier für die Gibeoniter gebraucht wird, auf redaktionelle Arbeit zurückgehen könnte.175 Da die Hewiter unter die feindlichen indigenen Völker in V.1 gezählt werden, müsste diese Erwähnung auf diejenige redaktionelle Hand zurückgehen, die für V.1–2 verantwortlich zeichnet.176 LXX überträgt in der Antwort der Israeliten offenbar noch ein Satzdeiktikon hinneh, das die Aussage noch verstärkt, und verneint die Aussage „siehe, du lebst nicht bei mir“ (῞Ορα μὴ ἐν ἐμοὶ κατοικεῖς). Auf diese Weise wird der Bundesschluss durchaus motiviert. Da die Gibeoniter aus einem fremden Land kommen, besteht kein Grund, nicht einen Bund mit ihnen einzugehen, was durch eine rhetorische Frage zusätzlich betont wird. Schon Vetus Latina kennt zwar offenbar das Satzdeiktikon, konstruiert aber einen nicht-negierten Fragesatz (vide numquid). Die Bezeichnungen für die Israeliten sind in den Versionen in V.6–7 sehr unterschiedlich. Während MT in beiden Versen ʾîš Yiśrāʾel setzt, wird dieser Ausdruck von LXX mit Ισραηλ (V.6) oder υἱοὶ Ισραηλ (V.7) wiedergegeben. In LXX ist zudem von einer Numerusinkongruenz auszugehen, da in der Rede in V.7 die υἱοὶ Ισραηλ von sich im Singular sprechen. Die Numerusinkongruenz ist zumindest bei Vetus Latina nicht gegeben, da sie ʾîš Yiśrāʾel singularisch mit vir Istrahel wiedergibt. Demgegenüber ist diese Inkongruenz in MT ein offensichtliches Problem. Während nämlich Ketib eine pluralische Verbform verwendet und ʾîš Yiśrāʾel offenbar als Kollektiv versteht, hat Qerê eine 172
Vgl. BOLING 1982, 264f.; HUBBARD 2009, 285 Anm.13. Vgl. KNAUF 2008, 27. 174 FRITZ 1994, 103 vermutet, dass die Hewiter eine kleine nicht-israelitische autochthone Bevölkerungsgruppe im Verheißungsland gewesen seien. 175 Vgl. ROBINSON 1907, 309. 176 Vgl. GERMANY 2017, 412. 173
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singularische Form, damit es nicht zu grammatischen Schwierigkeiten kommt.177 Möglicherweise ist der Plural des Ketib die ursprüngliche Lesart. Vielleicht wird dies auch durch LXX bestätigt, die daher ein pluralisches Subjekt gesetzt hat (υἱοὶ Ισραηλ), auch wenn im Anschluss die Rede in den Singular wechselt. Allerdings ist die Überlieferung der alten Übersetzungen in dieser Frage uneinheitlich, sodass keine gesicherte Entscheidung mehr möglich ist.178 Außerdem kann ʾîš Yiśrāʾel auch an anderen Stellen entweder pluralisch oder singularisch aufgefasst werden,179 sodass eine eindeutige numerische Festlegung nicht mehr möglich ist. Auffälligerweise stehen die weiteren Sätze im Singular, sodass ʾîš Yiśrāʾel im Großen und Ganzen eigentlich als Kollektivbegriff aufgefasst wird.180 Das Idiom YŠB beqӕrӕb „in der Mitte wohnen“ wird in der Bibel entweder mit Gott181 oder Menschen verbunden, wobei es sich im zweiten Fall vor allem um Fremdvölker handelt.182 Auch wenn Israel bislang erst einen kleinen Bereich des Verheißungslandes erobert hat, wird mit qӕrӕb bereits ausgedrückt, dass die Fremden allein schon durch ihre Existenz im zugesagten Verheißungsland tatsächlich inmitten Israels leben. Durch diese Bezeichnung wird der Anschein erweckt, als ob Israel das Verheißungsland bereits eingenommen hat.183 Allerdings wäre es auch möglich, dass der Ausdruck qӕrӕb nicht nur räumlich-territorial verstanden werden muss.184 Außerdem könnte diese Formulierung ein Zitat aus Ex 34,12 sein.185 Dann ist es gar nicht nötig, dass die Gibeoniter bereits in der Mitte Israels leben. Vielmehr ist entscheidend, dass die Gibeoniter eigentlich unter die Regelung Ex 34,12 fallen und damit Fremdvölker im Verheißungsland sind. Diese gefährliche Position nehmen somit die Gibeoniter für Israel ein. Es hat zudem den Anschein, dass die Gibeoniter mithilfe dieser Formulierung mit Rahab (Jos 6,25) und dem Fremden in Sichem (Jos 8,35) verglichen werden.186 Es besteht folglich die Gefahr, dass nun auch die Gibeoniter wie diese in der Mitte von Israel leben. Für das Idiom YŠB beqӕrӕb gibt es folglich viele Erklärungsmöglichkeiten, die die auf den ersten 177
Für die singularische Lesung spricht sich FRITZ 1994, 100 aus. Vgl. zum Problem auch BOLING 1982, 258; SOGGIN 1982, 108; BUTLER 2014, 431f. 179 Vgl. auch NELSON 1997, 122. 180 Vgl. KNAUF 2008, 89, der hier deshalb pluralisch übersetzt. 181 Gen 24,3. 182 Dtn 23,17 (Sklave); Jos 6,25 (Rahab); Jos 9,7.16.22 (Gibeoniter); Jos 13,13 (Geschur/Maacha); Jos 16,1; Ri 1,29.30 (Kanaanäer); Ri 1,32 (Asseriter); Ri 1,33 (Naftali); Ri 3,5 (Israeliten). 183 Vgl. GÖRG 1991a, 44. Nach NOTH 1971a, 57 hätten die Israeliten idealiter das Verheißungsland erobert. 184 Vgl. EDERER 2017, 159. 185 Vgl. SCHMITT 1970, 30. Nach BALLHORN 2011, 208 sei nach Ex 23,32; 34,12 und Dtn 7,2 ein Bundesschluss mit den ursprünglichen Bewohnern des Verheißungslandes grundsätzlich untersagt. 186 Vgl. ZIESE 2008, 196. 178
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
Blick beobachtete Spannung beheben. Insofern ist es nicht nötig, nach anderen Übersetzungsmöglichkeiten zu suchen. Eine abschwächende Umvokalisierung zu beqārbî „in meiner Nähe“ ist somit nicht nötig.187 Abwegig ist überdies die Vorstellung, dass YŠB beqӕrӕb die Bedeutung „in der Nähe herrschen“ tragen würde und hier ausgedrückt werden sollte, dass die Fremden eine Bedrohung für Israel wären.188 V.8: Die Selbstbezeichnung der Gibeoniter als ʿabādӕkā ʾanāḥnû „deine Knechte (sind) wir“ wird unterschiedlich gedeutet. Zum einen könnte man diesen Satz für einen devoten und unterwürfigen Gruß beziehungsweise eine Höflichkeitsformel halten.189 Zum anderen könnte man darunter allerdings auch ein formelles Angebot der Unterwerfung verstehen.190 Die Bezeichnung als ʿӕbӕd könnte somit neben der besonderen Höflichkeit auch eine freiwillige Unterwerfung der Gibeoniter andeuten.191 Im zweiten Fall nehmen die Gibeoniter hier schon ihre spätere Position als Kultsklaven voraus.192 Die Scharade der Gibeoniter enthält zudem ironische Anspielungen. Das äußere Erscheinungsbild der Gibeoniter wie auch die Selbstbezeichnung als „Knechte“ deuten nämlich das Ergebnis der Erzählung bereits an. Die Gibeoniter waren offenbar schon immer Knechte, die aufgrund der Schwerstarbeit völlig zerlumpt daherkommen. Auf diese Weise sprechen sie bereits am Anfang der Erzählung ihr Urteil.193 Anstelle von mî „wer“ stellt LXX zweimal eine Frage nach dem Herkunftsort der Gesandten (πόθεν). Auf ähnliche Weise fragt auch Vetus Latina zweimal nach dem Woher der Gibeoniter (unde). Offenbar wollten die Versionen noch die Frage nach der Herkunft der Gibeoniter verstärken, da dies für die weitere Erzählung wichtig ist. Allerdings muss man MT nicht abändern. Mithilfe der Verwendung von yiqtol wird gezeigt, dass tāboʾû als imperfektive Verbalhandlung zu interpretieren ist. Auf diese Weise deutet Josua an, dass 187 So aber EHRLICH 1910, 33. Schon STEUERNAGEL 1900, 186 weist darauf hin, dass die Israeliten kraft göttlicher Bestimmung bereits Bewohner des Landes seien. 188 So GOTTWALD 1979, 524, dem zufolge die ursprüngliche Vorstellung von einer Herrschaft zu Wohnen umgedeutet worden wäre. 189 Vgl. schon KEIL 1847, 161f.; LLOYD 1886, 124f.; STEUERNAGEL 1900, 186; BUTLER 2014, 448. Dagegen aber DILLMANN 1886, 481. Zu den unterschiedlichen Bedeutungen von ʿӕbӕd vgl. auch DOZEMAN 2015, 403f. 190 Vgl. HOLZINGER 1901, 31. Nach SPRONK 1994, 78 sei die Bezeichnung „Knecht“ aber mehr als nur eine Höflichkeitsformel. Ähnlich schon OETTLI 1893, 152f., der hier eine Unterwerfung der Gibeoniter angedeutet sieht. 191 Mit ʿӕbӕd wird zumindest der untergeordnete Partner eines Vertrags bezeichnet, vgl. MATTHEWS 2016, 82. Die Gibeoniter begeben sich nach COLESON 2012, 95 in die Vasallität Israels. Nach FLEMING 2012, 138 Anm. 15 wäre die Unterwerfung Gibeons hingegen aus judäischer Perspektive des 7. Jahrhundert v. Chr. denkbar. 192 Nach NOCQUET 2019, 79 ordnen sich die Gibeoniter in die Vorgaben der Tora bereits ein. 193 Vgl. hierzu SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 80.
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die Gibeoniter auf der Reise sind und noch nicht an ihrem Zielpunkt angekommen sind. Im Gegensatz dazu verwenden die Gibeoniter in V.6 eine perfektive qatal-Form und signalisieren damit, dass sie selbst schon am Ziel sind.194 Eigentlich haben die Gibeoniter mit dem Lager Israels ihr eigenes geheimes Ziel erreicht. V.9: LXX und Vulgata verzichten auf ʾelayw „zu ihm“,195 während MT durch diese Präpositionalverbindung verdeutlicht, dass nun die Antwort der Gibeoniter an Josua folgt. Allerdings vereindeutigt MT die Sprechsituation nicht notwendigerweise, da auch die „Mannschaft Israels“ als singularisches Kollektiv verstanden werden kann. LXX und Vetus Latina übersetzen zudem nicht ʿabādӕkā „deine Knechte“, sondern „deine Kinder“. Die Übersetzungspraxis von LXX hinsichtlich von ʿӕbӕd ist ohnehin nicht einheitlich. Nach LXX bezeichnen sich die Gibeoniter selbst als Οἰκέται „Haussklaven“ (V.8.11) und als παῖδές „Kinder“ (V.9), während Josua sie am Schluss zu δοῦλος „Sklave“ (V.23) degradiert. In V.24 wird sogar auf eine Übertragung von ʿӕbӕd ganz verzichtet, da sich die Gibeoniter vielleicht nicht selbst als δοῦλος unterwerfen wollten. Von LXX wird demnach die Mehrdeutigkeit des hebräischen Lexems ʿӕbӕd eingeebnet und durch entsprechend nuancierte Übersetzungen eindeutig gemacht. Am Schluss der Erzählung betont Josua, dass die einzig richtige Übersetzung von ʿӕbӕd „Sklave“ ist. Als solche sind die Gibeoniter künftig unabhängig von ihren Selbstbezeichnungen zu verstehen. Insgesamt werden im Bekenntnis der Gibeoniter in V.9–10 Passagen aus 1Kön 8,41–42 und Dtn 3,8 zitiert. In 1Kön 8 wird zudem der Fremde positiv und nicht als Gefahr für Israel beurteilt. Diese Kennzeichnung ist unabhängig von einem entfernten Herkunftsort.196 Durch die heilsgeschichtliche Tat der Rettung Israels aus Ägypten hat sich YHWH einen Namen gemacht,197 der sich nach V.9 auch bis zu den Gibeonitern verbreitet hat, worauf das Idiom lešem YHWH hinweist. Das Lexem šem, das sich auf YHWH bezieht, bedeutet hier nicht nur „Name“, sondern vor allem „Ruf“ oder „Reputation“.198 Der Ausdruck lešem YHWH findet sich in Verbindung mit Fremden in Jer 3,17, wo man 194 Vgl. zu dieser syntaktischen Differenzierung HOWARD 1998, 225; HARSTAD 2004, 381f.; BUTLER 2014, 432. Nach KEIL 1847, 162; LLOYD 1886, 125 sei die yiqtol-Form aber lediglich aus Bescheidenheit und Höflichkeit verwendet worden, während die qatal-Form eine gewisse Bestimmtheit und Schärfe ausdrücke. 195 Vgl. STEUERNAGEL 1900, 187. 196 Vgl. zu dieser intertextuellen Verbindung KEARNEY 1973, 13f. 197 Vgl. hierzu FRITZ 1994, 104, der auf Jer 32,20; Jes 63,12.14; Neh 9,10; Dan 9,15 verweist. Ähnlich auch VAN BEKKUM 2011, 248 Anm.27. 198 HOWARD 1998, 225 Anm. 164 weist darauf hin, dass dieses Wort in dieser Bedeutung darüber hinaus noch in Jos 7,9 verwendet wird. GÖRG 1991a, 44 betont zudem, dass im Hebräischen eine bewusste lautliche Assoziation zwischen šem „Name“ und ŠMʿ „Hören“ vorliege.
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sich in Jerusalem „wegen des Namens YHWHs“ versammelt. Ansonsten bezieht sich dieser Ausdruck – abgesehen von Jes 60,9 – meist auf den Tempelbau.199 Vielleicht soll darüber hinaus die Erzählung von der Königin von Saba in 1Kön 10,1 eingespielt werden,200 die nicht nur von der Kunde Salomos hört, sondern auch von dem Haus zu Ehren YHWHs. Dann würden die Gibeoniter betonen, dass sie – ähnlich wie die Königin von Saba – ebenfalls aus einem sehr entfernten Land stammen. Insgesamt kennen die Gibeoniter offenbar Tora und Propheten sehr gut, da sie diese Traditionen einspielen können.201 Da hier dieses Idiom mit dem Bewegungsverb Bōʾ verbunden wird, könnte der Präpositionalausdruck lešem YHWH auch allativ „in Richtung auf“ übertragen werden.202 Dann wären die Gibeoniter zur Verehrung des Namens YHWH aus einem fernen Land gekommen. Aufgrund ihrer expliziten YHWH-Verehrung haben die Gibeoniter ihr Überleben sichergestellt.203 Sie skizzieren sich somit als wirkliche YHWH-Verehrer,204 die weder eine militärische noch eine religiöse Gefahr für die Israeliten darstellen. Schon aus diesem Grund legt sich ein Bündnis nahe. Gewiss scheinen die Gibeoniter aus Gottesfurcht gehandelt zu haben, während die Israeliten einen an sich nicht erlaubten Eid bei YHWH geschworen haben.205 Der gute Name YHWHs hat die Gibeoniter somit bewogen, die lange Reise auf sich zu nehmen, um mit Israel ein Bündnis abzuschließen. Möglicherweise geht die Übertragung der LXX als ἐν ὀνόματι κυρίου auf ein ursprüngliches bešem YHWH „im Namen YHWHs“ mit instrumenteller Bedeutung zurück.206 Allerdings wird damit anstelle der Motivation des Kommens die zugrundeliegende Haltung der Gibeoniter betont, die sich auf diese Weise als wahre YHWH-Verehrer stilisieren. Ob dies schon von MT bezweckt war, sei dahingestellt. LXX und Vetus Latina übersetzen zweimal das hebräische Lexem šem „Name“, während MT beim zweiten Mal das Wort šomaʿ „Kunde“ verwendet. Der griechische Übersetzer hat wohl den Konsonanten ʿ überlesen und ausgelassen.207 Die Lesart des MT wird jedoch ursprünglich sein. Diese Differenzierung des MT wird zusätzlich von Vulgata unterstützt (nomine – famam).208 Das seltene Wort šomaʿ „Kunde“ bezieht sich stets auf die Nachricht über einen 199
1Kön 5,17.19; 8,17.20; 10,1; 1Chr 22,7.19; 2Chr 1,18; 2,3; 6,7.10. Vgl. auch HARSTAD 2004, 382. 201 Vgl. KNAUF 2008, 93. 202 Vgl. ZIESE 2008, 196f. Anm.14. 203 Vgl. PITKÄNEN 2010, 211. 204 Vgl. NOCQUET 2019, 79f. 205 Vgl. zu diesem Gegensatz MATTHEWS 2016, 80f. 206 Vgl. DOZEMAN 2015, 405. Vetus Latina verzichtet darüber hinaus auf eine Wiedergabe des Tetragramms und setzt stattdessen in nomine Dei. 207 Vgl. MALLAU 2005, 57 Anm.14. 208 Auch nach HOLMES 1914, 47 ist die Lesung der LXX ὄνομα ein Fehler. Eine Lesart als infinitivus constructus mit enklitischem Personalpronomen šåmʿô ist ebenfalls nicht nötig, so aber BOLING 1982, 258; NELSON 1997, 122. 200
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starken militärischen oder politischen Akteur.209 Dementsprechend deutet dieses Lexem auch hier das mächtige Vordringen der israelitischen Streitmacht an. Insofern ist eine textkritische Änderung zu šimʿô „Neuigkeit“ oder zu einem infinitivus absolutus šāmoaʿ nicht nötig.210 Das enklitische Personalpronomen ist wie ein genitivus objectivus zu deuten, da hier die „Kunde von/über YHWH“ im Blick ist.211 Der Verweis auf das Handeln Gottes in Ägypten mit ʿŚY beMiṣrāyim wird im Josuabuch nur noch in Jos 24,7 erwähnt. Auch sonst ist diese Formulierung kaum belegt und wird formal beziehungsweise inhaltlich anders verwendet.212 Die Kunde von den Exodusereignissen verbreitet sich offenbar auch unter den Nicht-Israeliten.213 Auf der Ebene des Endtextes muss man das Bekenntnis der Gibeoniter zur Geschichtsmächtigkeit YHWHs aber durchaus als Teil ihres Täuschungsmanövers verstehen. Ob die Gibeoniter hier somit die Wahrheit sagen, sei dahingestellt.214 In LXXL ist der abschließende Relativsatz aufgrund von Homoioarkton offenbar entfallen,215 da V.10 ebenfalls mit weʾӕt kål ʾašӕr beginnt. Der Verweis auf die Exodusereignisse ist an dieser Stelle aber gut eingeführt, sodass man MT nicht verändern muss. Allerdings kann die doppelte Formulierung mit weʾӕt kål ʾašӕr auch einen redaktionellen Nachtrag andeuten, was bei der literarhistorischen Beurteilung ausgewertet werden muss.216 V.10: Der geschichtliche Hinweis der Gibeoniter ähnelt dem Bekenntnis der Rahab in Jos 2,10.217 In beiden Fällen eröffnet kî šāmaʿnû die Rekapitulation der Ereignisse. Außerdem wird der Sieg über die Amoriterkönige fast wortgleich formuliert: ʿŚY lišnê malkê hāʾӕmorî ʾašær beʿebær hayYarden. Das Numeral šenê „zwei“ fehlt in LXX, während es in Vetus Latina noch belegt ist. Vielleicht wurde das Zahlwort mit dem Konsonanten β abgekürzt. Dann wäre es möglich, dass dieser Konsonant vor dem Wort βασιλεῦσιν unabsichtlich wegfiel. Dementsprechend könnte τοῖς β βασιλεῦσιν sekundär zu τοῖς βασιλεῦσιν verkürzt worden sein.218 Vermutlich wählte MT hier die übliche Formulierung von den beiden Amoriterkönigen,219 auch wenn im Josuabuch das Idiom kål malkê hāʾӕmorî ebenfalls gebräuchlich ist.220 Vielleicht geht daher 209
Jos 6,27; 9,9; Est 9,4; Jer 6,24. Vgl. zu diesen Möglichkeiten auch SOGGIN 1982, 108. 211 Vgl. HARSTAD 2004, 382. 212 Ps 106,21; Ez 30,19. 213 Ex 15,14; 18,1; Num 14,14; 1Sam 4,8; 1Kön 8,42, vgl. hierzu KRAUSE 2014, 162. 214 Vgl. EDERER 2017, 160. 215 Vgl. HOLZINGER 1901, 31; BOLING 1982, 258. 216 Vor allem die Furcht vor den Israeliten motiviert die Gibeoniter, ein Bündnis mit Israel einzugehen, vgl. EDENBURG 2021, 97. 217 Vgl. VAN BEKKUM 2011, 249f. 218 Vgl. DEN HERTOG 1996, 97f.; NELSON 1997, 122. 219 Dtn 3,8; 4,47; Jos 2,10; 24,12. Vgl. hierzu BUTLER 2014, 432. 220 Jos 5,1; 10,6. 210
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V.10 auf eine Redaktion zurück, die die dtn. Formulierung hier eintrug. LXXB hat hinter Sihon nicht wie MT „König von Heschbon“, sondern „König der Amoriter“, was wohl eine Angleichung an das zuvor genannte Ethnonym darstellt. Darüber hinaus ergänzen Vetus Latina und LXX beim abschließenden Relativsatz noch das Verb „wohnen“221 und die Ortsbezeichnung „Edrei“. Während erstes lediglich den Nominalsatz verbalisierte, greift letzteres die übliche Doppelbezeichnung „Astarot und Edrei“ auf,222 zumal das Wirken des Königs Og gerne auf Edrei bezogen wird.223 Derartige Erweiterungen des MT sind aber vermutlich nur eine Harmonisierung mit anderen Texten. V.11: LXX eröffnet den Satz mit καὶ ἀκούσαντες, um zu unterstreichen, dass die Ältesten und die Landesbewohner die Kunde von den Israeliten gehört haben. Dies scheint aber eine Erweiterung zu sein, zumal schon Vetus Latina eine solche Satzeröffnung nicht mitträgt. Insofern ist es nicht nötig, bei MT eine Haplographie anzunehmen.224 Am Satzanfang wird darauf hingewiesen, dass die „Ältesten und die Bewohner unseres Landes“ die Gesandtschaft geschickt haben. Die Ergänzung ʾarṣenû „unser Land“ könnte entweder darauf anspielen, dass die Gesandtschaft aus einem größeren Territorium stammt, mit dem die Israeliten einen für sie nützlichen Vertrag schließen mögen.225 Oder die Gesandtschaft deutet hier schon an, dass sie aus einem größeren Gebiet um Gibeon stammt. Erst jetzt wird deutlich, dass sich nicht die Gesamtbevölkerung von Gibeon auf den Weg gemacht hat.226 Außerdem wird auf diese Weise unterstrichen, dass die Mission durchaus einen offiziellen Charakter hat und nicht auf die Initiative von Privatpersonen zurückgeht. Demnach ist klar, dass der angestrebte Bundesschluss für die Gibeoniter verbindlich ist. Außerdem differenzieren sich die Gibeoniter durch diese Redeweise von den kanaanäischen Königen, da man keine Königsherrschaft,227 sondern eine Herrschaft von Ältesten kennt. Angesichts ihrer politischen Verfassung mit Ältesten ähneln die Gibeoniter den Israeliten, was ebenfalls ihre Verhandlungsposition stärkt.228 Unter allen Umständen versuchen sie, sich deutlich von den Kanaanäern abzuheben. Der Umstand, dass bei 221
Nach HOLMES 1914, 47 könnte hier ʾašӕr mit yôšeb verwechselt worden sein. Dtn 1,4; Jos 12,4; 13,12.31. 223 Num 21,33; Dtn 3,1.10. 224 So aber BOLING 1982, 258: wy[šmʿw wy]ʿmrw. HOLMES 1914, 47 vermutet hier ursprünglich die Lesart wayehî kišåmʾām. Kritisch zum Plus der LXX auch YOUNGER 1990, 378, zumal der griechische Übersetzer auch an anderen Stellen den MT erweitert habe. 225 Vgl. HOLZINGER 1901, 33. 226 Dies wurde zumindest in V.3–4 angedeutet. 227 Vgl. HAWK 2000, 142f. 228 Vgl. hierzu SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 67f.; GORDON 2003, 173; EDERER 2017, 163. Zur Ältestenverfassung der Gibeoniter vgl. auch SAPIN 1979, 260. Nach GÖRG 1991a, 44 könnte demgegenüber aber auch ein Stadtkönigtum vorliegen. 222
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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der Delegation die Ältesten fehlen, könnte die Fiktion verstärken, dass die Fremden tatsächlich aus einem entfernten Land stammen. Denn andernfalls wären sicherlich die Ältesten bei den Verhandlungen dabei gewesen.229 Das Idiom ṣêdāh laddӕrӕk „Wegzehrung für den Weg“ ist gelegentlich in der Bibel belegt.230 Vor der Jordanüberquerung wurde auch Israel nach Jos 1,11 beauftragt, ṣêdāh für die Reise mitzunehmen.231 Durch die Zusatzinformation laddӕrӕk wird verdeutlicht, dass es sich tatsächlich um den zu verzehrenden Proviant auf einer Reise handelt. Die mitgebrachte Wegzehrung dient den Gibeonitern möglicherweise zu zwei Zwecken. Zum einen können sie damit ihre Behauptung untermauern, dass sie aus einem fernen Land stammen. Zum anderen können sie die Wegzehrung vielleicht für ein Bündnismahl verwenden.232 Zumindest der erste Zweck scheint erfüllt worden zu sein, während es zu einem Mahl nicht kam. Allerdings ist dieser Ratschlag der Ältesten in V.11 an sich überflüssig, da man auf einer langen Reise ohnehin an Proviantierung denken muss. Die Ältesten teilen somit nur etwas Selbstverständliches mit. Diese an sich unnötige Randbemerkung der Ältesten soll somit die Israeliten auf den mitgeführten Proviant vorbereiten, der die große Entfernung belegen mag. Bisweilen wird aber auch vermutet, dass der Ausdruck ṣêdāh im umfassenden Sinne eher als „mitgebrachte Habe“ zu verstehen sei.233 Dann könnte es sich um eine Tributleistung der Gibeoniter handeln, die die Israeliten als Zeichen der Unterwerfung annehmen. Diese Bedeutung würde zumindest zum Folgenden besser passen, wenn die Israeliten die ṣêdāh in Empfang nehmen und danach einen Bund schließen. Die hier verwendete Formulierung HLK liqrāʾtām findet sich immer dann, wenn betont werden soll, dass sich beide Gruppen noch unterwegs befinden.234 Mit dieser beiläufigen Erwähnung unterstellen die Gibeoniter, dass Israel noch auf dem Weg sei und sich noch nicht dauerhaft niedergelassen habe.LXX belegt darüber hinaus „deine Knechte“ (Οἰκέται σού) anstelle von MT ʿabdêkӕm „eure Knechte“.235 Offenbar versucht LXX zu unterstreichen, dass sich die Gibeoniter direkt an Josua und nicht an die „Mannschaft Israels“ wenden. Allerdings ist auch die pluralische Formulierung durchaus passend, da sich die Gibeoniter als Knechte der Israeliten und nicht nur Josuas verstehen.236 Während sich die Gibeoniter in V.8 noch mit der Selbstbezeichnung ʿabdæ̂kā „deine 229
Vgl. GORDON 2003, 173. Vgl. Gen 42,25; 45,21; Jos 9,11. 231 Vgl. hierzu HOWARD 1998, 226 Anm.166. 232 Vgl. NELSON 1997, 130. Nach WISEMAN 1982, 325f. sei ein Bundesschluss oft mit einem Mahl verbunden, um eine bestimmte Vereinbarung zu schließen. 233 Vgl. GÖRG 1991a, 45. 234 Vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 68. 235 Vgl. SOGGIN 1982, 109. 236 Auch hier kann die Selbstbezeichnung als ʿabdêkӕm entweder unterwürfig oder besonders höflich gemeint sein, vgl. AULD 2005, 155; RÖSEL 2011, 149. 230
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
Knechte“ direkt an Josua wenden, sind in V.11 die Israeliten im Blick. Da der Wechsel in den Plural angesichts der veränderten Redekonstellation nötig ist – in V.11 wird der Befehl der Ältesten und der Bewohner Gibeons mitgeteilt, die offenbar die Israeliten als Ansprechpartner sehen –, muss man hier nicht notwendigerweise eine literarkritische Spannung vermuten.237 Der Anschluss weʿattāh + Imperativ könnte entweder das wörtliche Zitat der Ältesten von Gibeon fortführen,238 sodass auch noch V.12–13 zum Zitat gehören würde, oder es handelt sich um eine freie Weiterführung durch die Boten aus Gibeon.239 Gelegentlich wird dieser Satz als sekundäre Übernahme aus V.6 betrachtet, da auf diese Weise der Zusammenhang zu V.12 unterbrochen werde.240 V.12: Das von den Gibeonitern mitgeführte Brot war zu Beginn der Reise noch ḥām „heiß“. Durch dieses Lexem soll vermutlich ausgedrückt werden, dass das Brot direkt aus dem Ofen kam. Insofern ist eine abgeschwächte Bedeutung als frisches Brot nicht notwendig.241 Sowohl Vetus Latina wie LXXAB verzichten auf den Ausdruck mibbātênû „aus unseren Häusern“. Es gibt allerdings keinen Grund für die Annahme, dass es sich bei der Lesart des MT um eine nachträgliche Erweiterung handelt. Dementsprechend verzichten die Versionen vermutlich auf diese an sich unnötige Angabe. Außerdem fehlt in Vetus Latina, LXX und Vulgata das Satzdeiktikon hinneh. Es ist jedoch kaum ersichtlich, weshalb es zu einer derartigen Ergänzung in MT gekommen sein soll, zumal die Konstruktion weʿattāh hinneh auch im Josuabuch nicht unüblich ist.242 V.13: Vetus Latina, LXX und Vulgata verschlanken offenbar die Syntax des MT und verzichten auf das Satzdeiktikon wehinneh sowie auf das zweite Demonstrativum weʾellӕh vor der Kleidung der Gibeoniter. Allerdings scheinen Vetus Latina und LXX das Satzdeiktikon wehinneh durch weʾellӕh ersetzt zu haben (et isti beziehungsweise καὶ οὗτοι). Außerdem könnte das zweite weʾellӕh vielleicht sogar ursprünglich gefehlt haben,243 da man vor dem letzten 237
So aber GERMANY 2017, 413, der Jos 9,8b–11 als sekundär beurteilt. Vgl. RUDOLPH 1938, 201. 239 Vgl. zum Problem HARSTAD 2004, 382f. 240 Vgl. STEUERNAGEL 1900, 187. 241 So aber EHRLICH 1910, 34. Nach BEYSE 1977, 1047 drückt dieses Adjektiv den Zustand von Objekten aus, die durch äußeren Einfluss heiß geworden sind. TOMASINO 1997, 177 verweist noch auf 1Sam 21,6, wo das Nomen ḥom mit læḥæm verbunden wird und sich auf frischgebackenes Brot bezieht. Dieses Brot ist aber im Laufe der Reise yābeš „trocken“ geworden. Dieses Verbaladjektiv bezieht sich auf hartes, trockenes Brot, vgl. PREUSS 1982, 402. 242 Vgl. Jos 9,12.25; 14,10. Ansonsten ist diese Formulierung fast ausschließlich in der erzählenden Literatur belegt: Gen 12,19; Ex 3,9; Num 24,14; Dtn 26,10; 1Sam 12,2.13; 24,21; 1Kön 1,18; 22,23; 2Chr 18,22; 20,10; Jer 40,4. 243 Vgl. zum Problem HOLMES 1914, 47. 238
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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Satz ebenfalls die Relativpartikel ʾašӕr vor dem Verb bālû wie in der parallelen Konstruktion von 13a erwarten würde. Hier scheinen folglich einige Dinge in der Textüberlieferung unterschiedlich wiedergegeben zu sein. Eine inhaltliche Abweichung ist jedoch nicht zu erkennen. V.14: Vulgata übersieht das Subjekt hāʾanāšîm des MT und überträgt den Satz mit susceperunt,244 sodass hier beide Gruppen im Blick sein könnten, auch wenn der zweite Satz kaum zu den Gibeonitern passt. Vetus Latina und LXX geben hingegen hāʾanāšîm mit „Fürsten“ wieder (principes beziehungsweise ἄρχοντες).245 Möglicherweise sah diese Tradition aber auch das Problem, dass nicht das gesamte Volk die Wegzehrung gegessen haben kann,246 sodass man hier eine Kleingruppe eingeführt hat. Vielleicht geht diese Wiedergabe auf einen Lesefehler hanneśîʾîm zurück.247 Allerdings übertrug LXX andernorts das Wort ʾanāšîm mit ἄρχοντες,248 sodass diese Abweichung nicht textkritisch auszuwerten ist. Mitunter ist diese Lesart bereits eine Vorwegnahme von V.15, wo die „Fürsten der Gemeinde“ explizit genannt werden.249 Es stellt sich zudem die Frage, weshalb nicht schon in V.14 der vollständige Begriff erwähnt wird. Denn neśîʾîm wird ansonsten in Jos 9 direkt oder indirekt mit ʿedāh verbunden, was hier nicht der Fall ist. Die Lesart „Fürsten der Gemeinde“ stört sich zudem an dem Kontext, wo von Josua und den Israeliten die Rede ist. Ein Treffen mit den Fürsten ist bislang nicht im Blick.250 Außerdem kommt den Fürsten im zweiten Teil der Erzählung die Aufgabe zu, den von Josua und der Mannschaft Israels begangenen Fehler zu beheben.251 Insgesamt scheint die Lesart von MT zuverlässig zu sein.252 Fraglich ist zudem, wer mit den hāʾanāšîm „Männern“ eigentlich gemeint ist. Zunächst darf man nicht vorschnell die „Männer“ aus V.14 mit der „Mannschaft Israels“ aus V.6–7 gleichsetzen.253 Vielleicht soll hier der Gegensatz zwischen 244 Die Vulgata geht ohnehin sehr frei bei ihrer Übersetzung vor, was nicht auf eine abweichende Vorlage schließen lässt, vgl. BARTHÉLEMY 1982, 15. 245 Diese Lesart übernimmt auch Peschitta, vgl. HOLMES 1914, 47. 246 Vgl. HOLMES 1914, 47. 247 GRAY 1986, 101 vermutet hier Metathesis. STEUERNAGEL 1900, 185; NOTH 1971a, 54; MILLER/TUCKER 1974, 75; HERTZBERG 1985, 67 bevorzugen die Lesart der LXX. Dagegen aber NIEHR 1986, 649. Nach KNAUF 2008, 92 suggeriere der Begriff „Fürst“ zudem „unangemessene Konnotationen aus Feudalgesellschaften“. 248 Vgl. BARTHÉLEMY 1982, 15, der auf Ri 8,15 hinweist. 249 Vgl. BOLING 1982, 258; BUTLER 2014, 432. Nach BENNETT 1895, 27 sei die Lesart der LXX lediglich eine sekundäre Harmonisierung mit V.15. Nach COOKE 1918, 78 wurde hier zudem bewusst von LXX geändert, um zu verhindern, dass die Fürsten in dieser Sache übergangen worden wären. 250 Vgl. SOGGIN 1982, 109. 251 Vgl. auch BOLING 1982, 265. 252 Vgl. LIVER 1963, 231 Anm.1; BRIEND 1990, 149 Anm.79; YOUNGER 1990, 378. Nach RUDOLPH 1938, 202 Anm.1 sei die Wiedergabe der LXX eine sekundäre Angleichung. 253 So aber GERMANY 2017, 413, der zudem aufgrund dieser Identifizierung Jos 9,6b–7 und Jos 9,12–14 beziehungsweise Jos 9,4–5 derselben redaktionellen Hand zuweist.
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
den „Männern“ und Gott besonders betont werden,254 zumal beide Subjekte kontrastiv einander gegenübergestellt werden. Damit ist aber die Frage noch nicht gelöst, wer die hāʾanāšîm sind. Insgesamt bieten sich drei Lösungsansätze an: Israeliten als hāʾanāšîm: In diesem Fall inspizieren die Israeliten selbst die Wegzehrung und überprüfen diese. Im Ausdruck hāʾanāšîm könnte auch die „Mannschaft Israels“ und Josua gemeint sein, die in diesem Fall zusammengearbeitet haben. Vielleicht wurde bewusst mehrdeutig formuliert, damit die Verantwortlichkeit für den Bundesschluss verschleiert wird. Gibeoniter als hāʾanāšîm: Vielleicht nehmen die Gibeoniter von dem Mitgebrachten, um es den Israeliten zur Prüfung vorzulegen. Dann wäre aber die eigentlich wichtige Handlung der Übergabe des Proviants nicht lexematisch ausgedrückt worden, was wenig wahrscheinlich ist. Beide Gruppen als hāʾanāšîm: Israeliten und Gibeoniter nehmen gemeinsam die Wegzehrung als Mahl ein.255 Diese Deutung ist unwahrscheinlich, wie noch zu zeigen sein wird.
1)
2)
3)
Auffälligerweise wird das Objekt pî YHWH betont an den Satzanfang gestellt. Auf diese Weise zeigt sich die vorschnelle Sorglosigkeit der Israeliten,256 für die sie kritisiert werden.257 Vetus Latina und LXX übertragen zudem den Ausdruck pî YHWH „Mund YHWHs“ verkürzt als „Herr“. Nur hier gibt LXX somit den Ausdruck pî YHWH sehr frei wieder.258 Vielleicht sollte auf diese Weise die anthropomorphe Rede von Gott vermieden werden.259 Eine wirkliche theologische Korrektur ist jedoch kaum zu erkennen. Denn selbst der Ausdruck „Mund YHWHs“ ist nicht religiös anstößig, zumal man sich hier nicht an YHWH direkt, sondern nur an seinen Mund wendet. Eine wirkliche Beziehung zu Gott wäre folglich nicht angestrebt. Mit der Übertragung „Mund YHWHs“ hätte man folglich die falsche Haltung der Israeliten zusätzlich unterstreichen können. Nicht einmal den „Mund YHWHs“ hat man konsultiert, um Schlimmeres zu verhindern. Allerdings wäre auch ein innergriechischer Verlust denkbar, wenn das 254
Vgl. EHRLICH 1910, 34, der auf Gen 32,29 und 1Sam 2,26 verweist. Vgl. zum Problem ZIESE 2008, 198 Anm.17. 256 Vgl. NELSON 1997, 133. 257 Nach HARSTAD 2004, 388 diene dieser Hinweis nicht nur zur Beschuldigung der Israeliten um Josua, sondern auch als Warnung an den Leser. 258 Ansonsten wird im Josuabuch der Ausdruck pî YHWH mit πρόσταγμα τοῦ θεοῦ/κυρίου „Befehl Gottes/des Herrn“ übertragen, vgl. Jos 15,13; 17,4; 19,50; 21,3; 22,9. Nach DEN HERTOG 1996, 170 werden zudem Constructusverbindungen vom griechischen Übersetzer gerne derart wiedergegeben, dass auf ein Wort verzichtet wird. 259 Vgl. HOLMES 1914, 47; NELSON 1997, 122; MALLAU 2005, 57 Anm.19. Nach HARSTAD 2004, 387 sei pî YHWH zudem eine Metonymie für „das, was aus dem Mund YHWHs kommt“. 255
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Auge des griechischen Kopisten aufgrund des gleichen eröffnenden Konsonanten von καὶ sofort zu κύριον gewandert wäre.260 Dann müsste man aber auch davon ausgehen, dass der Kasus sekundär von Genitiv zu Akkusativ angepasst worden wäre. Ohne Zweifel lässt sich folglich die verkürzte Redeweise textkritisch erklären, sodass man MT nicht abändern muss. Mit dem Begriff pî YHWH könnte das „Orakel YHWHs“ gemeint sein,261 das man beim obersten Priester Eleasar hätte einholen müssen.262 Durch diesen Satz wird verdeutlicht, dass YHWH offenbar nicht mit der Entscheidung der Israeliten einverstanden gewesen wäre.263 Da man sich offensichtlich täuschen lassen wollte, wäre somit eine Orakelanfrage kontraproduktiv gewesen. Man hätte vor dem voreiligen Bundesschluss ein Losorakel einholen müssen, um sich abzusichern, zumal man in vergleichbaren Fällen Gott ebenfalls befragt hat.264 Eigentlich hätten Josua und die Anführer Israels wissen müssen, was passieren kann, wenn man Gott nicht einbezieht, wie die Niederlage vor Ai gezeigt hat.265 Da man allerdings Gott nicht konsultiert hat, musste YHWH auch nicht eingreifen, um diesen Betrug zu verhindern. Durch die Aussage, dass sich die Männer nicht an Gott gewandt haben, wird Josua teilweise entschuldigt. Denn nur die Israeliten haben YHWH nicht um Rat gefragt. Dies gilt freilich nur dann, wenn Josua nicht Teil der hāʾanāšîm gewesen ist, was aber fraglich ist. Denn das pluralisch verwendete Verb kann sich auf die zuvor Handelnden insgesamt beziehen, sodass auch Josua und nicht nur die Männer den „Mund YHWHs“ nicht befragt haben.266 Der Hinweis, dass die Befragung YHWHs nicht erfolgt ist, könnte darauf hindeuten, dass hier eine feierliche Bündnisprozedur beschrieben wird, die allerdings ohne YHWH-Orakel vollzogen wurde, sodass eine sakralrechtliche Legitimation des Vertrags ausblieb.267 Allerdings hat man auch danach, als der Betrug aufgeflogen ist, YHWH nicht zur Klärung der internen Auseinandersetzung eingeschaltet. Dies passt zu anderen Stellen des Josuabuchs, in denen Josua ohne Verweis auf Gott agiert.268 Während die Gibeoniter von den großen Taten YHWHs reden (V.9–10), kommen die Israeliten in 260
Vgl. BOLING 1982, 258. Vgl. SOGGIN 1982, 109; GARCÍA LÓPEZ 1989, 531; FRITZ 1994, 104; KNAUF 2008, 93. Es könnte sich hierbei um ein Losorakel gehandelt haben, vgl. OETTLI 1893, 153; STEUERNAGEL 1900, 187; ROBINSON 1907, 310; VAN BEKKUM 2011, 251–253; MATTHEWS 2016, 82. Hier ist zumindest eine Gottesbefragung im Blick, vgl. THOMPSON/MARTENS 1997, 584. 262 KNOBEL 1861, 393 verweist in diesem Zusammenhang auf Num 27,21. 263 Vgl. NELSON 1997, 130. 264 Vgl. ELGAVISH 2009, 76–79. 265 Vgl. COLESON 2012, 95. Im Josuabuch wird zudem – mit Ausnahme von Jos 2 und 9 – immer YHWH in die Entscheidung eingebunden, vgl. MALLAU 2005, 59f. 266 Vgl. HUBBARD 2009, 286 Anm.20. Allerdings wird den Israeliten in Jos 9 nicht wirklich vorgeworfen, dass sie Gott nicht befragt haben, vgl. NOCQUET 2019, 80. 267 Vgl. GÖRG 1991a, 45. 268 Vgl. zum Problem ELGAVISH 2009, 80. 261
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ihrer Entscheidung offenbar ohne Gott aus. Der Kontrast zwischen beiden Parteien könnte somit nicht größer sein. Da V.14 die Nichtbefragung YHWHs offenbar als Fehler kennzeichnet, kann man auch nicht implizit davon ausgehen, dass YHWH für fromme Bemühungen von Fremden offen ist.269 Der kurze Hinweis darauf, dass man YHWH nicht befragt hat, zeigt zudem an, dass der Konflikt noch lange nicht gelöst ist, sondern dass die Erzählung auf den zweiten Teil hin angelegt ist.270 Auffällig ist darüber hinaus das völlige Schweigen YHWHs, der in dieser Erzählung eigentlich nicht vorkommt.271 Bisweilen wurde vorgeschlagen, dass ursprünglich pî YHWŠʿ anstelle von pî YHWH gestanden wäre, zumal bei der Gottesbefragung ansonsten fast immer eine Präpositionalverbindung mit b stehen würde. Dann wäre die Übereinkunft mit den Gibeonitern ohne die Zustimmung von Josua erfolgt.272 Fraglich ist, was mit dem Verb LQḤ „nehmen“ eigentlich gemeint ist.273 Verschiedene Dinge werden damit verbunden: 1)
2)
Oft wird ein bündnisschließendes Mahl oder ein Freundschaftsmahl vermutet.274 Ein Mahl der nicht mehr essbaren Vorräte ist jedoch kaum gemeint. Denn die alten krümeligen Brotreste sind nicht mehr für den Verzehr geeignet. Außerdem hätten die Israeliten den Gibeonitern als ihren Gästen von ihrem Brot anbieten müssen. Darüber hinaus wäre zu erwarten gewesen, dass der Mahlaspekt lexematisch eindeutig ausgedrückt worden wäre, indem das Essen beider Vertragspartner noch zusätzlich betont werde.275 Bei einem Mahl wären zudem beide Partner involviert gewesen, während hier nur die Israeliten die Wegzehrung nehmen.276 Vielleicht ist hier an eine Gabe der Gibeoniter gedacht, mit der sie sich den Israeliten unterwerfen wollen.277 Weshalb aber diese Tributgabe als
269 So aber MALLAU 2005, 67. Nach DE VOS 2020, 168 war zudem der Bundesschluss mit den Gibeonitern nicht im Sinne YHWHs, da zuvor YHWH nicht befragt wurde. 270 Vgl. EDERER 2017, 160f. 271 Nach MATTHEWS 2016, 83 übernehme Josua diese Rolle wie Gott in der Paradieserzählung, indem er die Gibeoniter befragt und einen Fluch ausspricht. 272 Vgl. HOLZINGER 1901, 32. Dagegen aber RUDOLPH 1938, 202 Anm.3. 273 Zum Problem vgl. BUTLER 2014, 432. Eine textkritische Veränderung von LQḤ zu QīŠ „vergleichen und einen Schluss ziehen“, vgl. EHRLICH 1910, 34, ist nicht nötig. 274 Vgl. schon KNOBEL 1861, 393; COOKE 1918, 78; BLENKINSOPP 1966, 212; NOTH 1971a, 58f.; KEARNEY 1973, 1; MILLER/TUCKER 1974, 79; BOLING 1982, 265; KALLUVEETTIL 1982, 117f.; GRAY 1986, 101; FRITZ 1994, 104; ELGAVISH 2009, 80 Anm.44; RÖSEL 2011, 150; DOZEMAN 2015, 420. 275 Kritisch zu einem Mahl DILLMANN 1886, 482; SCHMITT 1970, 34f. Anders hingegen DE VOS 2020, 168, dem zufolge der Verzehr von schlechtem Brot eine gewisse Ironie darstellt. 276 Vgl. zum Problem SCHMITT 1970, 35. 277 Vgl. SCHMITT 1970, 35. Nach HALBE 1975, 620f. könnte das Brot auch eine doppelte Bedeutung haben. Zum einen diene es als Indiz für die ferne Herkunft der Gibeoniter. Zum anderen verpflichte es die Israeliten, wenn sie es nehmen, den Fremden zumindest temporär
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Reiseproviant bezeichnet wird, ist unerfindlich. Hinzu kommt, dass dieses Huldigungsgeschenk überhaupt nicht schmeichelhaft ist, was wiederum den Eindruck verstärkt, dass die Gibeoniter in der Tat eine lange Reise hinter sich haben müssen. Es hat somit den Anschein, dass die Israeliten hier überprüfen wollen, ob die Aussagen der Gibeoniter bezüglich der Wegzehrung stimmen.278 Ob man daraus allerdings den Schluss ziehen musste, dass die Gibeoniter aus einem entfernten Land stammen, sei dahingestellt.
Grundsätzlich muss man somit nicht annehmen, dass hier eine Mahlgemeinschaft, mit der der Bundesschluss vollzogen wird, oder eine Unterwerfungsgeste im Blick ist. V.15: Gelegentlich wird vermutet, dass der zweite Satz vielleicht nicht Josua, sondern das Kollektiv „Mannschaft Israels“ als Subjekt haben könnte,279 zumal dieses Kollektiv auch sonst singularisch konstruiert wird. Allerdings gibt es kein Anzeichen für einen Wechsel des Subjekts, zumal hier die Progressform wayyiqtol steht, die die zuvor begonnene Handlung fortsetzt. LXXL verzichtet auf die Infinitivkonstruktion leḥayyôtām.280 Dies könnte ein Indiz für redaktionelles Wachstum sein. Dementsprechend wäre leḥayyôtām ergänzt worden, um sicherzustellen, dass der eigentliche Zweck des Bundesschlusses sein sollte, dass die Gibeoniter am Leben bleiben und somit als Kultsklaven eingesetzt werden können. Außerdem kommt die Zusicherung, die Gibeoniter am Leben zu lassen, an dieser Stelle viel zu früh. Denn der Betrug ist noch gar nicht aufgefallen, sodass es keinen Grund gibt, die Besucher aus einem fernen Land auszulöschen. Demnach ist auch die Anweisung leḥayyôtām noch nicht erforderlich. Letztendlich wuchs die Infinitivkonstruktion leḥayyôtām mit Blick auf die Fortführung der Erzählung redaktionell hinzu.281 Es handelt sich aufgrund der redaktionellen Erweiterung somit um mehr als nur einen Nichtangriffspakt. Der Inhalt des Bundesschlusses ist demnach die Lebenssicherung für die Gibeoniter. Allerdings ist damit nicht gesagt, ob die Israeliten die Untergebenen vertreiben oder versklaven dürfen. Der Bund zwischen den Israeliten und den Gibeonitern wird aufgrund von leḥayyôtām auf eine reine Lebensgarantie eingeschränkt. Schutz zu gewähren. Erst durch einen förmlichen Bund werde der Schutz dauerhaft. LLOYD 1886, 126 schlägt vor, dass die Israeliten die Wegzehrung als Zeichen der Freundschaft genommen hätten. 278 Vgl. COOKE 1918, 79; HERTZBERG 1985, 67; HOWARD 1998, 219 Anm.146; SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 69. Nach COLESON 2012, 93 scheinen die Israeliten entweder das Brot tatsächlich gegessen oder es lediglich inspiziert zu haben. 279 Vgl. RÖSEL 2011, 150. 280 Vgl. hierzu HOLZINGER 1901, 33; HOLMES 1914, 47; BOLING 1982, 258. 281 Vgl. HOLZINGER 1901, 33. Nach LEE-SAK 2019, 123 sei leḥayyôtām auf die Verbindung mit dem Banngebot in Dtn 7,12 zurückzuführen.
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
Der Infinitiv von ḤYY-D hat vermutlich iterative beziehungsweise durative Bedeutung. Mit dem Bundesschluss soll folglich das Leben der Gibeoniter verlängert werden.282 Hinzu kommt, dass bei ḤYY nicht nur das physische Leben im Blick ist, sondern auch theologische und ökonomische Aspekte.283 Die Verwendung der Wurzel ḤYY verbindet die Gibeonitererzählung zudem mit der Rahaberzählung, wo ebenfalls ḤYY-H gebraucht wird, um auszudrücken, dass die Sippe Rahabs am Leben gelassen wird (Jos 2,13 und 6,25). LXX gibt das Lexem ḤYY-D mit τοῦ διασῶσαι αὐτούς wieder, sodass hier bereits die in Jos 10 berichtete Rettung Gibeons durch die Israeliten im Blick sein könnte.284 Außerdem werden die unterschiedlichen Stammesformationen von ḤYY in V.15, V.20 und V.21 von LXX mit unterschiedlichen Verben wiedergegeben. Lediglich Vetus Latina verstärkt das Verb ŠBʿ „schwören“ zusätzlich mit einer figura etymologica (iurauerunt eis iureiurando). Offenbar sollte dieses wichtige Erzählmotiv noch zusätzlich unterstrichen werden. Denn ein Schwur durfte nicht gebrochen werden, auch wenn die Voraussetzungen dazu zweifelhaft waren. Ein Bundesschluss ist ansonsten nicht notwendigerweise mit einem Schwur verbunden, auch wenn dies nicht ausgeschlossen ist.285 Hinzu kommt, dass die Israeliten den Gibeonitern schwören, sodass es den Anschein hat, als ob Israel der unterlegene Bündnispartner ist.286 Vielleicht deutet diese Beobachtung an, dass das Element des Schwures erst sekundär ergänzt wurde, damit der Bundesschluss nicht wiederum aufgekündigt werden konnte.287 Möglicherweise stammt das Motiv des Schwurs aus 2Sam 21,2.288 Die neśîʾîm „Fürsten“ sind eine Versammlung von führenden Aristokraten, die mit dem nachexilischen Hohen Rat als Selbstverwaltungsorgan innerhalb der Provinz Yehud vergleichbar ist.289 Ein solches Gremium der Oberschicht handelt darüber hinaus viel rationaler als Zusammenrottungen von Angehörigen der Unterschicht.290 Bisweilen wird vermutet, dass dieses Wort auf den Ausdruck NŚʾ qôl „Stimme erheben“ zurückzuführen und als „Sprecher“ widerzugeben ist.291 282
Vgl. BOLING 1982, 266. Vgl. HESS 1996a, 198f., der auf Gottesnähe und materielle Versorgung verweist. 284 Vgl. DOZEMAN 2015, 406. 285 Vgl. VAN BEKKUM 2011, 253 Anm.45, der auf Gen 21,27.32; 26,28; 31,2; 2Kön 11,4; Ps 89,4.35–36; 105,9; Esr 10,3.5 hinweist. 286 Vgl. hierzu CHEN 1997, 28. 287 Vgl. RUDOLPH 1938, 202f.; KALLUVEETTIL 1982, 116. 288 Vgl. RUDOLPH 1938, 203. 289 Insofern bezeichnet KNAUF 2008, 94 diese Gruppe als „Senatoren“. Nach RÖSEL 2011, 152 seien neśîʾîm die traditionellen Anführer einer Stammesgesellschaft, die man auch als Älteste bezeichnet. Nach NIEHR 1986, 653f. haben neśîʾîm in priesterlichen Texten vier Funktionen: Stammesführer, Sippenvorsteher, militärischer Anführer und allgemeiner Titel eines Vornehmen. 290 Vgl. KNAUF 2008, 94. 291 Vgl. NOTH 1971a, 54. 283
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Allerdings ist demgegenüber wohl eher von einer Grundbedeutung „Erhabener“ auszugehen.292 Es hat zudem den Anschein, dass das Gremium der neśîʾîm bei Abschluss von Verträgen wichtiger ist als Josua.293 Für den Begriff ʿedāh „Gemeinde“ werden von den Versionen die unterschiedlichsten Übersetzungsvarianten gewählt. Am blassesten bleibt Vulgata, die von einer nicht religiös oder kultisch konnotierten multitudo ausgeht, während Vetus Latina wie ähnlich schon LXX die treffendere Übersetzung synagogae wählt. Das Nomen ʿedāh „Gemeinde“ leitet sich von der Wurzel YʿD „bestimmen“ ab.294 Ausweislich der Etymologie bezieht sich das Lexem ʿedāh auf eine Versammlung zu einem bestimmten Zweck. Bei einer ʿedāh könnte es sich zunächst um eine allgemeine Versammlung aller freien erwachsenen Männer gehandelt haben, die Bestimmungen für ganz Israel treffen konnten. Diese ʿedāh hätte somit in erster Linie juristische Funktion gehabt, um über rechtliche Probleme zu entscheiden. Dementsprechend könnte es sich bei ʿedāh um eine lokale Versammlung vielleicht der Väterhäuser und ihrer Vorstände handeln. In priesterlichen Texten ist ʿedāh jedoch ein religiös geprägter Begriff, der sich auf die Volks-, Rechts- und Kultgemeinde bezieht. Da in V.15 von den neśîʾê hāʿedāh die Rede ist und hier offenbar der priesterliche Begriff nāśîʾ verwendet wird, wird es sich hierbei insgesamt um einen priesterlichen Ausdruck handeln.295 Möglicherweise liegt in V.15 keine Dublette vor, da Josua zunächst eine friedliche Beziehung herstellt, die er dann mit der feierlichen Zeremonie eines Bundesschlusses ratifiziert.296 Somit wäre eine literarkritische Deutung der Doppelung nicht zwingend. Eine Entscheidung kann erst nach Sichtung aller Argumente getroffen werden. V.16: Die Formulierung wayehî miqṣeh + Zeitangabe ist bisweilen mit einem Schwerpunkt in der erzählenden Literatur belegt.297 Die Zeitangabe „nach Ablauf von drei Tagen“ kann mit Jos 3,2 verbunden werden. Während in Jos 3 die geographische Grenze des Jordans überquert wird, wird in Jos 9 die ethnische Grenze überschritten, da ein Bündnis mit den Gibeonitern zuvor geschlossen 292
Vgl. NIEHR 1986, 648f. Ähnlich auch STOLZ 1976, 115f.; AITKEN 1997, 171. Vgl. LEVY/MILGROM 1986, 1087. 294 Vgl. zum Folgenden GASS 2021a, 36. 295 Vgl. zu diesem Begriff Ex 16,22; Num 16,2; 31,13; 32,2; Jos 9,15.18; 22,30. Nach RÖSEL 2011, 152 sei ʿedāh nicht die religiös konnotierte Gemeinde, sondern das Volk. Nach NOCQUET 2019, 88 handele es sich bei neśîʾê hāʿedāh zudem um einen post-priesterschriftlichen Ausdruck. Anders hingegen LIVER 1963, 229, der neśîʾîm für einen alten Ausdruck hält. Ähnlich auch NOTH 1971a, 55f. Nach BLENKINSOPP 1966, 211; BLENKINSOPP 1972, 34 könnte es sich bei ʿedāh ebenfalls um einen alten Begriff handeln. Hier kommt man über Vermutungen kaum noch hinaus. 296 Vgl. STEUERNAGEL 1900, 187. 297 Jos 3,2; 9,16; 1Kön 9,10; 2Kön 8,3; Ez 3,16. Wie jedoch Israel von dem Betrug erfährt, wird nicht näher ausgeführt. Nach BRIEND 1990, 156 liege hier ein stereotyper Ausdruck vor. 293
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
wurde.298 Mit der Konjunktion ʾaḥarê ʾašӕr wird ein Nebensatz angeschlossen, womit ein Sachverhalt geschildert wird, der dem Geschehen im übergeordneten Satz vorausliegt.299 Die beiden singularischen enklitischen Personalpronomina des MT sind auffällig und wurden von den alten Versionen bereits in den Plural gesetzt, zumal das vorausgehende Verb ŠMʿ „hören“ bereits im Plural steht. Die singularischen enklitischen Personalpronomina bei ʾelāyw und beqirbô können sich jedoch auf Israel beziehen und müssen daher nicht geändert werden.300 Bisweilen wird der letzte Satz als unnötige Glosse zum vorherigen Satz ausgeschieden.301 V.17: Möglicherweise soll die Verwendung der Wurzel Bōʾ auf eine militärische Aktion Israels gegenüber Gibeon hinweisen.302 Die Verbindung der beiden Verben NSʿ und Bōʾ scheint zumindest ein kriegerisches Vorgehen Israels anzudeuten.303 Israel wendet sich nun jedenfalls gegen Städte der Gibeoniter, deren Namen aufgezählt werden.304 In LXX und Vetus Latina fehlt die zeitliche Datierung bayyôm haššelîšî „am dritten Tag“.305 Bisweilen wird vermutet, dass diese Zeitdauer durch ein Missverständnis aus Jos 9,16 übernommen wurde.306 Schon diese Beobachtung verbietet es, dass man beide Zeiträume einfach aufaddiert. Außerdem könnte auf diese Weise vielleicht auch an andere Stellen im Josuabuch angeglichen sein, wo es ebenfalls um drei Tage geht.307 Die Formel bayyôm + Ordinalzahl findet sich nämlich immer wieder in der ersten Hälfte des Josuabuchs.308 Es hat somit den Anschein, dass die Gibeonitererzählung ausweislich der Zeitangabe mit der Rahaberzählung und dem Jordandurchzug intertextuell verbunden werden sollte.309 Offenbar haben die Israeliten ihren Eroberungszug ins Landesinnere 298
Vgl. HAWK 2000, 144. Vgl. BUTLER 2014, 432. 300 Während FRITZ 1994, 100 ʾelāyw aufgrund des Singulars als Glosse streicht, bezieht er inkonsequenterweise das zweite enklitische Personalpronomen auf Israel. Allerdings deutet er beqirbô hem auch als Glosse, vgl. FRITZ 1994, 105. Zu dieser Numerusinkongruenz vgl. schon STEUERNAGEL 1900, 187, der vermutet, dass die letzten vier Worte vielleicht an V.7 angelehnt seien. 301 Vgl. EHRLICH 1910, 34. 302 Vgl. BOLING 1982, 266; BRIEND 1990, 158. 303 Vgl. BRIEND 2000, 363. 304 Nach GOTTWALD 1979, 524f. wäre der Besuch zur Inspektion erfolgt, ob sich nämlich die fremden Städte Israel angeschlossen hätten. Diese Inspektion hätte zudem vor dem eigentlichen Bundesschluss stattgefunden. 305 Nach PITKÄNEN 2010, 206 sei mit diesem Ausdruck gemeint, dass die Israeliten nach dreitägiger Reise bei den Gibeonitern eintrafen. 306 Vgl. RUDOLPH 1938, 203 Anm.3. Nach HARSTAD 2004, 390 könnte es sich in beiden Versen um denselben Zeitraum handeln. 307 Jos 1,11; 2,16; 3,2. Vgl. BUTLER 2014, 432. 308 Jos 6,14.15; 9,17; 10,32. 309 Vgl. HAWK 2000, 144. 299
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fortgesetzt und bereits nach drei Tagen festgestellt, dass die Gibeoniter, mit denen man gerade ein Bündnis abgeschlossen hatte, mitten im Verheißungsland leben. Hinzu kommt, dass es sich sogar um ein Bündnis mit einem Zusammenschluss von vier kanaanäischen Städten gehandelt hat, was den Fehler noch zusätzlich verschärft. Auch wenn die Zeitangabe bayyôm haššelîšî keine Funktion in der Erzählung hat, wird sie durch andere Versionen bestätigt, sodass man MT nicht abändern muss.310 Möglicherweise soll diese Formulierung andeuten, dass die Handlung „nach ein paar Tagen“ weitergeführt wird, ohne dass hier eine genaue Zeitangabe im Blick ist.311 Darüber hinaus gibt Vulgata den abschließenden Nominalsatz relativ frei wieder (quarum haec vocabula sunt). Die griechische Tradition sprengt den Ortsnamen Kirjat-Jearim auf und übersetzt den ersten Teil mit „Stadt beziehungsweise Städte“ und den zweiten Teil als Toponym, während Vetus Latina auf eine Übertragung von Qiryat ganz verzichtet. Abgesehen davon ist die Ortsnamenstradition der gibeonitischen Tetrapolis in den Versionen konstant.312 Die vier Orte Gibeon, Kefira, Beerot und Kirjat-Jearim, die im infrastrukturell und strategisch wichtigen zentralen benjaminitischen Plateau liegen, befinden sich zudem als Fremdkörper im Zentrum des Verheißungslandes.313 Da die Boten zuvor in V.11 schon von „unserem Land“ gesprochen haben, verwundert es nun nicht, dass zu diesem Land mehrere Städte gehören. Der Bund wurde folglich nicht nur mit der Stadt Gibeon, sondern auch mit dem dazugehörigen Land geschlossen. Bei dem Erkundungsmarsch der Israeliten stellte sich folglich heraus, dass Gibeon der Vorort von einer Reihe von kanaanäischen Städten war. Insofern schließt V.17 nahtlos an V.16 an.314 Vielleicht handelt es sich bei den genannten vier Orten um königliches Eigengut, das den vorexilischen Palast Judas und die Palastkapelle zunächst zu versorgen hatte.315 Erst in nachexilischer Zeit wären die Sklaven des Königshauses zu Kultsklaven am Zweiten Tempel geworden, zumal der Tempel als Rechtsnachfolger des davidischen Königtums eintrat. Erst zu diesem Zeitpunkt 310 Vgl. SOGGIN 1982, 109. Anders BOLING 1982, 259, der die Zeitangabe als „scribal comment or query“ deutet. Ähnlich schon OETTLI 1893, 153, der diese Zeitangabe als Dublette streicht. 311 Vgl. COLESON 2012, 96f. 312 Kritisch zu einer Bezeichnung Tetrapolis aber BOLING 1982, 263: „too grandiose“. Gegen eine historische Auswertung der gibeonitischen Tetrapolis BRIEND 1992, 10. 313 Vgl. zu diesem Gebiet ZIESE 2008, 202; COLESON 2012, 97. Nach HERTZBERG 1985, 66 sei hier ein nicht unwesentliches Territorium mit dem Vorort Gibeon im Blick. Diesem Städtebund trete in Jos 10 ein Städtebund der übrigen Kanaanäer entgegen. Es gehe folglich nicht mehr nur um Einzelaktionen, sondern um die Auseinandersetzung zwischen größeren Einheiten. 314 Vgl. RUDOLPH 1938, 203. 315 Nach KNAUF 2008, 90f. wurden diese Orte zunächst von Pharao Schoschenq erobert und dann von Salomo nach 1Kön 9,17–18 als Krongut aufgebaut. Ähnlich KNAUF 2010a, 135.
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wurden die Gibeoniter als Holzfäller und Wasserschöpfer eingesetzt. Denn nun wurde im großen Umfang geopfert. Die Opfergaben mussten gewaschen und verbrannt werden, was sehr viele Ressourcen verbrauchte.316 Ohne Zweifel hat der Opferbetrieb große Mengen an Holz für die Brandopfer in Anspruch genommen. Außerdem musste der Opferbezirk auch immer wieder mit Wasser gereinigt werden, was ebenfalls eine große Menge an Wasser erforderte.317 Interessanterweise werden die drei Orte Kirjat-Jearim, Kefira und Beerot in nachexilischen Texten gemeinsam genannt,318 was für eine literarhistorische Verortung wichtig sein könnte. Vielleicht ist V.17 sogar die ursprüngliche Fortsetzung von 15a.319 Die Ortsbesichtigung könne folglich die Erzählung abschließen. Man hätte demnach mit diesen Orten ein Bündnis geschlossen. Mit den genannten vier Städten hat Israel zumindest einen mächtigen Verbündeten gewonnen. Da die Israeliten drei Tage unterwegs waren, bis sie die verbündeten Städte erreichten, ist die Angabe „aus einem fernen Land“ zumindest nicht ganz gelogen. V.18: Das Subjekt des ersten Satzes wird von den Versionen unterschiedlich wiedergegeben. Während Vulgata ohne Angabe eines bestimmten Subjekts formuliert, haben MT und LXX benê Yiśrāʾel „Söhne Israels“ und Vetus Latina sogar „weder Josua noch die Söhne Israels“ (non … Iesus neque filii Istrahel). Auch das Subjekt des untergeordneten Kausalsatzes wird nicht einheitlich übertragen. Während LXX und Vetus Latina hier „alle Fürsten“ lesen,320 belegen MT und Vulgata die Lesart „Fürsten der Gemeinde“. Während die erste Tradition auf die Einstimmigkeit der Entscheidung verweist,321 da ja alle Fürsten gemeinsam geschworen haben, hat die zweite Tradition den Vorteil, dass hier die beiden Kontrahenten des letzten Satzes, nämlich „Fürsten“ und „Gemeinde“, pointiert zusammengestellt werden. Insofern ist die Lesart des MT durchaus plausibel und muss nicht abgeändert werden. Fraglich ist zudem, weshalb Vulgata in Jos 9 bei der Übersetzung von ʿedāh zwischen multitudo und vulgus unterscheidet. Möglicherweise wurde der untergeordnete Kausalsatz aus 2Sam 21,2 (ûbenê Yiśrāʾel nišbeʿû lāhӕm) genommen und hier mit dem abweichenden Subjekt neśîʾê hāʿedāh verbunden, um den Streit zwischen der Gemeinde und ihren Anführern einzutragen und trotzdem die alte Tradition von einem Schwur zwischen den Gibeonitern und den Israeliten beizubehalten.322 316 KNAUF 2008, 91 vermutet, dass die Holzabgabe der Judäer nach Neh 10,34; 13,31 für die Bedürfnisse des Tempels nicht ausreichte, sodass alte Fronpflichten erneuert werden mussten. 317 Vgl. COLESON 2012, 98. 318 Esr 2,25; Neh 7,29, vgl. auch LEE-SAK 2019, 124. 319 Vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 70. 320 Nach HOLMES 1914, 47 könnte die weniger konkrete Lesart durchaus ursprünglich sein. 321 Nach BUTLER 2014, 432 werde hier das Engagement der Israeliten betont. 322 Vgl. zum Problem RÖSEL 2011, 153.
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Interessanterweise findet sich das Verb LūN „murren“ nur in Ex 15–17; Num 14–17 und Jos 9,18.323 Das in Dtn 1,27 alternativ gebrauchte Verb RGN für das Murren Israels wird hier nicht verwendet. Die Idiomatik ist folglich priesterlich geprägt.324 Auch der Gebrauch der Worte ʿedāh und neśîʾîm ist priesterlich imprägniert.325 Das Verb LūN „murren“, das vor allem das Murren Israels gegenüber den Anführern und gegenüber Gott in der Wüste bezeichnet, wird hier jedoch nicht negativ konnotiert, da mit diesem Ausdruck die voreilige und falsche Entscheidung der Anführer kritisiert wird, mit den Gibeonitern einen Bund geschlossen zu haben.326 Keinesfalls murrte das Volk nur deshalb über die Anführer, da man durch die Verschonung der Gibeoniter keine Beute erzielte.327 Der Volkszorn richtet sich darüber hinaus gegen die „Fürsten“, nicht gegen Josua. Insgesamt ist hier das Murren des Volkes nicht wie zur Zeit der Wüstenwanderung illegitim, sondern dient eigentlich der Einhaltung der Tora. Außerdem ist in diesem Fall im Gegensatz zu den Murrerzählungen der Wüstenwanderung das Volk eigentlich im Recht, da es offenbar den voreiligen Bundesschluss kritisieren und gehorsam gegenüber dem Gesetz sein wollte.328 Das Murren der „Gemeinde“ gegenüber den „Fürsten“ ist schon vor dem Hintergrund verständlich, da man nach V.7 den Gibeonitern ohnehin misstraute und ein klärendes Orakel YHWHs nach V.14 nicht befragte.329 Allerdings muss auch betont werden, dass die Gemeinde von Israel mitunter böse Intentionen verfolgt haben könnte.330 Denn man wollte unbedingt die Gibeoniter auslöschen. Hierauf verweist V.26, wo Josua die Gibeoniter aus der Hand der Söhne Israels errettet hat, damit nicht ein Lynchmob die Gibeoniter massakriert. 323
Vgl. hierzu SOGGIN 1982, 109; FRITZ 1994, 106. KNIERIM 1971, 870 betont, dass LūN den „offenen und anklagenden Aufruhr gegen eine Person (durchgängige Konstruktion mit der Präposition ʿal ‚gegen‘) mit dem Ziel des Umsturzes“ bezeichnet. Nach SCHUNCK 1984, 528 hat dieses Verb die Bedeutung „rebellieren“. Kritisch hierzu aber BÜHRER 2021, 4–6, zumal erst die Kombination mit anderen Lexemen zu einer „narrativen Verschlimmerung“ führt. Eine einseitig negative Wertung haftet dem Lexem LūN somit noch nicht notwendigerweise an. Vgl. auch GATHMANN 2005, 42. Nach SMITH 1997, 781 hat LūN ohnehin eine große Bedeutungsbreite. 324 Zur priesterlichen Prägung von LūN vgl. KNIERIM 1971, 870; SCHUNCK 1984, 529. Nach JEON 2022, 259 wird die Wurzel LūN aber auch in nicht-priesterlichen Texten verwendet. 325 Vgl. auch BOLING 1982, 267f., der eine Zugehörigkeit zu seiner redaktionellen Schicht Dtr 2 erwägt und Verbindungslinien vor allem zur Altarbauerzählung Jos 22 zieht. 326 Vgl. HESS 1996a, 200f. Nach HUBBARD 2009, 287 werde hier die Situation umgekehrt. SCHUNCK 1984, 529 weist darauf hin, dass mit LūN oft das Murren von Menschen gegen Menschen ausgedrückt wird. 327 Vgl. schon KEIL 1847, 168. 328 Vgl. HAWK 2000, 145; MATTHEWS 2016, 82. Trotzdem begeht das Volk hier eine Sünde, da sich das Murren gegen einen bei YHWH geschworenen Vertrag richtet, vgl. SCHUNCK 1984, 530. 329 Vgl. GATHMANN 2005, 10. 330 Vgl. HOWARD 1998, 229.
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Hinzu kommt, dass bei LūN nicht nur verbale Aggression im Blick ist. Vielmehr können damit auch Handlungen beschrieben werden, die einen Umsturz anzielen.331 Auffällig ist zudem, dass hier die gesamte ʿedāh einmütig gegen den mit den Gibeonitern geschlossenen Bund opponiert. Offenbar versucht das gesamte Volk und nicht nur die „Mannschaft Israels“, die Durchführung der Bannweihe von den Fürsten zu erzwingen.332 Vielleicht ist hier auch von Ironie auszugehen,333 da die Israeliten nämlich zu murren anfangen, obschon sie zuvor Jericho und Ai besiegt und am Ebal einen Altar errichtet haben. V.19: Die textliche Überlieferung des Subjekts des ersten Satzes ist auch hier unterschiedlich. Nach LXXB und Peschitta handelt es sich nur um „Fürsten“,334 während MT und Vetus Latina von „allen Fürsten“ ausgehen. Vulgata übergeht dieses Problem, indem sie eine kurze zusammenfassende Übersetzung bietet, ohne dass die einzelnen Gruppen noch einmal aufgeführt werden (qui responderunt eis). Insgesamt hat es den Anschein, dass gerade bei den Handlungsträgern literarisch gearbeitet wurde, da man wohl die Verantwortung nicht einseitig zuweisen wollte. MT entwirft hier zudem zwei geschlossene Lager, die sich offenbar unversöhnlich gegenüberstehen: die Gesamtheit der Fürsten und die Gesamtheit der Gemeinde. Um die Polarität zwischen den beiden Gruppen noch zusätzlich zu unterstreichen, verwendete man den AllQuantor kål „Gesamtheit“.335 Dementsprechend ist von pӕh ʾӕḥād „einstimmig“ eigentlich nichts mehr zu spüren, was demgegenüber die feindliche Koalition der kanaanäischen Könige auszeichnet. Aufgrund des geleisteten Eides ist es auch ausgeschlossen, dass man den Rechtsstatus der Gibeoniter antastet, was mit dem Verb NGʿ „berühren“ ausgedrückt wird.336 V.20: Das eröffnende Demonstrativpronomen zoʾt bezieht sich vorausblickend auf die Anweisung an die Gibeoniter in V.21.337 Auf diese Weise wird betont, dass die Israeliten den Gibeonitern eine gewisse Lebensgarantie einräumen werden. Vetus Latina und LXX übersahen offenbar das Präpositionalobjekt lāhӕm, als das Auge des Übersetzers von einem h zum übernächsten h abschweifte. Auf diese Weise wurde somit auch der syndetische Satzanschluss übergangen.338 331
Vgl. VAN BEKKUM 2011, 258. Vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 72. 333 Vgl. YOUNGER 1990, 379. Nach WILSON 2013, 322f. ist die Gibeonitererzählung eine „divine comedy“ mit vielen ironischen Elementen. 334 Vgl. BOLING 1982, 259. 335 Vgl. HAWK 2000, 145. 336 Nach SCHWIENHORST 1986, 222 wird dieses Lexem in rechtlichem Kontext verwendet, um auszudrücken, dass die durch Vertrag zugesicherten Rechte von Personen verletzt werden. Daneben hat dieses Wort aber eine semantische Breite, vgl. GRISANTI 1997, 22. 337 Vgl. HOLZINGER 1901, 34; RUDOLPH 1938, 203 Anm.1. 338 Vgl. BOLING 1982, 259: nʿśh [lhm w]hḥyh. 332
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Der Satz mit infinitivus absolutus (wehaḥayeh ʾôtām) wird von LXX mit einem Doppelausdruck übertragen (ζωγρῆσαι αὐτούς, καὶ περιποιησόμεθα αὐτούς).339 An eine ähnliche Übersetzung denkt auch Vulgata (reserventur quidem ut vivant). Offenbar wird hier der Ausdruck wehaḥayeh einmal zum Vorausgehenden gezogen und einmal selbstständig übertragen.340 Das Lexem qӕṣӕf „Zorn“ wird im Josuabuch nur noch in Jos 22,20 verwendet,341 wo es den Zorn Gottes über die Sünde Achans beschreibt. Dieser Zorn schlug sich in der militärischen Niederlage Israels nieder. Offenbar wird Ähnliches von den Fürsten aufgrund des möglichen Eidbruchs befürchtet, wenn man nämlich trotz der verhängten Bannweihe diese nicht vollzieht. In priesterlicher Verwendung bezeichnet qӕṣӕf „Zorn“ zudem nicht eine emotionale Reaktion YHWHs, sondern eine Plage.342 In dtn. Literatur ist qӕṣӕf „Zorn“ beziehungsweise das dazugehörige Verb QṢP hingegen ein emotionaler Zornausbruch YHWHs aufgrund der Verfehlung Israels durch Götzendienst.343 Bisweilen wird der befürchtete Zorn Gottes mit der Verfehlung Sauls in 2Sam 21 verbunden, der sich gegen die Gibeoniter wendete und auf diese Weise den unter Eid geschworenen Bund verletzt habe.344 Allerdings müsste eine derartige intertextuelle Bezugnahme auch lexikalisch angedeutet sein. Dies ist aber nicht der Fall.345 Das Idiom šebûʿā ʾašӕr ŠBʿ findet sich dreimal im Josuabuch,346 und zwar immer im Kontext eines Schwurs gegenüber einer fremden Person (Rahab, Gibeoniter). Im Kontext der Landverheißung wird mit dieser Formulierung noch der Schwur YHWHs an die Erzelterngeneration ausgedrückt.347 Etwas frei gibt Vulgata die schwierige Konstruktion des letzten Satzes wieder (si peieraverimus).348 339
Vgl. zu dieser Lesart HOLMES 1914, 48. Vgl. DEN HERTOG 1996, 89f. 341 Nach HARSTAD 2004, 392 handele es sich bei diesem Lexem um einen der stärksten Ausdrücke für „Zorn“ in der Bibel. 342 Vgl. DOZEMAN 2015, 422. Lev 10,6.16; Num 16,22; 17,11. Der befürchtete Zorn ist weniger eine Bestrafung durch Gott als vielmehr eine Katastrophe, die Israel ereilen wird, vgl. hierzu RÖSEL 2011, 153. Auch wenn hier lexematische Differenzen zu beobachten sind, wird der ʾaf „Zorn“ YHWHs auch in Dtn 7,4 entbrennen, wenn Israel von der Fremdbevölkerung zum Götzendienst verführt wird. 343 Dtn 1,34; 9,7.8.19.22; 29,27. 344 Vgl. KEIL 1847, 168. Nach DILLMANN 1886, 483f. solle der Zorn, der bei Eidbruch entstehen würde, vermieden werden. Fraglich ist, ob es sich bei 2Sam 21 tatsächlich um eine alte Tradition handelt. Dagegen zumindest VAN SETERS 2011, 535–551. 345 Da allerdings Israel angesichts der Bezugnahme zu Dtn 29 und der mit einer Statusminderung verbundenen Integration der Gibeoniter als Holzfäller und Wasserschöpfer die Tora nicht übertreten hat, braucht man den Zorn YHWHs nicht zu fürchten, vgl. EDERER 2017, 165. 346 Jos 2,17.20; 9,20. 347 Gen 26,3; Dtn 7,8; Jer 11,5. 348 Bisweilen wird vermutet, dass Israel ursprünglich aufgrund des Schwurs der untergeordnete Partner gewesen sei. Erst sekundär wäre das Verhältnis zwischen Israel und Gibeon umgekehrt worden, vgl. hierzu BLENKINSOPP 1972, 40. 340
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V.21: Vetus Latina, LXX und Vulgata verzichten auf die an sich überflüssige Redeeinleitung, zumal die „Fürsten“ bereits seit V.19 das Wort führen.349 Vielleicht deutet diese überschüssige Einleitung auf einen redaktionellen Einschub hin.350 Allerdings ist es ebenso möglich, dass dieser Satz aufgrund von Haplographie mit dem letzten m aus V.20 ausgefallen ist.351 Durch die Verwendung von wayyiqtol in 21b wird der Einsatz der Gibeoniter als Kultsklaven bereits als vollzogen klassifiziert. Dementsprechend ist 21b offenbar die erzählerische Zusammenfassung,352 zu der auch der abschließende kaʾašӕr-Satz passt, zumal dieser nicht in der direkten Rede der „Fürsten“ stehen kann. Da man nach dem zoʾt aus V.20 eine nähere Qualifizierung der Konsequenzen für die Gibeoniter erwartet, ist das lapidare yiḥyû eigentlich viel zu kurz. Insofern würde man eher eine Anordnung zum speziellen Dienst der Gibeoniter erwarten. Bisweilen wird daher vorgeschlagen, dass das wayyiqtol zu einem koordinierten Jussiv weyiqtol umvokalisiert werden solle.353 Hierzu passt jedoch der abschließende kaʾašӕr-Satz nicht, der auf eine Rede der hier sprechenden „Fürsten“ verweist. Das übersehen Vetus Latina, LXX und Vulgata, die 21b noch als bei- oder untergeordneten Satz innerhalb der Rede der „Fürsten“ verstehen. Der schwierige kaʾašӕr-Satz kann darüber hinaus auch nicht zu V.22 gezogen werden.354 Fraglich ist darüber hinaus, ob man aus griechischen Handschriften und der Peschitta noch einen Tatbericht „und die Gesamtheit der Gemeinde tat“ ergänzen sollte, der aufgrund von Haplographie entfallen wäre, zumal die doppelte Erwähnung von kål hāʿedāh eine aberratio oculi ermöglicht haben könnte.355 Dieser Tatbericht ist aber nur dann nötig, wenn die Aussage, dass die Gibeoniter zu Holzfällern und Wasserschöpfern werden sollen, als Jussiv formuliert wird. Denn dann erfordert der abschließende kaʾašӕr-Satz eine Ausführung des Befehls. Peschitta hat einen ähnlichen Tatbericht, der aber ausführlicher 349
Ähnlich auch HOLMES 1914, 48; MILLER/TUCKER 1974, 75. Vgl. RUDOLPH 1938, 203 Anm.1. 351 Vgl. BOLING 1982, 259: lh[m…hnśyʿy]m. 352 Vgl. NELSON 1997, 122f. Nach LLOYD 1886, 129 handele es sich hier um „an abbreviated discourse“, worauf dann schließlich das Ergebnis folgt. Ähnlich schon KEIL 1847, 169. Nach BARTHÉLEMY 1982, 17 sei 21b die vorweggenommene erzählerische Zusammenfassung des Inhalts der V.22–27. 353 Vgl. STEUERNAGEL 1900, 188; HOLZINGER 1901, 34; HOLMES 1914, 48; RUDOLPH 1938, 203 Anm.1; BOLING 1982, 259; GÖRG 1991a, 46. Vgl. zur Lesart von LXX auch MILLER/TUCKER 1974, 75. Dagegen aber HARSTAD 2004, 392, der für MT als die lectio difficilior plädiert. Zum textkritischen, syntaktischen und inhaltlichen Problem vgl. auch DOZEMAN 2015, 407. Zu den unterschiedlichen Lesarten vgl. BARTHÉLEMY 1982, 15–17. 354 Nach BENNETT 1895, 27 könnte wayyihyu eine leicht fehlerhafte Wiederholung von yiḥyû sein. 355 Vgl. BENNETT 1895, 27; HOLZINGER 1901, 30; RUDOLPH 1938, 203 Anm.1; BOLING 1982, 259. Nach HOLMES 1914, 48 könnte auch noch die Formel καὶ ἤρεσεν αὐτοῖς einzutragen sein, die auf hebräisch wayyîṭab beʿênêhӕm zurückzuführen sei. 350
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die Bestimmung der Gibeoniter umschreibt: „Und sie wurden Holzfäller und Wasserschöpfer für die Gesamtheit der Gemeinde“.356 Peschitta schloss darüber hinaus noch die ätiologische Formel „bis zu diesem Tag“ an.357 Offenbar ergänzte man redaktionell immer wieder derartige Formeln, um die vorliegende Erzählung ätiologisch zu interpretieren.358 Der Frondienst der Gibeoniter als Holzfäller und Wasserschöpfer ist vermutlich eine spätere inhaltliche Füllung der Verwendung der Gibeoniter als Kultsklaven. Es könnte sich hierbei um eine dtr. Bezeichnung für einen sehr niedrigen sozialen Status handeln, ohne dass zunächst ein kultischer Zusammenhang bestand.359 Holz schlagen und Wasser schöpfen sind zumindest stark belastende Tätigkeiten, die man daher gerne den unteren Klassen überließ. Ein Vorschlag, dass man derartige niedere Arbeiten auf die Gibeoniter abwälzt, konnte aus egoistischen Motiven sicherlich die Zustimmung der Israeliten finden.360 Darüber hinaus waren dies Tätigkeiten, die in der Regel von Frauen geleistet wurden.361 Vielleicht sollten die Gibeoniter daher auch bewusst verweiblicht werden. Denn in außerbiblischen Texten werden vor allem Krieger in Fluchworten zu weiblichen Tätigkeiten verpflichtet.362 Die Beschreibung der Aufgabe der Gibeoniter ist somit absichtlich erniedrigend und menschenunwürdig, da sogar Frauenarbeiten von den Kriegern verlangt werden.363 Die Verpflichtung zu kultischem Dienst wurde von den Gibeonitern vermutlich nicht angezielt, da die Gibeoniter in erster Linie militärischen Schutz im Gegenzug 356
Vgl. hierzu HERTZBERG 1985, 65. HERTZBERG 1985, 67 hält zudem den Langtext der Peschitta für die ursprüngliche Tradition. 358 Vgl. BUTLER 2014, 432. 359 Vgl. hierzu RÖSEL 2011, 154. COOKE 1918, 80 vermutet hier eine sprichwörtliche Redensart für die unterste soziale Tätigkeit. Nach HARAN 1961, 165f. seien die Gibeoniter zudem zeitlich von den Netinim zu differenzieren, auch wenn die Nachfahren der Kultsklaven der Gibeoniter allmählich von den Netinim absorbiert wurden. Kritisch zu einer Gleichsetzung der Gibeoniter mit den Netinim jedoch SOGGIN 1982, 112; BRIEND 1992, 17f. Nach WEINBERG 1975, 371 waren die Netinim in vorexilischer Zeit Handwerker im königlichen Dienst oder königliche Dienstleute. Eine kritische Bestandaufnahme zu den Netinim liefert FREVEL 2010, 143–148. 360 Vgl. auch MALLAU 2005, 68, der von institutionellem Egoismus spricht. 361 Vgl. GORDON 2003, 178, der auf KTU 1.14 III:7–10 verweist. Vgl. hierzu CLINES 1976, 23–26. Nach SOGGIN 1982, 112 werde durch die Bezeichnung als Holzfäller und Wasserschöpfer darauf verwiesen, dass es sich beim Status von Gibeon um eine niedrigere Form der Mitgliedschaft in der Gemeinde Israels handele. Auch PITKÄNEN 2010, 212 hält diese Tätigkeiten für „a rather menial set of jobs“, die aber das Überleben gewährleisteten. Nach HARSTAD 2004, 392 sei das Schöpfen von Wasser eine anstrengende Arbeit, die meist von Frauen geleistet wurde. 362 Vgl. die Beispiele bei GORDON 2003, 179–186. 363 Der Ausdruck ḥoṭbê ʿeṣîm kann nicht eindeutig wiedergegeben werden, da das hebräische Lexem ḤṬB sowohl „sammeln“ wie auch „fällen“ heißen kann. Zumindest in Dtn 19,5 ist sicher von „fällen“ auszugehen. Vgl. zum Problem auch CLINES 1976, 26. 357
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
zu ihrer Loyalität erwarteten. Aber auch für die Israeliten war eine kultische Lösung suboptimal, da nun Fremde für kultische Aktivitäten eingesetzt wurden.364 Möglicherweise ist bei den Tätigkeitsbeschreibungen eine Beziehung zu den beiden Toponymen Kirjat-Jearim „Stadt der Wälder“ und Beerot „Quellen“ zu sehen, die in V.17 zur gibeonitischen Tetrapolis gehören. Dementsprechend wären die Gibeoniter hinsichtlich ihrer spezifischen Eignung als Holzfäller und Wasserschöpfer für kultische Dienste ausgewählt worden.365 V.22: Vulgata präzisierte lāhӕm in 22aα durch Gabaonitas, um die Redeverhältnisse exakt festzulegen. Dementsprechend werden hier nicht nur die Boten der Gibeoniter bestraft. Aber auch literarhistorisch ist diese Erweiterung naheliegend.366 Da der priesterliche Abschnitt V.18–21 wahrscheinlich sekundär hinzugewachsen ist, kann sich die Präpositionalverbindung lāhӕm kaum nur auf die in V.18 und 19 genannten Boten beziehen, mit denen man den Bund durch Eid ratifiziert hat. Während MT und Vulgata im Vorwurf Josuas durchweg im Plural formulieren („uns“, „euch“), hat LXX an zwei Stellen Singular (με, σοῦ), obschon das letzte Personalpronomen wiederum in den Plural wechselt. Auf diese Weise differenziert LXX offenbar zwischen Josua und den Israeliten, sodass nur Josua von den Gibeonitern getäuscht worden ist. Dadurch wird die Schuld von LXX einseitig Josua aufgebürdet.367 Ähnlich scheint auch Vetus Latina zu differenzieren, wobei hier aber auf die Verortung der Distanzangabe bezüglich Josua verzichtet wird (Longinquo sumus nimis). Die Frage nach dem Betrug lāmmāh + RMY ist eine Formel, die in der Bibel in der erzählenden Literatur viermal verwendet wird.368 Mit diesem Idiom klagen die Opfer eines Betrugs die Betrüger an.369 Dementsprechend wird hier nicht mehr die eher neutrale Bezeichnung der ʿårmāh „List“ verwendet, sondern das Handeln der Gibeoniter als absichtlich verwerflich gekennzeichnet.370 Fraglich ist, ob mit dieser Formulierung ein bestimmter Idiolekt aufgegriffen wurde. Demgegenüber ist wohl eher wahrscheinlich, dass es sich hierbei um 364
Vgl. zu diesem doppelten Problem BUTLER 2014, 451f. Vgl. HARSTAD 2004, 395f. 366 Vgl. auch RUDOLPH 1938, 203 Anm.4. 367 Nach BUTLER 2014, 432 werde jedoch auf diese Weise die Rolle Josuas als Repräsentant der Israeliten gestärkt. BOLING 1982, 259 vermutet hingegen, dass der Plural des MT aus einem ursprünglichen Singular entstanden sei (mmk mʾd → mkm mʾd). Dann muss man allerdings davon ausgehen, dass sich diese Änderung im MT auch auf das andere enklitische Personalpronomen ausgewirkt hätte, was aber nicht so leicht erklärt werden kann. 368 Vgl. Gen 29,25; Jos 9,22; 1Sam 19,17; 28,12. 369 Vgl. HUBBARD 2009, 288, der allerdings noch auf 2Sam 19,26–27 verweist, wo aber diese Formel nicht verwendet wird. Nach NOCQUET 2019, 83 werde mit diesem Verb die absichtliche Täuschung ausgedrückt. 370 Zur Wandlung von „List“ zu „Betrug“ vgl. auch SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 64; MALLAU 2005, 69 Anm.63. 365
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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einen umgangssprachlichen Ausdruck handelt, der den Vorwurf des Betrugs in den Blick nimmt.371 Der letzte Satz des MT wird von LXX redundant wiedergegeben (ὑμεῖς δὲ ἐγχώριοί ἐστε τῶν κατοικούντων ἐν ἡμῖν).372 Vielleicht soll mit der Bezeichnung ἐγχώριοί der Begriff ʾӕzrāḥ „Einheimischer“ eingespielt werden, der in den Gesetzestexten mit dem Fremden genannt wird. Anscheinend sollte hier suggeriert werden, dass die Gibeoniter tatsächlich wie Einheimische zu behandeln sind, auch wenn sie zur Vorbevölkerung gehören, die eigentlich vernichtet werden sollte. Möglicherweise wird vom griechischen Übersetzer hier wiederum auf Gen 34 angespielt,373 wo sich die Lea-Tochter Dina die Töchter der einheimischen Frauen ansah. Dies ist schon deshalb möglich, da LXX das Bezugssystem zu Gen 34 auch an anderen Stellen massiv gestärkt hat. Beide Texte werden durch vielfältige Beobachtungen aneinandergebunden. So wird die Bevölkerung von Gibeon und Sichem als Hewiter bezeichnet. In beiden Fällen wird der geschlossene Bund später gebrochen, in Gen 34 durch die Jakobsöhne Simeon und Levi, in 2Sam 21 durch Saul. Außerdem wird der Bund mit Ältesten beziehungsweise Stadtherren der jeweiligen kanaanäischen Stadt geschlossen.374 Beide Städte sind offenbar oligarchisch verfasst und haben Tochterstädte, die in Verbindung zur Zentralstadt stehen. Möglicherweise hatten beide Städte jeweils ein zentrales Heiligtum.375 Hinzu kommt, dass in Gen 34 ebenfalls ethnische Spannungen beschrieben werden. Das intertextuelle Bezugssystem zwischen Jos 9 und Gen 34 ist somit bereits im MT gegeben und kann von LXX noch zusätzlich ausgebaut werden. Der Ausdruck τῶν κατοικούντων könnte zudem ein genitivus partitivus sein. Die Gibeoniter sind somit lediglich ein Teil der indigenen Bevölkerung, sodass die Doppelübersetzung der LXX eigentlich der Präzisierung des Sachverhalts dient.376 V.23: Vetus Latina und LXX haben eine doppelte Zuweisung der Tätigkeit der Gibeoniter, die für Josua und den Gott Israels (mihi et Domino meo beziehungsweise ἐμοὶ καὶ τῷ θεῷ μου) dienen sollen, während MT und Vulgata nur die Zuschreibung zum Tempel kennen. Demnach könnte man meinen, dass die Verwendung der Gibeoniter für das Heiligtum Gottes erst zu dem Zeitpunkt eingetragen worden ist, als es um die Kultzentralisation in Jerusalem ging.377 Vielleicht übertrug der dtr. Redaktor seine eigenen zeitgeschichtlichen Verhältnisse fälschlicherweise unüberlegt in die Vergangenheit, als es noch kein 371
Vgl. hierzu ROSE 1981, 177f. Nach HOLMES 1914, 48 sei nur der erste Ausdruck ursprünglich, während der zweite eine Dublette sei. 373 Vgl. zu diesem Bezugssystem auch BLENKINSOPP 1966, 214f. 374 Vgl. BLENKINSOPP 1972, 37f. Kritisch zu einer traditionsgeschichtlichen Verbindung von Jos 9 zu Gen 34 HALPERN 1975, 309. 375 Vgl. BLENKINSOPP 1966, 215f. 376 Vgl. hierzu auch DEN HERTOG 1996, 82f. 377 Vgl. HOLMES 1914, 48. 372
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
Heiligtum gab.378 Dementsprechend werde in V.23 ursprünglich zunächst der Dienst der Gibeoniter nicht für das Heiligtum, sondern speziell für Josua und Gott in den Blick genommen. Damit wird eine verengte Perspektive der Diskussion auf Josua und die Gibeoniter eingenommen, ohne dass die Gemeinde mit dem Heiligtum berücksichtigt wird. Demgegenüber wäre aber auch die Alternative denkbar, dass der Tempel von Vetus Latina und LXX als anachronistisch getilgt worden wäre,379 sodass die Gibeoniter nur für Josua und YHWH Dienst tun. Denn einen Tempel – und das wussten die frühen Übersetzer – hat es zur erzählten Zeit noch nicht gegeben, es sei denn, man deutet bêt ʾӕlohāy als Begegnungszelt,380 was aber an sich unwahrscheinlich ist, da das Begegnungszelt sonst nie bêt ʾӕlohāy genannt wird.381 Der Ausdruck bêt ʾӕlohāy ist darüber hinaus vor allem in späten Texten belegt.382 Aus alledem folgt, dass diese Unterschiede in den Versionen nur vor dem größeren Kontext adäquat beurteilt werden können. Hier müssen literarhistorische und redaktionsgeschichtliche Fragestellungen ebenfalls berücksichtigt werden. LXXA verzichtet zudem auf die zweite Dienstbeschreibung der Wasserschöpfer. Demnach sollen die Gibeoniter als Sklaven lediglich Holzfäller werden (δοῦλος ξυλοκόπος). Offenbar fiel der Ausdruck wešoʾabê mayim in der Vorlage aufgrund von Homoioteleuton (ʿeṣîm – mayim) aus. Schon die Parallele zu Jos 9,21.27, wo beide Aufgaben nebeneinanderstehen, zeigt, dass es sich hier um einen textkritisch zu erklärenden Verlust handelt. Aufgrund des divergierenden Befundes wird gelegentlich vermutet, dass beide Tätigkeiten erst sekundär aus Jos 9,21.27 in V.23 eingetragen worden seien,383 was die unterschiedliche Wiedergabe der Versionen erklären würde. Diese literarkritische Option ist in der Tat nicht unwahrscheinlich (s.u.), lässt sich aber nicht mit derartigen textkritischen Beobachtungen erklären. Denn es stellt sich die Frage, weshalb LXX nur eine Aufgabe belegt. Die kürzere Lesart der LXX lässt sich hingegen leicht textkritisch aus dem Langtext des MT herleiten. Darüber hinaus gibt es keinen Grund, weshalb der Kurztext der LXX, der erst sekundär mit Blick auf Jos 9,21.27 aufgefüllt worden wäre, ursprünglich sein sollte.384 Hinzu kommt, dass Vulgata nur die beiden Aufgabenbereiche nennt, während sie auf die Bezeichnung als Sklaven verzichtet. Auf diese Weise wird in Vulgata die
378
Vgl. FRITZ 1994, 105. Vgl. SOGGIN 1982, 109; NELSON 1997, 123; BUTLER 2014, 433. 380 So HOWARD 1998, 230, der an das Heiligtum von Schilo denkt; COLESON 2012, 98. 381 Vgl. HUBBARD 2009, 289. 382 Vgl. 1Chr 29,2.3; Neh 13,14; Ps 84,11. Vgl. auch LEE-SAK 2019, 124. Vielleicht ist mit dem Wort bêt aber auch „Haushalt, Familie, Clan“ gemeint, sodass mit bêt ʾӕlohāy eigentlich die Familie Gottes, nämlich Israel, gemeint wäre, vgl. ZIESE 2008, 205. 383 Vgl. auch HOLMES 1914, 48; RUDOLPH 1938, 203; FRITZ 1994, 100. 384 Vgl. zum Problem BUTLER 2014, 433. 379
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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seltsam anmutende Apposition des MT beseitigt.385 Die Vulgata ist somit lectio facilior und damit ebenfalls nicht ursprünglicher als MT. Die Kopula w vor ḥoṭbê ʿeṣîm wird gerne explikativ gedeutet,386 was aber syntaktisch schwierig ist. Denn im MT wird das singularische Nomen ʿæbæd mit einem Pluralausdruck näher erklärt. Die Numerusinkongruenz ist zudem nur im MT auffällig, während die Versionen bei Holzfäller und Wasserschöpfer ähnlich wie bei Sklave den Singular setzen. MT ist somit lectio difficilior, was wiederum redaktionsgeschichtlich verwertet werden kann. Offenbar behielt MT die im Kontext in V.21 und V.27 belegten Pluralformen auch hier bei, obschon sie nicht zu dem Singular ʿӕbӕd passen. Hier könnte folglich ein Hinweis auf literarkritische Arbeit vorliegen. Dementsprechend könnte die pluralische Apposition hier redaktionell eingetragen sein,387 um an V.21 oder V.27 anzugleichen. Die Formulierung ʾarûrîm ʾattæm ist eine Fluchformel, der mit weʿattāh eine Aktivierung der Sprechsituation vorausgeschaltet wird.388 Nach dem Rückblick auf die vergangenheitlich erfolgte Falschaussage der Gibeoniter wird mit weʿattāh wieder auf die aktuelle Sprechergegenwart zurückgeführt. Außerdem wird auf diese Weise die unmittelbare Wirkmächtigkeit des Fluchs in der Gegenwart zusätzlich betont.389 Durch die Übergabe der Gibeoniter als Holzfäller und Wasserschöpfer an das Heiligtum wird die Bannweihe durchaus vollzogen, auch wenn die Gibeoniter am Leben gelassen werden. Denn auf diese Weise werden die Gibeoniter für das Heilige ausgesondert. Am Heiligtum befinden sich die Gibeoniter zudem in der innersten Mitte Israels, auch wenn sie immer noch Fremde sind und bleiben.390 Die Verfluchung der Gibeoniter ist darüber hinaus die einzig mögliche Strafe, zumal der geschworene Bund nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte.391 Der Fluch ist somit gegenüber der Bannweihe, die mit der komplet-
385
Vgl. BOLING 1982, 259. Vgl. schon LLOYD 1886, 130; BOLING 1982, 259. 387 Vgl. schon DILLMANN 1886, 484; STEUERNAGEL 1900, 188; FRITZ 1994, 100; MALLAU 2005, 58 Anm.23. 388 Vgl. ROSE 1981, 176. Nach SCHARBERT 1973, 440 ist der ursprüngliche Sitz im Leben dieser Formel „die unmittelbare Reaktion einer Person auf ein gravierendes Fehlverhalten eines anderen“. Auf diese Weise werde der untergeordnete Partner aus dem bestehenden Gemeinschaftsverhältnis ausgestoßen. In Jos 9 werden dementsprechend die Gibeoniter aus dem Status von Vasallen in den Status von Hörigen zurückgestuft, vgl. SCHARBERT 1973, 441. Ähnlich KELLER 1971, 237f.; GORDON 1997, 525. 389 Vgl. ROSE 1981, 176f. Die Knechtschaft der Gibeoniter ist zudem eine stete Erinnerung für Israel, wie es trotz Bundesbruch aufgrund eines feierlichen Eides zur Strafverschonung kommen kann, vgl. auch POLZIN 1980, 120. 390 Vgl. EDERER 2017, 165. 391 Allerdings steht der Fluch Josuas in Spannung zu V.26, wonach Josua die Gibeoniter aus der Hand der Söhne Israels gerettet hat, vgl. RÖSEL 1985, 35. 386
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
ten Auslöschung der Bevölkerung verbunden wäre, eine angemessene Bestrafung für den Betrug der Gibeoniter.392 Aufgrund der Verfluchung werden die Gibeoniter in gewisser Weise durch einen niedrigeren sozialen Status von der Gemeinde Israels ausgeschlossen.393 Außerdem sind die Gibeoniter nicht mehr nur Vasallen, sondern tatsächlich Unterworfene, die aufgrund der arglistigen Täuschung zu einer Dienstleistung für Israel als Kultsklaven verpflichtet sind.394 Der Fluch Josuas über die Gibeoniter ist zudem nicht nur eine Wiederholung der Maßnahmen der Fürsten, die die Gibeoniter zu Sklaven für die Gemeinde gemacht haben. Josua hingegen deutet diesen Dienst kultisch und weniger politisch.395 Durch das Fluchwort Josuas sollen magische Kräfte gegen Gibeon aufgerufen werden und auf diese Weise der durch den Gesetzesungehorsam verletzte Gott besänftigt werden. Die Verfluchung ersetzt darüber hinaus die nicht durchgeführte Bestrafung.396 Der Betrug der Gibeoniter wird somit mit einem Fluch geahndet, wobei Jos 9 der Kainerzählung Gen 4 formal ähnelt:397 Die Schuld wird mit einer konstatierenden Frage eröffnet. Dann folgt die Tatfolgebestimmung mit einem Fluchspruch, der mit weʿattāh einsetzt. Danach kommt entweder der Einspruch des Schuldigen oder die Unterwerfung. Demnach ähnelt V.23 formal dem Fluchspruch über Kain in Gen 4.398 Durch die Verfluchung der Gibeoniter wird der Schwur zudem nicht aufgehoben, sondern vielleicht noch verschärft,399 da die Gibeoniter nun zu Leibeigenen des Heiligtums werden. Allerdings handelt es sich bei dem Fluch nur noch um eine für die „Mannschaft Israels“ geschickt verpackte Darstellung der zuvor schon geschlossenen berît, um den wegen des Betrugs aufgebrachten Mob zu beschwichtigen.400 Denn die Gibeoniter waren bereits unterworfen und zu profanen Diensten herangezogen, werden jetzt aber zu einem kultischen Dienst am Heiligtum zwangsverpflichtet. Die Formulierung loʾ yikkāret mikkӕm ist ein sehr negativer Ausdruck, der das Schicksal der Gibeoniter als dauerhaft klassifiziert. Zu keinem Zeitpunkt wird es an Kultsklaven aus den Reihen der Gibeoniter fehlen, wobei hier die Präposition min vermutlich partitiv verstanden werden muss. Dementspre392
Vgl. HUBBARD 2009, 308. Vgl. ZIESE 2008, 204f. 394 Vgl. FRITZ 1994, 105. 395 Vgl. zu dieser Differenzierung FARBER 2016, 53. 396 Vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 74f. 397 Vgl. HALBE 1975, 623. 398 Mit dem Fluch Josuas über die Gibeoniter ging zudem der Fluch Noahs über Kanaan nach Gen 9,25 zumindest am Beispiel der Hewiter in Erfüllung, auch wenn diese nicht zum „Knecht der Knechte“ werden, vgl. KEIL 1847, 170. 399 Vgl. FENSHAM 1964, 98f.; HERTZBERG 1985, 69. Auch nach RÖSEL 2011, 155 sei der hier ausgesprochene Fluch schlimmer als eine ansonsten übliche Bestrafung und damit ein angemessener Ersatz für die Bannweihe. 400 Vgl. KNAUF 2008, 95. 393
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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chend heißt dies auch, dass nicht jeder Gibeoniter zu diesem Dienst herangezogen wird. Es wird folglich nicht die gesamte Einwohnerschaft von Gibeon zu Kultsklaven.401 Ähnlich wie zuvor ein Bund mit KRT geschlossen wurde, wird nun das gleiche Verb verwendet, um auszudrücken, dass es fortan nicht an gibeonitischen Kultsklaven für das Heiligtum fehlen wird. Wahrscheinlich war dieses Wortspiel der Grund für die Verwendung von KRT-N, auch wenn diese Wurzel ansonsten mit Auslöschung und Aussonderung verbunden ist.402 Die Formel loʾ yikkāret ist ohnehin nicht notwendigerweise nur negativ zu sehen. Vielmehr leitet sie an vielen Stellen ein bedingtes Heilswort ein.403 Bisweilen wird vorgeschlagen, dass die Verknechtung der Gibeoniter bereits ein Teil der Bundesverpflichtung gewesen sei, wobei das Betrugsmotiv erst sekundär eingedrungen sei. Dann stellt sich aber die Frage, weshalb das Vorgehen der Gibeoniter nach V.4 durchaus ambivalent nur als „List“ bezeichnet wurde,404 was ein positives Verständnis durchaus nahelegt. Hinzu kommt, dass die Gibeoniter in der Erzählung an sich positiv dargestellt werden. Das gibeonfeindliche Betrugsmotiv hätte weitere redaktionelle Spuren hinterlassen können, was aber nicht der Fall ist. Abgesehen von V.22 und 23 wird das Verhalten der Gibeoniter, die nur mit Betrug ihre Haut retten konnten, mit sehr viel Verständnis geschildert.405 Auch die Erklärung der Gibeoniter in V.24–25 wirkt sympathisch. Das Betrugsmotiv hat somit nirgendwo Spuren hinterlassen. Wenn es redaktionell wichtig wäre, würde man weitere Eingriffe erwarten. Das ist nicht der Fall. V.24: In 24aα fehlt in Vulgata der Adressat Josua, was aber aus dem Kontext leicht zu erschließen ist. LXX scheint – ähnlich wie schon Vetus Latina – bei der Redeeinleitung anstelle von wayyoʾmerû die Infinitivkonstruktion leʾmor (λέγοντες) verwendet zu haben. Die Verstärkung des Berichts mit einer figura etymologica der Wurzel NGD-H „berichten“ ist selten und findet sich ansonsten nur noch in Rut 2,11, wo Boaz der Rut antwortet, dass er von ihren guten Taten gehört hat. In V.24 wird zudem unpersönlich formuliert, wobei ʾet ʾašӕr das eigentliche Subjekt des Satzes ist.406 Außerdem verzichten Vetus Latina und LXX auf die Selbstbezeichnung der Gibeoniter als ʿabādӕkā „deine Knechte“ und setzen beide lediglich „uns“. Weshalb die Selbstbezeichnung „Knechte“ nicht verwendet wurde, lässt sich nicht mehr bestimmen. 401
Vgl. auch RÖSEL 1985, 35; RÖSEL 2011, 155. Anders hingegen HARSTAD 2004, 398, der davon ausgeht, dass sich die doppelte Verneinung hier auf alle Gibeoniter beziehe. 402 Vgl. DOZEMAN 2015, 407. 403 1Kön 2,4; 8,25; 9,5; Jer 33,17; 35,19; Zef 3,7; Sach 14,2; Rut 4,10. Vgl. hierzu SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 75. 404 Vgl. zum Problem auch RÖSEL 1985, 31 Anm.1. 405 Vgl. RÖSEL 1985, 35. 406 Vgl. HARSTAD 2004, 398.
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
Aufgrund des singularischen enklitischen Personalpronomens ʿabādӕkā „deine Knechte“ verstehen sich die Gibeoniter zumindest nach MT als Knechte Josuas und unterwerfen sich seinem Urteil, während die Israeliten sie der Bannweihe überantworten wollten.407 Die Gibeoniter bezeichnen sich als Knechte Josuas, verwenden dabei aber den Begriff, der Mose in seiner Beziehung zu YHWH kennzeichnet. Außerdem werden die Gibeoniter von Josua zuvor nach V.23 zu Knechten für das Heiligtum gemacht. Die Gibeoniter sehen sich folglich wie Mose als Knechte, die für das Heiligtum arbeiten. Auf diese Weise wird dem Titel des Kultsklaven jegliche entwürdigende Bedeutung genommen, zumindest in der Sicht der Gibeoniter. Möglicherweise ist die Infinitivkonstruktion ein redaktioneller Zusatz, da es sich nicht um einen Befehl, sondern um die Verheißung der Landgabe handelt.408 Anstelle von kål hāʾārӕṣ „Gesamtheit des Landes“ übersetzt LXX τὴν γῆν ταύτην „dieses Land“, wobei es sich um eine genuine Variante handeln könnte.409 Die Vulgata sieht die Doppelung des Begriffs ʾӕrӕṣ und überträgt beim zweiten Mal nur eius. Auf ähnliche Weise kürzen auch Vetus Latina und LXX. Außerdem wird die Präpositionalverbindung mippenêkӕm von Vulgata nicht wiedergegeben. Darüber hinaus werden die beiden Präpositionalobjekte lenafšotênû mippenêkӕm sehr frei übertragen (et providimus animabus nostris vestro terrore conpulsi). Die Wurzel ŠMD-H „vernichten“ ist eine typisch dtr. Formulierung, die im Rahmen der Bannweihe verwendet wird.410 Allerdings wird hier die Gabe des Landes und die Vernichtung der autochthonen Bevölkerung nicht YHWH, sondern indirekt Mose zugesprochen.411 Eigentlich hätte sich Josua an das Banngebot halten müssen, was dem israelitischen Anführer Josua indirekt durch die Gibeoniter vorgeworfen wird. Die Gibeoniter erkennen folglich die Macht des Gebotes an, setzen es aber durch ihr Bekenntnis zu YHWH und aufgrund der Verbindlichkeit des Gebotes außer Kraft.412 Die LXX intensiviert noch die Furcht der Gibeoniter,413 indem sie noch „uns“ neben der indigenen Bevölkerung ergänzt (ἡμᾶς καὶ πάντας τοὺς κατοικοῦντας ἐπ᾽ αὐτῆς). Diese Zuspitzung findet sich überdies auch in der Vetus Latina. Außerdem hat LXXL hier noch einen kleinen Zusatz vor dem letzten Satz, der durchaus auf eine hebräische Vorlage zurückgehen könnte,414 was aber unsicher ist. 407
Vgl. HARSTAD 2004, 399. Vgl. STEUERNAGEL 1900, 188. 409 Vgl. BOLING 1982, 259. 410 Vgl. HOLLENBERG 1874, 496; FRITZ 1994, 106. 411 HUBBARD 2009, 290 vermutet sogar, dass die Gibeoniter vielleicht eher mit einem menschlichen Gegner verhandeln wollten. Nach HECKL 2022, 361 findet sich der Befehl YHWHs an Josua höchstens indirekt in Dtn 1,6–8 und Dtn 2,24–25. 412 Vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER 1995, 215f. 413 Zu dieser Dramatisierung der Lage vgl. BUTLER 2014, 433. 414 HOLMES 1914, 48 vermutet hier weloʾ hāyāh bānû ʿôd rûaḥ. 408
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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V.25: Vetus Latina verzichtet auf das enklitische Personalpronomen bei beyādӕkā (sub manibus). Die auffälligste Änderung wird von Vetus Latina und LXX vorgenommen, wo nicht Josua angesprochen wird, sondern die Israeliten, da von 2. Person Singular zu Plural gewechselt wird. Hier wird folglich wieder die Entscheidung an die Israeliten delegiert. Das Idiom ʿŚY haṭṭôb wehayyāšār beʿênê wird meist mit Gott verbunden, kann sich aber auch auf eine weltliche Gerichtsgemeinde beziehen.415 Außerdem könnte es sich um eine Abwandlung der dtr. Formel hayyāšār beʿênê YHWH handeln.416 Die größte Parallele ist zumindest zu Jer 26,14 zu ziehen, wo sich Jeremia in einer Verteidigungsrede an die Obersten und das Volk wendet, damit man ihn nicht tötet. Auch Jeremia begibt sich in die Hand seiner Ankläger und fordert von ihnen, an ihm zu tun, wie es in deren Augen gut und recht ist.417 Diese „Willkürformel“ kommt jedoch hier zu spät, da der Fluch in V.23 bereits ergangen ist.418 Ein weiteres Handeln wird nicht angezielt. V.25 ist somit keine bedingungslose Kapitulation der Gibeoniter, zumal der Fluchspruch bereits erfolgt ist. Demgegenüber will diese Formel lediglich den Respekt vor dem bereits geschlossenen Unterwerfungsvertrag betonen und damit auch für die Unterworfenen eine Überlebensperspektive einfordern. Die überflüssige Doppelung laʿaśôt lānû wird darüber hinaus von Vetus Latina, LXX und Vulgata gestrichen. Auf diese Weise wird der Text um unnötigen Ballast gekürzt und somit vereinfacht. Auch hier gilt, dass MT als die lectio difficilior beibehalten werden sollte. V.26: Die Partikel ken „so“ kann retrospektiv oder prospektiv gedeutet werden. Im ersten Fall blickt sie auf das Vorausgehende zurück. Auf diese Weise hat man somit entsprechend dem Fluch Josuas aus V.23419 oder entsprechend einer nach V.25 adäquaten Handlungsweise an den Gibeonitern gehandelt. Im zweiten Fall wird erst im Folgenden gesagt, wie mit den Gibeonitern verfahren werden soll. Vetus Latina und LXX bleiben – ähnlich wie schon in V.25 – im Plural, sodass eine gedankliche Abfolge „sie machten es so“ und „Josua rettete sie“ entsteht. Da es somit einen Wechsel im Subjekt gibt, musste von diesen Versionen auf Josua gesondert hingewiesen werden. Durch die Abfolge Plural–Singular–Plural 415 Vgl. Dtn 6,18; 12,28; 2Chr 14,1; Jer 26,14. Zu dieser Formel vgl. auch HOWARD 1990, 110f. Anm.27. Nach KALLUVEETTIL 1982, 118 werde diese Formel aber auch im Bundeskontext von der untergeordneten Partei verwendet. 416 Vgl. FRITZ 1994, 106. Nach HOWARD 1998, 230 beziehe sich die Formel hayyāšār e b ʿênê X gewöhnlich auf das Richtige in den Augen YHWHs und hier auf den Entscheidungsprozess. 417 Nach HESS 1996a, 202 Anm.219 könnte man auch die Antwort Jeremias für die Gibeoniter eintragen. Denn wenn man die Gibeoniter tötet, würde man unschuldiges Blut auf sich laden. 418 Vgl. KNAUF 2008, 95. 419 Vgl. zu diesem Rückbezug HARSTAD 2004, 400.
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
wird das Tun Josuas besonders in den Mittelpunkt gestellt.420 Vetus Latina und LXX ergänzen zusätzlich noch eine Zeitangabe, die sich auf die aktuellen Ereignisse bezieht (ἐν τῇ ἡμέρᾳ ἐκείνῃ). Vulgata hingegen bleibt im Singular, ergänzt aber einen Hinweis auf die zuvor ergangene Rede (ut dixerat). Außerdem wird von Vulgata die Gefahr noch gesteigert, da Josua die Gibeoniter aus den „Händen“ der Söhne Israel rettet (de manibus filiorum Israhel), wobei allerdings dann wiederum die verhinderte Tötung durch die Passivkonstruktion unpersönlich formuliert wird (ut non occiderentur). Näher am MT ist hingegen Vetus Latina, obschon hier ebenfalls „Hände der Israeliten“ genannt werden. Auch wenn hier nicht das Verb YŠʿ „retten“ verwendet wird, handelt Josua entsprechend seines Namens, indem er die Gibeoniter aus der Hand der Israeliten rettet, ausgedrückt mit NṢL-H.421 Das Idiom NṢL miyyad „aus der Hand retten“ wird ansonsten in der Bibel dafür verwendet, um die Rettung Israels vor seinen Feinden auszudrücken.422 In ironischer Weise wird somit Josua als der Retter der Gibeoniter vor den Israeliten gezeichnet. Mit dem Verb NṢL wird darüber hinaus ein Rückbezug zur Rahaberzählung in Jos 2,13 hergestellt. Ähnlich wie die Boten Rahab vom Tod erretten sollen, tritt auch Josua als Retter der Gibeoniter auf. Während Josua bislang in der Diskussion im Hintergrund verblieb, wird nun explizit darauf verwiesen, dass Josua die Gibeoniter gerettet habe. Darüber hinaus wird sein Leitungsamt im Gegensatz zu den Fürsten überhaupt nicht in Frage gestellt.423 Auffälligerweise wird in V.26 ein anderes Verb für den möglichen tödlichen Übergriff der Israeliten auf die Gibeoniter gebraucht.424 Anstelle von NKY „schlagen“ (V.18) wird hier das Verb HRG „umbringen“ verwendet, was ebenfalls darauf hindeutet, dass sich V.18– 21 sprachlich vom Kontext abheben und literarhistorisch nicht auf einer Ebene liegen.425 V.27: Vetus Latina, LXX und Vulgata haben anscheinend im Gegensatz zu MT den All-Quantor kol „Gesamtheit“ vor dem Wort ʿedāh „Gemeinde“. Auf diese Weise wird der zuvor eingeschlagene Weg, der stets von der Gesamtheit der Gemeinde spricht, konsequent weiter beschritten. Es scheint sich somit um eine sekundäre Harmonisierung zu handeln. 420
BOLING 1982, 259 spricht von einer „envelope construction“. Vgl. hierzu HESS 1996a, 203. 422 Vgl. HAWK 2000, 148, der auf Ri 6,9; 9,17; 1Sam 4,8; 7,3; 10,18; 12,11; 14,48; 17,37 und Esr 8,31 verweist. 423 Vgl. HOWARD 1998, 231. 424 Vgl. auch BRIEND 1990, 161. 425 Nach FUHS 1977, 488 hat die Wurzel HRG ihren Sitz im Leben primär im Heiligen Krieg, wo sie das Töten der Feinde in Vollstreckung des Banngebotes ausdrückt. Ähnlich auch DOMERIS 1997, 1055. GATHMANN 2005, 19 weist darüber hinaus noch darauf hin, dass die Israeliten ausweislich der Verbformation w-x-qatal durchaus daran dachten, die Gibeoniter umzubringen. 421
1. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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Fraglich ist, ob lāʿedāh ein Zusatz ist, der irgendwie mit dem Abschnitt Jos 9,18–21 zusammenhängt,426 zumal dieses Wort ansonsten nur in V.18, V.19, V.21 und V.15 zu finden ist. Im Endtext könnte aufgrund dieses Zusatzes ein profaner Dienst für die Gemeinde und ein religiöser Dienst für den Altar am Heiligtum im Blick sein.427 Da die Gibeoniter nach V.27 auch lemizbaḥ YHWH „für den Altar YHWHs“ tätig waren, werden die an sich untergeordneten Tätigkeiten durchaus aufgewertet.428 Hinzu kommt, dass die Gibeoniter nun einen wichtigen Dienst in der Nähe des Heiligtums ausüben dürfen, sodass ihre ursprüngliche Ferne von YHWH behoben ist.429 Die Gibeoniter sind folglich zu Kultsklaven geworden. Der Grund für die Aussonderung der Gibeoniter als Kultsklaven am Heiligtum kann unterschiedlich angegeben werden.430 Vielleicht sollte der kultische Dienst der Gibeoniter das Vergehen gegen YHWH ahnden, da sie sich mithilfe einer List der Bannweihe entzogen haben. Demnach werden sie nun für den rechten Gottesdienst für YHWH eingesetzt. Möglicherweise sollten die Gibeoniter vor einem drohenden Massaker geschützt werden. Denn ihr Dienst in der Nähe des Heiligtums schloss jegliche Gewaltanwendung aus. Darüber hinaus konnten auf diese Weise die Priester des Heiligtums die Gibeoniter jederzeit kontrollieren und jeglichen Versuch von Götzendienst sofort unterbinden. Außerdem bieten die Gibeoniter am Heiligtum weniger Anlass zur Verführung der Israeliten zum Götzendienst, als wenn sie inmitten Israels leben würden.431 Es gibt somit genügend gute Gründe, weshalb die Gibeoniter am Heiligtum eingesetzt werden sollten. Während im MT das Tetragramm bei „Altar“ steht, verzichtet LXX darauf und spricht nur von einem „Altar Gottes“ (τῷ θυσιαστηρίῳ τοῦ θεοῦ). Fraglich ist, wo sich dieser Altar Gottes befand. Meist wird hierfür das Heiligtum von Gibeon vermutet.432
426
So FRITZ 1994, 100. Vgl. HOWARD 1998, 231. 428 Vgl. auch PITKÄNEN 2010, 212. Dementsprechend sei die Aufgabe der Gibeoniter nach HARSTAD 2004, 400 ironischerweise „a blessing in disguise“. 429 Vgl. HUBBARD 2009, 289. 430 Vgl. HUBBARD 2009, 309. 431 Vgl. HAWK 2000, 147 Anm.16. 432 Vgl. RUDOLPH 1938, 204; HARAN 1961, 161; BLENKINSOPP 1966, 211; AULD 1984, 66; GÖRG 1991a, 47; VAN BEKKUM 2011, 266; RÖSEL 2011, 153f.; VAN SETERS 2011, 546; JENEI 2019, 145 Anm.69. Für eine ursprüngliche Verortung des Heiligtums in Gibeon vgl. auch GRAY 1986, 98, dem zufolge der vor-dtr. Redaktor diese Tradition nach Gilgal und der dtr. Redaktor nach Jerusalem verlegte. Ähnlich auch HERTZBERG 1985, 68f.; SPRONK 1994, 78. Möglicherweise ist auch ein Altar in Gilgal oder Sichem im Blick, vgl. SOGGIN 1982, 112. Für eine Verortung in Gilgal vgl. NOTH 1971a, 53. Nach HESS 1996a, 203 könnte hier zudem der Altar auf dem Berg Ebal gemeint sein. 427
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
Um die logische Abfolge zu verbessern, ergänzen Vetus Latina und LXXB danach noch einen zusätzlichen Satz (διὰ τοῦτο ἐγένοντο οἱ κατοικοῦντες Γαβαων ξυλοκόποι καὶ ὑδροφόροι τοῦ θυσιαστηρίου τοῦ θεοῦ). Denn der Befehl Josuas kann nur schwer mit der ätiologischen Formel „bis zum heutigen Tag“ verbunden werden,433 die von MT belegt ist. Bisweilen wird vermutet, dass dieser Satz aufgrund eines Homoioteleutons aus dem MT herausgefallen sei.434 Allerdings scheint dieser Satz eine nachträgliche Erweiterung zu sein, der die schwierige Syntax und Phraseologie vereinfacht.435 MT ist demnach die lectio difficilior, die beizubehalten ist. Das Idiom hammāqôm ʾašӕr yibḥār „den Ort, den er erwählen wird“ ist ansonsten ausschließlich im Deuteronomium belegt.436 Mit dieser Formulierung wird auf das Zentralisationsgebot in Dtn 12 angespielt.437 Offenbar soll auf diese Weise die Interpretation ausgeschlossen werden, dass die Gibeoniter zu Kultsklaven am Heiligtum von Gibeon gemacht werden. Dementsprechend musste betont werden, dass sie am Zentralheiligtum von Jerusalem eingesetzt wurden.438 Allerdings ist es auch möglich, dass mit dem Begriff hammāqôm jedes jahwistische Heiligtum gemeint sein kann.439 Dementsprechend wurde vorgeschlagen, dass sich hammāqôm auf das YHWH-Heiligtum in Gibeon beziehen würde,440 zumal es dort nach 1Kön 3,4 ein bedeutendes Heiligtum gegeben habe. Allerdings wird das gibeonitische Heiligtum nie explizit als māqôm bezeichnet, sodass diese Interpretation schwach begründet ist. Es bleibt somit dabei, dass hier der Tempel von Jerusalem gemeint ist. Falls somit Jerusalem mitgehört werden soll, dann kann Jos 10,1 perfekt anschließen,441 wo Adonizedek, der König von Jerusalem, die Initiative ergreift. 433
Zu dieser Inkongruenz vgl. auch OETTLI 1893, 154. Vgl. AULD 2005, 158; BUTLER 2014, 433. HOLMES 1914, 49 denkt an eine doppelte Unterschrift, die auf die Zusammenführung von zwei Erzählvarianten zurückgehe und aufgrund von Homoioteleuton gekürzt worden sei. Für LXX als ursprüngliche Lesart auch STEUERNAGEL 1900, 188. 435 Vgl. NELSON 1997, 123. 436 Vgl. Dtn 16,16; 31,11; Jos 9,27. Weitere ähnliche Stellen sind Dtn 12,5.11.14.18.21. 26; 14,23.24.25; 15,20; 16,2.6.7.11.15.16; 17,8.10; 18,6; 26,2; 31,11, vgl. BOLING 1982, 269f. EDENBURG 2021, 99 Anm.44 weist noch auf Neh 1,9 hin, wo eine qatal-Form perfektiv auf die bereits erfolgte Wahl verweist. Nach EHRLICH 1910, 34 handelt es sich bei dem Ortsadverbiale ʼӕl hammāqôm mit angeschlossenem Relativsatz um eine sekundäre Glosse. Diese Angabe wird des Öfteren als dtn. Zusatz gedeutet, vgl. HOLLENBERG 1874, 496; BLENKINSOPP 1966, 209. Zu dieser Formel vgl. SEEBASS 1973, 599–602, dem zufolge im dtr. Kontext das Lexem māqom nicht verwendet wird. Zur verwendeten Lexematik vgl. auch WILDBERGER 1971, 286f.; NICOLE 1997, 639f. 437 Vgl. BRIEND 2000, 363. 438 Vgl. auch SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 77. 439 Vgl. hierzu schon KEIL 1847, 170; HUBBARD 2009, 290. 440 Vgl. LEE-SAK 2019, 124. 441 Vgl. DEURLOO 1992, 71. 434
2. Verbindungslinien zu Dtn und zum Kontext
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Im letzten Satz, der den Ort näher spezifiziert, wird mit κύριος auf YHWH verwiesen (τὸν τόπον, ὃν ἐὰν ἐκλέξηται κύριος). Dementsprechend wird oft vermutet, dass im letzten Satz mit LXX das Tetragramm zu ergänzen wäre,442 da es YHWH ist, der sich seinen Wohnort selbst aussucht. Außerdem ist es möglich, dass der Beginn in Jos 10,1 mit wayehî den Ausfall des letzten Wortes in V.27 begünstigt hat.443 Allerdings wollte LXX die Unbestimmtheit dieses Satzes beseitigen, dessen Subjekt auch Josua sein könnte,444 sodass Josua den Ort des Dienstes der Gibeoniter bestimmt hat. Diese Uneindeutigkeit des MT wurde von LXX beseitigt. Vor diesem Hintergrund muss MT nicht verändert werden. Insgesamt kann festgehalten werden, dass es an keiner Stelle einen Grund für eine textkritische Änderung des MT gibt. Vielmehr sind die Abweichungen in den alten Versionen jeweils leicht zu erklären. Die zahlreichen sprachlichen Beobachtungen können im Folgenden für die literarhistorische Beurteilung der Gibeonitererzählung fruchtbar gemacht werden. Dementsprechend wird bei der Argumentation immer wieder auf diese Daten zurückgegriffen.
2. Verbindungslinien zu Dtn und zum Kontext Eigentlich hätte Josua die Gibeoniter nicht verschonen dürfen. Denn an der Vorbevölkerung ist unbedingt der Bann zu vollziehen. Ein Bundesschluss ist nach Dtn 7,2 explizit untersagt, wo mithilfe der Formel KRT berît + l bereits ein Vasallenvertrag mit der indigenen Bevölkerung strikt verboten wird. Da die Gibeoniter in V.7 als Hewiter bezeichnet werden, gehören die Gibeoniter definitiv zu den Völkern aus Dtn 7,1, die vernichtet werden müssen. Diese Beobachtung ist auch vor dem Hintergrund zu beachten, dass sich Dtn 7,1 von Jos 9,1 insofern abhebt, dass hier eine Siebenerliste an Völkern verwendet wird, was wohl auch die textkritische Ergänzung der Girgaschiter durch LXX in V.1 erzeugt hat. Die Gibeoniter sind somit als Hewiter unbedingt zu vernichten. Zunächst gab es offenbar nach Dtn 20,11 die Möglichkeit, eine Stadt friedlich zu unterwerfen und die Einwohner zur Fronarbeit zu zwingen.445 Allerdings wird in Dtn 20,11 lediglich das Verb ʿBD-G verwendet, während die Wortwahl sich ansonsten von Jos 9 unterscheidet. So wird das Lexem mas „Fronarbeit“ gebraucht, die kål hāʿām „die Gesamtheit des (unterworfenen) Volkes“ zu leisten 442
Vgl. FRITZ 1994, 100; PITKÄNEN 2010, 206. Vgl. BOLING 1982, 259. 444 Vgl. HAWK 2000, 148. 445 Auch die Bestrafung der Gibeoniter als Kultsklaven könnte auf die vor-dtr. Tradition zurückgehen. Nach RÖSEL 2011, 145 könnten die Gibeoniter tatsächlich eine wichtige Rolle in einem lokalen Kult gespielt haben. 443
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
hat. Insofern sollte man vorsichtig sein, beide Stellen nur aufgrund von inhaltlichen Erwägungen zu verbinden. Darüber hinaus ist ein militärischer Bundesschluss in Dtn 20,11 nicht angedacht. Außerdem wird in Jos 9 ein Bund geschlossen, wobei das Bundesangebot nicht von der Seite Israels, sondern von der ansässigen Bevölkerung kommt. Dementsprechend kann Jos 9 kaum eine wirkliche Gegenerzählung zu Dtn 20 sein, da in Jos 9 die Vorgaben von Dtn 20 nicht wirklich aufgenommen oder kritisch beleuchtet werden.446 Im Allgemeinen muss zumindest eine Vorform von Jos 9 nicht auf Dtn 20 reagieren, da sich die erzählerischen Schwerpunkte markant unterscheiden. Hinzu kommt, dass die Erzählung auch ohne Bezug zu Dtn 20 durchaus verständlich ist.447 In einer vor-dtr. Version, die auf die dtr. Anleihen verzichtet, scheint es um mögliche Gewalt gegen die indigene Bevölkerung zu gehen, die man vermeiden wollte. Dementsprechend ist der von den Gibeonitern gewählte Ausweg durchaus verständlich, wenn sie sich als fremde Bevölkerung skizzieren, die eigentlich nicht im Land ansässig ist.448 Vielleicht haben sich in der ursprünglichen Tradition die Gibeoniter auch deshalb verkleidet, um unauffällig und unerkannt von den umgebenden kanaanäischen Stadtstaaten ein Bündnis mit den Israeliten eingehen zu können.449 Darüber hinaus lassen sich zahlreiche intertextuelle Verweise auf Dtn 29 feststellen:450 1)
Möglicherweise entspricht Israel in den Verhandlungen mit den Gibeonitern der Befürchtung in Dtn 29,3, dass man weder Verstand, noch Sehvermögen, noch Gehör habe. Dementsprechend wäre Israel nicht in der Lage gewesen, den Betrug rechtzeitig zu erkennen. Die Verkleidung der Gibeoniter in abgenutzten Kleidern spiegelt Israel wider, das in der Wüste aufgrund der heilvollen Zuwendung Gottes im Gegensatz zu den Gibeonitern nicht zerlumpt unterwegs war (Dtn 29,4). In Jos 9 wird die zerschlissene Kleidung der Gibeoniter als Grund für den weiten Weg akzeptiert, während man selbst bei der langen Wüstenwanderung nicht davon betroffen war.
2)
446
Vgl. HUBBARD 2009, 286 Anm.17. Kritisch zu einer intertextuellen Verbindung zwischen Jos 9, Dtn 20 und Dtn 29 vgl. BRIEND 1990, 163f., der vor allem die sprachlichen Unterschiede betont. 447 Vgl. NELSON 1997, 124 Anm.2. Anders hingegen RÖSEL 2011, 143, dem zufolge die dtr. Motive nicht aus der Erzählung herauszulösen seien, sodass kaum eine vor-dtr. Version hergestellt werden könne. 448 Mithilfe der Verkleidung konnten die Gibeoniter, die aufgrund der drohenden Bannweihe als Bevölkerungsgruppe marginalisiert wurden, die sozialen Beziehungen zu ihrem Vorteil manipulieren und das soziale Beziehungsgefüge zu Israel verändern, was ihnen eine gewisse Macht über die Israeliten gab, vgl. DOZEMAN 2015, 417. 449 Vgl. GOTTWALD 1979, 523. 450 Vgl. GLANVILLE 2021, 567. Zu Verbindungslinien zu Dtn 29,1–5, dem Bundeswort in Moab, vgl. auch POLZIN 1980, 119.
2. Verbindungslinien zu Dtn und zum Kontext
3)
4)
5) 6)
7) 8)
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Darüber hinaus führten die Israeliten weder Wein noch Brot bei der Wüstenwanderung mit (Dtn 29,5).451 Die Gibeoniter sind somit merklich von Israel unterschieden, auch wenn es Gemeinsamkeiten gibt, die einen Bundesschluss rechtfertigen. Vielleicht feierte man ein Mahl mit Brot und Wein mit den Gibeonitern,452 um den Bund zu ratifizieren, obschon man während des Exodus auf derartiges verzichtet hat. Außerdem wird auch in Dtn 29 auf den machtvollen Exodus (Dtn 29,1) und die Siege über die ostjordanischen Amoriterkönige Sihon und Og (Dtn 29,6) hingewiesen. Während in Dtn 29 noch Mose an diese Dinge erinnert, rufen nun die fremden Boten die Heilstaten YHWHs zurück ins Gedächtnis.453 Hinzu kommt, dass in Dtn 29,9 die gesamte „Mannschaft Israels“ erwähnt wird, die in Jos 9 ebenfalls auftritt und mit den Gibeonitern verhandelt. Schließlich wird in Dtn 29,10 der Dienst als Holzfäller und Wasserschöpfer genannt, wobei diese Tätigkeiten erst in Jos 9 aufgrund des Fluchkontextes negativ konnotiert werden.454 Ausweislich dieses Bezugssystems könnte sich der Ausdruck „derjenige, der heute nicht mit uns hier ist“ in Dtn 29,14 auf die Gibeoniter beziehen.455 In Dtn 29,21 wird außerdem der nåkrî „Fremde“ genannt, der „aus einem entfernten Land“ kommt, was wiederum eine Anspielung auf die Gibeonitererzählung sein könnte.
Insgesamt ist zumindest der Endtext von Jos 9 eine Gegengeschichte zu Dtn 29.456 Vor diesem intertextuellen Hintergrund werden die Gibeoniter zu gerîm gemacht, da der Ausdruck „vom Holzfäller zum Wasserschöpfer“ in Dtn 29,10 als Apposition zu den gerîm gedeutet werden kann.457 Auf diese Weise werden die Gibeoniter darüber hinaus vom Heiligtum gelöst und im Anschluss näher mit Israel verbunden. Die Gibeoniter sind demnach nicht mehr nur Kultsklaven am Heiligtum, sondern gerîm, die auch unter die Gesetzgebung der Tora fallen.458 Auf der Ebene des Endtextes liefern die Gibeoniter den 451 Nach MAYES 1985, 321 solle mit dem Verweis auf Brot und Wein zum einen die Erkenntnis bestätigt werden, dass YHWH der Gott Israels ist, und zum anderen, dass die Gibeoniter aus einem fernen Land stammen. Kritisch zu einer Verbindung zwischen Jos 9 und Dtn 29,5 aber GORDON 2003, 169. 452 Vgl. zu einem Bündnismahl auch BLENKINSOPP 1972, 36; BUTLER 2014, 439. 453 Vgl. BALLHORN 2011, 208. Die Gibeoniter nehmen nach EDERER 2017, 162 zwar eine Außenperspektive ein, erinnern aber daran, dass es eine gemeinsame Basis für den Vertrag gibt. 454 Vgl. LEE-SAK 2019, 123. 455 Vgl. HAWK 2000, 136f. 456 Vgl. auch DOZEMAN 2015, 420f. Zu einem intertextuellen Bezug zwischen Jos 9 und Dtn 29 vgl. auch KEARNEY 1973, 1; SPRONK 1994, 78f.; BALLHORN 2011, 208; EDERER 2017, 161–164. Kritisch hierzu aber O’BRIEN 1989, 70 Anm.85. 457 Vgl. auch MAYES 1985, 322. 458 Vgl. MAYES 1985, 324.
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
Israeliten aufgrund des gelehrten Bezugssystems zu Dtn 29 die Möglichkeit, die noch ausstehende Position der Holzfäller und Wasserschöpfer mit ihnen zu besetzen, damit auch diese Rolle der gerîm ausgefüllt wird.459 Die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Jos 9 und Dtn 29 sind jedoch schwer zu entscheiden. Ob der Verzicht, die Gibeoniter in Jos 9 als gerîm zu bezeichnen, bereits eine Priorität von Jos 9 andeutet, sei dahingestellt. Ebenfalls ist fraglich, ob die ungewöhnliche Formulierung in Dtn 29,10 beqæræb maḥanæ̂kā „inmitten deines Lagers“ aus Jos 9 genommen wurde,460 zumal nur die Lexeme qæræb und maḥanæh in Jos 9 auftauchen, aber nicht im Rahmen einer vergleichbaren Präpositionalverbindung. Insofern wäre es auch möglich, dass Jos 9 seinerseits auf Dtn 29 zurückgreift.461 Hier kommt man über Vermutungen nicht mehr hinaus. Während die intertextuellen Verbindungslinien zu Dtn 7 (Bannweihe und Bündnisverbot), Dtn 20,15–18 (Banngebot) und Dtn 29 (Tätigkeiten als Holzfäller und Wasserschöpfer) für die Redaktionsgeschichte von Jos 9 sicherlich wichtig sind, muss auch geklärt werden, wie sich Jos 9 mit Jos 10 verbinden lässt: 1)
Nach Jos 10,1.4 haben die Gibeoniter mit Israel Frieden geschlossen, was mit dem Verb ŠLM-H ausgedrückt wird. Diese Vorstellung ist in Jos 9,15 zumindest angedeutet, allerdings mit der Formel ʿŚY + šālôm. Mit der Idiomatik in Jos 9,15 wird zwar nicht expressis verbis ein Bund geschlossen, aber derartige Terminologie ist bei Bundesschlüssen ebenfalls gebräuchlich. Denn das Wort šālôm „Wohlergehen“ wird in außerbiblischen Texten auch im Kontext eines Vertragsabschlusses verwendet.462 Mit šālôm muss zudem nicht die friedliche und gewaltfreie Lösung von Konflikten im Blick sein. Vielmehr geht es um die Auferlegung der pax israelitica und somit um die rechte Ordnung, die zumindest für Israel einen heilvollen Zustand bedeutet.463
459 Vgl. EDERER 2017, 163. Nach GLANVILLE 2021, 567 ist Jos 9 in Verbindung zu Dtn 29 zu lesen. Dementsprechend wird der Bund YHWHs mit Israel, der im Moabbund auf Ausländer ebenso ausgeweitet wird, auch in Jos 9 aktualisiert. 460 So aber MAYES 1985, 322. 461 Vgl. zum Problem KEARNEY 1973, 1f. Nach OTTO 2017, 2049 setzt die nachexilische Fortschreibung Dtn 29,10–12 bereits Jos 9 voraus. 462 Vgl. FENSHAM 1964, 98. Nach BLENKINSOPP 1972, 36 sei damit „mutual non-aggression“ verbunden. Außerdem werde mit den Gibeonitern eine berît geschlossen, damit diese am Leben bleiben. Nach GRINTZ 1966, 123f. werden die beiden Termini „Frieden“ und „Leben“ für Bündnisse zwischen ungleichen Partnern verwendet. 463 Vgl. STENDEBACH 1995, 27. Nach GERLEMAN 1976, 928f. handelt es sich bei šālôm um einen Zustand, der aus gegenseitig entrichteten Leistungen hervorgeht. In Jos 9,15 haben die Gibeoniter somit eine Vereinbarung, einen Vertrag geschlossen. Auch NEL 1997, 131 geht davon aus, dass der Ausdruck ʿŚY + šālôm sich auf einen Friedensschluss bezieht.
2. Verbindungslinien zu Dtn und zum Kontext
2)
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Außerdem wird in beiden Texten mehrfach darauf hingewiesen, dass die Gibeoniter „in der Mitte“ von Israel wohnen. Allerdings werden in Jos 9,7.16.22 stets ein Partizip von YŠB und die Präpositionalverbindung beqӕrӕb verwendet, während in Jos 10,1 die Präsenz der Gibeoniter mit dem Verb HYY ausgedrückt wird. Schließlich ist die Bezeichnung der Gibeoniter als ʿӕbӕd „Knechte“ in beiden Erzählungen zu finden (Jos 9,8.9.11.23.24; 10,6). Die Bezeichnung ʿӕbӕd bezieht sich vermutlich auf Vasallität.464 Die Gibeoniter verstehen sich folglich als untergeordnet gegenüber Israel. Mit diesem Bundesschluss der Vasallität wird zum einen Israel untersagt, die Gibeoniter auszulöschen. Zum anderen verpflichtet sich Israel zur militärischen Unterstützung,465 die schließlich in Jos 10 erfolgt. Allerdings ist fraglich, weshalb ein sehr entferntes Land einen derartigen Vasallenvertrag mit den Israeliten schließen sollte, zumal Israel als Vasall YHWHs nicht ohne Zustimmung seines Oberherrn weitere Vasallenverträge schließen durfte.466
3)
Allerdings hebt sich Jos 9 von Jos 10 auch lexematisch ab. Weder ist in Jos 10 von einer berît „Vertrag“ zwischen Israel und Gibeon die Rede, noch werden in Jos 10 die Gibeoniter als Knechte Israels qualifiziert. Das Problem, dass man das Banngebot in Bezug auf die Gibeoniter nicht befolgt hat, hätte man zudem beseitigen können, wenn man auf die Bitte der Gibeoniter um militärische Unterstützung nicht oder nur halbherzig eingegangen wäre, zumal man nach Jos 10 nur Frieden geschlossen hat, nicht aber einen Bund eingegangen ist. Dann wären die Gibeoniter zwar nicht von der Landnahmegeneration unter Josua ausgelöscht worden, aber das Ergebnis wäre das gleiche gewesen.467 Außerdem wird in Jos 10 nirgendwo auf das betrügerische Spiel der Gibeoniter verwiesen. Egal wie man die Verbindung zwischen Jos 9 und Jos 10 angesichts der Differenzen beurteilt, ist zumindest deutlich geworden, dass Jos 10 irgendeine Verbindung zwischen Israel und den Gibeonitern benötigt. Auf ein altes Bündnis mit 464
Vgl. FENSHAM 1964, 97; HALPERN 1975, 303; KALLUVEETTIL 1982, 119–121; SOG1982, 111; BRIEND 1990, 148; HESS 1996a, 196; HAWK 2000, 144 Anm.12; MALLAU 2005, 61; JENEI 2019, 144f. Anders hingegen GRINTZ 1966, 125, der nicht von Vasallen, sondern von Schützlingen ausgeht. Dementsprechend ist es ein wechselseitiger Vertrag von zwei ungleichen Partnern, vgl. auch BOLING 1982, 271. SOGGIN 1982, 111 vermutet zudem, dass die Gibeoniter aufgrund der Formulierungen weʿattāh und ʿӕbӕd eine Allianz zu ihrer Sicherheit angestrebt hätten. Erst sekundär sei mit ʿӕbӕd die Bedeutung Sklave verbunden worden. Zu dieser Doppeldeutigkeit vgl. auch BOLING 1982, 265. WOUDSTRA 1981, 158 rechnet hier lediglich mit „oriental politeness“. 465 Vgl. FENSHAM 1964, 99. 466 Vgl. zum Problem COLESON 2012, 95. Auch BLENKINSOPP 1966, 211; EDENBURG 2021, 98 stellen sich zurecht die Frage, weshalb ein entferntes Volk überhaupt ein Bündnis mit Israel schließen möchte. 467 Vgl. auch WRIGHT 2015, 204 Anm.8. GIN
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
Gibeon könnte 2Sam 21,1–9 hinweisen, wobei hier nur in einer redaktionellen Glosse auf Jos 9 verwiesen wird.468 Da in dieser Erzählung das klassische Motiv der Fluchstrafen beim Bundesbruch ausführlich geschildert wird, scheint ein Bündnis mit Gibeon durchaus nahezuliegen.469 Der Bundesschluss mit Gibeon (2Sam 21,2) ist sicherlich nicht auf dtr. Intentionen zurückzuführen, da er den Geboten des Dtn massiv widerspricht. Darüber hinaus gibt es weitere Anzeichen dafür, dass die Tradition eines Bundesschlusses mit Gibeon früher als die dtr. Überarbeitung war.470 Hierauf weisen die Differenzen zwischen Josua und der „Mannschaft Israels“ hin, die sicherlich nicht erst der dtr. Redaktor erfand. Dementsprechend ist es möglich, dass die ursprüngliche Tradition eines Bundesschlusses mit Gibeon durchaus historisch plausibel sein könnte.471 Die Forderung der Vernichtung der indigenen Bevölkerung in Dtn 20,15– 18 ist vermutlich eine sekundäre Erweiterung im dtn. Kriegsgesetz. Für den redaktionellen Charakter sprechen formale und inhaltliche Gründe.472 Da die Banngesetzgebung Dtn 20,15–18 somit schon im dtn. Kriegsgesetz sekundär ergänzt wurde, ist auch für Jos 9–10 anzunehmen, dass diese Problematik erst in einem zweiten Schritt hinzuwuchs. Dementsprechend hat die ursprüngliche Tradition vermutlich den ursprünglichen Bundesschluss mit der indigenen Bevölkerung noch nicht als Fehler gebrandmarkt. Denn man konnte offenbar die Vorbevölkerung verschonen und zu Frondienst heranziehen.
3. Literarkritische Beobachtungen Die Erzählung von der Bundeserschleichung durch die Gibeoniter lässt einige Merkwürdigkeiten erkennen, die wohl darauf hinweisen, dass es sich um einen sorgsam konstruierten literarischen Text handeln wird, der nicht vorschnell historisch ausgewertet werden darf.473 Zum einen stellt sich die Frage, weshalb ein fernes Volk überhaupt einen Bund mit Israel schließen möchte, zumal man 468 Vgl. BERNER 2017, 258 Anm.9. ROSE 1981, 1788 weist darauf hin, dass sich die Bezeichnung der Gibeoniter in Jos 9 und 2Sam 21 unterscheide. Dementsprechend müsse man bei einer Verbindung der beiden Erzählungen vorsichtig sein. Nach VAN SETERS 2011, 539 hänge 2Sam 21,2 von Jos 9 ab, wobei 2Sam 21,2 keine dtr. Glosse zu einer älteren Erzählung sein könne, da zum einen das Massaker an den Gibeonitern in 2Sam 21 voraussetze, dass es sich um eine Fremdbevölkerung handele, da zum anderen die dtr. Verwerfung Sauls ansonsten nicht auf das Blutvergießen Sauls in Gibeon zurückgreife und da die Gibeoniter noch in dtr. Zeit als Kultsklaven nach Jos 9,27 eingesetzt worden seien, wobei ein Massaker dtr. nicht im Blick sei. Außerdem benötige 2Sam 21,5 die Erklärung in 2Sam 21,2. 469 Vgl. auch HALPERN 1975, 303. 470 Vgl. hierzu RÖSEL 2011, 143. 471 Vgl. BLENKINSOPP 1972, 39f.; PITKÄNEN 2010, 208. 472 Vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 59–61; EDENBURG 2012, 120f.; BERNER 2017, 257. 473 Vgl. hierzu NAʾAMAN 2009, 109.
3. Literarkritische Beobachtungen
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ja nicht vom Banngebot betroffen wäre.474 Außerdem benötigen die Fremden, die angeblich aus einem weit entfernten Land stammen, bei der großen räumlichen Distanz die Israeliten nicht als Schutzmacht. Vielleicht wurde bewusst die Entfernung betont, um den Israeliten zu schmeicheln, wenn sogar entfernte Völker um einen Bundesschluss bitten.475 Zum anderen äußern selbst die Israeliten schon am Anfang der Erzählung die Befürchtung, dass es sich bei den Gibeonitern möglicherweise nicht um ein fernes Volk handelt und daher ein Bundesschluss nicht gestattet ist (Jos 9,7). Anstatt den Sachverhalt ordentlich zu prüfen, schließt man voreilig einen Bund mit den Gibeonitern, ohne YHWH zu befragen. Ein derartiges Handeln ist fahrlässig und eigentlich inakzeptabel. Hinzu kommt, dass Josua selbst die fadenscheinigste Begründung zulässt, um zu verhindern, dass man die Bannweihe durchführen musste, zumal das Verhalten der Gibeoniter durchaus unglaubwürdig war.476 Auch das Ziel der Erzählung vom Bundesschluss Israels mit den Gibeonitern ist schwierig zu bestimmen. Oft wird eine ätiologische Erzählung vermutet, die erklären möchte, weshalb die fremden Gibeoniter als Arbeiter am Heiligtum von Jerusalem eingesetzt wurden.477 Darüber hinaus könnte die ursprüngliche Erzählung aber auch eine Ätiologie für den Bund der Israeliten mit Gibeon gewesen sein.478 Dementsprechend könnte die Erzählung in Jos 9 auch den Umstand erklären, dass trotz des Banngebots immer noch indigene Bevölkerung im Verheißungsland anzutreffen ist.479 Jedoch ist fraglich, ob hier überhaupt eine Erklärung für einen historischen Sachverhalt gegeben werden soll. Die Gibeonitererzählung setzt sich zudem mit Vorgaben der Tora kritisch auseinander. Dementsprechend könnte am Einzelfall der Gibeoniter erklärt werden, wie man mit dem Gebot zur Vernichtung der autochthonen Bevölkerung umgehen kann.480 Allerdings ist die Bannweihe nicht das einzige rechtliche Problem, das in der Erzählung diskutiert wird. Es ist nämlich auch möglich,
474
Vgl. zum Problem LIVER 1963, 227; SOGGIN 1982, 111; CHEN 1997, 28f.; DAY 2007, 117; EDENBURG 2012, 119. Nach GRINTZ 1966, 122 sei aber die Bitte eines fernen Volkes um einen Bund durchaus plausibel, wobei hierfür Parallelen genannt werden können. Als Hewiter aus dem Norden sei dieses Bundesangebot nicht verwunderlich. 475 Vgl. WOUDSTRA 1981, 157. 476 Vgl. KNAUF 2008, 91f. Methodisch muss man zudem strikt zwischen der historischen Ebene und der literarischen Verarbeitung der Tradition unterscheiden. Denn das Motiv der listigen Täuschung, das keine negative Tendenz gegenüber den Gibeonitern zeigt, kann literarisch aus der Erzählung nicht herausgelöst werden, vgl. RÖSEL 2011, 144. 477 Vgl. schon ALT 1953b, 183. Neuerdings noch JENEI 2019, 143f. 478 Vgl. GRAY 1986, 97. 479 Vgl. MILLER/TUCKER 1974, 77. 480 In diesem Fall wäre Jos 9 als Beispielerzählung für eine bestimmte Auslegung der Tora zu verstehen, vgl. KNAUF 2008, 90. In Jos 9 ist zumindest von einer kreativen ToraExegese auszugehen, vgl. KRAUSE 2014, 180 Anm.201, da hier mit der dtn. Kriegsgesetzgebung in Dtn 20,10–15 argumentiert wird.
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
dass diese Erzählung auf die rechtliche Vorgabe eines Verbots, mit der indigenen Bevölkerung einen Bund zu schließen, eingehen möchte. Beide rechtlichen Probleme werden in Jos 9 behandelt. Auf der einen Seite ist es Israel verboten, einen Bund mit der ansässigen Bevölkerung zu schließen (Dtn 7,2).481 Auf der anderen Seite musste man die Vorbevölkerung ohne Ausnahme auslöschen (Dtn 20,15–18). Da beide Vorgaben zumindest im Fall von Gibeon offenbar nicht durchgesetzt wurden, musste hierfür eine Erklärung gegeben werden. Nach Dtn 20,11 gab es zumindest die Möglichkeit, dass ein Bündnis geschlossen wird, das mit Frondienst der autochthonen Bevölkerung verbunden ist.482 Erst der sekundäre Zusatz Dtn 20,15–18 lässt die Option der Zwangsarbeit für die Bevölkerung des Verheißungslandes nicht mehr zu.483 Einige weitere Beobachtungen lassen darüber hinaus vermuten, dass es sich bei Jos 9 nicht um eine einheitliche Erzählung handeln kann, sondern dass an dieser Erzählung immer wieder gearbeitet wurde:484 Die Erzählung in Jos 9 kann als doppelte Ätiologie gelesen werden.485 Zum einen erklärt sie den an sich verbotenen Bündnisschluss mit Gibeon. Zum anderen will sie den niederen Status der Gibeoniter als Kultsklaven begründen, der bis in die Zeit des Erzählers andauert (V.27). Falls die ätiologische Lesart zutrifft, dann hätte man zwei Erzählziele, was auf zwei Schichten hinweist. Lediglich das Bündnis wird für Jos 10 und 2Sam 21 gebraucht, während die Verwendung der Gibeoniter als Kultsklaven keine weiteren Spuren hinterlassen hat und kein vorrangiges Erzählziel sein konnte. Immer wieder werden – wie gesehen – in Jos 9 dtr. Idiome eingespielt, die mit Dtn 7,1–2, Dtn 20,10–18 und Dtn 29 zusammenhängen. Auch darüber hinaus ist die Phraseologie von V.9–10, V.24 und V.27 vor allem dtr. geprägt.486 Zumindest ein Teil der Antwort der Gibeoniter in V.24–25 könnte
1)
2)
481
Zu dieser intertextuellen Verbindung vgl. EDENBURG 2012, 122. Nach ACHENBACH 2015, 96f.; BERNER 2017, 263 sei allerdings das Verbot des Bundesschlusses später als das Banngebot. Denn wenn man den Bann vollziehe, erübrigen sich Bündnisse, da die indigene Bevölkerung bereits ausgelöscht sei. Offenbar deute dieser Zusatz das Banngebot metaphorisch. GERMANY 2017, 417 vermutet, dass Dtn 7,2 eine Reaktion auf die erste dtr. Version der Betrugsgeschichte der Gibeoniter sei. Danach wurde ausgehend von Dtn 7,2 noch Jos 9,4–5.6b*–7.12–14 ergänzt. 482 Vgl. auch HOWARD 1998, 230. 483 Erst vor dem Hintergrund von Dtn 20,15–18 ist die List der Gibeoniter verständlich, vgl. hierzu auch SAMUEL 2015, 147. 484 Anders hingegen NAʾAMAN 2009, 110, der die Erzählung abgesehen von späten priesterlichen (Jos 9,15b.17–21.27*) und spätdtr. Zusätzen (Jos 9,10.27bβ) als Einheit versteht, zumal die Erzählung sowohl Täuschung wie Aufdeckung des Betrugs erfordere und daher nicht in zwei Hälften geteilt werden dürfe. Nach VAN BEKKUM 2011, 256f. seien einige Doppelungen durchaus narratologisch zu erklären, zumal das schon Berichtete gerne ein zweites Mal aufgegriffen und näher ausgeführt werde. 485 Vgl. NELSON 1997, 124. 486 Schon HOLLENBERG 1874, 496f. weist V.8–11 und V.22–27 einem dtn. Redaktor zu.
3. Literarkritische Beobachtungen
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auf einen dtr. Redaktor zurückgehen.487 Auch die Bezeichnung der Gibeoniter als Hewiter könnte aufgrund von Dtn 7,1–2 erfolgt sein. Damit diese Erzählung funktionieren konnte, mussten die Gibeoniter als Vorbevölkerung klassifiziert werden, die vernichtet werden musste. Demgegenüber finden sich in 15b, V.18–21 und V.27 priesterlich geprägte Lexeme.488 Offenbar wurde in einer priesterlichen Redaktion der Einsatz von fremden Kultsklaven erklärt, zumal die Heiligkeit des Tempels gewährleistet werden muss. Fraglich ist, ob bereits 18aα aufgrund der Verwendung von benê Yiśrāʾel „Söhne Israels“ zu einer priesterlichen Ergänzung gehört, zumal die Aussage des Gewaltverzichts bereits das Ergebnis der Verhandlungen vorausnimmt.489 Durch die priesterlichen Zusätze, die vor allem an der Gemeinde interessiert sind, wird V.23 näher profiliert, wo es um den Einsatz der Gibeoniter am Heiligtum geht, während die Gibeoniter in V.21 zum profanen Dienst für die Gemeinde verpflichtet werden. In V.27 werden schließlich beide Positionen zusammengeführt: Dienst an der Gemeinde und am Altar.490 Der Abschnitt V.18–21 fällt dadurch auf, dass es nicht um eine berît, sondern um einen Schwur geht, der unbedingt einzuhalten ist. Auch die Handlungsträger sind nicht mehr Josua und die Mannschaft Israels, sondern neśîʾîm, ʿedāh und benê Yiśrāʾel. Schließlich wird das Lebenlassen der Gibeoniter thematisiert, das schon in 15aβ angekündigt wird.491 Als Handlungsträger auf der Seite Israels werden verschiedene Personen oder Gruppen genannt: Josua (Jos 9,2.3.6.8.15.22.24.27),492 die „Mannschaft Israels“ (Jos 9,6.7),493 die Männer (Jos 9,14), die „Söhne Israels“
3)
4)
487
Vgl. O’BRIEN 1989, 70. Vgl. hierzu NELSON 1997, 124: ʿedāh, neśîʾîm, LūN. Ähnlich PITKÄNEN 2010, 207, dem zufolge der kultische Aspekt der vorausgegangenen Kapitel hier fortgeführt werde. DOZEMAN 2015, 408 ergänzt noch das Lexem qӕṣӕf „Zorn“, vgl. schon KUENEN 1886, 104, und weist auf die priesterlichen Themen des unauflöslichen Schwurs oder des Tempeldienstes der Gibeoniter hin. Zu priesterlichen Lexemen in Jos 9,15b.17–21.27* vgl. auch SMEND 1912, 304, der die priesterlichen Anteile als Interpolationen deutet. MOWINCKEL 1964, 59 rechnet 15b.16–21 als priesterlichen Zusatz. OETTLI 1893, 154 weist darüber hinaus noch „Hewiter“ in V.7 und einen Teil von V.23* der Priesterschrift zu. Nach KEARNEY 1973, 4 sei gerade der priesterlich geprägte Erzählabschnitt in V.15b.17–21 der älteste Teil. Zu den priesterlichen Lexemen vgl. auch BRIEND 1990, 134f. 489 Vgl. RÖSEL 1985, 33, der zusätzlich darauf hinweist, dass nach 2Sam 21,2 gerade die Söhne Israels geschworen hätten. 490 Vgl. NELSON 1997, 125. 491 Vgl. HALBE 1975, 613f. 492 Bisweilen wird vermutet, dass die ursprüngliche Erzählung noch nichts mit Josua zu tun hätte, vgl. NOTH 1971a, 55; HERTZBERG 1985, 69. Erst sekundär werde Josua in den Vordergrund der Erzählung gerückt. Dagegen aber schon SCHUNCK 1963, 38f. Nach SMEND 1912, 306 fehle Josua in der ersten Hälfte der Erzählung, da der Autor lediglich die „Mannschaft Israels“, nicht aber Josua mit dem Betrug der Gibeoniter in Verbindung bringen wollte. 493 Unter der „Mannschaft Israels“ versteht SUTHERLAND 1992, 67 den benjaminitischen Heerbann. Anders hingegen GRINTZ 1966, 119, der diesen Begriff auf die Ältesten bezieht. 488
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
(Jos 9,17.18.26), die „Fürsten“ oder „Fürsten der Gemeinde“ (Jos 9,15. 18.19.21)494 und die „(Gesamtheit der) Gemeinde“ (Jos 9,18.19.21.27).495 Zumindest die Verteilung von „Mannschaft Israels“ und „Söhne Israels“ könnte nahelegen, dass es zwei Teile der Erzählung gibt.496 Auch die Differenzierung zwischen Josua und Israel könnte auf zwei unterschiedliche Traditionen zurückgehen. Dementsprechend könnte Israel sekundär eingefügt worden sein, um die Verantwortlichkeit Josuas für diesen mit List erschlichenen Bundesschluss herunterzuspielen. Allerdings bleibt Josua nach V.15 am Bundesschluss beteiligt und wird demnach nicht von jeglicher Schuld freigesprochen. Demgegenüber wurde Josua vielleicht erst redaktionell zu einer vorliegenden Tradition ergänzt, um daraus eine Josuaerzählung zu basteln.497 Allerdings verschwindet die „Mannschaft Israels“ im zweiten Teil, sodass sich zurecht die Frage stellt, weshalb die „Mannschaft Israels“ in der ursprünglichen Erzähltradition anstelle von Josua stand, wo doch Josua das einende Band der beiden Erzählhälften ist. Hinzu kommt, dass das Nebeneinander von Josua und Volk auch in anderen Erzählungen anzutreffen ist,498 sodass man bei einer literarkritischen Auswertung dieses Befundes vorsichtig sein muss. Verschiedene Handlungsträger können, müssen aber nicht unterschiedliche Erzählschichten begründen. Bisweilen wird aufgrund der unterschiedlichen Handlungsträger vermutet, dass dahinter diachron verschiedene politische Organisationsformen stünden.499 Mit der „Mannschaft Israels“ wäre das vorstaatliche Organ der Repräsentanten der Stämme, mit Josua die monarchische Position während der Königszeit und mit den Fürsten der Gemeinde die nachexilische Organisationsform im Blick. Möglicherweise spiegelt demnach die Erzählung in Jos 9 die sozioreligiöse Situation in der persischen
494
Nach HECKL 2022, 360 Anm.31 verdankt sich diese Terminologie einer Angleichung an die spätesten Texte des Numeribuches. 495 Vgl. zu dieser Spannung auch DAY 2007, 117. Nach FARBER 2016, 244 seien die vielen Handlungsträger in der samaritanischen Josuatradition beseitigt worden, damit die Position Josuas hervorgehoben werde, während bei Flavius Josephus Josua aus der Erzählung gestrichen werde, um ihn nicht mit dieser Betrugsgeschichte zu verbinden. KNAUF 2008, 92 weist darüber hinaus darauf hin, dass Gott in Jos 9 überhaupt nicht zum Zuge komme. Einen Sonderfall bietet V.14, wo nur von der „Mannschaft“ die Rede ist. Auch hier ist Israel im Blick. Aufgrund der Differenzierung zwischen „Mannschaft Israels“ und Josua denkt WELLHAUSEN 1963, 209 an eine ursprüngliche Version, die in V.4–7 und V.12–14 zu finden wäre. 496 Vgl. NELSON 1997, 124. Nach PITKÄNEN 2010, 208 habe der Autor allerdings durch den Wechsel der Handlungsträger für sprachliche Varianz sorgen wollen. 497 Vgl. zu diesen beiden Optionen HALBE 1975, 618; RÖSEL 2011, 143. 498 Vgl. SCHMITT 1970, 30. Vielleicht gibt es auch Autoritäten, die unabhängig voneinander im Lager Israels agierten, vgl. HALPERN 1975, 310. 499 Vgl. MALLAU 2005, 60.
3. Literarkritische Beobachtungen
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Zeit wider, als man die priesterliche Gewalt der weltlichen Gewalt vorgeordnet betrachtete.500 In Jos 9 scheinen zudem die „Fürsten der Gemeinde“ massiv kritisiert zu werden, da diese für den Bundesschluss verantwortlich seien, der aufgrund des Schwurs nicht mehr aufgelöst werden könne.501 In Jos 9 werde somit exemplarisch gezeigt, was passieren kann, wenn man auf priesterlichen Rat und Führung verzichtet. Die Gibeonitererzählung in Jos 9 hat mit V.1–2 und V.3 zwei Einleitungen,502 wobei V.1–2 dtr. geprägt sind und vermutlich den Erzählkomplex Jos 9–11 einleiten. Auf diese Weise lässt sich auch die Spannung zu V.7 erklären, wo die Gibeoniter als Hewiter bezeichnet werden, die nach V.1 zu den indigenen Feindvölkern gehörten. Allerdings wäre es auch möglich, dass die Gibeoniter nachträglich aus der antiisraelitischen Allianz ausgeschert sind. Außerdem sind beide Einleitungen mit dem Lexem ŠMʿ „hören“ miteinander verbunden, sodass V.1–2 das Motiv des Hörens aus V.3 aufgenommen haben könnte. Da zudem die gehörten Nachrichten erst in V.3 stehen, ist dieser Satz ursprünglicher als V.1–2.503 Letztendlich war vermutlich V.3 die ursprüngliche Einleitung, während V.1–2 den größeren Kontext voraussetzt und die Reaktion der Gibeoniter noch gegenüber den Kanaanäern verschärft. Die Einleitung in V.1–2 scheint somit nicht zur ursprünglichen Erzählung zu gehören. Es verwundert daher nicht, dass MT nach Jos 9,1–2 eine Parasche setzt, was ebenfalls das Folgende abgrenzt. Außerdem duplizierte die Vetus Latina diese Verse mit leichter Variation, indem sie diese Tradition einmal vor Jos 8,30–35 und einmal danach platzierte.504 Die sekundäre Einleitung in V.1–2 verdeutlicht zumindest, dass die südlichen und nördlichen Eroberungen der Israeliten eine Reaktion auf die Mobilmachung und Aggression der kanaanäischen Könige auf eine Präsenz der Israeliten im Verheißungsland sind.505 Dementsprechend wäre die Landnahme defensiv zu bewerten, da man nur Jericho und Ai direkt angegriffen und gewaltsam eingenommen habe. Während in Jos 9,3 nur von den Bewohnern Gibeons die Rede ist, erwähnt Jos 9,11 auch Älteste. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Gibeon von den übrigen kanaanäischen Stadtkönigtümern.506 Demnach heben sich
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Vgl. BRIEND 1992, 19f. DOZEMAN 2015, 414, denkt an die nachexilische Herrschaftsversammlung in Jerusalem. 502 Vgl. RÖSEL 1985, 30. 503 Vgl. GERMANY 2017, 412. 504 Vgl. zum Problem auch TREBOLLE BARRERA 2008, 455–457. 505 Vgl. hierzu STONE 1991, 33; YOUNGER 2006, 4. 506 Vgl. schon COOKE 1918, 78. HESS 1996a, 197 bringt daher die Hewiter mit einer nördlichen Gruppe in Verbindung, da die Stammesverbände des Nordens von Ältesten regiert worden seien. PITKÄNEN 2010, 209 vermutet, dass mit den Ältesten die spätbronzezeitliche Sozialstruktur Gibeons widergespiegelt werde. Nach NOCQUET 2022, 323 widerspricht V.2 mit seinem Vergleich Gibeons mit Königsstädten der Ältestenverfassung Gibeons. 501
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
durch diese Notiz die Gibeoniter von der übrigen Vorbevölkerung ab. Da die Gibeoniter offenbar eine Ältestenversammlung hatten, waren sie den Israeliten politisch viel näher als die kanaanäischen Stadtkönigtümer, die man vernichten musste. Das Lexem ʿårmāh „List“ kann positiv und negativ gedeutet werden.507 Zum einen kann damit das kluge Verschweigen der Gibeoniter von Dingen gemeint sein, die die eigene Verhandlungsposition schwächen. Zum anderen wird das Vorgehen der Gibeoniter aber auch nach V.22 als Betrug von Josua gebrandmarkt. Vielleicht arbeitet die Erzählung mit zwei Perspektiven auf das Verhalten der Gibeoniter, das aufgewertet, aber auch abgewertet werden kann. Je nach Sicht kann eine List als Schläue oder auch als Betrug gewertet werden, ohne dass hier ein klarer Gegensatz vorliegen muss. Hinzu kommt, dass die Gibeoniter in Jos 9 überhaupt nicht negativ dargestellt werden.508 Ausweislich ihrer List konnten die Gibeoniter als fremde Gruppe überleben. Außerdem konnten sie aufrichtig an der YHWH-Verehrung festhalten und ihre Kenntnis der Tora unter Beweis stellen. In Jos 9 wird hinsichtlich der Verbindung zwischen Israel und den Gibeonitern zwischen berît „Bund“ (V.6.7.11.15.16) und šebûʿāh „Schwur“ (V.20 mit dem Verb ŠBʿ verbunden sowie V.15.18.19.20) unterschieden.509 Die Vorstellung des Schwörens findet sich nur in 15b und vor allem in V.18–20, was diesen Teil sprachlich und inhaltlich markant vom Übrigen abhebt.510 Hinzu kommt noch, dass bei Bündnissen ansonsten in erster Linie der untergeordnete Partner seinem Herrn schwört,511 sodass eigentlich die Gibeoniter einen Schwur hätten leisten müssen. Der Schwur der Israeliten ist aber insofern literarisch nötig, als auf diese Weise der Bundesschluss nicht mehr gelöst werden kann. Durch eine priesterliche Redaktion, die das Motiv des Schwures einführt, wird zum einen die Verantwortung für den Tora-Ungehorsam von Josua auf die Anführer verlagert. Zum anderen wird aber auch das Motiv des Schwurs eingeführt, der unbedingt zu halten ist und darüber hinaus die Spannung zu Dtn 7,2 entschärft, wo von einem Bund die Rede war. Bisweilen wird angenommen, dass die Verproviantierung der Gibeoniter mit Brot in V.5 möglicherweise eine Dublette zu V.4 sei und hier eigentlich zu spät komme.512 Allerdings gilt dieser Einwand nur dann, wenn in
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507
Vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 62–65; NIEHR 1989, 388. Vgl. NOCQUET 2019, 89. 509 Anders WEINFELD 1973, 784, dem zufolge eine berît mit einem Eid bestätigt werden musste, wobei es sich hierbei um einen bedingten Fluch gehandelt hat. Auf diese Weise werde der Verpflichtung bindende Kraft zugesprochen. 510 Vgl. hierzu HALBE 1975, 613. 511 Vgl. BLENKINSOPP 1972, 39f. 512 Vgl. MÖHLENBRINK 1938, 243. 508
3. Literarkritische Beobachtungen
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V.4 textkritisch MT ṢīD anstelle von ṢīR zu lesen wäre, was aber eher unwahrscheinlich ist. Insofern liegt hier keine wirkliche Doppelung vor. 10) Außerdem werden die Gibeoniter ohne weiteren Rückhalt in der Erzählung als Hewiter bezeichnet (V.7) und damit als eine Fremdbevölkerung verstanden.513 Diese Klassifizierung taucht nur hier in Bezug auf die Gibeoniter auf und geht vermutlich auf Dtn 20,17 zurück, da dort die Hewiter zur auszulöschenden Fremdbevölkerung gezählt werden.514 Der Sachverhalt sollte mit Blick auf Dtn 20,17 offenbar noch verschärft werden. Durch diese Klassifizierung werden die Gibeoniter zu den indigenen Völkern gezählt, die nach Dtn 7,1 und Dtn 20,17 unbedingt auszurotten sind. Hinzu kommt, dass die Liste der sechs auszulöschenden Völker in V.1 exakt mit Dtn 20,17 übereinstimmt, was die Bezugnahme noch zusätzlich unterstreicht. Auf diese Weise wird auch der rechtliche Aspekt der Diskussion um den Bund mit den Gibeonitern hervorgehoben.515 Allerdings wird hier eine Spannung zu Jos 9,1 erzeugt. Denn im Folgenden gehen Hewiter aus Gibeon gegen andere Hewiter vor. Offenbar wurde die Völkerliste stereotypisch verwendet, ohne dass diese Inkonsistenz dem Redaktor auffiel.516 Es hat zudem den Anschein, dass die Kenntnis der Israeliten von der autochthonen Bevölkerung jenseits jeglicher Stereotypie gering gewesen ist.517 Auffällig ist darüber hinaus, dass die Bezeichnung Hewiter lediglich als Gesprächspartner der „Mannschaft Israels“ in V.7 verwendet wird, während die „Einwohner Gibeons“ nach V.3 mit Josua verbunden werden.518 Der Einwand der „Mannschaft Israels“ in V.7 wird in der folgenden Erzählung nicht weitergeführt. Vielmehr wird mithilfe einer Wiederaufnahme zu Josua zurückgeführt, wobei es keine Rückbezüge zum Gespräch zwischen den Hewitern und der „Mannschaft Israels“ gibt.519 Vor diesem Hintergrund ist V.7 inhaltlich und formal schlecht eingebunden, sodass es sich hierbei um einen Zusatz handeln könnte. 11) Die Erklärung der Gibeoniter wird doppelt erzählt, wobei der Einwand in Jos 9,7 von den Gibeonitern eigentlich nicht entkräftet wird, sodass 6b*–7 offenbar erst nachträglich hinzugefügt worden sind.520 Es stellt sich zudem die Frage, woher die Gibeoniter von den Vorgaben der Tora in Dtn 20 513 NAʾAMAN 2009, 115 denkt sogar an eine Ansiedlung von Hewitern, die im Rahmen der assyrischen Kriegszüge und Massendeportationen aus dem Norden gekommen seien und noch zur Zeit Joschijas dort wohnten. 514 Vgl. EDENBURG 2012, 120. Zur schwierigen ethnischen Einordnung der Hewiter vgl. DAY 2007, 114–116. 515 Vgl. WRIGHT 2015, 205. 516 Vgl. RÖSEL 2011, 146. 517 Vgl. PITKÄNEN 2010, 211. 518 Vgl. RÖSEL 1985, 32. 519 Vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 66. 520 Vgl. BERNER 2017, 259.
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
wissen konnten. Möglicherweise wurde daher der Abschnitt Jos 8,30–35 von einer Redaktion vor Jos 9 platziert,521 da in Jos 8,32 eine Abschrift der Tora öffentlich auf dem Ebal ausgestellt wurde, sodass die Gibeoniter und die übrige autochthone Bevölkerung über die künftige Vernichtung informiert werden konnten. 12) Obschon Israel zunächst in V.7 einen Einwand gegen einen Bündnisschluss mit den Gibeonitern erhebt, ist es genau dieses Israel, das nach V.14 als erstes auf den Betrug hereinfällt. Gerade von dieser Gruppe hätte man mehr Vorsicht erwartet. Außerdem scheinen V.6–7 eine Unterredung zwischen den beiden Abordnungen zu schildern, während dann ohne Grund Josua ab V.8 die Sache selbst in die Hand nimmt.522 Dieser Wechsel in der Personenkonstellation ist abrupt und könnte auf eine redaktionelle Naht hinweisen, zumal ab V.8 nicht mehr die „Mannschaft Israels“, sondern Josua angesprochen wird. Hinzu kommt, dass V.8 besser an V.6 anschließt, wo sich die Gibeoniter an Josua wenden.523 Auf den sekundären Einschub von V.6*–7 könnte auch die Wiederholung der Redeeinleitung hinweisen. Allerdings sprechen die Gibeoniter in V.6 nicht nur Josua, sondern auch die „Mannschaft Israels“ an und begehren einen Bund, während sie sich in V.8 als Knechte Josua unterwerfen. Möglicherweise wurde daher der Abschnitt zwischen wayyomerû ʾelāyw (V.6) und ʿabādæ̂kā (V.8: bis ʾæl YHWŠʿ) sekundär ergänzt, worauf auch die Wiederaufnahme der Redeeinleitung hindeuten könnte.524 13) In V.10 wird der Sieg über die Amoriterkönige Sihon und Og als zusätzliche Begründung eingeschoben. Dieses Detailwissen ist für den eigentlichen Argumentationsgang nicht nötig und könnte redaktionell ergänzt worden sein.525 Auffällig ist zumindest, dass die jüngsten Siege Israels über Jericho und Ai von den Gibeonitern nicht erwähnt werden. Auch der syntaktische Anschluss mit weʾet kål ʾašær, der 9b aufgreift, könnte darauf hinweisen, dass hier ein redaktioneller Nachtrag erfolgt ist. 14) Die Schuld am betrügerisch erschlichenen Bundesschluss wird auf verschiedene Personen verteilt, ohne dass klar wird, wer die eigentliche Verantwortung zu tragen hat: die „Mannschaft (Israels)“ (V.14), die „Fürsten der Gemeinde“ aufgrund ihres voreiligen Schwurs (V.15.18) oder Josua selbst (V.15). Möglicherweise haben sukzessive Redaktionen die Verantwortung hin und her geschoben. Ohne Zweifel zeigt der Endtext, dass keiner der Beteiligten mehr Schuld hat als der andere und dass die Vereinbarung offenbar von allen Seiten mitgetragen wurde.526 521
Vgl. KNAUF 2008, 92. Vgl. zum Problem HALBE 1975, 617f.; BRIEND 1990, 131. 523 Vgl. GERMANY 2017, 412f. 524 Vgl. GERMANY 2017, 413. 525 Vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 67. 526 Vgl. auch NELSON 1997, 133.
