Mensch und Gott Eine Religionsphilosophie 9783957431707, 9783957437297


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German Pages XXII, 272 [298] Year 2020

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Mensch und Gott Eine Religionsphilosophie
 9783957431707, 9783957437297

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Mensch und Gott

Innsbruck Studies in Philosophy of Religion Herausgegeben von Christian Tapp und Bruno Niederbacher SJ

Band 1

Rainer Carls SJ

Mensch und Gott Eine Religionsphilosophie Unter Mitarbeit von

Elisa Neuschulz aus dem Schwedischen übersetzt und herausgegeben von

Christian Tapp

mentis

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2020 mentis Verlag, ein Imprint der Brill-Gruppe © für die Übersetzung: beim Herausgeber (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland) Internet: www.mentis.de Einbandgestaltung: Anna Braungart, Tübingen Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISsN 2629-1681 ISBN 978-3-95743-170-7 (paperback) ISBN 978-3-95743-729-7 (e-book)

Vorwort zur Reihe Die Religionsphilosophie ist ein derzeit sehr lebendiger Zweig der Philosophie. Sie befasst sich aus philosophischer Perspektive mit den unterschiedlichsten Aspekten des Phänomens der Religion generell und speziell mit den Wahrheitsansprüchen von Religionen, mit der Eigenart und Begründbarkeit religiöser Überzeugungen, mit dem Verhältnis von Glauben und Wissen, mit der Existenz eines (theistischen) Gottes u.v.a.m. Darüber hinaus kann man zur Religionsphilosophie auch noch die verschiedensten philosophischen Grundlagenfragen rechnen, die die gelebten Religionen oder die wissenschaftlichen Theologien aufwerfen. Während diese Fragen im deutschsprachigen akademischen Raum bislang fast ausschließlich den Philosophie-Lehrstühlen an theologischen Fakultäten zugeordnet wurden, setzt sich allmählich auch hier die Überzeugung durch, dass es sich bei der Religionsphilosophie um eine genuin philosophische Disziplin handelt, die auch an Philosophie-Instituten berücksichtigt werden muss. Die großen Kongresse der GAP und der DGPhil führen inzwischen standardmäßig Sektionen zur Religionsphilosophie. Wir freuen uns, dass der mentis Verlag entsprechend mit dieser Reihe sein philosophisches Programm erweitert, und danken Dr. Michael Kienecker dafür, dass so ein eigenes Publikationsforum für religionsphilosophische Bücher geschaffen wird. Das Innsbrucker Institut für Christliche Philosophie ist dafür bekannt, Philosophie in dem genannten weiten Sinne von Religionsphilosophie zu betreiben, eben einschließlich der philosophischen Grundlagenfragen verschiedenster Art, von der Metaphysik und Ontologie über die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie bis hin zur Sprachphilosophie und zur Ethik. Daher ist Innsbruck quasi der „geborene Ort“ für eine solche Reihe. Das Institut für Christliche Philosophie fühlt sich dabei den analytischen Standards des Philosophierens verpflichtet. Es versteht diese aber so weit und so grundsätzlich, dass damit keine inhaltlichen Vorfestlegungen verbunden sind. Insofern ist diese Reihe inhaltlich vollkommen offen. Historische Beiträge sind grundsätzlich genauso willkommen wie transzendentalphilosophische, phänomenologische genauso wie solche zu fernöstlichen Philosophien. Gemeinsam soll ihnen nur der erwähnte Religionsbezug im weitesten Sinne sein, sowie die Orientierung an den analytischen Tugenden wie differenzierter und verständlicher Begrifflichkeit, theoretischer Form, logischer Stringenz, klarer Thesen- und Argumentationsorientierung. Innsbruck, im September 2019

Bruno Niederbacher SJ & Christian Tapp als Herausgeber der Reihe ISPOR

Inhalt Einleitung des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xi 1 Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xi 2 Gestaltung der Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xvii 3 Zu Person und Werk Rainer Carls’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xix Anstelle eines Vorworts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xxV 1