522
3. Literarkritische Beobachtungen
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15) Nach Jos 9,14 nehmen die Israeliten das Brot der Wegzehrung von den Gibeonitern,527 obwohl es zuvor vertrocknet und zu Krumen geworden ist (Jos 9,5.12). Oft wird angenommen, dass die Israeliten das Brot nehmen, um es zu verzehren. Es stellt sich dann aber zu Recht die Frage, weshalb dieses eigentlich ungenießbare Brot überhaupt noch gegessen wird. Das Essen des Brotes wird darüber hinaus als Zeichen für den Bundesschluss mit den Gibeonitern gedeutet,528 zumal an anderen Stellen der Bundesschwur eng mit einem Mahl verbunden ist.529 Allerdings ist von einem wirklichen Essen nicht die Rede. Vielleicht haben die Israeliten nach Jos 9,14 lediglich die Wegzehrung der Gibeoniter genommen und überprüft,530 auch wenn letzteres nicht explizit ausgedrückt wird. Da die Männer nicht deutlich mit Israel verbunden werden, könnte es sich auch um Gibeoniter gehandelt haben, was aber angesichts des folgenden Satzes unwahrscheinlich ist. Denn in beiden Sätzen scheint das Subjekt identisch zu sein. Da vermutlich nur die Israeliten YHWH befragen, sind sie es auch gewesen, die die Wegzehrung genommen haben. 16) Die langwierige Erklärung der Gibeoniter in Jos 9,12–14 unterbricht den Erzählzusammenhang. Denn auf die Bitte der Gibeoniter um einen Bundesschluss in Jos 9,11 würde man direkt die Reaktion Josuas in Jos 9,15 erwarten.531 In Jos 9,15 werden zudem drei Handlungen durchgeführt, was ebenfalls auf redaktionelle Arbeit hinweisen könnte. Zum einen schließt Josua mit den Gibeonitern Frieden, zum anderen aber auch einen Vertrag, wobei mitunter auch die „Mannschaft Israels“ der Vertragspartner sein könnte. Darüber hinaus schwören die Fürsten Israels einen Eid.532 Möglicherweise sind die singularischen enklitischen Personalpronomina in 16b (ʾelāyw und qirbô) ein Hinweis darauf, dass in der ursprünglichen Tradition die „Mannschaft Israels“ genannt war. 17) Sprachlich wird unterschieden zwischen einem Leben der Gibeoniter „inmitten Israels“ (beqӕrӕb: Jos 9,7.16.22) oder als „Nachbarn“ (qārûb: Jos 9,16). Im ersten Fall lebt die Fremdbevölkerung vermischt mit Israel, im zweiten Fall leben die Gibeoniter nahe Israel, aber offenbar klar von Israel getrennt.533 Aufgrund der zweifachen Nennung der Wurzel QRB in V.16 scheint hier ebenfalls eine Doppelung vorzuliegen.534 527
Vgl. hierzu WRIGHT 2015, 205 Anm.12. Vgl. FENSHAM 1964, 98. 529 Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist zudem eine wichtige Unterstützung der Armee abgesehen von der aktiven Teilnahme am Krieg, vgl. WRIGHT 2015, 205. 530 Vgl. hierzu WOUDSTRA 1981, 159. 531 Vgl. BERNER 2017, 259. 532 Vgl. zu dieser Differenzierung DILLMANN 1886, 482; OETTLI 1893, 153; BLENKINSOPP 1972, 33. 533 Vgl. BERNER 2017, 260. 534 Vgl. auch RÖSEL 1985, 33. 528
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
18) Die Israeliten erfahren auf zweifache Weise vom Betrug der Gibeoniter.535 Zum einen hören sie gemäß V.16 nach drei Tagen, dass der Bündnispartner mitten unter ihnen lebte. Zum anderen brechen die Israeliten nach V.17 auf und kommen ebenfalls nach drei Tagen zu den vier Bündnisstädten. Bei diesen Städten, die ansonsten nicht erwähnt werden, könnte es sich aufgrund dieser Doppelung um eine Sondertradition handeln. Auch wenn eigentlich nur die Gibeoniter als betrügerischer Bündnispartner Israels auftreten, wird in V.17 eine Vierzahl von Städten inklusive Gibeon genannt.536 Auch die Reise zu den Gibeonitern passt eigentlich nicht zur folgenden Erzählung, die offenbar noch in Gilgal spielt.537 Hinzu kommt, dass die Reise der Israeliten zu den Gibeonitern in der weiteren Erzählung keine Rolle mehr spielt, sodass dieser Erzählzug zu einem späteren Zeitpunkt eingetragen wurde.538 19) Die Versklavung der Gibeoniter wird doppelt erzählt (Jos 9,19–21 und Jos 9,22–27),539 wofür es erzähltechnisch eigentlich keinen Grund gibt. Hinzu kommt, dass nach V.21.27 offenbar alle Gibeoniter zu Kultsklaven wurden, während V.23 lediglich andeutet, dass vielleicht nur ein Teil der Gibeoniter diesen Dienst verrichten musste.540 Außerdem werden die Gibeoniter nach V.23 zum einen zu Knechten, zum anderen zu Holzfällern und Wasserschöpfern des Hauses YHWHs gemacht.541 Die Verschonung der Gibeoniter wird zudem zweifach erzählt (Jos 9,18.26), was ebenfalls dafür spricht, dass es sich bei dem Abschnitt Jos 9,18–21 um eine Dublette handeln könnte.542 Vielleicht wird in V.16 und V.17 der Betrug der Gibeoniter zweimal entdeckt, was ebenfalls dafür spricht, dass Jos 9,17–21 als eine spätere Ergänzung gedeutet werden kann. Hinzu kommt, dass die Präpositionalverbindung lāhæm in V.22 eigentlich nur auf V.16 bezogen werden kann.543 Im Allgemeinen scheint folglich der Abschnitt V.17–21 eine Doppelung zu sein, die redaktionell eingetragen wurde. 20) Darüber hinaus ist jedoch V.18–21 ebenfalls nicht einheitlich, was die doppelte Redeeröffnung in V.19.21 andeuten könnte.544 Außerdem ist 535
Vgl. RÖSEL 1985, 33. Vgl. zu diesem Problem NELSON 1997, 123. 537 Vgl. FRITZ 1994, 105. 538 Vgl. GERMANY 2017, 414. 539 Vgl. BEGG 1997, 123; NELSON 1997, 123. Da in V.22–27 dtn. Idiome verwendet werden, vermutet HOLLENBERG 1874, 496, dass es sich um eine dtn. Ergänzung handele, die die Position Josuas aufwerten wollte. Zu der Dublette V.17–21 und V.22–27 vgl. schon KUENEN 1886, 104; HOLZINGER 1901, 31; COOKE 1918, 79. 540 Vgl. MILLER/TUCKER 1974, 77. 541 Vgl. KUENEN 1886, 41. 542 Vgl. schon STEUERNAGEL 1900, 185. 543 Vgl. BRIEND 1990, 159; GERMANY 2017, 414. 544 Vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 72. 536
3. Literarkritische Beobachtungen
21)
22)
23)
24)
545
fraglich, weshalb die Fürsten der Gemeinde nach der Feststellung der Unantastbarkeit der Gibeoniter in 19b trotzdem noch in V.20 ein Verfahren beschließen, wie man mit der schwierigen Situation umgehen könnte. In 20a wird zudem erst eine Bestrafung angekündigt, die aber dann sofort mit dem Entschluss, die Gibeoniter am Leben zu lassen, kontrastiert wird, damit nicht der Zorn YHWHs über die Israeliten kommt. Die Bestrafung wird zudem doppelt in V.20 und V.21 berichtet, wobei V.20 mit zoʾt auf die folgende Bestrafung vorverweist. Erst durch die V.21.23 und 27 wird aus der Gibeonitererzählung eine wirkliche Ätiologie,545 die erklären möchte, wie die Gibeoniter zu Kultsklaven am Heiligtum geworden sind. Insofern könnten diese Verse sekundär ergänzt worden sein, um die Erzählung zu einer Ätiologie umzuformen. Hierfür spricht auch die erneute Redeeinleitung in V.21 sowie die unnötige Aufforderung, die Gibeoniter am Leben zu lassen, die V.20 verdoppelt. Außerdem folgt die Antwort auf die Frage von V.22 erst in V.24, was wiederum darauf hindeutet, dass V.23 sekundär ergänzt wurde. Schließlich scheint V.27 eine Bilanz aus V.21.23 zu sein. Insgesamt wird somit die Bestrafung der Gibeoniter in V.21.23.27 dreimal erzählt, allerdings mit auffälligen Unterschieden. Während die Gibeoniter nach V.21 als Holzfäller und Wasserschöpfer der Gemeinde eingesetzt werden und damit auch profane Dienste verrichten, müssen sie nach V.23 für den Tempel arbeiten. Nach V.27 sind die Gibeoniter Holzfäller und Wasserschöpfer sowohl für die Gemeinde wie auch für den Altar YHWHs, sodass V.27 vermutlich die beiden unterschiedlichen Aufgaben zusammenführt. Schließlich unterbricht Jos 9,23 den Erzählzusammenhang, zumal der Vorwurf Josuas in Jos 9,22 von den Gibeonitern erst in Jos 9,24–25 beantwortet wird.546 Die Verfluchung, auf die im Anschluss nicht hingewiesen wird, kommt ebenfalls viel zu früh, ohne dass von den Gibeonitern eine Erklärung für ihr Verhalten gegeben werden kann.547 Erst nach dem Fluch begründen die Gibeoniter ihren Betrug. Die Entschuldigung der Gibeoniter in V.24 wirkt nach dem Fluch von V.23 deplatziert, zumal hier eher die Unterwerfungsformel erwartet werden sollte. Hinzu kommt, dass V.24 dtr. Idiomatik verwendet, was wiederum darauf hindeutet, dass es sich bei V.24 um eine sekundäre Eintragung handeln könnte, wobei die Redeeröffnung ursprünglich ist.548 Zum Zusatz könnte auch noch das erste Wort von V.25 weʿattāh gehören. Außerdem weist V.26 darauf hin, dass Josua die Gibeoniter aus der Hand der Söhne Israels gerettet hat, was aber im Erzählverlauf ziemlich isoliert
Vgl. BIEBERSTEIN 1995, 422f. Vgl. GERMANY 2017, 414. 547 Vgl. hierzu auch COLESON 2012, 97. 548 Vgl. zum Problem von V.24 auch RUDOLPH 1938, 203f. 546
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
ist, zumal eine eigentliche Rettungsaktion Josuas nirgendwo erzählt wird.549 Allerdings wird Josua als Subjekt explizit erst in V.27 genannt, auch wenn er implizit schon in V.26 als Handelnder auftritt. Diese Beobachtung mag dafürsprechen, dass V.26 redaktionell ergänzt wurde, zumal V.27 bestens an V.25 anschließt.550 Mit V.26 wird der Person Josua mehr Gewicht als zuvor verliehen, da er für die Rettung der Gibeoniter aus der Hand der Söhne Israels verantwortlich ist. 25) Insgesamt ist die Erzählabfolge der Gibeonitererzählung im MT nicht immer stringent durchgehalten, was ebenfalls auf Nachträge hinweist. Es verwundert daher nicht, dass Flavius Josephus in seiner Nacherzählung diese logischen Schwierigkeiten beseitigt hat.551 Einige Beobachtungen sprechen für eine relativ späte Entstehung zumindest des Endtextes der Gibeonitererzählung.552 Vor diesem Hintergrund kann Jos 9 in seiner Endgestalt kein Text sein, der historisch für die Landnahmezeit verwendet werden kann: 1)
Der Hinweis auf die Eroberung von Jericho und Ai (Jos 9,3) scheint auf die Erzählungen zuvor in Jos 6–8 einzugehen. Die Stadt Ai wird ebenfalls mit einer Kriegslist erobert. Diese Verbindung von Jos 9 zum Vorausgegangenen wird vermutlich mit der Partikel gam (Jos 9,4) ausgedrückt: Auch die Gibeoniter (gam hemmāh) haben ähnlich listig ihre Verschonung bewirkt. Wenn in Jos 9 aber die Ereignisse davor berücksichtigt werden, kann Jos 9 nicht älter als der Kontext sein. Darüber hinaus greift Jos 9–10 die bereits in Jos 7–8 erzeugte Spannung auf.553 In beiden Fällen führen die Handlungen von Josua und den Israeliten zu problematischen Ergebnissen, da in beiden Fällen versucht wird, die Banngesetzgebung zu umgehen. Dementsprechend können diese Erzählungen entweder gut oder schlecht ausgehen. Wie in Ai kann die Landnahme insgesamt scheitern oder aufgrund von göttlicher Gnade gelingen. Darüber hinaus gibt es lexematische Ähnlichkeiten zur Antwort der Rahab in Jos 2,9: NTN lākӕm hāʾārӕṣ und kål yošbê hāʾārӕṣ mippenêkӕm, sodass es durchaus möglich ist, dass der Autor von V.23 die Rahaberzählung in Jos 2 ebenfalls gekannt hat.554 Außerdem ähnelt die Erklärung der Gibeoniter in V.9–10 dem Bekenntnis der Rahab in Jos 2,10–11, zumal beide
2)
549
Vgl. auch RÖSEL 1985, 35. Vgl. GERMANY 2017, 414f. 551 Vgl. BEGG 1997, 141f. 552 Vgl. NAʾAMAN 2009, 111. 553 Vgl. HUBBARD 2009, 282. 554 Vgl. zu diesem Bezug NELSON 1997, 133; DAY 2007, 118. Nach DOZEMAN 2015, 397 eröffnen die beiden Trickster-Erzählungen in Jos 2 und Jos 9 jeweils den weiteren Erzählzusammenhang. 550
3. Literarkritische Beobachtungen
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Male auf die Ereignisse beim Auszug aus Ägypten und auf die Vernichtung der ostjordanischen Amoriterkönige verwiesen wird.555 Allerdings fehlt bei den Gibeonitern im Gegensatz zu Rahab ein wirkliches Glaubensbekenntnis.556 Von den Gibeonitern wird lediglich auf die machtvollen Taten YHWHs verwiesen. Sie rühmen folglich die Geschichtsmächtigkeit YHWHs. Darüber hinaus verbindet der Schwur Jos 9 mit Jos 2,12–13. In beiden Erzählungen wird die Verbindlichkeit der Zusagen durch Schwur bekräftigt. Beide Erzählungen erklären außerdem, wie es dazu kommen konnte, dass immer noch Fremdbevölkerung im Verheißungsland anzutreffen ist, obwohl man diese aufgrund des Banngebots eigentlich auslöschen sollte. Außerdem werden Rahab und die Gibeoniter durch ihre Klugheit und Gottesfurcht charakterisiert.557 Aufgrund ihrer Berufung auf YHWH stellen weder Rahab noch die Gibeoniter für Israel eine religiöse Gefahr mehr dar und können demnach verschont werden, zumal nach Dtn 20,17–18 lediglich der Abfall zu fremden Göttern das Banngebot motiviert. Dementsprechend wird auch ihr Leben und das ihrer Nachkommen gerettet, sodass sie eine gesicherte Existenz im Verheißungsland erhalten. Allerdings gibt es auch markante Unterschiede zwischen beiden Erzählungen. In Jos 9 wird die Rolle der Gibeoniter im Vergleich zu Rahab sehr negativ gesehen, da die Gibeoniter als erfolgreiche Betrüger auftreten. Das negative Image zeigt sich im Endtext auch in der Verfluchung und der Versklavung der Gibeoniter. Außerdem geht es in der Rahaberzählung nur um eine Familie, die vom Banngebot ausgenommen wird und in der Peripherie Israels lebt, während im Fall der Gibeoniter eine ganze Bevölkerungsgruppe in der Mitte Israels verschont und zum kultischen Dienst am Altar verpflichtet wird.558 Außerdem betrügt Rahab die Bevölkerung von Jericho zugunsten von Israel, während die Gibeoniter die Israeliten austricksen.559 Offenbar wird in Jos 9 mit der Motivik der Rahaberzählung kreativ gespielt. Die Erzählung in Jos 9 liefert vielleicht nachträglich eine Erklärung dafür, weshalb Josua der Stadt Gibeon in Jos 10 zu Hilfe kommen sollte. Es hat zumindest den Anschein, dass beide Kapitel irgendwie miteinander verbunden sind. Denn der Friedensschluss zwischen Gibeon und Israel löst eigentlich erst die Konfrontation in Jos 10 aus,560 während die in V.1–2
3)
555
Vgl. zu dieser Parallele HUBBARD 2009, 285. So aber BRIEND 2000, 363. 557 Vgl. RÖSEL 2011, 150. LLOYD 1886, 131 weist jedoch darauf hin, dass lediglich die Angst vor Auslöschung das Bundesangebot der Gibeoniter motiviert habe. 558 Vgl. HAWK 2000, 136. 559 Vgl. auch DOZEMAN 2015, 397. 560 Vgl. NELSON 1997, 132. 556
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
angezielte kanaanäische Koalition zunächst noch folgenlos blieb. Vielleicht hat das Bündnis der Gibeoniter mit Israel die frühere Allianz mit Jerusalem aufgekündigt.561 Der offensichtliche Hinweis auf die Regularien des dtn. Kriegsgesetzes sowie die vielen dtr. Idiome und inhaltlichen Vorstellungen lassen an einen dtr. Redaktor denken, auf den diese Betrugserzählung zurückgehen könnte. Vor diesem Hintergrund muss Jos 9, falls das Betrugsmotiv zur ursprünglichen Erzählung gehört, erst frühestens spätvorexilisch entstanden sein. Allerdings wird in Jos 9 nirgendwo darauf hingewiesen, dass die Täuschung durch die Gibeoniter die dtr. Bannvorstellung tatsächlich wirksam ausgehebelt hat. Ein dtr. Autor hätte sicherlich Kritik dagegen geübt und die Erzählung anders wiedergegeben.562 Dementsprechend hat vermutlich ein dtr. Redaktor sekundär eine ihm vorliegende frühere Erzählung bearbeitet, wobei er nicht alle Dinge korrigieren konnte.
4)
Die Darstellungsweise in Jos 9 ist ohnehin wenig glaubwürdig.563 Denn es stellt sich die Frage, warum die Israeliten so schnell mit den Gibeonitern einen Vertrag schließen, ohne den Sachverhalt adäquat geprüft zu haben. Außerdem wird nicht geklärt, woher die Gibeoniter die dtn. Argumentationsweise überhaupt kennen können. Um diese erzählerische Leerstelle zu füllen, müsste man annehmen, dass es im Verheißungsland schon zu einem Präzedenzfall gekommen ist, bei dem ein Unterwerfungsangebot der Vorbevölkerung mit Verweis auf die Tora abgelehnt wurde. Auch ein Bundesschluss ohne explizite Nennung der Stadt erscheint zutiefst fragwürdig.564 Denn die Israeliten wussten gar nicht, mit wem sie dieses Bündnis schlossen, außer mit einer Gesandtschaft, die aber auffälligerweise wenig von sich selbst offenbart. Dementsprechend wirkt der ganze Sachverhalt reichlich konstruiert. Hinzu kommt, dass Gibeon in Jos 10,2 eine große Stadt war, deren Einwohner insgesamt starke Krieger waren. Insofern ist die Unterwerfung der Gibeoniter ebenfalls wenig glaubwürdig.565 Der nach der Tora nicht erlaubte Bündnisschluss wird zudem in der Erzählung nicht wirklich verurteilt. Höchstens der Hinweis darauf, dass man YHWH nicht befragt hat (V.14), könnte eine implizite Kritik sein. Auch sonst taucht Gott in dieser Erzählung nicht auf. Höchstens der in V.20 befürchtete qæṣæf „Zorn“ könnte mit Gott verbunden werden. Aus Angst vor diesem Zorn Gottes habe man folglich von einer Durchführung der Bannweihe abgelassen, damit die Heiligkeit des Schwurs bewahrt und trotzdem gegen die Tora verstoßen. 561
Vgl. BLENKINSOPP 1972, 29. Vgl. EDENBURG 2012, 126. 563 Vgl. BEGG 1997, 123. 564 Vgl. hierzu SCHMITT 1970, 35. 565 Vgl. zu diesen Problemen MILLER/TUCKER 1974, 76. 562
4. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Entwürfe
91
Somit nimmt eigentlich erst die spätere priesterliche Ergänzung in V.18–21 an dieser satirischen Gegendarstellung zum biblischen Banngebot Anstoß. Die ursprüngliche Erzählung nahm demgegenüber die indigene Bevölkerung inklusiv in den Kult auf.566
4. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Entwürfe Das literarische Wachstum hinter Jos 9 ist umstritten, da sich sprachlich unterschiedliche Hände nachweisen lassen. Während man bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts noch von durchlaufenden Pentateuchquellen und ihrer Fortsetzung im Josuabuch im Rahmen eines Hexateuchs ausging,567 hat man derartige Verbindungslinien zunehmend in Frage gestellt und demgegenüber entweder mehrere Fragmente vermutet, die miteinander verbunden wurden, oder eine Grundschicht postuliert, die von verschiedenen Händen fortgeschrieben wurde: Möhlenbrink (1938):568 Vielleicht ist aufgrund von beobachtbaren Doppelungen und von unterschiedlichen Protagonisten von zwei Erzählungen auszugehen, die anschließend ineinander gearbeitet wurden. Dementsprechend könnte man eine Josuarezension (Jos 9,4aβb.6a.8.9a.15–16.22– 23.25–27) von einer Israelitenrezension (Jos 9,4aα.5.6b.7.11–12.14.17– 20) unterscheiden, die noch von redaktionellen Zusätzen ergänzt wurden (Jos 9,9b.10.13.21.24). Nach der kultätiologischen Josuarezension werde mit angeblich Fremden, die noch nicht mit Gibeon verbunden werden, ein Bund und Frieden geschlossen. Nachdem der Betrug entdeckt worden ist, seien die Fremden zu Sklaven für den Altar von Sichem degradiert worden. Nach der Israelitenrezension werde mit den Gibeonitern mittels eines konstituierenden Mahles ein Bund geschlossen, der trotz Betrug nicht zu einer Beeinträchtigung der kanaanäischen Tetrapolis führt, auch wenn er rechtlich ungültig ist.569 In dieser Rezension werden die Gibeoniter politisch kritisiert, da diese nicht rechtmäßige Bundespartner Israels seien. Bei dieser Lösung werden zwar die verschiedenen Handlungsträger auf zwei separate Versionen verteilt, aber die Auffälligkeit, dass es sich in der Israelitenrezension um „Mannschaft Israels“, „Söhne Israels“ oder „Fürsten (der Gemeinde)“ handelt, wird zu wenig beachtet. Auch die Doppelung der Versklavung in der Josuarezension wird nicht erklärt. Fraglich ist auch, ob die Entgegennahme des Proviants mit einem Bundesschluss erklärt werden muss. Der dreifache Bundesschluss in V.15 wird zudem nicht
1)
566
Vgl. EDENBURG 2021, 98. Vgl. hierzu die Forschungsgeschichte bei NOORT 1998b, 59–91. 568 Vgl. MÖHLENBRINK 1938, 242f. 569 Vgl. MÖHLENBRINK 1938, 243f. 567
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
literarkritisch ausgewertet. Das Thema des Schwurs wird eigentlich erst in der Israelitenrezension wichtig, ist dort aber nicht vorbereitet. Rudolph (1938):570 Die ursprüngliche Gibeonitererzählung handele davon, wie Josua mit den Gibeonitern einen Bund schließt. Zu dieser Erzählung gehören V.3–6a.8–9bα.11–14a.15aα.16*.17.22–23.25–26a.27*. Diese anstößige Josuaerzählung sei auf zweifache Weise entschärft worden. Zum einen hat man die „Mannschaft Israels“ eingeführt, die bei dieser falschen Entscheidung an die Seite Josuas gestellt wurde. Zu dieser Ergänzung gehören V.6b.7.14b.15aβ und vielleicht noch 16aβ. Ein priesterlicher Ergänzer habe dann V.15b.18–21 und vielleicht noch 26b eingetragen. Auf eine dtr. Hand gehen die V.1–2.9bβ–10.24*.27bβ zurück. Die ursprüngliche Erzählung sei eine Ätiologie gewesen, die erklären wollte, wie die Gibeoniter aufgrund eines Fluches, der nicht zurückgenommen werden konnte und daher den aktuellen Zustand entschuldigt, zu Kultsklaven am israelitischen Heiligtum von Gibeon wurden. Dagegen ist aber einzuwenden, dass die „Mannschaft Israels“ eigentlich nur in 6b–7 auftaucht und eventuell mit der „Mannschaft“ aus 14a gleichzusetzen ist, wobei 14a aber zur Grundschicht gehören soll. Schmitt (1970):571 Möglicherweise wurden in Jos 9 zwei Fassungen der Gibeonitererzählung zusammengearbeitet, wobei einige Teile in beiden Fassungen annähernd gleich waren. Zur stark dtr. geprägten Josuafassung könnten V.3–6.8.9–13.15a.16.22–25.27 gehören, während V.3–7.11– 14.15a.18.26 zu einer Israelfassung zählen. Ein priesterlicher Bearbeiter habe diese Versionen noch zusätzlich ergänzt. In V.9 wird ähnlich wie in V.22 aufgrund der Redeweise von einem „sehr fernen Land“ ein dtr. Motiv aus Dtn 20,15 eingetragen und V.10 sei dtr. geprägt aufgrund der Erwähnung der beiden ostjordanischen Könige. Die dtr. Eintragungen könnten vielleicht Ergänzungen zur vor-dtr. Josuaerzählung sein. Weshalb aber nur diese Fassung dtr. bearbeitet wurde, bleibt ungeklärt. Ebenso ist fraglich, weshalb man mit Überlappungen der beiden Versionen rechnen und dementsprechend einzelne Vers(teile) beiden Versionen zuweisen sollte. Noth (1971):572 Vielleicht muss man aufgrund der beiden Handlungsträger „Mannschaft Israels“ und Josua davon ausgehen, dass Josua erst sekundär in die Erzählung eingetragen wurde, zumal man in V.11 offenbar ein pluralisches Kollektiv als Verhandlungspartner der Gibeoniter erwartet. Dementsprechend sei Josua sekundär von einem Sammler in den Einleitungssatz V.3, in 6b und in den Abschnitt V.8–10 eingetragen worden. Auf diese Weise wurde aus Jos 9 eine Josuaerzählung. Allerdings wird in
2)
3)
4)
570
Vgl. RUDOLPH 1938, 200–204. Vgl. SCHMITT 1970, 32–34. 572 Vgl. NOTH 1971a, 55–59. 571
4. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Entwürfe
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V.11 nur die Erwartung der Ältesten geschildert. Die neśîʾîm könnten zudem „Sprecher“ sein, die das Volk repräsentieren und eine alte Tradition widerspiegeln. Auf eine spätere priesterliche Bearbeitung könne dies kaum zurückgehen, da dann die neśîʾîm nur in Jos 9 nachgetragen worden wären. Beim analogen Ausdruck neśîʾê hāʿedāh ist hingegen hāʿedāh ein priesterlicher Zusatz. Insofern müssten sie schon in der ursprünglichen Tradition gestanden haben. Allerdings tauchen neśîʾîm auch in Jos 17,4 und Jos 22,14 in priesterlichem Kontext auf, was gegen die Interpretation Noths spricht. V.1–2 seien eine redaktionelle vielleicht nach-dtr. Vorbemerkung, die die Eroberung des Westjordanlandes einführt. Außerdem seien 9bβ.10 dtr. Zusätze, die die „Kunde“ zuvor erklären wollen. Darüber hinaus ergänzt 15b das Thema des Schwurs, das im Folgenden näher profiliert wird. Schließlich ist 16bβ aufgrund des singularischen enklitischen Personalpronomens zusammen mit 17a eine spätere Ergänzung, die betonen möchte, dass man aufbrach, um den Sachverhalt vor Ort zu prüfen. Allerdings wird in 17a wieder in den Plural gewechselt, sodass sich 16bβ und 17a deutlich unterscheiden. V.18 sei später eingetragen worden, während die Liste mit den gibeonitischen Orten in 17b ursprünglich zu sein scheint. In V.19 sei lediglich ʾæl kål hāʿedāh eine redaktionelle Angleichung, während V.21 notdürftig die nach V.20 entstandene Lücke sekundär fülle. Die Tätigkeitsbeschreibung in V.23 sei eine redaktionelle Vorausnahme von V.27. Die nachträgliche Entschuldigung der Gibeoniter in V.24 und der Anschluss weʿattāh in V.25 seien aufgrund der Lexematik ein dtr. Zusatz, während die Redeeinleitung in 24a noch zur ursprünglichen Erzählung gehöre. In V.27 seien „für die Gemeinde“ und „für den Ort, den er erwählen wird“ ebenfalls sekundäre Ergänzungen. Es sei somit von einer Grunderzählung auszugehen, die auf einen Sammler zurückgeht, der aus einer ihm vorliegenden Erzählung eine Josuaerzählung gemacht hat. Diese Grunderzählung sei an vielen Stellen redaktionell erweitert worden. Diesem Entwurf ist aber Folgendes entgegenzuhalten: Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass Josua erst sekundär in den Erzählstoff eingedrungen ist, aber eine Vorform ohne Josua ist nicht mehr zu rekonstruieren, zumal Josua der einzige Handlungsträger ist, der in allen Teilen von Jos 9 genannt wird. Halbe (1975):573 Die Gibeonitererzählung in Jos 9 weise aufgrund der verwendeten Lexematik Nachträge auf. Hierzu gehören die dtr. Ergänzungen in 9bβ–10.24.27bβ. Außerdem stammen auch 15b.18–21.27* von einer priesterlichen redaktionellen Hand, die die Frage nach der legitimen Funktion von Fremden im YHWH-Kult beantworten wollte. Möglicherweise sei aufgrund der verschiedenen Handlungsträger von zwei Erzählungen aus-
5)
573
Vgl. HALBE 1975, 613–630.
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
zugehen. Der erste Teil, der nicht notwendigerweise auf Fortsetzung angelegt ist, handele davon, wie sich die Gibeoniter mit List ein Bündnis mit Josua und der Mannschaft Israels erschlichen haben. Diese Erzählung versuche zu erklären, weshalb es Kanaanäer in der Mitte Israels gibt. Die Grunderzählung finde sich in V.3–7.9abα.11–15a. Als Ätiologie will sie die vertraglich geregelte Sonderstellung der kanaanäischen Stadt Gibeon erklären. In einem zweiten Schritt wurde V.16–17.22–23*.25–26.27* angeschlossen, um die Rechtsfolgen des Betrugs zu besprechen. Durch den Einschub von V.8 in die Grunderzählung werde das Gespräch mit den Gibeonitern zu einem formellen Verhör. Der Haupteinwand gegen diese These ist die Beobachtung, dass der Betrug der Gibeoniter erzählerisch auf eine Lösung angelegt ist. Das Motiv der List ist viel zu eng mit dem Aufdecken des Betrugs verbunden, als dass man beide Teile voneinander trennen könnte. Boling (1982):574 Die Gibeon-Erzählung lässt sich möglicherweise auf zwei dtr. Redaktionen verteilen. Die erste Version (Dtr1) umfasst V.1– 15a. Hier ist noch kein ätiologisches Interesse erkennbar. Allerdings sollte die Verantwortung Josuas für einen problematischen Bundesschluss abgeschwächt werden. Erst die zweite Redaktion (Dtr2), die den Abschnitt V.15b–27 umfasst, erklärt ätiologisch die Unterwerfung Gibeons. Auch wenn V.15b–27 auf eine ältere und unabhängige Quelle zurückgehen könnte, dient dieser Abschnitt als Supplement eines dtr. Redaktors (Dtr2) zu V.1–15a. Da 15b Leitworte verwendet, die erst im Folgenden auftauchen, scheint dieser Halbvers auf eine redaktionelle Hand zurückzugehen. Gegen eine Zweiteilung von Jos 9 spricht jedoch die Verwendung des Lexems ʿӕbӕd in beiden Teilen. Dementsprechend ist schon der erste Teil auf das Ergebnis des zweiten Teils angelegt.575 Darüber hinaus bleibt die Frage ungeklärt, was geschehen wird, wenn der Betrug der Gibeoniter aufgedeckt wird. Auch die Terminologie „in der Mitte wohnen“ weist auf die zweite Hälfte von Jos 9 voraus.576 Eine derartige Zweiteilung ist somit eher unwahrscheinlich. Soggin (1982):577 Möglicherweise gehen V.1–2, 9–10, 24–25 und 27b auf eine dtn. Hand zurück, wobei das dtn. Kriegsgesetz Dtn 20,10–18 eingespielt werde. Die Redeteile ähneln der Konversation Rahabs mit den israelitischen Spionen und bestehen aus dtn. Glaubensbekenntnissen, die in den Mund von Fremden gelegt wurden. Der abschließende Anhang 27b ist zudem ein anachronistischer Hinweis auf den Jerusalemer Tempel, zu-
6)
7)
574
Vgl. BOLING 1982, 261–272. Vgl. auch RÖSEL 1985, 31; RÖSEL 2011, 144. 576 Vgl. RÖSEL 1985, 31. 577 Vgl. SOGGIN 1982, 111–113. 575
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mal für den dtr. Redaktor nur in Jerusalem der einzig legitime Kult vollzogen werden dürfe.578 In der ursprünglichen Erzählung hätte sich V.27 auf den Altar von Gibeon bezogen. Vielleicht berichtet die ursprüngliche, vor-dtr. Erzählung, die jedoch kaum noch herausgearbeitet werden kann, von einem regulären historischen Bundesschluss der Israeliten mit den Gibeonitern, die der untergeordnete Partner waren. Der ursprüngliche Bundesschluss lässt sich an den folgenden Elementen erkennen: die unterwürfige Rede der Gibeoniter (V.6.8.11), das gemeinsame Mahl (V.14), die Gewährung von šālôm (V.15), der Schwur (V.15.18), die gegenseitige militärische Unterstützung (Jos 10) und die Fluchandrohung (2Sam 21).579 Bei dieser Lösung werden die priesterlichen Idiome jedoch literarhistorisch überhaupt nicht eingeordnet. Auch die Differenzierung bei der Idiomatik des Bundesschlusses wird nicht kritisch ausgewertet. Schäfer-Lichtenberger (1986):580 Die Grunderzählung von Jos 9 ist in den V.3.4aα.6abα*.8a.9(ohne meʾod).11.15a.17 zu suchen. Diese ursprüngliche Tradition berichtet, wie die Gibeoniter mithilfe einer List und rhetorischer Geschicklichkeit ein Bündnis mit den Israeliten erreichten, indem sie nicht auf ihre Furcht, sondern auf ihre Bewunderung für die Geschichtsmächtigkeit YHWHs hinweisen. Vor dem Hintergrund des Gebots zur Bannweihe in Dtn 7,1–2 und Dtn 20,15–18 wird die Grunderzählung durch einen Bearbeiter mit den V.4aβ.b.5.6b*.7–8aα.9b(nur meʾod).12– 14.15a(nur leḥayyôtām).b.16.18–19(ohne lingoaʿ bāhæm).20aα.21aβ.b. 22.23*–25.27a erweitert. In dieser Bearbeitung wird das Bündnisgesuch der Gibeoniter als Betrug beschrieben, sodass der geschlossene Bund eigentlich ungültig ist und die Bannweihe vollzogen werden müsste. Da der Bund aber mit einem Schwur besiegelt war, war das Bündnis nicht mehr umkehrbar. In dieser Bearbeitung werden die „Mannschaft Israels“ und die „Gemeinde“ eingeführt, wobei die Position Josuas nicht beschädigt wird. Vielmehr wird die Verantwortlichkeit auf mehrere Gruppen verteilt. Fraglich ist aber, weshalb hier in den beiden Teilen differenziert wurde und zusätzlich noch die „Söhne Israels“ eingeführt wurden. Der Anspruch des Banngebots führe schließlich zur Verfluchung der Gibeoniter. Auch wenn in dieser redaktionellen Erweiterung priesterliche Lexeme verwendet werden, handele es sich um eine dtr. Bearbeitung. Unterschiedliche Zusätze wurden in V.19.20.21.23.27 eingetragen, die aber nicht näher bestimmt werden können. Außerdem wurden die V.10.26 nachträglich ergänzt. Auch hier gilt, dass die Zweiteilung der Erzählung unwahrscheinlich ist, da auf diese Weise die im ersten Teil erzeugte erzählerische Spannung nicht aufgelöst wird.
8)
578
Ähnlich auch RÖSEL 2011, 156; LAUGHLIN 2015, 137. Vgl. auch HOWARD 1998, 219. 580 Vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER 1986, 62–77. 579
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
Görg (1991):581 Die ursprüngliche vor-dtr. Tradition ist in V.3–9.11– 17.22–23.25–27 zu finden. Diese Erzählung wurde zunächst in zwei Einzelerzählungen überliefert. Die ältere Version, die vermutlich die „Mannschaft Israels“ und noch nicht Josua als Hauptprotagonisten kennt, umfasst V.3–9.11–15 und beschreibt die Sonderrolle Gibeons im Verhältnis zu Jerusalem. Mit V.1–2.10.24 wurden dtr. Ergänzungen eingetragen. In V.9.27 wurden ebenfalls kleinere redaktionelle Glossen eingebracht. V.18–21 gehen auf eine nachdtr. Redaktion zurück. Bei dieser Lösung ist allerdings fraglich, wie der sperrige V.7 zu beurteilen ist und ob es jemals eine ältere Fassung gegeben hat, die nur den ersten Teil umfasst hat. 10) Sutherland (1992):582 Ausgehend von den unterschiedlichen Handlungsträgern könnte man drei unterschiedliche Versionen von Jos 9 voneinander abgrenzen. Die erste, mündliche Grunderzählung habe die „Mannschaft Israels“583 im Blick gehabt (Jos 9,4–6*.7.11–14.16). Aufgrund der Bezeichnung „Mannschaft Israels“, dem Heerbann Israels, könnte diese Erzählstufe schon aus vormonarchischer Zeit stammen.584 Allerdings taucht die „Mannschaft Israels“ nur in V.6–7 explizit auf und die Erzählung endet in V.16 abrupt mit der Erkenntnis, dass die Israeliten betrogen wurden. Darüber hinaus ist fraglich, ob es überhaupt zu einem Bundesschluss gekommen ist. Eine zweite Version, die als Ätiologie für die Gibeoniter als Kultsklaven dient und in die staatliche Zeit weist, hat Josua als Hauptprotagonisten (Jos 9,3.6*.8–10.15a.22–27). Da aber beide Versionen eng ineinander gearbeitet sind, scheint die erste Version als Grundlage für die zweite verwendet worden zu sein. Eine dritte Version aus nachexilischer Zeit gebraucht den vor allem priesterlich geprägten Ausdruck „Fürsten der Gemeinde“ (Jos 9,15b.17–21), den man aus inhaltlichen und formalen Gründen nicht mit der „Mannschaft Israels“ gleichsetzen sollte. Die Kritik dieses Entwurfs muss vor allem an der ersten Version der Erzählung und an der zeitlichen Verortung der drei Versionen ansetzen, ohne dass dies hier geleistet werden soll. 11) Fritz (1994):585 Zunächst seien V.1–2 eine dtr. redaktionelle Eröffnung des Abschnitts Jos 9–11.586 Außerdem seien V.18–21 ebenso wie 15b und V.27 ausweislich ihrer Wortwahl als priesterschriftlicher Einschub zu 9)
581
Vgl. GÖRG 1991a, 42f. Vgl. SUTHERLAND 1992, 65–67. 583 Nach SUTHERLAND 1992, 67 handele es sich hierbei um einen Begriff für die jungen waffenfähigen Männer, die politische und militärische Entscheidungen getroffen haben. GRINTZ 1966, 118 sieht demgegenüber in der ʿedāh „Gemeinde“ die Gemeinschaft der freien Männer, die zum Militärdienst herangezogen werden können. Darüber hinaus diene die ʿedāh „Gemeinde“ als Beratungsgremium. 584 Vgl. SUTHERLAND 1992, 68f. 585 Vgl. FRITZ 1994, 101f. 586 Vgl. FRITZ 1994, 104f. 582
4. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Entwürfe
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werten. Darüber hinaus sind 9b–10 mit dem Verweis auf den Exodus und den Sieg Israels über die ostjordanischen Könige ein weiterer Nachtrag. In der verbleibenden Erzählung sei schließlich eine Spannung zwischen der „Mannschaft Israels“ und Josua als Handlungsträger auszumachen. Dementsprechend scheine V.8 die Beteiligung Josuas nachträglich eingetragen zu haben. Analog hierzu seien in V.6 Josua und die Präpositionalverbindung ʾelāyw samt der folgenden Kopula als sekundäre Angleichung aus der ursprünglichen Tradition zu streichen. Erst ab V.15 trete Josua auf. Weshalb aber 15a zur ursprünglichen Erzählung gehören soll, ist fraglich, zumal erst hier Josua auftaucht, während zuvor die „Mannschaft Israels“ Verhandlungspartner der Gibeoniter war. Durch die Erzählung in Jos 9,3–7.9a.11– 15a, die DtrH zugewiesen werden kann, werde die Verschonung Gibeons und das Verbleiben von kanaanäischer Bevölkerung neben Israel erklärt. Diese dtr. geprägte Erzählung versuche, den Sachverhalt der Sonderstellung der Gibeoniter zu bestimmen. Israel werde zwar eine gewisse Schuld zugewiesen, aber die Existenz einer Fremdbevölkerung werde durch die List der Gibeoniter als durchaus legitim beurteilt. Die antikanaanäische dtr. Theologie aus Dtn 7,1–2 und Dtn 20,10–18 werde kreativ aufgenommen und auf diese Weise das Bündnis Israels mit Gibeon erklärt, was die geforderte Vernichtung im Rahmen der Bannweihe verhinderte. Erst in einem zweiten Schritt wurden V.16–17.22–26 ergänzt, wo der Betrug der Gibeoniter entdeckt wird. Durch diese redaktionelle Erweiterung werde die Verwendung der Gibeoniter als Kultsklaven ätiologisch begründet. Inwieweit jedoch diese Fortsetzung mithilfe von V.8 in der Erzählung verankert wurde, kann kaum noch gesagt werden. Auch der Einschub V.9b–10 wird bei diesem Entwurf nicht literarhistorisch verortet. Als letzte Ergänzung seien noch die priesterschriftlich geprägten V.15b.18–21.27 durch einen nachpriesterschriftlichen Redaktor nachgetragen worden. Bei diesem Entwurf werden einige frühere Gedankenlinien zusammengeführt, wobei aber auch hier das Problem besteht, dass die List der Gibeoniter in DtrH nicht auffliegt. 12) Spronk (1994):587 Die verschiedenen Handlungsträger der Gibeonitererzählung Jos 9 seien auffällig und deuten auf einen gewachsenen Text hin. Vermutlich seien 6b–7 ein späterer Zusatz. Denn die Gibeoniter gehen in ihrer Antwort nicht auf den Verdacht Josuas in V.7 ein. Außerdem seien V.18–21 ein späterer Einschub. Darüber hinaus ist das unterschiedliche Tätigkeitsfeld der Gibeoniter als Kultsklaven auffällig, sodass in V.23 und V.27 die Beschäftigung im Heiligtum hinzukam. Die ursprüngliche Geschichte vom Bund zwischen Israel und Gibeon ist – abgesehen von der Ergänzung in 6b–7 – in V.3–15 zu finden. Gerade der zweite Teil der Erzählung wird von diesem Entwurf weitgehend übergangen, sodass auch hier mehr Fragen verbleiben als Antworten gegeben werden. 587
Vgl. SPRONK 1994, 77f.
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
13) Nelson (1997):588 In der Gibeonitererzählung seien sowohl dtr. wie priesterliche Redaktionsspuren zu finden. Nach Abzug dieser Überarbeitung lasse sich in V.3–15 eine vor-dtr. Grundschicht erheben, die für sich alleine stehen kann und die fremdstämmige Enklave der Gibeoniter erklären will, obschon man auch schon vor-dtr. keinen Bund mit der indigenen Bevölkerung schließen sollte.589 Eine Polemik oder ein Wunsch auf Veränderung werde in der Grundschicht noch nicht ausgedrückt. Außerdem werde der Betrug durch die Gibeoniter in der Grundschicht noch nicht aufgedeckt. Erst in der folgenden Ergänzung in V.16–17.22–27 werde die Degradierung der Gibeoniter zu Kultsklaven mit ihrem betrügerischen Handeln verbunden. Diese Ergänzung könne nicht als eigenständige Quelle für sich stehen, sondern reagiere auf die vor-dtr. Grundschicht, wofür auch die Aufnahme von YŠB beqӕrӕb aus V.6 in V.16.22 spreche. Diese lexematische Entsprechung kann aber nicht zwingend den Nachtragscharakter von V.16–17.22–27 begründen. Fraglich ist zudem, weshalb der Betrug der Gibeoniter in der Grundschicht nicht aufgelöst wird. Diese in der Grunderzählung angelegte narrative Spannung habe zumindest nach Nelson die Ergänzung erfordert. Auch wenn die Intention der Erweiterung schon auf die Zeit Salomos zurückgehen könnte, der fremde Enklaven in sein Distriktsystem einband und den Untertanen Staatsdienste abnötigte, scheine diese Redaktion erst auf eine dtr. Hand zurückzugehen. Auch die Erzähleröffnung in V.1–2 verdanke sich einem dtr. Redaktor. Auf diese Weise werden die Eroberungserzählungen in Jos 9–11 eingeleitet, die auf die Aggression der Gegenseite reagieren. Beide Teile der Erzählung haben zudem einen ähnlichen Aufbau, der die Elemente Aktion, Dialog und Entscheidung miteinander verbinde. In diese Erzählung werde noch eine priesterlich geprägte interne Kontroverse in V.18–21 eingeschoben. Bei diesem Entwurf werden die zahlreichen Spannungen in den beiden Erzählteilen jedoch kaum gewürdigt. 14) Latvus (1998):590 Hinter Jos 9 liegen drei redaktionelle Schichten, die nacheinander gearbeitet haben. Eine erste Schicht beschrieb in V.3– 6a.8aβ–11bα.12–13.15aα.16aα.b–17a.22–23.24–26 den Frieden, den Josua mit den Gibeonitern geschlossen hat. In einer zweiten Schicht sei das Thema des Bundes in V.6b–8aα.11bα2β.15aβ.16aβ nachgetragen worden. Eine dritte Schicht ergänzte schließlich noch V.14.15b.18–21. Darüber hinaus habe es noch weitere kleinere Ergänzungen in V.1–2.17a.17b. 23bβ.27 gegeben. Allerdings kann auf diese Weise die widersprüchliche Anordnung der juristischen Untersuchung nicht geklärt werden. Auch die 588
Vgl. NELSON 1997, 123–133. NELSON 1997, 126 verweist hier auf Ex 23,32 und 34,12. Wie alt diese Texte tatsächlich sind, ist fraglich. 590 Vgl. LATVUS 1998b, 66–68. 589
4. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Entwürfe
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Zuweisung von typischen Lexemen zu bestimmten Autorengruppen wird nicht erwogen. Darüber hinaus wird das Thema des Vertrags in V.11 vorschnell aus dem Erzählverlauf ausgegliedert. 15) Briend (2000):591 Die ursprüngliche Tradition hinter Jos 9 sah die „Mannschaft Israels“ als Handlungsträger, während Josua erst sekundär eingetragen worden sei, wodurch ein Josua-Text entstand. Durch die Eintragung von Josua wurde die Gibeonitererzählung an das Vorausgehende angebunden und Josua eine autoritative Rolle zugewiesen. Hier ist allerdings zu bedenken, dass auf diese Weise Josua aufgrund des Bündnisses mit den indigenen Gibeonitern nachträglich zum Gesetzesbrecher wird.592 Bereits in der ältesten Tradition werde das Verhalten der „Mannschaft Israels“ negativ gesehen. Die ursprüngliche Fassung bestehe aus V.3(nur „die Bewohner Gibeons“).4–6*(ohne „zu Josua, zum Lager nach Gilgal“).7.9aα. 11–14.593 Von einem Hauptredaktor wurde schließlich die ursprüngliche Betrugsgeschichte mit Josua verbunden, sodass ein Josua-Text entstand, der die V.3–15(ohne „damit sie leben“).16(ohne „nach drei Tagen“).22– 24a(nur „sie antworteten Josua und sagten“).24b–25.27* umfasst. Der Josua-Text wurde schließlich noch in 9bβ–10.16*(nur „nach drei Tagen“). 17.24a*.26.27b*(nur „an diesem Tag“ und „an dem Ort, den YHWH ausgewählt hat“) dtr. erweitert. Schließlich wurden noch kleinere priesterliche Ergänzungen vorgenommen, in 15a*(nur „damit sie leben“).15b.18–21. 27a* (nur „für die Gemeinde und“). Fraglich ist, ob bereits die ursprüngliche Betrugsgeschichte ohne Josua ausgekommen ist. Dass diese Erzählung die Aufdeckung des Betrugs nicht umfasste, ist ebenfalls unwahrscheinlich. 16) Knauf (2008):594 Bei der Gibeonitererzählung handele es sich vor allem um eine redaktionelle bannkritische Ergänzung, die nicht einen historischen Sachverhalt ätiologisch erklären möchte, sondern die Nichtbefolgung der Bannweihe theologisch begründen möchte. Zunächst lag in V.3.6abα.11bβ.15a lediglich eine kurze Notiz vor, die die freiwillige Unterwerfung der Gibeoniter schildert. Die alte Exodus-Josua-Erzählung kannte demnach das Verbot des Friedensschlusses mit der indigenen Bevölkerung und die Bannweihe noch nicht. Erst redaktionell musste die ursprüngliche Tradition mit den Vorgaben der Tora verbunden werden, was zu einer längeren bannkritischen Ergänzung führte. Während die Problemstellung aus dem Dtn kommt, wird die Lösung von einer P-Tradition formuliert, wobei die Hauptredaktion von Jos 9 eine Ergänzung zum nachpriesterschriftlichen Hexateuch sei.595 Möglicherweise seien V.19–20 ein Einschub, der darauf 591 Vgl. BRIEND 2000, 362–364.380–381. Vgl. hierzu schon die ausführliche Diskussion in BRIEND 1990, 161f. 592 Vgl. RUDOLPH 1938, 200. 593 Vgl. BRIEND 1990, 150f. 594 Vgl. KNAUF 2008, 90. 595 Vgl. KNAUF 2008, 92.
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
verweisen möchte, dass Bundesschlüsse unbedingt zu befolgen sind, da ansonsten der göttliche Zorn evoziert werden würde.596 Bei diesem Entwurf werden jedoch die dtr. und die priesterlichen Teile kaum voneinander getrennt. Da beide Idiolekte miteinander verbunden werden, können diese Ergänzungen spät datiert werden. Die Herausarbeitung einer vor-dtr. Notiz scheint zumindest nicht ausgeschlossen. 17) Rösel (2011):597 Eine vor-dtr. Version hinter Jos 9 könne hingegen nicht mehr herausgearbeitet werden. Die Erzählung sei vielmehr seit jeher dtr. geprägt. Nur V.15b, V.18–21 und der Präpositionalausdruck lāʿedāh in V.27 seien von einem priesterschriftlichen Redaktor hinzugefügt worden. Allerdings könne V.3 eine vor-dtr. Einleitung zu Jos 9 gewesen sein, die durch die dtr. Einleitung V.1–2 ergänzt worden wäre.598 Dann hätte es durchaus schon eine frühere Sammlung mit Erzählungen gegeben, bei denen die autochthone Bevölkerung schwächer als Israel gewesen wäre. Allerdings stellt sich dann die Frage, zu welcher Erzählung V.3 gehört habe, wenn der Rest erst dtr. entstand. Da sich 27b* auf den Tempel von Jerusalem bezieht, wird es sich um eine dtr. Ergänzung handeln.599 Die Spannungen und Doppelungen in Jos 9 werden bei diesem Entwurf, der weitgehend einen einheitlichen Text skizziert, kaum gewürdigt. Ob man aber literarhistorische Wachstumsstufen derart ausblenden darf, ist fraglich. 18) Dozeman (2015):600 Während Josua und die Gibeoniter in Jos 9 eine wichtige Rolle in der Erzählung spielen, wechselt der Fokus von der „Mannschaft Israels“ (V.1–15a) zu „Fürsten der Gemeinde“ (V.15b–27). Außerdem verschiebe sich das Thema von Bund zu Schwur, wobei der polemische Zug der Erzählung den von den Fürsten der Gemeinde geschlossenen Bund in den Blick nimmt. Da der Bundesschluss stets konditioniert ist, hätte man diesen auch wieder auflösen können, wenn der Betrug aufgeflogen ist. Erst durch den Schwur werde jedoch der Bund unauflöslich, was dann die folgende Diskussion auslöse. Dementsprechend benötige die Erzählung beide Teile und sei daher als einheitlich zu beurteilen, wobei dtr. Interessen von Heiligem Krieg und Bund mit priesterlichen Perspektiven der Führung und des kultischen Dienstes verbunden worden seien. Auch bei diesem Entwurf wagt man nicht, die Doppelungen und Spannungen redaktionsgeschichtlich auszuwerten. Ob ein einheitlicher Text derart disparate Elemente gegenüberstellen kann, sei dahingestellt. 19) Wright (2015):601 Auch wenn das literarhistorische Wachstum vermutlich sehr kompliziert ist, geht Wright von mindestens zwei Schichten aus. Die 596
Vgl. KNAUF 2008, 94. Vgl. RÖSEL 2011, 142–145. 598 Vgl. RÖSEL 2011, 146. 599 Vgl. RÖSEL 2011, 153. 600 Vgl. DOZEMAN 2015, 411–415. 601 Vgl. WRIGHT 2015, 206–209. 597
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Grundschicht sei in Jos 9,3.4aβ.6abα.8aβ–11.15a.16.22.24–25.27 zu finden. Die sekundären Ergänzungen sind vor allem priesterlich orientiert. Wieso das Verkleidungsmotiv aber nicht in der Grundschicht ausgeführt wird, ist fraglich, da dort von einer „List“ die Rede ist, die dann offenbar nur in der Behauptung besteht, aus einem fernen Land zu stammen. 20) Berner (2017):602 Vielleicht wurde die kurze vor-dtr. Erzählung von einem Friedensschluss zwischen Gibeon und Israel (Jos 9,3.6abα.8aβ.15aα) durch zwei dtr. Ergänzungen erweitert, bevor eine priesterliche Redaktion zusätzliche Dinge eingetragen hat. Die dtr. Erweiterungen weisen Spannungen auf, die nur durch mehrere Hände erklärt werden können. Eine erste dtr. Ergänzung (Jos 9,8b–11.15aβ.16abα.22abα.24–25.27) habe das Banngebot eingetragen, das aber durch den Bundesschluss umgangen werden konnte, zumal die Gibeoniter angeblich aus einem sehr fernen Land stammen (//Dtn 20,15–18). Eine zweite dtr. Ergänzung (Jos 9,4– 5.6*–8aα.12–14.16bβ.22bβ.23) hat den Bundesschluss problematisiert und gänzlich verboten (//Dtn 7,2 u.a.). Eine priesterliche Redaktion (Jos 9,15b.17–21.26) hat schließlich noch den Schwur durch die Fürsten der Gemeinde ergänzt und auf diese Weise unterstrichen, dass der Bundesschluss irreversibel ist. Außerdem wurde die Klage der Gemeinde hinzugefügt, damit die Verschonung der Gibeoniter ausführlich erklärt werden konnte. Fraglich ist allerdings, ob das Verkleidungsmotiv erst durch die zweite dtr. Redaktion eingetragen wurde. Auch die Bestrafung der Gibeoniter zu Kultsklaven wird nach diesem Entwurf erst im letzten Schritt auf den profanen Bereich eingeschränkt (V.21), während zuvor der kultische Dienst besonders betont wurde (V.23.27). Fraglich ist, weshalb die Verse, die von den „Söhnen Israels“ handeln, auch der priesterlichen Ergänzung zuzurechnen sind, zumal dort ansonsten von der „Gemeinde“ und von den „Fürsten“ die Rede ist. 21) Germany (2017):603 Im ersten Teil der Erzählung gehören V.3.6abα.8aβ. 15aα zur ursprünglichen Tradition, die von einer Kapitulation der Gibeoniter und einem Friedensschluss erzählt. Diese Grunderzählung sei vordtr. und vor-priesterschriftlich zu bewerten. Hier ist weder etwas vom Bann in Dtn 20,15–18 noch von der Unterwerfung zur Fronarbeit nach Dtn 20,10–14 zu spüren, sodass es sich um eine vor-dtr. Erzählung handeln wird. Nachdem die Gibeoniter erfuhren, wie Jericho und Ai von den Israeliten unter Josua erobert worden sind, unterwarfen sie sich freiwillig Josua und erreichten einen Friedensschluss. Erst redaktionell sei das Motiv der Täuschung und des Bundesschlusses eingeführt worden (Jos 9,8b– 11.15aβ). Im zweiten Teil werde von dieser Redaktion V.16.22.24–25.27*
602 603
Vgl. zu diesem Entwurf BERNER 2017, 258–269; DE VOS 2020, 172. Vgl. GERMANY 2017, 412–421.
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
ergänzt. Diese Redaktion setze Dtn 20,15–18 voraus, wo die frühere Ausnahmeregelung von Dtn 20,10–14 auf entfernte Städte beschränkt wird. Da die Israeliten einen Bund geschlossen haben, konnten sie das Banngesetz nicht befolgen. Schließlich werde von einer zweiten Redaktion der Betrug noch durch die Beschreibung des schäbigen Aussehens ausgemalt und die „Mannschaft Israels“ gegenüber Josua zusätzlich belastet (Jos 9,1–2.4–5.6b*–7.12–14). Möglicherweise wurde Jos 9,1–2 schon zuvor ergänzt, da der Ausdruck „Hewiter“ in V.7 bereits die Einleitung mit den indigenen Völkern voraussetzt. Diese zweite Redaktion zeige auffällige Ähnlichkeiten zu Dtn 8,4 und Dtn 29,4–5. Vermutlich sei diese Redaktion von Dtn 29 abhängig, da die nicht torakonforme Täuschung der Israeliten durch die Gibeoniter sicherlich nicht eine redaktionelle Ergänzung in Dtn 29 veranlasst haben wird.604 Da nur in Jos 9,15b.18–21 die „Fürsten der Gemeinde“ vorkommen, scheine dies auf eine priesterliche Redaktion zurückzugehen. Durch diese Redaktion werde das Motiv des Schwurs eingeführt, der die Spannung zu Dtn 7,2 entschärft, wo von einem Bündnisverbot die Rede ist. Auch wenn der Begriff „Gemeinde“ in V.27 ebenfalls vorkommt, gehöre V.27 nicht zur priesterlichen Redaktion, da dann die Bestrafung der Gibeoniter in V.21 und V.27 doppelt erzählt werde. Da V.21 den Dienst am Heiligtum als Problem betrachtet und daher die Gemeinde ins Spiel bringt, sei V.21 später redaktionell hinzugekommen als V.23. In V.27 wurden von einem späteren Glossator noch die beiden widersprüchlichen Aussagen aus V.21 und 23 durch den Hinweis auf die Gemeinde und den Altar YHWHs ausgeglichen. Da V.17 nicht mit V.22 zu verbinden ist und auch sonst einen Fremdkörper bildet, wurde V.17 später als die priesterliche Ergänzung V.18–21 eingetragen. Dagegen spricht aber die Verwendung von „Söhne Israels“ in V.17, die für die priesterliche Ergänzung typisch ist. Außerdem stimmt die redaktionsgeschichtliche Analyse nicht mit den Schichten im hebräischen Text zusammen, die die vier Redaktionsstufen graphisch anders darstellt. Hinzu kommt, dass – abgesehen von den beiden Sätzen mit dem Ausdruck „in der Mitte wohnen“ in 16bβ.22bβ und dem späten Eintrag von V.17 – die Analyse identisch mit dem Entwurf von Berner ist. 22) Lee-Sak (2019):605 Der erste Teil der Erzählung Jos 9,3–17 wird von LeeSak als weitgehend einheitlicher Text gesehen, da man nicht zwischen den beiden Größen Josua und „Mannschaft Israels“ unterscheiden könne. Denn in V.6 muss sich der pluralische Imperativ „Schließt mit uns einen Bund“ auf Josua und die „Mannschaft Israels“ beziehen. Diese Erzählung wurde durch die nachpriesterlich geprägten V.15b.18–21.27* ergänzt,
604 605
Vgl. EDENBURG 2012, 123. Vgl. LEE-SAK 2019, 121–124.
4. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Entwürfe
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worauf vor allem das Verb LūN hinweist, das in der Tradition der Wüstenwanderung gebräuchlich ist. Der zweite Teil in Jos 9,22–27 hebt sich wiederum von dieser Ergänzung ab, da hier die Gibeoniter zu Kultsklaven für das Heiligtum (V.23), und nicht für die Gesamtheit der Gemeinde (V.21) gemacht werden. Der zweite Teil schließt gut an den ersten an, wie sich in der Fortführung der List aus V.6.9 in V.22 zeigt. Auch das Leitwort ʿæbæd findet sich in beiden Teilen (V.8.9.11.23.24). Außerdem wäre die Erzählung ohne V.22.27 unvollständig. Demnach muss man von einer Grunderzählung ausgehen, die die V.3–15a.16–17.22–27* umfasst. Aufgrund der Bezugnahme auf Dtn 7, Dtn 20 und Dtn 29 ist bereits die Grunderzählung von Jos 9, die in nachexilischer Zeit entstand, als postdtr. zu bezeichnen. Bei diesem Entwurf werden aber die internen Spannungen und Doppelungen nicht angemessen ausgewertet. Denn V.7 oder V.17 sind im Erzählverlauf sperrig. Auch die unterschiedlichen Handlungsträger werden bei diesem Entwurf kaum differenziert. 23) Nocquet (2019):606 Jos 9 könne als weitgehend einheitliche Erzählung betrachtet werden. Lediglich V.19–20 sei ein Zusatz, der die unbedingte Einhaltung des Schwurs einschärft. Dann stellt sich aber die Frage, ob nicht auch 15b dieser Redaktion zuzuweisen wäre, wo das Schwurthema eingeführt wird. Auch die Formulierung „und für den Altar YHWHs […] an dem Ort, den er erwählen wird“ in 27bβ könnte sekundär ergänzt worden sein, da hier vom Heiligtum YHWHs zum Altar übergegangen wird und auf Dtn 12 angespielt sein könnte. Auch bei diesem Entwurf werden die zahlreichen Spannungen und Doppelungen nicht literarkritisch ausgewertet. Letztendlich hat sich gezeigt, dass die Gibeonitererzählung in Jos 9 keine in sich geschlossene einheitliche Erzählung sein kann. Aber auch die Abtrennung des zweiten Teils, in dem der Betrug der Gibeoniter auffliegt, lässt sich nicht begründen, da die Betrugsgeschichte auch die Aufdeckung benötigt. Schließlich lässt sich Josua, der überall in Jos 9 auftaucht, nicht als sekundäres Element ausgrenzen. Schon die früheste literarische Vorform der Gibeonitererzählung wird folglich mit Josua zu verbinden sein. Insgesamt sind lediglich die Entwürfe von Knauf, Berner und Germany in sich weitgehend konsistent. Allerdings werden jeweils nicht alle Spannungen und Doppelungen berücksichtigt. Deshalb ist es nötig, ausgehend von diesen Entwürfen einen eigenen Ansatz zu skizzieren.
606
Vgl. NOCQUET 2019, 86–88.
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
5. Eigener Entwurf Die literarische Vorgeschichte der Erzählung von den Gibeonitern ist schwierig. Es verwundert daher nicht, dass ganz unterschiedliche Entwürfe vorgelegt wurden, die mehr oder minder von verschiedenen mündlichen und/oder schriftlichen Entwicklungsstufen der Erzählung ausgehen:607 1)
Mündliche Vorgeschichte: Bisweilen wird vermutet, dass sich die mündliche Vorstufe von Jos 9 auf einen Bundesschluss der Enklave Gibeon mit Israel beziehen würde. Diese mündlich überlieferte, schon in vorstaatlicher Zeit entstandene Erzählung habe zunächst noch nichts mit Josua zu tun. Vielmehr seien hier die „Mannschaft Israels“ oder die „Fürsten Israels“ die eigentlichen Handlungsträger. Da von den Gibeonitern positiv erzählt werde, könnte es sich ursprünglich um eine gibeonitische Erzähltradition handeln, die am Heiligtum von Gibeon überliefert worden sei.608 Vor-dtr. Quelle: Die vor-dtr. Quelle berichte lediglich von einer Täuschung Israels durch die Gibeoniter, wobei die rechtlichen Konsequenzen, die im Deuteronomium behandelt werden, noch nicht in den Blick genommen worden seien.609 In einer redaktionellen Erweiterung seien die Gibeoniter aufgrund des Betrugs zu Kultsklaven degradiert worden. Bisweilen wird aber auch vermutet, dass die vor-dtr. Quelle noch gänzlich ohne den Betrug ausgekommen sei. Dann wäre in dieser Quelle lediglich der Friedensschluss zwischen Gibeon und Israel berichtet worden, der dann die Grundlage für die Ereignisse in Jos 10 sei.610 Von einem Bundesschluss sei in der vor-dtr. Quelle ohnehin noch nicht die Rede. Hier werde lediglich von der Kapitulation der Gibeoniter berichtet. Da in der vor-dtr. Tradition weder Fronarbeit noch die Bannweihe gefordert werde, sei die ursprüngliche Tradition älter als Dtn 20,10–14, zumal in Dtn 20,11 Fronarbeit nötig ist, und älter als Dtn 20,15–18, wo die Bannweihe obligatorisch auszuführen ist.611 Dtr. Erzählung: Schließlich werde Jos 9 von einem dtr. Redaktor – abgesehen von priesterlichen Erweiterungen – als eine einheitliche Erzählung konzipiert.612 Diese Erzählung ist vom Buch Deuteronomium abhängig.
2)
3)
607
Vgl. zum Problem EDENBURG 2012, 116f. Vgl. HERTZBERG 1985, 68f. 609 Ähnlich MCCARTHY 1971, 174. Auch HECKL 2022, 357–361 geht neuerdings von einer älteren Überlieferung aus, die in eine dtr. Landnahmeerzählung aufgenommen wurde. 610 BERNER 2017, 256 rekonstruiert dementsprechend eine kurze Basiserzählung (Jos 9,3.6abα.8aβ.15aα), die die Unterwerfung als Knechte und den Friedensschluss beschreibe. Ähnlich JENEI 2019, 147. Anders hingegen SAMUEL 2015, 147, dem zufolge Jos 9 ein dtr. Gegenstück zur Grundform des Kriegsgesetzes in Dtn 20,10–14 sei. 611 Anders HECKL 2022, 358 Anm.25, dem zufolge die Zentralisationsformel aufgrund der dtr. Prägung des Textes keine Zufügung sein muss. 612 Vgl. EDENBURG 2012, 117f. Zu Jos 9 als weitgehend einheitliche Erzählung, die nicht in ihre Vorformen aufgeteilt werden könne, vgl. schon LIVER 1963, 227–232. 608
5. Eigener Entwurf
4)
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Priesterliche Ergänzungen: Durch die priesterlichen Ergänzungen in 15b und V.18–21 wurde das Bündnis nun nicht mehr zwischen Josua und den Gibeonitern, sondern zwischen der Gemeinde und den Gibeonitern geschlossen.
Derartige Wachstumsstufen werden mit jeweils guten Gründen immer wieder angenommen, wobei man jedoch über mündliche Vorstufen nichts Gesichertes mehr sagen kann. Ausgehend von diesen Grundannahmen soll ein eigener Entwurf im Folgenden erarbeitet werden. Zunächst hebt sich der Anfang in V.1–2 von der Gibeonitererzählung ab, da mit diesen Versen die Landeroberung in Jos 9–11 eröffnet wird. Diese Verse sind wohl dann ergänzt worden, als man die Erzählung vom Bundesschluss mit den Gibeonitern der eigentlichen Eroberung vorangeschaltet hat. Der ätiologische Abschluss in V.27 „bis zu diesem Tag, an dem Ort, den er erwählen wird“ ist eine dtr. Glosse, mit der die Verwendung der Gibeoniter als Kultsklaven bis in die Zeit des Erzählers begründet wird. Neben diesen Ergänzungen am Anfang und am Ende der Einheit sind verschiedene Entwicklungsstufen in der Gibeonitererzählung zu finden, die sich aufgrund der Idiomatik deutlich abheben lassen: 1)
2)
vor-dtr. Erzählung von einem Friedensschluss mit Gibeon (Jos 9,3.6abα. 8aβ.15aα): In einer kurzen Erzählung wird der für Jos 10 wichtige Friedensschluss mit Gibeon kurz erwähnt, ohne dass dies problematisiert wird. Offenbar war es zunächst noch möglich, dass man mit der indigenen Bevölkerung Frieden schließen konnte. Hier geht es um das Eingehen von šālôm, das nach Dtn 20,11 bei der Landeroberung durchaus gebräuchlich war. Diese kurze Erzählung benötigt noch nicht das Betrugsmotiv, da eine Täuschung der Israeliten gar nicht nötig war. Dtr. Betrugserzählung (Jos 9,4–5.8b–14.15aβ.16*.22*.24–25.27*): Nachdem Dtn 20 mit dem Bündnisverbot in Dtn 7,2 harmonisiert wurde, indem ein Bündnis nach Dtn 20,15–18 nur noch mit sehr entfernten Völkern geschlossen werden durfte, musste auch die Gibeonitererzählung umgeschrieben werden und zu einer Betrugsgeschichte verwandelt werden, die aber insgesamt mit viel Sympathie erzählt wird. Ähnlich wie Josua mit List die Stadt Ai erobert hat, handeln nun auch die Gibeoniter und verkleiden sich, damit sie wie ein Antitypos zu Israel auftreten. Die Darstellung der Gibeoniter bedient sich in ihrer eigentlich unglaubwürdigen Inszenierung nämlich bei Dtn 29, wo Israel genau gegensätzlich skizziert wird. Was von Josua nach V.22 als Betrug gewertet wird, wird nach V.4 positiv als List gedeutet. Ganz bewusst spielen die Gibeoniter ihre Rolle als Boten (ṢīR-tD), die angeblich aus einem „sehr fernen“ Land kommen und damit den Vorgaben aus Dtn 20,15 entsprechen. Mit solchen Personen aus einem „sehr fernen“ Land ist ein Friedensschluss nach Dtn 20,11 möglich, nicht aber ein formeller Vertrag. Schon in dieser Redaktionsschicht ist
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3)
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folglich eine kreative Tora-Auslegung zu greifen, da in Jos 9 sogar ein Vertrag geschlossen wird. Ein Vertrag war schon deshalb nötig, da dieser nicht allzu leicht wieder revidiert werden konnte, im Gegensatz zu einem formlosen Friedensschluss. Die dtr. Betrugserzählung enthält zudem beide Teile: die Täuschung durch die Gibeoniter und die Ahndung durch die Israeliten, nachdem der Betrug aufgeflogen ist. Beide Teile können nicht voneinander getrennt werden. Schon vor dem Hintergrund von Dtn 20 musste somit die Vorstellung eines Vertrags eingetragen werden, da Israel mit weit entfernt liegenden Völkern einen Vertrag schließen durfte. Dieser Vertrag wird im Nachhinein zum Problem, als der Betrug bekannt wird. Da gemäß Dtn 20,11 ein Friedensschluss nur mit der Bedingung der Zwangsarbeit verbunden ist und die Gibeoniter eigentlich für das Heilige gebannt werden mussten, hat man sie zu Kultsklaven am Altar verpflichtet, um die Vorgaben der Tora einigermaßen einzuhalten. Gemäß der dtr. Betrugserzählung haben die Männer und Josua fahrlässig gehandelt, da sie nicht das Urteil YHWHs eingeholt und vorschnell einen Vertrag geschlossen haben. Bereits V.4–5 tragen das Motiv der List und die auffällige Verkleidung ein, um am Anfang bereits den Rezipienten zu lenken. Im Abschnitt 8b–14, der einheitlich ist, erläutern die Gibeoniter ihre angeblichen Motive, die Männer (Israels) überprüfen die mitgeführte Wegzehrung, befragen aber nicht YHWH. Auf diese Weise wird Josua bereits etwas vom Vorwurf, er hätte leichtfertig ein verbotenes Bündnis geschlossen, entlastet. Trotzdem schließt er in 15aβ eine Art Vasallitätsvertrag mit den Gibeonitern. Allerdings fliegt der Betrug schon nach drei Tagen auf, als die Israeliten hörten, dass die Gibeoniter in der Nachbarschaft wohnen. Der Wechsel in den Plural in V.16 betont die gemeinsame Verantwortung. Auch wenn nach 15aβ Josua den Vertrag alleine ratifiziert hat, geht dies doch auch auf die Untersuchung der Männer nach V.14 zurück. Die Doppelung mit dem Idiom YŠB beqæræb wurde hingegen sekundär ergänzt, um die Lage noch einmal zu verschärfen, da nun die Gibeoniter nicht nur in der Nähe, sondern sogar „in der Mitte“ Israels lebten. Auch in V.22 wurde am Schluss ein derartiger Satz ergänzt, der redaktionell aufgrund seiner Idiomatik zur Ergänzung in V.6*–7 gehört. In V.24–25 folgt dann die Antwort der Gibeoniter auf den Vorwurf Josuas und in V.27 die Degradierung der Gibeoniter zu Kultsklaven am Altar durch Josua. Auf diese Weise wurde zum einen dem Banngebot Genüge getan, da die Gibeoniter für das Heilige ausgesondert wurden, zum anderen aber auch die Vorschrift erfüllt, fremde Völker zur Zwangsarbeit heranzuziehen. Juristische Untersuchung (Jos 9,17–18aα.23.26): Mit Hilfe des Stichworts der „drei Tage“ wird in V.17 der Hinweis auf die gibeonitische Tetrapolis ergänzt und damit das in V.11 genannte Land näher beschrieben. In dieser redaktionellen Schicht wurden die benê Yiśrāʾel „Söhne Israels“
5. Eigener Entwurf
4)
5)
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als neuer Handlungsträger eingeführt, die das Gerücht durch eine Expedition verifizieren wollten. Da dies offenbar nur eine Untersuchung des Sachverhalts war, haben die „Söhne Israels“ die Gibeoniter noch nicht erschlagen. Zu dieser Ergänzung gehört aufgrund der Idiomatik auch 18aα. Außerdem wollte diese Redaktion betonen, dass Josua die Gibeoniter aus der Hand der Söhne Israels errettet hat (V.26). Dieser Zusatz konnte nur nach dem Schuldeingeständnis der Gibeoniter (V.24–25) eingetragen werden. Den Fluchspruch Josuas konnte man zudem nur in V.23 ergänzen, da danach keine Rede Josuas mehr erfolgt. Auch in diesem Fluchspruch wird betont, dass die Gibeoniter als Kultsklaven eingesetzt werden sollen. Diese redaktionelle Schicht kann aufgrund des neuen Handlungsträgers „Söhne Israels“ vom Kontext abgetrennt werden. Verschärfende Glossen (Jos 9,3*.6*–7.16*.22*): In V.3 klappt die Ortsangabe welāʿāy seltsamerweise nach. Vermutlich wurde die Tradition der Eroberung nachträglich noch durch den Hinweis auf den Sieg über Ai erweitert und dadurch noch zusätzlich verschärft. Dies ist schon daher möglich, da die Tradition über Ai in Jos 7–8 vermutlich kein so hohes Alter hat, wie die Analyse von Jos 10 andeuten wird. Durch die Technik der Wiederaufnahme trug ein Glossator in V.6*–7 zum einen den Heerbann als neuen Akteur ein (ʾîš Yiśrāʾel), der als zusätzliches Gremium der Unterredung mit Josua vorangeschaltet wird. In dieser Ergänzung behaupten die Gibeoniter, dass sie nur aus einem „fernen“ Land stammen, sodass für sie die Gesetzgebung in Dtn 20,15 eigentlich nicht zutrifft. Außerdem werden sie als Hewiter qualifiziert, an denen man nach Dtn 20,17 ohnehin den Bann vollziehen sollte. Außerdem wird schon hier der Verdacht geäußert, dass die Fremden tatsächlich „in der Mitte“ Israels wohnen. Diese Idiomatik wird noch in V.16 und V.22 ergänzt. Priesterliche Ergänzungen (15*.18*–21.27*): Aufgrund der Idiomatik lassen sich einige Verse als priesterliche Ergänzungen abheben. Aufgrund des Motivs des „am Leben Lassens“ gehört leḥayyôtām in V.15 ebenfalls zu dieser Redaktion. Der Vertrag Josuas dient demnach dazu, dass die Gibeoniter am Leben bleiben. In der priesterlichen Ergänzung wurde zudem der Schwur der „Fürsten der Gemeinde“ in 15b eingetragen, der im Nachhinein zu Unmut in der „Gemeinde“ geführt hat. Aufgrund des Schwurs, der eine Lebensgarantie für die Gibeoniter beinhaltet, konnte man die Gibeoniter nicht auslöschen, da man ansonsten bei Eidbruch den Zorn Gottes herausgefordert hätte. Deshalb lautet auch in V.21 das Urteil lapidar „sie sollen am Leben bleiben“. Da man aber offenbar Probleme hatte, die Fremden im Heiligtum einzusetzen, machte man sie zu Sklaven für die Gemeinde (V.21). Aus diesem Grund musste man in V.27 den Ausdruck „für die Gemeinde“ der kultischen Verwendung vorschalten.
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Grundsätzlich fällt auf, dass die einzelnen Redaktionen in Jos 9 fast immer ihre abweichenden oder präzisierenden Ergänzungen additiv eintrugen, sodass das Wachstum der Einheit schon ausweislich der eigenständigen Idiomatik leicht nachvollzogen werden kann. Da man die unterschiedlichsten Dinge der Tora aufnahm, entstand eine sehr disparate Ereignisfolge, die man nur diachron erklären kann. Auf diese Weise erhält man zudem einen Einblick, wie biblische Theologen den schwierigen Bundesschluss mit einem Teil der Vorbevölkerung trotz des biblischen Banngebots mithilfe einer kreativen Toraexegese erklärt haben. Die Gibeonitererzählung von Jos 9 lehrt beispielhaft, dass man sich selbst bei einer rationalen und auf Evidenzen basierten Entscheidung täuschen lassen kann, was aber nicht zum eigenen Schaden sein muss, da man durchaus etwas Positives daraus machen kann.613 Die Gibeoniter geben zudem eine theologische Erklärung für ihren Betrug, indem sie die Geschichtsmächtigkeit YHWHs anerkennen: 1)
Zum einen hat YHWH die Großmacht Ägypten und die beiden amoritischen Könige Sihon und Og im Ostjordanland ausgeschaltet (Jos 9,9–10). Der Verweis auf die Siege außerhalb des Verheißungslandes stärkt die Behauptung der Gibeoniter, dass sie selbst ebenfalls aus dem fernen Ausland stammen.614 Denn die Gibeoniter hätten auf Jericho und Ai hinweisen können, zumal die Zerstörung dieser beiden Kanaanäerstädte der eigentliche Auslöser für ihre Mission gewesen ist,615 wie in V.3 betont wird. Die Gibeoniter wollen somit offenbar den Eindruck erwecken, dass sie aufgrund der langen Reise noch nicht von den neuesten Ereignissen in der unmittelbaren Nachbarschaft gehört haben können.616 Zum anderen hat YHWH das Verheißungsland den Israeliten übereignet, was große Furcht bei den Kanaanäern ausgelöst hat, da mit dieser Landgabe die Auslöschung der indigenen Bevölkerung verbunden ist, wobei hier nicht das Verb ḤRM, sondern ŠMD-H verwendet wird (Jos 9,24).
2)
Allerdings wird das Verhalten der Israeliten implizit getadelt, da diese nicht den Rat Gottes suchen (Jos 9,14). Die Israeliten akzeptierten offenbar sorglos entgegen ihren ursprünglichen Zweifeln die Erklärung der Gibeoniter, ohne YHWH zu konsultieren. Hätten sie dies aber getan, wäre es nie zu diesem Betrug gekommen. Auf diese Weise werden die Israeliten massiv kritisiert, da sie vor dem Bundesschluss den Willen YHWHs nicht eingeholt haben.617 Selbst als die 613
Vgl. hierzu auch KNAUF 2008, 93. Vgl. HERTZBERG 1985, 67; GRAY 1986, 100; NELSON 1997, 133. 615 Vgl. auch ZIESE 2008, 196 Anm.13. 616 Zu dieser Taktik vgl. DILLMANN 1886, 482; OETTLI 1893, 153; SPRONK 1994, 79; NELSON 1997, 133; HOWARD 1998, 226; HUBBARD 2009, 285. 617 Vgl. hierzu BERNER 2017, 265. 614
5. Eigener Entwurf
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Täuschung auffliegt, wird nicht explizit behauptet, dass man YHWH befragt, wie man in dieser verfahrenen Situation weiter vorgehen soll. Die schwierige Entscheidung, ob man das Banngebot einhält, indem man die Gibeoniter auslöscht, oder ob man zum Vertrag steht, den man bei YHWH geschworen hat, wird mit dem Kompromiss der Versklavung der Gibeoniter gelöst.618 Auf diese Weise werden die Gibeoniter wie schon im Banngebot YHWH übereignet,619 auch wenn sie nun am Leben bleiben dürfen. Die Gibeoniter sind jedoch als Kultsklaven YHWH gänzlich zugeeignet.620 Es stellt sich zudem das ethische Problem, ob für die Israeliten ein Schwur bindend ist, der unter zweifelhaften Umständen betrügerisch erschlichen wurde, und ob nicht das von Gott explizit angeordnete Banngebot mehr wiegt als ein derart fragwürdiger Schwur. Da dieser Schwur baYHWH geleistet wurde, kann er von Israel nicht mehr zurückgenommen werden.621 Denn man würde sich sonst gegen YHWH selbst wenden. Ironischerweise hat man zuvor YHWH nicht befragt (V.14), aber trotzdem bei YHWH geschworen.622 Die Israeliten befinden sich somit in einem Dilemma.623 Auf der einen Seite ist der Schwur bindend, auf der anderen Seite können die Israeliten bei Einhaltung des Schwurs aber auch den Zorn YHWHs heraufbeschwören, da sie sich dann nicht an das Banngebot halten. In Jos 9 wird folglich ein Kommentar zur Rechtshermeneutik abgeliefert, da nämlich in bestimmten Situationen Tora und Gotteswort der jeweiligen Situation angepasst werden müssen.624 Während sich die Israeliten an den Schwur halten müssen, ist das für YHWH nicht gesagt. Denn zum einen hat YHWH diesen Schwur nicht selbst geschworen, sodass dieser für ihn nicht bindend ist. Denn auch das Banngebot muss irgendwie durchgesetzt werden. Zum anderen muss YHWH sich selbst nicht an eigene Schwüre halten. Insgesamt könnte YHWH daher sein Missfallen gegenüber Israel ausdrücken, indem er mit Sanktionen und Zorn antwortet. Außerdem könnte sich YHWH gegen die Gibeoniter wenden, was aber in Jos 10 auffälligerweise nicht der Fall ist.625 618
Vgl. FORD 2015, 205f. Vgl. ZIESE 2008, 206. 620 Nach HERTZBERG 1985, 68 ende daher der betrügerische Versuch, YHWH zu hintergehen, für die Gibeoniter ergebnislos. Hinzu kommt, dass der Bundesschluss zuvor schon eine gewisse Unterwerfung der Gibeoniter andeute, sodass die Degradierung zu Kultsklaven nicht die Bestrafung für das betrügerische Verhalten der Gibeoniter gewesen sein müsse. 621 Vgl. SOGGIN 1982, 115; COLESON 2012, 97. ROBINSON 1907, 311; ZIESE 2008, 200 weisen zusätzlich darauf hin, dass bereits das gegebene Wort bindenden Charakter habe. SPRONK 1994, 79 verweist noch auf Ex 30,3, wo es allerdings um ein Enthaltungsgelübde geht. 622 Vgl. hierzu BUTLER 2014, 451. 623 Vgl. NELSON 1997, 131. 624 Damit verhält man sich ähnlich wie Gott, der nach Dtn 9,18–19 zwischen seiner Gerechtigkeit und seiner Barmherzigkeit wählen musste, vgl. hierzu BALLHORN 2011, 208. 625 Vgl. auch FORD 2015, 210f. 619
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
Das Banngebot wurde zudem immer dann eingeschärft, wenn die Gefahr bestand, dass Israel aufgrund der indigenen Bevölkerung von YHWH abfallen könnte.626 Die indigene Bevölkerung stellt aufgrund abweichender religiöser Praxis allein durch ihre Präsenz eine Gefahr für Israel dar.627 Schon aus diesem Grund musste diese Bevölkerung verschwinden, damit Israel mit seinem Gott im Verheißungsland leben kann. Da sich aber einzelne Gruppen zu YHWH bekehren können, sind sie keine religiöse Bedrohung mehr, sodass das Banngebot in derartigen Fällen ausgesetzt werden konnte. Ähnliches gilt auch für die Gibeoniter. Aufgrund ihres Bekenntnisses zur Geschichtsmächtigkeit YHWHs sind sie keine religiöse Bedrohung mehr für die Israeliten, sodass sie verschont werden können und nicht unter das Banngebot fallen, zumal Dtn 20,17–18 besonders auf die religiösen Probleme als Begründung für die Auslöschung der autochthonen Bevölkerung verweist. Darüber hinaus sind die fremden Völker außerhalb des Verheißungslandes ebenfalls keine religiöse Bedrohung, da man mit diesen nicht zusammenleben muss und daher nicht die Gefahr bestehen könnte, dass man von YHWH abfällt und fremden Götzen hinterherläuft. Insofern kann man mit fernen Völkern auch ein Bündnis schließen, ohne dass es zu religiösen Komplikationen führt. Diese Argumentation wenden die Gibeoniter an, um ihre Haut zu retten. Am Schluss der Erzählung werden schließlich die Gibeoniter tatsächlich zu Knechten, die am Heiligtum eingesetzt werden. Auf diese Weise wird ihre Behauptung, bereits Knechte Israels zu sein (V.8), endgültig eingelöst.628 Außerdem wird ausweislich der Idiomatik ein Bezug zu Dtn 29,10 hergestellt, wo Fremde als Holzfäller und Wasserschöpfer ebenfalls in den Bund YHWHs eintreten.629 Insofern wird diese Vorstellung von Dtn 29,10 vermutlich in Jos 9,21.23. 27 eingespielt.630 Vor diesem intertextuellen Hintergrund werden die Gibeoniter wie gerîm betrachtet, die zumindest einen gewissen Status in der Gesellschaft Israels innehatten.631 Damit werden die Gibeoniter von der Bannweihe ausgenommen und wie niedergelassene Fremde behandelt.632 Dementsprechend wechseln die Gibeoniter die Seiten und wenden sich nun Israel und seinem Gott zu.633 626 Nach AULD 1984, 64 habe die indigene Bevölkerung nur „the right to be slaughtered to make way for the incomers.“ 627 Vgl. AULD 1984, 65. 628 Vgl. FORD 2015, 204. 629 Nach GRINTZ 1966, 120f. sei die Degradierung als Wasserschöpfer eine Bestrafung der Gibeoniter zu Sklavenarbeit. WOUDSTRA 1981, 165 vermutet, dass der Dienst der Gibeoniter zum einen nichtkultisch (für die Gemeinde) und zum anderen kultisch (für den Altar YHWHs) gewesen sei. 630 Vgl. hierzu FRITZ 1994, 107; DAY 2007, 119; EDENBURG 2012, 122f. Anders GLANVILLE 2021, 567, dem zufolge Dtn 29,10 seinerseits von Jos 9 abhängig ist. 631 Vgl. BLENKINSOPP 1972, 34. 632 Vgl. HUBBARD 2009, 288. 633 Die Verpflichtung der Gibeoniter als Holzfäller und Wasserschöpfer ist zudem in friedlichem Sinn zu verstehen, auch wenn man für das Fällen von Bäumen Werkzeuge benötigt, die auch als Waffen eingesetzt werden können, vgl. hierzu HESS 1996a, 201.
6. Historische Verortung
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Darüber hinaus wird die Angabe, dass die Gibeoniter aus einem fernen Land kommen, vielleicht aus Dtn 29,21 übernommen. Außerdem ist ein Kontrast zu 1Kön 8,41 festzustellen, wo ebenfalls Fremde aus einem fernen Land kommen, um YHWH anzubeten. Auch dieses Motiv wird offenbar aufgegriffen und umgeformt. Aus frommen Verehrern werden am Schluss der Erzählung Tempelsklaven.634 Auf diese Weise wird auch Dtn 20,11 eingelöst, wonach die Bevölkerung, mit der Israel ein Bündnis eingeht, zur Zwangsarbeit verpflichtet ist. Insgesamt scheint Jos 9 in seinen Wachstumsstufen ein Kommentar zu den Vorgaben in der Tora zu sein. Während ein Friedensangebot nach Dtn 20,11 zunächst noch möglich war, hat Dtn 7,1–2 jeden Bundesschluss mit der indigenen Bevölkerung des Verheißungslandes verboten, sodass man aus der ursprünglich neutralen Erzählung eine Betrugsgeschichte konstruieren musste. Denn nach Dtn 20,15 ist ein solches Friedensangebot nur für sehr entfernte Völker möglich. Da aber derartige Bedingungen nur mit der Vorgabe der Zwangsarbeit möglich sind, musste man die Gibeoniter zum Frondienst heranziehen. Da sich die Gibeoniter aber geschickt der Bannweihe entzogen haben, hat man sie als Kultsklaven für das Heilige ausgesondert, was aber ebenfalls nicht ganz unproblematisch war. Um Fremde nicht zu sehr mit dem Heiligtum zu verbinden, hat man sie auch für profane Dienste herangezogen.
6. Historische Verortung Die historische Verortung von Jos 9 ist schwierig.635 Immer wieder wird behauptet, dass der Bundesschluss mit Gibeon und den anderen Städten auf eine historische Erinnerung zurückgehe, zumal es im Zuge der Landnahme der israelitischen Stämme sicherlich zu Bundesschlüssen gekommen sei. Auf diese Bundesverbindung scheint zudem 2Sam 21 zurückzublicken, wo sich die Gibeoniter auf eine solche Vereinbarung berufen konnten. Vielleicht wurde die ursprüngliche Erzählung sogar von den Gibeonitern selbst tradiert. Erst sekundär sei dann diese Tradition von einem vor-dtr. Sammler von Gibeon nach Gilgal transferiert worden.636 Bisweilen wird sogar vermutet, dass die zunächst fremdländischen Gibeoniter von den in Kanaan bereits ansässigen Amoriterkönigen 634 Vgl. EDENBURG 2012, 123f. Nach GRINTZ 1966, 124 seien die Krieger der Gibeoniter jedoch nur noch für die Versorgung des israelitischen Heeres zuständig. Auf diese Weise werde der Bundeseid, der die Heeresfolge impliziert, neu interpretiert. 635 Für die betrügerische Erschleichung eines Bundesschlusses gibt es nur gelegentlich Parallelen in der außerbiblischen Literatur. YOUNGER 1990, 201–204 verweist auf den Bundesschluss von Gyges mit Assurbanipal, der nach der assyrischen Hilfe von seinem Herrn wiederum abgefallen sei, sowie auf zwei zweifelhafte Bundesverträge aus hethitischer Zeit beziehungsweise auf einen Bund der Libyer mit Ramses III. 636 Vgl. GRAY 1986, 97.
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Kapitel 1: Die List der Gibeoniter (Jos 9)
bekämpft worden seien, was den Bundesschluss mit Israel nahegelegt hätte.637 Da es nach der redaktionsgeschichtlichen Analyse durchaus eine ursprüngliche Tradition eines Friedensschlusses mit Gibeon gegeben hat, könnte dies auf eine historische Erinnerung zurückgehen. Allerdings ist die schriftliche Version sicherlich nicht derart früh anzusetzen, da die Erzählung mit dem Friedensschluss die weitere Erzählabfolge in Jos 10 voraussetzt und vermutlich die Verpflichtung Josuas zu militärischer Hilfe für Gibeon erklären möchte. Möglicherweise geht es in einer mündlichen Tradition hinter Jos 9 darum, wie ein indigener Warlord die Stadt Gibeon und deren Bewohner gerettet und danach eine gewisse Hegemonie in der Schefela errichtet hat. Erst redaktionell wäre aus den Gibeonitern eine einheimische Bevölkerung gemacht worden, die sich mit List eine Verbindung zu Israel erschlichen hat. Auf diese Weise konnte man die Kultkonkurrenten aus Gibeon massiv kritisieren und zu Tempelsklaven degradieren.638 Manchmal wurde daran gedacht, dass die Versklavung der Gibeoniter zu Holzfällern und Wasserschöpfern am Jerusalemer Tempel auf die Reformen Joschijas zurückgehe, der im Rahmen der Kultzentralisation den YHWH-Kult in Gibeon beendet und die Gibeoniter zu untergeordneten Kultbediensteten degradiert habe.639 Möglicherweise geht Jos 9 aber auch auf die nachexilische Zeit zurück, als die Rückkehrer den Anspruch des Jerusalemer Tempels gegenüber der Kultstätte von Gibeon polemisch behaupten mussten. Um ihren kultischen Anspruch zu untermauern, verlegten die Rückkehrer die Erzählung in die Landnahmezeit.640 Inwiefern jedoch das jahwistische Heiligtum von Gibeon noch in nachexilischer Zeit als Konkurrenz zu Jerusalem verwendet wurde, ist fraglich. Vielleicht dient Gibeon hier lediglich als Chiffre für das samaritanische Heiligtum auf dem Garizim. Dann könnte mit dieser Erzählung ausgedrückt werden, dass die Samarier als vollwertige YHWH-Verehrer gelten, auch wenn sie einer nördlichen Kultstätte zugeordnet sind.641 Mitunter geht die Erzählung auch auf religiöse Kräfte zurück, die in persischer Zeit im 5. Jahrhundert v. Chr. eine Alternative zum radikalen dtr. Banngebot schaffen wollten. Es könnte sich um Samaritaner handeln, zumal auch die Hewiter in der Regel nördlich verortet werden.642 Darüber hinaus könnte die despektierliche Marginalisierung der Gibeoniter auf nachexilische Konflikte zurückgehen, als man in persischer Zeit versuchte,
637
Vgl. GRAY 1986, 99. Vgl. zu einer derartigen historischen Verortung WRIGHT 2015, 210f. 639 Vgl. NAʾAMAN 2009, 113f. Zu einer Verbindung der Gibeonerzählung mit der Kultreform Joschijas auch WILSON 2013, 328. Dagegen aber LEE-SAK 2019, 129f. 640 Vgl. LEE-SAK 2019, 130–132. 641 Vgl. EDENBURG 2021, 99. 642 Vgl. hierzu auch NOCQUET 2019, 90. 638
6. Historische Verortung
113
die Davididen in Jerusalem gegenüber den Sauliden in Gibeon zu stärken.643 Aus diesem Grund seien die Gibeoniter kultisch degradiert, ethnisch ausgegrenzt und politisch neutralisiert worden. Diese verschiedenen historischen Verortungen sind sicherlich nicht ganz ausgeschlossen. Aber der Text liefert hierzu keine eindeutigen Indizien, sodass man hier über gelehrte Spekulationen nicht mehr hinauskommen kann.
643
Vgl. EDELMAN 2003, 164f.
Kapitel 2: Mit Gottes Hilfe oder doch auf eigene Faust? Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10) Einleitung
1. Vorbemerkungen In Jos 10 liegen drei verschiedene Einzelerzählungen vor, die vermutlich erst sekundär miteinander verbunden wurden: zunächst die Schlacht um Gibeon in V.1–15, dann das Ende der fünf Könige in der Höhle von Makkeda in V.16– 27 und schließlich der sehr stereotyp behandelte südliche Eroberungsfeldzug in V.28–43, wobei die letzten vier Verse noch einmal als separate Einheit abgetrennt werden können.1 Für die jeweilige Selbstständigkeit der Gibeon- und der Makkedaerzählung spricht der Umstand, dass die Verfolgung und Vernichtung der Feinde zweimal erzählt wird (V.11 und V.19.20). Dies wäre in einer einheitlichen Erzählung nicht notwendig gewesen, es sei denn, man möchte dasselbe Ereignis aus unterschiedlichen Perspektiven erzählen. In den ersten beiden Abschnitten geht es zudem noch nicht um die Zerstörung von Städten und um die Bannweihe der indigenen Bevölkerung. Zunächst werden nur das Heer und die feindlichen Könige vernichtet. Erst ab V.28 wird auch das südliche Verheißungsland gewaltsam unterworfen und die Bannweihe vollzogen. Bisweilen wird auch eine Zweiteilung von Jos 10 vorgeschlagen, nämlich eine Überlieferung von einer Schlacht bei Gibeon zwischen Amoritern und Israeliten und eine Ätiologie, die die Steine vor der Höhle in Makkeda erklären möchte.2 Die Fünfzahl der im Süden eroberten Städte ergebe sich dann aus der Anzahl der Bäume. Diese Städte befänden sich zudem im näheren Umkreis von Makkeda. Dementsprechend sei die Eroberungserzählung kein selbstständiger Überlieferungsstoff gewesen,3 sondern aus der Makkedaerzählung heraus entwickelt worden. Fraglich ist jedoch, ob man überlieferungsgeschichtliche Fragen mit Beobachtungen zur Struktur derart verknüpfen darf. 1 Vgl. auch MILLER/TUCKER 1974, 82; RÖSEL 1992, 10. Anders YU 2012, 584, der Jos 10,1–15 und Jos 10,16–43 als Beschreibung eines Krieges aus zwei Dimensionen (Himmel und Erde) versteht. In diesem Heiligen Krieg kämpfe zunächst YHWH vom Himmel her für sein Volk Israel und dann Israel für YHWH auf der Erde. 2 Vgl. NOTH 1971a, 60. DE TROYER 2016, 68f. geht noch von einer anderen Zweiteilung in Jos 10 aus, nämlich V.1–27 und V.28–39, denen eine Zusammenfassung in V.40–43 folgt. 3 Vgl. NOTH 1971a, 61.
116
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Insgesamt gibt es in Jos 10 zumindest inhaltlich drei unterscheidbare Erzählungen, die auch struktural voneinander abgehoben werden können. Im Endtext von Jos 10 bereitet die Schlacht von Gibeon zumindest die Makkedaerzählung und die Eroberung des südlichen Verheißungslandes vor. In Jos 10 wird zum ersten Mal im Josuabuch betont, dass die Israeliten keinen Angriffskrieg führten. Vielmehr reagierten die Israeliten auf die Aggression der amoritischen Allianz gegen die verbündete Stadt Gibeon.4 Ab Jos 10 geht nämlich die Initiative für die Eroberung nicht mehr von Josua und den Israeliten aus. Es handelt sich folglich um einen Verteidigungskrieg gegen eine starke feindliche Übermacht.5 Falls man diesen Krieg gewinnen kann, wird freilich der Sieg noch wertvoller angesichts starker Feinde. Da dieser Feldzug somit die Folge des amoritischen Angriffs auf die verbündete Stadt Gibeon ist, benötigt zumindest der Endtext von Jos 10 das vorausgehende Kapitel Jos 9 als Voraussetzung. Denn sonst gäbe es überhaupt keinen Grund für das Eingreifen Josuas. Außerdem fällt auf, dass Jos 10 eine „Gegenerzählung“ zu Jos 9 bildet. Denn die Reaktion der Amoriterkönige unterscheidet sich merklich von den Gibeonitern,6 die in Jos 9 nicht die Konfrontation suchen. Darüber hinaus ist Jos 10 aber nicht nur an Jos 9 angebunden, sondern hat auch zahlreiche Verbindungslinien zu Jos 11. Denn die Gesamtstruktur von Jos 11 ist mit Jos 10 vergleichbar. In Jos 11 folgt nämlich nach der Schlacht von Merom die Eroberung der nördlichen Gebiete. Auf ähnliche Weise ist auch in Jos 10 der Sieg bei Gibeon der südlichen Eroberung vorangeschaltet. In beiden Erzählungen ist zudem ein prominenter Hauptgegner genannt (Adonizedek von Jerusalem in Jos 10 und Jabin von Hazor in Jos 11), der das feindliche Heer anführt und der im folgenden Richterbuch ebenfalls genannt wird.7 Darüber hinaus gibt es zahlreiche Parallelen in der formalen und sprachlichen Gestaltung der beiden Eroberungserzählungen in Jos 10 und Jos 11.8 Aber auch zu anderen biblischen Texten bestehen interessante Verbindungslinien. Auf der Ebene des Endtextes erfüllt Jos 10 nämlich die Voraussage aus Dtn 7,24, wonach YHWH die kanaanäischen Könige in die Hand der Israeliten 4
Vgl. hierzu HESS 1996a, 205; VAN BEKKUM 2011, 147. Nach SPRONK 1994, 86f. ist Josua nicht mehr der rücksichtslose Eroberer, sondern er wird seinem Namen als Retter gerecht. WAZANA 2019, 135 weist jedoch darauf hin, dass Josua und die Israeliten ausweislich der außerbiblischen Parallelen als Eroberer des Verheißungslandes skizziert werden. 5 Vgl. KANG 1989, 151. Nach SCHUNCK 1963, 36 Anm.104 sollte mit dem Feldzug Israels ursprünglich nur der kanaanäische Feind geschlagen, verfolgt und in den Städten besiegt werden. Von einer Einnahme des Gebiets muss noch nicht die Rede sein. 6 Vgl. EDERER 2017, 166. 7 Adonizedek als Adonibezek in Ri 1,5–7 und Jabin von Hazor in Ri 4,17.23.24. 8 Hören und Reaktion (10,1–3//11,1), Benennung der Truppen (10,5//11,4), Lager (10,5//11,5), Wort YHWHs und Ermutigungsorakel (10,8//11,6), plötzlicher Überfall (10,9//11,7), Übereignungsformel (10,8//11,8), Schlagen des Feindes und Verfolgung (10,10//11,8), vgl. hierzu NOORT 1988, 156.
2. Sprachliche und textkritische Probleme
117
geben wird.9 Außerdem ist ein Bezug zu Jes 28,21 möglich, wo YHWH bei Gibeon mithilfe eines Erdbebens zugunsten Israels eingegriffen hat.10 Dies könnte darauf hinweisen, dass das göttliche Wunder, das für den Sieg der Israeliten bei Gibeon verantwortlich war, in der späteren Traditionsbildung auf unterschiedliche Weise bestimmt werden konnte: Panik (V.10), Hagelsturm (V.11), Sonnenstillstand (V.12–13), Erdbeben (Jes 28,21),11 wobei freilich nicht sicher ist, ob sich die Jesajastelle auf die Schlacht unter Josua bezieht.
2. Sprachliche und textkritische Probleme Im Folgenden sollen versweise die zahlreichen sprachlichen und textkritischen Probleme diskutiert werden, zumal eine literarkritische und redaktionsgeschichtliche Untersuchung diese Schwierigkeiten reflektieren sollte. V.1: Insgesamt ist V.1 eine Art Temporalsatz, der der Aussage in V.2 untergeordnet ist.12 Das Idiom wayehî kišmoaʿ „und es geschah, als … hörte“ ist mit einem gewissen Schwerpunkt vor allem im Josuabuch belegt.13 Diese Formel scheint auf einen späten Redaktor zurückzugehen, der die unterschiedlichsten Erzählungen formal überarbeitet hat.14 Interessanterweise wird an den anderen Stellen im Josuabuch kein mit kî eingeleiteter Objektsatz an den Infinitivsatz angeschlossen, sodass beide kî-Sätze literarkritisch verdächtig sind.15 Die beiden Objektsätze mit kî skizzieren zumindest zwei unterschiedliche Informationen, von denen Adonizedek erfuhr: entweder die Eroberung des Verheißungslandes und Bannweihe der ursprünglichen Bevölkerung oder der Bundesschluss, der zu einem Leben der Gibeoniter inmitten Israels führte. Die erste Option wird durch den Hinweis auf das Schicksal der Stadt Ai gestärkt. Die geschilderte Vorgehensweise Israels wird zudem in den folgenden Eroberungserzählungen in Jos 10 und in den Zusammenfassungen in Jos 11,12.15 besonders betont.16 Die zweite Option setzt demgegenüber die Verbindung zu Jos 9 voraus. Beide kî-Sätze könnten somit auf redaktionelle Arbeit zurückgehen, auch wenn dann die eigentliche Botschaft, die Adonizedek erfährt, fehlt.
9
Vgl. ZIESE 2008, 209. Vgl. AULD 1984, 70. 11 Zu vergleichbaren wunderhaften Darstellungen außerhalb der Bibel vgl. auch ABEL 1949, 332–335. 12 Vgl. HARSTAD 2004, 404. 13 Vgl. Gen 29,13; 39,19; Jos 5,1; 6,20; 9,1; 10,1; Ri 7,15; 1Kön 13,4; 14,6; 21,27; 2Kön 6,30. Nach FRITZ 1994, 104 handele es sich um eine typische Überleitungsformel dtr. Stils. 14 Vgl. NOORT 1988, 151f. 15 Dementsprechend geht NOORT 1988, 153f. nur von wayehî kišmoaʿ + pluralisches Subjekt als ursprüngliche Version von V.1 aus. 16 Vgl. NOORT 1988, 154f. 10
118
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Der Eigenname des Jerusalemer Stadtkönigs wird in LXXB zu Αδωνιβεζεκ verändert.17 Dies dürfte wohl eine sekundäre Angleichung an Ri 1,5–7 sein, wo der Name Adonibezek aufgrund des Toponyms Bezek im Gegensatz zu Adonizedek ursprünglich sein dürfte.18 Vetus Latina belegt ebenfalls anstelle von Adonizedek in V.1 den Eigennamen Adonibezer, was wohl ebenfalls auf eine Lesart Adonibezek zurückgeht. Demgegenüber scheint der ursprüngliche Name Adonizedek Jerusalemer Lokalkolorit eingespielt zu haben. Denn der Eigenname Adonizedek kann mit der Tradition von Melchizedek von Jerusalem verbunden werden.19 Da es somit nach der Tradition bereits einen König Melchizedek von Jerusalem gab, ist es durchaus wahrscheinlich, dass auch der hier genannte König von Jerusalem einen zedeq-haltigen Namen trägt. Dementsprechend ist die Lesart des MT als Adonizedek aufgrund dieser Namensanalogie vorzuziehen.20 Folglich könnte in Jos 10-MT ein anti-Jerusalemer Standpunkt verfolgt werden. Dann wird gegen die Königstheologie, die mit Melchizedek verbunden wird, polemisiert.21 Auch die Rekonstruktion von 4QJosha scheint eine Lesart Adonizedek nahezulegen.22 Aus alledem folgt, dass die Lesart Adonibezek lediglich eine sekundäre Angleichung von Vetus Latina und LXX an Ri 1,5–7 sein wird.23 Vielleicht wollte der griechische Übersetzer von Jos 10 den Kopf der feindlichen Koalition nicht mit dem Namenselement -zedeq „Gerechtigkeit“ oder mit dem früheren ähnlichen König Melchizedek in Verbindung bringen und änderte deshalb den Namen zu Adonibezek. Auf diese Weise werden derartige Assoziationen von vorneherein ausgeschlossen. Falls zudem Adonibezek der ursprüngliche Name in Jos 10 war, musste man Jos 10 verändern, da dieser Name bereits bestens in Ri 1 integriert
17 Zu einer ursprünglichen Lesart von Adonibezek vgl. SOGGIN 1982, 119. Erst sekundär sei Adonibezek durch das Namenselement -zedek mit Jerusalem verbunden worden. Kritisch hierzu aber HERTZBERG 1985, 72, der von einer ursprünglichen Lesart Adonizedek in Jos 10,1 ausgeht. Zu einer Lesart Adonizedek vgl. schon BENNETT 1895, 27; COOKE 1918, 84. 18 Nach HERTZBERG 1985, 72; ZIESE 2008, 211 Anm.2 sind Adonibezek und Adonizedek jedoch voneinander zu differenzieren. Nach YOUNGER 2008, 8 Anm.7 ist -bezek kein Namenselement, sondern ein Toponym, sodass es sich bei Adonibezek nicht um einen Eigennamen handeln könne. Adonibezek „Herr von Bezek“ sei somit kein Eigenname, sondern ein Titel, vgl. auch BOLING 1982, 275. 19 Vgl. NELSON 1997, 140. Nach KEIL 1847, 171; LLOYD 1886, 132 seien Adonizedek und Melkizedek Titel der Jebusiterkönige von Jerusalem. 20 Vgl. HOLMES 1914, 49. Zur Ursprünglichkeit von Adonizedek vgl. auch RÖSEL 2011, 164. Ohne Zweifel stärkt die Lesart Adonizedek in Jos 10 den Bezug zu Jerusalem, vgl. DOZEMAN 2015, 428, da das Element -zedek des Öfteren mit Jerusalemer Namen verbunden ist. 21 Vgl. DOZEMAN 2015, 448. Nach NOCQUET 2022, 329 stellt sich dann aber die Frage, ob Jos 10 tatsächlich mit der Joschijazeit verbunden werden darf, da der zentrale Kultort Jerusalem in Jos 10 keineswegs positiv bewertet wird. 22 Vgl. VAN DER MEER 2004, 515. 23 Vgl. GASS 2013, 163.
2. Sprachliche und textkritische Probleme
119
war und die Unterschiede zwischen beiden Traditionen nur durch eine Namensänderung behoben werden konnten. Allerdings ist kaum wahrscheinlich, dass man nachträglich Adonibezek zu einem ehrenvollen Namen Adonizedek abgeändert hat.24 Insofern spricht wenig dafür, dass in Jos 10 ursprünglich Adonibezek gestanden hat. Es bleibt somit dabei, dass in Jos 10 zu keinem Zeitpunkt ein König Adonibezek genannt wurde. Die textkritische Veränderung von Adonizedek zu Adonibezek lässt sich zudem leicht erklären. Der Eigenname Adonizedek ist somit in Jos 10 ursprünglich. Adonizedek kann als „Mein Herr ist Gerechtigkeit/Zedek“ gedeutet werden.25 Ausweislich der belegten Eigennamen mit dem Namenselement Zedek war Zedek vermutlich eine Gottheit, die insbesondere in Jerusalem verehrt wurde.26 Darüber hinaus ist aber auch möglich, dass Zedek lediglich ein Gottesepithet war, das die jeweilige Gottheit als gerecht klassifizieren möchte.27 Denn das Namenselement Zedek lässt sich von hebräisch ṣedāqāh „Gerechtigkeit“ ableiten. Es könnte sich somit um ein Epithet für den Sonnengott handeln, der gewöhnlich als Schutzherr der Gerechtigkeit eintritt.28 Immer wieder wurde vermutet, dass Jos 10 die Tradition von Adonibezek aus Ri 1,5–7 reflektiert, der freilich richtigerweise Adonizedek von Jerusalem gewesen wäre.29 Die Lesart Adonibezek anstelle von Adonizedek in Ri 1,5–7 könnte zudem eine Angleichung an den dortigen Kontext sein, wo von einer Stadt Bezek die Rede ist.30 Dann könnte man die beiden Erzählungen folgendermaßen miteinander verbinden: Adonizedek, der einen militärischen Vorstoß gegen die Israeliten unternommen habe, sei nach seiner Niederlage nach Jerusalem überführt worden, wo er schließlich gestorben sei.31 Ob eine solche harmonisierende Verbindung beider Traditionen statthaft ist, sei aber dahingestellt. 24
Vgl. hierzu auch LANGLOIS 2011, 197–199. Vgl. zu Deutungen dieses Eigennamens HESS 1996b, 207f.; VAN BEKKUM 2011, 111; DOZEMAN 2015, 428. Fraglich ist, ob das erste Element des Namens ein theophores Element sein könnte, vgl. auch VAN BEKKUM 2011, 111. 26 Nach THEUER 2020, 243 musste der Jerusalemer Stadtgott Zedek durch die Beschwörung Josuas in seiner Kampfkraft für die kanaanäische Koalition gelähmt und auf diese Weise von einem effektiven Eingreifen in die Schlacht abgehalten werden. 27 Vgl. zu Zedek als Gottesname schon STEUERNAGEL 1900, 190; ROBINSON 1907, 313; COOKE 1918, 84; GRAY 1986, 105f.; HESS 1996a, 31f. Gegen einen Gottesnamen Zedek allerdings WOUDSTRA 1981, 169 Anm.1. 28 Vgl. auch KNAUF 2008, 98; THEUER 2020, 243. 29 Vgl. SMEND 1912, 307. Nach SAPIN 1979, 262 Anm.9 könnte in Jos 10 auf denselben König wie in Ri 1 angespielt sein. 30 Vgl. zum Problem STEUERNAGEL 1900, 190; AULD 1975, 268f. Nach GREENSPOON 1983, 129 wäre aber Adonibezek die ursprüngliche Lesart. Zu einer späteren Gleichsetzung von Adonizedek und Adonibezek vgl. RAKE 2006, 88. Vielleicht stammte Adonibezek aus einem Ort Bezek und wäre erst sekundär zu einem König von Jerusalem gemacht worden, während Bezek nur der Ort der Schlacht gewesen sei, vgl. BECKER 1990, 38. 31 Vgl. AULD 1975, 269. 25
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Bisweilen wird daran gedacht, dass Ri 1,5–7 die in Jos 10,1–15 beobachtete Spannung lösen wollte, indem in Ri 1,5–7 das Ende von Adonizedek erzählt werden sollte, wobei man ein Traditionsstück über Adonibezek verwendet habe.32 Allerdings wurde das Ende des Jerusalemer Königs zumindest im Endtext von Jos 10 bereits in V.23–26 geschildert, sodass sich die Erzählung in Ri 1 eigentlich erübrigt. Insofern ist ein Zusammenhang von Jos 10 und Ri 1 faktisch nicht angezeigt. Eine wirkliche intertextuelle Verbindung zu Ri 1,5–7 liegt zudem nicht vor. Denn die beiden Hauptprotagonisten haben zwar ähnliche, aber nicht identische Namen und auch die Opponenten sind unterschiedlich (Gibeoniter und Israeliten in Jos 10 vs. Judäer in Ri 1). Außerdem ist weder in Ri 1 ein Militärbündnis, noch in Jos 10 eine Verstümmelung des gefangenen Königs im Blick.33 In den beiden Erzählungen wurden folglich unterschiedliche Traditionen verarbeitet.34 Abgesehen vom geschilderten textkritischen und intertextuellen Problem ist die Nennung des Jerusalemer Königs Adonizedek literarkritisch nicht über jeden Zweifel erhaben. Möglicherweise wurde der Name Adonizedek erst relativ spät in den Text eingetragen, sodass in der ursprünglichen Fassung lediglich kål malkê hāʾæmorî aus V.6 das eigentliche Subjekt gewesen wäre,35 worauf auch die pluralische Form wayyîrʾû in V.2 hinweisen könnte. Hinzu kommt, dass auch an vergleichbaren Stellen zunächst nur die Gegebenheiten (hier: Furcht aller Amoriterkönige), in einem zweiten Schritt dann die Zahl (hier: fünf Amoriterkönige) und schließlich in einem dritten Schritt die Namen ergänzt wurden.36 Demnach wäre es in der Gibeonerzählung zunächst lediglich um eine nicht näher bezeichnete Gruppe von Amoriterkönigen gegangen, die zunächst aufgrund der redaktionellen Ergänzung der Makkedaerzählung zu einer Fünfergruppe präzisiert wurde und danach mithilfe einer Vorlage, die auch in Jos 12,10–12a verwendet wurde, namentlich identifiziert worden wäre. Wenn dies zutrifft, wäre die Erwähnung dieser fünf Orte in V.3, V.5 und V.23 redaktionell nachgetragen worden, damit die Königsliste in Jos 12 zum Teil bereits in den Eroberungserzählungen vorbereitet ist.37 Auch andere Beobachtungen legen es nahe, dass Adonizedek mitunter erst sekundär eingetragen wurde. Denn Jerusalem, die Stadt Adonizedeks, wird im Folgenden nicht erobert, obwohl sie nahe bei Gibeon und relativ weit entfernt von den anderen vier 32
Vgl. NAʾAMAN 1994, 262; GROSS 2009, 125; NAʾAMAN 2017, 292. Vgl. zum Problem AULD 1975, 268. 34 Trotzdem könnte Jos 10 eine polemische Umdeutung der projudäischen Erzählung in Ri 1 sein, vgl. DOZEMAN 2015, 446, die aber dann ein anderes Ereignis in den Blick nimmt. 35 Vgl. NOTH 1971b, 286; BRIEND 1998, 57f.; BRIEND 2000, 375. 36 Vgl. NOORT 1988, 152f. Nach NOTH 1971b, 286 knüpft V.5 zudem bestens an V.2 an, sodass das Schmieden einer amoritischen Koalition unter Adonizedek erst nachträglich eingetragen wurde. 37 Vgl. FRITZ 1969, 139f. Schon ELLIGER 1934, 53 Anm.2 sieht eine Verbindung von Jos 12 zu den in Jos 8,2 und Jos 10,3 erwähnten Städten. 33
2. Sprachliche und textkritische Probleme
121
Städten liegt. Hinzu kommt, dass Adonizedek in der folgenden Erzählung – abgesehen vom Vorstoß, eine Koalition gegen Gibeon und Jerusalem zu schmieden – ansonsten nicht mehr vorkommt. Offenbar wollte man hier eine Sondertradition von Adonizedek eintragen und sekundär einen Hauptprotagonisten wie in Jos 11 schaffen,38 wo mit Jabin von Hazor ebenfalls ein Erzfeind aus dem Richterbuch auftaucht. Da beide Erzählungen in Jos 10 und Ri 1 zudem literarische Bildungen sind, lässt sich über die Historizität dieses Königs beziehungsweise dieser Könige, wenn man beide Namen voneinander differenziert, nichts mehr sagen.39 Der Satz kaʾašær ʿāśāh lîrîḥô ûlemalkā ist neben ähnlichen Varianten ein beliebter redaktioneller Satz, der die einzelnen Handlungen mit der JerichoEpisode in Jos 6 verbindet.40 Auf diese Weise wird auf die Bannweihe in Jos 6,21 hingewiesen. Problematisch ist jedoch, dass in Jos 6 nirgendwo auf das Einzelschicksal des Königs von Jericho eingegangen wird.41 Möglicherweise ist der entsprechende Bericht in Jos 6 ausgefallen.42 Im Josuabuch wird zudem an keiner Stelle explizit ausgeführt, dass der König von Jericho getötet wurde.43 In diesem Zusammenhang ist noch auffällig, dass Josua und nicht YHWH vom Jerusalemer König als das eigentliche Problem gesehen wird. Mit der Formel kaʾašær ʿŚY + l werden zudem immer wieder geschichtstypologische Aussagen eingeleitet.44 Bei dieser Formel wird dem Hauptsatz mithilfe eines Komparativsatzes ein älteres geschichtliches Handeln an die Seite gestellt. Das verwendete Verb steht immer in qatal, wodurch syntaktisch Vorzeitigkeit des Vergleichsfalls ausgedrückt werden kann. Die Formel kaʾašær ʿŚY + l wird zudem schon in Dtn 3,2 verwendet, wo dem Amoriterkönig Og das gleiche vorhergesagt wird wie zuvor schon Sihon. Insgesamt wird Josua daher ähnlich wie Mose beim Eroberungszug gegen die ostjordanischen Amoriterkönige beschrieben.45 Denn auch in Dtn 3,2 wird die Ermutigungsformel mit der Übereignungsformel wie in V.8 verbunden. Dementsprechend erhält Josua in V.8 eine Siegeszusage über die amoritischen Könige wie zuvor Mose. 38
Vgl. hierzu auch MOWINCKEL 1964, 42; RÖSEL 1976, 505f. Vgl. FRITZ 1994, 110. 40 Jos 8,2; 10,1.28.30. Nach EHRLICH 1910, 35 ist dies ein Zusatz, den der Abschreiber aus Gewohnheit ergänzte. 41 Vgl. hierzu auch AULD 1984, 73; HAWK 2000, 167 Anm.12. Der König von Jericho wird zuvor nur in Jos 2,2.3; 6,2; 8,2 erwähnt. 42 Vgl. EHRLICH 1910, 38. 43 Vgl. LAUGHLIN 2015, 140. 44 Vgl. hierzu LOHFINK 2000, 77f. 45 Vgl. HAWK 2000, 159–162. Nach HALL 2010, 182 wird Jos 10 ähnlich wie die ostjordanischen Eroberungszüge geschildert: Übereignungsformel (Num 21,34; Dtn 3,2), Ausführung durch YHWH (Dtn 2,33; 3,3), keine Entkommenen (Num 21,35; Dtn 2,34; 3,3), Bannweihe (Dtn 2,34; 3,6), Vergleich (Dtn 3,2). Dementsprechend werden die Eroberungen Israels unter der Führung Josuas nach dem Muster der Siege unter Mose verglichen. Auf diese Weise ist Josua der perfekte Nachfolger des Mose. 39
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Während Sihon nach Dtn 3,2 aber ein „König der Amoriter ist, der in Heschbon wohnt“, werden die Gegner in V.6 als „Könige der Amoriter, die das Bergland bewohnen“ beschrieben, wobei sich das Bergland vermutlich auf das gesamte Westjordanland bezieht.46 Auffälligerweise belegt LXX in V.1 eine pluralische Verbalform (ἐποίησαν), während Vetus Latina den Singular des MT bestätigt.47 Der Bundesschluss der Gibeoniter wird von LXX zu einem „Überlaufen“ umgedeutet (αὐτομόλησαν), was auch Vetus Latina mit se obtulerunt andeutet, sodass hier die freiwillige Fahnenflucht der Gibeoniter besonders hervorgehoben werden soll. Ganz anders formuliert MT. Das im MT verwendete Verb ŠLM-H verweist nämlich ansonsten stets auf den Friedensschluss mit einer Stadt, die sich freiwillig ergeben hat.48 Das Verb ŠLM-H lässt sich zudem mit einem Bundesschluss vor einem Waffengang verbinden.49 Dementsprechend hat sich die Stadt Gibeon freiwillig den Israeliten unterworfen. Ein Bündnisschluss mit Israel ist vor dem Hintergrund besonders problematisch, dass Gibeon zuvor vermutlich zum Jurisdiktionsbereich von Jerusalem gehört hat.50 Das Bündnis Gibeons mit Israel ist zudem für Adonizedek in der Tat ein „Überlaufen“, sodass die LXX Übersetzung nicht notwendigerweise kritisiert werden muss.51 Letztendlich wird bereits in V.1 mit ŠLM-H auf der Ebene des Endtextes der Bundesschluss mit Gibeon aus Jos 9,15 aufgegriffen, wo allerdings abweichend formuliert wird.52 Darüber hinaus wird Israel, das Objekt des Friedensschlusses der Gibeoniter, von Vetus Latina und LXX zu „Josua und Israeliten“ erweitert, vermutlich um Josua nachträglich zu glorifizieren. Außerdem wird dadurch das pluralische enklitische Personalpronomen in beqirbām besser verständlich. Die Änderung „Josua und Israeliten“ könnte zudem eine Angleichung an V.4 sein, wo Josua 46 Zu diesem Vergleich mit Dtn 3 vgl. NOORT 1988, 156f. Auch nach HALL 2010, 182 ist in Jos 10 eine Beziehung zu den Amoriterkönigen Sihon und Og gegeben. Die Bezeichnung Amoriter ist demnach ein aufgeladener Begriff, der das Schicksal dieser Könige schon vorhersagt. Nach NAʾAMAN 2017, 298 könnte der Autor von Jos 10 die alte Tradition, dass das Verheißungsland des Nordreiches Israel von den Amoritern erobert werden musste (Gen 48,22; Am 2,9), auch auf Juda bezogen haben. Nach NOCQUET 2022, 323 Anm.18 bezieht sich die Bezeichnung „Könige der Amoriter“ ansonsten auf Herrscher des Ostjordanlandes. 47 Nach HOLMES 1914, 49 könnte die falsche Lesart der LXX auf eine abgekürzte hebräische Verbalform zurückgehen. Für DEN HERTOG 1996, 65 ist die pluralische Lesart zudem keineswegs eine stilistische Erleichterung. 48 Dtn 20,12; Jos 10,1.4; 11,19. 49 Vgl. HESS 1998, 366f., der auf die Amarnakorrespondenz verweist (EA 252:9–12). 50 Vgl. BLENKINSOPP 1972, 29f. 51 Vgl. hierzu auch GREENSPOON 1983, 135. Nach LANGLOIS 2011, 65 ist mit dieser griechischen Wiedergabe ein Zusammenrotten oder eine Kapitulation verbunden. SOGGIN 1982, 119 vermutet darüber hinaus, dass „überlaufen“ eine Sonderbedeutung von ŠLM-H sein könnte. 52 Vgl. HARSTAD 2004, 404.
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und die Israeliten als Bündnispartner genannt werden.53 Allerdings ist eine solche Erweiterung nicht unproblematisch, da auf diese Weise ein schlechtes Licht auf Josua geworfen wird. Denn ein derartiges Bündnis mit der Vorbevölkerung des Verheißungslandes war eigentlich nicht zulässig. Darüber hinaus kann man auch Yiśrāʾel als Kollektivbegriff verstehen, der pluralisch konstruiert wird, sodass die Präpositionalverbindung beqirbām nicht stören muss. Hinzu kommt, dass Vetus Latina in V.1 schon eine Pluralfügung filios Istrahel kennt, die in V.2 mit illos wiederum aufgegriffen wird. Der Kollektivbegriff Yiśrāʾel wird somit pluralisch verstanden. Eine Auffüllung mit Josua ist somit nicht nötig. Insofern muss man hier nicht von Haplographie ausgehen, indem man hier vom ersten weʾæt Y- zum zweiten abschweifen konnte.54 Vielmehr ist die Lesart mit Josua eine sekundäre Angleichung an V.4.55 Der letzte Satz wayyihyû beqirbām betont auf den ersten Blick den erlaubten Aufenthalt der Gibeoniter in der Mitte der Israeliten. Der Satz wayyihyû beqirbām ist jedoch mehrdeutig. Denn das enklitische Personalpronomen kann sich auch auf die Kanaanäer beziehen. Dann würde hier ausgedrückt werden, dass Israel in der Mitte der Kanaanäer leben würde.56 Bisweilen werden somit in dem schwierigen Satz wayyihyû beqirbām die Bezüge umgestellt und die Israeliten zum Subjekt gemacht.57 Dann würde hier ausgesagt werden, dass die Israeliten unter den Gibeonitern wohnten. Diese Interpretation ist zwar nicht ausgeschlossen, aber eher unwahrscheinlich. In LXX und Vetus Latina fehlt zudem der Satz wayyihyû beqirbām.58 Der nachklappende Satz wayyihyû beqirbām, der das Motiv des Lebens der Gibeoniter inmitten von Israel aus Jos 9,7.16.22 einträgt, könnte folglich eine sekundäre Angleichung an Jos 9 sein.59 Durch die redaktionelle Verbindung zu Jos 9 wird zudem die negative Deutung des Bundesschlusses in V.1 hereingeholt.60 Im Gegensatz zu Jos 10 wird jedoch in Jos 9 nicht das politische Ergebnis des Bundesschlusses betont, sondern die Gefahr der Überfremdung, der unbedingt zu wehren ist.61 Somit unterscheiden sich beide Stellen ganz erheblich. Außerdem wird in Jos 9 anstelle von HYY beqæræb die Formulierung YŠB beqæræb gewählt, was die Deutung einer redaktionellen Angleichung merklich 53
Vgl. VAN BEKKUM 2011, 112; DE TROYER 2016, 70. So aber HOLMES 1914, 49; BOLING 1982, 275; YOUNGER 1990, 379 Anm.13. 55 Vgl. NELSON 1997, 136. 56 Vgl. ZIESE 2008, 211 Anm.4. 57 Vgl. YOUNGER 1990, 365. 58 Allerdings wäre es auch möglich, dass dieser Satz zumindest von LXX zu V.2 gezogen und verkürzt mit ἐν αὐτοῖς wiedergegeben wäre, vgl. DEN HERTOG 1996, 36f.; VAN BEKKUM 2011, 112. Die Abweichung in Vetus Latina ist aber nicht auf ähnliche Weise zu erklären. 59 Vgl. schon DILLMANN 1886, 485f.; COOKE 1918, 84. AULD 1984, 68 vermutet noch eine Analogie zur Rahaberzählung in Jos 6,25. 60 Vgl. NOORT 1988, 154. 61 Vgl. KNAUF 2008, 98. 54
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schwächt. Allerdings könnte durch den Wechsel des Verbs zu HYY durchaus angedeutet sein, dass die Gibeoniter nicht nur in der Mitte der Israeliten wohnten, sondern in der Mitte Israels sind. Das wäre dann mehr als nur ein politisches Zweckbündnis. Allerdings kommt der Ausdruck wayyihyû beqirbām sachlich eigentlich zu früh, da der König von Jerusalem ein Festsetzen der Israeliten gerade noch verhindern möchte.62 Mit dem Ausdruck wayyihyû beqirbām wird verdeutlicht, dass die Stadt Gibeon in die Gemeinschaft mit Israel aufgenommen wurde,63 auch wenn dies in einem untergeordneten Status als Vasall geschah. Die Gibeoniter gehören folglich zu Israel. Es wird daher befürchtet, dass die Gibeoniter auf der Seite Israels gegen die alteingesessene Bevölkerung kämpfen werden.64 Da die Kämpfer der Gibeoniter nach V.2 als besonders stark klassifiziert werden, ist dieses Bündnis für die Amoriterkönige besorgniserregend. Der Umstand, dass die Gibeoniter trotz ihrer Stärke ein Bündnis mit den Israeliten geschlossen haben, muss zudem nicht als Schwäche der Gibeoniter gedeutet werden, da Heldenkraft und List durchaus zusammengehören können.65 Vulgata bezeugt zum einen wie LXX das Überlaufen der Gibeoniter und wie MT den Bundesschluss (et essent foederati eorum), verzichtet aber wie LXX auf die Notiz, dass die Gibeoniter inmitten der Israeliten leben. Eine derartige Differenz in den unterschiedlichen Versionen könnte auf redaktionelle Arbeit und verschiedene hebräische Vorlagen verweisen, die man zu übersetzen hatte. V.2: Die pluralische Verbalform wayyîrʾû wird von hebräischen Handschriften, der Peschitta und der Vulgata in den Singular versetzt und auf diese Weise mit Adonizedek verbunden.66 Demnach könnte der Plural eine fehlerhafte Angleichung an die Pluralformen in V.1 sein.67 Außerdem könnte hier mit dem Plural das Motiv der Vielzahl der Feinde, die die Israeliten fürchten, aufgenommen sein.68 Allerdings ist die pluralische Form die lectio difficilior.69 Au-
62
Vgl. HOLZINGER 1901, 36. Nach NOTH 1971a, 63 wird durch diesen Satz jedoch ausgedrückt, dass sich die Delegation Gibeons im Lager von Gilgal befand. 64 Vgl. EHRLICH 1910, 35, der darauf hinweist, dass hier das Verb HYY statt YŠB steht. 65 Vgl. RUDOLPH 1938, 204 Anm.3. Vielleicht werden die Gibeoniter von der kanaanäischen Militärallianz wie ein immer gefährlicher werdendes Israel gesehen. Vor diesem Hintergrund könnten die Gibeoniter als ein Abbild von Israel betrachtet werden, das bekämpft werden muss, vgl. BALLHORN 2011, 213. 66 Zum textkritischen Befund vgl. BARTHÉLEMY 1982, 17. Zu einer Lesung als Singular vgl. auch STEUERNAGEL 1900, 190. Aufgrund der Beziehungslosigkeit des pluralischen Verbs und der inhaltlichen Schwierigkeiten könnte man hier an eine literarkritische Naht denken, vgl. SMEND 1912, 307f. 67 Vgl. RUDOLPH 1938, 205. Vielleicht liegt hier ein unpersönlicher Plural vor. 68 Vgl. RÖSEL 2011, 165. An die Bevölkerung Jerusalems denkt auch NELSON 1997, 140; BUTLER 2014, 478; DOZEMAN 2015, 429. 69 Vgl. BARTHÉLEMY 1982, 17; GERMANY 2017, 422 Anm.40. 63
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ßerdem ist der Plural auch in den alten Versionen unumstritten, sodass zumindest textkritisch hier nicht in den Singular abgeändert werden muss.70 Bisweilen wird vermutet, dass mit diesem Plural entweder die fünf kanaanäischen Könige oder der Hofstaat von Jerusalem beziehungsweise der anderen Stadtkönigtümer im Blick sein könnte.71 Da jedoch Adonizedek in V.1 als König von Jerusalem vorgestellt wird, wird sich die pluralische Form auf Adonizedek und die Einwohner von Jerusalem beziehen,72 wie sich auch die nachfolgenden Formulierungen „Jericho/Ai und sein König“ mit dem jeweiligen König und die Einwohnerschaft verbinden lassen. Dementsprechend wäre der Plural von V.2 eine constructio ad sensum,73 mit der auf den König und die Bevölkerung von Jerusalem verwiesen werden soll. In V.2 wird zum siebten und letzten Mal im Josuabuch die Furcht Kanaans vor den Israeliten geschildert.74 Außerdem könnte das Motiv der Furcht auch mit der Schilfmeererzählung zusammenhängen, wo umgekehrt die Israeliten Furcht vor den Ägyptern hatten (Ex 14,10).75 LXXA und Vetus Latina heben mit ἐν αὐτοῖς beziehungsweise illos das Objekt der Furcht hervor.76 Vielleicht haben diese Textzeugen wayyîrʾû als wayyîrʾô gelesen und das ursprüngliche enklitische Personalpronomen -ô auf das Kollektiv Israel bezogen und daher pluralisch wiedergegeben. Möglich wäre aber auch, dass eine Präpositionalverbindung mehæm vor meʾod aufgrund von Haplographie ausgefallen wäre.77 Hier kommt man über Vermutungen nicht mehr hinaus. Da das Verb YRʾ auch absolut ohne Angabe des Objekts verwendet werden kann, muss man den Gegenstand der Furcht aus dem Kontext erheben.78 Insofern erübrigt es sich, dass man hier ein enklitisches Personalpronomen oder eine Präpositionalverbindung ergänzen muss. Der pluralische objektlose Befund des MT kann folglich beibehalten werden.
70
Vgl. auch ELSSNER 2003, 24. Vgl. BOLING 1982, 279; BEGG 2007, 85 Anm.12. 72 Vgl. KEIL 1847, 172; LLOYD 1886, 133; OETTLI 1893, 155; COOKE 1918, 84; HOWARD 1998, 234; HARSTAD 2004, 404f.; MÜNCH-WIRTZ 2010, 101; VAN BEKKUM 2011, 112; LANGLOIS 2011, 28. 73 Vgl. ELSSNER 2003, 25f.; VAN BEKKUM 2011, 112. 74 Vgl. COLESON 2012, 99. 75 Vgl. hierzu KNAUF 2008, 98f., der auf mehrere Verbindungslinien zwischen der Gibeonitererzählung und der Schilfmeererzählung hinweist. Ähnlich auch THEUER 2020, 242 Anm.210. Auf diese Weise werden Exodus und Landnahme miteinander verbunden, vgl. HALL 2010, 183. 76 Nach HOLZINGER 1901, 35 belegen auch andere LXX-Rezensionen ein Objekt der Furcht. 77 Vgl. hierzu HOLMES 1914, 49. 78 Vgl. FUHS 1982, 874, der auf Gen 31,31; 32,8; 43,18; Ex 2,14; 14,10; Dtn 13,12; 17,13; 19,20; 20,3; Jos 10,2; 1Sam 17,11.24; 28,5; 2Kön 10,4; Jer 26,21; Am 3,8; Neh 2,2; 6,13; 2Chr 20,3 verweist. 71
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Die darauffolgende Lesart ᾔδει γὰρ ὅτι von LXX mag möglicherweise auf kî yādaʿ kî zurückgehen,79 wobei dann aber die Numerusinkongruenz zum pluralischen ersten Verb auffällig ist. Aus diesem Grund hat Vetus Latina auch hier eine Pluralform gesetzt (sciebant). Aufgrund von Haplographie könnte kî yādaʿ ausgefallen sein, da der Abschreiber vom ersten zum zweiten kî abgeirrt wäre. Bisweilen wird vermutet, dass kî ʿîr fälschlicherweise verdoppelt und dann zu kî yādaʿ verändert wurde.80 Allerdings könnte ᾔδει γὰρ ὅτι auch eine nachträgliche Erweiterung der griechischen Textzeugen gewesen sein.81 Hier kommt man über Vermutungen nicht mehr hinaus. Die kürzere Lesart des MT soll daher beibehalten werden. Durch vier weitere Zuschreibungen wird betont, dass es sich bei Gibeon um eine besonders starke Stadt handelt, deren Bündnis mit Israel schon aufgrund der strategischen Lage und Nähe zu Jerusalem82 zu einer gefährlichen Bedrohung für die kanaanäischen Könige werden konnte. Außerdem konnte Gibeon ein Eingreifen der mächtigen nördlichen Könige in den südlichen Konflikt abschirmen. Schon aus diesem Grund konnte Adonizedek lediglich südliche Könige aufbieten.83 Auch wenn das Bündnis mit Gibeon zunächst für die Israeliten nach Jos 9 ein Fehler war, entwickelte sich alles zu einem strategischen Vorteil.84 Denn nun erhielten die Israeliten durch das Bündnis mit Gibeon und den umliegenden Städten die Kontrolle über die wichtige Straßenverbindung von Bet-Horon.85 Das Ziel der angestrebten Koalition der amoritischen Könige war vermutlich ein Zweifaches: Zum einen sollte der Ort Gibeon aufgrund seines Bündnisses mit den Israeliten bestraft werden, zum anderen sollten die Israeliten von einem weiteren Vorstoß abgehalten werden.86 Folgende vier Beschreibungen werden mit Gibeon in Verbindung gebracht: Die Beschreibung von Gibeon als ʿîr gedôlāh weist darauf hin, dass Gibeon wie eine Hauptstadt betrachtet wird.87 Außerdem wird Gibeon mit Königsstädten verglichen. Die Verbindung von ʿārê „Städte“ mit mamlākāh „Königreich“ wird von LXX und Vulgata durch μητροπόλεων beziehungsweise civitatibus ersetzt.88 Auf diese
1) 2)
79
Vgl. BOLING 1982, 275. Vgl. HOLMES 1914, 49. 81 Vgl. BUTLER 2014, 461. 82 Zur strategischen Lage von Benjamin und Gibeon vgl. COLESON 2012, 99. AULD 1984, 68 vermutet, dass Gibeon ein benachbarter Stadtstaat zu Jerusalem gewesen sei und daher den König von Jerusalem bedroht habe. 83 Vgl. HAWK 2000, 150. 84 Vgl. PITKÄNEN 2010, 222. 85 Vgl. DE VAUX 1978, 631. 86 Vgl. hierzu schon KEIL 1847, 173; DILLMANN 1886, 486; LLOYD 1886, 135. 87 ZIESE 2008, 212 Anm.6 weist auf Jerusalem (Jer 22,8) oder Ninive (Jon 1,2) hin. 88 Nach DEN HERTOG 1996, 142f. könnte die Bezeichnung μητροπόλεων auf die ptolemäische Verwaltungsstruktur zurückzuführen sein. 80
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Weise wird von den beiden Übersetzungen ausgedrückt, dass Gibeon nichts mit einer kanaanäischen Königsstadt gemein hat. Gibeon ist lediglich mit einer „Mutterstadt“89 oder einer „Bürgerschaft“ zu vergleichen. Der Ausdruck keʾaḥat ʿārê hammamlākāh kann unterschiedlich wiedergegeben werden.90 Zum einen könnte daran gedacht sein, dass Gibeon zwar eine Ältestenregierung gehabt habe, aber dennoch ähnlich wie eine Königsstadt betrachtet werden könne. Zum anderen könnte das nomen rectum mamlākāh darauf hinweisen, dass Gibeon eine „königliche“ und damit besonders prominente Stadt sei.91 Gibeon wäre demnach eine sehr bedeutende Stadt.92 Eine andere Möglichkeit wäre es, den Ausdruck ʿārê hammamlākāh als Stadt mit umliegendem Reich beziehungsweise Herrschaftsgebiet zu verstehen, sodass über die politische Verfasstheit eigentlich nichts zwingend ausgesagt wäre.93 Schließlich wäre noch möglich, dass es sich um eine Stadt handelt, die zu einem Königreich gehört oder die eine Königsstadt oder Hauptstadt ist.94 Insgesamt spielt der Ausdruck keʾaḥat ʿārê hammamlākāh die unterschiedlichsten Bedeutungsebenen ein, die hier assoziiert werden können. Gibeon wird zweifellos als wichtiger Ort gekennzeichnet, der einer königlichen Stadt ebenbürtig ist. Gibeon ist schließlich größer als Ai, was durch einen kî-Satz besonders hervorgehoben wird. Außerdem verfügt Gibeon über hervorragende Krieger.95 Die Bezeichnung gibborîm für die Gibeoniter ist auffällig, da dieser Begriff ansonsten nur für Israel verwendet wird.96
3) 4)
Da im zweiten kî-Satz Gibeon mit der Größe von Ai verglichen wird, könnte dieser Satz redaktionell auf einer Ebene mit dem ersten Objektsatz von V.1 liegen, während die Zuschreibung von Kriegern durchaus zur Beschreibung der besonderen Stärke von Gibeon gehören könnte.97 Auffälligerweise wird der
89
Nach AULD 2005, 159 ist μητροπόλεων eine freie Wiedergabe von ʿārê hammamlākāh. Vgl. auch WOUDSTRA 1981, 169 Anm.3. 91 Im Gegensatz zu HERTZBERG 1985, 72 wird Gibeon nicht als Königsstadt bezeichnet, aber mit einer solchen verglichen. 92 Vgl. auch PITKÄNEN 2010, 218, der den Ausdruck ʿārê hammamlākāh mit „Major towns“ wiedergibt. Nach NOORT 1988, 156 Anm.32 sei dieser Ausdruck in übertragener Bedeutung gebraucht, um die Macht, Stärke und Wehrbarkeit der Stadt zu unterstreichen. 93 Ähnlich EHRLICH 1910, 35. Nach BLENKINSOPP 1972, 31 ist das Nebeneinander von Königsstädten und oligarchisch verfassten Städten nichts Besonderes. Nach EDERER 2017, 167 liegt der Fokus der amoritischen Könige zudem auf königlicher Macht und militärischer Machtausübung. 94 Vgl. hierzu LANGLOIS 2011, 28f. 95 Vgl. HESS 1996a, 206f. 96 Vgl. FRITZ 1994, 112. 97 Vgl. NOORT 1988, 155. 90
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Vergleichssatz mit Ai von LXX und Vetus Latina nicht wiedergegeben.98 Stattdessen werden nur die beiden Sätze des MT übersetzt, die auf die besondere Größe von Gibeon verweisen. Zwar könnte der Vergleichssatz aufgrund von Haplographie ausgefallen sein, da man von wekî zu wekål wechseln konnte,99 aber es wäre ebenso möglich, dass dieser Vergleichssatz die Bedeutung von Gibeon sekundär hervorheben100 und zusätzlich eine Verbindung zu V.1 herstellen soll, wo ebenfalls auf die Tradition von Ai verwiesen wird. Dann wäre dieser Satz in Verbindung mit der Erwähnung von Ai in V.1 entstanden, auch wenn sich dann die Frage stellt, weshalb in V.2 nicht auch die beiden Städte Jericho und Ai aufgenommen worden wären, wenn diese Ergänzung auf einer literarkritischen Ebene erfolgt wäre. Dementsprechend wäre denkbar, dass der Vergleich mit Jericho in V.1 später als die Tradition von Ai eingetragen wurde. Es wird sich jedoch zeigen, dass der Redaktor die in Jos 10 aufgefundene Redeweise „wie er mit X und seinem König verfahren ist, so verfuhr er mit Y und seinem König“ in V.1 verwendet hat. Demnach ist das Fehlen von Jericho in V.2 nicht wirklich signifikant. Die Abfolge von ŠMʿ und YRʾ in V.1–2 ist in den Landnahmeerzählungen durchaus gebräuchlich. In Dtn 2,25 wird beschrieben, wie die Vorbevölkerung schon in Angst ausbricht, wenn sie nur von Israel hört. Ähnlich haben auch die Gibeoniter in Jos 9,24 reagiert und vorsorglich ein Bündnis mit Israel angestrebt. Die amoritischen Könige haben hingegen anders gehandelt und ein Angriffsbündnis gegen Gibeon geschmiedet. Auch die Ergänzung einer Rekapitulation des bisherigen Geschichtsverlaufs in V.1 entspricht der Erzählweise des Josuabuchs, wo immer wieder gehört wird, was während Exodus und Landnahme geschah.101 Schon vor diesem Hintergrund ist die Darstellungsweise in V.1–2 sehr konventionell gehalten. Auf einer ursprünglichen Tradition muss folglich dieser Erzählanfang nicht notwendigerweise beruhen. V.3: Durch die Eintragung der fünf Amoriterkönige mit der jeweiligen Verortung wird der Feldzug auf das südliche Verheißungsland beschränkt.102 Auffälligerweise wird der König von Geser trotz der strategischen Bedeutung dieser Stadt hier nicht genannt.103 Die Eigennamen und Ortsnamen in V.3 werden
98
Nach BEGG 2007, 85 Anm.13 verzichtet auch Josephus in seinen Antiquitates auf den Vergleich mit Ai in Jos 7–8. 99 Dagegen aber HOLMES 1914, 49, dem zufolge die LXX aufgrund ihrer Tendenz zur Erweiterung diesen Satz sicherlich nicht absichtlich gestrichen habe. 100 Vgl. LANGLOIS 2011, 199; GERMANY 2017, 422. 101 Vgl. Jos 2,10; 5,1; 9,3. 102 Vgl. SMEND 1912, 307. 103 Nach WRIGHT 1946, 110 habe sich der König von Geser zunächst aus der Koalition herausgehalten, da er die Gefahr als niedrig einschätzte. Erst viel zu spät habe er in den Konflikt eingegriffen.
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von den Versionen unterschiedlich wiedergegeben.104 Während Vulgata den MT mit kleineren Abweichungen weitgehend unterstützt, überliefert LXXA ganz andere Namen. Von LXXA werden die Eigennamen Αιλαμ anstelle von Hoham,105 Φιδων anstelle von Piram106 und Ιεφθα anstelle von Japhia verwendet. Außerdem wird der Ortsname Οδολλαμ anstelle von Eglon eingetragen.107 Eine ähnliche Tradition wie LXX kennt Vetus Latina, wobei aber hier Cheldeon anstelle von Piram gesetzt wird. Zumindest die Änderung des Ortsnamens Eglon ist erklärungsbedürftig. An fast allen Stellen in Jos 10, die die Stadt Eglon nennen, verwendet LXX den Ortsnamen Οδολλαμ und identifiziert diesen Ort demnach mit dem besser bekannten Adullam.108 Möglicherweise geht die Lesart Adullam auf einen abweichenden hebräischen Text zurück,109 der vom griechischen Übersetzer verwendet wurde. Hier könnte sich somit zeigen, dass die Überlieferung über die feindlichen kanaanäischen Städte noch nicht vereinheitlicht war.110 Es hat folglich den Anschein, dass gerade die Feindkonstellation noch nicht definitiv festgelegt war. Allerdings wäre es auch möglich, dass der Konsonant גdes Toponyms Eglon bei nachlässiger Arbeit zu einem דverlesen worden wäre, während der abschließende Konsonant n zu m verhört worden wäre.111 Insofern ist fraglich, ob die Lesart Adullam tatsächlich auf einen anderen Text zurückgehen muss. Außerdem wäre denkbar, dass der griechische Übersetzer den ansonsten unbekannten Ort Eglon absichtlich mit dem besser bekannten Ort Adullam ersetzt hat, der zudem topographisch bestens passt.112 Eine Änderung des ursprünglichen Textes ist somit nicht erforderlich.
104
Zur sprachlichen Einordnung der Eigennamen vgl. HESS 1996a, 32; HESS 1999, 32f. Der Name Hoham könnte eine korrupte Lesart von Horam aus V.33 sein, auch wenn dort der König von Lachisch im Blick ist, vgl. GRAY 1986, 107. Der Name Αιλαμ ist zudem in V.33 die griechische Transkription von Horam, dem König von Geser. 106 Der Name Φιδων lässt sich als innerhebräische Verwechslung von d und r erklären, wobei der abschließende Konsonant m zu n verhört worden wäre, vgl. BOLING 1982, 275. Nach GREENSPOON 1983, 69 wären beide Konsonanten innerhebräisch vertauscht worden oder der LXX-Übersetzer hätte hier Piram als Pidam gelesen. 107 Zumindest die ersten drei Abweichungen lassen sich vermutlich als Verlesungen deuten, vgl. AULD 2005, 159. 108 Vgl. Jos 10,3.5.23.34.37. Nur in V.36 verzichtet LXX auf die Wiedergabe des Ausgangspunktes. 109 Vgl. BARR 1990, 59; AULD 2005, 159f. Dagegen aber mit guten Gründen GREENSPOON 1983, 170f.; YOUNGER 1995, 263. 110 Diese Varianz in der Textüberlieferung zeigt sich auch in der LXX-Wiedergabe der Amoriter als Jebusiter in V.5, vgl. RUDOLPH 1938, 209 Anm.1. 111 Vgl. BOLING 1982, 276. Kritisch hierzu aber BARR 1990, 59. 112 Vgl. LANGLOIS 2011, 200f. 105
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Da die gleiche Abfolge der Ortsnamen (Jerusalem, Hebron, Jarmut, Lachisch, Eglon)113 in Jos 12,10–13 ebenfalls zu finden ist, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese Liste von dort übernommen wurde.114 Allerdings sind die literarischen Abhängigkeitsverhältnisse fraglich. Möglicherweise ging die ursprüngliche Tradition von fünf Amoriterkönigen aus, die noch nicht bestimmten Orten zugewiesen waren. Dann hätte eine dtr. Hand die Städte aus Jos 12 hier nachträglich eingetragen.115 Die Fünfzahl der feindlichen Könige mag auf eine folkloristische Tradition zurückgehen.116 Außerdem ist die Fünfzahl mnemotechnisch wertvoll.117 Hinzu kommt, dass die Fünfzahl ursprünglich aus der Makkedaerzählung stammen könnte,118 wo dieses Element auch ausweislich der fünf Pfähle bestens verortet ist. Darüber hinaus gehört die Zahl fünf fest zu der ätiologisch orientierten Makkedaerzählung, da zweimal „diese fünf Könige“ genannt werden.119 Vor diesem Hintergrund scheint es naheliegend zu sein, dass die Fünfzahl der Städte aus der Makkedaerzählung und die Namen dieser Städte aus Jos 12 stammen. Diese literarischen Verbindungslinien müssen bei der redaktionsgeschichtlichen Arbeit folglich berücksichtigt werden. Hinzu kommt, dass die Fünfzahl schon im Bündnis zwischen Israel und der gibeonitischen Tetrapolis (Jos 9,17) belegt ist120 und demnach auch für die Gibeonerzählung nicht ungewöhnlich ist. Dementsprechend kämpfen fünf amoritische Städte gegen fünf Bündnispartner. Nun kämpfen somit Jerusalem und weitere vier Städte unter der Führung Adonizedeks gegen Israel und weitere vier Städte unter dem Befehl Josuas. Bisweilen wird sogar vermutet, dass es ursprünglich sechs Könige waren, zumal Debir eigentlich ein Ortsname und kein Personenname ist. Dann hätte man vier Namen der Könige und zwei weitere Orte, deren Könige nicht genannt werden.121 Dann hätte man aber nachträglich die Tradition der sechs Könige mit der Fünfzahl aus der Makkedaerzählung abgleichen müssen, was zu dieser Verwechslung geführt habe.122 Eine Ausweitung auf sechs Könige muss aber hypothetisch bleiben, zumal der Rückhalt im Text gering ist. 113 Nach HESS 1996a, 208 Anm.232 habe es zudem den Anschein, dass die Ortsnamen nicht nach einem geographischen Muster angeordnet sind, sondern alphabetisch. 114 Vgl. FRITZ 1994, 110. Zu einer Verbindung dieser beiden Texte des Josuabuches vgl. schon ELLIGER 1934, 53 Anm.2. 115 Vgl. NELSON 1997, 140. 116 Vgl. NELSON 1997, 140, der auf Gen 14,2; 47,2; 1Sam 17,40 und Jos 13,21 verweist. 117 Vgl. GRAY 1986, 103. 118 Vgl. RÖSEL 1976, 505; FRITZ 1994, 109. Ähnlich schon NOTH 1971b, 283 Anm.7, da erst mit der Fünfzahl der Bäume auch die Fünfzahl der Könige festgelegt wurde. 119 Jos 10,22.23. 120 Vgl. hierzu HARSTAD 2004, 407. 121 Zur Vermutung, dass es ursprünglich sechs Könige gewesen sind, vgl. SOGGIN 1982, 129; LAUGHLIN 2015, 140. 122 Vgl. LAUGHLIN 2015, 141.
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Die Eigennamen der fünf Amoriterkönige lassen sich unterschiedlich deuten. Die Namen Hoham und Piram werden immer wieder als nicht-semitisch, näherhin als hurritisch klassifiziert.123 Bisweilen wird eine arabische Etymologie vorgeschlagen, zumal es für Hoham und Piram auch Namensvertreter im arabischen Bereich gibt.124 Bei einer semitischen Etymologie sind diese beiden Namen aber nach Abzug der -am-Endung nicht besonders schmeichelhaft, zumal Hoham mit dem Lexem howāh „Verderben“ und Piram mit dem Wort pæræʾ „Wildesel“ verbunden werden können.125 Bei Debir, dem Namen des Königs von Eglon, werden zudem unterschiedliche Schreibweisen verwendet: Δαβιρ in LXXA, Δαβιν in LXXB,126 Debam in Vetus Latina. Diese Differenzen weisen aber nicht zwingend auf eine andere Namensform hin. Problematischer ist hingegen, dass Debir eigentlich ein Ortsname ist, der hier fälschlicherweise zu einem Personennamen mutierte.127 Allerdings ist es auch nicht ausgeschlossen, dass hier tatsächlich ein Eigenname vorliegt. Denn es könnte sich zum einen um die hebräische Form des anatolischen Titels dapara „Herr, Gouverneur“ handeln.128 Zum anderen wäre auch eine semitische Ableitung nicht ausgeschlossen, da dieser Name von einer Wurzel DBR „anführen“ abgeleitet werden könnte. Dann handelt es sich um ein Hypokoristikon mit Ausfall des theophoren Elements „Geführt durch X“.129 V.4: Die Aufforderung an die anderen kanaanäischen Stadtkönige wird in Vetus Latina und LXX noch zusätzlich durch ein weiteres Element verstärkt (venite beziehungsweise Δεῦτε), um die Dringlichkeit des gemeinsamen Vorgehens gegen Gibeon einzuschärfen. Schon MT verstärkt die Aussage durch einen dreifachen Aufruf mit ʿLY, ʿZR und NKY, wobei die ersten beiden Formen Imperative sind und bei NKY ein Finalsatz mit w-yiqtol gebildet wird. Das Ziel des Aufrufs ist der Sieg über eine ebenfalls dreifache Größe (Gibeon–Josua–Söhne Israels). Die Verwendung einer dreifachen Wiederholung ist zudem ein beliebtes semitisches Stilmittel.130 Außerdem ähnelt der Aufruf Adonizedeks dem Bittgesuch der Gibeoniter, die ebenfalls eine Trias mit Imperativen der Verben ʿLY, YŠʿ und ʿZR verwenden und mit dem Verb YŠʿ zudem auf den Namen Josuas anspielen. 123 Vgl. HESS 1996b, 209f.; HARSTAD 2004, 405; HESS 2021, 417. Der Name Hoham könnte nämlich von der hurritischen Wurzel ḫuḫ(ḫ)a „Großvater“ abzuleiten sein. Allerdings klingt der Name Hoham auch an die Verwirrung der Amoriter in V.10 an, dort ausgedrückt mit der Wurzel HMM, vgl. VAN BEKKUM 2011, 112; DOZEMAN 2015, 429. 124 Vgl. hierzu HOLZINGER 1901, 38. 125 Vgl. KNAUF 2008, 98. Anders hingegen VAN BEKKUM 2011, 112. 126 Nach COLESON 2012, 99 werden angeblich die beiden Konsonanten רund ןbisweilen verwechselt. 127 Vgl. zum Problem MILLER/TUCKER 1974, 83; BOLING 1982, 280; SOGGIN 1982, 123; BARR 1990, 55f.; KNAUF 2010b, 506. Nach ZIESE 2008, 215 Anm.13 ist Debir eher ein Ortsname als ein Personenname. 128 Vgl. BOLING 1982, 293. 129 Vgl. zur Ableitung auch HESS 1996b, 208; VAN BEKKUM 2011, 113. 130 Vgl. zu diesem Stilmittel HESS 1998, 364–366.
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Das Verb ʿLY muss hier nicht im militärischen Sinne verstanden werden, da man nach Jerusalem in der Tat hinaufziehen muss.131 Auch ein Zielpunkt des Hinaufsteigens ist eigentlich nicht nötig, da ʿLY + min auch ohne direktive Präpositionalverbindung stehen kann.132 Zumindest im vorliegenden Fall ist das Ziel des Hinaufziehens durch den Kontext klar angegeben. Schließlich schildert Adonizedek den Grund für das angestrebte Bündnis. Da sich Gibeon mit Israel verbündet hat, muss diese Stadt bestraft werden. Eine mögliche Auseinandersetzung mit Israel oder auch eine von Israel ausgehende Gefahr wird im Gegensatz zu V.1 nicht in den Blick genommen. Wie schon in V.1 gibt Vulgata das Verb ŠLM-H auch hier mit transfugere „überlaufen“ wieder. Auf diese Weise wird ausgedrückt, dass die Gibeoniter den zuvor in Jos 9,1–2 geschlossenen Bund zur Abwehr der Invasoren freiwillig verlassen haben, was unbedingt bestraft werden muss. Während die meisten Versionen den Ausdruck benê Yiśrāʾel „Söhne Israel“ bezeugen, fehlt in 4QJosha das nomen regens benê, ohne dass es hierfür eine einleuchtende Erklärung gibt. Vielleicht wollte der Schreiber von 4QJosha an die übrigen Stellen in Jos 10 angleichen, wo ebenfalls meist nur Yiśrāʾel steht.133 Denn für eine sekundäre Ergänzung gibt es keinen einleuchtenden Grund. Ob zudem die Differenzierung zwischen benê Yiśrāʾel und Yiśrāʾel literarkritisch relevant ist, muss an anderer Stelle diskutiert werden. V.5: Während MT und Vulgata die Reaktion der kanaanäischen Könige mit zwei Verben beschreiben (ʾSF und ʿLY beziehungsweise congregati igitur ascenderunt), verzichten Vetus Latina und LXX auf die Beschreibung der Versammlung der Könige.134 Allerdings ist die doppelte Aussage des MT und der Vulgata durchaus sinnvoll, da auf diese Weise der Aufruf aus V.4 ausgeführt wird, indem man sich zunächst versammelt und danach gemeinsam gegen die abtrünnige Stadt Gibeon vorgeht. Durch den Vorstoß gegen Gibeon kann zum einen der Vormarsch Israels auf das Bergland gestoppt und die abtrünnige Stadt bestraft werden.135 Vermutlich ist bei Vetus Latina und LXX die erste wayyiqtol-Form aufgrund von Haplographie entfallen. Denn eine nachträgliche Erweiterung lässt sich kaum begründen. Die Könige der Amoriter136 des MT werden von LXX zu Königen der Jebusiter gemacht (οἱ πέντε βασιλεῖς τῶν Ιεβουσαίων). Auf diese Weise wird die feindliche Koalition noch enger mit dem Jerusalemer Anführer verbunden.
131
Vgl. HARSTAD 2004, 406. Vgl. RAKE 2006, 118 Anm.382. 133 Vgl. Jos 10,1.10.11.14.15.29.30.31.32.34.36.38.40.42.43. Nur in Jos 10,11.12.20.21 wird benê Yiśrāʾel verwendet, in Jos 10,24 sogar ʾîš Yiśrāʾel. 134 Vgl. zum textkritischen Problem DE TROYER 2018, 162f. 135 Vgl. MILLER/TUCKER 1974, 83. 136 Nach BOLING 1982, 276 handelt es sich bei ʾæmorî nicht um ein Gentiliz, sondern um eine geographische Bezeichnung („westlich“). 132
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Denn nach den biblischen Texten haben in Jerusalem Jebusiter gesiedelt,137 worauf auch der alternative Name Jebus für Jerusalem hinweist. Problematisch ist aber der Umstand, dass man nicht auch die anderen beiden Stellen, die die Amoriter erwähnen, auf diese Weise verändert hat. Dementsprechend wäre es durchaus möglich, dass im ursprünglichen Text durchaus Jebusiter in V.5 stand und dies somit die ursprüngliche Lesart war.138 Dann wäre es zunächst eine jerusalemer/jebusitische Unternehmung gewesen. Durch den Hinweis auf eine Koalition von feindlichen Stadtkönigen wurde zum einen die Gefahr für Israel gesteigert und zum anderen die Möglichkeit geschaffen, dass mit einem Schlag erzählerisch ein größeres Gebiet erobert werden konnte.139 Der Ausdruck malkê hāʾæmorî ist jedoch auffällig. Denn diese Bezeichnung wird nur in Jos 10 und Jos 5,1 mit westjordanischen Königen verbunden. Ansonsten bezieht sich malkê hāʾæmorî auf die beiden ostjordanischen Könige Sihon und Og.140 Vielleicht soll aufgrund dieser Wortwahl bereits das Schicksal dieser beiden feindlichen Könige eingespielt werden. Wie schon die beiden Amoriterkönige Sihon und Og gegen Israel untergegangen sind, so wird es auch den westjordanischen Amoritern ergehen. Da die zu den amoritischen Königen gehörigen Städte im Bergland und in der Schefela liegen, bezieht sich die Bezeichnung Amoriter in Jos 10 vermutlich auf Kanaanäer im Allgemeinen.141 Vermutlich haben die biblischen Autoren den Begriff „Amoriter“ aus assyrischen und babylonischen Quellen übernommen und ihn als archaische Bezeichnung für die vorisraelitischen Bewohner Palästinas interpretiert.142 Die Bezeichnung „Amoriter“ steht hier jedenfalls für die bösen Urvölker. Um das Verheißungsland dauerhaft zu erhalten, müsse man sich von den religiösen Praktiken der Amoriter absetzen. Die Aufzählung der einzelnen Könige wird von LXX und Peschitta mit einer Konjunktion syndetisch verbunden.143 Im Gegensatz dazu stellen MT und Vulgata die Könige ohne Konjunktion nebeneinander. Vermutlich ist die syndetische Lesart eine nachträgliche Erleichterung. LXX überliefert anstelle von wekål maḥanêhæm „und die Gesamtheit ihrer Heerlager“ καὶ πᾶς ὁ λαὸς αὐτῶν und übersetzt möglicherweise nicht den Begriff maḥanæh, sondern vielleicht aufgrund von λαὸς das Wort ʿam.144 Allerdings 137 Auch VAN BEKKUM 2011, 113 vermutet aufgrund der Nachbarschaft der Ereignisse zu Jerusalem, dass hier bewusst zu Jebusiter verändert wurde. Schon Augustinus, Quaestiones Iesu Nave 15 deutet die Amoriter zum einen als ein bestimmtes Volk, zum anderen als Kollektivbegriff für alle Bewohner des Verheißungslandes, vgl. GROSS 2018, 414f. 138 Vgl. LANGLOIS 2011, 201f. 139 Vgl. NELSON 1997, 140. 140 Vgl. hierzu HESS 1996a, 210; HUBBARD 2009, 292 Anm.41. 141 Vgl. HUBBARD 2009, 292 Anm.41. 142 Vgl. VAN SETERS 1972, 78. 143 Vgl. HOLZINGER 1901, 34. 144 Vgl. BOLING 1982, 276.
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kann λαὸς ebenfalls das Kriegsvolk bezeichnen, sodass die Differenz zu maḥanæh nicht erheblich ist. Hinzu kommt, dass auch der Alternativbegriff ʿam mit Kriegsvolk wiedergegeben werden kann. Vulgata verzichtet zudem auf den All-Quantor kål,145 ohne dass es hierfür einen einleuchtenden Grund gibt. Die Verbindung der beiden Verben ḤNY „lagern“ und LḤM „kämpfen“ ist fast ausschließlich in den Eroberungserzählungen in Jos 10–11 zu finden.146 Mit dieser Wortwahl wird die reguläre Abfolge einer Belagerung ausgedrückt. Durch die Verbindung von ḤNY „lagern“ mit der Präposition ʿal wird darüber hinaus nicht nur ein friedliches Lagern, sondern eine Belagerung ausgedrückt.147 Der Entschluss der fünf Könige zu einer Koalition gegen Gibeon und Israel hebt sich zudem von der Entscheidung der Gibeoniter ab,148 die erfolgreich ein Bündnis mit Israel abgeschlossen haben.149 V.6: LXX gibt ʾanšê Gibʿôn wie zuvor yošbê Gibʿôn mit dem gleichen Wort οἱ κατοικοῦντες Γαβαων wieder, wobei nicht klar ist, ob der MT in V.6 analog zu V.1 zu ändern wäre. Möglicherweise ist dies eine Anpassung der LXX an die übrigen Stellen. Allerdings könnte die Differenzierung des MTs auch sachlich begründet sein, da nämlich der Bund mit den Bewohnern Gibeons geschlossen wurde, hier aber die Krieger Gibeons im Blick sind.150 Auch Vetus Latina gleicht an dieser Stelle an V.1 an (qui habitabant). Darüber hinaus „wohnen“ die Gibeoniter nach Vetus Latina in ihrer Stadt, während die kanaanäischen Könige lediglich auf dem Gebirge „verweilen“ (qui commorantur in montanis). Ein festes Wohnrecht wird damit den Amoritern nicht zugesprochen. Darüber hinaus verstärkt Vulgata noch das Bedrohungspotential, indem neben Gabaon noch zusätzlich urbis obsessae gefügt wird. Das Lager wird von LXX und Vetus Latina zusätzlich präzisiert, indem Israel ergänzt wird (εἰς τὴν παρεμβολὴν Ισραηλ beziehungsweise in castra Istrahel). Die Ortsangabe der Gesandtschaft der Gibeoniter wird durch drei Ausdrücke näher spezifiziert („zu Josua“, „zum Lager“ und „nach Gilgal“), was zwar nicht ungewöhnlich ist,151 aber doch reichlich überladen wirkt. Fraglich ist, welches 145
Vgl. auch HOLZINGER 1901, 34. Vgl. Jos 10,5.31.34; Jos 11,5. Darüber hinaus noch in Ri 11,20. Nach VAN BEKKUM 2011, 146 Anm.80 ist die Wurzel ḤNY zudem in kriegerischen und friedlichen Kontexten belegt. WAZANA 2019, 129 verweist auf die ähnliche Idiomatik der Zakkurstele (KAI 202:5–7), die ebenfalls das Wort maḥanӕh zur Bezeichnung des Heerlagers verwendet. 147 Vgl. HARSTAD 2004, 406. Auch nach LANGLOIS 2011, 30 ist die Präposition adversativ und nicht lokal im Sinne von „oberhalb von Gibeon“ zu verstehen. 148 Ob der Entschluss der feindlichen Könige allerdings einer Ablehnung YHWHs entspricht, so HUBBARD 2009, 292, ist fraglich. 149 Nach WILSON 2013, 322f. hat dieser Bundesschluss eine Reihe von weiteren Ereignissen ausgelöst, infolgedessen die Israeliten unter Josua das Verheißungsland einnehmen konnten. 150 Vgl. VAN BEKKUM 2011, 113. 151 Vgl. Jos 9,6; 10,21 (Makkeda); 18,9 (Schilo). Ohne Josua in Jos 10,15.43. Nach BEGG 2007, 86 Anm.18 lokalisiert Josephus in seinen Antiquitates den Angriff an einer Quelle bei Gibeon, was auf die Verlesung der Präposition ʿal zu ʿayn „Quelle“ zurückgeführt werden könnte. 146
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Gilgal hier ursprünglich gemeint war. Gelegentlich wird an den Ort Gilgal bei Sichem gedacht, da dann trotz der größeren Entfernung zu Gibeon nicht ein gewaltiger Höhenunterschied bewältigt werden musste.152 Interessanterweise wird der Ortsname Gilgal im Josuabuch nur in Jos 10 mit he locale verbunden,153 wobei hier immer eine direktive Bedeutung und nicht ein abweichender Name Gilgālāh vorliegt. Dies vermutet aber LXX. Denn die Namensform Gilgālāh wird in der Übersetzung der LXX in den Landeroberungserzählungen stets als Γαλγαλα transkribiert,154 sodass das Lager der Israeliten nach LXX in einem Ort Galgala zu suchen ist, der von Gilgal mitunter differenziert wird. Dies drückt zum einen eine gewisse Distanzierung zu Gilgal aus, zum anderen setzt dies aber auch die Ursprünglichkeit von V.15 und V.43 voraus, wo das Lager gemäß MT explizit in Gilgālāh verortet wird. Hinzu kommt, dass der Ortsname Gilgal in MT mit Artikel zusätzlich determiniert ist, was darauf hindeuten könnte, dass es sich um einen anderen Ort als das Lager bei Jericho handeln könnte.155 Ob allerdings für eine derartige Differenzierung die durchgängige Lesart von Gilgal als Gilgālāh in LXX hinreichend ist, ist fraglich. Möglicherweise ist zudem die Ortsangabe Gilgal erst redaktionell eingedrungen. Dies würde dann auch erklären, dass die großen Marschleistungen des israelitischen Heeres erst auf dieser redaktionellen Ebene entstanden sind.156 Durch die Verwendung der Wurzel RPY „aufgeben“ erwarten die Gibeoniter von Josua, dass er ähnlich wie YHWH eintritt, der ebenfalls die Israeliten nicht im Stich lassen wird.157 Während aber an den parallelen Stellen auf eine dauerhafte Eigenschaft YHWHs verwiesen wird, wenden sich die Gibeoniter mit einem Vetitiv an Josua, dass er sie in der genannten Bedrohungssituation nicht aufgeben möge. In profanem Kontext wird RPY-H + yad als Formel verwendet, die das Schlaffwerden der Hände in den Blick nimmt,158 wobei yad die militärische Stärke Israels symbolisiert. Auffällig ist die Pluralform yādæ̂kā des MT,159 zumal einige Handschriften hier die ansonsten gebräuchliche Singularform yādkā belegen.160 Da die Pluralform aber inhaltlich nicht problematisch ist, muss diese Besonderheit nicht zu textkritischen Veränderungen führen. 152
Vgl. RUDOLPH 1938, 205 Anm.4. Jos 10,6.15.43. 154 Vgl. auch die Übersicht bei DE TROYER 2016, 77. 155 Vgl. HARSTAD 2004, 409. 156 Vgl. KNAUF 2008, 99. WAZANA 2014, 15–17 weist darauf hin, dass die Eroberung noch nicht zur Besiedlung führte, da die Israeliten nach dem Sieg immer wieder das zentrale Lager aufsuchten. Landeroberung und Landverteilung sind somit zwei getrennte Phasen der Landnahme. 157 Dtn 4,31; 31,6.8; Jos 1,5; 10,6. Nach FLEMING 2012, 137 Anm.15 liegt hier ein narratives Muster vor, mit dem die lokale Bevölkerung menschlich dargestellt werden soll. 158 Jos 10,6; 2Sam 24,16; 1Chr 21,15; mit G-Stamm in 2Sam 4,1; 2Chr 15,7; Neh 6,9; Jes 13,7; Jer 6,24; 50,43; Ez 7,17; 21,12; Zef 3,16. 159 Vgl. EHRLICH 1910, 35. 160 Vgl. HOLZINGER 1901, 34. 153
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Vielmehr haben wohl die Handschriften die besser bezeugte Singularform bevorzugt. In V.6 wird zwar nicht auf den zuvor in Jos 9 geschlossenen Vertrag hingewiesen, aber dieses Bündnis bildet in der Erzählung die rechtliche Grundlage für das Hilfegesuch der Gibeoniter und das Eingreifen Josuas.161 Die Aufforderung der Gibeoniter setzt somit Jos 9 voraus, wo zwischen Gibeon und Israel ein Bündnis geschlossen wurde. Erst aus diesem Grund können sich die Gibeoniter an Josua wenden, um als Untergebene Schutz zu erhalten. Auch die Selbstbezeichnung der Gibeoniter als ʿabādæ̂kā weist darauf hin, dass die Gibeoniter als Vasallen Israels die Schutzverpflichtung bei Josua nun einfordern.162 Allerdings wird die nach Dtn 20 nicht unproblematische Verbindung zwischen den Gibeonitern und Josua nicht wie in Jos 9 kritisiert.163 Auffälligerweise wird das Hilfegesuch der Gibeoniter ähnlich wie der Aufruf zur feindlichen Allianz von Adonizedek beschrieben und bildet einen gewichtigen Kontrast. Denn bei Josua steht zusätzlich noch das Verb YŠʿ, sodass Josua aufgerufen wird zu bewahren und nicht wie die amoritischen Könige zu zerstören.164 Auch wenn die Anfrage der Gibeoniter zum Teil dem Aufruf Adonizedeks zu einer Koalition entspricht, wird hier durch den Vetitiv, die drei Imperative, das Adverb meherāh „eilends“ sowie die übertriebene Darstellung des Feindes („Gesamtheit der Könige…“) auf die Dringlichkeit der Hilfe Josuas hingewiesen.165 Die beiden Begriffe YŠʿ „erweitern“ und ʿZR „einfrieden“166 beziehen sich auf die Hilfe im Krieg oder bei einer anderen Bedrängnis. Durch die „Erweiterung“ wird ausgedrückt, dass die Einfriedung eigentlich gar nicht mehr nötig wäre und man vor Feinden geschützt ist. Allerdings ist die Bedeutung von YŠʿ „erweitern“ nicht ohne Probleme, da eine etymologische Verbindung zu arab. wasiʿa „geräumig sein“ zweifelhaft ist.167 Hinzu kommt, dass beide Verben 161
Vgl. WOUDSTRA 1981, 171. Nach FORD 2015, 205 wird die Reaktion der Gibeoniter ausweislich dieses Hilfegesuchs im Gegensatz zu den Kanaanäern sehr positiv gegenüber Israel und YHWH bewertet. 162 Vgl. HAWK 2000, 151. 163 Vgl. auch NOORT 2007, 388. 164 Vgl. HESS 1996a, 210f.; YOUNGER 2008, 9 Anm.9. Nach FARBER 2016, 54 liegt mit der Verwendung der Wurzel YŠʿ ein Wortspiel mit dem Namen Josua vor. 165 Vgl. HUBBARD 2009, 292f. 166 Vgl. zu diesen vielleicht ursprünglichen Bedeutungen schon EHRLICH 1910, 35f. Das Verb ʿZR kann für die Bitte um militärische Unterstützung und für die Hilfe Gottes im Krieg stehen, vgl. FRITZ 1994, 110f. Nach DAVID 1990, 211 deutet das Verb ʿZR auf einen nachexilischen Zusatz hin. SAWYER 1983, 1048f. weist darauf hin, dass das Verb YŠʿ die Hilfsverpflichtung für einen Bundesgenossen impliziert. Die Aufforderung der Gibeoniter zur Hilfe wird zudem nicht von Josua, sondern von Gott beantwortet. Zur rechtlichen Verpflichtung bei YŠʿ vgl. auch HUBBARD 1997, 557. Nach WAZANA 2019, 125 verweist das Verb ʿZR auf die Bildung einer Koalition, wobei es auch parallele Formulierungen in neuassyrischen Texten gibt. 167 Vgl. STOLZ 1971b, 786; SAWYER 1982, 1037.
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ansonsten in der Regel in der umgekehrten Reihenfolge ʿZR–YŠʿ begegnen, sodass eine Einfriedung zu einer Erweiterung der Lebensmöglichkeiten führt. Angesichts dieser abweichenden Abfolge könnte stattdessen weḥûšāh von der Wurzel ḤūŠ „eilen“ anstelle von wehôšîʿāh zu lesen sein.168 Ob man aber nur aufgrund der auffälligen Anordnung der beiden Verben textkritisch eingreifen muss, ist fraglich. In ihrer Bitte verweisen die Gibeoniter nicht nur auf das Fünferbündnis, sondern auf kål malkê hāʾæmorî yošbê hāhār. Vermutlich soll durch diese Übertreibung die Dringlichkeit des Gesuchs unterstrichen werden. Insofern muss hier nicht mit einer notwendig korrekten Angabe zu rechnen sein. Somit erübrigt es sich, dass der All-Quantor kål andeuten soll, dass die fünf Könige bereits die Gesamtheit der Amoriter repräsentieren. Außerdem ist es eher unwahrscheinlich, die Amoriter in dem Sinne auf die genannten fünf Städte zu beschränken, dass nur in den fünf Städten Amoriter herrschen würden. Auch dass diese Städte die einzigen und wichtigsten Zentren des südlichen Verheißungslandes gewesen sind, ist vor dem Hintergrund von V.28–39 auszuschließen, da dort andere wichtige Städte ebenfalls angegriffen werden.169 Hinzu kommt, dass die fünf Orte nicht allesamt auf dem Bergland, sondern auch in der Schefela zu finden sind. Die appositionelle Näherbestimmung yošbê hāhār ist demnach problematisch, da nur Jerusalem und Hebron auf dem judäischen Gebirge liegen, während sich die anderen drei Städte im vorgelagerten Hügelland befinden. Angesichts der genannten Beobachtungen könnte es sich bei der Apposition kål malkê hāʾæmorî yošbê hāhār um einen Zusatz handeln.170 Die Zuschreibung der Amoriter zum Bergland wird wohl auf Num 13,29 beziehungsweise Dtn 1,7.19.44 beruhen, wo die Amoriter explizit mit dem Gebirge verbunden werden. Vielleicht sollte mit dieser Näherbestimmung ausgedrückt werden, dass die Hauptmacht der Amoriter auf dem Gebirge zu suchen ist.171 V.7: Offenbar ist nach V.7 nur das Kriegsvolk unter Josua nach Gibeon aufgebrochen, um die verbündete Stadt militärisch zu unterstützen. Dies steht in gewisser Spannung zu V.15 als Josua wekål Yiśrāʾel nach Gilgal zurückkehren.172 Vetus Latina und Vulgata verzichten auf das verstärkende hûʾ, das appositionell zum Hauptsatz gefügt ist. Auf diese Weise wird die etwas holprige Syntax des MT vereinfacht. Der Ausdruck ʿam hammilḥāmāh „Kriegsvolk“ ist zudem nur im Josuabuch im Rahmen der Eroberung des Verheißungslandes belegt.173 Es
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Vgl. EHRLICH 1910, 36. Vgl. hierzu HESS 1996a, 211. 170 Vgl. schon DILLMANN 1886, 486, der hier ein generalisierendes Epitheton für Amoriter annimmt. 171 Vgl. OETTLI 1893, 156. 172 Diese Spannung übersieht DE TROYER 2005, 65 Anm.43, die davon ausgeht, dass ganz Israel das Lager verlässt und dorthin wieder zurückkehrt. 173 Jos 8,1.3; 10,7; 11,7. 169
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handelt sich hier um die gesamte Armee. In dtr. Texten wird demgegenüber noch ʾanšê hammilḥāmāh verwendet.174 Der zweite Begriff wekol gibbôrê hāḥāyil kann explikativ auf das zuvor erwähnte „Kriegsvolk“ bezogen werden, sodass hier das Heer Josuas präzise dargestellt wird,175 oder es kann eine weitere Gruppierung meinen, die mit dem Kriegsvolk aufgebrochen ist. Gegen die erste Deutung spricht aber die Syndese, die ein Appositionsverhältnis ausschließt. Möglicherweise ist bei der Konjunktion w von Dittographie auszugehen,176 sodass der letzte Konsonant des vorausgehenden ʿimmô verdoppelt und vor kol gefügt worden wäre. LXX und Vulgata verzichten zumindest auf die Konjunktion. Wenn man diesen textkritischen Weg nicht einschlägt, ist jedoch nur die zweite Option möglich. Somit handelt es sich bei wekol gibbôrê hāḥāyil um die Spezialkräfte, die aus besonders mutigen Soldaten bestehen.177 Ausweislich der Konjunktion ist hier folglich eine weitere Gruppe an Kriegern im Blick, bei denen es sich um Elitekrieger handelt, die zum regulären Heerbann hinzuzuzählen wären. Bisweilen wird der Begriff gibbôrê hāḥāyil als Glosse verstanden, die wie in Jos 6,2 und 8,3 redaktionell hinzugefügt wurde.178 Allerdings ist an diesen beiden Stellen gibbôrê hāḥāyil asyndetisch gefügt und bezieht sich nicht nur auf die israelitischen Elitekrieger. Aufgrund dieser Unterschiede ist es eher unwahrscheinlich, dass wekol gibbôrê hāḥāyil in V.7 mit Blick auf Jos 6,2 und 8,3 redaktionell eingetragen worden wäre. Auffälligerweise wird die Reaktion Josuas und der Israeliten im Gegensatz zu Jos 9 nicht näher geschildert.179 Vielmehr wird sofort nach dem Hilfegesuch entsprechend der Bündnisverpflichtung gehandelt,180 ohne dass der zuvor erschlichene Bundesschluss überhaupt problematisiert wird. Hinzu kommt, dass YHWH im Gegensatz zu Jos 9 mehrfach in die Handlung eingreift und den Sieg über die feindliche Koalition ermöglicht. Auch wenn die Gibeoniter zur indigenen und damit zur Bevölkerung zählen, die unbedingt vernichtet werden musste, war es offenbar nicht von Gott gewollt, dass diese in Gefahr kommen und ausgelöscht werden.181 Durch das Eingreifen Gottes wird gezeigt, dass der 174
Vgl. FRITZ 1994, 111, der auf Jos 5,4.6; 6,3; 10,24 verweist. Vgl. zu einer explikativen Interpretation LLOYD 1886, 136; KNAUF 2011, 99. Nach RÖSEL 2011, 166 hat die LXX diese Deutung offenbar vertreten, da hier nicht die Konjunktion übersetzt wird. KEIL 1847, 174 deutet dies als Apposition, was aber aufgrund der Syndese nicht möglich ist. 176 Vgl. EHRLICH 1910, 36; BOLING 1982, 276. 177 Vgl. LANGLOIS 2011, 32. 178 Vgl. FRITZ 1994, 112; BRIEND 1998, 58 Anm.3; GERMANY 2017, 422. 179 Vgl. FORD 2015, 206. 180 Nach HALL 2010, 165 zeigt dies die besondere Bündnistreue Josuas. Auf diese Weise ähnelt Josua YHWH. Allerdings war dieses Verhalten nach Jos 9 aufgrund des Betrugs nicht unbedingt zu erwarten, vgl. MARGALIT 1992, 467f. 181 Vgl. FORD 2015, 206f. 175
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Bundesbruch Israels durch den Vertragsschluss mit Gibeon von Gott nicht negativ sanktioniert wird, da er auf der Seite von Israel den Sieg gegen die amoritischen Feinde ermöglicht.182 V.8: Im Gegensatz zu Jos 9,14, als man vergessen hat, nach dem Willen YHWHs zu fragen, äußert sich Gott, ohne dass zuvor auf eine Orakelanfrage verwiesen wird.183 Vielmehr schaltet sich Gott ungefragt mit der Ermutigungsund Übereignungsformel ein, um Josua bei seinem Vorhaben mental zu unterstützen. Die Ermutigungsformel ʾal tîrʾāʾ mehæm steht darüber hinaus in merklichem Kontrast zur Furcht der Feinde in V.2.184 Insgesamt werden in V.8 Idiome und inhaltliche Prägungen verwendet, die schon in der Eröffnungsrede an Josua in Jos 1 auftauchen.185 Außerdem scheint V.8 auf Dtn 7,24 anzuspielen, auch wenn die Wortwahl nicht völlig identisch ist: die Übereignung in die Hand Josuas (NTN beyad) und das fehlende Standhalten vor Josua (ʿMD ʾîš befānæ̂kā) finden sich inhaltlich in V.8 und Dtn 7,24, auch wenn in Dtn 7,24 das Verb YṢB anstelle von ʿMD verwendet wird.186 Dementsprechend wird Josua hier explizit all das vorhergesagt, was bereits Israel bei der künftigen Landnahme nach Dtn 7 zugesagt war. Letztendlich greift somit V.8 Idiome aus Dtn 7 und Jos 1 auf und könnte daher redaktionell mit diesen beiden Stellen verbunden werden. Vetus Latina und LXX wechseln im letzten Satz in den Plural (coram vobis beziehungsweise ἐνώπιον ὑμῶν). Während zuvor die Feinde in die Hände Josuas gegeben werden, wird niemand dem Angriff der Israeliten standhalten können. Der letzte Satz wird zudem von einigen hebräischen Handschriften, Peschitta und Targum syndetisch mit Konjunktion angeschlossen,187 was aber nicht notwendig ist, da der Prohibitiv auch ohne Konjunktion folgen kann. LXXB/L haben vermutlich ein anderes Verb im Blick (ὑπολειφθήσεται), da hier offenbar ʿZB „übriglassen“ anstelle von ʿMD wiedergegeben wird.188 Auf diese 182
Vgl. auch HUBBARD 2001, 22f. BOLING 1982, 281 hingegen postuliert eine Befragung mit Urim und Tummim, ohne dass es hierfür einen Anhalt im Text gibt. 184 Die Ermutigungsformel ist zudem als neues Element erst in den neuassyrischen Orakeln zu finden, vgl. hierzu ROWLETT 1996, 116–120. WAZANA 2021, 106 weist zudem darauf hin, dass Israel allein kaum etwas bewirken kann, sondern dass Gott für Israel kämpft. Dementsprechend muss Israel die göttlichen Befehle befolgen, um siegreich zu sein. 185 Vgl. HOWARD 1998, 236 Anm.185. 186 EDERER 2017, 169 weist noch darauf hin, dass in Dtn 7,18 ebenfalls YRʾ steht, aber hier nicht in der Form der Ermutigungsformel. Entgegen EDERER 2017, 170 liegt jedoch in Dtn 7,18 keine Zusage, sondern ein Prohibitiv vor. Die Unterschiede sind somit größer als die Gemeinsamkeiten. Zum Idiom ʿMD lifnê/bifnê „standhalten, bestehen vor jemanden“ vgl. RINGGREN 1989, 200; GROSS 2011, 185 Anm.27. AMSLER 1976, 330f. weist darauf hin, dass ʿMD lifnê die Haltung eines Dieners beschreibt, der vor seinem Herrn steht und dessen Befehle erhält. 187 Vgl. HOLZINGER 1901, 34; BOLING 1982, 276. 188 Vgl. HOLZINGER 1901, 34. 183
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Weise wird die Aussage noch verstärkt, da niemand mehr übriggelassen wird. Vor diesem textkritischen Hintergrund ist MT beizubehalten. V.9: Der Ausdruck Bōʾ pitʾôm „plötzlich kommen“ wird gerne bei einem Überraschungsangriff verwendet.189 Das Adverb pitʾôm ist zudem eine Steigerung von meherāh, mit dem die Gibeoniter Josua in V.6 zum schnellen Eingreifen aufrufen. Josua kommt folglich seiner Bündnisverpflichtung umgehend nach.190 Hinzu kommt, dass die Wortverbindung Bōʾ ʿal eine kriegerische Unternehmung bezeichnet.191 Josua unterstützt somit seinen Bündnispartner militärisch. Ein nächtlicher Marsch von etwa 30 km Länge ist in 8 bis 10 Stunden zu bewältigen,192 sodass die Erzählung durchaus glaubwürdig ist. Allerdings sind nach Jos 9,17 etwa drei Tage notwendig, um Gibeon von Gilgal aus zu erreichen. Vielleicht soll in V.9 die großartige Leistung Josuas unterstrichen werden,193 der in einer Nacht eine derart weite Strecke mit seinem Heer zurücklegen konnte. Bisweilen wird vermutet, dass ein derartiger nächtlicher Gewaltmarsch nur bei Vollmond möglich gewesen wäre.194 Dementsprechend wäre in V.12–13 auch das Stillstehen des Mondes zu verstehen, der für eine ausreichende Beleuchtung des Weges sorgte. Josua verwendet darüber hinaus bei der Eroberung der Stadt Ai nach Jos 8,3 ebenfalls die Taktik eines nächtlichen Gewaltmarsches.195 Dies ist militärstrategisch sinnvoll. Denn ein derartiger Marsch war bei dem trockenen und heißen Wetter in der Nacht leichter zu bewältigen.196 Allerdings wird in V.9 nicht explizit behauptet, dass Josua und sein Heer nur die eine Nacht genutzt haben, um die Distanz zwischen Gilgal und Gibeon zurückzulegen. Es wäre nämlich auch möglich, dass sie nur einen Teil der Strecke in der Nacht gingen.197 Josua wäre somit sofort nach dem Erhalt der Botschaft der belagerten Gibeoniter und demnach bei Tage aufgebrochen und schließlich auch noch in der Nacht marschiert, bevor er dann am Morgen 189 Jos 10,9; 11,7. Ähnlich Jer 18,22. Nach WEIMAR 1976, 58 Anm.58 wird das Wort pitʾôm in Texten verwendet, die im Süden entstanden sind. 190 Vgl. HARSTAD 2004, 410. THIEL 1989, 819 weist darauf hin, dass mit dem Adverb pitʾôm meist unheilvolle Ereignisse beschrieben werden, die plötzlich eintreffen. Allerdings kann dieses Adverb auch im Kontext einer für Israel heilvollen Rettungstat Gottes verwendet werden. 191 Vgl. HOWARD 1998, 236, der auf Gen 32,9 verweist. 192 Vgl. SOGGIN 1982, 127. 193 Vgl. BUTLER 2014, 482. 194 Vgl. WOUDSTRA 1981, 171 Anm.13; HESS 1996a, 216; HARSTAD 2004, 415; MATTHEWS 2016, 94. Gegen derartige Spekulationen aber RÖSEL 2011, 170 Anm.26. 195 Vgl. schon COOKE 1918, 87. 196 Vgl. KANG 1989, 154. 197 Vgl. DILLMANN 1886, 486; STEUERNAGEL 1900, 191. Dagegen aber schon HOLZINGER 1901, 39. In eine ähnliche Richtung deutet Josephus in seinen Antiquitates diese Stelle, wobei er aber auch pitʾom zu pitʾom yôm verlesen haben könnte, vgl. zum Problem BEGG 2007, 87 Anm.25.
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den Kampf überraschend eröffnete.198 In dieser Frage bleibt Jos 10 relativ unbestimmt. 4QJosha liest HLK anstelle von ʿLY des MT, vermutlich um die Bewegung des Heeres Josuas besonders zu betonen. Diese Lesart könnte auch von LXX berücksichtigt sein (εἰσεπορεύθη). Demgegenüber verwendet MT das in Jos 10 ansonsten gebräuchliche Verb ʿLY, das nicht nur das Heraufziehen, sondern auch das kriegerische Heranziehen umfasst.199 Möglicherweise hat ein späterer Redaktor den Text an V.7 angeglichen, wo ebenfalls das besser passende Verb ʿLY steht, zumal man von Gilgal nach Gibeon hinaufziehen musste.200 Dann wäre die Lesart HLK ursprünglich gewesen, während ʿLY lediglich eine sekundäre Harmonisierung mit V.7 gewesen wäre. Eine merkliche inhaltliche Abweichung ist mit dieser Änderung aber kaum verbunden. V.10: Das Lexem HMM-G „verwirren“ wird meist mit göttlichem Subjekt verwendet.201 Dieses Wort gehört somit zur göttlichen Kriegsführung. Gott bringt die Feinde in Verwirrung, damit sie eine leichte Beute für Israel sind. Mit diesem Verb ist etymologisch die Erzeugung von verstörenden und dröhnenden Geräuschen verbunden. Auf diese Weise wird Panik erzeugt, die wiederum laute Geräusche auslöst. Die Vorstellung von der Verwirrung der Feinde hat ihren festen Platz im Zusammenhang des YHWH-Krieges.202 Diese panische Bestürzung der Feinde wird auch als Gottesschrecken bezeichnet. Möglicherweise ist aufgrund der Verwendung von HMM-G ein Bezug von V.10 zur Schilfmeererzählung anzunehmen (Ex 14,24).203 Vielleicht wird die Panik der Feinde aber auch erst durch das Sonnenwunder in V.12–14 ausgelöst, zumal in Ex 14,20 die Verwirrung der Ägypter ebenfalls mit einem Naturwunder verbunden ist, wenn YHWH die Nacht erleuchtet.204 Ob man aber diese beiden Texte tatsächlich miteinander in dieser Weise verbinden darf, ist fraglich. Darüber hinaus löst YHWH in V.10 die in Dtn 7,23 gegebene Zusage ein.205 V.10 könnte folglich auf einer redaktionsgeschichtlichen Ebene mit V.8 liegen.
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Vgl. OETTLI 1983, 156. Vgl. BOLING 1982, 292, der dieses Verb nicht im wörtlichen Sinne verstanden wissen will. Ähnlich schon KEIL 1847, 173; LLOYD 1886, 135. 200 Vgl. LANGLOIS 2011, 204. 201 Ex 14,24; 23,27; Dtn 2,15; Jos 10,10; Ri 4,15; 1Sam 7,10; 2Sam 22,15; 2Chr 15,6; Ps 18,15; 144,6. Zu YHWH als Auslöser der Panik vgl. THEUER 2020, 242. Zur Verwendung von HMM und seinen Derivaten BRIEND 1990, 174f. 202 Vgl. RICHTER 1963, 52f.; STOLZ 1971a, 503f.; MÜLLER 1977, 450–452; O’CONNELL 1997, 1047. 203 Vgl. HAWK 2000, 152; KNAUF 2008, 99. Zu weiteren Verbindungslinien zu Ex 14 vgl. HALL 2010, 182; FARBER 2016, 54. 204 Vgl. auch MARGALIT 1992, 482. 205 Vgl. ZIESE 2008, 216f. Anm.17. HESS 1996a, 213 Anm.243 weist darauf hin, dass in außerbiblischen Texten auch menschliche Agenten die Panik bei den Feinden auslösen können, während hier alles YHWH zugesprochen wird. 199
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Das Präpositionalobjekt des ersten Satzes wird von den Versionen unterschiedlich wiedergegeben. LXXB liest benê Yiśrāʾel „Söhne Israel“ (ἀπὸ προσώπου τῶν υἱῶν Ισραηλ) anstelle von Yiśrāʾel des MT. Dies scheint aber eine sekundäre Entwicklung zu sein, zumal schon Vetus Latina nur Istrahel belegt. Dementsprechend muss im MT benê nicht hinter dem ähnlichen lifnê ausgefallen sein,206 auch wenn eine solche Entwicklung textkritisch durchaus im Bereich des Möglichen liegt. LXX ergänzt im zweiten Satz explizit das Tetragramm, um zu verdeutlichen, dass YHWH die Feinde Israels mit einem großen Schlag vernichtet hat. Vermutlich ist das eine sekundäre Präzisierung durch LXX, auch wenn das Auge des Abschreibers des hebräischen Textes von einem m zum nächsten gesprungen sein könnte (wayyakkem [YHWH] makkāh),207 sodass das Tetragramm durchaus ausfallen konnte. Wahrscheinlich hat LXX demgegenüber den unklaren MT vereindeutigt. Denn durch die Nennung von YHWH wird das unbestimmte Subjekt der entsprechenden Vernichtungshandlung explizit genannt. Interessanterweise könnte das Tetragramm aber auch in 4QJosha belegt sein,208 auch wenn das nicht sicher ist, da man nicht weiß, ob die Lakune dementsprechend gefüllt werden darf. In MT kann hingegen die dritte Person Singular entweder mit Israel oder YHWH verbunden werden,209 sodass der Leser einen gewissen Interpretationsspielraum hat. Im kriegerischen Kontext findet sich das Idiom NKY makkāh gedôlāh, um eine verheerende Niederlage zu beschreiben.210 Es handelt sich hierbei um eine Standardformel für einen umfassenden Sieg.211 Die Abfolge von NKY (V.10) und NūS (V.11) ist darüber hinaus gebräuchlich und findet sich auch in 1Sam 19,8.212 Allerdings ist es aufgrund von 4QJosha ebenso möglich, dass das letzte Verb nicht NKY, sondern BTQ „niederhauen“ war,213 sodass die Beobachtung einer geprägten Abfolge von NKY (V.10) und NūS (V.11) nicht überbewertet werden kann. Hinzu kommt, dass Niederlage und Flucht ohnehin thematisch eng zusammenhängen. Peschitta und Targum setzen bereits im zweiten Satz eine Pluralform,214 um explizit zu verdeutlichen, dass die Israeliten und nicht YHWH allein für die 206
So aber HOLMES 1914, 50; BUTLER 2014, 461. Der Befund der Vetus Latina spricht auch dagegen, dass der altgriechische Text „Söhne Israels“ gelesen hat. Hinzu kommt, dass der Schøyen-Papyrus ebenfalls nur Israel liest, vgl. DE TROYER 2017, 230. Zu diesem Problem vgl. auch DE TROYER 2018, 155. 207 Vgl. BOLING 1982, 276. 208 Vgl. LANGLOIS 2011, 186. 209 Zu dieser Unbestimmtheit vgl. COLESON 2012, 100f. 210 Jos 10,10.20; Ri 11,33; 15,8; 1Sam 6,19; 19,8; 23,5; 1Kön 20,21; 2Chr 28,5. Vgl. hierzu auch GASS 2019a, 33. 211 Vgl. FRITZ 1994, 111. 212 Vgl. hierzu WEHRLE 1999, 199. 213 Vgl. LANGLOIS 2011, 186. 214 Vgl. BUTLER 2014, 461.
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Vernichtung des Feindes zuständig sind. Die singularische Verbalform lässt sich demgegenüber auf YHWH, Josua oder Israel als Kollektiv beziehen.215 Die Lesart der Versionen ist folglich eine Vereindeutigung eines missverständlichen Textes, durch die YHWH entlastet wird. Vetus Latina und LXX versetzen die beiden Singularformen des MT RDP und NKY im dritten und vierten Satz ebenfalls in den Plural (persecuti sunt und trucidabant beziehungsweise κατεδίωξαν und κατέκοπτον).216 Auf ähnliche Weise denken auch Peschitta und Targum in diesen beiden Sätzen an Pluralformen.217 Demnach verdeutlichen viele Versionen, dass die ersten beiden Handlungen von YHWH vollzogen werden, während die Verfolgung und Auslöschung des fliehenden Feindes Sache der Israeliten ist.218 Das Verb NKY-H wird zudem im Josuabuch sowohl mit menschlichem (Josua und Israeliten) wie auch göttlichem Subjekt (YHWH) verwendet,219 während RDP abgesehen von hier nie mit YHWH verbunden wird,220 sodass spätestens ab wayyirdefem Josua oder das Kollektiv der Israeliten als Subjekt eintreten könnte. Allerdings ist auffällig, dass Israel aufgrund der Formulierung in V.10 (lifnê Yiśrāʾel) und V.11 (mippenê Yiśrāʾel) nicht explizit als Subjekt auftritt, sodass hier tatsächlich in allen vier Sätzen die Aktivität YHWHs anzunehmen ist, während Israel dem Vernichtungshandeln Gottes lediglich beiwohnt und vielleicht die restliche Arbeit verrichtet.221 In diesem Sinne ist Israel lediglich Zeuge für die Geschichtsmächtigkeit Gottes, die sich im Sieg über die mächtigen Feinde zeigt.222 Hinzu kommt, dass in der ähnlichen Stelle in Jos 11,8 im MT von Singular zu Plural gewechselt wird, sodass dort die eigentliche Vernichtung von den Israeliten und nicht mehr von YHWH vollzogen wird.223 In V.10 hingegen behält MT den Singular bei, sodass abgesehen von der Singularform auch der Kontext des Josuabuchs nahelegt, dass nur YHWH als Subjekt des Vernichtungshandelns in Frage kommen kann. LXX liest anstelle von Bet-Horon hier und im folgenden V.11 den Ort Horonaim (Ωρωνιν), der ansonsten in Moab lokalisiert wird.224 Vielleicht ist 215 YOUNGER 1990, 366 bezieht alle drei wayyiqtol-Sätze als Relativsätze auf Israel, was aber kaum möglich ist, da die Progressform keine Unterordnung anzeigt. 216 Dies übersieht LEONARD-FLECKMAN 2017, 391, die in der LXX alle vier Handlungen YHWH explizit zuschreibt. 217 Vgl. BUTLER 2014, 461. Zur textkritischen Situation vgl. auch WEHRLE 1999, 196. 218 Vgl. schon STEUERNAGEL 1900, 191; COOKE 1918, 87. Auch GÖRG 1991a, 49 weist diese Handlungen den Israeliten zu. Anders hingegen WEHRLE 1999, 196, der kontextuell hier Josua, die Israeliten und YHWH als plurales Subjekt einsetzt. 219 Vgl. NIEHAUS 1988, 42. 220 Vgl. GERMANY 2017, 423 Anm.51. 221 Vgl. KNAUF 2010b, 506; GASS 2019a, 33. NOORT 1988, 158 spricht hier von der Aufgabe Israels als „Räumungskommando“. 222 Vgl. hierzu auch HESS 1999, 27. 223 Vgl. YU 2012, 582. 224 Vgl. zum ostjordanischen Horonaim GASS 2020, 574–578.
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aufgrund von Dittographie des abschließenden Konsonanten n diese abweichende Ortsangabe innergriechisch entstanden, sodass aus Horon der Name Horonen entstand, was sich in der griechischen Lesart Ωρωνιν widerspiegelt. Möglicherweise hat in der hebräischen Vorlage der griechischen Übersetzung demgegenüber ein enklitisches m gestanden, das aber nicht mehr verstanden wurde und daher später im hebräischen Text wegfiel.225 Vor diesem Hintergrund wurde von LXX dieses enklitische mem zum eigentlichen Ortsnamen gezogen und dementsprechend die Übersetzung Horonaim (Ωρωνιν) überliefert, wobei man auf das Grundwort bêt verzichtet habe.226 Somit lässt sich die griechische Lesart Ωρωνιν textkritisch plausibel herleiten. Es ist zudem unwahrscheinlich, dass bei Horonaim (Ωρωνιν) von einem Dual auszugehen ist,227 der sich auf das obere und das untere Bet-Horon bezieht. Denn bei der Endung -ayim handelt es sich zwar grammatikalisch um eine Dualendung, aber morphematisch ist diese Endung ein auch ansonsten übliches Ortssuffix. Insgesamt ist somit der MT nicht zu beanstanden. V.11: Die temporale Bedeutung der Infinitivkonstruktion benusām ist umstritten. Meistens wird Gleichzeitigkeit zum Kontext angenommen („als sie flohen“), allerdings wäre hier Vorzeitigkeit („als sie entflohen waren“) durchaus sinngemäßer als die präsentische Wiedergabe, zumal dies dann das erneute Eingreifen YHWHs mit den Steinen motivieren würde.228 Durch die Verwendung der zusammengesetzten Präposition mippenê „von dem Angesicht weg“ wird zudem die besondere Dringlichkeit ausgedrückt, wobei hier mit Israel auch der Akteur, der für die Flucht verantwortlich ist, in den Blick genommen wird.229 Auch in V.11 denkt LXX nicht nur an Israel wie MT, sondern an benê Yiśrāʾel „Söhne Israel“ (ἀπὸ προσώπου τῶν υἱῶν Ισραηλ), was zumindest durch Vetus Latina ebenfalls gestützt wird (filiorum Istrahel). Vielleicht sollte hier an den letzten Satz in V.10 angeglichen werden, wo nämlich benê Yiśrāʾel ebenfalls von LXX übersetzt wird.230 Allerdings belegt Vetus Latina in V.10 nur „Israel“ und in V.11 „Söhne Israel“. Auch Vulgata belegt hier „Söhne Israel“ (filios Israhel), aber in V.10 nur Israehel. Demnach hat nur LXX beide Stellen miteinander harmonisiert. Mitunter ist aufgrund des vorhandenen Platzes auch in 4QJosha von benê Yiśrāʾel auszugehen.231 Aus alledem folgt, dass 225 Zum Problem vgl. auch GREENSPOON 1983, 130f. Zu einer möglichen Lesart von Horonaim in 4QJosha vgl. LANGLOIS 2011, 186. Diese Lesart sei schließlich sekundär in den besser bekannten Ortsnamen Bet-Horon verändert worden, vgl. LANGLOIS 2011, 206. 226 Vgl. auch SOGGIN 1982, 119. 227 So aber DILLMANN 1886, 487; COOKE 1918, 87; BOLING 1982, 276, der Horonaim auf das obere und untere Bet-Horon bezieht. 228 Vgl. hierzu EHRLICH 1910, 36. 229 Vgl. HOWARD 1998, 238. 230 DE TROYER 2017, 232 vermutet, dass der altgriechische Übersetzer die differierenden Stellen aneinander angeglichen hat. 231 Vgl. LANGLOIS 2011, 186.
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in V.11 ursprünglich durchaus benê Yiśrāʾel gestanden haben könnte, zumal auch hebräische Handschriften das Nomen benê belegen. Insofern ist es durchaus wahrscheinlich, dass benê ausweislich des ähnlichen vorangestellten Begriffs mippenê aufgrund von Homoioteleuton in der hebräischen Tradition entfallen konnte. Der Nominalsatz hem bemôrad bêt Ḥôron, der den Ort des Geschehens angibt, ist vermutlich als Parenthese zu deuten,232 bevor dann mit w-x-qatal die eigentliche Handlung fortgesetzt wird. Während in V.10 noch vom maʿaleh „Aufstieg“ von Bet-Horon die Rede war, ist jetzt môrad „Abstieg“ im Blick, was vermutlich darauf hinweist, dass die Feinde offenbar erfolgreich entkommen konnten, da sie den Abstieg bereits erreicht haben.233 Die Differenzierung von Abstieg (V.11) und Aufstieg von Bet-Horon (V.10) könnte mitunter ein literarkritisches Indiz sein, sodass hier von zwei unterscheidbaren literargeschichtlichen Stufen auszugehen wäre.234 Dementsprechend ist nicht auszuschließen, dass es sich bei dem eingeschobenen Nominalsatz in V.11 um eine Glosse handelt.235 Anstelle von ʾabānîm gedolôt236 wirft YHWH nach Vetus Latina und LXX lapides grandinis beziehungsweise λίθους χαλάζης „Hagelsteine“ auf die fliehenden kanaanäischen Krieger, sodass hier bereits an das Ergebnis im letzten Satz von V.11 angeglichen wird.237 Allerdings gibt es auch griechische Handschriften, die wie MT von λίθους μεγάλους ausgehen, was aber eine nachträgliche Harmonisierung zu MT sein könnte. Möglicherweise hat MT durch die Lesart ʾabānîm gedolôt bereits eine Verbindung zur folgenden Makkedaerzählung gezogen.238 Möglicherweise sollte dann in der LXX durch die vom MT abweichende Lesart „Hagelsteine“ bewusst die Verbindung zu den Steinen bei Makkeda verhindert werden.239 Dann wäre hier eine Hand am Werke gewesen, die die Eigenständigkeit beider Erzählungen besonders betonen möchte. In 4QJosha fehlt zudem das Adjektiv gedolôt, sodass im ursprünglichen Text mitunter nur ʾabānîm stand.240 Somit wäre die Lesart ʾabānîm von MT und der griechischen Tradition unterschiedlich erweitert worden,241 wodurch dann die 232
Vgl. WEHRLE 1999, 198 Anm.32. Vgl. WEHRLE 1999, 199. 234 Vgl. GERMANY 2017, 423. 235 Vgl. FARBER 2017, 117 Anm.226. 236 Nur an dieser Stelle tauchen „große Steine“ als göttliche Kriegswaffen auf, vgl. zur Beleglage WEHRLE 1999, 207f. 237 HOLMES 1914, 50 weist darauf hin, dass der Ausdruck bei der zweiten Erwähnung determiniert ist, was für die Ursprünglichkeit der Lesart von LXX sprechen könnte. 238 Vgl. NOORT 2007, 391. 239 Vgl. zum Problem auch SPRONK 1994, 87. 240 Vgl. NELSON 1997, 137. Zum Fehlen des Adjektivs vgl. auch LANGLOIS 2011, 186. Auch der Schøyen-Papyrus liest nur λίθοις, vgl. DE TROYER 2017, 230. 241 Vgl. GREENSPOON 1983, 69f.; YOUNGER 1990, 380. Zum textkritischen Problem vgl. auch WEHRLE 1999, 205. 233
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Erzählkohärenz gestärkt werden konnte. Die unterschiedlichen Lesarten könnten darauf zurückzuführen sein, dass ein Schreiber am Rand unterschiedliche Präzisierungen angebracht hat, die bisweilen in den Text eingedrungen sind.242 Im MT werden zudem die Steine, vielleicht Meteoriten, im Nachhinein durch Hagelsteine präzisiert, ohne dass von zwei unterscheidbaren Handlungen ausgegangen werden muss.243 Die Charakterisierung der Steine als „groß“ ist somit vermutlich redaktionell von MT hinzugefügt worden. Demnach muss zwischen den Steinen, die vom Himmel herabgeworfen wurden, und den Steinen, die an den Eingang der Höhle gesetzt und als groß beschrieben wurden, unterschieden werden. Von der Makkedaerzählung drang daher die Qualifizierung als groß auch in V.11 ein.244 Auch der Befund im Sirachbuch weist darauf hin, dass die hebräische Vorlage des Sirachbuches die Spezifizierung der Steine als „groß“ noch nicht kannte.245 Vielleicht sollten die Steine, die beim Abhang von Bet-Horon eine auffällige Landmarke bilden, durch diese Erzählung ätiologisch erklärt werden. Zuvor haben im Josuabuch Steine an Gottes Heilstaten oder torakonformes Handeln erinnert, während in Jos 10 Steine selbst das Wunder darstellen.246 Das Schleudern von Hagelsteinen erinnert zudem an die Plagenerzählung Ex 9,23–24.247 Demnach wird Josua wie Mose dargestellt, der die Ägypter mit Hagel schädigt.248 Das Bild von den Hagelsteinen findet sich darüber hinaus ebenso in der außerbiblischen Literatur. Im Hymnus an Iškur befiehlt Enlil seinem Sohn Iškur kleine und große Steine auf die aufständische Erde zu werfen. Beim dritten Feldzug Sargons bekämpft der Wettergott Adad den Feind mit Himmelssteinen.249 Außerdem setzt Adad auch an anderen Stellen Feuer und brennende Steine gegen die Feinde ein. In einem Vasallenvertrag Asarhaddons wird zudem das Herabregnen von brennenden Kohlen als Strafe für den Vertragsbruch angekündigt.250 Das Wunder der Steine ist somit traditionsgeschichtlich vor den unterschiedlichsten Kontexten transparent. 242
Vgl. GREENSPOON 1983, 70; YOUNGER 2008, 11 Anm.10. Vgl. WEHRLE 1999, 205f., der zusätzlich auf die Polyfunktionalität des Adjektivs gādôl „groß“ hinweist, bei dem der theologische Aspekt gegenüber der tatsächlichen Größe dominiert. Nach MARGALIT 1992, 469 Anm.4 ist jedoch die Constructusverbindung berad hāʾabānîm „Hagel von Steinen“ zu lesen. Für diese Konjektur gibt es aber keinen Rückhalt in der Textüberlieferung. 244 Vgl. auch DE TROYER 2017, 239. 245 Vgl. DE TROYER 2017, 245f., die auf Sir 46,5 verweist. 246 Vgl. hierzu BALLHORN 2011, 213. 247 Vgl. WEINFELD 1984, 140f.; HALL 2010, 181f.; FARBER 2016, 55. 248 Vgl. HARSTAD 2004, 412f. 249 YOUNGER 2008, 10–12 verweist auf den Gottesbrief Sargons, der in vielerlei Hinsicht der biblischen Erzählung ähnelt. Zu außerbiblischen Parallelen vgl. außerdem KANG 1989, 155; GASS 2019a, 35f. 250 Vgl. WEINFELD 1984, 141. Vgl. zum außerbiblischen Befund auch YOUNGER 1990, 208–211. 243
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Mit dem tödlichen Steinschlag wird zudem bisweilen ein geologisches Wunder verbunden, das man mit dem Erdbeben bei Jericho oder dem Seebeben am Schilfmeer vergleichen könnte.251 Manchmal wird auch eine natürliche Erklärung für die Steine gegeben. Diese Steine seien demnach von den Israeliten den Abhang hinabgerollt worden, um die fliehenden Feinde zu töten.252 Der Hinweis auf den Vergleich zwischen der Anzahl der Getöteten durch YHWH oder durch die Israeliten am Ende von V.11 deutet vermutlich auf einen Autorenkommentar hin.253 Während in der ursprünglichen Tradition nur von Steinen die Rede war, wird in der redaktionellen Erweiterung am Schluss von V.11 von Hagelsteinen gesprochen und auf diese Weise ein Bezug zu Texten hergestellt,254 in denen YHWH als Wettergott wie schon in den Plageerzählungen handelt. Während ʾabānîm gedolôt am Anfang von V.11 redaktionell bereits die großen Steine vorausnehmen, mit denen die Höhle von Makkeda in V.18 verschlossen wird, werden im Autorenkommentar die Steine als Hagelsteine spezifiziert.255 Offenbar werden nur die Gegner von den Hagelsteinen tödlich erwischt, da von Verlusten auf der Seite Israels keine Rede ist.256 Dieses Wunder wird gelegentlich dadurch erklärt, dass die Feinde bei ihrer Flucht in den Hagelsturm hineinliefen, sodass nur die Feinde Opfer der Hagelsteine wurden.257 Möglicherweise spielt die Ortsangabe min haššāmayîm „vom Himmel“ auf Dtn 7,24 an. Durch diesen Steinregen wäre YHWH der Voraussage in Dtn 7,24 gerecht geworden, wonach er den Namen der kanaanäischen Könige mittaḥat haššāmāyîm „unter den Himmeln“ ausrotten wird.258 Die Satzabgrenzung hinter wayyāmutû ist umstritten. Auf der einen Seite könnte man hier mit dem Verb wayyāmutû das Ergebnis des Hagelsturms abschließen, sodass darauf ein verbloser Vergleichssatz mit rabbîm folgt.259 Auf 251
Vgl. KNAUF 2008, 100. Vgl. zu dieser Deutung MOWINCKEL 1964, 39. 253 Vgl. NOORT 1988, 159. 254 Ex 9,18.19.22.23.24.25.26.28.29.33.34; 10,5.12.15; Jos 10,11; Ps 18,13.14; 78,47.48; 105,32; 148,8; Jes 28,2.17; 30,30; Hag 2,17. Nach DUS 1960, 361 Anm.2 hat vielleicht ein späterer Bearbeiter die ursprüngliche Ätiologie für die bei Bet-Horon zu beobachtenden besonderen Steine missverstanden, indem er stattdessen von Hagelsteinen ausging. 255 Vermutlich haben verschiedene Hände die Steine unterschiedlich gedeutet. Vgl. zum sekundären Charakter der Deutung der Steine als Hagelsteine NOORT 2007, 388 Anm.5. Kritisch hierzu aber DOZEMAN 2015, 450, zumal Hagelsteine in biblischen und außerbiblischen Texten als göttliche Waffe eingesetzt werden. Insofern verwundert diese Qualifizierung in V.11 in keinster Weise. 256 Selbst wenn es zu eigenen Schäden gekommen wäre, wurde der Hagelsturm dennoch als Vorteil für Israel gesehen, vgl. PITKÄNEN 2010, 224. Da offenbar nur die Feinde von den Hagelsteinen getroffen wurden, handelt es sich um eine wunderbare Gotteshilfe, vgl. DILLMANN 1886, 488. 257 Vgl. zu dieser Erklärung KRUGER 2000, 137. 258 Vgl. ZIESE 2008, 218. 259 Vgl. HOLMES 1914, 50; BUTLER 2014, 462. 252
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der anderen Seite könnte man auch rabbîm als Subjekt von wayyāmutû deuten. Vermutlich ist die erste Option zutreffend, da mit dem Steinschlag auch ein Ergebnis verbunden wird, wenn betont wird, dass die Feinde aufgrund der Steine starben. Anstelle von MūT „sterben“ setzt LXX lediglich eine Form von „sein“ (ἐγένοντο), was vermutlich eine Vereinfachung der schwierigen Syntax des MT ist. Offenbar wurde bewusst auf die doppelte Wiedergabe des Todes der Feinde verzichtet. Insofern ist es nicht notwendig, dass wayyāmutû eine vom Kontext motivierte Ergänzung ist,260 zumal man dieses Wort noch als Folge zum vorausgehenden Satz ziehen kann. Vetus Latina und LXX ersetzen am Schluss von V.11 den Ausdruck bæḥāræb mit „in der Schlacht“ (in bello beziehungsweise ἐν τῷ πολέμῳ), um auf das besondere Wunder hinzuweisen. Durch das Eingreifen der Naturgewalten wurden somit mehr Feinde erschlagen als durch die regulären Kampfhandlungen. Die hier ausgeübte Gewalt der Israeliten wird somit von YHWH legitimiert und unterstützt. Nur auf diese Weise kann Gewalt erfolgreich eingesetzt werden. Die Kriegsführung ist folglich an Gott zurückgebunden, sodass nicht jeder Krieg legitim und gottgewollt erscheint. Derartige Gewaltausübung wird nur für diesen einen Fall erlaubt und darf nicht ungerechtfertigterweise redupliziert werden.261 V.12: Die Konstruktion ʾāz + yiqtol ist syntaktisch als Rückblick zu deuten. Hier wird ein Ereignis in den Blick genommen, das noch vor dem zuvor berichteten Sieg der Israeliten passierte.262 Mithilfe dieser Formulierung können ergänzende Dinge in die Erzählung aufgenommen werden,263 die bislang nicht genannt werden konnten. Vielleicht fand diese Rede Josuas sogar noch vor der von Gott ausgelösten Verwirrung der Feinde in V.10 statt, zumal die Verteilung der beiden Himmelskörper im Osten und Westen auf den Morgen oder Vormittag der Schlacht hinweist.264 Möglicherweise soll durch diese Konstruktion angedeutet werden, dass hier die ursprüngliche Einleitung einer selbständigen Heldenanekdote vorliegt, die aus dem Buch Yaschar entnommen265 und hier sekundär eingebaut wurde. Ohne Zweifel deutet ʾāz + yiqtol einen redaktionellen Einschub an und leitet einen vorzeitigen Sachverhalt ein. Insofern 260
So aber TOV 1986, 333. Vgl. SIQUANS 2009, 84. 262 Vgl. RABINOWITZ 1984, 60; NELSON 1997, 141. Ähnlich auch OESTE 2014, 700f.; MATHEWS 2016, 86. 263 NELSON 1997, 141 verweist auf Ex 15,1; Num 21,17 und 1Kön 8,12. 264 Vgl. schon KEIL 1847, 189; HOLZINGER 1901, 40; COOKE 1918, 89; MARGALIT 1992, 479; WALTON 1994, 182; HESS 1996a, 216; HOWARD 1998, 246; KRUGER 2000, 147; HARSTAD 2004, 422; DAY 2007, 120; OESTE 2014, 701; MATTHEWS 2016, 92. Anders DILLMANN 1886, 489, der aufgrund von V.13 eher an die Mittagszeit denkt. 265 Vgl. hierzu DUS 1960, 358 Anm.1. Ob dieses Fragment aus dem Buch Yaschar allerdings auf ein völlig anderes Ereignis anspielt, so LAUGHLIN 2015, 141, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber ebenfalls nicht sicher. 261
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kommt das Sonnenwunder nicht zu spät, nachdem bereits das feindliche Heer gemäß V.11 geschlagen war. Denn nach dem tödlichen Hagelsturm wäre eine Verlängerung des Tages ohnehin nicht mehr nötig gewesen. Vielleicht soll mit ʾāz + yiqtol ausgedrückt werden, dass das Sonnenwunder zur gleichen Zeit wie das Wunder des Hagelsturms stattgefunden hat. Dann wären beide Wunder nur jeweils eine Facette des heilsmächtigen Einschreitens YHWHs für Israel.266 Man hätte folglich das göttliche Wunder auf unterschiedliche Weise gedeutet. Die Verwendung der Wurzel DBR wird im Deuteronomium und im Josuabuch in der Regel für autoritative Rede mit YHWH oder Mose als Sprecher verwendet,267 sodass Josua als Subjekt des Satzes nicht auffällig ist. Fraglich ist jedoch, ob YHWH der Adressat der Rede Josuas ist, zumal Sonne und Mond im Folgenden angesprochen werden. Während zwar mittels Imperativen die beiden Himmelskörper Sonne und Mond direkt angesprochen werden, verweist die Einleitung eher auf YHWH als Adressaten der Rede Gottes. Diese Differenz könnte auf unterschiedliche Hände zurückgeführt werden,268 was noch geprüft werden muss. Allerdings kann man diesen Widerspruch auf unterschiedlichste Weise ausräumen: Bisweilen wird das Präpositionalobjekt leYHWH mit „im Namen YHWHs“ wiedergegeben.269 Dann würde damit ausgedrückt werden, dass die Astralgottheiten Sonne und Mond YHWH untergeordnet wären. Josua wendet sich dann im Namen YHWHs an die beiden Gestirne. Möglicherweise liegt V.12 aber auch auf einer Linie mit den in Jos 10 übermittelten Kurzbotschaften, in denen es jeweils um militärische Hilfe geht und bei denen nie der eigentliche Adressat in der Rede selbst genannt wird.270 Dementsprechend könnte sich V.12 eigentlich an YHWH wenden, der seine Macht über die Himmelskörper Sonne und Mond einsetzen soll, die in der Rede angesprochen werden. Dieser Widerspruch könnte darüber hinaus mit einem Subjektwechsel innerhalb von V.12 ausgeräumt werden, zumal bei wayyoʾmær ein näher spezifiziertes Subjekt nicht steht. Da aber im Infinitivsatz YHWH das Subjekt ist, könnte dies auch auf den folgenden Satz weiterwirken.271 Demnach hätte sich Josua zunächst an Gott gewendet, der dann seinerseits die
1)
2)
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266
Vgl. auch HOWARD 1998, 238. Dtn 1,1; 5,4; 20,2; Jos 1,3; 4,8; 9,21; 11,23, vgl. HAWK 2000, 153. 268 Vgl. STEUERNAGEL 1900, 191. 269 Vgl. hierzu EHRLICH 1910, 36. Nach HALL 2010, 170f. Anm.32 geben Targum Jonathan und Peschitta leYHWH mit „vor YHWH“ wieder, um eine Verbindung zwischen Sonne und YHWH auszuschließen. Nach CLEMENTS 1982, 943 zeigt sich zudem, dass die Naturgewalten zu Israels Nutzen eingesetzt wurden. Der Beistand YHWHs für Israel wird folglich auch im Wirken der Naturgewalten gesehen, die unter der Herrschaft Gottes stehen. 270 Vgl. auch HESS 1999, 31. 271 Dagegen aber VAN BEKKUM 2011, 114, da der Infinitivsatz lediglich eine Erklärung zum Hauptsatz beisteuere und auf Jos 3,7 und 4,14 anspiele. 267
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Himmelskörper anspricht. Da Gott der Schöpfer und Herr der Himmelskörper ist, kann er sich auch effektiv an sie wenden.272 Gott hätte demnach Macht über die Naturphänomene und kann sie nach seinem Willen beeinflussen. Das Problem der Adressatenschaft sah offenbar auch LXXB. Aus diesem Grund präzisiert LXXB den Sprecher, indem hier explizit Josua genannt wird. Der Aufruf an Sonne und Mond geht folglich von Josua selbst aus.273 Durch die Ergänzung von Josua durch LXXB wird die Doppeldeutigkeit von MT beseitigt, da als Sprecher auch das zuletzt genannte Subjekt YHWH im Blick sein könnte, der für das Zeichen verantwortlich ist und die ihm untergeordneten Himmelsgottheiten zu heilvollem Wirken für Josua und Israel aufgefordert haben könnte.274 Da allerdings im Schøyen Papyrus der Name Josua noch fehlt,275 bezeugt LXXB vermutlich erst eine spätere griechische Ergänzung, die den missverständlichen Text glätten wollte. Durch die Lesart von LXXB wird Josua aufgewertet, der den Himmelskörpern Sonne und Mond Befehle erteilen kann. Aus alledem folgt, dass im MT der Sprecher des Liedfragments nicht eindeutig bestimmt wird. Diese prinzipielle Offenheit könnte redaktionsgeschichtlich auszuwerten sein. Im Infinitivsatz beyôm tet… erweitert Vetus Latina darüber hinaus das Tetragramm um den Gattungsbegriff „Gott“ (Dominus Deus). LXX belegt demgegenüber nur den Ausdruck θεὸς, sodass hier zwischen κύριον im Hauptsatz und θεὸς im Infinitivsatz unterschieden wird. Möglicherweise ist θεὸς die ursprüngliche Lesart, die dann auch in V.14 anzusetzen wäre.276 Wenn nun in V.12 und V.14 θεὸς anstelle von κύριος gestanden hat, dann könnte in der griechischen Textüberlieferung in V.13 ἔθνος zu θεὸς verwandelt worden sein,277 sodass sich auch das textkritische Problem von V.13 lösen würde. Die schwankende Textüberlieferung innerhalb des Infinitivsatzes könnte darauf hinweisen, dass hier noch redaktionell gearbeitet wurde. Weshalb hier aber YHWH durch ʾælohîm erweitert wurde, ist fraglich, da YHWH ʾælohîm ansonsten nicht in Jos 10 belegt ist.278 Eine Harmonisierung mit anderen Stellen im Nahkontext liegt folglich nicht vor. Hier kommt man über Vermutungen nicht mehr hinaus. Außerdem erweitert Vetus Latina den MT maßgeblich, indem das Idiom NTN beyad rekonstruiert wird, ein weiterer temporaler Nebensatz ergänzt wird, 272
Vgl. HOWARD 1998, 240. Die Bitte Josuas besteht zudem nur aus 12b, während 13a der Ausführungsbericht der Bitte ist, vgl. MILLER 1975, 126. 274 Zur Doppeldeutigkeit des MT vgl. MATTHEWS 2016, 88. Zum Problem vgl. auch LEONARD-FLECKMAN 2017, 394. 275 Vgl. DE TROYER 2017, 230. 276 Vgl. TAYLOR 1993, 114 Anm.4. 277 Vgl. AULD 1979, 13; FARBER 2012, 306 Anm.14. 278 æ ʾ lohîm ist nur in V.19.40.42 mit enklitischem Personalpronomen oder als nomen regens belegt. 273
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der über den Ort des Geschehens informiert, und schließlich die Vernichtung der Amoriter vor dem Angesicht Israels behauptet wird: qua die tradidit Dominus Deus Amorreum in manus Istrahel, cum tribulasset illos in Gabaon, et contribulati sunt a faciae Istrahel. Diesen Zusatz belegt auch LXX, wobei LXX im ersten Satz nur Israel setzt,279 im letzten Satz aber „Söhne Israel“. Auch für diese Abweichung gibt es keine schlüssige Erklärung. Der Zusatz von Vetus Latina und LXX könnte entweder eine sekundäre Erweiterung sein280 oder als Homoioteleuton weggefallen sein,281 zumal sich beyad Yiśrāʾel und lifnê Yiśrāʾel ähneln. Vermutlich ist die zweite Option wahrscheinlicher, sodass der Langtext von Vetus Latina gegenüber dem MT vorzuziehen wäre. Vulgata verzichtet bei der zweiten Nennung auf Israel und setzt stattdessen ein Demonstrativpronomen (coram eis). Dies ist aber vermutlich eine bewusste Kürzung, zumal schon MT mit benê Yiśrāʾel und Yiśrāʾel zwei leicht differenzierte Größen belegt. Die Abweichung des MT konnte folglich auf diese Weise leicht harmonisiert werden. LXX verzichtet zudem gänzlich auf einen Adressaten der Rede Josuas. Vielleicht ist der Präpositionalausdruck leʿênê Yiśrāʾel eine Glosse des MT,282 zumal dieser Ausdruck in der altgriechischen Übersetzung noch fehlt.283 Außerdem könnte die Formulierung leʿênê Yiśrāʾel bereits auf die Deutung des Wunders zurückgreifen, da man die Verlängerung des Tages mit den Augen sehen konnte. Der Glossator hätte folglich schon implizit auf die folgenden Ereignisse vorausverwiesen. Darüber hinaus ist der Spruch ohnehin nicht für die Augen, sondern für die Ohren bestimmt, sodass der Ausdruck leʿênê Yiśrāʾel verstört. Bisweilen wird auf abenteuerliche Weise MT verändert, wenn mit ursprünglichen libnê Yiśrāʾel nicht ein Adressat der Rede, sondern ein Titel „zur (Sammlung der) Söhne Israels gehörig“ angegeben wird, der dem folgenden Lied vorausgehe.284 Eine derartige textkritische Rekonstruktion hat jedoch auch Auswirkungen auf die Redaktionsgeschichte von Jos 10. Denn gemäß 279 Nach BOLING 1982, 276 sei benê aufgrund von Haplographie hinter lifnê ausgefallen. Zu diesem textkritischen Problem vgl. auch DE TROYER 2018, 154f. 280 Vgl. COOKE 1918, 88, dem zufolge dieser Zusatz eine Erweiterung ist, die nichts zur Erzählung beiträgt; YOUNGER 1990, 389 Anm.21. HARSTAD 2004, 417 verweist darauf, dass textkritisch eigentlich immer die kürzere Lesung ursprünglicher ist. FARBER 2012, 306 Anm.13 hält den Satz beyôm… Yiśrāʾel für einen redaktionellen Zusatz, der den ursprünglichen Parallelismus zerstört. 281 Vgl. HOLMES 1914, 50; SOGGIN 1982, 119; VAN BEKKUM 2011, 115; BUTLER 2014, 462; GASS 2019a, 47 Anm.80. Nach BOLING 1982, 276 sei dadurch die chiastische Struktur zerstört worden. 282 Vgl. NELSON 1997, 137. Nach COOKE 1918, 88 bezeugen griechische Handschriften auch die Lesart libnê Yiśrāʾel, was aber nicht wie eine Psalmenüberschrift zu deuten wäre, da es keine Sängergilde der Söhne Israels gibt. 283 Vgl. zum Problem GREENSPOON 1983, 292f.; DE TROYER 2018, 156f. 284 Vgl. THACKERAY 1910, 526.
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dieser Rekonstruktion hätte das Fragment bereits eine Redeeinleitung wayyoʾmær gehabt, worauf dann mit libnê Yiśrāʾel der Titel des Liedfragments gefolgt wäre. Eine solche Interpretation dieser textkritisch schwierigen Stelle ist aber unwahrscheinlich. Nach dieser redaktionell, inhaltlich und syntaktisch schwierigen Redeeinleitung folgt das eigentliche Liedfragment. Die uneindeutige Präposition b vor den beiden Toponymen Gibeon und Tal Ajalon wird von den Versionen unterschiedlich wiedergegeben. Während Vetus Latina die Präposition secundum eingetragen hat, belegt LXX κατὰ und Vulgata contra, wobei Vulgata offenbar an eine direktive Bedeutung des verwendeten Bewegungsverbs movearis gedacht hat.285 Die Ortsangabe von Sonne und Mond wird im MT hingegen jeweils mit einer Präpositionalverbindung mit b angegeben, sodass Sonne und Mond eigentlich nicht ʿal „über/oberhalb“ von Gibeon beziehungsweise dem Tal Ajalon stehen können.286 Beide Himmelskörper sollen vielmehr in den betreffenden Orten verbleiben. Demgegenüber ist aber auch denkbar, dass aus poetischen Gründen die Präposition b anstelle von ʿal gewählt wurde. Demnach sollte man die Bedeutung von b nicht vorschnell einschränken. Hinzu kommt, dass das Bedeutungsspektrum der hebräischen Präposition b sehr groß ist, sodass diese Beobachtung nicht überbewertet werden darf.287 Vielleicht ist hier die Präposition b lokal im Sinne von „in der Gegend von“ zu übertragen.288 Dann darf man auch nicht folgern, dass sich die beiden Astralgötter in den jeweiligen Orten aufhalten sollen. Von der Sonne wird zudem eine Aktion verlangt, die schwierig zu deuten ist. Aufgrund des Prosakontextes wird DMM hingegen analog zu ʿMD als „stillstehen“ gedeutet.289 Da auch der Mond zum Stillstand aufgefordert wird, könnte es somit sein, dass die Verfolgung des Feindes auch noch in der Nacht stattfinden sollte.290 Vor diesem Hintergrund würde in V.12 eine Art synonymer Parallelismus vorliegen. Dann könnte Josua befohlen haben, dass beide Himmelskörper stillstehen sollen. Dies ist jedoch nicht sicher.291 Vielleicht handelt die ursprüngliche Tradition nur von einem Sonnenwunder, das aber durch den Mond ergänzt wurde, damit die besondere Beziehung von Josua zum Sonnenkult etwas abgeschwächt werden konnte.292 285
DOZEMAN 2015, 432 deutet die Präposition κατὰ als „über“. Vgl. zum Problem DUS 1960, 353; HOWARD 1998, 246 Anm.222. 287 Vgl. MILLER 1975, 124. 288 Vgl. VAINSTUB/YIZHAQ/AVNER 2020, 728. 289 Vgl. NELSON 1997, 142. SIQUANS 2009, 83 geht von einem Stillstand von Sonne und Mond aus, damit mehr Zeit für den siegreichen Kampf der Israeliten verbleibt. 290 Vgl. HERTZBERG 1985, 74. 291 Vgl. zum Problem ZAKOVITCH 2012, 57. 292 Vgl. ZAKOVITCH 2012, 60f., der zudem auf die Tradition in Hab 3,11 hinweist. Zur besonderen Beziehung von Josua zum Sonnenkult vgl. auch ZAKOVITCH 1997, 112*f. Nach FARBER 2012, 310f. stand die Eroberung der Gegend um das Ḥeres-Gebirge durch Josua am Anfang der midraschartigen Herausbildung der Tradition vom Sonnenwunder. 286
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Darüber hinaus wird von Vetus Latina noch am Schluss ein weiterer Nebensatz angeschlossen, der die zeitliche Befristung des Befehls an Sonne und Mond angibt: donec expugnem populum istum. Vermutlich handelt es sich hierbei um einen Zusatz, der sich darüber hinaus noch bei wenigen griechischen Textzeugen findet.293 Dieser Nebensatz in V.12 steht jedoch in Spannung zu V.13 und ist daher nur eine ungeschickte Erweiterung durch die griechische Texttradition. V.13: Das Verb DMM kann unterschiedlich wiedergegeben werden: „ruhig sein“, „die militärische Position halten“, „gelähmt sein“.294 Die Wurzel DMM kann zumindest als Verb gedeutet werden, das eine gewisse Opposition zu Rede oder zu Bewegung ausdrückt. Oft wird vermutet, dass mit DMM eine Verdunkelung295 und mit ʿMD ein Stillstand der Sonne verbunden sei. Allerdings stehen die beiden Verben DMM und ʿMD offenbar in einem synonymen Parallelismus und werden austauschbar gebraucht. Dementsprechend würden beide Verben annähernd das Gleiche bedeuten. Die Verben DMM und ʿMD bezeichnen folglich denselben Sachverhalt, sodass man die Aktivität von Sonne (Verdunkelung) und Mond (Stillstand) nicht unterscheiden kann.296 Vor diesem Hintergrund kann mit DMM eigentlich keine Verdunkelung ausgesagt sein.297 Denn für das Verb ʿMD wird in der Regel die Bedeutung „an einer bestimmten Position stehen“ vermutet.298 Dann müsste auch mit DMM ein Stillstand ausgedrückt sein. Ein Stillstand der Sonne könnte jedoch auch mit einer Sonnenfinsternis verbunden werden, zumal man nach der Verdunkelung den Eindruck haben kann, dass die Sonne tatsächlich an ihrem Ort stehen geblieben ist.299 Aus alledem folgt, dass zwar DMM nicht verdunkeln heißen muss, dass es aber trotz alledem um einen gefühlten Stillstand der Sonne im Rahmen einer Sonnenfinsternis gehen kann. Die Bedeutung des Stillstandes wird zudem durch das parallele Verb ʿMD und durch den Prosakommentar in V.13 nahegelegt.300 Der Stillstand muss zudem nicht temporär verstanden werden, zumal hier auch ausgedrückt werden könnte, dass die astralen Götter von YHWH ausgeschaltet worden wären und 293
Vgl. BILLEN 1927, 99. Nach KEIL 1847, 187 bedeute DMM eigentlich „schweigen, warten“. 295 Vgl. NOTH 1971a, 65; MARGALIT 1992, 480–482 mit Hinweis auf Hab 3,3–15. 296 Vgl. auch KRUGER 2000, 140. Eine ähnliche Bedeutung wie ʿMD vermutet VAN BEKKUM 2011, 115 dementsprechend auch für das Verb DMM. 297 Vgl. zum Problem HARSTAD 2004, 419; HOM 2004, 221. Nach NOTH 1971a, 65 ist aber das Wort ʿMD bereits ein deutender Zusatz zum Zitat, sodass ʿMD nicht für die ursprüngliche Bedeutung von DMM herangezogen werden darf. 298 Vgl. zur Bedeutung von ʿMD SAWYER 1972, 141. Nach RINGGREN 1989, 195 heißt dieses Allerweltswort zunächst „hintreten, sich (hin)stellen“. Es scheint sich zudem um ein Antonym zu den Verben der Bewegung zu handeln, vgl. AMSLER 1976, 329. 299 Das an sich kurze Zeitfenster der Verdunkelung kann zudem vom Betrachter in seiner zeitlichen Erstreckung gänzlich überbewertet werden, vgl. SAWYER 1972, 141f. 300 Vgl. NOORT 2007, 389f. 294
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auf diese Weise untergegangen wären.301 Denn die Wurzel DMM kann auch mit Tod und Untergang verbunden werden.302 Allerdings wird das Sonnenwunder bisweilen auch auf andere Weise erklärt. Die beiden Verben DMM und ʿMD finden sich nämlich ebenfalls in 1Sam 14,9, wo es um die Verweigerung der Teilnahme an der Schlacht geht. Dementsprechend könnten in V.12 Sonne und Mond als Gottheiten von Gibeon und Ajalon aufgerufen sein, sich aus der Schlacht herauszuhalten. Allerdings müsste man davon ausgehen, dass es tatsächlich derartige astrale Kultformen in Gibeon und Ajalon gegeben und dass sich Josua an fremde Götter gewendet hat. Außerdem wäre ein Aufruf an die Schutzgottheit von Gibeon im Kontext nicht sinnvoll, zumal es um die Rettung Gibeons geht.303 Man würde folglich erwarten, dass die Gottheit von Gibeon eigentlich in den Kampf mit den amoritischen Feinden eingreifen sollte. Weshalb gerade diese Gottheit sich ruhig verhalten soll, ist nicht einsichtig. Auch die alten Versionen tun sich bei einer korrekten Wiedergabe der beiden Verben schwer. Vulgata verzichtet auf das zweite Verb, da dies offenbar als Synonym zum ersten gesehen wurde. Vetus Latina ergänzt noch zusätzlich bei der dem Mond zugeschriebenen Handlung eine Ortsangabe (in loco). Das Problem des Sonnenwunders sowie die zahlreichen Interpretationsmodelle müssen an anderer Stelle ausführlich besprochen werden. Die Deutung der Konjunktion ʿad in Verbindung mit yiqtol ist schwierig, zumal hier entweder ein Endpunkt („bis“) oder die längere Dauer („während“) angegeben werden kann.304 Vielleicht soll hier ʿad + yiqtol final verstanden werden („damit … kann“).305 Darüber hinaus wäre es aber auch möglich, dass yiqtol eine archaische Form wäre, die vergangenheitlich wiederzugeben wäre.306 Insgesamt gibt es somit für diesen schwierigen Satz die unterschiedlichsten syntaktischen Deutungen, was wiederum ein angemessenes Verständnis erschwert. Aber auch die im kurzen Satz ʿad yiqqom gôy ʾoybāyw verwendeten Lexeme lassen sich nicht ohne Probleme übertragen. Die Verwendung des Nomens gôy „Volk“ für Israel ist zumindest auffällig.307 Aus diesem Grund wird hier gelegentlich MT zu miggôy verbessert,308 wobei der erste Konsonant aufgrund von
301
Vgl. MICHAEL 2014, 70, dem zufolge nicht nur die beiden Astralgottheiten Sonne und Mond, sondern die polytheistischen Götter insgesamt untergehen. 302 1Sam 2,9; Ps 31,18; Jer 8,14. 303 Vgl. zu den Gegenargumenten DE VAUX 1978, 633f. 304 Vgl. SAWYER 1982, 140 Anm.6. 305 Vgl. HARSTAD 2004, 420. 306 Vgl. CROSS 1973, 130 Anm.67. 307 Vgl. hierzu auch BUTLER 2014, 462. 308 Vgl. NOTH 1971a, 65; MILLER 1975, 127f.; HERTZBERG 1985, 70; GRAY 1986, 108; TAYLOR 1993, 115 Anm.1; NELSON 1997, 137; HOWARD 1998, 241.
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Haplographie zum vorausgehenden wortschließenden m weggefallen sei. Möglicherweise wurde hier das Wort gôy aus poetischen Gründen verwendet und daher auch die Präposition min hinter NQM weggelassen.309 Bei einer derartigen Deutung würde YHWH oder Josua die Vergeltung am Volk des Feindes ausführen. In diesem Fall würde sich dann gôy nicht mehr auf Israel beziehen. Da aber der Ausdruck gôy im ersten Teil des Josuabuchs konsequent für das Volk Israel verwendet wird,310 ist auch dieser Beleg wohl eher mit Israel zu verbinden. Es fällt zudem auf, dass das Wort gôy für Israel in der Regel entweder aufgrund eines Parallelismus mit ʿam oder aufgrund eines bewusst distanzierten Blicks von außen verwendet wird. Dann wird Israel als ein Volk unter den anderen Völkern betrachtet.311 Vielleicht sollte bewusst der Name Israel vermieden werden, zumal auch später anstelle von Josua nur indeterminiertes ʾîš steht. Demnach hätte man die unspezifische Bezeichnung gôy anstelle von Yiśrāʾel verwendet.312 Grundsätzlich spricht somit nichts gegen die Lesart des MT, der gôy offenbar mit Israel verbindet. Vetus Latina und LXX lesen Dominus / θεὸς anstelle von gens / ἔθνος, was aber vermutlich eine nachträgliche Vereinfachung des schwierigen Textes313 oder eine innergriechische Korruption ist.314 Auf diese Weise wird YHWH als Subjekt des Satzes gesehen und gôy ʾoybāyw als Constructusverbindung „Volk seiner Feinde“.315 Durch die Lesart der LXX wird die Rache allein Gott und nicht dem Volk Israel zugeschrieben. Auch bezüglich der Wiedergabe von NQM hat LXX den MT zusätzlich aufgeladen, indem das aktive Handeln Gottes am Feind verstärkt wird (ἠμύνατο).316 Aufgrund dieser Änderung muss auch das singularische enklitische Personalpronomen bei ʾoybāyw, das sich ursprünglich auf gôy bezieht, von LXX in den Plural versetzt werden. Manchmal wird vermutet, dass MT nachträglich die untergeordnete Position YHWHs unter den Astralgottheiten ausschließen wollte,317 indem hier nicht YHWH, sondern 309
Vgl. hierzu WOUDSTRA 1981, 175 Anm.32. Jos 3,17; 4,1; 5,6.8; 10,13. Vgl. schon KEIL 1847, 190; KNOBEL 1861, 396; LLOYD 1886, 143. Nur in Jos 23,3.4.7.9.12.13 wird gôyim für andere Völker eingesetzt. 311 Vgl. mit Belegen BIEBERSTEIN 1995, 208. 312 Auf diese Weise könnte der Fokus auf YHWH gelenkt werden, vgl. auch HARSTAD 2004, 420. 313 Vgl. BUTLER 2014, 462. Ähnlich DEN HERTOG 1996, 73, dem zufolge die griechischen Handschriften offenbar das implizit mitgedachte Subjekt explizit ausgedrückt und die Constructusverbindung abgekürzt wiedergegeben haben. 314 Vgl. PEELS 1995, 89; NELSON 1997, 137; HALL 2010, 174 Anm.50. Dagegen spricht jedoch, dass Israel ansonsten als λαός und nicht als ἔθνος bezeichnet wird, vgl. DEN HERTOG 1996, 73, aus dem sich dann das Wort θεὸς entwickeln konnte. HOLMES 1914, 50 denkt hingegen an eine ursprüngliche Abkürzung des Tetragramms als w, aus der dann schließlich das Wort gôy sekundär entstanden sei. Schon HOLZINGER 1901, 35 vermutet eine Verschreibung. 315 Hierfür sprechen auch einige griechische Handschriften, vgl. DEN HERTOG 1996, 73. 316 Vgl. NOORT 2007, 390. 317 Vgl. THACKERAY 1910, 531 Anm.3. 310
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das Volk selbst handelt. Nach LXX hätte YHWH nämlich das Licht der Astralgottheiten benötigt, um die Rache an den Feinden zu vollziehen. YHWH wäre folglich von diesen Göttern abhängig gewesen. Diese Deutung sollte von MT verhindert werden. Allerdings geht aus dem Kontext nicht hervor, dass YHWH – wie in LXX – das Subjekt von V.13 sein muss, zumal in V.12 Josua das Wort ergreift und daher auch hier im Blick sein kann. Außerdem übergibt YHWH den Feind an die Israeliten, die schließlich die Vernichtung übernehmen, sodass gôy vermutlich das Subjekt des Satzes ist. Die Abweichungen der LXX sind somit leicht erklärbar. Dementsprechend ist es nicht nötig, dass YHWH ursprünglich das Subjekt des Satzes gewesen wäre. Letztendlich ist die Lesart des MT beizubehalten. Auch die Bedeutung von NQM „rächen, vergelten“ ist durchaus problematisch. Denn zum Zeitpunkt der Erzählung ist eigentlich noch überhaupt kein Unrecht vorgefallen, das vergolten werden musste.318 Ob allein schon der Umstand, dass man als Amoriter zur Vorbevölkerung des Verheißungslandes gehört, als Verbrechen zu beurteilen ist, ist fraglich. Motiv und Ziel der Rache ist vermutlich die Verwirklichung von Gerechtigkeit zwischen zwei Völkern. Dies ist jedoch im Kriegsfall nicht gegeben, da beide Parteien durch die Kriegshandlungen herausgefordert und bedroht sind.319 Insofern ist es auch nicht nötig, dass hier der amoritische Angriff auf den Vasallen Gibeon durch Israel gerächt werden sollte. Mit der Wurzel NQM ist hier die Verwirklichung von Gerechtigkeit im Blick, ohne dass ein Bezug zu vorherigen Kriegshandlungen hergestellt werden soll. In den meisten Fällen ist Gott entweder direkt oder indirekt Subjekt von NQM, wenn er sich Agenten für sein NQM-Handeln bestimmt. Dementsprechend ist NQM eine Prärogative Gottes und daher mit legitimer Autorität und Gerechtigkeit verbunden.320 Der Satz ʿad yiqqom gôy ʾoybāyw des MT lässt sich darüber hinaus auf unterschiedliche Weise interpretieren:321 1)
Mit einer leichten Umvokalisierung von yiqqom zu yāqum würde man in V.13 eine Zeitangabe für den Aufstand des Feindes erhalten. Das Wunder soll folglich solange vorhalten, wie die „Schar seiner Feinde“ gegen Israel aufsteht (QūM).322 Ob man allerdings die Vokalisierung des MT verändern muss, ist fraglich, zumal kein Textzeuge eine derartige Deutung vermuten lässt.
318 Nach KNAUF 2008, 100 könnte sich dieser Spruch auf das 7. Jahrhundert v. Chr. beziehen, als der Verlust der Schefela gerächt werden sollte. Nach HALPERN 1975, 303 Anm.3 wird das Verb NQM zudem dann verwendet, um die Übernahme von Vergeltungs- und Schutzpflichten durch einen Oberherrn gegenüber dem Vasallen zu bezeichnen. 319 Vgl. zu diesem Konzept PEELS 1995, 90. 320 Vgl. hierzu PEELS 1997, 154. Nach MÜNCH-WIRTZ 2010, 104 könnte auch in V.13 YHWH das Subjekt des Satzes sein. 321 Vgl. zu diesen Optionen auch PEELS 1995, 88–90. 322 Vgl. LIPIŃSKI 1986, 603.
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Aufgrund der ungewöhnlichen Konstruktion wird der schwierige Satz bisweilen konjiziert. Anstelle von yiqqom sei demnach yattem von der Wurzel TMM „gänzlich aufreiben“ zu lesen.323 Allerdings gibt es für eine Veränderung des Konsonantentextes des MT keinen hinreichenden Grund, auch wenn die Syntax erwiesenermaßen schwierig ist. Gelegentlich wird das Lexem gôy auf Gibeon bezogen, sodass Josua oder YHWH das Volk der Gibeoniter an seinen Feinden gerächt habe. Für diese Konstruktion wäre aber mindestens eine Präposition vor ʾoybāyw nötig. Außerdem ist aus dem Kontext nicht klar, dass sich gôy hier auf die Gibeoniter beziehen könnte. Diese Lösung widerspricht auch dem Kontext des Josuabuches, da sich dort singularisches gôy stets auf Israel bezieht. Möglicherweise ist V.13 auch wie 1Sam 14,24 zu deuten, wo ein ähnliches Verhalten beschrieben wird, wenn ein Heerführer an seinen Feinden Vergeltung übt, wobei der Anführer sein eigenes Volk repräsentiert. Allerdings steht in 1Sam 14,24 NQM-N und nicht NQM-G, was beide Stellen unterscheidet. Auch müsste man vor gôy eine Präposition min und ein inneres Objekt nāqām ergänzen, das aber aus metrischen Gründen getilgt sein könnte.324 Außerdem würde man hier für gôy die Grundbedeutung „Gruppe, Schar, Trupp“ annehmen,325 wobei hierfür ein Bezug zum amoritischen Wort gāwum „Truppe“ nötig wäre, das in einer Constructusverbindung mit ʾoybāyw stehen würde.326 Auch wenn man bei dem Objekt des Satzes eigentlich eine Präpositionalverbindung erwarten würde, ist ein normaler Akkusativ der Person bei NQM „Rache nehmen an“ durchaus möglich.327 Eine reflexive Deutung von NQM als „sich rächen“ ist somit nicht nötig.328 Zumindest die masoretische Tradition spricht gegen eine Constructusverbindung von gôy ʾoybāyw.329
3)
4)
5)
Insgesamt muss man weder den Text noch die Syntax des schwierigen Satzes ʿad yiqqom gôy ʾoybāyw einschneidend verändern. Dieser Satz hat vermutlich als Subjekt gôy, womit Israel gemeint ist, und als Objekt des Rachehandelns ʾoybāyw, womit die Feinde Israels bezeichnet werden. Fraglich ist, ob in 13a dtr. Terminologie verwendet wird. Denn das Wort gôy wird in Dtn 4,7.8.34 ebenfalls ohne Artikel verwendet und das Verb NQM findet sich in Dtn 32,43.330 Allerdings würde dann die These eines ursprünglichen Liedfragments aus dem Buch 323
Vgl. EHRLICH 1910, 36f. Nach VAN BEKKUM 2011, 116 liegt hier ohnehin eine „shortened formulation“ vor. 325 Vgl. zu dieser Lösung PEELS 1995, 89. 326 So aber BOLING 1982, 284. 327 Lev 19,18. 328 So aber PEELS 1995, 88. 329 Vgl. hierzu LANGLOIS 2011, 39. 330 Vgl. BRIEND 1990, 177. 324
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Yaschar obsolet, da man zumindest in 13a von einem dtr. Satz sprechen müsste. Insofern sind diese sprachlichen Bezüge eher zufällig und müssen nicht eine dtr. Provenienz des Buches Yaschar andeuten. Die Formel haloʾ hîʾ ketûbāh findet sich wiederholt in den Königebüchern, wenn auf die offiziellen Annalen der beiden Königreiche Israel und Juda verwiesen wird.331 Die Verwendung eines Fragesatzes geschieht aus argumentativen Gründen, um durch die Frageform die Aussagekraft zusätzlich abzusichern. Diese Informationen werden somit als Frage formuliert.332 Da in den Belegen der Königebücher nicht wörtlich zitiert wird, ist auch in V.13 nicht sicher, ob tatsächlich zuvor ein wirkliches Zitat aus einer verschollenen poetischen Quelle wortwörtlich übernommen wurde.333 Möglicherweise dient der Fragesatz lediglich dazu, auf eine Quelle hinzuweisen, wo noch mehr Informationen zu den Geschehnissen zu finden wären. Dann läge hier kein wörtliches Zitat eines Liedes aus dem ansonsten verschollenen „Buch Yaschar“ vor.334 Vielleicht wird nämlich lediglich dieses Gedicht sinngemäß aus dem „Buch Yaschar“ genommen, um die Zuverlässigkeit und Legitimität der Aussage zu unterstreichen.335 Dementsprechend muss es ein derartiges Buch überhaupt nicht gegeben haben. Dann hätte man mit dieser fiktiven Angabe lediglich das hohe Alter des Liedes betonen wollen.336 Der rhetorische Fragesatz wird darüber hinaus von Vetus Latina und LXX nicht wiedergegeben.337 Dieser Satz ist somit textkritisch umstritten. Vielleicht wurde dieser Satz erst relativ spät eingetragen. Dann ist freilich die Existenz eines derartigen „Buches Yaschar“ fraglich.338 Da die Zitatformel in der altgriechischen Übersetzung des Josuabuchs fehlt, könnte hier ein Plus vorliegen, das erst in der masoretischen Tradition eingetragen wurde.339 Möglicherweise handelt es sich hierbei um eine sekundäre Erweiterung auf der Basis von
331 Nach STASZAK 2021, 207f. ist die Frage in V.13 der Annalenformel strukturverwandt und dient hier als Verweis auf einen Sachverhalt. 332 Vgl. hierzu auch STASZAK 2021, 89–91. 333 Vgl. HOWARD 1998, 239f. Nach BEGG 2007, 89 wird der Verweis auf eine Tempelschrift von Josephus nach der Makkedaerzählung eingefügt. CHRISTENSEN 1998, 30 weist zudem darauf hin, dass in der späteren Wirkungsgeschichte Fälschungen eines „Buches Yaschar“ veröffentlicht wurden. 334 Vgl. zum Problem HOM 2004, 221. 335 Vgl. HUBBARD 2009, 295. 336 Vgl. FRITZ 1994, 112. 337 Zum textkritischen Problem von V.13 vgl. auch GREENSPOON 1983, 119f.; DE TROYER 2018, 162. 338 Vgl. AULD 1979, 13. Nach EDERER 2017, 171 sei die Existenz eines derartigen Buches „eher unwahrscheinlich“. 339 Vgl. DE TROYER 2009, 50, die hierfür einen hebräischen Schreiber namens Yaschar vermutet. Gegen derartige redaktionelle Thesen aber schon NOTH 1971a, 64, der die Zitatformel nicht streicht.
2. Sprachliche und textkritische Probleme
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2Sam 1,18, wo ebenfalls ein „Buch Yaschar“ erwähnt wird.340 Für eine redaktionelle Erweiterung könnte zusätzlich sprechen, dass in 1Kön 8,12–13 eine derartige Zitatformel im MT fehlt und nur der Befund der LXX auch dort ein „Buch Yaschar“ nahelegt. Vermutlich wurde der Hinweis auf dieses Buch in der Textüberlieferung immer wieder unterschiedlich redaktionell hinzugefügt. Der letzte Beleg in 1Kön 8,53-LXX ist aber nicht über jeden Zweifel erhaben. Denn es ist unsicher, ob das in 1Kön 8,13 (=1Kön 8,53-LXX) erwähnte βιβλίον τῆς ᾠδῆς, hebräisch sefær haššîr, mit dem „Buch Yaschar“ identisch ist. Allerdings kann haššîr aufgrund von Metathesis aus hayyāšār entstanden sein.341 Hinzu kommt, dass alle erhaltenen Texte dieser Quelle poetisch gestaltet sind, was die Änderung zu sefær haššîr in 1Kön 8,53-LXX eventuell motiviert hat.342 Wenn der Tempelbau ebenfalls noch in dieser Quelle berücksichtigt war, könnte es sich bei diesem Buch um ein nationales Epos handeln, das poetische Erzählungen bis zum Tempelbau aufwies. Möglicherweise ist aber auch sefær haššîr der ursprüngliche Titel dieses verschollenen Buches. Dann würde es sich um eine Sammlung von archaischen Liedern handeln.343 Allerdings ist der Singular auffällig, da es sich ja nicht nur um ein Lied handeln wird. Insofern würde man hier eigentlich sefær haššîrîm erwarten.344 Vor diesem Hintergrund ist sefær haššîr als Titel dieser Sammlung eher unwahrscheinlich. Außerdem ist sefær hayyāšār die zweimal belegte lectio difficilior, die durchaus beibehalten werden kann. Eine Gattungsbezeichnung als Name eines Buches ist zudem untypisch.345 Es bleibt somit dabei: Der ursprüngliche Titel des Buches wird 340 Vgl. schon HOLMES 1914, 50; COOKE 1918, 90; NELSON 1997, 137. Eher unwahrscheinlich ist es, hier eine Abkürzung zu vermuten, so aber SEELIGMANN 1963, 396f. Anm.23, der hier den Ausdruck sefær hadar Yiśrāʾel anstelle von sefær hayyāšār vermutet. Hinzu kommt, dass diese Deutung des sefær hayyāšār nicht für die textkritisch schwierige Stelle in 1Kön 8,53-LXX herangezogen werden kann. Nach PITKÄNEN 2010, 220 wäre dieses Buch eine Sammlung von Poesie, die – wie Annalen oder das Psalmenbuch – ständig ergänzt worden wäre. SCHNIEDEWIND 2004, 53 weist darauf hin, dass es sich hier nicht um ein Buch im modernen Sinne handelt, sondern um „a text, document, letter, or scroll“. 341 Vgl. hierzu WELLHAUSEN 1963, 269; GRAY 1986, 109f.; TOV 1986, 335; SPAWN 2001, 63; HOM 2004, 220 Anm.37; BUTLER 2014, 484; FARBER 2017, 116 Anm.223; GREENSTEIN 2014, 25f.; KATÓ 2019, 227; GASS 2019a, 47 Anm.84. Nach CHRISTENSEN 1998, 31 Anm.6 stünde in LXXB und LXXL in 1Kön 8,53 bereits „Buch Yaschar“. Der Josuaspruch in Jos 6,26 könnte ebenfalls aus dem „Buch Yaschar“ stammen, auch wenn hier keine Zitatformel steht, vgl. hierzu STEUERNAGEL 1900, 192. 342 Vgl. HERTZBERG 1985, 74. Nach SMITH 2014, 282 könnte aber auch der Begriff sefær haššîr eine Reinterpretation von „Buch Yaschar“ sein. Die Peschitta deutet zudem sefær hayyāšār offenbar als sefær haššîr, vgl. LLOYD 1886, 143. 343 Vgl. CHRISTENSEN 1998, 27; SCHNIEDEWIND 2004, 54. Zum Problem vgl. schon MOWINCKEL 1935, 131f. Den archaischen Charakter des in Jos 10 vorliegenden Fragments könnte zum einen der Begriff gôy für Israel sowie die Konstruktion von NQM ohne Präposition min andeuten, vgl. hierzu HELLER 1958, 654. 344 Vgl. zu diesem Einwand schon MOWINCKEL 1935, 134f. 345 Vgl. GREENSTEIN 2014, 29.
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
wohl sefær hayyāšār gewesen sein. Auf dieses „Buch Yaschar“ wird in Jos 10,13, 2Sam 1,18 und eventuell in 1Kön 8,53-LXX hingewiesen. Bisweilen werden noch weitere Verbindungslinien zwischen Jos 10 und 2Sam 1 gezogen, sodass in Jos 10 der Satz „Wie sind die Helden gefallen“ (2Sam 1,19) ebenfalls mitgelesen werden und dementsprechend auf die unterworfenen Himmelskörper bezogen werden könnte.346 Hinzu kommt, dass die Zitatformel in 2Sam 1,18 textkritisch unumstritten ist,347 sodass die Zitatformel ursprünglich in 2Sam 1,18 gestanden haben könnte. Von dort aus wäre sie auch in Jos 10,13 eingedrungen. Allerdings sind die Ähnlichkeiten zwischen beiden Texten kaum signifikant, sodass weiterführende Schlüsse eigentlich hinfällig sind. Darüber hinaus wird in 2Sam 1,18 eine Formulierung mit hinneh gewählt. Wenn tatsächlich erst mit Blick auf 2Sam 1,18 der Verweis auf das „Buch Yaschar“ in V.13 eingetragen worden wäre, hätte man in V.13 wohl keinen Fragesatz gebildet.348 Für eine sekundäre Angleichung an 2Sam 1,18 spricht somit relativ wenig. Fraglich ist jedoch, weshalb die Versionen in V.13 auf die Zitatformel verzichtet haben. Vielleicht ist das Auge des LXX-Übersetzers aufgrund von Haplographie vom abschließenden Konsonanten w in ʾoybāyw zur Konjunktion w in wayyaʿamod abgeirrt. Oft wird vermutet, dass es sich bei dem „Buch Yaschar“ um eine Sammlung von Liedern handelt, die mit Kampf und Kriegen verbunden waren.349 Allerdings wäre auch ein mündlich überliefertes Repertoire von epischen Traditionen Israels möglich, die von Sängern überliefert wurden.350 Bisweilen wird das „Buch Yaschar“ auch mit dem Buch der Kriege YHWHs gleichgesetzt,351 wofür es aber keine zwingenden Hinweise gibt. Gegen eine solche Interpretation von Kriegsliedern ist einzuwenden, dass sich die Wurzel YŠR ansonsten auf den religiösen und ethischen Bereich bezieht und eigentlich nicht mit Heldentaten zu verbinden ist.352 Die Deutung des Ausdrucks sefær hayyāšār ist ohnehin schwierig. Da hayyāšār einen Artikel trägt, wird es vermutlich kein Eigenname sein, sondern ein normales Nomen.353 Meist wird angenommen, dass es sich hierbei um die Worte am Buchanfang handelt.354 Dann würde dieses Dokument mit hayyāšār beginnen. Es stellt sich zudem die Frage, was hayyāšār „der Gerechte“ bedeutet. Der sefær hayyāšār „Buch des Gerechten“ wird von Vulgata pluralisch 346
Vgl. hierzu MICHAEL 2014, 69f. Vgl. auch TOV 1986, 334f. 348 Vgl. VAN BEKKUM 2011, 114. 349 Nach KNAUF 2010b, 133 könnte das polytheistische Buch Yaschar bereits aus dem 10./9. Jahrhundert v. Chr. stammen und am Hof von lokalen Warlords entstanden sein. 350 Vgl. CHRISTENSEN 1998, 27. 351 Vgl. MOWINCKEL 1935, 132. 352 Vgl. GREENSTEIN 2014, 29. 353 Vgl. SCHIEDEWIND 2004, 53. 354 Vgl. ZIESE 2008, 222 Anm.35. 347
2. Sprachliche und textkritische Probleme
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wiedergegeben (in libro Iustorum), sodass es sich um eine Ansammlung von Gerechten handelt, auf die verwiesen wird. Hier wird folglich der Begriff yāšār als Kollektiv gedeutet, was aber nicht notwendig ist. Vielleicht bezieht sich hayyāšār als Epithet auf YHWH.355 Dementsprechend würden hier die Taten Gottes beschrieben werden. Möglicherweise ist dieser Titel aus dem Moselied genommen worden, wo für YHWH in Dtn 32,4 dieses Epithet markant verwendet wird.356 Allerdings wird in Dtn 32 nirgendwo eine Quelle angegeben, sodass diese Deutung nicht sicher ist. Außerdem behandelt zumindest der zweite Beleg in 2Sam 1,18 keine wirkliche Handlung Gottes, sodass diese Deutung ausscheiden muss.357 Demgegenüber wird hier wohl eher eine Sammlung von menschlichen Heldentaten vorliegen.358 Bei diesen Gerechten handelt es sich nicht um eine religiöse, ethische oder forensisch konnotierte Gruppe, sondern um die Braven, Richtigen, Tapferen, Edlen, Siegreichen, folglich um Israel als gerechtes Volk.359 Trotz dieser an sich einsichtigen Interpretation wird das Wort yāšār immer wieder verändert: Bisweilen wird anstelle von yāšār das Wort Yešurûn gelesen, womit in poetischer Diktion Jakob-Israel gemeint ist.360 Allerdings ist bei dieser Etymologie die Verwendung des Artikels problematisch, da Eigennamen von sich aus schon determiniert sind.361 Auch wenn man diese Etymologie nicht teilt, könnte es sich bei dem „Buch Yaschar“ um ein Buch handeln, das Israel als gerechtes Volk betrachtet, wobei sich die Gerechten auf die einzelnen Helden beziehen.362 Mit einer kleinen Umvokalisierung könnte man auch eine Verbalform yāšer „es soll singen (Israel)“ rekonstruieren.363 Allerdings spricht gegen diese Deutung der Umstand, dass durchwegs der Artikel gesetzt wird,364 der vor der Verbalform eigentlich nicht gesetzt werden kann.
1)
2)
355
Vgl. GREENSTEIN 2014, 30. Ähnlich HARSTAD 2004, 420, der hierfür auf Dtn 32,4 verweist. 356 Vgl. GREENSTEIN 2014, 34. 357 Jedoch könnte sich die Bezeichnung hayyāšār lediglich auf ein besonderes Lied am Anfang dieser Sammlung beziehen, zumal wenn hayyāšār der Buchtitel ist. In diesem Fall muss YHWH nicht der Hauptprotagonist des Buches Yaschar sein, vgl. hierzu auch GREENSTEIN 2014, 30. 358 Vgl. SOGGIN 1982, 122. Nach THEUER 2020, 242f. Anm.215 ist das Buch Yaschar eine „Sammlung poetischer Stücke aus dem 10.–9. Jh.“ 359 Vgl. MOWINCKEL 1935, 132. 360 Dtn 32,15; 33,5.26; Jes 44,2. Vgl. hierzu LLOYD 1886, 143. 361 Vgl. zum Problem auch GREENSTEIN 2014, 30 Anm.23. 362 Vgl. CHRISTENSEN 1998, 27. 363 Vgl. zu dieser geringfügigen Umvokalisierung THACKERAY 1910, 525 Anm.2; SCHNIEDEWIND 2004, 54. 364 Vgl. schon COOKE 1918, 90.
162 3)
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Auch eine Deutung von sefær hayyāšār als Rechtsbuch, wie dies der Targum macht,365 ist unwahrscheinlich, da yāšār nicht Recht oder Gesetz bezeichnet.366 Hierfür müsste man yāšār zu yošær verändern.
Die Präpositionalverbindung ʿal sefær hayyāšār des MT ist ebenfalls nicht unumstritten. Einige Handschriften, Vulgata und Peschitta verwenden stattdessen die Präposition b,367 ohne dass eine Bedeutungsdifferenz zu erkennen ist. Insofern erübrigt es sich, dass man die Präposition ʿal mit b austauscht. Hinzu kommt, dass es zahlreiche Belege für die Verbindung KTB + ʿal gibt.368 Außerdem ist der Begriff sefær vielgestaltig und bezeichnet nicht nur ein Buch, sondern auch das Schreibmaterial oder den geschriebenen Text.369 Die Lokalangabe baḥaṣî haššāmayim bezieht sich vermutlich nicht auf einen oberen Himmel, der für die Menschen im Gegensatz zum unteren Himmel sichtbar ist,370 sondern auf die Mitte des Himmels. Die Sonne bliebe demnach in der Mitte des Himmels stehen. Dementsprechend ist dieser Ausdruck als Zeitangabe zu verstehen, die mit der Mittagszeit zu verbinden ist.371 Auch sonst wird dieser, in späten Texten belegte Ausdruck baḥaṣî für zeitliche Angaben verwendet.372 Dementsprechend scheint hier die Lokalabgabe baḥaṣî für eine zeitliche Verortung verwendet worden zu sein. Allerdings bezeichnet das Wort ḥaṣî nicht notwendigerweise genau die Hälfte einer Sache, sondern nur einen nicht näher bestimmten Teil, sodass über die zeitliche Einordnung dieser Aussage nichts Näheres gesagt werden kann.373 Die Wurzel ʾūṢ-G „drängen“ in Verbindung mit der Präposition l findet sich ansonsten nur in Spr 28,20 beziehungsweise im H-Stamm noch in Jes 22,4. Dieses Verb ist ansonsten vor allem in der weisheitlichen Literatur belegt.374 Diese Verwendungsweise mag nahelegen, dass hier ein weisheitlicher Kommentar ergänzt werden sollte. 365
Vgl. BEGG 2007, 88 Anm.32. Vgl. hierzu auch DILLMANN 1886, 488. 367 Vgl. NOORT 2007, 390. 368 Vgl. GREENSTEIN 2014, 27 Anm.9. 369 Vgl. STOTT 2008, 2. Nach SMITH 2014, 541 Anm.126 bezieht sich das Wort sefær auf eine Aufzeichnung oder ein Dokument, nicht aber auf das Medium, auf das geschrieben wird. Zu den unterschiedlichen Bezeichnungen für Bücher im Alten Testament vgl. auch STOTT 2008, 2–4. 370 Vgl. hierzu aber VAINSTUB/YIIZHAQ/AVNER 2020, 745. 371 Vgl. auch LLOYD 1886, 144f. Nach KUTTER 2008, 363 Anm.53 ist die Mittagszeit die Zeit der größten Wirkmacht der Sonne und damit die Zeit des Sieges. 372 Vgl. BALÁBAN 1969, 54, die auf Rut 3,7; Ps 102,25; Jer 17,11 hinweist. Nur in 1Chr 19,14 scheint eine räumliche Bedeutung gemeint zu sein. 373 Vgl. VAINSTUB/YIIZHAQ/AVNER 2020, 743–745. Zum Problem vgl. auch WALTON 1994, 189, dem zufolge die Sonne in der östlichen Hälfte des Himmels stand. Nach STÄHLI 1985, 35 sei die Sonne am Kulminationspunkt stillgestanden, worauf der Ausdruck baḥaṣî haššāmayim hinweise. 374 Vgl. Spr 19,2; 29,20; Sir 7,15.17. 366
2. Sprachliche und textkritische Probleme
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Die Präpositionalverbindung keyôm tāmîm im Infinitivsatz, die eine ungefähre Verortung der zeitlichen Länge der Handlung angibt, wird von den Versionen unterschiedlich wiedergegeben, was auf die schwierige Konstruktion des MT zurückgehen könnte. Der Ausdruck keyôm tāmîm kann entweder komparativ „wie an einem normalen Tag“ oder temporal „einen ganzen Tag lang“ wiedergegeben werden.375 Zweifellos wird mit dieser Präpositionalverbindung reichlich übertrieben.376 Möglicherweise ist in V.13 eine intertextuelle Verbindung mit der Amalekitererzählung in Ex 17,8–16 anzusetzen, wo Josua den ganzen Tag die Amalekiter bekämpft, während Mose die Hände bis zum Sonnenuntergang erhebt. Die Autorität von Mose wäre demnach ausweislich der Deutung des Liedfragmentes auf Josua übergegangen und sogar noch intensiviert worden.377 V.14: Vulgata gibt die Aussage kayyôm hahûʾ erklärend mit tam longa dies wieder.378 Die Aussage lefānāyw weʾaḥarāyw erinnert zudem an den sogenannten Mose-Epitaph in Dtn 34,10–12, wonach kein vergleichbarer Prophet nach Mose mehr aufgetreten sei. Die besondere Verbundenheit von Mose mit Gott wird damit auf ähnliche Weise auf Josua übertragen.379 Die Besonderheit des Tages der Schlacht von Gibeon bezieht sich zudem nicht auf das Sonnenwunder, sondern darauf, dass YHWH auf die Stimme eines Menschen gehört hat.380 Auf diese Weise wird unterstrichen, dass ein derart gewalttätiges Eingreifen in Zukunft nicht mehr wiederholt wird.381 Das Idiom ŠMʿ beqôl bezieht sich entweder auf ein bereitwilliges und aufmerksames Zuhören oder auf tatsächlichen Gehorsam YHWHs gegenüber Josua. Die Formel ŠMʿ beqôl wird nur dreimal in Verbindung mit YHWH gebraucht.382 Das Hören YHWHs wird jedenfalls durch die Präpositionalverbindung beqôl verstärkt.383 Das Besondere ist hier zudem nicht das Erhören der
375 Vgl. COLESON 2012, 101. Nach KNOBEL 1861, 397 bedeute dies, dass der Sonnenuntergang um ungefähr eine Zeit von zwölf Stunden hinausgezögert wurde, da mit yôm die Zeit zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang gemeint sei. 376 Vgl. YOUNGER 1990, 215–217, der auf ähnliche außerbiblische Parallelen hinweist. 377 Vgl. hierzu DOZEMAN 2015, 451. 378 Vgl. HOLZINGER 1901, 35. 379 Vgl. auch HAWK 2000, 154; HUBBARD 2009, 296. Eine Verbindung zu Joschija, wie dies BRIEND 1990, 178 aufgrund von 2Kön 23,25 versucht, ist sprachlich nicht angezeigt. Nach FARBER 2016, 54 stellt sich sogar die Frage, ob Josua nicht noch Mose überragt, zumal dies schon in der Schlacht um Ai angedeutet sein könnte. 380 Vgl. schon KEIL 1847, 191. 381 Vgl. SIQUANS 2009, 84. 382 Num 21,3; Jos 10,14; 1Kön 17,22. Mit Gott als Subjekt noch in Gen 30,6; Ri 13,9. Vgl. hierzu auch OESTE 2014, 690. Hier geht es nicht nur um das Erhören einer Bitte, sondern um Gehorsam. 383 Vgl. HOWARD 1998, 250. Nach DOZEMAN 2015, 433 wird auf diese Weise die Sprache von Recht und Bund verwendet.
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Bitte, da ein Gebet von Gott immer wieder erhört wird, sondern die wunderhafte Ausführung der Bitte durch Gott in kosmischen Dimensionen.384 Das Anliegen Josuas wird zum einen öffentlich vorgetragen – im Gegensatz zu Gen 30,6; Ri 13,9; 1Kön 17,22 –, zum anderen handelt es sich um einen wunderhaften Eingriff – im Gegensatz zu Gen 30,6 oder Num 21,3. Dementsprechend hebt sich Josua in der Tat markant von den übrigen Fällen ab.385 Vor diesem innerbiblischen Hintergrund ist die Annahme nicht nötig, dass hier Josua das besondere Privileg gehabt hätte, die Strategie in der Kriegsführung Gott gegenüber vorzuschlagen.386 Dies wäre in der Tat außergewöhnlich gewesen. LXX verwendet anstelle des Tetragramms ein unspezifisches θεὸν, was aber nicht zu einer textkritischen Änderung des MT führen muss. Darüber hinaus verzichtet LXX auf die Wiedergabe von qôl „Stimme“. Auf diese Weise wird der Anthropomorphismus des MT merklich abgeschwächt.387 Auch Vetus Latina versucht die Aussage abzumildern, indem ebenfalls qôl „Stimme“ nicht gesetzt wird und nur ein Erhören eines Menschen im Blick ist (exaudiret). Die Verwendung des Wortes ʾîš anstelle von Josua könnte andeuten, dass hier die menschliche Sterblichkeit betont werden sollte.388 Das Lexem ʾîš kann darüber hinaus auch generisch und unpersönlich verstanden werden. Ein Bezug zu einer bestimmten Person ist hier folglich nicht nötig.389 Die abschließende Begründung YHWH nilḥām leYiśrāʾel greift wiederum die Schilfmeererzählung auf (Ex 14,14). Die Wortverbindung LḤM-N + l „kämpfen für“ findet sich – abgesehen von Neh 4,14 – nur im Schilfmeerlied und in den Büchern Deuteronomium und Josua.390 Da nämlich Gott für Israel kämpft, können Exodus und Landnahme erfolgreich verlaufen. Allerdings wird die Formel LḤM + l mit göttlichem Subjekt und Israel als Objekt der Hilfe auch im Geschichtsrückblick im Buch Deuteronomium verwendet,391 um auf die künftige Hilfe hinzuweisen. Diese Zusage wurde schließlich in der Schlacht bei Gibeon eingelöst. Insgesamt liegt im Textzusammenhang Dtn–Jos ein Aussagensystem vor, das sich von einem Ausblick in die Zukunft (Dtn 1,30; 3,22) 384
Vgl. HUBBARD 2009, 295f. Vgl. HALL 2010, 174f. Trotzdem sieht NOCQUET 2022, 326 einen Bezug zur Darstellung des Mose in Dtn 34,12. 386 Vgl. WALTON 1994, 183; OESTE 2014, 696–699. OESTE 2014, 691–694 sieht hier zudem vier Elemente des Heiligen Krieges verwirklicht: 1) Schlachten werden mit Omina und Orakel angezettelt, 2) das Eingreifen Gottes mit kosmischen Phänomenen war für die Schlacht entscheidend, 3) der menschliche Partner unterstützt den entscheidenden Schlag des göttlichen Kriegers, 4) die Strategie wurde meist vom göttlichen Krieger bestimmt. Der letzte Punkt wäre somit abgeändert worden. Vgl. auch NOCQUET 2022, 327f. 387 Vgl. HOLMES 1914, 51; BUTLER 2014, 462; GASS 2019a, 47 Anm.85. 388 Vgl. MATTHEWS 2016, 88. 389 Vgl. LEONARD-FLECKMAN 2017, 394 Anm.35. 390 Ex 14,14.25; Dtn 1,30; 3,22; 20,4; Jos 10,14.42; 23,3.10; Neh 4,14. Vgl. zu dieser und ähnlichen Formeln auch RICHTER 1963, 52. 391 Dtn 1,30; 3,22. 385
2. Sprachliche und textkritische Probleme
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über die grundsätzliche Aussage im Kriegsgesetz (Dtn 20,4) bis hin zur erfolgreichen Erfüllung (Jos 10,14.42) erstreckt.392 In V.14 und 42 schließt diese Formel die Gibeonschlacht und den südlichen Feldzug ab,393 wobei die Exodusthematik nur noch schwach nachklingt, da die anderen Elemente des Begriffssystems hier fehlen. Die Wortverbindung LḤM + l wird in unterschiedlicher Syntax verwendet: in yiqtol-Formation für künftige Sachverhalte oder in einem Partizipialsatz, der durativ-iterativ für Vergangenheit und Gegenwart stehen kann, oder einmal im Rahmen eines Infinitivsatzes. Wenn ein Partizip gebraucht wird, dann liegt stets ein Begründungssatz mit kî vor.394 LXX verstärkt zudem durch die Wiedergabe von LḤM mit συνεπολέμησεν die Zusammenarbeit zwischen YHWH und Israel im Krieg. Vulgata verzichtet auf die zweite Nennung von YHWH. Außerdem wird der kî-Satz nicht als erklärender Partizipialsatz wiedergegeben, sondern auf einer Ebene mit dem Hören auf die Stimme eines Menschen. Die abweichenden Deutungen der Versionen sind jedoch textkritisch nicht relevant. V.15: Dieser Vers fehlt in Vetus Latina und in LXX, was darauf hinweisen könnte, dass V.15 erst sekundär ergänzt wurde. Auch die altgriechische Tradition, die durch P. Schøyen als ältesten Textzeugen gestützt wird, zeigt, dass V.15 mitunter erst redaktionell hinzugefügt wurde.395 Zumindest die frühe griechische Übersetzung hat V.15 nicht gekannt, zumal P. Schøyen bereits aus dem Anfang des 3. Jahrhunderts n. Chr. stammt.396 Die Rückkehr nach Gilgal ist für den weiteren Erzählverlauf ohnehin nicht zielführend, zumal Josua und sein Heer die fliehenden Feinde in V.16–27 noch verfolgt.397 Darüber hinaus wird nirgendwo angedeutet, dass Josua und sein Heer wiederum vom Lager in Gilgal aufbrechen, um die Verfolgung der Feinde aufzunehmen. Dementsprechend ist die Rückkehr Josuas inhaltlich zumindest sehr verdächtig. Das textkritische Problem von V.15 kann unterschiedlich gelöst werden. Insgesamt bieten sich fünf verschiedene Lösungen an:398
392
Vgl. BRAULIK 2011b, 212. Vgl. BRAULIK 2011b, 222f. 394 Vgl. BRAULIK 2011b, 211. 395 Vgl. auch die Übersicht bei DE TROYER 2003, 576, die eine sekundäre Tilgung aufgrund von Homoioteleuton ablehnt. Ähnlich auch KRAUSE 2014, 217. Zu den einzelnen Textzeugen vgl. auch DE TROYER 2005, 51–59. 396 Vgl. DE TROYER 2005, 61. Auch der übrige griechische Befund verdeutlicht, dass V.15 nicht im altgriechischen Text stand. Erst die Kaige-Revision habe die griechische Tradition an den allmählich entstehenden MT angeglichen, vgl. DE TROYER 2018, 126–130. 397 Vgl. auch MILLER/TUCKER 1974, 84. Nach DE TROYER 2018, 131f. entspricht ein Weiterziehen Josuas von Ort zu Ort der Vorgehensweise des Mose. Auch vor diesem Hintergrund könnte V.15 und V.43 ursprünglich gefehlt haben. 398 Vgl. HOWARD 1998, 251. 393
166 1)
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Bisweilen wird V.15 noch dem Zitat aus dem „Buch Yaschar“ zugeordnet. Weil es in der vom Autor übernommenen Quelle stand, wurde es hier eingesetzt, was aber die weitere Erzähllogik erschwert hat. V.15 dient auf der Ebene des Endtextes dann bereits als Prolepse, die auf den Schluss der Erzählung in V.43 hingeordnet ist. Wenn V.15 tatsächlich noch zur ursprünglichen Quelle gehört hat, dann hätte folglich im „Buch Yaschar“ der südliche Eroberungsfeldzug gefehlt, sodass die Gibeonerzählung sofort mit der Rückkehr ins Lager von Gilgal schließen konnte. Darüber hinaus könnten die beiden V.15 und V.43 Struktursignale sein, die jeweils einen abgeschlossenen Abschnitt markieren. Als Formelemente sind sie sinnvoll, auch wenn sie die Erzählabfolge stören. Dementsprechend wäre V.15 proleptisch zu verstehen, indem hier schon vorweggenommen wird, was nach der folgenden Erzählung geschieht. Es handelt sich dann in V.43 um eine resümierende Wiederholung.399 Außerdem wird auf diese Weise eine inclusio geschaffen,400 die die Gleichzeitigkeit der beschriebenen Ereignisse betont, die an unterschiedlichen Orten geschehen. Möglicherweise ist V.15 wie V.43 aufgrund des vorausgehenden fast identischen Satzes kî YHWH nilḥām leYiśrāʾel erst sekundär eingedrungen,401 worauf mitunter die altgriechische Übersetzung hinweisen könnte. Allerdings ist der Befund der altgriechischen Tradition nicht überzubewerten, zumal diese nur bedingt etwas über die der Übersetzung zugrundeliegende hebräische Vorlage sagt. Es wäre nämlich ebenso möglich, dass bereits die altgriechische Übersetzung die Rückkehr nach Gilgal getilgt hat, um einen Widerspruch zu V.21 zu tilgen. Vielleicht ist V.15 aufgrund eines Abschreibefehlers eingetragen worden, da die vorausgehenden V.14 und V.42 fast wortwörtlich identisch sind. Dann wäre nur V.43 ursprünglich, während V.15 sekundär eingedrungen wäre. Allerdings sind in der Erzählung V.16–42a kaum Elemente des YHWH-Krieges zu finden, sodass 42b–43 erst bei der Verbindung mit V.1–15 hinzugekommen sein könnte, wobei V.15 dann seit jeher im ursprünglichen Text stand.402 Schließlich könnten V.15 wie auch V.43 seit jeher im hebräischen Text gefehlt haben, worauf die altgriechische Textüberlieferung hinweist.
2)
3)
4)
5)
399
Vgl. hierzu YOUNGER 1990, 381 Anm.23, der von „resumptive repetition“ spricht. einer erzählerischen Vorausnahme aus.
VAN BEKKUM 2011, 117 geht von 400 Vgl. HARSTAD 2004, 431.
401 Vgl. EHRLICH 1910, 37; DUS 1960, 361 Anm.4. Aufgrund der textkritischen Probleme sollte man jedoch die beiden V.15 und V.43 nicht als narrative Signale überbewerten, die angeblich eine Gleichzeitigkeit des Erzählten suggerieren, so aber EDERER 2017, 168. 402 MARGALIT 1992, 471 Anm.6 entwickelt dementsprechend eine sehr komplizierte textliche Überlieferungsgeschichte: a) Urtext: + V.15, - 42b–43; b) Vorlage der LXX: + V.15, 42b; c) LXX: - V.15, + 42b; d) MT: + V.15, + 42b–43.
2. Sprachliche und textkritische Probleme
167
Durch diesen Zusatz hat man den Kontrast zwischen Israel, das in einem Lager kampiert, und den Königsstädten, die zu vernichten sind, zusätzlich unterstrichen.403 Außerdem wird auf diese Weise die zentrale Bedeutung von Gilgal betont.404 Der Ort Gilgal ist zudem ein antimonarchisches Symbol, das sich gegen die königlichen Stadtstaaten richtet.405 Dann stellt sich jedoch die Frage, wieso beide Verse nachträglich ergänzt worden sind.406 Da MT die lectio difficilior bietet,407 sollte man diesen Text zumindest nicht vorschnell textkritisch kürzen. Eine Veränderung des MT dergestalt, dass Josua lediglich vorgeschlagen habe, ins Lager von Gilgal zurückzukehren,408 ist ebenfalls nicht nötig und lässt sich auch am Text nicht verifizieren. Falls der Langtext von MT ursprünglich ist, dann muss die Kürzung in der griechischen Tradition plausibel begründet werden. Wenn der Langtext von MT ursprünglich ist, dann ist der altgriechische Übersetzer vielleicht von einem wayyiqtol zum nächsten gesprungen, was aber angesichts der Tatsache, dass viele Verse mit wayyiqtol beginnen, nicht zwingend ist, da dieser Abschreibefehler eigentlich ständig geschehen kann.409 Insofern wäre es durchaus möglich, dass der LXX-Übersetzer bewusst V.15 ausgespart hat, um einen Widerspruch zu V.21 zu verhindern,410 wo das Lager Josuas in Makkeda verortet wird. Auf diese Weise konnte eine Spannung leicht beseitigt werden. Allerdings verzichtet LXX auf die Wiedergabe des Wortes „Lager“ in V.21,411 sodass man nicht notwendigerweise in ein Lager in Makkeda zurückgekehrt ist. Insofern könnte das eigentliche Lager Israels selbst nach LXX noch in Gilgal zu suchen sein, auch wenn V.15 in LXX fehlt. Der Widerspruch wäre somit auf doppelte Weise behoben worden: durch die Tilgung von V.15 und durch den Verzicht auf „Lager“ in V.21. Fraglich ist folglich, weshalb hier der LXXÜbersetzer doppelt eingegriffen hat. Außerdem konnte durch die sekundäre Tilgung von V.15 der Eindruck verhindert werden, dass die Israeliten das Verheißungsland lediglich erobert, aber nicht besiedelt haben, zumal sie nach dem Krieg wieder ins Lager nach Gilgal zurückgekehrt seien.412 Allerdings wird bei 403
Vgl. DOZEMAN 2015, 441. Vgl. zum Problem LANGLOIS 2011, 211–213. 405 Vgl. DOZEMAN 2015, 452. 406 Schon aus diesem Grund hält YOUNGER 2008, 13 Anm.12 die beiden V.15 und V.43 für ursprünglich. 407 Vgl. SOGGIN 1982, 127; BIEBERSTEIN 1995, 423 Anm.11. 408 Vgl. auch die Kritik bei LLOYD 1886, 146. 409 Vgl. hierzu auch DE TROYER 2005, 59. 410 Vgl. BENNETT 1895, 27; DE VAUX 1978, 627. Nach HOLMES 1914, 4 stellt sich aber die Frage, weshalb der LXX-Übersetzer dann auch V.43 getilgt hat, zumal dort die Rückkehr zum Lager von Gilgal unproblematisch ist. Ähnlich auch WRIGHT 1946, 112. 411 Vgl. hierzu auch DE TROYER 2016, 74f. 412 Vgl. MERLING 1996, 201. 404
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
dieser Deutung zu viel in den Text eingetragen. Insofern gibt es keinen zwingenden Grund, dass der Langtext des MT ursprünglich ist, zumal eine sekundäre Kürzung durch LXX nur schlecht begründet werden kann. Somit könnte die Lücke in LXX durchaus darauf hinweisen, dass in einem Textstadium V.15 noch gefehlt hat. Dann könnte V.15 entweder als Dittographie oder als bewusster redaktioneller Abschluss der ersten Einheit verstanden werden.413 Insofern wäre denkbar, dass ein Redaktor alle Ereignisse mit dem Lager verbinden wollte, das in Gilgal verortet wird. Dementsprechend wäre V.15 eine Vorwegnahme der Rückkehr von Josua ins Lager. Möglicherweise ist die Rückkehr ins Lager nach Gilgal theologisch motiviert, wenn nämlich jeder Feldzug Israels vom Heiligtum in Gilgal ausgehen sollte.414 Außerdem könnte der Redaktor hier den Ort eingetragen haben, wo Josua von der Zuflucht der fünf Könige erfahren hat.415 Demgegenüber hat sich in der ursprünglichen Tradition das Sonnenwunder noch bis zur Tötung der fünf Könige erstreckt (V.26–27),416 da zunächst nicht nach Gilgal gezogen, sondern die Verfolgung der Könige aufgenommen wird. Bisweilen wird hier eine späte, hasmonäische Redaktion vermutet, die den Feldzug Josuas den zeitgenössischen Ereignissen angleichen wollte. Josua wäre folglich ähnlich wie Judas Makkabäus skizziert worden. Demnach wäre Josua immer wieder in sein Basislager nach Gilgal zurückgekehrt, wie auch Judas Makkabäus mit Modeïn über eine eigene Operationsbasis verfügt hat.417 Ob jedoch eine solch späte zeitliche Verortung zutrifft, ist fraglich.418 Möglicherweise gehen beide Verse auf eine Redaktion zurück, die besonders den Ort Gilgal in den Mittelpunkt stellen wollte.419 Zumindest in der dtr. 413
Vgl. MATTHEWS 2016, 88. Vgl. HESS 1996a, 219. 415 Vgl. hierzu auch BOLING 1982, 277. Dann wäre V.15 durch wayyuggad „da meldete man“ in V.17 motiviert gewesen, vgl. GASS 2019a, 40. 416 Vgl. DOZEMAN 2015, 451. 417 Vgl. hierzu KNAUF 2008, 101. Für Modeïn als Alternativname für Gilgal vgl. auch DE TROYER 2005, 81f. Allerdings bleibt fraglich, weshalb der Autor des Makkabäerbuches in 1Makk 9,2 explizit Gilgal nennt, aber keinen wirklichen Bezug zu Modeïn herstellt. Nach DE TROYER 2016, 76–81 wurde der Fokus auf Gilgal erst in der Erweiterung des hebräischen Textes durch MT gelegt. Der MT sei folglich eine redaktionelle Erweiterung der kürzeren hebräischen Vorlage der altgriechischen Übersetzung. 418 Eigentlich ist die These schwierig, dass alle Texte mit dem Lager Gilgal auf eine späte Überarbeitung des hebräischen Textes zurückgehen, die von der altgriechischen Übersetzung noch nicht berücksichtigt werden konnte. Denn weder findet sich das Lager Gilgal ausschließlich in Überschüssen des MT, noch lässt sich damit eine bestimmte ideologische Tendenz verbinden. Außerdem scheint Gilgal spätestens in der assyrischen Zeit zerstört zu sein. Darüber hinaus war Gilgal als Platz der Idolatrie bereits in der vorexilischen Prophetie verpönt, sodass es fraglich ist, weshalb dieser Ort in einer späten Bearbeitungsschicht eine derartige Prominenz einnehmen konnte, vgl. zum Problem VAN DER MEER 2004, 316f. Auf dieses Problem weist zumindest auch DE TROYER 2005, 68 hin. 419 Vgl. NELSON 1997, 137. 414
2. Sprachliche und textkritische Probleme
169
Landnahmeerzählung war Gilgal in Jos 4–11 der zentrale Ort.420 Der Ausdruck ʾæl hammaḥanæh hagGilgālāh findet sich zudem wiederholt als Strukturierungselement in der Eroberungserzählung Jos 9–10.421 Inhaltlich ist der Zusatz wekål Yiśrāʾel ʿimmô ebenfalls nicht ohne Probleme, da hier suggeriert wird, dass Israel ohne Verluste aus der Schlacht zurückgekehrt sei. Zweifellos waren die Verluste im Heer sehr gering, was die besondere Gnade und Gunst Gottes gegenüber Josua und den Israeliten unter Beweis stellt. V.16: Vulgata lässt das verstärkende Demonstrativpronomen hāʾellæh weg, während Vetus Latina hier sogar einen All-Quantor überträgt (toti quinque reges). Vermutlich ist das Demonstrativpronomen erst sekundär in den Text eingedrungen, als man versucht hat, die fünf Könige der Makkedaerzählung mit den Amoriterkönigen zu identifizieren. Aus den namentlich genannten und verorteten Königen wurden nun „diese Könige“, bis Josua „sie“ schließlich hinrichtete. Auf diese Weise werden die Könige im Laufe der Erzählung narrativ zu Nichtsen reduziert.422 Außerdem gibt Vulgata die doppelte appositionelle Ortsbestimmung bammeʿārāh beMaqqedāh „in der Höhle, in Makkeda“ mit einer Genitivverbindung wieder (in spelunca urbis Maceda), wobei das Toponym noch als Stadt klassifiziert wird. Es handelt sich vermutlich um eine Höhle, die in der Ortsflur von Makkeda lokalisiert werden kann.423 Die Verwendung des Artikels vor der Höhle vereindeutigt die Höhle, die in der Erzählung präsent gedacht wird.424 V.17: Wie schon in V.16 wird von Vetus Latina auch hier der Ausdruck toti quinque reges verwendet, obwohl hier im MT kein Demonstrativpronomen steht. Insgesamt wird dies eine sekundäre Angleichung sein. Vulgata verändert zudem die direkte Rede des MT in eine indirekte Rede. Die Ortsbestimmung bammeʿārāh beMaqqedāh „in der Höhle, in Makkeda“ wird darüber hinaus kürzer als in V.16 wiedergegeben (in spelunca Maceda). In einigen griechischen Handschriften fehlt V.17, was auf den ersten Blick auf Homoioteleuton zurückgehen könnte,425 zumal die beiden V.16 und V.17 mit den gleichen Präpositionalverbindungen enden. Hinzu kommt, dass V.17 die inhaltliche Lücke zwischen V.16 (Flucht der feindlichen Könige) und V.18 (Reaktion Josuas) auffüllt, indem Elemente von V.16 und V.23 verarbeitet worden sind.426 Auffälligerweise wiederholt V.17 Elemente von V.16, was für die Formulierung mit wayyuggad ansonsten nicht typisch ist, da ein Bezug zum
420
Vgl. RAKE 2006, 104; KRAUSE 2014, 217. Jos 9,6; 10,6.15.43. In Jos 9,6 fehlt jedoch das he locale am Toponym. 422 Vgl. auch DE TROYER 2017, 242f. 423 Vgl. NOTH 1971a, 58; NOTH 1971b, 282. 424 Vgl. VAN BEKKUM 2011, 117. 425 Vgl. LANGLOIS 2011, 84; GERMANY 2017, 424 Anm.60. 426 Vgl. DE TROYER 2003, 586; DE TROYER 2005, 74–76. 421
170
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Vorausgehenden eigentlich nicht gegeben werden muss.427 Dementsprechend könnte V.17 in der vormasoretischen hebräischen Form, die von den altgriechischen Übersetzern verwendet wurde, gefehlt haben. Allerdings ist dann die narrative Verbindung zwischen V.16 und V.18 nicht gegeben. Denn es wird nicht klar, woher Josua plötzlich weiß, wo sich die feindlichen Könige befinden.428 Außerdem sind die griechischen Handschriften unabhängig voneinander überliefert worden, was diese Interpretation ebenfalls merklich schwächt.429 Insgesamt ist somit V.17 text- und literarkritisch nicht über jeden Zweifel erhaben. Sprachlich ist V.17 zumindest an V.16 stark angeglichen, um die Spannung zu V.15 auszugleichen.430 Wie die Information über das Versteck der Könige zu Josua gekommen ist – durch die Befragung der lokalen Bevölkerung oder durch Ausspähung mithilfe von Spionen –, wird in V.17 nicht näher ausgeführt.431 Fraglich ist auch, an welchem Ort Josua von dem Versteck der feindlichen Könige erfährt. Auf der Ebene des Endtextes ist offenbar Gilgal der Standort Josuas, auch wenn das Lager in V.21 bereits nach Makkeda gewechselt ist.432 V.18: Mit den beiden Wörtern GLL (Jos 5,9) und ʾabānîm (Jos 4,9) wird in V.18 vielleicht auf die Gilgalerzählung angespielt, wo göttliches Wunder und menschliches Zeichensetzen ebenfalls verbunden ist. Gott wirkt das eigentliche Wunder und Josua gewährleistet durch die Steinsetzung die Erinnerung an diese Heilstat.433 Vetus Latina und LXX verzichten zudem auf die nähere Beschreibung der Steine, die vor die Höhle gewälzt werden (lediglich lapides beziehungsweise λίθους). Vielleicht handelt es sich bei gedolôt in MT um eine sekundäre Erweiterung des ursprünglichen Textes.434 Mit diesem Attribut wird zumindest auf Endtextebene an V.11 angeglichen, wo Gott große Steine auf das fliehende Heer wirft. Die großen Steine entsprechen somit den Steinen, die Gott in V.11 auf die Feinde geschleudert hat. Dementsprechend folgen die Israeliten dem Beispiel Gottes, da sie ebenfalls mit großen Steinen zunächst die Höhle versperren und dann damit den Begräbnisort der feindlichen Könige verschließen.435 Das Bezugssystem der Steine funktioniert zumindest im Endtext, während in den Vorformen derartige Bezüge mitunter noch gefehlt haben, worauf der Befund der Versionen hinweist. 427 DE TROYER 2005, 74f. verweist auf Gen 22,20; 27,42; 31,22; 38,13; Ex 4,5; Jos 10,17; Ri 9,25; 9,47; 1Sam 15,12; 19,19; 23,7; 27,4; 2Sam 6,12; 10,17; 19,1; 21,11; 1Kön 1,51; 2,29; 2,41; 2Kön 6,13; 8,7; 1Chr 19,17; Jes 7,2. 428 Nach GERMANY 2017, 424 Anm.60 benötigt Josua hierfür a „crystal ball“. 429 Vgl. DE TROYER 2003, 580. 430 Vgl. FRITZ 1994, 113. 431 Vgl. zum Problem auch HUBBARD 2009, 298. 432 Vgl. zum Problem DE TROYER 2005, 66. 433 Vgl. BALLHORN 2011, 214f. 434 Vgl. HOLMES 1914, 51; BUTLER 2014, 463; DE TROYER 2018, 158f. 435 Vgl. auch HESS 1999, 28.
2. Sprachliche und textkritische Probleme
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In V.18 werden die Steine dazu verwendet, dass die fünf Könige ihr Versteck nicht mehr verlassen können, während dieselben Steine in V.27 die toten Könige begraben.436 Durch den Verschluss der Höhle sorgt Josua dafür, dass er nur eine kleine Abteilung benötigt, die die Höhle bewachen muss.437 Denn durch die großen Steine besteht kaum eine Gefahr, dass sich die feindlichen Könige freikämpfen können oder durch loyale Truppenteile befreit werden können.438 Mitunter liegt der ursprüngliche Gehalt dieser Ätiologie darin, dass die feindlichen Könige durch diese besonders großen Steine nicht mehr die Höhle verlassen konnten und in der Höhle zum Verhungern verdammt sind.439 Mit diesem Befehl stellt Josua klar, dass der Feind zunächst verfolgt werden sollte und dass das Schicksal der Könige erst im Anschluss geregelt wird.440 Die großen Steine passen zumindest zur Tradition des Verschließens der Höhle, während sie für die Kenntlichmachung des Grabs der feindlichen Könige nicht derart groß sein mussten. Die schwierige lokale Präpositionalverbindung ʿālæ̂hā wird von Vetus Latina weggelassen. Vulgata verzichtet ebenfalls auf ʿālæ̂hā und gibt MT paraphrasierend wieder, wobei auch Erweiterungen eingetragen werden: Josua befiehlt den Gefährten (qui praecepit sociis), aus großen Steinen werden übergroße (saxa ingentia) und die Männer werden als fleißig beschrieben (viros industrios). V.19: Vulgata verzichtet bei ʾoybêkæm auf die Wiedergabe des enklitischen Personalpronomens (nur hostes). Auch sonst gibt Vulgata den MT relativ frei wieder. Vetus Latina und LXX verändern zudem die enklitischen Personalpronomina im letzten kî-Satz von der 2. in die 1. Person (Deus noster in manus nostras beziehungsweise ὁ θεὸς ἡμῶν εἰς τὰς χεῖρας ἡμῶν). Vielleicht geht dieser Wechsel auf eine liturgische Personalisierung der Gottheit für die Verehrer zurück.441 Auf einen vom MT abweichenden Text weisen diese Varianten der Versionen jedenfalls kaum hin.
436 Nach YOUNGER 2008, 17 liegt hier darüber hinaus eine gewisse Ironie vor: die rettende Höhle ist den Amoriterkönigen nämlich zunächst zum Gefängnis und anschließend zum Grab geworden. 437 Nach NOTH 1971b, 283 Anm.6 ist das Erzählmotiv des Bewachens der Höhle wenig sinnvoll und vermutlich sekundär hinzugetreten. 438 Vgl. HUBBARD 2009, 298; COLESON 2012, 104. 439 Vgl. hierzu NOTH 1971b, 282. Nach FARBER 2016, 56 Anm.109 könnte die Hinrichtung der Feinde erst sekundär hinzugefügt worden sein, sodass in der ursprünglichen Tradition die Höhle lediglich verschlossen wurde. DE VAUX 1978, 630 weist auf die doppelte ätiologische Erklärung für diese Höhle hin: Zum einen könnten die Könige in der Höhle eingesperrt worden sein, bis sie verhungerten, zum anderen könnten die Könige nach ihrer Hinrichtung in dieser Höhle bestattet worden sein. Vgl. zu diesen beiden Varianten auch NOTH 1971a, 60f. 440 Vgl. BRIEND 1998, 60. 441 Vgl. BUTLER 2014, 463. Vgl. zum Problem auch DEN HERTOG 1996, 39f.
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Das schwierige Verb ZNB, das nur in Dtn 25,18 und hier belegt ist, ist ein Denominativ vom Nomen zānāb „Schwanz“.442 Dieses Verb wird in beiden Fällen verwendet, um auszudrücken, dass entweder der Feind im Rücken beziehungsweise die empfindliche Nachhut des Trosses angegriffen wurde oder dass der Feind umgangen wurde, damit die Rückzugsmöglichkeiten abgeschnitten waren. Mit dem Verb ZNB wird somit entweder der Angriff auf die Nachhut oder das Abschneiden der Rückzugsmöglichkeiten bezeichnet.443 Ob man allerdings ZNB mit „den Rückzug abschneiden“ übersetzen darf,444 ist fraglich, zumal diese Bedeutung kaum für Dtn 25,18 anzunehmen ist. Von einer Vernichtung ist in Dtn 25,18 ebenfalls noch nicht die Rede. Ähnlich muss man wohl auch die Übersetzung von V.19 durch LXX deuten, die hier lediglich das Ergreifen der Nachhut beschreibt (καταλάβετε τὴν οὐραγίαν αὐτῶν). Letztendlich wird man ZNB wohl mit einem Angriff von hinten wiederzugeben haben. Die Wortwahl von V.19 spielt darüber hinaus auf das Sonnenwunder in V.13 an.445 Die Männer werden von Josua beauftragt, wie vormals Sonne und Mond am Höhleneingang zu stehen (ʿMD), die Feinde werden davon abgehalten, in ihre Städte zu kommen (Bōʾ), was mit dem Sonnenuntergang verbunden werden kann, die Feinde werden vollständig vernichtet (tummām), was eine Anspielung auf den vollständigen Tag (keyôm tāmîm) sein könnte. Aufgrund dieser lexematischen Bezüge könnte V.19 auf einer redaktionellen Ebene wie der Autorenkommentar von V.13 liegen. V.20: Das hebräische Verb KLY, das sowohl „aufhören“ wie auch „vollenden“ heißen kann, wird von den Versionen in der Regel mit „aufhören“ wiedergegeben, da sonst der Anschluss der Entkommenen eigentlich nicht mehr möglich ist. Wenn nämlich die Vernichtung vollendet gewesen wäre, hätte es keine Entkommenen mehr gegeben.446 Allerdings wäre dann zu klären, weshalb hier die Redeweise von einem „sehr großen Schlag“ verwendet wird, der sich ansonsten auf die völlige Vernichtung des Feindes bezieht. Vielleicht ist hier literarkritisch gearbeitet worden, indem dem ursprünglich vollständigen Sieg noch eine Flucht von Entkommenen angehängt worden wäre. Nur auf diese Weise wird der südliche Eroberungsfeldzug motiviert. Auf die völlige Vernichtung der Feinde weist noch der Infinitivsatz ʿad tummām hin, der vor allem dtr. geprägt ist und sich auf die Vollständigkeit der jeweiligen Handlung
442 Aufgrund des Kontextes wird ZNB entweder mit „von hinten angreifen“ oder „die Nachhut angreifen“ zu übersetzen sein, vgl. HARSTAD 2004, 429. 443 Vgl. GÖRG 1991a, 51. Zu einem Abschneiden der Nachhut vgl. NOTH 1971a, 58; LANGLOIS 2011, 43. 444 So VAN BEKKUM 2011, 117, zumal in Jos 10 verhindert werden soll, dass der Feind die befestigten Städte erreicht. 445 Vgl. HOWARD 1998, 252; ZIESE 2008, 224; BALLHORN 2011, 215. 446 YU 2012, 584 deutet diese Spannung als Übertreibung. YOUNGER 2008, 15 sieht in den beiden Gegensätzen „ironic tension“.
2. Sprachliche und textkritische Probleme
173
bezieht.447 Es hat somit den Anschein, dass 20a zunächst die vollständige Vernichtung beschreibt, die aber dann in 20b eingeschränkt wird. Nur auf diese Weise war es schließlich möglich, dass die Erzählung weitergeführt werden konnte. LXX betont die umfassende Aktivität der Israeliten, wenn hier von πᾶς υἱὸς Ισραηλ statt nur von benê Yiśrāʾel die Rede ist. Dementsprechend wäre die Gesamtheit Israels an der Aufgabe der Vernichtung des kanaanäischen Heeres beteiligt gewesen. Es handelt sich hierbei vermutlich um eine sekundäre Ausweitung durch den LXX-Übersetzer. Den All-Quantor kol „Gesamtheit“ scheint auch Vetus Latina zu belegen, wobei hier aber auf „Söhne“ verzichtet wurde (omnis Istrahel). Möglicherweise stand im ursprünglichen hebräischen Text nur Yiśrāʾel, was im Laufe der Textgeschichte zu kol Yiśrāʾel, benê Yiśrāʾel oder kol benê Yiśrāʾel erweitert wurde.448 Hier kommt man über Vermutungen kaum noch hinaus. Vulgata kürzt diesen Satz gar um das Subjekt und beschränkt sich auf den großen Schlag, der den Feinden verpasst wurde. Während das Nomen śārîd im Kontext der Landeroberung wiederholt auftaucht,449 ist die Verwendung des Verbs ŚRD singulär. Durch die vollständige Vernichtung, die keinen entkommen lässt, hätte Josua eigentlich an die Landeroberung im Ostjordanland unter Mose anknüpfen können.450 Allerdings entkommen die śārîdîm der Schlacht in die Städte,451 sodass auch deren Eroberung im Folgenden vorbereitet wird. Außerdem wird auf diese Weise vermieden, dass es zu wunderhaften Übertreibungen kommt.452 Von einer vollständigen Vernichtung des Feindes könne somit nicht die Rede sein. Da 20b mit wx-qatal an das Vorausgehende anschließt, kann hier folglich nur ein untergeordneter Satz anschließen,453 der nicht auf der gleichen Ebene wie 20a liegt. Insgesamt hat es den Anschein, dass 20b ergänzt worden ist, als man den Bericht vom südlichen Feldzug ab V.28 anschließen wollte. Denn dort ist eine Flucht in die befestigten Städte vorausgesetzt.454 Gelegentlich wurde vorgeschlagen, dass das paranomastische Wortspiel basierend auf der Wurzel ŚRD 447 Dtn 2,15; 31,24.30; Jos 8,24; 10,20; Jer 24,10. Vgl. auch GERMANY 2017, 430, der deshalb und wegen V.25 die Makkedaerzählung einem dtr. Redaktor zuschreibt. 448 Vgl. zum Problem GREENSPOON 1983, 70f. Nach BRIEND 1998, 56 geht der Ausdruck kol Yiśrāʾel, der in V.15.29.31.34.36.38.43 zu finden ist, auf eine dtr. Redaktion zurück. 449 Jos 8,22; 10,20.28.30.33.37.39.40; 11,8. 450 Num 21,35; Dtn 2,34; 3,3. 451 Die Präpositionalverbindung mehæm ist privativ zu verstehen, vgl. HARSTAD 2004, 429, sodass nur ein Teil entkommen ist. Vgl. zu diesem Widerspruch auch GERMANY 2017, 424. 452 Vgl. WOUDSTRA 1981, 177, der aus diesem Grund in Jos 10 Geschichtsschreibung und nicht Epos oder Sage vermutet. 453 Vgl. LANGLOIS 2011, 44. 454 Vgl. BOLING 1982, 286. Nach FRENDO 2002, 37–42 gebe es zudem zwei phönizische Stelen, die eine Flucht der Kanaanäer nach Afrika infolge der Eroberung des Verheißungslandes durch Josua erwähnen. Diese Stelen sind zwar verschollen, werden aber von Procopius erwähnt. Dagegen aber zurecht SCHMITZ 2007, 99-102.
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
erst sekundär entstanden ist, indem śāredû m- eine versehentliche Wiederholung von śerîdîm gewesen sei.455 Eine sekundäre Erweiterung ist aber nicht nötig, da die verkürzte Wiedergabe dieses Wortspiels durch die Versionen auch auf einen Ausfall von śāredû m- aufgrund von Haplographie zurückgeführt werden kann. LXX verkürzt zudem den Text, indem hier mehæm wayyāboʾû hinter śāredû vermutlich aufgrund von Haplographie ausgefallen ist.456 Insofern ist hier keine innergriechische Entwicklung anzunehmen,457 sondern eher ein Verlust des hebräischen Textes aufgrund eines Lesefehlers. Peschitta belegt darüber hinaus eine eigene Tradition, die den MT markant abändert: „und ein Entronnener blieb von ihnen nicht übrig und sie brachten die Kämpfer von Gibeon in ihre Stadt.“458 V.21: Vulgata versteht das hebräische Wort ʿam offenbar als „Heerbann“ (exercitus). Darüber hinaus löst Vulgata die Spannung der Verortung des Heerlagers in Makkeda im Gegensatz zu Gilgal durch einen erklärenden Relativsatz (ubi tunc erant castra), während Vetus Latina und LXX gänzlich auf die Wiedergabe von „Lager“ verzichten, um diese widersprüchliche Angabe des MT auszumerzen. Dies entspricht der üblichen Vorgehensweise der LXX, die auch sonst das Lager der Israeliten ausschließlich in Gilgal verortet459 und daher kein Lager in Makkeda zulassen kann. Allerdings kann der Ausdruck ʾæl hammaḥanæh auch aufgrund von Homoioarkton entfallen sein,460 wenn nämlich der Abschreiber unbeabsichtigt vom ersten zum zweiten ʾæl wechselte. Durch den Wegfall von ʾæl hammaḥanæh wird zumindest eine inhaltliche Spannung zu V.15 beseitigt. Demgegenüber wäre es auch möglich, dass ʾæl hammaḥanæh in Angleichung an V.6 erst sekundär in den ursprünglichen Text eingedrungen wäre.461 Allerdings ist kein inhaltlicher Grund für eine Erweiterung zu erkennen. Es bleibt somit dabei, dass der längere MT beibehalten werden kann.
455
Vgl. BENNETT 1895, 27. Nach KEDAR-KOPFSTEIN 1993, 879f. könnte das paronomastische Wortspiel in Jos 10,20 zwar auf die Grundbedeutung von ŚRD „entrinnen“ hindeuten, aber die Flucht beziehungsweise das Entronnensein tritt gegenüber der Bedeutung „Rest“ in den Hintergrund. Dementsprechend liegt das Hauptaugenmerk von ŚRD eher auf der Tatsache des Überlebens und nicht auf dem Entfliehen aus einer Katastrophe. 456 Zu einer Tilgung von mehæm wayyāboʾû vgl. auch HOLMES 1914, 51. 457 So aber BOLING 1982, 277. 458 Vgl. HOLZINGER 1901, 35. 459 Vgl. BUTLER 2014, 463. HERTZBERG 1985, 75 vermutet, dass es in Makkeda eine Lokaltradition von einem Lager Josuas gegeben habe, die hier aufgegriffen werde. Das ist aber eine Vermutung, die nicht abgesichert werden kann. 460 Vgl. BARTHÉLEMY 1982, 17; VAN BEKKUM 2011, 117. BOLING 1982, 277 deutet diesen Ausfall hingegen als Haplographie. 461 Vgl. STEUERNAGEL 1900, 192; GERMANY 2017, 425. BARTHÉLEMY 1982, 18 weist noch auf die analogen Stellen Jos 9,6; 10,6 und 18,9 hin, wo ebenfalls dieses Direktiv gesetzt wird, sodass es sich bei ʾæl hammaḥanæh um eine harmonisierende Glosse handeln könnte.
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Da zudem der Ortsname Makkeda ohne Präposition hinter Josua gestellt und im Gegensatz zu Gilgal in V.15.43 ohne he-locale konstruiert ist, könnte die Verortung in Makkeda ein sekundärer Zusatz sein,462 zumal eine Verlegung des Lagers von Gilgal nach Makkeda auffällig ist. Der Ortsname Makkeda steht zumindest in keiner Beziehung zum Lager oder zu Josua.463 Insofern könnte hier ursprünglich nur „zum Lager, zu Josua“ gestanden haben. Allerdings fehlt dann die für den weiteren Verlauf der Erzählung wichtige Verortung der Geschehnisse in Makkeda. Interessanterweise wird mit dem Verb ŠūB „zurückkehren“ offenbar ausgedrückt, dass Josua zuvor schon in Makkeda gewesen ist und nun die „Gesamtheit des Volkes“ dorthin zurückkehrt.464 Außerdem wird die Zustandsbeschreibung des Heeres bešālôm von Vulgata noch zusätzlich präzisiert (sani et integro numero). In der Tat lässt sich bešālôm unterschiedlich wiedergeben: in Frieden oder in Gesamtheit, sodass hier entweder auf die Unversehrtheit oder auf die Vollständigkeit abgezielt wird.465 Allerdings ist auch möglich, dass lediglich die Rückkehr bešālôm erfolgte. Demnach wäre nur der Rückweg ohne Schaden durchgeführt worden. Es gehe folglich nicht um den wunderhaften Schutz der Israeliten während der Schlacht gegen das amoritische Heer.466 Verluste habe es durchaus gegeben, aber der Rückzug verlief ohne Probleme. Vielleicht soll bešālôm daher unterstreichen, dass das Kriegsvolk sicher nach Hause an seinen Ausgangspunkt zurückkehrt.467 Möglicherweise ist hier aber auch gemeint, dass die Israeliten bei ihrer Rückkehr Ganzheit, Sicherheit und Gesundheit erfahren haben, was das eigentliche Ziel für den Glaubensgehorsam Israels wäre.468 Offenbar sollte hier mit verschiedenen Bedeutungsebenen gespielt werden. Der letzte Satz ist syntaktisch und semantisch schwierig. Das Idiom ḤRṢ + lešonô „seine Zunge wetzen“ wird auch von einem Hund ausgesagt (Ex 11,7), der seine Zunge gespitzt und folglich gekläfft hat.469 Nach Ex 11 blieb Israel zudem verschont, während die Erstgeburt der Ägypter ausgelöscht wurde. Nicht einmal ein Hund würde seine Zunge gegen Israel wetzen. Vor diesem 462
Vgl. FRITZ 1994, 113. Vgl. DE TROYER 2005, 67 Anm.45. 464 Fraglich ist, ob das Lager jemals nach Makkeda verlegt wurde, vgl. zu dieser Spannung auch DE TROYER 2005, 66. 465 EDERER 2017, 173 vermutet hier, dass die Israeliten ohne Verluste ins Lager kamen. 466 Vgl. HOLZINGER 1901, 40. 467 Vgl. DE TROYER 2005, 67. Nach GERLEMAN 1976, 928 bedeutet die Verbindung von Bewegungsverb + bešālôm „in Zufriedenheit, wohlgemut gehen“. Ob hiermit eine physische Unversehrtheit verbunden ist, ist somit nicht gesichert. Allerdings geht NEL 1997, 131 davon aus, dass sich das Lexem šālôm auf körperliche Gesundheit beziehen kann. 468 Vgl. BUTLER 2014, 488. 469 Nach WOUDSTRA 1981, 178 wird durch diese intertextuelle Beziehung betont, dass die Heilsgeschichte von der Rettung Israels weiterhin andauert. Nach FRITZ 1994, 113 handelt es sich in Ex 11,7 um einen dtr. Zusatz. Dementsprechend könnte folglich auch der Hinweis in V.21 auf dtr. Redaktionsarbeit zurückgehen. 463
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intertextuellen Bezug werden die Kanaanäer aus Jos 10 mit der Situation in der Nacht des Exodus verglichen. Vielleicht darf man mithören, dass die Kanaanäer wie Hunde und damit ziemlich respektlos beschrieben werden,470 auch wenn in V.21 der Hinweis auf kælæb fehlt. Man müsste somit noch Ex 11,7 in V.21 mitlesen. Zweifellos ist hier im Blick, dass Israel von keiner Seite mehr bedroht wird. Dieses Bild setzt freilich voraus, dass es hier noch nicht um eine vollkommene Vernichtung der Vorbevölkerung geht, da es noch Fremde im Verheißungsland gegeben hat, die sich aber ruhig verhalten. Fraglich ist darüber hinaus, ob sich dieser Satz lediglich auf die friedliche und ungefährdete Rückkehr des Heeres bezieht471 oder ob nun ein dauerhaftes konfliktfreies Leben im Verheißungsland ermöglicht wurde.472 Nur im zweiten Fall würde mit diesem Satz ausgedrückt werden, dass Israel in Ruhe und Sicherheit existieren kann und seinen Mitbewohnern gegenüber überlegen ist. Eine weitere Bedrohung Israels würde demnach von den Völkern nicht mehr ausgehen.473 Ob ein solcher Idealzustand erreicht war, lässt sich jedoch nicht mit Sicherheit belegen. Da dieser Satz zudem asyndetisch an bešālôm anschließt, könnte er auch das letzte Element des vorausgehenden Satzes epexegetisch näher erläutert haben. Dann würde dieser Satz lediglich bešālôm näher ausführen,474 was wiederum eher für die erste Option spricht, dass lediglich die Rückkehr des Heeres friedlich verlief. Hier kommt man über Vermutungen kaum noch hinaus. Vielleicht ist hier bewusst offen formuliert worden. Im letzten Satz fehlt darüber hinaus ein explizites Subjekt, es sei denn, man tilgt den Konsonanten l vor leʾîš als Dittographie hinter Yiśrāʾel, sodass ʾîš als Subjekt dienen kann,475 oder man deutet die Präposition l als lamed emphaticum,476 welches das Subjekt besonders betonen möchte. Bisweilen wird auch eine adverbielle Verwendung von leʾîš im Sinne von „vollständig, einhellig“ vorgeschlagen. Die einfachste Lösung wäre es, leʾîš als Apposition zu libnê Yiśrāʾel zu deuten,477 um auszudrücken, dass jeder einzelne Israelit nicht bedroht wurde. Eine Konjektur zu kælæb wie in Ex 11,7478 ist zumindest nicht 470
Vgl. auch HOWARD 1998, 253. Vgl. ROBINSON 1907, 317. 472 Vgl. SPRONK 1994, 90, dem zufolge Israel nun seinen Platz gefunden habe und niemand mehr auf sie herabsieht. 473 Vgl. DOZEMAN 2015, 453f. Vielleicht bezieht sich diese Aussage aber auch auf die in der Höhle eingesperrten Könige, von denen keine Gefahr mehr zu erwarten ist. 474 Vgl. zum Problem LANGLOIS 2011, 46. 475 Vgl. hierzu schon DILLMANN 1886, 491; OETTLI 1893, 157; BENNETT 1895, 27; STEUERNAGEL 1900, 192; HOLZINGER 1901, 35; EHRLICH 1910, 37; HOLMES 1914, 51; COOKE 1918, 93; RUDOLPH 1938, 208 Anm.1; NOTH 1971a, 58; MILLER/TUCKER 1974, 85; BOLING 1982, 277; RÖSEL 2011, 174. 476 Vgl. SOGGIN 1982, 120; NELSON 1997, 137. 477 Vgl. LLOYD 1886, 150. Nach KEIL 1847, 195 heißt leʾîš entweder „gegen irgendeinen“ oder ist eine nähere Bestimmung zu libnê Yiśrāʾel. 478 So aber FRITZ 1994, 109. 471
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nötig. Targum hat zudem in V.21 eine Sondertradition: „es entstand kein Schaden für die Kinder Israel, sodass sich jemand hätte bedrückt fühlen müssen“.479 Der MT erzeugt darüber hinaus eine übertreibende Spannung, da sich nun Josua und die Israeliten in Makkeda inmitten des Feindeslandes befinden und der Rest des amoritischen Heeres in die schützenden Städte geflohen ist.480 Von einer Sicherheit Israels kann eigentlich überhaupt keine Rede sein. Vielmehr konnten sich die Feinde in die Städte zurückziehen und auf die nächste Angriffsmöglichkeit lauern. V.22: Anstelle von einfachem ʾMR betont Vulgata den Auftrag Josuas, indem der Übersetzer noch praecepitque vorangestellt und dadurch die Anrede verdoppelt beziehungsweise verstärkt hat. Bei den folgenden Imperativen handelt es sich somit nach Vulgata um Befehle Josuas, und nicht nur um Worte. Sowohl Vetus Latina wie LXX übersetzen nur das nomen rectum meʿārāh und sparen sich das Wort pî „Eingang“, was aber mit keiner wesentlichen Bedeutungsdifferenz verbunden ist. Bisweilen wird vermutet, dass pî hinter pitḥû entfallen sei, um die auffällige Assonanz zu beseitigen. Hierfür müsste zuvor aber auch noch die nota objecti ʾæt vor pî ausgefallen sein.481 In Vetus Latina und LXX fehlt die direktive Präpositionalverbindung ʾelay „zu mir“. Aufgrund dieser Lücke wird vermutet, dass die Autorität Josuas möglicherweise erst sekundär in die ursprüngliche Tradition eingetragen worden wäre.482 Dementsprechend müsste man hier nicht mit Haplographie rechnen, die aufgrund der vielen Konsonanten ʾ leicht eintreten hätte können.483 Allerdings ist bei diesem Satz eine Übertragung von ʾelay „zu mir“ ins Lateinische beziehungsweise Griechische nicht zwingend nötig, sodass der Übersetzer hierauf auch verzichten konnte.484 Somit spricht eigentlich nichts gegen MT. Weitreichende Schlussfolgerungen aufgrund des Fehlens von ʾelay „zu mir“ sind daher nicht zu ziehen. Weder ist ʾelay „zu mir“ aus dem Text getilgt worden, noch ist dies ein späterer redaktioneller Zusatz des MT. Darüber hinaus wird von Vulgata auf eine Wiedergabe des Demonstrativums hāʾellæh verzichtet und die separative Präpositionalverbindung min hammeʿārāh durch einen Relativsatz ersetzt, der auf die Verortung des Verstecks der fünf Könige verweist (qui in ea latitant). Vielleicht hat Vulgata bewusst die Formulierung min hammeʿārāh variieren wollen, die auch in V.23 verwendet wird. Falls hier aber ursprünglich ein anderer hebräischer Text stand, dann kann man nicht mithilfe des Arguments der Wiederaufnahme von min hammeʿārāh aus V.22 in V.23 einen sekundären Zusatz zwischen V.22 und V.23 begründen. Hier kommt man über Vermutungen nicht mehr hinaus. 479
Vgl. HOLZINGER 1901, 35. Vgl. YOUNGER 2008, 15. 481 So BOLING 1982, 277. 482 Vgl. hierzu BUTLER 2014, 463. 483 Vgl. BOLING 1982, 277. 484 Vgl. HOLMES 1914, 51. 480
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V.23: Die Ausführungsformel mit ʿŚY ken fehlt in Vetus Latina und LXX, was mitunter auf Haplographie der beiden wayyiqtol-Formen zurückgehen könnte,485 während Vulgata noch zusätzlich ein Subjekt einträgt und auf den Befehl Josuas verweist (fecerunt ministri ut sibi fuerat imperatum). Peschitta ergänzt nach der Ausführungsformel ebenfalls noch den Hinweis „wie Josua ihnen gesagt hatte“.486 Gelegentlich wird die Ausführungsformel von griechischen Handschriften sogar an das Ende von V.22 gezogen. Insgesamt wurde der Anfang von V.23 von den einzelnen Versionen recht unterschiedlich wiedergegeben. Insgesamt scheint diese Textvarianz anzudeuten, dass in V.23 noch längere Zeit literarisch gearbeitet wurde. Außerdem konnte 23a aufgrund von Homoioteleuton ausgefallen sein,487 da der Ausdruck ἐκ τοῦ σπηλαίου sowohl am Ende von V.22 als auch am Ende von 23a steht. Dann wäre der längere MT durch einen Abschreibefehler gekürzt worden. Darüber hinaus könnte nur die Ausführungsformel wayyaʿaśû ken sekundär ergänzt worden sein. Demnach habe erst MT die Abfolge Befehl – Ausführung zusätzlich durch die Ausführungsformel verstärkt.488 Ob diese Beobachtung redaktionsgeschichtlich ausgewertet werden kann, muss sich noch zeigen. Während in MT die fünf Könige asyndetisch nebeneinandergestellt werden, werden sie von Vetus Latina, LXX und Peschitta mit der Konjunktion „und“ verbunden,489 wodurch die lose Anordnung des MT sprachlich verbessert wird. Wie schon in V.3 wird auch hier der Ortsname Eglon in den Versionen gerne zu Adullam verändert. Außerdem fehlt die direktive Präpositionalverbindung ʾelāyw „zu ihm“ – wie schon im Befehl von V.22 – nun auch in der Ausführung, was aber auch hier nicht auf einen Textverlust hinweisen muss. Das Demonstrativum hāʾellæh fehlt zudem in LXXB, in der Peschitta und in der Vulgata. Vielleicht handelt es sich hier um eine sekundäre Angleichung des MT an V.22, zumal ein Ausfall von hāʾellæh schwer zu erklären ist.490 Dann wäre im ursprünglichen Text hāʾellæh nicht gestanden. Vermutlich hat der Endredaktor des MT in Jos 10 systematisch versucht, „die Könige“ nachträglich in „diese Könige“ zu ändern.491 Die Könige werden in V.23 nur noch nach Orten aufgezählt, aber nicht mehr mit Namen genannt. Diese Namenlosigkeit 485 Vgl. BOLING 1982, 277. Nach HOLMES 1914, 51 ist eine Übersetzung der Ausführungsformel nicht zwingend gefordert. 486 Vgl. DE TROYER 2003, 578. 487 Vgl. LANGLOIS 2011, 92. Zum schwierigen textkritischen Befund vgl. DE TROYER 2003, 577. 488 Vgl. DE TROYER 2003, 587f. 489 Vgl. auch HOLZINGER 1901, 35. 490 Vgl. BOLING 1982, 277, der von einer „vertical dittography“ ausgeht. Zum textkritischen Problem vgl. auch DE TROYER 2017, 232f. Nach TOV 1986, 332 handelt es sich bei dem Demonstrativpronomen des MT um eine kleine Erklärung. 491 Vgl. DE TROYER 2017, 239.
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deutet an, dass diese Könige trotz ihrer früheren Bedeutung bereits in die Bedeutungslosigkeit versunken sind.492 Sukzessive werden die Könige zu Nichtsen depotenziert. V.24: Vetus Latina und LXX ersetzen das Objekt ʾæt hammelākîm hāʾellæh „diese Könige“ durch das Demonstrativum eos beziehungsweise αὐτοὺς, um den MT zu glätten und unnötige Redundanzen zu vermeiden. Insofern ist es nicht nötig, das Objekt ʾæt hammelākîm hāʾellæh „diese Könige“ im MT als eine sekundäre Glosse zu deuten.493 Außerdem wird der Ausdruck ʾîš Yiśrāʾel „Mannschaft Israels“ von Vetus Latina und LXX zu Yiśrāʾel „Israel“ verkürzt. Vielleicht ist der Ausdruck ʾîš Yiśrāʾel eine sekundäre Angleichung an Jos 9, wo die „Mannschaft Israels“ eine gewichtige Rolle spielt. Denn auch einige hebräische Handschriften sowie die Peschitta belegen lediglich Yiśrāʾel.494 Diese Beobachtung mag für redaktionsgeschichtliche Modelle wichtig sein, bei denen unterschiedlich genannte Akteure verschiedenen Schichten zugesprochen werden. Die Verbalform hæhālekûʾ ist schwierig. Vermutlich wurde hier der Artikel als Relativpronomen vor die finite Verbalform gesetzt, was auch durch die Lesart der LXX angedeutet wird (τοὺς συμπορευομένους αὐτῷ). Die Verwendung des Artikels anstelle des Relativpronomens ist jedoch erst in späten Texten belegt,495 sodass es sich hierbei um eine späte Form handeln wird. Allerdings ist eine Spätdatierung von V.24 trotz dieser Form nicht sicher,496 zumal der zuvor verwendete Titel qāṣîn fast ausschließlich für Würdenträger in vorexilischer Zeit verwendet wird.497 Allerdings schließt diese Beobachtung nicht aus, dass hæhālekûʾ ʾittô ein später Zusatz sein kann. Problematisch ist darüber hinaus der wortschließende Konsonant ʾ. Bisweilen wird angenommen, dass dieses Schluss-ʾ bei hæhālekûʾ entweder eine Dittographie vom folgenden ʾittô oder ein Vokalbuchstabe sei:498 1)
Zunächst fällt auf, dass in V.24 aufgrund der Häufigkeit des Konsonanten ʾ ohnehin textkritische Probleme vorprogrammiert sind.499 Insofern kann mit unnötigen Verdoppelungen von ʾ durchaus gerechnet werden. Wenn 492
Vgl. auch HUBBARD 2009, 299. Zur Namenlosigkeit als literarische Technik vgl. HUB2004, 294–309. 493 So aber HOLMES 1914, 51. 494 Vgl. BUTLER 2014, 463. Zum Problem vgl. auch GREENSPOON 1983, 279. Möglicherweise fehlte ʾîš in der hebräischen Vorlage der LXX, vgl. hierzu YOUNGER 1990, 381 Anm.27. 495 Vgl. HOLZINGER 1901, 37. 496 Vgl. auch RÖSEL 2011, 174 Anm.35. 497 Jos 10,24; Ri 11,6.11; Spr 6,7; 25,15; Jes 1,10; 3,6.7; 22,3; Mich 3,1.9. Einzige Ausnahme könnte Dan 11,18 sein. 498 Vgl. zum Problem EHRLICH 1910, 37; NOTH 1971a, 58; BOLING 1982, 277; SOGGIN 1982, 120; NELSON 1997, 137; HARSTAD 2004, 430. 499 Vgl. BOLING 1982, 277. BARD
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man zudem eine doppelte Dittographie am Anfang (h) und Ende (ʾ) annimmt,500 dann muss weiterer Text ausgefallen sein, da der auf diese Weise rekonstruierte ursprüngliche Verbalsatz hālekû ʾittô kaum in den Satzkontext des MT passt. Vielleicht ist der Konsonant ʾ lediglich zur Kennzeichnung von auslautendem Vokal verwendet worden. Dann hätte man hier eine doppelte mater lectionis, wie dies für späte Texte durchaus möglich ist, wie der Befund in Qumran verrät.501 Allerdings sind die Belege aus Qumran durchaus nicht über jeden Zweifel erhaben, sodass man bisweilen von der Verwendung einer Pseudowurzel LKʾ ausgeht, wobei man hier aber zusätzlich eine Metathese annehmen müsste.502
2)
Die Form hæhālekûʾ ʾittô ist somit schwierig und in ihrer Deutung umstritten. Vermutlich handelt es sich um einen Relativsatz mit dem Artikel als Relativpronomen. Die sonderbare Endung der Verbalform lässt sich ebenfalls textkritisch beziehungsweise phonetisch erklären, ohne dass man hier zu einer Konjektur greifen muss.503 Die Verwendung von HLK + ʾæt bedeutet zudem „als Offizier oder Verbündeter an einem Feldzug teilnehmen“, während HLK + ʾaḥarê mit „als Soldat an einem Feldzug teilnehmen“ wiederzugeben wäre.504 Hier wird somit auch sprachlich auf die Bedeutung der Führungsschicht der qeṣînîm hingewiesen. Ein qāṣîn ist zunächst entweder ein militärischer oder ein ziviler Entscheidungsträger.505 Die qeṣînê ʾanšê hammilḥāmāh sind hier jedoch militärische Befehlshaber, auch wenn das Nomen qāṣîn ganz allgemein einen Herrscher bezeichnen kann.506 Nur diese Gruppe setzt ihre Füße auf den Nacken der Feinde, nicht die Gesamtheit des israelitischen Heeres.507 Die Verwendung des Wortes qāṣîn ist zumindest auffällig, da dieses Lexem in den Erzählungen der Landeroberung und Landverteilung ansonsten nicht vorkommt. Außerdem bezieht sich qāṣîn meist nur auf einen einzigen Anführer.508 Lediglich in prophetischen Texten ist auch der Plural belegt.509 500
Vgl. HOLZINGER 1901, 35. Vgl. DOZEMAN 2015, 434. 502 Vgl. hierzu LANGLOIS 2011, 47–51. 503 Trotzdem wird der schwierige MT aufgrund der sprachlichen Auffälligkeiten bisweilen emendiert, vgl. hierzu HOLMES 1914, 51f. 504 Vgl. EHRLICH 1910, 37f. 505 Vgl. KNAUF 2008, 103, dem zufolge dieser Begriff überwiegend in jungen Texten vorkommt. 506 Eine Verbindung zu arab. qāḍī „Richter“, „Entscheider“ ist nach GRAY 1986, 109 eher nicht naheliegend, da man das vorliegende Wort als passives Partizip von QṢN ableiten könne. 507 LAUGHLIN 2015, 143 sieht aber hier ein Problem, da nicht klar ist, wie die Befehlshaber ihre Füße auf nur fünf Nacken zur gleichen Zeit platzieren können. 508 Ri 11,6.11. 509 Jes 1,10; 22,3; Mich 3,1.9. 501
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Am Schluss von V.24 verzichten Vetus Latina und LXX auf die Nennung „dieser Könige“, die durch ein Demonstrativum ersetzt werden (cervices eorum beziehungsweise ἐπὶ τοὺς τραχήλους αὐτῶν). Vielleicht wollten die Abschreiber den etwas redundanten Text vereinfachen und verkürzen. Allerdings wäre es auch möglich, dass das ursprüngliche enklitische Personalpronomen -hæm von einem späteren Abschreiber zu hammelākîm erweitert wurde. Dann wäre die Lesart des MT eine Erweiterung. Hinzu kommt, dass man sekundär Befehl und Ausführung wörtlich aneinander angeglichen haben könnte, sodass der Kurztext an den Befehl angepasst wurde. Insofern ist es schwierig, hier eine befriedigende textkritische Lösung zu entwickeln. Grundsätzlich spricht aber auch nichts gegen den längeren MT. Vulgata qualifiziert darüber hinaus die feindlichen Könige durch einen Hinweis auf deren Verfolgung noch näher (qui cum perrexissent), was aber nicht auf einen ursprünglichen Text zurückgehen muss. Die feindlichen Könige werden in Jos 10 zweifach entehrt: durch das Setzen des Fußes auf den Nacken der Könige und schließlich durch das Aufhängen an Pfählen in V.26.510 Beide Dinge werden auch in der assyrischen Propaganda im Rahmen der psychologischen Kriegsführung verwendet, um Furcht und Gehorsam bei den unterworfenen Völkern zu erzeugen.511 Das Setzen des Fußes auf den Feind als Unterwerfungsritual wird auch in Dtn 33,29, 1Kön 5,17 und Ps 110,1 erwähnt. Darüber hinaus kann das Aufsetzen der Füße als Zeichen nicht nur für die Überlegenheit, sondern auch für die Vernichtung des Feindes gewertet werden.512 Dieser Gestus ist zudem ein Symbol für bedingungslose Kapitulation,513 zumal der Nacken mit Stärke konnotiert wird. Diese Stärke wird durch diesen Akt gebrochen.514 Auf diese Weise wird der Sieg der Israeliten augenscheinlich demonstriert. Es könnte sich zudem um einen Akt von imitativer Magie handeln, mit deren Hilfe übernatürliche Kräfte auf den Unterworfenen gebündelt werden.515 Außerdem wird hier ein Symbol, das in der Ikonographie immer wieder mit einem König begegnet, auf die militärischen Befehlshaber ausgeweitet.516 Darüber hinaus wird Jos 1,3 eingespielt, wonach jeder Ort, den die Israeliten betreten, ihnen zufallen wird, auch wenn dies dort 510
Vgl. AULD 2005, 162. Vgl. ROWLETT 1996, 171. 512 Vgl. GÖRG 1991a, 52. FARBER 2016, 55 weist darauf hin, dass man die feindlichen Könige zuvor auf den Boden gelegt hat. 513 Vgl. FRITZ 1994, 113f., dem zufolge dieser Gestus von ägyptischen ikonographischen Vorbildern entlehnt wurde. Zu diesem Zeichen der völligen Unterwerfung vgl. auch NOTH 1971a, 66. 514 Vgl. HUBBARD 2001, 19f. 515 Vgl. GRAY 1986, 109f. 516 Von einer wirklichen Demokratisierung ist hier, da lediglich die qeṣînê ʾanšê hammilḥāmāh im Blick sind, nicht die Rede, so aber NELSON 1997, 146; HALL 2010, 177. Auch nach KNAUF 2008, 103; KNAUF 2010b, 507 trete Israel durch seine Repräsentanten in eine königliche Rolle ein. 511
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mit der Wurzel RDP ausgedrückt wird.517 Außerdem sind nun die kanaanäischen Könige den Israeliten tatsächlich unterworfen, wie dies Gen 9,25–27 bereits in der Urgeschichte angekündigt hat.518 V.25: Vulgata verzichtet auf die explizite Nennung des Subjekts Josua, vermutlich um den teils redundanten Text zu vereinfachen und zu glätten, zumal der Sprecher aus dem Kontext bereits bekannt ist. Eine Veränderung des MT ist somit nicht angezeigt. Die Ermutigungsformel ʾal tîrʾû „Fürchtet euch nicht“, die eigentlich ohne ein spezifisches Objekt auskommt, wird von LXX durch ein Demonstrativum „vor ihnen“ ergänzt (Μὴ φοβηθῆτε αὐτοὺς). Offenbar hat der LXX-Übersetzer die allgemeine Form des Heilsorakels nicht mehr verstanden und den Vetitiv auf den einen spezifischen Fall bezogen.519 Außerdem könnte auch an V.8 angeglichen sein, wo im MT ebenfalls eine Präpositionalverbindung mehæm steht. Mit der Ermutigungsformel ʾal tîrʾû wird zudem auf Jos 1,7.9 und Jos 8,1 zurückgeblickt und die bevorstehenden Feldzüge vorbereitet. Der Aufruf Gottes an Josua aus Jos 1,7.9 wird darüber hinaus von Josua an die Befehlshaber weitergegeben. Hier zeigt sich wieder die herausragende Qualität Josuas als Anführer der Israeliten, der diese Ermutigung nicht mehr nur selbst für sich von Gott erhält, sondern diese an seine Untergebenen weitergibt und sich auf diese Weise als würdiger Anführer erweist.520 Vetus Latina transformiert die beiden Vetitive zu untergeordneten Sätzen und ergänzt sogar im Gegensatz zu LXX in beiden Fällen ein Objekt (Non est quod timeatis illos neque paueatis illos). Außerdem verzichtet Vetus Latina auf das enklitische Personalpronomen bei lekål ʾoybêkæm (omnibus inimicis). Bisweilen wird daran gedacht, ʾôtām zu ʾittām zu verändern, da das Verb LḤM in der Regel mit der Präposition ʾæt verbunden wird. Fraglich ist demnach, ob im letzten Satz anstelle von ʾôtām nicht besser ʾittām zu lesen wäre.521 Allerdings gibt es auch Fälle, bei denen die Präposition durch die sogenannte nota objecti ausgetauscht sein kann,522 sodass diese Umvokalisierung eigentlich nicht notwendig ist. V.26: Vetus Latina und LXX verzichten auf die doppelte Ausführung des Wortpaars NKY „erschlagen“ und MūT „töten“. Durch diese Doppelung im MT wird zumindest explizit sichergestellt, dass die Könige tot waren, bevor sie aufgehängt wurden.523 Auch die zeitliche Näherbestimmung ʾaḥarê ken wird
517
Vgl. zu diesem Bezug AULD 1984, 73. Vgl. HERTZBERG 1985, 75; WOUDSTRA 1981, 178. 519 Vgl. BUTLER 2014, 463. 520 Vgl. hierzu auch HOWARD 1998, 254; HALL 2010, 183. Nach HUBBARD 2001, 21 habe Josua ausweislich dieser Weitergabe „full maturity as leader“ erreicht. 521 Vgl. DILLMANN 1886, 491. 522 Vgl. RÖSEL 2011, 175 Anm.36, der auf Jos 14,12 und 1Kön 20,25 verweist. 523 Vgl. GASS 2013, 107f. 518
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von Vetus Latina und LXX nicht berücksichtigt. Vielleicht gehen diese abweichenden Lesarten, die die Elemente ʾaḥarê ken wayemîtem nicht bieten, auf innergriechische Haplographie zurück, indem nämlich von ᾿Ιησοῦς zu αὐτοὺς gesprungen wurde, wobei αὐτοὺς das enklitische Personalpronomen von wayemîtem wiedergibt.524 Insofern ist es nicht nötig, dass der MT auf eine sekundäre Erweiterung zurückgeht, die die Tötung der fünf Könige noch explizit eintragen wollte.525 Dementsprechend ist MT hier nicht zu kürzen. Textkritische Probleme bereitet auch das Lexem ʿeṣîm „Bäume“, bei dem es sich um die unterschiedlichsten Dinge handeln kann. Vulgata übersetzt ʿeṣîm „Bäume“ mit stipites, sodass hier nicht nur explizit an „Bäume“ gedacht sein wird, sondern eher an Pfähle beziehungsweise Holzstangen, an denen man die toten Könige zur Schau gestellt hat. Außerdem überträgt Vulgata die überflüssige zweite Nennung von ʿeṣîm nicht, wodurch der Text geglättet wird. Die Vetus Latina gibt ʿeṣîm mit fustes und in ligno wieder und denkt offenbar ebenfalls eher an Pfähle, an denen die feindlichen Könige aufgehängt wurden. Die Praxis der Pfählung unterlegener Herrscher – tot oder lebendig – war seit den Assyrern als Instrument der Propaganda üblich.526 Die Pfählung des unterworfenen toten Gegners ist darüber hinaus ein Zeichen höchster Verachtung. Durch die Pfählung waren die Könige auch verflucht, zumal ein Aufgehängter nach Dtn 21,23 ein Fluch Gottes ist.527 Mit der öffentlichen Zurschaustellung sollten die toten Feinde erniedrigt und die kanaanäische Bevölkerung eingeschüchtert, aber auch die eigenen Truppen ermutigt werden.528 Die Ausstellung der toten Körper der Feinde in Jos 10 hat zudem einen theologischen Hintergrund. Auf diese Weise wird verdeutlicht, wie Gott bereits geholfen hat und was Gott mit seinen künftigen Feinden zu tun gedenkt.529 Während die Assyrer aber auch Lebende durch das Hängen an Pfählen hingerichtet haben, verzichten die Israeliten hier auf diese grausame Todesart,530 worauf der Anfang von V.26 mit der Doppelung NKY – MūT hinweist. Trotzdem schwingt in diesem Text eine doppelte Tötungsart mit, nämlich Erschlagen und Pfählen oder Kreuzigen.531 An eine Kreuzigung der feindlichen Könige dachte vermutlich auch ein griechischer Übersetzer (Manuskript k2), der 524
Vgl. NELSON 1997, 137. Vgl. hierzu HOLMES 1914, 52; TOV 1986, 333. 526 Vgl. GASS 2013, 127–129. Zu dieser historischen Verbindung vgl. auch VAN SETERS 1990, 7. 527 Vgl. hierzu HAWK 2000, 156; HARSTAD 2004, 431. Vielleicht ist der Aufgehängte schon deshalb ein Fluch von ʾælohîm, da ein Totengeist (= ʾælohîm) sein Unwesen des Nachts treiben könnte. Schon aus diesem Grund musste man den Leichnam am Abend abnehmen, vgl. zur Deutung von Dtn 21 auch GASS 2018, 52–54. Durch die Pfählung wird augenfällig demonstriert, dass die kanaanäischen Könige von Gott verflucht sind, vgl. WOUDSTRA 1981, 178. 528 Vgl. HUBBARD 2009, 301. 529 Vgl. hierzu NIEHAUS 1988, 45. 530 Vgl. COLESON 2012, 104. 531 Vgl. zur Kombination von zwei Hinrichtungsarten auch KNAUF 2008, 102. 525
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
hier ξυλου διδυμου einträgt, also ein Baum, dessen Stamm sich in zwei Teile spaltet, an denen die Arme gebunden werden konnten.532 V.27: Vulgata ergänzt noch mit sociis im Gegensatz zu MT ein Objekt für den Befehl Josuas, während auf das Subjekt Josua verzichtet wird. Außerdem wird hier ʿeṣîm mit patibulum wiedergegeben, sodass auch hier nicht ein wirklicher Baum im Blick ist. Darüber hinaus wird die zweite Erwähnung von meʿārāh „Höhle“ durch das Demonstrativum eius ersetzt. Die Änderungen von Vulgata harmonisieren und vereinfachen den MT und sind textkritisch somit kaum relevant. Vetus Latina und LXX verzichten hingegen auf das nomen rectum pî und damit auf die Näherbestimmung als „Eingang der Höhle“, sodass die Positionierung der Steine nicht mehr klar ausgedrückt ist. Da die Steine noch in der Gegenwart zu sehen sind, verweisen sie auf den siegreichen Feldzug und die Entmachtung der vormaligen Herrscher. Auf diese Weise werden die Gebietsansprüche Israels augenscheinlich demonstriert. Die Steine sind somit ein sichtbares Zeichen dafür, dass man die legendarischen Vorbesitzer besiegt hat. Ironischerweise hat nun der pî „Mund“, in den sich die Könige geflüchtet haben, die Könige für immer verschlungen.533 Der Zufluchtsort der fliehenden Könige ist folglich zu ihrem Grab geworden, das nun dauerhaft mit großen Steinen verschlossen wird.534 Im Gegensatz zu MT verzichten Vetus Latina und LXX auf die Klassifizierung als große Steine (nur lapides beziehungsweise λίθους). Vielleicht wurde von MT durch das Adjektiv gedolôt sekundär an V.11 und V.18 angeglichen. Zumindest in V.11 scheint das Adjektiv „groß“ eine Glosse zu sein. Vielleicht hat eine redaktionelle Hand nachträglich die Steine näher qualifiziert, zumal an allen Stellen in Jos 10, in denen von ʾabānîm die Rede ist, die Versionen unterschiedliche Lesarten bieten. Durch diese Zusätze wird der narrative Zusammenhang zwischen der Gibeon- und der Makkedaerzählung zusätzlich gestärkt. Ob jedoch diese Klassifizierung der Steine auf nur einen einzigen Redaktor zurückzuführen ist, bleibt fraglich. Sicher ist lediglich, dass diese Stellen aneinander angeglichen wurden. Die Abnahme der Leichname von den Pfählen spielt zudem auf Dtn 21,22– 23 an, wonach ein hingerichteter Verbrecher noch am selben Tag beerdigt werden soll, damit die Verunreinigung des Landes verhindert werden kann. Durch die Pfählung der feindlichen Könige wird zudem ähnlich verfahren wie mit dem König von Ai.535 Vielleicht wird in Jos 10 die Erzähllogik von Ai auf eine judäische Eroberungserzählung angewendet.536 Allerdings wäre möglich, dass 532
Vgl. hierzu LANGLOIS 2011, 96f. Vgl. HUBBARD 2009, 300. 534 Vgl. HUBBARD 2001, 21. 535 Jos 8,29. Hier ist jedoch nicht klar, ob der König von Ai zuvor schon tot war. Allerdings hat man dessen Leiche noch am selben Abend vom Pfahl geholt. 536 Vgl. LEONARD-FLECKMAN 2017, 398. 533
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die Ai-Erzählung auf Jos 10 zurückgegriffen hat. Insgesamt ähnelt die Geschichte der fünf besiegten Könige zumindest in vielen Dingen dem Ergehen des Königs von Ai, der ebenfalls nach der verlorenen Schlacht an einem Pfahl aufgehängt und danach von vielen Steinen am Stadttor begraben wird (Jos 8,29). Mit dem Aufrichten eines Steinhaufens wird der Begräbnisort von Hingerichteten markiert, wie die Beispiele Achans und des Königs von Ai zeigen.537 Eine adäquate Bestattung wird durch das Werfen der Leichname in die Höhle jedoch nicht ausgeführt. Das Wegwerfen der Leichname in die Höhle könnte zudem eine Anspielung auf das Herabwerfen von Hagelsteinen durch YHWH sein, zumal in beiden Fällen das Verb ŠLK verwendet wird.538 Allerdings ist ŠLK ein Allerweltsverb, sodass fraglich ist, ob hier tatsächlich ein intendiertes intertextuelles Bezugssystem vorliegt, auf das der Leser des Endtextes stößt. Durch den Verschluss mit großen Steinen werden schließlich die Lebenden vor den Toten bewahrt.539 Die Steine sind darüber hinaus zum einen eine Erinnerung an den vergangenen Sieg über die Amoriterkönige, zum anderen aber auch eine Vorausnahme von künftigen siegreichen Schlachten Josuas. So wie Gott gegen die feindlichen Amoriterkönige geholfen hat, wird er die Israeliten auch bei späteren Waffengängen unterstützen. Durch die ätiologische Formel wird außerdem den Rezipienten versichert, dass YHWH bis in die Gegenwart seinem Volk helfen wird.540 Vermutlich haftet das ätiologische Moment dieser Erzählung an den Steinen vor der Höhle, da diese „bis zum heutigen Tag“ dort beobachtet werden können. Der Ausdruck ʿæṣæm hayyôm hazzæh dient zudem der betonten Hervorhebung bedeutsamer Zeitpunkte,541 wobei das adverbiell verwendete Nomen ʿæṣæm „Kern“ die Aussage verstärkt. Durch diese Zeitangabe wird betont, dass der Erfolg Josuas andauert und die feindlichen Könige im Verheißungsland dauerhaft beerdigt sind.542 Die Gefahr, die von den Königen ausgehen mag, ist somit für immer gebannt. V.28: Aufgrund der Verwendung von w-x-qatal könnte die Eroberung Makkedas vor der Erzählung von der Höhle und den fünf feindlichen Königen gespielt haben.543 Auf den zeitlichen Rückgriff verweist auch die Zeitangabe bayyôm hahûʾ, sodass die Eroberung von Makkeda möglicherweise zu dem Zeitpunkt stattfand, als die fünf Könige noch an den Pfählen hingen.544 537
Jos 7,26; 8,29. Vgl. STEUERNAGEL 1900, 193. Vgl. BALLHORN 2011, 215. 539 Vgl. auch FRITZ 1994, 114. 540 Vgl. HUBBARD 2001, 21f. 541 Vgl. KRAUSE 2014, 343, der auf Gen 7,13; 17,23.26; Ex 12,17.41.51; Lev 23,14.21. 28.29.30; Dtn 32,48; Jos 5,11; 10,27; Ez 2,3; 24,2; 40,1 verweist. 542 Vgl. hierzu HAWK 2000, 156. 543 Vgl. HERTZBERG 1985, 75. 544 Vgl. auch LLOYD 1886, 152. 538
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Vetus Latina und LXX weisen den Eroberungszug einer pluralischen Größe zu, sodass hier bewusst von der Konzentration des MT auf Josua abgewichen wird.545 Nicht ohne Grund wird daher auch Josua als eigentlicher Akteur nicht mehr genannt. Angesichts dieses textkritischen Befundes könnte vermutet werden, dass Josua erst sekundär in den Text eingetragen wurde, sodass Vetus Latina und LXX noch den ursprünglichen Text bewahrt haben, der den Eroberungszug noch nicht explizit mit Josua verbunden hat. In einem späteren Schritt wäre folglich Josua ergänzt worden, um die Rolle und Autorität Josuas auch beim südlichen Eroberungszug besonders zu unterstreichen.546 Diese Problemanzeige muss bei der literarkritischen Arbeit berücksichtigt werden, da hier kein unabsichtlicher Textfehler, sondern eine bewusste Textänderung zu beobachten ist. Die längere Aufzählung derjenigen Personen und Gruppen, die dem Bann verfallen, wird von den Versionen gerne auf alles Lebendige in der Stadt verkürzt (exterminaverunt omnem inspirantem et quae erant in ea beziehungsweise ἐξωλέθρευσαν πᾶν ἐμπνέον ἐν αὐτῇ). Auch wenn in MT nicht präzise formuliert wird, kann wohl davon ausgegangen werden, dass in Jos 10 die verschärfte Form der Bannweihe zum Zuge kommt und damit neben dem Menschen auch die Tiere gebannt werden.547 Zumindest der Hinweis des MT auf den gebannten König könnte ein späterer Zusatz sein, der im MT nachgetragen wurde, um die Vernichtung der Stadt zusätzlich mit dem König aufzufüllen.548 Außerdem war der dortige König bislang noch nicht in Erscheinung getreten und wurde auch noch nicht getötet, sodass dies hier nachgereicht werden sollte. In Vetus Latina und LXX fehlt zumindest der Ausdruck weʾæt malkāh. Möglicherweise sollte weʾæt malkāh schon zu Beginn ergänzt werden, zumal der abschließende Vergleichssatz den König von Makkeda ebenfalls in den Blick nimmt.549 Insofern wurde das Schicksal des Königs schon zu Beginn redaktionell nachgetragen, wodurch eine chiastische Struktur entstand.550 Fraglich ist dann aber die Zuordnung des Verbs ḤRM, das entweder zum vorausgegangenen oder danach folgenden Objekt bezogen werden kann. Durch den Zusatz weʾæt malkāh werden somit die syntaktischen Verhältnisse erschwert. 545 STEUERNAGEL 1900, 193 weist zusätzlich darauf hin, dass in LXX die meisten Verbalformen im Plural stehen und damit die Israeliten als Subjekt ausweisen. 546 Vgl. BUTLER 2014, 464. 547 Anders STEUERNAGEL 1900, 193, der nur von Menschen ausgeht. Das Nomen næfæš bezieht sich jedoch auf jedes Lebewesen, Mensch oder Tier, vgl. HARSTAD 2004, 436. LOHFINK 1982, 206f. hinterfragt zudem die beliebte These, dass die Bannweihe zu den Kriegen der Landnahmezeit fest dazugehörte. 548 Vgl. zum Problem SOGGIN 1982, 120; FRITZ 1994, 115; BUTLER 2014, 464; GERMANY 2017, 425. Nach HOLMES 1914, 52 könnte weʾæt malkāh auf einen hebräischen Revisor zurückgehen, der nach der LXX-Übersetzung gearbeitet habe. 549 Vgl. LOHFINK 2000, 88 Anm.36. 550 Vgl. zur Struktur BOLING 1982, 290.