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Religion, Metaphysik und Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Religion und Religionswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Religionswissenschaft und Religionsphilosophie . . . . . . . . . . . . 1.3 Religion, die Offenbarung Gottes und die Theologie . . . . . . . . 1.4 Die Vernunft des Menschen und die natürliche Theologie . . . 1.5 Die natürliche Theologie, die Ontologie und die Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Offenbarungstheologie, natürliche Theologie und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Die Relation der natürlichen Theologie zur Offenbarungstheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Religion und der Glaube an Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Religion und Gottesglaube – und die menschliche Psyche . . . 2.2 Religion, Gottesglaube und die übernatürliche Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Religion, der Offenbarungsglaube und die Vernunft des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die Religion, der Gottesglaube und die Irrationalität des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Die Religion, der Gottesglaube und die Existenz des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Religion, Gottesglaube, Gottesbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Der Ausdruck »Gott« und sein Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Das Gottesbild des Menschen und Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Das Gottesbild des Menschen und seine Lebensanschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Das Gottesbild des Menschen in der Religion und Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Das Gottesbild des Menschen und die Existenz Gottes . . . . . .

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Inhalt

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Die Möglichkeit, über Gott zu sprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Der Gottesname in der Philosophie und Theologie . . . . . . . . . . 4.2 Die Rede von Gott und die negative Theologie . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die indirekte Möglichkeit, über Gott zu sprechen . . . . . . . . . . . 4.4 Die Interpretation der religiösen Symbolsprache . . . . . . . . . . . 4.5 Die analoge Weise, über Gott zu sprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der Gottesbegriff und Gottes Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Das Gottesbild, die Gottesidee und die Existenz Gottes . . . . . . 5.2 Gottesbild und Gottesbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Das Verneinen von Gottes Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Der Gottesbegriff und der sogenannte ontologische Gottesbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Der Gottesbegriff, Gottes Wesen und Gottes Existenz . . . . . . .

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Die Erkenntnis des Menschen von Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Die Verneinung der Gotteserkenntnis des Menschen . . . . . . . . 6.2 Die Möglichkeit der natürlichen Gotteserkenntnis . . . . . . . . . . 6.3 Die Struktur und Problematik eines Gottesbeweises . . . . . . . . 6.4 Der Grundbegriff des Gottesbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Der unbewiesene Ausgangspunkt der Gottesbeweise . . . . . . . 6.6 Der Gottesbeweis und die menschliche Erfahrung . . . . . . . . . .

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Gott, der Allervollkommenste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Die Grunderfahrungen und die Gotteserfahrung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Die Ganzheitserfahrung des Menschen als Gotteserfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Gott als das vollkommene All . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Gott und die Vollkommenheit aller Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Das Allervollkommenste und die Vollkommenheit der Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6 Das Vollkommenste als das »Urbild« von allem . . . . . . . . . . . . . 7.7 Die Einheit der Vollkommenheiten im Vollkommensten . . . .

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8

Gott, Ursache und Grund von allem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Die fundamentale Kausalitätserfahrung des Menschen . . . . . 8.2 Gott und die Entstehung und Veränderung der Welt . . . . . . . . 8.3 Gott und die Ordnung und Entwicklung der Welt . . . . . . . . . . . 8.4 Die Grenzen des physikalischen und physiko-theologischen Gottesbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

ix

8.5 Kausalität und das notwendige Absolute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6 Das notwendige Absolute und das Allervollkommenste . . . . .

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Gott, absoluter Geist und Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Die Erfahrung des Menschen seiner selbst als Person . . . . . . . 9.2 Das Streben des Menschen nach einem Ziel, einem Sinn und Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Der Mensch, der Anspruch des Gewissens und Gott . . . . . . . . 9.4 Der Mensch angesichts des Absolutheitsanspruches der Wahrheit und Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Die Gebundenheit der Freiheit an das Gute und an Gott . . . . 9.6 Die persönliche Liebe des Menschen zu Gott . . . . . . . . . . . . . . . 9.7 Gott als das unbegreifliche personale Mysterium . . . . . . . . . . .

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Gott und die geschaffene Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Die Transzendenz Gottes im Verhältnis zur Welt . . . . . . . . . . . . 10.2 Gottes Immanenz in der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Das fundamentale Verhältnis der Welt zu Gott . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Gott als souveräner Schöpfer der ganzen Welt . . . . . . . . . . . . . . 10.5 Die Teilhabe der geschaffenen Welt am schaffenden Gott . . . 10.6 Gott und der Fortbestand der geschaffenen Welt . . . . . . . . . . . .

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Gott und das Böse in der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Die Güte des allmächtigen, schaffenden Gottes und das Ziel der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Der allwissende, schaffende Gott und seine Vorsehung . . . . . . 11.3 Das Erleben und das Aufeinandertreffen des Menschen mit dem Bösen in der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 Gottes Allmacht und Güte – und das Böse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Das Gute und das Böse in der geschaffenen Welt . . . . . . . . . . . .

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Gott und die Freiheit des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 Die Mitwirkung des Schöpfers bei der Wirksamkeit der geschaffenen Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Gottes schaffende Wirksamkeit innerhalb der geschaffenen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Die Souveränität des Schöpfers und die Autonomie des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4 Die freie Wahl des Menschen zwischen Gut und Böse . . . . . . . 12.5 Gottes Mitwirkung und Kenntnis des Menschen . . . . . . . . . . . . 12.6 Der liebevoll schaffende Gott und das Böse in der Welt . . . . . .

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Inhalt

Gott und die Weltgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1 Gott als die schaffende Erstursache der gesamten Welt . . . . . . 13.2 Gottes Wirksamkeit in der Welt durch die Zweitursachen . . . 13.3 Gott als der personale Schöpfer und Ordner der Welt . . . . . . . 13.4 Gottes übernatürliche Offenbarung und der Mensch . . . . . . . . 13.5 Die natürliche und übernatürliche Erkenntnis des Menschen von Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.6 Gottes persönliches Werk in der Welt durch den freien Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.7 Gottes Unveränderlichkeit und seine Beziehung zum Geschaffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Geschichte der natürlichen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1 Die Religion des Menschen und sein Weg zu Gott . . . . . . . . . . . 14.2 Die kosmozentrische Gottesauffassung der Griechen . . . . . . . 14.3 Die monotheistischen Religionen und die natürliche Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Der Mensch vor dem Angesicht Gottes im Mittelalter . . . . . . . 14.5 Das Gottesverständnis des Westens nach der Renaissance . . . 14.6 Der Gott des Idealismus – und des Realismus . . . . . . . . . . . . . . . 14.7 Der Gott der modernen Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung des Herausgebers 1

Inhaltsübersicht

Im vorliegenden Buch mit dem Titel Mensch und Gott (im schwedischen Original Människan och Gud) gibt Rainer Carls SJ eine Einführung in die Grundprobleme der Religionsphilosophie und speziell der natürlichen Theologie. Im Zentrum steht die Frage nach Gott. Wer oder was ist das transzendente Wesen, das die monotheistischen Religionen verehren? Wie verhält es sich zu Göttlichem, wie es nicht-theistische Religionen kennen? Wie zu den Grundbegriffen der klassischen Metaphysik? Kann man von diesem göttlichen Wesen überhaupt etwas wissen, ja, kann man auch nur von ihm reden? Was hat man sich unter dem monotheistischen Schöpfergott vorzustellen? Greift er in seine Schöpfung ein? Ist die Existenz des Bösen nicht ein wichtiges Argument gegen die Existenz eines vollkommen guten Schöpfers? Das Besondere an diesem Buch ist die konsequente Ausarbeitung einer umfassenden und in sich stimmigen Position, die sich trotz ihrer klaren Verortung im modernen Diskurs umstandslos als eine klassisch-katholische Position zu erkennen gibt. Mensch und Gott unterscheidet sich darin deutlich von den heute zahlreich vorhandenen Handbüchern und Companions zur Religionsphilosophie, die eher Diskussionsstände zu Einzelproblemen wiedergeben. Carlsens Buch ist aber, anders als etwa die Werke Richard Swinburnes, auch ein Lehrbuch. Es informiert über die Positionen anderer und über historische Entwicklungslinien. Insofern ähnelt es der Einführung in die Religionsphilosophie von Winfried Löffler (Darmstadt 32019), obwohl es – im Unterschied zu Löfflers Lehrbuch – keinen expliziten Bezug zur analytischen Tradition aufweist und dann doch stärker auf die Entwicklung der eigenen systematischen Position des Autors zielt. Jeder Mensch, so ist Carls überzeugt, hat ein Gottesbild – wobei »Gott« natürlich sehr weit zu verstehen ist. Die Aufgabe eines Lehrbuchs der natürlichen Theologie ist es, zur Klärung dieses Gottesbildes beizutragen. Es will die Reflexion darüber anregen, wie sich das eigene, persönliche Gottesbild zu den »offiziellen« Gottesbegriffen der Religionen und der Philosophien verhält, wo es vielleicht inkonsequent oder gar unberechtigt ist, und wie es womöglich mit Grunderfahrungen des Menschen und mit seiner Welt- und Selbstbeschreibung im Ganzen, also seiner Metaphysik, zusammenhängt. In den ersten drei Kapiteln des Buches unternimmt Carls eine Verhältnisbestimmung der Religion zu Metaphysik und Theologie (Kap. 1), zum Glauben