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Da sich das enklitische Personalpronomen bei ʾôtām auf Stadt und König beziehen kann, muss es zumindest im Endtext nicht notwendigerweise in den Singular versetzt werden, auch wenn hier hebräische Handschriften, Targum und LXXL eine singularische Form ʾôtāh belegen und dementsprechend nur die Stadt in den Blick nehmen.551 Dies könnte aber ein Hinweis auf den ursprünglichen Text sein, dem die redaktionelle Ergänzung weʾæt malkāh noch fehlte. Außerdem verweisen Vetus Latina und LXX zusätzlich darauf, dass die Bannweihe niemanden unversehrt ließ oder dass niemand fliehen konnte (salvus vel fugiens beziehungsweise διασεσῳσμένος καὶ διαπεφευγώς). Offenbar sollte hier nachträglich an den formelhaften Gebrauch des Wortpaares śārîd ûfālîṭ angeglichen werden.552 Die Notiz, dass der König von Makkeda ähnlich wie der König von Jericho behandelt wurde, könnte darauf hinweisen, dass auch jener König gepfählt wurde.553 Allerdings wird über das Ergehen des Königs von Jericho nichts berichtet. Insofern erübrigt es sich, hier Dinge einzutragen, die nicht zu belegen sind. V.29: Vulgata verzichtet in V.29 auf die Nennung Josuas, der aus dem Kontext ohnehin leicht eingetragen werden kann, zumal Josua bereits in V.28 zumindest im MT als Akteur der Bannweihe beschrieben wurde. In MT wird demgegenüber das eigentliche Subjekt des Feldzugs explizit genannt: Yehôšuaʿ wekål Yiśrāʾel. Dieses Kollektiv kann singularisch oder pluralisch auftreten. Ob daher die verschiedene Verwendung des Numerus auf unterschiedliche Akteure hinweisen muss, ist fraglich. Während MT bereits von einem Kampf Josuas mit Libna berichtet (LḤMN), geht LXX hingegen von einer Belagerung aus (ἐπολιόρκει). Auf diese Weise wird die Handlung etwas hinausgezögert. Diese Verzögerung hat Vetus Latina noch nicht im Blick gehabt (et expugnabant Lemna). Außerdem ergänzt Vetus Latina zuvor ein zusätzliches Verb (et venerunt Lemna), was in den vergleichbaren V.31 und 34 durch eine einfache direktive Präposition in bereits geleistet wird (Profectus est Iesus de … in …). Diese abweichende Formulierung in V.29 ist zumindest auffällig und mag mit einer anderen Textvorlage 551 Für eine Singularform mit unterschiedlichen Gründen schon KNOBEL 1861, 398; DILLMANN 1886, 492; BENNETT 1895, 27; BOLING 1982, 290; YOUNGER 1990, 381f. Anm.30; FRITZ 1994, 114; YOUNGER 1995, 259; NELSON 1997, 137. Nach GERMANY 2017, 425 gibt es zudem keinen klaren pluralischen Referenzpunkt. Dies ist aber im MT der Fall. 552 Jos 8,22; Jer 42,17; 44,14; Klgl 2,22. Nach AULD 2005, 163 könnte hier der jeweilige Übersetzer aber auch lediglich frei in Anlehnung an Jos 8,22 vorgegangen sein. Dieser Merismus bezeichnet die Gesamtheit derjenigen, die eine Katastrophe überlebt haben, also verschont blieben beziehungsweise sich durch Flucht gerettet haben, vgl. KEDAR-KOPFSTEIN 1993, 880. Nach RUPRECHT 1976, 424; JONKER 1997, 1272 sind beide Lexeme Synonyme, die sich auf denjenigen beziehen, der dem Tod auf dem Schlachtfeld entkommen konnte. 553 Vgl. DILLMANN 1886, 492.
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zusammenhängen. Dann wäre im ursprünglichen hebräischen Text vielleicht noch wayyāboʾû ʾæl Libnāh zu ergänzen. Da aber das im MT belegte Toponym Libnāh auch als direktives Adverbiale verstanden werden kann, ist ein längerer hebräischer Text nicht nötig, zumal man die textkritische Verkürzung nicht erklären kann. V.30: Vetus Latina und LXX haben bei der Übereignungsformel NTN beyad zwei Verben „überliefern“ und „empfangen“ (tradidit … accepit beziehungsweise παρέδωκεν … ἔλαβον). Auffälligerweise wird in LXX von Singular zu Plural gewechselt. Demnach wird von LXX betont, dass YHWH den Feind in die Hände Israels gibt und dann die Israeliten im Plural die Stadt Libna einnehmen. Bisweilen wird angenommen, dass hier eine Form von LKD aufgrund von Haplographie ausgefallen ist, indem man von der Konjunktion w vor LKD zur nächsten Konjunktion abgeirrt wäre.554 Allerdings wird bei dieser Konjektur die variantenreiche Redeweise des MT unnötig vereinheitlicht. Hinzu kommt, dass der Autor bei der Eroberung des Südens verschiedene Darstellungsweisen verwendet haben könnte.555 Außerdem verzichten LXX und wenige Handschriften auf die Partikel gam.556 Der Bezugspunkt von gam ist ohnehin unklar, da die Übereignungsformel in der Erzählung von der Eroberung des Südens bislang nicht genannt wurde.557 Vor diesem Hintergrund ist eine nachträgliche Ergänzung von gam eher unwahrscheinlich. Ohne Rückhalt in der Textüberlieferung wird bisweilen der Ausdruck weʾæt malkāh wie in V.28 textkritisch gestrichen.558 Für eine derartige Kürzung des Textes gibt es aber ebenfalls keinen einleuchtenden Grund. LXX setzt darüber hinaus die Verbalformen in den Plural, sodass nicht Josua alleine die Bannweihe ausführt, sondern Israel als Kollektiv. Offenbar wollte der LXX-Übersetzer die Beteiligung Josuas am Massaker herunterspielen. Auch die Vulgata folgt dieser Tradition und gibt die Verben pluralisch wieder. Manchmal wird vorgeschlagen, dass die lokale Präpositionalverbindung bāh hinter ŠʾR als Dittographie zu streichen wäre, wofür zahlreiche Handschriften sprechen würden, zumal es eine unsachgemäße Wiederholung sei.559 Jedoch ist eine gewisse Redundanz des MT in der Beschreibung durchaus nicht ungewöhnlich.560 Ob somit diese Kürzung aufgrund von nur wenigen hebräischen Handschriften wahrscheinlich ist, ist ohnehin fraglich, zumal es in der
554 Vgl. BOLING 1982, 290; SOGGIN 1982, 120; YOUNGER 1990, 382 Anm.32; YOUNGER 1995, 259. Vgl. hierzu schon ELLIGER 1934, 51 Anm.4. 555 Vgl. BUTLER 2014, 464. 556 Vgl. HOLZINGER 1901, 35. 557 Aus diesem Grund stellt DAVID 1990, 220f. die Abfolge der Ereignisse um und geht von einer ursprünglichen Eroberung von Süden nach Norden aus. 558 Vgl. FRITZ 1994, 115; GERMANY 2017, 425. 559 Vgl. FRITZ 1994, 115. 560 Vgl. BUTLER 2014, 464.
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Textüberlieferung immer wieder zu Harmonisierungen und Vereinheitlichungen gekommen ist. Der MT ist zumindest die lectio difficilior, die man nicht vorschnell ändern sollte. Auch in V.30 verweisen Vetus Latina und LXX darauf, dass die Bannweihe niemanden unversehrt ließ oder dass niemand fliehen konnte (salvus vel effugiens beziehungsweise διασεσῳσμένος καὶ διαπεφευγώς). Offenbar sollte hier nachträglich an den formelhaften Gebrauch des Wortpaares śārîd ûfālîṭ angeglichen werden, wie dies schon in V.28 der Fall gewesen ist. Als Bezugspunkt wird in Jos 10, abgesehen von V.1–2, nicht die Stadt Ai, sondern Jericho verwendet, was den Bezug zur unmittelbar vorausgehenden Einnahme der Stadt Ai schwächt. Offenbar soll der südliche Feldzug mit der Eroberung der Stadt Jericho in Jos 6 eine Einheit bilden. V.31: Vulgata verzichtet auf die Wiedergabe von kål Yiśrāʾel und übersetzt hier offenbar lediglich ʾîš „Mannschaft“ (exercitu), wobei hier aber auch auf die Form des Kampfes hingewiesen wird, da die Mannschaft kreisförmig angeordnet wird (exercitu per gyrum disposito). Diese Sondertradition der Vulgata könnte vielleicht die Form der Belagerung, von der im MT die Rede ist, andeuten. Auf eine abweichende hebräische Vorlage muss dies somit nicht hindeuten. Vetus Latina und LXX wechseln im Gegensatz zu V.30 wiederum in den Singular, sodass Iesus et omnis Istrahel beziehungsweise Ιησοῦς καὶ πᾶς Ισραηλ als Kollektiv verstanden wird, das schließlich für die Belagerung und Eroberung von Lachisch zuständig ist. Außerdem wird hier der MT wörtlich übertragen. V.32: Vetus Latina und LXX verzichten auf die Wiedergabe von weʾæt kål hannæfæš ʾašær bāh, ergänzen aber die Bannweihe von Lachisch (exterminaverunt beziehungsweise ἐξωλέθρευσαν αὐτήν). Offenbar wurde hier noch eine Verbalform von ḤRM entweder gelesen oder ergänzt, zumal das Verb ἐξωλεθρεύω an anderen Stellen für ḤRM verwendet wird. Anscheinend haben die Übersetzer auch hier die uneinheitlichen Angaben der Eroberung des Südens aneinander angeglichen.561 Fraglich ist aber, ob man die unterschiedlichen Idiome, die in der Landeroberungserzählung in Jos 10 belegt sind, miteinander harmonisieren darf,562 um eine einheitliche Landeroberung zu rekonstruieren. Auch in V.32 wird bei der Eroberung und Zerstörung von Lachisch von Singular in den Plural gewechselt, von LXX ab LKD, von Vetus Latina ab dem ergänzten ḤRM. Auf diese Weise wird die Eroberung dem Kollektiv und nicht nur Josua oder YHWH zugeschrieben. Durch den Wechsel in den Plural wird zudem der Eindruck vermieden, dass YHWH für derartige Brutalitäten direkt 561
Möglicherweise geht auch MT mit weʾæt kål hannæfæš ʾašær bāh auf die Tendenz zurück, vollständige Formulierungen herzustellen vgl. BUTLER 2014, 464. Nach LOHFINK 1982, 194 werden von LXX zudem in Jos 10,28–39 immer wieder Kürzungen und Zusätze vorgenommen. 562 So aber BOLING 1982, 290.
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verantwortlich ist. Die hebräische Singularform kann nämlich auf die unterschiedlichsten Akteure bezogen werden: YHWH, Josua oder Israel als Kollektiv.563 Demgegenüber sind Pluralformen nur mit den Israeliten zu verbinden, die freilich auch mit Josua oder YHWH tätig werden können. Einige Handschriften, Vetus Latina, LXX und Vulgata verzichten auf den All-Quantor kol und übersetzen beim letzten Satz lediglich eine vergleichende Konjunktion kaʾašær, sodass es hier nicht um die Gesamtheit geht, was an Libna getan wurde. Da MT aber die lectio difficilior bietet und diese Konstruktion ausweislich eines Vergleichs mit Dtn 1,30 und 3,21 durchaus nicht ausgeschlossen werden kann, handelt es sich bei den Varianten der Versionen wohl eher um Harmonisierungen.564 Ähnlich sind auch die Fälle in V.35 und V.37 zu beurteilen, wo von den Versionen ebenfalls auf den All-Quantor verzichtet wird. Auch dort wird MT als lectio difficilior vorzuziehen sein. Bei der idiomatischen Variante im MT wurde offenbar das Fehlen des Verbums ʿŚY im Hauptsatz jeweils durch den All-Quantor kol in V.32.35.37 kompensiert.565 V.33: Die Verwendung des Verbs ʿLY muss nicht im Sinne einer Himmelsrichtung verstanden werden, auch wenn man nach Norden meist hinaufsteigt.566 Eine Wendung nach Norden wäre zudem ein interner Widerspruch in der Erzähllogik, da Geser nördlich von Lachisch liegt. Der König von Geser wendet sich folglich nach Süden. Da aber Geser in der Küstenebene und Lachisch in der Schefela liegt, ist ein Hinaufsteigen des Königs von Geser durchaus sinnvoll. Außerdem wird mit dem Verb ʿLY bereits in V.4.6 ein militärisches Eingreifen verbunden, was auch in V.33 anzusetzen ist. Zweifellos handelt Horam ähnlich wie zuvor Josua, der dem verbündeten Gibeon zu Hilfe eilt, wodurch im Endtext von Jos 10 ein markanter Kontrast zwischen Josua und Horam geschaffen wird.567 Vulgata verändert den Namen des Königs von Geser zudem zu Hiram. Vielleicht wurde bei der Übersetzung an den gleichnamigen König aus Tyros gedacht. Vetus Latina und LXX verwenden für Horam, den König von Geser, den Name Aelam / Αιλαμ, der bereits nach V.3 König von Hebron war. In V.3 heißt der König von Hebron im MT allerdings Hoham, wobei bei nachlässiger 563 DE TROYER 2016, 70–72 weist darauf hin, dass in der altgriechischen Übersetzung die Landeroberung eine Einmann-Veranstaltung gewesen ist, während MT betont, dass Josua mit Israel zusammenarbeitet. Allerdings werden jedoch weder bei Vetus Latina noch bei LXX nur Singularformen gefunden. Auch hier ist immer wieder ein Numerus-Wechsel zu beobachten. Vor allem die Vernichtungsaussagen und auch die Vergleichssätze werden auch in Vetus Latina und LXX gerne pluralisch formuliert. 564 Vgl. hierzu LOHFINK 2000, 88 Anm.38. 565 Vgl. LOHFINK 2000, 92. FLANDERS 2022, 66f. weist darauf hin, dass im Josuabuch oft nicht-numerische Quantifizierungen vorgenommen werden, wenn es um die Anzahl der besiegten Feinde geht. 566 So aber DAVID 1990, 218; KNAUF 2008, 108. 567 Vgl. YOUNGER 2008, 23.
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Schreibweise der Konsonant r aus h entstehen konnte ()ר > ה, sodass der Name Hoham in beiden Fällen vielleicht ursprünglich war. Wie allerdings aus Hoham/Horam die Namen Aelam / Αιλαμ entstehen konnten, ist fraglich. Außerdem ist der Name Horam sprachlich von Hoham zu unterscheiden. Denn Horam könnte eine Variante des Personennamens Haran sein, wobei hier zum einen die Vokalverschiebung von ā zu ō und zum anderen der Ersatz des Suffixes (-an zu -am) eingetreten wäre. Dann würde sich der Name Horam mit der Wurzel har „Berg“ verbinden lassen. Es wäre folglich ein Hypokoristikon mit dem Wegfall des theophoren Elements „X ist Berg (als Heiligtum/Zufluchtsstätte)“.568 Da sich somit die beiden Namen Hoham und Horam sprachlich unterscheiden lassen, ist eine textkritische Entwicklung von Hoham zu Horam zwar nicht ausgeschlossen, aber auch nicht geboten. Insgesamt sollte man trotz des Befundes der griechischen Texttradition beide Namen unterscheiden. Aus welchen Gründen Horam der Stadt Lachisch zu Hilfe eilt, wird im Text nicht näher ausgeführt und sollte hier nicht spekulativ ergänzt werden.569 LXXB überliefert anstelle von Geser den Ort Γαζης,570 sodass hier der philistäische Ort Gaza im Blick wäre. Da die beiden Toponyme Geser und Gaza im Hebräischen mit unterschiedlichen Anfangsbuchstaben geschrieben werden (Gæzær und ʿazzāh), kann dies jedoch nur auf eine innergriechische Verwechslung zurückgehen (Γαζερ und Γαζης).571 Vielleicht ist der Ort Gaza mit Blick auf V.41 schon in V.33 eingetragen worden. Hier kommt man über Vermutungen nicht mehr hinaus. Vetus Latina und LXX ergänzen in V.33 hinter dem Verb NKY die Formel lefî ḥæræb, vermutlich um diese Stelle an die übrigen analogen Passagen anzugleichen. Möglicherweise ist hier von einer vertikalen Dittographie auszugehen.572 Da in Jos 10 das Verb NKY aber auch ohne Präpositionalobjekt lefî ḥæræb stehen kann,573 muss diese Ergänzung nicht zwingend vorgenommen werden.574 Außerdem wird von Vetus Latina und LXX zusätzlich betont, dass niemand unversehrt blieb und fliehen konnte (salvus vel fugiens beziehungsweise σεσῳσμένον καὶ διαπεφευγότα). Offenbar sollte hier nachträglich an den formelhaften Gebrauch des Wortpaares śārîd ûfālîṭ angeglichen werden, auch wenn LXX für śārîd nicht das entsprechende Kompositum wie sonst wählt und 568
Vgl. hierzu HESS 1996b, 207; HESS 2021, 417. Ähnlich auch HARSTAD 2004, 436; 2011, 118; DOZEMAN 2015, 435. 569 Insofern sollte man nicht vorschnell davon ausgehen, dass der König von Geser ein Bundesgenosse des Königs von Lachisch gewesen ist, so aber STEUERNAGEL 1900, 189. 570 Vgl. auch GREENSPOON 1983, 165. 571 Vgl. AULD 2005, 164. 572 Vgl. BOLING 1982, 290. 573 Jos 10,4.10.20.26.40.41. 574 Allerdings steht die Formel NKY lefî ḥæræb– mit Ausnahme von V.33 – durchweg in der Darstellung der südlichen Eroberungen, vgl. Jos 10,28.30.32.35.37.39. VAN BEKKUM
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σεσῳσμένον anstelle von διασεσῳσμένον schreibt. Möglicherweise ist die Vorsilbe δια- entfallen. Vulgata hebt hingegen die vollständige Vernichtung des Feindes hervor (usque ad internicionem). Die Notiz in V.33 ist in vielerlei Hinsicht auffällig, zumal nur hier der Name eines Königs genannt wird und auch die Vergleichsformel fehlt.575 Außerdem wird in V.33 ebenfalls die Trias ʿLY – ʿZR – NKY verwendet, die schon im Aufruf Adonizedeks an die amoritischen Könige zu finden ist,576 sodass V.33 eine Bildung unter Aufnahme der Idiomatik von V.4 sein könnte. Darüber hinaus wird nur in V.33 die Formel ŠʾR + śārîd abgewandelt und mit der Konjunktion ʿad biltî verbunden. Schließlich wird mit dem Zeitmarker ʾāz auch sonst gerne ein sekundärer Zusatz markiert.577 LXXL hat hier zudem in V.33 eine Wiederaufnahme von Text aus V.32, was ein starkes Element für einen sekundären Einschub von V.33 mit der Tradition eines Kampfes mit dem König von Geser sein könnte.578 Letztendlich spricht somit einiges dafür, dass V.33 nicht im ursprünglichen Text stand. Dementsprechend sollte man bei einer historischen Rekonstruktion der südlichen Eroberungen diesem Detail nicht zu viel auflasten. V.34: Vulgata verzichtet auf die erneute Nennung des Subjekts „Josua und die Gesamtheit Israel“, da dies aus dem Kontext bereits bekannt ist. Auf diese Weise wird die Redundanz des MT beseitigt. Auf eine ursprünglich abweichende kürzere Lesart muss dies folglich nicht hindeuten. Der Ortsname Eglon wird von Vetus Latina und LXX durch Adullam ersetzt, wie dies in Jos 10 auch ansonsten üblich ist.579 Es ist daher unwahrscheinlich, dass man in V.34 den Ortsnamen Eglon abändern muss. Außerdem wird von Vetus Latina und Vulgata beim doppelten Ausdruck ḤNY + LḤM nur der Aspekt der Belagerung wiedergegeben (obsedit beziehungsweise circumdedit), wobei von Vulgata auch das Objekt weggelassen wird. Offenbar wird hier die Belagerung bereits mit dem Angriff verbunden. Darüber hinaus werden beide Verben von Vulgata singularisch übertragen, sodass Josua das Subjekt dieser Handlungen ist, das aus V.33 weiterwirkt. Auch Peschitta verwendet bei diesen Verben Singularformen.580 V.35: Im Gegensatz zu MT belegen Vetus Latina und LXX noch die Übereignungsformel mit NTN beyad. Dieser Satz könnte aufgrund von Haplographie
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Vgl. TREBOLLE BARRERA 2008, 451. Vgl. BRIEND 1998, 62. 577 Vgl. GERMANY 2017, 425f. 578 Mit den griechischen Versionen kann man darüber hinaus einen ursprünglichen hypothetischen Text rekonstruieren, der im Fall von Libna die ansonsten fehlenden formalen Elemente ergänzt, vgl. TREBOLLE BARRERA 2008, 451f. Fraglich ist jedoch, ob nicht die griechischen Versionen jeweils eigenständig versucht haben, diese Differenzen zu beseitigen. 579 Jos 10,3.5.23.34.37. 580 Vgl. HOLZINGER 1901, 35. 576
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angesichts von zwei aufeinanderfolgenden wayyiqtol weggefallen sein,581 wobei dies aber ein schwaches Argument für einen Textausfall ist. Möglicherweise haben demgegenüber erst die Übersetzer die vollständige Formel ergänzt, um den in ihren Augen defizitären MT zu vervollständigen. Demnach könnte auch der schwierigere MT den ursprünglich kürzeren Text überliefert haben, da eine gewisse variantenreiche Darstellung der Feldzüge im Süden durchaus im Sinne des Autors gewesen sein könnte. Vetus Latina ergänzt zudem nach der Übereignungsformel eine Aussage mit der Annahme (tradidit … cepit). Die Übersetzung der Vetus Latina ist jedoch auch in dieser Frage nicht einheitlich.582 Die zweite Erwähnung der Zeitangabe des MT bayyôm hahûʾ „an jenem Tag“ fehlt in Vetus Latina, LXX und Peschitta, was auf die ursprüngliche Tradition zurückgehen könnte. In MT wäre das wunderhafte Geschehen durch diese redaktionelle zeitliche Verortung noch zusätzlich betont worden,583 da alles an einem Tag geschah. Hinzu kommt, dass diese Zeitangabe schon am Anfang des Satzes steht584 und hier nicht mehr nötig ist. Vielleicht ist diese Angabe sekundär vom Versanfang in den jetzigen Text eingedrungen. Allerdings ist ebenso gut möglich, dass die Versionen auf diese Doppelung verzichtet haben. Erst bei der Übertragung des ḤRM-Satzes wechseln Vetus Latina und LXX wiederum in den Plural, zumal die Bannweihe nicht von YHWH selbst, sondern nur von den Israeliten ausgeführt werden kann. Im Gegensatz dazu belegt MT zunächst Plural und ab der Bannweihe Singular,585 was andeuten könnte, dass entweder Israel wie ein Kollektiv gehandelt hat oder dass Josua für den Bann zuständig ist. Vulgata hingegen belässt alles im Singular. Die Bannweihe wird zudem von Vulgata nicht berücksichtigt. Vielmehr wird weʾæt kål hannæfæš ʾašær bāh mit der Aussage von der Schärfe des Schwertes verbunden. In MT ist der Ausdruck weʾæt kål hannæfæš ʾašær bāh hingegen das vorangestellte Objekt der Bannaussage. V.36: Vulgata löscht wiederum Josua als Subjekt und verweist explizit nur auf Israel, das mit seinem Anführer von Eglon nach Hebron hochzog (ascendit quoque cum omni Israhele). Auch das kann eine bewusste Glättung des Textes sein. Vetus Latina und LXX verzichten zudem auf die Erwähnung des Ausgangspunktes Eglon und nennen nur den Zielpunkt Hebron. Bisweilen wird vermutet, dass dieser Textverlust auf innergriechische Haplographie aufgrund des 581
Vgl. auch BOLING 1982, 290; YOUNGER 1990, 382 Anm.34; YOUNGER 1995, 259. tradidit ... accepit V.30, tradidit ... cepit V.32.35, nur cepit und ohne tradidit V.37.39. Die Übereignungsformel wird in MT zudem nur in V.30.32 verwendet. 583 Vgl. FRITZ 1994, 115. 584 Vgl. LOHFINK 2000, 89 Anm.40. 585 Dies könnte nach GERMANY 2017, 426 auf einen sekundären Zusatz hinweisen. 582
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gleichen ersten Buchstabens zurückzuführen wäre.586 Dann wäre der Schreiber von ἐκ Οδολλαμ zu εἰς Χεβρων gesprungen. Auffälligerweise ist der Ortsname Eglon im MT mit Präposition min und he locale verbunden, das offenbar seinen direktiven Wert verloren hat.587 Darüber hinaus geben Vetus Latina und LXX das letzte Verbum LḤM „kämpfen“ unterschiedlich wieder. Entweder wird auf eine Zurechtweisung oder auf eine Belagerung hingewiesen: correxit beziehungsweise περιεκάθισεν. Ob dies auf abweichende Textformen zurückzuführen ist, ist fraglich, zumal hier offenbar nur eine spezifische Interpretation des Übersetzers eingetragen wird. V.37: LXX verzichtet auf die Wiedergabe von LKD, was auf Haplographie mit Ausfall der ersten wayyiqtol-Form zurückgehen könnte.588 Bisweilen wird der erste Satz mit LKD aber auch als Überschuss des MT bewertet, der aus V.39 stammen könnte.589 Allerdings wird LKD von Vetus Latina gestützt, sodass eine sekundäre Auffüllung nicht vermutet werden muss. Während MT die ersten beiden Verben im Plural und die Vergleichsformel im Singular belegt, dreht LXX die Numerusverhältnisse um. Vetus Latina und Vulgata setzen zudem alle Verbalformen in den Singular. In Vetus Latina und LXX fehlt der Ausdruck weʾæt malkāh weʾæt kål ʿāræ̂hā,590 der ohnehin auffällig nachklappt, zu spät kommt und noch den Gegensatz zwischen Stadt und Land, Königtum und Ältestenverfassung einträgt. Die Lesart des MT ist aber die lectio difficilior, sodass man nicht notwendigerweise von einer Ergänzung ausgehen muss, die erst nach der griechischen Übersetzung als Dittographie in den hebräischen Text eingedrungen ist.591 Der Überschuss des MT muss somit nicht auf redaktionelle Arbeit an dieser Stelle hinweisen. Außerdem ist der König von Hebron bereits in V.26 von Josua erschlagen worden, sodass V.37 möglicherweise nachträglich gekürzt wurde, um diesen Widerspruch zu tilgen.592 Eine sekundäre Erweiterung hätte diesen Widerspruch erst geschaffen, was doch eher unwahrscheinlich ist.593 Somit ist 586
Vgl. BOLING 1982, 290; YOUNGER 1990, 382 Anm.35. Nach GERMANY 2017, 426 ist meʿæglônāh allerdings eine spätere redaktionelle Ergänzung. 587 Vgl. HARSTAD 2004, 437. Möglicherweise wird hier aufgrund der eigenwilligen Form meʿæglônāh an die Umgebung von Eglon gedacht, aus der man aufbricht, um nach Hebron zu gelangen, vgl. zum Problem LANGLOIS 2011, 57. 588 Vgl. BOLING 1982, 290; YOUNGER 1990, 382 Anm.36; YOUNGER 1995, 259. 589 Vgl. NELSON 1997, 137. 590 GERMANY 2017, 426 deutet dies dahingehend, dass hier eine sekundäre Ergänzung vorliegt. Allerdings deutet er die Lücke in LXX viel größer als dies tatsächlich der Fall ist. 591 Vgl. YOUNGER 1990, 382f. Anm.37. 592 Vgl. OETTLI 1893, 159; STEUERNAGEL 1900, 189. 593 Allerdings könnte der Autor, der schematisch gearbeitet hat, diese Spannung einfach übersehen haben, vgl. COOKE 1918, 96. Möglicherweise ist bereits ein neuer König von Hebron eingesetzt worden, vgl. KEIL 1847, 198, was freilich suggeriert, dass der Feldzug der Israeliten nicht so schnell vorangekommen ist, vgl. WOUDSTRA 1981, 183. Nach ZIESE 2008, 228 kann die Wiederbesetzung schnell nach dem Tod des Königs erfolgt sein.
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auch nicht anzunehmen, dass der Ausdruck weʾæt malkāh weʾæt kål ʿāræ̂hā aus V.39 von MT hier übernommen wurde.594 Vermutlich ist in der übernommenen Tradition die Erschlagung des Königs von Hebron bereits berichtet worden.595 Schon aus diesem Grund ist hier nicht gekürzt worden. Der längere MT ist folglich nicht zu beanstanden. Bisweilen werden die Objekte als Pendens zum folgenden negierten Hauptsatz gezogen.596 Allerdings wäre eine solche Konstruktion in Jos 10 singulär. Denn in V.30 wird die Konstruktion ŠʾR ʾæt + X + śārîd „X übriglassen als Entronnenen“ durch die dazwischen geschobene Ortsangabe bāh gestört und in V.39 spricht die Asyndese vor dem angeblich pendierenden Objekt gegen eine solche syntaktische Konstruktion, zumal ʾæt kål næfæš eher als Objekt zur vorausgehenden Verbalform zu deuten ist. Nach V.37 scheint Hebron ein regionales Zentrum zu sein, das mit seinen unmittelbaren kleineren Nachbarn wirtschaftlich und politisch verbunden war.597 Bei den Städten von Hebron wird es sich wohl um Tochterstädte handeln.598 Mit der Eroberung der wichtigen Stadt Hebron ist somit bereits das judäische Bergland mit seinen Städten in die Hände der Israeliten gefallen. Der Hinweis auf die Städte um Hebron könnte darüber hinaus darauf hindeuten, dass Hebron in Bezug auf die Zahl der kontrollierten Städte wichtiger war als die anderen von den Israeliten zuvor angegriffenen und eroberten Städte. Möglicherweise sollte aber auch nur betont werden, dass alle Städte um Hebron von den Israeliten zerstört worden sind.599 Außerdem wird von Vetus Latina noch ergänzt, dass niemand fliehen konnte (salvum vel fugientem). Auch an dieser Stelle sollte an den formelhaften Gebrauch des Wortpaares śārîd ûfālîṭ angeglichen werden. Diese Erweiterung wird von LXX allerdings nicht mitgetragen, was wiederum darauf hinweist, dass von den Schreibern vermutlich noch längere Zeit am Text gearbeitet wurde. Wie in Jos 10 üblich, verwenden Vetus Latina und LXX auch in V.37 anstelle von Eglon das Toponym Adullam. Vulgata vergleicht zusätzlich die Ereignisse von Hebron mit denen von Eglon (sicut fecerat Eglon sic fecit et Hebron), wobei der Bezug auf Hebron nur in Vulgata zu finden ist. Dies ist vermutlich eine sekundäre Angleichung an die Formel, die sich ansonsten vor allem auf das Schicksal des Königs bezieht,600 während hier die Ausführung der
594
So aber HOLMES 1914, 52f.; GÖRG 1991a, 54; NELSON 1997, 137; BUTLER 2014, 464. Vgl. VAN DER LINGEN 1990, 118f. 596 Vgl. LOHFINK 2000, 88 Anm.36. 597 Vgl. ZIESE 2008, 228. Der Verweis auf die Städte könnte nach HOLZINGER 1901, 38 zudem eine gelehrte Anspielung auf den alternativen Ortsnamen Kirjat-Arba sein. 598 Vgl. OETTLI 1893, 159. 599 Vgl. zum Problem LANGLOIS 2011, 58. 600 Jos 10,28.30. 595
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Bannweihe an verschiedenen Orten miteinander verglichen wird.601 Darüber hinaus wird der Ausdruck consumens gladio von Vulgata anstelle der Bannweihe eingetragen und der Text relativ frei wiedergegeben. Auffälligerweise wird bei der Eroberung von Hebron die Abfolge der Formeln umgestellt, sodass die Bannweihe erst nach Totalvernichtung und Vergleich mit Eglon folgt. Darüber hinaus steht die Vergleichsformel ansonsten immer an letzter Stelle, sodass die Erwähnung der Bannweihe nach der Vergleichsformel in V.37 auffällig ist und eventuell als Nachtrag gedeutet werden kann.602 Vielleicht wurde hier der nachexilische Hass gegen Edom beziehungsweise Idumäa mit seinem wichtigen Zentrum Hebron eingetragen.603 V.38: Das Verb ŠūB „zurückkehren“ ist vor dem Hintergrund problematisch, dass Josua bislang noch nicht im Ort Debir gewesen ist und dahin folglich auch nicht zurückkehren kann.604 Aufgrund dieses inhaltlichen Problems wird gelegentlich eine Konjektur vorgeschlagen. Dementsprechend könnte hier wayyissob von der Wurzel SBB „sich wenden“ gestanden haben.605 Ob man allerdings in den MT derart eingreifen darf, sei dahingestellt. Möglicherweise ist hier gemeint, dass Josua denselben Weg nehmen musste, der ihn von Eglon nach Hebron führte, um von Hebron nach Debir zu gelangen. Demnach wäre er in der Tat „umgekehrt“, ohne tatsächlich nach Debir zurückzukehren.606 Allerdings wäre demgegenüber ebenso möglich, dass das Verb ŠūB so zu verstehen wäre, dass ein spitzer Winkel eingeschlagen worden wäre, nachdem Josua von Eglon nach Hebron hinaufgezogen sei. Eine direkte Rückkehr auf demselben Weg ist ohnehin eher unwahrscheinlich, da man sonst auf dem Weg von Eglon nach Hebron Debir zunächst unbehelligt ließ und sich erst nach der Eroberung von Hebron ebenfalls Debir zugewendet hätte.607 Vulgata verzichtet außerdem auf die Angabe des Subjekts „Josua und die Gesamtheit Israels“ sowie auf die Beschreibung des Angriffs gegen die Stadt Debir (inde reversus in Dabir). Offenbar hat man das Subjekt nicht genannt, da dieses noch aus V.36 weiterwirkt. Da ein Angriff auf Debir von V.39 vorausgesetzt wird, konnte man bei der Übersetzung diese Angabe ebenfalls streichen. Vetus Latina und LXX verzichten auf die Angabe eines Angriffs der Stadt Debir und übertragen LḤM mit einem eher abgeschwächten Begriff, der sich auf die Belagerung einer Stadt bezieht (et obsederunt illam beziehungsweise καὶ περικαθίσαντες αὐτὴν). 601
Jos 10,35.37. Vgl. GERMANY 2017, 426. 603 Vgl. KNAUF 2008, 109. 604 DAVID 1990, 215–217 deutet diese Beobachtung in dem Sinne, dass Josua aus Debir aufgebrochen ist, um die südlichen Städte zu erobern, da er nämlich nach V.38 wieder dorthin zurückkehrt. 605 Vgl. EHRLICH 1910, 38. 606 Vgl. zu dieser Lösung LANGLOIS 2011, 59. 607 Vgl. zum Problem auch ELLIGER 1934, 55. 602
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V.39: Im Gegensatz zu MT bietet LXX durchweg pluralische Verbalformen, während im MT nur die Tötung der Bevölkerung und der Vollzug der Bannweihe einem pluralischen Kollektiv zugewiesen und die erste Aktion singularisch formuliert wird. Insofern werden in den unterschiedlichen Versionen immer wieder die Verbformen aneinander angeglichen.608 Einige hebräische Handschriften und Targum unterstützen zumindest eine pluralische Lesart des ersten Verbs LKD. Diese Differenzierung ist aber inhaltlich unerheblich, da zuvor in V.38 mit „Josua und ganz Israel mit ihm“ ohnehin schon ein Kollektiv genannt wurde, das singularisch oder pluralisch konstruiert werden kann. Gelegentlich wird im zweiten Satz das enklitische Personalpronomen hinter der Verbalform von NKY in den Singular versetzt, um an V.35 und V.37 anzugleichen,609 was aber nicht nötig ist, da in V.39 zuvor mit weʾæt malkāh weʾæt kål ʿāræ̂hā ein pluralischer Referenzpunkt genannt ist. LXX sieht zudem in der Verbindung von Debir zu weiteren Städten (weʾæt kål ʿāræ̂hā) ein Problem und gibt deshalb diesen Ausdruck nicht mit Städten, sondern mit Dörfern wieder (καὶ τὰς κώμας αὐτῆς), eine Übersetzungspraxis, die auf ursprüngliches benôtæ̂hā610 oder ḥaṣrêhā611 hinweisen könnte,612 zumal auch Vetus Latina hier et vicos eius überliefert. Ähnlich wie Hebron wird auch der Ort Debir als regionales Zentrum beschrieben, das mit den Nachbarorten politisch und wirtschaftlich verbunden war, wobei die Versionen vermutlich absichtlich die zu Debir gehörenden Städte nur als Dörfer klassifizieren. LXX ergänzt hinter Hebron noch den Verweis auf den dortigen König (ûlemalkāh), sodass der Vergleichssatz besser an den Hauptsatz angeglichen wird, wo ebenfalls im MT von Debir und seinem König die Rede ist. LXXB verzichtet zudem auf den letzten Satz des MT wekaʾašær ʿāśāh leLibnāh ûlemalkāh, der ohnehin nachklappt und eigentlich nicht nötig ist.613 Bei den bisherigen Vergleichssätzen wurde zudem immer nur ein Ort erwähnt, sodass der Verweis zunächst auf Hebron und danach auf Libna verwundert. Offenbar sollte der Hinweis auf Libna diese Einheit abrunden, zumal Libna der erste Ort des südlichen Eroberungsfeldzugs nach V.29 ist. Auf diese Weise wird die literarische Einheit V.29–39 perfekt abgeschlossen.614 Dementsprechend wird die lectio difficilior des MT vermutlich ursprünglich sein. Vielleicht geht der Textverlust auf Haplographie zurück, indem der Abschreiber von ûlemalkāh hinter Debir zum nächsten ûlemalkāh hinter Libna gesprungen 608
NOTH 1971a, 60 schlägt zudem auch bei NKY Singular vor. So NOTH 1971a, 60. 610 Vgl. Jos 17,11. 611 Vgl. Jos 15,51. 612 Vgl. zum Problem NELSON 1997, 137. COLESON 2012, 106 deutet dies siedlungsgeographisch. Da das Bergland dünner besiedelt war, konnten sich die kleineren Städte nicht gegen die Dominanz der großen Städte verteidigen, sodass sie in Abhängigkeit gerieten. 613 Vgl. FRITZ 1994, 115. 614 Vgl. BUTLER 2014, 465. 609
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ist. Hinzu kommt, dass dieser Satz in Vetus Latina, LXXA und zahlreichen griechischen Handschriften durchaus belegt ist,615 sodass es sehr wahrscheinlich ist, dass der längere MT zuverlässig ist. Insofern spricht wenig dafür, dass dieser Satz ein sekundärer Zusatz in MT ist.616 Am freiesten gibt Vulgata den MT wieder, ohne dass es hierfür eine einleuchtende Erklärung gibt: cepit eam atque vastavit regem quoque eius et omnia per circuitum oppida percussit in ore gladii non dimisit in ea ullas reliquias sicut fecerat Hebron et Lebna et regibus earum sic fecit Dabir et regi illius. Vermutlich sollte hier die umständliche Redeweise des MT aufgebrochen werden. Fraglich ist aber, weshalb von Vulgata auf die Bannweihe verzichtet wurde. V.40: Der Satzanschluss mit wayyiqtol deutet schon inhaltlich nicht Progress an, da der Eroberungszug ab V.40 nicht weitergeführt wird. Außerdem liegt hier keine wirkliche wayyiqtol-Form vor, da nämlich wayyakkæh eine yiqtolLangform mit nicht-apokopiertem h ist. Vermutlich ist in V.40–43 somit eher eine Zusammenfassung der vorausgehenden Erzählung im Blick.617 LXXL ergänzt hinter der Verbalform von NKY noch den typischen Ausdruck e l fî ḥæræb.618 Vetus Latina und LXX transliterieren hannægæb als Toponym Nazeb / Ναγεβ619 und hāʾašedôt als Ortsangabe Asedoth / Ασηδωθ. Dementsprechend ist in der griechischen Texttradition offenbar die Philisterstadt Aschdod im Blick.620 Auch Vulgata kann offenbar mit dem Nomen hāʾašedôt wenig anfangen und setzt hier ein Toponym Asedoth. Die alternative Lesart Ναβαι von LXXB könnte hingegen auf eine Metathese von Nægæb zu Næbæg zurückzuführen sein.621 Die geographische Angabe in V.40 verweist auf Bereiche, die im vorausgegangenen Feldzugsbericht nicht in den Blick genommen wurden. Die sechs eroberten Städte befinden sich nämlich auf dem judäischen Bergland und der Schefela, nicht aber im Südland.622 Möglicherweise wird die Eroberung am Schluss von Jos 10 unter verschiedenen Gesichtspunkten geschildert: Gegenden (V.40), Grenzen (V.41) und Könige (V.42). In dieser Zusammenfassung wird die Position Josuas besonders betont.623 Vetus Latina, LXX und Vulgata verzichten zudem auf die Wiedergabe von kål „Gesamtheit“ vor „ihren Königen“. Möglicherweise wurde der All-Quantor 615
Vgl. BOLING 1982, 291; YOUNGER 1990, 383 Anm.38; BUTLER 2014, 465. So aber GERMANY 2017, 426. 617 Vgl. HARSTAD 2004, 440. 618 Jos 10,28.30.32.35.37.39. Vgl. auch HOLZINGER 1901, 35. 619 Zu anderen griechischen Lesarten vgl. noch GREENSPOON 1983, 42f. 620 Vgl. SOGGIN 1982, 121. 621 Vgl. BOLING 1982, 296. 622 Anders DILLMANN 1886, 493, dem zufolge Debir auch zum Negev gerechnet werden konnte. 623 Vgl. HALL 2010, 180f. 616
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erst sekundär eingetragen, um die Vollständigkeit des Eroberungsfeldzugs zu unterstreichen.624 Allerdings wird hier zumindest die philistäische Küstenebene ausgespart, da das enklitische Personalpronomen bei „ihren Königen“ entweder auf die fünf Könige der Amoriter oder auf die zuvor beschriebenen Toponyme verweist. Da die Küstenebene vor dem Ausdruck „ihren Königen“ fehlt, kann dieses Gebiet nicht eingeschlossen sein. Egal wie man das enklitische Personalpronomen auch deutet, wird in beiden Fällen nicht das gesamte Verheißungsland beschrieben. Auffälligerweise ist nämlich die Küstenebene nicht eingeschlossen. Dementsprechend ist hier nicht von einer allumfassenden Eroberung auszugehen,625 auch wenn ein sehr großes Gebiet eingenommen wurde, wofür die exemplarisch genannten Städte sprechen.626 Der Ausschluss von Entkommenen sowie die Bannweihe wird von Vetus Latina und LXX nicht Josua, sondern einem pluralischen Subjekt zugeschrieben. Dies mag mit dem abschließenden Satz zusammenhängen, wo der Befehl YHWHs an Israel erging und Israel hier wohl als pluralische Größe verstanden wurde. Auffälligerweise wird in V.40 nicht der ansonsten übliche Ausdruck kål (han)næfæš,627 sondern kål hannešāmāh verwendet, ohne dass es hierfür eine einleuchtende Erklärung gibt. Hinzu kommt, dass LXX beide Ausdrücke jeweils mit πᾶν ἐμπνέον überträgt, sodass es durchaus möglich ist, dass diese Unterscheidung erst sekundär eingetragen wurde. Dann stellt sich aber die Frage, ob nicht aufgrund der gleichen griechischen Übersetzung πᾶν ἐμπνέον zunächst überall kål hannešāmāh anstelle von kål (han)næfæš stand.628 Allerdings müsste dann erklärt werden, weshalb der Revisor in V.40 nicht auch kål hannešāmāh zu kål (han)næfæš geändert hat.629 Vielleicht hängt die Verwendung von kål hannešāmāh mit Dtn 20,16 zusammen, wo die Vernichtung von kål hannešāmāh im Eroberungskrieg befohlen wird. Dementsprechend könnte sich der Verweis auf einen Befehl YHWHs im dtn Kriegsgesetz in Dtn 20,10– 18 beziehen. In Jos 11 wird ebenfalls von der Tötung von kål hannešāmāh berichtet,630 wobei aber in Jos 11,11 sowohl kål (han)næfæš wie auch kål hannešāmāh vernichtet werden. 624 BOLING 1982, 296 vermutet eine vertikale Dittographie von kol. Nach PITKÄNEN 2010, 226 ist der All-Quantor zudem als „hyperbolic“ zu deuten, der auch dann verwendet wurde, wenn nur eine kleine Anzahl tatsächlich getötet wurde. 625 Vgl. CLARKE 2010, 92f. Schon WRIGHT 1946, 106f. weist darauf hin, dass hier keine umfassende Eroberung des Verheißungslandes im Blick sein kann. 626 Vgl. BRIEND 1998, 64f. 627 Jos 10,28.30.32.35.37.39. Das Nomen næfæš bezieht sich auf jedes Lebewesen, Mensch oder Tier, vgl. HARSTAD 2004, 436. 628 Vgl. hierzu schon COOKE 1918, 95. 629 Vgl. zum Problem HOLMES 1914, 7. Nach GERMANY 2017, 427 könnte diese Differenz literarkritisch zu lösen sein. 630 Jos 11,11.14.
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V.41: Der Verweis auf die Eroberung durch Josua wayyakkem Yehôšuaʿ fehlt in Vetus Latina, LXX und Vulgata. Es könnte sich hierbei um eine spätere Erweiterung durch MT handeln. Allerdings stehen dann die folgenden Ortsangaben auffällig alleine und müssten dann möglicherweise zum nächsten Satz gezogen werden, und zwar als Objekt von LKD. Darüber hinaus wären diese Ortsangaben aber auch noch als Objekt der Bannweihe von V.40 denkbar,631 auch wenn dann dieses Objekt durch den Vergleichssatz vom eigentlichen Hauptsatz gesperrt ist. Somit gibt es Bezugspunkte für die Ortsangaben, selbst wenn wayyakkem Yehôšuaʿ gestrichen wird. Die topographischen Angaben in V.41 sind schwer zu deuten. Das erste Paar (Kadesch-Barnea – Gaza) verweist auf den westlichen Bereich, das zweite Paar (Goschen – Gibeon)632 auf den östlichen Bereich, der von den Israeliten erobert wurde.633 Durch diese Verortung wird das in V.40 skizzierte Territorium nach Westen und Süden ausgedehnt.634 Allerdings könnte man bei dieser Grenzbeschreibung auch von den vier Himmelsrichtungen ausgehen: Gaza im Westen, Kadesch-Barnea im Osten, Goschen im Süden und Gibeon im Norden.635 Allerdings liegt Kadesch-Barnea eher im Süden und nicht im Osten, sodass diese Verortung problematisch ist. Alternativ dazu könnten hier auch die vier Ecken des Verheißungslandes genannt sein: Kadesch-Barnea im Südwesten, Gaza im Nordwesten, Goschen im Südosten und Gibeon im Nordosten.636 Dies würde zumindest besser den topographischen Gegebenheiten entsprechen. Auffällig ist allerdings, dass in V.41 ein Gebiet Goschen genannt wird,637 während die anderen Toponyme Ortsnamen sind.638 Insofern ist es durchaus möglich, dass die Angabe weʾæt kål ʾæræṣ Gošæn zunächst in V.40 stand639 631
Vgl. HOLMES 1914, 53; NELSON 1997, 138. Nach HOLZINGER 1901, 38 schließt dieser Satz an die geographische Angabe von V.40 an, während alles andere in V.40 ab weʾæt kål malkêhæm Zusatz sei. 632 Nach LEVIN 2003, 202–204 ist Gibeon mit der judäischen Stadt Gibea aus Jos 15,57 gleichzusetzen und nicht mit dem nördlichen Gibeon. Das judäische Gibeon sei zudem mit Ḫirbet el-Qaryatēn zu identifizieren. Dagegen aber aus syntaktischen Gründen und mit Hinweis auf die andere vergleichbare topographische Angabe Kadesch-Barnea/Gaza YOUNGER 2008, 25. 633 Vgl. hierzu COLESON 2012, 107. 634 Vgl. HERTZBERG 1985, 76. 635 Vgl. DOZEMAN 2015, 457. 636 Vgl. DE VOS 2003, 429. 637 Die griechische Textüberlieferung, vgl. DEN HERTOG 1996, 54, sollte hier nicht als Gegenargument aufgefasst werden, da in Majuskeln der Artikel THN und das Nomen ΓHN sehr ähnlich aussehen und ΓHN aufgrund von Haplographie entfallen sein könnte. 638 HOLZINGER 1901, 41 denkt daher daran, dass die Angabe mit dem „Land Goschen“ eine ursprünglich aus V.40 nach V.41 versetzte Glosse sein könnte. Nach LEVIN 2003, 199– 201 ist Goschen ein Land um die dazugehörige Stadt, die in Ḫirbet Tatrit zu lokalisieren wäre, vgl. LEVIN 2003, 210. Zur unterschiedlichen Wiedergabe von Goschen in der griechischen Texttradition vgl. auch GREENSPOON 1983, 100f. 639 Vgl. RÖSEL 2011, 177.
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und erst sekundär nach V.41 wanderte. Ob man allerdings mit solchen Umstellungen tatsächlich rechnen darf, ist fraglich. Der Ort Goschen verbindet zudem Exodus und Landnahme.640 Denn das Toponym Goschen spielt auf das Aufenthaltsgebiet der Israeliten in Ägypten an. Ob damit aber das Gebiet im östlichen Nildelta nachträglich zum Herrschaftsgebiet der Israeliten gerechnet werden soll,641 ist fraglich.642 Zumindest LXX schwächt diesen Bezugspunkt ab, da LXX in der Exoduserzählung das Toponym Γεσεμ anstelle von Γοσομ setzt,643 wobei das Toponym Γοσομ nur im Josuabuch belegt ist.644 Demnach differenziert LXX zwischen beiden Gebieten. Auch diese Beobachtung weist darauf hin, dass zwischen dem ägyptischen Ort Goschen und dem Land Goschen in V.41 zu unterscheiden ist. Da das Land Goschen in Jos 11,16 zusätzlich mit Artikel determiniert ist, könnte es sich bei gošæn zunächst um ein Nomen handeln, das eine bestimmte geographische Bedeutung hatte und sekundär zur Beschreibung eines Landstriches verwendet wurde. Dann wäre die Verbindung zu der eher unbedeutenden judäischen Stadt Goschen nicht notwendigerweise gegeben.645 Problematisch ist auch die Konstruktion mit min – ʿad, da die genannten Punkte inklusiv oder exklusiv verstanden werden können.646 Insofern muss weder Kadesch-Barnea noch Gaza zu demjenigen Gebiet gehört haben, das Josua unterworfen hat. Möglicherweise ist V.41 aufgrund der Erwähnung von Gibeon mit Jos 9,3 und Jos 10,6 verbunden.647 Diese Beobachtung könnte redaktionsgeschichtlich ausgewertet werden. Der Verweis zurück auf Gibeon als nördlichster Ort des südlichen Feldzugs spielt zumindest auf den Anfang der Erzählung von Jos 9–10 an, sodass eine literarisch abgerundete Einheit mit V.41 entstanden ist. V.42: LXX verzichtet auf das Personalpronomen hāʾellæh und überträgt stattdessen ein Possessivpronomen (καὶ πάντας τοὺς βασιλεῖς αὐτῶν). Hier gleicht LXX offenbar an das folgende ʾarṣām an. Aber auch eine Harmonisie-
640
Vgl. KNAUF 2008, 110. So aber GÖRG 1991a, 55. Dagegen aber HARSTAD 2004, 441, auch wenn dieses Toponym vielleicht aus Ägypten übernommen wurde. Nach FARBER 2016, 57 Anm.111 könnte der biblische Autor hier bewusst oder unbewusst damit gerechnet haben, dass Josua auch das nördliche Ägypten eingenommen hat, nachdem er Kadesch-Barnea und Gaza ebenfalls erobert hat. Ob man allerdings mit einer derartigen Ausweitung des Verheißungslandes rechnen darf, sei dahingestellt. 642 EDERER 2017, 177 schlägt noch vor, dass Israel im Verheißungsland seine ägyptische Vorgeschichte mit sich trägt, zumal sich diese in einem Ort an der Grenze auch namentlich niederschlägt. 643 Gen 45,10; 46,34; 47,1.4.5.27; 50,8; Ex 8,18; 9,26. 644 Jos 10,41; 11,16; 15,51. 645 Vgl. hierzu auch YOUNGER 2008, 25 Anm.21. 646 Vgl. CLARKE 2010, 93. 647 Vgl. hierzu DE TROYER 2018, 125. 641
202
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
rung zu V.40 wäre denkbar, wo ebenfalls die Könige des Landes genannt werden, auch wenn dort der All-Quantor fehlt (καὶ τοὺς βασιλεῖς αὐτῆς). Letztendlich ist diese Differenz wenig signifikant. Vulgata überträgt das Verb LKD doppelt (cepit … vastavit), um nicht nur die Eroberung, sondern auch die Verwüstung zu betonen. Während Vetus Latina die Wurzel LḤM-N meist mit expugnare wiedergibt, wenn es um den Kampf Josuas beziehungsweise der Israeliten mit den kanaanäischen Städten geht, wird in V.42 die Wurzel propugnare verwendet, die eher einen Verteidigungskampf bezeichnet. Auf diese Weise wird Gott von der gewalttätigen Eroberung freigesprochen, da er sich lediglich zusammen mit Israel verteidigt (propugnabat cum Istrahel). Der Ausdruck paʿam ʾæḥāt „mit einem Zug“ bezieht sich entweder auf ein einmaliges Vorkommnis, eine Bewegung oder einen Schlag.648 Es wäre folglich ein einziger militärischer Schlag gewesen, der nicht durch Rückschläge behindert wurde.649 Dementsprechend war die Eroberung des südlichen Verheißungslandes ein einmaliger Vorstoß.650 Wie lange allerdings dieser eine Feldzug gedauert hat, wird nicht gesagt.651 Darüber hinaus ist nicht ausgeschlossen, dass es zu späteren Feldzügen kommen musste, da es sich bei der südlichen Landeroberung nur um einen einmaligen Vorstoß gehandelt hat.652 Der hier verwendete Begriff paʿam ʾæḥāt scheint zudem eine rhetorische Übertreibung zu sein.653 Mit einem Schlag konnte somit Josua das südliche Verheißungsland erobern. Nicht umsonst musste im Anschluss noch die Hilfe YHWHs ergänzt werden.654
648 Vgl. auch ZIESE 2008, 229f. Anm.57; HALL 2010, 180f. Anm.76. Nach NIEHAUS 1980, 236f. ist ein Verständnis „auf einmal“ jedoch ausgeschlossen, da dieses immer mit der Präposition b gebildet werde. 649 Vgl. HARSTAD 2004, 441. 650 Im Gegensatz zum südlichen Verheißungsland hat man im Ostjordanland nicht nur die Amoriterkönige geschlagen (NKY), sondern auch das Land in Besitz genommen (YRŠ). Da die Inbesitznahme des Westjordanlandes fehlt und das israelitische Heer nach V.43 wiederum ins Lager zurückkehrt, besteht zumindest die Möglichkeit, dass die geflohene Bevölkerung das bereits eroberte Land wiederbesiedelt, vgl. auch CLARKE 2010, 96. 651 Vgl. hierzu HOWARD 1998, 262; COLESON 2012, 106. Schon KEIL 1847, 204 geht von einem einzigen Feldzug aus, der allerdings längere Zeit gedauert haben könnte. Ähnlich LLOYD 1886, 160. 652 Vgl. zum Problem von paʿam ʾæḥāt auch NIEHAUS 1980, 236–238. Aufgrund der Verwendung in Jes 66,8 könnte paʿam ʾæḥāt möglicherweise mit „plötzlich“ wiedergegeben werden, auch wenn dann das Numeral nicht adäquat übertragen wäre, vgl. auch CLARKE 2010, 95. 653 Vgl. COOKE 1918, 99. 654 Möglicherweise bezieht sich paʿam ʾæḥāt lediglich auf die Schlacht bei Gibeon, vgl. KNAUF 2008, 109f. OTTOSSON 1991, 88f. Anm.8 zieht zudem eine Verbindung zu pæh ʾæḥād in Jos 9,2.
2. Sprachliche und textkritische Probleme
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In V.42 wird besonders darauf verwiesen, dass das Verheißungsland nur aufgrund der Unterstützung durch YHWH eingenommen werden konnte. Hier wird zudem V.14 aufgegriffen, wobei in V.42 YHWH zusätzlich appositionell mit dem „Gott Israels“ gleichgesetzt wird. Auffälligerweise verzichtet Vulgata auf das vollständige Objekt leYiśrāʾel, indem hier lediglich pro eo übersetzt wird, wobei aber dadurch auch die Entsprechung zu V.14 aufgegeben wird. Denn in V.14 gibt Vulgata das Objekt Israel wieder. Durch diese Glättung des Textes wird das Bezugsystem zur Gibeonerzählung gestört. V.43: In Vetus Latina, LXX und Peschitta fehlt wie schon in V.15 derjenige Vers, der den Rückzug Josuas in das Lager von Gilgal beschreibt.655 Allerdings belegt Josephus in seinen Antiquitates die Rückkehr Josuas nach Gilgal,656 sodass die Lesart des MT zumindest in V.43 durchaus ursprünglich sein kann. Außerdem fehlt ansonsten ein Abschluss der südlichen Eroberungserzählung. Vulgata verzichtet darüber hinaus auf die Nennung des Subjekts Josua, da Josua in V.40 zum letzten Mal genannt wurde und hier noch weiterwirken kann. Diese Kürzung scheint somit eine Glättung des redundanten MT zu sein. Insgesamt ist festzustellen, dass die Versionen gerade im Eroberungsbericht immer wieder versuchen, den hinsichtlich der einzelnen Formeln uneinheitlichen MT gerade im letzten Teil zu harmonisieren. Auf diese Weise werden die vielen Varianten des redundanten MT eingeebnet.657 Es hat den Anschein, dass der schwierige und variantenreiche MT nachträglich geglättet wurde, indem gewisse Formeln zusätzlich eingetragen wurden. Insofern spricht wenig dafür, dass man MT aufgrund von angeblichen Textverlusten erweitern muss. Eine nachträgliche Harmonisierung der einzelnen Varianten des MT durch die Versionen ist wahrscheinlicher als Textverluste in der hebräischen Tradition. Darüber hinaus werden die Verben, die für die militärischen Aktionen eingesetzt werden, von den einzelnen Versionen nicht einheitlich übertragen, was vermutlich auf stilistische Variantenbildung zurückgehen wird und nicht einen anderen ursprünglichen Text nahelegen muss. Außerdem wird in den Versionen immer wieder zwischen Plural und Singular gewechselt, sodass oft nicht klar ist, von wem die beschriebene Aktion eigentlich ausgeht: von Josua, YHWH oder Israel. In dieser Frage ist keine befriedigende Antwort zu erwarten, da die Versionen ebenfalls nicht einheitlich vorgehen. Es hat somit den Anschein, dass gerade der ursprüngliche Text, den MT weitgehend belegt, mithilfe von zahlreichen Varianten im Ausdruck gerne abwechselt, um die sprachliche Stereotypie der Eroberungserzählungen aufzu-
655
Vgl. auch STEUERNAGEL 1900, 194; HOLZINGER 1901, 36. Vgl. BEGG 2007, 90. 657 VAN BEKKUM 2011, 118. Diese Beobachtung erschwert freilich die textkritische Rekonstruktion, vgl. NELSON 1997, 137. 656
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brechen. Insofern sollte man nicht einen geglätteten und einheitlichen Text rekonstruieren, der ohnehin nur einen niedrigen Grad an Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen kann. Insgesamt konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass die Textüberlieferung Varianten bietet, die vermutlich nicht nur textkritisch, sondern auch literarkritisch beziehungsweise redaktionsgeschichtlich verwertet werden können. Gerade die Beobachtung, dass bestimmte Versteile in den Versionen sehr unterschiedlich wiedergegeben werden, könnte darauf hindeuten, dass hier noch eine Zeit lang literarisch gearbeitet wurde, bis die Texte in den unterschiedlichen Fassungen abgeschlossen waren. Auf die oben genannten Probleme muss somit eingegangen werden.
3. Literarkritische Beobachtungen Im Folgenden sollen einige Beobachtungen zusammengetragen werden, die für einen redaktionsgeschichtlichen Entwurf zu Jos 10 wichtig sind und bei der literarkritischen Anaylse konsequent ausgewertet werden können. Zunächst sollen die Handlungsträger und die Verortung in den Blick genommen werden. In Jos 10 werden für die Israeliten unterschiedliche Bezeichnungen verwendet: Yiśrāʾel (V.1.10.11.12.30.32.40.42), kol Yiśrāʾel (V.15.29.31.34.36.38. 43), ʾîš Yiśrāʾel (V.24) und benê Yiśrāʾel (V.4.11.12.20.21), ohne dass ein inhaltlicher Grund für diesen Wechsel erkennbar ist.658 Insofern könnten hier unterschiedliche redaktionelle Hände gearbeitet haben. In der Gibeon- und Makkedaerzählung handelt Josua zudem – abgesehen von V.7, V.20 und V.24 – alleine ohne Israel. Erst ab der Eroberungserzählung wird betont, dass Josua zusammen mit Israel agiert.659 Die Gegner der Israeliten werden in Jos 10 ebenfalls unterschiedlich bezeichnet: In V.3 handelt es sich um die Könige der fünf kanaanäischen Städte Jerusalem, Hebron, Jarmut, Lachisch und Eglon, die zudem mit Namen genannt werden. In V.5 und 23 werden diese Gegner nach ihren Städten benannt, während sie in V.5 und V.16 auch nur die „fünf Könige (der Amoriter)“ sind. Die Fünfzahl der Könige könnte mit der Makkedaerzählung in V.16–27 zusammenhängen, wo es um fünf Bäume geht, an die nach V.26 die toten Könige gehängt werden. Dementsprechend könnte die Aufzählung der kanaanäischen Könige sekundär in V.3 eingedrungen sein, um die in der Makkedaerzählung getöteten Könige schon zu Beginn von Jos 10 besser identifizieren zu können. Da die Herkunftsorte der Amoriterkönige bereits in V.3 genannt waren, ist die
658 BRIEND 1990, 172 wertet diese Beobachtung literarkritisch aus. Zu den unterschiedlichen Bezeichnungen für Israel auch DE TROYER 2016, 65. 659 Jos 10,15.29.31.34.36.38.43, vgl. hierzu DE TROYER 2016, 65–67.
3. Literarkritische Beobachtungen
205
wiederholende Aufzählung in V.5 eigentlich nicht nötig und daher möglicherweise redaktionell ergänzt worden.660 Wenn diese Aufzählung sekundär hinzugekommen ist, dann wird auch die Apposition hem wekål maḥanêhæm im selben Zug ergänzt worden sein, zumal das Wort maḥanæh im Plural selten im Josuabuch belegt ist.661 Die Gegner der Israeliten in der Schlacht von Gibeon werden in Jos 10 zudem unterschiedlich verortet. Entweder sind es die in V.3 und V.5 genannten fünf Amoriterkönige (aus Jerusalem, Hebron, Jarmut, Lachisch und Eglon) oder es sind nach V.6 eine unbekannte Anzahl von Amoriterkönigen des Berglandes662 oder es sind die Könige der Städte, die in V.28–39 erwähnt werden (Makkeda, Libna, Lachisch, Eglon, Hebron, Debir), wobei sich die genannten Größen teils auch überschneiden. Zumindest die drei Städte Lachisch, Eglon und Hebron sind in der Gibeonerzählung V.1–15 und in der Darstellung der südlichen Eroberung V.28–39 zu finden. Aufgrund der Unterschiede in den Ortslisten wurde anscheinend bei der Bestimmung der Orte der feindlichen Allianz redaktionell gearbeitet. Aus alledem folgt, dass zunächst vielleicht nur eine unbestimmte Anzahl an Amoriterkönigen als Gegner auftrat. Schon aufgrund der ungenauen und wechselnden Angaben zum Gegner hat man immer wieder versucht, die ursprüngliche Anzahl und Verortung der Feinde zu rekonstruieren.663 Die beiden Orte Jarmut und Jerusalem werden hierbei sicherlich eine größere Rolle spielen, da beide Orte im südlichen Eroberungsfeldzug nicht genannt werden. Zweifellos wird in Jos 10 massiv Kritik gegen die aggressive Form des Stadtkönigtums vor allem auch Jerusalems geübt.664 Vor diesem Hintergrund könnte in Jos 10 eine politische, jerusalemkritische Aussage eingetragen sein, die aus der Zeit der Verfasser stammen könnte.665 Außerdem wird hier der Fokus auf die Ebene der Anführer gelenkt. Die Landnahme wird somit nicht als Auseinandersetzung zwischen Völkern, sondern als Konflikt zwischen Josua und den feindlichen Königen geschildert.666 Sicher ist hingegen der Ort der kriegerischen Auseinandersetzung. Denn der Ort Gibeon wird in Jos 10 nicht nur in den unterschiedlichsten Teilen unisono 660
Vgl. GERMANY 2017, 422. Vgl. BRIEND 1990, 172. 662 DE VAUX 1978, 632 geht zunächst von einer unbekannten Anzahl von kleineren amoritischen Königen der Schefela aus, da z.B. Hebron viel zu weit von der Schlacht entfernt liegt. 663 Vgl. zum Problem RÖSEL 1976, 505. Nach BARR 1990, 63 musste man in V.3 die Toponyme auf fünf Orte beschränken, wobei Jerusalem relativ spät dazugekommen ist, und Jarmut möglicherweise aus der Tradition stammt. 664 Vgl. GÖRG 1991a, 48. Auch HALL 2010, 178 sieht in Jos 9–10 eine starke Kritik gegen das Königtum. Die kanaanäischen Könige sind somit die eigentlichen Aggressoren, während sich die Israeliten lediglich verteidigen. 665 Vgl. BALLHORN 2011, 213 Anm.504. 666 Vgl. auch HAWK 2000, 150. 661
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genannt.667 Gibeon wird auch im poetischen Lied aus dem „Buch Yaschar“ erwähnt, auf das der Erzähler vermutlich zurückgegriffen hat. Der Ort Gibeon wird in Jos 10 zumindest in der Fremdperspektive als stark beurteilt. Denn das Ausscheiden Gibeons aus der kanaanäischen Verteidigungsallianz wird als merkliche Schwächung der kanaanäischen Position gesehen, während sich die Gibeoniter in Jos 9 selbst als schwach beschreiben, da sie auf ein militärisches Vasallenverhältnis zu Israel angewiesen sind.668 Die Verortung der einzelnen Ereignisse der Gibeonerzählung ist aber nicht kohärent. Auf der einen Seite ist Gibeon und Ajalon nach dem Liedfragment in 12b–13a der Ort der Schlacht, auf der anderen Seite findet die Flucht aus der Schlacht am Abhang von BetHoron statt, auch wenn die große Niederlage nach V.10 den Feinden in Gibeon beigebracht wurde.669 Nach diesen allgemeinen Beobachtungen zu den Personen und Orten in Jos 10 sollen versweise die Schwierigkeiten besprochen werden, die mitunter auf redaktionelle Änderungen hinweisen. Die Motivation für die Koalition der amoritischen Könige wird in V.1 unterschiedlich angegeben. Zum einen erregt das Schicksal der Stadt Ai die Furcht der im Verheißungsland ansässigen Bevölkerung. Zum anderen sollte die abtrünnige Stadt Gibeon – wie noch in V.4 – für ihr Bündnis mit den Israeliten bestraft werden.670 Diese doppelte Begründung wird auch formal angezeigt, da in V.1 zwei mit kî eingeleitete Begründungen für die angestrebte Militärkoalition genannt werden: zum einen die Eroberung und Zerstörung der Stadt Ai, zum anderen das Bündnis mit Gibeon.671 Bisweilen wird vermutet, dass der erste Begründungssatz 1a aufgrund des Hinweises auf die Stadt Ai in V.2 ergänzt worden wäre, sodass die ursprüngliche Tradition noch nicht 1a (ab kî) enthielt und in 1b die eröffnende Konjunktion w fehlte.672 Da zumindest die weitere Erzählung das Bündnis der Gibeoniter mit Josua benötigt, wird wohl die zweite Begründung ursprünglich sein.673 Hinzu kommt, dass der Vergleich des Schicksals von Ai mit Jericho stereotyp gehalten ist, wobei das Schicksal des Königs von Jericho nirgendwo zuvor explizit erwähnt wird. Dieser Vergleich führt folglich ins Leere. Hinzu kommt die syntaktische Schwierigkeit des Vergleichssatzes.674 Somit wurde der erste Begründungssatz anscheinend 667
Jos 10,1.2.4.5.6.10.12.41. Vgl. zu dieser Spannung SOGGIN 1982, 121. Nach AULD 1984, 69; FRITZ 1994, 110f. fordern die Gibeoniter als Vasallen in V.6 den militärischen Schutz durch ihren Oberherrn, da sie sich selbst als ʿabādæ̂kā bezeichnen und damit an Jos 9,9 anknüpfen. 669 Vgl. hierzu auch KANG 1989, 153. 670 Vgl. HOLZINGER 1901, 36. 671 Vgl. hierzu auch RÖSEL 2011, 165. Nach EDENBURG 2012, 132 wird der Bündnisschluss mit Gibeon von Jos 10,1–4 vorausgesetzt. 672 Vgl. zum Problem auch RUDOLPH 1938, 205. 673 Vgl. RÖSEL 2011, 165; GERMANY 2017, 421. 674 Vgl. GERMANY 2017, 421. 668
3. Literarkritische Beobachtungen
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von einem Redaktor eingetragen, der Jos 10 in den größeren Kontext des Josuabuchs einordnen wollte, dabei aber die beobachteten, inhaltlichen und syntaktischen Spannungen erzeugt haben könnte. Allerdings ist auch der zweite Begründungssatz nicht über jeden Zweifel erhaben. Denn die amoritischen Könige mussten sich eigentlich nicht vor den schwächlichen Gibeonitern fürchten, die in Jos 9 allzu schnell und ohne Gegenwehr ein Bündnis mit den siegreichen Israeliten angezielt haben. Dementsprechend könnte der Verweis auf Gibeon von einer redaktionellen Hand eingetragen worden sein, als man die Tradition von dem Bündnis mit Gibeon aus Jos 9 und die Gibeoniterschlacht miteinander verbinden wollte. Die ursprüngliche Tradition benötigt eigentlich nicht die in V.2 erwähnte Furcht, die durch die Größe Gibeons motiviert wird, sodass V.2 vielleicht sekundär hineingekommen sein könnte. Hinzu kommt, dass V.3 wiederum in den Singular wechselt.675 Dementsprechend könnte die schwierige Pluralform in 2a schon die künftige Koalition der feindlichen Amoriterkönige im Blick haben. Eben weil sich diese Könige vor Gibeon und den Israeliten fürchteten, war das Ersuchen Adonizedeks erfolgreich. Dementsprechend wäre es möglich, dass V.2 erst im Blick auf die Koalition der Amoriterkönige nachträglich eingetragen wurde.676 In V.4 ist die Motivation für das gemeinsame Vorgehen zudem nicht die in V.2 erwähnte Größe und militärische Stärke Gibeons, sondern der Bundesschluss mit Israel, auf den schon in V.1 hingewiesen wird. Das eigentliche Problem der Erzählung ist folglich der Bund Gibeons mit Israel. Während in Jos 9 der Bund aus der Perspektive Israels problematisiert wurde, wird in Jos 10 die Außenperspektive der amoritischen Könige eingenommen. Auf das 675
Vgl. hierzu GERMANY 2017, 422. Vgl. auch WAZANA 2021, 111–113, die zahlreiche Argumente für den redaktionellen Charakter von V.2 liefert: 1) ein Verweis auf die Furcht der Feinde fehlt im ansonsten parallel aufgebauten nördlichen Feldzugsbericht in Jos 11, 2) auf den Bündnisschluss mit Gibeon wird in V.2 und V.4 hingewiesen, 3) die schwierige Pluralform wayyîrʾû meʾod könnte sekundär aus Jos 9,24 entlehnt sein, 4) die Pleneform wayyîrʾû könnte auf den redaktionellen Charakter hinweisen, 5) der Größenvergleich zwischen Ai und Gibeon setzt voraus, dass Ai ebenfalls eine große Stadt war, was aber vor dem Hintergrund, dass man Ai nach Jos 7,3 mit nur 2000–3000 Mann besiegen könne, schwierig ist, 6) die Stärke Gibeons steht zudem in Spannung zu Jos 9, wo Gibeon als schwach gekennzeichnet wird, 7) die Bezeichnung ʿîr gedôlāh findet sich ansonsten nur in späten Texten, sodass es sich hier um einen redaktionellen Zusatz handeln könnte, 8) der Begriff ʿîr hammamlākāh ist ebenfalls singulär im Josuabuch und widerspricht der Ältestenherrschaft in Gibeon. Allerdings sind alle diese Beobachtungen nicht zwingend. Denn: 1) Strukturelle Abweichungen können der Varianz dienen, 2) die Doppelung von V.2 und V.4 kann auch auf andere Weise literarkritisch erklärt werden, 3) für die Pluralform gibt es eine einleuchtende Erklärung, sodass die abweichende Formulierung in Jos 9,24 nicht herangezogen werden muss, 4) die Verwendung von Pleneformen ist textkritisch, nicht literarkritisch zu deuten, 5) und 6) die Schwäche Ais nach Jos 7,3 und Gibeons nach Jos 9 ist erzähltechnisch motiviert und muss nicht auf eine tatsächliche Unterlegenheit hinweisen, 7) und 8) auffällige Formulierungen müssen nicht notwendigerweise auf redaktionelle Eintragungen zurückgeführt werden. 676
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in Jos 9 geschlossene Bündnis mit den Gibeonitern wird in V.6 ebenfalls durch die Selbstbezeichnung ʿabādæ̂kā hingewiesen,677 sodass der Bundesschluss vermutlich zur ursprünglichen Tradition gehören wird. In V.1 erfährt der König von Jerusalem vom Hörensagen, dass Gibeon mit den Israeliten Frieden geschlossen hat (ŠLM-H). In V.6 übertreiben zudem die Gibeoniter, wenn sie von „der Gesamtheit der Könige der Amoriter“ sprechen,678 zumal ansonsten nur fünf Könige im Blick sind. Die Apposition yošbê hāhār bildet eine weitere Spannung, da von den fünf Königen nur Jerusalem und Hebron tatsächlich im Gebirge liegen. Dieser Zusatz könnte auf Dtn 1,7.19.44 zurückzuführen sein, wo die Amoriter explizit als Berglandbewohner beschrieben werden.679 Die Ermutigungsformel in V.8 scheint zu spät zu kommen, nachdem Josua bereits aufgebrochen ist, um der belagerten Stadt Gibeon zu Hilfe zu kommen. Josua hat sich zumindest im Endtext nicht vor der feindlichen Koalition gefürchtet, sondern ist sofort nach dem Hilferuf der Gibeoniter losgezogen (V.7).680 Bisweilen wird angenommen, dass man die Formel in V.8 als Reaktion auf die Furcht der Israeliten deuten könnte, von der in V.2 vielleicht schon die Rede war. Dann müsste man davon ausgehen, dass die Israeliten das ursprüngliche Subjekt von V.2 sind.681 Eine solche Deutung passt aber nicht zum Kontext von V.2 und ist daher unwahrscheinlich. Hier müsste zudem umfassend literarkritisch gearbeitet werden, damit die Israeliten zum Subjekt von wayyîrʾû gemacht werden können. Aufgrund der abweichenden Formulierung ist V.9 (wayyāboʾ) keine wirkliche Parallele zu V.7 (wayyaʿal), sondern V.9 führt die Handlung fort („zog hinauf und kam“). Insofern muss nicht vermutet werden, dass der Anmarsch Josuas in V.7 und V.9 doppelt erzählt wurde. Hinzu kommt, dass 9b eine Erklärung für den Überraschungsangriff in 9a ist, zumal man in der Nacht heraufgezogen ist. Nicht umsonst ist in 9b die Verbalformation x-qatal gewählt, sodass das Heraufziehen des Heeres als vorzeitig zu bewerten ist.682 Insofern spricht wenig dafür, dass V.9 ein sekundärer Zusatz beziehungsweise eine Doppelung zu V.7 ist. Zwischen diesen beiden Bewegungsverben konnte somit ein Redaktor ohne große Probleme das Heilsorakel in V.8 einfügen.683
677
Vgl. zu dieser Beobachtung BERNER 2017, 256. Vgl. ZIESE 2008, 216. Nach GRAY 1986, 103 könnten ausgehend von dieser Angabe aber auch erst die fünf Amoriterkönige partikularisiert worden sein. 679 JERICKE 2009, 55–57 weist darauf hin, dass das „Bergland der Amoriter“ nach Dtn 1,7 südlich des zu Kanaan und Juda gerechneten Gebiets zu verorten ist. 680 Vgl. hierzu HENTSCHEL 2004, 149. 681 Vgl. WEIMAR 1976, 58 Anm.57. 682 Vgl. hierzu auch RUDOLPH 1938, 205. Insofern muss 9b nicht eine spätere Ergänzung sein, die die narrative Abfolge durchbricht, so aber GERMANY 2017, 422f. 683 Vgl. GASS 2019a, 41. 678
3. Literarkritische Beobachtungen
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Unter der Voraussetzung, dass die beiden Erzählungen der Schlacht um Gibeon und der Tötung der fünf Könige bei Makkeda aneinander angeglichen worden sind, könnte die Richtungsangabe weʿad Maqqedāh in V.10 ein sekundärer Zusatz sein,684 wodurch die Fortsetzung ab V.16 mit der Makkedaerzählung vorbereitet wird. Es ist zudem kaum zu erklären, dass V.11 nicht wie ebenfalls schon V.10 den Ort Makkeda als Zielpunkt erwähnt haben sollte. Denn in V.11 ist nur von Aseka die Rede. Durch den Zusatz weʿad Maqqedāh wird der Fluchtweg der Feinde zusätzlich erweitert, wobei es aber aufgrund dieser Erweiterung den Anschein hat, dass auf der Ebene des Endtextes in Verbindung mit V.11 die Hagelsteine nur zwischen Bet-Horon und Aseka fallen, während zwischen Aseka und Makkeda nicht mit diesem Steinschlag zu rechnen ist. Dementsprechend kann es durch diese lokale Differenzierung Überlebende durchaus gegeben haben, die entweder von den Israeliten verfolgt und vernichtet werden oder sich zunächst bei Makkeda in einer Höhle verstecken können. Durch den Zusatz weʿad Maqqedāh ist die Gibeonerzählung jedenfalls auf das Folgende hin angelegt. Wie die Makkedaerzählung zeigt, werden auch die geflüchteten Könige besiegt und getötet, sodass V.10 die weitere Erzählung bereits vorwegnimmt, wenn betont wird, dass YHWH die Gegner auch bis Makkeda schlägt. In V.10 ist zudem der Wechsel des Subjekts zu YHWH auffällig, zumal zuvor Josua in der Nacht mit einem Gewaltmarsch nach Gibeon gezogen ist. Durch die von Gott erzeugte Panik wird – wie schon in V.8 – die Beteiligung YHWHs am Sieg bei Gibeon eingetragen. Außerdem scheint wayyakkem „und er schlug sie“ im letzten Satz von 10b eine Doppelung zu 10a zu sein, mit der Aseka, der Zielpunkt der Flucht, nachgetragen werden konnte.685 Auch die beiden unterschiedlichen Fluchtwege in 10b und 11a könnten auf unterschiedliche Erzähltraditionen zurückgehen.686 Dementsprechend könnte das Hagelwunder in V.11 sekundär ergänzt worden sein.687 Hinzu kommt, dass der Fluchtweg zunächst nach Westnordwest führte und dann plötzlich nach Süden abknickte, was den Israeliten die Chance gab, das amoritische Heer von der Flanke her anzugreifen.688 YHWH greift zudem dreimal in die Schlacht ein, was ebenfalls darauf hindeutet, dass hier redaktionell gearbeitet wurde. Zunächst bringt YHWH die Feinde in Verwirrung (V.10), dann schleudert er (Hagel)steine auf die Feinde
684
Vgl. schon ELLIGER 1934, 48; RUDOLPH 1938, 206 Anm.3; DE VAUX 1978, 631; BRI1990, 175; FRITZ 1994, 110; NELSON 1997, 141; BRIEND 1998, 58 Anm.5; WEHRLE 1999, 200; DE VOS 2003, 380 Anm.264; RÖSEL 2011, 168; NOCQUET 2022, 325 Anm.35. Anders LANGLOIS 2011, 205, der Aseka als sekundär streicht. 685 Vgl. GASS 2019a, 41. 686 Vgl. MILLER/TUCKER 1974, 82. 687 Vgl. GASS 2019a, 41f. 688 Vgl. hierzu HOLZINGER 1901, 36. END
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
(V.11) und schließlich verlängert er den Tag (V.12–13).689 Dies könnte entweder auf verschiedene Traditionen zurückgehen, oder auf eine detaillierte Abfolge des Schlachtenverlaufs.690 Möglicherweise wird aber auch hier wie andernorts in der Bibel der gleiche Sachverhalt im Rahmen eines Prosatextes und einer poetischen Version dargestellt. Dann wäre 12b–13a eine poetische Beschreibung der Hilfe YHWHs für Israel im Gegensatz zu V.10–11, wo das Gleiche in Prosa verhandelt wird.691 Wenn hier somit bewusst die Abfolge ProsaPoesie für die narrative Darstellung desselben Ereignisses gewählt wurde, ist es nicht notwendig, dass man das Sonnenwunder historisch deuten muss. Es wäre folglich eine poetische Form für das Heilshandeln YHWHs. Der Hinweis auf ein „Buch Yaschar“ in V.13 scheint darauf hinzuweisen, dass in Jos 10 vorliegende, bereits schriftliche Traditionen verwendet wurden, sodass vor diesem Hintergrund eine literarkritische Arbeit und eine Rekonstruktion des ursprünglichen Liedes durchaus sinnvoll ist. Fraglich ist jedoch, wie das Liedfragment am besten nach vorne und hinten abgegrenzt werden kann.692 1)
Da bei den anderen beiden Zitaten aus dem „Buch Yaschar“ ebenfalls eine Einleitungsformel steht, könnte auch ein Teil von 12a zum Zitat gehören.693 Allerdings lässt sich in Jos 10 kaum ein Teil der Redeeinleitung sinnvoll mit dem Lied verbinden. Somit scheint das Liedzitat mit der Anrede an die Sonne zu beginnen. Fraglich ist zudem, wie lange das Zitat aus dem „Buch Yaschar“ reicht. Entweder erstreckt sich das Zitat bis zum Ende von V.15, zumal bereits die Rückkehr Josuas ins Lager von Gilgal viel zu früh kommt und daher vielleicht aus der vorliegenden Quelle übernommen wurde,694 oder das Zitat reicht bis zum Ende von V.14, was den redaktionellen Einschub von V.15 besser in Analogie zu V.43 erklären würde. Demgegenüber könnte aber auch 12b–14a zum Zitat gehört haben. Denn der Satz kî YHWH nilḥām leYiśrāʾel passt besser zum Ende von V.11, da dort in einem Vergleichssatz darauf hingewiesen wird, dass durch das Eingreifen YHWHs mehr Feinde ums Leben gekommen sind als durch das Schwert der Israeliten. Außerdem wird in 12b–14a die besondere Aktivität Josuas gegenüber Gott betont, was nicht zum dauerhaften Kampf YHWHs für Israel passt. Zweifellos deutet der durative Partizipialsatz in V.14 an, dass YHWH nicht nur
2)
689
Vgl. NELSON 1997, 139. Vgl. MILLER/TUCKER 1974, 82f. 691 Vgl. KANG 1989, 158. 692 Diese Fragestellung erübrigt sich freilich dann, wenn man die Hypothese ablehnt, dass hier tatsächlich wortwörtlich aus einer vorliegenden Quelle zitiert wird. 693 Vgl. DE VAUX 1978, 633. 694 Vgl. zum Problem WOUDSTRA 1981, 174; COLESON 2012, 103. Schon KEIL 1847, 177–182 hält V.12–15 für eine Einschaltung aus dem sefær hayyāšār. Auch KNOBEL 1861, 397 hält V.12–15 für einen Einschub eines anderen Erzählers. 690
3. Literarkritische Beobachtungen
211
einmal für Israel gekämpft hat, sondern dass YHWH in dieser Zeit dauerhaft für Israel eingetreten ist. Dementsprechend würde das Zitat von V.12 bis 14a reichen.695 Allerdings hebt sich der Prosakommentar in 13b–14a vom poetischen Fragment in 12b–13a ab. Insgesamt schließt vermutlich die Zitatformel in 13b das Zitat ab, sodass danach nur noch ein Autorenkommentar folgt, der das Ganze zusammenfasst und die Schlussfolgerungen daraus zieht.696 Mit dem midraschartigen Kommentar in 13b–14a wird demnach der Spruch aus dem „Buch Yaschar“ ausgelegt. Zum einen wird in diesem Kommentar der Standort der Sonne an der Mitte des Himmels bestimmt, zum anderen die Dauer des Wunders näher präzisiert. In diesem Autorenkommentar wird somit das Sonnenwunder mit einer Verlängerung des Tages gedeutet.697 Unklar ist zudem, wer nach V.12 der Sprecher dieses Liedfragmentes sein könnte, nachdem gerade an dieser Stelle textkritisch gearbeitet wurde:698 Gerne wird vermutet, dass YHWH der Sprecher sein könnte,699 wofür einige Argumente sprechen.700 Die Redeeinleitung leʾmor fehlt, sodass nicht zwingend eine Rede Josuas folgen muss. Die wayyiqtol-Form in 12b mag darüber hinaus andeuten, dass die folgende Handlung der vorangegangenen Aussage untergeordnet ist und hier ausgedrückt wird, dass sich Josua zunächst an YHWH wendet, der dann schließlich das Wort ergreift. In V.10–11 war YHWH derjenige, der den Krieg geführt hat. Der Ausdruck lifnê Yiśrāʾel „vor dem Anblick Israel“ verweist in Jos 10,10 darauf, dass YHWH etwas zugunsten von Israel durchführt, sodass sich YHWH auch in V.12 an Israel wenden könnte. YHWH ist auch ansonsten der eigentliche Befehlsgeber in Jos 10, dem Israel in einem zweiten Schritt folgt. Insofern würde man in 12a ebenfalls erwarten, dass YHWH die Initiative ergreift. Allerdings sind auch gewichtige Gegenargumente zu beachten.701 Denn schon die griechische Übersetzung hat deutlich gemacht, dass Josua der Sprecher des Liedfragments ist. Außerdem sind mit dem Ausdruck leʿênê
1)
695
Vgl. FARBER 2017, 116f. Vgl. HUBBARD 2009, 294. Ähnlich schon DILLMANN 1886, 490. 697 Vgl. STEUERNAGEL 1900, 191f. Nach NOCQUET 2022, 331 werden hier die Himmelskörper nicht mehr als verwerfliche Gottheiten, sondern lediglich als Zeitanzeiger gesehen und damit schöpfungstheologisch gedeutet. 698 Vgl. zum Problem RÖSEL 2011, 169f. YU 2012, 585 vermutet darüber hinaus eine chiastische Struktur hinter Jos 10,12–14, wobei die Rache YHWHs im Zentrum des Abschnitts stehe. 699 Vgl. MILLER 1975, 127, der YHWH für den Sprecher und Hauptakteur von 12b–13a hält. Erst der Sammler habe aufgrund des ersten Satzes in 12a Josua für den Sprecher gehalten und dementsprechend auch die Prosaerklärung in V.14 angeschlossen. 700 Vgl. zum Folgenden YU 2012, 582f. 701 Vgl. nur OESTE 2014, 690 Anm.8. 696
212
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Yiśrāʾel „vor den Augen Israels“ Zeugen dieses Aufrufs an die Himmelskörper vorhanden. Da ansonsten YHWH immer durch die Vermittlung Josuas zu Israel spricht, wäre dies der einzige Fall, wo YHWH offenbar direkt zu Israel spricht, nämlich leʿênê Yiśrāʾel. Außerdem verweist V.14 darauf, dass die Stimme Josuas die wunderhaften Ereignisse ausgelöst hat. Zumindest der Autorenkommentar verdeutlicht, dass sich Josua an die Himmelskörper gewendet hat. Außerdem stellt sich vor dem Hintergrund von V.14 zurecht die Frage, was Josua überhaupt gesagt hat, wenn das Liedfragment nicht mit ihm zu verbinden wäre. Die Erklärung in V.14 hätte keinen Bezugspunkt, wenn nicht Josua der Sprecher des Liedfragmentes wäre. Da somit nach V.14 YHWH auf die Stimme Josuas gehört hat, ist es durchaus wahrscheinlich, dass das Lied auch von Josua stammt. Darüber hinaus würde man ausgehend vom Kontext nicht ein Zitat der Worte YHWHs erwarten, sondern die Worte Josuas, mit denen er sich um göttlichen Beistand bemüht hat.702 Außerdem wendet sich Josua nach 12a direkt an YHWH, offenbar mit diesem Liedfragment. Schließlich ist der Ausdruck leʿênê Yiśrāʾel seltsam, wenn sich YHWH direkt an Israel wendet, zumal der Ausdruck leʿênê Yiśrāʾel ansonsten dann gewählt wird, wenn ein menschlicher Sprecher redet und Israel Zeuge dieser Äußerung ist.703 Hinzu kommt, dass die schwierige Sprechsituation in V.12 mit Num 20,6–11 vergleichbar sein könnte, wo sich Mose und Aaron zunächst an YHWH wenden und dann den Felsen ansprechen (V.8), damit er Leben schenkendes Wasser spendet.704 Letztendlich spricht somit wenig dafür, dass YHWH selbst der Sprecher des Liedfragmentes ist. Abgesehen davon könnte auch der Redaktor selbst der Sprecher des Liedfragments sein, der sich auf diese Weise an Sonne und Mond wendet. Dann wäre dieser Spruch vielleicht erst im Nachhinein redaktionell formuliert worden. Vermutlich handelt es sich beim Sprecher um Josua, der sich zunächst an YHWH wendet und dann das Lied anhebt. Zumindest der Endtext scheint diese Deutung nahezulegen, auch wenn der Sprecher des Liedfragments ursprünglich nicht Josua gewesen sein muss. Auch im vorausgehenden Kontext war Josua in V.9–10 im Mittelpunkt der Erzählung.705 Insofern spricht viel dafür, dass Josua als das redende Subjekt nicht ausgetauscht wurde.
2)
3)
702
Vgl. auch TAYLOR 1993, 116; HALL 2010, 173. Vgl. HALL 2010, 173, die auf Num 20,8 verweist. 704 Vgl. hierzu auch KRUGER 2000, 144. 705 Vgl. DOZEMAN 2015, 444f., der darauf hinweist, dass der Redaktor mit diesem Liedfragment eine gewisse Polemik gegen die Könige und den Sonnenkult einführe, was bereits in der ursprünglichen Tradition vorausgesetzt werden könne. Die Worte Josuas seien somit autoritativer als der königliche Sonnenkult, der hier implizit bekämpft werde. 703
3. Literarkritische Beobachtungen
213
Grundsätzlich scheint zumindest auf der Ebene des Endtextes Josua der Sprecher des Liedfragments zu sein. Ob aber auch die ursprüngliche Tradition auf Josua zurückgeht, ist damit freilich noch nicht gesagt. Das zugrundeliegende poetische Fragment in 12b–13a scheint der Erzählung zumindest bereits vorgelegen zu haben, wofür verschiedene Beobachtungen sprechen: 1)
2)
3)
4)
Josua redet nicht YHWH an, sondern die Himmelskörper Sonne und Mond, was angesichts der Redeeinleitung von 12a und der Deutung in V.14 verwundert. Das Liedfragment scheint somit vom Kontext unabhängig zu sein. Gelegentlich wird YHWH mit dem Sonnengott identifiziert. Dementsprechend hätte es in Gibeon einen jahwistisch imprägnierten Sonnenkult gegeben.706 Im ursprünglichen Liedfragment wird YHWH demnach als Sonnengott angesprochen. Eine solare Deutung YHWHs ist jedoch zumindest im Autorenkommentar 13b–14 ausgeschlossen worden. Die eigentliche Bedeutung von DMM wird aufgrund des Autorenkommentars in 13b durch das Wort ʿMD, das im Liedfragment nach 13a eigentlich dem Mond zugeordnet wird, überlagert, sodass auch DMM die Bedeutung von „stillstehen“ annehmen könnte. Die Sonne hört folglich nicht auf zu scheinen, sondern bleibt tatsächlich stehen. Hinter diesem Zeichen steht vermutlich die Vorstellung, dass der Sonnengott mit seinem Wagen am Himmelsfirmament anhält und nicht weiterfährt.707 Die Uneindeutigkeit des Verbs DMM, das im Liedfragment für unterschiedliche Deutungen offen ist, wird zumindest im Kontext vereindeutigt, wo sichergestellt wird, dass es zu einem Stillstand der Sonne gekommen ist. Demnach scheinen Liedfragment und Kontext nicht auf einer Ebene zu liegen, sondern durch den Autorenkommentar wurde die Uneindeutigkeit des vorliegenden Liedfragments behoben. Das Tal von Ajalon spielt in der umgebenden Prosa überhaupt keine Rolle. Auch der Mond wird in der Prosaerklärung des Wunders in V.14 nicht mehr genannt. Lediglich die Sonne wird aufgrund des Wortes Josuas in den Blick genommen. Insofern stellt sich die Frage, weshalb im Liedfragment zum einen Sonne und Mond, zum anderen aber auch Gibeon und Tal Ajalon genannt werden. Zumindest die Aussagen, die mit dem Mond verbunden sind, spielen im Kontext überhaupt keine Rolle. Vor diesem Hintergrund scheint das Liedfragment unabhängig vom Kontext entstanden zu sein. Die Positionierung der Sonne im Osten und des Mondes im Westen aufgrund der topographischen Angaben des Liedfragments weist auf einen Zeitpunkt am Anfang des Tages hin. Allerdings ist ein Stillstand der
706 Vgl. TAYLOR 1993, 117f. Demnach könnte der Hinweis auf den Mond auch daher rühren, dass der Mond als nächtliche Erscheinungsform und Repräsentation YHWHs gedeutet wurde. Kritisch hierzu aber HALL 2010, 170f. Anm.32. 707 Vgl. KRUGER 2000, 148f.
214
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Sonne und damit verbunden eine Verlängerung des Tages für die Schlacht zu diesem frühen Tageszeitpunkt eigentlich noch nicht angezeigt. Ein Stillstand der Sonne kann vom Liedfragment somit noch nicht angezielt sein. Dann stellt sich die Frage, worauf das ursprüngliche Liedfragment abzielt und was mit dem Aufruf an Himmel und Mond verbunden werden soll. Gerade in dieser Frage gibt es die größten Kontroversen. Die Erwähnung des Mondes ist zudem für eine Verlängerung des Tages, wie es der Autorenkommentar in 13b–14 fordert, nicht notwendig, da nur die Sonne noch nicht untergehen sollte.708 Der midraschartige Kommentar blendet demnach den Mond aus und beschränkt sich bei seiner Erklärung ausschließlich auf die Sonne.709 Möglicherweise ist im Liedfragment das typische Wortpaar Sonne-Mond verwendet worden,710 ohne dass dabei dem Mond eine gesonderte Funktion zugewiesen wurde. Vielleicht ist das ursprüngliche Liedfragment mit Sonne und Mond zunächst unabhängig überliefert worden, sodass die jetzt erkennbare Spannung erst aufgrund des neuen Kontextes eines Stillstandes der Sonne, den der Autorenkommentar entwirft, entstand.711 Entgegen der zeitlichen Vorstellung des Liedfragments, dass hier ein Zeitpunkt am Morgen gewählt wurde, wird die Sonne in der Prosaerzählung in 13b in der Himmelsmitte verortet, sodass eigentlich ein Zeitpunkt gegen Mittag anzunehmen wäre. Dieses Argument ist freilich nicht über jeden Zweifel erhaben, da der Ausdruck baḥaṣî haššāmayim nicht notwendigerweise auf die Hälfte des Tages, sondern vielmehr auf einen bestimmten Anteil des Tages zu beziehen ist. Aber selbst bei dieser Deutung ist klar, dass der Anfang des Tages nicht angedeutet wird. Die Zitatformel weist zusätzlich darauf hin,712 dass 12b–13a aus einer eigenen Quelle stammen wird, die nicht notwendigerweise mit der Gibeonerzählung verbunden werden muss. Inwieweit die sperrige Formel mit der zeitlichen Verortung beyôm… vielleicht schon mit der Überschrift des Liedfragments verbunden war, ist zudem fraglich.713 Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass man Daten aus 12a zum Liedfragment ziehen darf.
5)
6)
7)
708
Nach KNOBEL 1861, 396 ist der Mond eigentlich unnötig. Er werde nur deshalb genannt, da er auch mit am Himmel stand. STEUERNAGEL 1900, 191 begründet den Mond stilistisch aufgrund des Parallelismus. Gegen eine zu einfache Deutung als Parallelismus vgl. schon HOLLADAY 1968, 169. Ähnlich TAYLOR 1993, 117 Anm.1, dem zufolge der Mond aufgrund des poetischen Parallelismus „a simple bi-form or close equivalent of sun“ sei. HOM 2004, 222 vermutet hingegen, dass der Mond schon deshalb nicht genannt werden musste, da die Sonne der eigentliche Zeitmarker ist. 709 Vgl. FRITZ 1994, 112. 710 Vgl. SAWYER 1972, 140. 711 Vgl. auch TAYLOR 1993, 117 Anm.1. 712 Nach SPAWN 2001, 56f. weist die Zitatformel darauf hin, dass 12b–13a das poetische Fragment ist. 713 Vgl. zum Problem KNAUF 2008, 100.
3. Literarkritische Beobachtungen
215
Letztendlich hat es den Anschein, dass das poetische Liedfragment in einem literarisch unabhängigen Anhang zur Gibeonerzählung steht, worauf der Inhalt hinweist, der nicht mehr notwendig zur vorausgehenden Kriegserzählung passt. Auch die Zitatformel deutet an, dass es sich hier um einen Zusatz handeln könnte.714 Offenbar hat das Liedfragment zunächst noch nichts mit der Schlacht bei Gibeon zu tun gehabt und ist erst sekundär hier eingedrungen. Das Liedfragment ist schließlich in 13b–14 durch einen Prosakommentar gedeutet worden, wobei hier die monotheistische Vorstellung von einem Gott eingetragen wird, der auf die Bitten Josuas reagiert, indem er über die Himmelskörper verfügt.715 Da somit das Lied ursprünglich unabhängig vom Kontext überliefert wurde, stellt sich die Frage, was mit diesem poetischen Liedfragment ursprünglich gemeint war. Insgesamt lassen sich die unterschiedlichsten Interpretationsansätze abheben. Ein Konsens konnte bislang kaum erreicht werden:716 1)
Verdunkelung: Bei den Ereignissen mag es sich um ein natürliches Phänomen handeln, das allerdings von den biblischen Autoren als Wunder gedeutet wurde. Die zugrundeliegende Himmelserscheinung kann auf unterschiedliche Weise bestimmt werden. Oft wird vermutet, dass die Himmelskörper aufgerufen waren, dass sie dunkel bleiben sollen, damit die Israeliten im Dunkel der Dämmerung die Feinde bekämpfen können. Die Israeliten könnten darüber hinaus die längere Dunkelheit für ihren Aufmarsch und plötzlichen Angriff genutzt haben.717 Demnach wären die Krieger nicht der belastenden Hitze des Tages ausgesetzt gewesen. Darüber hinaus wären die Feinde durch eine plötzliche Sonnenfinsternis verwirrt gewesen. Dies gilt freilich nur dann, wenn das Sonnenwunder entgegen der biblischen Darstellung (Panik – Hagelsturm – Sonnenwunder) zeitlich vorgezogen werden kann.718 Möglicherweise wäre diese Verdunkelung der Himmelskörper auf eine Sonnenfinsternis zurückzuführen. Eine wirkliche Sonnenfinsternis ist jedoch angesichts der unterschiedlichen Positionierung von Sonne und Mond physikalisch eigentlich ausgeschlossen,719 da sich die Sonne im Osten und der Mond im Westen befindet. Problematisch ist darüber hinaus, dass es zur erzählten Zeit Josuas keine wirkliche Sonnenfinsternis gab.720 Darüber hinaus dauerten die be714
Vgl. hierzu schon SCHUNCK 1963, 29. Vgl. auch HOUSTON 1997, 346f. 716 Vgl. hierzu die instruktiven Zusammenstellungen von NELSON 1997, 142–145; HOWARD 1998, 241–248; KRUGER 2000, 137–150; HOM 2004, 217–220; ZIESE 2008, 219–221; HALL 2010, 169–173; GASS 2019a, 37–39. 717 Vgl. GRAY 1986, 104. 718 Vgl. zum Problem HESS 1996a, 217. 719 Vgl. RÖSEL 2011, 171. 720 Vgl. HOWARD 1998, 247. 715
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
kannten Sonnenfinsternisse in Israel nur zwischen ein und sechs Minuten.721 Auch wenn derartige Ereignisse nur kurze Zeit andauerten, könnte dies bei unvorbereiteten Beobachtern einen hypnotisierenden Effekt ausgelöst haben, sodass die Kürze im individuellen Bewusstsein durchaus viel länger wahrgenommen wurde. Dementsprechend könnte man meinen, dass die Sonne tatsächlich längere Zeit stillgestanden hätte.722 Dementsprechendkann eine Sonnenfinsternis nicht ausgeschlossen werden. Zwei historische Ereignisse wurden immer wieder mit dem Sonnenwunder Josuas in Verbindung gebracht. Früher wurde die spektakuläre Sonnenfinsternis vom 30. September 1131 v. Chr. vorgeschlagen, bei der der größte Teil des Verheißungslandes verdunkelt wurde.723 Dieses Spektakel fand gegen Mittag um 12:40 Uhr statt und dauerte etwas länger als vier Minuten.724 Neuerdings wird die Aussage in V.12 als synonymer Parallelismus gedeutet, wobei die Toponyme Gibeon und Tal Ajalon nicht entgegengesetzte Punkte beschreiben, sondern den gleichen Ort, zumal das Wādi Salmān nahe an Gibeon heranreicht. Dementsprechend wäre der Mond im Bereich des Wādi Salmān bei Gibeon vor die Sonne getreten.725 Aufgrund dieser Beobachtung könnte es sich um eine ringförmige Sonnenfinsternis gehandelt haben. Eine derartige Erscheinung hat es tatsächlich am späten Nachmittag des 30. Oktober 1207 v. Chr. gegeben.726 Ob jedoch genau dieses Ereignis im Liedfragment beschrieben werden soll, kann nicht sicher bestimmt werden. Hinzu kommt, dass die Historizität der Landnahme am Ende des 13. Jahrhunderts v. Chr. nicht erwiesen ist. Durch den in V.11 erwähnten Hagelsturm kann zudem zu einer weiteren Verdunkelung gekommen. Auf diese Weise wären die kriegführenden Parteien vor der sengenden Mittagshitze bewahrt geblieben.727 Bisweilen wird angenommen, dass ein Meteoritensturm728 zu diffusem Lichteinfall geführt habe. Die Deutung des Wunders als Verdunkelung aufgrund unterschiedlicher
721
Vgl. die Übersicht bei STEPHENSON 1975, 112. Vgl. STEPHENSON 1975, 119. 723 Vgl. STEPHENSON 1975, 119f. 724 Vgl. SAWYER 1972, 139. 725 Vgl. VAINSTUB/YIIZHAQ/AVNER 2020, 726–729. 726 Vgl. VAINSTUB/YIIZHAQ/AVNER 2020, 743. 727 Vgl. hierzu auch SCOTT 1952, 19, der an ein Frühlingsgewitter mit Hagel denkt. Ähnlich auch DAY 2007, 121f., der vermutet, dass Sonne und Mond durch einen Sturm ausgelöscht wurden. 728 Vgl. PHYTHIAN-ADAMS 1946, 116–120. Gegen Meteoriten spricht das Wort bārād, das aufgrund seiner arabischen Kognate mit Kälte und nicht mit Hitze zu verbinden ist, vgl. ZIESE 2008, 218 Anm.22. Der hierfür gelegentlich bemühte Meteoriteneinschlag in Kleinasien im 14. Jahrhundert v. Chr., vgl. PHYTHIAN-ADAMS 1946, 119f., steht kaum im Hintergrund der der Schlacht bei Gibeon, da dieses Ereignis für Jos 10 zu früh geschah und auf Israel nicht notwendigerweise einen Einfluss ausgeübt hat, vgl. SOGGIN 1982, 123. 722
3. Literarkritische Beobachtungen
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Naturereignisse (Sonnenfinsternis, Hagelsturm etc.) ist aber problematisch. Denn die Deutung von DMM als „verdunkeln“ passt nicht zum parallelen Wort ʿMD, das in V.13 vom Mond gefordert wird, vor allem wenn beide Verben in einem synonymen Parallelismus stehen.729 Dementsprechend ist die Deutung von DMM im Sinne einer Finsternis nicht sicher, zumal dieses Verb die unterschiedlichsten Bedeutungen annehmen kann. Zweifellos kann eine Verdunkelung der Himmelskörper kaum als eine Inaktivität oder Bewegungslosigkeit gedeutet werden,730 was aber von der Wurzel DMM eigentlich betont wird. Außerdem würde eine Verdunkelung die Israeliten bei der Verfolgung der Feinde eher behindern.731 Hinzu kommt, dass Dunkelheit nicht unbedingt ein taktischer Vorteil für den Angreifer sein muss, da auch der Feind davon profitiert. Insgesamt können die in V.11–14 erwähnten unterschiedlichsten Naturereignisse nicht ohne Probleme harmonisiert werden. Eine Verdunkelung der Himmelskörper und die Verbindung mit einem bestimmten Naturereignis ist somit schwierig. Stillstand: In erster Linie wird aufgrund der Prosadeutung daran gedacht, dass sich Sonne und Mond nicht mehr bewegen sollten, sodass der Tag verlängert und die Möglichkeit zu einem vollständigen und umfassenden Sieg gegeben werde.732 Da die Israeliten zudem von Osten zuschlagen, wäre darüber hinaus der Feind bei einer noch tief stehenden Sonne geblendet worden.733 Physikalisch ist dieses Wunder jedoch nicht möglich. Denn ein Stillstand der Sonne bedeutet, dass sich die Erde nicht mehr dreht. Ein plötzliches Anhalten der Erdumdrehung würde zudem beide Kriegsparteien von Gibeon mit einer Geschwindigkeit von 1400 km/h in den Weltraum katapultieren.734 Bisweilen hat man daher daran gedacht, dass sich die Geschwindigkeit der Himmelskörper lediglich verlangsamt habe.735 Dann wäre es zu einer Verlängerung des Tages ohne die genannten negativen Begleiteffekte gekommen. Allerdings steht die Sonne im Osten, was auf den Morgen oder Vormittag als Zeitpunkt der Schlacht verweist.736 Insofern ist es unwahrscheinlich, dass bereits am Tagesbeginn um mehr Zeit gebeten worden wäre.
2)
729
Vgl. zu diesem Problem COOKE 1918, 91; HOWARD 1998, 243. Vgl. HOM 2004, 218. 731 Vgl. HESS 1999, 30. 732 Vgl. hierzu WEINFELD 1984, 146f.; CHRISTENSEN 1998, 25. Für außerbiblische Parallelen mit astrologischen Phänomenen im Zusammenhang mit einer Schlacht vgl. auch YOUNGER 1990, 217f. 733 Vgl. zu dieser Konstellation BOLING 1982, 283; COLESON 2012, 101. 734 Vgl. zum Problem KNAUF 2008, 101. 735 Vgl. PITKÄNEN 2010, 224. 736 Vgl. schon KEIL 1847, 189; HOLZINGER 1901, 40; COOKE 1918, 89; WALTON 1994, 182; HESS 1996a, 216; HOWARD 1998, 246; DAY 2007, 120; OESTE 2014, 701; MATTHEWS 730
218 3)
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Astrologische Divination: Bei diesem Liedfragment könnte es sich um eine Beschwörung Josuas handeln, dass die Sonne und der Mond zueinander in Opposition stehen sollen. Aus diesem Grund werden auch die Toponyme Gibeon im Osten und das Tal von Ajalon im Westen angegeben. Die Beschwörung Josuas könnte somit auf eine spezielle Positionierung der Himmelskörper hingewirkt haben, zumal das gleichzeitige Erscheinen von Sonne und Mond in der assyrischen Astrologie als Omen gedeutet wurde. Diese besondere Opposition von Sonne im Osten und Mond im Westen soll an einem Tag geschehen, der für Israel günstig und für die Feinde ungünstig ist. Hierbei wäre vermutlich der 14. Tag des Monats im Blick. Wenn nämlich Sonne und Mond am 14. Tag in Opposition zueinanderstehen, dann wird dies als positives Zeichen gewertet. Falls diese Konstellation an einem anderen Tag begegnet, ist von Unheil auszugehen.737 In den wenigen schicksalhaften Minuten, als Sonne und Mond in Opposition standen, hätte somit Israel tatsächlich die Vorherrschaft über das amoritische Heer gewonnen.738 Dementsprechend hätte Josua um ein positives Omen für sich oder ein negatives Omen für den Feind gebeten, was sich in der Stellung der beiden Himmelskörper realisierte. Ein ursprünglich astrologisches Orakel könnte zudem von den biblischen Redaktoren in späterer Zeit falsch verstanden worden sein. Die Wurzel DMM ist darüber hinaus mit „schweigen, sich als untätig, ohnmächtig, bewegungslos erweisen“ wiederzugeben.739 Josua hat folglich mit dem Verb DMM „still sein“ die Himmelskörper zur Untätigkeit aufgerufen. Sonne und Mond sollten demnach dem Feind kein positives Orakel geben.740 Auf diese Weise würden die feindlichen Amoriterkönige mit Hilfe ihrer eigenen Divinationspraxis und ihrem Glauben an Himmelsomina geschlagen werden. Fraglich ist jedoch, ob astrologische Divination auf der Seite von Josua für den biblischen Autor überhaupt noch akzeptabel ist.741 Die Deutung einer astrologischen Divination setzt nämlich voraus, dass eine astrologische Beschwörung vom biblischen Autor positiv gesehen wurde, was aber höchst fragwürdig ist. Allerdings kann zumindest dieser Einwand behoben werden. Denn Josua musste nicht auf astrologische Divination vertrauen, da lediglich die Feinde an dieses negative Orakel glauben mussten, damit deren Kampfmoral geschwächt wurde. Dementsprechend konnte Josua den Aberglauben der Feinde mit seiner Beschwörung
2016, 92. Anders DILLMANN 1886, 489, der aufgrund von V.13 eher an die Mittagszeit denkt. 737 Vgl. WALTON 1994, 183f.; MATTHEWS 2016, 93f. 738 Vgl. HOLLADAY 1968, 170–176. 739 Vgl. HELLER 1958, 654. 740 HELLER 1958, 654f. Ähnlich SAPIN 1979, 261 Anm.8. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass diese Himmelsgottheiten nicht mehr effektiv in die Schlacht eingreifen können. 741 Vgl. WALTON 1994, 188.
3. Literarkritische Beobachtungen
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ausnutzen.742 Vielleicht haben die Feinde aber auch das Orakel als positiv empfunden und wären dann leichtfertig in ihr Unheil gezogen, was nicht einer gewissen Ironie entbehrt, zumal YHWH durch das Wort Josuas auf der Seite von Israel in die Schlacht eingreift.743 Die anderen Einwände gegen eine astrologische Divination sind aber gewichtig. Denn bereits der anschließende ʿad-Satz ist problematisch. Denn ein Omen zeigt sich meist nur kurzzeitig und bleibt nicht solange sichtbar, bis sich alles erfüllt hat.744 Hinzu kommt, dass die Deutungshoheit des Omens problematisch ist. Während das gleiche Omen für Josua als positiv zu bewerten ist, deuten es die amoritischen Könige als negativ, wenn sie panikartig fliehen. Außerdem lässt sich dieses Liedfragment nicht mit der typischen astrologischen Phraseologie der außerbiblischen Texte verbinden.745 Metaphorische Deutung: Bisweilen wird das Sonnenwunder in metaphorischem Sinn verstanden, sodass hier nicht eine realistische Beschreibung von Naturphänomenen, sondern eine poetische Umschreibung für den kosmischen Sieg YHWHs über die feindlichen Könige im Blick ist.746 Ähnlich wie bei anderen Fällen soll die übernatürliche Hilfe YHWHs dargestellt werden, indem der Prosaerzählung noch eine poetische Beschreibung folgt.747 Dementsprechend wird hier besonders die Schöpferkraft Gottes betont, der seine Macht auch über die Himmelskörper ausübt.748 Zum einen war nach dieser poetischen Deutung der nächtliche Gewaltmarsch nur wegen des Mondwunders möglich und aufgrund des Sonnenwunders konnte Israel einen vollständigen Sieg erringen.749 Im Rahmen einer metaphorischen Deutung könnte YHWH die Sonne und den Mond symbolisch derart auf dem Schlachtfeld platziert haben, dass diese Himmelskörper den gesamten Bereich des Kampfes geografisch, chronologisch und kosmisch kontrollieren konnten.750 Möglicherweise spielt das poetische Fragment auf den altorientalisch gut belegten Konnex von kosmischem und kriegerischem Geschehen an.751 Die beiden himmlischen
4)
742
Vgl. WALTON 1994, 190. Vgl. YOUNGER 1990, 219. 744 Vgl. zum Problem auch MILLER 1975, 126; DE VAUX 1978, 634; HESS 1999, 30. Kritisch hierzu jedoch WALTON 1994, 189, zumal die Präposition ʿad bisweilen auch „bevor“ heißen könne. Dagegen aber HALL 2010, 171 Anm.37. 745 Vgl. hierzu auch HOM 2004, 219. 746 Vgl. schon COOKE 1918, 91; HUBBARD 2009, 297; MATTHEWS 2016, 94f. Allerdings stellt sich dann die Frage, weshalb dieses Wunder so exzeptionell gewesen sein soll, vgl. HALL 2010, 172, die auf vergleichbare Fälle hinweist. 747 Vgl. DE VAUX 1978, 634, der auf Ex 14–15 und Ri 4–5 verweist. 748 Vgl. FRITZ 1994, 112. 749 Vgl. hierzu HOWARD 1998, 245. 750 Vgl. HOM 2004, 222f. 751 Vgl. GÖRG 1991a, 50. 743
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Gottheiten gelten zudem als Garanten für eine gerechte Königsherrschaft.752 Die Einbindung von Sonne und Mond symbolisiert folglich die Durchsetzung von Gerechtigkeit auf Erden. Vielleicht stellen sich die feindlichen Könige als Repräsentanten des Chaos dem Sonnenlauf in den Weg. Diese Elemente des Chaos müssen somit von Josua und den Israeliten ausgeschaltet werden. Mitunter wird hier die Schlacht auf Erden auf die himmlische Sphäre verlagert, sodass YHWH jenseits der Eroberung des Verheißungslandes durch die Israeliten auch die lokalen astralen Gottheiten seiner Verfügungsgewalt unterwirft.753 Mythologische Überhöhung: Mit dem Verb DMM kann darüber hinaus eine überwältigte Reaktion auf eine Katastrophe oder wunderbare Offenbarung ausgedrückt werden. Demnach wären Sonne und Mond aufgefordert gewesen, angesichts des wunderhaften Sieges der Israeliten über die feindliche Koalition mit verwunderter Unbeweglichkeit beziehungsweise Stille zu reagieren.754 Nach 13a waren beide Himmelskörper eingefroren in Staunen, bis die Israeliten den Sieg über den Feind errungen haben. Die dtr. Prosatradition hat schließlich diese mythologische Tradition demythologisiert und für einen orthodoxen Kontext bearbeitet, indem sich Josua nicht an die Himmelskörper, sondern an YHWH gewendet hat. Gegen diese Deutung spricht jedoch der Autorenkommentar. Denn in 13b wird von der Sonne gerade nicht nur Passivität verlangt, sondern es kommt auf die jeweilige Position und Bewegung an.755 Beschwörung der Astralgottheiten: Möglicherweise sind die beiden Himmelskörper Sonne und Mond zunächst als Gottheiten verstanden worden.756 Für eine Personifikation der Himmelskörper spricht zudem der artikellose Gebrauch der beiden Wörter šæmæš und yāreaḥ. Die beiden Götter wären somit aufgerufen gewesen, ihre Macht über die Himmelskörper auszuüben. Vor diesem Hintergrund wird bisweilen vermutet, dass die beiden kanaanäischen Gottheiten durch einen sakralen Fluch zur Untätigkeit verpflichtet werden sollten. Josua beschwor demnach den Sonnengott von Jerusalem und den Mondgott von Ajalon, nicht in die Schlacht einzugreifen, solange YHWH für Israel streitet.757 Josua hätte sich folglich zunächst an die beiden Himmelskörper gewendet, dass sie sich aus der Schlacht heraushalten. Sowohl der Mondgott wie auch der Sonnengott sollen nicht dem eigenen Kriegsvolk voranziehen und mit ihrer Macht in
5)
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752
Vgl. KNAUF 2008, 100, der zudem auf Ps 72,5.17 verweist. Vgl. hierzu MICHAEL 2014, 66. 754 Vgl. zu dieser Deutung NELSON 1997, 144f. 755 Vgl. HOWARD 1998, 245. 756 Vor diesem Hintergrund könnte die Sonne als Schutzgottheit Gibeons eintreten und der Mond mit Bet-Horon und Ajalon verbunden werden. 757 Vgl. KNAUF 2010b, 506. Ähnlich auch SPRONK 1994, 88; HENTSCHEL 2004, 150; RÖSEL 2011, 172. 753
3. Literarkritische Beobachtungen
221
den Kampf eingreifen. Die beiden astralen Gottheiten sollen starr vor Schreck sein, damit sie den feindlichen Königen nicht zu Hilfe kommen konnten. Vielleicht sollten die beiden kosmischen Mächte in die Schlacht insofern nicht eingreifen, indem sie ihre Position nicht verlassen und auf diese Weise Israel zum Sieg verhelfen.758 In diesem Liedfragment könnte zudem ausgedrückt sein, dass YHWH auf die Bitte Josuas hin die beiden Himmelsgottheiten Sonne und Mond stillstehen lässt. Demnach wäre die Sonnengottheit YHWH unterworfen worden.759 Auf diese Weise wird der Sieg YHWHs über die Götter der Feinde ausgedrückt, da YHWH imstande ist, über diese Götter zu verfügen. YHWH ist demnach seinen Konkurrenten weitaus überlegen.760 Außerdem könnte auch YHWH selbst als göttlicher Krieger auf die Himmelskörper als kosmische Mächte zurückgegriffen haben, sodass Sonne und Mond in die Schlacht eingegriffen haben, indem sie die Fluchtwege im Osten und Westen versperrt haben. Bei dieser Deutung sind die beiden Himmelsgottheiten YHWH bereits untergeordnet.761 Allerdings wird die in 13a erwähnte Rache nicht Gott zugeschrieben, was aber verwundert, wenn hier die Tradition des göttlichen Kriegers eingespielt werden sollte.762 Vielleicht sollten die beiden Gottheiten Sonne und Mond, die in den beiden Orten Gibeon und Tal Ajalon verortet werden, ihre Aktivitäten einstellen und somit kein Wort oder Orakel mehr liefern.763 Erst sekundär wurde dieser Spruch demythologisiert, spiritualisiert, aktualisiert und schließlich mit Josua verbunden, indem er auf ein Wunder bezogen wurde, mit dem die Israeliten einen verlängerten Tag für einen vollständigen Sieg erhielten.764 Dementsprechend wurde eine ursprünglich mythologische Behauptung vom midraschartigen Autorenkommentar wortwörtlich interpretiert und auf einen Stillstand gedeutet.
758
Vgl. FRITZ 1994, 111. Vgl. KUTTER 2008, 363. Ironischerweise kann das Wort yāreaḥ „Mond“ etymologisch als „Wanderer“ gedeutet werden, vgl. CLEMENTS 1982, 940. 760 Vgl. hierzu KATÓ 2019, 231f. Vor dem Hintergrund des Autorenkommentars ist diese Deutung eines Stillstandes der feindlichen astralen Gottheiten jedoch kaum möglich. Denn Sonne und Mond sind ausweislich des Kontextes keine passiven Beobachter des Kampfgeschehens, da zumindest 13b von einer Bewegung der Sonne ausgeht, vgl. HALL 2010, 171f. 761 Nach NIEHR 1990, 147 zeigt sich in Jos 10,12–13 die mythologische Bedeutung der Sonne als Gottheit, die erst sekundär YHWH untergeordnet wird. 762 Vgl. zum Problem RÖSEL 2011, 171. 763 Dementsprechend werden nicht die beiden Gottheiten verflucht, sondern lediglich durch das Erstarren der Schutz von den beiden Orten genommen, vgl. DUS 1960, 355f. Allerdings ist bislang nichts über einen astralen Kult in Gibeon beziehungsweise im Tal Ajalon bekannt. Außerdem kommt Josua dem verbündeten Ort Gibeon zu Hilfe, sodass es unwahrscheinlich ist, dass die dortigen Gottheiten nicht an der Schlacht beteiligt werden sollten, vgl. zum Problem auch DAY 2007, 121. 764 Vgl. BALÁBAN 1969, 52f. 759
222
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Letztendlich ist die Deutung des Sonnenwunders schwierig, zumal auch der Endtext und die Wirkungsgeschichte eigenwillige Wege eingeschlagen haben. Vermutlich wurden im Liedfragment die Astralgottheiten Sonne und Mond in die Schlacht einbezogen. Ob deren Aktivität aber im Stillstand oder in der Verweigerung eines positiven Orakels für die Amoriter bestand, ist fraglich. Eine natürliche Deutung ist zumindest eher unwahrscheinlich, da hier der Sieg über die Feinde auf metaphorische Weise verklärt werden sollte. Auch wenn am Schluss der Gibeonerzählung in V.14 darauf hingewiesen wird, dass YHWH für Israel gekämpft hat, sind die Israeliten wahrscheinlich nicht ganz untätig geblieben. Vermutlich haben auch die Israeliten zum Sieg beigetragen, worauf verschiedene Beobachtungen hinweisen.765 Denn die Feinde sind vor den Israeliten geflohen, die bestimmt die Verfolgung aufgenommen haben (11a). Außerdem haben die Israeliten die Feinde mit dem Schwert niedergemetzelt (11b). Josua hat sich offenbar an die Himmelskörper beziehungsweise an YHWH gewendet, um den Sieg zu erringen (V.12.14). Vor diesem Hintergrund ist in der Gibeonerzählung zwischen menschlichem und göttlichem Tun zu unterscheiden, wobei beides zusammenwirkt. Die doppelte Kausalität könnte mitunter auch literarkritisch zu verwerten sein, auch wenn diese Konzeption von der Erzählung seit jeher verfolgt wurde. In der Gibeonerzählung V.1–15 lassen sich zahlreiche dtr. Formeln finden, die vermutlich von einem dtr. Redaktor stammen. Offenbar hat ein dtr. Redaktor diese Erzählung zumindest teilweise gestaltet. Dementsprechend lassen sich bestimmte Verse und Versteile auf redaktionelle Arbeit zurückführen:766 1)
YRʾ min: Die erweiterte Ermutigungsformel, die in V.8 auftaucht, wird im Buch Deuteronomium immer dann mit der Präposition min verwendet, wenn die Furcht vor einer menschlichen Größe beschrieben wird.767 Es ist somit nicht eine unbestimmte Furcht, der man begegnen musste, sondern eine Furcht vor einer näher bestimmten Größe. NTN beyad: Die Übereignungsformel aus V.8 ist im Kontext des YHWHKrieges und vor allem in dtr. geprägten Texten zu finden, aber auch weit darüber hinaus, sodass es nicht eine ausschließlich dtr. Formel ist.768 Sie steht außerdem zunächst meist im Kontext einer Gottesbefragung.769 Der Umstand, dass sich in V.8 YHWH ungefragt einschaltet, ist hier zumindest signifikant. NTN lifnê: Auch die Hinbreitungsformel, die in V.12 begegnet, ist im Buch Deuteronomium gebräuchlich und geht hier vermutlich auf einen
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765
Vgl. zur doppelten Kausalität HENTSCHEL 2004, 149. Ähnlich MÜNCH-WIRTZ 2010, 99. Vgl. schon HOLLENBERG 1874, 497f. 767 Dtn 1,29; 2,4; 5,5; 7,18.19; 20,1.3; 28,10; 31,6. 768 Vgl. BIEBERSTEIN 1995, 319. Zu den Belegen vgl. LOHFINK 2004, 411f. 769 Vgl. RICHTER 1963, 182; LOHFINK 2004, 413. 766
3. Literarkritische Beobachtungen
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223
dtr. Redaktor zurück,770 der in V.12 die von YHWH initiierte Vernichtung der Amoriter durch die Israeliten eintragen wollte. haloʾ: Die Verwendung einer emphatischen Satzfrage in V.13 anstelle eines hinneh-Satzes könnte ebenfalls auf dtr. Einfluss zurückgehen.771 Vor allem bei Zitaten wird haloʾ gerne verwendet.772 Allerdings ist die Verwendung von haloʾ zu unspezifisch, als dass man von expliziter dtr. Idiomatik sprechen könnte.773 ŠMʿ beqôl: Dieser Ausdruck könnte ebenfalls von einem dtr. Redaktor stammen,774 zumal hier ein nomistischer Hintergrund vorliegen könnte. Jedenfalls ist die Redeweise auch im Buch Deuteronomium belegt,775 wobei hier aber nicht Gott das Subjekt des Hörens ist. LḤM l: Auch wenn diese Wortverbindung im Buch Deuteronomium ebenfalls belegt ist,776 ist eine dtr. Abstammung nicht sicher, da dieses Idiom in Ex 14,25 ebenso zu finden ist. Allerdings wurde diese Formel in V.14 und in V.42 in dtr. Kontext aufgenommen.777
Insgesamt kann dtr. Idiomatik in V.8, V.12, V.13 und V.14 gefunden werden, auch wenn nicht alle Belege einschlägig sein müssen. In diesen Versen könnte folglich mit dtr. Redaktionsarbeit zu rechnen sein. Vermutlich wurde die Gibeonerzählung von einer dtr. Redaktion bearbeitet, was für die Redaktionsgeschichte des ersten Abschnittes relevant ist. Auch im zweiten Abschnitt sind Anzeichen dafür zu finden, dass hier redaktionell gearbeitet wurde. Die Makkedaerzählung V.16–27 wird an die Gibeonerzählung V.1–15 angebunden, indem in V.19–21 wiederum der vorherige Erzählfaden aufgenommen wird. Da diese Verse beide Abschnitte zusammenbinden, könnten sie auf eine redaktionelle Hand zurückgehen, die zwei zunächst unabhängige Erzählungen verbunden hat. Während man die fünf Könige in der Höhle bei Makkeda einschließt, muss nun die bereits in der Gibeonerzählung aufgenommene Verfolgung endlich weitergeführt und bis zum bitteren Ende abgeschlossen werden. Allerdings ist die Makkedaerzählung zumindest im Endtext durch die Rückkehr zum Lager in Gilgal in V.15 deutlich von der Gibeonerzählung abgegrenzt,778 auch wenn die Verfolgung des feindlichen 770 Dtn 1,8.21; 2,31.33.36; 7,2.23; 23,15; 28,25; 31,5. Darüber hinaus noch in Jos 10,12; 11,16; 1Kön 8,46. 771 Vgl. HOLLENBERG 1874, 498. KNOBEL 1861, 396 weist auf Num 22,37; Dtn 11,30 hin. 772 Vgl. KNOBEL 1861, 396. 773 Vgl. zu derartigen Satzfragen und ihrer Pragmatik STASZAK 2021, 79–96. 774 Vgl. HOLZINGER 1901, 37. 775 Dtn 8,20; 13,19; 15,5; 21,18; 26,14; 27,10; 28,1.2.15.45.62; 30,8.10. 776 Dtn 1,30; 3,22; 20,4. 777 Vgl. HOLZINGER 1901, 37. 778 Vgl. GRAY 1986, 43; FRITZ 1994, 110. Nach BIEBERSTEIN 1995, 423 ist die Makkedaerzählung eine Ergänzung, die eine zunächst nicht-ätiologische Einheit sekundär mit einer Ätiologie verbindet.
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Heeres und dessen Königen ab V.19 einen Erzählzusammenhang mit dem Vorausgehenden konstituiert. Aber ein Entkommen der Könige ist in der Gibeonerzählung noch nicht angedeutet, sodass beide Erzählungen zunächst unabhängig voneinander sind. Hinzu kommt, dass nach V.10 ausweislich der Präpositionalverbindung mit ʿad bereits mit Aseka und Makkeda ein Endpunkt der Verfolgung angegeben ist, sodass eine Weiterführung eigentlich nicht mehr nötig ist.779 Aus alledem folgt, dass beide Erzählungen vermutlich zunächst unabhängig voneinander überliefert wurden. Trotzdem weisen verschiedene Beobachtungen darauf hin, dass die Makkedaerzählung den vorausgehenden Erzählfaden der Gibeonerzählung aufnimmt:780 1)
Das Motiv der Steine taucht bereits in der Gibeonerzählung auf, was beide Traditionen miteinander verbindet, auch wenn zunächst nur von „Steinen“ auszugehen ist, die noch nicht als groß oder als Hagelsteine bezeichnet werden. Die Flucht der Feinde wird durch das Verb NūS aus V.11 aufgegriffen. Während in V.11 die fünf Amoriterkönige und ihre Heerlager aus V.5 im Blick sind, bezieht sich die Flucht in V.16 lediglich auf die fünf Könige. Während die Feinde nach V.11 vor dem Anblick Israels fliehen, sind nur noch die fünf Könige nach V.16 auf der Flucht. Der Ort Makkeda findet sich in V.10, während er in V.11 nicht berücksichtigt wird. In V.10 scheint der Ort Makkeda zudem ein redaktioneller Nachtrag zu sein, der den Radius der Flucht bis nach Makkeda erweitert, damit die Makkedaerzählung nahtlos anschließen konnte. Mithilfe des Demonstrativpronomens hāʾellæh wird bereits in V.16 auf die amoritischen Könige der Gibeonerzählung verwiesen. Dieses Pronomen kann sich nur auf die in V.3, V.5 und V.6 erwähnten Königen beziehen, was ebenfalls die beiden Erzählungen miteinander verbindet. Schließlich wird das Motiv der großen Steine aus V.11 auch in V.18 und V.27 verwendet. Diese Steine dienen für den Verschluss der Höhle, um die Könige wegzusperren und nach deren Hinrichtung zu bestatten. Auch das Verb ʿMD aus V.13 taucht in V.19 auf, wobei ein merklicher Kontrast zur Sonne gebildet wird. Denn während die Sonne in der Tat stehenbleiben soll, werden die Israeliten aufgefordert, bei der Verfolgung der Feinde nicht still zu stehen. Auf diese Weise wird auch die Voraussage, dass nach V.8 niemand vor den Israeliten standhalten kann, eingelöst.
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3)
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779
Vgl. auch SMEND 1912, 308. Vgl. YOUNGER 2008, 14f. Ob man aber deshalb V.10–27 lediglich als „präzisierende Entfaltung“ von Jos 10,10–11 und nicht als Folgegeschehen deuten darf, so EDERER 2017, 168, ist fraglich, zumal die Verortung wechselt und eine Gleichzeitigkeit ohnehin nicht anzunehmen ist. Nach HALL 2010, 164f. enthält Jos 10 „temporally overlapped material“, sodass die wechselnden Orte eigentlich nicht verwundern. 780
3. Literarkritische Beobachtungen
225
7)
Hinzu kommt, dass auch die beiden Verben RDP „verfolgen“ (V.19) und NKY „schlagen“ (V.20) bereits in der Gibeonerzählung in V.10 auftauchen, als die Feinde in Panik geraten und vernichtet werden. 8) Auch der Ausdruck makkāh gedôlāh aus V.10 wird wiederum in V.20 aufgegriffen und dort noch gesteigert. Die große Niederlage aus V.10 wird in V.20 zu einer völligen Vernichtung. 9) Während nach V.13 die Sonne nicht untergeht (Bōʾ), bis die Feinde endgültig besiegt sind, bleiben die hingerichteten feindlichen Könige nach V.27 bis Sonnenuntergang an den Pfählen. Außerdem sollen die Feinde nach V.19 daran gehindert werden, dass sie in die befestigten Städte hineingehen können (Bōʾ).781 10) Die Bemerkung, dass die Israeliten so lange den Kampf führen sollen, bis die Feinde nach V.20 tummām „vernichtet“ sind, spielt sprachlich auf den yôm tāmîm „vollständigen Tag“ aus V.13 an.782 Die Vollständigkeit des Sieges soll ausweislich dieses intertextuellen Verweissystems besonders unterstrichen werden. Dementsprechend müssen bei einer adäquaten literarkritischen Arbeit diese literarischen Verbindungen unbedingt berücksichtigt werden, auch wenn die Abhängigkeitsverhältnisse schwer zu bestimmen sind. Somit gibt es nicht nur Indizien für eine ursprüngliche Unabhängigkeit beider Erzählungen, sondern auch für eine redaktionelle Verbindung. Die Makkedaerzählung wird darüber hinaus meist als Ätiologie verstanden.783 Allerdings ist das Erzählziel der Makkedaerzählung nicht eindeutig festgelegt,784 was aber bei einer Ätiologie gefordert wäre. Die Makkedaerzählung könnte nämlich entweder die auffälligen Steine vor dem Eingang der Höhle785 oder die fünf Bäume erklären.786 Die zweite Option setzt freilich voraus, dass die feindlichen Könige tatsächlich an richtige Bäume und nicht an Holzpfählen aufgehängt worden wären. Da hier aber die Praxis der Pfählung
781
Vgl. EDERER 2017, 173. Vgl. HAWK 2000, 155. 783 Vgl. schon ALT 1953b, 183–185, der gerade in den ätiologischen Sagen altes benjaminitisches Überlieferungsgut sieht, das am Heiligtum von Gilgal tradiert, dort zu einem Sagenkreis zusammengestellt und mit Josua verbunden wurde. Vgl. zur Ätiologie in Jos 10 auch NELSON 1997, 145. Nach DOLGOPOLSKY-GEVA 2020, 276 ist eine frühe Form der Landeroberungserzählung in Benjamin zur Zeit des Königreichs Israel geschaffen worden, worauf die genaue Kenntnis der verwendeten Orte hinweist. 784 Vgl. MILLER/TUCKER 1974, 86. 785 Vgl. ELLIGER 1934, 48. Nach NOORT 1988, 159 sei die hier angezielte Ätiologie nur auf die Steine bezogen, die den Eingang der Höhle versperren und die von den Israeliten aus Jos 10,11 genommen wurden, wo sie von YHWH auf die fliehenden Feinde geworfen wurden. 786 Nach NOTH 1971b, 283 ist dies aber erst eine sekundäre Form der Ortsätiologie. 782
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
im Hintergrund steht, geht es in der Makkedaerzählung nicht um die ätiologische Erklärung von fünf Bäumen bei Makkeda. Aber auch die erste Option ist schwierig. Denn die Steine vor der Höhle könnten entweder den Verschluss der Höhle oder die Begräbnisstätte der feindlichen Könige anzeigen,787 sodass diese ätiologische Erklärung auf zwei Elemente der Erzählung aufbauen konnte. Hinzu kommt, dass es viele derartige Höhlen in Israel gibt. Außerdem ist Makkeda kein besonderer Ort in der Bibel, der ätiologisch näher bestimmt werden muss.788 Das Aufrichten eines Steinhaufens muss ebenfalls nicht ätiologisch erklärt werden, da es hierfür zahlreiche außerbiblische Parallelen gibt.789 Folglich muss man nicht notwendigerweise von einer ätiologischen Erzählung ausgehen, die entweder die Steine oder die Bäume bei Makkeda erklären wollte. Die Erzählmotive von Bäumen und Steinen verbinden den Ort Makkeda zudem mit der Stadt Ai, wo nach Jos 8,29 der dortige König ebenfalls an einen Baum gehängt und danach unter einem Steinhaufen begraben wurde. Die beiden Motive der Bäume und Steine könnten somit den größeren Kontext der Landeroberung im Blick haben.790 Abgesehen von der ätiologischen Deutung des Höhlenmotivs ergeben sich weitere Probleme mit diesem Element der Erzählung. Fraglich ist nämlich, weshalb die fünf Könige ihre Zuflucht in einer Höhle bei Makkeda gesucht haben. Stattdessen hätten sie auch in die befestigten Städte fliehen können, die viel besser zu verteidigen gewesen wären, zumal nach V.20 durchaus ein Rest des Heeres bis in die Städte gelangte. Diese Beobachtung könnte somit nahelegen, dass die Erzählabfolge durcheinandergeraten ist. Die Israeliten hätten folglich zunächst die fliehenden Truppen verfolgt und die Wege in die Städte abgeschnitten, sodass die fünf Könige die Höhle von Makkeda als letzten Ausweg verstanden haben.791 Ob derartige Umstellungen aber wahrscheinlich sind, sei dahingestellt. Das Motiv der Höhle wird zudem unterschiedlich ausgeführt, was ebenfalls auf literarische Arbeit hindeuten könnte. Zum einen diente die Höhle zunächst als Versteck der fünf Könige. Zum anderen werden die Leichname der Könige
787 Vgl. DE VAUX 1978, 630; GRAY 1986, 105. Es könnte sich ursprünglich auch um einen heiligen Ort bei Makkeda gehandelt haben. 788 Dementsprechend könnte diese Erzählung durchaus einen historischen Kern haben, vgl. DE VAUX 1978, 630f. Ähnlich auch LEVIN 2012, 362. 789 Vgl. YOUNGER 1990, 224f. 790 Vielleicht hat die ursprünglich zugrundeliegende Erzählung lediglich die Gefangennahme, Unterwerfung und Hinrichtung der feindlichen Könige beschrieben. Demgegenüber wäre das Höhlenmotiv erst sekundär hinzugewachsen. Nach KNAUF 2008, 102 würde zudem das Motiv der verschlossenen Höhle von Makkeda dem der offenen Höhle von Machpela entsprechen. 791 Vgl. zum Problem SOGGIN 1982, 128, dem zufolge nichts für eine Umstellung V.19.16–18.21–27 spricht, zumal es keinen Grund dafür gibt.
3. Literarkritische Beobachtungen
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an diesem Ort bestattet. Somit dient das Motiv der Höhle zwei unterschiedlichen Zielen. Auch das Motiv der Steine hat zwei Seiten. Mit diesen Steinen wird zunächst der Zugang zur Höhle verschlossen, um die Könige an der Flucht zu hindern. Nach der Hinrichtung und Bestattung der Könige werden die Steine vor dem Eingang der Höhle platziert, um die Begräbnisstätte dauerhaft zu versiegeln. Das mühsame Verschließen und Öffnen der Höhle in V.18 und 22 könnte eine redaktionelle Ergänzung sein,792 die das Motiv der Steine schon am Anfang der Makkedaerzählung eintragen möchte. Darüber hinaus werden in der Makkedaerzählung zwei Erzählfäden miteinander verbunden: das Verstecken und der Einschluss der feindlichen Könige in V.16–18 und das Herausholen, Töten, Aufhängen und die Bestattung in V.22–27. Diese beiden Erzählfäden sind nur durch die Anweisung Josuas zur Verfolgung des Feindes und deren Ausführung in V.19–21 unterbrochen. Beide Erzählfäden benötigen die Gibeonerzählung und auch das Zwischenstück V.19–21. Denn die Blockade des Eingangs der Höhle ist notwendig, damit die Verfolgung des feindlichen Heeres gelingen kann. Dadurch, dass die Könige vor dem endgültigen Sieg eingesperrt werden, wird zudem die narrative Spannung aufrechterhalten, da das Geschick der eingesperrten feindlichen Könige noch nicht entschieden ist. Neben diesen allgemeinen Beobachtungen zu den Problemen der Makkedaerzählung gibt es auch weitere Ungereimtheiten, die bei einer redaktionsgeschichtlichen Analyse berücksichtigt werden müssen. Eine weitere Spannung besteht darin, dass nicht sicher ist, ob Josua zusammen mit dem Heer die Feinde verfolgt hat oder nicht. Denn 20a scheint nahezulegen, dass Josua bei der Verfolgung der Feinde mitgewirkt hat, während Josua nach V.19 seinem Heer aufgetragen hat, dem Feind nachzusetzen, ohne dass er daran beteiligt ist. Hinzu kommt, dass das Heer nach V.21 zu Josua zurückkehrt.793 Problematisch ist folglich, dass nach 20a Josua und die Söhne Israel das feindliche Heer verfolgen,794 nach V.21 aber das Heer zu Josua ins Lager von Makkeda zurückkehrt, was wohl andeutet, dass das Heer zuvor alleine agiert hat. Um diese Spannung zu beseitigen, müsste man in 20a das Subjekt des Infinitivsatzes Yehôšuaʿ einschließlich der Konjunktion w- als sekundär streichen.795 Aus alledem folgt, dass zumindest 20a nicht zum umgebenden Kontext passt. Darüber hinaus steht die Lokalisierung des Lagers in Makkeda in Spannung zu den Versen, die das israelitische Lager in Gilgal verorten.796 Vielleicht soll auf diese Weise mit dem Ort Makkeda angedeutet werden, dass der südliche 792
Vgl. KNAUF 2008, 103. Vgl. auch GERMANY 2017, 424f. 794 Das übersieht DILLMANN 1886, 491, der vermutet, dass Josua im Lager von Makkeda verblieben ist, während das Heer die Fliehenden verfolgt hat. 795 Vgl. STEUERNAGEL 1900, 192. 796 Zur Spannung zu V.15 vgl. auch RÖSEL 1992, 11. 793
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Feldzug noch nicht abgeschlossen ist,797 zumal Makkeda nur ein zwischenzeitliches Feldlager gewesen sein kann. Demnach wäre lediglich eine erste Phase des Feldzugs beendet gewesen. Jedenfalls wird nicht erklärt, wie und wann Josua von Gilgal (V.15) nach Makkeda (V.21) kommt, entweder schon bevor die Nachricht vom Versteck der Könige an ihn übermittelt wurde, oder nachdem er die Verfolgung des feindlichen Heeres befohlen hat.798 Eine weitere Inkohärenz könnte in V.25 vorliegen. Denn dort kommt die Ermutigungsformel auffälligerweise viel zu spät, da Josua zuvor in V.24 schon die Anführer aufgefordert hat, ihren Fuß auf den Nacken der bereits bezwungenen Feinde zu setzen.799 Eine Ermutigung ist somit nicht mehr nötig. Auch hier scheint es, dass entweder V.24 oder V.25 nachträglich ergänzt wurde. In V.25 werden zudem einige dtr. Idiome und dtr. Inhalte verwendet, die auf einen dtr. Sammler zurückgehen könnten:800 1)
YRʾ + ḤTT: In V.25 wird die Ermutigungsformel mit dem Vetitiv, keine Angst zu haben, verbunden. Eine ähnliche Zusammenstellung findet sich auch in Dtn 1,21, wo Mose den Israeliten befiehlt, das Verheißungsland einzunehmen. Da die Israeliten von Gott unterstützt werden, brauchen sie nach Dtn 31,8 zudem keine Furcht zu haben.801 ḤZQ + ʾMṢ: Dieses Wortpaar wird in Dtn 3,28 und im Josuabuch verwendet, um die Stärkung und Festigung Josuas auszudrücken. Beide Dinge werden in V.25 von Josua auf die Offiziere beziehungsweise auch das Volk angewendet, je nachdem wie man die Präpositionalverbindung ʾalêhæm deutet. Dieses Wortpaar wird außerdem zweimal in Dtn 31,6–7 auf die Israeliten bezogen.802
2)
Darüber hinaus werden die Vorgaben von Dtn 21,22–23 von Josua in V.27 befolgt, indem er die toten feindlichen Könige noch am selben Tag von den Holzpfählen abnimmt und in der Höhle von Makkeda bestattet.803 Eine literarhistorische Verortung der Makkedaerzählung ist schwierig, da bestimmte Formen (V.24 hæhālekûʾ) sowie die in V.27 beschriebene heilsgeschichtliche Landschaftsarchäologie mit den auffälligen Steinen vor der Höhle typisch für späte Texte sind. Hinzu kommt die Beobachtung, dass die feindlichen Könige ähnlich wie in Jes 2,10–21 agieren, wobei es sich bei Jes 2,10–21 um einen proto-apokalyptischen Text des 3. Jahrhunderts v. Chr. handeln
797
Vgl. HESS 1996a, 221. Vgl. hierzu HUBBARD 2001, 19 Anm.73. 799 Vgl. VAN DER LINGEN 1990, 116. 800 Vgl. hierzu auch SCHMITT 1970, 145f. 801 Vgl. zu diesen beiden Verben HALL 2010, 176f. 802 Zu diesem Wortpaar vgl. darüber hinaus VAN DER MEER 2004, 173 Anm.24. 803 Vgl. hierzu VAN DER MEER 2004, 446; MÜNCH-WIRTZ 2010, 102. 798
3. Literarkritische Beobachtungen
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könnte.804 Auch diese intertextuelle Verbindung deutet auf einen späten Entstehungszeitraum hin. Schließlich wird die Position Josuas entmilitarisiert, was ebenfalls nicht auf eine frühe Tradition hinweist. Der Warlord Josua zieht sich nämlich in der Makkedaerzählung weitgehend aus dem Kriegsdienst zurück. Die Verfolgung der Feinde übernimmt nun nach V.19 sein Heer, er gibt die selbst empfangene Ermutigung in V.25 wie ein Prophet an seine Untergebenen weiter und fordert diese auf, mit einer Zeichenhandlung die totale Unterwerfung der Feinde zu demonstrieren.805 In dieser Erzählung wird Josua folglich nicht mehr wie ein Kriegsherr gezeichnet. Letztendlich muss es sich bei der Makkedaerzählung nicht um eine alte Tradition handeln. In der Makkedaerzählung von Jos 10 werden insgesamt drei Spannungen aufgebaut. Zunächst werden die fliehenden Könige in einer Höhle bewacht, ohne dass klar ist, was mit den Königen geschehen soll (V.17–18). Darüber hinaus ist die Flucht der Feinde teils erfolgreich (V.20), sodass die Entkommenen noch aufgegriffen und der Bannweihe zugeführt werden müssen. Schließlich kehrt Josua nicht ins Lager nach Gilgal, sondern nach Makkeda zurück (V.21). Diese drei Spannungen werden in V.16–43 bearbeitet und aufgelöst,806 sodass es auch Kohärenzlinien zwischen der Makkedaerzählung in V.16–27 und der folgenden Erzählung gibt. Die Eroberungserzählung in V.28–39 scheint auf den ersten Blick aber dennoch unabhängig vom Vorangegangenen zu sein. Denn Städte wie Jerusalem und Jarmut werden in V.28–39 nicht eingenommen, während andere Städte wie Makkeda, Libna und Debir zusätzlich angegriffen werden.807 In diesen Orten scheint es ebenfalls Könige gegeben zu haben, die sich aber nicht der südlichen Koalition angeschlossen haben. Angesichts der genannten südlichen Orte scheint es sich beim Abschnitt V.28–39 um eine eigenständige judäische Tradition gehandelt zu haben.808 Die Abfolge der südlichen Eroberungen in V.28– 39 wird gelegentlich auf ein Itinerar zurückgeführt,809 das mit verschiedenen Idiomen aufgefüllt und zu einer Erzählung ausgebaut wurde. Allerdings ist formal kaum noch ein Itinerar hinter V.28–39 zu erkennen, sodass diese Deutung zwar nicht ausgeschlossen, aber zumindest nicht notwendig ist.810 Dementsprechend ist es müßig, hier ein Itinerar als ursprüngliche Tradition herauszuarbeiten. 804
Nach KNAUF 2008, 102f. werde die eschatologische Prophetie hier jedoch enteschatologisiert und auf die Vergangenheit bezogen. 805 Vgl. hierzu auch EDERER 2017, 174. 806 Vgl. YOUNGER 2003, 14. 807 Vgl. zu diesem Argument auch STEUERNAGEL 1900, 189. Allerdings weist YOUNGER 1990, 223f. darauf hin, dass bei außerbiblischen Texten ebenfalls unterschiedliche Orte angegeben werden. 808 Vgl. MILLER/TUCKER 1974, 89. 809 Vgl. MILLER/TUCKER 1974, 88. 810 Vgl. zum Problem HOFFMEIER 1994, 167.
230
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
In dem schematischen Bericht vom südlichen Feldzug fehlen zudem Notizen über die Rast oder auch die Verpflegung des Heeres ebenso wie Angaben über den Marsch, die Logistik oder taktische Vorentscheidungen. Es hat somit den Eindruck, dass hier nicht ein realistisches Szenario entworfen werden soll. Vielmehr soll die Einheit des Unternehmens betont werden, was abschließend V.42 unterstreicht. Vermutlich ist V.28 mit der Eroberung Makkedas eingefügt worden, um den Erzählanschluss zum Folgenden herzustellen.811 Hierfür spricht auch die Beobachtung, dass bei dem Vergleichssatz in V.30 nicht auf das Ergehen Makkedas, sondern auf Jericho verwiesen wird. Während somit die Bannweihe des Königs von Makkeda (V.28) und Libna (V.30) mit derjenigen von Jericho gleichgesetzt wird, wird bei den folgenden Städten jeweils ein Bezug zur vorausgegangenen Eroberung gesetzt. Das ist ein starkes Indiz dafür, dass die Eroberung von Makkeda sekundär hinzugewachsen ist.812 Denn wäre V.28 im ursprünglichen Text gestanden, hätte der Autor in V.30 nicht auf Jericho, sondern auf Makkeda verweisen können.813 Wenn folglich der Satz mit der Eroberung Makkedas ursprünglich gewesen wäre, hätte man alles Weitere mit Makkeda als Vorbild vergleichen können. Dies ist nicht geschehen. Hinzu kommt, dass nach V.21 das Lager Israels bereits in Makkeda aufgeschlagen wurde, sodass man davon ausgehen könnte, dass diese Stadt bereits erobert wurde.814 Eine erneute Eroberung, wie in V.28 berichtet, wäre folglich nicht notwendig gewesen. Indem der Ort Makkeda in die Eroberungserzählung in V.28–39 eingetragen wird, konnten beide Erzählungen geschickt miteinander verbunden werden.815 Zusammen mit Jos 8,2 und Jos 10,1 bildet Jos 10,28–39 eine geschichtstypologische Reihe, die mit der geschichtsreflexiven Formel kaʾašær ʿŚY zusammengehalten wird.816 Insofern muss man diese formale Beobachtung für die Diachronie von Jos 8–10 fruchtbar machen. Fraglich ist zudem, weshalb der Redaktor diese formale Strukturierung nur bei der Eroberung des Südens verwendet hat. Möglicherweise war diese formale Gliederung entweder schon seiner Tradition vorgegeben, oder die anderen übernommenen Traditionen waren schon so fest geprägt, dass er hier nicht mehr eingreifen wollte. Hier kommt man über Vermutungen kaum noch hinaus. 811
Vgl. DE VAUX 1978, 629; RÖSEL 2011, 175. Kritisch dazu aber DE VOS 2003, 403. Zu V.28 als Teil der Makkeda-Erzählung vgl. DAVID 1990, 219. 812 Vgl. auch GERMANY 2017, 428. 813 Vgl. SCHUNCK 1963, 32. Vgl. zum Problem JERICKE 1997, 297f. 814 Vgl. BRIEND 1998, 62; BRIEND 2000, 376. Makkeda ist zumindest als Ort des Verstecks der fünf Könige bereits in der Makkeda-Erzählung V.16–27 wichtig. 815 Vgl. SOGGIN 1982, 130. Auch bei Makkeda wird sekundär weʾæt malkāh und das sperrige ʾôtām ergänzt, vgl. NOTH 1971a, 63. Dies war schon deshalb nötig, da noch nicht berichtet wurde, dass der König von Makkeda bereits hingerichtet wurde. 816 Vgl. LOHFINK 2000, 88–92.
3. Literarkritische Beobachtungen
231
Bereits die alten Versionen haben zudem versucht, eine gewisse Ordnung in den Bericht vom südlichen Feldzug einzutragen, indem fehlende Formeln ergänzt wurden. Bisweilen werden die zahlreichen sprachlichen und formalen Varianten in V.28–39 als Hinweis darauf gedeutet, dass es sich um eine historisch zuverlässige Erzählung handelt.817 Eine ausschließlich fiktionale Darstellung hätte vielleicht die gleichen Formeln verwendet. Zu diesen Varianten zählen folgende Dinge:818 1)
Nur bei den Städten Libna (V.30) und Lachisch (V.32) wird die Übereignungsformel verwendet. Vielleicht ist für Eglon aufgrund des Befundes der LXX ebenfalls die Übereignungsformel zu ergänzen.819 Die mit Josua verbundenen Verben variieren: ʿBR „hinüberziehen“ (V.29 Libna, V.31 Lachisch, V.34 Eglon), ʿLY „hinaufziehen“ (V.36 Hebron) und ŠūB „sich wenden“ (V.38 Debir). Diese Varianten lassen sich aufgrund der geographischen Situation erklären. Denn um nach Hebron und Debir zu kommen, musste man aus der Schefela ins Bergland hinaufziehen und sich im Anschluss nach Süden wenden.820 Auch die Angriffsweise wird unterschiedlich geschildert: LḤM + ʿim „kämpfen mit“ (V.29 Libna), LḤM + b „kämpfen gegen“ (V.31 Lachisch) und LḤM + ʿal „kämpfen gegen“ (V.34 Eglon, V.36 Hebron, V.38 Debir). Nur zwei Städte werden belagert: NḤY „belagern“ (V.31 Lachisch, V.34 Eglon), wobei die erste Belagerung zwei Tage dauerte821 und die zweite innerhalb eines Tages abgeschlossen war. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass die Eroberung der einzelnen Städte innerhalb kürzester Zeit erfolgt ist.822 Nur der König von Geser versuchte erfolglos, Lachisch zu helfen. Ein derartiges Detail wird lediglich in V.33 erwähnt.823 Auffälligerweise passt der Ort Geser besser in die Topographie der Gibeonerzählung und ist hier eigentlich schlecht gewählt. Vielleicht ist diese Tradition, die eigentlich
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5)
817
Vgl. hierzu auch MATTHEWS 2016, 96f. Vgl. WOUDSTRA 1981, 180f. Vgl. zur Verteilung der einzelnen Formeln auch HESS 1996a, 223, der keine konsistente Abfolge erkennt. Dies könnte auf eine wechselnde militärische Strategie verweisen. 819 Vgl. hierzu KANG 1989, 159. 820 Vgl. RÖSEL 2011, 176. 821 HESS 1996a, 224 vermutet, dass die Belagerung der stark befestigten Stadt Lachisch am längsten gedauert habe. Auch HARSTAD 2004, 436 verweist auf die strategische Position und militärische Stärke der Stadt Lachisch. 822 Lachisch innerhalb von zwei Tagen (V.32), Eglon innerhalb von einem Tag (V.35). Nach YOUNGER 1995, 263 müssen diese Angaben nicht wortwörtlich verstanden werden, sondern im Sinne von „a short time“ und „a longer time“. 823 Nach HERTZBERG 1985, 76 könnte dies auf eine alte Erinnerung zurückgehen. 818
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
zu V.1–15 gehört, im Nachhinein in den Eroberungsbericht eingedrungen.824 Hinzu kommt, dass mit der Partikel ʾāz gerne eine eingeschobene Glosse markiert wird,825 was ebenfalls auf einen Zusatz hinweisen könnte. Der König von Geser ist darüber hinaus der einzige hingerichtete Feind, dessen Stadt nicht erobert wird. Auf den Vollzug der Bannweihe wird nur im Fall Libna (V.29–30) und Geser (V.33) verzichtet, ohne dass es hierfür einen Grund gibt. Zumindest kann sich keiner aus beiden Städten der Vernichtung entziehen, was der vollständigen Bannweihe zumindest ähnelt.
6)
Allerdings müssen diese Varianten nicht auf die historische Ursprünglichkeit des Erzählten hinweisen. Denn mithilfe einer stilistischen Variation könnte der Autor bewusst eine chiastische Struktur erzeugt haben.826 Dann wären diese Unterschiede sogar vom Autor beabsichtigt gewesen. Vor diesem Hintergrund ist es somit nicht nötig, dass der Autor des Eroberungsabschnitts zunächst immer die gleiche Form verwendet hat und die Änderungen erst auf sekundäre Editionsarbeit zurückgehen.827 Vielmehr habe der Autor bewusst diese Varianten eingearbeitet. In der Eroberungserzählung in V.28–39 sind zudem viele dtr. Idiome verwendet worden, die die einzelnen Abläufe strukturieren. Vor diesem Hintergrund scheint auch hier dtr. Redaktionsarbeit vorzuliegen: NKY-H lefî ḥæræb: Diese Formulierung wird bereits im Deuteronomium verwendet, wenn die Bannweihe vollzogen wird. Nach Dtn 13,16 soll eine abtrünnige Stadt und nach Dtn 20,13 eine Stadt, die Widerstand leistet, mit der Schärfe des Schwertes erschlagen werden. Auf den Vollzug der Bannweihe in Verbindung mit NKY-H lefî ḥæræb weisen V.28.30.32.35.37.39 hin. Allerdings ist das Idiom NKY-H lefî ḥæræb auch außerhalb des Deuteronomiums belegt.828 ḤRM-H: Der Vollzug der Bannweihe an der Vorbevölkerung des Verheißungslandes ist vor allem im Buch Deuteronomium belegt,829 auch wenn dieses Verb in anderen Kontexten ebenfalls gebräuchlich ist. Zwar fehlt das Konzept der Bannweihe in vor-dtn/vor-dtr. Texten. Da aber der Bann
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824
Vgl. RÖSEL 2011, 175f. Vgl. TREBOLLE BARRERA 2008, 451. 826 Vgl. BOLING 1982, 293f. Zur chiastischen Struktur des Abschnitts vgl. auch HOWARD 1998, 257; HUBBARD 2009, 302. Nach HAWK 2000, 168 dient die Variation dazu, um die Unterschiedlichkeit jedes einzelnen Sieges besonders zu unterstreichen. 827 Vgl. RÖSEL 2011, 176f. 828 Vgl. HOLLENBERG 1874, 498, der auf Num 21,24 verweist. Da dieses Idiom aber auch im Deuteronomium belegt ist, muss man nicht mit SCHMITT 1970, 145 von einem nicht-dtr. Ausdruck ausgehen, der in der zugrundeliegenden Vorlage verwendet wurde. 829 Num 21,2.3; Dtn 2,34; 3,6; 7,2; 13,16; 20,17. Nach SCHMITT 1970, 147 gehört die Bannideologie zu einer sekundären exilischen dtr. Landnahmeerzählung. 825
3. Literarkritische Beobachtungen
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auch in der Inschrift des moabitischen Königs Mescha erwähnt wird (KAI 181:17), hat es diese Praxis in der Levante offenbar schon in vor-dtn Zeit gegeben.830 Trotzdem wird die Bannweihe literargeschichtlich erst spät in die biblischen Texte eingedrungen sein.831 ŠʾR śārîd: Die Anweisung, keinen Entkommenen übrig zu lassen, verbindet V.28.30.33.37.39.40 mit der Eroberung des Ostjordanlandes nach Dtn 2,34 und Dtn 3,3. Allerdings ist diese Wendung auch in anderem Kontext zu finden,832 sodass nicht notwendigerweise von dtr. Phraseologie ausgegangen werden muss. LḤM-N: Auch wenn dieses Verb im Josuabuch außerhalb von Jos 10 nur relativ selten belegt ist, gehört es zur dtr. Idiomatik und bezeichnet die unterschiedlichsten Formen der militärischen Auseinandersetzung.833 In Jos 10 wird damit der Angriff auf eine Stadt bezeichnet.
3)
4)
Falls man im Abschnitt V.28–39 alle formelhaften Ausdrücke wegnimmt, bleibt nur noch eine Liste von sechs Städten übrig (Makkeda, Libna, Lachisch, Eglon, Hebron, Debir), die von Josua und den Israeliten erobert werden,834 wobei Makkeda aufgrund der bereits beschriebenen Argumente nicht zur ursprünglichen Tradition zählen kann. Bisweilen wird erwogen, dass die ab V.29 genannten Städte zur Makkedaüberlieferung gehört haben,835 sodass die fünf Könige, die von Josua bei Makkeda hingerichtet wurden, zunächst zu den später eroberten Städten gehört haben (Libna, Lachisch, Eglon, Hebron, Debir). Dagegen spricht aber, dass die einzelnen Könige nach der Eroberungserzählung V.29–39 erst im Rahmen des Feldzugs getötet wurden. Die Könige von Lachisch und Eglon können in V.28– 39 zudem nicht hingerichtet werden, zumal diese beiden Könige bereits in V.26 von Josua erschlagen worden sind. Insofern verwundert es nicht, dass weder im Abschnitt zu Lachisch, noch zu Eglon der dortige König erwähnt wird. Lediglich der König von Hebron wird zweimal erschlagen (V.26 und V.37), was darauf hindeuten könnte, dass zumindest die Erwähnung des Königs von Hebron in V.37 sekundär sein könnte. Offenbar kann man einen feindlichen Herrscher nicht oft genug töten. Damit erleidet der König von Hebron im Rahmen 830
Vgl. SCHMITT 2013, 75. Nach ACHENBACH 1991, 240–249 ist das Banngebot in Dtn 7 mitsamt seinem Kontext ein Reflex auf die dtr. Darstellung. 832 Vgl. HOLLENBERG 1874, 498, der auf Num 21,35 hinweist. 833 Dtn 1,30.41.42; 3,22; 20,4.10.19; Jos 9,2; 10,5.14.25.29.31.34.36.38.42; 11,5; 19,47; 23,3.10; 24,8.9.11. 834 Vgl. NELSON 1997, 147. Zu den einzelnen Formeln und ihre Varianten vgl. nur den synoptischen Überblick bei KNAUF 2008, 105–107. Nach HOWARD 1998, 256 ist im Eroberungsbericht sogar von einer Siebenzahl von Städten auszugehen. Dagegen spricht aber, dass die Stadt Geser selbst nicht erobert wird. Nach OTTOSSON 1991, 87; HARSTAD 2004, 438 steht die Siebenzahl zudem für Vollständigkeit. 835 Vgl. RÖSEL 1976, 506. 831
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
des südlichen Eroberungsfeldzuges dasselbe Schicksal wie die Könige von Makkeda (V.28), Libna (V.30) und Debir (V.39), die ebenfalls erst nach der Eroberung zusammen mit der restlichen Bevölkerung niedergemetzelt werden. Da die Könige von Lachisch, Eglon und Hebron bereits in Makkeda getötet werden, muss die Tötung der Könige von Makkeda, Libna und Debir auf der Ebene des Endtextes noch erzählt werden, damit alle Könige des südlichen Eroberungsfeldzugs ausgeschaltet werden. Da die Hinrichtung des Königs von Debir in V.39 mit dem Schicksal von Hebron verglichen wird, musste ein zusätzlicher Satz mit dem König von Libna angeschlossen werden, da der König von Hebron bereits tot war und eigentlich nur der König von Libna nach der Eroberung seiner Stadt umgebracht wurde. Hier hat vielleicht eine redaktionelle Hand diese Spannung beseitigen wollen. Insgesamt scheint erst die spätere Zusammenstellung der Gibeonschlacht mit dem Feldzugsbericht die Probleme mit den abweichenden Städten und ihren Königen erzeugt zu haben. Eine redaktionsgeschichtliche Deutung muss somit die unterschiedlichen Zusammenstellungen der eroberten Städte im Blick haben. Drei weitere Städte sind in Jos 10 problematisch: Jerusalem, Geser und Jarmut, worauf im Folgenden eingegangen werden muss. Auffälligerweise werden nämlich Jarmut und Jerusalem nur in der Gibeonerzählung erwähnt und von Josua und den Israeliten nicht eingenommen.836 In V.28–39 werden nämlich beide Städte ausgespart. Offenbar sind diese beiden Städte beim südlichen Feldzug nicht erobert worden. Denn nach Ri 1,8 ist Jerusalem von den Judäern unterworfen worden. Dem widerspricht jedoch Ri 1,21, wonach die Benjaminiter die Jebusiter nicht aus Jerusalem vertreiben können. Auch nach Jos 15,63 seien in Jerusalem noch Jebusiter verblieben. Erst David hat nach 2Sam 5,7 die Bergfeste Zion eingenommen. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, dass eine Stadt nach Ansicht des biblischen Autors in der turbulenten Zeit der Landnahme mehrmals die Hände wechseln konnte.837 Die Eroberung eines Gebiets muss zudem nicht die völlige Unterwerfung der Bevölkerung bedeuten. Die Auslassung Jerusalems in Jos 10 mag vielleicht auf einen Redaktor zurückgehen, dem zufolge Jerusalem erst von David erobert werden konnte. Außerdem wird die Stadt Geser nicht von den Israeliten eingenommen. Zwar wird der König von Geser in V.33 kurz erwähnt und dort zusammen mit seinem Kriegsvolk erschlagen,838 aber auch diese Stadt wird von Josua ähnlich wie Jarmut und Jerusalem nicht erobert. Durch die Notiz des Gefechts mit dem
836 Im Fall von Jerusalem muss das aber nicht eine positive Wertung sein, vgl. DOZEMAN 2015, 439, da diese Stadt im Josuabuch ansonsten durchweg negativ bewertet wird. 837 Vgl. BOLING 1982, 293. Nach PITKÄNEN 2010, 220 könnten diese Widersprüche darüber hinaus auf Übertreibung zurückgehen. 838 Bisweilen wird vermutet, dass in V.33 der Begriff ʿammô für die Bevölkerung von Geser und nicht für den Heerbann verwendet werde, vgl. BRIEND 2000, 376. Diese Differenzierung ist aber aufgrund des Kontextes nicht nötig.
3. Literarkritische Beobachtungen
235
König von Geser wird der ansonsten klar gegliederte Aufbau der Eroberungserzählung durchbrochen, was für einen sekundären Nachtrag sprechen könnte.839 Auch der Erzähleinsatz mit ʾāz + qatal ist auffällig und könnte einen redaktionellen Zusatz nahelegen.840 Die Formulierung, dass keiner entrinnen konnte, ist zudem singulär in Jos 10, was nahelegen könnte, dass zumindest der letzte Satz in V.33 sekundär hinzugewachsen ist.841 Die Trias aus ʿLY – ʿZR – NKY könnte zudem aus V.4 entnommen sein, um diesen Zusatz sprachlich an das Vorausgegangene anzugleichen. Jedoch wäre auch das umgekehrte Abhängigkeitsverhältnis denkbar. Dann hätte V.4 aus V.33 geschöpft. Allerdings könnte man V.33 auch als Zentrum einer chiastischen Struktur betrachten,842 sodass diese Episode aus formalen Gründen nicht gestrichen werden muss. Letztendlich ist V.33 zumindest literarkritisch auffällig. Für den vieldeutigen Befund muss eine adäquate Erklärung gefunden werden. Der Ort Geser konnte zudem nach Jos 16,10 nicht eingenommen werden. Vielmehr verblieben die Kanaanäer nach Ri 1,29 in Geser, wofür der Stamm Efraim besonders gerügt wird. Insofern habe der Efraimit Josua zwar den König von Geser nach V.33 besiegt, aber die Efraimiten verpassten die Chance, auch die Stadt Geser einzunehmen. Erst zur Zeit des vereinten Königreiches ist Geser nach 1Kön 9,15 als Brautgeschenk vom Pharao an Salomo übergeben worden.843 Offenbar war dem biblischen Autor bewusst, dass Jerusalem und Geser nicht in einer ersten Eroberungsphase eingenommen werden konnten. Insofern kann er die Eroberung dieser beiden Städte nicht schon in Jos 10 berichten. Insgesamt verwundert es somit nicht, dass im Feldzugsbericht von Jos 10 weder die Einnahme von Jerusalem noch von Geser berichtet werden konnte. Vielleicht ist der König von Geser nur deshalb erwähnt worden, da der König von Laschisch bereits von Josua hingerichtet wurde. Dementsprechend wäre es möglich, dass der König von Geser der königlosen Stadt Lachisch zu Hilfe kommen wollte (V.33).844 Allerdings war Lachisch zum Zeitpunkt des Aufmarsches des Heers aus Geser schon längst erobert und die Bevölkerung erschlagen. Der Ort Geser befindet sich zudem am Rande der Küstenebene und nicht in der Schefela. Schon vor diesem Hintergrund passt Geser eigentlich nicht in den erzählerischen Zusammenhang, da die Küstenebene als Territorium der Philister nicht zum eroberten südlichen Verheißungsland zählt.845 Vor diesem Hintergrund könnte die Notiz in V.33 durchaus zur ursprünglichen Tradition gehören, da ein
839
Vgl. NOTH 1971b, 284 Anm.9. Vgl. auch BRIEND 2000, 376. 841 BRIEND 2000, 376 verbindet diese Formulierung mit Dtn 3,3; Jos 8,22; 10,33; 11,8. 842 Vgl. YOUNGER 2008, 22f. 843 Vgl. KNAUF 2008, 108. 844 Vgl. ZIESE 2008, 228. 845 Nach CLARKE 2010, 92 fehlt bei den Toponymen in V.40 die Küstenebene. 840
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
derartiger redaktioneller Nachtrag kaum begründet werden kann.846 Vielleicht war der Sieg über das Heer von Geser das eigentlich herausragende Ereignis des südlichen Feldzugs gewesen.847 Eine literarhistoriche Beurteilung von V.33 ist somit schwierig, da es gute Argumente für die Ursprünglichkeit, aber auch für den redaktionellen Charakter von V.33 gibt. Für eine Nicht-Eroberung von Jarmut gibt es hingegen keinen hinreichenden Grund. Jarmut ist möglicherweise ausgelassen worden, da es zu weit von den übrigen Städten entfernt lag.848 Vielleicht hängt die Erwähnung der Stadt Jarmut mit der Übernahme der Ortsliste aus Jos 12,10–12a zusammen, ohne dass dann die Liste der eroberten Städte dementsprechend angepasst wurde. Während die Städte Lachisch, Eglon und Hebron bereits in V.3.5.23 als Königsstädte erwähnt werden, sind die Städte Libna und Debir neu. Insofern spricht wenig dafür, dass die Liste der eroberten Städte in V.29–39 aus V.1–28 entlehnt wurde.849 Höchstens Debir könnte aus V.3 entnommen sein, wobei der Eigenname dann als Ortsname gedeutet wurde. Möglicherweise wäre demnach die Stadt Debir aufgrund einer Verwechslung mit dem Namen des Königs von Eglon in diesen Eroberungsbericht eingedrungen.850 Aber Libna taucht zuvor nirgendwo auf. Dementsprechend kann der Eroberungsbericht nicht aus dem Vorausgegangenen entwickelt worden sein. Er basiert vermutlich auf einer eigenständigen Tradition. In der Königsliste Jos 12,10–24, aus der die eroberten Städte in Jos 10 möglicherweise stammen könnten (Jos 12,10–12), folgen sofort Geser und Debir (Jos 12,12–13), die in Jos 10,28–39 ebenfalls erwähnt werden. Zunächst fehlen jedoch Makkeda und Libna. Diese beiden Städte werden erst später nachgereicht (Jos 12,15–16) und auch nicht in unmittelbarer Abfolge. Dies könnte darauf hinweisen, dass eine ursprüngliche Tradition noch nicht die Eroberung von Makkeda und Libna enthalten hat. Denn sonst würde man erwarten, dass in der Königsliste Jos 12,10–24 direkt nach den ersten fünf Städten, aus denen die amoritischen Könige stammen, bereits Makkeda und Libna folgen. Dies gilt freilich nur dann, wenn die Königsliste Jos 12,10–24 aus Jos 10 abgeleitet wäre, was aber vermutlich nicht der Fall ist. Um den Erzählzusammenhang zu stärken, hat man vielleicht bei den zusätzlich erwähnten Städten Libna und Debir den Zusatz weʾæt malkāh (V.30) oder weʾæt malkāh weʾæt kål ʿāræ̂hā (V.39) eingetragen,851 da deren Könige noch nicht bei Makkeda getötet wurden. Beide Orte hat man darüber hinaus noch 846
Fraglich ist, ob Geser nicht ursprünglich ebenfalls zur Koalition der fünf Könige gehört hat und erst später ausgefallen ist. Das würde zumindest diesen eigenwilligen Erzählzug von einem Angriff des Königs von Geser erklären. 847 Vgl. HESS 1999, 28. 848 Vgl. NELSON 1997, 147. 849 So aber KNAUF 2008, 105. 850 Vgl. GRAY 1986, 104. 851 Vgl. NOTH 1971a, 62.
3. Literarkritische Beobachtungen
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mit dem Rückverweis von Debir nach Libna am Schluss von V.39 verbunden. Der Vergleich des Schicksals von Debir mit dem von Hebron (V.39) hat möglicherweise auch bei Hebron den gleichen Zusatz weʾæt malkāh weʾæt kål ʿāræ̂hā (V.37) motiviert, sodass auch der Zusatz der Städte im Fall von Hebron auf redaktionelle Arbeit zurückgehen wird.852 Der Abschluss des südlichen Eroberungsfeldzugs ist zudem mit der Zusammenfassung der nördlichen Unterwerfungskampagne zu vergleichen, wo in Jos 11,16–20 ebenfalls die Ereignisse prägnant abgeschlossen werden. Die Zusammenfassung in V.40–42 weist darauf hin, dass der gesamte Süden von den Israeliten erobert wurde, auch wenn zuvor nur ein Teil explizit dargestellt wurde. In V.40–42 wird zum einen das Banngebot aus dem Bericht von der südlichen Eroberung (V.30.32.33.35.37.39) in V.40, zum anderen der Ort Gibeon aus der Gibeonerzählung (V.1.2.4.5.6) in V.41, sowie die Bemerkung aus V.14, dass YHWH für Israel kämpft, in V.42 aufgegriffen, sodass die Gibeonerzählung und die Erzählung vom südlichen Feldzug in V.40–42 verbunden sind.853 Einen Hinweis auf die Makkedaerzählung gibt es hingegen in V.40–42 nicht. Der Abschluss in V.40–42 scheint jedoch nicht einheitlich zu sein, worauf verschiedene Beobachtungen hinweisen: 1)
In V.40 werden Territorien aufgezählt, deren Bevölkerung der Bannweihe unterzogen werden, sodass keine Überlebenden übrigbleiben. Hier wird dtr. Ausdrucksweise verwendet und das Vorgehen mit einem Befehl YHWHs verbunden. Möglicherweise hat in V.40–42 ein dtr. Redaktor gearbeitet. Die Darstellungsweise Gebirge, Negev, Schefela, Berghänge854 in V.40 ähnelt Jos 12,8, auch wenn die Abfolge hier anders gewählt ist. Ohne das
2) 852
Auffälligerweise sind alle Herrscher im Bericht von der südlichen Eroberung namenlos. Vielleicht ist der Name Horām „er wurde erhöht“ eine Verbesserung des ähnlich lautenden Eigennamens Hoham aus V.3, vgl. KNAUF 2008, 108. 853 Nach DE TROYER 2016, 68. 854 Das Nomen ʾašedôt „Berghänge“ wird von GRAY 1986, 112 mit dem aramäischen Verb ʾŠD „abfließen, abgießen“ verbunden. Ähnlich NOTH 1971a, 60; DOZEMAN 2015, 437. Dann könnte es sich um „Wasserfall“ handeln, vgl. HOWARD 1998, 261. Zu einer Ableitung von dieser Wurzel vgl. schon KEIL 1847, 202; BOLING 1982, 297. COOKE 1918, 91 erwägt noch eine Verbindung zu akk. išdu „Fundament“ und denkt an die Fundamente der Berge, was auch die Übersetzung der Vulgata in Dtn 3,17 mit radices montis nahelegen könnte. Unabhängig von derartigen etymologischen Ableitungen handelt es sich bei ʾašedôt vermutlich um die steilen Gebirgsabfälle hin zum Toten Meer, die von tiefen Tälern und Canyons durchzogen sind, die sich in der Regenzeit zu gefährlichen Sturzbächen entwickeln können, vgl. auch FRITZ 1994, 116; SPRONK 1994, 92; RÖSEL 2011, 178; BUTLER 2014, 493; EDERER 2017, 176. Für diese Beobachtung sprechen auch die ʾašedôt von Pisga im Ostjordanland. Dagegen aber OETTLI 1893, 159, da der Feldzugsbericht in Jos 10 diese Gegend ausspare, was aber ein sehr schwaches Argument ist. Bisweilen werden auch die Abhänge des judäischen Berglands zur Schefela vermutet, vgl. WOUDSTRA 1981, 184; HESS 1996a, 226,
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5)
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Nomen ʾašedôt „Berghänge“ findet sich eine vergleichbare Aufzählung von geographischen Bereichen noch in Ri 1,9.855 Durch diese Verortung des Feldzugs wird zudem der Befehl aus Dtn 1,7 eingelöst, wo man das Gebirge, die Schefela und den Negev erobern sollte. Der Negev wird als Südland im Gegensatz zu Jos 9,1–2 schon deshalb ebenfalls erwähnt, da es in Jos 10 um den südlichen Feldzug Josuas geht.856 Vielleicht ist hier auch von den vier Himmelsrichtungen auszugehen: Gebirge im Norden, Schefela im Westen, Negev im Süden und Berghänge im Osten.857 Diese geographische Gliederung scheint zumindest mit anderen Texten irgendwie zusammenzuhängen, sodass redaktionelle Arbeit nicht ausgeschlossen ist. Der Ausdruck kål nešāmāh findet sich zudem nur in V.40, wo er den zuvor verwendeten Begriff kål hannæfæš ersetzt, und in Dtn 20,16, wo betont wird, dass beim Eroberungszug alles Lebendige getötet werden muss. Auf den YHWH-Befehl in Dtn 20,16 weist somit V.40 explizit hin.858 Möglicherweise ist in V.40 der Hinweis auf einen Befehl YHWHs in Dtn 20,16 sekundär, da dessen Einhaltung in Jos 10 nicht explizit befolgt wurde.859 Ganz anders als V.40 geht V.41 vor, wo die Grenzen des eingenommenen Gebietes mit der Formel min-ʿad beschrieben und Ortsnamen eingetragen werden. Lediglich die Gesamtheit des Landes Goschen ist eine Ausnahme, die hier vielleicht sekundär eingedrungen ist. Hinzu kommt, dass das in V.41 umschriebene Territorium größer ist als dasjenige in V.40, da hier auch noch die Küstenebene in den Blick genommen wird. Denn Gaza lässt sich nicht mehr der Schefela zuweisen.860 Möglicherweise ist V.41 ein Zusatz, der das Verheißungsland in größeren Dimensionen sieht und vielleicht mit Jos 11 zusammenhängt, wo ein nördlicher Feldzug geschildert wird.861 Es hat zudem den Anschein, dass V.41, abgesehen vom ersten Satz wayyakkem Yehôšuaʿ, der textkritisch nicht über jeden Zweifel erhaben ist,
der an die Täler vom Bergland in die Küstenebene denkt. Allerdings werden diese Abhänge teils auch schon zur Schefela gerechnet, vgl. STEUERNAGEL 1900, 194, sodass diese Interpretation unwahrscheinlich ist. HARSTAD 2004, 440 verbindet beide Ansätze und denkt an die Abhänge westlich und östlich des zentralen Berglands. Vielleicht handelt es sich bei diesen „Abflüssen“ um Wadis oder um Übergangszonen, vgl. GÖRG 1991a, 55. 855 Vgl. AULD 1975, 270. 856 Vgl. WOUDSTRA 1981, 184. DE TROYER 2018, 125 sieht hier eine Verbindungslinie, auch wenn die Unterschiede zwischen V.40 und Jos 9,1a–2 eigentlich dagegensprechen. 857 Vgl. DOZEMAN 2015, 457. 858 Vgl. HOLLENBERG 1874, 498; HAWK 2000, 168. 859 Vgl. hierzu VAN DER LINGEN 1990, 119. 860 So aber fälschlicherweise GÖRG 1991a, 55. 861 Vgl. GERMANY 2019b, 322 Anm.27.
4. Literarkritische Entwürfe
239
ein Traditionsstück ist, das hier aus einem anderen Kontext sekundär übernommen wurde. Hierfür spricht zumindest die Beobachtung, dass die erwähnten Toponyme in Jos 2–10 ansonsten keine Rolle spielen.862 Außerdem wiederholt V.42 die vorausgehenden V.40–41, wobei aber hier der Schwerpunkt auf die Könige und nicht auf die Städte gelegt wird.863 Lediglich das Land der Könige wird ebenfalls in den Blick genommen.
6)
Insgesamt scheint somit die Zusammenfassung in V.40–42 nicht aus einem Guss zu sein, sodass man auch hier redaktionsgeschichtlich arbeiten muss. Zumindest V.40 ist dtr. imprägniert und nimmt Dtn 1,7 und Dtn 20,16 auf. Der abschließende V.43 ist zudem textkritisch nicht gesichert, da er in der griechischen Texttradition fehlt.
4. Literarkritische Entwürfe Zu Jos 10 sind in der Forschungsgeschichte die unterschiedlichsten literarkritischen und redaktionsgeschichtlichen Entwürfe vorgelegt worden, die wichtige Beobachtungen zusammengetragen und in eine redaktionsgeschichtliche Abfolge gebracht haben. Kritik an der literarhistorischen Verortung der einzelnen Entwürfe wird jeweils direkt angeschlossen. Es wird sich zeigen, dass keine Analyse über jeden Zweifel erhaben ist: Elliger (1934):864 In Jos 10 seien drei selbstständige Erzählungen durch das Stichwort Makkeda miteinander verbunden worden, das im Mittelstück seinen ursprünglichen Ort habe. In der Erzählung von der südlichen Eroberung sei zudem aufgrund der Erwähnung abweichender Städte, die zuvor nicht vorkamen, eine ältere Darstellung sekundär überarbeitet worden. Die vor-dtr. Eroberungserzählung kennt zunächst nur Josua und Israel als Handlungsträger. Ein dtr. Ergänzer fügte schließlich die Bannweihe und den Hinweis ein, dass kein Überlebender übrig blieb. Auch die Vernichtung der Könige werde eingetragen. Auf diese Weise werde sichergestellt, dass das Verheißungsland restlos entvölkert wurde. Auf eine dtr. Hand gehen schließlich V.28 als Brücke zur Makkedaerzählung sowie die Zusammenfassung in V.40–42 zurück. Allerdings hat der dtr. Ergänzer zumindest bei dem Hinweis, dass niemand der Vernichtung entkam, sprachlich nicht einheitlich gearbeitet,865 was zumindest auffällig ist. Man
1)
862
Vgl. BOLING 1982, 297. Vgl. zum Problem VAN DER LINGEN 1990, 119. 864 Vgl. ELLIGER 1934, 48–55. Kritisch zu einer ätiologischen Deutung der Makkedaerzählung und einer Auftrennung des Erzählzusammenhangs jedoch HALPERN 1975, 307f. 865 Während die Bannweihe durchweg auch im MT erwähnt wird (V.28.30.32.35.37.39: Makkeda, Libna, Lachisch, Eglon, Hebron, Debir), fehlt die Entronnenenformel bisweilen. Nur Makkeda, Libna, Hebron (V.28.30.37) belegen diese Formel. 863
240
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
müsste daher die fehlenden Verweise textkritisch ergänzen. Das gleiche gilt für den Hinweis auf den jeweiligen Stadtkönig, der nur in vier Fällen erfolgt.866 Darüber hinaus werden die internen Spannungen in V.40–42 ausgeblendet. Dementsprechend ist die in diesem Entwurf vorgenommene dtr. Redaktion nicht über jeden Zweifel erhaben. Rudolph (1938):867 In der Gibeonerzählung V.1–15 habe der Erzähler in 12bβ–13a* ein altes Traditionsstück verwendet, das er mit einer Einleitung und einer Deutung versah. Von einem späteren Redaktor stamme aufgrund des Vergleichs Gibeons mit Ai der Einschub der Eroberung von Ai in V.1. Außerdem werde in V.10 noch der Ort Makkeda ergänzt, damit die Ätiologie in V.16–27 anschließen konnte. Ein dtn Ergänzer habe in V.12 noch YHWH als Adressaten eingetragen sowie die daran anschließende Zeitangabe. Die ätiologische Erzählung in V.16–27 sei schließlich vom Vorausgehenden und Nachfolgenden unabhängig, da die Verfolgung in V.18–21 anders dargestellt wird. Lediglich in 19bβ und V.25 ließen sich dtn Zusätze abheben. Die dritte Erzählung in V.28–39.43 sei mit der Bannweihe dtn überarbeitet worden. Durch die dtn Zusammenfassung in V.40–42 werde Josua zum Eroberer des südlichen Palästina. Bei diesem Entwurf werden zumindest die Eigenständigkeit der Makkedaerzählung und die dtn/dtr. Zusätze besonders betont. Allerdings werden die Spannungen am Anfang und am Schluss von Jos 10 nur unzureichend ausgewertet. Schunck (1963):868 Die ursprüngliche Tradition bestehe aus einer Kriegserzählung in V.1–10, der noch die Tradition von den Hagelsteinen in V.11 und ein Anhang mit einem poetischen Liedfragment sekundär angeschlossen wurde. Die Ortsnamen in V.3 und V.5 seien erst redaktionell eingetragen worden, als man die Makkedaerzählung ergänzt habe. Von dort stammen die Ortsnamen, während die Eigennamen vom Redaktor gebildet wurden. In V.10 sei darüber hinaus noch der Ortsname Makkeda eingefügt worden, was ausweislich der nachhinkenden Position deutlich sei. An die Gibeonerzählung schloss hinter V.1–10 zunächst die südliche Eroberung in V.29–35 an, wobei V.28 und die Erwähnung von Makkeda in V.29 als Verklammerung mit der sekundären Ergänzung in V.16–27 diente. Ein dtr. Redaktor habe schließlich noch die Eroberung von Hebron und Debir in V.36–39 angeschlossen, worauf die eigenständigen Verben ʿLY (V.36) und ŠūB (V.38) sowie die Verbindung zu Tochterstädten in V.37.39 hinweisen. Der Verweis auf malkāh in V.37 werde zudem von V.39 gefordert, wo das Schicksal des Königs von Debir mit dem König
2)
3)
866
Vgl. V.28.30.37.39: Makkeda, Libna, Hebron, Debir. Vgl. RUDOLPH 1938, 205–209. 868 Vgl. SCHUNCK 1963, 29–34. 867
4. Literarkritische Entwürfe
4)
241
von Hebron verglichen wird. Dementsprechend gehören nur Libna, Lachisch und Eglon zur ursprünglichen Überlieferung des südlichen Feldzugs.869 Auch bei diesem Entwurf bleiben viele Fragen offen. Eine kritische Bewertung des textkritisch umstrittenen V.15 und der Zusammenfassung in V.40–43 ist nicht zu erkennen. Dieser Entwurf setzt zudem voraus, dass V.23, der auf die Könige verweist, ursprünglich war. Diese Tradition sei schließlich von V.23 erst relativ spät in die Gibeonerzählung eingedrungen. Weshalb dies aber zweimal der Fall war (V.3 und V.5), mit und ohne Namen, müsste irgendwie erklärt werden. Noth (1971):870 Vielleicht bestehe Jos 10 aus zwei Überlieferungsstücken, die sekundär miteinander verbunden worden seien: die Gibeonerzählung und die Makkedaerzählung, wobei die südliche Eroberung keine selbstständige Überlieferung sei. Vielmehr soll V.29–39 die Herkunftsorte der fünf feindlichen Könige von Makkeda erklären. Die Initiative des einzelnen Königs Horam von Geser sei zudem sekundär in V.33 hinzugefügt worden. Die pluralischen Verbalformen in V.2 und V.5 weisen zudem darauf hin, dass die fünf Amoriterkönige zunächst gemeinsam aufgetreten seien. Auch die Herkunftsorte in V.5 seien ursprünglich die entsprechenden Orte in V.29–39 gewesen. Die Doppelung der Ortsnamen in V.3 und V.5 gehe vielleicht darauf zurück, dass die ursprüngliche Tradition in V.5 zu suchen ist. Erst sekundär sei der Jerusalemer König Adonizedek als Anführer eingetragen und auch die Namen der vier weiteren Könige in V.3 ergänzt worden. In der Gibeonerzählung sei der erste kî-Satz in V.1 eine Ergänzung, der das Satzgefüge überlastet. Auch der Vergleich mit Ai in 2b sei nachgetragen; 2b wolle den Grund angeben, weshalb die Amoriterkönige nicht schon früher gegen Israel vorgegangen sind. In V.7 sei „und die Gesamtheit der Elitesoldaten“ ebenso ein Zusatz wie auch 10bβ aufgrund des wiederholten wayyakem, mit dem die Verbindung zur Makkedaerzählung gestärkt werde. In V.11 werde das Hagelwunder durch die beiden Ortsangaben „Abstieg von Bet-Horon“ und Aseka genau auf diese Wegstrecke eingeschränkt. In V.12–14 wurde vom Sammler ein Zitat aus dem „Buch Yaschar“ aufgenommen, dem zufolge die Sonne auf ein Wort Josuas hin stehen blieb, um durch einen überlangen Tag die Verfolgung der Feinde gelingen zu lassen. In 12aβ wurde ein erklärender Zusatz eingetragen und beim Mond in 13a noch das Verb ʿMD hinzugefügt, um die ursprüngliche Bedeutung des Wunders von einer Verdunkelung zu einem Stillstand zu verschieben. Weshalb aber diese beiden Zusätze nicht schon vom Sammler stammen sollen, ist fraglich, da erst dadurch die Erweiterungen des Zitats durch den Sammler denkbar sind. Mit V.15 werde die
869 Kritisch hierzu aber DE VAUX 1978, 628, dem zufolge V.36–39 vor allem aufgrund der Widersprüche zu Jos 14; 15 und Ri 1 entfernt wurden. 870 Vgl. NOTH 1971a, 60–67.
242
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Gibeonerzählung schließlich vom Sammler abgeschlossen. Die Rückkehr nach Gilgal werde zudem in V.17 vorausgesetzt. Dies ist allerdings nicht zwingend, da der Bericht an Josua überall ergehen konnte. Ein Aufbruch nach Makkeda wird hingegen vor V.18 nicht erwähnt. Da Israel im Lager von Gilgal verweilte, konnten sich die feindlichen Heere wiederum sammeln und die Amoriterkönige in die Höhle von Makkeda flüchten. In der ursprünglichen Makkedaerzählung standen in V.23 angeblich die Städte, die in der folgenden Eroberungserzählung erwähnt werden. Weshalb aber diese Städte ersetzt worden sind, ist fraglich, zumal die Eroberungserzählung in V.29–39 keine selbstständige Erzählung sei. Die ermutigende Belehrung in V.25 sei zudem ein dtr. Zusatz. In der Eroberungserzählung seien der Bann aller Lebewesen (V.30.32.35.37.39) und das Nicht-Übriglassen (V.30.37.39) ebenfalls sekundär, wobei diese Ergänzung nicht stereotyp eingetragen wurde. Der Vergleich mit dem König von Jericho (V.30) stamme aus V.28. Dagegen spricht aber, dass ansonsten immer mit dem Schicksal des vorausgehenden Königs verglichen wird. Insofern hätte man hier den König von Makkeda erwartet. In V.39 wurde zunächst der Vergleichssatz mit Libna nachgetragen und in einem zweiten Schritt auch noch der Satz zum Schicksal von Debir. Die ebenfalls in einem letzten Schritt eingetragenen Zeitangaben (V.32.35) seien aufgrund von V.27 motiviert, sodass die Eroberung lediglich zwei Tage dauerte. In der abschließenden Zusammenfassung sei ebenfalls der Hinweis auf den Bann in 40aβb mit der Technik der Wiederaufnahme redaktionell hinzugefügt worden, sodass auch noch wayyakem Yehôšuaʿ zu dieser Redaktion gehört. Auch wenn viele Dinge mit diesem Entwurf geklärt werden können, bleiben doch – wie gesehen – einige Fragen offen. Weimar (1976):871 Der Redaktor des DtrG verwendete zum einen eine ihm vorliegende Gibeon-Makkeda-Geschichte, die von einem vor-dtr. Sammler zusammengestellt wurde, und in V.11–14 ein weiteres Traditionsstück, das aus dem „Buch des Aufrechten“ stamme. Der Bericht vom südlichen Feldzug gehe zudem auf eine vor-dtr. Erzähltradition über drei Städte zurück (Libna, Lachisch, Eglon). Dieser Feldzugbericht könnte aus der Zeit Hiskijas/Manasses stammen. DtrG hingegen nahm diese vor-dtr. Darstellung auf und ergänzte am Anfang in V.28 die Vernichtung Makkedas und am Ende in V.36–39 Hebron und Debir. Außerdem stammen die beiden V.15 und V.43 vom DtrG, mit denen die Erzählung in zwei Teile gegliedert werde.872 Danach habe es noch eine zweite dtr. Redaktion und eine weitere nach-dtr. priesterlich orientierte Bearbeitung gegeben. Während die einzelnen Bearbeitungen nicht näher begründet werden und somit
5)
871 872
Vgl. WEIMAR 1976, 52–62. Vgl. zu dieser Zweigliederung auch NOTH 1971b, 289.
4. Literarkritische Entwürfe
243
kaum noch überprüfbar sind, wird nur die kleinste Einheit der Gibeonerzählung bei diesem Entwurf detailliert herausgearbeitet. Vor allem der Wechsel in den Plural in V.2 wird als Schlüssel zur Erklärung der ursprünglichen Gibeon-Tradition gesehen. Nicht die Amoriterkönige, sondern die Israeliten, die sich vor der starken Stadt Gibeon gefürchtet hätten, seien das Subjekt von V.2. Danach folge ab V.8 die Ermutigungs- und Übereignungsformel und der Sieg über Gibeon. Die ursprüngliche Tradition der Gibeon-Erzählung bestand folglich aus 1aα*bβ*.2aα.8a.9a. 10abα. Hierbei handelt es sich zumindest um eine kohärente Erzählung. Allerdings ist vor allem die Rekonstruktion des Anfangs fragwürdig, wenn bei diesem Entwurf vorausgesetzt wird, dass Israel in V.1 hörte, dass die Gibeoniter unter ihnen lebten. Denn zum einen wird Gibeon bei dieser Rekonstruktion in V.1 gar nicht genannt und zum anderen lässt sich die Entstehung des Endtextes kaum aus diesem Fragment erklären. Gray (1986):873 Die beiden Traditionskomplexe der Schlacht von Gibeon und der Höhle von Makkeda wurden vielleicht bereits von einem vor-dtr. Sammler miteinander verbunden. Hierbei wurde das Motiv der Verfolgung der amoritischen Könige aufgegriffen, wobei deren Fluchtweg ohnehin schon in die Schefela in Richtung auf Makkeda verlief. Von diesem vor-dtr. Sammler wurde die Verbindung zur Jerichoerzählung Jos 6,21 in V.1 geschaffen, der Aufruf an Josua in Gilgal in V.6–7 ergänzt, die Ortsangabe Makkeda in V.10 eingetragen, der Hagelsturm in V.11 mit dem Tod der Feinde verbunden, das poetische Zitat in 13b gedeutet, nach V.21 das Lager der Israeliten in Makkeda verortet und nach V.28 die Bannweihe über den König von Makkeda verhängt. Der südliche Feldzug in V.28–39 gehe hingegen auf einen dtr. Redaktor zurück, der hierfür Jos 11,12–14 verwendet habe. Fraglich ist aber, weshalb er nicht auf die zuvor genannten Städte zurückgegriffen hat. Auf diese Weise hätte er einen kohärenten Text schaffen können. Auf diesen dtr. Redaktor sei auch V.27 zurückzuführen, der die Bestattung der Könige mit Dtn 21,22–23 verbindet. Ein dtr. Redaktor habe zudem die Zusammenfassung in V.40– 42 ergänzt. Die beiden V.15 und V.43 scheinen zudem dafür verwendet worden zu sein, um die Gibeon- mit der Makkedaerzählung zu verbinden. Ob man dadurch aber dem textkritischen Problem gerecht wird, ist zweifelhaft. Auch die literarkritische Beurteilung von V.21 und V.28, die dem vor-dtr. Bearbeiter zugesprochen werden, ist nicht ohne Probleme, zumal dadurch die Spannung der unterschiedlichen Verortung des Lagers in Gilgal (V.6) beziehungsweise Makkeda (V.21) entstanden ist und die nachträgliche Eroberung Makkedas (V.28) nach der Pfählung der feindlichen Könige viel zu spät kommt.
6)
873
Vgl. GRAY 1986, 103–112.
244
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Briend (1990/2000):874 Mithilfe des mit V.43 identischen V.15, der auf einen dtr. Redaktor zurückgeführt werden könne, sei Jos 10 formal in zwei Teile zu gliedern, auch wenn es sich eigentlich um drei Episoden und eine Zusammenfassung handele. Die Grunderzählung, die hinter Jos 10 liege, gehe auf die Joschijazeit zurück, in der eine Erweiterung Judas legitimiert werden sollte.875 Diese vorexilische Erzählung wurde schließlich dtr. erweitert. Das ursprüngliche Dokument bestand aus den drei Teilen Gibeon-, Makkeda- und Eroberungserzählung. Aufgrund des Plurals in V.2 sind die Amoriterkönige von V.6 das Subjekt von V.1. Erst ein dtn Redaktor habe schließlich in der Gibeonerzählung aus den Amoriterkönigen fünf Könige gemacht, die von Adonizedek aus Jerusalem angeführt wurden. Auf diesen Redaktor sei in Jos 10 der Hinweis auf die Eroberung bestimmter Städte, die Bannweihe und die Hinrichtung der jeweiligen Könige zurückzuführen. Dementsprechend gehen der Verweis auf die Bannweihe von Ai und Jericho in V.1 und der Komparativsatz mit Ai in V.2 sowie die beiden V.3–4 auf diesen Redaktor zurück, wobei V.4 das Hilfegesuch der Gibeoniter aus V.6 aufgreife. In V.7 sei wekol gibbôrê hæḥāyil eine Doppelung zum Vorausgegangenen und daher redaktionell sekundär. In V.10 sei die zusätzliche Ortsangabe Makkeda eingetragen worden, damit die Makkedaerzählung angeschlossen werden konnte. In V.11 sei die zweite Hälfte ab dem Toponym Aseka sekundär eingefügt worden, wodurch die Handlung präzisiert (Hagelsteine) und nicht nur Gott zugeschrieben werden konnte. Hier wurde zudem terminologisch zwischen „Israel“ und „Söhne Israel“ unterschieden. In V.12 sei der Infinitivsatz mit der Zeitangabe sekundär, um die Amoriter als Feindvolk nachzutragen. In V.13 sei vor der Zitationsformel eine historisierende Erklärung eingeschoben worden, die eine Dublette zu 13b bilde. Die Makkedaerzählung V.16–27 basiere auf einer Tradition von fünf Königen in der Höhle von Makkeda, die von einer dtr. Redaktion in V.16, 23 und 25 bearbeitet wurde. Die Eroberungserzählung V.29–39 wurde außerdem durch Makkeda (V.28) und Geser (V.33) erweitert, sodass ursprünglich nur fünf Städte von Josua erobert wurden, wobei die Bannweihe und andere Erweiterungen noch nicht in der ursprünglichen Tradition zu finden seien. Schließlich bilde V.42 den Abschluss von Jos 10, der dtr. noch durch V.40–41 ergänzt wurde. Allerdings werden bei diesem Entwurf bestimmte Spannungen nicht gelöst. So wird z.B. die verspätete Ermutigungsformel in V.8 nicht als Problem gesehen. Fraglich ist zudem, weshalb der dtr. Redaktor nur einen Teil der fünf Orte der Eroberungserzählung in die Gibeonerzählung eintrug (Lachisch, Eglon, Hebron).
7)
874 875
Vgl. BRIEND 1990, 168–178; BRIEND 2000, 375f.384f. Vgl. BRIEND 1990, 178.
4. Literarkritische Entwürfe
245
van der Lingen (1990):876 Die älteste Tradition der Gibeonerzählung überlieferte vielleicht eine lokale Schlacht bei Gibeon, zu der die Israeliten aus Gilgal zu Hilfe gerufen wurden (5aαbβ.6–7.9.10aβbα). Es handele sich hierbei um eine alte benjaminitische Tradition über den Helden Josua, der die Stadt Gibeon befreit habe. Fraglich ist aber, weshalb 5bα mit der Erwähnung von Gibeon in der Exposition der Erzählung ausgespart wurde. Das enklitische Personalpronomen bei ʿālæ̂hā müsste folglich prospektiv gedeutet werden und seinen Bezugspunkt erst in V.6 haben. In einer zweiten redaktionellen Stufe, die in die Zeit der getrennten Reiche zu datieren sei, wurden die fünf Könige mit Namen genannt, deren Verortung der Redaktor aus der zunächst unabhängigen Makkedaerzählung genommen habe. Die Auseinandersetzung werde nun zwischen Israel und den fünf Königen ausgetragen. Auf diese Stufe gehen V.3–4.5aβbα.10bβ.16–18. 20a.21.22–24 zurück. Die Rückkehr nach Gilgal in V.15 widerspreche zudem V.21 und müsse daher auf eine späte Bearbeitung zurückgehen, die ganz Israel eintrage. In einer dritten redaktionellen Stufe wurde der südliche Feldzug mit einer bestimmten stereotypen Idiomatik ergänzt. Auch die Zusammenfassung in V.40–43 gehe weitgehend auf die dritte Stufe zurück. Lediglich 40bβ und V.42 sind spätere Zufügungen, die von einer vierten Hand stammen könnten. Insgesamt gehen somit V.1–2.15.28–29. 30aβb–31.32aβb–40abα.41.43 auf diese dritte redaktionelle Stufe zurück. Zumindest die dritte redaktionelle Stufe wird aufgrund der protodtr. Idiomatik und der angeblichen Vereinigung von Nord und Süd unter der Herrschaft Joschijas entstanden sein. Bei diesem Entwurf werden jedoch die Spannungen in V.1–2 übergangen. Weshalb zudem die Übereignungsformel im stereotypen Eroberungsbericht als sekundär betrachtet wird, ist ebenso fraglich. Von einem dtr. Bearbeiter der vierten redaktionellen Stufe werde das Eingreifen YHWHs in die Landeroberung betont, wodurch die profane Erzählung überarbeitet werde. Auf diese Redaktion gehen V.8 und 10aα zurück, wo die Hilfe YHWHs besonders betont werde. Darüber hinaus werde V.11 nachgetragen, der sich von seiner Verortung von V.10 unterscheide (nur noch Aseka und Abstieg von Bet-Horon). Auch 19bβ und V.25 sowie 30aα und 32aα gehen auf diese Bearbeitung zurück, da diese Sätze das Eingreifen YHWHs hervorheben. Auf eine letzte fünfte dtr. Hand sind V.12–14, 40bβ und V.42 zurückzuführen. Vor allem die letzten beiden Zusätze liegen auf einer Ebene, da beide das Gottesepithet „YHWH, Gott Israels“ verwenden. Bei dem hinter V.12–14 liegenden Liedfragment in 12b–13aα, das sich sprachlich und inhaltlich vom Kontext unterscheidet und nur aufgrund des Stichwortes Gibeon verwendet wurde, handele es sich zudem um eine unabhängige Tradition. Diese sehr differenzierte Literarkritik ist aber in einigen Punkten nicht konsistent.
8)
876
Vgl. VAN DER LINGEN 1990, 113–127.
246
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Görg (1991):877 Auch wenn auf genauere Angaben verzichtet wird, sei von zwei Stadien des vor-dtr. Bestandes in V.1–10.(12–13).17–20.22–24.26– 27 auszugehen, wobei das erste Stadium von einer Auseinandersetzung zwischen Israel und Gibeon berichte. Erst im zweiten Stadium sei daraus eine Konfrontation zwischen den Königstädten und Gibeon geworden, wobei auch die Makkedaerzählung angeschlossen wurde. Auf diese Weise sei eine antikanaanäische und progibeonitische Kriegserzählung gestaltet worden, die politische Verhältnisse der Königszeit reflektiere. Eine dtr. Redaktion habe dann Zusätze in V.1–2.5–7.10–11.(12–14).15.19–21.24– 27 eingetragen. Eine nachdtr. priesterliche Redaktion habe schließlich noch in V.11–12.23.27 gearbeitet. In der Erzählung vom südlichen Feldzug seien zudem zwei dtr. Redaktionen nachweisbar. Auf eine erste dtr. Redaktion seien die V.28.32.34–43 zurückzuführen. Eine zweite dtr. Redaktion ergänzte schließlich den Vollzug der Bannweihe. Darüber hinaus seien noch nachdtr. Ergänzungen eingetragen worden, die vor allem die Totalität der Vernichtung betonen. Allerdings bleibt eine derartige literarhistorische Verortung von Jos 10 sehr vage und lässt sich kaum überprüfen, da ein differenziertes literarhistorisches Wachstum nicht nachvollziehbar ist. 10) Margalit (1992):878 Möglicherweise sei Jos 10,1–27 aus zwei unterscheidbaren Erzählsträngen aufgebaut, einer Heldensage, die noch ohne Bezug zu YHWH auskommt, und einer fragmentarischen YHWH-Kriegserzählung. Zur Heldensage gehöre demnach nicht die Panik in 10aα, sodass der Sieg zunächst nicht Gott, sondern Josua zugeordnet werde. Insgesamt bestehe die Heldensage aus V.1.3–7.9a.10aβb.16.22–24.26–27. Die YHWHKriegserzählung beginne hingegen in V.8 und vielleicht schon in V.2, wenn die ursprüngliche Tradition eine Auseinandersetzung zwischen Gibeon und den Israeliten schilderte, wie dies bisweilen vermutet wird. Außerdem liefere das Sonnenwunder in V.12–14 den Grund für die Panik der Feinde, sodass wohl auch der Grundbestand von V.12–14 zur YHWHKriegserzählung gehört. Die Rückkehr nach Gilgal beschließe in V.15 die YHWH-Kriegserzählung. Insgesamt sei somit die YHWH-Kriegserzählung in V.2.8.10aα.11.12b.13aα.14b.15 zu finden. Fraglich ist aber, weshalb die göttliche Hilfe in der YHWH-Kriegserzählung auf unterschiedlichste Weise ausgedrückt wird. Der Redaktor, der beide Erzählfäden zusammengearbeitet habe, könnte ein aramäisch sprechender Israelit gewesen sein, der im babylonischen Exil lebte, die Geographie Israels nur unzureichend kannte, das vorexilische poetische Hebräisch nicht mehr beherrschte und den Unterschied zwischen dem „Buch Yaschar“ und dem „Buch der YHWH-Kriege“ übersah. Die V.17–21 dienen zudem der Verbindung der
9)
877 878
Vgl. GÖRG 1991a, 47f.52f. Vgl. MARGALIT 1992, 477–490.
4. Literarkritische Entwürfe
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beiden Erzählstränge. Auf den Redaktor seien zudem die V.12a.13aβ– 14a.17–21.25 zurückzuführen. Auch die V.28–43 seien vielleicht von einem Redaktor angefügt worden, der die beiden Erzählstränge in V.1–27 miteinander verbunden hat. Darüber hinaus werde die YHWH-Kriegserzählung vom Redaktor in ihrer Abfolge umgestellt. Die chronologisch richtige Reihenfolge (erst Sonnenwunder, dann Panik) sei demnach V.8.12b.13aα.10aα.11.14b.15 gewesen. Allerdings ist eine Umstellung des Erzählablaufs hypothetisch. Vom Redaktor stammen zudem in V.11 die Präpositionalverbindung mippenê Yiśrāʾel „vor dem Anblick Israels“, die Richtungsangabe ʿad ʿazeqāh „bis Aseka“ und am Schluss der Vergleichssatz ab rabbîm, ohne dass diese Zusätze erklärt werden. Auch die ursprüngliche Heldensage habe in V.8 mit den wekol gibbôrê hæḥāyil einen redaktionellen Zusatz erfahren. Außerdem wurde in V.9 noch das Subjekt Josua ergänzt. Vor allem die These, dass die Ereignisse innerhalb der YHWH-Kriegserzählung umgestellt worden sind, lässt diesen Entwurf zweifelhaft erscheinen. Viele andere Spannungen werden zudem ausgeblendet. 11) Fritz (1994):879 Die Gibeon- und Makkedaerzählungen gehen auf zwei unterschiedliche Traditionen zurück, die von DtrH zusammengearbeitet und erweitert wurden. Kleinere Zusätze seien die Erklärungen in 1b, wo der Zusammenhang zu Jos 9 betont werde, und 2b, wo die Aussage von 2a noch zusätzlich überboten werde. Außerdem seien 7bβ eine Glosse und 9b ein Zusatz, der den Nachtmarsch vor dem eigentlichen Angriff ergänzt. Der Umstand, dass die Ermutigungsformel viel zu spät kommt, wird in diesem Entwurf hingegen nicht problematisiert. Die Ortsangabe Makkeda in V.10 bereite die Verbindung beider Traditionen vor und gehöre zu DtrH. Darüber hinaus verweise V.11 sekundär auf das Eingreifen YHWHs, der den Sieg Israels mit Einsatz der Naturgewalten komplettiert. Mit V.16 sei eine redaktionelle Überleitung zur Makkedaerzählung geschaffen worden, sodass die ursprüngliche Einleitung wegfallen konnte. Weshalb man aber in der Makkedaerzählung einen anderen Konflikt vermuten muss, der nun entfallen ist, ist fraglich. Mit der Gibeonerzählung werde zudem die der Makkedaerzählung vorausliegende feindliche Auseinandersetzung eingetragen. In 23b seien zudem die Gegner Israels sekundär eingefügt worden. Der Feldzugsbericht in V.28–39 sei außerdem eine stereotype Abfolge von Formeln, um die Eroberung des südlichen Verheißungslandes zu beschreiben. Lediglich V.33 falle mit der Notiz über den König von Geser aus dem stereotypen Schema heraus und ist wohl ein dtr. geprägter Nachtrag. Als Quelle für die Aufzählung der amoritischen Könige diene Jos 12,10–13, wo die gleichen Orte in derselben Abfolge erwähnt werden. Diese Toponyme wurden schon deshalb aus der Liste von Jos 12 genommen, da diese Städte in räumlicher Nähe zu Makkeda lagen. Die ergänzenden geographischen Angaben in V.41 879
Vgl. FRITZ 1994, 109–118.
248
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
seien zudem eine Dublette zu V.40 und daher ebenfalls ein Zusatz. Auch wenn bei diesem Entwurf viele richtige Dinge gesehen wurden, werden die Probleme am Anfang in V.1–2 sowie die unterschiedlichen Zusammenstellungen an Orten nicht befriedigend gelöst. 12) Jericke (1997):880 Die Überlieferung von den fünf Königen in der Höhle von Makkeda wurde im dtr. Josuabuch durch zwei Eroberungsnotizen zu Libna und Lachisch weitergeführt. Erst danach hat eine priesterliche Redaktion die Eroberung der Städte Makkeda, Eglon, Hebron und Debir nachgetragen. Diese Überlieferungsgeschichte basiert in erster Linie auf der Beobachtung, dass nur bei Libna und Lachisch die dtr. Übereignungsformel steht. Aus diesem Grund hätten folglich nur diese beiden Notizen zum dtr. Josuabuch gehört. Allerdings ist fraglich, weshalb die Eroberung von Makkeda bereits in V.28 und nicht erst nach Lachisch ab V.33 nachgetragen wurde. Außerdem müsste man die geschichtstypologischen Vergleiche auf dtr. und priesterliche Hände verteilen. Die Makkeda-Notiz greift zudem nicht nur die Formulierungen der Notizen zu Eglon, Hebron und Debir auf, sondern auch zu Libna und Lachisch. Schließlich ist priesterliche Sprache eigentlich nicht in Jos 10,28–39 zu greifen. 13) Nelson (1997):881 Jos 10 gehe auf drei zunächst unabhängige Traditionen zurück, die zusammengefügt wurden, um eine einzige Erzählabfolge der Eroberung des Südens zu konstruieren. Vermutlich habe es bereits eine vor-dtr. Eroberungserzählung gegeben, die aber später von DtrH überarbeitet wurde, wofür dtr. Sprache und Ideologie stehe. Außerdem seien zahlreiche Bezüge zu den Erzählungen in Jos 2–11 geschaffen worden: die Furcht der Feinde, die Toponyme Jericho und Ai, der Bund mit Gibeon, Gilgal, die Bannweihe. Darüber hinaus ähnele Jos 10 sprachlich der folgenden Erzählung in Jos 11. Wie allerdings das literarhistorische Wachstum von Jos 10 explizit aussieht, wird bei diesem Entwurf nicht näher ausgeführt. 14) Latvus (1998):882 Wenn man voraussetzt, dass der Bundesschluss mit Gibeon in Jos 9 nicht zur ursprünglichen Tradition gehört hat, dann müssen alle diesbezüglichen Erwähnungen in Jos 10 auf eine redaktionelle Hand zurückgehen. Auch wäre nicht Gibeon der Gegner der amoritischen Könige, sondern eigentlich Israel. Dementsprechend sei in V.1 lediglich der letzte kî-Satz sekundär, während die Eroberung von Ai die Motivation für die Koalition der Amoriterkönige angegeben habe. Auch V.2 mit der pluralisch ausgedrückten Furcht sowie die Betonung der besonderen Stärke Gibeons sei hinzugewachsen. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass ein Redaktor diese Zusätze in V.2 besser mit dem vorliegenden Text hätte 880
Vgl. JERICKE 1997, 296–298. Vgl. NELSON 1997, 138f. 882 Vgl. LATVUS 1998a, 112–114; LATVUS 1998b, 67 Anm.84. 881
4. Literarkritische Entwürfe
249
verbinden können, zumal der Plural in V.2 erklärungsbedürftig ist und sich höchstens mit den Amoriterkönigen aus V.3 verbinden ließe. Außerdem ist fraglich, ob nicht auch der Hinweis auf Ai in V.1 und V.2 auf einer literarhistorischen Ebene liegt. Nach V.5 belagern zudem die Amoriterkönige nicht Gibeon, sondern lagern bei Gibeon, weshalb weder der Aufruf Adonizedeks zu einem Vorgehen gegen Gibeon in V.4 noch der mit LḤM ausgedrückte Angriff in 5bβ zur ursprünglichen Tradition gehören können. Auch der Hilferuf der Gibeoniter in V.6 wäre bei dieser Interpretation eine Erweiterung. Im ersten Teil von Jos 10 weisen somit V.1b–2.4.5bβ–6 auf eine redaktionelle Ergänzung hin. Fraglich ist aber, ob Gibeon tatsächlich nur der Ort der Schlacht gewesen ist, die dann zwischen Israel und den Amoriterkönigen geführt worden wäre. 15) Knauf (2008):883 Die Grundschicht der Gibeonerzählung V.1–15 sei bereits mit Jos 9 verbunden gewesen, wo mit dem Bündnis zwischen Gibeon und Israel der Grund für die Angst Adonizedeks beschrieben werde. Diese Grundschicht bestehe aus einer Exposition (Jos 9,3a–15a), aus einer Reaktion mit Rede Adonizedeks (V.1–4), aus einer Krise mit Rede der Gibeoniter (V.5–7) sowie aus einer Lösung mit Rede YHWHs (V.8–10.14). In diese Grundschicht wurde ein polytheistisch geprägtes Liedfragment eingebaut, das in V.12 und V.13–14 zusätzlich erweitert wurde. Weitere Ergänzungen seien in V.1 (Ai-Tradition), V.6.7 (Gilgal), V.10 (Makkeda), V.11 (Aseka) sowie die Lokalisierung der Amoriter im Gebirge in V.6. Auf diese Grundschicht folgte ursprünglich der Buchschluss V.40–42*. Die vielgestaltige göttliche Hilfe in der Schlacht wie auch die verspätete Ermutigungsformel wird bei diesem Entwurf allerdings nicht problematisiert. In der Makkedaerzählung sei das Motiv der Pfählung in V.26–27 auf eine nachexilische dtr. Schicht zurückzuführen. Auch V.20 mit der Flucht in die Städte wurde sekundär nachgetragen. Darüber hinaus sei der Verschluss der Höhle mit Steinen in V.19 und das Öffnen derselben in V.22 eine redaktionelle Vorwegnahme von V.27. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass das Verschließen der Höhle notwendig ist, damit die Verfolgung gelingen kann. Außerdem gehören V.15 und 43 nach diesem Entwurf zu einer hasmonäischen Redaktion, die Josua und sein Lager in Gilgal wie Judas Makkabäus und dessen Operationsbasis in Modeïn skizzieren. Ob diese literarhistorische Verortung notwendig ist, ist fraglich. Die Eroberungserzählung in V.28–39 sei zudem weitgehend einheitlich, wobei aber die Notiz von einem Eingreifen des Königs von Geser in V.33 vermutlich sekundär ergänzt wurde. V.28 mit der Eroberung von Makkeda verbinde diese Erzählung mit dem Vorausgegangenen, wobei diese Aktion aufgrund der Zeitangabe zeitgleich mit der Hinrichtung der feindlichen Kö-
883
Vgl. KNAUF 2008, 96–110.
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
nige stattgefunden habe. Da hier zudem in der Vergleichsformel auf Jericho und nicht auf Ai zurückgegriffen wird, sei die Ai-Episode später hinzugewachsen. Bei diesem Entwurf sind viele konsensfähige Beobachtungen zusammengetragen worden, wobei aber entsprechende Begründungen nicht angegeben werden. 16) Langlois (2011):884 In der Gibeonerzählung wurden sowohl V.11 (Hagel) als auch V.12–14 (Sonnenwunder) redaktionell hinzugefügt. Die Makkedaerzählung sei ebenfalls sekundär entstanden. Die Koalition der Amoriter sei mit Jos 9,1–2 zu verbinden und muss nicht auf ein Bündnis der Israeliten mit den Gibeonitern zurückgehen. Der südliche Feldzugsbericht habe ursprünglich nichts mit der Gibeon- oder Makkedaerzählung zu tun, da in V.39 auf Libna und nicht auf Makkeda verwiesen werde. Außerdem fehlen die beiden Städte Jarmut und Jerusalem im südlichen Feldzugsbericht. Darüber hinaus wurde V.28 eingefügt, um den südlichen Feldzugsbericht an die Makkedaerzählung anzuschließen, zumal die eroberten Orte in der Umgebung von Makkeda liegen. Die Koalition der Amoriterkönige sei schließlich spätestens dann eingetragen worden, als man die Makkedaerzählung in die Gibeonerzählung eingetragen hat. In der Makkedaerzählung ging es ursprünglich um eine Schlacht um Makkeda, die mit einem Ereignis vor (V.16–19) und nach der Schlacht (V.20–27) verbunden wurde. Allerdings ist fraglich, ob nicht die Makkedaerzählung demgegenüber die Fortsetzung der Gibeonerzählung sein sollte. Außerdem wird die Eroberung von Makkeda erst in V.28 erzählt, was ebenfalls gegen die hier vorgelegte zeitliche Anordnung der Ereignisse spricht. Die beiden Notizen, die die Beteiligung YHWHs in V.19 und 25 erwähnen, könnten zudem nach diesem Entwurf später hinzugekommen sein. Auf ähnliche Weise seien auch der Anfang von V.12 und der Schluss von V.14 redaktionell mit YHWH verbunden sowie das YHWH-Wort in V.8 und das Hagelwunder in V.11 ergänzt worden. Die redaktionell ergänzte Bannweihe versucht, die Erzählung in den Kontext der von Gott angeordneten Eroberung zu stellen. Fraglich ist bei dieser Argumentationslogik jedoch, ob dann die Übereignungsformel in V.30.32 nicht ebenfalls sekundär sein müsste, da diese Versteile den Eingriff YHWHs besonders betonen. Am Ende werde nach diesem Entwurf schließlich in V.41 an die Schlacht von Gibeon angeknüpft, während V.42 wiederum V.14 aufgreift. Die Hinzufügung von V.15 und V.43 unterstreiche zudem die zentrale Bedeutung von Gilgal. Bei diesem Entwurf sind einige Dinge gut eingeordnet worden, auch wenn nicht alle Probleme gelöst werden konnten.
884
Vgl. LANGLOIS 2011, 234–237.
4. Literarkritische Entwürfe
251
17) Dozeman (2015):885 Jos 10 sei eine wohl strukturierte Komposition eines Redaktors, der unterschiedliche Erzählungen nach dem Modell von altorientalischen Eroberungserzählungen miteinander verbunden habe. Ursprünglich habe die Gibeon- und die Makkedaerzählung zusammengehört. Als zusätzliche Quelle werde das Liedfragment in V.12–14 betrachtet. Erst durch den Einschub von V.15 wurde der ursprüngliche Zusammenhang gestört. Die Darstellung der südlichen Eroberungen gehe ebenfalls auf eine vorliegende Tradition zurück, worauf das Fehlen von Jerusalem und Jarmut sowie die zusätzlichen Städte Libna, Geser und Debir hinweisen. Dieser Entwurf bleibt aber zu undifferenziert, sodass sich jegliche kritische Auseinandersetzung erübrigt. 18) Berner (2017):886 Ohne dass die Details geklärt werden können, sei die ursprüngliche Gibeonerzählung hinter Jos 10 in V.1aα1bα.2aα.3– 4.5*.6.7aα.9a.10.12–13aα.15 zu suchen. In dieser frühesten Schicht sei der Bundesschluss Israels mit der Vorbevölkerung noch kein Problem gewesen. Fraglich ist jedoch, weshalb Sätze wie 9b oder auch Satzergänzungen wie 7aβ.b ausgeschieden werden, die bestens in den Erzählkontext passen, während die schwierige Redeeinleitung in V.12 einheitlich sein soll. Ohne weitere Argumente, die diese literarkritische Entscheidung beeinflusst haben, kann dieser Entwurf nicht adäquat beurteilt werden. 19) Germany (2017):887 In V.1 gehöre nur der zweite kî-Satz zur ursprünglichen Tradition, da nur er den Grund für den Angriff auf Gibeon angibt. Dieser Satz wurde zunächst sekundär um den ersten kî-Satz erweitert, der wiederum redaktionell durch den Vergleich mit Jericho und Ai ergänzt wurde. Zur ursprünglichen Tradition der Gibeonerzählung gehörten somit V.1aα1.b.2–5aα1.b.6(ohne „zum Heerlager nach Gilgal“).7*(ohne „und die Gesamtheit der Elitesoldaten“).9a.10aβb. Für die Ausscheidung der Verortung in V.6 gibt es aber keinen wirklich überzeugenden Grund. Fraglich ist zudem, weshalb die unnötige doppelte Zielangabe „bis Aseka und bis Makkeda“ in V.10 bereits in der Grundschicht vorhanden ist, obschon die Makkedaerzählung noch nicht eingebaut war. Da V.11 die Zielangabe aufgreift, hätte dort sicherlich nicht nur „bis Aseka“ gestanden. In der Makkedaerzählung sei nach diesem Entwurf in 20b das Überleben Einzelner nachgetragen worden, die in die befestigten Städte fliehen. Mit 20b hänge auch 21b zusammen, da nur durch die Existenz von weiteren Feinden der Satz, dass keiner mehr gegen die Israeliten aufbegehrte, überhaupt erst verständlich sei. Auch der Satz nach der Ausführungsformel in 23a sei redundant und möglicherweise sekundär hinzugetreten. In der Erzählung von der südlichen Eroberung seien die Verweise auf die Bannweihe, die 885
Vgl. DOZEMAN 2015, 438–441. Vgl. BERNER 2017, 256 Anm.3. 887 Vgl. GERMANY 2017, 421–435. 886
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
singularischen Aussagen und die Hinweise auf das Schicksal der jeweiligen Könige möglicherweise redaktionell ergänzt worden. Auch der Verweis auf die Städte um Hebron in V.37 ist vermutlich eine Angleichung an die Situation in Debir, zumal beide Eroberungen in V.39 miteinander verglichen werden. In V.40 seien ebenfalls die Könige, die Bannweihe, die sich nach 40aβ eigentlich erübrigt hätte, und das entsprechende YHWH-Gebot als redaktionell zu beurteilen. Da V.41 ein größeres Territorium absteckt, sei er sekundär ergänzt worden, wobei der Direktiv weʿad Gibʿôn noch später eingetragen wurde, da diese Angabe zuvor eine Präpositionalverbindung mit min erfordere. Auch V.42 könne aufgrund der Erwähnung der Könige nicht in der ursprünglichen Tradition verortet werden. Vielleicht gehörten die Gibeonerzählung und der südliche Feldzug zunächst zusammen, während die Makkedaerzählung in V.16–27 mithilfe von V.28 sekundär eingeschoben wurde, zumal nur im Mittelteil benê Yiśrāʾel anstelle von Yiśrāʾel vorkomme.888 Dementsprechend bestehe die ursprüngliche Tradition aus V.1aα.b.2–4.5–7*.9a.10aβ.b.29–32*.34–40* und vielleicht noch V.42–43. Diese Grunderzählung sei dtr. leicht und uneinheitlich überarbeitet worden. In einem zweiten Schritt sei schließlich die Makkedaerzählung eingeschoben worden, die in einer späteren Redaktion noch durch 20b.21a*b.23* erweitert wurde, um das spät-dtr. Konzept des uneroberten Landes einzutragen. Die Beschreibung des Hagelwunders (V.11) und des Sonnenwunders (V.12–14) sei erst danach ergänzt worden, da auf diese Ereignisse später nicht mehr eingegangen werde und das Demonstrativpronomen hāʾellæh in V.16 durch diese Zusätze allzu weit von seinem eigentlichen Bezugspunkt getrennt werde. In einem letzten Schritt seien V.15.43 eingetragen worden, um die Bedeutung des Lagers in Gilgal hervorzuheben. Fraglich bleibt bei diesem Entwurf, weshalb die theologische Deutung der Gibeonerzählung so spät eingetragen wurde, wobei außerdem die Doppelung zwischen Hagelsturm und Sonnenwunder erklärungsbedürftig ist. 20) Gass (2019):889 Bei diesem Entwurf wird nur die eigentliche Schlachtenerzählung näher untersucht. In Jos 10,7–14 liegen zwei literarische Ebenen vor: eine Heldensage über Josua, die den Sieg alleine Josua zuweist, und eine redaktionelle Erweiterung, die die Schlacht durch kleinere Ergänzungen zu einer YHWH-Kriegserzählung umändert. Eine Glosse habe schließlich in 11b einen Ausgleich zwischen diesen beiden Interpretationslinien eingetragen. Sowohl Josua als auch YHWH haben demnach den Feind vernichtet, wiewohl das Wirken YHWHs größer zu bewerten ist als das Josuas. Auf die Redaktion, die das Wirken YHWHs in die ursprünglich 888 Dagegen sprechen höchstens Jos 10,4.12. Die Probleme beider Verse könnte man jedoch entweder textkritisch oder literarkritisch beheben. 889 Vgl. GASS 2019a, 40–44.
5. Eigener Ansatz
253
profane Darstellung des Sieges bei Gibeon eingebracht hat, sei das Heilsorakel in V.8, der Gottesschrecken in 10aα, der Hagelsturm in V.11 sowie die Umdeutung des Sonnenwunders in 12a*bα.13b.14 zurückzuführen. Die kämpfenden Himmelsgottheiten werden von dieser Redaktion entmythologisiert und zu kosmischen Taktgebern für die Zeit verwandelt. Auf diese Weise konnte der Tag der Schlacht verlängert werden. Die Redaktion hat vermutlich nicht vor dem letzten Drittel des 7. Jahrhunderts v. Chr. am Ende der assyrischen Zeit gearbeitet. Allerdings werden bei diesem Entwurf sowohl der Anfang der Gibeonerzählung in V.1–6 wie auch die beiden anderen Erzählungen in V.16–43 nicht berücksichtigt. 21) Nocquet (2022):890 Zunächst hat es eine dtr. Bearbeitung in Jos 10,3–4a.8– 11 gegeben, die direkt an Jos 9,1 anschloss und der Makkedaerzählung Jos 10,16–43 vorausging. In persischer Zeit wurde in einem zweiten Schritt von der samarischen Gemeinde der Hilferuf der Gibeoniter und das Sonnenwunder von Gibeon in Jos 10,1–2.4b–7 und Jos 10,12–15 ergänzt. Auf diese Weise sollte die Bedeutung des nördlichen Ortes Gibeon und seiner Bewohner für die Landnahme und für die Herausbildung Israels als Mischbevölkerung hervorgehoben werden, und das schon seit den Anfängen. Fraglich ist aber, ob das Sonnenwunder, das in sich nicht einheitlich ist, tatsächlich erst so spät entstanden sein kann. Auch werden bei diesem Ansatz viele Spannungen in Jos 10 weitgehend ausgeblendet. Insgesamt sind in der Forschungsgeschichte viele Beobachtungen kritisch ausgewertet worden, auch wenn kein Entwurf alle Probleme zufriedenstellend lösen kann. Insofern ist ein eigener Ansatz gerechtfertigt.
5. Eigener Ansatz Das lange Kapitel Jos 10 mit seinen vielen Varianten im Ausdruck lässt sich nur schwer literarkritisch und redaktionsgeschichtlich deuten. Diese Schwierigkeiten lassen sich nur an ganz wenigen Stellen durch die Textüberlieferung der Versionen beheben. Die weiteren Überlegungen gehen von folgenden Grundannahmen aus, die kurz begründet werden: 1)
Vermutlich gab es – wie schon in Jos 9 – bereits einen Grundtext, der den Bundesschluss mit Gibeon kannte. Dieser Grundtext erstreckte sich über alle drei Erzählungen. Es handelt sich hierbei um eine vor-dtr. Heldenerzählung, die das militärische Vorgehen Josuas in den Blick nimmt, ohne dass eine theologische Deutung geboten wird. Eine theologische Interpretation wird an zwei Stellen erst im Nachhinein mit der nachgeschobenen 890
Vgl. NOCQUET 2020, 332–334.
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2)
3)
4)
Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
dtr. Ermutigungsformel in V.8 und V.25 sekundär angeschlossen. Dieser noch nicht dtr. überarbeitete Text kann darüber hinaus das Josua-Wort an Sonne und Mond ohne Probleme übernehmen. Auch der südliche Eroberungsfeldzug kommt eigentlich ohne die Hilfe Gottes aus. Nicht ohne Grund wird erst in V.42 redaktionell besonders betont, dass YHWH für Israel gekämpft hat. In diesem Grundtext wendet sich Josua in V.5 gegen nicht näher bezeichnete Amoriterkönige, die in der Makkedaerzählung als „diese“ Könige (V.24) bezeichnet werden. Aus diesem Grund muss auch die Fünfzahl der Könige sekundär sein. Diese vor-dtr. Erzählung lässt sich zudem ohne Probleme an den Grundtext in Jos 9 anschließen, zumal der dort geschlossene Friedensschluss die militärische Unterstützung Gibeons durch Josua motiviert. Erst in einer dtr. Überarbeitung wird der Sieg Josuas auf das Wirken YHWHs zurückgeführt. Außerdem wird der vorliegende Text von dieser dtr. Redaktion in den Komplex der Landeroberung in Jos 5–6.9–12 eingebaut, wobei auch das Thema des Banns und der Auslöschung der Urbevölkerung in den Blick genommen wird.891 Die Fünfzahl kann vermutlich nicht aus der Makkedaerzählung stammen. Dort geht es zunächst nur um „diese Könige“ in V.24, wobei auf das Numeral „fünf“ verzichtet wird. Auch die Steine werden nicht mit der Fünfzahl verbunden. Vielmehr sind es lediglich „große Steine“ in V.18.27. Es bleibt somit fraglich, wieso diese Steine ätiologisch genau auf fünf Könige verweisen sollen. Vermutlich ist somit die Fünfzahl redaktionell. Da in der ursprünglichen Tradition von fünf eroberten Städten im Süden ausgegangen wurde (Libna, Lachisch, Eglon, Hebron, Debir), hat man dann auch fünf Könige rekonstruiert, deren Orte man aus Jos 12,10–12 (Jerusalem, Hebron, Jarmut, Lachisch, Eglon) genau in der vorliegenden Reihenfolge übernommen hat. Dies hat freilich zu einer gewissen Doppelung mit dem südlichen Eroberungsfeldzug geführt (Lachisch, Eglon, Hebron), was wiederum redaktionelle Ausgleichsmanöver erfordert hat. Dabei ist dem Redaktor nicht aufgefallen, dass der König von Hebron sogar zweimal getötet wird. Aber im vorliegenden Grundtext war der König von Hebron im Rahmen des südlichen Eroberungsfeldzuges bereits getötet worden, sodass es aufgrund der Übernahme der Ortsliste aus Jos 12,10–12 zu dieser Doppelung kommen musste. Die Makkedaerzählung ist erst sekundär in Makkeda verortet worden. Hierfür spricht die Beobachtung, dass die Erwähnung von Makkeda in V.17 und V.21 textkritisch umstritten und vermutlich in beiden Fällen erst
891 Allerdings ist Jos 10 nicht nur von dtr. Intentionen beeinflusst, sondern zeigt auch hinsichtlich der Sprache und narrativen Struktur Ähnlichkeiten zu altorientalischen Eroberungserzählungen, vgl. hierzu PITKÄNEN 2010, 220. Gegen eine vorschnelle Verbindung des Eroberungsberichtes mit einem dtr. Redaktor vgl. RÖSEL 2011, 177.
5. Eigener Ansatz
5)
6)
7)
255
sekundär hinzugetreten ist. In V.16 ist zudem die doppelte appositionelle Ortsbestimmung bammeʿārāh beMaqqedāh „in der Höhle, in Makkeda“ auffällig. Auch hier ist es nicht ausgeschlossen, dass beMaqqedāh ein sekundärer Zusatz ist. In V.10 klappt weʿad Maqqedāh hinter Aseka nach. Hier wird die Fluchtroute offenbar noch ausgeweitet. Da die alleinige Zielbestimmung Aseka im folgenden V.11 vermutlich bereits einer redaktionellen Eintragung zuzuschreiben ist, kann die Erweiterung mit Makkeda nur auf einer zweiten redaktionellen Ebene liegen. Die Makkedatradition in V.28–29* gehört auch nicht zum südlichen Feldzug, da die Libnatradition in V.30 die Ereignisse nicht mit Makkeda, sondern mit Jericho vergleicht. Demnach ist der nächste Bezugspunkt für die Auslöschung von Libna nicht wie im Endtext Makkeda (V.28) oder Ai (Jos 8), sondern Jericho (Jos 6). Diese Beobachtung weist darauf hin, dass der ursprüngliche Text weder die Verortung in Makkeda noch die Ereignisse von Ai in Jos 7–8 gekannt haben kann, sondern nur die Jerichotradition. Aus alledem folgt dann aber auch, dass die Erzählung vom Versteck der Könige in einer bestimmten Höhle zunächst ortlos überliefert und erst sekundär mit einer Höhle bei Makkeda verbunden wurde. Dann entfällt aber auch die ätiologische Deutung der Episode. Die Makkedaerzählung kann somit keine ursprüngliche Ätiologie sein. Denn diese Erzählung ist zunächst ohne eine bestimmte Verortung ausgekommen. Zudem ist das ätiologische Ziel nicht klar. Denn es könnten entweder die Steine oder die Bäume oder Pfähle mit dieser Erzählung ätiologisch erklärt werden. Allerdings wurde aufgrund von V.27 sekundär ein ätiologischer Schluss nachgeschoben. Im Rahmen dieser zunächst noch ortlosen Erzählung wurden erst durch eine redaktionelle Überarbeitung große Steine vor eine Höhle bei Makkeda gelegt. Diese redaktionelle Ergänzung in V.27 muss auf einer Ebene mit der Eintragung von Makkeda in V.10.16.21.28–29 liegen, da eine Ätiologie eigentlich einen festen Ort im Blick haben muss, der erklärt werden soll. Auf der Seite Israels gibt es die unterschiedlichsten Bezeichnungen, die sich interessanterweise auch in Jos 9 finden lassen und dort ebenfalls für bestimmte redaktionelle Schichten bezeichnend waren. Insofern kann man redaktionell die Verse oder Versteile mit „Söhnen Israels“ in V.4.11. 12.20.21 abheben sowie auch die Erwähnung der „Mannschaft Israels“ in V.24. Diese Glossen können zudem verschiedenen Händen zugewiesen werden. Im südlichen Eroberungsfeldzug tritt „Josua und die Gesamtheit Israels“ auf. Dieses an sich pluralische Subjekt wird meist singularisch als Kollektiv konstruiert, auch wenn in V.34–37 eine pluralische Konstruktion bevorzugt wird. Da in V.34–37 durchwegs Plural verwendet wird, kann man hier höchstens textkritisch Singular rekonstruieren, was aber schlecht begründet wäre. Zumindest diese Beobachtung legt nahe, dass offenbar
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
schon in der ursprünglichen Tradition von einem Kollektiv „Josua und die Gesamtheit Israels“ auszugehen ist, da der Plural zumindest in V.34–37 fest gesetzt ist. Offenbar war zunächst Josua in der Heldenerzählung V.1–27 allein verantwortlich, während bei der Eroberung der fünf südlichen Städte „Josua und die Gesamtheit Israel“ eintritt. Dies mag dann auch die späteren Weisungen Josuas an die Israeliten im Rahmen der Makkedaerzählung motivieren. Mitunter weist diese Differenzierung in den handelnden Personen (Josua – Israel) auf Unterschiede in den vom Autor verwendeten Traditionen hin, die für den Grundtext herangezogen wurden. Ob man dies aber noch zusätzlich literarkritisch bewerten darf, sei dahingestellt. Vor allem aufgrund von textkritischen Argumenten sind V.15, V.17 und V.43 nicht im ursprünglichen hebräischen Text vorhanden gewesen, der zunächst von der altgriechischen Übersetzung herangezogen wurde. Mit der doppelt erzählten Rückkehr nach Gilgal (V.15 und V.43) und dem narrativ nicht nötigen Bericht über das Versteck der Könige (V.17) wurde sekundär ein einheitliches panisraelitisches Unternehmen der Landeroberung skizziert, das immer von der Operationsbasis Gilgal ausgeht. Von dort werden die Eroberungen geplant und durchgeführt, dorthin kehrt man nach jeder wichtigen Operation zurück. Da schon der ursprüngliche Grundtext unterstreicht, dass der südliche Feldzug in einem Zug erfolgt ist, musste man danach wieder nach Gilgal zurückkehren. Vermutlich sind auch die anderen Erwähnungen von Gilgal in V.6.7.9 erst sekundär eingetragen worden, zumal die Ortsangabe in V.6 reichlich überladen wirkt.
Das Wachstum von Jos 10 soll im Folgenden ausgehend vom zugrundeliegenden Grundtext, der auf unterschiedlichen Traditionen beruht, und den skizzierten Beobachtungen nachgezeichnet werden. Da viele sprachliche und formale Varianten innerhalb von Jos 10 auch textkritisch umstritten sind, soll vor allem der gut bezeugte MT literarhistorisch erklärt werden. Nur in wenigen Fällen wird auf die altgriechische Tradition verwiesen, die offenbar noch einen anderen hebräischen Text gekannt hat: 1)
Heldenerzählung: Der Grundtext einer Heldenerzählung besteht aus allen drei Teilen von Jos 10: Gibeon-, Makkeda- und Feldzugserzählung. Ob die zugrundeliegenden Traditionen unabhängig voneinander umliefen und erst hier miteinander verbunden worden sind, ist durchaus möglich, soll hier aber nicht entschieden werden. Bei diesem Grundtext handelt es sich um eine profane Heldenerzählung, die noch ohne die Hilfe Gottes auskommt. Demnach gehören die theologischen Übermalungen nicht zur ursprünglichen Erzählung. Viele Abgrenzungen dieses Grundtextes sind vor dem Hintergrund der obigen Beobachtungen selbsterklärend. Insgesamt sollen daher nur die schwierigen Dinge erklärt werden. V.1 beginnt mit dem gliedernden Idiom wayehî kišmoaʿ, das die Erzählung an Jos 5–6 und
5. Eigener Ansatz
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Jos 9 anbindet und vermutlich redaktionell ist. Darüber hinaus sind in V.1 zwei kî-Sätze zu finden, wobei nur der zweite zur ursprünglichen Tradition gehört haben kann, da die Ai-Tradition, die auf Jos 7–8 referiert, erst später dazugekommen sein kann als die Erzähleröffnung, die eine Verbindung zu Jos 5–6 herstellt. Die Ai-Tradition in V.2 ist ebenfalls sekundär eingetragen worden. Somit ist nur der zweite kî-Satz in der ursprünglichen Tradition zu verorten, der hier entweder affirmativ oder besser noch temporal wiederzugeben ist. Als somit die Gibeoniter mit den Israeliten ein Bündnis schlossen, fürchtete man sich vor dieser neuen Koalition. Als Folge ihrer gut begründeten Furcht zogen nicht näher bestimmte Amoriterkönige gegen Gibeon. Auf das Hilfegesuch Gibeons reagierte Josua, indem er mit dem Heer aus dem noch nicht näher verorteten Lager aufbricht und den Feinden eine schwere Niederlage beibringt, wobei er sich der Unterstützung der beiden Astralgottheiten Sonne und Mond erfreut, die durch ihr Versperren der Fluchtwege im Osten und Westen den Feind auf dem Schlachtfeld der Vernichtung preisgeben. Dieser Eingriff der Astralgottheiten ist später im redaktionellen Autorenkommentar mit einer Verlängerung des Tages gründlich missverstanden worden. Danach folgt die Flucht der Könige und deren Versteck in einer noch ortlosen Höhle, die zunächst verschlossen wird, damit man die Verfolgung abschließen konnte. Mithilfe des Demonstrativpronomens hāʾellæh in V.16 konnten die Könige mit dem vorausgegangenen Erzählfaden verbunden werden. Auf diese Weise wird das Einzelschicksal „dieser“ Könige auch von dem Ergehen der „Gesamtheit dieser Könige“ in V.42 abgehoben, was somit die Könige beim südlichen Eroberungsfeldzug einschließt. Die Formulierung NKY makkāh gedôlāh in V.10 und V.20 zeigt darüber hinaus, dass der erste Teil von V.20 mit der vollkommenen Vernichtung zum Grundtext gehören muss. Danach werden die Könige aus der Höhle geholt, vom Volk gedemütigt und schließlich von Josua getötet. Die Doppelung der Demütigung ist im Grundtext somit noch nicht zu finden. Erst eine spätere dtr. Redaktion verschärft die Situation für die gefangenen Feinde. Bereits im Grundtext wird wohl schon in V.18 das Motiv der Steine eingeführt, das dann in V.11 (Hagelsteine) und V.27 (Grabsteine) sekundär eine andere Bedeutung erhält. Danach werden die Städte Libna, Lachisch, Eglon, Hebron und Debir ziemlich stereotyp erobert. Ob der Zusatz lefî ḥæræb „mit der Schärfe des Schwertes“ bereits in der ursprünglichen Tradition stand, ist fraglich. Eine Zuordnung zur dtr. Redaktion ist zumindest nicht ausgeschlossen, auch wenn im vorliegenden Entwurf lefî ḥæræb noch zum Grundtext gerechnet wird. Die immer wieder kritisierte Einschaltung des Königs von Geser in V.33 kann durchaus zur ursprünglichen Tradition gehört haben, da es keinen Grund gibt, V.33 zu streichen. Mit 42a wird die Heldenerzählung abgeschlossen, die vor allem Josua in den Blick nimmt. Erst bei der Verfolgung der Feinde werden allmählich auch die
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Israeliten einbezogen. In dieser Heldenerzählung wird auf die Hilfe von YHWH noch verzichtet. Deshalb fehlt auch 42b in der ursprünglichen Tradition. Dtr. Überarbeitung: Von einer dtr. Redaktion wird nun der Schwerpunkt von Josua weggenommen und die Hilfe Gottes besonders betont. Diese dtr. Überarbeitung integriert unterschiedliche Dinge und wirkt sehr disparat. Trotzdem gibt es keinen Grund, unterschiedliche Hände anzunehmen, da die redaktionellen Ergänzungen keine Widersprüche aufweisen und nicht sprachlich voneinander differenziert werden können. Diese Redaktion ist zudem für die Anbindung der Eroberungserzählungen Jos 9–11 an die Jerichoerzählung verantwortlich, was auch die Einleitung mit dem Idiom wayehî kišmoaʿ gezeigt hat. Außerdem beschränkt diese Einleitung die Zahl der Amoriterkönige in Anlehnung an die eroberten fünf Städte des südlichen Feldzugs auf fünf und übernimmt hierfür die Ortsnamen aus Jos 12,10–12. Außerdem führt die Redaktion den Jerusalemer König Adonizedek als Haupträtselführer ein, der sich in Analogie zum bereits vorliegenden Hilfegesuch der Gibeoniter in V.6 auf ähnliche Weise an vier weitere Könige wendet. Die negative Zeichnung von Jerusalem weist ebenfalls nicht auf die vorexilische Zeit, als Jerusalem der zentrale Kultort war, sondern eher auf die (nach)exilische Zeit. Diese Beobachtung legt somit nahe, dass die Verortung der Könige nicht zur ältesten Tradition gezählt werden kann. Dadurch, dass in der dtr. Redaktion bereits fünf Könige in V.3 und V.5 genannt werden, kann sich das syntaktisch sperrige wayyîrʾû der Grundschicht in V.2 auf die folgenden Könige beziehen, sodass der schwierige Übergang von Adonizedek in V.1 zum Plural in V.2 zwar hart, aber trotzdem verständlich ist. Der bereits vorgefundene kî-Satz in V.1 wird nun als Objektsatz des Hörens Adonizedeks verstanden. Auf diese dtr. Redaktion gehen darüber hinaus der Aufruf Adonizedeks in V.3–4 (außer „und mit den Söhnen Israel“) und die Einschreibung der fünf Amoriterkönige in V.5 zurück. In V.5 sollte besonders betont werden, wer alles zu dieser feindlichen Koalition gehört hat. Es handelt sich um alle Könige, die Adonizedek angesprochen hat. Die Feindschaft gegenüber Israel ist somit allumfassend und daher besonders gefährlich. Damit sichergestellt wird, dass es genau diese fünf Amoriterkönige sind, wird das Numeral „fünf“ nicht nur in V.5, sondern auch in V.16 und V.22 nachträglich ergänzt. Da die dtr. Redaktion vor allem das Engagement YHWHs besonders betonen möchte, sind außerdem die verspätete Ermutigungsformel in V.8, die vorgeschaltete, von YHWH ausgelöste Panik in 10aα, das Hagelwunder in 11a (ohne wayyāmutû) und die lange Ergänzung zur Redeeinleitung in V.12 auf diese Überarbeitung zurückzuführen, wobei am Schluss der Einschreibung noch einmal auf die Rede Josuas hingewiesen wird. Das Thema der Flucht, das bereits im Grundtext in V.16 angesprochen wurde,
5. Eigener Ansatz
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dient in V.11 zusammen mit den Steinen aus V.18 zur Einfügung des Hagelwunders. Vielleicht hat die altgriechische Übersetzung in V.11 noch einen ursprünglichen Überschuss dieser Redaktion bewahrt. In V.11 ist jedenfalls fleißig gearbeitet worden, was die unterschiedlichen Versionen dokumentieren. Vermutlich ist auch das Adjektiv gedolôt in V.11 eine angleichende Glosse, die erst spät in den MT eingedrungen ist. Schließlich stammt von dieser Redaktion unmittelbar nach der Zitatformel der Autorenkommentar in 13b–14. Dass auch hier gearbeitet wurde, zeigt der Umstand, dass die Zitatformel bisweilen in den alten Versionen fehlt. Außerdem wurden beim Autorenkommentar ähnliche sprachliche Ausdrücke wie in V.19 verwendet, was zeigt, dass V.19 insgesamt wohl auch zur dtr. Ergänzung gehört. Dort ist nun nicht mehr Josua der Alleinverantwortliche, sondern die Verfolgung wird nun an die Israeliten ebenfalls delegiert, was wiederum in Spannung zum früheren V.20 steht, wo ursprünglich nur Josua genannt wird. In V.19 wurde zudem die Übereignungsformel ergänzt. Da die Orte der fünf Amoriterkönige sich zudem teils mit den Orten vom südlichen Eroberungsfeldzug überschnitten haben, musste jetzt in V.20 nachgetragen werden, dass sich trotz des umfassenden Sieges über die fünf Amoriterkönige ein Rest in die Städte zurückziehen konnte. Dies war schon aufgrund der Doppeldeutigkeit von KLY möglich. Die Ausführung in V.23 ist darüber hinaus eigentlich unnötig und textkritisch überdies umstritten, sodass es sich auch hier um eine redaktionelle Ergänzung handeln wird. Auf dtr. Ergänzungsarbeit gehen zudem die nachträgliche Ermutigungsformel in V.25 sowie die zweite Form der Demütigung des getöteten Feindes durch Pfählung in V.26–27 zurück, die an Dtn 21,22–23 erinnert. Im Rahmen des südlichen Eroberungsfeldzuges sind die Übereignungsformel (V.30.32), die Vergleichsformel (V.30.32.35.37.39), die Entronnenenformel (V.30.33.37.39), die Vernichtung beziehungsweise der Bann der Gesamtheit des Lebens (V.30.32.35.37.39) dtr. Ergänzungen, die aber nicht immer in formal gleicher Abfolge zum Grundtext ergänzt wurden. Entweder ist diese Unordnung im Laufe der Textüberlieferung entstanden oder der Redaktor hat bewusst abgewechselt. Ausgehend von der „Gesamtheit dieser Könige und ihr Land“ in V.42 wurde davor in V.40 die Erschlagung der Gesamtheit des Landes vorgeschaltet, da das in V.42 angesprochene Land noch nicht näher spezifiziert war. Außerdem wurde in V.40 noch ein Hinweis auf das Banngebot in Dtn 20,16 angeschlossen. Alles, was mit Gottes Hilfe geschah, basiert somit auf der Gesetzgebung YHWHs. Am Schluss des dtr. ergänzten Textes wird mit 42b ein Refrain zur Gibeoniterschlacht eingetragen und damit die dtr. Erzählung mustergültig abgeschlossen. Da YHWH somit für Israel kämpfte, konnte die Landeroberung erfolgreich sein.
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Makkeda-Verortung: Die Libnatradition in V.30 verbindet die Ereignisse nicht mit dem vorausgehenden Makkeda, sondern mit Jericho. Diese Beobachtung spricht deutlich dafür, dass der ursprüngliche Text die Verortung in Makkeda nicht gekannt hat. Die Makkeda-Verortung ist somit sekundär hinzugewachsen, wie im Folgenden gezeigt wird. In V.10 wird der Zielpunkt der Flucht noch um den Zusatz weʿad Maqqedāh erweitert, damit die Verortung der Höhle, in die sich die feindlichen Könige zurückziehen, in der Nähe von Makkeda überhaupt erst möglich wird. Diese bislang ortlose Höhle wird in V.16 durch den kleinen appositionellen Zusatz beMaqqedāh bei Makkeda lokalisiert. Da sich die Höhle bei Makkeda befand, musste das Heer nach der Vernichtung des Feindes wiederum dorthin zurückkehren. Da Josua zudem nach der dtr. Ergänzung die Feindverfolgung an das Heer abgetreten hatte, muss sich Josua noch in Makkeda befinden. Aus diesem Grund musste dies in 21a redaktionell nachgetragen werden. Da die ätiologische Erklärung in 27b den Ort Makkeda dringend benötigt, ist 27b ebenfalls dieser Bearbeitungsschicht zuzurechnen. Mit dem vorhandenen sprachlichen Material wird zusätzlich noch eine Eroberung Makkedas in V.28 nachgeschoben, die eigentlich vor der Episode mit der Höhle hätte stattfinden müssen. Stattdessen wird aber die Einnahme von Makkeda erst im Zusammenhang der Eroberung der südlichen Städte nachgetragen, wo folglich die Fünfzahl der eroberten Orte auf sechs erhöht wird. Auch mimMaqqedāh in V.29 geht auf diese Bearbeitungsschicht zurück. Auf diesen Ausgangspunkt des Feldzugs konnte im Grundtext hingegen verzichtet werden. Redaktion der benê Yiśrāʾel: Derartige ausgleichende Einträge lassen sich ausweislich der abweichenden Formulierung benê Yiśrāʾel bestimmen. Wie schon in Jos 9 hat eine Redaktion auch in Jos 10 die benê Yiśrāʾel in V.4.12.20 als Handlungsträger dem Heerführer Josua an die Seite gestellt. Demnach liegt der Fokus nicht mehr nur auf Josua, sondern auf den benê Yiśrāʾel. Zwei weitere Ergänzungen erläutern zudem zusätzliche Dinge, die erklärungsbedürftig waren. In V.11 wird betont, dass mehr Feinde durch die Steine umkamen als durch das Schwert der benê Yiśrāʾel. Dementsprechend wird die Aktivität YHWHs in ein Verhältnis zum menschlichen Beitrag an der siegreichen Schlacht gesetzt. Es war eben nicht nur Gott, der die Schlacht geschlagen und gewonnen hat, sondern auch die benê Yiśrāʾel. In V.21 wird die Präpositionalverbindung bešālôm durch einen zusätzlichen Satz erklärt. Demnach war entweder die Rückkehr des Heeres friedlich verlaufen oder noch kein dauerhafter Friedenszustand erreicht. Dtr. Glossen: Kleinere dtr. Zusätze sind an verschiedenen Stellen in Jos 10 eingetragen worden. In V.1 und V.2 hat man die Ai-Tradition, die im Textverlauf des entstehenden Josuabuches ursprünglich noch fehlte, nachgetragen. Denn die Libnatradition in V.30 verbindet die Ereignisse
5. Eigener Ansatz
6)
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nicht mit Makkeda oder Ai, sondern mit Jericho. Dies ist ein starkes Argument dafür, dass die Ai-Tradition in Jos 7–8 zunächst nicht im Josuabuch stand. Vielleicht hat die Analogie des Schicksals der fünf feindlichen Amoriterkönige zum König von Ai nach Jos 8,29 (Pfählung und Grabsteine) diese Nachträge motiviert. Auf diese Weise entstand der erste kîSatz in V.1 und der kî-Satz in V.2, der das folgende wekål ʾanāšæ̂hā gibborîm syntaktisch an den Rand gedrängt hat. Auch die Zuschreibung der Amoriter zum Gebirge in V.6, was gegen die Verortung der einzelnen Städte in V.3 und V.5 spricht, ist vermutlich eine dtr. Glosse, die Dtn 1,7.19.44 berücksichtigt. In V.24 könnten aufgrund der Ausdrucksweise ʾîš Yiśrāʾel „Mannschaft Israels“ und der ungelenken und spät zu datierenden Formulierung der Beschreibung der Offiziere (qeṣînê ʾanšê hammilḥāmāh hæhālekûʾ ʾittô) ebenfalls zwei dtr. Glossen vorliegen, die den Befehl Josuas auf eine kleinere Gruppe applizierten. Durch diese Glossierung wird das ungenannte Subjekt von wayyoʾmær mit Josua spezifiziert und der Aufruf auf einen kleinen Teil des Heeres eingeschränkt. Darüber hinaus wird in V.40 noch die verschärfende Glosse „Die Gesamtheit an Atem bannte er“ eingetragen, wodurch die Bannweihe auf alles Leben ausgedehnt wird. Die Erweiterung der Landeroberung in V.41 gegenüber von V.40 wird zudem mit wayyakkem Yehôšuaʿ angeschlossen, wobei hier der Redaktor den Beginn von V.40 nachahmt. Auch hierbei könnte es sich um eine Glossierung handeln. Gilgal-Verortung: Ohne Rücksicht auf die Lokalisierung eines Lagers in Makkeda hat eine späte Glossierung jeweils hinter dem Satz kî YHWH nilḥām leYiśrāʾel die Rückkehr ins Lager von Gilgal nachgetragen (V.15 und V.43). Die übrigen Erwähnungen von Gilgal in V.6, V.7 und V.9 werden ebenfalls sekundär sein, zumal sie syntaktisch und inhaltlich nicht erforderlich sind und eher zusätzliche Probleme erzeugen. Mithilfe der GilgalVerortung wird die besondere Leistung Josuas noch zusätzlich unterstrichen, da Josua und die Gesamtheit Israels immer wieder vom Lager in Gilgal aufbrechen und dorthin nach erfüllter Mission zurückkehren. Die zurückzulegenden großen Distanzen zwischen dem Lager in Gilgal und den jeweiligen Einsatzorten des Heeres werden von dieser Glossierung offenbar ohne Probleme in Kauf genommen.
Insgesamt hat sich bei der zusammenführenden Analyse der literarkritischen und redaktionsgeschichtlichen Beobachtungen gezeigt, dass sich mithilfe von textkritischen und sprachlichen Argumenten das Wachstum von Jos 10 plausibel nachvollziehen lässt. Die literarhistorische Einordnung hat freilich auch Konsequenzen für eine historische Auswertung der Erzählung, wie im Folgenden zu zeigen ist.
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6. Historische Auswertung Im Folgenden sollen die bislang erwogenen historischen Rekonstruktionen der drei Abschnitte vorgestellt und kritisch bewertet werden. Dass derartige Verortungen vor dem Hintergrund der hier vorgelegten Literargeschichte nicht ohne Probleme sind, muss nicht näher ausgeführt werden. Bisweilen wird vermutet, dass sich Jos 9–10 polemisch gegen Juda, Jerusalem und das Tempelpersonal wendet. Denn unter den dortigen Bediensteten befinden sich Nicht-Israeliten wie die Gibeoniter, die ihre Position am Tempel durch Betrug und einem Eid der Vorsteher erschlichen haben (Jos 9,15.18). Außerdem wird mit dem König von Jerusalem der Anführer der feindlichen Koalition besiegt und getötet, während die Stadt nicht zerstört wurde.892 Insofern läge hier eine Polemik gegen Jerusalem und die dort herrschende Elite vor. Ob man allerdings eine derartige Verortung des in Jos 9–10 ausgetragenen Konflikts annehmen darf, ist fraglich, zumal sich diese Auseinandersetzung zeitlich nicht näher einordnen lässt. Es könnten sich hier frühe vorexilische oder auch späte nachexilische Differenzen zwischen Teilen Israels/Judas und Jerusalem niedergeschlagen haben, ohne dass man diese Konflikte näher bestimmen kann. Es hat zudem den Anschein, dass die Eroberungserzählungen in Jos 10–11 relativ späte Nachträge sind, auch wenn sie vereinzelt auf alte Erinnerungen wie das Sonnenwunder bei Gibeon beruhen. Da es sich bei Jos 10–11 eigentlich um Verteidigungskriege handelt, hebt sich dieser Abschnitt von der eigentlichen Landeroberung ab. In Jos 10–11 geht es folglich nicht mehr nur um die Landnahme, sondern auch die Verteidigung der eigenen Ansprüche auf das Verheißungsland. Dies weist auf eine spätere Tendenz, die die Landnahme legitimieren möchte und dem kriegerischen rücksichtslosen Bild einer vollständigen Eroberung gegenübergestellt wird. Auch die Anordnung der Könige in Jos 10–11 unterscheidet sich merklich von der abschließenden Königsliste in Jos 12, was entweder den Nachtragscharakter zusätzlich unterstreichen könnte893 oder auf ursprüngliche Tradition zurückgeführt werden müsste. Schon vor diesem Hintergrund ist eine historische Auswertung von Jos 10 schwierig, da man hier nicht notwendigerweise auf alte Traditionen treffen muss, auch wenn dies freilich nicht ausgeschlossen ist. Der Endtext von Jos 10 besteht zumindest aus drei Erzählungen, die vermutlich nicht seit jeher zusammengehört haben. Somit muss man nicht nach einem historischen Haftpunkt für alle drei Erzählungen suchen. Dementsprechend muss die gewonnene Schlacht bei Gibeon nicht der Auftakt für den südlichen Eroberungszug gewesen sein, zumal die Gibeonerzählung eher mit Jos 9 als
892 893
Vgl. zu dieser Rekonstruktion DOZEMAN 2015, 448. Vgl. zu dieser Einordnung KRATZ 2000, 209.
6. Historische Auswertung
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mit dem Nachfolgenden verbunden ist.894 Auch die Makkedaerzählung muss nicht auf einer Linie mit der Gibeonerzählung oder dem Nachfolgenden liegen, zumal die Einbindung in beide Erzählungen über das redaktionell eingefügte Stichwort Makkeda erfolgt ist (V.10 und V.28–29). Im Folgenden soll versucht werden, die drei Erzählungen unabhängig voneinander historisch zu verorten beziehungsweise die bisherigen Vorschläge hierzu kritisch zu evaluieren. Eine unabhängige Betrachtung ist schon deshalb möglich, da die dem Grundtext zugrundeliegenden Traditionen zunächst für sich bestanden haben können, wobei aber die Makkedaerzählung noch ortlos gewesen ist. Möglicherweise ist ausweislich der genannten Toponyme eine ältere Tradition der Gibeonerzählung zu greifen. Da nämlich der Ort Jarmut in V.28–39 nicht mehr erwähnt wird, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Jarmut in V.3 und 5 ursprünglich ist, da sich sonst die Erwähnung dieses Ortes eigentlich erübrigt. Die drei Orte Hebron, Lachisch und Eglon gehörten hingegen zunächst zum Feldzugsbericht von V.28–39, während Jerusalem mit der Adonizedektradition des Richterbuchs zusammenhängt.895 Insofern könnte die ursprüngliche Auseinandersetzung vor allem mit Jarmut geführt worden sein. Dementsprechend ging der kriegerische Konflikt historisch vielleicht von Jarmut und damit von der nördlichen Schefela aus.896 Bei Gibeon seien schließlich die beiden Heere aufeinandergetroffen. Der Fluchtweg des feindlichen Heeres führte darüber hinaus wiederum in die Schefela. Dies könnte somit der historische Kern der Gibeonerzählung sein, auch wenn eine zeitliche Einordnung des Konfliktes schwierig ist. Allerding setzt diese Deutung voraus, dass es bereits in der ursprünglichen Tradition um die in V.3 und V.5 genannten Könige ging, was aber nicht sicher ist. Fraglich ist zudem, ob es überhaupt eine Schlacht bei Gibeon gegeben hat oder ob nicht diese Erzählung erst aus dem poetischen Liedfragment herausgesponnen wurde.897 Dann wären die Daten für eine historische Verortung noch schwieriger einzuordnen. Immer wieder wird vermutet, dass der ursprüngliche Kern der Gibeonerzählung ein Konflikt zwischen Gibeon und Jerusalem gewesen sei, bei dem die Israeliten schließlich erfolgreich eingegriffen haben.898 Allerdings müsste dann V.3 und V.5 zur ursprünglichen Tradition gehört haben, was aber nicht sicher ist. Bisweilen wird demgegenüber auch ein Konflikt lediglich zwischen den Israeliten und den Gibeonitern als ursprüngliche Tradition vermutet.899 Hierfür müsste man aber massiv in den Text eingreifen, sodass auch diese Verortung eher unwahrscheinlich ist. 894
Vgl. MÖHLENBRINK 1938, 265. Zu den eroberten Städten vgl. MERLING 1996, 123–139. Vgl. hierzu auch RÖSEL 1976, 505f. 896 Vgl. RÖSEL 2011, 162f. Für LEVIN 2012, 362 sind die beiden Städte Jarmut und Eglon ebenfalls schwer verständlich. 897 Vgl. auch DUS 1960, 360. 898 Vgl. hierzu KNAUF 2010b, 506. 899 Vgl. WEIMAR 1976, 56–59. 895
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Möglicherweise geht die ursprüngliche Erzählung der Schlacht bei Gibeon von einer Konfrontation der Israeliten mit nicht näher bezeichneten feindlichen Königen aus.900 Hierfür könnte die Beobachtung sprechen, dass einige Erzählungen von Schlachten, die unter Samuel bis David geschlagen werden, tatsächlich in der Gegend von Gibeon, Ajalon und Bet-Horon spielen.901 Darüber hinaus wäre schließlich denkbar, dass sich die feindlichen Könige nur bei Gibeon gelagert hätten und es in der ursprünglichen Tradition darum gegangen wäre, dass die feindliche Koalition gegen die Israeliten vorgehen wollte. Dann wäre das Bündnis Gibeons mit den Israeliten aufgrund der ursprünglichen Verortung der Schlacht bei Gibeon erst sekundär ergänzt worden.902 Allerdings lässt bereits der ursprüngliche Grundtext hinter Jos 9–10 erkennen, dass das Bündnis mit Gibeon der Auslöser für die Konfrontation gewesen ist. Oft wird davon ausgegangen, dass Josua mit der Gibeonerzählung unmittelbar verbunden ist und aus diesem Erzählkomplex nicht herausgelöst werden könne. Josua sei hier ein charismatischer Heerführer gewesen, der nur eine kleine Gruppe hinter sich vereinen konnte. Dementsprechend könnte es sich um eine Konfrontation zwischen Kanaanäern und Israeliten handeln, zu der Josua mit dem Heerbann Efraims von Norden hinzukam.903 Allerdings liegt in Jos 10 eigentlich keine wirkliche Heldensage, sondern eher ein Schlachtenbericht vor, was eine ursprüngliche Verbindung Josuas mit dieser Tradition doch zweifelhaft erscheinen lässt.904 Außerdem ist Jos 10 vor allem an Benjamin interessiert. Dementsprechend müsste man davon ausgehen, dass ein benjaminitischer Held sekundär durch den Efraimiten Josua ersetzt worden wäre.905 Die Tradition von einer Schlacht bei Gibeon könnte in das 10. Jahrhundert v. Chr. verweisen, als es zwischen den beiden Städten Gibeon und Jerusalem Konflikte um die Verkehrsverbindung zwischen der Küste und dem Ostjordanland gegeben hat. Vielleicht spiegeln sich hier Auseinandersetzungen zwischen dem mit Gibeon verbündeten Haus Saul und dem Haus David wider.906 Aber 900
Vgl. LANGLOIS 2011, 235. KANG 1989, 153 weist auf 1Sam 7,1–12 (Mizpa), 1Sam 14 (Michmas und Geba), 2Sam 5,17–25 (Gibeon) hin, wobei diese Schlachtschilderungen die Elemente eines Heiligen Krieges enthalten. 902 Vgl. LATVUS 1998a, 112–114. Auch KRATZ 2000, 209 scheint davon auszugehen, dass erst durch Jos 9 mit dem Bundesschluss der Schauplatz der Schlacht mit den amoritischen Königen in ein besonderes Verhältnis zu Israel gesetzt wurde. 903 Vgl. ALT 1953b, 187f. Ähnlich auch DE VAUX 1978, 631. Kritisch NOTH 1971a, 61. 904 Vgl. hierzu MÖHLENBRINK 1938, 264. 905 Vgl. NOTH 1971a, 61. Die Erzählung von der Flucht des feindlichen Heeres ist zumindest in V.10–14 auf das Stammesgebiet von Benjamin bezogen. Mit Gottes Hilfe wird hier ein Feind, der die Stadt Gibeon bedroht hat, nach Süden abgedrängt, vgl. LEONARD-FLECKMAN 2017, 396f. 906 Vgl. zu dieser historischen Rekonstruktion KNAUF 2010b, 132. HAMIEL 2009, 167– 196 geht davon aus, dass Jos 10,1–15 auf der Erzählung der Philisterkriege Sauls in 1Sam 13–14 basiert. 901
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auch diese Deutung setzt voraus, dass die Königsliste in V.3 und V.5 zur ursprünglichen Tradition gehört. Möglicherweise beschreibt zudem das „Buch Yaschar“ Aufstieg und Fall des Königs Saul. Dann wäre das Wunder von Sonne und Mond mit Sauls Auseinandersetzung mit den Gibeonitern zu verbinden.907 Erst nachträglich wäre dieses Liedfragment dann auf Josua bezogen worden. Dann wäre die Gibeontradition unabhängig von der Fehde zwischen den Sauliden und Davididen gewesen. Vielleicht liegt der historische Haftpunkt für die Schlacht bei Gibeon aber auch in den Philisterkriegen Davids, als David die Philister in einem Überraschungsangriff in einem Tal vernichtend schlug (1Chr 14,13–16). Dieser frühe Sieg reicht von Geba beziehungsweise Gibeon bis nach Geser. Dementsprechend reflektiere Jos 10 die Auseinandersetzungen von David mit der philistäischen Pentapolis, was wiederum die fünf Könige der Amoriter erklären könnte. Auch der Hinweis auf das „Buch Yaschar“ in V.13 mag auf die Tradition der Philisterkriege Davids zurückgehen, da in 2Sam 1,18 ebenfalls auf dieses „Buch Yaschar“ verwiesen wird.908 Allerdings ist in 1Chr 14,13-LXX und in der Paralleltradition 2Sam 5,22 vom Tal Refaim die Rede, sodass der Bezug dieser Erzählung zu Gibeon nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Aus alledem folgt, dass die historische Verortung der Gibeontradition bislang nicht gelungen ist. Hierfür bieten sich die unterschiedlichsten Szenarien aus der vor- und frühstaatlichen Zeit an, die aber lediglich einen hypothetischen Hintergrund für die in Jos 10 verwendete Tradition bilden können. Fraglich ist auch das vermutete hohe Alter der Gibeontradition. Auch hier kommt man über Spekulationen kaum noch hinaus. Ähnliche Probleme ergeben sich bei der Makkedaerzählung, die ebenfalls kaum als historisch zu bewerten ist. Es handelt sich zumindest im Endtext formal um eine Ätiologie, die eine besondere Höhle und einen Steinhaufen bei Makkeda mit den Ereignissen der Landnahme verbinden will. Allerdings ist diese Tradition kaum unabhängig von den übrigen Texten in Jos 10 entstanden, da die sprachlichen und inhaltlichen Verbindungslinien zum umgebenden Kontext relativ stark sind. Hinzu kommt, dass auch das ätiologische Ziel nicht eindeutig formuliert ist, da mit dieser Ätiologie zum einen die Steine vor der Höhle oder zum anderen die Bäume erklärt werden könnten.909 Wenn zudem die Verortung in Makkeda erst sekundär hinzugetreten ist, verbleibt nur noch der Erzählzug vom Versteck der feindlichen Könige in einer nicht näher bestimmten Höhle und deren Hinrichtung. Diese Ereignisse mögen in der Schefela zu verorten sein, auch wenn dies nicht sicher ist. 907
Vgl. FARBER 2017, 117f. Vgl. NAʾAMAN 1994, 253f. 909 Außerdem ist in dieser Erzählung das auch außerbiblisch belegte Motiv der Flucht der Feinde an zunächst unerreichbare Orte aufgenommen worden, vgl. YOUNGER 1990, 220– 222; RÖSEL 2011, 163. 908
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Die Makkedaerzählung könnte vielleicht auf den dritten Feldzug Sanheribs im Jahr 701 v. Chr. anspielen, als die Schefela vom assyrischen Heer verwüstet wurde und die judäische Elite zur Bestrafung gepfählt wurde. Möglicherweise spiegelt die Erzählung in V.16–27 ein derartiges Schauspiel in der Nähe von Makkeda wider.910 Allerdings benötigt diese Erzählung den Sieg über die fünf feindlichen Könige, sodass diese Tradition nicht ohne die Gibeonerzählung auskommt.911 Auch die Verortung des Spektakels in Makkeda ist nach obiger literarhistorischer Einordnung der Makkedaerzählung zweifelhaft. Insofern kann auch über den historischen Kontext der Makkedaerzählung kaum noch etwas gesagt werden. Allerdings könnte die Darstellungsweise, die die dtr. Überarbeitung des Grundtextes einbringt, Erfahrungen mit der assyrischen Gewaltherrschaft widerspiegeln.912 Auch die historische Einordnung der Erzählung des südlichen Feldzuges ist schwierig. Bisweilen wird angenommen, dass der biblische Autor in der Darstellung des südlichen Eroberungszuges stilistisch auf Kriegserzählungen zurückgegriffen hat, wie diese im Vorderen Orient auch sonst belegt sind. Zu diesen formalen Ähnlichkeiten gehören die Verwendung von Itineraren, redundante Wiederholungen, der Verweis auf die vollständige Zerstörung sowie zusammenfassende Bemerkungen.913 Dementsprechend könnte man durch die gezielte Übernahme von traditionellen Stilelementen derartige außerbiblische Vorlagen durchaus nachgeahmt haben. Zumindest eine Grundform vom südlichen Eroberungsfeldzug wird gerne mit einem Joschijanischen, vorexilischen Erzählzusammenhang gedeutet, der in das 7. Jahrhundert v. Chr. weist.914 Formal werden bei dieser Erzählung immer wieder dieselben Elemente verwendet, auch wenn diese nicht immer auftauchen.915 Diese Formelemente lassen sich aber nur bedingt historisch verorten. Denn die Landeroberung im Josuabuch in Jos 1–11 lässt sich mit den unterschiedlichsten Texten vergleichen. Bisweilen werden hierfür die Annalen von Thutmose III. herangezogen, wo längere Eroberungsberichte neben kurzen
910
Vgl. zu dieser literarhistorischen Verortung NAʾAMAN 1994, 254; GASS 2013, 109. Vgl. GERMANY 2017, 428. 912 Vgl. hierzu allgemein ELSSNER 2019, 51: „Bezüglich der Kriegführung sind im Buch Josua eigene, durchaus auch recht schmerzliche Erfahrungen der Judäer mit den assyrischen Kriegsheeren verarbeitet worden“. 913 Vgl. YOUNGER 1990, 226–228.251–253. 914 Vgl. hierzu auch WILSON 2013, 313f. 915 Vgl. HOFFMEIER 1994, 168, der von elf Syntagmen ausgeht, die er in sieben Episoden nachweist, wobei er hierbei auch noch die Eroberung von Hazor in Jos 11,10–14 dazu zählt. Auch HALL 2010, 179f. zählt elf Formelemente. YOUNGER 1995, 256–259; YOUNGER 2008, 17–21 vermutet demgegenüber zehn rekurrierende Strukturelemente. EDERER 2017, 175f. geht sogar nur von neun Elementen aus. 911
6. Historische Auswertung
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tagebuchartigen Notizen stehen und schließlich Zusammenfassungen folgen.916 Ob allerdings derartige formale Parallelen darauf schließen lassen, dass die biblischen Autoren die ägyptische Tradition des Tagebuchstils verwendet haben, um militärische Eroberungen zu beschreiben, ist fraglich.917 Denn auch in der assyrischen Tradition werden immer wieder ausführliche Eroberungen der wichtigen Städte mit kurzen Zusammenfassungen zusammengestellt.918 Darüber hinaus spiegelt sich in den Eroberungserzählungen auch assyrische Sprache und Ideologie wider.919 Die südliche Landeroberung steht folglich in einem breiten außerbiblischen Kontext, was die historische Verortung nicht erleichtert. Neben dem Alter der zugrundeliegenden Tradition stellt sich die Frage, ob V.29–40* der Abschluss einer vor-dtr. Landnahmeerzählung ist, da hier noch nicht dtr. oder priesterliche Idiome zu finden seien.920 Vor diesem Hintergrund wäre dann durchaus ein vorexilischer Erzählzusammenhang möglich. Diese Erzählung wäre dann ausweislich der verwendeten Toponyme mit dem Kleinstaat Juda zu verbinden und später als der Untergang des Nordreichs zu datieren.921 Allerdings müsste man hierfür die dtr. Ausdrucke bei der Ausgestaltung des Feldzugsberichts allesamt streichen. Da beim Bericht vom südlichen Feldzug nach Abzug der formelhaften Elemente nur ein schmales Gerippe von sechs Ortsnamen übrigbleibt, ist es zweifelhaft, ob es sich hierbei um eine historische Erinnerung einer tatsächlichen Eroberung handelt.922 Vielmehr hat man wohl eher einen Feldzug um eine vorliegende Ortsliste herumgelegt, die aus unterschiedlichsten Kontexten stammen könnte. Lediglich die beiden Toponyme Hebron und Debir sind bei dieser 916 Vgl. HOFFMEIER 1994, 169–176; MERLING 1996, 192. Zu dieser Kombination von langen Erzählungen mit detaillierten Berichten über die wichtigsten Feldzüge und kurzen Berichten über weniger wichtige Schlachten in stereotyper Sprache vgl. YU 2012, 585. Nach JERICKE 1997, 296 ist Jos 10,28–39 im Stil eines annalenartigen, stereotypen Berichtes gehalten. 917 Optimistisch hingegen HOFFMEIER 1994, 176. 918 Vgl. VAN SETERS 1990, 7. 919 Vgl. OTTOSSON 1991, 88; HENTSCHEL 2004, 151. 920 Anders schon WELLHAUSEN 1963, 136, der den Abschnitt V.28–43 aufgrund der Idiomatik und des Inhalts dem Dtr. zuweist. 921 Vgl. GERMANY 2019b, 321. 922 Nach WRIGHT 1946, 109–113 sei die Darstellung von der südlichen Eroberung durchaus geographisch und archäologisch plausibel, sodass wenig gegen eine historische Verwertung der geschilderten Ereignisse ins Feld geführt werden könne. RÖSEL 1992, 12f. weist darauf hin, dass das zentrale Bergland bei der Landeroberung ausgespart werde, was dafür sprechen könnte, dass die in Jos 10 verwendete Tradition aus der Endphase der Landnahmezeit oder dem Beginn der Königszeit stammen könnte. Hinzu kommt, dass in dieser Zeit Gilgal ein wichtiger Ort für das frühe Israel gewesen sei. Die Eroberung der Schefela stamme zudem aus der Phase des Landausbaus, da die Schefela nicht zum eigentlichen Kernland zähle. Ob derartige Verortungen der Eroberungstraditionen tatsächlich zuverlässig sind, ist fraglich. Nach JERICKE 1997, 296f. lässt sich keine alte Landnahmeüberlieferung herausarbeiten.
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Kapitel 2: Der südliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 10)
Aufstellung von Orten auffällig, da ihnen noch weitere Städte zugeordnet werden. Die anderen Traditionen zu Hebron (Jos 14,6–15) und Debir (Jos 15,13–17) scheinen gegenüber den Erzählungen des südlichen Feldzugs eher auf ältere Traditionen zu gründen.923 Insofern scheint in Jos 10 ein Redaktor gearbeitet zu haben, der die Eroberung dieser beiden Städte, die er aus einer anderen Tradition kannte, einem panisraelitischen Eroberungsfeldzug zuschreiben wollte.924 Immer wieder wird zudem angenommen, dass man die einzelnen Toponyme um den Ort Makkeda herumgruppiert habe,925 der aus der vorangegangenen Erzählung übernommen wurde, sodass zuerst eine Richtung von Nordwest nach Südwest (Libna, Lachisch, Eglon) und im Anschluss eine Richtung von Ost nach Südost (Hebron, Debir) um das Zentrum Makkeda eingeschlagen wurde.926 Das gilt freilich nur dann, wenn Makkeda bereits dem südlichen Feldzugbericht vorgegeben war, was aber durchaus zweifelhaft ist. Möglicherweise wird demgegenüber ein Itinerar von befestigten Städten eingetragen, das auch bei späteren Feldzügen verwendet wurde.927 Durch diesen Feldzug wurden die westlichen und südlichen Zugangswege nach Jerusalem gekappt, während zuvor die Israeliten durch das Bündnis mit den Städten um Gibeon die nördlichen Zugangswege blockierten. Demnach ist die Anordnung der Städte durchaus militärstrategisch sinnvoll. Das heißt aber nicht, dass die Liste von eroberten Städten auf eine ursprüngliche Tradition zurückgehen muss. Manchmal wird ausweislich des Eroberungszuges von Nord nach Süd angenommen, dass es historisch einen efraimitischen Vorstoß unter Josua gegeben habe.928 Allerdings wurde der Feldzugsbericht mit stereotypen Formeln gebildet, was die historische Einordnung erschwert. Die eroberten Orte könnten zudem aus Jos 12,10–24 entnommen worden sein, was ebenfalls eine historische Deutung zweifelhaft erscheinen lässt. Vielleicht spiegeln sich in den Erzählungen von der Eroberung von Libna und Lachisch spätkönigszeitliche Vorstellungen wider, zumal die Schefela 923 Vgl. hierzu NELSON 1997, 147. Nach HESS 1996a, 222f. wäre denkbar, dass der Vernichtungsfeldzug der Israeliten nicht total war, wobei er auf außerbiblische Parallelen hinweist. 924 Vgl. SOGGIN 1982, 126. Schon COOKE 1918, 94 vermutet, dass Jos 10 keine historisch akkurate Geschichtsschreibung biete, sondern eher das spätere Bild der Landnahme beschreibe, das sich schließlich durchgesetzt habe. Auch wenn Hebron und Debir von Kaleb beziehungsweise Otniel erobert worden sind, sollte in Jos 10 nach FARBER 2016, 56 offenbar betont werden, dass Josua vor der judäischen Einnahme bereits beide Städte erobert habe. 925 Nach NOTH 1971b, 292 liegen die fünf Städte in einem Kreis um Makkeda. Vgl. auch RÖSEL 1992, 11, dem zufolge diese Städte ursprünglich zur Makkedaerzählung gehört haben. 926 NOTH 1971b, 293 vermutet zudem, dass die Eroberung der fünf Städte von Jos 10,28–39 überlieferungsgeschichtlich zur Makkedaerzählung gehört. Diese fünf Städte seien zudem die Regierungssitze der fünf Könige, die in der Höhle von Makkeda begraben liegen. 927 SOGGIN 1982, 130 weist auf Sanherib (2Kön 18,13) und Nebukadnezzar (Jer 34,7) hin. 928 Vgl. GRAY 1986, 104f.
6. Historische Auswertung
269
durch den Feldzug Sanheribs für Juda verloren ging. Die Erwähnung des Königs von Geser, der Lachisch zu Hilfe eilt, könnte auf das ägyptische Eingreifen und die Schlacht bei Eltheke im Jahr 701 v. Chr. hinweisen.929 Insgesamt handelt es sich bei V.28–39 wahrscheinlich eher um eine rein literarische Bildung, die nicht historisch verstanden werden kann.930 Hier kommt man somit über Vermutungen nicht mehr hinaus. Eine historische Verortung des südlichen Eroberungsfeldzuges ist kaum möglich. Hier könnten nationalistische Tendenzen spürbar sein, die schon in vor-dtr. Zeit die Rückeroberung der hier genannten Städte propagierten.931
929
Vgl. NAʾAMAN 1994, 255f. Vgl. FRITZ 1994, 115. Auch wenn die Darstellung des südlichen Eroberungsfeldzugs literarisch erst spät entstanden ist, muss das freilich nicht bedeuten, dass hier keine historische Erinnerung vorliegen muss, vor allem dann, wenn hier ein älterer vor-dtr. Eroberungsbericht verwendet worden wäre. Die schematische Darstellung muss zudem nicht dagegensprechen, dass hier eine ältere Erzählung vorliegt. Kritisch hierzu aber NOTH 1971b, 288. Außerdem müsste erklärt werden, weshalb ein späterer Autor sich auf die Eroberung dieser wenigen Städte beschränkt und die beiden Städte Jerusalem und Jarmut im Rahmen des Feldzugs ausgespart hätte, vgl. ELLIGER 1934, 68f. 931 Vgl. auch GÖRG 1991a, 53. Nach KNAUF 2010b, 507 ist die Schefela in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts v. Chr. an Juda zurückgefallen. Auch FLEMING 2012, 136 weist darauf hin, dass die Landeroberung im Josuabuch vor allem mit judäischem Vorzeichen geschrieben wurde. 930
Kapitel 3: Der Kampf gegen Jabin von Hazor. Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11) 1. Vorbemerkungen Die kriegerischen Auseinandersetzungen im Norden werden in Jos 11 Gesamtisrael unter Josua zugeordnet und damit theologisch in die von Gott befohlene Landeroberung eingeordnet. In Jos 11 soll durch den Verweis auf einzelne Eroberungstraditionen verdeutlicht werden, dass die Landnahme mit der Hilfe Gottes vollständig vollendet wurde. An den jeweiligen Einzelerfolgen, die freilich auch den Anspruch auf das Ganze unterstreichen, wird somit exemplarisch die gesamte Landeroberung veranschaulicht.1 Wie bei der Eroberung des südlichen Verheißungslandes in Jos 10 wird auch in Jos 11 eine Auseinandersetzung mit einer Koalition von feindlichen Königen, die von einem namentlich bekannten Haupträdelsführer zusammengestellt wird, geschildert, wobei es sich wohl um die wichtigste Schlacht gehandelt hat. Nach der Entscheidungsschlacht an den Wassern von Merom werden weitere militärische Aktionen dargestellt, die den Zweck haben, den Landbesitz vermutlich dauerhaft abzusichern. Insgesamt ist Jos 11 hinsichtlich seiner Struktur ähnlich wie Jos 10 aufgebaut, was eine Verbindung der beiden Kapitel nahelegt. Auf eine erste erfolgreiche Schlacht gegen eine feindliche Koalition folgt die exemplarische Exekution von Königen und eine Beschreibung eines größeren Feldzugs, bis schließlich eine Zusammenfassung das jeweilige Kapitel abschließt.2 Auch inhaltlich gibt es einige Parallelen zwischen Jos 11 und Jos 10. Wiederum ergreift ein feindlicher König die Initiative, während sich Israel lediglich gegen diese Aggression verteidigt. Dementsprechend sind die beiden Eroberungserzählungen defensive Aktionen,3 die freilich den Landbesitz Israels erst sicherstellen. Die Darstellung von Hazor als Metropole im Norden des Verheißungslandes ist eine Parallele zum dominanten Ort Jerusalem im Süden. In
1 Zu verschiedenen Modellen, wie man mit den gewaltsamen Landeroberungen ethisch umgehen kann, vgl. DAVIES 2005, 197–222. 2 Vgl. DOZEMAN 2015, 473. Nach HAMIEL/RÖSEL 2012, 214 folgt Jos 11 ebenfalls dem Aufbau von Jos 10. 3 Vgl. hierzu STONE 1991, 33; THEUER 2020, 246. Auch nach BRUEGGEMANN 2009, 15 ist Israel in Jos 11 nicht der Aggressor.
272
Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
Jos 11 wird der Sieg ebenfalls auf das Eingreifen Gottes zurückgeführt, der ein positives Orakel für eine entscheidende Schlacht erteilt.4 Durch die inhaltlichen und formalen Ähnlichkeiten wird verdeutlicht, dass tatsächlich ein mit Jos 10 gleichwertiger Eroberungsbericht im Norden folgt.5 Mit der Zerstörung Hazors sind nach Jericho und Ai sowie dem südlichen Feldzug die wichtigsten Städte des Verheißungslandes ausgeschaltet, obschon noch Stadtstaaten wie Jerusalem und Megiddo übrig geblieben sind.6 Allerdings gibt es auch markante Unterschiede. Denn in Jos 11 wird nicht explizit erwähnt, dass sich die nördlichen Könige vor den Israeliten fürchten. Vielleicht haben die nördlichen Könige auf ihre besondere Stärke aufgrund ihrer Anzahl und ihrer technologischen Überlegenheit vertraut.7 Während im Endtext von Jos 10 die feindliche Allianz aus fünf Königen der Amoriter bestand, werden in Jos 11 vier Könige explizit genannt und darüber hinaus wird noch auf weitere Könige sowie auf die unterschiedlichsten Gruppen der Vorbevölkerung verwiesen.8 Trotz der vielen Parallelen zu Jos 10 kommt es in Jos 11 zu einer Eskalation der Ereignisse, zumal sich hier nicht nur ein Volksstamm und fünf Könige, sondern sechs Völker und zahlreiche Könige zusammenschließen, wobei in V.1 Könige und Städte, in V.2 Regionen und in V.3 Volksstämme genannt sowie in V.4 die Bedrohung durch die dreifache Nennung von rab und durch den Hinweis auf die besondere Größe der feindlichen Heeresmacht, die mit dem Sand am Meer verglichen wird, gesteigert wird.9 Insgesamt wird hier nicht nur die große Gefahr für Israel fast schon in übertreibender Weise geschildert, sondern auch die Erzählspannung erhöht sowie die Versammlung der Feindvölker als finaler Angriff gegen Israel beschrieben.10 Allerdings ist nach der Vorstellung von Jos 11 Gott viel stärker als die größte feindliche Armee.11 Während man sich in Jos 10 lediglich gegen Gibeon verbündet hat, ist nun Israel explizit das Ziel der feindlichen Aggression.12 4 Zu den Ähnlichkeiten zwischen beiden Kapiteln vgl. auch STEUERNAGEL 1901, 194f.; ROBINSON 1907, 321; COOKE 1918, 99; OTTO 1975, 93; WOUDSTRA 1981, 186f.; GRAY 1986, 112f.; KANG 1989, 160f.; OTTOSSON 1991, 89; FRITZ 1994, 119; NAʾAMAN 1994, 256f.; NELSON 1997, 151; HOWARD 1998, 262–264; HUBBARD 2009, 322f.; BLUM 2012, 154; THEUER 2020, 246. Ob allerdings die parallele Gestaltung darauf hinweist, dass Jos 11 tatsächlich von derselben Hand wie Jos 10 stammt, so BIEBERSTEIN 1995, 339, ist fraglich. 5 Der Nordfeldzug liegt somit nicht auf einer Ebene mit der stereotypen Darstellung der südlichen Eroberung in Jos 10,28–39. 6 Vgl. WRIGHT 1955, 107. 7 Vgl. YOUNGER 2008, 26f. 8 Nach YOUNGER 2008, 27 seien es sogar alle Könige, was aber nicht im MT zu finden ist, da dort der All-Quantor kol fehlt. 9 Vgl. hierzu auch HAWK 2000, 169; HALL 2010, 185. Zu einer Steigerung der Gefahr für Israel in Jos 11 vgl. EDERER 2017, 179. 10 Vgl. HAWK 2000, 169. 11 Vgl. BUTLER 2014, 513. 12 Vgl. EDERER 2017, 179.
1. Vorbemerkungen
273
Auffälligerweise ist Jos 11 nicht besonders gut mit der vorausgehenden Erzählung verbunden, da weder der Zeitpunkt, noch der Grund oder die Vorgeschichte für die Auseinandersetzung angegeben werden.13 Insofern ist fraglich, ob Jos 11 lediglich eine redaktionelle Bildung ist oder ob dieses Kapitel auf einer ursprünglichen Überlieferung beruht,14 die noch nichts mit Josua zu tun hatte, da Josua in der Erzählung relativ unvermittelt auftritt. Es fehlt zudem eine Eroberung des mittleren Verheißungslandes, da sich Jos 11 auf den Norden beschränkt und Jos 10 den Süden in den Blick nimmt.15 Darüber hinaus wird nicht erzählt, von welchem Ort Josua aufbricht und wie er nach Norden kommt.16 Insgesamt ist Jos 11 relativ schlecht an Jos 10 angebunden, sodass hier vermutlich von einer eigenständigen Erzähltradition ausgegangen werde kann. Die Beziehung von Jos 11 zur Debora-Barak-Erzählung in Ri 4–5 ist ebenfalls umstritten.17 Auf der einen Seite wird in beiden Erzählungen Jabin von Hazor als Hauptprotagonist genannt.18 Auf der anderen Seite spielt Ri 4–5 weiter südlich,19 sodass zumindest geographisch zwischen beiden Erzählungen unterschieden werden kann. Außerdem geht es in Ri 4–5 um die Eroberung der 13
Vgl. auch SOGGIN 1982, 134. Anders hingegen MÖHLENBRINK 1938, 266, dem zufolge Jos 11 lediglich eine sekundäre Parallele zu Jos 10 sei. Außerdem liege bei der Erzählung von der Schlacht an den Wassern von Merom ein Reflex auf Ri 4–5 vor. Auch nach ALT 1953b, 181 seien die Digressionen nach Sichem (Jos 8), nach Judäa (Jos 10) und nach Galiläa (Jos 11) literarisch sekundär zu den ursprünglichen Erzählungen. 15 Aus diesem Grund ist der Nordfeldzug nach KNAUF 2010b, 508 lediglich ein „beschränkter Erfolg“. 16 WOUDSTRA 1981, 191 vermutet, dass es militärische Operationen gegeben hat, die nicht im Josuabuch erzählt werden. Diese offensichtliche Lücke wird von Flavius Josephus gefüllt, indem das Heer fünf Tage unterwegs ist, vgl. BEGG 2007, 92. 17 Vgl. YADIN 1976, 3, der insgesamt vier Szenarien für die historische Verortung von Jos 11 und Ri 4–5 skizziert: a) Übernahme der biblischen Abfolge der Ereignisse, b) nur Jos 11 und Ri 5 seien historisch zuverlässig, während der Widerspruch in Ri 4 als redaktionelle Glosse zu bewerten sei, c) ausschließlich ätiologische Erklärung von Jos 11 ohne historische Verortung, d) Vertauschung der Abfolge von Jos 11 und Ri 4. Zur letzten Option vgl. auch MAISLER 1953, 83f.; AHARONI 1979, 201–203. Zu verschiedenen Möglichkeiten einer Verbindung von Jos 11 und Ri 4 vgl. auch RÖSEL 1975, 171–173; DE VAUX 1978, 657f. Nach BATTEN 1905, 34 handeln Jos 11 und Ri 4 zudem vom selben Ereignis. HAMIEL/RÖSEL 2012, 214 halten Ri 4–5 für die ursprünglichere Erzählung. 18 Nach BECKER 1990, 124 ist Jabin nur in Jos 11 fest verankert, während er in Ri 4 nur beiläufig erwähnt wird. Vermutlich um diese Spannung zu vermeiden, verzichtet Flavius Josephus auf den Namen Jabin, vgl. BEGG 2007, 90. 19 Vgl. hierzu auch DE VAUX 1978, 658; KANG 1989, 161. Zur Topographie von Ri 4–5, vgl. GASS 2017, 326–333. DE VAUX 1978, 665 weist jedoch darauf hin, dass das Toponym Merom in Ri 5,18 im Ausdruck merômê śādæh versteckt vorhanden sein könnte. RÖSEL 1975, 173 verweist zusätzlich auf das schwierige Toponym Meros in Ri 5,23. Vgl. zu den Problemen auch SOGGIN 1982, 136. 14
274
Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
Jesreelebene, was den israelitischen Stämmen erst zu einem späteren Zeitpunkt gelang. Der Naftalit Barak scheint zudem schon zur Sesshaftigkeit übergegangen zu sein, sodass Ri 4–5 nicht mehr aus der Landnahmezeit stammen kann.20 Darüber hinaus ist Sisera in Ri 4–5 der eigentliche Gegenspieler der Israeliten. Schon vor diesem Hintergrund kann Jabin von Hazor in Ri 4 nicht der ursprüngliche Gegner gewesen sein. Vermutlich wurde die Jabin-Tradition erst sekundär in Ri 4 eingetragen.21 Hinzu kommt, dass Jabin nur in Ri 4,22 nicht aber im Deboralied Ri 5 begegnet, sodass die Debora-Barak-Tradition nicht zwingend mit Jabin von Hazor assoziiert werden kann.23 Diese Schwierigkeiten wurden forschungsgeschichtlich unterschiedlich gelöst, ohne dass sich bislang ein Konsens abhebt: 1)
Vielleicht wurden in Ri 4 zwei Traditionen miteinander verbunden, nämlich zum einen die frühere Auseinandersetzung zwischen Hazor und Israel und zum anderen der spätere Konflikt mit Sisera.24 In diesen voneinander unabhängigen Erzählungen im Josua- und Richterbuch könnte sich auch die Erinnerung niedergeschlagen haben, dass Jabin von Hazor in vorstaatlicher Zeit der gefürchtetste Gegner der Israeliten gewesen wäre,25 ohne dass man diese beiden Erzählungen inhaltlich miteinander verbinden muss. Möglicherweise sollte aber auch die Nordreichstradition von einem Sieg Baraks ben Abinoam gegen Jabin von Hazor von Josua übernommen werden, um zu zeigen, dass Josua der erste und herausragende Feldherr ist, der für die Landeroberung verantwortlich zeichnet.26
2)
3)
20
Vgl. GRAY 1966, 39f. Für eine Ursprünglichkeit von Jabin in Ri 4 EISSFELDT 1955, 168. Nach FRITZ 1973, 127f. gehe Jabin in Ri 4 auf frühere mündliche Überlieferung zurück. Diese Hypothese ist aber kaum begründbar. Dagegen auch BECKER 1990, 127 Anm.17. Nach SCHOORS 1985, 79 muss Jabin redaktionell zumindest früher in Ri 4 eingetragen worden sein und auf mündlicher Tradition beruhen, da Jos 11,1–15 die Zerstörung Hazors und die Tötung des Königs behaupte. 22 Ri 4,2.7.17.23.24. 23 Vgl. auch RÖSEL 2011, 182. YOUNGER 1991, 133 weist jedoch darauf hin, dass auch bei außerbiblischen Texten, die von einem Ereignis in erzählender und poetischer Form berichten, der Gegner namentlich nur in der Prosa erwähnt wird, sodass Ri 5 mit der Nichterwähnung Jabins durchaus nicht auffällig sein muss. Nach FRITZ 1994, 119f. sei Jabin in Ri 4 zudem von Jos 11 abhängig, da eine Übernahme aus mündlicher Tradition wenig wahrscheinlich ist. 24 Vgl. GRAY 1966, 40. 25 Vgl. HERTZBERG 1985, 78. Ob hier jedoch beiden Erzählungen eine mündliche Tradition von einem legendären König Jabin von Hazor zugrunde liegt, ist eher unwahrscheinlich, vgl. GROSS 2009, 260. Nach YOUNGER 1991, 133 sind beide Könige mit demselben Namen durch verschiedene Attribute klar voneinander unterschieden, sodass es sich nicht um denselben Hauptprotagonisten handeln könne. 26 Vgl. FARBER 2016, 120, der hier von „tradition cannibalism“ spricht und auf die Eroberung von Hebron und Debir verweist, die ursprünglich nicht Josua, sondern Kaleb zugeschrieben wurde. 21
1. Vorbemerkungen
4)
275
Bisweilen wird angenommen, dass beide Erzählungen in Jos 11 und Ri 4 umgestellt werden müssen, sodass die Debora-Barak-Schlacht der Schlacht bei Merom und der Vernichtung Hazors vorausging. Die Ereignisse hätten bereits im 13. Jahrhundert v. Chr. stattgefunden. Allerdings müsste man dann die vielen Hinweise auf die Seevölker in Ri 4 aus der Erzählung streichen, da die Seevölker erst später eingewandert sind.27 Außerdem wird in Ri 4 der Vollzug der Landnahme bereits vorausgesetzt, sodass man beide Erzählungen nicht umstellen sollte. Denn in Jos 11 wird der Sieg über Jabin im Rahmen der Landnahme erzählt.28 Vielleicht ist die Jabin-Tradition von Jos 11 in Ri 4 eingedrungen. Da nämlich Hazor nach V.10 das Haupt der kanaanäischen Königreiche war, konnte der König von Hazor in Ri 4 auch zum „König von Kanaan“ werden,29 was die Spannung zwischen „König von Hazor“ und die Ausweitung zu „König von Kanaan“ in Ri 4 bestens erklärt. Wieso jedoch ein bereits getöteter König in der Debora-Barak-Erzählung wiederum auftauchen kann, ist fraglich.30
5)
Letztendlich gehen Jos 11 und Ri 4 vermutlich auf unterschiedliche Traditionen zurück. Erst sekundär wurden beide Erzählungen aufeinander bezogen, als nämlich der Feldherr Sisera zum militärischen Oberbefehlshaber von Jabin stilisiert wurde.31 Die Erzählung in Jos 11 wird ausweislich des Zeitmarkers bāʿet hahîʾ in drei Abschnitte gegliedert: V.1–9, V.10–20 und V.21–23.32 Diese zeitliche Verortung weist darauf hin, dass alle drei Abschnitte nicht chronologisch aufeinander folgen müssen, sondern überlappen können.33 Fraglich ist zudem, ob die beiden Traditionen der Schlacht an den Wassern von Merom und der Eroberung von Hazor ursprünglich zusammenhängen. Zumindest durch den Temporalmarker bāʿet hahîʾ in V.10 werden beide Erzählungen aufeinander bezogen, sodass die Eroberung von Hazor zum selben Feldzug gerechnet wird.34 Allerdings ist dies nicht die einzige Möglichkeit einer Gliederung von Jos 11. Denn die beiden Erzählungen von der Schlacht bei den Wassern von Merom V.6–9
27
Vgl. KANG 1989, 162f. Vgl. FRITZ 1973, 125. 29 Ri 4,2.23.24. Nach MALAMAT 1960, 19 liegt hier ein Rückblick vor. Dementsprechend beziehe sich diese Aussage auf die Bedeutung Hazors vor allem in der Mittelbronzezeit, was durchaus den historischen Gegebenheiten entspricht. 30 Vgl. zum Problem GROSS 2009, 264f. Nach BECKER 1990, 127 gab es einen „König von Kanaan“ zu keinem Zeitpunkt. Denn Jabin war nur der König von Hazor und ohnehin schon tot. 31 Vgl. schon ROBINSON 1907, 322. 32 Vgl. auch YOUNGER 1990, 229; PITKÄNEN 2010, 230. 33 Vgl. NELSON 1997, 151. 34 Vgl. YOUNGER 2008, 28. 28
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Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
sowie von der Eroberung Hazors in V.10–15 werden von zwei Zusammenfassungen in V.1–5 und V.16–23 gerahmt, wobei das zweite Rahmenstück vermutlich nicht aus einem Guss ist.35
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen Auch in Jos 11 gibt es einige textkritische und sprachliche Auffälligkeiten, die im Folgenden versweise besprochen werden sollen. Gerade die Unterschiede von Vetus Latina/LXX zu MT sind für die literarkritische und redaktionsgeschichtliche Analyse wichtig, da sich in den ältesten Textzeugen noch ein ursprünglicher Text bewahrt haben könnte. V.1: Anstelle von MT Yābin liest Vetus Latina den Namen Abir, was vielleicht mit LXXB Ιαβις zusammenhängt, vor allem dann, wenn hier die beiden griechischen Konsonanten ς und ρ verwechselt wurden. Insofern müssen die unterschiedlichen Namensformen nicht auf eine abweichende Form zurückgehen. Dies gilt freilich nur dann, wenn man bereits in früher Zeit von einer griechischen Überlieferung in Minuskeln ausgehen darf. Dies ist aber nicht gesichert. Falls der Eigenname Jabin von der Wurzel BīN abgeleitet wird, dann könnte man diesen Namen als „Genie“ oder der „Einsichtige“ wiedergeben.36 Zumindest hat Jabin die Gefahr erkannt, die vom Heer Israels ausgeht, und dementsprechend einen Plan zur Verteidigung ersonnen, sodass er durchaus seinem Namen entspricht.37 Außerdem wäre noch möglich, dass man den Eigennamen Jabin von einer Wurzel BNY „bauen“ ableitet. Dann würde Jabin „X baut (eine Familie)“ bedeuten.38 Allerdings spricht zumindest die masoretische Vokalisation gegen eine derartige Ableitung. Interessanterweise gibt es einen vergleichbaren Namen Yabni-Addu, der als Herrscher von Hazor in den Texten aus Mari erwähnt wird.39 Womöglich gab es eine gewisse Tradition, dass die Herrscher von Hazor gelegentlich Jabin geheißen haben könnten. Dann wäre es durchaus 35
Vgl. BRUEGGEMANN 2009, 18. Vgl. zu dieser Namensdeutung schon KEIL 1847, 205. Aufgrund seines Namens setzt Origenes in seinen Homilien Jabin mit dem Teufel gleich, vgl. BEGG 2007, 91 Anm.51. 37 Vgl. auch HARSTAD 2004, 454. 38 Vgl. zu dieser Etymologie BOLING 1982, 304; HESS 1996b, 207. Zu beiden Ableitungen vgl. VAN BEKKUM 2011, 119; DOZEMAN 2015, 462. 39 MALAMAT 1960, 17 liest den Eigennamen als Ibni-Adad „Adad hat erschaffen“. Die akkadische Namensform würde sogar starke Beziehungen zwischen Hazor und dem Zweistromland andeuten. Nach NOTH 1971c, 26 Anm.11 zeigt sich auch darin die Bedeutung Hazors, da dieser Ort der einzige palästinische Stadtstaat in den Texten aus Mari ist. Ähnlich auch WOUDSTRA 1981, 187 Anm.5. Nach FRITZ 1973, 133 Anm.48 verbietet die etymologische Ableitung von der Wurzel BīN eine Verbindung des Eigennamens Jabin mit dem in den Mari-Texten erwähnten Yabni-Addu. Ähnlich HESS 2021, 416f. 36
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
277
denkbar, dass Jabin ein Dynastiename war.40 Demgegenüber wäre es auch möglich, dass es sich um einen Titel handelt, der mehreren Herrschern gegeben werden konnte.41 Es ist zudem nicht ausgeschlossen, dass der Eigenname Jabin von Haus aus eine literarische Bildung ist.42 Der Eigenname Jobab könnte hingegen südsemitisch sein. Dementsprechend könnte dieser Name von einer Wurzel YBB „laut schreien“ oder WBB „sich zum Kampf rüsten“ abgeleitet werden.43 Im zweiten Fall wäre es ein sprechender Eigenname, der bereits die Beteiligung Jobabs an der Feindkoalition andeutet. Eine Ableitung aus dem Luwischen44 ist hingegen unwahrscheinlich. Ein derartiger Name ist darüber hinaus für einen edomitischen König belegt.45 Vielleicht übernahm man den südsemitischen Namen Jobab aufgrund des ähnlichen Klangs zu Jabin. Da nur Jobab mit Namen genannt wird, könnte es sich bei Jobab von Madon um den mächtigsten Nachbarn des Königs von Hazor und seinen wichtigsten Vasallen handeln.46 Außerdem soll offenbar die Bedeutung von Hazor und Madon aufgrund der Namensnennung ihrer Herrscher in der Auseinandersetzung besonders hervorgehoben werden. Die Beobachtung, dass die Namen der Könige bei den Städten Schimron und Achschaf fehlen, muss nicht darauf hinweisen, dass die Nennung dieser beiden Könige auf redaktionelle Arbeit zurückgeht.47 Denn in V.2 wird ein Summarium von Königen genannt, die sich an der Auseinandersetzung beteiligten, sodass eine sekundäre Auffüllung mit zwei weiteren namenlosen Königen nicht nötig ist. Die Namen der an dieser Koalition beteiligten Königsstädte sind vermutlich aus der Königsliste in Jos 12 übernommen, wobei die Voranstellung von Hazor der Bedeutung dieses Ortes in der Spätbronzezeit entspricht.48 In Jos 12,19–20 40
Vgl. BOLING 1982, 304; KANG 1989, 163; HOWARD 1998, 265; SCHÄFER-LICHTEN2001, 108 Anm.15; HARSTAD 2004, 450; PETROVICH 2008, 497–499; YOUNGER 2008, 26 Anm.23; HUBBARD 2009, 324 Anm.5; PITKÄNEN 2010, 231; DOZEMAN 2015, 462; MATHEWS 2016, 103; HESS 2021, 417. Nach WOUDSTRA 1981, 188 war Jabin „a hereditary title adopted by successive kings of Hazor“. 41 Vgl. ZIESE 2008, 232 Anm.1. Nach KNAUF 2008, 111f. heißt der König von Hazor immer Jabin, der König von Gerar immer Abimelech und der König von Ägypten meist Pharao. LLOYD 1886, 161 vermutet, dass Jabin ein Titel der Könige von Hazor gewesen wäre. 42 Vgl. FRITZ 1994, 120. 43 Vgl. ZADOK 1988, 105; DOZEMAN 2015, 463. ZADOK 1988, 25 weist auf die doppelt schwache Wurzel W/YBB „weep, be triumphant“ hin. 44 So MENDENHALL 1973, 166; BOLING 1982, 305. Dagegen aber zu Recht HESS 1996b, 208; VAN BEKKUM 2011, 119. 45 Gen 36,33–34. 46 Vgl. hierzu auch RÖSEL 1975, 174; BOLING 1982, 305; HUBBARD 2009, 325. 47 Gegen NOTH 1971a, 67. Vgl. RÖSEL 1975, 174; FRITZ 1994, 120. WAZANA 2019, 127 weist auf außerbiblische Parallelen hin, wo ebenfalls eine ähnliche Hierarchisierung der Gegner mit expliziter Nennung der Königsnamen am Anfang der Liste und im Anschluss nur noch mit allgemeiner Ortszuordnung zu finden ist. Vor diesem Hintergrund muss auch das Fehlen der Königsnamen in V.1 nicht überraschen. 48 Vgl. FRITZ 1973, 132; FRITZ 1994, 119. BERGER
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Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
werden nämlich die Orte Madon, Schimron-Meron und Achschaf im Kontext von Hazor erwähnt. Die topographischen Angaben werden in der griechischen Tradition jedoch unterschiedlich wiedergegeben: anstelle von Madon liest LXXB Μαρρων,49 anstelle von Schimron Συμοων50 und anstelle von Achschaf Αζιφ. Vor diesem textkritischen Hintergrund stellt sich somit die Frage, ob nicht Maron und Simeon die ursprüngliche Lesart anstelle von Madon und Schimron war.51 Vielleicht wurde im Verlauf der Textüberlieferung aus einem ursprünglichen Madon ein Maron, als man die beiden Konsonanten רund ד im Blick auf die Lokalisierung bei den Wassern von Merom verwechselte.52 Auffälligerweise ist zudem der Name Madon auch in Jos 12,19-MT belegt, während in Jos 12,20 Schimron-Meron folgt, sodass offenbar beide Orte Madon beziehungsweise Meron zu unterscheiden wären.53 Dann erhält man aber in Jos 12,19–20 fünf Orte Madon, Hazor, Schimron, Meron und Achschaf, von denen nur vier in V.1 berücksichtigt wurden. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Lesart Madon sekundär ist. Für Maron/Meron anstelle von Madon sprechen nämlich nicht nur einige Versionen, sondern auch die Königsliste in Jos 12,20 sowie der Umstand, dass die griechische Übersetzung den Ort Maron in V.5 und 7 offenbar zwanghaft mit den Wassern von Merom verband. Vermutlich assoziierte LXX den Ort Maron in V.1 mit dem Ort der Schlacht Merom,54 indem die zu differenzierenden Toponyme hier gleich geschrieben wurden. Es ist zudem unwahrscheinlich, dass MT den Name Maron in V.1 in Madon und in V.5.7 in Merom umgeändert hätte. Insofern sind die Toponyme Maron und Merom zu unterscheiden. Vielleicht geht die Lesart Maron in V.1 schon auf die hebräische Vorlage der LXX zurück,55 während in V.5 und 7 das abweichende Toponym Merom stand. Jedenfalls setzte erst LXX beide Namen miteinander gleich, um den Ort eines der Gegner Israels mit dem Ort der Schlacht zu identifizieren.56 Für eine ursprüngliche Lesart Maron spricht überdies, dass es ansonsten keinen außerbiblischen Beleg für einen Ort Madon
49 KNAUF 2008, 112 vermutet, dass bei der Lesart der LXX ein Komposit aus Merom und Madon entstanden sei. 50 Nach RAINEY 1976, 63 könnten aber auch die beiden Konsonanten ʿ und r irgendwann verwechselt worden sein, auch wenn dann diese Verschreibung dreimal passiert sein müsste. Hier scheint demnach der Name bewusst abgeändert worden zu sein. GREENSPOON 1983, 133f. weist zusätzlich darauf hin, dass LXX den Ortsnamen von dem ähnlichen Stammesnamen Συμεων sorgsam unterscheidet. 51 Vgl. NELSON 1997, 150; VAN BEKKUM 2011, 119; RAINEY/NOTLEY 2014, 129. 52 Vgl. BOLING 1982, 301; NELSON 1997, 150. 53 Vgl. RÖSEL 2011, 183. 54 Vielleicht ist der Name Meron auch durch die Überlagerung des ursprünglichen Ortsnamens mārôm durch den Namen des Heiligen Maron entstanden, vgl. zu dieser traditionsgeschichtlichen Deutung RÖSEL 1975, 176. 55 Vgl. GREENSPOON 1983, 132. 56 Vgl. RÖSEL 1975, 173 Anm.63; RÖSEL 2011, 183.
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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gibt.57 Aus alledem folgt, dass die Lesart Maron durchaus ursprünglich sein kann. Möglicherweise geht der Ortsname Madon des MT auf schriftgelehrte Arbeit zurück, da bei Mādôn eventuell Midyan mitgehört werden kann und der Eigenname Jobab an den Keniter Hobab erinnert, der selbst Sohn eines Midianiters ist.58 Dann würde hier in der Frühzeit Israels wiederum eine kriegerische Auseinandersetzung mit den Midianitern angedeutet sein. Man muss aber nicht so weit gehen. Schon allein die Bedeutung des Lexems mādôn „Streit, Hader“ ist aufschlussreich und passt bestens in den Erzählzusammenhang.59 Somit wurde der Ort Maron zum einen von MT zu Madon verlesen und von LXX wurden die Orte Maron und Merom gleichgesetzt. Außerdem wurde in Jos 12,19 noch ein König von Madon ergänzt, um die beiden Stellen aneinander anzugleichen. Vermutlich war die Namensform Šimʿon aufgrund der außerbiblischen Belege der ursprüngliche Name.60 Zumindest wird der Ortsname Schimron auch in Jos 12,20 und Jos 19,15 als Συμοων wiedergegeben,61 auch wenn die griechische Ortsnamensüberlieferung insgesamt nicht einheitlich verlief. Vielleicht wurde in der prämasoretischen Tradition der Ortsname Šimʿôn an das Toponym Samaria (Šomerôn) angeglichen,62 worauf auch die Lesarten der Vetus Latina (Somorron) und Vulgata (Someron) hinweisen, während erst die masoretische Vokalisation zwischen den beiden Namen unterschied.63 Zunächst könnte man davon ausgehen, dass der Ort Schimron-Meron im MT durch den Zusatz Meron von dem Ort mit Namen Schimron/Simeon bewusst differenziert werden sollte und dass es möglicherweise zwei Orte Schimron oder Simeon gegeben haben könnte.64 Allerdings ist vermutlich der Doppelname Schimron/Simeon-Meron erst dann entstanden, als die masoretische Tradition noch 57 Vgl. BARTHÉLEMY 1982, 18. Gelegentlich wird Madon mit Ḫirbet Madīn (1930.2450) gleichgesetzt, vgl. LLOYD 1886, 162; HOLZINGER 1901, 43; BIEBERSTEIN 1995, 157 Anm.92; HARSTAD 2004, 451; ZIESE 2008, 233 Anm.3. Nach WEIPPERT 1967, 41 Anm.1 heißt dieser Ort aber eher Ḫirbet Midyan, sodass eine Gleichsetzung mit Madon nicht naheliegend ist. Für eine textkritische Änderung von Madon zu Maron vgl. auch AHARONI 1979, 210; VAN BEKKUM 2011, 119; COLESON 2012, 108; RAINEY/NOTLEY 2014, 129. 58 Vgl. KNAUF 2008, 112f. 59 Vgl. auch BALLHORN 2011, 233 Anm.544. 60 Vgl. RAINEY 1976, 59–62; BARTHÉLEMY 1982, 18f. Insofern wurde der Name nicht erst in hasmonäischer Zeit von Schimron zu Simeon geändert, um auf den Hohepriester Simon, Sohn des Mattathias, hinzuweisen. Dagegen RAINEY 1976, 58f. 61 Nach GRAY 1986, 114 ist vielleicht Schimron-Meron der ursprüngliche Ortsname. TUR-SINAI 1959, 34 vermutet, dass Schimron und Schimron-Meron auf einen Ortsnamen Schemesch-Maron zurückzuführen seien. 62 Vgl. auch RAINEY 1976, 57. 63 Vgl. RAINEY 1976, 64, zumal die Konsonanten nicht mehr geändert werden durften. 64 Vgl. auch WEIPPERT 1967, 41f. Anm.2, der zwar vorschlägt, den Ort Schimron/Simeon-Meron auf Ḫirbet Šemaʿ (1914.2647) zu suchen, aber diese Option aufgrund des mangelhaften archäologischen Befundes verwirft.
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Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
den König von Madon in Jos 12,19 ergänzt hat, sodass MT auf die Könige von Madon, Hazor, Schimron-Meron und Achschaf verweist, während LXX die Könige von Hazor, Schimron, Maron und Aschschaf bezeugt, was wohl die ursprüngliche Tradition ist. Auf den ersten Blick ähnelt V.1 dem Beginn von Jos 10, da hier ebenfalls am Anfang der Haupträdelsführer der nördlichen Koalition genannt wird, der über einen prominenten Ort herrscht. Allerdings werden die an der Allianz beteiligten Könige in Jos 11 fast durchweg nicht mit Namen genannt und stammen aus eher unbekannten Orten.65 Es hat zudem den Anschein, dass die Orte Simeon, Maron, Achschaf und Hazor aus der Königsliste Jos 12,19–20 entlehnt sind.66 Ob diese Orte demnach zur ursprünglichen Tradition zählen können, ist nicht gesichert. Auch die Verteilung der genannten vier Orte ist schwierig. Fraglich ist zudem, weshalb in V.1 nur vier Städte erwähnt werden. Es hat zudem den Anschein, dass Maron, Simeon und Achschaf von Hazor als Zentralort abhängig sind. Möglicherweise sollen hier nur repräsentative Städte von Regionen genannt werden, sodass auf eine größere Liste verzichtet werden konnte.67 Während Hazor zum Stamm Naftali gerechnet wird (Jos 19,36), gehört Simeon zu Sebulon (Jos 19,15) und Achschaf zu Ascher (Jos 19,25), sodass die feindlichen Könige aus fast allen galiläischen Stammesgebieten bis auf Issachar stammen. Zumindest wird mit diesen Herrschaftssitzen ziemlich genau Galiläa umschrieben, sodass es sich um eine Feindkoalition der kanaanäischen Könige Galiläas handeln wird. Offenbar sollte mit diesen Orten das Gebiet Galiläas und seiner Randzonen beschrieben werden.68 Darüber hinaus werden mit drei dieser Orte die Hauptlandschaften dargestellt: Obergaliläa (Hazor), Untergaliläa mit der Jesreel-Ebene (Simeon), phönizische Küstenebene (Achschaf).69 Trotz dieser groben lokalen Zuordnung ist die Identifizierung mit modernen Orten nicht leicht. Oft wird der Ort Maron mit dem verkehrsgeographisch wichtigen Tell Qarn Ḥiṭṭīn (1983.2447) gleichgesetzt.70 Gelegentlich wird auch Maron mit Merom identifiziert, zumal bei den galiläischen Orten die Ortssuffixe -on und -om wechseln können.71 Dementsprechend könnte man auch die vielen Verortungen von Merom für den Ort Maron heranziehen. Allerdings scheinen sich beide Orte voneinander zu unterscheiden.
65
Vgl. zu diesen Unterschieden AULD 1984, 77. Vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER 2001, 110. Zu diesem Bezug vgl. schon TUR-SINAI 1959, 33. 67 RAINEY/NOTLEY 2014, 129 gehen sogar von einer absichtlich gekürzten Langliste aus. 68 Vgl. FRITZ 1994, 120. 69 Vgl. KNAUF 2008, 112. 70 Vgl. GRAY 1966, 26 Anm.1; NOTH 1971a, 67; RÖSEL 1975, 173f.; NAʾAMAN 1986, 120; MERLING 1997, 142; GAL 2006, 91; HUBBARD 2009, 324f. 71 Vgl. HESS 1996a, 229. 66
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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Der Ort Simeon ist vermutlich auf der Ḫirbet Semūniye (1700.2344) zu finden.72 Bisweilen wird noch an den Ort es-Semīriye (1590.2628) an der Mittelmeerküste nördlich von Akko gedacht, der den biblischen Namen besser bewahrt habe. Dies gilt freilich nur für den Fall, dass die Namensform Schimron ursprünglich ist.73 Die Lokalisierung von Achschaf ist hingegen umstritten. Zumindest aufgrund der ägyptischen Belege für Achschaf wird eine gewisse Nähe zu Akko vermutet.74 Bisweilen wird entweder Tell Kēsan (1645.2532),75 et-Tell (1632.2680) am Nahr Mafšūḥ,76 oder Tell Ḫarbağ (1587.2405) vorgeschlagen.77 Ob der Ort Ḫirbet Iksāf (1969.2969)78 mit Achschaf gleichgesetzt werden kann, ist hingegen aufgrund der nördlichen Lage trotz des Namens fraglich. Beide Verben in V.1 (ŠMʿ–ŠLḤ) werden ohne Objekt verwendet, was auf die eilige Antwort und die umgehende Reaktion des Königs von Hazor verweisen könnte.79 Allerdings ist aus dem vorausgehenden Kontext nicht klar, was Jabin gehört hat.80 Zum einen wäre der Bundesschluss am Ebal in Jos 8,30–35 ein alarmierendes Signal gewesen, zum anderen wäre aber auch der siegreiche südliche Feldzug Josuas in Jos 10 Grund genug, die Flucht nach vorne anzutreten.81 Allerdings würde man dann erwarten, dass die feindliche Koalition sich nicht im Norden versammelt hätte, sondern schleunigst nach Süden aufgebrochen wäre, um den weiteren Eroberungszug Josuas zu verhindern.82 Möglicherweise wurden aber auch beide Dinge zusammen vom König von Hazor 72 Vgl. LLOYD 1886, 162; OETTLI 1893, 160; STEUERNAGEL 1901, 195; WEIPPERT 1967, 41 Anm.2; RÖSEL 1975, 174; RAINEY 1976, 62f.; NAʾAMAN 1986, 123; GÖRG 1991a, 56; FRITZ 1994, 120; HESS 1996a, 229; MERLING 1997, 143; HOWARD 1998, 266 Anm.258; HARSTAD 2004, 451f.; ZIESE 2008, 233 Anm.4; HUBBARD 2009, 325; PITKÄNEN 2010, 232; VAN BEKKUM 2011, 176; RÖSEL 2011, 183; BUTLER 2014, 510; RAINEY/NOTLEY 2014, 129. Zu den unterschiedlichsten arabischen Namensformen vgl. RAINEY 1976, 64f. 73 Vgl. HOLZINGER 1901, 43f.; COOKE 1918, 100. 74 Vgl. ABEL 1949, 335 Anm.4. 75 Vgl. RÖSEL 1975, 174; SOGGIN 1982, 135; NAʾAMAN 1986, 123; GÖRG 1991a, 56; FRITZ 1994, 120; HESS 1996a, 229f.; MERLING 1997, 144; HUBBARD 2009, 325; PITKÄNEN 2010, 232; VAN BEKKUM 2011, 177; RÖSEL 2011, 183; DOZEMAN 2015, 464. 76 Vgl. BOLING 1982, 305. 77 Vgl. zu den unterschiedlichsten Möglichkeiten GRAY 1986, 114; ZIESE 2008, 233 Anm.5. 78 Vgl. OETTLI 1893, 160; HOLZINGER 1901, 44; WEIPPERT 1967, 42 Anm.1; NOTH 1971a, 72. 79 Vgl. BOLING 1982, 304. 80 Nach KNAUF 2008, 112 ist das Objekt dem verwendeten transitiven Verb inhärent. MIGUENS 1965, 102 vermutet, dass der Entschluss Jabins nicht nur auf Gerüchten oder der Sympathie für die südlichen Könige basiert. 81 Zu einem Bezug zu Jos 10 vgl. KEIL 1847, 204; LLOYD 1886, 161; OETTLI 1893, 160; STEUERNAGEL 1901, 195; WOUDSTRA 1981, 187. 82 Vgl. zum Problem schon DILLMANN 1886, 495, der vermutet, dass Josua bereits im Norden aktiv gewesen wäre.
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vernommen oder zusätzlich noch die Ereignisse um Jericho und Ai. Aufgrund der Parallelen zu Jos 9,1 und Jos 10,1 könnte zudem das nicht genannte Objekt in allen drei Fällen gleich sein.83 Hier kommt man über Vermutungen kaum noch hinaus. Das Verb ŠLḤ „senden“ wird hier ebenfalls ohne direktes Objekt verwendet. Vermutlich sandte Jabin entweder eine Nachricht oder Boten,84 um die genannten Könige in eine Koalition gegen Israel zu bewegen. V.2: LXX liest hier anstelle von miṣṣefôn offenbar miṣṢidôn und ergänzt zusätzlich noch wie in V.8 rabbāh (κατὰ Σιδῶνα τὴν μεγάλην),85 was die These stärkt, dass hier eine Verlesung mit Blick auf V.8 stattgefunden hat. Diese fehlerhafte Lesart wird auch durch Vetus Latina gestützt (secundum Sidonem magnam). Bei den Königen im Norden könnte es sich um die Phönizier handeln,86 sodass die Wiedergabe mit Sidon inhaltlich durchaus das Richtige trifft, auch wenn es auf eine Verschreibung und an eine Angleichung an V.8 zurückgeht. Mit der Bezeichnung „Groß-Sidon“ scheint zudem das Territorium des phönizischen Stadtstaates von Sidon gemeint zu sein.87 Die Präpositionalverbindung miṣṣefôn steht hingegen im MT im status constructus und ist demnach mit den folgenden geographischen Angaben eng zu verbinden.88 Auf diese Weise wird die allgemeine Bedeutung „Norden“ eingeschränkt.89 Vor diesem Hintergrund ist bei der anschließenden Trias Gebirge–Araba–Schefela jeweils nur der nördliche Teil im Blick. Somit wird diese Liste, die ansonsten für das südliche Verheißungsland verwendet wird, auf den Norden bezogen.90 Allerdings haben einige hebräische Handschriften hier auch den status absolutus miṣṣāfôn, sodass MT möglicherweise abzuändern wäre.91 Hier kommt man über Vermutungen nicht mehr hinaus. Außerdem hat LXX das Nomen nægæb „Süden“, das hier eine explizite Richtungsangabe liefert, zu nægæd „gegenüber“ verlesen,92 sodass man an die Ebene westlich des Sees Gennesaret denken könnte.93 Allerdings steht grie-
83
Vgl. HALL 2010, 185. Vgl. HARSTAD 2004, 451. 85 Vgl. auch HOLMES 1914, 53. BOLING 1982, 301 behauptet noch eine ursprüngliche LXX-Lesart mit dem All-Quantor, der aufgrund von Haplographie ausgefallen sei (weʾæl kol). Eine solche Lesart ist aber in keinem griechischen Manuskript nachweisbar. 86 Vgl. KNAUF 2010b, 508. 87 Vgl. NAʾAMAN 1986, 50f. Anm.20. 88 Vgl. zum Problem DILLMANN 1886, 496. 89 Vgl. OETTLI 1893, 160. 90 Nach RÖSEL 2011, 184 hatte der Autor nur beschränkt Informationen zum Norden. 91 Vgl. HOLZINGER 1901, 41; STEUERNAGEL 1901, 195; NOTH 1971a, 62. 92 Vgl. HOLMES 1914, 53; SOGGIN 1982, 134. Für diese Lesart vgl. EHRLICH 1910, 38; MAASS 1961, 110; MILLER/TUCKER 1974, 91; GÖRG 1991a, 56; NAʾAMAN 1994, 257. 93 Vgl. STEUERNAGEL 1901, 195. OETTLI 1893, 160; NOTH 1971a, 68 denken an die Ebene Gennesar am Westufer des Sees Gennesaret, die auch Ġuwēr-Ebene heißt. 84
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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chisch ἀπέναντι in Jos 15,3 für MT ʾæl minnægæb, sodass in V.2 keine Änderung des MT nach LXX notwendig ist,94 auch wenn die Verwendung von nægæb anstelle minnægæb + l auffällig ist.95 Ohne Zweifel wird durch die Lesart nægæb ein wesentlich größeres Gebiet in den Blick genommen. Bei der kleinen Ebene el-Ġuwēr westlich des Sees Gennesaret ist ohnehin die Ansetzung von mehreren Königen unwahrscheinlich.96 Für eine ursprüngliche Lesart nægæb spricht darüber hinaus die Zusammenstellung mit miṣṣefôn, sodass hier Nord und Süd kontrastiv gegenübergestellt werden sollen.97 Vielleicht wurden auch noch die beiden anderen Richtungen Ost-West aufgrund dieser Nord-SüdAusrichtung eingetragen. So einleuchtend diese geographische Deutung auf den ersten Blick ist, so problematisch wird sie, wenn man die verwendete Syntax genauer ansieht, zumal die Himmelsrichtungen syntaktisch unterschiedlich konstruiert werden, sodass kaum von einer einheitlichen geographischen Planung ausgegangen werden kann. Denn von miṣṣefôn hängt die Trias Gebirge– Araba–Schefela direkt ab, während sich nægæb lediglich auf Kinneret bezieht. Bisweilen wird vorgeschlagen, dass nægæb Kinarôt eine Glosse sei, da diese Angabe ohne Konjunktion oder Präposition angeschlossen wird.98 Auf diese Weise werde die vorher genannte Araba näher bestimmt. Allerdings könnte der Zusatz nægæb Kinarôt bewusst vom Autor gewählt worden sein, um die nördliche Araba von der eigentlichen Araba im Süden zu differenzieren. Das Toponym Kinneret muss sich zudem nicht auf den gleichnamigen Ort am See Gennesaret beziehen, sondern kann auch der See Gennesaret insgesamt sein,99 zumal das Toponym von dem Lexem kinnôr „Leier“ abgeleitet werden kann, was in etwa der Form des Sees Gennesaret entspricht.100 Die Bezeichnung Araba wird in der Bibel bisweilen für das Jordantal verwendet.101 Offenbar wird in V.2 die Araba und somit das Jordantal mit dem 94
Vgl. BARTHÉLEMY 1982, 20. Vgl. DILLMANN 1886, 496. 96 Vgl. HOLZINGER 1901, 44. 97 Vgl. auch VAN BEKKUM 2011, 119. 98 Vgl. FRITZ 1994, 122. 99 Vgl. schon KEIL 1847, 205f.; BOLING 1982, 305f.; KNAUF 2010b, 508; PITKÄNEN 2010, 233; DOZEMAN 2015, 464. 100 Vgl. LLOYD 1886, 163. Die Schreibweisen des Toponyms Kinneret sind sehr unterschiedlich und beziehen sich entweder auf eine Stadt, eine Region oder den See. Vgl. zum Problem COOKE 1918, 100. Folgende Schreibweisen sind explizit für den See gebräuchlich: yām Kinnæræt in Num 34,11; Jos 13,27 und yām Kinrôt in Jos 12,3. Kinnæræt in Dtn 3,17 und Kinrôt in 1Kön 15,20 müssen nicht den See bezeichnen, sondern können eine Stadt oder Region im Blick haben. Ähnliches gilt für Kinnāræt in Jos 19,35 und Kinarôt in Jos 11,2. Ob die Schreibweise andeutet, dass es sich tatsächlich um den See handelt, so HARSTAD 2004, 452, sei dahingestellt, zumal die Vokalisation Kinarôt nur hier belegt ist. Vor diesem Hintergrund kann keine endgültige Entscheidung bei der Beurteilung von Kinneret getroffen werden. 101 Vgl. WOUDSTRA 1981, 189; GRAY 1986, 117; FRITZ 1994, 119; HOWARD 1998, 266; ZIESE 2008, 233 Anm.6; KNAUF 2010b, 508; BUTLER 2014, 500. 95
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Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
See Gennesaret verbunden, was auf ähnliche Weise auch in Jos 12,3 ausgedrückt wird, wobei hier yam Kinerôt als nördlichster Punkt der Araba skizziert wird. Der Ausdruck Araba wird jedoch von LXX als Toponym Ραβα wiedergegeben. Der Ort Ραβα ist nur hier belegt und liegt angeblich gegenüber von Kinneret (Ραβα ἀπέναντι Κενερωθ). Hier wird somit von der LXX ein neues Toponym geschaffen. Fraglich ist, ob mit Ραβα der Ort Rabbat-Ammon gemeint ist. Dann würde LXX hier den Radius der feindlichen Allianz zusätzlich vergrößern.102 Vermutlich ist der Konsonant ʿ mit Blick auf V.8 entfallen, wo von Ṣîdôn rabbāh die Rede ist. Auffälligerweise kann Vetus Latina diese abweichende griechische Lesart nicht bestätigen (Araban contra Chenereth). Die Lesart Raba der LXX weist somit nicht auf einen ursprünglichen Text hin, sodass es auch keinen neuen Ort Raba bei Kinneret geben kann. Interessanterweise werden in V.2 geographische Bezeichnungen verwendet, die eigentlich nur im südlichen Bereich sinnvoll sind,103 hier aber in den Norden versetzt werden. Auf diese Weise wird die Araba, die eigentlich im Süden verortet wird, zum Jordantal. Aus der topographischen Bezeichnung Negev wird darüber hinaus eine Richtungsangabe „südlich“, sodass Araba und Negev zusammengenommen werden zu einer Araba, die südlich von Kinneret liegt.104 Durch diese eigenwillige geographische Zusammenstellung wird deutlich, dass der Autor mit einem judäischen Blick auch die nördliche Eroberung beschreibt. Während mit dem Begriff Schefela meist das dem Gebirge Juda vorgelagerte Hügelland gemeint ist, scheinen in V.2 mit der galiläischen Schefela auf den ersten Blick die kreidehaltigen Ausläufer des untergaliläischen Berglandes im Blick zu sein.105 Alternativ dazu könnte aber auch mit der Schefela Israels die Gegend zwischen dem samarischen Gebirge und der Scharonebene gemeint sein.106 Allerdings hat V.2 die üblichen drei geographischen Bezeichnungen Gebirge–Araba–Schefela aus dem Süden ohne Rücksicht auf die besonderen geographischen Spezifika des Nordens übernommen.107 Vor diesem literarhistorischen Hintergrund entfällt die Suche nach einer nördlichen israelitischen Schefela. Gelegentlich wird die israelitische Schefela trotz dieser Bedenken mit der muldenförmigen Senke östlich von Tyros und den Hügeln des westlichen Galiläas gleichgesetzt.108
102
Vgl. SOGGIN 1982, 134. Dagegen aber BOLING 1982, 305. Hierzu gehören das Bergland, der Negev und die Schefela, die auch in Jos 10,40 auftauchen, sowie die Araba. 104 Vgl. hierzu auch NELSON 1997, 152. 105 Vgl. ZIESE 2008, 233 Anm.7. 106 Vgl. NELSON 1997, 154. 107 Vgl. auch BARTHÉLEMY 1982, 20. Nach RÖSEL 1975, 174f. Anm.75 hat LXX die Schwierigkeiten des MTs bewusst vermieden, sodass man LXX nicht zur Rekonstruktion des ursprünglichen Textes heranziehen dürfe. 108 Vgl. FINKELSTEIN 1981, 86–91. 103
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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Durch V.2 wird zumindest die geographische Lücke zwischen den Städten des südlichen und nördlichen Feldzugs geschlossen.109 Vielleicht sollte hier aufgrund der geographischen Angaben ausgedrückt werden, dass lediglich die Auseinandersetzung im Norden stattfindet, während sich hier unzählige Könige aus dem ganzen Verheißungsland zusammenschließen.110 Die geographische Zusammenstellung ist zumindest auffällig und darf bei einer historischtopographischen Rekonstruktion nicht überbewertet werden. Das seltene Nomen nāfāh „Hügelland“ wird hier und in Jos 12,23 sowie in 1Kön 4,11 mit dem Ortsnamen Dor verbunden, sodass hier ein eigenständiges Toponym Nafot-Dor vorliegen könnte. Die alten Versionen taten sich mit diesem Ortsnamen schwer, da sie offenbar die Konsonanten verdoppelten und verstellten. Vetus Latina bietet nämlich in V.2 zwar Faenanetdor,111 aber in Jos 12,23 Feennor. LXX liest in V.2 und in Jos 12,23 hingegen näher Ναφεδδωρ und entspricht damit der Lesart des MT. Offenbar ist bei LXX in V.2 die Singularlesung nāfat wie in Jos 12,23 vorausgesetzt. Dementsprechend wäre zu überlegen, ob nicht auch in V.2 ein Singular anstelle des Plurals nāfôt des MT anzusetzen wäre.112 Ein signifikanter Bedeutungsunterschied liegt aber auch dann nicht vor. Die abschließende Präpositionalverbindung miyyām wird von LXX zum folgenden V.3 gezogen,113 um dort einen Parallelismus zwischen Kanaanäern und Amoritern herzustellen, da auf diese Weise der Ausdruck καὶ εἰς τοὺς παραλίους vor beiden Ethnonymen steht. Hierfür muss man aber MT verändern, indem man vor miyyām die Konjunktion w liest und die Konjunktion w vor Amoriter streicht. Vetus Latina unterstützt hingegen die Lesart des MT, sodass man MT nicht verändern muss. V.3: Vetus Latina liest anstelle von Kanaanäer offenbar Horiter (Chorreos), ohne dass diese Änderung erklärt werden kann. Vielleicht soll angedeutet werden, dass es sich hierbei um eine nichtsemitische Bevölkerung, vielleicht Hurriter, handeln könnte.114 Hierzu passt auch die Verortung dieser Volksgruppe unterhalb des Hermongebirges. LXX und Vetus Latina vertauschen darüber hinaus zum einen die Hetiter und die Hewiter und zum anderen die beiden Ethnonyme Perisiter und Jebusiter, wofür es keinen einleuchtenden Grund gibt. Vielleicht ist diese abweichende Abfolge der Urvölker auf redaktionelle Arbeit zurückzuführen. Die nähere Ortsangabe bei den Hewitern „unterhalb des Hermon im Land Mizpa“ 109
Vgl. KNAUF 2008, 113. Vgl. HAWK 2000, 169. 111 Diese Lesart geht vielleicht auf Metathesis von nāfat zu fānat zurück, vgl. HOLMES 1914, 53. 112 Vgl. auch BOLING 1982, 301. 113 Vgl. BOLING 1982, 301. Nach HOLMES 1914, 53 verstanden die griechischen Übersetzer nicht mehr, dass miyyām mit „westwärts“ wiederzugeben ist. 114 Vgl. GRAY 1986, 115. 110
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wird zudem von LXX und Vetus Latina aufgrund der Umstellung der Ethnonyme mit den Hetithern und nicht mit den Hewitern verbunden. Möglicherweise soll hier an die biblische Tradition angeglichen werden, dass nach Ri 1,26 im Norden Hetiter115 wohnen und Hewiter nach Jos 9,7 im zentralen Palästina bei Gibeon zu suchen sind. Allerdings sind Hewiter auch nach Ri 3,3 und 2Sam 24,7 im Norden zu finden, sodass ihre Erwähnung am Fuße des Hermon nicht verwundern muss.116 Ein bewusster sekundärer Ausgleich ist folglich nicht nötig. Vetus Latina hat die griechische Wiedergabe von Hermon Αερμων vermutlich als ἔρημον verlesen (sub deserto). Offenbar hat man das zunächst transkribierte Toponym als griechisches Lexem gelesen. Zu dieser Textverderbnis (ἔρημον statt Αερμων) konnte es schon vor dem Hintergrund kommen, dass im Griechischen die Quantitätsunterschiede der hebräischen Vokale nicht mehr beachtet wurden.117 Mit dieser Änderung folgt Vetus Latina vermutlich der Lesart von LXXB. Allerdings hat LXXA und viele griechische Handschriften das Toponym Hermon bewahrt. Möglicherweise ist vor dem Toponym Hermon noch die Bezeichnung har „Gebirge“ entfallen,118 zumal har auch in V.17 das Toponym Hermon näher als Gebirge einordnet. Vielleicht ist har aufgrund von Haplographie vor Ḥærmôn ausgefallen. Fraglich ist zudem, ob es sich bei Hermon um den gesamten Antilibanon oder nur um den südlichsten Ausläufer des Antilibanon, näherhin den Ğebel eš-Šēḫ, handelt. Die erste Alternative lässt sich mit dem Textbefund zumindest nicht belegen,119 sodass mit Hermon nur der Ğebel eš-Šēḫ gemeint sein kann. Außerdem wird von Vetus Latina der Ortsname Mizpa, der in der griechischen Tradition unterschiedlich transkribiert wird, zu Massoam verändert. Vielleicht stützte sich Vetus Latina auf LXXB Μασεύμα. Meist wird dieser Ort namens Mizpa unterhalb des Hermon gesucht.120 Der Ort Mizpa könnte aufgrund des Kriteriums des Namenerhalts möglicherweise mit Ḫirbet Muṭelle (2036.2978) gleichgesetzt werden, zumal der arabische Name muṭelle „Aussicht“ bedeutet.121 Das „Land von Mizpa“ wäre dann die Hochebene von Merğ ʿAyūn.122 Allerdings liegt diese Hochebene zu weit nördlich.123 Vielleicht ist daher mit dem „Land 115 Nach VAN SETERS 1972, 80 bezieht sich das Ethnonym Hetiter im Josuabuch analog zum assyrischen Begriff von Hatti-Land auf das Gebiet von Syrien-Palästina. 116 Vgl. auch DILLMANN 1886, 497. 117 Vgl. DEN HERTOG 1996, 74. 118 Vgl. EHRLICH 1910, 38. 119 Vgl. zum Problem auch JERICKE 2001, 129–132. 120 HOLZINGER 1901, 44; COOKE 1918, 101 denken demgegenüber an die Nimrod-Festung Qalʿat eṣ-Ṣubēbe (2170.2953) oberhalb von Bāniyās. Das Land von Mizpa wäre dann die Ebene zwischen Hermon und Ḥūle-See. 121 Vgl. KNOBEL 1861, 399; OETTLI 1893, 160. 122 Vgl. NAʾAMAN 1986, 43. 123 Vgl. die kritischen Bedenken von HOLZINGER 1901, 44. Nach RÖSEL 1975, 182 ist mit dem Tal von Mizpa entweder die Hochebene von Merğ ʿAyūn oder der Unterlauf des Wādi et-Tēm gemeint.
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von Mizpa“ das Gebiet um den Unterlauf des Wādi et-Tēm gemeint.124 Dementsprechend könnte mit dem hier vorgestellten Siedlungsraum der Hewiter die Ebene et-Tēm westlich des Großen Hermon am Unterlauf des Wādi et-Tēm im Blick sein.125 Alternativ dazu könnte das „Land der Aussicht unterhalb des Hermon“ auch mit dem Golan identisch sein.126 Allerdings ist es insgesamt schwierig, mit den vagen biblischen Angaben ein genaues Gebiet anzugeben.127 Hier kommt man über Vermutungen kaum noch hinaus. Der Begriff „Land von Mizpa“ muss zudem nicht andeuten, dass Mizpa ein Ort am Fuße des Hermonmassivs ist. Es könnte sich auch um eine allgemeine Bezeichnung für diesen Landstrich handeln.128 Vielleicht bezieht es sich auf ein Gebiet, das von einer bestimmten „Warte“ aus zu sehen wäre.129 Möglicherweise wurde am Anfang von V.3 eine chiastische Struktur gebildet (Kanaanäer–Osten/Westen–Amoriter), die aber im MT aufgrund der Konjunktion w vor Amoriter und in der LXX aufgrund der Verbindung von miyyām aus V.2 mit den Kanaanäern zerstört wurde. Auf diese Weise wurde zumindest in LXX eine unlogische geographische Aussage getroffen (καὶ εἰς τοὺς παραλίους Χαναναίους ἀπὸ ἀνατολῶν).130 Die Erwähnung der Jebusiter in der Liste der Urbevölkerung deutet an, dass diese Liste offenbar ohne größeres Nachdenken eingefügt wurde. Denn die Jebusiter werden ansonsten nur mit dem südlichen Ort Jerusalem, nicht aber mit dem Norden Israels verbunden,131 sodass es sich hierbei wohl um eine Glosse handeln wird.132 Bisweilen wird angesichts der Erwähnung der Jebusiter vorgeschlagen, dass die Israeliten für die kanaanäischen Könige zu einer solch großen Gefahr wurden, dass man selbst Völker aus der Ferne in die Koalition eingebunden hat.133 Die Liste der Vorbevölkerung ist mit Jos 3,10 und Jos 9,1 vergleichbar, auch wenn die Anzahl und die Anordnung der einzelnen Volksgruppen unterschiedlich ist. In der Josuarede Jos 3,10 wird zudem schon darauf hingewiesen, dass Gott diese Völker vor Israel vertreiben wird. Mithilfe der Völkerliste wird somit durch dieses Bezugssystem schon am Anfang der Erzählung der Sieg Isra124
Vgl. NOTH 1971a, 69. Vgl. NOTH 1971a, 69; HERTZBERG 1985, 78; GÖRG 1991a, 57. 126 Vgl. KNAUF 2008, 113. 127 Vgl. zum Problem RÖSEL 2011, 187. 128 Vgl. BOLING 1982, 306. 129 Vgl. STEUERNAGEL 1901, 195. 130 Nach VAN DER MEER 2004, 82f. legt diese Beobachtung nahe, dass der griechische Übersetzer mit der Topographie und Geographie des Verheißungslandes nicht vertraut war. 131 Vgl. MILLER/TUCKER 1974, 94; GRAY 1986, 115. Es ist zudem eher unwahrscheinlich, dass mit der nördlichen Verortung der Jebusiter eine historische Erinnerung vorliegt, da dies von anderen Quellen überhaupt nicht bestätigt wird. 132 Vgl. AHARONI 1970, 267 Anm.31. 133 Vgl. HOWARD 1998, 267. 125
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els vorausgenommen. Offenbar wurde diese stereotype Liste der Vorbevölkerung gedankenlos in V.3 eingetragen. Diese schematisch übernommene Liste wird nur am Schluss modifiziert, wenn die Hewiter am Fuß des Hermon im Lande Mizpa lokalisiert werden. Die Liste der Vorbevölkerung ähnelt darüber hinaus der entsprechenden Liste im Banngesetz Dtn 7,1, wo allerdings noch zusätzlich die Girgaschiter genannt werden. Offenbar soll in V.3 bewusst betont werden, dass auch im Norden dieselbe Urbevölkerung siedelte, die von den Israeliten gebannt werden musste. Jedenfalls zeigt diese umfangreiche Liste der Vorbevölkerung, dass die Verzweiflung im Verheißungsland angesichts der Landnahme der Israeliten groß gewesen sein muss.134 V.4: Vetus Latina und LXX haben hier vermutlich malkêhæm im Überlieferungsprozess anstelle von MT maḥanêhæm gelesen, wobei der unnötige AllQuantor kål weggefallen ist.135 Allerdings könnte der griechische Übersetzer das Wort maḥanæh aber auch bewusst nur mit dem jeweiligen Heerlager Israels verbunden haben, sodass die Heerlager fremder Mächte nicht mit dem griechischen Äquivalent παρεμβολή wiedergegeben werden durften.136 Hinzu kommt, dass in V.4 bewusst an V.1 und V.2 angeglichen und ein Ausgleich mit V.5 geschaffen werden sollte, wo ebenfalls „Könige“ genannt werden.137 In V.4 wird zudem von LXX betont, dass die in V.3 erwähnten Völker zusammen mit den Königen ausziehen, sodass die Wiedergabe des Lexems für Lager nicht nötig war.138 Auf diese Weise wird auch der sperrige V.3 besser eingebunden. Insgesamt ist folglich die abweichende Lesart von Vetus Latina und LXX gut zu erklären, sodass man MT nicht abändern muss. Darüber hinaus fehlt in Vetus Latina und LXX der Ausdruck ʿam rāb, wobei es sich um einen sekundären Zusatz handeln könnte.139 Allerdings könnte ʿam aufgrund von Haplographie hinter ʿimmām entfallen sein und die redundante Formulierung mit rāb–lārob könnte gekürzt worden sein. Insofern gibt es keinen Grund für eine redaktionelle Zufügung. Vielmehr haben Vetus Latina und LXX den sperrigen MT vereinfacht. LXXB und Vetus Latina verzichten außerdem auf die Wiedergabe von MT e ś fat, während LXXA mit παρὰ τὸ χεῖλος den MT bestätigt. Da das Lexem śefat inhaltlich nötig ist, fiel dieses Wort wohl im Überlieferungsprozess aus. Der Vergleich mit dem Sand am Meer bezieht sich auf die unterschiedlichsten Dinge: Nachkommen, Getreidevorräte, Wissen und Kriegsfeinde.140 Der Vergleich mit dem Sand am Meer wird immer wieder zur Beschreibung für die 134
Vgl. MATHEWS 2016, 104. Vgl. BUTLER 2014, 500. 136 Vgl. AULD 2005, 166. 137 Vgl. BOLING 1982, 301. 138 Vgl. zum Problem auch DE TROYER 2018, 34. 139 Vgl. HOLMES 1914, 53. 140 Vgl. hierzu mit Belegen auch ZIESE 2008, 237 Anm.17. 135
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Größe feindlicher Heere verwendet, z.B. für die Midianiter in Ri 7,12 oder für die Philister in 1Sam 13,5.141 Möglicherweise drückt sich hier eine gewisse Überheblichkeit aus, zumal Israel in den Erzelternerzählungen eine derartige Größe vorhergesagt wird.142 Flavius Josephus ergänzt noch exakte Zahlen, wodurch ein übergroßes Heer entsteht, das von den Feinden zusammengestellt wird.143 Außerdem haben LXX und Vetus Latina die beiden singularischen Subjekte sûs wārækæb in den Plural gesetzt (ἵπποι καὶ ἅρματα beziehungsweise equi et quadrigae). Da sûs wārækæb aber als Kollektivbegriffe verstanden werden können, haben LXX und Vetus Latina keine wirkliche Abweichung eingetragen. Der Hinweis auf die große Anzahl von Pferden und Wagen könnte auf Dtn 20,1 anspielen, wo ebenfalls diese beiden Kollektivnomina genannt werden. Vielleicht ist auch ein Bezug zu den Exodusereignissen in Ex 14,6–9 zu ziehen, als Israel von Pferden und Wagen der Ägypter bedroht wurde.144 Mit dem Doppelausdruck sûs wārækæb wird zudem auf die Reiterei und die Streitwagentruppe verwiesen. Vor Pferd und Wagen muss sich Israel nicht fürchten, auch wenn dies furchteinflößende Waffen sind.145 Dies ist schon deshalb nicht nötig, da Gott mit Israel ist. Hier werden sûs wārækæb darüber hinaus noch mit rab meʾod gesteigert. Im Gegensatz zur südlichen Feindkoalition ist die nördliche Allianz somit noch wesentlich gefährlicher.146 Die kriegerische Aktion wird mit der Wurzel YṢʾ „ausziehen“ beschrieben, wobei hier das Präpositionalobjekt lamilḥāmāh „zum Krieg“ ausgefallen ist.147 Mit der Wurzel YṢʾ wird zudem der Aufbruch des Heeres ausgedrückt. Diese zuvor geschilderte große Heeresmacht ist folglich ausgezogen, um Israel zu vernichten. V.5: LXXB liest hier offenbar ein enklitisches Personalpronomen hinter e m lākîm und nicht das Demonstrativpronomen hāʾellæh. LXXA und die Mehrheit der griechischen Handschriften belegen aber MT,148 sodass man MT ohne Probleme beibehalten darf. 141 Nach WAZANA 2019, 130 Anm.30 wird in neuassyrischen Texten ebenfalls die Unzählbarkeit der Feinde betont. 142 Vgl. BALLHORN 2011, 232. Nach EDERER 2017, 179 werde hier eine der großen Verheißungen Gottes „nach(ge)äfft“. 143 Vgl. Jos Ant 5:63–64. 144 Vgl. BALLHORN 2011, 232; THEUER 2020, 245. Nach DOLGOPOLSKY GEVA 2014, 70–80 handelt es sich bei sûs wārækæb oft um Waffen der Feinde Israels. 145 Nach EHRLICH 1910, 38f. spiegelt sich hier ein lang andauerndes Vorurteil Israels gegenüber Pferden wider, das angeblich bis in die exilische Zeit andauerte. 146 Auch nach MÜNCH-WIRTZ 2010, 110 stehen Pferd und Wagen für Stärke und militärische Überlegenheit der Feinde. 147 Vgl. LLOYD 1886, 165. Im dtn Kriegsgesetz ist in Dtn 20,1 die Langform mit lamilḥāmāh belegt. Zu dieser kriegerisch konnotierten Lexematik vgl. auch VAN BEKKUM 2011, 168 Anm.171. 148 Vgl. AULD 2005, 166.