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Einleitung des Herausgebers

an Gott (Kap. 2) und zu den Gottesbildern, die in der Religion vorausgesetzt werden (Kap. 3). In Kapitel 1 muss zunächst der systematische Ort der Gottesfrage geklärt werden. Gehört sie in die Philosophie, oder nicht eher in die Religion? Carls bestimmt die Religionsphilosophie in Abgrenzung zu den empirischen Religionswissenschaften als die Wissenschaft, »die sich aus einer philosophischen Reflexion über die notwendigen Wesenszüge der Religion (der Religionen), über die Möglichkeit der Religion, ihren Wahrheitsgehalt, ihre Berechtigung, speziellen Inhalte usw. ergibt« (4). Davon ausgehend unterscheidet er zwischen verschiedenen Richtungen wie metaphysischer, religionskritischer oder apologetischer Religionsphilosophie und der Philosophie der Religionen. Die natürliche Theologie als philosophische Auseinandersetzung mit der Gottesfrage ist der am stärksten metaphysisch geprägte Teil der Religionsphilosophie. Im Unterschied zur Offenbarungstheologie setzt sie aber keine übernatürliche Offenbarung voraus, sondern beschränkt sich auf das, was der Mensch mit seinen natürlichen intellektuellen Fähigkeiten über Gott herausfinden kann. Das Verhältnis von geoffenbarter und natürlicher Theologie hängt dabei von der grundsätzlichen Verhältnisbestimmung von religiösem Glauben und vernünftiger Reflexion des Menschen ab. Die Überlegungen von Kapitel 2 gehen davon aus, dass die natürliche Theologie und die Offenbarungstheologie als Wissenschaften sollen angesehen werden können. Daraus ergibt sich u.a. die Forderung eines Bedeutungs- und eines Wahrheitspostulats sowie die grundsätzliche Verständlichkeitsforderung ggü. religiösen Überzeugungen. Die konkreten Überzeugungen eines religiösen Menschen sind dabei stets klar von einer wissenschaftlichen Theologie als Reflexion und Verständigung über diese religiösen Überzeugungen zu trennen. Die religiöse Grundhaltung besteht nach Carls in einem umfassenden Verständnis des Menschen von sich selbst, der Welt und einer göttlichen Macht. Die verschiedenen Religionen sind dann unterschiedliche kulturelle Ausprägungen »eines selbstbewussten und freien Verhältnisses des Menschen zu dieser menschlichen Wirklichkeit und gleichzeitig […] Ausdrücke seines Verhältnisses zu der Grundlage, dem Ziel und dem Sinn dieser Wirklichkeit« (30). Einen Gottesglauben versteht Carls als geprägt durch ein persönliches Glaubensvertrauen zu einem transzendenten Gott und setzt ihn dadurch von nicht-theistischen Religionen ab, die zwar auch mit religiösen Überzeugungen verbunden sind, welche jedoch nach Carls eher als Folgerungen aus gewissen metaphysischen Überzeugungen über das Wesen der Wirklichkeit und die Stellung des Menschen darin verstanden werden können. Die Bedeutung der natürlichen Theologie liegt nicht darin, dem Menschen eine Art Ersatzreligion