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Die Vulgata kürzt die drei Verben YʿD–Bōʾ–ḤNY zu conveneruntque und vereinfacht damit die Redundanz des MT. Schon vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, MT nicht abzuändern. Das hier verwendete erste Verb YʿD-N scheint anzudeuten, dass sich die feindlichen Könige an einem im Vorhinein vereinbarten Platz getroffen haben.149 Das Verb YʿD-N bedeutet, dass sich die Feinde entweder versammelt haben oder dass sie bezüglich des Krieges und des Ortes der Schlacht übereingekommen sind. Beide Aspekte können mit diesem Lexem ausgedrückt werden.150 Fraglich ist jedoch, wo sich die Könige vereint und das weitere Vorgehen abgesprochen haben. Ob dies in Hazor selbst oder an einem anderen Ort geschah, kann aufgrund der Kürze des Textes nicht mehr entschieden werden. Eine Vorherrschaft des Königs von Hazor geht nur aus V.10 hervor, während YʿD-N eher an die Kooperation von Gleichgestellten denken lässt.151 LXXB und Vetus Latina haben vermutlich yaḥdāw zum zweiten Verb gezogen, während andere griechische Textzeugen ἐπὶ τὸ αὐτὸ mit ḤNY verbinden und damit wohl MT stützen. Außerdem wird von LXX und wenigen hebräischen Handschriften nicht die direktive Präposition ʾæl des MT, sondern die lokale Präposition ʿal verwendet (ἐπὶ τοῦ ὕδατος Μαρρων).152 LXXB überträgt den Ortsnamen Merom mit Μαρρων und gleicht damit an V.1 an, wo einer der Könige aus Μαρρων stammt, während Vetus Latina beide Toponyme mit Recht differenziert (V.1: Amarron – V.5: Maerron). Die mê Merôm „Wasser von Merom“ sind schwer zu identifizieren. Dieser Name verweist zumindest auf eine offenbar wasserreiche Gegend. Das Toponym Merôm lässt sich von einer Wurzel RūM ableiten, sodass es sich hierbei um „Wasser der Höhe“ handelt, die sich folglich auf einer Hochebene befinden können.153 Bei mê Merôm muss es sich zudem nicht um ein Toponym handeln.154 Denn es könnte hier auch nur von einer Anhöhe auszugehen sein. Somit könnte der Ausdruck merôm „Höhe“ lediglich eine geographische Bezeichnung sein, ohne dass damit ein festes Toponym verbunden ist.155 149
Vgl. WOUDSTRA 1981, 190 Anm.16; VAN BEKKUM 2011, 120. Vgl. zum Problem LLOYD 1886, 166. Nach GÖRG 1982, 701 wird hier nicht ein verabredetes Sichtreffen in den Blick genommen, sondern „die auf aktive Bedrohung zielende Vereinbarung“. Hier liege eine „kollektive Selbstbestimmung“ vor, die sich auch gegen eine Person richten kann, vgl. auch WILLIAMS 1997, 484. WAZANA 2019, 132 sieht zudem aufgrund von YʿD-N eine Verbindung zu Ps 48,5. 151 Vgl. HOLZINGER 1901, 43. 152 Vgl. auch BOLING 1982, 303. 153 Dies ist auch einer der Gründe dafür, die „Wasser von Merom“ mit dem Ḥūle-See gleichzusetzen, vgl. LLOYD 1886, 167, der noch auf die griechische Namensform Semechonitis hinweist, was wiederum mit den beiden arabischen Wurzeln samaqa „hochragen“ oder šamaḫa „hoch sein“, vgl. hierzu WEHR 1958, 392.441, verbunden werden könnte. 154 Vgl. FRITZ 1994, 121. 155 Vgl. BOLING 1982, 307. 150
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Zunächst ist festzustellen, dass das nomen regens mê kaum mit „See“ gleichzusetzen ist,156 sodass die frühere Identifikation mit dem Ḥūle-See eher unwahrscheinlich ist.157 Mit mê sind eher Quellen oder Bäche gemeint. Die mê Merôm „Wasser von Merom“ werden mit den unterschiedlichsten Orten und Gegenden gleichgesetzt: 1)
Früher dachte man an die Sumpfgegend des Sahl el-Baṭṭōf als Ort der „Wasser von Merom“, wofür die Annalen von Tiglat-Pileser III. sprechen könnten, die einen Ort ma-ru-um in dieser Gegend erwähnen.158 Allerdings zwingt nichts dazu, Merom direkt im Sahl el-Baṭṭōf zu suchen, zumal die anderen von Tiglat-Pileser III. erwähnten Orte (Hannaton, Aruma) zwar mit dieser Ebene verbunden werden können, was aber nicht ausschließt, dass Merom in einiger Entfernung zum Sahl el-Baṭṭōf liegt.159 Gelegentlich werden die „Wasser von Merom“ mit den Quellen bei Mārūn er-Rās (1918.2786) identifiziert.160 Darüber hinaus wird an das Wādi Mērūn,161 das von Mērūn (1914.2652) in den See Gennesaret entwässert, gedacht. Allerdings kann in diesem steilen und tiefen Wādi ein Streitwagenheer kaum effektiv eingesetzt werden, sodass diese Verortung eigentlich ausscheiden muss.162 Ob in dieser Gegend somit überhaupt eine Schlacht mit Streitwagen möglich gewesen wäre,163 ist fraglich. Auch die Quelle beim Tell el-Ḫirbe (1900.2750),164 der am Ğebel Mārūn beim Ort Yārūn liegt, wird bisweilen vorgeschlagen, wobei aber diese Verortung wegen ihrer Unzugänglichkeit als Schlachtfeld ebenfalls nicht geeignet ist.165 Hinzu kommt, dass diese Quelle zu unbedeutend ist und daher für eine Identifizierung mit den „Wassern von Merom“ kaum in Frage kommt.166
2) 3)
4)
156
Vgl. schon HOLZINGER 1901, 44; COOKE 1918, 102. Kritisch hierzu schon KNOBEL 1861, 400; ŠANDA 1902, 49. 158 Vgl. ŠANDA 1902, 49f. Der Ort ma-ru-um ist in Tigl. Ann. 18:7‘ (RINAP 1 22:7‘) zu finden. Zur schwierigen Lokalisierung von ma-ru-um vgl. BAGG 2007, 171f. 159 Vgl. auch NAʾAMAN 1986, 125. 160 Vgl. GRAY 1966, 16 Anm.2. Kritisch hierzu aber schon YEIVIN 1957, 102 Anm.3, der eher an eine Lokalität in der Nähe von Hazor denkt, zumal es dort ebenfalls viele Quellen gibt, die den Ausdruck mê rechtfertigen. 161 Vgl. MAISLER 1953, 84; NOTH 1971a, 67; MILLER/TUCKER 1974, 94; HERTZBERG 1985, 79. 162 Vgl. RÖSEL 1975, 179. 163 Vgl. auch DILLMANN 1886, 497. 164 Vgl. AHARONI 1979, 206; HUBBARD 2009, 327; RAINEY/NOTLEY 2014, 129; DOZEMAN 2015, 467. 165 Vgl. FRITZ 1994, 121. 166 Vgl. RÖSEL 1975, 179; RÖSEL 2011, 185. 157
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Schließlich wurde für eine Identifizierung mit den „Wassern von Merom“ auf den kleinen See von Birket eğ-Ğīš (1931.2688) in der Ebene nördlich des Ğebel Ğermaq (1883.2661) verwiesen.167 Mit Merom kann zudem die imposante Erhebung des Ğebel Ğermaq gemeint sein, ohne dass hier ein eigener Ort im Blick sein muss. Aber auch diese Verortung für die „Wasser von Merom“ ist zweifelhaft, da sich diese Ebene angesichts ihrer abseitigen Lage kaum für ein Aufmarschgebiet für Streitwagen empfiehlt.168 Alternativ wird die Gegend um Qarn Ḥiṭṭīn (1930.2450), vor allem die Quelle von Nebī Šuʿēb, vorgeschlagen, die das Wādi el-Ḥamām speist.169 Der Name Merom ist zudem im nahegelegenen Dorf Nimrīn (1901.2455), das in römischer Zeit Kfar Nimrah hieß, erhalten, wobei hier Metathesis von Maron vorliegen könnte.170
6)
Letztendlich ist die Suche nach den biblischen „Wassern von Merom“ bislang noch nicht zufriedenstellend geglückt. Bisweilen wird auch daran gedacht, dass die „Wasser von Merom“ auf dem manassitischen Gebirge liegen könnten, da Eusebius in seinem Onomastikon einen Ort Merrous am zwölften Meilenstein von Sebaste bei Dothan kennt.171 Dieser Ort könnte mit el-Ḫarāb (1741.2014) oder mit dem Qasr Maḥrūn (1744.2023) gleichgesetzt werden, wobei das letztgenannte Toponym den biblischen Ortsnamen noch erhalten haben könnte. Die Schlacht hätte dann in der Sahl ʿArrābe stattfinden können. Die mê Merôm wären dann eine Quelle oder das Wādi es-Selhab gewesen.172 Allerdings passt eine derart südliche Lokalisierung der Schlacht kaum zu den übrigen Angaben von Jos 11.173 Fraglich ist schließlich, wo das Lager der feindlichen Könige in Bezug auf die mê Merôm gelegen haben könnte, da in V.7 eine Position ʿal „oberhalb“ in den Blick genommen wird.174 Allerdings ist diese Stelle textkritisch nicht über jeden Zweifel erhaben, da einige Handschriften hier ʾæl anstelle von ʿal lesen.175 167
Vgl. RÖSEL 1975, 179; BOLING 1982, 307; KNAUF 2010b, 508; RÖSEL 2011, 185. Vgl. KNAUF 2008, 114, der aufgrund dieser abwegigen Verortung auch von der besonderen Panik der kanaanäischen Könige ausgeht. 169 Vgl. zu dieser Lokalisierung NAʾAMAN 1986, 126; GÖRG 1991a, 57; GAL 2006, 91; VAN BEKKUM 2011, 175; NAʾAMAN 2017, 295. 170 Vgl. NAʾAMAN 1986, 126. 171 Eus On 128:4–6. 172 Flavius Josephus gab vermutlich Merom fälschlicherweise als Bērothe wieder, vgl. zu dieser Lokalisierung HOLZINGER 1901, 44; SCHMITT 1995, 244, und verwechselte folglich die beiden Konsonanten m und b miteinander. Dieser Ort sei in Obergaliliäa bei dem bekannten Kedesch gelegen und mit Meron (1910.2650) gleichzusetzen, vgl. MÖLLER/SCHMITT 1976, 138. 173 Jos Ant 5:63. 174 Vgl. auch KEIL 1847, 208. 175 Vgl. HOLZINGER 1901, 42. 168
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Der Verweis auf die Streitwagen in V.4 und die Lokalisierung an den Wassern von Merom verstärken zudem die erhebliche Bedrohungslage für Israel, da man einer Streitwagenmacht in so großer Anzahl hoffnungslos unterlegen war,176 vor allem wenn der Ort der Schlacht für ein Streitwagenheer günstig lag. V.6: LXXB und Vetus Latina geben den All-Quantor kullām mit einfachem αὐτοὺς beziehungsweise illos wieder. Bei MT könnte es sich entweder um eine Erweiterung oder eine teilweise Dittographie mit dem folgenden ḥalālîm handeln.177 Da aber kol in Jos 11 insgesamt 22 mal vorkommt,178 kann dieses Nomen bereits im ursprünglichen Text gestanden haben, dem besonders daran lag, keine halben Sachen zu erzählen. Vetus Latina und Vulgata scheinen zudem ḥalālîm durch die Übertragung mit vulneratos beziehungsweise vulnerandos abzuschwächen. Noch friedlicher formuliert LXX mit τετροπωμένους „Umwendende“ beziehungsweise „in die Flucht Geschlagene“.179 LXXA und zahlreiche griechische Handschriften belegen benê Yiśrāʾel anstelle von einfachem Yiśrāʾel, ohne dass hierfür ein einleuchtender Grund angegeben werden kann. Interessanterweise wird in V.6 nicht explizit gefordert, dass Josua und die Israeliten die Feinde töten sollen, auch wenn die modifizierte Übereignungsformel dies durchaus andeuten könnte.180 Der Begriff ḥalālîm „Durchbohrte“ ist in V.6 bereits ein terminus technicus für Gefallene, auch wenn eine Durchbohrung mit Pfeil, Speer oder Schwert noch nicht zwangsläufig tödlich sein musste.181 Da somit die Feinde nach V.6 bereits ḥalālîm sind, müssen sie nicht erst von YHWH zur Tötung freigegeben werden. Dementsprechend werden die Feinde bereits tot übergeben, sodass Gott offenbar für die Tötung der Gegner verantwortlich ist.182 Erst in V.8 wird Israel selbst aktiv, indem die Feinde nach der Übereignungsformel erschlagen und zerstreut werden. Syntaktisch wird in V.6 nicht ein perfectum propheticum,183 sondern ein Partizipialsatz verwendet, der bereits die schon angebrochene Übergabe der Feinde durch Gott in den Blick nimmt.184 Diese Beobachtung hebt V.6 von den übrigen Sätzen ab, die ebenfalls mit kî māḥār beginnen und Präfixkonjugation 176
Vgl. ZIESE 2008, 236f. Vgl. NELSON 1997, 150. 178 Jos 11,4.5.6.7.10.11(2x).12(2x).14(3x).15.16(3x).17.18.19.21(2x).23. 179 Vgl. zum Problem auch DOZEMAN 2015, 461. Nach MARGOLIS 1914, 289 ist τετροπωμένους aber eine sachgemäße Übersetzung, da es bei einem ungeordneten Rückzug zahlreiche Tote geben kann. 180 Vgl. zum Problem auch WOLTERSTORFF 2011, 240, der darauf hinweist, dass mit der Übergabe auch die Autorisierung zur Vernichtung verbunden sei. 181 Vgl FRITZ 1994, 121. Zu diesem Wort vgl. auch LOHFINK 2004, 420 Anm.25. 182 Vgl. HOWARD 1998, 268; VAN BEKKUM 2011, 120. 183 So aber GRAY 1986, 116. 184 Vgl. LLOYD 1886, 168. Nach HARSTAD 2004, 456 drückt diese Konstruktion das unmittelbare Futur aus. Außerdem werde mit dieser Konstruktion noch die Konnotation „certainty, often with immanency“ ausgedrückt. 177
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verwenden.185 Auch die alternative Formulierung kāʿet māḥār wird in der Regel mit Präfixkonjugation186 und nur einmal im Rahmen eines Partizipialsatzes verwendet.187 Durch den genauen temporalen Hinweis wird zudem die Gewissheit der Erfüllung verstärkt.188 Bisweilen wird angenommen, dass in V.6 ein Bezug zum Hagelwunder in Ex 9,18 angenommen werden darf.189 Allerdings stehen in V.6 beide Zeitangaben in umgekehrter Form, sodass dieser Bezug nicht sicher ist. Fraglich ist zudem, weshalb in V.6 der Eingriff YHWHs erst auf den morgigen Tag verlegt wird,190 zumal es zu einem Überraschungsangriff kommen soll. Vielleicht liegt dies daran, dass in vergleichbaren Überlieferungen eine Abfolge von zwei Tagen üblich ist: ein Tag für die Vorbereitung, der nächste Tag für den Kampf.191 Zweifellos scheint Josua bereits in der Nähe der „Wasser von Merom“ zu sein, da er bereits am nächsten Tag zuschlagen kann. Entweder befinden sich die „Wasser von Merom“ ausweislich dieser Temporalangabe viel südlicher als bisher angenommen, oder Josua ist den Feinden bereits entgegengezogen.192 Die Lähmung der Pferde und die Verbrennung der Wagen mag damit zu erklären sein, dass Israel keine neue militärische Technologie benötigt. Möglicherweise konnte man aber auch diese Waffengattung selbst noch nicht beherrschen, sodass man durch deren Zerstörung die anschließende Verwendung durch die Kanaanäer ausschließen musste.193 Ein ähnlicher Fall der Zerstörung von Wagen wird nur noch in 2Kön 23,11 erzählt, wenn im Rahmen der Joschijanischen Kultreform die Sonnenwagen verbrannt, sowie die dazugehörigen Pferde abgeschafft werden. Außerdem wird auf diese Weise Dtn 17,16 befolgt, wonach man sich keine Pferde zusätzlich anschaffen sollte. Vielmehr ist das Vertrauen auf YHWH für den militärischen Erfolg entscheidend.194 Möglicherweise ist in V.6 auch eine prophetische Anspielung zu finden, da die Worte
185
Jos 3,5; Ri 20,28; Jes 22,13. DE VRIES 1975, 81 Anm.2 bezeichnet den Partizipialsatz als „awkward combination“. Insofern ist die Einordnung dieser Konstruktion als „a mere conventionality“, vgl. DE VRIES 1975, 82, eigentlich nicht gerechtfertigt. 186 1Sam 9,16; 20,12; 1Kön 19,2; 20,6. 187 Ex 9,18. Mit Imperativ in 2Kön 10,6 und ohne Verb in 2Kön 7,1.18. 188 Vgl. MATHEWS 2016, 104. 189 So aber KNAUF 2008, 114. 190 Vgl. zum Problem DE VRIES 1975, 82. 191 Vgl. DE VRIES 1975, 83 Anm.2. 192 Vgl. zu dieser Alternative KEIL 1847, 208; KNOBEL 1861, 400; OETTLI 1893, 161; STEUERNAGEL 1901, 195f. 193 Vgl. ZIESE 2008, 238 Anm.22. Nach HERTZBERG 1985, 79 konnte erst Salomo diese Waffengattung nach 1Kön 5,6 nutzen. 194 Vgl. WOUDSTRA 1981, 191; YOUNGER 2008, 27. Vgl. hierzu auch SPRONK 1994, 94, der auf Ps 46,9–10 verweist. Ähnlich schon LLOYD 1886, 169, der auf Ps 20,8 hinweist. Zu diesem besonderen Gottvertrauen vgl. auch KEIL 1847, 209; HENTSCHEL 2004, 155–157.
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
295
„Pferd“, „Wagen“, „zahlreich“ und „sehr“ ansonsten nur noch in Jes 31,1 begegnen.195 Vielleicht bezeichnen beide Anweisungen sogar den Anfang und das Ende der Operation. Mitunter sollte Israel diese Waffengattung bewusst ausschalten, damit Panik im feindlichen Heer erzeugt wird.196 Zunächst hätten die Israeliten die Pferde gelähmt, damit die Feinde zu Fuß fliehen mussten und danach konnte man die Streitwagen anzünden.197 Möglicherweise erfolgte der Angriff der Israeliten bei Nacht, da die Streitwagen zu diesem Zeitpunkt nicht effektiv eingesetzt werden konnten und die Pferde in Panik geraten konnten.198 Durch die Verbrennung wurden zudem die feindlichen Streitwagen YHWH übereignet und damit der Bannweihe unterzogen.199 Der Umstand, dass die Wagen verbrannt wurden, zeigt, dass diese Fahrzeuge in erster Linie aus Holz waren,200 auch wenn sie mit Metallapplikationen versehen sein konnten. Es könnte sich bei ʿQR um einen privativen Denominativ eines im Alten Testament nicht belegten hebräischen Nomens „hinterseitiger Oberschenkelmuskel“ handeln.201 Das Verb ʿQR-D „lähmen“ bezieht sich somit auf das Durchschneiden der Sehnen der Hinterläufe.202 Auf diese Weise können sich die Pferde nicht mehr bewegen. Sie sind somit für den Einsatz im Krieg nicht mehr zu gebrauchen.203 In der Regel wurden nur die Sehnen durchtrennt und die Arterien nicht beschädigt, da das Tier sonst verblutet wäre.204 Eine Verletzung der Arterien wäre in der Tat eine grausame Tötungsart gewesen. Ob die Lähmung der Pferde aber wie schon die Verbrennung der Wagen als Vollzug der Bannweihe zu deuten ist, da damit das Kriegsgerät vernichtet wird,205 ist 195
Vgl. auch KNAUF 2008, 114, der hier eine Prophetenredaktion vermutet. Schon SMEND 1912, 310 vermutet, dass die Lähmung der Pferde und die Zerstörung des Kriegsgeräts mit dem Pazifismus des Jesajabuches zu verbinden sei. 196 Vgl. AULD 1984, 78; GRAY 1986, 116; HALL 2010, 188. 197 Vgl. hierzu BOLING 1982, 307; KANG 1989, 164. Zu dieser Strategie vgl. DE VAUX 1978, 662. Ähnlich auch GRAY 1966, 51. Auffällig ist zumindest, dass der eigentliche Schlachtverlauf nicht geschildert wird, vgl. HUBBARD 2009, 327. 198 Vgl. GRAY 1986, 116. 199 Vgl. FRITZ 1994, 121. 200 Vgl. ABEL 1949, 336. 201 Vgl. HARSTAD 2004, 456. 202 Vgl. OETTLI 1893, 161; FABRY 1989, 344; GÖRG 1991a, 57; FRITZ 1994, 121; HARSTAD 2004, 456; YOUNGER 2008, 27; HALL 2010, 188; MÜNCH-WIRTZ 2010, 110. Nach NOTH 1971a, 62 bedeutet ʿQR eigentlich „die Sehnen der Hinterbeine zerhauen“. 203 Vgl. ZWICKEL 2006, 27. Nach KREBS 1966, 359f. könnte der Brauch der Lähmung der Tiere mit einer Übergabe in das Totenreich verbunden werden, wofür es im arabischen Bereich Parallelen gibt, wo man Tiere als Grabbeigaben gelähmt mitgab, damit diese nicht fortlaufen konnten. 204 Vgl. LLOYD 1886, 168. Anders noch KEIL 1847, 209, der vermutet, dass auch die Arterien verletzt wurden, sodass das Pferd langsam verblutete. 205 Vgl. YOUNGER 2008, 27. Kritisch hierzu RÖSEL 2011, 186.
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Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
umstritten.206 Zwar steht V.6 im Kontext der Bannvorschrift. Aber eine explizite Verbindung der Lähmung mit der Bannweihe wird nicht vorgenommen. Durch die Lähmung waren jedenfalls die Pferde nicht mehr für den Kriegseinsatz geeignet.207 Grundsätzlich bieten sich zwei Interpretationsmöglichkeiten für die Lähmung der Kriegspferde an. Zum einen kann die Lähmung als militärische Strategie gedeutet werden, um den Feind in Panik zu versetzen, zum anderen wäre die Lähmung im Rahmen des Umgangs mit der Beute nach dem Sieg über den Feind zu verstehen. Ein Lähmen von Pferden findet sich nur in Texten der Frühzeit, als man in Israel zum einen mit Streitwagen offenbar noch nicht umgehen konnte. Zum anderen konnte ein Streitwagenheer im Bergland Palästinas nicht sinnvoll eingesetzt werden, da man im hügeligen Terrain bei hohem Tempo schnell einen Rad- oder Achsbruch erleiden und dann relativ wehrlos vom Feind angegriffen werden konnte. Außerdem benötigen die Aufzucht und das Training von Pferden sehr viel Zeit und Muse. Einen solchen Luxus konnte sich eine bäuerliche Subsistenzgesellschaft kaum erlauben. Insofern scheint es sich bei der Lähmung der Pferde um eine Vorgehensweise zu handeln, die vermutlich in die Frühzeit Israels weist und historisch durchaus zuverlässig sein kann.208 V.7: Das Lexem Bōʾ „kommen“ am Satzanfang, das eine ganze Bandbreite von Bedeutungen auf sich vereint, wird ebenfalls in Kriegserzählungen gebraucht, um den Eintritt in Kampfhandlungen auszudrücken.209 Fraglich ist, ob sich die Bezeichnung ʿam hammilḥāmāh auf den Heerbann von Efraim und Benjamin bezieht,210 zumal in der ursprünglichen Tradition auch nur eine Auseinandersetzung zwischen Naftali und dem kanaanäischen König von Hazor im Blick gewesen sein könnte. Im vorliegenden Text ist der ʿam hammilḥāmāh aber sicherlich gesamtisraelitisch zu deuten, sodass sich der gesamte Heerbann Israels der feindlichen Allianz entgegenstellt. LXX lässt ʿimmô aus, was vielleicht als unnötige Doppelung zum vorausgehenden ʿam betrachtet wurde,211 vor allem wenn man ʿimmô zu ʿammô „sein Volk“ umvokalisiert. Möglicherweise ist dieser Textverlust aber auch aufgrund von Haplographie zu erklären, da man unabsichtlich zum nächsten Vorkommen des Konsonanten ʿ wechselte.212 Vetus Latina verzichtet ebenfalls auf die Wiedergabe der Präpositionalangabe ʿimmô, hat aber am Schluss von V.8 die eigenwillige Lesart et invasit in illos timor in montuosa. Fraglich ist, weshalb 206
So aber FABRY 1989, 345; FRITZ 1994, 121; SCHMITT 2011, 109. Ob die Pferde einen langsamen und qualvollen Tod sterben sollten, um Israel zu lehren, dass man sich nicht auf Pferde verlassen soll, vgl. hierzu WOUDSTRA 1981, 192 Anm.24, ist mehr als fraglich. 208 Vgl. ZWICKEL 2006, 27–29. 209 Vgl. ROWLETT 1996, 129. 210 Vgl. BOLING 1982, 307f. 211 Vgl. NELSON 1997, 150. 212 Vgl. BOLING 1982, 303: ʿ[mw ʿ]lykm. 207
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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hier die Rede davon ist, dass das Heer Josuas beim Feind im Gebirge Furcht bewirkt hat. Auch LXX hat die zusätzliche Ergänzung „im Gebirge“, was vielleicht durch eine falsche verdoppelte Lesart von bāhār anstelle von bāhæm ausgelöst wurde.213 Möglicherweise wurde bāhār erst sekundär mit Blick auf Ri 4,14 eingetragen.214 Demnach wäre zu überlegen, ob nicht bāhār separativ „aus dem Gebirge“ zu übersetzen wäre.215 Allerdings erzeugt dieser Zusatz erhebliche inhaltliche Schwierigkeiten. Denn von einer Bewegung des kanaanäischen Heeres ins Gebirge zum Kampf mit den Israeliten ist nirgendwo die Rede, zumal Israel plötzlich den Feind angriff. Hinzu kommt, dass sich das feindliche Heer sicherlich nicht an den taktisch ungünstig gelegenen Berghängen versammelt hat. Insofern erübrigt es sich, dass Josua an den Berghängen der Ebene über sie herfiel, bevor sie sich auf dem ebenen Boden sammeln konnten.216 Allerdings könnte bāhār im MT auch aufgrund von Haplographie entfallen sein, zumal dieser Zusatz die lectio difficilior ist. Da es darüber hinaus für einen redaktionellen Zusatz bāhār kaum eine Erklärung gibt, könnte die Präpositionalverbindung bāhār durchaus ursprünglich gewesen sein. Vielleicht sollte mit bāhār ausgedrückt werden, dass das Gelände hügelig und damit für den Einsatz von Streitwagen ungeeignet war.217 Hier kommt man über Vermutungen kaum noch hinaus. Das Verb NPL „fallen“ weist im Josuabuch ein großes Spektrum an verschiedenen Bedeutungen auf.218 NPL kann wörtlich „hinfallen“ bedeuten.219 Darüber hinaus steht NPL auch für „sterben, getötet werden“.220 Außerdem kann NPL für „überraschen, überfallen“ verwendet werden.221 Zudem kann NPL mit „versagen“ wiedergegeben werden.222 In wenigen Fällen wird das Verb im Zusammenhang mit der Aufteilung des Landes durch den Losentscheid eingesetzt. In V.7 wird NPL sicherlich in der Bedeutung eines feindlichen Überfalls verwendet. Auch wenn dies nicht explizit berichtet wird, scheint YHWH die Feinde mit einer Panik in die Hand Israels gegeben zu haben.223 Der überraschende Angriff durch hochmotivierte Krieger auf eine unvorbereitete
213 Vgl. zum Problem auch BENNETT 1895, 27; HOLMES 1914, 53; AULD 2005, 167; VAN BEKKUM 2011, 120; BUTLER 2014, 500. 214 Vgl. DE VRIES 1975, 83 Anm.1. 215 Vgl. hierzu SOGGIN 1975, 227f.; BOLING 1982, 308. 216 So aber LLOYD 1886, 169. 217 Vgl. ABEL 1949, 338. 218 Vgl. VAN BEKKUM 2011, 120. 219 Jos 5,14; 6,5.20; 7,6.10. 220 Jos 8,24.25. 221 Jos 2,9; 11,7. 222 Jos 21,45; 23,14. 223 Vgl. NELSON 1997, 153; YOUNGER 2008, 27.
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Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
Streitwagentruppe, die gerade nicht einsatzbereit ist, mag durchaus erfolgversprechend sein.224 Ähnlich wie in Jos 10,9 führte somit auch hier der überraschende Angriff zum Erfolg. Bei kriegerischen Auseinandersetzungen sollte man zudem den Überraschungseffekt nicht unterschätzen. Um das feindliche Streitwagenheer überhaupt besiegen zu können, war ein Überraschungsangriff nötig.225 Vielleicht wurde der Zeitpunkt der Nacht gewählt, um die Wagenpferde in Panik zu versetzen.226 V.8: LXX und Vetus Latina verwenden einen Plural bîdê anstelle von singularischem beyad des MT (ὑποχειρίους Ισραηλ beziehungsweise in manibus). LXXB und Vetus Latina geben zudem den Doppelnamen Misrefot-Majim nur mit Μασερων beziehungsweise Mazeroth wieder,227 während einzelne griechische Textzeugen auch den zweiten Teil übertragen. Auffälligerweise wird der erste Namensbestandteil immer transliteriert, obschon eine Übersetzung möglich wäre.228 Vielleicht ist bisweilen der zweite Teil des Namens (mayim) angesichts des gleichen Wortbeginns mit dem Konsonanten m aufgrund von Haplographie entfallen.229 Gelegentlich wird vermutet, dass zusätzlich noch miyyām zu ergänzen wäre,230 das aber aufgrund von Haplographie hinter mayim im MT ausgefallen wäre. Die Übereignungsformel NTN beyad ist im Alten Testament breit belegt. Sie ist zunächst im Rahmen der Gottesbefragung gebräuchlich,231 wird aber später auch rein literarisch verwendet.232 Die Verbindung der beiden Verben NKYRDP zeigt, dass es zu einer panikartigen Flucht der überraschten Feinde und nicht zu einem Gemetzel kam.233 Die biblische Beschreibung mutet aber ohnehin fantastisch an, da die Israeliten bei der Verfolgung viele feindliche Städte im Rücken haben und somit Gefahr laufen, den anfänglichen Sieg leichtfertig zu verspielen. Außerdem erschließt sich nicht, weshalb die feindlichen Könige 224
Zum Überraschungsangriff vgl. ABEL 1949, 337; KANG 1989, 164. Vgl. HALL 2010, 187. 226 Vgl. GRAY 1966, 51. 227 Nach SOGGIN 1982, 134 könnte die Lesart Μασερων auf mehašŠārôn „vom Scharon“ zurückgehen. GRAY 1966, 27 Anm.1 vermutet zudem, dass mayim eine korrupte Lesart für miyyām gewesen sei. 228 Vgl. GREENSPOON 1983, 45f. 229 Vgl. BARTHÉLEMY 1982, 20. 230 Vgl. HERTZBERG 1985, 77. Anders NOTH 1971a, 68f., der den zweiten Teil Majim als miyyām „im Westen“ deutet. 231 Vgl. hierzu RICHTER 1963, 21–24. Nach VAN DER LINGEN 1990, 244f. wird die Übereignungsformel auch des Öfteren mit der Ermutigungsformel verbunden. MÜNCH-WIRTZ 2010, 119 spricht in diesem Zusammenhang von einer Zuspruchformel, die oft folgende Elemente enthält: Zuspruch, Verb, Objekt, Begründung, Befehl. Diese Formel hat die Funktion, die Furcht vor den Feinden zu beseitigen. 232 Vgl. BIEBERSTEIN 1995, 319. 233 Vgl. BOLING 1982, 308. FINKELSTEIN 2017, 284 vermutet, dass im Hintergrund von Jos 11,8 die Eroberungsfeldzüge von Jerobeam II. stehen. 225
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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nicht in ihre Heimatstädte fliehen. Aufgrund der genannten Orte (Sidon, Misrefot-Majim, Mizpe) scheint das feindliche Heer nach Norden geflohen zu sein.234 Vielleicht wurde das fliehende Heer aber auch kreisförmig um Galiläa gejagt.235 Eine andere Möglichkeit wäre, dass das feindliche Heer gleichzeitig nach Westen und nach Osten floh.236 Der Name Misrefot-Majim, abgeleitet von der hebräischen Wurzel ŚRF „verbrennen“, verweist entweder auf heiße Quellen oder auf Schmelzbetriebe,237 die am Meer liegen und vielleicht mit der Herstellung von Metallen oder Glas verbunden werden können. Bei dem Toponym Misrefot-Majim „Brandöfen am Wasser“ könnte es sich um das weiße Vorgebirge Rās en-Nāqūra (1601.2776) handeln.238 Vielleicht ist der dazugehörige Ort Misrefot-Majim aufgrund des Kriteriums des Namenserhaltes mit Ḫirbet el-Mušērife (1602.2766) gleichzusetzen.239 Das Toponym Misrefot-Majim könnte jedoch auch etymologisch mit einer arabischen Wurzel šarufa „hoch sein“ verbunden werden,240 sodass es sich hierbei um „Berghöhen am Meer“ handelt.241 Eine weitere Ableitung wäre von einer Wurzel ŚRF „füllen“. Dann würde der Ort Misrefot-Majim mit „Fluss des Wassers“ wiederzugeben sein. Dementsprechend wäre dieser Ort am LitaniFluss zu suchen.242 In diesem Fall könnte man Misrefot-Majim möglicherweise mit dem arabischen Ort Serife (1873.2984) identifizieren.243 Eine allseits akzeptierte Identifikation von Misrefot-Majim ist bislang noch nicht geglückt. Gelegentlich wird der Ortsname Miṣpæh wie in V.3 zu Miṣpāh geändert.244 Ob diese Änderung allerdings nötig ist, ist fraglich, da in V.3 vom Land, und 234
Vgl. MILLER/TUCKER 1974, 94. Vgl. HESS 1996a, 233. 236 Vgl. RUDOLPH 1938, 210. 237 Vgl. LLOYD 1886, 169f., der zusätzlich noch eine Verbindung zu Sarepta herstellt, was aber etymologisch ausweislich des unterschiedlichen Sibilanten ausgeschlossen ist. 238 Vgl. HERTZBERG 1985, 79. Nach BOLING 1982, 308 wäre aber auch eine etymologische Ableitung von einer im arabischen belegten Wurzel ŠRF „berühmt sein“ denkbar, sodass Misrefot-Majim dann „Berühmtheit über den Wassern“ heißen könnte. TUR-SINAI 1959, 35 vermutet, dass hier eigentlich mîšôr nāfôt majim zu lesen wäre und es sich bei Misrefot-Majim um ein Gebiet am Fuße des Berges Karmel östlich von Tell Dor handelt. 239 Vgl. GRAY 1966, 27; NOTH 1971a, 69; SOGGIN 1982, 135; BOLING 1982, 308; GÖRG 1991a, 57; HUBBARD 2009, 328; COLESON 2012, 109. RÜTERSWÖRDEN 1993, 891 schlägt noch Mīnet el-Mušērife (1602.2766) vor, wobei es sich vermutlich um denselben Ort handeln wird. Kritisch zu dieser Identifizierung GASS 2021b, 424. 240 Vgl. WEHR 1958, 425. 241 Vgl. schon KNOBEL 1861, 400. 242 Vgl. hierzu auch LLOYD 1886, 170. FRITZ 1994, 121 hingegen identifiziert MisrefotMajim mit dem Litani-Fluss. Dagegen aber RÖSEL 2011, 187. 243 Vgl. NAʾAMAN 1986, 49, der allerdings darauf hinweist, dass über den archäologischen Befund im Ort Serife nichts bekannt ist. 244 Vgl. FRITZ 1994, 119. Nach SOGGIN 1982, 134; VAN BEKKUM 2011, 120 sind beide Orte ohnehin identisch. Nach NOTH 1971a, 62 ist in beiden Fällen entweder Miṣpæh oder Miṣpāh zu lesen. 235
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Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
in V.8 von einer Talebene die Rede ist. Da hier somit unterschiedliche geographische Vorstellungen vorliegen, sollte man nicht vorschnell beide Orte miteinander identifizieren. Von der Talebene Mizpe ist lediglich bekannt, dass sie irgendwo im Osten liegt. Da das Lexem biqʿāh von einer Wurzel BQʿ „spalten“ abgeleitet werden kann, handelt es sich dabei vermutlich um eine große Talebene zwischen zwei Bergen und nicht um ein reguläres Tal.245 Fraglich ist, ob zwischen der biqʿāh von Mizpe und der biqʿāh in V.17 ein Zusammenhang besteht. Dann wäre die Talebene von Mizpa mit der Beqāʿ-Ebene identisch. Hier kommt man aber über Vermutungen kaum noch hinaus. Vulgata ergänzt beim zweiten wayyakkum noch einen All-Quantor, vermutlich um die Vollständigkeit der Vernichtung zusätzlich zu unterstreichen. Denn das erste wayyakkum konnte noch nicht die vollständige Auslöschung behaupten, da ein Teil der Feinde erst auf der Flucht umgebracht wird. Wer aber beim ersten wayyakkum noch nicht getötet wurde, ist dem zweiten Schlag nach Vulgata zum Opfer gefallen. Vetus Latina verzichtet zudem auf die Wiedergabe von lāhæm, da diese Präpositionalverbindung redundant ist. Denn schon aus dem Zusammenhang wird klar, dass die Feinde auf der Flucht eliminiert werden. Mit der Fluchterzählung in V.8 wird zudem nachdrücklich betont, dass die Urbevölkerung aus dem Verheißungsland flüchtet. Auf diese Weise wird somit das Problem der fremdartigen kanaanäischen Vorbevölkerung geschickt gelöst.246 Auch wenn dies an sich nicht nötig ist, wird noch unterstrichen, dass die Flüchtenden erschlagen werden.247 Obschon die Fremdbevölkerung aus dem Verheißungsland flieht, genügt dies dem Autor nicht. Diese gefährliche Bevölkerung muss darüber hinaus noch erschlagen werden, um jede künftige Gefahr im Vorfeld zu bannen. V.9: LXX verstärkt in V.9 den MT, indem einfaches ʾMR „sprechen“ in V.9 in den meisten Handschriften mit ἐνετείλατο übertragen wird, wobei diese Lesart nicht von allen griechischen Handschriften unterstützt wird. Demnach handelt es sich nicht nur um ein Wort, sondern um einen Befehl YHWHs. Vulgata verzichtet zudem auf das Subjekt Josua und auf lāhæm, wodurch der unbedingte Gehorsam Josuas noch zusätzlich eingeschärft wird, da Josua offenbar alles genau so befolgte, wie es YHWH ihm befohlen hatte, ohne dass man hier eine einschränkende Präpositionalverbindung benötigt. Außerdem wird der Präpositionalausdruck bāʾeš „mit Feuer“ von Vulgata als redundant gestrichen. Beide Änderungen der alten Übersetzungen sind interessengeleitet und müssen keinen abweichenden ursprünglichen Text andeuten. Vielmehr sollte der absolute Gehorsam Josuas besonders herausgestellt werden. In V.9 wird zudem verdeutlicht, dass YHWH der eigentliche Dirigent des Massakers ist, während 245
Vgl. LLOYD 1886, 170. Vgl. RÖSEL 2011, 187. 247 Vgl. RÖSEL 1992, 10. 246
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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Josua nur als gehorsames Vollzugsorgan der Befehle agiert.248 Vor allem der Aspekt des Gehorsams wird hier betont, indem der Befehl YHWHs von Josua exakt umgesetzt wird.249 V.10: Einige griechische Handschriften und Vetus Latina erweitern das Subjekt Josua im ersten Satz um wekol Yiśrāʾel ʿimmô. Diese Erweiterung ist jedoch zum einen in Jos 11 singulär und zum anderen gibt es keinen Grund für eine sekundäre Kürzung, sodass es sich hierbei tatsächlich um den ursprünglichen Text handeln könnte. Allerdings müsste man dann den Wechsel in den Singular erklären, es sei denn man versteht das Kollektiv „Josua und die Gesamtheit Israels mit ihm“ als singularische Größe. Vielleicht wollte ein Redaktor hier die gesamtisraelitische Perspektive eintragen. Trotz alledem gibt es keinen Grund, den MT zu verändern. In LXX fehlt der Satz hikkāh bæḥāræb „erschlug er mit dem Schwert“. Ob dieser Textverlust aufgrund von Haplographie erfolgte, ist fraglich. Dies wäre dann möglich, wenn zuvor mælæk anstelle von malkāh stand und der Abschreiber vom wortschließenden Konsonanten von mælæk zur Konjunktion kî abgeirrt wäre.250 Dementsprechend gibt es auf den ersten Blick für den Verlust keine einsichtige Erklärung. Allerdings gibt es auch keine Anzeichen für einen redaktionellen Zusatz,251 es sei denn, dass hier sekundär eingetragen wurde, dass auch der König von Hazor explizit vernichtet wurde. Dieser Zusatz hätte allerdings die Spannung mit Ri 4 erzeugt,252 sodass eher unwahrscheinlich ist, dass dieser Widerspruch erst redaktionell geschaffen wurde. Insgesamt wird wohl der längere MT als lectio difficilior der zuverlässigere Text sein. Vermutlich wollte LXX eine Doppelung zu V.11 beseitigen.253 Hinzu kommt, dass Vetus Latina den MT durchaus bestätigt (occidit gladio), sodass nicht von einem ursprünglich kürzeren Text ausgegangen werden sollte. Vulgata betont zudem die schnelle Abfolge der Ereignisse, indem das Adverb statim „sogleich“ anstelle des Präpositionalausdrucks bāʿet hahîʾ „in jener Zeit“ verwendet und aus beiden Sätzen des MT ein Satz gebildet wird. Von Vulgata wird offenbar der MT leicht abgekürzt. Einige hebräische Handschriften belegen noch die abweichende Lesart roʾš lekål anstelle von roʾš kål, was aber keine wirkliche Bedeutungsdifferenz mit sich bringt. Denn die Constructusverbindung des MT wird hier durch eine Präpositionalverbindung ersetzt, die ebenfalls eine Art possessives Beziehungsverhältnis zwischen roʾš und kål hammamlākôt auszudrücken vermag.
248
Vgl. auch GÖRG 1991a, 58. Vgl. EDERER 2017, 180. 250 Vgl. HOLMES 1914, 53. 251 Vgl. NELSON 1997, 150. 252 Insofern wäre es auch möglich, dass der Redaktor von Ri 4 noch eine Vorform von Jos 11 hatte, in der die Erschlagung Jabins noch nicht explizit eingetragen war. 253 Vgl. HOLZINGER 1901, 42. 249
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Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
Die Verwendung des Verbs ŠūB „umkehren“ könnte andeuten, dass Josua nun wiederum eine neue militärische Operation in Angriff nahm,254 sodass die Rückkehr in ein Lager nicht ausgedrückt werden sollte. Für den Fall, dass die Wasser von Merom nördlich von Hazor liegen,255 musste Josua in der Tat umkehren. Möglicherweise ist hier aber auch eine Schwenkung nach rechts im Blick.256 Vielleicht ist ŠūB jedoch auch als Modifikatorverb zu verstehen, das hier andeuten möchte, dass Josua wiederum die Eroberung einer bestimmten Stadt in Angriff genommen haben könnte.257 Schließlich könnte mit ŠūB angedeutet sein, dass die Eroberung von Hazor zeitlich direkt an die Schlacht bei den Wassern von Merom anschloss.258 Letztendlich ist somit der verbale Anschluss wayyāšåb vieldeutig, sodass die eigentliche Abfolge der Ereignisse nicht mehr genau rekonstruiert werden kann, was aber wohl vom biblischen Autor auch nicht beabsichtigt war. Der Temporalmarker bāʿet hahîʾ „in jener Zeit“ könnte mitunter andeuten, dass der nördliche Feldzug mit der Verfolgung der Feinde einige Tage andauerte.259 Durch den Temporalmarker bāʿet hahîʾ werden beide Erzählungen (Schlacht an den Wassern von Merom und Eroberung Hazors) aufeinander bezogen, sodass die Eroberung von Hazor zum selben Feldzug gerechnet wird. Die Präpositionalverbindung bāʿet hahîʾ wird in Jos 11 zudem verwendet, um drei Erzählstränge zusammenzuführen und die Erzählung zu gliedern.260 Dieser Temporalmarker wird außerdem noch zwei weitere Male im ersten Teil des Josuabuches und des Öfteren im Deuteronomium verwendet.261 Der kî-Satz ist keine wirkliche Begründung für die Tötung des Königs von Hazor. Denn auch die Könige von viel kleineren Städten wurden im Rahmen des südlichen Feldzugs hingerichtet.262 Die Bedeutung von lefānîm „früher“ ist umstritten, zumal diese Präpositionalverbindung andeuten könnte, dass die Stadt Hazor zum Zeitpunkt des Angriffs der Israeliten ohnehin schon sehr geschwächt und daher eine leichte Beute für die Israeliten war. Problematisch bei einer chronologischen Verortung des Satzes ist zudem, dass sich lefānîm „früher“ auf die jüngste oder die entfernte Vergangenheit beziehen kann,263 sodass der Zeitpunkt der besonderen Größe Hazors nicht exakt festgelegt ist. In der 254
Vgl. WOUDSTRA 1981, 192. So KNAUF 2008, 114. 256 Vgl. HOLZINGER 1901, 45. 257 Vgl. EHRLICH 1910, 39. 258 Vgl. HOWARD 1998, 270. 259 Vgl. KEIL 1847, 210. Nach HOLZINGER 1901, 43 ist dieser dtr. Temporalmarker darüber hinaus „lahm und entbehrlich“. 260 Jos 11,10.21. 261 Dtn 1,9.16.18; 2,34; 3,4.8.12.18.21.23; 4,14; 5,5; 9,20; 10,1.8; Jos 5,2; 6,26. 262 Vgl. auch KNAUF 2008, 115. 263 Vgl. MALAMAT 1960, 12 Anm.1. Zu diesem temporalen Adverb vgl. auch HARSTAD 2004, 459. 255
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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Tat war Hazor in der Spätbronzezeit mit einer Größe von etwa 84 ha die einzige Großstadt in Palästina. Der Wohlstand der Kanaanäerstadt Hazor beruhte vermutlich auf der Nutzung der lukrativen, überregionalen Handelsverbindungen.264 Die Einnahme der überaus stark befestigten Stadt Hazor war zudem für die israelitischen Stammeskrieger schon deshalb möglich,265 da Hazor nach dem vernichtenden Sieg über die kanaanäische Streitmacht relativ ungeschützt war. Bei einer derartigen Deutung von lefānîm wird jedoch die besondere Leistung der Israeliten heruntergespielt, auf die der Erzähler aber ansonsten sein Augenmerk legt. Es ist daher wahrscheinlicher, dass lefānîm auf die Zeit des Erzählers zu beziehen ist, der in die Landnahmezeit zurückblickt. Dementsprechend liegt hier vermutlich ein Autorenkommentar vor. Das Idiom roʾš kål hammamlākôt hāʾellæh ist vermutlich dergestalt zu deuten, dass Hazor das Oberhaupt der umliegenden Stadtstaaten war, ohne dass die Reichweite des Einflussbereiches Hazors ausgedrückt wird.266 Allerdings wäre auch denkbar, dass bei hammamlākôt hāʾellæh nur die zuvor genannten Stadtkönigtümer im Blick sind, die die nördliche Koalition gebildet haben.267 Möglicherweise ist das Lexem roʾš aber auch nur als Vorort der kanaanäischen Königreiche zu deuten,268 sodass man diesen Ort zuerst und härter als die übrigen Orte bestrafen musste. Durch diese Bezeichnung wird zudem verdeutlicht, dass Josua den militärischen Widerstand im Norden mit der Zerstörung des bedeutenden Stadtstaates Hazor endgültig ausgeschaltet hat, womit der Nordfeldzug abgeschlossen werden konnte. Vielleicht sollte mit dieser Lexematik auch ausgedrückt werden, dass Hazor die Führung über die kanaanäischen Stadtstaaten übernommen hatte.269 Ob Hazor seine dominierende Position durch Gewaltausübung erreicht und gesichert hat, wird hier nicht angedeutet. Insofern kann man auch nicht die Zerstörung Hazors als gerechte Strafe für das vorherige Blutvergießen deuten.270 Hier geht es vielmehr darum, zu zeigen, dass selbst die stolze Geschichte Hazors und eine überaus starke Armee nicht die Landgabe YHWHs an Israel verhindern kann.271 Außerdem könnte die Zerstörung Hazors auch ein Zeichen für Israel dafür sein, dass Gott keinerlei derartigen Größenwahn und Selbstüberschätzung neben sich duldet.272
264
Vgl. hierzu ZWICKEL 2003, 47. Vgl. auch GRAY 1986, 116f. 266 Vgl. NOTH 1971d, 44. 267 Vgl. VAN BEKKUM 2011, 184. 268 Vgl. auch DILLMANN 1886, 498. 269 Vgl. MAASS 1961, 109. 270 So aber HUBBARD 2009, 329. Kritisch hierzu hingegen BUTLER 2014, 515. 271 Vgl. BUTLER 2014, 515. 272 Vgl. SPRONK 1994, 94. 265
304
Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
V.11: Der Ausdruck lefî ḥæræb „mit der Schärfe des Schwerts“ wird von Vulgata ganz weggelassen, während LXX zumindest ἐν ξίφει setzt.273 LXX und Vetus Latina dehnen die Bannweihe zusätzlich auf die Gesamtheit aus (πάντας beziehungsweise omnes), während in MT der All-Quantor fehlt. Vermutlich wollte man zusätzlich sicherstellen, dass die gesamte Bevölkerung gebannt wurde. Außerdem wird im folgenden Satz, der die Schonungslosigkeit betont, von LXX noch eine Verortung (ἐν αὐτῇ) angegeben, während der All-Quantor vor nešāmāh wegfällt. Vetus Latina hat statt kål einfaches quisque. Während MT die Verben in V.11 trotz des Singulars in V.10 bis auf den letzten Satz weitgehend in den Plural setzt, übertragen Vulgata und Peschitta die Verbalformen konsequent singularisch.274 LXX und Vetus Latina versetzen hingegen alle Formen in den Plural. Der auffällige Wechsel zwischen Singular und Plural wurde folglich von den Versionen unterschiedlich wiedergegeben. Offenbar variierte der ursprüngliche Text bewusst im Numerus, um das Vernichtungshandeln verschiedenen Akteuren zuzuschreiben. Ob man diesen Wechsel literarkritisch verwerten darf, ist fraglich. Möglicherweise ist in MT anstelle der Suffixkonjugation 3. maskulin Singular śāraf ein Infinitivus absolutus śārof zu lesen.275 Dann wären in V.11 zwei Belege für einen Infinitivus absolutus zu finden (haḥarem und śārof). Für eine Änderung zu śārof gibt es aber keinen notwendigen Grund. Der infinitivus absolutus haḥarem verstärkt das Verb ḤRM, um zu betonen, dass die Ausführung der Bannweihe unbedingt durchzuführen ist.276 Da der Infinitiv haḥarem darüber hinaus kein Objekt hat, könnte mit dieser Form die Bannweihe emphatisch verstärkt sein. Auch an eine elative oder durative Bedeutung könnte gedacht werden.277 Nur hier und in Dtn 3,6 vertritt der infinitivus absolutus haḥarem ein finites Verb, sodass offenbar die Bannweihe über Hazor mit derjenigen des gefürchteten Amoriterkönigs Sihon von Heschbon gleichgesetzt werden soll. Bisweilen wird vermutet, dass der infinitivus absolutus haḥarem adverbiell das Verb NKY ergänzen soll. Dann wäre dieser Ausdruck mit „zur Vollstreckung des Banns“ wiederzugeben.278 Aus alledem folgt, dass die Bedeutung des infinitivus absolutus nicht mehr sicher bestimmt werden kann. In V.11 werden Idiome verwendet, die schon im südlichen Eroberungsfeldzug in Jos 10,28–39 standen. Auf diese Weise wird die Eroberung Hazors auf den ersten Blick mit den Ereignissen im Süden parallelisiert. Trotzdem werden
273
Vgl. zu dieser freien Wiedergabe GREENSPOON 1983, 366. Vgl. BOLING 1982, 303. 275 Vgl. BOLING 1982, 303. 276 Dtn 7,2; 20,17. 277 Vgl. BOLING 1982, 308. 278 Vgl. NOTH 1971a, 62. Zum adverbiellen Gebrauch des infinitivus absolutus vgl. auch HARSTAD 2004, 459. 274
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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in V.10–11 auch markante eigene Akzente gesetzt, die eine gewisse Eigenständigkeit zeigen. Hierzu gehören die herausragende Bedeutung der Königsstadt Hazor (V.10), die doppelte Erwähnung von NKY (V.10–11) sowie die Verbrennung von Hazor (V.11).279 Zumindest die letzte Aktion der Brandschatzung findet sich bei Jericho und Ai,280 sodass Hazor ähnlich wie die ersten beiden eroberten Städte behandelt wird. Auf diese Weise wird die Landeroberung mit der Zerstörung von bedeutenden Städten gerahmt (Jericho und Ai in Jos 6–8 und Hazor in Jos 11). Ob es tatsächlich zu einer Zerstörung durch Brand gekommen ist, ist daher ausweislich dieser Rahmung nicht gesichert. Aber auch archäologisch muss man nicht nach Brandspuren suchen,281 um die Zuverlässigkeit der biblischen Angaben zu überprüfen. Denn eine Brandschicht kann angesichts der langen Siedlungslücke durch Erosion und Verwehung verschwinden. Außerdem wird in V.11 darauf hingewiesen, dass kål nešāmāh vernichtet werden muss, was dem dtr. Banngebot entspricht und unbedingt befolgt werden musste. Die Constructusverbindung kål nešāmāh ist selten.282 Schon vor diesem Hintergrund ist ein Verweissystem zu Dtn 20 wahrscheinlich. Die Vorgehensweise, kål nešāmāh auszurotten, zeigt sich zudem an verschiedenen Stellen der Landeroberung.283 V.12: LXXB und Vetus Latina lassen das zu den Königen gehörige Demonstrativpronomen hāʾellæh weg. Außerdem sieht Vetus Latina offenbar die Doppelung von melākîm und überträgt vermutlich deshalb das erste Vorkommen mit regnorum „Königsherrschaften“, was wohl eine bewusste Variante ist. Vulgata gibt die erste Constructusverbindung weʾæt kål ʿārê hammelākîm hāʾellæh eigenständig und relativ frei mit et omnes per circuitum civitates „und alle Städte im Umkreis“ wieder, verschweigt die Nennung des Subjektes Josua und kürzt schließlich den zweiten Teil von V.12 massiv, indem wiederum auf lefî ḥæræb „mit der Schärfe des Schwertes“ sowie auf den Satz mit der Bannvollstreckung verzichtet wird. Von LXXB wird zudem die Vollstreckung des Bannes pluralisch wiedergegeben, was im Kontext auffällig ist, wo Josua das Subjekt des Satzes ist. Vielleicht ist die singularische Lesart von LXXA und MT eine stilistische Vereinfachung eines sperrigen Textes,284 zumal LXXB die lectio difficilior bietet. Der in V.12 beschriebene Bann wird darüber hinaus vermutlich an den Königen und nicht an den Städten vollzogen, da die Präpositionalverbindung ʾôtām ein 279
Vgl. HESS 1996a, 234f. Jos 6,24; 8,28. Vgl. hierzu auch OTTOSSON 1991, 89. Allerdings weist KNAUF 2008, 115 darauf hin, dass Ai schon bei der Eroberung in Flammen aufging und danach noch einmal angezündet wird. Außerdem wurde die Ai-Tradition erst spät eingefügt. 281 Vgl. NOTH 1971c, 26. 282 Dtn 20,16; Jos 11,11.14; 1Kön 15,29. 283 Vgl. KRAUSE 2014, 148. 284 Vgl. zum Problem DEN HERTOG 1996, 93. 280
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maskulines pluralisches enklitisches Personalpronomen aufweist.285 Dementsprechend wird hier nichts über die Zerstörung der anderen Städte gesagt, sondern nur die Bannung der Könige betont. Ausweislich des Erzählkontextes scheinen hier alle Könige im Blick zu sein, die in V.1–2 aufgezählt werden, sodass hier offenbar alle Stadtkönigtümer des Verheißungslandes ausgelöscht werden. Gelegentlich wird auch hier anstelle eines finiten Verbes ein infinitivus absolutus haḥarem gelesen, der adverbiell zu NKY zu ziehen wäre.286 Allerdings sind derartige Veränderungen des MT nicht notwendig. Auffälligerweise werden die eroberten Städte in V.12 im Gegensatz zum südlichen Feldzug nicht aufgeführt, wenn hier lediglich von kål ʿārê hammelākîm hāʾellæh die Rede ist. Vielleicht spiegelt dieser allgemeine Hinweis die Unkenntnis des Autors über die tatsächlichen Verhältnisse im Norden Israels wider. Der Verweis auf ein Gebot des Mose am Schluss von V.12 ist wohl dem Umstand zu verdanken, dass im Rahmen der Banngesetze in Dtn 7 keine Gottes-, sondern eine Moserede vorliegt.287 Allerdings wird in V.15 verdeutlicht, dass auch Mose selbst seine Weisung von YHWH zuvor erhalten hatte. Damit geht das von Josua vollzogene Banngesetz nicht nur auf eine Weisung des Mose zurück. Es ist vielmehr auch Gesetz YHWHs, zumal derartige Vorschriften im Kriegsgesetz Dtn 20 ebenfalls im Kontext einer Gottesrede stehen. Außerdem wird durch V.12 ausgedrückt, dass Josua in direkter Verbindung zu Mose steht, während er nur indirekt mit YHWH verbunden wird. Mose wird hingegen im Gegensatz zu Josua als „Knecht YHWHs“ bezeichnet. Grundsätzlich ist Josua als Nachfolger unmittelbar abhängig von Mose.288 V.13: Das Attribut hāʿomdôt ʿal tillām wird von LXX durch einfaches κεχωματισμένας wiedergegeben, sodass hier die suffigierte Singularform tillām des MT als Plural tillim gelesen wurde.289 Allerdings kann der Singular tel auch als Kollektiv gedeutet werden,290 sodass eine textkritische Änderung nicht nötig ist. Vielleicht wird mit dieser griechischen Wiedergabe auf die Zerstörung von Ai angespielt, das nach Jos 8,28 ebenfalls zu einer χῶμα gemacht wurde.291 Allerdings ist dieser intertextuelle Bezug nicht nötig. Denn der griechische Übersetzer könnte auch an Städte gedacht haben, die von Wallanlagen umgeben sind. Vetus Latina überträgt das Attribut mit dem Partizip disruptas. 285
Vgl. MERLING 1997, 112. Vgl. NOTH 1971a, 62. 287 Nach SCHÄFER-LICHTENBERGER 1995, 211 Anm.528 wird hier auf Dtn 7,24 verwiesen. 288 Vgl. VAN BEKKUM 2011, 185f., der zusätzlich auf Jos 4,10; 8,31.33; 22,2.5 hinweist. 289 Vgl. BOLING 1982, 303; YOUNGER 1990, 383 Anm.45. Zu dieser textkritischen Änderung vgl. schon KNOBEL 1861, 401. Zum Problem vgl. auch GREENSPOON 1983, 72–74. Nach VAN DER MEER 2004, 475 ist die griechische Übersetzung eine ad sensum Wiedergabe des hebräischen Textes. 290 Vgl. HARSTAD 2004, 460. 291 Vgl. AULD 2005, 168. 286
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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Dementsprechend werden bereits zerschlagene Städte nicht noch zusätzlich mit Feuer vernichtet. Vielleicht soll der inhaltlich schwierige Ausdruck hāʿomdôt ʿal tillām dergestalt zu verstehen sein, dass die Städte auf den Ruinenhügeln früherer Städte lagen.292 Allerdings trifft diese Beobachtung eigentlich auf fast jeden Ort zu, da jede Stadt mit einer gewissen Tradition auf dem Schutthügel einer früheren Stadt errichtet war. Eine derart banale Erklärung ist hier vermutlich nicht angezielt. Bei diesen Städten handelt es sich auch nicht um Bergstädte, die von den Städten in der Ebene zu differenzieren wären.293 Ein Gegensatz zwischen befestigten Bergorten und unbefestigten Orten der Ebene kann hier nicht herausgelesen werden.294 Hier scheint auch nicht gemeint zu sein, dass diese Städte noch immer auf ihrer jeweiligen Stelle liegen und nicht zwischenzeitlich an einen anderen Ort gewechselt sind.295 Diese Erklärung ist angesichts der Langlebigkeit von Siedlungsplätzen ebenfalls kaum zutreffend. Vielleicht soll hier mit dem Lexem tillām ausgedrückt werden, dass diese Städte nicht wie Hazor zu einem tel „Ruine“ verwandelt werden.296 Allerdings ist ein solches Wortspiel schwierig, da von Hazor nie behauptet wird, dass dieser Ort zu einem tel „Ruine“ wurde. Möglicherweise soll mit der Redeweise hāʿomdôt ʿal tillām angedeutet werden, dass Josua die in der Zeit des Redaktors zu beobachtenden unbesiedelten Ruinenhügel zwar erobert, aber nicht verbrannt hat.297 Allerdings sollte hier sicherlich nicht ausgedrückt werden, dass die jeweiligen Städte zur Zeit der Landnahme unzerstört zurückgelassen wurden.298 Denn man hätte ja bis in die Zeit des Erzählers besagte Städte wiederum aufbauen können, wenn diese während der Landeroberung zerstört worden wären.299 Demnach wäre eine solche Aussage nicht nur wenig geistreich, sondern auch kaum weiterführend. Denn der Sinn der Aussage, dass die aktuell nicht zerstörten Städte schon damals nicht zerstört wurden, ist kaum einzusehen. Möglicherweise soll demgegenüber in V.13 ausgedrückt werden, dass Israel die bestehenden bisherigen Städte einfach übernimmt. Auf diese Weise würde zudem die Weisung in Dtn 6,10–11 erfüllt werden, wonach die eroberten Städte durchaus ohne Schaden in Besitz genommen werden dürfen.300 292
Vgl. AULD 1984, 78. NOTH 1971a, 69 weist noch auf die parallele Stelle Jer 30,18 hin. Vgl. KNOBEL 1861, 401; LLOYD 1886, 172. Dagegen schon DILLMANN 1886, 498. Zumindest konnten die Israeliten sicherlich noch nicht die Städte der Ebene einnehmen, sodass sie in der Tat die Städte des Berglandes übernahmen. Neuerdings deutet HECKL 2022, 360 Jos 11,13 auf Städte im Bergland. 294 Vgl. hierzu schon KEIL 1847, 211f. 295 Vgl. DILLMANN 1886, 498f. 296 Vgl. VAN BEKKUM 2011, 187. 297 Vgl. auch FRITZ 1994, 123. 298 Vgl. hierzu die Vermutung von RINGGREN 1989, 197. 299 Vgl. HERTZBERG 1985, 80. 300 Vgl. OTTOSSON 1991, 91; NELSON 1997, 154; HOWARD 1998, 270; HARSTAD 2004, 461; YOUNGER 2008, 29. Außerdem wäre noch auf Dtn 19,1 zu verweisen, vgl. SCHMITT 1970, 121. 293
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Eine Zerstörung von Orten wird darüber hinaus meist nur dann vollzogen, wenn der Angreifer wieder aus dem Gebiet abzieht, zuvor aber seinen Erfolg vervollständigen und Schrecken verbreiten will.301 Dies ist gerade bei der Landnahme Israels nicht der Fall, sodass eine Zerstörung der Kanaanäerstädte eigentlich nicht nötig ist. Vielleicht sollte in V.13 darauf hingewiesen werden, dass die Ruinenhügel im Norden nicht auf die Zerstörung durch das israelitische Heer unter Josua zurückzuführen sind. Lediglich Hazor sei zerstört worden. Mit dieser Redeweise wird zudem die abweichende Behandlung Hazors besonders herausgestellt, die sich von der Vorgehensweise bei den anderen Städten abhebt. Außerdem kann hier noch die Spannung zwischen der vollständigen Eroberung und dem Verbleib von Vorbevölkerung im Verheißungsland eingetragen sein. Die Bezeichnung hāʿomdôt ʿal tillām bezieht sich vermutlich darauf, dass hier Städte im Blick sind, die aufgrund ihrer langen Vorgeschichte in der Tat auf Ruinenhügeln liegen.302 Vielleicht wollte Israel diese besonders geschützten Festungen für sich verwenden,303 weil sie aufgrund ihrer Lage auf den Hügeln gute strategische Möglichkeiten boten, die die Israeliten für ihre Zwecke nutzen konnten. Möglicherweise wurden die Städte auf den Ruinenhügeln ausgespart, weil sie aufgrund dieser Befestigung nicht eingenommen werden konnten.304 Dementsprechend könnte mit dieser Redeweise auch angedeutet werden, dass die Israeliten nicht in der Lage waren, die befestigten kanaanäischen Städte einzunehmen.305 Dagegen spricht jedoch der Umstand, dass Hazor trotz seiner offensichtlichen Stärke von den Israeliten zerstört werden konnte. Fraglich ist darüber hinaus, ob in V.13 nur die Städte des Nordens oder allgemein die Städte im Verheißungsland gemeint sind.306 LXXB belässt im Gegensatz zu MT, LXXA oder Vetus Latina Israel als abweichendes Subjekt im letzten Satz, sodass kein Wechsel im Subjekt (Israel– Josua) erfolgt. Auf diese Weise wird auch die Tendenz des MT abgeschwächt, die Rolle Josuas bei der Landeroberung besonders zu betonen. Vielleicht stand im ursprünglichen Text aber überhaupt kein Subjekt, sodass diese Leerstelle von den Versionen unterschiedlich gefüllt werden konnte.307 Hier kommt man über Vermutungen nicht hinaus. Jedenfalls soll die Frage nach dem Subjekt des Zerstörungshandelns in Jos 11 offenbar bewusst offengehalten werden, was die ständig zu beobachtenden Wechsel erklären könnte. 301
Vgl. SCHMITT 1970, 121. Nach EHRLICH 1910, 40 sind die so bezeichneten Städte Orte, die auf ihrer Grundlage sitzen und damit selbstexistent sind. Es sind demnach unbedeutende Städte, mit denen kein weiterer Verkehr nötig war. Derartige Städte mussten auch nicht verbrannt werden. 303 Vgl. OETTLI 1893, 161; STEUERNAGEL 1901, 196. 304 Vgl. COOKE 1918, 103f. 305 Vgl. HOLZINGER 1901, 42. 306 Vgl. zum Problem WOUDSTRA 1981, 193 Anm.28. 307 Vgl. HOLMES 1914, 53f. 302
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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Vulgata gibt V.13 relativ frei wieder, ergänzt anstelle des Singularworts tillām des MT einen Doppelausdruck in collibus et in tumulis, bezeichnet Hazor noch als munitissimam und übergeht Josua, der für die Vernichtung Hazors nach MT verantwortlich ist. Auf diese Weise wird der Wechsel des ausführenden Subjektes (Israel–Josua) beseitigt, der bei MT noch zu beobachten ist. V.14: LXX und Vetus Latina ersetzen hæʿārîm hāʾellæh durch αὐτῆς beziehungsweise eius und vermeiden dadurch den Eindruck, dass man die Beute auf die Städte auf den Ruinenhügeln bezieht, die nicht in Brand gesteckt wurden. Durch diese Pronomina wird die von den Israeliten erzielte Beute darüber hinaus auf die Stadt Hazor eingeschränkt.308 Außerdem verzichten LXX, Vetus Latina und Peschitta auf die Hinzufügung von Vieh, das von den Söhnen Israel nach MT ebenfalls geplündert wird. Offenbar hat der Ausdruck σκῦλα beziehungsweise spolia für den Übersetzer das gesamte Beutegut inklusive der Tiere umfasst, sodass man das Vieh nicht noch ausdrücklich erwähnen musste. Allerdings ist auch nicht ausgeschlossen, dass Städte und Vieh im MT erst sekundär ergänzt wurden, um damit zu unterstreichen, dass diese Praxis nur für diesen einen Fall erlaubt war und nicht verallgemeinert werden sollte.309 Auffälligerweise werden in V.14 das Vieh und die materiellen Güter nicht der Vernichtung im Rahmen der Bannweihe unterzogen. Vor diesem textkritischen Hintergrund ist fraglich, ob sich das Banngebot zunächst allumfassend auf Mensch, Vieh und materielle Güter (Dtn 13,16–17) und erst in einem jüngeren Stadium nur noch auf die Vernichtung der Menschen bezog, während Vieh und Güter zunächst noch geplündert werden durften (Dtn 2,34–35).310 Jedenfalls gibt es im Deuteronomium die unterschiedlichsten Konzeptionen, auf die man sich in Jos 11 gegebenenfalls berufen konnte. Vetus Latina ergänzt in 14b als Subjekt Josua und wechselt dementsprechend in den Singular, wobei aber der schwierige Infinitiv hišmidām pluralisch übersetzt wird und dann im Anschluss wiederum ein Singularverb verwendet wird, obwohl MT hier Plural belegt. Demgegenüber gibt LXXB den pluralisch suffigierten Infinitiv hišmidām mit Singular wieder (ἀπώλεσεν), wogegen aber griechische Handschriften sprechen, die hier sinngemäß ebenfalls Plural lesen (ἀπώλεσαν).311 Es hat folglich den Anschein, dass die Verantwortung für die 308 Vgl. DOZEMAN 2015, 468. Nach HOLMES 1914, 54 beziehen sich 13b–14 ohnehin nur auf Hazor. 309 Vgl. BUTLER 2014, 500f. 310 Zu dieser diachronen Entwicklungslinie vgl. BIEBERSTEIN 1995, 321. Beute und Vieh wurden nach Dtn 3,7 auch bei der Auseinandersetzung mit dem legendären Amoriterkönig Og im Ostjordanland geplündert. Auch nach Dtn 2,35 durfte in einem frühen Stadium der Landeroberung Beute und Vieh behalten werden. Allerdings beziehen sich beide Angaben auf das Ostjordanland, das nicht als eigentliches Verheißungsland betrachtet wurde. 311 Vgl. zum textkritischen Befund BROOKE/MCLEAN 1917, 720.
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Vernichtung der Feinde zwischen Josua und den Söhnen Israel hin und her geschoben wird. Ob hier die pluralische Lesart durch MT und die griechischen Handschriften eine stilistische Erleichterung ist, sei dahingestellt.312 Nur von MT und Vulgata werden die Erschlagenen als hāʾādām beziehungsweise hominibus bezeichnet, während LXX und Vetus Latina nur von dem AllQuantor ausgehen, sodass hier durch diese Kürzung die Gruppe der Getöteten sekundär vergrößert werden sollte. Insofern ist es eher unwahrscheinlich, dass es sich bei hāʾādām um einen redaktionellen Zusatz des MT zur Präzisierung des Massakers handelt. Vulgata lässt zudem den zweiten Teil von V.14 hinter lefî ḥæræb „mit der Schärfe des Schwertes“ weg, vermutlich um den redundanten Text etwas zu glätten, zumal die komplette Auslöschung der Vorbevölkerung bereits in V.11 ausgedrückt wurde und die Zuständigkeit für das Vernichtungshandeln aufgrund der beobachteten Numeruswechsel in den Versionen ohnehin reichlich Verwirrung stiftete. V.15: LXXB verändert die Befehlsrichtung im letzten Satz von V.15, sodass Josua all das tut, was ihm von Mose aufgetragen wurde (ὧν συνέταξεν αὐτῷ Μωυσῆς). In MT vollzieht Josua hingegen all das, was YHWH dem Mose befohlen hatte. Bei der Lesart von LXXB könnte Josua jedoch auch Befehle des Mose ausgeführt haben, die nicht von YHWH stammen, während MT ein solches Missverständnis nicht zulässt. Nach MT wird nämlich Gott als Urheber der Befehlskette besonders betont. Bisweilen wird deshalb gedacht, dass es sich bei MT um eine theologische Verbesserung handeln könnte, da man den letzten Befehl nicht Mose, sondern Gott zuschreiben wollte.313 LXXB legt gegenüber MT hingegen den Schwerpunkt auf die Kommunikation zwischen Mose und Josua.314 Vetus Latina belegt zwar die Tradition von LXXB, geht aber vom Befehl Moses an ein Kollektiv aus (illis statt LXXB αὐτῷ). Offenbar wurde der längere hebräische Text von den Versionen unterschiedlich gekürzt. Interessanterweise belegt Augustinus hier MT beziehungsweise die Textform von LXXA (Non est transgressus nihil ab omnibus quibus constituit dominus Moysi).315 Insgesamt scheint die Lesart von MT ursprünglicher als LXXB zu sein, auch wenn der Grund für die Kürzung nicht mehr angegeben werden kann. Vielleicht entfiel das Tetragramm aufgrund von Haplographie (ṣwh YHWH). In einem zweiten Schritt veränderte man dann ʾæt Mošæh zu ʾotô Mošæh. Auffälligerweise bildet V.15 in der Lesart des MT eine chiastische Form mit dem Befehl als äußeres Glied und der Aktion als inneres Glied.316 Auf diese Weise wird die strikte Befolgung des Gottesgebots, das dem Josua über Mose 312
So aber DEN HERTOG 1996, 93. Vgl. zum textkritischen Problem NELSON 1997, 150; DE TROYER 2018, 140. 314 Vgl. DOZEMAN 2015, 468. 315 Vgl. GROSS 2018, 414f. 316 Vgl. zur Form HESS 1996a, 238.
313
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
311
vermittelt wird, zusätzlich unterstrichen. Schon aufgrund dieser formalen Beobachtung scheint MT ursprünglich zu sein. Josua erweist sich als der Nachfolger des Mose, der die göttliche Landverheißung zur Vollendung bringt. Ob jedoch die Eroberung von Galiläa jemals dem Heerführer Josua von Mose befohlen wurde, kann nicht mehr entschieden werden.317 Vielleicht liegt in V.15 aufgrund der exakten Korrespondenz von Befehl und Ausführung priesterliche Redeweise vor, sodass es sich hier um einen priesterlich geprägten Abschluss der Landeroberung handeln könnte.318 Ob allerdings die pazifistisch imprägnierte priesterliche Theologie überhaupt eine kriegerisch konnotierte Landeroberung zulässt, ist fraglich.319 Durch die letzten beiden Sätze in V.15 wird jedenfalls betont, dass das Mosewort an Josua durchaus mit dem YHWH-Wort identisch ist.320 Denn Josua führte all das aus, was YHWH zuvor dem Mose befohlen hatte. Durch diese abschließende Ergänzung wird folglich kein Unterschied zwischen YHWH-Wort und Mosewort gemacht. Aufgrund der Verwendung des Verbs SūR „abweichen“ wird trotz der Verwendung des H-Stammes ein Bogen zur Gottesrede am Anfang des Josuabuchs in Jos 1,7 geschlagen,321 wo von Josua gefordert wird, weder nach rechts noch nach links von der Weisung des Mose abzuweichen. Mit dem Verb SūR wird hier ausgedrückt, dass Josua kein Wort beseitigte beziehungsweise vernachlässigte und somit nicht ausführte.322 In der Abschiedsrede des Mose wird den Israeliten in Jos 23,6 ebenfalls der Toragehorsam eingeschärft, sodass V.15 eine Verbindung sowohl zum Anfang wie auch zum Schluss des Josuabuches schafft. Während der militärische Erfolg Josuas in Jos 10,42 darauf zurückgeführt wird, dass YHWH für Israel kämpft, wird in V.15 darauf hingewiesen, dass Josua gehorsam die Befehle des Mose ausgeführt hat. Durch die loyale Befolgung der Weisungen des Mose wird der Erfolg Josuas nach V.15 – wie in Jos 1,7 vorhergesagt – sichergestellt. V.16: LXX und Vetus Latina lassen das Demonstrativpronomen hazzoʾt hinter hāʾāræṣ weg. Dies könnte auf Haplographie zurückgehen, wenn der Abschreiber von einem worteröffnenden h zum nächsten abschweifte.323 Fraglich ist, ob das folgende Lexem hāhār das erste Element der Aufzählung ist, wofür das vorausgehende Demonstrativum hazzoʾt sprechen könnte, obschon ʾæt hier
317
Vgl. zum Problem BOLING 1982, 310. So BLENKINSOPP 1976, 277. 319 Vgl. auch GASS 2019b, 68f. 320 Vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER 1995, 213. 321 Vgl. zu diesem Bezugssystem auch DILLMANN 1886, 499; VAN DER MEER 2004, 213, KNAUF 2008, 115. Nach EDERER 2017, 181 sei hier die schriftliche Tora des Mose im Blick, zumal nur dort die Weisungen für Josua niedergelegt seien. Ob allerdings Josua gemäß Jos 1,7–8 bereits die schriftliche Tora studiert haben kann, sei dahingestellt. 322 Vgl. auch KNOBEL 1861, 401; LLOYD 1886, 172. 323 Vgl. BOLING 1982, 313: h[zʾt h]hr. 318
312
Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
im Gegensatz zu den übrigen Elementen fehlt,324 oder ob sich hāhār appositionell auf hāʾāræṣ bezieht. Vulgata verzichtet zumindest auf das Demonstrativpronomen hazzoʾt und vereinfacht die Syntax (omnem terram montanam et meridianam), zumal hāhār in der Aufzählung von MT ohne weʾæt steht. Der MT hat hingegen eine Apposition aus sieben Elementen,325 die das eroberte Land näher umschreiben. Schon aus diesem Grund erübrigt sich eine Syndese, da nämlich hāhār… appositionell ʾæt kål hāʾāræṣ hazzoʾt ergänzt. Auch ansonsten gibt Vulgata den Text relativ frei wieder. Vor allem die geographischen Lexeme Schefela und Araba werden von Vulgata mit eigenen Bezeichnungen übertragen (planitiem et occidentalem plagam). Während LXXA das hebräische Toponym Nægæb ziemlich wörtlich transliteriert (Ναγεβ), belegt LXXB ein davon abweichendes Ἄδεβ, was auf eine korrupte Vorlage zurückgehen könnte. Vermutlich haben die griechischen Textzeugen aufgrund der Transliteration an einen Eigennamen gedacht.326 Vetus Latina scheint jedoch mit dem Toponym Ageb ebenfalls den MT zu stützen, ergänzt aber noch ein zusätzliches kål hāʾāræṣ vor Ageb (omnem terram in Ageb), vermutlich um die drei Ortsangaben Gebirge, Ageb und Goschen durch den Zusatz terram aneinander anzugleichen. Außerdem wurde das determinierte Toponym Araba von LXX und Vetus Latina offenbar nicht als Ortsbezeichnung verstanden, sondern man las den Ausdruck maʿrābāh „in Richtung des (Sonnen)untergangs“ (καὶ τὴν πρὸς δυσμαῖς beziehungsweise et ad occidentem).327 Außerdem wird die abschließende Schefela von LXX nicht wie in MT mit Israel verbunden (καὶ τὰ ταπεινά). Mehrere griechische Handschriften lesen zudem in dieser Aufzählung der von Israel eroberten Gebiete noch das „Umland von Betschean“, wofür es aber ansonsten keinen weiteren Rückhalt in der Textüberlieferung gibt. Als Begriff für die Einnahme des Landes wird hier die Wurzel LQḤ verwendet, die ansonsten nur bei der Einnahme des Gebiets der ostjordanischen Amoriterkönige Sihon und Og steht,328 während man im dtr. Kontext die Wurzel YRŠ oder LKD gebraucht. Die Wurzel LQḤ wird im Rahmen der Landeroberung zudem noch für die Einnahme von Beute, Städten und Gebieten verwendet.329 In V.16–17 werden die Gebietsbeschreibungen aus Jos 10,40–41 und V.2–3 aufgenommen und miteinander verbunden. Aus der geographischen Umschreibung Jos 10,40–41 wurden die Begriffe Gesamtheit des Landes, Gebirge, 324
Vgl. hierzu DOZEMAN 2015, 468. Zu diesem Problem vgl. schon EHRLICH 1910, 40. Vgl. CLARKE 2010, 97. 326 Vgl. GREENSPOON 1983, 43. 327 Zu einer Ableitung von der Wurzel ʿRB vgl. AULD 2005, 168. Ähnlich auch VAN DER MEER 2004, 400. 328 Dtn 3,8; 29,7; Ri 11,13. 329 Vgl. VAN BEKKUM 2011, 121. MERLING 1997, 204f. weist darauf hin, dass bei LQḤ lediglich die kriegerische Einnahme, nicht aber der rechtliche Status im Blick ist. 325
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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Negev, Schefela sowie das Land Goschen genommen. Aus V.2–3 stammen die Begriffe Araba, Schefela (Israels) und die Verortung „unterhalb des Hermon“.330 Aus diesem Material konnte man schließlich die Gebietsbeschreibung in V.16–17 bilden. Im Folgenden genügt es, die noch nicht diskutierten geographischen Elemente zu besprechen. Mit har Yiśrāʾel „Gebirge Israels“ ist in erster Linie das manassitisch-efraimitische Gebirge gemeint, dem ebenfalls eine Schefela als Hügelland vorgelagert war.331 Inwieweit auch Galiläa bei dieser Bezeichnung eingeschlossen ist, kann kaum sicher gesagt werden.332 Der geographische Terminus har Yiśrāʾel „Gebirge Israels“ findet sich zudem nur in Jos 11 und könnte auf sehr späten Gebrauch hindeuten.333 In V.16 wird zudem die übliche viergliedrige Beschreibung des südlichen Landes (Gebirge, Negev, Schefela, Araba)334 übernommen und noch durch den enigmatischen Verweis auf ein Land Goschen aus Jos 10,41 und eine Schefela Israels ergänzt. Hier zeigt sich deutlich die judäische Perspektive des Redaktors, der auch die übliche Bezeichnung har Yehûdāh nur hier und in V.21 zu har Yiśrāʾel umgeformt hat. In V.16 werden darüber hinaus geographische Bereiche im Süden wie im Norden zusammengeführt, wobei auffälligerweise die Küstenebene nicht erwähnt wird. Die Küstenebene gehört somit nach dieser geographischen Konzeption nicht zur Gesamtheit des Landes, das von Josua eingenommen wurde.335 V.17: LXXB und Vetus Latina haben vielleicht im Gegensatz zu MT zusätzlich ʾašær ʾæl hāhār vor min hāhār hæḥālāq gelesen,336 während LXXA auf die zweite Erwähnung ἀπὸ ὄρους verzichtet.337 LXXB und Vetus Latina geben – ähnlich wie andere griechische Handschriften – das Adjektiv ḥālāq als Toponym Αχελ / Achel wieder und deuten demnach die determinierte Attributivverbindung hāhār hæḥālāq „kahler Berg“ als Appositionsverbindung „der Berg Halaq“. Vermutlich geht Αχελ auf ursprüngliches Αχελκ zurück, das anschließend zu Αχελ καὶ getrennt wurde. Auf diese Weise könnte die unnötige Konjunktion καὶ erklärt werden.338 Αχελκ wäre dann eine alternative Transkription des Toponyms Halaq, das bei der analogen
330
Vgl. hierzu die instruktive Übersicht bei KNAUF 2008, 117. Nach STEUERNAGEL 1901, 196 handelt es sich um das Gebirge des Nordreichs Israel. 332 So aber COLESON 2012, 111. 333 Vgl. EHRLICH 1910, 41. Nach LAUGHLIN 2015, 154 setzt diese Redeweise zumindest die Existenz der beiden Staaten Israel und Juda voraus. 334 Vgl. zu dieser Gliederung FRITZ 1994, 124. 335 Vgl. auch CLARKE 2010, 97. 336 Nach HOLMES 1914, 54 ist dies aber eine korrupte Wiederholung der folgenden Wörter. 337 Vgl. HOLZINGER 1901, 42. 338 Vgl. zum Problem MARGOLIS 1931, 221; DEN HERTOG 1996, 74. 331
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Beschreibung in Jos 12,7 als Χελχα wiedergegeben wird. Vulgata hat das Adjektiv ḥālāq „kahl“ vermutlich von einer Wurzel ḤLQ2 „teilen“ abgeleitet und dementsprechend mit partem montis übertragen. In V.17 wird mit dem „kahlen Berg“ und dem Ort Baal-Gad die südliche und die nördliche Grenze des eroberten Landes eingespielt.339 Insgesamt wird hier wie schon in Jos 10,41 eine Süd-Nord-Erstreckung des Verheißungslandes skizziert.340 Das Lexem ḥālāq ist zudem ein Adjektiv, auch wenn hier meist ein Toponym vermutet wird, das gewöhnlich mit dem ähnlich lautenden Ğebel Ḥalāq (1330.0360) identifiziert wird.341 Schon aufgrund der Artikelsetzung ist im MT kaum ein Toponym im Blick. Vor diesem Hintergrund könnte mit der Attributivverbindung hāhār hæḥālāq vielleicht die sich vom Toten Meer nach Süden ziehende Gebirgskette gemeint sein.342 Allerdings kann eine sich nach Süden erstreckende Gebirgsformation eigentlich nicht als Südgrenze gebraucht werden. Aufgrund der Verbindung von hāhār hæḥālāq mit Seir wird gelegentlich auch an das edomitische Plateau gedacht,343 das als Südgrenze aber ebenfalls nicht geeignet ist. Vielleicht ist daher eher an die Reihe weißlicher Klippen zu denken, welche sich etwa 15 km südlich vom Toten Meer schräg über die Araba hinüberzieht und die Grenze zwischen Ġōr und ʿAraba bildet.344 Vielleicht ist auch das gesamte Negev-Hochland mit dem kahlen Gebirge gemeint.345 Die darauffolgende Bezeichnung hāʿôlæh Śeʿîr ist schwierig zu übersetzen. Vielleicht soll damit ausgedrückt werden, dass das kahle Gebirge nach Seir und damit nach Edom östlich der Araba hin ansteigt.346 Mit der Bezeichnung Seir könnte aufgrund von Ri 5,4 im Gegensatz zu Baal-Gad der Herkunftsort YHWHs angedeutet sein, sodass mit beiden Toponymen die beiden Kontrahenten YHWH und Baal in den Blick kommen. Der Ort Baal-Gad lässt sich nur schwer lokalisieren. Gelegentlich wird der Ort Baalbek347 mit seinem wichtigen Heiligtum an der Wasserscheide zwischen Nord und Süd vorgeschlagen. Ob der Blick aber derart weit in den Norden 339
Vgl. MILLER/TUCKER 1974, 96. Vgl. YOUNGER 2008, 29. 341 Vgl. COOKE 1918, 105; NOTH 1971a, 69; WOUDSTRA 1981, 195; BOLING 1982, 314; SOGGIN 1982, 140; GRAY 1986, 117; HESS 1996a, 238; NELSON 1997, 154; BUTLER 2014, 516. Kritisch hierzu FRITZ 1994, 124, zumal der Zusatz Seir eher auf das Siedlungsgebiet der Edomiter verweist. 342 Zu verschiedenen Verortungen des kahlen Gebirges vgl. auch LLOYD 1886, 173–175. 343 Vgl. GERMANY 2019b, 322 Anm.38. 344 Vgl. schon KEIL 1847, 213; DILLMANN 1886, 499; OETTLI 1893, 162. Kritisch hierzu aber HOLZINGER 1901, 45. 345 Vgl. KNAUF 2008, 117; KNAUF 2010b, 509. 346 FARBER 2016, 58 vermutet sogar eine Eroberung des Ostjordanlandes durch Josua, was hier aber nicht explizit ausgedrückt wird, da Seir nur zur Umschreibung der südlichen Begrenzung verwendet wird. 347 Vgl. GÖRG 1991a, 59. Kritisch hierzu schon LLOYD 1886, 175. 340
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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reicht und auf diese Weise imperiale Ansprüche formuliert werden, bleibt dahingestellt. Mit der „Talebene des Libanon“ ist vermutlich die fruchtbare Beqʿā-Ebene zwischen den Gebirgszügen Libanon und Antilibanon gemeint,348 auch wenn das südliche Tal des Litaniflusses ebenfalls nicht ausgeschlossen ist.349 Die Präposition taḥat meint stets „direkt unter“, während die Präposition b lediglich eine räumliche Nähe umschreibt.350 Die Präpositionalverbindung taḥat har Ḥærmon bedeutet daher, dass der Ort Baal-Gad in der Talebene des Libanon direkt am Fuß des Hermon liegen muss. Dementsprechend kann der Ausdruck „in der Talebene des Libanon“ nicht heißen, dass sich der Ort Baal-Gad irgendwo in der Beqʿā-Ebene befinden muss. Möglicherweise ist aus diesen Gründen der Ort Baal-Gad auf Tell ez-Zētūn (2190.3210) zu suchen.351 Auffälligerweise wird in V.17 nicht das Verheißungsland in seiner eufratischen Ausdehnung erobert, sodass die Vorgabe aus Dtn 1,7 eigentlich nicht erfüllt wird. Eine vollständige Unterwerfung ist darüber hinaus nach V.16–17 ohnehin nicht geschehen.352 Es verwundert somit nicht, dass in Jos 13 noch auf das uneroberte Land hingewiesen werden muss. Die hier skizzierte Ausdehnung des Verheißungslandes vom kahlen Berg im Süden bis nach Baal-Gad im Norden geht sogar etwas über den größten Umfang der Königszeit hinaus, als sich das Land Israel bisweilen von Dan bis Beerscheba erstreckte.353 Mithilfe dieser territorialen Ausdehnung wird das Josuabuch zudem zum Prolog für die Geschichte der beiden Königreiche Israel und Juda der Samuel- und Königebücher.354 Ähnlich wie in V.12 wird in 17b das Vernichtungshandeln ebenfalls mit drei Verben beschrieben (LKD–NKY–MūT), wobei hier aber das Einzelschicksal der Könige thematisiert wird, die als Objekt emphatisch vorangestellt werden. Diese redundante Redeweise mit drei fast synonymen Verben betont das destruktive und aggressive Vorgehen Josuas. Möglicherweise ist die Wortverbindung NKY–MūT sogar ein starkes verbales Hendiadyoin. In 17b wird darüber hinaus indirekt auf die Liste mit unterworfenen Königen in Jos 12 hingewiesen, da hier bereits die Tötung der Könige behauptet wird. Dementsprechend könnte 348 Vgl. KNOBEL 1861, 401; NOTH 1971a, 69f.; HERTZBERG 1985, 82; NAʾAMAN 1986, 42; JERICKE 2001, 133; HARSTAD 2004, 466; VAN DER MEER 2004, 207; DOZEMAN 2015, 469. Nach STEUERNAGEL 1901, 196 ist hier hingegen die Hochebene von Merğ ʿAyūn im Blick. 349 Vgl. HESS 1996a, 238. 350 Vgl. JERICKE 2001, 135. 351 Vgl. JERICKE 2001, 136; VAN BEKKUM 2011, 180. 352 Vgl. auch CLARKE 2010, 98. 353 FRITZ 1994, 125 vermutet, dass hier die gängige Formel Dan-Beerscheba vermieden werden sollte. Nach KNAUF 2008, 116 geht das Land noch ein wenig über die Erstreckung von Dan bis Beerscheba hinaus. 354 Vgl. KNAUF 2008, 116.
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17b irgendwie mit Jos 12 zusammenhängen. Zumindest kann aufgrund von V.17 die Königsliste in Jos 12 bestens anschließen. Darüber hinaus wird in 17b schließlich die Verheißung des Mose von der Unterwerfung der Könige des Verheißungslandes in Dtn 7,24 erfüllt. In der hebräischen Texttradition wird bisweilen im letzten Satz von V.17 Plural (wayemîtûm) anstelle von Singular (wayemîtem) gelesen, sodass hier offenbar das Subjekt des Satzes von Josua auf die Israeliten wechselt. Dementsprechend hat Josua die Könige geschlagen und die Israeliten haben diese umgebracht. Auf diese Weise wird das gemeinsame Handeln von Josua und Israel besonders betont. Hierbei handelt es sich vermutlich um einen sekundären Ausgleich. V.18: LXX und Vetus Latina schließen diesen Satz im Gegensatz zu MT und Vulgata mit der Konjunktion καὶ / et an. LXX und Vetus Latina übertragen darüber hinaus MT ʿŚY milḥāmāh sehr wörtlich (ἐποίησεν ... τὸν πόλεμον beziehungsweise faciebat ... bellum), während Vulgata hier einfaches pugnavit setzt. Inhaltliche Abweichungen liegen aber bei den alten Versionen kaum vor. LXX und Vetus Latina verzichten zudem auf den All-Quantor vor hammelākîm, was auf eine innergriechische Haplographie zurückgehen könnte, da der Abschreiber von einem worteröffnenden π zum nächsten abschweifte.355 Auffälligerweise wird in V.18 unterstrichen, dass sich der Krieg yāmîm rabbîm hingezogen hat. Diese Zeitspanne lässt sich zeitlich nicht näher eingrenzen. Sicher ist nur, dass es sich um eine lange Zeit handelt. Auf diese Weise wird betont, dass der Widerstand der kanaanäischen Stadtstaaten stärker war, als es die wenigen Kriegserzählungen auszudrücken vermögen.356 Vielleicht lässt sich diese Angabe mit Jos 14,7.10 zusammendenken, wo von einer mindestens fünfjährigen Eroberung des Verheißungslandes ausgegangen wird.357 Mit V.18 wird zudem die Lücke zwischen dem südlichen und dem nördlichen Feldzug geschlossen. Denn die lange Zeit gibt den Israeliten die Möglichkeit, auch noch das manassitisch-efraimitische Bergland zu erobern. Dass dies geschehen ist, zeigt V.19, wo darauf verwiesen wird, dass keine Stadt ein Bündnis mit den Israeliten geschlossen habe. Als Kriegsgegner werden in V.18 darüber hinaus nicht die Zivilisten oder einzelnen Städte, sondern die feindlichen Könige genannt. V.19: Zahlreiche hebräische Handschriften belegen die Präposition ʾæt anstelle von MT ʾæl. Vielleicht wurde diese fehlerhafte Lesart vom Auslaut des folgenden benê Yiśrāʾel beeinflusst.358 Allerdings könnte hier aber auch eine Breviloquenz vorliegen, sodass ŠLM-H ʾæl benê Yiśrāʾel „Frieden schließen zu den Söhnen Israel hin“ auch die zuvor erfolgte Gesandtschaft und die Unterwerfung ausdrückt.359 355
Vgl. BOLING 1982, 313: πρὸς π[άντας]. Vgl. auch MATHEWS 2016, 111. 357 Zum Problem der zeitlichen Verortung vgl. GASS 2019b, 229. 358 Vgl. BOLING 1982, 313. 359 Vgl. auch KNAUF 2008, 118. 356
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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LXX lässt die Hewitertradition weg, indem der Relativsatz reichlich verkürzt wird und als handelndes Subjekt nur Israel und nicht die Söhne Israel eintreten, die die Städte eingenommen haben (ἣν οὐκ ἔλαβεν Ισραηλ). Offenbar geht LXX von einer vollständigen Eroberung des Verheißungslandes aus, da die Ausnahme der Hewiter nicht in den Blick genommen wird. Vielleicht ist die Hewitertradition angesichts des Fehlens in LXX und Vetus Latina eine sekundäre Glosse.360 Wenn dies der Fall ist, dann wollte die ursprüngliche Tradition entweder die Ausnahme von der vollständigen Landeroberung und Vernichtung der Vorbevölkerung nicht erwähnen oder die Erzählung vom Bündnis mit den Gibeonitern wäre später entstanden und wurde erst nachträglich eingetragen.361 Bei der redaktionsgeschichtlichen Beurteilung von Jos 11 muss dieser Befund jedenfalls berücksichtigt werden. Vetus Latina verzichtet ebenfalls auf die Hewitertradition, stützt aber im Gegensatz zu LXX den MT, da hier der Friedensschluss mit den Söhnen Israel betont wird (quae non est tradita filiis Istrahel). Da ein Friedensschluss nach dem dtn Kriegsgesetz mit einer Versklavung verbunden ist, wird hier von Vetus Latina korrekt übersetzt. Vermutlich ist hier ein passivum divinum anzusetzen. Dementsprechend habe Gott diese Städte den Söhnen Israel ausgeliefert.362 Außerdem wird in 19b der determinierte All-Quantor hakkol von Vetus Latina durch civitates näher bestimmt, was mitunter auf ein ursprüngliches ʿārîm hinweisen könnte. Allerdings könnte das auch eine sekundäre Angleichung an 19a sein. Vermutlich wurde die Hewitertradition erst sekundär in den Text eingetragen, um eine Verbindung zu Jos 9 herzustellen.363 Der Hinweis in 19a auf diese eine Ausnahme bei der Landeroberung ist somit eine nachträgliche Korrektur.364 Möglicherweise gehen die unterschiedlichen Lesarten auf einen schwer verständlichen Vers zurück, der auf verschiedene Weise ergänzt wurde.365 Während V.18 zuvor die längere Kriegsführung gegen die lokalen Könige beschreibt, weist V.19 auf den Bundesschluss mit dem Ort Gibeon hin, der allerdings nicht über eine monarchische Spitze, sondern eine Ältestenverfassung verfügte. Offenbar wird hier auch der Gegensatz zwischen unterschiedlichen Regierungsformen eingetragen. Wiederum zeigt sich in Jos 11 eine antimonarchische Tendenz. 360 Vgl. LATVUS 1998a, 112; LATVUS 1998b, 67 Anm.83; SCHMITT 2011, 110 Anm.236; SCHMITT 2013, 82 Anm.32. Ähnlich auch SMEND 2002, 162, dem zufolge die Hewitertradition erst sekundär eingetragen wurde. Denn das Verheißungsland sei nach Jos 9 nicht komplett erobert worden, obschon dies der Forderung des Dtn eigentlich entgegenläuft. Zu den unterschiedlichen Lesarten vgl. auch BILLEN 1927, 129. 361 Vgl. zu beiden Alternativen LATVUS 1998a, 112. 362 Vgl. GROSS 2018, 416. Nach HOLMES 1914, 54 ist die Lesart von LXXA παρέδωκεν für das Verb ŠLM als Aramaismus zu werten. 363 Vgl. BUTLER 2014, 501. 364 Vgl. FRITZ 1994, 124, der von einer Glosse ausgeht. 365 Vgl. GREENSPOON 1983, 136.
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Der Friedensschluss mit Gibeon wird in V.19 mit dem Verb ŠLM-H ausgedrückt, das eine Verbindung zu Jos 10,366 aber nicht zu Jos 9 zulässt. Mit ŠLMH „Frieden schließen“ ist nicht nur der aktuelle Verzicht auf Feindseligkeiten, sondern auch die Vorsorge zu verstehen, damit es erst gar nicht zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt.367 Im Gegensatz zu Jos 9,15 schließt nicht zunächst Josua mit einer Stadt Frieden, sondern die Städte versuchen erst gar nicht, um einen Friedensschluss zu bitten.368 Die ausbleibende Friedensinitiative wird somit auf die Städte verlagert, ganz egal ob Josua ein Friedensangebot unterbreitet oder nicht. Auf diese Weise begründet V.19 im Nachhinein den Krieg und die Zerstörung, zumal die kanaanäischen Könige Frieden mit den Israeliten wie Gibeon hätten schließen können. Demnach wäre der Krieg eigentlich gar nicht notwendig gewesen, wenn die Kanaanäer etwas kooperativer reagiert hätten.369 V.20: Während in MT ḤZQ-D „stark machen“ durchaus positiv verstanden werden kann, wie vor allem Vetus Latina (confirmari beziehungsweise confortari370) zeigt, belegen LXX und Vulgata vor allem die negative Konnotation „verhärten“. In LXX kann zudem der Ausdruck κατισχῦσαι αὐτῶν τὴν καρδίαν derart übersetzt werden, dass die Herzen der Feinde Subjekt des intransitiven Verbs sein können. Demnach hätten sich die Herzen durchgesetzt.371 Das Verb ḤZQ wird in priesterlichen Texten immer wieder dafür verwendet, um die Moral zu stärken und die Angesprochenen zu ermutigen.372 Somit ist hier weniger die Verhärtung des Herzens im Blick. Vielmehr soll die Entschlossenheit der Könige zum Kampf mit Israel verstärkt werden.373 Durch die 366
Jos 10,1.4. Vgl. BOLING 1982, 314. 368 Vgl. zu diesem Unterschied auch HARSTAD 2004, 464. 369 Vgl. STONE 1991, 33. 370 Augustinus, Quaestiones Iesu Nave 18, vgl. GROSS 2018, 416f., wobei aber Augustinus das Verb confortari negativ versteht. 371 Vgl. auch AULD 2005, 169. 372 Vgl. zu ähnlichen Belegen AULD 1984, 79–81. Bisweilen wird vermutet, dass hier priesterliche Sprache verwendet wird, da ḤZQ-D auch in der priesterschriftlichen Exoduserzählung verwendet wird, vgl. BLENKINSOPP 1976, 277; NELSON 1997, 155. Zu einer Klassifikation dieser Terminologie als priesterlich vgl. FABRY 1984, 441f. Im Gegensatz dazu wird in dtn Tradition (Dtn 2,30; 15,7) nicht ḤZQ, sondern ʾMṢ verwendet. Dagegen aber MOWINCKEL 1964, 59, dem zufolge in den Landeroberungserzählungen angeblich keine priesterliche Sprache auftreten würde. 373 Nach HOWARD 1998, 274 ist die Verhärtung der Herzen eine Folge des Stursinns und des Widerstandes der Kanaanäer gegenüber Gott. Die Verhärtung führt nach HALL 2010, 189 zu einer stärkeren Entschlossenheit, das angestrebte Ziel auch zu erreichen. EDERER 2017, 186 weist darauf hin, dass die Herzensverhärtung eine „Intensivierung einer im Menschen bereits vorhandenen Absicht“ bewirke, sodass hier keine göttliche Manipulation vorliege. Letztendlich dient die Verhärtung des Herzens dem Erweis von YHWHs Geschichtsmächtigkeit, vgl. FABRY 1984, 442. Nach WAZANA 2021, 114 sei aufgrund der Herzensverhärtung keine Furcht bei den Feinden ausgelöst worden, wobei diese Deutung voraussetzt, dass Jos 10,2 sekundär sein muss. 367
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hier verwendete Wortwahl wird darüber hinaus der Kampf gegen den ostjordanischen Herrscher Sihon von Heschbon eingespielt, dessen Herz nach Dtn 2,30 ebenfalls von Gott stark gemacht wurde, um Israel zu bekämpfen. Da Josua und die Israeliten in ihrem Kampfesmut nach Jos 1,6.7.9 mithilfe von ḤZQ gestärkt werden sollen, wird durch diesen Hinweis in V.20 verdeutlicht, dass beide Seiten hochmotiviert waren, wobei dieser Fanatismus jeweils noch durch Gott zusätzlich gesteigert wurde. Nach Dtn 20,8 sollte jeder Krieger Israels mit einem verzagten Herz nicht an der Schlacht teilnehmen. Dementsprechend sind in Jos 11 zwei hochmotivierte Gruppen aufeinandergetroffen, zumal Israel nach Dtn 20,1 keine Furcht vor den Feinden haben sollte. Subjekt von ḤZQ ist in V.20 zudem YHWH. Im Fall der kanaanäischen Könige sind diese von Hybris befallen, die von Gott gestärkt wird. Vor diesem Hintergrund folgt die Vernichtung der kanaanäischen Könige durchaus dem Plan Gottes.374 Da zudem zuvor das Herz der Kanaanäer zerschmolz,375 musste jetzt der Widerstandswillen der Feinde gestärkt werden, damit es zu einer wirklichen Auseinandersetzung kommen konnte. Der von Gott verhängte blinde Kriegswahn führte folglich zur kompletten Auslöschung, bei der es keinerlei Gnade geben konnte. Ob es zuvor eine Verschuldung der Könige gab, sei dahingestellt.376 Diese Frage musste jedenfalls nicht beantwortet werden. Auffälligerweise wird den kanaanäischen Königen aufgrund der Stärkung des Herzens gar nicht die Möglichkeit eines Bundesschlusses gegeben. Ein Bündnis war zudem nach dem dtn. Kriegsgesetz für die Vorbevölkerung ohnehin ausgeschlossen. Dementsprechend hätte es selbst ohne Verhärtung des Herzens nicht zu einer friedlichen Unterwerfung kommen können.377 Durch die Verhärtung der Herzen wird zudem eine Parallele zum Exodusgeschehen gezogen,378 das ebenfalls mit der Herzensverhärtung des Pharao verbunden war. Exodus und Eisodus liegen somit lexematisch auf einer Linie.379 Während in den anderen Eroberungserzählungen Gott aktiv in das Kampfgeschehen eingegriffen hat, werden hier der Sieg und die vollständige Vernichtung des Feindes auf eine Manipulation der psychischen Verfassung der Feinde 374
Vgl. ZIESE 2008, 242f. Nach SCHMITT 2013, 82 ist die Verhärtung „eine komplementäre Begründung für den Vollzug der Vernichtungsweihe und die Ausrottung der Vorbewohner“. 375 Jos 2,11; 5,1; 7,5. 376 So aber OETTLI 1893, 162. Nach LLOYD 1886, 175 ist die Herzensverhärtung der feindlichen Könige die Folge ihrer hartnäckigen Unbußfertigkeit. 377 Vgl. auch MATHEWS 2016, 109f. Anders hingegen LOHFINK 1982, 210f., dem zufolge die Israeliten nach dem Kriegsgesetz Dtn 20,10–18 den Städten im Verheißungsland ebenfalls ein Angebot zur friedlichen Unterwerfung hätten machen können. Die Bannweihe wäre demnach nur gefolgt, wenn dieses Angebot ausgeschlagen worden wäre. 378 Ex 14,4.8.17. 379 Vgl. hierzu auch KNAUF 2008, 118; HALL 2010, 189; KNAUF 2010b, 509; BALLHORN 2011, 232f.
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durch Gott zurückgeführt.380 Die von Gott bewirkte Herzensverhärtung kann vielleicht auch auf die anderen Feinde bei der Landnahme bezogen werden. Vulgata gibt nur hier das Verb ḤRM sehr banal mit cadere „sterben“ wieder und scheint die Problematik der Bannweihe zu bagatellisieren. LXX gibt hingegen in V.20 die beiden unterschiedlichen hebräischen Verben ḤRM und ŠMD mit demselben griechischen Wort wieder (ἵνα ἐξολεθρευθῶσιν), sodass in der hebräischen Vorlage vielleicht das gleiche Wort stand. Hierfür spricht die Beobachtung, dass zumindest im Josuabuch lediglich die Wurzel ŠMD mit ἐξολεθρεύω wiedergegeben wird. Ausweislich der Verwendung desselben Wortes war es außerdem möglich, dass der dazwischenstehende Abschnitt aufgrund eines Abschreibefehlers in einigen griechischen Handschriften entfallen konnte. Jedoch wäre ebenso möglich, dass lebiltî hæyôt lāhæm teḥinnāh mit dem Mittel der Wiederaufnahme eingetragen wurde. Denn das Lexem teḥinnāh ist relativ selten.381 Möglicherweise ist auch hier für teḥinnāh die ansonsten übliche Bedeutung von „Bitte um Gnade“ anzusetzen.382 Dann würde hier ausgedrückt werden, dass die kanaanäischen Könige nicht einmal um Gnade gebeten hätten. Aufgrund der Herzensverhärtung war das ohnehin nicht mehr denkbar. Fraglich ist, wer das Subjekt der beiden Infinitive ḤRM und ŠMD ist. Zwar geht die Verhärtung des Herzens von YHWH aus. Aber deshalb muss YHWH nicht notwendigerweise auch das logische Subjekt dieser beiden Infinitive sein,383 zumal für die Bannweihe und Vernichtung eigentlich Israel unter Josua zuständig ist, worauf am Schluss noch mithilfe des durch Mose vermittelten YHWH-Befehls verwiesen wird. Möglicherweise ist darüber hinaus das enklitische Personalpronomen bei hašmîdām nicht auf die feindlichen Könige, sondern auf die Israeliten zu beziehen.384 Die vollständige Auslöschung der Vorbevölkerung im Rahmen der Landnahme könnte auch mit Dtn 7 zusammenhängen. Nur in der Zeit Josuas habe man somit ernsthaft versucht, die gefährliche Vorbevölkerung komplett zu entfernen. Denn die Generation Josuas war insgesamt gegenüber den Vorgaben des Mose gehorsam,385 auch wenn es zahlreiche Anzeichen dafür gibt, dass die Urbevölkerung eben nicht verschwunden ist. 380
Vgl. NIEHAUS 1988, 42. Vgl. zum Problem TREBOLLE BARRERA 2008, 453. CAMPBELL 2000, 84 weist darauf hin, dass das Lexem teḥinnāh erst in später Zeit verwendet wird und in der Bedeutung „Gnade“ nur noch in Esr 9,8 belegt ist. Die Verwendung des seltenen Nomens teḥinnāh anstelle des Verbs ḤNN unterscheidet V.20 auch von Dtn 7,2. Anders EDERER 2017, 186, der hier Stichwortbezüge konstruiert. Das Lexem teḥinnāh ist darüber hinaus mit einem gewissen Schwerpunkt im Gebet Salomos in 1Kön 8//2Chr 6 belegt. 382 Vgl. HARSTAD 2004, 465. 383 So aber NOTH 1971, 64. 384 Vgl. HARSTAD 2004, 465. 385 Nach dtr. Vorstellung musste man zudem das Übel aus der Mitte Israels beseitigen, vgl. CAMPBELL 2000, 87, der auf Dtn 13,6; 17,7.12; 19,19; 21,21; 22,21.22.24; 24,7 verweist. 381
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In V.20 wird zudem am Schluss auf einen Befehl YHWHs an Mose verwiesen. Die Vernichtung der feindlichen Könige entspricht somit dem Auftrag Gottes. Hier könnte das dtn Kriegsgesetz in Dtn 20,10–18 im Blick sein.386 Allerdings liegt in Dtn 20 Moserede vor, sodass dieses intertextuelle Bezugssystem nur mit gewissen Abstrichen funktioniert. V.21: Vetus Latina liest in V.21 nicht das Gentiliz Anakiter, sondern einen Ortsnamen (qui erant in Achim). Außerdem wird der Ort Dabir als Gabir wiedergegeben. LXXA und Vetus Latina überliefern den letzten Ortsnamen Anab ähnlich wie MT als Ανωβ beziehungsweise Anob, während LXXB und viele griechische Handschriften Αναβωθ oder Ähnliches lesen.387 Vielleicht gab es in späterer Zeit ausweislich der Pluralbildung Αναβωθ einen Doppelort mit einem größeren Hauptort und einem kleineren Nebenort, was auch archäologisch durchaus naheliegend ist. Denn der Ort Anab, der sonst nur noch in Jos 15,50 zwischen Debir und Eschtemo erwähnt wird, könnte aufgrund des Kriteriums des Namenserhalts auf der kleineren eisenzeitlichen Ḫirbet ʿAnāb eṣ-Ṣaġīr (1458.0912) gesucht werden,388 während es noch einen römisch-byzantinischen Hauptort Ḫirbet ʿAnāb el-Kebīr (1432.0895) gibt.389 Beide Orte liegen südwestlich von Hebron auf der westlichen Seite des Wādi el-Ḫalīl. Allerdings wird aufgrund von neueren Surveybefunden auch der größere Ort Ḫirbet ʿAnāb el-Kebīr durchaus wieder für das biblische Anab in Betracht gezogen,390 zumal dort reichlich Keramik der Eisenzeit gefunden wurde.391 Vor diesem Hintergrund ist die Identifizierung des biblischen Ortes Anab noch nicht definitiv geklärt. Vermutlich wurde in V.21 Anab ergänzt, da dieser Ort nach Jos 15,49–50 hinter Hebron und Debir folgte, sodass auch hier Anakiter vermutet werden können.392 Einige hebräische Handschriften haben zudem vor der Ortsangabe Debir einen Anschluss mit der Konjunktion w, was aber in dieser asyndetischen Reihung verwundert. Dementsprechend gibt es keinen zwingenden Grund, den MT abzuändern. LXXB differenziert im Gegensatz zu MT und LXXA zwischen Volk Israel und Gebirge Juda (ἐκ παντὸς γένους Ισραηλ καὶ ἐκ παντὸς ὄρους Ιουδα). Vielleicht wurde hier har zu dor verlesen,393 was aufgrund der Ähnlichkeit von ה und דdurchaus möglich ist. Offenbar sollte auf diese Weise die Bedeutung
386
Vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER 1995, 211 Anm.528. Vgl. zum Problem GREENSPOON 1983, 74f. 388 Vgl. ANGERSTORFER 1989, 229; RÖSEL 2011, 191; BUTLER 2014, 518. 389 Vgl. KOCHAVI 1974, 28 Anm.12; ZIESE 2008, 243 Anm.33. Zu einer Lokalisierung von Anab auf Ḫirbet ʿAnāb vgl. ELLIGER 1934, 64. 390 Vgl. DE VOS 2003, 433; VAN BEKKUM 2011, 191 Anm.253. 391 Vgl. OFER 1993, II 21:17. 392 Vgl. KNAUF 2008, 118. 393 Vgl. HOLMES 1914, 54; AULD 2005, 169. 387
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Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
intensiviert und die geographische Verortung beseitigt werden,394 zumal nur Orte genannt werden, die nicht auf dem Gebirge Israels liegen. Dementsprechend könnte das γένους auch bewusst gesetzt worden sein, um den Text verständlicher zu machen. Dann müsste man keine Verlesung annehmen. Außerdem wurde Israel von LXXB vor Juda gesetzt, sodass es sich bei der Lesart „Volk Israels“ nicht um einen reinen Abschreibefehler handeln muss. Vor diesem Hintergrund wäre es auch möglich, dass MT beide Toponyme vertauscht hat, um Juda durch die Erstposition mehr Prominenz zu geben und dem geographischen Befund von V.21 besser zu entsprechen. Außerdem habe dieser Abschreiber ein zusätzliches har eingefügt, damit beide Angaben aneinander angeglichen werden. Dann würde LXXB den ursprünglichen Text belegen, der von MT bewusst judafreundlich verändert wurde. Allerdings stützt Vetus Latina demgegenüber die Lesart des MT. Dann gehört aber auch das „Gebirge Israels“ zur ursprünglichen Tradition.395 Grundsätzlich gibt es keinen zwingenden Grund, die lectio difficilior des MT zu verändern. Vulgata kürzt darüber hinaus MT leicht, indem der Ausdruck ûmikkol har als redundante Doppelung vor Israhel weggelassen wird. Außerdem wird von Vulgata nur auf die Zerstörung der Städte hingewiesen, wobei hier das Subjekt Josua nicht genannt wird (urbesque eorum delevit). Der Bezug von ʿim ʿārêhæm „mit ihren Städten“ ist unklar. Während LXX diesen Präpositionalausdruck noch zu den vorausgehenden geographischen Angaben zieht und den neuen Satz durch ein zusätzliches καὶ abtrennt, verbindet Vulgata diesen Ausdruck mit dem Folgenden. Vetus Latina scheint ʿim ʿārêhæm hingegen noch auf die vorausgegangenen Angaben zu beziehen. Diese unterschiedlichen syntaktischen Konstruktionen spiegeln jedoch lediglich die uneindeutige Syntax des hebräischen Textes wider und lassen kaum auf einen anderen Text schließen. Mit dem Temporalmarker bāʿet hahîʾ wird die Tradition von den Anakitern aufgrund des Nahkontextes in den relativ langen Zeitbereich eingeordnet,396 währenddessen Josua nach V.18 gegen die feindlichen Könige gekämpft hat. Allerdings wäre es darüber hinaus möglich, dass die in Jos 11 berichteten Ereignisse aufgrund dieser Zeitangabe allesamt ungefähr im selben Zeitfenster stattfanden. Meist werden die Anakiter als furchteinflößende Riesen beschrieben. Die Anakiter werden vermutlich schon deshalb auch in Jos 11 genannt, da es sich um besonders furchterregende Feinde handelt, die jedoch von den Israeliten 394
Vgl. BUTLER 2014, 501. Mit dem Gebirge Israels könnte zudem das efraimitische Gebirge gemeint sein, vgl. DILLMANN 1886, 499. 396 Insofern ist eine zeitliche Verortung der Vernichtung der Anakiter am Ende der Landeroberung nicht nötig. So aber schon KNOBEL 1861, 402. Zu dieser sprachlichen Härte auch KNAUF 2008, 118. 395
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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ausgeschaltet werden konnten. Die Anakiter sind zudem seit der Kundschaftererzählung die Angstgegner der Israeliten.397 Die Verwendung eines Gentiliz für die Anakiter scheint auf dtr. Sprachgebrauch zurückzugehen.398 Während Josua bereits als Kundschafter auf Anakiter gestoßen ist, hat er schon damals die Israeliten ermutigt, trotz der gefährlichen Anakiter das Land einzunehmen.399 Dies hat Josua nun endlich eingelöst.400 Schon aus diesem Grund musste die Anakitertradition auch im ersten Teil des Josuabuches im Rahmen der Landeroberung eingetragen werden. Vielleicht ist das Attribut „Anakiter“ aufgrund des legendarischen Riesen Goliat, gegen den der Hirtenjunge David kämpfen musste, allgemein auf die Philister übergegangen.401 Dementsprechend hätten noch einige riesenhafte Anakiter in den Philisterstädten Gaza, Gat und Aschdod überlebt.402 Auch wenn die Anakiter in den Philisterstädten siedeln, ist nicht von einer Identifizierung der Anakiter mit den Philistern auszugehen. Vielmehr lebten die Anakiter als ethnische Minderheit unter den Philistern.403 Insofern ist auch der Philister Goliat kein Anakiter, auch wenn seine riesenhafte Erscheinung auf den ersten Blick eine Gleichsetzung nahelegen könnte. V.22: Vulgata ergänzt offenbar vor dem Gentiliz der Anakiter ein Nomen wie šebæṭ für Stamm (de stirpe Enacim), sowie bei den Toponymen Gaza, Gat und Aschdod einmalig die klassifizierende Bezeichnung Stadt (civitatibus Gaza). Auch Vetus Latina fügt wie schon wenige griechische Handschriften vor dem Gentiliz Anakiter offenbar ein benê ein (filiis Enachim). 397 Allerdings wird dies nach EDERER 2017, 188 nur in den Reden der Israeliten beziehungsweise Kundschafter, nicht aber durch den biblischen Erzähler ausgedrückt, sodass das eigentliche Wesen der Anakiter nicht mitgeteilt wird. Israel hat jedoch Angst vor dieser angeblich furchteinflößenden Bevölkerung. 398 Vgl. AULD 1976, 211 Anm.2. Zur schwierigen Etymologie von Anakiter, vgl. auch GASS 2019b, 232. 399 Dtn 1,28–30. 400 Vgl. FARBER 2016, 59. 401 Vgl. zum Problem auch GRAY 1986, 118. Nach HOLZINGER 1901, 43 sind Reste der Anakiter schon aufgrund der Goliaterzählung 1Sam 17 erforderlich. Auch nach GERMANY 2017, 439 ist die Anakitertradition in V.21–22 bereits eine Antizipation der späteren Philisterkriege. Kritisch zu einer Verbindung zwischen den Anakitern und Goliat von Gat aber schon SOGGIN 1982, 141. 402 Auf diese Tradition könnte auch Jer 47,5 hinweisen, wonach offenbar in Gaza und Aschkelon noch ein Überrest der Anakiter überlebt habe. Die griechische Übersetzung verstärkt diesen Bezug, indem der letzte Satz getilgt wird. Nach KNAUF 2010b, 509 geht es zudem nur um ein literarisches Überleben der Anakiter. Dieses Überleben in den Philisterstädten habe es nach LLOYD 1886, 177 den Anakitern darüber hinaus ermöglicht, dass sie kurze Zeit später wiederum in das judäische Bergland eindringen konnten, was die erneute Auseinandersetzung mit Kaleb erforderlich machte. Ob man die Widersprüche aber derart diachron einebnen darf, sei dahingestellt. Diese Widersprüche sollten wohl eher auf literarhistorischem Weg gelöst werden. 403 Vgl. FRITZ 1994, 126.
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In LXXB fehlt im Gegensatz zu LXXA und zahlreichen griechischen Handschriften der Ortsname Gat. Hierbei könnte es sich um eine innergriechische Haplographie handeln,404 zumal eine hebräische Haplographie aufgrund des proklitischen w wenig wahrscheinlich ist.405 Vielleicht wurde dieser Ort aber auch erst sekundär ergänzt, um hier den Ort des philistäischen Riesens Goliat einzutragen. Hier kommt man über Vermutungen kaum noch hinaus. Fraglich ist, weshalb von den fünf Philisterstädten nur diese eingeschränkte Auswahl getroffen wurde. Vielleicht galten Gaza, Gat und Aschdod als exemplarische Unruheherde,406 mit denen man sich immer wieder auseinandersetzen musste. Diese Orte blieben zudem trotz der Landnahme der Israeliten philistäisch besiedelt, sodass die Anakiter dort überleben konnten und nicht den Israeliten ausgeliefert waren. Der in diesem Zusammenhang erwähnte Ort Gaza ist jedoch insofern problematisch, da angeblich bereits beim südlichen Feldzug das Gebiet bis Gaza eingenommen wurde,407 sodass es diesen Rückzugsort für die Anakiter eigentlich nicht mehr geben dürfte. Das Gleiche gilt darüber hinaus für den Ort Gat, der eigentlich in der von den Israeliten eroberten Schefela liegt. Vielleicht verdanken sich die drei Philisterstädte den Erwägungen des nachexilischen Redaktors. In persischer Zeit waren nämlich Gaza und Aschdod die wichtigsten Philisterstädte, während Gat aufgrund des Riesens Goliat eingetragen werden musste.408 Obschon MT im Ausdruck „übriglassen“ zwischen YTR (22a) und ŠʾR (22b) differenziert, verwendet LXX nur ein einziges Verb für das Übriglassen (καταλείπω). LXX verzichtet darüber hinaus auch auf die Wiedergabe von beʾæræṣ vor den Söhnen Israel (ἀπὸ τῶν υἱῶν Ισραηλ), sodass mit den Söhnen Israel der Akteur der Auslöschung der Anakiter betont werden könnte409 und nicht der Ort, wo keine Anakiter mehr übriggelassen werden, auch wenn die Präposition ἀπὸ mehrdeutig ist und auch räumlich verstanden werden kann. Vielleicht ist beʾæræṣ insgesamt zu streichen, da es für den Ausdruck beʾæræṣ benê Yiśrāʾel ansonsten keinen Beleg gibt.410 Ein Ausfall von beʾæræṣ ist somit durchaus denkbar. Denn zumindest beʾæræṣ kann vor benê aufgrund von Haplographie entfallen sein. Vielleicht ist dann die privative Präposition min aufgrund von Dittographie zum vorausgehenden ʿanāqîm vor benê eingedrungen, worauf die griechische Übersetzung ἀπὸ zurückgreifen konnte.411 Für die abweichende Lesart gibt es folglich eine schlüssige Erklärung. 404
Vgl. NELSON 1997, 150: ἐν [Γεθ καὶ ἐν] Ασεδωθ. So aber BOLING 1982, 313: b[GT w]bʾŠDWD. 406 Vgl. GÖRG 1991a, 60. 407 Jos 10,41. Vgl. zum Problem FARBER 2016, 59 Anm.113. 408 Vgl. hierzu KNAUF 2008, 119. Auf diese Weise konnte die Erzählung in 1Sam 17 schon vorbereitet werden, vgl. auch HUBBARD 2009, 333. 409 Vgl. hierzu BUTLER 2014, 501. 410 Vgl. HOLMES 1914, 54. 411 Vgl. zu dieser textkritischen Entwicklung BOLING 1982, 313. 405
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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Die Vollständigkeitsaussage wird jedoch in 22b mit raq „nur“ eingeschränkt. Im Wesentlichen sind somit die Anakiter aus dem Verheißungsland verschwunden, auch wenn es noch drei Orte gibt, in denen sie überleben konnten.412 Damit ähneln die Anakiter den Gibeonitern, die sich demgegenüber aber das Überleben durch den Bundesschluss mit Israel dauerhaft gesichert haben. Auffälligerweise werden den drei Orten, in denen nach V.21 vormals Anakiter siedelten (Hebron, Debir, Anab), in V.22 genau drei Orte gegenübergestellt, in denen die Anakiter noch weiterhin überleben konnten (Gaza, Gat, Aschdod). Während ansonsten ŠʾR-H in Jos 10 und V.8.14 verwendet wird, steht in 22b ŠʾR-N, was den Kontrast zur umfänglichen Auslöschung der Vorbevölkerung noch zusätzlich verstärkt. An den Anakitern wird nach V.21 außerdem ebenfalls die Bannweihe vollzogen. Auf diese Weise haben die Israeliten die gefährlichsten Gegner für immer ausgeschaltet, auch wenn einige Anakiter in drei Philisterstädten noch überleben konnten. Zumindest im eigentlichen Verheißungsland sind nach V.22 keine Anakiter mehr anzutreffen. V.23: Der Vergleichssatz mit kekol ʾašær wird von LXX, Vetus Latina und Vulgata abgeschwächt, indem nur einfaches καθότι beziehungsweise sicut verwendet wird.413 Außerdem wechselt LXX von dem femininen singularischen Morphem bei wayyittenāh, das sich auf das Land bezieht, in den Plural (αὐτοὺς), wobei die Bezüge dadurch verunklart werden. Vielleicht ist dies eine bewusste Angleichung an das folgende ᾿Ιησοῦς.414 Darüber hinaus wird der Doppelausdruck „Abteilungen–Stämme“ von LXX und Vetus Latina verschlankt (κατὰ φυλὰς αὐτῶν beziehungsweise secundum tribum illorum), sodass fraglich ist, ob nicht im ursprünglichen Text lediglich der gebräuchlichere zweite Ausdruck stand, während maḥleqotām erst sekundär hinzugewachsen ist. Das Lexem maḥleqāh wird von den alten Versionen zudem sehr unterschiedlich wiedergegeben. Während LXX an „Anteile“ denkt – es geht folglich um den jeweiligen Anteil, der jedem Stamm zukommt –,415 vermuten Targum, Peschitta und Vulgata eher die Gliederung der Stämme in einzelne „Abteilungen“.416 Einige hebräische Handschriften, LXX, Peschitta und Targum belegen vor maḥleqāh darüber hinaus die Präposition b anstelle von k,417 was aber eine fehlerhafte Lesung angesichts der Ähnlichkeit beider hebräischer Konsonanten sein könnte ( בund )כ. Die Konstruktion des MT kemaḥleqotām lešibeṭêhām „nach ihren Abteilungen, entsprechend ihren Stämmen“ ist zumindest schwierig. Möglicherweise ist der zweite Ausdruck als ein 412
Vgl. zu derartig eingeschränkten Vollständigkeitsaussagen CLARKE 2010, 98f. Nach BIEBERSTEIN 1995, 89 Anm.37 kann καθότι aber auch kekol ʾašær wiedergeben, worauf Jos 21,44 hinweist. 414 Für AULD 2005, 170 ist dies ein „odd reading“. Nach DEN HERTOG 1996, 59 wurde die Pluralform vorgefunden, aber nicht immer korrigiert. 415 Vgl. auch KNOBEL 1861, 402. 416 Vgl. zu dieser Differenzierung DILLMANN 1886, 501. 417 Vgl. HOLZINGER 1901, 42. 413
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appositionell verwendeter Genitiv zu deuten, sodass man hier „entsprechend ihrer Einteilung in Stämme“ lesen könnte.418 Hier kommt man über Vermutungen kaum noch hinaus. Vulgata verzichtet auf die zweite Nennung von Josua und erweitert Israel zu Söhne Israel (filiis Israhel). Außerdem steigert Vulgata den singularischen Ausdruck mimmilḥāmāh, indem in den Plural gewechselt wird (de proeliis). Beide Änderungen der Vulgata sind aber kaum mit einer wirklichen Bedeutungsdifferenz zu verbinden. Als Begriff für die Einnahme des Landes wird in 23a die Wurzel LQḤ verwendet, die hier mit „Kontrolle übernehmen“ wiedergegeben werden kann.419 Durch die darauffolgende Verbalformation wayyittenāh wird auf eine bereits vollendete Handlung hingewiesen, sodass die Landverteilung eigentlich schon in 23a abgeschlossen ist.420 Eine ähnliche Formulierung mit den beiden Verben LQḤ und NTN findet sich in der Zusammenfassung zum Ostjordanland (Dtn 29,7).421 Eine detaillierte Landverteilung, wie sie in Jos 13–19 skizziert wird, ist eigentlich gar nicht mehr nötig. Allerdings werden die beiden Lexeme naḥalāh „Erbteil“ und maḥleqāh „Abteilung“ auch im Abschnitt der Landverteilung Jos 13–19 verwendet.422 Vermutlich soll auf diese Weise der Anschluss zum Folgenden lexematisch zumindest vorbereitet werden. Das Wort maḥleqāh „Abteilung“ ist zudem ein Wort, das nur in nachexilischen Texten zu finden ist.423 Der Rückverweis auf Mose in 23a könnte andeuten, dass die Vorgabe in Jos 1,7–8 von Josua und den Israeliten treu befolgt wurde. Denn wenn Josua auf die gesamte Tora des Mose hört und diese einhält, dann wird er bei der Landeroberung Erfolg haben.424 Diese Verheißung ist nach Jos 11,23 eingetre-
418
Vgl. NOTH 1971a, 64. Vgl. VAN BEKKUM 2011, 194. 420 Vgl. LAUGHLIN 2015, 155. Anders hingegen COLESON 2012, 112, dem zufolge diese Notiz „proleptic“ sei. Als Antizipation des zweiten Teils deutet HUBBARD 2009, 334 die hier angesprochene Landverteilung. Auf diese Weise würden die beiden Teile des Josuabuches bestens miteinander verbunden werden. Auch HALL 2010, 193 deutet Jos 11 als „conclusion and transition“. Nach EDERER 2017, 182 sei V.23 ein Vorverweis auf den zweiten Buchteil. Im Gegensatz zu SCHÄFER-LICHTENBERGER 1995, 211 Anm.528 liegt kein Bezug zu Dtn 3,28 vor, da dort NḤL-H anstelle von NTN verwendet wird. 421 Vgl. hierzu POLAK 1985, 234f., der darauf hinweist, dass hier nicht nur die Landeroberung, sondern auch die Landverteilung im Blick ist. 422 naḥalāh „Erbteil“ in Jos 13,6.7.8.14.23.28.33; 14,2.3.9.13.14; 15,20; 16,5.8.9; 17,4.6. 14; 18,2.4.7.20.28; 19,1.2.8.9.10.16.23.31.39.41.48.49.51 und maḥleqāh „Abteilung“ in Jos 18,10. 423 Vgl. FRITZ 1994, 126. Hier wäre auf die folgenden Belege zu verweisen: Jos 11,23; 12,7; 18,10; 1Chr 23,6; 24,1; 26,1.12.19; 27,1; 28,1.13.21; 2Chr 5,11; 8,14; 23,8; 31,2.15. 16.17; 35,4.10; Neh 11,36; Ez 48,29. 424 Vgl. hierzu auch NELSON 1997, 156, der zudem einen Bezug zu Jos 1,6 vermutet, was aber nur inhaltlich, nicht sprachlich möglich ist. 419
2. Textkritische und sprachliche Beobachtungen
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ten. Ob jedoch der Rückverweis mit DBR auf priesterliche Traditionen zurückgeht, ist fraglich, zumal DBR auch im Deuteronomium und im Josuabuch für autoritative Rede mit YHWH oder Mose als Sprecher verwendet wird.425 Eine eindeutige idiomatische Zuweisung ist folglich nicht möglich. Während das Thema der Ruhe des Landes in Jos 1,12–15 und in Jos 21,43– 45 mit der Wurzel NūḤ ausgedrückt wird, wird in V.23 die Wurzel ŠQṬ verwendet.426 Auf diese Weise wird die Erde offenbar personifiziert, da ŠQṬ mit dem Herabhängen von Kopf oder Händen verbunden werden kann. Außerdem ist eine derartige Ruhe nur temporär zu verstehen. Aus alledem folgt, dass die Landeroberung aufgrund der verwendeten Lexematik noch nicht zu einem endgültigen Abschluss gekommen ist, obschon die aktuellen Könige besiegt worden sind.427 Insofern widerspricht V.23 nicht der Konzeption des uneroberten Landes, da die Landeroberung nur auf den ersten Blick vollständig gelang. Darüber hinaus konnte die Auslöschung der Vorbevölkerung nicht sofort erfolgen, da das Land ansonsten veröden würde.428 Schon aus diesem Grund muss noch ein Teil der Vorbevölkerung am Leben bleiben. Insofern geht es hier nur um eine im Wesentlichen vollständige, aber noch nicht endgültig abgeschlossene Eroberung.429 Offenbar wird hier sprachlich und inhaltlich zwischen der allumfassenden Ruhe, ausgedrückt mit NūḤ, und der temporären Ruhe, ausgedrückt mit ŠQṬ, unterschieden.430 Das Motiv der Ruhe als besonderes Heilsgut findet sich neben V.23 noch in Jos 14,15, im Richterbuch431 und in der chronistischen Tradition.432 Mit dieser Ruhe wird nun ein zumindest vorläufiger Abschluss der Landnahme ausgedrückt.433 Mit dem Tod Josuas ist zudem die heilvolle Josuazeit vorbei. Ruhe kann es fortan nur noch zeitlich begrenzt, aber nicht dauerhaft geben. Der Satz wehāʾāræṣ šāqṭāh mimmilḥāmāh434 taucht schließlich noch am Schluss von Jos 14 in Jos 14,15 auf, bevor das Land endlich verteilt wird. Fraglich ist, ob hier eine Wiederaufnahme vorliegt, mit der dann der Zwischenteil 425
Dtn 1,1; 5,4; 20,2; Jos 1,3; 4,8; 9,21; 11,23. Zu einer Verwendung von ŠQṬ in prophetischen Schriften vgl. HESS 1996a, 243 Anm.305. Trotz alledem liegt hier für HOLLENBERG 1874, 499 dtn Sprache vor. 427 Vgl. ZIESE 2008, 243. 428 Ex 23,29. 429 Vgl. CLARKE 2010, 99f. Anders hingegen BECKER 1990, 76, der bei dem Summarium in V.16–23* von einer vollständigen Eroberung ausgeht, sodass es Feinde nur „ringsumher“ geben konnte. 430 Vgl. auch KAISER 1973, 139. 431 Ri 3,11.30; 5,31; 8,28. 432 1Chr 22,9; 2Chr 13,23; 14,4–5; 20,30; 23,21. 433 Da Josua das Land den Israeliten bereits als Erbteil gegeben hat, wird mit der Ruhe nicht ausgedrückt, dass das Land nach Jos 13–19 verteilt werden kann. So aber KEIL 1847, 223. 434 BALLHORN 2011, 235 Anm.550 geht trotz der Suffixkonjugation von einem Nominalsatz und einer Zustandsbeschreibung aus. Hier ist aufgrund von x-qatal wohl eher an die vergangenheitliche Durchsetzung der Ruhe gedacht, die Auswirkungen auf die Erzählzeit hat. Auch KNAUF 2008, 119 geht von einer Deutung als resultativ-stativ aus. 426
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eingefügt worden wäre.435 Die Wiederaufnahme (Jos 11,23–14,15) übergreift jedoch eine andere Wiederaufnahme (Jos 13,1–23,1), sodass nicht zwei ineinandergreifende Einschübe vorliegen können. Durch diese Wiederaufnahme wird lediglich der Sieg über die Anakiter unter Josua (Jos 11,21–22) lexematisch mit der Vernichtung der Anakiter durch Kaleb (Jos 14) verbunden.436 Offenbar kann es erst dann Ruhe im Verheißungsland geben, wenn die gefährlichen Anakiter ausgeschaltet sind. Da die Ruhe mit der zuvor erfolgten, göttlich legitimierten Landgabe, die als unaufgebbarer Erbbesitz klassifiziert wird, einhergeht, ist auch die Ruhe vom Krieg ein Geschenk Gottes.437 Mit der Ruheformel wird somit auch betont, dass die kriegerische Landnahme nun beendet ist,438 obschon noch nicht das gesamte Land erobert ist.439 Die Landnahme ist einmalig geschehen und nun beendet, ohne dass die Ruhe Auswirkungen auf spätere Zeiten hat. Denn schon kurze Zeit später herrscht wiederum Krieg. Die Ruheformel wird im Richterbuch wiederum aufgegriffen und dort zeitlich terminiert.440 Denn die Ruhe geht alsbald aufgrund der Sünde der Israeliten wiederum verloren und muss damit zumindest kurzfristig wiederhergestellt werden. Mit dieser Formel wird betont, dass YHWH die Gefahr durch Feinde von außen nur eine Zeit lang aussetzt, da Israel immer wieder zu anderen Göttern überläuft. Die allumfassende Ruhe aus V.23 wird somit aufgrund der Schuld Israels immer wieder zurückgenommen, sodass der Landbesitz an den Toragehorsam gebunden ist. Es verwundert daher nicht, dass der Besitz des Verheißungslandes stets gefährdet ist.441 Fraglich ist, ob die Ruheformel auf einen dtr. Redaktor zurückgeht, da alternativ in dtr. Texten die Wurzel NūḤ für die Ruhe vom Krieg verwendet wird.442 Vielleicht spiegelt die Ruheformel in 23b die pazifistische priesterliche Theologie wider.443 Hier kommt man über Vermutungen kaum noch hinaus. Die textkritische und sprachliche Analyse von Jos 11 hat wertvolle Hinweise gegeben, die für die Literarkritik und Redaktionsgeschichte fruchtbar gemacht werden können. In V.1 sind zumindest die beiden Toponyme Maron und 435 Vgl. auch BOLING 1982, 316. Zumindest der Übersetzer der LXX gibt diesen Satz auf unterschiedliche Weise wieder, vgl. VAN DER MEER 2004, 386. 436 Nach STEUERNAGEL 1901, 197 ist 23b aus Jos 14,15 entlehnt. 437 Vgl. GÖRG 1991a, 60. 438 Vgl. FRITZ 1994, 126; THEUER 2020, 247. 439 Nach BALLHORN 2011, 235 wird hier folglich zur Bescheidenheit aufgerufen: „Ein solcher Frieden muss Israel reichen“. 440 Ri 3,11.30; 5,31; 8,28. 441 Vgl. BECKER 1990, 88. 442 Aus diesem Grund denkt CAMPBELL 2000, 85 eher an einen vor-dtr. Autor. 443 Vgl. KNAUF 2007, 220, dem zufolge hier der Buchschluss der ersten Hexateuch-Redaktion im Blick sein könnte, zumal die folgenden Bücher hier noch nicht angedeutet sind.
3. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Beobachtungen
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Simeon gegenüber den Orten des MT zu bevorzugen. Der parenthetisch gefügte V.3 könnte aufgrund der unterschiedlichen Versionen eine Glosse sein. In V.7 könnte zusätzlich eine Ortsangabe bāhār zu ergänzen sein. In V.15, V.20 und 23b könnte priesterlicher Einfluss vermutet werden. Die Hewitertradition in V.19 ist nicht über jeden Zweifel erhaben. Außerdem ist der Ort Gat in V.22 textkritisch verdächtig. Darüber hinaus ist die Präpositionalverbindung kemaḥleqotām in 23a textkritisch, syntaktisch und lexematisch problematisch.
3. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Beobachtungen Insgesamt besitzt die Erzählung in Jos 11 zahlreiche Leerstellen. Weder wird der wirkliche Grund für den Angriff Jabins genannt noch der Ausgangspunkt Josuas. Denn der Erzählbeginn bleibt unbestimmt, da das von Jabin vernommene Gerücht nirgendwo näher beschrieben wird und auffälligerweise auch ein Objekt in V.1 fehlt. Außerdem wird Josua am Anfang der Erzählung nirgendwo verortet und fällt urplötzlich über den Feind her. Schließlich wird der Sieg vor allem YHWH zugeschrieben, während Josua und Israel nur minimal eingebunden sind. Auch die Informationen zur Feindkoalition sind sehr vage. Vielleicht gehen diese Ungenauigkeiten darauf zurück, dass der Autor entweder nur unvollständige Daten verwenden konnte oder vor allem an einer theologischen Darstellung der Landeroberung interessiert war.444 In jedem Fall wurde eine Erzählung gestaltet, die in vielen Dingen der Darstellung des südlichen Feldzugs in Jos 10 ähnelt. Neben dem zu Jos 10 ähnlichen inhaltlichen Aufbau werden in Jos 11 nämlich ähnliche Worte beziehungsweise Idiome verwendet.445 Dieser Befund deutet wohl auf eine eigenständige redaktionelle Hand, die die beiden Erzähltraditionen miteinander verbunden hat. Hierzu gehört der Erzählanfang wayehî kišmoaʿ „und es geschah, als … hörte“ in V.1,446 der Verweis auf die Belagerung wayyaḥanû „und sie lagerten“ in V.5, die Ermutigungsformel in V.6 ʾal tîrʾāʾ + min sowie der Überraschungsangriff in V.7 wayyāboʾ Yehôšuaʿ ʿalêhæm pitʾom,447 der schließlich Panik bei den Feinden erzeugt.448 Auch die geographischen Angaben in V.16– 17 ähneln den Informationen in Jos 10,40–41. 444
Vgl. HUBBARD 2009, 323. Vgl. hierzu NELSON 1997, 151. Nach STOLZ 1972, 88 werden in Jos 11 gewisse Vorstellungen und Ausdrücke vom dtr. Redaktor innerhalb bestimmter Grenzen variiert, ohne dass ein obligatorischer Formelschatz verwendet wird. 446 Fraglich ist, ob dieser Erzählanfang, der sich in Jos 5–6 und Jos 9–11 findet, jeweils auf einer einzigen literarhistorischen Ebene liegt. Nach KRAUSE 2014, 162 wurde diese Erzählstruktur nämlich auch als Vorbild von späteren Bearbeitungen verwendet. DE TROYER 2018, 112 vermutet zudem, dass V.1 die Vorlage für den Erzählanfang von Jos 9,1–2 gewesen ist. 447 Vgl. hierzu NOTH 1971a, 67; FRITZ 1973, 132. 448 Vgl. MERLING 1997, 109. 445
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Allerdings kann Jos 11 trotz der strukturellen und lexematischen Ähnlichkeiten nicht zum gleichen redaktionellen Stratum wie Jos 10 gehören, da Jos 10,40 bereits die Landeroberung abgeschlossen hat und ein Nordfeldzug hier nirgendwo angedeutet ist. Außerdem scheint der Autor von Jos 11 die geographischen Angaben aus Jos 10 aufgenommen und auf den Norden angewendet zu haben, weil er offenbar nicht mit der nördlichen Geographie vertraut war. Darüber hinaus greift V.16–20 wiederum auf den Süden aus,449 was eigentlich schon zuvor verhandelt war. Diese Befunde deuten gegen einen Autor oder Redaktor, der einheitlich vorging. Es ist zudem fraglich, ob Jos 11 tatsächlich zu einer ursprünglichen Sammlung der Landnahme zu rechnen ist.450 Möglicherweise wurde in Jos 11 ein zunächst profaner Schlachtenbericht theologisch überarbeitet. Denn in der eigentlichen Erzählung fehlen bei der Darstellung des Kampfes Elemente des Heiligen Krieges.451 Außerdem schildert V.7 lediglich einen Überraschungsangriff, ohne dass YHWH wie in anderen Landeroberungstexten explizit beteiligt ist. Insofern wäre der Kampf zunächst rein profan geschildert worden. Somit wäre die Ermutigungsformel in V.6 auf eine theologische Überarbeitung zurückzuführen. Allerdings lässt sich in Jos 11 kaum eine ursprünglich profane Heldenerzählung herausarbeiten. Denn die dtr. Prägung von Jos 11 ist evident. Dann müssen aber auch die dtn Kriegsgesetze vorausgesetzt werden. Außerdem wird immer wieder betont, dass Josua alle Weisungen treu befolgte, sodass beide Bereiche Landeroberung und Gesetzesobservanz effektiv miteinander verbunden wurden.452 Damit entspricht Josua dem dtr. Ideal in Jos 1,7. Eine einfache Trennung in profan und theologisch ist vor diesem Hintergrund schwer möglich. Bisweilen wird auch vermutet, dass die beiden Erzählungen von der Schlacht an den Wassern von Merom und der Eroberung von Hazor auf ätiologische Sagen zurückgehen.453 Allerdings gibt es hierfür keinen Hinweis, da kein einziges Element der jeweiligen Erzählung für die Nachwelt ätiologisch erklärt werden soll. Auffällig ist zudem die häufige Verwendung des All-Quantors kol „Gesamtheit“ ab V.4, mit dem eine Totalitätsaussage formuliert wird.454 Diese Beobachtung gibt der Erzählung ab dem Schlachtenbericht zumindest eine gewisse innere Geschlossenheit. Josua hat folglich das Land in seiner Gänze unterworfen und die Bevölkerung in ihrer Gesamtheit ausgelöscht. Trotzdem werden auch in Jos 11 immer wieder Ausnahmen formuliert, sodass die Konzeption des noch nicht eroberten Landes vorweggenommen wird. 449
Vgl. GERMANY 2017, 437f. Vgl. hierzu CAMPBELL 2000, 83. 451 Vgl. KANG 1989, 164. 452 Vgl. HALL 2010, 292. 453 Vgl. ALT 1953a, 134 Anm.5. Dagegen aber NAʾAMAN 1994, 259. 454 Jos 11,4.5.6.7.10.11(2x).12(2x).13.14(2x).15.16(3x).17.18.19.21.23. Nach DALLAIRE 2015, 55, ist die Verwendung des All-Quantors „hyperbolic and overemphasized“. 450
3. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Beobachtungen
331
Im Folgenden sollen Spannungen diskutiert werden, die zeigen, dass es sich bei Jos 11 nicht um einen einheitlich konzipierten Text handeln kann. Die beiden V.2–3 könnten eine sukzessive Fortschreibung sein,455 mit der die Feindkoalition aus V.1 noch zusätzlich erweitert werden sollte, damit sich die Auseinandersetzung nicht nur auf vier Könige beschränkt, sondern den gesamten nördlichen Bereich des Verheißungslandes abdeckt. Wenn zudem V.2–3 in der ursprünglichen Tradition vorhanden gewesen wären, gäbe es keinen ersichtlichen Grund, weshalb dann in V.1 drei Könige explizit genannt werden. Die Liste mit der Vorbevölkerung in V.3 mag schon vor diesem Hintergrund eine erweiternde Glosse sein, da die Jebusiter ansonsten nur mit Jerusalem verbunden werden und beim Nordfeldzug Josuas eigentlich fehl am Platz sind.456 Das gilt auch für die Gruppen der Perisiter und Amoriter, die in der Regel nicht im Norden gesucht werden.457 Außerdem wendet sich Jabin zunächst gezielt an die kanaanäischen Könige des Nordens. Eine primäre Ausweitung auf einzelne Völker ist in V.1 nicht angezeigt, sodass V.3 vermutlich eine sekundäre Erweiterung sein könnte, die die Völkerlisten von Jos 9,1 und Jos 12,8 im Blick hat. Hinzu kommt, dass V.3 syntaktisch ungeschickt auf V.2 folgt und vermutlich auch südliche Gebiete in den Blick nimmt. Somit scheint V.3 redaktionell später als V.2 eingetragen zu sein. Außerdem scheint V.4 an die Könige aus V.2 anzuschließen, zumal die in V.3 erwähnten Ethnonyme nicht das Subjekt in V.4 sein können.458 Auffällig ist zumindest, dass in V.2–3 drei unterschiedliche Formen zur Bestimmung der Feindkoalition verwendet werden,459 was ebenfalls darauf hinweist, dass diese listenartige Aufzählung nicht aus einem Guss sein kann: 1)
Geographisch wird in V.2 zwischen den landestypischen Regionen Gebirge, Araba, Negev und Schefela unterschieden, die vor allem für den Süden relevant und gebräuchlich sind. Diese Termini werden nun auf den Norden bezogen. Schon diese Beobachtung zeigt, dass in V.2 offenbar ein Redaktor die für den Süden übliche Terminologie auf den Norden bezogen hat. Direktional werden in V.2–3 die vier Himmelsrichtungen verwendet, um das Gebiet der Feinde abzustecken. Allerdings werden diese Richtungsanzeiger in V.2 nicht einheitlich verwendet – im Rahmen einer Constructusverbindung mit einem Toponym (nægæb Kinarôt) oder in einer Präpo-
2)
455
Vgl. RUDOLPH 1938, 209. Vgl. schon BATTEN 1905, 33 Anm.3. 457 Vgl. OETTLI 1893, 160. Nach VAN SETERS 1972, 78 wurde der Begriff Amoriter wahrscheinlich aus assyrischen und babylonischen Quellen übernommen und als archaische Bezeichnung für die vorisraelitischen Bewohner Palästinas gedeutet. 458 Vgl. GERMANY 2017, 435. 459 Vgl. RÖSEL 1975, 174. 456
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Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
sitionalverbindung mit min (miṣṣefôn, miyyām), was wiederum darauf hindeutet, dass eine spätere Hand die drei Himmelsrichtungen in V.3 vervollständigt und daher noch mimmizrāḥ für den Osten ergänzt hat. Ethnisch wird in V.3 auf eine vorliegende Liste der Vorbevölkerung verwiesen, die sich gegen Israel zusammengeschlossen hat. Auch hier wurde offenbar eine Ergänzung aus einem anderen Kontext eingetragen, was auf redaktionelle Arbeit in V.3 hinweisen könnte. Außerdem scheint V.3 eine inhaltliche Parallele zu V.2 zu sein,460 da es hier ebenfalls um eine Beschreibung der Feindkoalition geht.
3)
Durch die ausführliche Beschreibung der Feindkoalition wird die Aussage in V.4 unterstrichen, dass die Feinde so zahlreich wie der Sand am Meer sind. Offenbar wurde die geographische Einteilung des Südens auf den Norden übertragen, obschon sie eigentlich nicht auf Galiläa passt. Schon aus diesem Grund wurde die Himmelsrichtung miṣṣefôn „von Norden an“ an den Anfang gestellt, damit auf diese Weise verdeutlicht wird, dass es im Folgenden nur um das nördliche Verheißungsland gehen soll.461 Außerdem wurde die Region nægæb ebenfalls als Himmelsrichtung „Süden“ verstanden, sodass die beiden weiteren Himmelsrichtungen in V.2–3 ergänzt werden mussten, damit alle vier Himmelsrichtungen abgedeckt sind. Weshalb allerdings die beiden Angaben mimmizrāḥ ûmiyyām hinter Kanaanäer eingeschoben wurden, ist fraglich. Die Zusammenstellung der Feindkoalition durch Jabin von Hazor in Jos 11,1.5 scheint zudem Idiomatik aus Jos 9,1–2 (yaḥdāw lehillāḥem) und Jos 10,3.5 (wayyišlaḥ … wayyaḥanû) aufzugreifen. Es hat somit den Anschein, dass hier literarisch aufgrund der idiomatischen Wiederaufnahmen eine Klimax geschaffen werden sollte.462 Die ohnehin schon große Gefahr, die zum einen in Jos 9 und zum anderen in Jos 10 geschildert wird, soll hier offenbar gesteigert werden. In allen drei Fällen sind darüber hinaus die kanaanäischen Könige auf der Ebene des Endtextes herausgefordert, auf die Landnahme Israels und die Zerstörung Jerichos zu reagieren. Die jeweilige Antwort fällt unterschiedlich aus: List der Gibeoniter und Friedensschluss (Jos 9), Angst und Attacke (Jos 10) und schließlich erneute Allianz gegen Israel (Jos 11). Darüber hinaus sind V.4 und V.5 eine Doppelung,463 sodass man beide Verse auf unterschiedlichen literarhistorischen Ebenen verorten muss. Da nur V.5 die gleichen Lexeme wie der dtr. Redaktor, der den Text in die Landeroberungserzählung Jos 9–11 eingebaut hat, verwendet, scheint V.4 eine spätere vorangestellte Glosse zu sein. Vielleicht liegt der Grund für die Mobilmachung gegen Israel darin, dass das bäuerlich geprägte Stammessystem der Israeliten für die kanaanäischen 460
Vgl. SMEND 1912, 312. Vgl. RÖSEL 1975, 175. 462 Vgl. STONE 1991, 31f. 463 Vgl. SMEND 1912, 312. 461
3. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Beobachtungen
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Könige ein konkurrierendes soziales System war, das man bekämpfen musste. Dann wäre hier eine antimonarchische Einstellung zu vermuten.464 Denn YHWH bekämpft nicht die Urbevölkerung als solche, sondern nur die aggressive Macht der kanaanäischen Stadtkönigtümer.465 Jedenfalls wird der Begriff mælæk in Jos 11 elfmal verwendet, sodass es in erster Linie um das Schicksal der kanaanäischen Könige geht. Es verwundert ohnehin nicht, dass die königlose Stadt Gibeon vom Bann verschont werden kann.466 Nicht ohne Grund führt Josua nach V.18 Krieg mit Königen.467 Dementsprechend wird der bürgerliche Josua seinen königlichen Gegenspielern kontrastiv gegenübergestellt. Problematisch ist die fehlende Verortung des ursprünglichen Standorts von Josua in V.6. Nach Jos 10,43 kehrte Josua mit dem Heer nach Gilgal zurück. Ohne das manassitisch-efraimitische Gebirge zu erobern und auf Widerstand durch die starken kanaanäischen Städte der Jesreelebene zu stoßen,468 scheint Josua mit seinem Heer in Galiläa eingefallen zu sein. Auf diese Weise konnte er der nördlichen Feindkoalition bei den Wassern von Merom eine empfindliche Niederlage zugefügt haben. Vor diesem Hintergrund stellt sich darüber hinaus zu Recht die Frage, weshalb der König von Hazor nicht in der Jesreelebene die Schlacht gesucht hat, wo er sein Streitwagenheer effektiv hätte einsetzen können. Während in der Gottesrede V.6 YHWH die Feinde bereits als Erschlagene übergibt, verfolgen und erschlagen die Israeliten die Feinde nach V.7–8. Es hat den Anschein, dass hier göttliche und menschliche Perspektive überlappen. Das Eingreifen Gottes macht menschliche Aktionen nicht überflüssig, sondern ermuntert sogar zu eigenem Tun.469 Der göttliche Befehl zum Lähmen der Pferde und zum Verbrennen der Wagen in V.6 schließt auffällig asyndetisch an die modifizierte Übereignungsformel an und könnte aus syntaktischen und inhaltlichen Gründen ebenso wie V.9 sekundär ergänzt sein.470 Die Lähmung der Pferde und die Verbrennung der Streitwagen können zudem kaum zur eigentlichen Kriegstaktik gehört haben, da beide Dinge von den Israeliten erst nach der Schlacht bewerkstelligt werden konnten. Der Grund für die Beschädigung dieser an sich überlegenen Waffentechnik ist dann aber nicht klar. Zwischen 8a und 8b besteht darüber hinaus eine gewisse Spannung,471 da die Feinde in 8a in die Hand Israels gegeben, erschlagen, aber danach immer
464
Vgl. BRUEGGEMANN 2009, 20. Vgl. HAWK 2000, 174. 466 Vgl. HAWK 2000, 173f. 467 Vgl. HALL 2010, 190. 468 Vgl. zu diesen Problemen auch AHARONI 1957, 142; DOZEMAN 2015, 477. 469 Vgl. HALL 2010, 186. 470 Vgl. GERMANY 2017, 435. Anders hingegen LOHFINK 2004, 421, der auf die Einmaligkeit des Orakels hinweist, was gegen eine dtr. Schöpfung spreche. 471 Vgl. DE VRIES 1975, 82. 465
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noch verfolgt und über einen großen Raum zerstreut werden, während die Gegner in 8b komplett ausgelöscht werden, wobei wayyakkûm/wayyakkum bei beiden Aktionen die Vernichtung der Feinde anzeigt.472 Im ersten Fall ist mit der Zerstreuung nicht die vollständige Auslöschung im Blick. Allerdings ist bereits auf diese Weise der militärische Widerstand gebrochen. Vielleicht wurde die Verfolgung beziehungsweise Vertreibung des feindlichen Heeres mit der literarischen Technik der Wiederaufnahme von wayyakkûm eingeschoben und damit implizit auch die nicht vollständige Auslöschung des Feindes ergänzt, was wiederum den tatsächlichen Gegebenheiten entsprach. Der Sieg über die Feinde wird in V.7 und V.9 Josua und seinem Kriegsvolk zugeschrieben, während in V.8 Israel die Vernichtung des Feindes bewirkt. Insofern könnte eine ursprüngliche Tradition (V.1–5.8a.10ff) primär mit Israel verbunden sein, wobei Josua erst sekundär eingedrungen ist.473 Der Abschnitt V.10–15 beschreibt zum einen die Eroberung und Zerstörung von Hazor und zum anderen die Ausführung der Bannweihe an den Bewohnern der Städte der kanaanäischen Könige. Bei dieser Darstellung wechselt das Subjekt stets zwischen Josua und Israel, was vielleicht die Einmütigkeit des Anführers und der Israeliten demonstrieren könnte.474 Allerdings kann auf diese Weise aber auch die Verantwortlichkeit abgegeben werden. Während Josua alle Befehle des Mose treu erfüllt hat, wird dies von Israel nicht gesagt, sodass der Umstand, dass es durchaus noch uneroberte Gebiete gibt, erklärt werden könnte.475 Die Eroberung von Hazor in V.10–11 wird mit denselben Erzählelementen geschildert, die schon beim südlichen Eroberungsfeldzug verwendet wurden.476 Dementsprechend gelingt auch die Einnahme und Vernichtung Hazors mit der besonderen göttlichen Hilfe. Im Gegensatz zu den südlichen Städten wird Hazor nach der Eroberung in Brand gesteckt, was an das Schicksal von Jericho erinnert. Auf diese Weise wird die Landeroberung durch die beiden Städte Jericho und Hazor in Jos 6 und Jos 11 gerahmt, die mit Brand zerstört werden. Die parenthetische Erklärung zur Bedeutung Hazors in 10b könnte zudem eine Glosse sein. Auffälligerweise wird in V.10 ein weiteres Mal die Tötung des Königs von Hazor ergänzt, obschon nach V.8 bereits implizit alle an der in V.1 geschmiedeten Koalition beteiligten Könige von den Israeliten erschlagen wurden. Die Eroberung Hazors und die Tötung des Königs in V.10– 11 ist somit kaum mit V.1–9 vereinbar.477 Für einen späteren Zusatz könnte auch der Anschluss mit bāʿet hahîʾ in V.10 sprechen, der auch sonst sekundäres 472 GERMANY 2017, 435 weist auf die unterschiedliche Schreibweise der Verbalform (plene beziehungsweise defektiv) hin, was ebenfalls auf redaktionelle Arbeit weisen könnte. 473 Vgl. DE VRIES 1975, 83. 474 Vgl. HAWK 2000, 171. 475 Vgl. zu dieser Gegenüberstellung von Josua und Israel auch BUTLER 2014, 515. 476 Vgl. HOFFMEIER 1994, 168; YOUNGER 2008, 28. 477 Vgl. auch SCHOORS 1985, 79.
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Material kennzeichnet.478 Außerdem wird durch diesen Einschub der direkte Anschluss von kål ʿārê hammelākîm hāʾellæh aus V.12 an V.9 unterbrochen. Wenn aber V.10–11 ein später Einschub ist, dann muss auch V.13 redaktionell sein, da hier das Schicksal von Hazor vorausgesetzt wird. Die Zerstörung Hazors scheint jedenfalls ein Fremdkörper zu sein, zumal erst in V.12 von der Eroberung von den Städten der nördlichen Könige die Rede ist.479 Vielleicht wurde die Zerstörung der Stadt Hazor erst auf literarischer Ebene Josua zugeschrieben, zumal Josua bei seinem Feldzug die mächtigste Stadt erobern musste. Dies war nach der Tradition die Stadt Hazor.480 Die Verbindung der Bannweihe mit der Verbrennung der Stadt in V.11 muss zudem nicht als Doppelung gewertet werden, da die Vernichtung im Rahmen des Vollzugs des Banngebotes durch Verbrennung realisiert wurde.481 Aufgrund der betonten Hervorhebung der kanaanäischen Könige könnte V.12 als redaktionelle Zufügung bewusst klargestellt haben, dass die Auseinandersetzung nicht mit der Bevölkerung, sondern mit den feudalen Stadtkönigtümern geführt wurde. Die Bannweihe wird hier im Gegensatz zu V.11 mit Objekt verbunden, was V.12 darüber hinaus sprachlich von V.11 abhebt.482 Nach 12b und V.15.20 wird die Landeroberung von Josua als strikte Erfüllung der Weisung des Mose betrachtet.483 Hier könnte ein dtr. Nomist am Werk sein, für den der Toragehorsam entscheidend ist. Allerdings werden auch innerhalb von Jos 11 verschiedene Formen der Bannweihe vollzogen, sodass man nicht notwendigerweise davon ausgehen kann, dass alle Vorgaben des Mose von Josua beachtet wurden. Durch den Hinweis, dass Josua die göttlichen Gebote jedoch angeblich allesamt umgesetzt hat, werden die unterschiedlichen Ausführungen der Bannweihe gleichermaßen legitimiert.484 Auffälligerweise wird in Jos 11 nur in V.6 ein direkter göttlicher Befehl gegeben, während die Bannweihe über Mose vermittelt wurde.485 Mit der Bannweihe wird in Jos 11 unterschiedlich umgegangen. Zum einen wird in V.10–14 Beute erlaubt, während zum anderen nach V.16–18 die umfassende Auslöschung befohlen wird. Außerdem wird zwischen Pferden und Vieh unterschieden, da beide Tierarten verschiedene Funktionen erfüllen (kriegerisch als Unterdrückungselement und landwirtschaftlich zum Lebensunterhalt).486 Zumindest wird in den dtn Gesetzen in Dtn 7 und Dtn 20,15–18 noch 478
Vgl. GERMANY 2017, 436. Vgl. zum Problem FRITZ 1973, 129f. Dagegen aber NAʾAMAN 1994, 269, dem zufolge die Zerstörung Hazors zur ursprünglichen Erzählung gehört. 480 Vgl. NAʾAMAN 1994, 269. 481 Vgl. Dtn 7,2.5; Jos 6,21.24; 8,26.28, vgl. hierzu auch BIEBERSTEIN 1995, 289. 482 Vgl. BOLING 1982, 309. 483 Vgl. O‘BRIEN 1989, 71. Zu einem dtr. Redaktor in 12b und V.15 vgl. FRITZ 1973, 128. 484 Vgl. auch BALLHORN 2011, 234. 485 Vgl. BRUEGGEMANN 2009, 34f. 486 Vgl. BRUEGGEMANN 2009, 37f. 479
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nicht verfügt, dass Vieh und Sachgüter gebannt werden müssen. Nach Dtn 2,35 und Dtn 3,7 erstreckte sich der Bann ebenfalls nicht auf diese Dinge. Dies war schon deshalb nicht nötig, da der Bann lediglich die kultische Verführung des Volkes verhindern sollte.487 Da zudem die Konfiszierung des Viehs in LXX nicht belegt ist, könnte dies eine späte Ergänzung in V.14 sein.488 Auffälligerweise wird in V.13 zwischen dem Schicksal Hazors, das in Brand gesteckt wird, und den anderen Städten differenziert, die nicht mit Feuer zerstört werden. Hinzu kommt, dass 13a eigentlich Dtn 13,17 widerspricht, wonach die gesamte Beute einer Stadt zusammengetragen und verbrannt werden soll. Möglicherweise ist in 13a noch die ursprüngliche Tradition der Kriegsführung zu erkennen, die noch nicht der dtr. Vernichtungskonzeption folgt. Außerdem wird im Kriegsgesetz Dtn 20,16–18 nur der Bann gegenüber den Menschen befohlen, während über die Beute nichts ausgesagt wird. Dementsprechend wurde auch nicht gegen Dtn 20 verstoßen, obschon Texte wie Jos 6,18–19, Jos 7,21 sowie Dtn 13,16–17 auch die Bannung der Beute befehlen. Vielleicht versucht V.13 den Umstand zu erklären, dass es zu einer Koexistenz von Israel und kanaanäischen Städten gekommen ist.489 Dementsprechend korrigiert V.13 die Aussage von V.12, wonach alle Städte eingenommen wurden und deren Bevölkerung gebannt wurde. Hinzu kommt, dass V.13 insgesamt die Aussage von V.12 einschränkt, wo die Bannweihe von allen Städten der nördlichen Könige behauptet wird. Auf diese Weise könnte versucht werden, das noch uneroberte Land sowie das Nebeneinander von Israeliten und der ursprünglichen Bevölkerung zu erklären.490 Vor diesem Hintergrund ist V.13 vermutlich eine sekundäre Erweiterung. In V.14 ist schließlich eine Spannung bezüglich der Behandlung des Viehs festzustellen. Während das Vieh zunächst in 14a als Beute dient, soll nach 14b Nichts mit Atem übrigbleiben. Auch wenn sich die Klassifizierung der Lebewesen mit nešāmāh meist auf den Menschen beschränkt, scheint zumindest Gen 7,22 die Tiere ebenfalls zu den mit nešāmāh ausgestatteten Geschöpfen zu zählen.491 Mit V.15 ist der nördliche Feldzug auf den ersten Blick beendet. Danach folgen allgemeine Bemerkungen zur geographischen Reichweite der Landeroberung und zur Vernichtung der Könige.492 Der folgende Teil in V.16– 23 scheint ebenfalls uneinheitlich zu sein,493 da hier die unterschiedlichsten Themen eingetragen wurden, die ursprünglich nicht notwendigerweise miteinander verbunden waren. Letztendlich ist V.16–23 die Zusammenfassung vom 487
Vgl. SCHMITT 1970, 144. Vgl. GERMANY 2017, 436. 489 Vgl. SCHOORS 1985, 79. 490 Vgl. FRITZ 1973, 128. 491 Vgl. zum Problem 0KNAUF 2008, 115. 492 Vgl. AULD 1984, 78. 493 Vgl. auch MÖHLENBRINK 1938, 266. 488
3. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Beobachtungen
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südlichen und nördlichen Feldzug, zumal V.12–15 bereits – analog zu Jos 10,40–43 – den nördlichen Feldzug abgeschlossen hat.494 Dieser Abschnitt wird darüber hinaus durch die Formel wayyiqqaḥ Yehôšûaʿ ʾæt kål hāʾāræṣ in V.16 und V.23 zusammengehalten.495 Möglicherweise handelt es sich hier um eine Art Wiederaufnahme, die den Einschub V.16aβ–22 ermöglicht.496 Vielleicht ist somit nur in V.23 der Abschluss der Eroberungserzählungen zu suchen. Mitunter ist der Verweis auf das Bergland von Israel und dessen Schefela in V.16 ein Zusatz eines Redaktors,497 der dafür Lexeme aus dem vorausgehenden Satz verwendet und auf Israel bezogen hat. Vor diesem Hintergrund ist es unwahrscheinlich, dass es eine israelitische Schefela jemals gab. Vielleicht ist V.16 ein von V.2 inspirierter Zusatz,498 da hier ebenfalls die Begriffe Gebirge, Araba, Negev und Schefela aus V.2 verwendet werden, wenn auch in einer anderen Abfolge (Gebirge, Negev, Schefela, Araba). Das Land Goschen könnte aufgrund von Jos 10,41 ebenfalls redaktionell eingedrungen sein. Vermutlich hat hier ein judäischer Redaktor ohne eigene Kenntnis des Nordreichs die Gebietsbeschreibung in Jos 11 unter Verwendung von vorliegenden Texten verfasst.499 Das eroberte Gebiet wird in 17a zusätzlich mit Grenzpunkten näher beschrieben, sodass hier eigentlich eine Doppelung zu V.16 vorliegt. Dementsprechend könnte 17a ein erklärender Zusatz sein, der zudem auf einer literarhistorischen Ebene mit Jos 12,7 liegen könnte. Möglicherweise wird mit 17a auch das Ostjordanland in den Blick genommen, sodass dies eine sekundäre Ausweitung sein könnte.500 Dann wäre 17b die Fortsetzung von V.16, sodass neben der Einnahme des Landes auch die Erschlagung beziehungsweise Tötung der dazugehörigen Könige erzählt wird. V.18 weist darauf hin, dass der Feldzug Josuas gegen die Könige Kanaans offenbar längere Zeit gedauert hat (yāmîm rabbîm), was nach der Schilderung der erfolgreichen Schlachten zumindest verwundert501 und auch in Widerspruch zu Jos 10,42 steht, wonach die Eroberung mit einem Schlag erfolgreich war. Allerdings ist in Jos 10,42 nur die Eroberung des Südens im Blick,502 während in V.18 die gesamte Landnahme als langfristiger Prozess skizziert wird.503 494 Vgl. HOWARD 1998, 262; VAN BEKKUM 2011, 188. Anders BUTLER 2014, 501, dem zufolge V.16–20 eine Zusammenfassung wie Jos 10,40–43 darstellt. 495 Vgl. YOUNGER 2008, 29. 496 Vgl. KRATZ 2000, 199. 497 Vgl. BOLING 1982, 314; FRITZ 1994, 124. 498 Vgl. FRITZ 1994, 124. 499 Vgl. GERMANY 2019b, 322. 500 Vgl. GERMANY 2017, 436. 501 Vgl. zum Problem AULD 1984, 78f.; VAN BEKKUM 2011, 190; LAUGHLIN 2015, 151. 502 Vgl. RUDOLPH 1938, 210. 503 Vgl. EDERER 2017, 185.
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Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
Insofern muss kein Widerspruch zu Jos 10,42 konstruiert sein. Hinzu kommt, dass die ansonsten übertreibende Darstellung durch solche Eintragungen glaubwürdiger erscheint. Hiermit werden die tatsächlichen Ereignisse besser dargestellt.504 Außerdem wird auf diese Weise auch Dtn 7,22 eingelöst, wonach die Landeroberung nicht schnell erfolgen konnte. Vor diesem Hintergrund sind die Schlacht an den Wassern von Merom und die Eroberung Hazors nur zwei herausragende Ereignisse im Rahmen des lang andauernden Eroberungskrieges. Die lange Dauer der Eroberung wird zudem auf zwei Ursachen zurückgeführt. Zum einen haben die einzelnen Städte keinen Frieden mit Israel geschlossen (V.19). Gemäß V.19 wird der Bundesschluss zwischen Gibeon und Israel durchaus positiv gesehen, während dieser in Jos 9 immer wieder problematisiert wurde.505 Zum anderen hat YHWH selbst die Herzen der Feinde verhärtet (V.20), damit diese umso entschlossener Widerstand leisteten, was zwangsläufig zur angezielten gnadenlosen totalen Vernichtung führte.506 Aufgrund der Hartnäckigkeit der Feinde konnten diese somit nicht schnell beseitigt werden. Da das Herz der Feinde zum Widerstand gegen Israel von YHWH selbst gestärkt wurde, konnte der Befehl YHWHs effektiv umgesetzt werden. In V.20 wird zudem die Möglichkeit erwogen, dass man die Vorbevölkerung auch hätte verschonen können, was aber gegen den ausdrücklichen Befehl zur Vernichtung spricht.507 Vielleicht wird hier auch ein moralisches Bewusstsein eingetragen. Vor dem Hintergrund des Banngesetzes hatten die Kanaanäer ohnehin nicht die Möglichkeit der freiwilligen Unterwerfung. Da zudem die Ausrottung der Vorbevölkerung ohne deren Verschuldung moralisch fragwürdig ist, mussten sie aufgrund der Verhärtung der Herzen auch schuldig werden.508 Die Verhärtung der Herzen ist zudem keine direkte Manipulation durch YHWH, sodass die kanaanäischen Könige aufgrund dieses Eingriffs Gottes gegen ihren eigenen Willen gehandelt hätten. Vielmehr wird auf diese Weise die bereits angelegte törichte Verhaltensweise von Gott verstärkt.509 Insofern sind die kanaanäischen Könige für ihr Verhalten vollumfänglich verantwortlich.510 Die Vernichtung der Anakiter gemäß V.21–22 steht in gewisser Spannung zum Vorausgehenden und zum Nachfolgenden: 1)
Zum einen wurden die Städte Hebron und Debir bereits in Jos 10,36–39 erobert. Offenbar war dem Erzähler von Jos 10 eine Tradition von Anakitern, die in Hebron, Debir und Anab siedelten, entweder nicht bekannt, 504
Vgl. PITKÄNEN 2010, 235. Vgl. AULD 1984, 82. 506 Vgl. auch MILLER/TUCKER 1974, 97. 507 Vgl. EHRLICH 1910, 40. 508 Vgl. zum logischen Problem KNAUF 2008, 118. 509 Vgl. hierzu auch HUBBARD 2009, 336–339. 510 Vgl. RÖSEL 2011, 190. 505
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2)
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oder dieses Element wurde bewusst unterdrückt.511 Weshalb die Eroberung der beiden Städte Hebron und Debir hier noch einmal betont werden muss, ist nicht ersichtlich. Vielleicht sollte hier ergänzt werden, dass die dortigen Anakiter ebenfalls schon von Josua beseitigt wurden. Zum anderen werden die Anakiter erst in Jos 14,12–15 und Jos 15,13–14 endgültig besiegt, sodass V.21–22 kaum zu einem sehr späten Zeitpunkt ergänzt werden konnte.512 Vielleicht sollte bereits in Jos 11 die Erfüllung der Vernichtung der Anakiter berichtet werden, die in Dtn 9,1–3 befohlen wurde,513 zumal alle Weisungen des Mose unbedingt ausgeführt werden mussten. In Jos 14 und Jos 15 wären dann die Anakiter noch einmal ausführlich behandelt worden. Außerdem betonen V.21–22, dass es nicht zu einer vollständigen Eroberung des Verheißungslandes gekommen ist. Vielmehr ist noch ein Teil der Vorbevölkerung im Land verblieben.514
Gelegentlich wird vorgeschlagen, dass die Kalebtradition in Jos 14,6–15 auf die Anakitertradition in V.21–23a gefolgt wäre.515 Erst in einem zweiten Schritt wäre die Landverteilung an Kaleb nach hinten gewandert. Für diese These könnte der gleichlautende Abschluss in 23b und Jos 14,15b sprechen. Allerdings ist für die Vernichtung der Anakiter nach Jos 11 Josua und nicht Kaleb verantwortlich,516 was beide Traditionen merklich unterscheidet. Die Ruheformel in Jos 14,15b kann darüber hinaus auch den Abschluss der Landeroberung andeuten. Auf dieses Abschlusssignal konnte schließlich die Landverteilung ab Jos 15 folgen. Es hat zudem den Anschein, dass V.23 ein ursprünglicher Abschluss des Josuabuches war,517 an das sich dann Ri 2,8 anschloss. Allerdings ist fraglich, ob noch ein Überleitungsvers wie Jos 24,28 eingetragen wurde, damit die Volksgeschichte mit der Königsgeschichte verbunden werden konnte.518 511 Nach DILLMANN 1886, 500 sollte in Jos 11 noch eine weitere Tradition von den Städten Hebron und Debir ergänzt werden. Die hier verwendete Schreibweise für Anakiter ist nach SMEND 1912, 328 typisch dtn, vgl. Dtn 1,27; 2,10.11.21; 9,2. Zur Spannung zwischen V.21 und Jos 10,36–39 vgl. auch EDERER 2017, 188. 512 Nach HOLLENBERG 1874, 499 gehen V.21–22 auf die ursprüngliche Quelle zurück, da erst ein späterer Redaktor Josua den Sieg über die Anakiter abgesprochen habe. Nach HARSTAD 2004, 470 seien die Anakiter später wieder aus den Philisterstädten zurückgekehrt, sodass sie ein zweites Mal besiegt werden konnten. Ob eine solche Harmonisierung zulässig ist, ist jedoch fraglich. 513 Vgl. SPRONK 1994, 96. 514 BOLING 1982, 316f. weist diese Verse einem späteren Dtr2 zu, der betonen möchte, dass die effektive Ausschaltung der Anakiter ein längerfristiger Prozess gewesen sei. Nach WAZANA 2014, 30 Anm.11 sind die V.21–22 ein sekundärer Einschub. 515 Vgl. NOTH 1971a, 71. 516 Vgl. hierzu RÖSEL 2011, 192. 517 Zu Jos 11,23 als Abschluss einer DtrL vgl. DE VOS 2003, 303. 518 Vgl. hierzu BECKER 2006, 151f.
340
Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
Schließlich scheint auch V.23 eine gewachsene Größe zu sein. Denn der Ausdruck kemaḥleqotām lešibṭêhæm in V.23 ist für dtr. Texte untypisch und könnte eine spätere Interpolation sein, die auf die Landverteilung in Jos 13–19 vorverweist.519 Hinzu kommt, dass der Abschluss in V.23 keinen gesonderten Bericht von der Landverteilung benötigt, da in V.23 mit dem Hinweis auf die Ruhe die Landverteilung bereits abgeschlossen ist.520 Dementsprechend könnte diese Glosse erst dann eingefügt worden sein, als man die priesterlich geprägte Landverteilung in Jos 13–21 eingeschoben hat. Möglicherweise ist diese priesterliche Glosse in V.23 ein Kompromiss, der bereits den Einschub von Jos 13–21 voraussetzt, zumal die Vorstellung einer Gliederung nach Stämmen und Abteilungen gleichermaßen erst im zweiten Teil des Josuabuches zu finden ist.
4. Literarkritische Vorschläge Im Folgenden sollen literarkritische und redaktionsgeschichtliche Hypothesen, die die bisherigen Beobachtungen mehr oder minder konsequent auswerten, vorgestellt werden, bevor ein eigener Entwurf angeschlossen werden kann: Rudolph (1938):521 Die ursprüngliche Tradition hinter V.1–9 geht von einer profanen Schlacht aus, die sekundär dtr. bearbeitet wurde, wobei das Eingreifen Gottes betont werden sollte. Zu diesem Schlachtenbericht gehören V.1.4–5.7–8a.9b* sowie auch die Eroberung von Hazor in V.10.11b. Auf einen dtr. Redaktor geht darüber hinaus der Rest von V.10–20 zurück. Noch später seien V.21–22 hinzugekommen, während V.23 eine redaktionelle Überleitung zu Jos 13 darstellt, zumal Jos 12 im entstehenden Josuabuch noch gefehlt habe. Allerdings ist fraglich, weshalb die Gottesrede in V.6 im ursprünglichen Text fehlt, während die Lähmung der Pferde und die Verbrennung der Wagen in 9b* berichtet wird. Die schwierige Entstehungsgeschichte der V.10–20 wird zudem nicht weiter problematisiert. Da in Jos 10–11 zudem auf Aussagen aus Jos 12 zurückgegriffen wird, wird vermutlich eine Vorform von Jos 12 bereits vorhanden gewesen sein. Wellhausen (1963):522 Vielleicht ist die ursprüngliche Erzählung in V.1–9 zu suchen, wonach Josua einem Angriff von vier Königen zuvorgekommen ist, die Streitwagenflotte nach erfolgreicher Schlacht unbrauchbar gemacht hat und ins Lager zurückgekehrt ist (V.10*). Dann wäre die Erweiterung durch den nördlichen Feldzug in V.10–20 redaktionell, wobei der Schluss mit der Anakitertradition in V.21–23 noch später angefügt wurde.
1)
2)
519
Vgl. DE VOS 2003, 289 Anm.267. Vgl. DILLMANN 1886, 501. 521 Vgl. RUDOLPH 1938, 209–211. 522 Vgl. WELLHAUSEN 1963, 127.
520
4. Literarkritische Vorschläge
341
Diese Lösung bleibt aber nur an der Oberfläche. Die redaktionelle Verortung der einzelnen Textteile wird nicht genau abgegrenzt, sodass dieser Entwurf nicht nachvollzogen werden kann. Noth (1971):523 Zum ursprünglichen Text, den ein Sammler zusammengestellt habe, gehören nicht die beiden Könige von Schimron und Achschaf in V.1, da hier die Namen fehlen, was auf eine sekundäre Auffüllung hinweise. Ebenso sei die Aufzählung der Ethnonyme in V.3, die in anderer Reihenfolge schon in Jos 9,1 verwendet und hier im galiläischen Bereich verteilt werden, redaktionell ergänzt worden. Da in 11a ein pluralisches Subjekt begegnet, werde dieser Versteil ebenfalls redaktionell sein. Aufgrund der dtr. Prägung seien 12aβb wie auch V.15 dtr. Nachträge. Auf den Sammler gehen mit Ausnahme der dtr. Ergänzung in 20bβ auch V.16–20 zurück. Lose angefügt sei noch der dtr. Schluss in V.21–23, der über die Vertreibung der Anakiter informiert, wobei ursprünglich die Kalebtradition in Jos 14,6aβ–15a auf 23a folgte. Hierbei wäre altes Überlieferungsgut übernommen worden. Diesem Entwurf ist aber entgegenzuhalten, dass die Namen in V.1 entweder entfallen sind oder in der verwendeten Tradition gefehlt haben, sodass diese Beobachtung nicht aussagekräftig ist. Fraglich ist auch, weshalb 12aα ausgeschieden wird, da es sich nicht um eine Dublette zu 12aβ handelt. Otto (1975):524 Auf eine ursprüngliche, nicht-dtr. Quelle gehen V.1–2.4–9 sowie V.10.11b.12aα.13–14.16–19 zurück. Wie die Darstellung in Jos 10 verbinde diese Erzählung einen Kriegsbericht mit dem Schicksal besiegter Städte. Außerdem seien 11a, 12aβb sowie V.15 dtr. Nachträge. Die V.21–23 seien ebenfalls dtr. geprägt und dienen der Einleitung von Jos 14, während V.20 priesterlicher Herkunft sei, um die Autorität Josuas an Mose zurückzubinden. Fraglich ist jedoch, weshalb V.2 zur nicht-dtr. Quelle gehört haben soll. Auch die Spannung bezüglich des Banngutes in V.13–14 wird nicht gesehen. Zwar wird in V.20 die priesterliche Konzeption der Herzensverhärtung eingeführt, aber Bannweihe und Gesetzesobservanz sind eigentlich dtr. Themen. Soggin (1982):525 Die Erzählung von der Schlacht bei den Wassern von Merom mag auf eine ursprüngliche Tradition zurückgehen. Auf redaktionelle Erweiterung gehen die Verbindung mit Israel (V.8 und V.13–14), die Eintragung von Josua (V.6.10.12.15) sowie die Erzählmotive des Heiligen Krieges (V.6.10.12.15) zurück, ohne dass diese Elemente in diesem Entwurf klar abgegrenzt werden. Wenn man allerdings sowohl Israel wie Josua aus der Eroberungserzählung eliminiert, dann fehlt der Gegner des kanaanäischen Heeres.
3)
4)
5)
523
Vgl. NOTH 1971a, 67–71. Vgl. OTTO 1975, 93f. 525 Vgl. SOGGIN 1982, 134–136. 524
342
Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
Gray (1986):526 Die vor-dtr. Tradition in V.1–17 gehe auf Überlieferungen des Stammes Naftali zurück, in dessen Siedlungsgebiet die Schlacht an den Wassern von Merom spielt. Sie handle von Auseinandersetzungen eines lokalen nicht namentlich bekannten Kriegshelden aus Naftali. Erst in der vor-dtr. Tradition wurden Josua und Israel in diese Erzählung eingetragen und in V.18 noch eine Interpretation angeschlossen. Auf eine dtr. Fortschreibung gehen zum einen V.12 und 15, die das Banngebot und den Befehl YHWHs betonen, sowie zum anderen V.19–20 zurück, die auf das uneroberte Land und die Verhärtung des Herzens der Feinde verweisen. Schließlich seien V.21–23 ebenfalls dtr. Zusätze, wobei V.21–22a ein früher Nachtrag zur vor-dtr. Erzählung sei, was ausweislich der Differenzierung zwischen dem Bergland Israel und Juda naheliegend sei. Der Rest stamme erst vom dtr. Historiker. Offenbar soll mit diesem Entwurf möglichst viel von der Erzählung auf mündliche und vor-dtr. Traditionen verlegt werden, da auf diese Weise dann auch historische Schlussfolgerungen möglich sind. Außerdem bleiben viele Probleme außer Betracht. Wie nämlich die geographischen Zusammenfassungen in V.16–17 zu deuten sind, bleibt unklar. Kang (1989):527 Der Grundbestand von Jos 11 gehe bereits auf einen vordtr. Sammler zurück, der die Eroberung des Südens und Nordens erzählt habe. Ein dtr. Redaktor habe schließlich in V.3 die Urbevölkerung Kanaans ergänzt, zumal die Jebusiter hier keine Rolle spielen. Außerdem wurde die Erzählung in V.8.13–14 auf ganz Israel erweitert, Josua in V.6.10.12.15 als Protagonist eingetragen und das Thema des Heiligen Krieges in V.6–9 bis ins Extreme gesteigert. Bei diesem Entwurf wird jedoch die Doppelung zwischen V.4 und V.5 nicht gesehen. Auch die geographische Ausweitung in V.2 wird nicht berücksichtigt. Inwieweit die Eroberung von Hazor bereits in der vor-dtr. Sammlung stand, kann ohnehin nicht mehr entschieden werden. Görg (1991): Jos 11 gehe auf einen vor-dtr. Bestand zurück, der literarisch und formal mit der vor-dtr. Grunderzählung in Jos 10 zusammenhänge. Auf dtr. Redaktionsarbeit seien hingegen V.3.11–12 zurückzuführen, wobei der Vollzug der Bannweihe in V.11–12 vielleicht später eingetragen wurde als V.3. Die Näherbestimmung der Beute in V.14 könnte zudem ein nach-dtr. Zusatz sein. Dtr. Redaktoren seien schließlich für V.15–23 verantwortlich, auch wenn die einzelnen dtr. Phasen kaum noch auseinandergehalten werden können. Lediglich V.21–22 seien eine spät-dtr. Nachtragsarbeit. Bei diesem Entwurf werden allerdings die Spannungen und Doppelungen innerhalb von V.1–15 (V.2–3, V.4–5 und V.6.9) kaum angemessen eingeordnet.
6)
7)
8)
526 527
Vgl. GRAY 1986, 112–118. Vgl. KANG 1989, 161.
4. Literarkritische Vorschläge
343
Fritz (1994):528 Die Feindkoalition werde in V.2 sekundär durch geographische Angaben und in V.3 durch Völker verstärkt, sodass es sich bei V.2–3 vermutlich um redaktionelle Nachträge handele. Außerdem sei die in V.13 erwähnte Ausnahme schon ausweislich der Partikel raq ein Nachtrag. Aufgrund der stereotypen Gestaltung in Anlehnung an Jos 10,1–39 scheint Jos 11,1–15 eine literarische dtr. Fiktion ohne historischen Wert zu sein. Auf einen dtr. Redaktor gehe schließlich aufgrund des Sprachgebrauchs, der Geographie und der Betonung der Bannweihe die Zusammenfassung der Eroberung des Landes in V.16–20 zurück.529 Hier werde die Ausdehnung des Landes wie auch die Dauer der Eroberung in den Blick genommen. Die Anakitertradition in V.21–22 sei ebenfalls ein Nachtrag, da diese zur Kalebtradition gehört und hier sekundär mit Josua verbunden wird, wodurch die Vorgaben in Dtn 1 aufgegriffen werden. Fraglich ist jedoch bei diesem Entwurf, wie V.23, der mit der Übernahme des Landes und seiner Übergabe an Israel bereits auf die Landverteilung in Jos 13–21 vorausweisen könnte, literarhistorisch einzuordnen ist. Außerdem werden die Spannungen zwischen V.4–5 und V.6.9 nicht ausgewertet. 10) Nelson (1997):530 Eine Grundform von Jos 11 gehe auf eine vor-dtr. literarische Sammlung zurück, die in V.3.8–9.11–12.14–15.23 dtr. ergänzt worden sei. Vielleicht liegt der Überlieferungskern in der Schlacht bei den Wassern von Merom und bei der Verbindung des Herrschers Jabin mit Hazor. Da dieser Entwurf die einzelnen literarkritischen Ebenen nicht näher diskutiert, kann die jeweilige Entscheidung nur schwer nachvollzogen werden. Fraglich ist zudem, weshalb der an sich unnötige V.2 offenbar noch zur vor-dtr. Tradition gehört. Auch werden die oben beobachteten Spannungen in der vor-dtr. Sammlung nicht berücksichtigt. 11) Briend (2000):531 Die Erzählung von der Schlacht an den Wassern von Merom gehe auf einen vorexilischen Text zurück – abgesehen von den beiden Königen von Schimron und Achschaf in V.1, die aus Jos 12,20 redaktionell entlehnt wurden, sowie der geographischen Ausweitung in V.2, V.3, 8b. Zur vorexilischen Erzählung gehöre auch der Grundbestand der Eroberung von Hazor, der sich auf V.10–11 ohne die redaktionelle Erweiterung in 10aβ und 11a beschränkt und noch nicht am Schicksal des Königs von Hazor interessiert ist. Außerdem seien V.16–17 ohne die geographische Ausweitung in V.16 ab hāhār dem vorexilischen Text zuzurechnen. Allerdings wird die Spannung in V.8 durch die Ausscheidung von 8b nicht gelöst, da sich Erschlagung und Flucht in 8a logisch ausschließen. 9)
528
Vgl. FRITZ 1994, 119.124.126. Ähnlich auch VAN DER MEER 2004, 152, der V.16–20 einem DtrH zuweist. 530 Vgl. NELSON 1997, 151. 531 Vgl. BRIEND 2000, 377.385f. 529
344
Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
Fraglich ist zudem, weshalb die Tötung des Königs von Hazor nach 10aβ redaktionell sein soll, zumal dies schon zuvor ausgesagt wurde und daher kein Grund besteht, dies hier nachzutragen. 12) Campbell (2000):532 Die Grunderzählung lasse sich zunächst in V.1–8a. 16–19.23 finden. Diese Erzählung sei an eine ursprüngliche Landeroberungserzählung angeschlossen worden, um das Bild der Landeroberung zu vervollständigen. Von einem dtr. Redaktor stamme 23aβ, während die vollständige Vernichtung der Feinde und die Eroberung der Städte in 8b– 15 sowie die Anakitertradition in V.21–22 auf eine weitere redaktionelle Erweiterung zurückgehen, was die im Josuabuch seltene Zeitangabe bāʿet hahîʾ in V.10.21 und die Lexematik des Banns ebenfalls andeutet. Auch V.20 ist aufgrund der Herzensverhärtung und der Lexik ein später Zusatz. Allerdings werden bei diesem Entwurf die Spannungen innerhalb der Grunderzählung in V.1–8a und in der Erweiterung 17a nicht gesehen. Fraglich ist zudem, ob 8b–15 aufgrund des Subjektwechsels oder auch des wiederholten Hinweises auf die Bannweihe einheitlich sein kann. 13) Kratz (2000):533 Zur dtr. Grundschicht gehöre nur 11aα.23b. Mit diesen Sätzen werde die Einnahme des ganzen Landes beendet und die Fortsetzung im Richterbuch ermöglicht. Durch Wiederaufnahme von 16aα in 23aα konnte von einer zweiten dtr. Redaktion der Abschnitt 16aβ–22 eingeschoben werden, wobei hier auch noch die Landverteilung ergänzt wurde. Der Ausdruck „nach ihren Abteilungen, den Stämmen“ ist hingegen eine sekundäre Glosse. Bei diesem Entwurf stellt sich jedoch die Frage, auf welcher literarhistorischen Ebene V.1–10 und 11aβ–15 liegen. Ob dies einheitliche Ergänzungen sind, ist zudem nicht gesichert, da sich in diesen Versen auch Spannungen und Doppelungen nachweisen lassen. 14) Rösel (2011):534 Auch wenn Jos 11 durch und durch dtr. geprägt ist, scheint es mindestens zwei redaktionelle Stufen zu geben. Dementsprechend sei V.10–15 ein dtr. Zusatz zum Bericht von der Auseinandersetzung an den Wassern von Merom in V.1–9. Außerdem bilden V.16–21535 vermutlich eine Zusammenfassung, die dem Abschluss von Jos 10,40–43 entspricht. Während V.16.17b–19 zum ursprünglichen Text gehöre, seien 17a und V.20 dtr. Ergänzungen. Allerdings werden bei diesem Entwurf viele der oben beobachteten Spannungen und Doppelungen nicht berücksichtigt. Fraglich ist auch, ob V.20 aufgrund seiner Sprache ein dtr. Zusatz sein kann.
532
Vgl. CAMPBELL 2000, 83–86. Vgl. KRATZ 2000, 199f. 534 Vgl. RÖSEL 2011, 182.188f. 535 RÖSEL 2011, 182 gibt jedoch den Abschnitt V.19–21 an, was sich aber nicht mit seiner weiteren Argumentation verbinden lässt. 533
4. Literarkritische Vorschläge
345
15) Blum (2012):536 Dem dtr. Redaktor lag bereits eine durchgehende literarische Josuaüberlieferung vor, die in Jos 11,23 ihr Ende fand. Durch den dtr. Redaktor wurde vor allem das Banngebot und dessen Begründung eingetragen. Die dtr. Zusätze lassen sich aber auch durch den literarischen Anschluss als Nachträge abheben. Insgesamt seien 12(ab hæḥærîm).15. 20b.23a* dtr. Ergänzungen. Ob allerdings die derart rekonstruierte Erzählung ohne diese dtr. Zusätze schon ausweislich der oben beobachteten Spannungen einheitlich sein kann, sei dahingestellt. Inwieweit die Anakitertradition in V.21–22 zur vor-dtr. Sammlung gehört haben kann, ist ebenfalls nicht sicher. Es könnte sich gleichfalls um eine zunächst eigenständige Tradition handeln, die hier eingetragen wurde. 16) Germany (2017):537 Die ursprüngliche Erzählung sei in V.1–2.4–6a.7–8. 12.14–16.18.19* zu finden, wobei die LXX-Lesart von V.19 ursprünglich sei. Diese Erzählung setze eine Form von Jos 10 bereits voraus und sei dtr. geprägt. Die Hewitertradition scheint in dieser Erzählung somit noch nicht berücksichtigt zu sein. Vermutlich habe MT in V.19 einen sekundären Ausgleich mit Jos 9–10 geschaffen, während LXX lediglich am Geschick des nördlichen Verheißungslandes interessiert gewesen sei und daher die Ausnahme Gibeon nicht thematisieren musste. In weiteren redaktionellen Schritten, die als dtr., priesterlich oder nachpriesterlich bestimmt werden können, wurden die Ethnonyme in V.3, der Befehl zur Zerstörung des Kriegsgeräts in 6b.9, die Zerstörung von Hazor in V.10–11.13, die Ausweitung auf das Ostjordanland in V.17, die Verhärtung der Herzen in V.20 sowie die Anakitertradition in V.21–22 ergänzt. Außerdem sei V.23 eine Wiederaufnahme von V.16, mit der die Anakitertradition aufgenommen werden konnte. Allerdings ist fraglich, weshalb V.2 zur ursprünglichen Tradition gehört haben soll und die Doppelung zwischen V.4 und V.5 nicht literarkritisch behoben wird. Weshalb zudem die Hazortradition ausgeschieden wird, ist ebenfalls fraglich, zumal es bereits in der hier rekonstruierten ursprünglichen Tradition um Jabin von Hazor geht. Bei den bisherigen literarkritischen Entwürfen scheint meist das Ziel der Überlegungen zu sein, möglichst viel historische Informationen aus diesem kurzen Text herauszuziehen. Ob dies allerdings möglich ist, bleibt zu prüfen.
536
Vgl. BLUM 2012, 154f. Vgl. GERMANY 2017, 435–441. Nach GERMANY 2019b, 321 Anm.35 besteht der Grundtext aus V.1–2.4–6a.7–8.12.14–16.18.19*. 537
346
Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
5. Eigener Entwurf Der eigene literarkritische und redaktionsgeschichtliche Entwurf geht von folgenden Beobachtungen aus, die konsequent herangezogen werden sollen: 1)
2)
3)
4)
5)
Schon zu Beginn von Jos 11 wird mit wayehî kišmoaʿ ein Erzählanfang gewählt, der Parallelen zu den vorausgegangenen Kapiteln hat und daher auf ein eigenes redaktionelles Stratum hinweist. Hinzu kommt, dass in V.1 mit Jabin von Hazor ähnlich wie schon in Jos 10 ein Hauptprotagonist aus dem Richterbuch verwendet wird. Da hier ein Lokalpotentat aus Hazor eingetragen wird, scheint der Ort Hazor bereits vorgegeben zu sein. In diesem Fall wurde in der ursprünglichen Tradition mitunter auch die Eroberung von Hazor bereits erwähnt. Daraus folgt dann aber auch, dass die Schlacht an den Wassern von Merom und die Eroberung von Hazor spätestens von der eröffnenden Redaktion zusammengedacht wurden. In Jos 11 wird immer wieder der Erzählfaden des Buches Dtn aufgegriffen.538 Außerdem wird dtr. Sprache verwendet. All dies weist darauf hin, dass ein Großteil von Jos 11 kaum auf ursprünglicher vor-dtr. Tradition beruhen kann.539 Vielmehr will eine dtr. Redaktion besonders unterstreichen, dass die Vorgaben des Dtn auch bei der Landeroberung im Norden eingehalten wurden. Die dtr. imprägnierten Textteile scheinen nicht einheitlich zu sein, was verschiedene Doppelungen wie in V.2 und 3 oder V.16 und 17, aber auch Widersprüche wie in V.8 (Erschlagung vs. Verfolgung der Feinde) nahelegen. Bisweilen wurden Aussagen wie in V.11 und V.13 („Gesamtheit an Atem“) noch zusätzlich verschärft und auf diese Weise auf alle Lebewesen ausgeweitet. Die Doppelung in V.4 und V.5 kann eigentlich nur so erklärt werden, dass V.4 in einem zweiten Schritt vorangestellt wurde. Denn das Ausziehen des Heeres vor dem Zusammenrotten der Könige scheint unverständlich zu sein. Außerdem ist es naheliegend, dass der Ort des feindlichen Lagers in der ursprünglichen Tradition ebenfalls erwähnt wurde. Dementsprechend wird V.5 kaum eine sekundäre Ergänzung sein. Durch den Zusatz in V.4 wird zudem der missverständliche V.5 näher erklärt. Es waren somit nicht nur die Könige, die sich versammelt haben (V.5), sondern Könige und ihre Heeresabteilungen. Wie schon in Jos 9–10 wechselt auch in Jos 11 immer wieder das Subjekt, das die Landeroberung und die Bannweihe vollzieht, zum einen vom Singular in den Plural, zum anderen von Josua zu Israel oder den Söhnen Israel. Diese Uneinheitlichkeit wurde von den alten Versionen bisweilen
538 V.3 → Dtn 7,1; V.4 → Dtn 20,1; V.6 → Dtn 17,16; V.11 → Dtn 20,16; V.13 → Dtn 6,10f.; V.14 → Dtn 2,24f.; V.17 → Dtn 7,24; V.21f. → Dtn 9,1–3; V.23 → Dtn 29,7. 539 Vgl. auch HAMIEL 2009, 218.
5. Eigener Entwurf
6)
347
verbessert, bisweilen aber auch verschlechtert. Ein Subjektwechsel konnte zudem bereits in Jos 10 beobachtet werden. Dort war aber eine literarkritische Lösung dieser Schwierigkeit ausgeschlossen, zumal weder die altgriechische noch die masoretische Texttradition eine diachron nachvollziehbare Aufteilung ermöglicht. Ganz anders sieht es in Jos 11 aus. Zumindest der masoretische Text lässt eine vernünftige Abgrenzung zu. Somit scheint der Subjektwechsel in Jos 11 in der Tat ein Indiz dafür zu sein, dass hier verschiedene Hände am Werk waren. Eine erste Redaktion hat vermutlich einheitlich Josua verwendet, während eine zweite Redaktion in den Plural gewechselt ist. Wie in Jos 9–10 gibt es offenbar auch in Jos 11 eine zweite Redaktion, die die benê Yiśrāʾel „Söhne Israel“ eingetragen hat. Selten sind priesterliche Lexeme ergänzt worden, die zum einen eine göttliche Perspektive (Herzensverhärtung in V.20) oder zum anderen eine lexematische Verbindung zur Landverteilung in V.23 eingetragen haben.
Ausweislich dieser Beobachtungen kann die literarhistorische Entstehung von Jos 11 bestens nachvollzogen werden. Folgende Entwicklungsstufen sind demnach beim nördlichen Eroberungsfeldzug in Jos 11 auszumachen: 1)
2)
Ursprüngliche Tradition (V.5.7.8aα*.10a.11b.12a*): Dem dtr. Redaktor, der für den Erzählzusammenhang in Jos 9–11 verantwortlich war, lag zum einen eine Tradition von der Schlacht bei den Wassern von Merom gegen eine Gesamtheit von Königen vor, die weder näher bestimmt sind, noch mit dem Demonstrativpronomen hāʾellæh auf die zuvor genannten Könige bezogen wurden (5.7.8aα*), und zum anderen die Eroberung und Brandschatzung von Hazor (10a.11b). In beiden Fällen agiert Josua, der freilich nach V.7 auch vom Kriegsvolk unterstützt wird. Ob diese Josuatraditionen schon miteinander verbunden waren, ist fraglich. Eine frühe Zusammenstellung könnte aber durch den Anschluss wayyāšåb in 10a angedeutet sein. Die ursprüngliche Tradition endet schließlich mit der Einnahme der Städte der feindlichen Könige in 12a*. Auf das Alter dieser Tradition weist die Beobachtung hin, dass noch keine dtr. oder priesterlichen Anklänge zu finden sind. Außerdem ist diese Tradition ausschließlich profan orientiert. Dtr. Redaktion (V.1–2.4.6.8aα*.8bβ–9.12–13.15–16.17b–18.20*.23*): Eine dtr. Redaktion gestaltete mit den verwendeten ursprünglich profanen Kriegserzählungen eine YHWH-Kriegserzählung, indem zum einen das göttliche Wirken besonders betont und zum anderen die Position Josuas weiterhin herausgearbeitet wird. Diese dtr. Redaktion gestaltete vermutlich den Erzählzusammenhang Jos 9–11, der ausgehend von der gibeonitischen Betrugsgeschichte einen südlichen und einen nördlichen Feldzug skizzierte. Zunächst wurde in V.1–2 unter Verwendung von vorliegendem Material die Feindkonstellation beschrieben. Der aus dem Richterbuch
348
3)
Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
entlehnte König Jabin von Hazor wird hier als Hauptprotagonist eingeführt, der ein Bündnis von Königen aus bestimmten Städten (V.1) und bestimmten Regionen (V.2) erfolgreich (V.4) angezielt hat. Da das Gottesorakel in V.6 die Lähmung der Pferde und die Zerstörung der Streitwagen befiehlt, konnte die große Anzahl der Feinde noch zusätzlich durch den Hinweis auf Pferde und Wagen in V.4 herausgestellt werden. Außerdem wurde in V.5 das Demonstrativpronomen hāʾellæh ergänzt, sodass nun die „Gesamtheit der Könige“ zu „Gesamtheit dieser Könige“ verändert wurde. Damit wird V.5 mit der zuvor erwähnten Koalition von feindlichen Königen verbunden. Das Gottesorakel konnte zudem in V.6 eingetragen werden, bevor die eigentliche Schlacht beginnt. Während in der ursprünglichen Tradition in V.7 wie in der profanen Vorstufe von Jos 10 ein Überraschungsangriff zum Sieg führt, wird in der dtr. Überarbeitung die Übereignungsformel vor der Erschlagung wayyakkûm eingetragen sowie der Verweis ergänzt, dass es keinen Entronnenen gab. Beide Zusätze sind auch in Jos 10 typisch für dieses redaktionelle Stratum. Auch die Hinweise, dass sich Josua an die Weisungen gehalten hat, sowie die Durchführung des Banngebots in V.9.12.15 sind wie schon in Jos 10 auf diese Redaktionsschicht zurückzuführen. In V.12–13 wird von der ersten dtr. Redaktion noch ergänzt, dass nicht nur die Städte erobert, sondern auch die Könige gebannt wurden. Der Einschub weʾæt kål malkêhæm hinter dem ähnlich lautenden weʾæt kål ʿārê hammelākîm hat sich hier ohnehin angeboten. Außerdem wird in V.13 besonders darauf hingewiesen, dass nur Hazor allein zerstört wurde. Ab V.16 folgt schließlich eine dtr. Zusammenfassung des südlichen und nördlichen Feldzugs, wobei die geographische Gliederung aus Jos 10,41 aufgegriffen und auf den Norden hin erweitert wurde. In dieser Schicht wird in 17b–18.20* vor allem betont, dass die Könige ausgeschaltet und der Bannweihe überliefert wurden. Was mit der Vorbevölkerung geschah, wird hier nicht explizit gesagt, sodass eine spätere Redaktion dies noch eintragen musste. Während der südliche Feldzug auf einen Schlag erfolgte, betont die dtr. Redaktion in V.18, dass die Kriegsführung längere Zeit andauerte. In V.20 wird zudem auf die göttliche Hilfe verwiesen, wodurch erst die Durchführung der Bannweihe ermöglicht wurde. Im abschließenden V.23 wird das Kapitel der Landeroberung geschlossen und die Landverteilung bereits durchgeführt, sodass eine dtr. Landeroberungserzählung mit V.23 schließen konnte. Die Ruheformel beendet schließlich den Erzählzusammenhang von Jos 9–11. Redaktion der benê Yiśrāʾel (V.14*.19*.21–22*): Diese Redaktion verwendet konsequent den Ausdruck benê Yiśrāʾel. Auf diese Weise wird die Erzählung von den Hauptprotagonisten Josua und den feindlichen Königen auf das Volk Israel hin erweitert. Außerdem wird die Bannweihe nach V.14 nur auf die Menschen bezogen, während Beute und Vieh geplündert werden durften. Dieser Zusatz passt bestens hinter den Hinweis, dass die
5. Eigener Entwurf
4)
5)
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eroberten Städte nach V.13 nicht zerstört wurden. Diese Redaktion verweist in V.19 zudem auf die Vollständigkeit der Eroberung, wobei zunächst noch übersehen wird, dass Gibeon Frieden mit Israel geschlossen hat. Hier konnte organisch an V.18 angeschlossen werden, als vom Krieg die Rede war. Dieser Krieg war nötig, da sich die kanaanäischen Städte nach V.19 nicht ergeben haben. Schließlich wird in V.21–22* noch die Anakitertradition eingetragen, die aus einer vorliegenden Tradition genommen wurde. Dieser Einschub weicht maßgeblich von den übrigen Anakitererzählungen des Josuabuches ab, sodass V.21–22* wohl redaktionell früher als die übrigen Anakitertexte eingetragen wurden. Dtr. Glossen (V.3.8aβ–bα.10b–11a.14b*.17a.19*.22*): Mit V.3 wird zusätzlich betont, dass es nicht nur Könige waren, sondern die Vorbevölkerung, die sich gegen Israel gestellt hat. Die in V.2 verwendeten Richtungsangaben wurden zudem in V.3 konsequent weitergeführt. Mit der Technik der Wiederaufnahme von wayyakûm wurde schließlich in V.8 die Verfolgung des feindlichen Heeres über ein großes nördliches Gebiet eingetragen, um zu betonen, dass es nicht nur eine lokale Schlacht war, sondern eine groß angelegte Eroberung des Nordens. Auf eine dtr. Glosse geht auch die Hervorhebung Hazors in 10b zurück, was ein Ausgleich mit Ri 4,24 sein könnte, wo Jabin als König Kanaans dargestellt wird. Außerdem musste noch der Bann vor der Zerstörung Hazors eingetragen werden, der nicht nur an Menschen, sondern an allen Lebewesen vollzogen wurde. Diese Aussage musste in 14b* ebenfalls ergänzt werden, da sonst der Eindruck entsteht, dass man das Vieh rauben durfte. Auf diese Weise wird die Bannvorgabe noch zusätzlich verschärft. In 17a wird zudem die Landkonzeption aus V.16 präzisiert und mit Jos 12,7 harmonisiert. In V.19 wurde darüber hinaus die zuvor übersehene Ausnahme der Gibeoniter nachgetragen. Schließlich wurde in V.22 neben Aschdod und Gaza die Philisterstadt Gat eingetragen, vielleicht um den Riesen Goliat von Gat zu ermöglichen. Der Nachtrag von Gat ist mit textkritischen Argumenten zu begründen. Priesterliche Ergänzungen (V.20*.23*): Auf priesterlichen Einfluss gehen ausweislich der Terminologie nur zwei kleine Zusätze zurück. Zum einen sollte in V.20 betont werden, dass YHWH die Herzen der Gegner und damit deren feindliche Einstellung verstärkt hat, damit es zum entscheidenden Kampf und damit verbunden zur Bannweihe kommen konnte. Diese Modifizierung konnte leicht durch einen Infinitivsatz vor dem Nebensatz vorgenommen werden. Zum anderen wird vor den Stämmen noch die Gliederung in einzelne Abteilungen in V.23 ergänzt und damit auf die priesterliche Landverteilung vorverwiesen, die jedoch nach der dtr. Version in V.23 bereits abgeschlossen ist, worauf die Verbalformation wayyiqtol hinweist.
350
Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
Mit diesem Entstehungsmodell werden die sprachlichen Beobachtungen angemessen berücksichtigt und die Spannungen beziehungsweise Doppelungen konsequent ausgewertet. Außerdem lässt sich dieser Entwurf mit dem literarhistorischen Wachstum von Jos 9–11 organisch verbinden, zumal in Jos 11 die in Jos 9–10 erzielten Ergebnisse konsequent weitergeführt werden können.
6. Historische Verortungen Verschiedene Beobachtungen legen es nahe, dass in Jos 11 keine historisch zuverlässige Beschreibung der Landnahmezeit vorliegen kann. Zum einen liegen die gegnerischen Städte Schimron und Achschaf sowie Nafat-Dor außerhalb des Siedlungsbereichs der frühen Israeliten. Zum anderen lassen die in Jos 11 skizzierten Grenzen des eroberten Gebietes an eine späte Entstehung denken.540 Hinzu kommt, dass das manassitisch-efraimitische Bergland in Jos 10–11 zunächst ausgespart wird und die geographische Entfernung zwischen dem Lager der Israeliten in Gilgal und dem Ort der Schlacht in Galiläa nicht überbrückt wird. Außerdem hätten erst die Stadtstaaten der Jesreelebene bezwungen werden müssen, bevor man nach Norden vordringen kann. Darüber hinaus wurde Obergaliläa erst relativ spät von den Israeliten besiedelt,541 was ebenfalls gegen eine frühe Datierung spricht. Aufgrund der abweichenden Keramik und der fehlenden israelitischen Siedlungstätigkeit unmittelbar nördlich der Jesreelebene könnten die galiläischen Stämme zudem von Norden in Obergaliläa eingesickert sein, was ebenfalls gegen die Landnahmekonzeption spricht, die im Josuabuch verfolgt wird. Die galiläischen Stämme hätten folglich das bislang noch nicht genutzte Bergland gerodet und genutzt. Erst in einem zweiten Schritt wäre es zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den im südlichen Obergaliläa und nördlichen Untergaliläa siedelnden Stämmen und der früheren kanaanäischen Stadtbevölkerung im nördlichen Obergaliläa gekommen, zumal die Gefahr bestand, dass diese Stämme auch das gebirgige Hinterland von Hazor einnehmen.542 Eine Verortung der Tradition von Jos 11 in der Landnahmezeit ist somit unwahrscheinlich. Vielleicht ist in Jos 11 die Situation bereits nach der erfolgreichen Sesshaftwerdung der israelitischen Stämme im Blick. Vor diesem Hintergrund sei nach der Landnahme zunächst von einem nicht immer friedlichen Nebeneinander von israelitischen Siedlungen auf dem Land und den kanaanäischen Städten im Norden auszugehen. Allerdings scheint ein Sieg der israelitischen Siedler über die kanaanäischen Städte die Ausnahme zu sein. Da die Siedlungsgebiete der Israeliten außerhalb des Einzugsgebietes der kanaanäischen Städte lagen, sind 540
Vgl. zu diesen Argumenten RÖSEL 1992, 14. Vgl. zu den Problemen auch RÖSEL 2011, 181f. 542 Vgl. AHARONI 1957, 149.
541
6. Historische Verortungen
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diese zunächst ohnehin nicht als Bedrohung empfunden und dementsprechend weitgehend geduldet worden.543 Mitunter sollte mit der Verlegung der Tradition in Jos 11 in die Landnahmezeit verdeutlicht werden, dass Josua zumindest im Norden bereits einen entscheidenden Sieg errungen hat, auch wenn dieses Gebiet noch nicht effektiv kontrolliert werden konnte.544 Auf diese Weise wird zumindest betont, dass zum einen Gott zu seinen Verheißungen steht, und zum anderen Josua die Befehle gehorsam ausführt. Aufgrund der Verortung der Geschehnisse im Stammesgebiet von Naftali mag eine Auseinandersetzung des Stammes Naftali mit dem Stadtkönigtum von Hazor im Hintergrund von Jos 11 stehen, die dann in einem späteren Schritt gesamtisraelitisch gedeutet wurde.545 Vielleicht ist die Ausweitung der Gegenspieler auf beiden Seiten erst redaktionell zur ursprünglichen Tradition hinzugewachsen.546 Möglicherweise geht es in Jos 11 darum, dass die galiläischen Stämme und vor allem Naftali sein Siedlungsgebiet von Süden nach Norden erweitern wollten, sodass sie das kanaanäische Herrschaftssystem, von dem sie auf allen Seiten umgeben waren, durchbrechen wollten. Dementsprechend schildern die in Jos 11 erzählten Ereignisse bereits ein späteres Stadium der Landnahme.547 Allerdings scheinen die galiläischen Stämme für die Einnahme der Stadt Hazor zu schwach gewesen zu sein, sodass letztlich vielleicht tatsächlich ein bereits kampferprobtes efraimitisch-benjaminitisches Heer unter Josua die Stadt Hazor angriff.548 Gegen all diese frühen Datierungen und die damit verbundene Einschränkung auf galiläische Stämme ist aber einzuwenden, dass in Jos 11 lediglich von Josua und Israel die Rede ist. Eine Beschränkung auf bestimmte galiläische Stämme lässt die ursprüngliche Tradition zumindest nicht erkennen. Die Zerstörung Hazors am Ende der Spätbronzezeit wird zudem den unterschiedlichsten Akteuren zugeschrieben.549 Die Datierung erfolgt meist mit Hinweis auf die Ware Mykene IIIB, sodass ungefähr das Zeitfenster 1200/ 1190 v. Chr. als terminus ante quem gelten wird.550 Verschiedene Szenarien wurden entworfen: 543
Vgl. zu dieser historischen Rekonstruktion FRITZ 1973, 334. Vgl. BUTLER 2014, 514. 545 Vgl. HERTZBERG 1985, 78. DE VAUX 1978, 667 vermutet, dass hier bereits die Stämme Naftali, Sebulon und möglicherweise Issachar zusammen gekämpft haben. 546 Dann erübrigt sich die Einbindung mehrerer Nordstämme in die militärischen Auseinandersetzung. Nach MAASS 1961, 110 hätte die große Feindkoalition nur von den vereinigten Nordstämmen sowie Manasse und Efraim besiegt werden können. 547 Vgl. ALT 1953a, 135, der darauf hinweist, dass dies auch ausweislich des Namens Jabin von Hazor, der in der Richterzeit erneut vorkommt, naheliegend wäre. 548 Vgl. SCHUNCK 1963, 27f. 549 Vgl. zu den verschiedenen Möglichkeiten SCHÄFER-LICHTENBERGER 2001, 116–120; ZWICKEL 2003, 55–59; BEN-TOR 2013, 31–36. 550 Vgl. FRITZ 1973, 126; SCHÄFER-LICHTENBERGER 2001, 115. 544
352 1)
Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
Nur aufgrund von Jos 11 könnte man die Israeliten unter Josua für die Zerstörung von Stratum 1A verantwortlich machen. Da dieser Text aber erst aus viel späterer Zeit stammt, darf er nicht ohne weiteres für die Frühzeit Israels herangezogen werden, zumal neben dem bedeutenden Stadtstaat Hazor zu dieser Zeit auch der wichtige Ort Kumidi in der BeqāʿEbene unterging, was nicht mit den Israeliten verbunden werden kann.551 Gegen die Seevölker spricht die Abgelegenheit des Ḥūle-Beckens, da sich die Seevölker in erster Linie an der Küste orientierten und kaum ins Innere vorstießen.552 Außerdem wurde bei den Ausgrabungen in Hazor keine Philisterkeramik gefunden.553 Darüber hinaus kann die Zerstörung Hazors kaum mit der Herausbildung der aramäischen Territorialstaaten in Syrien verbunden werden, da dieser Prozess erst im 11. Jahrhundert v. Chr. einsetzte.554 Auch innerkanaanäische Streitigkeiten zwischen verschiedenen Stadtstaaten sind in diesem Bereich nicht durch andere Quellen nachzuweisen, sodass dieser Grund bestenfalls hypothetisch bleibt. Hinzu kommt, dass die anderen kanaanäischen Stadtstaaten ebenfalls geschwächt waren, sodass diese Städte Hazor kaum bezwingen konnten. Schließlich ist es wenig wahrscheinlich, dass die Ägypter Hazor bei ihrem Rückzug nach der Schlacht von Kadesch zerstört haben, da Hazor und auch andere umliegende Orte in den Inschriften von Ramses II. nicht erwähnt werden.555 Bisweilen wird erwogen, dass die Stadt Hazor aufgrund von internen Konflikten zerstört wurde.556 Dafür reichen aber weder die archäologischen Hinweise noch vergleichbare Vorgänge in der Umwelt aus, wo Revolten nicht von der Bevölkerung, sondern von lokalen Eliten angezettelt und erfolgreich durchgeführt wurden.557
2)
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4)
5)
6)
Möglicherweise hat der Rückzug der Ägypter aus dem nördlichen Palästina und der damit verbundene Zusammenbruch des internationalen Handels zu einer merklichen Schwächung Hazors und zu einer Abwanderung der Bevölkerung geführt. Dementsprechend wäre es möglich, dass Hazor zu dieser Zeit eine relativ leichte Beute für Gruppierungen war, die überhaupt kein Interesse an einer wirtschaftlich übermächtigen Stadt hatten.558 Insofern ist es durchaus nicht ausgeschlossen, dass die (Proto-)Israeliten oder andere Gruppierungen 551
Vgl. ZWICKEL 2003, 55. Für eine Eroberung durch die Seevölker vgl. aber FRITZ 1973, 138f. 553 Vgl. BEN-TOR 2013, 33. 554 Vgl. ZWICKEL 2003, 56. 555 Vgl. BEN-TOR 2013, 32f. Gegen SCHÄFER-LICHTENBERGER 2001, 118–122. 556 Vgl. ZUCKERMAN 2007, 25f. 557 Vgl. zu den Gegenargumenten BEN-TOR 2013, 33–35. 558 Vgl. ZWICKEL 2003, 57. 552
6. Historische Verortungen
353
die Schwäche Hazors, die durch die Ausbeutung durch Ägypten und Auseinandersetzungen rivalisierender Stadtstaaten verursacht wurde, ausgenutzt und die einst mächtige Kanaanäerstadt zerstört haben.559 Neuerdings wird jedoch vermutet, dass die israelitische Wiederbesiedlung erst nach einer längeren Siedlungslücke erfolgt ist, sodass man die Zerstörung Hazors nicht notwendigerweise mit den Israeliten verbinden muss.560 Insofern muss die Frage nach den Verantwortlichen für die Zerstörung Hazors am Ende der Spätbronzezeit immer noch offen bleiben. Auch wenn Jos 11 ein relativ spät entstandener Text ist, können hier trotzdem historische Erinnerungen bewahrt sein. Denn Hazor war in der Tat die dominierende Macht in der Spätbronzezeit.561 Außerdem spricht der archäologische Befund für eine Zerstörung der Stadt am Ende der Spätbronzezeit. Auch die anderen drei in Jos 11 genannten Städte waren die wichtigsten kanaanäischen Zentren an der südlichen Grenze von Obergaliläa. Der Platz der Schlacht an der Quelle von Nebī Šuʿēb, die das Wādi el-Ḥamām speist, liegt darüber hinaus an einer strategisch wichtigen Verkehrsverbindung, die nach Hazor führt.562 Diese Argumentation ist aber mit Identifizierungen von Toponymen verbunden, die nicht sicher sind, sodass Vorsicht geboten ist. Außerdem ist die ursprüngliche Tradition in Jos 11 relativ zeitlos gestaltet, sodass eine frühe Verortung nicht notwendigerweise angezeigt ist.563 Vielleicht sollte man demnach die ursprüngliche Tradition hinter Jos 11 in spätere Zeit datieren. Gelegentlich werden Parallelen zwischen dem nördlichen Feldzug Josuas und dem Kampf Davids gegen die Aramäer nach 2Sam 8,3–4 gezogen. Zum einen wird in beiden Fällen der Sieg durch einen Überraschungsangriff der israelitischen Infanterie gegen ein Streitwagenheer erzielt. Zum anderen werden die Pferde gelähmt. Insofern könnte der Autor die Erzählung von David 559
Vgl. BEN-TOR 2002, 308; BEN-TOR 2013, 58f. Vgl. BEN-AMI 2013, 103. Außerdem ist fraglich, ob es überhaupt zwei Zerstörungen von Hazor gegeben hat. Mitunter ist lediglich Stratum 1B im 13. Jahrhundert v. Chr. mit Feuer zerstört worden. Danach hätte eine Wiederbesiedlung vor allem in der Unterstadt mit Stratum 1A stattgefunden. Dieses letzte Stratum sei noch vor 1200 v. Chr. aufgegeben worden. Zu dieser abweichenden Chronologie von Hazor vgl. FINKELSTEIN 2005, 345–348. Dagegen aber VAN BEKKUM 2011, 464. AHARONI 1970, 264 denkt zudem an eine Wiederbesiedlung durch die Israeliten. Basierend auf einer anderen Chronologie des Exodus vermutet PETROVICH 2008, 510–512, dass Hazor bereits um 1400 v. Chr. durch Josua zerstört worden ist und dass der zweite Zerstörungshorizont auf Debora/Barak um 1200 v. Chr. zurückgeht. Eine derartige Harmonisierung des biblischen und archäologischen Befundes ist aber schwierig. 561 Nach KNAUF 2010a, 132 muss dies aber nicht auf tatsächliche Erinnerung zurückgehen, sondern könnte auch aus dem großen Ruinenhügel abgeleitet sein. 562 Zu den historischen Traditionen, die in Jos 11 überliefert sind, vgl. NAʾAMAN 2017, 295. 563 Wenn zudem Jos 11,10–11 eine dtr. literarische Bildung ist, dann muss die Zerstörung der Stadt Hazor nicht auf die Israeliten unter Josua zurückgeführt werden, vgl. auch FRITZ 1994, 122. 560
354
Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
in 2Sam 8,3–4 verwendet haben, um die Schlacht an den Wassern von Merom zu gestalten. Der Autor habe folglich die Kriegstaktik späterer Schlachten auf die Landnahmezeit angewendet, weil er für diese Zeit kaum Quellen oder Traditionen zur Verfügung hatte. Möglicherweise hatte der Autor nur ungenaue Erinnerungen an eine Schlacht bei den Wassern von Merom.564 Der historische Hintergrund des Grundbestandes von Jos 11 könnte demgegenüber aber auch in assyrische Zeit weisen. Die Intention von Jos 11 wäre demnach gewesen, eine Revision der Eroberung Galiläas durch Tiglat-Pileser III. im Jahr 733 v. Chr. anzuzielen.565 Vor diesem Hintergrund scheint die in Jos 10–11 geschilderte vollständige Eroberung des Verheißungslandes symbolisch für die Rücknahme der assyrischen Ansprüche auf das Land zu stehen.566 Nicht Assur, sondern YHWH gehört das Land, das er seinem Volk Israel zu geben gedenkt. Vielleicht stehen aber auch die nördlichen Expansionsbestrebungen Jerobeams II. im Hintergrund des nördlichen Eroberungsfeldzugs von Jos 11.567 Während Jos 6–10 offenbar die Wiedergewinnung des Südens unter Joschija reflektiert, ist die historische Verortung des nördlichen Feldzugs schwierig.568 Vielleicht spiegelt Jos 11 lediglich das Programm Joschijas wider, das aber nicht ausgeführt wurde. Vielleicht wollte man mit dieser Erzählung die assyrische Provinz Samerīna gewinnen. Möglichweise sollte Josua von einer späten Redaktion zum Eroberer des gesamten Verheißungslandes gemacht werden.569
564
Vgl. NAʾAMAN 1994, 258f. Vgl. GÖRG 1991a, 56. 566 Vgl. THEUER 2020, 246f. Nach VAN SETERS 1990, 8 könnte der Sieg über eine große Feindkoalition assyrischen Konventionen verpflichtet sein. DALLAIRE 2015, 55 weist zudem darauf hin, dass in der Zusammenfassung von Jos 11 eine utopisch und iterativ kodierte Sprache zu finden ist, die mit assyrischen Texten, hethitischen Eroberungsberichten und ägyptischen Feldzugsberichten vergleichbar ist. Aufgrund dieser Ähnlichkeit muss nicht die Landnahme rein fiktiv sein. 567 Vgl. FINKELSTEIN 2017, 284f., der eine ältere ephraimitische Landeroberungserzählung vermutet, die zur Zeit der Jehuiden geschaffen wurde. Hierzu passt auch die Eroberung des benjaminitischen Stammesgebietes, dass zwischen Israel und Juda umstritten war sowie der südliche Eroberungsfeldzug, mit dem Juda verdeutlicht werde, dass der Ephraimit Josua die Grundlage für das Südreich geschaffen hat, das ohnehin von Israel aus beherrscht wurde. Mit dieser alten Landeroberungserzählung werde folglich eine pan-israelitische Agenda verfolgt. 568 Nach FRITZ 1973, 133 sei Jos 11 sogar nur eine literarische Bildung in Anlehnung an Jos 10, wobei die Orte aus Jos 12 und der Eigenname Jabin aus Ri 4 genommen wurden. Selbst die Lokalangabe „Wasser von Merom“ könnte aus Jos 12,20 stammen, auch wenn dort Meron anstelle von Merom steht. Aber die Verwechslung von m und n ist durchaus möglich. 569 Vgl. hierzu KNAUF 2002, 289, der zudem auf die Eroberung Galiläas unter dem Hasmonäer Aristobul im Zeitfenster 104/103 v. Chr. hinweist. Dann wäre dies aber ein sehr später Zusatz. 565
6. Historische Verortungen
355
Dann wäre hier eine vorstaatliche Blaupause für spätere Gebietsansprüche skizziert worden. Bisweilen wird Jos 11 als gänzlich unhistorisch beurteilt. Lediglich die Ortsangabe „Wasser von Merom“ könnte sich einer historischen Erinnerung verdanken. Ob an den „Wassern von Merom“ eine historische Schlacht überhaupt geschlagen wurde, kann kaum noch bewiesen werden. Selbst wenn diese tatsächlich stattfand, kann über die Teilnehmer und die Datierung dieser Auseinandersetzung nichts mehr gesagt werden.570 Auch die Darstellung des Fluchtweges des feindlichen Heeres ist kaum historisch zuverlässig, da das Heer in drei unterschiedliche nördliche Richtungen flieht, der Ort Sidon zu weit entfernt liegt und es sich bei Misrefot-Majim kaum um einen bedeutenden Ort handelt, der dem fliehenden Heer Schutz bieten könnte.571 Wahrscheinlich sollte mit diesen Angaben lediglich unterstrichen werden, dass die Niederlage der Feinde umfassend und selbst die Flucht in die unterschiedlichsten Richtungen nicht erfolgreich war. Insgesamt ist die historische Verortung der in Jos 11 verwendeten Tradition nicht mehr möglich. Es mag zwar eine Auseinandersetzung an den „Wassern von Merom“ gegeben haben, aber diese Ereignisse können weder zeitlich noch inhaltlich näher bestimmt werden. Darüber hinaus wurde Hazor am Ende der Spätbronzezeit zerstört, aber die hierfür Verantwortlichen sind nicht mehr sicher festzustellen. Die ursprüngliche Tradition wird in einem zweiten Schritt einer theologisierenden Redaktion unterworfen. Allerdings wird im Gegensatz zu den anderen Landeroberungserzählungen die Rolle YHWHs in Jos 11 auf die Ermutigungsformel in V.6 und die Übergabe in V.8 begrenzt. Ein direktes Eingreifen wird nicht erzählt, aber zumindest mit der Ermutigungsformel angedeutet.572 Trotzdem wird wiederholt darauf hingewiesen, dass Josua und die Israeliten die Befehle YHWHs befolgt haben, die direkt dem Josua übertragen oder über Mose vermittelt wurden (V.9.12.15.20). Durch diese Verweise auf die Befehle YHWHs und Moses wird betont, dass der Gehorsam gegenüber den göttlichen Befehlen letztlich zum Erfolg führen wird. Außerdem wird auf diese Weise die genaue Befolgung der Kriegsgesetze in Dtn 13 und Dtn 20 durch die Landnahmegeneration unter Josua hervorgehoben.573 Trotz der an sich passiven Rolle YHWHs wird schließlich in V.20 betont, dass Gott den Entschluss der feindlichen Könige gestärkt hat, gegen Israel vorzugehen.574 Nur durch den expliziten Widerstand der feindlichen Vorbevölkerung kam es schließlich zur notwendigen gewaltsamen Gegenreaktion der Israeliten 570
Vgl. auch RÖSEL 1975, 183. Vgl. RÖSEL 1975, 182. 572 Vgl. YOUNGER 1990, 229. Nach BRUEGGEMANN 2009, 23 agiert in dieser Erzählung YHWH nicht und verspricht außer Solidarität und Legitimation überhaupt nichts. Lediglich Josua und Israel handeln hier. 573 Vgl. SCHMITT 2013, 82. 574 Vgl. hierzu auch NELSON 1997, 152. 571
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Kapitel 3: Der nördliche Eroberungsfeldzug Josuas (Jos 11)
und zum Vollzug der Bannweihe. Schon vor diesem Hintergrund konnte keine Barmherzigkeit gewährt werden. Hinzu kommt, dass die Israeliten durch den Vollzug der Bannweihe zum einen die Kriegsgesetze, die Mose von YHWH erhalten hatte, erfüllt haben, und sich zum anderen der in Jos 1,7 angekündigte Erfolg bei entsprechender Befolgung dieser Weisungen eingestellt hat.575 Auf diese Weise verdeutlicht die theologische Überarbeitung von Jos 11 seinen Rezipienten, dass mit entsprechendem Toragehorsam selbst militärisch überlegene Gegner (V.4.6.9) besiegt und furchteinflößende Krieger wie die Anakiter (V.21–22) bezwungen werden können. Nur durch die strikte Befolgung der göttlichen Befehle zur Vernichtung des Feindes kann sich schließlich die göttliche Verheißung durchsetzen. Diese theologische Deutung der Geschichte gilt freilich noch nicht für die profane Tradition, die in Jos 11 herausgearbeitet werden kann.
575
Vgl. SCHMITT 2011, 110.
Kapitel 4: Das eroberte Ostjordanland und die Liste der westjordanischen Könige in Jos 12 1. Vorbemerkungen Die Landeroberung des Josuabuchs wird in Jos 12 endgültig abgeschlossen. Während der erste Teil in V.1–6 die Eroberung des Ostjordanlandes rekapituliert,1 wechselt V.7–8 ins Westjordanland, worauf dann die Königsliste in V.9–24 anschließen kann. Formal ist Jos 12 somit in zwei Teile zu gliedern (V. 1–6 und V.7–24), die chiastisch aufgebaut sind.2 Im ersten Teil wird in V.2–5 zunächst eine listenartige Darstellung des Ostjordanlandes geboten,3 bevor dann in V.6 der Hauptprotagonist Mose nachgeschoben wird. Insgesamt bilden V.1 und V.6 einen Rahmen um die Erzählung von den Königen im Osten, wobei in V.6 als Subjekt der Landnahme nicht nur die Söhne Israels wie in V.1, sondern auch Mose genannt wird.4 Als Einleitung dient zudem V.1, um die Erschlagung der ostjordanischen Könige und die Einnahme von deren Ländern durch die Söhne Israel zu betonen. Demgegenüber beginnt der zweite Teil in V.7–8 zunächst mit Josua, bevor dann in V.9–24 die Königsliste folgt. Jos 12 bildet darüber hinaus einen Wendepunkt im Josuabuch. Auf der einen Seite wird auf die Landeroberungen in Jos 6–11 zurückgeblickt. Auf der anderen Seite wird aber auch schon auf die Landverteilung in Jos 13–19 vorausverwiesen, wobei nun auch zum ersten Mal eine Liste verwendet wird.5 Beide Hauptprotagonisten Mose und Josua haben gemäß Jos 12 mehrere Könige erschlagen (NKY in V.1 und 7) und dann das Verheißungsland den Israeliten als Besitz gegeben (NTN yeruššāh in V.1 und 7). Dadurch dass die beiden Teile von Jos 12 in V.1 und V.7 mit der Überschrift weʾellæh malkê hāʾāræṣ beginnen, wird die westjordanische Landeroberung unter Josua dem ostjordanischen Siegeszug unter Mose gleichgestellt. Auf diese Weise wird betont, dass der Jordan keine wirkliche Grenzlinie des Verheißungslandes war,6 sondern dass beide
1
Vgl. AULD 1984, 82. Vgl. YOUNGER 2008, 30f. 3 Nach HARSTAD 2004, 473 ist die listenartige Präsentation der einzelnen Gebiete auch für die holprige Syntax von V.2–5 verantwortlich. 4 Vgl. EDERER 2017, 193. 5 Vgl. insgesamt NELSON 1997, 159f. 6 Vgl. auch SPRONK 1994, 98. 2
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Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
Teile integral zusammengehören. Außerdem sind V.6 und V.7 ähnlich gestaltet, sodass auch hier deutlich wird, dass West- wie Ostjordanland eine Gabe YHWHs sind.7 Dementsprechend wird auch das Ostjordanland zum Verheißungsland gehören. Somit entspricht Jos 12 auch der Rede an die ostjordanischen Stämme in Jos 1,12–18, wo die Einheit des Landes diesseits und jenseits des Jordans betont wird. Vor diesem Hintergrund wird das dtr. Josuabuch vom Thema eines vergrößerten Verheißungslandes gerahmt, das sich eben nicht nur auf das Westjordanland beschränken lässt. Diese Ausweitung des Verheißungslandes ist aber nur in späten dtr. Texten zu greifen,8 sodass die Konzeption des Endtextes von Jos 12 nicht allzu früh entstanden sein kann. Während in Jos 11,11–23 bereits die Landeroberungen unter Josua zusammengefasst werden, blickt Jos 12 auf die Landnahme im Ost- und Westjordanland unter Mose und Josua zurück,9 sodass hier die Feldzüge Josuas in das größere Geschichtsbild eingeordnet werden. Vor diesem Hintergrund vollendet Josua das von Mose begonnene Werk. Außerdem werden die Erfolge des Mose im Ostjordanland der Landeroberung unter Josua gegenübergestellt. Auf diese Weise wird die gesamte Eroberung des Verheißungslandes in Jos 12 zusammengefasst und bestehende Lücken vor allem in der Mitte des Landes mit der Königsliste aufgefüllt.10 In Jos 12 wird darüber hinaus im Gegensatz zu Jos 11 das bereits von Mose eroberte und verteilte Ostjordanland ebenfalls berücksichtigt.11 Da bereits Jos 11 die Landnahme abschließt und zusammenfasst, ist Jos 12 vermutlich nur ein Anhang zu den Eroberungserzählungen,12 der mithilfe einer chiastischen Struktur an Jos 2–11, näherhin an Jos 9–11 angeschlossen wurde. Darüber hinaus ist Jos 12 ein Summarium, das die Zusammenfassung von Jos 11 noch weiterführt, da in Jos 12 das Thema der erschlagenen Könige aus Jos 11,17 aufgegriffen wird.13 Vor diesem Hintergrund geht es in Jos 12 nicht nur um das eroberte Verheißungsland, sondern vor allem um die Niederschlagung der Könige des Landes. Vermutlich ist hier eine antimonarchische Intention zu greifen, da man im Verheißungsland keine Könige mehr benötigt.14
7
Vgl. WAZANA 2013, 203; KRAUSE 2014, 122. Vgl. WAZANA 2013, 204. 9 Vgl. HESS 1996a, 244. 10 Vgl. RÖSEL 2011, 194f. 11 Außerdem bilden Jos 11,16–20 und Jos 12,7–8 einen Chiasmus, da hier die geographischen Bezeichnungen in abweichender Abfolge gegenübergestellt werden, vgl. auch WAZANA 2013, 200f. 12 Vgl. HALL 2010, 193. 13 Vgl. EDERER 2017, 190. 14 Auf ein derartiges Königtum vom Schlage Kanaans konnte man getrost verzichten, vgl. SPRONK 1994, 99. Nach HALL 2010, 190 liegt der Hauptfokus in Jos 12 auf den Königen, die bei der Landnahme unterworfen wurden. 8
1. Vorbemerkungen
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Mithilfe der Königsliste wird unmissverständlich klar gemacht, dass das System der kanaanäischen Stadtkönigtümer durch die israelitische Landnahme ein Ende fand.15 Die Königsliste knüpft zudem an Jos 11,18 an, wonach Josua in erster Linie gegen die Könige Kanaans gekämpft hat. Dementsprechend ist die Königsliste eine Explikation des Kampfes Josuas mit den kanaanäischen Königen.16 Diese Gegner sollen durch die Liste detailliert beschrieben werden. Allerdings werden aber nicht nur die Könige erwähnt, die von Mose und Josua besiegt werden, sondern auch das mit diesen Königen verbundene Land, das eingenommen und an die Israeliten verteilt werden kann. Während Mose mit den beiden Amoriterkönigen Sihon und Og nur zwei Könige besiegt hat, die zwar besonders stark gewesen sind, hat Josua nach MT sogar 31 kanaanäische Könige ausgeschaltet, sodass Josua als Feldherr vielleicht Mose überragen sollte.17 Im Westjordanland ist nach Jos 12 für Mose zudem kein Platz mehr. Auf diese Weise wird Josua zum Gründungsvater des westjordanischen Verheißungslandes. Die in Jos 12 genannten Königsstädte kommen zum Teil schon in Jos 1–12 vor, gehen aber weit über die dort genannten Orte hinaus. Nachdem in Jos 11 bereits die Landeseroberung abgeschlossen war, wirkt die Königsliste ohnehin deplatziert. Offenbar soll durch diese Liste untermauert werden, dass nicht nur die Landnahme abgeschlossen ist, sondern auch der Anspruch auf dieses Gebiet gerechtfertigt ist. Vielleicht soll die Liste in Jos 12 die Diskrepanz zwischen den Orten, die in den Landeroberungserzählungen in Jos 6–11 genannt werden, zu den ab Jos 13 folgenden Gebieten ausgleichen.18 Ähnlich wie bei der Auflistung der einzelnen Orte der Stämme in Jos 13–19 werden in Jos 12 alle Könige aufgezählt, die im Kontext der Landnahme unterworfen wurden. Allerdings werden in der Königsliste lediglich die erschlagenen Könige genannt. Ob damit auch deren Königsstädte erobert wurden, wird nicht gesagt. Lediglich V.1 könnte auf eine Unterwerfung der Städte hinweisen, da hier mit dem Lexem YRŠ eine Einnahme des Landes behauptet wird, sodass nach der Erschlagung der betreffenden Könige das dazugehörige Land und damit vermutlich auch die jeweilige Residenzstadt übernommen wurde. Fraglich ist zudem, ob Jos 12 nach den Abschlusssignalen in Jos 11 noch zur Landeroberung oder schon zu den Landverteilungstexten Jos 13–21 gehört.19 Gelegentlich wird sogar die Technik der Wiederaufnahme von Jos 11,16–23 in Jos 21,43–45 ins Feld geführt, um zu zeigen, dass Jos 12–21 15
Vgl. NELSON 1997, 162. Vgl. hierzu auch BALLHORN 2011, 237. Nach WOUDSTRA 1981, 200 ist Jos 12 „a song of praise to the Lord’s honor“. 17 Vgl. FARBER 2016, 59. LAUGHLIN 2015, 159 deutet Josua hingegen als „mirror image“ des Mose. 18 Vgl. KNAUF 2008, 120. 19 BOLING 1982, 319 rechnet Jos 12 zu Jos 13–19. Nach DE VOS 2003, 263 Anm.118 ist Jos 12 ein Fremdkörper im Josuabuch. 16
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Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
ein sekundärer Einschub gewesen sei.20 Allerdings sind die behaupteten sprachlichen Berührungspunkte kaum gegeben, sodass eine klar definierte Wiederaufnahme eigentlich nicht vorliegt. Darüber hinaus steht zur Diskussion, wann Jos 12 beziehungsweise ein Teil dieses Kapitels ins Josuabuch aufgenommen wurde.21 In dieser Fragestellung muss folglich ein differenzierter Blick entwickelt werden.
2. Textkritische und sprachliche Bemerkungen Der MT von Jos 12 weist zahlreiche textkritische und sprachliche Probleme auf,22 die zunächst geklärt werden müssen, bevor man literarhistorische und redaktionsgeschichtliche Überlegungen anstellen kann. V.1: Vulgata verzichtet auf den Zusatz hāʾāræṣ und überträgt malkê hāʾāræṣ hier nur mit reges, auf die der Relativsatz geschickt anschließen kann. Auf diese Weise wird die doppelte Erwähnung des Lexems ʾæræṣ in V.1 vermieden. Vor diesem Hintergrund ist die Lesart der Vulgata sicherlich eine absichtliche Kürzung, um den redundanten Text zu vereinfachen und syntaktisch zu verbessern. Die Constructusverbindung malkê hāʾāræṣ, die sich auf die Könige des Verheißungslandes bezieht, wird nur in V.1 und V.7 verwendet.23 Der Begriff mælæk „König“ für einen Anführer der kanaanäischen Städte ist indes nicht ohne Probleme.24 Vielleicht ist eher von einem Häuptling, einem Bürgermeister oder einem Warlord auszugehen, zumal noch nicht von einem Staat mit Administration, Hierarchie und entwickeltem Rechtssystem auszugehen ist. Außerdem überliefern Vetus Latina und LXXA im ʾašær-Satz ein abweichendes Subjekt. Während MT die Erschlagung der Könige lediglich den benê Yiśrāʾel zuschreibt, stellen Vetus Latina und LXXA noch Mose voran (quos interfecit Moyses et fili Istrahel beziehungsweise ἀνεῖλον Μωυσῆς καὶ οἱ υἱοὶ Ισραηλ). Hier wurde offenbar Mose und nicht Josua ergänzt, da es im Folgenden um die Hinrichtung der ostjordanischen Könige Sihon und Og geht, die in der biblischen Tradition auf Mose zurückgeführt wird, zumal Mose nach Num 21,21–35 maßgeblich an der ostjordanischen Landnahme beteiligt war. Außerdem ist diese erweiterte Lesart eine Angleichung an V.6 und eine Parallele zur Einleitung zu den westjordanischen Gebieten in V.7, deren Eroberung mit Josua und den Söhnen Israel verbunden wird. Vielleicht ist Mose zunächst nur 20
Vgl. BECKER 2006, 151. Nach RUDOLPH 1938, 211 sei Jos 12 eine sekundäre Übersicht, die aber in V.9–24 eine alte selbständige Königsliste eingearbeitet habe. 22 Zu weiteren Problemen von Jos 12 vgl. auch LAUGHLIN 2015, 158. Zu den auffälligen Unterschieden zwischen MT und LXX vgl. DOZEMAN 2015, 484. 23 In 1Kön 5,14; 10,23; 2Chr 9,22.23; Ps 2,2; 102,16; 138,4; 148,11; Klgl 4,12; Ez 27,33 sind hingegen die Könige der Erde im Blick. 24 Vgl. auch ZIESE 2008, 247–250; PITKÄNEN 2010, 241. 21
2. Textkritische und sprachliche Bemerkungen
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eine Randglosse gewesen, die sekundär in den Text eingedrungen ist.25 MT ist jedenfalls die lectio difficilior, die auch literarkritisch berücksichtigt werden muss. Fraglich ist jedoch, ob mit dem Verb NKY „schlagen“ eine Tötung der Könige oder lediglich eine Unterwerfung angedeutet ist.26 In V.1 werden viele Ausdrücke verwendet, die im Buch Deuteronomium belegt sind, sodass hier offenbar ein dtr. Redaktor am Werk ist. Die Präpositionalverbindung beʿebær hayYarden mizrāḥāh haššāmæš ist fast wortgleich in Dtn 4,41.47 und Jos 1,15 zu finden, wobei die Syntax jeweils schwierig ist. Während sich beʿebær hayYarden in V.1 auf das Ostjordanland bezieht, ist diese Präpositionalverbindung in V.7 mit dem Westjordanland zu verbinden. Möglicherweise soll hier mit dem identischen Ausdruck angedeutet werden, dass der Jordan die symmetrische Mitte des Verheißungslandes ist und beide Teile gleichwertig zu betrachten sind. Der Jordan ist somit nur eine Grenze zwischen Josua und Mose beziehungsweise zwischen Landnahme und Exodus.27 Allerdings gibt es im Hebräischen keinen Ausdruck für „diesseits“,28 sodass beʿebær beide Funktionen „diesseits–jenseits“ übernommen hat. Der Ausdruck mizrāḥāh haššāmæš ist aufgrund des he locale inmitten der Constructusverbindung syntaktisch schwierig, aber nicht unmöglich.29 Dieser Ausdruck lässt sich zudem mit Dtn 4,41 vergleichen, auch wenn dort der Artikel fehlt.30 Die Bezeichnung minnaḥal31 ʾArnôn ʿad har Ḥærmôn beschreibt in Dtn 3,8 die Ausdehnung des Herrschaftsbereiches der beiden Amoriterkönige, die von Mose geschlagen wurden. Vermutlich wurde die Größenangabe von dort entlehnt, zumal in V.1–5 die Unterwerfung der beiden Amoriterkönige aus Dtn 2–3 rekapituliert wird. Eine erweiterte Variante dieser Gebietszuschreibung findet sich in Dtn 4,48, wenn dort mit der Stadt Aroer und dem Berg Sion noch zwei weitere Toponyme eingeführt werden. Einige hebräische Handschriften haben einen syndetischen Anschluss weʿad har Ḥærmôn.32 Dies mag auf Dittographie des wortschließenden Konsonanten n bei ʾArnôn beruhen, der fälschlicherweise zu w verlesen und dementsprechend als Konjunktion gedeutet wurde. Der nachklappende Zusatz wekål hāʿarābāh mizrāḥāh in 1bβ ist eine verkürzte Wiedergabe von Dtn 4,49.
25
Vgl. zum Problem GREENSPOON 1983, 46f. Vgl. hierzu EHRLICH 1910, 41. Zu dieser Doppeldeutigkeit von NKY vgl. auch GRAY 1986, 121. Nach HARSTAD 2004, 472 wird mit NKY-H nicht nur „angreifen“, sondern auch „besiegen, niederschlagen, erobern“ ausgedrückt. 27 Vgl. zum Problem BALLHORN 2011, 237f. 28 Vgl. KNAUF 2008, 121. 29 Vgl. BL §65n; GK §90c. 30 Vgl. HARSTAD 2004, 472. 31 Das Lexem naḥal bezieht sich auf das Flussbett, das mit Ausnahme der Regenzeit meist trocken ist, vgl. HARSTAD 2004, 472. 32 Vgl. BOLING 1982, 320. 26
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Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
Insgesamt scheint V.1 somit Ausdrücke aus Dtn 4,41.47–49 verwendet zu haben. Diese Angaben dürfen jedoch nicht historisch verwendet werden. Denn das hier beschriebene ostjordanische Verheißungsland wurde nicht zeitgleich und in seiner Gänze von Israel beherrscht, ganz abgesehen davon, dass dieses große Land sicherlich nicht von nur zwei lokalen Königen beherrscht wurde.33 LXXB scheint vor hāʿarābāh noch das Lexem ʾæræṣ zu belegen (καὶ πᾶσαν τὴν γῆν Αραβα),34 wobei diese Ausweitung nicht nötig ist. Möglicherweise liegt hier eine Art innergriechische Dittographie vor, sodass aus dem Artikel τὴν zusätzlich das Wort γῆν entstand.35 Während die Nord-Süd-Erstreckung in V.1 explizit angegeben wird, ist die Ausdehnung nach Osten schon vor dem Hintergrund nicht nötig, dass die lebensfeindliche Wüste die Besiedlung ohnehin auf natürliche Weise beschränkt.36 Die Bezeichnung Araba bezieht sich hier zudem auf das östliche Jordantal,37 da hier das Verheißungsland beʿebær hayYarden im Blick ist. V.2: Der Übersetzer von LXXB hat anstelle des Ortes Aroer den Flussnamen Arnon eingetragen,38 sodass beim folgenden Ausdruck naḥal ʾArnôn die Nennung Arnon nicht mehr nötig ist (ἀπὸ ᾿Αρνών, ἥ ἐστιν ἐν τῇ φάραγγι).39 Außerdem wird wetôk offenbar mit μέρος anstelle von μέσος wiedergegeben (κατὰ μέρος τῆς φάραγγος). In der vergleichbaren Stelle Jos 13,9 wird hingegen MT genau wiedergegeben (ἐν μέσῳ τῆς φάραγγο). Dementsprechend könnte μέρος ein Abschreibefehler sein.40 Allerdings wäre es auch möglich, dass die beiden Näherbestimmungen ʿal śefat naḥal und wetôk hannaḥal miteinander ausgetauscht wurden, zumal tôk bisweilen nicht übersetzt wird und κατὰ μέρος die griechische Wiedergabe von ʿal śefat wäre.41 Vetus Latina verzichtet darüber hinaus auf das nomen regens śefat „Ufer“, da hier nur „am (Fluss)tal Arnon“ übersetzt wird (in valle Arnon). Außerdem belegen weder Vetus Latina noch LXX die Gattungsbezeichnung naḥal „Fluss“ hinter Yabboq.42 Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob die Apposition naḥal „Fluss“ des MT ursprünglich ist, zumal der Fluss Yabboq andernorts ohne Gattungsbezeichnung hannaḥal verwendet wird.43 Allerdings 33
Vgl. KNAUF 2008, 121. Vgl. auch HOLZINGER 1901, 45. Nach BENJAMIN 1921, 46 habe LXX hingegen die geographische Bezeichnung hāʿarābāh nicht verstanden und daher noch γῆν ergänzt. 35 Vgl. BUTLER 2014, 523. 36 Vgl. ZIESE 2008, 250 Anm.8. Zu dieser Unbestimmtheit vgl. WOUDSTRA 1981, 201. 37 Vgl. BUTLER 2014, 529; JERICKE 2020, 212. 38 Nach MARGOLIS 1931, 228 sei dieser Abschreibefehler über die Zwischenform Αρηορ erfolgt. BENJAMIN 1921, 46 vermutet zudem, dass Aroer ein Zusatz ist, der sich aus dem Flussnamen Arnon herausgesponnen habe. 39 Vgl. HOLMES 1914, 54. 40 Vgl. MARGOLIS 1931, 228. 41 Vgl. DEN HERTOG 1996, 44. 42 Vgl. HOLZINGER 1901, 46. 43 Gen 32,23; Num 21,24; Ri 11,13.22. Vgl. hierzu auch HOLMES 1914, 54. 34
2. Textkritische und sprachliche Bemerkungen
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wird gerade im Buch Deuteronomium Jabbok stets mit naḥal verbunden,44 sodass hier offenbar der dtn Sprachgebrauch aufgegriffen wurde, wobei diese Gattungsbezeichnung entweder vor oder nach dem Flussnamen stehen kann. Darüber hinaus verwenden Vetus Latina und vereinzelte griechische Handschriften den Namen des Erzvaters Jakob anstelle von Yabboq, was wohl eine Verschreibung ist. Die Syntax von V.2 ist ohnehin schwierig. In der Parallele Jos 13,9 wird die Präpositionalverbindung betôk hannaḥal als Relativsatz zu wehāʿîr gefügt, sodass eine „Stadt, die inmitten des Flusses (liegt)“ einen besseren Ausgangspunkt für die geographische Erstreckung angibt. Dementsprechend wäre es durchaus denkbar, dass hier vor tôk ebenfalls der Ausdruck wehāʿîr ʾašær b- zu ergänzen wäre.45 Zusammen mit Aroer wäre dann dieser Ort die Südgrenze des ostjordanischen Verheißungslandes. Allerdings ist fraglich, wo diese ʿîr zu lokalisieren ist. Bisweilen wird an den Ort Ar-(Moab) gedacht.46 Da für diese Stadt kein spezifischer Name genannt wird, könnte das Lexem ʿîr auch die Bedeutung „befestigter Wachturm“ haben.47 Vielleicht liegt dieser Ort im Gebiet zwischen den beiden Strömen Sēl el-Hēdan und Sēl el-Mōğib, die im Westen zusammenfließen und sich im Osten fast berühren.48 Allerdings spricht wenig für eine Veränderung des MT, der zudem die lectio difficilior ist. Da Jos 12 zudem ansonsten keine Grenzstädte, sondern nur Grenzen aufweist, könnte mit der Redeweise des MT angedeutet sein, dass die Grenze durch die Bachmitte bestimmt worden wäre.49 Dann wäre wirklich der Arnon die Südgrenze des Verheißungslandes gewesen.50 Vielleicht ist die Verortung des Amoriterkönigs in Heschbon ein sekundärer Zusatz,51 zumal ansonsten ein Relativsatz ʾašær yošêb beḤæšbôn52 und nicht eine appositionelle Konstruktion hayyošêb beḤæšbôn steht. Die territoriale Ausdehnung des Königreichs des Sihon in V.2 ist zudem mit anderen Stellen vergleichbar:
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Dtn 2,37; 3,16. Vgl. GRAY 1986, 119; FRITZ 1994, 127. 46 Vgl. schon KEIL 1847, 227; LLOYD 1886, 182; COOKE 1918, 109. 47 Vgl. GRAY 1986, 119. 48 Vgl. BOLING 1982, 324. 49 Vgl. BUTLER 2014, 529. 50 Vgl. RÖSEL 2011, 199. 51 Die Tradition einer Verortung des Amoriterkönigs Sihon in Heschbon sei nach FRITZ 1994, 130 in der Sihon-Tradition Num 21, die hier eingespielt wird, nicht ursprünglich. Nach BARTLETT 1970, 275 Anm.1 ist „König der Amoriter“ der ursprüngliche Titel von Sihon. Hinzu kommt, dass Sihon ursprünglich ein Landschaftsname war, vgl. GASS 2009, 204. 52 Num 21,34; Dtn 1,4; 3,2; 4,46. Nach BARTLETT 1970, 275 sind die Bezeichnungen „Sihon, König der Amoriter“ und „Og, König des Baschans“ sehr alt und stammen aus mündlicher kultischer Tradition, während Titel wie „König von Heschbon“ und andere Ausdrücke, die beschreiben, wo Sihon und Og herrschten, deuteronomische Zusätze sind. 45
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Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
Der Ausgangspunkt meʿarôʿer ʾašær ʿal śefat naḥal ʾArnôn findet sich wortgleich in Jos 13,16. Die Erstreckung des Gebiets von Aroer am Fluss Arnon und die Hälfte Gileads könnte aus Dtn 3,12 stammen. Auch zu Dtn 2,36 gibt es zahlreiche Parallelen, wobei hier aber eine Stadt im Flusstal im Blick ist und Gilead ohne Beschränkung auf einen bestimmten Teil beschrieben wird. Die Erstreckung des amoritischen Territoriums vom Arnon bis zum Jabbok und die Verbindung mit den Söhnen Ammon scheint hingegen aus Dtn 3,16 entnommen zu sein.53
1) 2) 3)
4)
Die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen beiden Texttraditionen sind ohnehin schwierig zu bestimmen. Ohne Zweifel scheinen die Josuabelege aus der dtn Tradition zu schöpfen, bei der das Territorium des Amoriterkönigs mit dem Gebiet nördlich des Arnon gleichgesetzt wird, wobei die Grenzen nicht genau abgesteckt werden. Da die beiden Reiche von Sihon und Og zudem das gesamte Ostjordanland abdecken sollten, mussten sie eine gemeinsame Grenze haben, sodass Gilead, das nach Dtn 2,36 von den Israeliten eingenommen wurde, zwischen Sihon und Og aufgeteilt werden musste. Vor diesem Hintergrund wird immer wieder vermutet, dass Gilead auch südlich des Jabbok verortet werden müsse.54 Allerdings kann der Jabbok Gilead nicht in zwei Hälften teilen, da der Ausdruck weʿad Yabboq aufgrund der Kopula nicht auf „Hälfte Gileads“ bezogen werden kann und somit das Gebiet Sihons eigentlich von Aroer bis zum Jabbok reicht, wobei die „Hälfte Gileads“ nicht südlich des Jabbok liegen muss.55 Dementsprechend könnte waḥaṣî hagGilʿād sekundär ergänzt worden sein, damit die beiden Amoriterreiche aneinander geführt werden können. Durch den Zusatz waḥaṣî hagGilʿād musste man den Jabbok als Ostgrenze zu den Ammonitern definieren, wobei der Zusatz gebûl benê ʿammôn eingetragen wurde, was freilich nur eine literarische Konstruktion ist, die den historischen Gegebenheiten nicht entsprechen musste.56 Auf diese Weise wurde der Jabbok – nach Dtn 3,16 die ursprüngliche Nordgrenze des Königreiches Sihons – zur Ostgrenze, was zumindest für den Oberlauf angenommen werden konnte, auch wenn dies den historischen Realitäten zu keiner Zeit entsprach. Denn der Jabbok war historisch kaum der
53
Eine Variante dazu liegt in Num 21,24 vor. Nach COOKE 1918, 109 erstreckt sich Gilead vom Yarmuk im Norden bis zum Arnon im Süden, wobei der Jabbok das Gebiet in zwei Hälften teilt. Ähnlich auch LLOYD 1886, 182; DE VAUX 1978, 572. Nach BALLHORN 2011, 236 bildet die Teilung Gileads in zwei Hälften mit dem Jabbok als Grenzfluss die Situation Israels ab. 55 Vgl. WÜST 1975, 14. 56 Vgl. WÜST 1975, 16. Fraglich ist zudem, ob der Oberlauf ebenfalls als Jabbok bezeichnet werden konnte. 54
2. Textkritische und sprachliche Bemerkungen
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Grenzfluss der Ammoniter.57 Das Lexem gebûl wird von LXX zudem als „Grenze“ verstanden, was durch die pluralische Wiedergabe ὅρια υἱῶν Αμμων vereindeutigt wird. Fraglich ist allerdings, ob gebûl in V.2 mit „Grenze“ oder „Gebiet“ zu übersetzen ist. Da der Jabbok nicht notwendigerweise die Grenze des Ammoniterreiches ist, mag hier die zweite Übersetzung „Gebiet“ einzutragen sein.58 Diese Beschreibung des Herrschaftsgebietes von Sihon entspricht zudem Num 21,24, wo ebenfalls eine Süd-Nord-Beschreibung vom Arnon bis zum Jabbok skizziert wird, wobei das Gebiet der Ammoniter die Ostgrenze abbildet.59 Darüber hinaus wurde das gesamte Jordantal nach V.3 ausschließlich Sihon zugerechnet.60 Die Syntax von V.2–6 ist ohnehin schwierig. Gelegentlich wird vorgeschlagen, dass die V.2–5 keinen vollständigen Satz bilden, sodass erst V.6 das Prädikat dieses Abschnitts darstellt.61 Dann muss man freilich in V.2 ûmošel anstelle von mošel lesen und dementsprechend den Partizipialausdruck beiordnen und nicht als Prädikat verstehen. Ob hier die Konjunktion w aufgrund der Ähnlichkeit zum wortschließenden Konsonanten n des vorausgehenden Toponyms Heschbon ausgefallen ist, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber auch nicht zwingend geboten. Schon vor diesem Hintergrund ist es nicht nötig, dass man den schwierigen MT abändert. V.3: Zwei hebräische Handschriften lesen weʿad yām hinter wehāʿarābāh. Dies mag auf eine Kontamination durch die zweite Verwendung von weʿad yām zurückzuführen sein,62 wo demgegenüber der syndetische Satzanschluss gefordert ist. Dementsprechend muss hier MT nicht abgeändert werden. Einzelne Toponyme aus V.3 werden von den Versionen unterschiedlich übertragen. Der Ausdruck yām hāʿarābāh „Meer der Araba“63 wird von Vetus Latina zu einem mare Raba und yām hammælaḥ „Salzmeer“ zu mare Nachor. Außerdem wird von Vetus Latina und LXX im Gegensatz zu MT und Vulgata auf das nomen regens bêt vor Jeschimot verzichtet.64 Dies ist insofern auffällig, 57
Vgl. zum Problem GÖRG 1991a, 61. Anders hingegen BOLING 1982, 324, dem zufolge der Oberlauf des Jabbok von Süd nach Nord die Grenze zu den Ammonitern bildete. Nach WOUDSTRA 1981, 202 Anm.11 bezieht sich diese Angabe nicht darauf, dass der Jabbok Grenzfluss zu Ammon sei, sondern hier gehe es lediglich um das ammonitische Gebiet, das von Sihon beherrscht wurde und bis an den Jabbok reicht. 58 Vgl. SOGGIN 1982, 139. 59 Allerdings wäre auch denkbar, dass man V.2 dahingehend versteht, dass das Gebiet zwischen Arnon und Jabbok sowie die Hälfte Gileads zum Ammoniterreich gehört. Dann hätte Sihon das ehemalige Ammoniterreich beherrscht, worauf die Auseinandersetzung in Ri 11 in der Jiftacherzählung hinweist, vgl. WÜST 1975, 19f. 60 Vgl. RÖSEL 2011, 199. 61 Vgl. EHRLICH 1910, 41. 62 Vgl. BOLING 1982, 321. 63 Nach JERICKE 2020, 212 ist mit diesem Ausdruck das Tote Meer gemeint. 64 Vgl. auch HOLZINGER 1901, 46. Nach BUTLER 2014, 523 verweist das nomen regens bêt auf die Anwesenheit eines Heiligtums.
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Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
als der gleiche Ortsname in Jos 13,20 als Besimoth beziehungsweise Βαιθασιμωθ wiedergegeben wird. Die beiden Toponyme Bet-Jeschimot und Pisga werden darüber hinaus noch in Jos 13,20 erwähnt. Außerdem erinnert der Ort Bet-Jeschimot an den Lagerplatz in den Steppen Moabs nach Num 33,49, sodass hier ein priesterliches Element eingetragen sein könnte. Vor diesem Hintergrund könnte es sich um eine priesterlich geprägte Verortung handeln.65 Die Constructusverbindung dæræk Bêt hayešimôt ist zudem als direktive Angabe „in Richtung auf BetJeschimot“ wiederzugeben.66 Der Ausdruck taḥat ʾašdôt hapPisgāh „unterhalb der Abhänge des Pisga“ findet sich hingegen im Buch Deuteronomium.67 Während Nebo der Gipfel ist, scheint Pisga das dazugehörige Gebirgsmassiv zu sein.68 Die „Abhänge des Pisga“ werden von Vetus Latina, Vulgata und LXX als eigenes Toponym wiedergegeben (Asedoth Fasga / Asedothphasga / Ασηδωθ Φασγα). Allerdings hat LXXB in V.3 die seltsame Lesart Μηδὼθ, während dasselbe Lexem in V.8 mit ᾿Ασηδὼθ transliteriert wird.69 Die geographische Beschreibung in V.3 ist vermutlich weitgehend aus Dtn 3,17 entlehnt. Offenbar sollen mit beiden Toponymen Bet-Jeschimot und Pisga die priesterliche und die dtn. Tradition zusammengeführt werden. Darüber hinaus wird die Richtungsangabe mittêmān von Vetus Latina und LXX als Toponym Teman übertragen, was aber auszuschließen ist, da Teman entweder eine alternative Bezeichnung für Edom70 oder eine Region in Arabien ist. Beide Verortungen, die in den Süden weisen, können in V.3 jedoch nicht im Blick sein.71 Hier ist wohl eine Richtungsangabe ähnlich wie schon zuvor mizrāḥāh im Blick. Da mittêmān zudem im Paralleltext Dtn 3,17 fehlt,72 könnte es sich um einen erklärenden Zusatz handeln. Die Präposition min hat zudem separative und nicht direktive Bedeutung, sodass man mittêmān nicht im Sinne von „südwärts“ wiedergeben,73 sondern eine separative Richtungsangabe „von Süden her“ bevorzugen sollte. V.4: Vetus Latina und LXX verzichten auf die Wiedergabe von gebûl und verbessern auf diese Weise die schwierige Syntax des MT.74 Dementsprechend 65
Vgl. HOLZINGER 1901, 47. Vgl. WOUDSTRA 1981, 202 Anm.12. Der Ort Bet-Jeschimot wird in der Regel mit Tell el-ʿAḏēme (2088.1322) identifiziert, vgl. GASS 2009, 185 Anm.951. 67 Dtn 3,17; 4,49. 68 Vgl. GRAY 1986, 120; KNAUF 2008, 122. 69 Vgl. hierzu auch BOLING 1982, 321. 70 Vgl. DE VAUX 1969, 385; DOZEMAN 2015, 486. 71 Vgl. SOGGIN 1982, 139. PITKÄNEN 2010, 238 erwägt ein Toponym Teman unterhalb der Abhänge des Pisga. 72 Vgl. BUTLER 2014, 523. 73 Vgl. GASS 2019b, 306. 74 Vgl. zu dieser Änderung COOKE 1918, 110; MILLER/TUCKER 1974, 96; SOGGIN 1982, 139. Nach VAN BEKKUM 2011, 122 sei dies ein „harmonizing reading“. 66
2. Textkritische und sprachliche Bemerkungen
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ist V.4 eine Fortsetzung von V.2, wobei V.4 von V.1 wayyiršû abhängig ist.75 Hinzu kommt, dass es in Jos 12 in erster Linie um die Unterwerfung von Königen, nicht aber von Gebieten geht.76 Somit ist der Ausdruck ûgebûl auch inhaltlich problematisch. Möglicherweise liegt mit ûgebûl eine Kontamination aus den umgebenden V.2 und V.5 vor,77 wo das Lexem gebûl ebenfalls prominent genannt wird. Demnach ist es durchaus wahrscheinlich, dass ûgebûl ein redaktioneller Nachtrag des MT ist, der mit LXX zu streichen wäre.78 Jedenfalls ist das Nomen gebûl in V.4 ausweislich des Kontextes nicht mit „Grenze“, sondern wohl eher mit „Gebiet“ zu übersetzen,79 wenn man den MT beibehalten möchte. Bisweilen wird vermutet, dass das Lexem ûgebûl von MT falsch auf V.4 bezogen wurde, zumal ûgebûl besser zur vorherigen Gebietsbeschreibung passt.80 Denn dort könnte sich ûgebûl „und das Uferland“ auf die zuvor genannten ʾašdôt hapPisgāh „Bergflüsse Pisgas“ beziehen.81 Ein späterer Redaktor hätte dann aufgrund von V.2–3 den eigentlichen syntaktischen Anschluss von V.4 an V.1 nicht mehr erkannt.82 Eine befriedigende Entscheidung, wie man mit dem schwierigen Ausdruck ûgebûl angemessen umgehen kann, ist kaum noch möglich. Vermutlich ist ûgebûl sekundär eingedrungen, als sich der Schwerpunkt weg von den Königen hin zu deren Gebieten verschoben hat. Während die Gebietsbezeichnung Baschan von LXXB in V.4 mit Βασὰ wiedergegeben wird, wird in V.5 die korrekte Transliteration Βασὰν verwendet,83 ohne dass für diesen Wechsel ein Grund angegeben werden kann. Der ostjordanische König Og wird stets mit der Region des Baschan verbunden und meist auch als mælæk habBāšān bezeichnet.84 Während Sihon traditionell als Amoriterkönig verstanden wird, ist dies für Og nur in wenigen Belegen der Fall,85 vor allem dann, wenn das ostjordanische Verheißungsland den zwei Amoriterkönigen Sihon und Og zugewiesen wird. Die erfolgreiche Unterwerfung der
75
Vgl. zur Syntax KEIL 1847, 229; DILLMANN 1886, 502; LLOYD 1886, 184. Vgl. SOGGIN 1982, 139; DOZEMAN 2015, 486. 77 Vgl. BOLING 1982, 321. 78 Vgl. STEUERNAGEL 1901, 198; HOLMES 1914, 54; NOTH 1971a, 66; GÖRG 1991a, 61; RÖSEL 2011, 199. Nach BUTLER 2014, 523 bietet MT die lectio difficilior, die beibehalten werden kann. 79 Vgl. VAN BEKKUM 2011, 122. Nach MITTMANN 1991, 40–44 ist ûgebûl stets mit „und zwar die Grenze“ zu übersetzen. 80 Vgl. BARTHELEMY 1982, 21f.; FRITZ 1994, 127f.; NELSON 1997, 158. 81 Vgl. EHRLICH 1910, 41. 82 Vgl. NOTH 1971a, 66. 83 Vgl. BOLING 1982, 321. 84 Num 21,33; 32,33; Dtn 1,4, 3,1.3.11; 4,47; 29,6; Jos 9,10; 13,30; 1Kön 4,19; Neh 9,22; Ps 135,11; 136,20. 85 Dtn 4,47; 31,4; Jos 2,10; 9,10. 76
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beiden Amoriterkönige Sihon und Og ist zudem nach Dtn 3,21–22 ein verheißungsvolles Zeichen für Josua, dass auch die Landnahme im Westjordanland gelingen wird. Vermutlich hat sich Og, der König vom Baschan, der historisch überhaupt nicht mehr greifbar ist, erst sekundär an den Amoriterkönig Sihon angelagert.86 König Og wird in V.4 zudem noch nicht als Amoriter, sondern als Refaiter bezeichnet. Erst als Og mit Sihon parallelisiert wurde, ist aus Og ein Amoriterkönig geworden.87 Immer wieder wird vermutet, dass die Sagengestalt Og vielleicht auf einem Sarkophagtext aus Byblos belegt sei, der in das 6./5. Jahrhundert v. Chr. zu datieren ist.88 Allerdings ist die Lesart Og nicht über jeden Zweifel erhaben. Gegen eine Verbindung zu Og spricht nämlich die Determination mit Artikel, die bei Eigennamen an sich nicht üblich ist. Auch die betonte Voranstellung des Subjektes ist ungewöhnlich. Vielleicht ist daher eher ʿṣmy hʿgzt „meine verrottenden Knochen“ zu lesen.89 Unabhängig von diesem eher unwahrscheinlichen phönizischen Beleg kann der Name Og durchaus einen semitischen Ursprung haben. Der vergleichbare qatabanische Sippenname ʿAygān kann nämlich von arabisch ʿāğa „zufrieden sein“ hergeleitet werden. Außerdem wäre eine Ableitung von arabisch ʿawiğa oder äthiopisch ʿogä „krumm sein“ ebenfalls denkbar.90 Darüber hinaus wird Og bisweilen von einer Wurzel ʿōG „rund sein“ abgeleitet.91 Dann würde der Name vielleicht auf die Körperfülle anspielen und den Namensträger als „Kugel“ verspotten. Die Lokalisierung des Königs Og in Aschtarot und Edrei ist vermutlich aus Dtn 1,4 entnommen und in Jos 13,12 variiert worden.92 Allerdings wäre auch das umgekehrte Abhängigkeitsverhältnis möglich, dass nämlich Jos 12 die Parallele in Dtn 1,4 beeinflusst hätte. Hier kommt man über Vermutungen nicht mehr hinaus. Der Ort Edrei, wo der Amoriterkönig Og nach Dtn 3,1–7 von den
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Vgl. RENDTORFF 1995, 202, der Og als eine Art „Mitläufer“ bezeichnet. Vgl. KNAUF 1990, 136. 88 Vgl. Byblos 13:2: hʿg ytbqšn hʾdr „der Og wird mich rächen, der Mächtige“, vgl. SPRONK 1986, 210f.; KNAUF 1990, 135; HÜBNER 1993, 89 Anm.15. Zu den syntaktischen Problemen vgl. aber schon RÖLLIG 1974, 5f. 89 Vgl. CROSS 1979, 41f.; QUICK 2017, 170f. Vgl. zu dieser Lesart auch KAI 280:2. 90 Vgl. KNAUF 1990, 136. 91 Vgl. NOEGEL 1998, 413f., der zusätzlich auf das südsemitische Wort ġwg „Mensch“ oder die semitische Wurzel ʿGY „schwätzen, schimpfen“ hinweist. Vermutlich lassen sich für Og die unterschiedlichsten volksetymologischen Erklärungen geben. Eine Etymologie von Og ist zwar schwierig, vgl. auch DEL OLMO LETE 1995, 1204, aber eine nichtsemitische Etymologie von einem hethitisch-luwischen Wort ḫuḫḫa beziehungsweise lykisch kuga, vgl. MENDENHALL 1973, 160, ist nicht nötig. 92 Anders KELLERMANN 1981, 47, dem zufolge Dtn 1,4, Jos 13,12.31 und wohl auch Jos 9,10 aus V.4 herzuleiten seien. 87
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Israeliten besiegt wurde, wird jedenfalls neben Aschtarot zu einer weiteren Residenz Ogs.93 Offenbar sollte der Machtbereich Ogs durch den Hinweis auf zwei Residenzorte zusätzlich gesteigert werden.94 Redaktionell wollte man den Einflussbereich des sagenhaften Königs des Baschan ausweiten, um den Sieg des Mose über einen mächtigen Gegner besonders hervorzuheben. Bisweilen wird vermutet, dass die Verbindung von Og zu den beiden Orten Aschtarot und Edrei durchaus traditionell sein könnte, da die Refaiter in KTU 1.108:3 vielleicht ebenfalls mit diesen Orten verbunden werden.95 In Aschtarot und Edrei residierte demnach der tote und vergöttlichte König Og als Totengeist, sodass die Verortung Ogs in Aschtarot und Edrei auf ein Elysium hinweisen könnte.96 Allerdings ist die Lesart von ʿṯtrt und hdrʿy als Aschtarot und Edrei philologisch problematisch,97 sodass KTU 1.108:3 nicht für die weitere Diskussion herangezogen werden kann.98 Das Ethnonym hāRefāʾîm wird von LXX mit ἐκ τῶν γιγάντων übersetzt. Offenbar wurden die Refaiter als riesenhafte Vorbevölkerung verstanden, worauf schon Dtn 3,11 mit der Angabe des riesigen Bettes des Og hinweist.99 Somit gelten die Refaiter als Giganten und mächtige Krieger.100 Allerdings wird königliche Größe gerne auch in physischen Ausmaßen ausgedrückt,101 sodass mit der besonderen Größe von Og, dem Refaiter, in V.4 ein königliches Attribut im Blick ist. Wie die Anakiter aus Jos 11,21 sind auch die Refaiter eine besonders mächtige Gruppierung, die von den Israeliten ausgeschaltet werden musste. Die Bezeichnung Refaiter ist in der Bibel meist nicht ethnisch zu verstehen. Oft wird aufgrund einer etymologischen Ableitung von der Wurzel RPʾ „heilen“ vermutet, dass die Refaiter als Heilgötter zu deuten seien. Ausweislich des Namens scheint es sich somit um Todesschatten zu handeln,102 was bestens zu einer bereits verschwundenen Vorbevölkerung passen würde. Bei den Refaitern handelt es sich um Heroen mit einem entsprechenden Totenkult.103 Im spätbronzezeitlichen Ort Ugarit waren die Refaiter die verstorbenen königlichen Ahnen, die 93
Vgl. KELLERMANN 1981, 48. Vgl. hierzu auch COLESON 2012, 114. 95 Vgl. POPE 1981, 171f. 96 Vgl. DEL OLMO LETE 1995, 1204f. 97 Vgl. QUICK 2017, 168f. 98 Die Refaiter werden vor allem im Ostjordanland verortet, und zwar in den beiden Orten Aschtarot und Edrei, vgl. NOORT 1987, 128, auch wenn es westlich von Jerusalem ein Refaimtal gibt, vgl. COOKE 1918, 110f. Zu einer Verortung der Refaiter im Hauran seit dem 2. Jt. v. Chr. vgl. KNAUF 2008, 122. 99 Vgl. HERTZBERG 1985, 84; QUICK 2017, 167f. 100 Vgl. HESS 1996a, 246. 101 Vgl. auch SURIANO 2010, 158; DOZEMAN 2015, 498. 102 Vgl. MENDENHALL 1973, 160; POPE 1981, 169; GRAY 1986, 121; NOORT 1987, 127; HESS 2007, 294. 103 Vgl. KNAUF 1990, 136. 94
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in der Götterwelt eine aktive Rolle im politischen und religiösen Leben am Königshof von Ugarit spielten.104 Bisweilen wird vermutet, dass König Og aufgrund seiner Verbindung mit den Refaitern zunächst eine Unterweltsgottheit war, die man aber zu einem diesseitigen Herrscher im Ostjordanland umwandelte, damit man diesen erfolgreich bekämpfen konnte.105 Aber diese Deutung ist nicht gesichert. Die Präpositionalverbindung miyyætær hāRefāʾîm wird von LXX zudem mit einem finiten Verb wiedergegeben (ὑπελείφθη ἐκ τῶν γιγάντων). Der Ausdruck miyyætær hāRefāʾîm ist darüber hinaus noch in Dtn 3,11 und Jos 13,12 zu finden. Der partitive Ausdruck miyyætær betont, dass Og der bereits stark reduzierten Gruppe der Refaiter zuzurechnen ist. Er ist somit nicht der Letzte der Refaiter.106 Refaiter mag es auch noch nach Og geben, mit denen man sich auseinandersetzen muss, da Og noch nicht der letzte Refaiter war. Demnach muss man nicht davon ausgehen, dass die mythische Institution der königlichen Vorfahren, die dem irdischen Königtum kosmologische Unterstützung zusicherten, mit der Vernichtung von Og endgültig ausgeschaltet wäre.107 V.5: Von Vetus Latina wird das singularische Partizip mošel als Plural principes wiedergegeben, ohne dass hierfür ein Grund angegeben werden kann. Möglicherweise ist im Gegensatz zu MT beim syndetisch gefügten ûmošel wie in V.2 die Konjunktion w zu streichen, wofür auch die Lesart der LXX sprechen könnte.108 Bisweilen wird mošel als harmonisierende Glosse gewertet.109 Das Ethnonym Gešûrî wird von LXXB und Vetus Latina als Girgaschiter übertragen (Γεργεσεὶ beziehungsweise Gargasi) und damit als feindliche Vorbevölkerung verstanden, die dem Bann verfallen ist.110 Für diese Änderung gibt es aber ebenfalls keine hinreichende Begründung. Der Herrschaftsbereich des Amoriterkönigs Og wird ähnlich wie in Jos 13,11 aus verschiedenen Angaben, die auch in Dtn 3 zu finden sind, zusammengestellt. Die Gesamtheit des Baschan und der Ort Salcha111 stammen 104
Vgl. SURIANO 2010, 151–154. Vgl. RÖLLIG 1974, 6; HÜBNER 1993, 90. 106 Vgl. COLESON 2012, 114. 107 So aber noch DOZEMAN 2015, 498. 108 Vgl. HOLMES 1914, 54. 109 Vgl. BENJAMIN 1921, 46. 110 Nach BOLING 1982, 321 ist „Girgasiter“ aber eine fehlerhafte Lesart. 111 Der Ort Salcha wird meist aufgrund des Namensanklangs mit Ṣalḫad (3110.2120) im südlichen Hauran gleichgesetzt, vgl. BOLING 1982, 325; SOGGIN 1982, 142; GRAY 1986, 120; FRITZ 1994, 131; HESS 1996a, 247; NELSON 1997, 160 Anm.5; KNAUF 2008, 122; ZIESE 2008, 251 Anm.165; RÖSEL 2011, 200; BUTLER 2014, 530. Dies ist aber aufgrund der östlichen Lage von Ṣalḫad weder geographisch sinnvoll, noch sprachlich möglich, zumal nur ein gemeinsamer Konsonant zwischen Salcha und Ṣalḫad festzustellen ist, vgl. KELLERMANN 1981, 48. Auch nach DOZEMAN 2015, 487 ist diese Identifizierung lediglich „tentative“. Kritisch hierzu schon NOTH 1971f, 351 Anm.13; NOTH 1971g, 524 Anm.89. Hinzu kommt, dass über den archäologischen Befund von Ṣalḫad nichts bekannt ist. 105
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aus Dtn 3,10, während das Hermongebirge aus Dtn 3,8 entnommen wurde. In Dtn 3,10 werden Salcha und Edrei zudem als Städte des Amoriterkönigs Og genannt. Da in V.5 verschiedene geographische Angaben (Gebirge Hermon,112 Ort Salcha und Landschaft Baschan) miteinander verbunden werden, scheint es sich hierbei um eine sekundäre Zusammenstellung zu handeln. Diese Toponyme sind zwar syntaktisch mit der Präposition b einheitlich angeordnet, aber ein inhaltliches Ordnungsprinzip ist nicht zu erkennen.113 Die Gebiete der Geschuriter und Maachiter verdanken sich schließlich dem Hinweis in Dtn 3,14.114 Es hat somit den Anschein, dass 5a eine redaktionelle Zusammenstellung aus Ortsangaben ist, die der Redaktor aus Dtn 3,8.10.14 genommen hat. Möglicherweise ist vor dem Ausdruck gebûl Sîḥôn mælæk Ḥæšbôn „Gebiet Sihons, des Königs von Heschbon“ eine Präposition ʿad „bis“ zu ergänzen,115 worauf auch die Lesarten von einigen griechischen Handschriften hinweisen. Diese Präposition mag aufgrund von Haplographie im MT entfallen sein.116 Allerdings kann die Ergänzung von ʿad aber auch auf Dittographie direkt hinter der geographischen Bezeichnung Gilʿād zurückgehen.117 MT ist zumindest die lectio difficilior. Darüber hinaus ist die Syntax von V.5 schwierig, da 5b doppeldeutig ist. Entweder wird hier der Ausdruck waḥaṣî hagGilʿād im Sinne von „aber die Hälfte Gileads (ist) Gebiet Sihons“ zum Gebiet Sihons hinzugerechnet. Der Ausdruck „Halb-Gilead“ würde sich somit nicht auf Og, sondern auf Sihon beziehen.118 Insofern wäre es auch denkbar, dass der Ausdruck gebûl Sîḥôn mælæk Ḥæšbôn eine Apposition zu Halb-Gilead sein könnte.119 Eine bessere Alternative hierzu wäre es aber, dass die Hälfte Gileads, und zwar der nördliche Teil, zu Og gehört und dieser Teil den gebûl Sîḥôn „(Grenz)gebiet zu Sihon“ bildet.120 Dementsprechend könnte die südliche Hälfte von Gilead zu
112 Vermutlich hat LXX behar zu mehar verlesen (ἀπὸ ὄρους Αερμων), vgl. BENJAMIN 1921, 46. Da auf dem Hermon Götter residierten, gilt das Hermongebirge lediglich als Grenzpunkt, den man nicht effektiv beherrschen musste, vgl. KNAUF 2008, 122. 113 Vgl. WÜST 1975, 29. 114 Entgegen HESS 1996a, 247 werden in V.5 nicht Gebietsnamen Geschur und Maacha, sondern Gentilizia verwendet, die sich als nomina recta hinter gebûl fügen. Nach COLESON 2012, 114 reicht das Gebiet des Amoriterkönigs Og nicht bis an den See Gennesaret, da noch Geschur und Maacha dazwischen liegen. 115 Vgl. STEUERNAGEL 1901, 198; MILLER/TUCKER 1974, 96; FRITZ 1994, 128. 116 Vgl. HOLZINGER 1901, 46; STEUERNAGEL 1901, 198; EHRLICH 1910, 41; HOLMES 1914, 54; NOTH 1971a, 66; BOLING 1982, 321; SOGGIN 1982, 139; NAʾAMAN 2006a, 20; RÖSEL 2011, 200; BUTLER 2014, 523. Dagegen aber WÜST 1975, 29 Anm.94. 117 Vgl. NELSON 1997, 158. Vgl. auch BARTHELEMY 1982, 22. 118 Vgl. zum Problem NELSON 1997, 161. 119 Vgl. HARSTAD 2004, 475. 120 Vgl. WÜST 1975, 29f. Ähnlich GERMANY 2021, 150, dem zufolge hier das Gebiet Ogs im Blick ist.
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Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
Sihon und die nördliche Hälfte zu Og gehört haben, wobei sich das Territorium von Sihon aufgrund von V.3 auch auf den Jordangraben erstreckt.121 Der Abschnitt, der die Gebiete der beiden Amoriterkönige Sihon und Og in V.2–5 vorstellt, beginnt und endet auffälligerweise mit einem Hinweis auf Sihon, wodurch diese Gebietsbeschreibung gerahmt wird. Vielleicht ist demnach aus formalen Gründen eine uneindeutige Gebietsbeschreibung redaktionell geschaffen worden. Hier kommt man über Vermutungen kaum noch hinaus. V.6: Vulgata gibt das enklitische Personalpronomen bei wayyittenāh mit dem Ausdruck terram eorum wieder und vereindeutigt damit die Aussage, da auf diese Weise unterstrichen wird, dass das Land der beiden zuvor genannten ostjordanischen Amoriterkönige nicht nur erobert, sondern auch tatsächlich verteilt wurde. Während sich das enklitische Personalpronomen auf das zuvor in V.1 beschriebene Land bezieht, ist das Subjekt des Satzes vermutlich Mose, der das Land an die zweieinhalb ostjordanischen Stämme verteilt hat.122 Außerdem verzichten Vulgata und LXX auf eine zweite Nennung von famulus Domini hinter Mose und verkürzen somit den redundanten MT.123 Dies könnte auf Haplographie zurückzuführen sein, vor allem wenn das Auge des Abschreibers von einem wortschließenden h zum nächsten abirrte.124 Möglicherweise ist aber auch die zweite Erwähnung von ʿæbæd YHWH – wie auch andernorts im Josuabuch – eine sekundäre Eintragung des MT, die durch den Kontext motiviert wurde.125 Zwar lässt sich eine definitive Entscheidung kaum noch treffen, aber angesichts dieser Beobachtung ist nicht auszuschließen, dass an V.6 redaktionell gearbeitet wurde. Die Verwendung des Titels ʿæbæd YHWH für Mose könnte zudem auf das Thema Gehorsam zurückgreifen. Die Observanz der göttlichen Befehle wurde darüber hinaus in Jos 11 prominent betont. Als Diener YHWHs hat Mose bei der Eroberung des Ostjordanlandes alle göttlichen Befehle getreu befolgt. Diese Rolle übernimmt schließlich ab V.7 sein Nachfolger Josua.126 Bei den Gentilizia wird von Vetus Latina im Gegensatz zu MT ein benê ergänzt (filiis Ruben et Gad) und damit an die ansonsten gebräuchliche Redeweise angepasst. Es hat den Anschein, dass Gentilizia vor allem in späteren
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Vgl. NELSON 1997, 161. Nach HARSTAD 2004, 475f. könnte YHWH das Subjekt sein, der durch Mose spricht. 123 Vgl. VAN BEKKUM 2011, 122. VAN DER MEER 2004, 185 vermutet, dass LXX aus stilistischen Gründen auf diese Redundanz verzichtet habe. Peschitta kürzt sogar zusätzlich die zweite Erwähnung von Mose, vgl. HOLZINGER 1901, 46. 124 Vgl. BOLING 1982, 321: MŠ[H ʿbd YHW]H. 125 Vgl. hierzu auch BIEBERSTEIN 1995, 85; DE TROYER 2018, 136. Nach ORLINSKY 1969, 193; GREENSPOON 1983, 310 hatte vermutlich schon die hebräische Vorlage nicht den Zusatz ʿæbæd YHWH. LAUGHLIN 2015, 159 geht hingegen von einer Dittographie aus. 126 Vgl. hierzu HOWARD 1998, 279. 122
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redaktionellen Texten verwendet werden.127 Ausweislich des Gebrauchs von Gentilizia wird Jos 12 zudem an den Anfang und das Ende des Josuabuches angeglichen,128 während in der Regel Reʾûben oder Constructusverbindungen mit benê im Josuabuch verwendet werden. V.7: Nach LXXB und Vetus Latina sind hier nicht die Könige des Landes, sondern die Könige der Amoriter im Blick (οἱ βασιλεῖς τῶν Αμορραίων beziehungsweise reges Amorreorum).129 Vermutlich wird das Lexem ʾæmorî in Jos 12 unterschiedlich konnotiert, zum einen in Bezug auf die ostjordanischen Amoriterkönige Sihon und Og und zum anderen in Bezug auf die amoritische Vorbevölkerung im westjordanischen Verheißungsland. Allerdings ist die Lesart von MT aufgrund von 7b ursprünglich, da sich das enklitische Personalpronomen hinter wayyittenāh eigentlich nur auf hāʾāræṣ beziehen kann.130 Bei der Lesart von LXXB und Vetus Latina würde dieser Bezugspunkt fehlen. Während in Jos 9,1 noch lediglich von melākîm die Rede war, sind jetzt malkê hāʾāræṣ im Blick.131 Auffällig ist die vergangenheitliche Verbalform wayyittenāh, die den Eindruck erweckt, dass die Landverteilung bereits abgeschlossen ist, obschon diese eigentlich erst in Jos 13–19 berichtet wird.132 Insofern schließt die Landverteilung in Jos 13–19 nicht nahtlos an Jos 12 an.133 Hier wird folglich bereits das gesamte Wirken Josuas zusammengefasst und dem Vorbild des Mose gegenübergestellt, sodass die Landnahme mit der Verteilung des Westjordanlandes bereits abgeschlossen ist. Eine ausführliche Beschreibung der Landverteilung ist somit nicht mehr zwingend notwendig. Durch die Parallelisierung der beiden Teile des Verheißungslandes werden Ost- und Westjordanland zudem als untrennbare Einheit gesehen.134 Da Josua zudem nicht für den Sieg über die ostjordanischen Amoriter verantwortlich ist, hat LXXA in V.7 fälschlicherweise Mose als Subjekt neben die Söhne Israel eingesetzt. Außerdem wird die Richtungsangabe yāmmāh von LXX mit dem folgenden Toponym Baalgad verbunden (παρὰ θάλασσαν Βααλγαδ). Darüber hinaus hat Vetus Latina hinter Jordan ein Plus (in Macho 127
Vgl. GASS 2021a, 175. Jos 1,12; 13,8; 22,1. 129 Nach BUTLER 2014, 523 seien die hebräischen Wörter ähnlich, was zu deren Verwechslung führte. Allerdings haben beide Wörter nur zwei gleiche Konsonanten und zwar an jeweils unterschiedlicher Position, sodass ein Abschreibefehler eher unwahrscheinlich ist. 130 Vgl. STEUERNAGEL 1901, 198; COOKE 1918, 111; BOLING 1982, 321. 131 Vgl. auch AULD 2005, 171. 132 COLESON 2012, 116 weist darauf hin, dass zur Zeit der Abfassung des Textes die Landverteilung bereits geschehen ist. Dies ist aber nur eine Verlegenheitslösung für dieses Problem. 133 Anders hingegen WÉNIN 2012, dem zufolge Jos 12 auf die Ereignisse vor dem Josuabuch zurückblickt und auf die Landverteilung proleptisch vorausblickt. Nach EDERER 2017, 191 markiert Jos 12 nicht das Ende, sondern die Mitte des Josuabuches. 134 Vgl. EDERER 2017, 192. 128
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et dimidium Galaad),135 wobei hier vermutlich auf V.5 zurückgegriffen wird. Die Richtungsangabe yāmmāh wird ebenfalls missverstanden (iuxta mare Balladon). Außerdem gibt Vetus Latina das Nomen yeruššāh als Infinitiv possidere wieder. Trotz dieser Änderungen ist MT gut verständlich und muss nicht verbessert werden. Von Vulgata wird das determinierte Adjektiv hæḥālāq nicht übertragen (cuius pars ascendit in Seir) und die Syntax des MT leicht variiert, ohne dass damit aber ein merklicher Bedeutungswandel verbunden ist. LXX belegt zwar das Adjektiv hæḥālāq, deutet dieses aber ähnlich wie Vetus Latina offenbar als Toponym (Χελχα / Chelga). Insofern ist auch hier MT beizubehalten. Die Präpositionalverbindung kemaḥleqotām „nach ihren Abteilungen“ beziehungsweise „nach ihren Landanteilen“ wird von vielen hebräischen Handschriften variiert, indem gerne die Präposition b verwendet wird,136 was aufgrund der Ähnlichkeit der beiden hebräischen Konsonanten כund בdurchaus möglich ist. Der Ausdruck kemaḥleqotām findet sich schon in Jos 11,23, wo er möglicherweise eine priesterliche Ergänzung ist.137 Auch dort wird in der Textüberlieferung zwischen beiden Präpositionen k und b abgewechselt. Fraglich ist, auf was sich der Ausdruck kemaḥleqotām tatsächlich bezieht. Da das Land verteilt wird – ausgedrückt mit der Wurzel ḤLQ –, könnten hier die einzelnen verteilten Regionen des Landes im Blick sein.138 Dementsprechend müsste diese Präpositionalverbindung mit „nach ihren Landanteilen“ zu übertragen sein,139 wobei es sich um die Landanteile der einzelnen Stämme handelt, zumal sich das pluralische enklitische Personalpronomen auf die zuvor genannten šibṭê Yiśrāʾel beziehen wird. Offenbar wollte man betonen, dass die Stämme Israels ihren Landanteil nur aus dem verbliebenen Land erhalten haben, sodass man nicht auf das bereits vergebene Ostjordanland zugreifen durfte. Allerdings könnte das pluralische enklitische Personalpronomen auch so zu deuten sein, dass es sich um die jeweiligen „Abteilungen“ der zuvor genannten šibṭê Yiśrāʾel handelt. Dann wäre die Gliederung der Stämme in einzelne Abteilungen im Blick. Mit der Verteilung des Westjordanlandes an die šibṭê Yiśrāʾel durch Josua wird zudem implizit ausgedrückt, dass die zweieinhalb ostjordanischen 135 Zu diesem Plus, das in griechischen Handschriften ebenfalls belegt ist, vgl. BILLEN 1927, 108f. 136 Vgl. DILLMANN 1886, 502; HOLZINGER 1901, 46. Nach BOLING 1982, 321 gibt es zwei Handschriften, die stattdessen die Präposition l verwenden. 137 Nach RUDOLPH 1938, 211 Anm.2 sei 7b als Analogie zu 6b nachträglich aus Jos 11,23 eingefügt worden, auch wenn dort der Begriff naḥalāh anstelle von yeruššāh verwendet wird. Nach DE VOS 2003, 299 findet sich dieser Ausdruck vor allem in Nehemia und den Chronikbüchern, wo sich diese Bezeichnung vor allem auf die Abteilungen des Tempelpersonals bezieht. 138 Vgl. PITKÄNEN 2010, 241. 139 Vgl. zu diesem Ausdruck auch GASS 2019b, 113f.
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Stämme offenbar nicht zu Israel gehören, obwohl sie nach V.7 als ein Teil der benê Yiśrāʾel an der Landeroberung beteiligt waren.140 Mit V.7 wird zudem die Liste der von Josua unterworfenen westjordanischen Stadtkönige eingeleitet.141 V.8: Um die geographischen Angaben in V.8 besser zu gliedern, ergänzt Vulgata am Anfang eine Konstruktion mit tam…quam (tam in montanis quam in planis atque campestribus) und führt dann die Liste durch Transkriptionen und Übersetzungen relativ frei fort (in Aseroth et solitudine ac meridie). Dies dürfte aber nicht auf den ursprünglichen Text zurückgehen. Denn MT konstruiert die sechs geographischen Bezeichnungen einheitlich mit der Präposition b. Das schwierige Lexem ʾašedôt wird zudem als Toponym von LXX und Vulgata transkribiert (Ασηδωθ / Aseroth). Vetus Latina denkt bei der geographischen Bezeichnung ʾašedôt sogar an Heschbon, den Regierungssitz des Amoriterkönigs Sihon (Esebon), und überträgt die Ortsangabe Negev mit Nazeb. Bei den Gebietsbeschreibungen wird vor allem die Trias har – šefelāh – nægæb verwendet.142 Möglicherweise wurde in V.8 die Landesgliederung Jos 11,16 verwendet (har – nægæb – šefelāh – ʿarābāh), wobei aber das Land Goschen gestrichen, die ašedôt aus Jos 10,40 nachgetragen und der midbār „Wüste (Judas)“ am Ostabfall des Gebirges Juda ergänzt wurde.143 Da sich Juda nach Jos 15,61–62 auch in die judäische Wüste erstreckte, musste dieser Bereich ebenso eingetragen werden. Die territoriale Beschreibung des Verheißungslandes in Jos 1,4 erwähnt ebenfalls ganz selbstverständlich die Wüste. Vielleicht ist midbār ergänzt worden, um auch die Anzahl der geographischen Bezeichnungen wie bei der Völkerliste auf sechs zu erhöhen.144 Auch wenn sich die sechs territorialen Begriffe har – šefelāh – ʿarābāh – a ʾ šedôt – midbār – nægæb vor allem auf den Süden des Landes beziehen, können die erst genannten Elemente har – šefelāh – ʿarābāh auch im Norden des Landes gefunden werden,145 sodass sich diese Beschreibung auf das gesamte Verheißungsland ausdehnen lässt. Die Bezeichnung har bezieht sich auf das gesamte Bergland, šefelāh bezeichnet dann das westlich vorgelagerte Hügelland und ʿarābāh ist die westliche Seite des Grabenbruchs. Im südlichen Bereich werden schließlich noch die östlichen Abhänge (ʾašedôt) und die judäische Wüste 140
Vgl. zu dieser Ambivalenz BALLHORN 2011, 239f. Vgl. JERICKE 2001, 129. 142 Dtn 1,7, Jos 10,40; 11,16. Daneben gibt es aber auch noch eine Beschreibung des zukünftigen Gebiets von Juda in sechs Teilen, vgl. TALMON 1977, 466, dem zufolge die Langformel zu einer Trias abgekürzt werden konnte. 143 Vgl. STEUERNAGEL 1901, 198. Nach TALMON 1984, bezeichnet das Lexem midbār (halb)trockene Gebiete, die aufgrund ihrer Wasserarmut nicht für landwirtschaftliche Nutzung oder feste Ansiedlung genutzt werden können. Lediglich als Weideland kommen diese Regionen in Frage. 144 Vgl. WAZANA 2013, 199. 145 Vgl. SIMONS 1959, 277. Nach JERICKE 2020, 49 bezieht sich der Ausdruck hāhār auf das Gebirge Judas und Benjamins. 141
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(midbār) sowie das Südland (nægæb) ergänzt. Dementsprechend werden in V.8 zunächst die drei Bezeichnungen gewählt, die für das gesamte Verheißungsland typisch sind, während im Anschluss noch die spezifischen Elemente des Südens ergänzt werden. Vor diesem Hintergrund ist die Auswahl wie auch die Anordnung des MT durchaus logisch und verständlich. In der Liste der Vorbevölkerung fehlen die Girgaschiter,146 die aber möglicherweise bereits in V.5 genannt wurden, worauf LXXB und Vetus Latina hinweisen, auch wenn MT in V.5 stattdessen Geschuriter liest.147 Zumindest der Übersetzer der LXX sah hier offenbar keinen Bedarf mehr, die Girgaschiter in V.8 wiederum zu erwähnen. Demgegenüber könnte aber auch der Langtext einiger griechischer Handschriften, die die Girgaschiter erwähnen, ursprünglicher als MT sein, da es auch andernorts keine Hinweise gibt, dass diese griechischen Übersetzer den kürzeren Text des MT aufgefüllt haben.148 Insgesamt scheint es aber, dass in diesen griechischen Handschriften die Girgaschiter aufgrund von V.5 auch in V.8 zusätzlich ergänzt wurden. Auf diese Weise wurde auch die formale Anordnung des MT mit sechs Landesregionen und sechs Völkern zerstört. Insgesamt werden in V.8 im MT nämlich sechs geographische Angaben und sechs Völker genannt. Dementsprechend scheint hier bewusst mit der Zahl zwölf Vollständigkeit angezielt zu sein,149 wobei zudem ausgewogen zwischen Land und Vorbevölkerung argumentiert wird. Für die Girgaschiter ist somit kein Platz. Insofern erklärt sich auch die Auslassung der Girgaschiter. Hinzu kommt, dass eine Sechserliste der Vorbevölkerung ohne die Girgaschiter auch ansonsten durchaus gebräuchlich ist.150 Die Listen mit jeweils sechs Völkern haben zu Beginn fast immer die Trias Hetiter – Amoriter – Kanaanäer, auch wenn deren Anordnung wechseln kann. Der zweite Teil der Sechserliste weist hingegen fast immer die Abfolge Perisiter, Hewiter, Jebusiter auf, sodass man bei den unbekannteren Völkern ein festes Schema verwendete, während man bei den großen Völkern variieren konnte.151 Die Liste der Vorbevölkerung entspricht zudem Jos 11,3, wenn auch in anderer Reihenfolge und ohne zusätzliche Ergänzungen.152 Bisweilen wird vermutet, dass vor der Liste der Vorbevölkerung noch das Lexem ʾæræṣ „Land“ zu ergänzen wäre,153 sodass es hier nicht um Völker, sondern um die von den ursprünglichen Bewohnern besiedelten Gebiete geht.
146
Vgl. LLOYD 1886, 188. Vgl. zum Problem AULD 2005, 171. 148 Vgl. TREBOLLE BARRERA 2008, 458. 149 Vgl. HOWARD 1998, 280; EDERER 2017, 193. 150 UEHLINGER 2000, 185 hält die Sechserliste für „a more or less fixed concept in spite of variations in its internal ordering“. 151 Vgl. GASS 2012, 338. 152 Vgl. auch GÖRG 1991a, 62. 153 Vgl. YOUNGER 1990, 376. 147
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V.9–24: Die detaillierte und ausführliche Königsliste in V.9–24 unterstreicht den großartigen Erfolg der westjordanischen Landnahme unter Josua.154 Namenslisten sind in der Regel besonders anfällig für textkritische Fehler und Varianten in Anordnung und Schreibweise,155 sodass es nicht verwundert, dass die einzelnen Versionen bisweilen auffällige abweichende Lesarten aufweisen. Zunächst sollen allgemeine Verständnisprobleme diskutiert werden, bevor dann in einem zweiten Schritt einzelne Probleme besprochen werden können: 1)
Zahlwort ʾæḥād: Die Verbindung der einzelnen Könige mit dem Zahlwort ʾæḥād „eins“ ist textkritisch, syntaktisch und inhaltlich schwierig. Denn bei der Aufzählung der einzelnen Könige wird von Vetus Latina und LXX im Gegensatz zu MT und Vulgata auf die Kardinalzahlen verzichtet. Möglicherweise wurden die Zahlen erst sekundär ergänzt, um aufgrund der Doppelnamen eine genaue Anzahl der unterworfenen Könige zu gewährleisten.156 Vielleicht soll die Zahl ʾæḥād auch die genaue Anzahl an Herrschern in der jeweiligen Stadt widerspiegeln, zumal es an Orten wie Gibeon in Form der Ältesten mehrere Regierungspersonen gegeben hat.157 Möglicherweise soll durch die stereotype Wiederholung der Zahl ʾæḥād die Schwere des Textes vor allem beim Vortrag betont werden, um litaneiartig die Geschichtsmächtigkeit Gottes im Rahmen der Landeroberung herauszustellen.158 Mitunter sind die Zahlen, die der Königsliste eine gewisse rhythmische Qualität gaben, aber auch aus mnemotechnischen Gründen ergänzt worden.159 Neuerdings wird vermutet, dass sich die Zahl ʾæḥād nicht auf den jeweiligen König bezieht, sondern auf das Gebiet dieses Stadtkönigtums, da die Zahl eins nicht nötig wäre, wenn diese Zahl lediglich auf den König verweisen würde.160 Fraglich ist aber, ob die Königsliste seit jeher mit der Landgabe in V.1 und V.7 verbunden war, zumal 154
Vgl. HOWARD 1998, 281. Vgl. NELSON 1997, 159. 156 Vgl. AULD 2005, 171. Nach GÖRG 1991a, 62; NELSON 1997, 159 seien die Zahlen erst sekundär eingetragen worden. Anders hingegen COOKE 1918, 112, der von einem „primitive way of counting“ ausgeht. 157 Vgl. HESS 1996a, 250. PITKÄNEN 2010, 237f. verwendet hingegen eine fortlaufende Zählweise 1, 2, 3 etc., was aber dem MT nicht entspricht. 158 Vgl. COLESON 2012, 115. 159 Vgl. BUTLER 2014, 525. Nach BOLING 1982, 326 wurde die Königsliste mit ihren Zahlenangaben zum didaktischen Gebrauch verfasst. 160 Vgl. TROPPER/VITA 2022, 48. Die angeführten Belege aus Ugarit können zwar auf den ersten Blick diese These belegen, aber am Schluss der Liste wird z.B. in KTU 4.860:41 auf das gezählte Objekt direkt verwiesen. Wenn in Jos 12,9–24 ebenfalls eine vergleichbare Auflistung von Ländern anzunehmen wäre, würde man erwarten, dass das Zahlwort mit ʾarāṣot verbunden wäre. Insofern ist die Übersetzung von 24b mit „(Nimmt man) alle Könige zusammen (so ergibt das) einunddreißig (Länder)“ nicht zwingend. Der All-Quantor kål bezieht sich zudem auf die Könige, sodass das Zahlwort als Prädikat nur die Gesamtheit der Könige, nicht aber deren Länder näherbestimmen kann. 155
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Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
es erst im Endtext von Jos 12 nicht nur um Könige, sondern auch um Gebiete geht. Nur wenn die Zahl auf einer redaktionellen Ebene mit der Landgabe liegt, könnte sich ʾæḥād auch auf die einzelnen Gebiete beziehen. Ansonsten würde der Referenzpunkt ʾæræṣ fehlen. Außerdem verträgt sich die Verbindung der Zahl ʾæḥād mit dem eroberten Land nicht mit der zweifach erwähnten Eröffnung weʾellæh malkê hāʾāræṣ in V.1 und V.7, die auf die unterworfenen Könige und nicht deren Ländereien verweist. Dementsprechend ist die traditionelle Deutung von ʾæḥād vorzuziehen, zumal sich auch die Frage stellt, welcher Erkenntnisgewinn damit verbunden sein sollte, dass von jedem König ein Land konfisziert worden wäre. Hier soll sicherlich nicht angedeutet werden, dass bestimmte Landschaften noch von einzelnen Kanaanäerkönigen beherrscht werden. Vielleicht soll die Verwendung des Numerals ʾæḥād auch die Vollständigkeit der Landnahme andeuten. Denn bei den Abgaben der Opfer der einzelnen Stämme in Num 7,13–82 wird ebenfalls stereotyp ʾæḥād eingetragen, um Vollkommenheit auszudrücken. Außerdem wird auf diese Weise die Königsliste verlängert und ihre besondere Bedeutung hervorgehoben. Darüber hinaus wird aufgrund des rhythmischen Gleichklangs der Eindruck von Unendlichkeit erweckt, zumal in dieser Liste mehr Könige genannt werden, als zuvor besiegt worden sind. Vielleicht soll auch ein Rahmen um Jos 3–12 gelegt werden, da zunächst von Israel je ein Mann aus jedem Stamm nach Jos 3,12 und Jos 4,2.4 in den Blick genommen wird. Ähnlich werden nun die kanaanäischen Könige einzeln betrachtet.161 Zusätzliche Lokalangaben: Bei bestimmten Toponymen wird noch eine zusätzliche Verortung angegeben.162 So wird der Ort Ai in V.9 mithilfe eines Relativsatzes in Beziehung zu seinem Nachbarort Bethel gebracht. Fraglich ist zudem, wie die Präpositionalverbindung mit l in V.22 und V.23 zu deuten ist. Auf der einen Seite könnte man den jeweiligen geographischen Zusatz als Näherbestimmung des jeweiligen Königssitzes verstehen, um diesen Ort von gleichnamigen anderen Orten zu differenzieren. Auf der anderen Seite wäre auch eine Richtungsangabe denkbar, sodass der König bis zum genannten Gebiet geherrscht hätte.163 Widersprüche: In der Königsliste werden mehrere Orte genannt, die nicht von Josua erobert wurden. Einige Orte wurden schon vor Josua oder nach Josua oder von einer anderen Gruppe bezwungen. Die beiden Orte Hebron und Debir wurden von Kaleb beziehungsweise Otniel erobert. Andere Orte, wie Jerusalem und Geser, wurden ebenfalls nicht explizit von Josua
2)
3)
161
Vgl. FLANDERS 2022, 86f. ZIESE 2008, 252 verweist auf Ai in V.9; Jokneam in V.22; Dor und Gojim in V.23. Eventuell ist auch noch Afek in V.18 zu nennen, vor allem wenn sich der Zusatz Scharon auf Afek bezieht und nicht einen weiteren Residenzort bezeichnet. 163 TROPPER/VITA 2022, 50 vermuten überdies, dass sich die Zählung nicht auf die einzelnen Könige, sondern auf deren Gebiete bezieht. 162
2. Textkritische und sprachliche Bemerkungen
379
unterworfen.164 Schließlich wurde Bethel nach Ri 1,22–25 erst später von den Söhnen Josefs eingenommen. Der Ort Horma wurde zudem nach Ri 1,17 von Judäern und Simeoniten erobert,165 auch wenn Horma nach Num 21,3 bereits in der Wüstenzeit unterworfen wurde. Eine Auseinandersetzung mit dem König von Arad wird zudem in Num 21,1–3 geschildert. Die Berücksichtigung der beiden Orte Arad und Horma in der Königsliste mag darauf hindeuten, dass man eine Verbindung zu den früheren Eroberungen während der Wüstenwanderung herstellen wollte.166 Da in Dtn 1,44 aber nur Horma ohne Arad genannt wird, kann die Königsliste in V.9–24 beziehungsweise deren Überarbeitung kaum von einem dtr. Redaktor stammen.167 Möglicherweise sollten die neuen Orte im Süden, die in Jos 6–10 noch nicht erwähnt werden, die Beschreibung von kål malkêhæm aus Jos 10,40 zusätzlich illustrieren. Schließlich konnten Taanach, Megiddo und Dor nach Ri 1,27 aufgrund des Versagens des Stammes Manasse nicht erobert werden. Vielleicht hat der Autor der Königsliste diejenigen Städte, die zwar in Jos 12, nicht aber in den Landeroberungserzählungen vorkommen, vor allem mit Kriegszügen aus der ersten Hälfte des israelitischen Königtums verbunden. Diese Städte seien nach Ansicht dieses Autors jedoch bereits von Josua erobert und deshalb in die Liste aufgenommen worden,168 auch wenn es hierzu widersprüchliche Angaben in den Landeroberungserzählungen gegeben hat. Möglicherweise sollte aber auch gar nicht mit der Königsliste eine vollständige Beschreibung des Verheißungslandes gegeben werden. Denn auf diese Weise konnte der Hinweis auf das uneroberte Land in Jos 13 besser anschließen.169 Unterworfene Könige: In der Königsliste wird zudem lediglich behauptet, dass der jeweilige König von Josua unterworfen werden konnte. Wie mit der zugeordneten Königsstadt verfahren wurde, wird nicht näher ausgeführt.170 Auf diese Weise konnten die Erfolge Josuas gesteigert werden, ohne dass es zu Widersprüchen mit anderen Texten kommt. Denn Josua habe nach der Königsliste den jeweiligen König im Gefecht besiegt und erschlagen. Die Frage, ob die Königsstadt erobert wurde und ob dessen Territorium an die Israeliten fiel, wird durch diese Königsliste nicht beantwortet. Dementsprechend müssen die in V.9–24 genannten Orte nicht
4)
164
Vgl. auch KNAUF 2010b, 510. Zu den unterschiedlichen Traditionen einer Eroberung von Horma vgl. schon KUENEN 1886, 47f. Zur Identifizierung von Horma vgl. GASS 2005, 46–57. 166 Vgl. HESS 1996a, 252. 167 Vgl. DOZEMAN 2015, 496. 168 Vgl. RÖSEL 2011, 197. 169 Vgl. HESS 1996a, 252; YOUNGER 2008, 32; HUBBARD 2009, 365. 170 Vgl. hierzu schon KEIL 1847, 224; BOLING 1982, 326; PITKÄNEN 2010, 239; COLESON 2012, 116; BUTLER 2014, 527; FARBER 2016, 60. Dies übersieht LAUGHLIN 2015, 158, wenn er davon ausgeht, dass die genannten Königsstädte erobert wurden. 165
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Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
zur Zeit der Landnahme erobert und zerstört worden sein, was archäologisch für einige Orte ohnehin nicht erwiesen werden kann.171 Hinzu kommt, dass diese Liste durchaus auch Elemente der Übertreibung eingebaut haben kann, um den Anspruch Israels auf das gesamte Verheißungsland zu unterstreichen.172 Auffälligerweise werden die Namen der besiegten Könige nicht genannt, was mitunter eine gewisse Verachtung gegenüber diesen Personen ausdrückt.173 Hier wird lediglich die besondere Position der Könige betont, die mit der Landnahme aber beseitigt wurde.174 Lücken in Efraim/Manasse: Auffälligerweise wird der auf dem efraimitisch-manassitischen Gebirge wichtige Ort Sichem nicht unter die Orte gezählt, deren Könige von Josua besiegt wurden.175 Dies könnte vielleicht damit zusammenhängen, dass der Ort Sichem zur Zeit der Abfassung des Textes zu einem Unort der Samaritaner geworden ist und folglich ausgespart werden sollte.176 Allerdings wäre gerade ein solch negativ konnotierter Ort durchaus geeignet gewesen, die eigene Dominanz unter Beweis zu stellen, indem man deren König bezwungen hätte. Außerdem wäre es denkbar, dass gerade das manassitische Bergland von den Eroberungserzählungen nicht berücksichtigt werden sollte, zumal die wichtigen Orte Sichem und Dothan nicht erwähnt wurden.177 Vielleicht habe der Ort Sichem während der Landnahmezeit keine Bedeutung mehr gehabt und sei lediglich ein Satellit des benachbarten Königsortes Tirza gewesen.178 Der Ort Tirza könnte darüber hinaus als Abschlussort gewählt worden sein, weil sich hier in frühstaatlicher Zeit eine Residenz des Nordreichs befand oder weil der Eigenname Tirza aufgrund der zugrundeliegenden Wurzel RṢY „Wohlgefallen haben“ einen wohlklingenden Abschluss bildet.179
5)
Die ersten 16 Orte der Liste beziehen sich auf den Teil des Verheißungslandes, der südlich des Ortes Bethel liegt, während die folgenden 15 Orte in den Norden auf das manassitisch-efraimitische Bergland, die Jesreelebene und Galiläa 171
Vgl. YOUNGER 2008, 32. Vgl. PITKÄNEN 2010, 239. 173 Vgl. auch COLESON 2012, 116. 174 Vgl. HUBBARD 2009, 362. 175 Vgl. SOGGIN 1982, 144. 176 Vgl. KNAUF 2008, 123; KNAUF 2010b, 510. Nach BOLING 1982, 329 könnte diese Abneigung gegenüber Sichem aber bereits auf levitische Kreise zurückgehen, die diesen Ort mit der Revolte Jerobeams I. und der Ablehnung Rehabeams verbunden haben. 177 Vgl. zum Problem HESS 1996a, 252. 178 Vgl. KITCHEN 2008, 246. 179 Vgl. KNAUF 2008, 124. Nach HERTZBERG 1985, 84 könnte die Schlussposition von Tirza abseits der übrigen mittelpalästinischen Städte auch damit zusammenhängen, dass die Städtenamen aus Jos 11,1 in V.19–20 nachträglich eingetragen wurden. DE VAUX 1978, 637 vermutet sogar, dass dieser Ort vielleicht zunächst vergessen und als letztes nachgetragen wurde. 172
2. Textkritische und sprachliche Bemerkungen
381
verweisen. Der Ort Bethel befindet sich in der Mitte der Aufzählung und somit in der Mitte des Verheißungslandes.180 Bethel hat seinen Platz somit an der Spiegelachse der Königsliste. Ohne diesen Ort gibt es 15 südliche und 15 nördliche Königsstädte. Auf diese Weise entsteht ein Gleichgewicht zwischen den Orten des Nord- und Südreichs. Im Folgenden sollen nur die gravierendsten Unterschiede im Abschnitt V.9–24 genannt und diskutiert werden:181 1)
Auffälligerweise ersetzt Vetus Latina den Ort Ai, der in Jos 7–8 erobert wurde, in V.9 durch den philistäischen Ort Gat (Geth). Vielleicht geht die Version der Vetus Latina auf einen Text zurück, der die Ai-Tradition noch nicht kannte. Allerdings wird der Zusatz, dass dieser Ort neben Bethel liegt, auch von Vetus Latina mitgetragen, sodass hier vermutlich eine Verwechslung vorliegt. Außerdem wird der Ort Ai in der Tradition der Vetus Latina zudem andernorts als Gaet wiedergegeben, sodass Geth eine falsche Lesart von Gaet sein könnte. Insofern muss die Lesart der Vetus Latina nicht auf einen vom MT abweichenden Text zurückgehen. LXXA hat zudem den Ort γεθ anstelle von Bethel, ohne dass es hierfür eine Erklärung gibt. Hier scheint in der Textüberlieferung einiges durcheinander gekommen zu sein. Fraglich ist jedoch, ob die beiden Orte Jericho und Ai jemals zu dieser Liste gehört haben.182 Auffällig ist zudem, dass der Ort Ai wie schon in Jos 7–8 immer wieder in Bezug zu Bethel näher bestimmt wird,183 was diese Eintragung von Jos 9–10 unterscheidet, wo in Jos 9,3 und Jos 10,1.2 lediglich auf den Ort Ai verwiesen wird. Offenbar ist der Ort Ai in unmittelbarer Nähe zu Bethel zu verorten, was die Präpositionalverbindung miṣṣad andeutet.184 Oft wird behauptet, dass Ai „Trümmerhaufen“ kein wirklicher Ortsname, sondern eher eine despektierliche Bezeichnung für einen bereits zerstörten Ort sei. Allerdings heißt der Ortsname Ai zunächst nur „Steinhaufen“, sodass die Übersetzung von „Ruine“ nicht notwendigerweise angezeigt ist.185 Als Ai konnte man demnach die verschiedensten Steinhaufen bezeichnen, sodass der Zusatz Bethel zur besseren Verortung durchaus nötig war.186 Problematisch ist die Konstruktion des ʾašær-Satzes, der meist auf den Ort Ai als das nomen rectum 180
Nach EDERER 2017, 195 kann der Ort Bethel zudem kaum einem der beiden Feldzüge aus Jos 6–10 und Jos 11 zugeordnet werden. 181 Zu den Unterschieden der einzelnen Versionen vgl. auch BARTHELEMY 1982, 23–27. 182 Nach FRITZ 1994, 132 seien diese beiden Orte erst von DtrH vorangestellt worden, um an Jos 6–8 anzuknüpfen. Ähnlich schon FRITZ 1969, 140 Anm.17. 183 Jos 7,2; 8,9.12.17. 184 Vgl. SIMONS 1959, 270. 185 Vgl. SIMONS 1959, 270. 186 Vgl. HESS 1996a, 250. Nach HOWARD 1998, 281 wurde hier zudem der Zusatz Bethel ergänzt, um den König von Bethel in V.16 schon in V.9 vorzubereiten.
382
Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
der Constructusverbindung mælæk hāʿAy bezogen wird.187 Bisweilen wird miṣṣad in V.9 zu meṣad „Festung“ verändert und auf diese Weise der Ort Ai zu einer Festung Bethels gemacht.188 Dann wäre die angebliche Königsstadt Ai nur ein Vorort von Bethel.189 Hier würde es folglich um den König von Bethel gehen, der sich in der Festung von Ai verschanzte und daher fälschlicherweise als König von Ai bezeichnet wurde.190 Weshalb allerdings dann der König von Bethel als König von Ai bezeichnet wird und der König von Bethel in V.16 wiederum genannt wird, kann mit dieser Interpretation nicht erklärt werden. Es bleibt somit dabei, der Zusatz ʾašær miṣṣad Bêt ʾel wurde zur näheren Verortung des „Steinhaufens“ von Ai eingetragen. Anstelle von Eglon wird in Vetus Latina und LXX in V.12 der Name Ailam verwendet (Aelam / Αιλαμ). Offenbar ist im Laufe der Textüberlieferung der Konsonant γ entfallen.191 Auf jeden Fall ist diese Wiedergabe näher am MT als bei den Belegen in Jos 10, wo Eglon in den griechischen Versionen mit Adullam verwechselt wurde. Außerdem hat Vetus Latina in V.12 drei Herrscher, da ein König von Gongola ergänzt wird. Wie es zu diesem Textüberschuss gekommen ist, lässt sich nicht mehr klären. In V.13 wird von Vetus Latina und LXXB ein Ort Gazeir / Ἄσει anstelle von Geder genannt, was den Eindruck erweckt, dass dieser Ort mit Geser identisch sein könnte.192 Allerdings wird Geser in V.12 von Vetus Latina und LXXB bereits genannt, sodass hier eine weitere Nennung unwahrscheinlich ist. Mit dem hier genannten Ort Geder wird vermutlich auch ein Verwaltungsbeamter namens Baalhanan zu verbinden sein, der in 1Chr 27,28 als Gederiter bezeichnet wird.193 Der Ort Geder könnte zudem mit Gedor aus Jos 15,58 beziehungsweise 1Chr 12,7 identisch sein. Die Vokalisation Geder anstelle von Gedor in V.13 könnte vielleicht eine Angleichung an den zuvor in V.12 genannten Ort Geser sein.194 Geder/Gedor
2)
3)
187
Vgl. zum syntaktischen Problem LOMBARDI 1963, 283. Vgl. LOMBARDI 1963, 280f. 189 Vgl. zur Kritik auch DE VAUX 1978, 615. 190 Vgl. LOMBARDI 1963, 281. 191 Vgl. zum textkritischen Problem auch GREENSPOON 1983, 170–172. 192 Vgl. GRAY 1986, 121. Nach MARGOLIS 1931, 237 ist die griechische Lesart Γασερ eine fehlerhafte Lesart für Γαθερ/Γαδερ. 193 Vgl. SHERMAN 2007, 530. Nach WOUDSTRA 1981, 206 Anm.4 stammt dieser Verwaltungsbeamte, der als Gederiter bezeichnet wird, aus dem Ort Geder. 194 Vgl. HOWARD 1998, 281. Die Namensform Geder anstelle von Gedor mag aufgrund von Kontamination mit dem ähnlichen Toponym Geser entstanden sein, vgl. BOLING 1982, 326. Zu den unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten von Gedor vgl. HIMBAZA 2014, 1064–1066. 188
2. Textkritische und sprachliche Bemerkungen
383
ist möglicherweise auf der Ḫirbet Ğedūr (1588.1156) zu suchen.195 Vielleicht soll durch die Erwähnung des Ortes Geder/Gedor die simeonitische Landnahmetradition aus 1Chr 4,39 eingebunden werden.196 Allerdings wäre aufgrund des Nahkontextes der Königsliste auch eine viel südlichere Lokalisierung von Geder in der Nähe von Debir, Arad und Horma denkbar.197 Hinzu kommt, dass die Gleichsetzung von Geder mit Gedor nicht über jeden Zweifel erhaben ist, zumal es eine Fülle von Ortsnamen mit dem Namenselement gædær „Umfriedung“ gibt.198 In diesem Zusammenhang wären Orte wie Gedera in Jos 15,36, Gederotaim in Jos 15,36, Gederot in Jos 15,41 oder Bet-Gader in 1Chr 2,51 zu nennen.199 Schon vor diesem Hintergrund ist eine nähere Bestimmung und Identifizierung von Geder schwierig.200 Alternativ dazu wäre es auch möglich, dass Geder eine falsche Lesart von Gerar wäre. Dementsprechend wäre der Ort Gerar aufgrund der Ähnlichkeit der Konsonanten רund דzu Geder verlesen worden.201 Allerdings liegt der Ort Gerar zu weit vom judäischen Bergland und der Schefela entfernt. Vor diesem Hintergrund ist es unwahrscheinlich, dass ursprünglich der Ort Gerar gemeint war.202 In V.14 könnte die Lesart von LXXB auf eine Dublette zurückzuführen sein (Αἰράθ und ᾽Αράθ).203 Denn beide Orte können mit Arad verbunden werden. Diese Doppelung könnte auf alternative Transliterationsmöglichkeiten für den Ortsnamen Arad zurückzuführen sein.204 Offenbar wurde der Ort Arad im Rahmen der Texttransmission doppelt geschrieben und dann unterschiedlich transkribiert. Auffälligerweise wurde der König von Arad nach Num 21,1–3 schon von Mose bezwungen und musste daher zumindest auf der Ebene des Endtextes gar nicht mehr unterworfen werden. Möglicherweise ist Arad in V.14 zudem nicht ein wirklicher Ortsname, sondern wie Scharon, Karmel, Galiläa oder Baschan eine Bezeichnung für
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195
Vgl. NAʾAMAN 1980, 138; FRITZ 1994, 133; HESS 1996a, 250; DEVER 2003, 56; HAR2004, 478; JUNKKAALA 2006, 268; ZIESE 2008, 253 Anm.20; VAN BEKKUM 2011, 210; RÖSEL 2011, 201; HIMBAZA 2014, 1064; LAUGHLIN 2015, 160; MATHEWS 2016, 111. 196 Vgl. KNAUF 2008, 123; KNAUF 2010b, 510. 197 Vgl. HUBBARD 2009, 364. Zum Problem einer Lokalisierung von Geder vgl. auch EHRLICH 1992, 925. 198 Vgl. RÖSEL 2011, 202. 199 Vgl. zu vergleichbaren Namen DILLMANN 1886, 502; OETTLI 1893, 163; COOKE 1918, 112; HOWARD 1998, 281. Zu den unterschiedlichen Deutungen vgl. auch DOZEMAN 2015, 488. 200 Vgl. FRITZ 1969, 147. 201 Vgl. AHARONI 1956, 27; AHARONI 1979, 210; SHERMAN 2007, 530; ZIESE 2008, 253. 202 Vgl. JUNKKAALA 2006, 267f. 203 Vgl. STEUERNAGEL 1901, 199; COOKE 1918, 108; BENJAMIN 1921, 46; BOLING 1982, 321. 204 Vgl. BOLING 1982, 321. Zu den verschiedenen Transkriptionen von Arad und den damit verbundenen textkritischen Problemen vgl. GREENSPOON 1983, 48f. STAD
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Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
ein bestimmtes Gebiet.205 Allerdings fehlt für eine Näherbestimmung zu Horma die dafür nötige Präposition l. In V.16 wird der König von Bethel in der Tradition der LXX und der Vetus Latina ausgespart.206 Bisweilen wird vermutet, dass der Ort Bethel von einem Glossator erst sekundär eingefügt worden wäre, der die bedeutende Königsstadt Bethel, die bereits in V.9 zur Lokalisierung von Ai verwendet wurde, nachtragen wollte. Dann müsste man davon ausgehen, dass man die Eroberung dieser Stadt in einer früheren Form des Josuabuchs übergangen hat,207 zumal Bethel aufgrund seiner wichtigen israelitischen Kultstätte schlecht beleumundet war. Allerdings wäre dies auch ein Argument dafür, dass man nicht darauf verzichten konnte, dass der König von diesem negativ konnotierten Ort Bethel von Josua bezwungen werden musste. Der Übersetzer der LXX, der auch sonst unnötige Redundanzen beseitigt, hätte hingegen Bethel bewusst ausgelassen, da dieser Ort bereits in V.9 erwähnt wurde.208 Dem ist aber entgegenzuhalten, dass in V.9 nicht der König von Bethel im Blick ist, sondern nur die nähere Verortung von Ai, sodass diese Doppelung kein hinreichender Grund für eine Tilgung von Bethel ist.209 Grundsätzlich kann MT den ursprünglichen Text bewahrt haben. Denn LXX und Vetus Latina haben auf Bethel möglicherweise schon deshalb verzichtet, da Bethel nach Ri 1 erst nach dem Tod Josuas erobert wurde.210 Dann hätten die Übersetzer diesen Widerspruch auf der Ebene des größeren Kontextes behoben. Es bleibt somit dabei, der König von Bethel wird vermutlich im ursprünglichen Text gestanden haben. Statt auf den Ort Tappuach verweist Vetus Latina in V.17 auf einen ansonsten unbekannten Ort Iafud. Bei dieser Ortsnamenstransskription könnte es sich um eine Kurzform der Wiedergabe der LXXB ᾿Αταφόυτ handeln, die auch von der äthiopischen Tradition unterstützt wird (Etafud). Hier kommt man über Vermutungen nicht mehr hinaus. Bei Hefer handelt es sich in V.17 möglicherweise nicht um einen Ort, sondern um ein Gebiet,211 wie die Beschreibung des dritten salomonischen
5)
6)
7) 205
Vgl. MAZAR 1965, 128 Anm.7; NAʾAMAN 1980, 138. Vgl. HOLZINGER 1901, 46. 207 Vgl. OTTOSSON 1991, 102. 208 Vgl. zum Problem MARGOLIS 1931, 238f.; FRITZ 1969, 142; BARTHELEMY 1982, 25; NELSON 1997, 158; BUTLER 2014, 523. 209 Vgl. VAN BEKKUM 2011, 122. JERICKE 2020, 80f. erklärt die doppelte Nennung Bethels literarisch-topographisch, zumal Jos 12 eine literarische Konstruktion ist. Bethel in Jos 12,9 erklärt sich durch die vorausgehenden Landnahmeerzählungen, die auf die Mitte und den Süden des Verheißungslandes beschränkt bleiben, während Bethel in Jos 12,6 den Übergang nach Norden markiert. 210 Vgl. AHARONI 1979, 209; WOUDSTRA 1981, 206 Anm.4; NAʾAMAN 1994, 273. 211 Vgl. LEMAIRE 1972, 14. Nach NOTH 1971e, 201f. gibt es sowohl eine Stadt wie ein Land Hefer, wobei letzteres das von der Stadt dominierte Gebiet bezeichnet. 206
2. Textkritische und sprachliche Bemerkungen
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Gaues namens Hefer in 1Kön 4,10 nahelegen könnte. Vielleicht ist die Gegend um Tell el-Muḥaffar (1707.2054) aufgrund des Kriteriums des Namenserhalts mit der biblischen Region Hefer zu identifizieren.212 In der Dothanebene haben sich zudem zahlreiche Orte erhalten, die mit dem Namenselement Hefer verbunden werden können. Dementsprechend könnte in V.17 der territoriale Begriff Hefer verwendet worden sein, um das nördliche samarische Bergland abzubilden.213 Gelegentlich wird auch noch ein Bezug zum issacharitischen Ort Hafarajim in Jos 19,19 gezogen,214 wobei diese nördliche Lokalisierung allerdings kaum zum Nahkontext passt, der eher eine Verortung auf dem efraimitisch-manassitischen Gebirge plausibilisiert. Bisweilen wurde Hefer auch in der Scharonebene gesucht,215 was aber ebenfalls wenig wahrscheinlich ist. In V.18 wird der Ort Afek von Vetus Latina, LXX und Vulgata mit dem nachfolgenden Toponym zusammengelesen (Afeexarrus / Αφεκ τῆς Σαρων), vermutlich um dieses Afek durch die Zusatzangabe leŠārôn von anderen gleichnamigen Orten abzugrenzen.216 Hinzu kommt, dass Šārôn kein Ortsname, sondern ein Name für ein Gebiet ist und die Präpositionalverbindung mit V.22 vergleichbar ist, wo Jokneam lakKarmæl lokalisiert wird.217 Die Lesart von LXXB Ὀφὲκ τῆς Ἀρώκ mag aufgrund von Haplographie aus Ὀφὲκ τῆς Σαρώκ entstanden sein, wobei Σαρώκ eine fehlerhafte Wiedergabe von Σαρων sein könnte.218 Auffälligerweise wird in Jos 12 nur hier eine Präpositionalverbindung mælæk leŠārôn anstelle der ansonsten üblichen Constructusverbindung mælæk Šārôn verwendet. Der Terminus leŠārôn könnte wie in V.22 und V.23 den vorausgehenden Ortsnamen näher bestimmen, sodass hier „Afek bezüglich Scharon“ im Blick ist. Demnach hat ursprünglich eine Liste von Königsstädten vorgelegen,
8)
212
Zu einer Identifikation von Hefer mit Tell el-Muḥaffar vgl. WRIGHT 1967, 63*; ZER1992, 139; NELSON 1997, 162 Anm.9; DEVER 2003, 68; ZERTAL 2004, 71f.; 116f.; JUNKKAALA 2006, 260f.; ZIESE 2008, 253 Anm.25; HUBBARD 2009, 364; PITKÄNEN 2010, 243; VAN BEKKUM 2011, 208; RÖSEL 2011, 201; GASS 2015, 825f.; LAUGHLIN 2015, 160. 213 Vgl. NAʾAMAN 2005b, 211f.; NAʾAMAN 2006b, 107f. 214 Vgl. KNOBEL 1861, 403. 215 Vgl. VANZANT 2007, 797. 216 Vgl. STEUERNAGEL 1901, 199; COOKE 1918, 113; SCHMITT 1970, 117 Anm.76; NOTH 1971a, 72; AHARONI 1979, 209; WOUDSTRA 1981, 206; BARTHELEMY 1982, 26; GRAY 1986, 122; SPRONK 1994, 100; NELSON 1997, 158; RÖSEL 2011, 195. Vgl. zu einer Lesart „Afek bezüglich Scharon“ SIMONS 1959, 279; SCHMITT 1970, 117 Anm.76; AHARONI 1979, 209; BARR 1990, 65; YOUNGER 2008, 31 Anm.28; VAN BEKKUM 2011, 122; RAINEY/NOTLEY 2014, 129. Zu den verschiedenen Orten mit dem Namen Afek vgl. DOZEMAN 2015, 490. 217 Vgl. AHARONI 1979, 209. Allerdings kann eine Präpositionalverbindung mit l auch anstelle einer Constructusverbindung stehen, vgl. HARSTAD 2004, 479. Dann wäre durch diese syntaktische Besonderheit angedeutet, dass hier nicht der König einer Stadt, sondern einer Region im Blick ist. 218 Zu dieser Textverderbnis vgl. auch DILLMANN 1886, 503; HOLZINGER 1901, 47. TAL
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Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
die erst sekundär in das Schema mælæk X ʾæḥād gepresst wurde.219 Alternativ wäre jedoch auch möglich, dass zwischen mælæk und leŠārôn ein Ortsname ausgefallen wäre.220 Dann wäre ausweislich der Wiedergabe der LXX möglicherweise ein zweiter Ort Afek zu ergänzen, der sich durch die nähere Bezeichnung leŠārôn vom erstgenannten Afek unterscheidet.221 Für eine derartige Dublette des Ortsnamens Afek gibt es aber im Gegensatz zu Arad in V.14 keinen Hinweis in den Versionen. Insgesamt scheint der Ausdruck mælæk leŠārôn „König bezüglich Scharon“ nur eine sekundäre Bildung zu sein. Bei der vorliegenden Ortsliste wäre somit der Eintrag ʾafeq leŠārôn fälschlicherweise auf zwei Orte verteilt worden. In V.19 wird der Ort Madon von Vetus Latina und LXX nicht erwähnt. Vielleicht ist diese Kurzform die ursprüngliche Lesart.222 Möglicherweise ist Madon sekundär eingedrungen, um die Königsliste in Jos 12 an Jos 11,1 anzugleichen, wo ein König von Madon erwähnt wird. Dies kann dann aber erst zu einem Zeitpunkt geschehen sein, als der ursprüngliche Ort Maron in Jos 11,1 zu Madon verlesen wurde.223 Möglicherweise hat man aber auch Maron absichtlich zu Madon verändert, um eine Doppelung zu V.20 mit Meron zu vermeiden. Denn der Ortsname Maron ist noch im Doppelname Schimron-Meron erhalten, wobei aber Maron zu Meron aufgrund von Šimrôn angeglichen wurde.224 Jedenfalls sind im Endtext von V.19–20 die vier Orte aus Jos 11 vorhanden, nämlich Madon, Hazor, Schimron(-Meron) und Achschaf. Erst sekundär ist der ursprüngliche Name Maron in Jos 11 zu Madon verändert worden und dann in Jos 12,19 vorangestellt worden. Die griechische Übersetzungstradition hat hingegen
219 Vgl. FRITZ 1969, 137; NELSON 1997, 159. Hierauf weist möglicherweise auch der Doppelname Schimron-Meron hin, bei dem vielleicht zwei Orte der Liste zusammengezogen wurden. 220 Vgl. EHRLICH 1910, 41f. Anders hingegen KEIL 1847, 235f., der Lassaron für einen ursprünglichen Ortsnamen hält. Zu einer Lesart Lassaron beziehungsweise Lasharon vgl. auch LLOYD 1886, 191; HOWARD 1998, 282; DEVER 2003, 57. Nach KNOBEL 1861, 403 handelt es sich um die Gegend vom Tabor bis zum See Gennesaret, die früher Saron hieß. Dieser Name sei durch Aphäresis aus Lassaron entstanden. Zum Problem des MT vgl. auch KLEIN 1934, 41f. Gegen einen ursprünglichen Namen Lassaron aber schon OETTLI 1893, 164; ROBINSON 1907, 328. Dieser Ortsname ist zumindest ein hapax legomenon, vgl. BOLING 1982, 321.328, das aber mit „for the Sharon(-plain)“ wiederzugeben und auf die sumpfige und wenig besiedelte Scharonebene zu beziehen wäre. 221 Vgl. MILLER/TUCKER 1974, 101. 222 Vgl. COOKE 1918, 113. 223 Vgl. zur schwierigen Textkritik NELSON 1997, 158. Nach NAʾAMAN 1994, 273 ist Madon ein alter Schreibfehler für Maron. Nach NOTH 1971a, 72 ist die von Jos 11 abweichende Abfolge Madon-Hazor ein Indiz dafür, dass die Erwähnung hier unabhängig von Jos 11 erfolgte. 224 Vgl. auch BARTHELEMY 1982, 24. Nach FRITZ 1969, 142 musste LXX den Ort Madon in V.19 aufgrund der sprachlichen Nähe zu Meron im Nahkontext nicht ebenfalls nennen.
2. Textkritische und sprachliche Bemerkungen
387
Maron in Jos 11 mit dem Ort der Schlacht Merom gleichgesetzt und in Jos 12 einen König von Schimron und einen König von Meron gelesen. Die hebräische Überlieferung hat hingegen in V.19 aufgrund von Jos 11 Madon eingetragen und nur einen König von Schimron-Meron zugelassen. Letztendlich ist wohl die durch die griechischen Textzeugen gestützte Lesart der Orte Hazor, Simeon, Maron und Achschaf ursprünglicher als MT. 10) Der Doppelname Schimron-Meron in V.20 wird von LXX und Vetus Latina auf zwei Könige verteilt, während Vulgata und LXXL auf den Zusatz Meron ganz verzichten.225 Die Namensüberlieferung der beiden Königsstädte variiert in den griechischen Versionen. Der Ort Schimron ist vermutlich aufgrund von LXXB mit einem Ort Simeon gleichzusetzen.226 Der Ortsname Merʾôn wird zu Μαμρωθ, Μαρρωθ beziehungsweise Amarroth verlesen.227 Dementsprechend könnte die Lesart der LXX durchaus ursprünglich sein. Man müsste dann von einem König von Simeon und einem König von Meron ausgehen.228 Bisweilen wird jedoch vermutet, dass Merʾôn lediglich eine Variante zu Šimrôn ist, wobei die Lesart mit ʾ den Ort Šimreʾôn von Šomrôn, der Hauptstadt des Nordreichs Israel, differenzieren sollte.229 Außerdem wäre es denkbar, dass dieser Ort durch den sekundären Namenszusatz Merʾôn von einem gleichnamigen Ort Schimron in Sebulon differenziert werden sollte, der in Jos 19,15 belegt ist.230 Der Ortsname Merʾôn könnte zudem als Dittographie hinter Šimrôn / Šimreʾôn entstanden sein,231 sodass der Doppelname eine sekundäre Bildung wäre. Allerdings ist es demgegenüber wahrscheinlicher, dass die falsche Lesart Schimron des MT erst aufgrund der Zusammenstellung von Simeon und Maron entstand. In Vulgata ist der zweite Bestandteil Maron vermutlich aufgrund von Haplographie hinter Šimrôn entfallen.232 Letztendlich ist der Name Schimron-Meron des MT eine falsche Kombination der beiden Orte
225
Vgl. HOLZINGER 1901, 46. Vgl. FRITZ 1994, 135. Dagegen aber FRITZ 1969, 150. 227 BENNETT 1895, 27 bietet noch die vermutlich falsche Lesart Μααρωθ. 228 Vgl. NAʾAMAN 1986, 121f. 229 Vgl. EHRLICH 1910, 42. 230 Vgl. MILLER/TUCKER 1974, 102f. Für eine Gleichsetzung mit dem aus assyrischen Texten bekannten Šamšimuruna – so z.B. MOWINCKEL 1964, 48 – besteht zudem kein zwingender Grund. Die Stadt Šamšimuruna ist zudem aufgrund von ND 2370 (NL 69 = CTN 5, 164f.) nahe der Küste an der Mündung des Nahr el-Kalb zu lokalisieren, vgl. NAʾAMAN 1986, 132; NAʾAMAN 2005a, 229. Ob vor diesem Hintergrund lediglich aufgrund des griechischen Namens Heliopolis für Baalbek der Ort Šamšimuruna mit Baalbek in der BeqaʿEbene zu identifizieren ist, vgl. BORDREUIL 1990, 309f., ist fraglich. Zu den assyrischen Belegen vgl. BAGG 2007, 211f. 231 Vgl. STEUERNAGEL 1901, 199. 232 Vgl. BARTHELEMY 1982, 26. 226
388
Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
Simeon und Maron.233 Die ursprüngliche Ortsliste hatte folglich die Abfolge Hazor–Simeon–Maron–Achschaf, wie dies die griechische Tradition in Jos 11 und Jos 12 belegt. Die hebräische Textüberlieferung hat hingegen in Jos 11 Maron zu Madon verlesen, in Jos 12 den fiktiven Ortsnamen Madon vorausgestellt und die beiden Orte Simeon-Maron zusammengelesen, wobei Merʾôn auf Simeon abfärbte und die Lesart Šimrôn erzeugte, was sich schließlich auch in Jos 11 niederschlug. 11) Vetus Latina und LXX vertauschen die Reihenfolge der Herrschaftssitze, indem der Ort Kedesch in V.21–22 vor Taanach und Megiddo gezogen wird. Mitunter ist die Abfolge der griechischen Tradition ursprünglicher als MT,234 da sich Kedesch von den Orten der Jesreelebene Taanach, Megiddo und Jokneam deutlich abhebt, wobei diese Abfolge von Ost nach West sortiert ist. Allerdings ist MT die lectio difficilior, die nur schwer zu erklären ist. Außerdem muss es sich bei dem hier genannten Qædæš nicht notwendigerweise um den bedeutenden Ort Kedesch in Naftali handeln, sondern Qædæš könnte auch in der Jesreelebene im Stammesgebiet von Issachar zu suchen sein,235 sodass das geographische Argument nicht sticht. Insofern ist auch die Lesart des MT durchaus plausibel und muss nicht geändert werden. 12) Der Ortsname ᾿Ελδὼμ in V.23 könnte in LXXB auf eine Dittographie von έα aus vorangehendem βασιλέα zurückgehen.236 Die auf den ersten Blick redundant anmutende Bezeichnung lenāfat Dôr könnte sekundär ergänzt sein, um hier den Küstenort Dor von dem anderen Ort in der Jesreelebene zu differenzieren.237 Die Bedeutung von nāfat Dôr ist jedoch umstritten. Aufgrund der Präposition l wird es sich wohl ähnlich wie bei Scharon um eine Gebiets- oder Landschaftsbezeichnung handeln. Etymologisch kann man nāfat Dôr als „Erhebung, Höhenzug von Dor“ deuten. Insofern müsste man dann die Landschaft nāfat Dôr nicht mehr in der flachen Scharonebene, sondern im Hügelland suchen. Allerdings ist diese etymologische Ableitung nicht über jeden Zweifel erhaben, da es für nāfat Dôr auch andere Möglichkeiten wie „Küstenland von Dor“, „Distrikt von Dor“ oder „Waldgebiet von Dor“ gibt.238 Möglicherweise ist mit dieser Bezeichnung 233
NELSON 1997, 158 macht hierfür Assonanz verantwortlich. Anders hingegen HO1998, 282 Anm.292, dem zufolge Schimron-Meron der ursprüngliche Name gewesen sei. Nach MERLING 1997, 143 beziehen sich die beiden Namen Schimron und SchimronMeron zudem auf denselben Ort. 234 Vgl. RAINEY/NOTLEY 2014, 129. 235 Vgl. SIMONS 1959, 279; NOTH 1971a, 73; BOLING 1982, 329; DEVER 2003, 61. 236 Vgl. MARGOLIS 1931, 242. BOLING 1982, 322 vermutet noch einen Personennamen Eldom, wobei dies bei der vorliegenden Königsliste allerdings singulär wäre. 237 Vgl. MILLER/TUCKER 1974, 103. 238 Vgl. GASS 2005, 101f.; GASS 2022, 779. Vgl. zum Problem auch NAʾAMAN 1983, 11f. Anm.30. WARD
2. Textkritische und sprachliche Bemerkungen
389
der Küstenstreifen vom Berg Karmel bis zum Fluss Yarkon gemeint.239 Da hier „ein König von Dor bezüglich nāfat Dôr“ neben einem „König von Afek bezüglich Scharon“ in V.18 genannt wird, ist es auf den ersten Blick zweifelhaft, dass nāfat Dôr und Scharon die gleiche Gegend bezeichnen.240 Allerdings ist hier jeweils ein König über eine gewisse Stadt im Blick (Dor und Afek), die in derselben Gegend mit unterschiedlichem Namen (nāfat Dôr und Scharon) liegen könnte. Dann wären nāfat Dôr und Scharon nur alternative Namen für dieselbe Region, die von mindestens zwei Stadtstaaten dominiert wird. Hier kommt man allerdings über Vermutungen kaum noch hinaus. 13) Anstelle des schwierigen Toponyms Gôyim leGilgāl241 überliefert LXX in V.23 eine galiläische Lokalisierung (Γωιμ τῆς Γαλιλαίας). Vielleicht sollte mit der LXX-Lesart Γωιμ τῆς Γαλιλαίας auf das in Jes 8,23-MT belegte Galiläa der Gojim angespielt werden.242 Darüber hinaus wäre aber auch möglich, dass LXX hier an das nördliche Haroschet-Gojim denkt, den Residenzort des Heerführers Sisera nach Ri 4,2. Dann wäre Gojim eine abgekürzte Lesart von Haroschet-Gojim.243 Dies setzt aber auch voraus, dass Haroschet-Gojim in Galiläa tatsächlich eine Königsstadt war, was aber nicht gesichert ist. Bei Haroschet-Gojim handelt es sich vermutlich eher um die fruchtbare Jesreelebene.244 Jedenfalls scheint hier mit Gojim zunächst ein Toponym in Galiläa im Blick zu sein. Vermutlich hat MT die ursprüngliche Lesart Gālîl durch den im Rahmen der Landnahme wichtigen Ort Gilgal ersetzt.245 Dann hätte erst MT den zentralen Punkt genannt, von dem aus die Landeroberung ausging.246 Vielleicht hängt diese Änderung mit der Gilgal-Redaktion zusammen, die schon in Jos 10 239
Vgl. NAʾAMAN 1986, 185; GASS 2022, 779. Vgl. NAʾAMAN 1986, 185 Anm.26. 241 Nach FRITZ 1994, 128 ist der Ortsname Gojim problematisch. Vielleicht wäre eher an den Ort Haroschet-Gojim zu denken. Außerdem sei hier leGālîl anstelle von Gilgal zu lesen. Ähnlich GRAY 1986, 122. Nach FRITZ 1969, 143 sei hingegen von zwei Ortsnamen Gojim und Gilgal auszugehen, die nachträglich durch die Voranstellung der Präposition l vor Gilgal miteinander verbunden wurden. 242 Vgl. DE TROYER 2005, 74 Anm.55. 243 Zu einer Identifizierung von Gojim in Galiläa mit Haroschet-Gojim vgl. auch SIMONS 1959, 280; NELSON 1997, 162; KNAUF 2008, 124; KNAUF 2015, 278f. 244 Vgl. GASS 2005, 239f. 245 Vgl. zur ursprünglichen Lesart Galiläa ROBINSON 1907, 328; HOLMES 1914, 55; COOKE 1918, 114; SIMONS 1959, 280; NOTH 1971a, 68; AHARONI 1979, 210; WOUDSTRA 1981, 206 Anm.6; BARTHELEMY 1982, 27; SOGGIN 1982, 139; GÖRG 1991a, 63; ASTOUR 1992, 1057; NELSON 1997, 158; JUNKKAALA 2006, 269; KNAUF 2008, 124; VAN BEKKUM 2011, 122; EDERER 2017, 194. Dagegen aber FRITZ 1969, 143. Es ist jedenfalls unwahrscheinlich, dass Gilgal im MT den gleichnamigen Lagerort im Jordangraben bezeichnet, vgl. MILLER/TUCKER 1974, 103. 246 Vgl. BUTLER 2014, 524. 240
390
Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
am Werk war. Jedoch muss auch darauf hingewiesen werden, dass beide Toponyme Gālîl und Gilgāl von derselben Wurzel GLL „rollen“ oder dem Nomen gal „Haufen“ abgeleitet werden können, sodass es sich um unterschiedliche Namensformen desselben Ortes handeln könnte. Dann wäre diese Abweichung nicht signifikant. Mitunter ist aber auch Gālîl zu Gilgāl verlesen worden, vor allem wenn man die beiden Konsonanten יund ג miteinander verwechselt.247 Gegen die MT-Lesart Gilgal spricht darüber hinaus auch die Beobachtung, dass es in dem Gebiet, das der Nahkontext ausweist, keinen Ort Gilgal gegeben hat und bei den vergleichbaren Präpositionalverbindungen mit l nicht Ortsnamen, sondern Gebiete wie Scharon, Karmel oder Nafat-Dor verwendet werden, sodass auch hier bei leGilgāl eine Gebietsbeschreibung vorliegen sollte, was aber bei Gilgal nicht der Fall ist, da Gilgal ein Ort und keine Region ist.248 Aufgrund des Nahkontextes in Jos 12 kann dieses Gilgal ohnehin nicht mit dem südlichen Ort des Lagers im Jordangraben identifiziert werden. Außerdem weisen auch die anderen Belege für einen Ort Gojim eher in den Norden.249 Problematisch ist zudem auch die Beobachtung, dass beim Ort Gilgal in der Regel ein Artikel verwendet wird,250 was hier aber nicht der Fall ist. Es bleibt somit dabei, dass die Lesart der LXX zuverlässiger ist und hier die Region Galiläa eingetragen werden muss. Darüber hinaus wäre der Ausdruck gôyim zu erklären, der aufgrund der Präpositionalverbindung in Bezug zu Galiläa gesetzt wird, zumal der Ortsname gôyim schwierig ist. Möglicherweise ist hier kein Ortsname Gôyim, sondern ein Nomen „Völker“ im Blick.251 Dann wäre der König der Völkerschaften in Obergaliläa von Josua unterworfen worden, wohin der Feldzug Josuas und die darauffolgende Verfolgung nach Jos 11 ohnehin führte.252 Ob es sich aber lediglich um einen König der gôyim „Völker“ handelt, die mit Galiläa verbunden werden, ist fraglich. Denn ansonsten werden nur Ortsnamen verwendet, sodass es sich auch bei gôyim sicherlich um ein Toponym handeln wird. Außerdem werden bei der Königsliste in der Regel Könige von Stadtstaaten und nicht von Regionen in den Blick genommen,253 sodass 247
Zu dieser Textverderbnis DILLMANN 1886, 504; STEUERNAGEL 1901, 199; KNAUF 2015, 278f. 248 Vgl. HESS 1996a, 251 Anm.328; HOWARD 1998, 283. 249 Vgl. DOZEMAN 2015, 492, der auf Gen 14,1.9; Ri 4,2.13.16 und Jes 8,23 verweist. 250 Vgl. SIMONS 1959, 279. 251 Vgl. auch HARSTAD 2004, 481. 252 Vgl. hierzu schon OETTLI 1893, 164; COOKE 1918, 114. Nach NELSON 1997, 162 wird durch diesen Namen auf die „ethnic diversity of that region“ angespielt. CHENEY 2007, 622 vermutet, dass mit diesem Ausdruck „migrating people related to the Philistines“ im Blick sind. Bisweilen wird vermutet, dass mit dem Ausdruck „Völker bezüglich Gilgal“ aber auch die Integration von Völkern in Israel angedeutet werden soll, zumal Israel beim Jordanübertritt in Gilgal ebenfalls als ein gôy bezeichnet wurde, vgl. hierzu HAWK 2000, 176 Anm.23. 253 Vgl. SIMONS 1959, 279.
2. Textkritische und sprachliche Bemerkungen
391
hier nicht der König der galiläischen Völker gemeint sein kann. Hinzu kommt, dass mit dem Ort Achschaf bereits ein galiläischer König genannt wurde. Man hätte folglich neben diesem spezifischen Galiläerkönig noch eine allgemeine Bezeichnung, was eher unwahrscheinlich ist. Es bleibt somit dabei, dass Gojim ein bislang unbekannter Ortsname sein wird, der vielleicht mit Haroschet-Gojim irgendwie zusammenhängt. Bisweilen wird auch ein ansonsten unbekannter Ort Gaiam rekonstruiert, der in Galiläa verortet werden müsse.254 Alternativ wird noch eine Verschreibung zu Gallîm oder ʿIyyôn oder Qišyôn anstelle von Gôyim angenommen,255 wobei aber die im Rahmen der Textüberlieferung eingetretenen Verschreibungen teils erheblich wären. Zumindest wären alle drei Orte auch anderswo im Alten Testament belegt. Grundsätzlich verbietet es sich jedenfalls, gôyim zu streichen, da dieser Ausdruck textkritisch nicht beanstandet werden kann. Gänzlich unverständlich ist Vetus Latina (goim qui est Gaana). 14) Vetus Latina und LXX gehen in V.24 von nur 29 Königen aus, während Vulgata und MT 31 Könige zählen. Vor diesem Hintergrund hat die griechische Tradition offenbar eine abweichende Königsliste gehabt und dementsprechend anders als der hebräische Text gezählt.256 Allerdings überliefert zumindest Vetus Latina 30 Orte, sodass bei der griechischen Zahlenangabe offenbar ein Fehler vorliegt.257 Vetus Latina hat zumindest die griechische Tradition von 29 Städten übernommen, dann aber 30 Könige übersetzt. Möglicherweise hat die griechische Vorlage der Vetus Latina die Tilgung von Bethel noch nicht vorgenommen. Vielleicht ist die Anzahl 29 der LXX eine sekundäre Kürzung, vor allem wenn man hier eine Gematrie voraussetzt. Denn der Zahlenwert von gwyy (hāʾāræṣ) „Völker (des Landes)“ beträgt exakt 29.258 Insgesamt scheint LXX aufgrund der abweichenden Summenangabe entweder eine abweichende hebräische Vorlage übersetzt oder eine eigene Liste gebildet zu haben.259 Auf die ursprüngliche Anzahl der in der Liste genannten Könige muss im Rahmen der literarhistorischen Erwägungen noch gesondert eingegangen werden. Zumindest die Kürzung der LXX auf 29 lässt sich aufgrund von gematrischen Überlegungen plausibel erklären. Abgesehen von diesen Abweichungen weist die Überlieferung der Königsliste keine weiteren Probleme auf. Lediglich die Anzahl der Könige ist umstritten, 254
Vgl. MILLER/TUCKER 1974, 103. Vgl. FRITZ 1969, 143. 256 Vgl. zum Problem auch BUTLER 2014, 524. 257 Nach KNAUF 2008, 124; KNAUF 2010b, 510 ist 31 als Primzahl, die größer als 7 ist, für biblische Autoren eine böse Zahl. 258 Vgl. auch HOLZINGER 1901, 48. 259 Vgl. BARR 1990, 65. 255
392
Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
da nach Jos 24,12-LXX nur von zwölf Königen der Amoriter auszugehen ist (δώδεκα βασιλεῖς τῶν Αμορραίων).260 Vielleicht wurde die kleinere Zahl zwölf zur größeren Ehre Josuas auf 29 beziehungsweise 31 angehoben.261 Insgesamt folgt die Königsliste in V.9–24 den vorausgehenden Erzählungen. Zunächst werden in V.9 die Könige von Jericho und Ai erwähnt (Jos 6–8). Dann folgen die fünf Amoriterkönige aus Jerusalem, Hebron, Yarmut, Lachisch und Eglon in V.10–12a (Jos 10,3). Der Vorrang von Jerusalem vor Hebron mag die Bedeutung Jerusalems während der judäischen Königszeit abbilden.262 Die restlichen Orte des südlichen Feldzugs Geser, Debir, Libna und Makkeda sind auf 12b.13a.16a verteilt (Jos 10,27–39).263 Die Orte des nördlichen Feldzugs Hazor, Simeon, Maron und Achschaf finden sich in V.20 (Jos 11,1–2), wobei Simeon und Maron im MT einen Doppelnamen SchimronMeron bilden. Weshalb diese Orte nicht alle aufeinanderfolgen, sondern durch andere Orte voneinander getrennt werden, ist schwierig zu klären. Die Umstellung von Maron vor Simeon in Jos 11 mag darauf zurückgehen, dass in der vorliegenden Tradition zu Maron ein Königsname Jobab belegt war, auch wenn dies hypothetisch bleiben muss. Für eine vorliegende Königsliste, die vom Redaktor verwendet werden konnte, könnte darüber hinaus der Umstand sprechen, dass fast die Hälfte der genannten Orte nicht in den Landeroberungserzählungen in Jos 1–11 vorkommen.264 Offenbar wurde eine ursprüngliche Ortsliste von einem Redaktor aufgegriffen und sekundär in eine Königsliste umgearbeitet, worauf die fehlerhafte Aufteilung von „Afek bezüglich Scharon“ in V.18 und die Zusammenfügung der beiden Orte Simeon und Maron zu Schimron-Meron in V.20 hinweisen. Da die Zahlenangabe 31 mit der Anzahl der genannten Könige in MT exakt übereinstimmt, muss auch diese Angabe ähnlich wie die Kardinalzahl ʾæḥād „eins“ redaktionell gebildet worden sein.265
260
Nach KUENEN 1886, 156 müsse daher MT nach LXX abgeändert werden. Vgl. zum Problem auch COOKE 1918, 111. 262 Vgl. OTTOSSON 1991, 102. 263 Nach HERTZBERG 1985, 84 haben die beiden Städte Libna und Makkeda, die auch in den Landeroberungserzählungen vorkommen, den Sammler bewogen, die vorliegende Städteliste für ein Verzeichnis der Städte zu halten, deren Könige von Josua besiegt wurden. 264 Vgl. HOLZINGER 1901, 46. 265 Vgl. FRITZ 1969, 137. 261
3. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Entwürfe
393
3. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Entwürfe Bisweilen wird Jos 12 mit einer priesterlichen Redaktion verbunden.266 Hierfür sprechen verschiedene Beobachtungen. Die Eröffnung mit weʾellæh und die Aufzählung der einzelnen Könige mit ʾæḥād könnte auf priesterliche Idiomatik verweisen.267 Auch die Ähnlichkeit zum priesterlichen Text in Ez 48,1–7.23–27 mag darauf hindeuten, dass hier ein priesterlich imprägnierter Text vorliegt.268 Um einen priesterlichen Text zu erhalten, wird darüber hinaus die „böse“ Primzahl 31 auf 30 abgerundet, die für Totalität stehen mag. Auf diese Weise können diese 30 Orte die Gesamtheit des Verheißungslandes repräsentieren.269 Trotz dieser Berührungspunkte zu priesterlichen Texten ist Jos 12 aber vor allem dtr. geprägt.270 Insofern muss man die hier verwendete Königsliste nicht mit einer priesterlich geprägten Quelle verbinden, auch wenn priesterliche Texte eine Vorliebe für Listen haben und auf diese Weise die Landeroberung zusammengefasst sein könnte. Auffälligerweise entspricht die Zusammenfassung in Jos 12 lexematisch und inhaltlich der Eröffnung in Jos 9,1–2.271 Vor allem die geographischen Angaben werden wiederum verwendet: beʿebær hayYarden (Jos 9,1 und V.1.7), bāhār (Jos 9,1 und V.1.7.8), baššefelāh (Jos 9,1 und V.8), halLebānôn (Jos 9,1 und V.7). Auch die Völkerliste aus Jos 9,1 wird in V.8 aufgegriffen,272 während in V.1 nur die Amoriter herausgegriffen werden, zumal man sich im Ostjordanland nur mit den Amoriterkönigen auseinandersetzen musste. Schließlich führt der in Jos 9,2 von der Feindkoalition angezielte Kampf zu deren Vernichtung (NKY in V.6.7). Selbst das Subjekt „Josua und die Söhne Israels“ ist in beiden Fällen gleich (Jos 9,2 und V.6.7). Dementsprechend lassen sich Jos 9,1–2 und Jos 12 als Rahmen verstehen, wobei die besiegten Könige hinter V.1 und V.6–8 eingetragen wurden. Dementsprechend können V.1.7–8 entweder auf der gleichen literarhistorischen Ebene wie Jos 9,1–2 liegen, oder diese Verse sind später entstanden und haben Jos 9,1–2 verwendet.
266 Zu einer priesterlichen Verortung von Jos 12 OETTLI 1893, 164; OTTOSSON 1991, 100. MOWINCKEL 1964, 59f. weist darauf hin, dass V.1–6 von einem dtr. Redaktor und V.7–24 von der Priesterschrift stammen. 267 Vgl. HOLZINGER 1901, 46. 268 Vgl. OTTOSSON 1991, 102. 269 Vgl. MOWINCKEL 1964, 60. 270 Vgl. WELLHAUSEN 1963, 127. 271 Vgl. auch DE TROYER 2018, 112. 272 Nach ISHIDA 1979, 472 könnte diese Anordnung der Völkerliste aufgrund der Voranstellung von Hetiter und Amoriter in neuassyrischer Zeit entstanden sein, als man auf die neuassyrischen Termini Ḫattu und Amurru zurückgegriffen hat.
394
Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
Zwischen den beiden Abschnitten von Jos 12 (V.1–6 und V.7–24) gibt es zahlreiche Unterschiede, die bei einer redaktionsgeschichtlichen Untersuchung relevant sind:273 1)
Während das Ostjordanland nach V.1 lediglich von den „Söhnen Israel“ erobert wird, sind nach V.7 „Josua und die Söhne Israel“ für die westjordanische Landnahme verantwortlich. Die Leerstelle in V.1 behebt schließlich V.6, wo „Mose und die Söhne Israel“ die beiden Amoriterkönige im Einklang mit der biblischen Tradition erschlagen haben. Zwar werden Ost- und Westjordanland durch die Angabe von Grenzen definiert (V.1 und V.7), das ostjordanische Verheißungsland wird aber zum einen detaillierter beschrieben und zum anderen den beiden Amoriterkönigen Sihon und Og zugewiesen, während das Westjordanland nach einzelnen Regionen und Einwohnern beschrieben wird. Erst im Anschluss folgt in V.9–24 eine Liste mit Königen und deren Städten. Während im Ostjordanland die feindlichen Könige explizit mit Namen genannt werden, werden die westjordanischen Könige nur nach Städten aufgezählt. Den westlichen Königen wird zudem nur jeweils ein Stadtkönigtum zugewiesen, während die beiden Amoriterkönige des Ostens zwar auch über gewisse Städte, darüber hinaus aber auch über größere Gebiete herrschten. Zwar werden Ost- und Westjordanland durch Mose und Josua nach 6b und 7b verteilt, aber das Ostjordanland wird explizit an die zweieinhalb ostjordanischen Stämme Ruben, Gad und Halbmanasse vergeben (6b), während Josua das Land an die Stämme Israels nach ihren jeweiligen Abteilungen austeilt (7b), wodurch der Eindruck entsteht, dass sich das wahre Israel nur im westjordanischen Verheißungsland niedergelassen hat. Nur Mose wird wiederholt als „Knecht YHWHs“ bezeichnet, während Josua dieser Ehrentitel noch nicht zugestanden wird. Erst bei seinem Lebensende wird Josua nach Jos 24,29 ebenfalls „Knecht YHWHs“ genannt. Nur für das Ostjordanland wird in V.1 explizit behauptet, dass die „Söhne Israel“ tatsächlich ʾarṣām „ihr Land“ in Besitz genommen haben (wayyiršû). Ob dies auch für das Westjordanland geschah, wird hingegen nicht gesagt. Möglicherweise wurde in V.7 auf YRŠ verzichtet, damit die Landverteilung in Jos 13–19 anschließen kann. Dann würde V.7 bereits den Einschub der Landverteilungstexte voraussetzen. Während das Ostjordanland in V.1 von Süd nach Nord (Arnon–Hermon) beschrieben wird, erstreckt sich das Westjordanland in V.7 von Nord nach Süd (Libanon–Seir). Auffälligerweise ist die zu V.7 vergleichbare Darstellung des westjordanischen Verheißungslandes in Jos 11,17 demgegenüber von Süd nach Nord orientiert. Vielleicht wollte man das Ostjordanland zunächst von Süd nach Nord und daraufhin das Westjordanland von
2)
3)
4)
5)
6)
7)
273
Vgl. auch VAN BEKKUM 2011, 196.
3. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Entwürfe
395
Nord nach Süd abschreiten, um beide Gebiete kontrastiv gegenüberzustellen. Dies könnte die zu Jos 11,17 abweichende Reihenfolge motivieren. Vielleicht wird hier zudem die Angabe Baʿal Gād taḥat har Ḥærmôn aus Jos 13,5 aufgeteilt und auf die nördliche Begrenzung des West- (Baʿal Gād in V.7) und Ostjordanlandes (har Ḥærmôn in V.1) bezogen, wobei der Ort Baal-Gad in V.7 mit der Libanonebene (bebiqʿat halLebānôn) verbunden werden musste,274 damit nicht das Hermongebirge die Nordgrenze von Ost- und Westjordanland gleichermaßen ist. Während in V.2–5 die individuellen Gebiete der beiden ostjordanischen Amoriterkönige Sihon und Og separat vorgestellt werden, wird für das Westjordanland in V.7–8 das gesamte Land ohne Differenzierung nach den Königen beschrieben.275
8)
Aufgrund dieser Unterschiede ist es naheliegend, dass die beiden Teile in Jos 12 vermutlich nicht auf eine einheitliche Redaktion zurückgeführt werden können. Denn hier sind sicherlich zwei unterschiedliche Hände zu greifen. Hinzu kommt, dass die Eroberung des Ostjordanlandes in V.1–6 den Ereignissen der westjordanischen Landeroberung in Jos 1–11 vorausliegt.276 Vermutlich ist die Landnahme im Westjordanland, die durch die Königsliste in V.9–24 zusammengefasst wird, mit einem sekundären Hinweis auf die ostjordanischen Eroberungen ergänzt worden.277 Durch diesen Verweis auf die Einnahme auch des ostjordanischen Territoriums wird der Besitzanspruch Israels weit über den Jordan hinaus legitimiert. Möglicherweise ist die ursprüngliche Tradition in der Königsliste und in V.7a.8 zu suchen. Vermutlich ist der erste Teil von Jos 12 insgesamt von einer dtr. Hand bearbeitet worden, die auf die Vernichtung der beiden Amoriterkönige in Dtn 1,3 und Dtn 3,9–17 zurückgegriffen und die vorliegenden Angaben gekürzt hat. Da in Jos 12 dtr. Sprache überwiegt, kann man zudem kaum eine ursprüngliche vor-dtr. Tradition rekonstruieren.278 Die Einleitung zur Königsliste wird in 1aα noch nicht mit Josua verbunden und könnte daher ursprünglicher sein als die Einleitung in 7aα, die die westjordanische Landeroberung mit Josua verbindet.279 Durch 7aα wird zudem ein Gegenstück zur Landeroberung unter Mose in V.1–6 geschaffen. Da in 1aα zunächst nur die „Söhne Israel“ in den Blick genommen werden, hat diese Überschrift vermutlich zunächst die Königsliste eröffnet. Erst als der Abschnitt mit
274
Vgl. WÜST 1975, 39f. Vgl. GERMANY 2017, 441. 276 GERMANY 2017, 441 vermutet daher, dass V.1–6 aus diesem Grund eine spätere Ergänzung seien. 277 Vgl. GÖRG 1991a, 61. 278 Vgl. zum Problem auch OTTOSSON 1969, 119. 279 Vgl. GERMANY 2017, 441. 275
396
Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
der ostjordanischen Landeroberung unter Mose ergänzt wurde, wurde V.7 explizit mit Josua und den „Söhnen Israel“ verbunden und V.6 als Unterschrift zum ersten Teil ergänzt.280 Auf diese Weise lässt sich die Doppelung V.1 und V.6 bestens erklären, da nur beide Verse zusammen ein geeignetes Gegenstück zu V.7 sind. Auffälligerweise folgt auf die Erwähnung der beiden ostjordanischen Amoriterkönige eine Gebietsbeschreibung. Dies könnte darauf hinweisen, dass der hierfür verantwortliche Redaktor die verwendeten Texte aus dem Buch Deuteronomium sklavisch befolgte und daher diese inhaltliche Ausweitung vornahm.281 Der dtr. Redaktor hat somit diese Spannung (Königsliste und sekundäre Gebietsbeschreibung) erzeugt, da er seiner dtn Tradition verpflichtet war. Die geographische Auflistung in V.7–8 dient vermutlich als Gegenstück zur ostjordanischen Gebietsbeschreibung in V.1–5. Die Darstellung des eroberten Landes in V.7–8 ist zumindest für die folgende Königsliste des Westjordanlandes nicht notwendig. Vermutlich ist zudem der Begriff hāʾāræṣ in 1aα im Anschluss an Jos 11,23 zunächst auf das Westjordanland zu beziehen,282 sodass ab 1aα eigentlich die Könige des Westjordanlandes in den Blick genommen werden sollen. Erst sekundär wurde das Verheißungsland auf die Gebiete jenseits des Jordan ausgeweitet. Da somit 1aα offenbar die spezifische Landkonzeption in Jos 11,23 voraussetzt, wird diese Einleitung zur westjordanischen Königsliste jünger als die dtr. Einbindung der vor-dtr. Tradition in die Landeroberungserzählung Jos 9–11 sein. Auch zu Jos 12 sind in der Forschungsgeschichte die unterschiedlichsten literarkritischen und redaktionsgeschichtlichen Entwürfe vorgelegt worden: Noth (1971a):283 Die Aufzählung der unterworfenen Könige im Ost- und Westjordanland gehe auf einen dtr. Redaktor zurück, der die Landeroberung in den Gebieten diesseits und jenseits des Jordans auflisten wollte. Zum dtr. Grundbestand gehören V.1.2a.4.6, wobei 1b mit Dtn 3,8 und 2a.4 mit Dtn 1,4 nahezu wörtlich übereinstimmen. Demgegenüber seien 2b–3.5 später redaktionell ergänzt worden, wobei diese Angaben aus Dtn 3 und Jos 13 entlehnt sind. Der Hinweis auf das Hermongebirge und den Ort Salcha sei noch später eingetragen worden. Vom dtr. Redaktor stamme überdies die Einleitung zur Königsliste in V.7–8a, wobei verschiedene Angaben aus Jos 10–11 verwendet wurden. Die Völkerliste in 8b sei hingegen offenbar ein Zusatz aus Jos 9,1. Für die Königsliste in V.9–24 verwendete der dtr. Redaktor eine Liste von kanaanäischen Königsstädten,
1)
280
Vgl. zum Problem WÜST 1975, 52f.; RÖSEL 2011, 197f. Vgl. HOLZINGER 1901, 46. 282 Vgl. WÜST 1975, 53. 283 Vgl. NOTH 1971a, 71f. 281
3. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Entwürfe
397
die er am Anfang um die Städte aus der Landeroberung in Jos 1–11 ergänzte. Bei diesem Entwurf wird das spannungsreiche Nebeneinander von Königsliste und Gebietsbeschreibung nur bei den ostjordanischen Amoriterkönigen literarkritisch ausgewertet, während die Landesbeschreibungen in V.7–8a bereits dem dtr. Redaktor zugeschrieben werden. Die unterschiedliche Darstellung der Könige im Ost- beziehungsweise Westjordanland wird jedoch nicht näher in Betracht gezogen. Auch die Differenzierung hinsichtlich der Handlungsträger in V.1, V.6 und V.7 wird nicht berücksichtigt. Wüst (1975):284 Die ursprüngliche Tradition bestehe aus der Königsliste in V.9–24, die von 1aα und V.8 gerahmt wurde und sich zunächst nur auf das Westjordanland bezog. In dieser Version haben die „Söhne Israel“ die „Könige des Landes“, d.h. des Westjordanlandes, unterworfen. Die Grundschicht 1aα.8–24 wurde noch vor der Einschaltung der Landverteilungstexte Jos 13–19 an die Landeroberungserzählungen Jos 2–11 angeschlossen. Redaktionell wurden schließlich in 1b–5* die beiden ostjordanischen Amoriterkönige aufgrund der in Jos 13 erwähnten ostjordanischen Landverteilung ergänzt, wobei der Fokus in 1aα auf die Inbesitznahme des Landes verlegt und daher der Satz wayyiršû ʾæt ʾarṣām beʿebær hayYarden mizrāḥāh haššāmæš nachgetragen wurde. Außerdem wurden V.6a.7a eingetragen. Die ostjordanische Landeroberung wurde später durch 1bβ.3 präzisiert. In einem letzten Schritt wurden schließlich noch 6b und 7b mit der Landgabe durch Mose beziehungsweise Josua abgerundet, sodass die Beziehung zur Landverteilung in Jos 13–19 unterstrichen wurde. Allerdings wird hier nicht berücksichtigt, dass die Form wayyittenāh eigentlich schon eine vergangenheitliche Landgabe beschreibt, sodass die Landverteilung in Jos 13–19 eigentlich zu spät kommt. Fritz (1994):285 Der Grundbestand von Jos 12 bestehe zunächst aus einer Königsliste in V.9–24, zu der die Einleitung in 1aα* gehöre. Später wurde eine Gebietsbeschreibung des Ostjordanlandes in V.1–8 eingeschoben, die ihrerseits auf einen Grundbestand in 1aα*βbα.2.4.5.7 zurückgehe. Sekundär seien 1bβ und V.3 eingeschoben worden, um das Jordantal dem Amoriterkönig Sihon zuzuschreiben. Auch der Hinweis auf den Sieg des Mose und die darauffolgende Landverteilung in V.6 sei redaktionell ergänzt worden, zumal V.7 bestens an V.5 anschließt und V.7 diesen Einschub abschließt. Da sich der Fokus in V.8 auf das Westjordanland verschiebt, handele es sich ebenfalls um einen Einschub, der aus Jos 9,1 entnommen wurde. Bei diesem Entwurf wird aber nicht beachtet, dass bereits in V.7 der Fokus auf das Westjordanland wechselt. Auch die nach V.6 und
2)
3)
284 285
Vgl. WÜST 1975, 53–55. Vgl. FRITZ 1994, 128f.
398
Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
V.7 bereits geschehene Landgabe durch Mose beziehungsweise Josua wird nicht problematisiert. Nelson (1997):286 In V.1–6 liege eine dtr. geprägte Zusammenfassung der Ereignisse von Dtn 2,26–3,7 vor, während der zweite Teil in V.10–24 eine vorliegende topographische Liste unbekannter Herkunft verwendet habe, die am Anfang durch eine dtr. Einleitung in V.7–8 eröffnet wurde. Außerdem wurden in V.9 noch die Könige von Jericho und Ai ergänzt. Bei diesem Entwurf wird aber die Doppelung von V.1 und V.6 mit den unterschiedlichen Protagonisten (Söhne Israel vs. Mose und Söhne Israel) nicht ausreichend berücksichtigt. Fraglich ist zudem, ob die ostjordanischen Gebietsbeschreibungen nicht ebenfalls eine gewisse Wachstumsgeschichte aufweisen. Die Völkerliste in 8b, die den geographischen Aufriss durchbricht, wird ebenfalls nicht problematisiert. Briend (2000):287 Die vor-dtr. Tradition umfasste die Eröffnung in V.1* und erstreckte sich von V.10–24, wobei zum einen der Ort Jerusalem die Liste eröffnete und Tirza erst später eingefügt wurde, als man sich erinnerte, dass Tirza einst eine wichtige Königsstadt gewesen ist. Die dtr. Redaktion ergänzte schließlich in V.1–6 eine Beschreibung des Ostjordanlandes, in V.7–8 die Eröffnung der westjordanischen Landeshälfte und in V.9 noch die Stadtkönige von Jericho und Ai. Fraglich ist jedoch, ob die dtr. Ergänzungen auf einer literarhistorischen Ebene liegen oder ob diese dtr. Zusätze diachron zu differenzieren sind. Campbell (2000):288 Vielleicht ist die Königsliste in V.7–8a.9–24 bereits ein Zusatz zu einer vor-dtr. Heldenerzählung. Diese Ergänzung sei an einer vollständigen Landnahme interessiert und schildere die Unterwerfung von Königen. Der Abschnitt der ostjordanischen Landnahme in V.1–6 – wie auch die Völkerliste in 8b – sei hingegen später ergänzt worden. Bei diesem Entwurf wird aber die Doppelung V.1 und V.6 nicht ausreichend berücksichtigt. Es ist kaum zu plausibilisieren, weshalb Mose in V.1 verschwiegen wird, wenn V.1–6 aus einem Guss sind. Fraglich ist zudem, weshalb vor der Königsliste noch eine allgemeine Beschreibung des Westjordanlandes eingetragen wurde. Kratz (2000):289 Zur vordtr. Erzählung, die einen literarischen Zusammenhang von Exodus bis Landnahme bereits ausgebildet habe, gehöre schon die Königsliste in Jos 12,1a.9–24, die aufgrund der anderen Anordnung der einzelnen Städte älter als die Landeroberungserzählungen in Jos 6, Jos 8 und Jos 10–11 sei. Eine dtr. Redaktion habe schließlich noch die
4)
5)
6)
7)
286
Vgl. NELSON 1997, 159. Vgl. BRIEND 2000, 377f. 288 Vgl. CAMPBELL 2000, 84f. 289 Vgl. KRATZ 2000, 207–210. 287
3. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Entwürfe
399
ostjordanische Landnahme in Jos 12,1b–8 eingetragen. Bei diesem Entwurf werden die dtr. Zusätze aber trotz der internen Spannungen nicht diachron differenziert. 8) Knauf (2008):290 Ein Grundbestand von Jos 12 sei in der Königsliste in V.9–24 zu sehen. Dieser Liste wurde mithilfe von 1aα noch eine Überschrift vorangestellt, die zusätzlich die Inbesitznahme des jeweiligen Landes dieser Könige beschreibt. Mit Hilfe von mehreren schriftgelehrten Einschüben wurde schließlich dieser Grundtext aufgeblasen, was auf Kosten der geographischen Verständlichkeit wie der syntaktischen Korrektheit erfolgte. Leider werden die einzelnen Wachstumsschübe nicht näher diskutiert. Ob zudem das neue Thema der Landnahme bereits in der ursprünglichen Tradition in 1aα vorhanden ist, sei dahingestellt. 9) Rösel (2011):291 Der vor-dtr. Autor der Königsliste habe in V.8–24 eine ihm vorliegende Ortsliste verwendet, um die Landeroberung abzuschließen. Der erste Teil geht – abgesehen von 1aα – auf einen dtr. Redaktor zurück, der ab wayyiršû das Wort ergreift, was durch das Verb YRŠ und die Landthematik verdeutlicht werde, die besser zur Geographie in V.2–5 als zur Königsliste passe. Da die Orte der Königsliste zu keinem Zeitpunkt gemeinsam besiedelt waren, sei diese Liste vermutlich nur eine literarische Bildung, die sich auf die Landeroberungen in Jos 2–11 stützte, wobei der Autor aber die geographischen Lücken auffüllte. Der Autor der Königsliste verwendete in 8a zudem für das gesamte Verheißungsland die landschaftliche Gliederung von Juda. Aufgrund der identischen Form der Völkerliste von 8b und Jos 9,1 könnte dieser Halbvers auf den dtr. Redaktor zurückgehen. Auf ein mögliches diachrones Wachstum innerhalb der dtr. Ergänzung in 1aα*–7.8b wird jedoch nicht eingegangen. 10) Blum (2012):292 Zu einer vor-dtr. Josuaüberlieferung könnte die Königsliste V.9–24 gehören, die durch 7aα* weʾellæh malkê hāʾāræṣ eröffnet wurde. Auf DtrG sei hingegen die Eintragung der ostjordanischen Könige in V.1–2a.4a*.6.7aβb* zurückzuführen. Alles andere gehe hingegen auf gelehrte Glossen zurück, durch die weitere Details ergänzt wurden. Wie jedoch die Doppelung in V.1 und V.6 zu deuten ist, die auf das DtrG zurückzuführen sei, wird nicht näher besprochen. Auch wie die gelehrten Glossen entstanden sind, wird nicht geklärt. 11) Germany (2017):293 Der Grundbestand von Jos 12 sei vor allem in der Königsliste in V.9–24* zu suchen, wobei die Einleitung in 1aα zu finden wäre. Da die Königsliste sowohl aus den Erzählungen der Landeroberung 290
Vgl. KNAUF 2008, 121. Vgl. RÖSEL 2011, 195–201. 292 Vgl. BLUM 2012, 155f. 293 Vgl. GERMANY 2017, 441–443. Zu dieser Literarkritik vgl. auch GERMANY 2021, 150f. 291
400
Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
in Jos 6–11 wie auch der Landverteilung in Jos 13–21 schöpfe, könne dieser Grundbestand nicht einer vor-dtr. oder vor-priesterlichen Version des Josuabuchs zugerechnet werden. Da zudem die Orte Bethel, Scharon und Madon in LXX fehlen, könnte es sich hierbei um spätere Glossen handeln. Redaktionell wurde schließlich die Eroberung des Ostjordanlandes in 1aβ–6 vorangestellt und eine analoge westjordanische Gebietsbeschreibung in V.7–8 ergänzt.294 Fraglich ist jedoch, ob man die Erwähnung der einzelnen Königsstädte in anderen biblischen Texten mit der Datierung der Königsliste von Jos 12 verbinden darf. Dies setzt nämlich voraus, dass die Liste niemals ein eigenständiges Dokument gewesen ist, sondern erst aus den unterschiedlichsten Materialien zusammengestellt wurde. Allerdings müsste dann auch geklärt werden, weshalb die Abfolge bestimmter Orte in V.9–24 von den Gebertexten im Josuabuch immer wieder abweicht. Wenn nämlich die Königsliste in Jos 12 von Jos 2–11 direkt abhängig wäre, sollten die Orte genauso angeordnet sein. Das ist aber nicht immer der Fall. Die einzelnen literarhistorischen Entwürfe haben viele Dinge richtig gesehen. Sie haben aber auch Schwachstellen, die im Folgenden eingeholt und aufgearbeitet werden müssen. Darüber hinaus muss Jos 12 in den Nahkontext der Landeroberung Jos 9–12 angemessen eingeordnet werden.
4. Eigener Entwurf Im Folgenden sollen die wichtigsten Beobachtungen diskutiert werden, die für eine literarhistorische und redaktionsgeschichtliche Beurteilung von Jos 12 wichtig sind: 1)
Redaktion einer Ortsliste: In 1aα* findet sich die ursprüngliche Einleitung zur Königsliste, die noch nicht mit Josua oder Mose, sondern mit den benê Yiśrāʾel verbunden ist. Aufgrund dieser Beobachtung könnte der Abschnitt 1aα*.9–24 auf die benê Yiśrāʾel-Redaktion zurückgehen, die auch in Jos 9–11 viele Erfolge der Landnahme mit den „Söhnen Israel“ verbunden hat. Offenbar hat diese Redaktion in den V.9–24 eine Liste von 30 Orten verwendet, die man mit zusätzlichen geographischen Details angereichert hat. Diese Ortsliste wurde auch in Jos 10,3 (Jerusalem, Hebron, Jarmut, Lachisch, Eglon) und Jos 11,1 (Hazor, Simeon, Maron/Madon, Achschaf) verwendet. Diese Redaktion muss nach der dtr. Redaktion erfolgt sein, die die verwendeten Heldensagen in die Landeroberungserzählung Jos 9–11 eingebunden hat, da sonst die Königsliste nach Jos 11,18 294
Nach GERMANY 2021, 150f. gehören 1aβbα, 2a und V.4* zur ursprünglichen Ergänzung, während alles andere spätere Ergänzungen sind.
4. Eigener Entwurf
401
gefolgt wäre. Ihre jetzige Position nach dem Abschlussvers Jos 11,23 zeigt deutlich, dass dieser Text ein späterer Appendix sein muss. Bei der Ortsliste handelt es sich vermutlich seit jeher um ein ursprüngliches Verzeichnis von früheren Königsstädten, da nur auf diese Weise erklärt werden kann, dass die Namen dieser Liste für die Darstellung sowohl der südlichen wie auch der nördlichen Feindkoalition in Jos 10 und Jos 11 verwendet werden konnten. Geographische Erweiterung der ostjordanischen Amoriterreiche: In V.1 steht der Ausdruck wekål hāʿarābāh mizrāḥāh außerhalb der min-ʿad-Formulierung, die das ostjordanische Gebiet vom Arnon im Süden bis zum Hermon im Norden absteckt. Der Zusatz wekål hāʿarābāh mizrāḥāh ist eigentlich unnötig, da zuvor das Gebiet „jenseits des Jordans zum Aufgang der Sonne hin“ in den Blick genommen wird. Mit diesem offenbar sekundären Zusatz sollte auch der Jordangraben explizit eingeschlossen werden. Vermutlich geht auf diese Ergänzung auch V.3 zurück, der die ʿarābāh noch zusätzlich beschreibt. Der Anschluss mit einfacher Kopula könnte ebenfalls andeuten, dass hier eine Ergänzung angefügt wurde. Außerdem wird in V.3 der gesamte Jordangraben von Nord nach Süd beschrieben, was eigentlich nicht zu V.2 passt, wo nur ein Teil von Gilead dem Amoriterkönig Sihon zugewiesen wird.295 Dieses Gebiet wird schließlich in Jos 13,27 von einer spätdtr. Redaktion dem Stamm Gad zugewiesen.296 Offenbar hat diese Redaktion die Grenze der beiden Amoriterreiche nicht am Jabbok festgemacht, sondern zwischen Jordangraben und östlichem Bergland. Die sperrige Angabe in V.5, dass die Hälfte von Gilead das Grenzgebiet zum König Sihon beschreibt, scheint ebenfalls auf diese redaktionelle Ergänzung zurückzugehen. Am Schluss von V.5 sollte offenbar betont werden, dass höchstens die Hälfte von Gilead zu Og gehört, während die andere Hälfte – wie schon V.2 betont – zu Sihon zu rechnen ist. Priesterliche Ergänzungen: Außerdem ist der Ausdruck dæræk Bêt haYešimôt ûmittêmān ein Zusatz eines gelehrten priesterlichen Glossators, der in dtn Passagen in Dtn 3,17 oder Dtn 4,49 fehlt. Dieser Redaktor hat offenbar erkannt, dass die Abhänge des Pisga nicht – wie in V.3 beschrieben – im Osten, sondern im Süden liegen. Aus diesem Grund konstruierte der priesterliche Glossator eine östliche Verortung entlang des Wegs von Bet-Jeschimot, wobei er dann den Pisga durch die vorangestellte Präpositionalverbindung ûmittêmān als Südpunkt definierte.297 Den Namen BetJeschimot hat er entweder aus Jos 13,20 entlehnt, wo dieses Toponym bereits
2)
3)
295
Vgl. WÜST 1975, 20. Vgl. GASS 2019b, 368. 297 Vgl. WÜST 1975, 22f. 296
402
Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
mit den Abhängen des Pisga verbunden ist, oder aus Num 33,49 genommen.298 Der Zusatz dæræk Bêt haYešimôt ûmittêmān könnte somit eine Angleichung an priesterliche Texte sein. Auch die Präpositionalverbindung kemaḥleqotām „nach ihren Landanteilen oder Abteilungen“ scheint ein priesterlicher Zusatz zu V.7 zu sein, der auf das Losverfahren in den priesterlichen Landverteilungstexten in Jos 13–19 vorausweist. Diese klärende Ergänzung war schon deshalb nötig, da die Verbalform wayyittenāh eigentlich schon die Landgabe abgeschlossen hat. Durch kemaḥleqotām wird die Erzählung wieder auf das Folgende hin geöffnet. Landgabe: Die beiden Hinweise auf die Landgabe in 6b und 7b werden gelegentlich als Zusätze gedeutet, da dem enklitischen Personalpronomen bei wayyittenāh im Gegensatz zu Jos 11,23 das nötige Bezugswort hāʾāræṣ fehlt.299 Vermutlich wurde diese Verbalform von dort entlehnt. Auf diese Weise wurde der Königsliste noch eine Landverteilung sekundär angeschlossen, wobei das Thema Land in der Constructusverbindung malkê hāʾāræṣ bereits vorgegeben war. Durch den Hinweis auf die schon geschehene Landgabe, was im Erzählverlauf für das Ostjordanland bereits abgeschlossen war, konnte nun auch die Landeroberungserzählung beendet werden. Ein Anschluss der Landverteilung in Jos 13–19 war folglich nicht notwendig. Dementsprechend ist diese dtr. Redaktion, die die Königsliste zusätzlich mit den Gebietsbeschreibungen erweitert hat, vor der Einbindung des priesterlichen Josuabuches Jos 13–22* in das dtr. geprägte Josuabuch Jos 1–12.23–24* anzusetzen.
4)
Aufgrund dieser Beobachtungen kann das literarhistorische Wachstum hinter Jos 12 plausibel nachgezeichnet werden. Die vor-dtr. Tradition bestand aus einer Liste von einzelnen Königsstädten, die noch ohne die zusätzlichen Elemente mælæk und ʾæḥād ausgekommen ist, während die erklärenden geographischen Ergänzungen bereits in der Liste vorhanden waren. Denn sonst hätte man den Namen ʾafeq lašŠārôn kaum auf zwei Könige verteilen können. Diese Ortsliste bestand aus 30 Städten. Diese Zusammenstellung konnte auch von Jos 10,3 und Jos 11,1 verwendet werden, worauf die fast gleiche Abfolge der Städte hinweist. Lediglich in Jos 11,1 sind Simeon und Maron umgestellt worden, da man noch einen König von Maron mit Namen Jobab eintragen wollte. Offenbar gab es in der Tradition einen König namens Jobab, der mit Maron verbunden wurde. Erst sekundär wurde Maron in der hebräischen Textüberlieferung zu Madon, was schließlich auch die Voranstellung von Madon vor Hazor in V.19 und das Zusammenziehen von Simeon und Maron zu Schimron298
Lediglich der Ort Bet-Jeschimot ist in Jos 12 neu, vgl. hierzu HOLLENBERG 1874, 499f., der zudem auf den typisch dtr. Ausdruck yeruššāh verweist. Durch die Verwendung des Ausdrucks yeruššāh unterscheidet sich Jos 12 auch von Jos 11,23, wo das Nomen naḥalāh verwendet wird, vgl. O’BRIEN 1989, 71f. 299 Vgl. WÜST 1975, 54.
4. Eigener Entwurf
403
Meron erzeugte, wobei hier Simeon an das folgende Meron angeglichen wurde. Der so entstandene Name Schimron wirkte dann auch auf Jos 11,1 ein, sodass dort Simeon ebenfalls zu Schimron wurde. Die ursprüngliche Ortsliste wurde schließlich von mehreren Bearbeitungen erweitert, bis der Endtext von Jos 12 vorlag: 1)
2)
Redaktion der benê Yiśrāʾel (1aα.8a.9–24): Zunächst hat diese Redaktion, für die die Verwendung von benê Yiśrāʾel anstelle von Josua typisch ist, die Ortsliste zu einer Liste von Königen umgearbeitet, wobei sich aber auch kleinere Fehler einschlichen. So hat man den Ort ʾafeq lašŠārôn fälschlicherweise auf zwei Orte verteilt und die beiden Städte Simeon und Maron als einen Doppelnamen gedeutet. Aufgrund dieser Fehler hat diese Redaktion den Ort Madon noch nachträglich vor die Abfolge Hazor– Schimron–Meron–Achschaf gestellt, um diese Liste wiederum an Jos 11,1 anzugleichen. Auf diese Redaktion geht auch die Zählung der Könige zurück. Da die Versionen teils eine abweichende Königsliste zusammengestellt haben, wurde die Gesamtzahl jeweils angeglichen, sodass die griechische Tradition nur 29 Könige zählt, während die hebräische Tradition von 31 Königen ausgeht, was aber wiederum nur aufgrund der oben beschriebenen Fehler entstand, zumal die Ortsliste zunächst aus 30 Städten bestand. Die Einleitung in 1aα verweist nicht nur auf die Unterwerfung der Könige, sondern auch auf die Einnahme des Landes, das in 8a noch durch sechs geographische Bezeichnungen näher umschrieben wird. In 8a ist das gesamte westjordanische Verheißungsland im Blick, wobei die drei Bezeichnungen Gebirge–Schefela–Araba das ganze Land gliedern und die drei folgenden Ausdrücke Abhänge–Wüste–Negev judäische Verhältnisse widerspiegeln. Dtr. Redaktion (1aβ.bα.2*.4.5a.6.7*.8b): Die dtr. Redaktion trug schließlich in V.1–6 die Eroberung des Ostjordanlandes ein, das nach V.1 vom Arnon bis zum Hermongebirge reicht und nach V.2–5 auf zwei legendäre Amoriterkönige verteilt war. Das Reich der Amoriterkönige wird mit Angaben aus Dtn 3 beschrieben, wobei beide Territorien noch nicht notwendigerweise aneinanderstießen. Auch die Erstreckung des Reiches von Sihon auf das Jordantal wird von dieser Redaktion noch nicht behauptet. Vielmehr herrschte Sihon im Süden vom Arnon bis zum Jabbok und Og im Norden vor allem über den Baschan. Die hier verwendeten Ortsangaben werden in Jos 13,11 besser zusammengeordnet, sodass die dtr. Redaktion in Jos 12 früher als die Verbindung mit dem priesterlichen Josuabuch Jos 13–22* sein muss. Da 1aα Mose noch nicht als Subjekt führte, musste dieser Abschnitt in V.6 explizit Mose zugeordnet werden, dem dann Josua kontrastiv in V.7 für das Westjordanland folgen konnte. Diese Redaktion geht zudem von einer Konzeption des Verheißungslandes aus, das sich auch auf das Ostjordanland erstreckt, wobei das Ostjordanland an die
404
3)
4)
Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
zweieinhalb ostjordanischen Stämme verteilt wurde. Wie schon in Jos 11,17 verwendet diese dtr. Redaktion in V.7 – allerdings in umgekehrter Reihenfolge – die Erstreckung von Baal-Gad bis zum Kahlen Berg. Die Nord-Süd-Anordnung ist hier der Vorschaltung des Ostjordanlandes geschuldet, das zuvor von Süd nach Nord abgeschritten wurde, sodass hier eine Nord-Süd-Richtung eingeschlagen werden musste, damit man wieder einen Punkt im Süden erreicht. Die Erweiterung der Königsliste um die Gebietsbeschreibungen verdankt sich zum einen der bereits vorgefundenen geographischen Beschreibung des Westjordanlandes in 8a sowie der Verteilung des Landes der unterworfenen Könige, was zuvor schon in der Redaktion der benê Yiśrāʾel in 1aα beschrieben wurde. Die Abfolge der Völker in 8b übernahm der dtr. Redaktor aus der dtr. Landeroberungserzählung Jos 9–11, wo in Jos 9,1 diese Völker bereits mit der Landbeschreibung verbunden waren. Auf diese Weise konnte gezeigt werden, dass die gefährliche Vorbevölkerung beseitigt war, auch wenn sich die Königsliste nur auf die einzelnen Könige bezogen hat. Es geht somit nicht nur um Könige, die man unterwerfen musste, sondern auch um Völker. Spätdtr. Nachträge (1bβ.2*.3*.5b): Da zwischen den beiden Reichen des Sihon und des Og offenbar eine Lücke klaffte, musste man beide Gebiete aneinander annähern, indem man in V.2* und 5b die Konzeption der Teilung Gileads in zwei Hälften eintrug. Da auf diese Weise der Jabbok nicht mehr der nördliche Grenzfluss sein konnte, musste man den Jabbok zum östlichen Grenzfluss machen, der somit das Grenzgebiet zu den Ammonitern bildete. Bei einer derartigen Rekonstruktion können die syntaktischen Schwierigkeiten von V.2 erklärt werden und auch die inhaltlichen Probleme von 5b verschwinden, zumal die Erwähnung von Sihon hier eigentlich fehl am Platz ist. In 5b musste man betonen, dass die Hälfte Gileads das Grenzgebiet zum Amoriterreich Sihons war und somit zum Einflussbereich Ogs gehörte, was 5b sicherstellt. Außerdem hat man das unterworfene Gebiet auf das Jordantal hin erweitert, was sich in 1bβ und V.3* niederschlug. Von dieser Redaktion wird das Lexem gebûl zudem nicht als exakte „Grenze“, sondern als „Grenzgebiet“ verstanden. Priesterliche Nachträge (3*.7*): Zwei kleinere priesterliche Nachträge wurden schließlich in V.3 und V.7 eingetragen. Im ersten Fall wurde das Problem, dass die Abhänge des Pisga nicht im Osten liegen, dadurch behoben, dass man mit Bet-Jeschimot einen priesterlichen Ort aus Num 33,49 eingetragen und auf diese Weise die Erzählung an das Numeribuch angenähert hat. Die zweite Ergänzung in V.7 hat hingegen die Landverteilung nach Anteilen beziehungsweise nach Abteilungen ermöglicht. Die beiden priesterlichen Nachträge sind folglich Angleichungen an den vorausgehenden und nachfolgenden Kontext.
5. Historische Verortung
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Aufgrund der eingeschobenen Gebietsbeschreibungen wurde von einem Glossator in V.4 fälschlicherweise das Lexem gebûl eingetragen und V.5 mit der Konjunktion w angeschlossen, was die ursprüngliche Syntax, die analog zu V.2 konstruiert war, zerstörte. Die hier vorgelegte Redaktionsgeschichte kann zum einen die syntaktischen und inhaltlichen Spannungen im ersten Teil V.1–6 erklären, aber auch die Doppelung der Einleitung in V.1 und V.6. Darüber hinaus lässt sich Jos 12 auf diese Weise als Appendix organisch an die Landeroberungserzählungen Jos 9–11 anschließen.
5. Historische Verortung Traditionsgeschichtlich gibt es in der Umwelt Israels einige Parallelen für Listen, die mit V.9–24 vergleichbar sind.300 Für ein hohes Alter der in Jos 12 verwendeten Liste könnte die Beobachtung sprechen, dass es im griechischen Bereich ähnliche Listen und Zählweisen gegeben hat.301 Verschiedene Tafeln in mykenischem Griechisch aus Kreta und vom Festland, die in Linear B-Schrift geschrieben sind und in die Spätbronzezeit datiert werden können, sind ähnlich gegliedert und haben ebenfalls den Quantor 1. Allerdings steht zuvor noch ein Ideogramm für „Mann“. Dieses Ideogramm bezieht sich auf die Art des Gezählten, um Verwechslungsmöglichkeiten auszuschließen. Folglich werden hier die jeweiligen Beamten gezählt. Selbst die Abschlussformel mit Quantor ist auf einer Tafel aus Knossos belegt. Vor diesem Hintergrund ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass in Jos 12 eine alte Liste vorliegen könnte. Allerdings unterscheidet sich der Kontext der Liste in Jos 12 von derartigen frühen Beamtenlisten. Die vorliegende Liste an Stadtkönigtümern entspricht zudem den topographischen Zusammenstellungen der Pharaonen des Neuen Reiches.302 Bei diesen Ortslisten wurden die verschiedenen Orte der antiägyptischen Koalition, die in einer Feldschlacht besiegt wurde, sowie die Orte, die man eroberte, zusammengefasst. Insofern mussten nicht alle Städte, die auf diesen Listen erwähnt werden, tatsächlich eingenommen werden. Ähnlich wie diese ägyptischen Ortslisten könnte auch Jos 12,9–24 den Triumph über die eroberten Gebiete gefeiert haben.303 Allerdings verwenden die außerbiblischen Texte die 1. Person Singular, 300
Vgl. auch die Zusammenstellung bei TSUMURA 2001, 356–360. Vgl. RING 1976, 141–144. 302 Vgl. HESS 1996a, 249; KITCHEN 2008, 235f. Eine ähnliche Anordnung (Titel + Erzählung + Liste + Zusammenfassung mit Summe) sieht TSUMURA 2001, 363 im Annalenbericht zur Schlacht von Megiddo von Pharao Thutmose III. 303 Vgl. auch AHARONI 1979, 209. GÖRG 1991a, 64 vermutet, dass die vor-dtr. Königsliste Josua möglicherweise „analog zu den Pharaonen als göttlich autorisierten Potentaten deutet“. 301
406
Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
während Jos 12 distanzierter und weniger überschwänglich formuliert.304 Außerdem werden in Jos 12 nicht die einzelnen Orte zusammengestellt, sondern darauf hingewiesen, dass man die dort residierenden Könige geschlagen habe. In Jos 12 zeigt sich offenbar eine gewisse antimonarchische Tendenz. Darüber hinaus gibt es auch einige Parallelen zu assyrischen Texten, wobei in diesem Kontext die Ortslisten in der Regel in den Eroberungskontext eingebunden sind, zumal assyrische Inschriften meist mit Zusammenfassungen über den Umfang der Eroberung und der Kriegsbeute schließen.305 In assyrischen Texten werden somit nach den Eroberungserzählungen Listen von eroberten Städten angefügt, wobei auch noch Städte ergänzt wurden, die nicht in den Erzählungen genannt waren. Vor diesem Hintergrund müssen die inhaltlichen Unterschiede zwischen Jos 6–11 und Jos 12 nicht verwundern.306 Bisweilen wird sogar vermutet, dass die Liste aus Jos 12 sogar auf einen Kriegsberichterstatter zurückgeht, der seine Daten bei der Landeroberung unter Josua sammelte. Ob es allerdings schon in dieser frühen Zeit Schreiber gab, die das Heer begleiteten, ist fraglich.307 Allerdings gibt es für die stereotype Nennung des Numerals ʾæḥād nach jedem König keine Parallele in den assyrischen Listen.308 Schließlich gibt es auch einheimische Ostraka mit Listen, die eine ähnliche Zusammenstellung und Zählweise von Dingen aufweisen.309 Vor diesem traditionsgeschichtlichen Hintergrund ist nicht auszuschließen, dass der Redaktor von Jos 12 eine ihm vorliegende Liste von eroberten Städten verwendet und umgearbeitet hat. Unabhängig von diesen traditionsgeschichtlichen Parallelen wird die Königsliste in Jos 12 vermutlich auf eine vorliegende Ortsliste zurückgegriffen haben, die weder das nomen regens mælæk noch das Zahlwort ʾæḥād aufwies.310 Da bereits die südlichen Königsstädte Jerusalem, Hebron, Yarmut, Lachisch und Eglon aus dieser Ortsliste in Jos 10,3.5.23 eingetragen waren, konnte die auf dieser Ortsliste basierende Königsliste logisch auf die Landnahmeerzählungen in Jos 1–11 folgen.311 Die in der ursprünglichen Tradition von Jos 10,29–39 genannten Orte Libna, Lachisch, Eglon, Hebron und Debir waren demgegenüber seit jeher ursprünglich und konnten schon deshalb beibehalten werden, da diese Orte auch in der von Jos 12 verwendeten Ortsliste vorhanden 304
Vgl. auch HUBBARD 2009, 359. Vgl. zu den assyrischen Listen VAN SETERS 1990, 8; YOUNGER 1990, 230f.; FLANDERS 2022, 86. 306 Vgl. MATHEWS 2016, 109. Nach YOUNGER 1990, 231 waren Listen mit eroberten Städten oft „selective or partial“. 307 Vgl. BUTLER 2014, 525. 308 Vgl. FLANDERS 2022, 86. 309 Vgl. NELSON 1997, 162; HUBBARD 2009, 363, die auf die Arad-Ostraka hinweisen. 310 BUTLER 2014, 523 gibt aber zu bedenken, dass auf diese Weise „the complexion and meaning of the list entirely“ geändert werde. 311 Vgl. zum Problem FRITZ 1969, 140. 305
5. Historische Verortung
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waren. Auf diese Weise hat sich in Jos 10 auch eine Spannung zwischen den fünf Orten der Gibeonerzählung und den fünf Orten des südlichen Eroberungsfeldzugs ergeben. Es stellt sich aber die Frage, welchen historischen Hintergrund diese Ortsliste widerspiegelt. Immer wieder wurde vermutet, dass die Königsstädte in V.9–24 aus den zuvor geschilderten Landeroberungen in Jos 2–11 herausgezogen wurden und von der Darstellung der Landnahme abhängig wären. Aufgrund der inhaltlichen und sprachlichen Nähe von V.1–13a zu Jos 2–10 könnte dieser Abschnitt ausgehend von den Landeroberungserzählungen des Josuabuches entwickelt worden sein.312 Vielleicht hängt daher die Königsliste von den zuvor geschilderten Eroberungs- und Landnahmeerzählungen ab, zumal die Auswahl und Abfolge zwischen der Königsliste und den Erzählungen in Jos 2–11 oft übereinstimmt.313 Jos 12 wäre somit eine literarische Bildung, die nicht historisch missverstanden werden sollte.314 Insgesamt müssen die Ähnlichkeiten und Parallelen zwischen den Erzählungen und der Königsliste vermutlich redaktionsgeschichtlich erklärt werden, wobei die Abhängigkeitsverhältnisse schwierig zu bestimmen sind.315 Darüber hinaus ist fraglich, ob Jos 12 tatsächlich historisch verwertbare Informationen bereitstellen wollte. Vielmehr sollten die sagenhaften Taten Gottes in der Geschichte durch diese Liste gefeiert werden, die sich in der erfolgreichen Landnahme Israels demonstriert haben.316 Außerdem wird auf diese Weise die große Zahl an konkurrierenden Königtümern gegenüber der Einheit und Einigkeit Israels betont.317 Auffälligerweise fehlen zu einigen Königsstädten entsprechende Eroberungserzählungen. Dementsprechend wäre denkbar, dass bestimmte Landnahmeerzählungen weggefallen sind,318 sodass nur noch die Städtenamen dieser 312 Vgl. MÖHLENBRINK 1938, 265. Ähnlich auch NOTH 1971d, 47, dem zufolge Jos 12 von Jos 10 abhängig ist. 313 Vgl. NAʾAMAN 1994, 273. Nach ALT 1953a, 131 sei die Liste besiegter Städte des Westjordanlandes von den Redaktoren des Josuabuches zusammengestellt worden. ALT 1953b, 179 weist zudem darauf hin, dass das im Josuabuch bislang unausgewogene territoriale Gesamtbild erst durch diese Liste ausgeglichen worden sei. 314 Vielleicht hat ein Autor diese Liste zum Teil fiktiv gebildet, indem er Ruinenhügel auswählte, die sich auch in Gegenden befanden, wo es keine Erzählungen gegeben hat, vgl. NAʾAMAN 1994, 273f. 315 Bisweilen wird vermutet, dass auf Jos 11,23 bereits die Landverteilungserzählung ab Jos 13 gefolgt sei, vgl. MÖHLENBRINK 1938, 266. Dann wäre Jos 12 lediglich ein Appendix, der sekundär eingeschoben und vielleicht aus vorhandenen Materialien gebildet wurde. 316 Vgl. SOGGIN 1982, 144. Allerdings stellt sich dann die Frage, wie gänzlich unhistorische Daten überhaupt die großartigen Eingriffe Gottes in den Geschichtsverlauf erklären sollten, vgl. zu diesem Problem LAUGHLIN 2015, 159f. Nach KNAUF 2008, 122 sei die Königsliste lediglich ein Beispiel für schriftgelehrte Arbeit, bei der ein Autor verschiedene repräsentative Orte aus der Vergangenheit und der Gegenwart zusammengestellt habe. 317 Vgl. hierzu auch HAWK 2000, 176; HUBBARD 2009, 365. 318 Vgl. auch AHARONI 1979, 208.
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Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
verschollenen Traditionen übriggeblieben sind. Bisweilen wird angesichts dieses Problems somit vermutet, dass der Autor der Königsliste die einzelnen Orte aus den ihm vorliegenden Texten entlehnt habe,319 wobei er aber in Jos 1–11 nicht alle Erzählungen berücksichtigt habe.320 Darüber hinaus wäre denkbar, dass man die Anzahl der eroberten Städte in Jos 12 bewusst auf 30 erhöhen wollte, indem man weitere Königsstädte sekundär eingetragen hat.321 Dann wären Städte hinzugekommen, für die es zu keinem Zeitpunkt eine Eroberungserzählung gegeben hat. Demgegenüber ist es aber wahrscheinlicher, dass für die Königsliste in V.9–24 ein bereits vorliegendes schriftliches Dokument verwendet wurde, zumal einige genannten Orte in der zuvor erzählten Landnahme nicht erscheinen.322 Hinzu kommt, dass bestimmte zuvor genannte Städte wie Azeka nicht in der Königsliste erwähnt werden, während andere Orte wie Adullam und Geder genannt werden, für die es keine Eroberungstradition gibt. Außerdem gibt es Städte wie Bethel, Jerusalem und Gezer, die außerhalb des Josuabuches erobert werden.323 Vielleicht ist ursprünglich von einer Liste von 30 Städten auszugehen, die dann sekundär von MT durch die Aufteilung ʾafeq leŠārôn zu zwei Königsstädten, die Zusammenfügung von Simeon und Meron zu SchimronMeron sowie die Hinzufügung von Madon in V.19 auf 31 erhöht und von LXX durch die Eliminierung von Bethel in V.16 auf 29 reduziert worden wäre.324 Die Zahl 30 wird auch an anderen Stellen verwendet,325 um die besondere Stärke der Gegner herauszustellen. Auf diese Weise wird zum einen die Schwere des Kampfes, aber auch der große Erfolg Israels betont. Keine menschliche Macht kann folglich gegen Israel bestehen.326 Für den Endtext von
319
Vgl. MOWINCKEL 1964, 48f. Allerdings stellt sich dann die Frage, weshalb der Autor von Jos 1–11 auf der einen Seite einen erheblichen Teil der Landnahmegeschichten nicht aufnahm und auf der anderen Seite eine Erzählung vorlegte, die sich durch einen auffälligen Mangel an Daten auszeichnet, vgl. FRITZ 1969, 136. 321 Vgl. zu dieser Rekonstruktion auch SCHMITT 1970, 116f. Nach MATHEWS 2016, 109 könnte auch damit zu rechnen sein, dass es einen viel größeren Konflikt gegeben haben könnte und dass nur die signifikantesten Erzählungen in Jos 6–11 wiedergegeben wurden. 322 Vgl. FRITZ 1994, 129. 323 Vgl. WAZANA 2013, 199 Anm.27. 324 Vgl. BARTHELEMY 1982, 25. Zu einer Liste mit ursprünglich 30 Königsstädten vgl. schon HOLMES 1914, 55; COOKE 1918, 108; MARGOLIS 1931, 243; MOWINCKEL 1964, 60; SCHMITT 1970, 117 Anm.76; BARR 1990, 65f.; NELSON 1997, 159; VAN BEKKUM 2011, 122; RÖSEL 2011, 196. Nach FRITZ 1969, 143 seien Jericho und Ai in der ursprünglichen Liste noch nicht vorhanden gewesen, dafür wären aber Schimron-Meron sowie Gojim bezüglich Gilgal jeweils zwei Orte gewesen, während Afek und Scharon nur einen Ort gebildet haben. 325 Ri 10,4; 12,9.14; 14,11.19; 2Sam 23,13, vgl. auch AHARONI 1979, 209. Zu 30 als symbolische Zahl, die Totalität umschreibt, vgl. MOWINCKEL 1964, 60. 326 Vgl. auch SPRONK 1994, 99. 320
5. Historische Verortung
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Jos 12 wurde vermutlich eine Ortsliste als grundlegendes Dokument verwendet, um mit der daraus entstandenen Königsliste die kanaanäischen Stadtkönigtümer zu skizzieren.327 Aufgrund der Siedlungsgeschichte der auf der Liste erwähnten Orte scheidet zum einen die Spätbronzezeit aus, da Arad zu dieser Zeit nicht besiedelt war. Zum anderen ist die frühe Eisenzeit unwahrscheinlich, da Lachisch, Makkeda und Afek nicht genutzt wurden und andernorts nur eine sporadische Besiedlung nachgewiesen werden konnte. Problematisch ist zudem, dass die in der Liste erwähnten Königsstädte zu keinem Zeitpunkt alle gemeinsam vorhanden waren. Insofern ist es zweifelhaft, ob es sich bei dieser Liste um ein historisches Dokument aus der Landnahmezeit oder der frühen Königszeit gehandelt hat.328 Demgegenüber ist es wahrscheinlicher, dass es sich wohl eher um eine relativ späte literarische Zusammenstellung von einzelnen Städten gehandelt hat, die man den Kanaanäern zugewiesen hat.329 Allerdings ist unklar, wann diese Ortsliste gebildet wurde. Bisweilen wurde daran gedacht, dass die von der Königsliste verwendete Ortsliste in Jos 12 aufgrund der Erwähnung von Kedesch in V.22 in die persische Zeit weisen könnte, zumal der Ort Kedesch in Naftali ein administratives Zentrum von Obergaliläa gewesen ist.330 Dies gilt freilich nur dann, wenn hier tatsächlich der bedeutende Ort in Obergaliläa und nicht der unbedeutende Ort in der Jesreelebene im Blick ist. Insofern ist auch diese nähere Datierung nicht sicher. Letztendlich ist eine zuverlässige Datierung der vom Redaktor verwendeten Ortsliste kaum noch möglich. Man wird wohl damit rechnen dürfen, dass diese Ortsliste eine fiktive Zusammenstellung von 30 Städten ist, die man den Kanaanäern zuwies. Diese Ortsliste wurde dann zum einen für die Darstellung der 327 Möglicherweise diente die ursprüngliche Städteliste zu pädagogischen Zwecken, vgl. NELSON 1997, 162. Der Umstand, dass sich in dem relativ kleinen Verheißungsland etwa 30 Königsstädte befanden, deutet zumindest auf eine gewisse politische Fragmentierung in der Levante, die auch später noch anzutreffen ist, BOLING 1982, 329 verweist auf 1Kön 20,1, wonach Ben-Hadad von Damaskus 32 Könige in eine Allianz eingebunden hat, oder auf eine Inschrift Assurbanipals, der Tribut von 33 palästinischen und südsyrischen Königen erhielt. Zur Fragmentierung Kanaans in der Landnahmezeit vgl. auch MERLING 1997, 193. 328 Allerdings wird die ursprüngliche Tradition aufgrund der Erwähnung der beiden Könige von Arad und Horma sogar einige Zeit vor der Landnahme datiert, und zwar schon in die Mittelbronzezeit. Diese beiden Orte hätten den östlichen Negev gegen die Wüstennomaden verteidigt. Die biblische Überlieferung könnte somit auf die geographisch-historische Situation etwa dreihundert Jahre oder mehr vor der israelitischen Eroberung zurückgehen, vgl. AHARONI 1976, 73f. 329 Vgl. zu diesen Problemen FRITZ 1994, 136f. Anders noch FRITZ 1969, 156, der von einer Datierung der Liste ins 10. Jahrhundert v. Chr. zur Zeit Salomos ausgeht. Dagegen spricht aber der Umstand, dass wichtige Städte der Salomozeit in der Königsliste nicht erwähnt werden, vgl. NAʾAMAN 1994, 273. 330 Vgl. KNAUF 2010a, 136. Insofern könnte Jos 12 auf eine Josua-Richter-Redaktion zurückzuführen sein, die Anfang des 4. Jahrhunderts v. Chr. gewirkt hat, vgl. KNAUF 2010a, 131.
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Kapitel 4: Das Ostjordanland und die Liste der Könige (Jos 12)
südlichen und nördlichen Landeroberung in Jos 10 und Jos 11 verwendet. Zum anderen wurde diesen Orten in Jos 12 jeweils ein König zugewiesen, den man unterworfen hat. Hierin zeigt sich eine gewisse antimonarchische Tendenz einer Redaktion, die das Übel der Vorbevölkerung vor allem in den Königen sah. Nicht ohne Grund hat die dtr. Überarbeitung die klassische Vorbevölkerung in 8b ebenfalls eingetragen, um zu betonen, dass zusätzlich zu den Königen die gefährlichen Völker im Einklang mit dem Buch Deuteronomium verschwunden sind.
Ergebnisse und Folgerungen 1. Textkritik Insgesamt kann festgehalten werden, dass MT von Jos 9–12 weitgehend zuverlässig überliefert ist und nur an wenigen Stellen verändert werden muss. Die meisten Abweichungen in den alten Versionen sind gut erklärlich und geben keinen Anlass für einen textkritischen Eingriff. Allerdings scheint die Beobachtung, dass bestimmte Versteile von den Versionen sehr unterschiedlich wiedergegeben werden, darauf hinzudeuten, dass in Jos 9–12 immer wieder literarisch gearbeitet wurde, bis die Texte in den einzelnen Fassungen abgeschlossen waren. Auffälligerweise ist gerade MT der beiden Kapitel Jos 9 und Jos 12 relativ gesichert. Lediglich bei der Königsliste in Jos 12,9–24 gibt es zahlreiche Abweichungen zwischen den Versionen. Ein ursprünglicher Text hinter der vorliegenden Liste kann somit kaum noch herausgearbeitet werden. Hier kommt man über Vermutungen nicht mehr hinaus. In der Gibeonerzählung Jos 10,1–15 gibt es zudem zwei wichtige Abweichungen, die berücksichtigt werden müssen. In V.12 erweitern LXX und Vetus Latina den vorliegenden MT maßgeblich, indem das Idiom NTN beyad rekonstruiert, ein temporaler Nebensatz ergänzt und schließlich die Vernichtung der Amoriter vor dem Angesicht Israels behauptet wird. Vermutlich ist MT nach beyôm tet YHWH ʾæt hāʾæmorî folgendermaßen zu ergänzen: beyad Yiśrāʾel kî hikkām beGibʿôn wayyakkû lifnê Yiśrāʾel. In LXX und Vetus Latina könnte gegenüber MT der bessere Text bewahrt sein. Außerdem fehlen in LXX und Vetus Latina die beiden Verse V.15 und V.43 mit der Rückkehr nach Gilgal, was auch literarkritisch von Bedeutung ist. Die meisten Abweichungen bietet der südliche Eroberungsbericht in Jos 10,29–39. Hier hat sich gezeigt, dass die Versionen immer wieder versucht haben, den hinsichtlich der einzelnen Formeln uneinheitlichen MT zu harmonisieren. Auf diese Weise wurden die vielen Varianten des ohnehin schon redundanten Textes eingeebnet und geglättet, indem gewisse Formeln zusätzlich eingetragen wurden. Angesichts dieser Harmonisierungstendenz spricht wenig dafür, dass man den MT aufgrund von angeblichen Textverlusten erweitern muss. Es hat den Anschein, dass der ursprüngliche MT bewusst im Ausdruck abwechselt, um die sprachliche Stereotypie der Eroberungserzählungen aufzubrechen. Insofern sollte man nicht einen einheitlichen Text rekonstruieren.
412
Ergebnisse und Folgerungen
Auch die in den Versionen zu beobachtende unterschiedliche Wiedergabe der Verben, die für die militärischen Aktionen eingesetzt werden, sowie der ständige Wechsel zwischen Plural und Singular müssen nicht auf einen anderen ursprünglichen Text hinweisen. Bei der textkritischen Analyse von Jos 11 haben sich ebenfalls einige Hinweise ergeben, die für die Literarkritik und Redaktionsgeschichte relevant sind. In V.1 sind zumindest die beiden Toponyme Maron und Simeon gegenüber den Orten des MT zu bevorzugen. Der parenthetisch gefügte V.3 könnte aufgrund der unterschiedlichen Versionen eine Glosse sein. In V.7 könnte zusätzlich eine Ortsangabe bāhār zu ergänzen sein. Die Hewitertradition in V.19 ist ebenfalls nicht über jeden Zweifel erhaben. Außerdem ist der Ort Gat in V.22 textkritisch verdächtig. Darüber hinaus ist die Präpositionalverbindung kemaḥleqotām in 23a textkritisch, syntaktisch und lexematisch problematisch. Gerade in den eigentlichen Texten der Landeroberung Jos 10–11 hat sich somit gezeigt, dass eine textkritische Arbeit zahlreiche Anhaltspunkte auch für die literarhistorische Analyse liefert und somit die einzelnen Methodenschritte nicht unabhängig voneinander betrieben werden können. Bei einem Verzicht auf eine textkritische Untersuchung wird man nicht nur den biblischen Texten nicht gerecht, man kann auch die Wachstumsgeschichte nicht angemessen beschreiben.
2. Literarkritik und Redaktionsgeschichte Ausgehend von den sprachlichen und textkritischen Beobachtungen konnten nicht nur inhaltliche Spannungen in den einzelnen Texten aufgewiesen und literarkritisch ausgewertet werden. Vielmehr wurde nach sprachlichen Argumenten für die einzelnen Wachstumsstufen sowie Erklärungen für die Zusätze gesucht, wobei die zahlreichen Beobachtungen der Sekundärliteratur aufgenommen und konsequent zusammengeführt sowie die Schwachstellen der bisherigen Entwürfe herausgearbeitet und behoben wurden. Insgesamt ergibt sich in Jos 9–12 ein relativ kompliziertes Bild der Literargeschichte, das sich aber gut nachvollziehen und begründen lässt. Vor allem dtr. Redaktoren haben diesen Abschnitt des Josuabuchs geschaffen und dabei die unterschiedlichsten Vorstellungen eingearbeitet. Nur in Jos 9 ist auch eine priesterliche Bearbeitungsschicht zu finden, zumal das Bündnis mit den Gibeonitern auch kultische Auswirkungen hatte und vor einem priesterlichen Kontext erklärt werden musste. In allen Textabschnitten finden sich Teile, die auf eine vor-dtr. Überlieferung zurückgehen. Als ursprüngliche Traditionsstücke konnten herausgearbeitet werden:
2. Literarkritik und Redaktionsgeschichte
1)
2)
3)
4)
413
Friedensschluss mit Gibeon in Jos 9: Der Friedensschluss mit Gibeon wird in dieser Tradition noch nicht problematisiert, zumal bei der Landeroberung das Eingehen von šālôm nach Dtn 20,11 durchaus gebräuchlich war. Insofern ist hier das Betrugsmotiv nicht gefordert, da eine Täuschung der Israeliten gar nicht nötig war. Erst eine spätere dtr. Bearbeitung veränderte den Grundbestand von Jos 9 zu einer Betrugserzählung. Heldenerzählung in Jos 10: Der Grundtext der vor-dtr. Heldenerzählung besteht aus allen drei Teilen von Jos 10: Gibeon-, Makkeda- und Feldzugserzählung. Ob die zugrundeliegenden Traditionen unabhängig voneinander umliefen und erst hier miteinander verbunden wurden, ist durchaus möglich. Der zweite kî-Satz in V.1 bindet zudem die Heldenerzählung an Jos 9 an. Aufgrund des Bundesschlusses fürchtete man sich vor dieser neuen Koalition. Daraufhin zogen nicht näher bestimmte Amoriterkönige gegen Gibeon. Auf das Hilfegesuch Gibeons reagierte Josua, indem er mit seinem Heer und mit Unterstützung von Sonne und Mond den Feinden eine schwere Niederlage beibrachte. Danach folgte die Flucht der Könige und deren Versteck in einer noch ortlosen Höhle, die zunächst verschlossen wurde, damit man die Verfolgung abschließen konnte. Anschließend wurden die Könige aus der Höhle geholt, vom Volk gedemütigt und schließlich von Josua getötet. Schließlich wurden die Städte Libna, Lachisch, Eglon, Hebron und Debir erobert. Mit 42a wird die Heldenerzählung abgeschlossen, die vor allem Josua in den Blick nimmt. In der profanen Heldenerzählung wird somit auf die Hilfe von YHWH noch verzichtet. Nördliche Eroberungen in Jos 11: Dem nördlichen Eroberungsfeldzug lag eine Tradition zum einen von der Schlacht bei den Wassern von Merom gegen eine Gesamtheit von Königen und zum anderen von der Eroberung und Brandschatzung von Hazor vor. Ob diese beiden Josuatraditionen schon miteinander verbunden waren, ist fraglich. Eine frühe Zusammenstellung könnte aber durch den Anschluss wayyāšåb in 10a angedeutet sein. Die ursprüngliche Tradition endete schließlich mit der Einnahme der Städte der feindlichen Könige in 12a*. Königsliste in Jos 12: Die vor-dtr. Liste von einzelnen Königsstädten kam noch ohne die beiden Elemente mælæk und ʾæḥād aus, während die erklärenden geographischen Ergänzungen bereits in der Liste vorhanden waren. Denn sonst hätte man den Namen ʾafeq lašŠārôn kaum auf zwei Könige verteilen können. Diese Ortsliste bestand aus insgesamt 30 Städten und konnte später von Jos 10,3 und Jos 11,1 verwendet werden.
Inwieweit diese Traditionen bereits verbunden waren, ist nicht gesichert. Zumindest die Betrugserzählung Jos 9* und die Gibeonerzählung Jos 10* bilden einen einheitlichen Erzählzusammenhang, der nicht aufgebrochen werden sollte. Außerdem ist die Flucht der Könige in Jos 10* sowie die Eroberung der
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Ergebnisse und Folgerungen
südlichen und nördlichen Städte in Jos 10*–11* bestens zusammengefügt, sodass es durchaus möglich ist, dass in Jos 9*–11* eine vor-dtr. Erzählung zu finden ist. Allerdings ist fraglich, ob dieser Erzählstrang auch noch über Jos 9*–11* hinausreicht, da eine Verbindung zu den vorausgehenden Jerichound Ai-Erzählungen sicher erst dtr. geschaffen wurde. Auch ob Jos 9*–11* zu einer ursprünglichen Exodus-Landnahme-Erzählung gehört, kann hier nicht entschieden werden. Auffälligerweise ist die Zusammenfassung der ost- und westjordanischen Landnahme in Jos 12 erst relativ spät an Jos 9*–11* angeschlossen worden, wobei hier eine ältere Königsliste verwendet werden konnte. Im Folgenden sollen die einzelnen Wachstumsstufen im Textabschnitt Jos 9–12 nachgezeichnet werden: 1)
2)
Erste dtr. Redaktion (nur in Jos 9): Eine erste dtr. Redaktion bearbeitete lediglich Jos 9, indem der Friedensschluss mit Gibeon durch eine Betrugserzählung modifiziert wurde. Nachdem nämlich die Kriegsgesetze des Deuteronomiums in Dtn 20 mit dem Bündnisverbot in Dtn 7,2 harmonisiert wurden, musste auch die Gibeonitererzählung in Jos 9 umgeschrieben und zu einer Betrugsgeschichte verwandelt werden, die aber insgesamt mit viel Sympathie erzählt wird. Ein Bündnis durfte nämlich nach Dtn 20,15–18 nur noch mit sehr entfernten Völkern geschlossen werden. Ähnlich wie Josua handeln nun auch die Gibeoniter mit List und verkleiden sich, wobei auf Dtn 29 zurückgegriffen wird. Mit solchen Personen aus einem „sehr fernen“ Land ist ein Friedensschluss nach Dtn 20,15 möglich, nicht aber ein formeller Vertrag. In dieser dtr. Redaktionsschicht ist eine kreative Tora-Exegese am Werk, da in Jos 9 sogar ein Vertrag geschlossen wird. Ein Vertrag war aber schon deshalb für die Erzähllogik nötig, da dieser nicht allzu leicht wieder revidiert werden konnte. Die dtr. Betrugserzählung enthält zudem auch die Ahndung des Betrugs durch die Israeliten. Da gemäß Dtn 20,11 ein Friedensschluss nur mit der Bedingung der Zwangsarbeit verbunden ist und die Gibeoniter eigentlich für das Heilige gebannt werden mussten, verpflichtete man sie zu Kultsklaven am Altar, um zumindest den Erfordernissen der Tora halbwegs zu genügen. Zweite dtr. Redaktion (in Jos 9–11): Eine zweite dtr. Redaktion bearbeitet den Abschnitt der Landeroberung in Jos 9–11 vor allem durch rahmende Elemente und verband auf diese Weise die verwendeten Erzählungen noch besser miteinander. Von dieser Bearbeitungsschicht wurde der Schwerpunkt von Josua weggenommen und die Hilfe Gottes besonders betont. Diese Redaktion ist für die Anbindung der Eroberungserzählungen Jos 9*–11* an die Jerichoerzählung verantwortlich. Auf diese zweite dtr. Redaktion geht die Einleitung in Jos 9,1–2 mit dem Idiom wayehî kišmoaʿ zurück.
2. Literarkritik und Redaktionsgeschichte
415
Die zweite dtr. Redaktion ist zudem vor allem in Jos 10–11 zu finden. In Jos 10 beschränkte sie zunächst die Zahl der Amoriterkönige in Anlehnung an die eroberten fünf Städte des südlichen Feldzugs auf fünf. Außerdem führte diese Redaktion den Jerusalemer König Adonizedek als Haupträdelsführer ein. Der bereits vorgefundene kî-Satz in V.1 wird aufgrund dieser Rahmung als Objektsatz des Hörens Adonizedeks verstanden. Auf diese dtr. Redaktion gehen der Aufruf Adonizedeks in V.3–4 und die Einschreibung der fünf Amoriterkönige in V.5 zurück. Damit sichergestellt wird, dass es genau diese fünf Amoriterkönige sind, wird das Numeral „fünf“ in V.5, V.16 und V.22 ergänzt. Da die dtr. Redaktion vor allem das Engagement YHWHs besonders betonen möchte, sind außerdem die verspätete Ermutigungsformel in V.8, die vorgeschaltete, von YHWH ausgelöste Panik in 10aα, das Hagelwunder in 11a und die lange Ergänzung zur Redeeinleitung in V.12 zu dieser Überarbeitung zu rechnen. Schließlich stammt der Autorenkommentar in 13b–14 von dieser Redaktion. Da beim Autorenkommentar ähnliche sprachliche Ausdrücke wie in V.19 verwendet werden, gehört auch V.19 insgesamt zur zweiten dtr. Ergänzung, wo die Verfolgung im Gegensatz zu V.20 den Israeliten aufgetragen und die Übereignungsformel ergänzt wird. Außerdem musste in V.20 nachgetragen werden, dass sich trotz des umfassenden Sieges ein Rest in die Städte zurückziehen konnte. Auf diese dtr. Ergänzungsarbeit gehen zudem der unnötige Hinweis auf die Ausführung des Befehls in V.23, die nachträgliche Ermutigungsformel in V.25 sowie die zweite Form der Demütigung des getöteten Feindes durch Pfählung in V.26–27 zurück, die an Dtn 21,22–23 erinnert. Im Rahmen des südlichen Eroberungsfeldzuges sind die Übereignungsformel (V.30.32), die Vergleichsformel (V.30.32.35.37.39), die Entronnenenformel (V.30.33. 37.39), die Vernichtung beziehungsweise der Bann der Gesamtheit des Lebens (V.30. 32.35.37.39) dtr. Ergänzungen, die aber nicht immer in formal gleicher Abfolge in den Grundtext eingetragen wurden. Entweder ist diese Unordnung im Laufe der Textüberlieferung entstanden oder der Redaktor hat bewusst abgewechselt. Ausgehend von der „Gesamtheit dieser Könige und ihr Land“ in V.42 wurde davor in V.40 die Erschlagung der Gesamtheit des Landes vorgeschaltet und ein Hinweis auf das Banngebot in Dtn 20,16 angeschlossen. Der dtr. ergänzte Text wird in 42b mit einem Refrain zur Gibeoniterschlacht abgeschlossen. Auch in Jos 11 wurde aus ursprünglich profanen Kriegserzählungen eine YHWH-Kriegserzählung gemacht, indem das göttliche Wirken besonders betont wurde. Zunächst wurde unter Verwendung von vorliegendem Material die Feindkonstellation in V.1–2.4 beschrieben. Der aus dem Richterbuch entlehnte König Jabin von Hazor schloss erfolgreich (V.4) ein Bündnis von Königen aus bestimmten Städten (V.1) und bestimmten Regionen (V.2). Außerdem wurde in V.5 die „Gesamtheit der Könige“ zu „Gesamtheit dieser Könige“
416
3)
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Ergebnisse und Folgerungen
verändert. Vor der eigentlichen Schlacht wurde in V.6 ein Gottesorakel und in V.7 die Übereignungsformel eingetragen sowie der Verweis ergänzt, dass es keinen Entronnenen gab. Derartige Zusätze sind auch in Jos 10 typisch für dieses redaktionelle Stratum. Auch die Hinweise, dass sich Josua an die Weisungen hielt, sowie die Durchführung des Banngebots in V.9.12.15 sind auf diese Redaktionsschicht zurückzuführen. In V.12–13 wurde zudem die Bannung der Könige eingetragen. Außerdem wurde in V.13 besonders betont, dass nur Hazor allein zerstört wurde. Ab V.16 folgt schließlich eine dtr. Zusammenfassung des südlichen und nördlichen Feldzugs, wobei die geographische Gliederung aus Jos 10,41 aufgegriffen und auf den Norden hin erweitert wurde. Von dieser Redaktion wurde in 17b–18.20* hervorgehoben, dass offenbar nur die Könige ausgeschaltet und der Bannweihe überliefert wurden. Was mit der Vorbevölkerung geschah, wird hier nicht ausgeführt. Mit dem abschließenden V.23 wurde das Kapitel der Landeroberung geschlossen und die Landverteilung bereits durchgeführt. Die Ruheformel beendete schließlich den Erzählzusammenhang von Jos 9*–11*. Damit kam der Abschnitt der Landeroberung Jos 9*–11* zu einem Abschluss. Makkeda-Verortung (nur in Jos 10): Die nächste Redaktion griff nur in Jos 10 ein und verortete die Erzählung vom Versteck der Könige in Makkeda. Da die Libna-Tradition in V.30 die Ereignisse nicht mit Makkeda, sondern mit Jericho vergleicht, kann der ursprüngliche Text weder die Verortung der Ereignisse in Makkeda noch die Ai-Erzählung in Jos 7–8 gekannt haben, sondern nur die Jericho-Tradition. Die Erzählung vom Versteck der Könige wurde somit zunächst ortlos überliefert und erst sekundär mit einer Höhle bei Makkeda verbunden. Deshalb wurde der Zielpunkt der Flucht in V.10 um den Zusatz weʿad Maqqedāh redaktionell erweitert und die bislang ortlose Höhle in V.16 durch den Zusatz beMaqqedāh lokalisiert. Da sich die Höhle bei Makkeda befand, musste das Heer nach der Vernichtung des Feindes wiederum dorthin zurückkehren, was in 21a eingetragen wurde. Da die ätiologische Erklärung in 27b den Ort Makkeda dringend benötigt, ist 27b ebenfalls dieser Bearbeitungsschicht zuzurechnen. Mit dem vorhandenen sprachlichen Material wurde zusätzlich in V.28 eine Eroberung Makkedas nachgeschoben, die eigentlich vor der Episode mit der Höhle hätte stattfinden müssen. Auf diese Weise wurde die Fünfzahl der eroberten Orte auf sechs erhöht. Auch mimMaqqedāh in V.29 geht auf diese Bearbeitungsschicht zurück. Redaktion der benê Yiśrāʾel (in Jos 9–12): Erst diese Redaktion ist für die Einbindung der Ortsliste verantwortlich, die zu einer Königsliste umgeformt wurde. Auf diese Weise entstand auch der Gesamtentwurf von Jos 9–12, der im Anschluss nur noch geringfügig modifiziert wurde. In dieser redaktionellen Schicht wurden die benê Yiśrāʾel „Söhne Israels“ als neuer Handlungsträger eingeführt.
2. Literarkritik und Redaktionsgeschichte
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In Jos 9 wurde mithilfe des Stichworts der „drei Tage“ in V.17 der Hinweis auf die gibeonitische Tetrapolis ergänzt. Durch eine Expedition sollte das Gerücht verifiziert werden. Da dies offenbar nur eine Untersuchung des Sachverhalts war, erschlugen die „Söhne Israels“ die Gibeoniter nach 18aα noch nicht. Auf diese Redaktion gehen vermutlich auch der Fluchspruch Josuas in V.23 und die Rettung der Gibeoniter in V.27 zurück. Auch in Jos 10 wurden die benê Yiśrāʾel in V.4.12.20 dem Heerführer Josua als Handlungsträger an die Seite gestellt. In V.11 wurde zudem betont, dass mehr Feinde durch die Steine umkamen als durch das Schwert der benê Yiśrāʾel. Demnach wurde die Aktivität YHWHs in ein Verhältnis zum menschlichen Beitrag an der siegreichen Schlacht gesetzt. In V.21 wurde die Präpositionalverbindung bešālôm durch einen zusätzlichen Satz erklärt. In Jos 11 wurde die Bannweihe nach V.14 nur auf die Menschen bezogen, während Beute und Vieh geplündert werden durften. Diese Redaktion verweist in V.19 zudem auf die Vollständigkeit der Eroberung. Schließlich wurde in V.21–22* noch die Anakitertradition eingetragen, die aus einer vorliegenden Tradition übernommen wurde. Dieser Einschub weicht maßgeblich von den übrigen Anakitererzählungen des Josuabuches ab, sodass V.21–22* wohl redaktionell früher als die übrigen Anakitertexte eingetragen wurden. In Jos 12 arbeitete diese Redaktion die Ortsliste zu einer Liste von Königen um, wobei sich aber auch kleinere Fehler einschlichen. So verteilte man den Ort ʾafeq lašŠārôn fälschlicherweise auf zwei Orte und deutete die beiden Städte Simeon und Maron als einen Doppelnamen. Aufgrund dieser Fehler wurde Madon nachträglich vor die Abfolge Hazor–Schimron–Meron–Achschaf gestellt, um diese Liste an Jos 11,1 anzugleichen. Auf diese Redaktion geht auch die Zählung der Könige zurück. Die Einleitung in 1aα verweist zudem nicht nur auf die Unterwerfung der Könige, sondern auch auf die Einnahme des Landes, das in 8a durch sechs geographische Bezeichnungen näher umschrieben wurde. Dritte dtr. Redaktion (in Jos 9–12): Die dritte dtr. Redaktion trug noch zusätzlich weitere Ergänzungen und Verschärfungen ein. Auf diese Weise wurde auch die Ai-Tradition von Jos 7–8, die vermutlich noch kein so hohes Alter hatte, in Jos 9,3 und Jos 10,1–2 nachgetragen. Durch die Technik der Wiederaufnahme trug diese Redaktion zudem in Jos 9,6*–7 den Heerbann (ʾîš Yiśrāʾel) als neuen Akteur ein. In dieser Ergänzung behaupteten die Gibeoniter, dass sie nur aus einem „fernen“ Land stammen, sodass für sie die Gesetzgebung von Dtn 20,15 eigentlich nicht zutrifft. Außerdem wurden sie als Hewiter qualifiziert, an denen man nach Dtn 20,17 ohnehin den Bann vollziehen sollte. Darüber hinaus wurde schon hier der Verdacht geäußert, dass die Fremden tatsächlich „in der Mitte“ Israels
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Ergebnisse und Folgerungen
wohnen. Diese Idiomatik wurde noch in V.16 und V.22 ergänzt. Auf diese Weise wurde der offensichtliche Betrug der Gibeoniter noch verschärft. In Jos 10 wurden ebenfalls weitere dtr. Zusätze eingetragen. In V.1 und V.2 trug man die Ai-Tradition nach. Auch die Zuschreibung der Amoriter zum Gebirge in V.6, was gegen die Verortung der einzelnen Städte in V.3 und V.5 spricht, geht auf diese Bearbeitung zurück, die Dtn 1,7.19.44 berücksichtigt. In V.24 könnten aufgrund der Ausdrucksweise ʾîš Yiśrāʾel „Mannschaft Israels“ und der späten Beschreibung der Offiziere zwei dtr. Nachträge vorliegen. Darüber hinaus wurde in V.40 die Bannweihe durch eine verschärfende Glosse auf alles Leben ausgedehnt. Außerdem wurde die Landeroberung in V.41 gegenüber von V.40 erweitert. In Jos 11 wurde von dieser Redaktion betont, dass es nach V.3 nicht nur Könige waren, die sich gegen Israel gestellt haben, sondern die Vorbevölkerung. In V.8 wurde die Verfolgung des feindlichen Heeres über ein großes nördliches Gebiet eingetragen, um zu betonen, dass es nicht nur eine lokale Schlacht war. Auf diese dtr. Redaktion geht auch die besondere Hervorhebung Hazors in 10b zurück, was ein Ausgleich mit Ri 4,24 sein könnte, wo Jabin als König Kanaans dargestellt wird. Außerdem musste vor der Zerstörung Hazors der Bann eingetragen werden, der nicht nur an Menschen, sondern an allen Lebewesen vollzogen wurde. Diese Aussage musste auch in 14b* ergänzt werden. Auf diese Weise wurde die Bannvorgabe noch zusätzlich verschärft. In 17a wurde zudem die Landkonzeption aus V.16 präzisiert und mit Jos 12,7 harmonisiert. In V.19 wurde darüber hinaus die zuvor übersehene Ausnahme der Gibeoniter nachgetragen. Schließlich wurde in V.22 neben Aschdod und Gaza die Philisterstadt Gat eingetragen, was auch textkritisch begründet werden konnte. In Jos 12 trug diese dtr. Redaktion in V.1–6 die Eroberung des Ostjordanlandes ein, das nach V.1 vom Arnon bis zum Hermongebirge reicht und nach V.2–5 auf zwei legendäre Amoriterkönige verteilt war. Das Reich der Amoriterkönige wurde mit Angaben aus Dtn 3 beschrieben, wobei beide Territorien noch nicht notwendigerweise aneinanderstießen. Auch die Erstreckung des Reiches von Sihon auf das Jordantal wurde von dieser Redaktion noch nicht behauptet. Vielmehr herrschte Sihon im Süden vom Arnon bis zum Jabok und Og im Norden vor allem über den Baschan. Die hier verwendeten Ortsangaben werden demgegenüber in Jos 13,11 besser zusammengestellt, sodass die dritte dtr. Redaktion in Jos 12 früher als die Verbindung mit dem priesterlichen Josuabuch Jos 13–22* sein muss. Somit kann der Abschnitt Jos 13–22* erst nach dieser Redaktion in das Josuabuch gekommen sein. Zuvor wurden beide Teile unabhängig voneinander überliefert. Dieser Redaktor musste zudem in V.6 Mose explizit nachtragen, dem dann in V.7 Josua kontrastiv für das Westjordanland folgen konnte. Die dtr. Redaktion verwendete in V.7 – allerdings in umgekehrter Reihenfolge – die Erstreckung von Baal-Gad bis zum Kahlen
2. Literarkritik und Redaktionsgeschichte
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Berg. Die Abfolge der Völker in 8b übernahm der dtr. Redaktor aus Jos 9,1, wo diese Völker bereits mit der Landbeschreibung verbunden waren. Auf diese Weise konnte gezeigt werden, dass die gefährliche Vorbevölkerung beseitigt war. Gilgal-Verortung (nur in Jos 10): Ohne Rücksicht auf die Lokalisierung eines Lagers in Makkeda trug eine späte Glossierung jeweils hinter dem Satz kî YHWH nilḥām leYiśrāʾel die Rückkehr ins Lager von Gilgal nach (V.15 und V.43). Die übrigen Erwähnungen von Gilgal in V.6, V.7 und V.9 wurden ebenfalls redaktionell ergänzt. Mithilfe der Gilgal-Verortung wurde die herausragende Leistung Josuas noch zusätzlich betont, da Josua und die Gesamtheit Israels immer wieder vom Lager in Gilgal aufbrechen und dorthin wiederum zurückkehren. Spätdtr. Nachträge (nur in Jos 12): Da zwischen den beiden Reichen des Sihon und des Og offenbar eine Lücke klaffte, musste man beide Gebiete einander annähern, indem man in V.2* und 5b die Konzeption der Teilung Gileads in zwei Hälften eintrug. Da auf diese Weise der Jabbok nicht mehr der nördliche Grenzfluss sein konnte, musste man den Jabbok in V.2* zum östlichen Grenzfluss machen, der somit das Grenzgebiet zu den Ammonitern bildete, während man in 5b betonen musste, dass die eine Hälfte Gileads das Grenzgebiet zum Amoriterreich Sihons war und somit zum Einflussbereich Ogs gehörte. Außerdem erweiterte man das unterworfene Gebiet auf das Jordantal hin, was sich in 1bβ und V.3* niederschlug. Von dieser Redaktion wurde das Lexem gebûl zudem nicht als exakte „Grenze“, sondern als „Grenzgebiet“ verstanden. Priesterliche Ergänzungen (nur in Jos 9 und Jos 11–12): Ausweislich der Idiomatik lassen sich in Jos 9 einige Verse als priesterliche Ergänzungen abheben. Zu dieser Redaktion gehört leḥayyôtām in V.15 sowie der Schwur der „Fürsten der Gemeinde“, der im Nachhinein zu Unmut in der „Gemeinde“ in V.18–21 führte. Aufgrund des Schwurs konnte man die Gibeoniter nicht auslöschen, da man ansonsten den Zorn Gottes herausgefordert hätte. Da man die Fremden nicht im Heiligtum einsetzen wollte beziehungsweise konnte, machte man sie zu Sklaven für die Gemeinde (V.21 und V.27). Auf priesterlichen Einfluss gehen in Jos 11 ausweislich der Terminologie nur zwei kleine Zusätze zurück. Zum einen sollte in V.20 betont werden, dass YHWH die Herzen der Gegner und damit deren feindliche Einstellung verstärkt hat, damit es zum entscheidenden Kampf und damit verbunden zur Bannweihe kommen konnte. Zum anderen wurde in V.23 noch die Gliederung in einzelne Abteilungen vor den Stämmen ergänzt und damit auf die priesterliche Landverteilung vorverwiesen, obschon diese bereits abgeschlossen ist, worauf die Verbalformation wayyiqtol hinweist. Nur zwei kleine priesterliche Nachträge wurden in Jos 12 eingetragen. In V.3 wurde das Problem, dass die Abhänge des Pisga nicht im Osten liegen,
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dadurch behoben, dass man mit Bet-Jeschimot einen priesterlichen Ort aus Num 33,49 eintrug. Die zweite Ergänzung in V.7 ermöglichte hingegen die Landverteilung nach Anteilen beziehungsweise nach Abteilungen. Glossen (nur in Jos 9–10 und Jos 12): Der ätiologische Abschluss in Jos 9,27 „bis zu diesem Tag, an dem Ort, den er erwählen wird“ ist eine dtr. Glosse, mit der die Verwendung der Gibeoniter als Kultsklaven bis in die Zeit des Erzählers begründet wurde. Vermutlich ist auch das Adjektiv gedolôt in Jos 10,11 eine angleichende Glosse, die erst spät in den vorliegenden MT eindrang. Von einem Glossator wurde zudem in Jos 12,4 fälschlicherweise das Lexem gebûl eingetragen und V.5 mit der Konjunktion w angeschlossen, was die ursprüngliche Syntax, die analog zu V.2 konstruiert war, zerstörte.
Da man in Jos 9–12 die unterschiedlichsten Vorgaben der Tora aufnahm, entstand in Jos 9–12 eine sehr disparate Ereignisfolge, die man nur diachron erklären kann. Angesichts der einzelnen Wachstumsstufen erhält man jedoch einen Einblick, wie biblische Theologen die Landeroberung und die damit verbundenen Probleme interpretiert haben. Insgesamt fällt auf, dass die einzelnen Redaktionen in Jos 9–12 fast immer ihre abweichenden oder präzisierenden Ergänzungen additiv eintrugen. Außerdem kann das Wachstum dieses Textabschnitts schon aufgrund der eigenständigen Idiomatik der einzelnen Bearbeitungen relativ leicht nachvollzogen werden.
3. Historische Verortung der ursprünglichen Erzählungen In den Landeroberungstexten wurden – wie gesehen – einige Traditionen verwendet, die sich dem historischen Zugriff weitgehend entziehen, da diese nicht nur recht vage formuliert sind, sondern auch unterschiedliche Rekonstruktionen zulassen. Trotzdem sind einige Bemerkungen möglich, auch wenn diese hypothetisch bleiben müssen: 1)
Bundesschluss mit Gibeon (Jos 9): Die historische Verortung der ursprünglichen Tradition von Jos 9 ist schwierig zu bestimmen. Ein Bundesschluss mit Gibeon und den anderen Städten könnte durchaus auf Erinnerungen an die Landnahme der israelitischen Stämme zurückgehen. Hierauf verweisen zum einen Dtn 20, wonach zunächst ein solches Vorgehen nicht verboten war, zum anderen die behauptete Bundesverbindung in 2Sam 21. Allerdings kann nur die mündliche Tradition hinter Jos 9 ein hohes Altes besitzen, da spätestens die verschriftete Erzählung mit dem Friedensschluss die weitere Erzählabfolge in Jos 10 voraussetzt. Möglicherweise geht es in der mündlichen Tradition hinter Jos 9–10 darum, wie ein indigener Warlord aufgrund eines Bündnisses die Stadt Gibeon und
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deren Bewohner gerettet und eine gewisse Hegemonie in der Schefela errichtet hat. Versklavung der Gibeoniter (Jos 9): Die Verwendung der Gibeoniter als Holzfäller und Wasserschöpfer am Jerusalemer Tempel wird entweder auf die Kultzentralisation Joschijas oder auf nachexilische Kultpolemik gegenüber der Kultstätte von Gibeon zurückgeführt, wobei Gibeon auch als Chiffre für das samaritanische Heiligtum auf dem Garizim stehen konnte. Bisweilen wurde vermutet, dass sich Jos 9 polemisch gegen Juda, Jerusalem und das Tempelpersonal wendet. Denn unter den dortigen Bediensteten befinden sich Nicht-Israeliten wie die Gibeoniter, die ihre Position am Tempel durch Betrug und einen Eid der Vorsteher erschlichen haben. Insofern könnten sich hier vorexilische oder auch nachexilische Differenzen zwischen Teilen Israels/Judas und Jerusalems niedergeschlagen haben, ohne dass man diese Konflikte näher bestimmen kann. Schlacht bei Gibeon (Jos 10): Fraglich ist zunächst, ob es überhaupt eine Schlacht bei Gibeon gab oder ob nicht diese Kriegserzählung erst aus dem poetischen Liedfragment herausgesponnen wurde. Im zweiten Fall wären die Daten für eine historische Verortung kaum noch zu verwenden. Ebenso umstritten ist, ob der Efraimit Josua seit jeher mit der Schlacht bei dem benjaminitischen Ort Gibeon verbunden werden kann. Bisweilen wurde vermutet, dass der kriegerische Konflikt bei Gibeon historisch von Jarmut und damit von der nördlichen Schefela ausging, zumal der Ortsname Jarmut ansonsten nicht vorbereitet ist und der Fluchtweg des feindlichen Heeres wiederum in die Schefela führte. Demgegenüber wurde vorgeschlagen, dass der ursprüngliche Kern der Gibeonerzählung ein Konflikt zwischen Gibeon und Jerusalem gewesen sei, bei dem die Israeliten schließlich erfolgreich eingegriffen hätten. Allerdings setzen beide Deutungen voraus, dass es bereits in der ursprünglichen Tradition um die in V.3 und V.5 genannten Könige ging. Dies ist aber nach der hier vorgelegten literarhistorischen Rekonstruktion ausgeschlossen. Demgegenüber werden noch andere frühe Verortungen vorgeschlagen. So wurde die Tradition von einer Schlacht bei Gibeon in das 10. Jahrhundert v. Chr. verlegt, als es Auseinandersetzungen zwischen Saul und den Gibeonitern sowie zwischen den Sauliden und Davididen gab. Allerdings wäre diese Tradition dann erst sekundär auf Josua bezogen worden. Außerdem lassen sich derartige Rekonstruktionen kaum mit dem Bundesschluss in Jos 9 verbinden. Demgegenüber könnte der historische Haftpunkt für die Schlacht bei Gibeon in den Philisterkriegen Davids liegen. Dementsprechend reflektiere Jos 10 die Auseinandersetzungen Davids mit der philistäischen Pentapolis. Diese Deutung setzt aber die Fünfzahl der Städte als ursprüngliche Tradition voraus und löst die Schlacht bei Gibeon von Josua. Möglicherweise geht die ursprüngliche Erzählung von der Schlacht
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bei Gibeon von einer Konfrontation der Israeliten mit nicht näher bezeichneten feindlichen Königen in der Frühzeit aus. Hierfür könnte die Beobachtung sprechen, dass einige Schlachten der vor- und frühstaatlichen Zeit tatsächlich in der Gegend von Gibeon, Ajalon und Bet-Horon geschlagen wurden. Insgesamt konnte noch kein Konsens hinsichtlich der Frage nach einer historischen Verortung der Schlacht bei Gibeon erreicht werden. Versteck der Könige (Jos 10): Erst redaktionell wurde eine besondere Höhle und ein Steinhaufen bei Makkeda ätiologisch mit den Ereignissen der Landnahme verbunden. In der ursprünglichen Tradition geht es vielmehr nur um das Versteck der feindlichen Könige in einer nicht näher bestimmten Höhle und deren Hinrichtung. Diese Ereignisse mögen in der Schefela zu verorten sein, auch wenn dies nicht sicher ist, zumal der Ort der Erzählung zunächst fehlt. Dementsprechend kann erst die redaktionelle Überarbeitung auf den dritten Feldzug Sanheribs im Jahr 701 v. Chr. anspielen, als die Schefela vom assyrischen Heer verwüstet und die judäische Elite zur Bestrafung gepfählt wurde. Insofern könnten sich hier Erfahrungen mit der assyrischen Gewaltherrschaft widerspiegeln. Südlicher Feldzug (Jos 10): Auch die historische Einordnung der Erzählung des südlichen Feldzuges ist schwierig. Zumindest eine Grundform vom südlichen Eroberungsfeldzug wird gerne im Rahmen eines vorexilischen Erzählzusammenhangs gedeutet, der in das 7. Jahrhundert v. Chr. weist. Da beim Bericht vom südlichen Feldzug nach Abzug der formelhaften Elemente nur ein schmales Gerippe von sechs Ortsnamen (Libna, Lachisch, Geser, Eglon, Hebron, Debir) übrigbleibt, ist es zweifelhaft, ob es sich hierbei um eine historische Erinnerung einer tatsächlichen Eroberung handelt. Hier liegt wohl eher ein Itinerar von befestigten Städten vor, das auch bei späteren Feldzügen verwendet wurde und militärstrategisch sinnvoll ist. Vielleicht soll auch auf die Verluste in der Schefela durch den Feldzug Sanheribs angespielt werden. Hier könnten somit nationalistische Tendenzen spürbar sein, die schon in vor-dtr. Zeit die Rückeroberung der hier genannten Städte propagierten. Nördlicher Feldzug (Jos 11): Meist wird Jos 11 als gänzlich unhistorisch beurteilt. Lediglich die Ortsangabe „Wasser von Merom“ könnte sich einer historischen Erinnerung verdanken. Ob an den „Wassern von Merom“ aber jemals eine historische Schlacht stattfand, ist unsicher. Auch die Darstellung des Fluchtweges des feindlichen Heeres ist kaum historisch zuverlässig, da das Heer in drei unterschiedliche Richtungen flieht, der Ort Sidon zu weit entfernt liegt und es sich bei Misrefot-Majim nur um einen unbedeutenden Ort handelt. Ortsliste (Jos 12): Eine zuverlässige historische Verortung der vom Redaktor in Jos 12 verwendeten Ortsliste ist nicht möglich. Vermutlich handelt es sich um eine fiktive Zusammenstellung von 30 Städten, die man
3. Historische Verortung der ursprünglichen Erzählungen
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den Kanaanäern zuwies. Mithilfe dieser Ortsliste konnte man die südliche und nördliche Landeroberung in Jos 10 und Jos 11 skizzieren. Redaktionell wurde diesen Orten jeweils ein König zugewiesen, den man unterworfen hat. Hierin zeigt sich eine gewisse antimonarchische Tendenz, die das Übel der Vorbevölkerung vor allem in den Königen sah. Während Jos 9–10 offenbar die Wiedergewinnung des Südens unter Joschija reflektiert und dabei vielleicht frühere Traditionen integriert, ist die historische Verortung des nördlichen Feldzugs und der Ortsliste schwierig. Vielleicht spiegelt sich auch in Jos 11–12 das Programm Joschijas wider, das aber nicht ausgeführt werden konnte. Allerdings bleibt eine derartige historische Verortung hypothetisch. Aus alledem folgt: Eine historisch zuverlässige Auswertung der Landeroberungserzählungen in Jos 9–12 ist nicht mehr möglich. Zwar können sich in diesem Textabschnitt Erinnerungen an eine Schlacht bei Gibeon oder an Ereignisse niedergeschlagen haben, die in der Umgebung der Wasser von Merom stattfanden, aber weder die einzelnen Akteure noch der tatsächliche Geschichtsverlauf lassen sich herausarbeiten. Vielmehr ist die vor-dtr. Tradition relativ unbestimmt und wenig aussagekräftig. Ob man in einem derartigen Gerippe überhaupt den Landnahmeteil einer frühen Exodus-Landnahme-Erzählung wiederfinden kann, ist somit fraglich. Vor diesem Hintergrund ist auch ein ursprünglicher Erzählzusammenhang, der von Exodus bis Josua reicht, eher unwahrscheinlich.
Anhang I Übersetzung von Jos 9–12 Normal: vor-dtr. Tradition Dtr. Redaktionen: I Kursiv: dtr. Redaktion unter Rückgriff auf Dtn 20 und Dtn 7 II Kursiv/unterstrichen: dtr. Einbindung in die Landeroberungserzählung Jos 9–11 Weitere Fortschreibungen: III doppelt unterstrichen: Verortung in Makkeda IV unterstrichen: Redaktion der benê Yiśrāʾel V Kursiv/doppelt unterstrichen: dtr. Redaktion VI gestrichelt: Verortung in Gilgal VII Kursiv/gepunktet: Spätdtr. Nachträge Priesterliche Redaktion: VIII Fett: priesterliche Redaktion G e s p e r r t : Glosse Jos 9 1
Und es geschah, als die Gesamtheit der Könige hörte, die jenseits des Jordan (waren), auf dem Gebirge und im Hügelland und an der Gesamtheit der Küste des großen Meeres in Richtung zum Libanon hin, die Hetiter und die Amoriter, die Kanaaniter, die Perisiter, die Hewiter und die Jebusiter: 2Da versammelten sie sich gemeinsam, um zu kämpfen gegen Josua und gegen Israel einstimmig. 3 Aber die Bewohner von Gibeon hatten gehört, was getan hatte Josua an Jericho und an Ai. 4 Da taten auch sie selbst mit List und sie gingen und verstellten sich als Boten. Und sie nahmen abgenutzte Säcke für ihre Esel und abgenutzte und zerrissene und geflickte Weinschläuche. 5Und abgenutzte und geflickte Sandalen an ihren Füßen und abgenutzte Kleidung an ihnen. Und die Gesamtheit des vertrockneten Brotes ihrer Wegzehrung war zu Krümeln geworden. 6Und sie gingen zu Josua zum Lager nach Gilgal und sie sagten zu ihm und zu der Mannschaft Israels: „Aus einem fernen Land sind wir gekommen und jetzt schließt mit uns einen Vertrag!“ 7Da sagte die Mannschaft Israels zu dem Hewiter: „Vielleicht (bist) du in meiner
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Mitte wohnend? Und wie könnte ich mit dir einen Vertrag schließen?“ 8Da sagten sie zu Josua: „Deine Knechte (sind) wir!“ Und es sagte zu ihnen Josua: „Wer (seid) ihr und woher seid ihr gekommen?“ 9Da sagten sie zu ihm: „Aus einem sehr fernen Land sind gekommen deine Knechte um des Namens Jahwes, deines Gottes willen. Denn wir haben die Kunde von ihm gehört und die Gesamtheit dessen, was er gemacht hat in Ägypten. 10Und die Gesamtheit dessen, was er gemacht hat an den beiden Königen des Amoriters, die jenseits des Jordan (waren), an Sihon, den König von Heschbon, und an Og, den König von Baschan, der in Aschtarot (war). 11Da sagten zu uns unsere Ältesten und die Gesamtheit der Bewohner unseres Landes folgendermaßen: ‚Nehmt in eure Hände Proviant für den Weg und geht ihnen entgegen und ihr sollt sagen zu ihnen: Eure Knechte (sind) wir. Und jetzt schließt mit uns einen Vertrag!‘ 12Dies (ist) unser Brot. Warm haben wir es als Wegzehrung mitgenommen aus unseren Häusern am Tag unseres Auszugs um zu gehen zu euch. Und jetzt, siehe: (es ist) vertrocknet und es wird zu Krümeln. 13Diese Weinschläuche, die wir gefüllt haben, (waren) neue. Und siehe: Sie sind zerrissen. Und diese unsere Kleider und unsere Schuhe sind abgenutzt von dem sehr langen Weg.“ 14Da nahmen die Männer von ihrer Wegzehrung. Aber den Mund Jahwes befragten sie nicht. 15Da machte mit ihnen Josua Frieden und er schloss mit ihnen einen Vertrag, um sie am Leben zu lassen. Und es schworen ihnen die Fürsten der Gemeinde. 16 Und es geschah nach Ablauf von drei Tagen nachdem sie geschlossen hatten mit ihnen einen Vertrag, da hörten sie, dass Nachbarn jene gegenüber ihm waren und in seiner Mitte jene wohnend (waren). 17 Da brachen die Söhne Israel auf und kamen zu ihren Städten am dritten Tag. Und ihre Städte (waren) Gibeon und Kefira und Beerot und Kirjat-Jearim. 18Und nicht schlugen sie die Söhne Israel, da ihnen geschworen haben die Fürsten der Gemeinde bei Jahwe, dem Gott Israels. Da empörte sich die Gesamtheit der Gemeinde über die Fürsten. 19 Da sagte die Gesamtheit der Fürsten zu der Gesamtheit der Gemeinde: „Wir selbst haben ihnen geschworen bei Jahwe, dem Gott Israels. Und jetzt können wir nicht an sie tasten. 20Dies werden wir ihnen tun und sie am Leben lassen. Und nicht soll sein über uns ein Zorn wegen des Eides, den wir ihnen geschworen haben.“ 21Da sagten zu ihnen die Fürsten: „Sie sollen am Leben bleiben“. Und sie wurden Holzfäller und Wasserschöpfer für die Gesamtheit der Gemeinde, wie zu ihnen gesprochen haben die Fürsten. 22 Da rief sie Josua und sprach zu ihnen folgendermaßen: Warum habt ihr uns
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getäuscht folgendermaßen: Sehr weit weg von euch Entfernte (sind) wir, obwohl ihr in unserer Mitte wohnend (seid)? 23 Und jetzt: Verfluchte (seid) ihr und nicht soll es bei euch an Knechten fehlen sowohl als Holzfäller wie auch als Wasserschöpfer für das Haus meines Gottes. 24 Da antworteten sie Josua und sagten: Fürwahr es wurde zuverlässig berichtet deinen Knechten, dass befohlen hatte Jahwe, dein Gott, dem Mose, seinem Knecht, ihnen zu geben die Gesamtheit des Landes und auszurotten die Gesamtheit der Bewohner des Landes weg vor eurem Angesicht. Und wir fürchteten uns sehr um unsere Leben vor euch und wir taten diese Sache. 25Und jetzt, siehe: wir (sind) in deiner Hand. Wie es gut und wie es recht in deinen Augen (ist), zu tun an uns, tue (es)! 26 Da tat er an ihnen folgendermaßen: Da rettete er sie aus der Hand der Söhne Israel und nicht brachten sie sie um. 27 Da gab sie Josua an jenem Tag als Holzfäller und Wasserschöpfer für die Gemeinde und für den Altar Jahwes b i s z u d i e s e m T a g , a n d e m O r t , d e n e r erwählen wird. Jos 10 1
Und es geschah, als Adoni-Zedek, der König von Jerusalem, hörte, dass Josua Ai eingenommen und an ihm den Bann vollstreckt hatte – wie er mit Jericho und seinem König verfahren ist, so verfuhr er mit Ai und seinem König. Und Als/dass die Bewohner von Gibeon Frieden mit Israel geschlossen hatten und in ihrer Mitte waren, 2da fürchtete man sich sehr. Denn eine große Stadt war Gibeon, wie eine der Königsstädte. Und dass jene größer (war) als Ai, und die Gesamtheit seiner Männer Krieger (waren). 3 Und Adoni-Zedek, der König von Jerusalem, sandte zu Hoham, dem König von Hebron, und zu Piram, dem König von Jarmut, und zu Jafia, dem König von Lachisch, und zu Debir, dem König von Eglon, folgendermaßen: 4„Zieht herauf zu mir und helft mir, dass wir Gibeon schlagen! Denn Frieden hat es geschlossen mit Josua und mit den Söhnen Israel.“ 5 Da sammelten sie sich und es zogen herauf die fünf Amoriterkönige: der König von Jerusalem, der König von Hebron, der König von Jarmut, der König von Lachisch, der König von Eglon, sie und die Gesamtheit ihrer Heerlager. Und sie lagerten vor Gibeon und kämpften gegen es. 6Da sandten die Männer Gibeons zu Josua zum Heerlager
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nach Gilgal folgendermaßen: „Lass nicht schwach sein deine Hände für deine Knechte! Zieh herauf zu uns eilends und rette uns und hilf uns! Denn es haben sich versammelt gegen uns die Gesamtheit der Amoriterkönige, die das Bergland bewohnen.“ 7 Da zog hinauf Josua von Gilgal, er und die Gesamtheit des Kriegsvolks mit ihm und die Gesamtheit der Elitesoldaten. 8 Und es sprach YHWH zu Josua: „Fürchte dich nicht vor ihnen! Denn in deine Hand habe ich sie gegeben. Nicht soll standhalten ein Mann von ihnen bei deinem Anblick.“ 9 Und es kam über sie Josua plötzlich. Die Gesamtheit der Nacht war er heraufgezogen von Gilgal. 10 Da verwirrte sie YHWH bezüglich des Anblicks Israels. Und er schlug sie mit einem schweren Schlag bei Gibeon und er jagte ihnen nach auf dem Weg zur Steige von Bet-Horon und er schlug sie bis Aseka und bis Makkeda. 11 Und es geschah, als sie flohen vor dem Anblick Israels – sie (waren) am Abhang von Bet-Horon –, und YHWH warf auf sie g ro ße Steine vom Himmel herab bis Aseka, sodass sie umkamen. (Es waren) mehr, die umkamen an den Hagelsteinen, als erschlugen die Söhne Israel mit dem Schwert. 12 Damals redete Josua zu YHWH an dem Tag, als auslieferte YHWH den Amoriter [in die Hand Israels, als er jene in Gibeon bedrückte und sie bedrückt wurden] vor dem Angesicht der Söhne Israel und er sagte vor den Augen Israels: „Sonne, zu Gibeon stehe still, und Mond, im Tal Ajalon!“ 13Da stand still die Sonne und der Mond blieb stehen, bis Rache genommen hat das Volk an seinen Feinden. Ist das nicht geschrieben im Buch Yaschar? Und es blieb stehen die Sonne in der Mitte des Himmels und beeilte sich nicht unterzugehen für einen vollen Tag. 14Und nicht hat es gegeben einen Tag wie jenen, weder vorher noch danach, dass gehört hätte YHWH auf die Stimme eines Menschen. Denn YHWH (war) kämpfend für Israel. 15 Dann kehrte zurück Josua, und die Gesamtheit Israels mit ihm, ins Heerlager nach Gilgal. 16 Und es flohen diese fünf Könige und sie versteckten sich in der Höhle bei Makkeda.
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Und es wurde Josua gemeldet folgendermaßen: „Es sind gefunden worden die fünf Könige, versteckt in der Höhle bei Makkeda.“ 18 Da sagte Josua: „Wälzt große Steine an den Eingang der Höhle und bestellt über sie Männer, um sie zu bewachen. 19 Ihr aber: Bleibt nicht stehen! Jagt hinter euren Feinden her, damit ihr sie von hinten angreift! Erlaubt ihnen nicht, sich zurückzuziehen in ihre Städte. Denn es hat sie gegeben YHWH, euer Gott, in eure Hand.“ 20 Und es geschah, als Josua und die Söhne Israel vollendeten/aufhörten, sie mit einem sehr großen Schlag zu schlagen bis zu ihrer Vernichtung – und die Entkommenen waren von ihnen entkommen und zogen sich zurück in ihre Städte der Befestigung –, 21 da kehrte die Gesamtheit des (Heer)Volkes zum Lager zu Josua zurück nach Makkeda wohlbehalten. Nicht wetzte man gegen die Söhne Israel, gegen einen Einzelnen seine Zunge. 22 Da sagte Josua: „Öffnet den Eingang der Höhle und bringt heraus zu mir diese fünf Könige aus der Höhle!“ 23 Und sie taten so und brachten zu ihm heraus diese fünf Könige aus der Höhle: den König von Jerusalem, den König von Hebron, den König von Jarmut, den König von Lachisch, den König von Eglon. 24 Und es geschah, als sie diese Könige zu Josua herausgebracht hatten, da rief Josua nach der Gesamtheit der Mannschaft Israels, da sagte er zu den Offizieren der Kriegsleute, die mit ihm marschiert waren: „Tretet heran, setzt eure Füße auf die Nacken dieser Könige!“ Da traten sie heran und setzten ihre Füße auf ihre Nacken. 25 Da sagte zu ihnen Josua: „Fürchtet euch nicht und erschreckt nicht! Seid stark und mutig! Denn genauso wird YHWH mit der Gesamtheit eurer Feinde verfahren, gegen die ihr kämpfend (seid).“ 26 Und es erschlug sie Josua danach. Und er tötete sie und er hängte sie an fünf Bäume. Da blieben sie aufgehängt an den Bäumen bis zum Abend. 27Und es geschah zur Zeit des Sonnenuntergangs: Es befahl Josua und sie nahmen sie herab von den Bäumen und sie warfen sie in die Höhle, wo sie sich versteckt hatten. Und sie legten große Steine an den Eingang der Höhle bis auf eben diesen Tag. 28Und Makkeda nahm Josua an jenem Tag ein. Und er schlug es mit der Schärfe des Schwertes und seinen König: Er bannte sie und die Gesamtheit des Lebens, das in ihm (war). Nicht ließ er einen Entronnenen
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übrig. Und er handelte bezüglich des Königs von Makkeda wie er gehandelt hatte bezüglich des Königs von Jericho. 29 Da zog Josua und die Gesamtheit Israels mit ihm hinüber von Makkeda nach Libna. Und er kämpfte mit Libna. 30 Und es gab YHWH auch es in die Hand Israels und seinen König. Und er schlug es mit der Schärfe des Schwertes und die Gesamtheit des Lebens, das in ihm (war). Nicht ließ er darin einen Entronnenen übrig. Und er handelte bezüglich seines Königs wie er gehandelt hatte bezüglich des Königs von Jericho. 31 Da zog Josua und die Gesamtheit Israels mit ihm hinüber von Libna nach Lachisch. Und er lagerte davor und er kämpfte mit ihm. 32 Und es gab YHWH Lachisch in die Hand Israels und er nahm es ein am zweiten Tag und er schlug es mit der Schärfe des Schwertes und die Gesamtheit des Lebens, das in ihm (war), ganz wie er gehandelt hatte bezüglich Libna. 33 Damals zog Horam, der König von Geser, herauf, um Lachisch zu helfen. Aber es schlug ihn Josua und sein Volk, bis er ihm keinen Entronnenen übrigließ. 34 Da zog Josua und die Gesamtheit Israels mit ihm hinüber von Lachisch nach Eglon. Und sie lagerten davor und sie kämpften gegen es. 35Und sie nahmen es ein an jenem Tag und sie schlugen es mit der Schärfe des Schwerts. Und die Gesamtheit des Lebens, das in ihm (war), bannte er an jenem Tag ganz wie er gehandelt hatte bezüglich Lachisch. 36 Da zog Josua hinauf und die Gesamtheit Israels mit ihm von Eglon nach Hebron und sie kämpften gegen es. 37Und sie nahmen es ein und sie schlugen es mit der Schärfe des Schwertes und seinen König und die Gesamtheit seiner Städte, und die Gesamtheit des Lebens, das in ihm (war). Nicht ließ er einen Entronnenen übrig, ganz wie er gehandelt hatte bezüglich Eglon. Und er bannte es und die Gesamtheit des Lebens, das in ihm (war). 38 Da wandte sich Josua und die Gesamtheit Israels mit ihm nach Debir und er kämpfte gegen es. 39Und er nahm es ein und seinen König und die Gesamtheit seiner Städte. Und sie schlugen sie mit der Schärfe des Schwertes und sie bannten die Gesamtheit an Leben, das in ihm (war). Nicht ließ er einen Entronnenen übrig. Wie er gehandelt hatte bezüglich Hebron, so handelte er bezüglich Debir und seines Königs, und wie er gehandelt hatte bezüglich Libna und seines Königs. 40Und es schlug Josua die Gesamtheit des Landes – das Gebirge und den Negev und die Schefela und die Berghänge – und die Gesamtheit ihrer Könige. Nicht ließ er einen Entronnenen übrig. Die Gesamtheit an Atem bannte er, wie befohlen hatte YHWH, der Gott Israels. 41 Und es schlug sie Josua von Kadesch-Barnea bis nach Gaza und
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die Gesamtheit des Landes Goschen bis Gibeon. Und die Gesamtheit dieser Könige und ihr Land nahm Josua ein mit einem Zug. Denn YHWH, der Gott Israels, (war) kämpfend für Israel. 43 Da kehrte Josua zurück und die Gesamtheit Israels mit ihm zum Lager nach Gilgal.
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Und es geschah, als Jabin, der König von Hazor (es) hörte, da sandte er zu Jobab, dem König von Maron, und zum König von Simeon und zum König von Achschaf, 2und zu den Königen, die im Norden im Gebirge und in der Araba südlich von Kinneret und in der Schefela und im Hügelland von Dor im Westen (waren). 3 – Die Kanaanäer (waren) im Osten und im Westen, und die Amoriter, und die Hethiter, und die Perisiter und die Jebusiter (waren) auf dem Gebirge und die Hewiter (waren) am Fuß des Hermon im Land Mizpa.– 4 Und sie zogen aus: Sie und die Gesamtheit ihrer Heerlager mit ihnen, ein Volk, zahlreich wie der Sand, der am Ufer des Meeres (ist), an Menge, und sehr viel Pferd und Wagen. 5Und sie rotteten sich zusammen: die Gesamtheit dieser Könige. Und sie kamen und lagerten miteinander am Wasser Merom, um gegen Israel zu kämpfen. 6Und es sagte YHWH zu Josua: Fürchte dich nicht vor ihrem Angesicht. Denn morgen um diese Zeit (bin) ich gebend die Gesamtheit von ihnen als Erschlagene vor dem Angesicht Israels. Ihre Pferde sollst du lähmen und ihre Wagen sollst du verbrennen mit Feuer. 7 Und es kam Josua, und die Gesamtheit des Kriegsvolks mit ihm, plötzlich über sie an den Wassern von Merom, und sie fielen über sie her [vom Gebirge]. 8Und es gab sie YHWH in die Hand Israels, und sie erschlugen sie und jagten ihnen nach bis Groß-Sidon und bis Misrefot-Majim und bis in die Talebene von Mizpe nach Osten hin. Und sie erschlugen sie, sodass nicht von ihnen ein Entronnener übriggelassen wurde. 9Und es machte an ihnen Josua, wie ihm gesagt hatte YHWH: Ihre Pferde lähmte er, und ihre Wagen verbrannte er mit Feuer.10Und es kehrt Josua um in jener Zeit und nahm Hazor ein, und seinen König erschlug er mit dem Schwert. Denn Hazor war früher das Haupt der Gesamtheit dieser Königreiche. 11Und sie erschlugen die Gesamtheit des Lebens, das darin (war), mit der Schärfe des Schwertes. Sie vollzogen den Bann: nicht blieb eine Gesamtheit an Atem übrig. Und Hazor verbrannte er mit Feuer. 12Und die Gesamtheit der Städte dieser Könige und die Gesamtheit ihrer Könige nahm Josua ein und erschlug sie mit der Schärfe des Schwertes. Er vollstreckte den Bann an ihnen, wie befohlen hatte Mose, der Knecht YHWHs. 13Nur die Gesamtheit der Städte, die auf ihren Tells standen, hatte Israel nicht verbrannt, ausgenommen Hazor allein hatte Josua verbrannt.
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Die Gesamtheit der Beute dieser Städte und das Vieh plünderten sie für sich die Söhne Israel. Nur die Gesamtheit an Menschen schlugen sie mit der Schärfe des Schwertes, bis sie sie vernichtet hatten. Nicht ließen sie die Gesamtheit an Atem übrig. 15 Wie YHWH Mose, seinem Knecht, befohlen hatte, so befahl Mose Josua, und so machte es Josua. Nicht unterließ er eine Sache von der Gesamtheit, die YHWH dem Mose befohlen hatte. 16Und es nahm Josua die Gesamtheit dieses Landes ein, das Gebirge, und die Gesamtheit des Negevs und die Gesamtheit des Landes Goschen und die Gesamtheit der Schefela und die Araba und das Gebirge Israel und seine Schefela, 17 von dem kahlen Berg, der gegen Seir ansteigt, und bis Baal-Gad in der Talebene des Libanon, am Fuße des Hermongebirges. Und die Gesamtheit ihrer Könige nahm er gefangen, erschlug sie und tötete sie. 18Viele Tage machte Josua mit der Gesamtheit dieser Könige Krieg. 19 Nicht war eine Stadt, die Frieden geschlossen hatte mit den Söhnen Israel, abgesehen vom Hewiter, der Gibeon bewohnte. Die Gesamtheit nahmen sie im Krieg ein. 20 Denn von YHWH war es geschehen, ihr Herz zu verstocken zum Krieg mit Israel, damit an ihnen der Bann vollstreckt würde, ohne dass ihnen Gnade (gewährt) würde, sondern dass sie vernichtet würden, wie befohlen hatte YHWH dem Mose. 21 Und es kam Josua in jener Zeit und er rottete die Anakiter aus von dem Gebirge, von Hebron, von Debir, von Anab und von der Gesamtheit des Gebirges Juda und von der Gesamtheit des Gebirges Israel: mit ihren Städten vollstreckte Josua den Bann an ihnen. 22Nicht blieben Anakiter im Land der Söhne Israel übrig. Nur in Gaza, in Gat und in Aschdod blieben sie übrig. 23 Und es nahm Josua die Gesamtheit des Landes ein, ganz wie YHWH zu Mose geredet hatte. Und es gab Josua es zum Erbteil für Israel, nach ihren Abteilungen, entsprechend ihren Stämmen. Und das Land hatte Ruhe vom Krieg. Jos 12 1
Und diese (sind) die Könige des Landes, die die Söhne Israel geschlagen haben und deren Land sie eingenommen haben jenseits des Jordan, gegen Sonnenaufgang, vom Fluss Arnon bis zum Berg Hermon, und die Gesamtheit der Araba nach Osten: 2 Sihon, der König der Amoriter, der in Heschbon residierte, (war) herrschend von Aroer an, das am Ufer des Flusses Arnon (liegt),
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und (zwar) der Mitte des Flusses, und die Hälfte von Gilead und bis an den Fluss Jabbok, das Grenzgebiet zu den Söhnen Ammon, 3und die Araba bis an das Meer von Kinneret nach Osten, und bis ans Meer der Araba, das Salzmeer, nach Osten, in Richtung auf Bet-Jeschimot und von Süden her unterhalb der Abhänge des Pisga. 4 Und d a s G e b i e t v o n Og, König von Baschan, vom Rest der Refaiter, der in Aschtarot und in Edrei residierte. 5 U n d (er war) herrschend über das Hermongebirge, über Salcha und über die Gesamtheit des Baschan bis zum Gebiet der Geschuriter und der Maachatiter, aber die Hälfte von Gilead (war) das Grenzgebiet zu Sihon, den König von Heschbon. 6 Mose, der Knecht YHWHs, und die Söhne Israel hatten sie geschlagen. Und Mose, der Knecht YHWHs, hatte es gegeben als Besitz dem Rubeniter, dem Gaditer und der Hälfte des Stammes Manasse. 7 Und diese (sind) die Könige des Landes, die schlugen Josua und die Söhne Israel jenseits des Jordan, im Westen, von Baal-Gad in der Talebene des Libanon und bis an das kahle Gebirge, das nach Seir hin ansteigt. Und Josua gab es den Stämmen Israels als Besitz nach ihren Abteilungen, 8 im Gebirge, und in der Schefela, und in der Araba, und an den Abhängen, und in der Wüste und im Negev – die Hetiter, die Amoriter und die Kanaaniter, die Perisiter, die Hewiter und die Jebusiter: 9 der König von Jericho: einer; der König von Ai, das an der Seite von Bethel (liegt): einer; 10der König von Jerusalem: einer; der König von Hebron: einer; 11der König von Jarmut: einer; der König von Lachisch: einer; 12der König von Eglon: einer; der König von Geser: einer; 13der König von Debir: einer; der König von Geder: einer; 14der König von Horma: einer; der König von Arad: einer; 15der König von Libna: einer; der König von Adullam: einer; 16der König von Makkeda: einer; der König von Bethel: einer; 17der König von Tappuach: einer; der König von Hefer: einer; 18der König von Afek: einer; der König bezüglich von Saron: einer; 19der König von Madon: einer; der König von Hazor: einer; 20der König von Schimron-Meron: einer; der König von Achschaf: einer; 21der König von Taanach: einer; der König von Megiddo: einer; 22der König von Kedesch: einer; der König von Jokneam bezüglich des Karmel: einer; 23der König von Dor bezüglich des Hügellands von Dor: einer; der König von Gojim bezüglich von Galiläa: einer; 24der König von Tirza: einer. Eine Gesamtheit von Königen: 31.
Anhang II Vor-dtr. Traditionen Jos 9 3 Aber die Bewohner von Gibeon hatten gehört, was getan hatte Josua an Jericho […] 6Und sie gingen zu Josua zum Lager nach Gilgal und sie sagten zu ihm […] 8 […] „Deine Knechte (sind) wir!“ […] 15Da machte mit ihnen Josua Frieden […] Jos 10 1 […] Als die Bewohner von Gibeon Frieden mit Israel geschlossen hatten und in ihrer Mitte waren, 2da fürchtete man sich sehr. Denn eine große Stadt war Gibeon, wie eine der Königsstädte […] und die Gesamtheit seiner Männer Krieger (waren). […] 5Da sammelten sie sich und es zogen herauf die […] Amoriterkönige […] und sie lagerten vor Gibeon und kämpften gegen es. 6Da sandten die Männer Gibeons zu Josua zum Heerlager […] folgendermaßen: „Lass nicht schwach sein deine Hände für deine Knechte! Zieh herauf zu uns eilends und rette uns und hilf uns! Denn es haben sich versammelt gegen uns die Gesamtheit der Amoriterkönige […].“ 7Da zog hinauf Josua […], er und die Gesamtheit des Kriegsvolks mit ihm und die Gesamtheit der Elitesoldaten. […] 9Und es kam über sie Josua plötzlich. Die Gesamtheit der Nacht war er heraufgezogen […] 10 […] Und er schlug sie mit einem schweren Schlag bei Gibeon und er jagte ihnen nach auf dem Weg zur Steige von Bet-Horon und er schlug sie bis Aseka […] 12 Damals redete Josua […]: „Sonne, zu Gibeon stehe still, und Mond, im Tal Ajalon!“ 13Da stand still die Sonne und der Mond blieb stehen, bis Rache genommen hat das Volk an seinen Feinden. Ist das nicht geschrieben im Buch Yaschar? […] 16 Und es flohen diese […] Könige und sie versteckten sich in der Höhle […] 18Da sagte Josua: „Wälzt große Steine an den Eingang der Höhle und bestellt über sie Männer, um sie zu bewachen. […] 20Und es geschah, als Josua […] vollendete, sie mit einem sehr großen Schlag zu schlagen bis zu ihrer Vernichtung […], 22da sagte Josua: „Öffnet den Eingang der Höhle und bringt heraus zu mir diese […] Könige aus der Höhle!“ […] 24Und es geschah, als sie diese Könige zu Josua herausgebracht hatten, […] da sagte er […]: „Tretet heran, setzt eure Füße auf die Nacken dieser Könige!“ Da traten sie heran und setzten ihre Füße auf ihre Nacken. […] 26Und es erschlug sie Josua danach. […] und sie warfen sie in die Höhle, wo sie sich versteckt hatten. […] 29 Da zog Josua und die Gesamtheit Israels mit ihm hinüber […] nach Libna. Und er kämpfte mit Libna. 30 […] Und er schlug es mit der Schärfe des Schwertes
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[…] 31Da zog Josua und die Gesamtheit Israels mit ihm hinüber von Libna nach Lachisch. Und er lagerte davor und er kämpfte mit ihm. 32 […] Und er nahm es ein am zweiten Tag und er schlug es mit der Schärfe des Schwertes […] 33Damals zog Horam, der König von Geser, herauf, um Lachisch zu helfen. Aber es schlug ihn Josua und sein Volk […]. 34Da zog Josua und die Gesamtheit Israels mit ihm hinüber von Lachisch nach Eglon. Und sie lagerten davor und sie kämpften gegen es. 35Und sie nahmen es ein an jenem Tag und sie schlugen es mit der Schärfe des Schwerts. […] 36Da zog Josua hinauf und die Gesamtheit Israels mit ihm von Eglon nach Hebron und sie kämpften gegen es. 37Und sie nahmen es ein und sie schlugen es mit der Schärfe des Schwertes und seinen König und die Gesamtheit seiner Städte. […] 38Da wandte sich Josua und die Gesamtheit Israels mit ihm nach Debir und er kämpfte gegen es. 39Und er nahm es ein und seinen König und die Gesamtheit seiner Städte. Und sie schlugen sie mit der Schärfe des Schwertes […] 42Und die Gesamtheit dieser Könige und ihr Land nahm Josua ein mit einem Zug. […] Jos 11 5 Und sie rotteten sich zusammen: die Gesamtheit d[]er Könige. Und sie kamen und lagerten miteinander am Wasser Merom, um gegen Israel zu kämpfen. […] 7 Und es kam Josua, und die Gesamtheit des Kriegsvolks mit ihm, plötzlich über sie an den Wassern von Merom, und sie fielen über sie her [vom Gebirge]. 8 […] und sie erschlugen sie […]. 10 Und es kehrt Josua um in jener Zeit und nahm Hazor ein, und seinen König erschlug er mit dem Schwert. […] 11 […] Und Hazor verbrannte er mit Feuer. 12 Und die Gesamtheit der Städte d[]er Könige […] nahm Josua ein […] Jos 12 9 […] Jericho, [...] Ai, […] 10 [...] Jerusalem, [...] Hebron, [...] 11 [...] Jarmut, [...] Lachisch, [...] 12 [...] Eglon, [...] Geser, [...] 13 [...] Debir, [...] Geder, [...] 14 [...] Horma, [...] Arad, [...] 15 [...] Libna, [...] Adullam, [...] 16 [...] Makkeda, [...] Bethel, [...] 17 [...] Tappuach, [...] Hefer, [...] 18 [...] Afek [...] bezüglich von Saron, [...] 19 [...] Madon, [...] Hazor, [...] 20 [...] Schimron-Meron, [...] Achschaf, [...] 21 [...] Taanach, [...] Megiddo, [...] 22 [...] Kedesch, [...] Jokneam bezüglich des Karmel, [...] 23 [...] Dor bezüglich des Hügellands von Dor, [...] Gojim bezüglich von Galiläa, [...] 24 [...] Tirza [...]
Anhang III Erste dtr. Redaktion (nur in Jos 9) Normal: vor-dtr. Tradition Kursiv: dtr. Redaktion unter Rückgriff auf Dtn 20 und Dtn 7 Jos 9 3 Aber die Bewohner von Gibeon hatten gehört, was getan hatte Josua an Jericho […] 4Da taten auch sie selbst mit List und sie gingen und verstellten sich als Boten. Und sie nahmen abgenutzte Säcke für ihre Esel und abgenutzte und zerrissene und geflickte Weinschläuche. 5Und abgenutzte und geflickte Sandalen an ihren Füßen und abgenutzte Kleidung an ihnen. Und die Gesamtheit des vertrockneten Brotes ihrer Wegzehrung war zu Krümeln geworden. 6Und sie gingen zu Josua zum Lager nach Gilgal und sie sagten zu ihm [...] 8 […] „Deine Knechte (sind) wir!“ Und es sagte zu ihnen Josua: „Wer (seid) ihr und woher seid ihr gekommen?“ 9Da sagten sie zu ihm: „Aus einem sehr fernen Land sind gekommen deine Knechte um des Namens Jahwes, deines Gottes willen. Denn wir haben die Kunde von ihm gehört und die Gesamtheit dessen, was er gemacht hat in Ägypten. 10Und die Gesamtheit dessen, was er gemacht hat an den beiden Königen des Amoriters, die jenseits des Jordan (waren), an Sihon, den König von Heschbon, und an Og, den König von Baschan, der in Aschtarot (war). 11Da sagten zu uns unsere Ältesten und die Gesamtheit der Bewohner unseres Landes folgendermaßen: ‚Nehmt in eure Hände Proviant für den Weg und geht ihnen entgegen und ihr sollt sagen zu ihnen: Eure Knechte (sind) wir. Und jetzt schließt mit uns einen Vertrag!‘ 12Dies (ist) unser Brot. Warm haben wir es als Wegzehrung mitgenommen aus unseren Häusern am Tag unseres Auszugs um zu gehen zu euch. Und jetzt, siehe: (es ist) vertrocknet und es wird zu Krümeln. 13Diese Weinschläuche, die wir gefüllt haben, (waren) neue. Und siehe: Sie sind zerrissen. Und diese unsere Kleider und unsere Schuhe sind abgenutzt von dem sehr langen Weg.“ 14Da nahmen die Männer von ihrer Wegzehrung. Aber den Mund Jahwes befragten sie nicht. 15Da machte mit ihnen Josua Frieden und er schloss mit ihnen einen Vertrag, [...] 16 Und es geschah nach Ablauf von drei Tagen nachdem sie geschlossen hatten mit ihnen einen Vertrag, da hörten sie, dass Nachbarn jene gegenüber ihm waren [...] 22Da rief sie Josua und sprach zu ihnen folgendermaßen: Warum habt ihr uns getäuscht folgendermaßen: Sehr weit weg von euch Entfernte (sind) wir, [...] 24 Da antworteten sie Josua und sagten: Fürwahr es wurde zuverlässig berichtet deinen Knechten, dass befohlen hatte Jahwe, dein Gott, dem Mose, seinem
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Knecht, ihnen zu geben die Gesamtheit des Landes und auszurotten die Gesamtheit der Bewohner des Landes weg vor eurem Angesicht. Und wir fürchteten uns sehr um unsere Leben vor euch und wir taten diese Sache. 25Und jetzt, siehe: wir (sind) in deiner Hand. Wie es gut und wie es recht in deinen Augen (ist), zu tun an uns, tue (es)! [...] 27Da gab sie Josua an jenem Tag als Holzfäller und Wasserschöpfer [...] für den Altar Jahwes [...].
Anhang IV Dtr. Landeroberungserzählung Normal: vor-dtr. Tradition Kursiv: dtr. Redaktion unter Rückgriff auf Dtn 20 und Dtn 7 Kursiv/unterstrichen: dtr. Einbindung in die Landeroberungserzählung Jos 9–11 Jos 9 1 Und es geschah, als die Gesamtheit der Könige hörte, die jenseits des Jordan (waren), auf dem Gebirge und im Hügelland und an der Gesamtheit der Küste des großen Meeres in Richtung zum Libanon hin, die Hetiter und die Amoriter, die Kanaaniter, die Perisiter, die Hewiter und die Jebusiter: 2Da versammelten sie sich gemeinsam, um zu kämpfen gegen Josua und gegen Israel einstimmig. 3 Aber die Bewohner von Gibeon hatten gehört, was getan hatte Josua an Jericho [...] 4Da taten auch sie selbst mit List und sie gingen und verstellten sich als Boten. Und sie nahmen abgenutzte Säcke für ihre Esel und abgenutzte und zerrissene und geflickte Weinschläuche. 5Und abgenutzte und geflickte Sandalen an ihren Füßen und abgenutzte Kleidung an ihnen. Und die Gesamtheit des vertrockneten Brotes ihrer Wegzehrung war zu Krümeln geworden. 6Und sie gingen zu Josua zum Lager nach Gilgal und sie sagten zu ihm [...] 8 [...] „Deine Knechte (sind) wir!“ Und es sagte zu ihnen Josua: „Wer (seid) ihr und woher seid ihr gekommen?“ 9Da sagten sie zu ihm: „Aus einem sehr fernen Land sind gekommen deine Knechte um des Namens Jahwes, deines Gottes willen. Denn wir haben die Kunde von ihm gehört und die Gesamtheit dessen, was er gemacht hat in Ägypten. 10Und die Gesamtheit dessen, was er gemacht hat an den beiden Königen des Amoriters, die jenseits des Jordan (waren), an Sihon, den König von Heschbon, und an Og, den König von Baschan, der in Aschtarot (war). 11Da sagten zu uns unsere Ältesten und die Gesamtheit der Bewohner unseres Landes folgendermaßen: ‚Nehmt in eure Hände Proviant für den Weg und geht ihnen entgegen und ihr sollt sagen zu ihnen: Eure Knechte (sind) wir. Und jetzt schließt mit uns einen Vertrag!‘ 12Dies (ist) unser Brot. Warm haben wir es als Wegzehrung mitgenommen aus unseren Häusern am Tag unseres Auszugs um zu gehen zu euch. Und jetzt, siehe: (es ist) vertrocknet und es wird zu Krümeln. 13Diese Weinschläuche, die wir gefüllt haben, (waren) neue. Und siehe: Sie sind zerrissen. Und diese unsere Kleider und unsere Schuhe sind abgenutzt von dem sehr langen Weg.“ 14Da nahmen die Männer von ihrer Wegzehrung. Aber den Mund Jahwes befragten sie nicht. 15Da machte mit ihnen Josua Frieden und er schloss mit ihnen einen Vertrag [...]. 16 Und es geschah nach Ablauf von drei Tagen nachdem sie geschlossen hatten
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Anhang IV
mit ihnen einen Vertrag, da hörten sie, dass Nachbarn jene gegenüber ihm waren [...] 22Da rief sie Josua und sprach zu ihnen folgendermaßen: Warum habt ihr uns getäuscht folgendermaßen: Sehr weit weg von euch Entfernte (sind) wir [...]. 24 Da antworteten sie Josua und sagten: Fürwahr es wurde zuverlässig berichtet deinen Knechten, dass befohlen hatte Jahwe, dein Gott, dem Mose, seinem Knecht, ihnen zu geben die Gesamtheit des Landes und auszurotten die Gesamtheit der Bewohner des Landes weg vor eurem Angesicht. Und wir fürchteten uns sehr um unsere Leben vor euch und wir taten diese Sache. 25Und jetzt, siehe: wir (sind) in deiner Hand. Wie es gut und wie es recht in deinen Augen (ist), zu tun an uns, tue (es)! [...] 27Da gab sie Josua an jenem Tag als Holzfäller und Wasserschöpfer [...] für den Altar Jahwes [...]. Jos 10 1 Und es geschah, als Adoni-Zedek, der König von Jerusalem, hörte, [...], dass die Bewohner von Gibeon Frieden mit Israel geschlossen hatten und in ihrer Mitte waren, 2da fürchtete man sich sehr. Denn eine große Stadt war Gibeon, wie eine der Königsstädte. [...] Und die Gesamtheit seiner Männer (waren) Krieger. 3Und Adoni-Zedek, der König von Jerusalem, sandte zu Hoham, dem König von Hebron, und zu Piram, dem König von Jarmut, und zu Jafia, dem König von Lachisch, und zu Debir, dem König von Eglon, folgendermaßen: 4„Zieht herauf zu mir und helft mir, dass wir Gibeon schlagen! Denn Frieden hat es geschlossen mit Josua [...].“ 5Da sammelten sie sich und es zogen herauf die fünf Amoriterkönige: der König von Jerusalem, der König von Hebron, der König von Jarmut, der König von Lachisch, der König von Eglon, sie und die Gesamtheit ihrer Heerlager. Und sie lagerten vor Gibeon und kämpften gegen es. 6Da sandten die Männer Gibeons zu Josua zum Heerlager [...] folgendermaßen: „Lass nicht schwach sein deine Hände für deine Knechte! Zieh herauf zu uns eilends und rette uns und hilf uns! Denn es haben sich versammelt gegen uns die Gesamtheit der Amoriterkönige [...].“ 7Da zog hinauf Josua [...], er und die Gesamtheit des Kriegsvolks mit ihm und die Gesamtheit der Elitesoldaten. 8Und es sprach YHWH zu Josua: „Fürchte dich nicht vor ihnen! Denn in deine Hand habe ich sie gegeben. Nicht soll standhalten ein Mann von ihnen bei deinem Anblick.“ 9Und es kam über sie Josua plötzlich. Die Gesamtheit der Nacht war er heraufgezogen [...]. 10Da verwirrte sie YHWH bezüglich des Anblicks Israels. Und er schlug sie mit einem schweren Schlag bei Gibeon und er jagte ihnen nach auf dem Weg zur Steige von Bet-Horon und er schlug sie bis Aseka [...]. 11Und es geschah, als sie flohen vor dem Anblick Israels – sie (waren) am Abhang von Bet-Horon –, und YHWH warf auf sie [...] Steine vom Himmel herab bis Aseka, sodass sie umkamen. [...] 12Damals redete Josua zu YHWH an dem Tag, als auslieferte YHWH den Amoriter [in die Hand Israels, als er jene in Gibeon bedrückte und sie bedrückt wurden] [...] und er sagte vor den Augen Israels: „Sonne, zu Gibeon stehe still, und Mond, im Tal Ajalon!“ 13Da stand still die Sonne und der Mond blieb stehen, bis Rache genommen hat das Volk an seinen Feinden. Ist das nicht geschrieben im
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Buch Yaschar? Und es blieb stehen die Sonne in der Mitte des Himmels und beeilte sich nicht unterzugehen für einen vollen Tag. 14Und nicht hat es gegeben einen Tag wie jenen, weder vorher noch danach, dass gehört hätte YHWH auf die Stimme eines Menschen. Denn YHWH (war) kämpfend für Israel. [...] 16 Und es flohen diese fünf Könige und sie versteckten sich in der Höhle [...] 18Da sagte Josua: „Wälzt große Steine an den Eingang der Höhle und bestellt über sie Männer, um sie zu bewachen. 19Ihr aber: Bleibt nicht stehen! Jagt hinter euren Feinden her, damit ihr sie von hinten angreift! Erlaubt ihnen nicht, sich zurückzuziehen in ihre Städte. Denn es hat sie gegeben YHWH, euer Gott, in eure Hand.“ 20 Und es geschah, als Josua [...] aufhörte, sie mit einem sehr großen Schlag zu schlagen bis zu ihrer Vernichtung – und die Entkommenen waren von ihnen entkommen und zogen sich zurück in ihre Städte der Befestigung –, [...] 22Da sagte Josua: „Öffnet den Eingang der Höhle und bringt heraus zu mir diese fünf Könige aus der Höhle!“ 23Und sie taten so und brachten zu ihm heraus diese fünf Könige aus der Höhle: den König von Jerusalem, den König von Hebron, den König von Jarmut, den König von Lachisch, den König von Eglon. 24Und es geschah, als sie diese Könige zu Josua herausgebracht hatten, [...] da sagte er [...]: „Tretet heran, setzt eure Füße auf die Nacken dieser Könige!“ Da traten sie heran und setzten ihre Füße auf ihre Nacken. 25Da sagte zu ihnen Josua: „Fürchtet euch nicht und erschreckt nicht! Seid stark und mutig! Denn genauso wird YHWH mit der Gesamtheit eurer Feinde verfahren, gegen die ihr kämpfend (seid).“ 26Und es erschlug sie Josua danach. Und er tötete sie und er hängte sie an fünf Bäume. Da blieben sie aufgehängt an den Bäumen bis zum Abend. 27Und es geschah zur Zeit des Sonnenuntergangs: Es befahl Josua und sie nahmen sie herab von den Bäumen und sie warfen sie in die Höhle, wo sie sich versteckt hatten. [...] 29 Da zog Josua und die Gesamtheit Israels mit ihm hinüber [...] nach Libna. Und er kämpfte mit Libna. 30Und es gab YHWH auch es in die Hand Israels und seinen König. Und er schlug es mit der Schärfe des Schwertes und die Gesamtheit des Lebens, das in ihm (war). Nicht ließ er darin einen Entronnenen übrig. Und er handelte bezüglich seines Königs wie er gehandelt hatte bezüglich des Königs von Jericho. 31Da zog Josua und die Gesamtheit Israels mit ihm hinüber von Libna nach Lachisch. Und er lagerte davor und er kämpfte mit ihm. 32Und es gab YHWH Lachisch in die Hand Israels und er nahm es ein am zweiten Tag und er schlug es mit der Schärfe des Schwertes und die Gesamtheit des Lebens, das in ihm (war), ganz wie er gehandelt hatte bezüglich Libna. 33Damals zog Horam, der König von Geser, herauf, um Lachisch zu helfen. Aber es schlug ihn Josua und sein Volk, bis er ihm keinen Entronnenen übrigließ. 34Da zog Josua und die Gesamtheit Israels mit ihm hinüber von Lachisch nach Eglon. Und sie lagerten davor und sie kämpften gegen es. 35Und sie nahmen es ein an jenem Tag und sie schlugen es mit der Schärfe des Schwerts. Und die Gesamtheit des Lebens, das in ihm (war), bannte er an jenem Tag ganz wie er gehandelt hatte bezüglich Lachisch. 36Da zog Josua hinauf und die Gesamtheit Israels mit ihm von Eglon nach Hebron und sie kämpften gegen es. 37Und sie nahmen es ein und sie schlugen es
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Anhang IV
mit der Schärfe des Schwertes und seinen König und die Gesamtheit seiner Städte, und die Gesamtheit des Lebens, das in ihm (war). Nicht ließ er einen Entronnenen übrig, ganz wie er gehandelt hatte bezüglich Eglon. Und er bannte es und die Gesamtheit des Lebens, das in ihm (war). 38Da wandte sich Josua und die Gesamtheit Israels mit ihm nach Debir und er kämpfte gegen es. 39Und er nahm es ein und seinen König und die Gesamtheit seiner Städte. Und sie schlugen sie mit der Schärfe des Schwertes und sie bannten die Gesamtheit an Leben, das in ihm (war). Nicht ließ er einen Entronnenen übrig. Wie er gehandelt hatte bezüglich Hebron, so handelte er bezüglich Debir und seines Königs, und wie er gehandelt hatte bezüglich Libna und seines Königs. 40Und es schlug Josua die Gesamtheit des Landes – das Gebirge und den Negev und die Schefela und die Berghänge – und die Gesamtheit ihrer Könige. Nicht ließ er einen Entronnenen übrig [...], wie befohlen hatte YHWH, der Gott Israels. [...] 42Und die Gesamtheit dieser Könige und ihr Land nahm Josua ein mit einem Zug. Denn YHWH, der Gott Israels, (war) kämpfend für Israel. [...] Jos 11 1 Und es geschah, als Jabin, der König von Hazor (es) hörte, da sandte er zu Jobab, dem König von Maron, und zum König von Simeon und zum König von Achschaf, 2und zu den Königen, die im Norden im Gebirge und in der Araba südlich von Kinneret und in der Schefela und im Hügelland von Dor im Westen (waren). [...] 4Und sie zogen aus: Sie und die Gesamtheit ihrer Heerlager mit ihnen, ein Volk, zahlreich wie der Sand, der am Ufer des Meeres (ist), an Menge, und sehr viel Pferd und Wagen. 5Und sie rotteten sich zusammen: die Gesamtheit dieser Könige. Und sie kamen und lagerten miteinander am Wasser Merom, um gegen Israel zu kämpfen. 6Und es sagte YHWH zu Josua: Fürchte dich nicht vor ihrem Angesicht. Denn morgen um diese Zeit (bin) ich gebend die Gesamtheit von ihnen als Erschlagene vor dem Angesicht Israels. Ihre Pferde sollst du lähmen und ihre Wagen sollst du verbrennen mit Feuer. 7Und es kam Josua, und die Gesamtheit des Kriegsvolks mit ihm, plötzlich über sie an den Wassern von Merom, und sie fielen über sie her [vom Gebirge]. 8Und es gab sie YHWH in die Hand Israels, und sie erschlugen sie [...], sodass nicht von ihnen ein Entronnener übriggelassen wurde. 9Und es machte an ihnen Josua, wie ihm gesagt hatte YHWH: Ihre Pferde lähmte er, und ihre Wagen verbrannte er mit Feuer. 10 Und es kehrt Josua um in jener Zeit und nahm Hazor ein, und seinen König erschlug er mit dem Schwert. [...] 11 [...] Und Hazor verbrannte er mit Feuer. 12 Und die Gesamtheit der Städte dieser Könige und die Gesamtheit ihrer Könige nahm Josua ein und erschlug sie mit der Schärfe des Schwertes. Er vollstreckte den Bann an ihnen, wie befohlen hatte Mose, der Knecht YHWHs. 13Nur die Gesamtheit der Städte, die auf ihren Tells standen, hatte Israel nicht verbrannt, ausgenommen Hazor allein hatte Josua verbrannt. [...] 15Wie YHWH Mose, seinem Knecht, befohlen hatte, so befahl Mose Josua, und so machte es Josua. Nicht unterließ er eine Sache von der Gesamtheit, die YHWH dem Mose befohlen hatte.
Dtr. Landeroberungserzählung 16
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Und es nahm Josua die Gesamtheit dieses Landes ein, das Gebirge, und die Gesamtheit des Negevs und die Gesamtheit des Landes Goschen und die Gesamtheit der Schefela und die Araba und das Gebirge Israel und seine Schefela, 17 [...] Und die Gesamtheit ihrer Könige nahm er gefangen, erschlug sie und tötete sie. 18 Viele Tage machte Josua mit der Gesamtheit dieser Könige Krieg[...] 20Denn von YHWH war es geschehen, [...] damit an ihnen der Bann vollstreckt würde, ohne dass ihnen Gnade (gewährt) würde, sondern dass sie vernichtet würden, wie befohlen hatte YHWH dem Mose. [...] 23Und es nahm Josua die Gesamtheit des Landes ein, ganz wie YHWH zu Mose geredet hatte. Und es gab Josua es zum Erbteil für Israel, [...] entsprechend ihren Stämmen. Und das Land hatte Ruhe vom Krieg.
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Hebräische Lexeme ʾabānîm 145, 147, 170, 184 ʾāz 192, 232, 235 ʾӕzrāḥ 61 ʾæḥād 377f., 406, 413 ʾal tîrʾû 182 ʾellæh 224 ʾîš 45f., 164, 176 ʾîš Yiśrāʾel 33, 36, 179 ʾeš 300 ʾašedôt 198, 238, 375 ʾæt 182, 187 ʾittām 182 ʾôtāh 187 ʾôtām 182, 187 ʾūṢ 162 ʾMṢ 228, 318 ʾMR 177, 300 ʾSF 132 ʾŠD 237
BīN 276 BLY 31 BNY 276 BQʿ 300 BTQ 142 gibborîm 127 gibbôrê hāḥāyil 138 gebûl 365, 367, 371, 404, 419 gedolôt 184, 259 gædær 383 gôy 154, 155, 157, 390 gal 390 gam 188 gam hemmāh 23, 25 gerîm 73, 110 GLL 170, 390 DBR 131, 149, 327 DMM 152–154, 213, 217f., 220
b bāʾeš 300 behar 371 bāhār 297 baḥaṣî 162 baḥaṣî haššāmayim 214 bayyôm hahûʾ 185, 193 bayyôm haššelîšî 52 beʿebær 361 beʿebær hayYarden 14, 15, 361 bāʿet hahîʾ 275, 302, 322, 334 beqӕrӕb 85 beqirbām 123–124 bešālôm 175f., 417 bešem YHWH 40 bêt 62, 365 bêt ʾӕlohāy 62 biqʿāh 300 bārād 216 berît 34, 74, 82 Bōʾ 52, 172, 225, 296 Bōʾ ʿal 140 Bōʾ meʾӕrӕṣ reḥôqāh 33 Bōʾ pitʾôm 140
howāh 131 hinneh 36 haloʾ 223 har 191, 286, 297, 371, 375 har Yiśrāʾel 313 HYY wayehî kišmoaʿ 256, 258, 346 wayehî miqṣeh 51 HYY beqæræb 123 HMM 131, 141 HLK 141 HLK + ʾæt 180 HLK + ʾaḥarê 180 HLK liqrāʾtām 43 hæhālekûʾ 179f. HRG 68 WBB 277 zānāb 172 ZNB 172 ḥôf 15
470 ḥalālîm 293 ḥālāq 313, 314, 374 ḥām 44 ḥamôr 27 ḥaṣî 162, 214, 364 ḥaṣî hagGilʿād 364 baḥaṣî 162 baḥaṣî haššāmayim 214 ḤūŠ 137 ḤZQ 318f. ḤZQ + ʾMṢ 228 ḤYY 50 ḤLQ 374 ḤNY 134, 192 ḤRM 186, 189, 232, 304, 320 ḤRṢ 175 yābeš 44 yad 135 yaḥdāw 18, 290 yāmîm rabbîm 316 yāmmāh 373 yāreaḥ 220 yeruššāh 374, 402 yošbê Gibʿôn 21f. yošbê hāhār 208 yāšār 161f. hayyāšār 159f. hayyāšār beʿênê YHWH 67 yāšer 161 yošær 162 Yešurûn 161 YBB 277 YʿD 51, 290 YṢʾ 289 YṢR 26 YRʾ 125, 128 YRʾ + ḤTT 228 YRʾ min 222 YRŠ 202, 359, 394 YŠB beqæræb 37, 98, 106, 123 YŠʿ 68, 131, 136 YŠR 160 YTR 324 k
kaʾašær ʿŚY 121 keyôm tāmîm 163 kemaḥleqotām 374 kāʿet māḥār 294 kol 330 kål (han)næfæš 199, 238 kål (han)nešāmāh 199, 238, 305
Hebräische Lexeme kælæb 176 kî māḥār 293 ken 67 kinnôr 283 KLY 172, 259 KRT 64f. loʾ yikkāret mikkӕm 64 KRT berît 34, 71 l
leʾîš 176 lefî ḥæræb 191, 198, 257, 304 lefānîm 302 lemizbaḥ YHWH 69 lamilḥāmāh 289 leʿênê Yiśrāʾel 212 leYHWH 149 lāšon 175 læḥæm 29 lāmmāh 60 lāmmāh + RMY 60 LūN 55f., 103 LḤM 134, 182, 187, 192, 194, 196, 202 LḤM + ʿal 231 LḤM + b 231 LḤM + ʿim 231 LḤM + l 164f., 223 LKʾ 180 LKD 188, 194, 197, 200, 202 LQḤ 48, 312, 326 midbār 375 mādôn 279 meherāh 136, 140 môrad 145 mizrāḥāh 366 mizrāḥāh haššāmæš 361 maḥleqāh 325f. maḥanæh 205, 288 meṭullāʾôt 28 mayim 298 mê 291 mê Merôm 291f. makkāh 225 mælæk 333, 360, 406, 413 malkê hāʾāræṣ 360 mamlākāh 126 min min + ʿad 238 min haššāmayîm 147 miyyætær 370 miyyām 285, 298 mippenê 144
Hebräische Lexeme miṣṣad 381 miṣṣefôn 282f., 332 mittêmān 366 mas 71 maʿaleh 145 maʿrābāh 312 meʿārāh 177, 184 meṣad 382 meṣorārîm 27 māqôm 70 hammāqôm ʾašӕr yibḥār 70 MūT 148, 182f., 315 nægæb 198, 282f., 375 nægæd 282 naḥal 361f. naḥalāh 326, 374, 402 nåkrî 73 naʿal 28 nāfāh 285 nāfat Dôr 388f. niqqudîm 29f. neśîʾîm 45, 50f., 93 nešāmāh 336 NGD 65 NGʿ 56 NūḤ 327 NūS 142, 224 NḤY 231 NḤL 326 NKY 68, 131, 142, 182f., 191f., 197f., 202, 225, 235, 304, 315, 357, 361, 393 NKY bæḥāræb 301 NKY lefî ḥæræb 191, 232 NKY makkāh gedôlāh 142, 257 NKY + RDP 298 NSʿ 52 NPL 297 NṢL 68 NṢL miyyad 68 NQD 30 NQM 155–157 NTN 326 NTN beyad 139, 150, 188, 192, 222, 298 NTN lifnê 222 NTN yeruššāh 357 sûs 289 sefær 162 sefær haššîr 159 sefær hayyāšār 159f. SBB 196 SūR 311
471
ʿӕbӕd 38f. ʿæbæd YHWH 372 ʿad 154, 219 ʿad biltî 192 ʿad tummām 172 ʿedāh 51, 54, 96 ʿeṣîm 183f. ʿæṣæm 185 ʿam 133, 174 ʿam hammilḥāmāh 137, 296 ʿam rāb 288 ʿim 296 ʿomdôt 306, 308 ʿarābāh 362, 375 ʿîr 363 ʿîr gedôlāh 126, 207 ʿîr hammamlākāh 207 ʿārê hammamlākāh 127 ʿårmāh 25, 60, 82 ʿet 275, 302, 322, 334 ʿattāh 35, 44, 63 ʿBR 231 ʿGY 368 ʿōG 368 ʿZB 139 ʿZR 131, 136, 192, 235 ʿLY 131f., 141, 190, 192, 231, 235 ʿMD 152, 153, 154, 172, 213, 217, 224 ʿMD lifnê/bifnê 139 ʿQR 295 ʿRB 312 ʿŚY 23, 190 ʿŚY + šālôm 74 ʿŚY beMiṣrāyim 41 ʿŚY haṭṭôb wehayyāšār beʿênê 67 ʿŚY ken 178 pæh ʾæḥād 19, 202 pî 177, 184 pî YHWH 46f. paʿam ʾæḥāt 202 pæræʾ 131 pitʾôm 140 ṣayid 26, 29 ṣêdāh 43 ṣêdāh laddӕrӕk 43 ṣîr 26 ṢīD 26 ṢīR-tD 26f. ṢRR 27 qôl 164
472
Hebräische Lexeme
roʾš 303 rab 272 rab meʾod 289 rækæb 289 raq 325, 343 RGN 55 RDP 143, 182, 225 RūM 290 RMY 60 RPʾ 369 RPY 135 RPY + yad 135 RṢY 380
šebûʿāh 82 šîr 159 šālôm 74, 105, 413 bešālôm 175f., 417 šem 39f. šomaʿ 40 šæmæš 220 šenê 41 šefelāh 375 ŠʾR 188, 324, 325 ŠʾR + śārîd 192, 195, 233 ŠBʿ 50 ŠūB 175, 196, 231, 302 ŠLḤ 281f. ŠLK 185 ŠLM 74, 122, 132, 316–318 ŠMD 66, 108, 320 ŠMʿ 17, 81, 128, 281 ŠMʿ beqôl 163, 223 ŠQṬ 327 ŠRF 299
śefat 288 śārîd 173, 192, 195, 233 śārîd ûfālîṭ 187, 189, 191, 195 śāraf 304 ŚRD 173 ŚRF 299
teḥinnāh 320 taḥat 315, 366 tel 306–308 tummām 172, 225 ʿad tummām 172 TMM 157
qāṣîn 180 qæṣæf 57, 90 qӕrӕb 37, 85, 122–124 qārûb 85 QūM 156 QīŠ 48 QRB 85
šebæṭ 323 šibṭê Yiśrāʾel 374
Stellenregister (in Auswahl)
Gen 3 25 4 64 7,22 336 9,25 64 9,25–27 182 24,3 37 30,6 164 32,29 46 34 61 34,2 24, 35 36,33–34 277 Ex 1,15–21 22 9,18 294 9,23–24 146 11,7 175, 176 14 141 14,6–9 289 14,10 125 14,14 164 14,20 141 14,24 141 14,25 223 17,8–16 163 23,32 34, 37, 98 30,3 109 34,12 34, 37, 98 Num 7,13–82 378 13,29 137 20,6–11 212 20,8 212 21 363 21,1–3 379, 383 21,3 164, 379 21,21–35 360 21,24 232, 364f. 21,35 233
27,21 47 33,49 366, 402, 404, 420 Dtn 1,3 395 1,4 368, 396 1,6–8 66 1,7 15, 21, 137, 208, 238f., 261, 315, 418 1,19 137, 208, 261, 418 1,21 228 1,27 55 1,30 190 1,44 137, 208, 261, 379, 418 2,24–25 66, 346 2,25 128 2,26–3,7 398 2,30 319 2,34 233 2,34–35 309 2,35 309, 336 2,36 364 3,1–7 368 3,2 121f. 3,3 233 3,6 304 3,7 309, 336 3,8 39, 361, 371, 396 3,9–17 395 3,10 371 3,11 369f. 3,12 364 3,14 371 3,16 364 3,17 237, 366, 401 3,21 190 3,21–22 368 3,28 228, 326 4,7 157 4,8 157 4,34 157
474 4,41 361 4,47 361 4,48 361 4,49 361, 401 6,10–11 307, 346 7 13, 74, 233, 320, 335 7,1 16, 71, 83, 288, 346 7,1–2 35, 78, 95, 97, 111 7,2 34, 37, 71, 78, 82, 101f., 320, 414 7,4 57 7,12 49 7,18 139 7,22 338 7,23 141 7,24 116, 139, 147, 306, 316, 346 8,4 31, 102 9,1–3 339, 346 9,18–19 109 12 70, 103 13 355 13,16 232 13,16–17 309, 336 17,16 294, 346 19,1 307 19,5 59 20 305f., 355 20,1 289, 319, 346 20,4 165 20,8 319 20,10–14 101, 104 20,10–15 77 20,10–18 78, 94, 97, 199, 319, 321 20,11 71, 78, 105f., 111, 413f. 20,13 232 20,15 92, 105, 107, 111, 417 20,15–18 74, 76, 78, 95, 101, 104f., 335, 414 20,16 199, 238f., 259, 346, 415 20,17 16, 21, 83, 107, 417 20,17–18 89, 110 21,22–23 184, 228, 243, 259, 415 21,23 183 25,18 172 27,2–8 17 29 72–74, 78, 414 29,1 73 29,1–5 72 29,3 72 29,4 30, 72
Stellenregister 29,4–5 102 29,5 73 29,6 73 29,7 326, 346 29,9 73 29,10 24, 73, 110 29,10–12 74 29,14 73 29,21 33, 73, 111 31,6–7 228 31,8 228 32,4 161 32,43 157 33,29 181 34,5 7 34,10–12 163 34,12 164 Jos 1 139 1,3 181 1,4 375 1,6 319, 326 1,7 182, 311, 319, 330, 356 1,7–8 311, 326 1,9 182, 319 1,11 43 1,12–15 327 1,12–18 358 1,15 361 2,9 88 2,10 41 2,10–11 18, 88 2,10–12 22 2,12–13 89 2,13 50, 68 3,2 51 3,7 149 3,10 16, 287 3,12 378 4,2 378 4,4 378 4,9 170 4,14 149 5,1 14, 18, 22, 133 5,9 170 5–6 256 6 189 6,2 138
Stellenregister 6,18–19 336 6,21 121, 243 6,25 37, 50, 123 6,26 159 7,3 207 7,9 39 7,21 336 7–8 88, 255, 257, 261, 417 8,1 182 8,2 120, 230 8,3 138, 140 8,22 187 8,28 306 8,29 185, 226, 261 8,30–35 17, 20, 81, 84, 281 8,35 37 9 257 9,1 71, 83, 253, 282, 287, 331, 373, 396, 419 9,1–2 81, 132, 238, 250, 329, 332, 393, 414 9,2 202 9,3 81, 88, 201, 381, 417 9,4 88 9,6–7 417 9,7 83, 123, 286 9,9 206 9,9–10 108 9,11 81 9,12–14 85 9,14 85, 108, 139 9,15 122, 262, 318 9,16 123 9,17 130, 140 9,18 262 9,18–21 69 9,19–21 86 9,21 62 9,22 123 9,22–27 86 9,23 87 9,24 108, 128, 207 9,27 62, 420 10 6, 271, 272f., 280, 329 10,1 18, 21, 70, 74f., 230, 282, 381 10,1–2 417 10,1–4 206 10,1–15 411 10,2 90, 318, 381
475
10,3 120, 332, 400, 402, 406, 413 10,4 74, 252 10,5 332, 406 10,6 75, 201 10,9 298 10,10 211 10,11 225, 420 10,12 252 10,12–14 211 10,13 160 10,14 165 10,20 174 10,23 406 10,27–39 392 10,28–39 272, 304 10,29–39 406, 411 10,36–39 338f. 10,40 284, 330, 375, 379 10,40–41 312, 329 10,40–43 337, 344 10,41 313f., 337, 348, 416 10,42 165, 311, 337 10,43 333 10–11 6, 415 11 238 11,1 18, 380, 386, 400, 402, 413, 417 11,1–2 392 11,1–15 274 11,3 16, 36, 376 11,8 143 11,10–11 353 11,11 199 11,11–23 358 11,12 117 11,12–14 243 11,15 117 11,16 201, 375 11,16–20 237, 358 11,16–23 359 11,17 358, 394, 404 11,18 359, 400 11,19 21 11,21 369 11,23 374, 396, 401, 402, 407 12,3 284 12,4 420 12,6 384 12,7 14, 314, 337, 349, 418 12,7–8 358
476 12,8 237, 331 12,9 384 12,9–24 377, 411 12,10–12 120, 236, 254, 258 12,10–13 130, 247 12,10–24 236, 268 12,12–13 236 12,15–16 236 12,19 279, 280 12,19–20 277, 280 12,20 279, 354 12,23 285 13,5 395 13,9 362, 363 13,11 370, 403, 418 13,12 368, 370 13,16 364 13,20 366, 401 13,27 401 13–22 9f. 14,6–15 268, 339 14,7 316 14,10 316 14,12 182 14,12–15 339 14,15 327f. 15,3 283 15,13–14 339 15,13–17 268 15,36 383 15,41 383 15,49–50 321 15,50 321 15,57 200 15,58 382 15,61–62 375 15,63 234 16,10 235 17,4 93 19,15 279, 387 19,19 385 21,43–45 327, 359 21,44 325 22 55 22,14 93 22,20 57 23,6 311 24,7 41 24,11 16
Stellenregister 24,12 392 24,28 339 24,29 394 Ri 1 384 1,5–7 118f., 120 1,8 234 1,9 238 1,17 379 1,21 234 1,22–25 379 1,26 286 1,27 379 1,29 235 2,8 339 3,3 286 4 275, 301, 354 4,2 389 4,14 297 4,24 349, 418 4–5 273, 274 5,4 314 5,18 273 5,23 273 7,12 289 8,15 45 11 365 13,9 164 Rut 2,11 65 1Sam 2,26 46 7,1–12 264 13,5 289 14 264 14,9 154 14,24 157 17 323, 324 19,8 142 21,6 44 2Sam 1,18 159–161, 265 1,19 160 5,7 234 5,17–25 264
Stellenregister 5,22 265 8,3–4 353 19,26–27 60 21 57, 61, 95, 111, 420 21,1–9 76 21,2 35, 50, 54, 76, 79 21,5 76 24,7 286 1Kön 3,4 70 4,10 385 4,11 285 5,6 294 5,17 181 8,12–13 159 8,41 33, 111 8,41–42 39 8,53 159f. 9,15 235 9,17–18 53 10,1 40 14,3 30 15,20 283 17,22 164 20,1 409 20,25 182 2Kön 18,13 20,14 23,11 23,25
268 34 294 163
1Chr 2,51 383 4,39 383 12,7 382 14,13–16 265 27,28 382
4,14 164 10,34 54 13,31 54 1Makk 9,2 168 Ps 20,8 294 46,9–10 294 48,5 290 72,5.17 220 110,1 181 Spr 28,20 162 Sir 46,5 146 Jes 2,10–21 228 8,23 389 22,4 162 28,21 117 31,1 295 39,3 34 66,8 202 Jer 3,17 39 22,8 126 26,14 67 30,18 307 34,7 268 47,5 323 Ez 48,1–7 393 48,23–27 393
2Chr 6,32 33
Jon 1,2 126
Esr 9,8 320
Hab 3,3–15 153 3,11 152
Neh 1,9 70
477
478 El-Amarna 252:9–12 122 KAI 181:17 233 202:5–7 134 280:2 368 KTU 1.108:3 369 1.14 III:7–10 59 4.860:41 377 RINAP 1 22:7‘ 291
Stellenregister Josephus, Antiquitates 5:20 17 5:63 292 5:63–64 289 5:69 17 Augustinus, Quaestiones Iesu Nave 12 27 15 133 18 318 Eusebius, Onomastikon 128:4–6 292
Sachregister
Älteste 42, 81 Ätiologie 5, 70, 77f., 87, 92, 94, 96, 115, 147, 223, 225, 255, 265, 330 Annalenformel 158 Antitypos 31, 105 Astrologie 218 Ausführungsformel 178 Autorenkommentar 211–214, 220f., 257, 259, 303, 415 Bann 57, 63, 66, 69, 71, 77, 90, 95, 97, 99, 106, 109–111, 115, 121, 186f., 189, 193, 196–200, 229f., 232f., 237, 239f., 250, 261, 295, 304, 309, 319f., 325, 334–336, 341, 348f., 356, 416, 418f. Begegnungszelt 62 Belagerung 134 Blockmodell 7 Buch Yaschar 158–161, 166, 206, 210f., 265 Codex Lugdunensis 10 Deuteronomist 6 Dittographie 28, 138, 144, 168, 176, 179f., 188, 191, 194, 199, 293, 324, 361f., 371f., 387f. Doppelte Kausalität 222 DtrG 5, 7, 9, 12 DtrH 343, 381 DtrL 3, 8, 12, 339 Elohist 3, 4, 6 Enneateuch 8 Entronnenenformel 239, 259, 415 Ermutigungsformel 121, 139, 182, 208, 222, 228, 244, 247, 254, 258f. , 298, 329f., 355, 415 Exodus 73, 125, 128, 176, 201, 319, 361 Exodus-Landnahme-Erzählung 7f.
Fluch 63f. Fünfzahl 130, 204, 254 Geschichtsmächtigkeit 108, 143, 377 Gottesschrecken 141 Grenzbeschreibung 5 Hagelsturm 147, 216 Haplographie 27, 42, 58, 123, 125f., 128, 132, 151, 155, 160, 174, 177f., 183, 188, 192–194, 197, 200, 282, 286, 288, 296–298, 301, 310f., 316, 324, 371f., 385, 387 Heiliger Krieg 164, 264, 330, 341f. Heilsorakel 208, 253 Heilswort 65 Hexateuch 3, 6, 7, 9, 12, 91, 99 Höflichkeitsformel 38 Höhle 225–227 Holzfäller 59f., 62f., 87 Ironie 23f., 38, 48, 56, 109, 171f., 184, 219, 221 Itinerar 229, 266, 268, 422 Jahwist 3f., 6 Jerusalemer Geschichtswerk 8 Königsliste 316, 357, 359f., 377, 379, 392f., 395, 399, 403–406, 408f., 411, 416 Königtum 22 Kultsklave 59, 69, 73, 78, 87, 96, 106, 111 Kultzentralisation 61, 112 Lager 32 Landeroberung 271, 305, 311, 326, 329, 339, 348, 393, 395, 399, 416, 420 Landeroberungserzählung 354, 392
480 Landgabe 402 Landnahme 361, 400 Landverteilung 326, 339, 348f., 357, 373, 394, 400, 402, 404, 416, 419 Los 47, 402, 297 Mahl 46, 48, 73, 85, 91 Merismus 187 Monarchiekritik 358f., 406, 410, 423 Mond 214, 217–218, 222, 257 Murren 55 Omen 219 Opfer 54 Orakel 221 Ortsliste 392, 399f., 403, 405f., 409, 416f., 422f. Pfählung 183f., 225, 259 Priesterschrift 3, 6 Ruheformel 328, 339, 348, 416 Schichtenmodell 7 Schwur 50, 54, 57, 64, 82, 95, 107, 109, 419 Seevölker 352 Siebenzahl 233 Sonne 149–150, 152, 212–214, 217– 222, 257 Sonnenfinsternis 153, 215f. Sonnenwunder 149 Städteliste 5 Steine 227, 255 Tatbericht 58
Sachregister Tetrapolis 53, 60, 106, 417 Tora 13, 17, 40, 55, 73, 77, 82, 90, 99, 106, 108f., 111, 311, 326, 414, 420 Toragehorsam 20, 311, 328, 335, 356 Tribut 43, 48 Trickster-Erzählung 88 Übereignungsformel 121, 139, 188, 192, 222, 231, 248, 250, 259, 293, 298, 333, 348, 415f. Urbevölkerung 254 Urim und Tummim 139 Urkundenhypothese 2 Vasall 75, 124, 136, 206 Vergleichsformel 196, 250, 259, 415 Verhärtung 318–320, 338 Vetus Latina 10 Völkerliste 399 Vorbevölkerung 14, 61, 71, 79, 82, 90, 156, 176, 272, 287, 300, 308, 310, 317, 319f., 327, 331f., 338f., 348, 369, 373, 376, 404, 410, 416, 418f. Wasserschöpfer 59f., 62f., 87 Wiederaufnahme 83f., 107, 177, 192, 242, 320, 327, 334, 337, 344f., 349, 359, 417 Willkürformel 67 YHWH-Krieg 141, 166, 222, 415 Zitatformel 159f., 211, 214, 259 Zorn 57 Zuspruchformel 298
Namenregister
Abimelech 277 Achan 57, 185 Adad 146 Adonibezek 118–120 Adonizedek 70, 116–120, 122, 125f., 132, 136, 192, 207, 241, 244, 258, 415 Amalekiter 163 Ammoniter 364, 404, 419 Amoriter 14, 18, 133f., 137, 156, 265, 331, 373, 376, 393, 418 Anakiter 321–325, 328, 338f., 356, 417 Aristobul 354 Assurbanipal 111, 409 Baalhanan 382 Barak 274, 353 Ben-Hadad 409 Boaz 65 David 234, 264f., 323, 353, 421 Debir 131 Debora 353 Dina 61 Edomiter 314 Eleasar 47 Enlil 146 Gad 394, 401 Geschuriter 371, 376 Girgaschiter 16, 71, 288, 370, 376 Goliat 323f., 349 Gyges 111 Halbmanasse 394 Hamor 35 Haran 191 Hetiter 285, 376, 393
Hewiter 16, 20, 24, 35f., 61, 64, 71, 79, 81, 83, 102, 107, 285, 287f., 317, 376, 417 Hiram 190 Hobab 279 Hoham 129, 131, 190f., 237 Horam 129, 190, 237 Horiter 20, 24, 35, 285 Hurriter 285 Ibni-Adad 276 Jabin 116, 121, 273–277, 281f., 301, 346, 348f., 351, 354, 415, 418 Jakob 363 Japhia 129 Jebusiter 132, 285, 287, 376 Jehuiden 354 Jerobeam I. 380 Jerobeam II. 298, 354 Jobab 277, 279, 392, 402 Joschija 83, 112, 118, 163, 244f., 266, 294, 354, 421, 423 Judas Makkabäus 168, 249 Kaleb 268, 274, 323, 328, 339, 378 Kanaanäer 18, 376 Levi 61 Maachiter 371 Maron 278 Melchizedek 118 Mondgott 149f. , 152 Mose 306, 310, 326, 334f., 357–360, 369, 372f. , 383, 394f., 403 Naftali 351 Nebukadnezzar 268 Netinim 59
482
Namenregister
Og 42, 73, 84, 108, 121f., 133, 309, 312, 359, 363f., 368, 370, 372f., 394f., 401, 403, 418f. Otniel 268, 378 Perisiter 285, 376 Piram 129, 131 Rahab 24, 37, 41, 57, 68, 88f., 94, 123 Ramses II. 352 Ramses III. 111 Refaiter 368f. Rehabeam 380 Ruben 394 Rut 65
Salomo 40, 53, 98, 235, 294, 320, 409 Samuel 264 Sanherib 266, 268f., 422 Saul 57, 61, 76, 264, 421 Schoschenq 53 Sihon 42, 73, 84, 108, 121f., 133, 304, 312, 319, 359, 363, 365, 368, 372f., 394f., 401, 403, 418f. Simeon 61 Simon 279 Sisera 274f., 389 Sonnengott 119 Thutmose III. 266, 405 Tiglat-Pileser III. 354
Ortsregister
Achschaf 278, 280f., 350, 391 Adullam 129, 178, 192, 195, 382 Afek 385, 389 Ai 17f., 22–24, 32, 56, 81, 84, 88, 101, 105, 107f., 127, 163, 184, 206f., 226, 240, 255, 261, 305f., 378, 381, 418 Ajalon 154, 206, 213, 216, 218, 220f., 264 Anab 321, 338 Antilibanon 15f. Ar-(Moab) 363 Araba 283, 312, 314, 331, 337, 362, 365 Arad 379, 383, 409 Arnon 362f., 403 Aroer 362f. Aschdod 198, 323–325 Aschkelon 323 Aschtarot 368 Aseka 209, 224 Baalbek 314, 387 Baal-Gad 314f., 395 Baschan 367, 403 Beerot 53f., 60 Bet-Gader 383 Bethel 378, 381f., 384, 391 Bet-Horon 126, 143–146, 206, 209, 264 Bet-Jeschimot 366, 401f., 404, 420 Betschean 312 Bezek 118f. Debir 130f., 196f., 205, 229, 234, 236, 267, 274, 338f., 378 Dor 285, 379, 388 Ebal 56, 69, 84 Edom 196 Edrei 42, 368 Eglon 129f., 178, 192, 194f., 205, 231, 233, 236, 382 Eltheke 269
Galgala 135 Galiläa 350, 354, 389f. Garizim 17, 112, 421 Gat 323–325, 329, 349, 381, 412, 418 Gaza 191, 200, 238, 323–325 Geba 265 Geder 382f. Gedera 383 Gederot 383 Gederotaim 383 Gedor 382 Gennesar 282 Gennesaret 282, 284, 371 Gerar 277, 383 Geschur 371 Geser 128, 190, 231f., 234–236, 257, 265, 269, 378, 382 Gibea 200 Gibeon 21, 53, 200, 317 Gilead 364, 401, 404, 419 Gilgal 32, 69, 86, 111, 135, 137, 165, 167f., 170, 174f., 203, 225, 227, 229, 256, 261, 350, 389f., 419 Gojim 389f. Golan 287 Goschen 200f., 238, 313, 337, 375 Hafarajim 385 Halaq 313 Haroschet-Gojim 389 Hazor 334, 346, 350–353, 355, 416, 418 Hebron 130, 190, 193–195, 197, 205, 233, 236f., 254, 268, 274, 338f., 378 Hefer 384f. Heliopolis 387 Ḥeres-Gebirge 152 Hermon 286, 288, 371, 395 Heschbon 363 Horma 379, 409 Horonaim 143f.
484
Ortsregister
Idumäa 196 Jabbok 363f., 403f., 419 Jarmut 130, 205, 229, 234, 236, 263, 421 Jebus 133 Jericho 17, 22–24, 32, 56, 81, 84, 88f., 101, 108, 121, 147, 187, 189, 206, 230, 255, 260f., 305, 334, 381 Jerusalem 21, 40, 61, 69f., 77, 81, 90, 95f., 100, 112, 118–120, 122, 125f., 130, 132f., 205, 220, 229, 234, 258, 262–264, 378, 392, 421 Jokneam 385, 388 Jordan 361 Kadesch 352 Kadesch-Barnea 200 Karmel 299, 389 Kedesch 388 Kefira 53f. Kinneret 283f. Kirjat-Jearim 53f., 60 Kumidi 352 Lachisch 130, 189, 205, 231, 233, 235f. Libanon 15, 36, 315 Libna 187–190, 197, 205, 229–231, 234, 236 Maacha 371 Madon 277–280, 386, 402, 417 Makkeda 167, 169f., 174f., 177, 185– 187, 205, 209, 224, 226f., 229f., 234, 236, 239f., 254f., 260f., 263, 265, 268, 416 Maron 278–280, 328, 386f., 402, 412, 417 Megiddo 379, 388 Merom 116, 275, 278, 280, 290f., 294, 354f., 422 Meron 278, 354, 387
Meros 273 Misrefot-Majim 298f., 355, 422 Mizpa 286, 288 Mizpe 300 Modeïn 168, 249 Nafat-Dor 350 Nafot-Dor 285 Negev 313, 331, 337 Pisga 237, 366, 401, 404, 419 Raba 284 Refaim-Tal 265 Saba 40 Salcha 370 Salzmeer 365 Samaria 279 Šamšimuruna 387 Sarepta 299 Scharon 298, 385, 388f. Schefela 284, 312f., 331, 337 Schemesch-Maron 279 Schilo 62 Schimron 278f., 350, 387, 403 Schimron-Meron 278f., 386f., 403 Seir 314 Sichem 24, 32, 37, 61, 69, 91, 135, 380 Sidon 282, 355, 422 Simeon 278–281, 329, 387, 402, 412, 417 Taanach 379, 388 Tappuach 384 Teman 366 Tirza 380 Tyros 190 Ugarit 369 Yarkon 389 Yehud 50