Einleitung des Herausgebers

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zu bieten (sog. »natürliche Religion«), sondern besteht gerade in ihrer mehrschichtigen Beziehung zu Offenbarungsreligionen. Kapitel 3 stellt fest, dass die Frage, ob es Gott wirklich gibt, verschiedene Denker der christlichen Tradition schon von Anfang an bewegt hat; dass es aber eine Voraussetzung zur Beantwortung der Existenzfrage ist, was Ausdrücke wie »Gott« oder »ein Gott« überhaupt bedeuten. Von daher stellt sich dieses Kapitel der Aufgabe, die religiöse Sprache zu analysieren. Carls schildert darin die Schwierigkeiten, »Gott« zu definieren, bis hin zum Sinnlosigkeitsverdacht der logischen Positivisten. Doch ist er überzeugt, dass jeder Mensch im weitesten Sinne ein durch ein Konglomerat von Begriffen und Vorstellungen geprägtes Gottesbild hat, welches ein zentraler Teil seiner Lebens- oder Weltanschauung ist, eine meist eher implizite Vorstellung von etwas »Großem«, das den Gesamtreferenzrahmen der eigenen Lebensauffassung zusammenhält. Insofern zeigt sich, dass der einzelne Mensch bei der Frage nach Gottes Existenz und Wesen nie nur objektiver Beobachter, sondern stets existenziell berührt ist. Daran schließt sich im Kapitel 4 eine sprachphilosophische Reflexion über die Frage an, wie und ob man von Gott überhaupt sprechen kann. Leitend ist dabei die Einsicht, dass eine gewisse Bedeutung des Terminus »Gott« auch noch für die atheistische Bestreitung eine wichtige Voraussetzung ist. Es stellt sich die grundsätzliche Frage, wie man über einen Gott sprechen kann, der sich, wenn es ihn denn gibt, durch seine Transzendenz auszeichnet und daher nicht einfach mit den kategorialen Begriffen unserer Alltagswelt bestimmt werden kann. Auf der anderen Seite aber verlangt die Wissenschaftlichkeit der natürlichen Theologie, dass man kontrolliert über Gott sprechen kann. Religiöse Sprache ist daher auf symbolische Formen von Sprache und auf Metaphern verwiesen, die einen Deutungsrahmen benötigen. Carls führt die klassische Analogielehre ein, nach der Prädikate unter gewissen Bedeutungsmodifikationen auf Gott übertragbar sind, sofern man zugleich festhält, dass keine ausgesagte Ähnlichkeit so groß ist, dass man nicht eine noch größere Unähnlichkeit feststellen könnte. Kapitel 5 stellt die Einsicht an den Anfang, dass ein Gottesbild oder einen Gottesbegriff zu haben noch nicht bedeutet, dass auch etwas existiert, was unter den Begriff fällt. Es stellt sich als gemeinsame Aufgabe für Theisten und Atheisten heraus, das in ihren Positionen vorausgesetzte Gottesbild zu klären. Atheisten haben schließlich nicht nur das Interesse, die Nichtexistenz eines Gottes in dem ganz speziellen Sinne eines bestimmten Gottesbildes zu behaupten. Die Auseinandersetzung mit dem ontologischen Gottesbeweis

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Einleitung des Herausgebers

führt Carls zu der klassischen Lehre von dem Ineinsfall von Wesen und Sein in Gott. Kapitel 6 stellt schließlich ganz generell die Frage, ob und was der Mensch eigentlich von Gott erkennen kann. Es diskutiert verschiedene Varianten des theologischen Agnostizismus und die katholische Gegenposition, die an der grundsätzlichen Möglichkeit einer begrenzten natürlichen Gotteserkenntnis festhält. Eine Analyse dessen, wie ein (nicht-ontologischer, d.h. erfahrungsbasierter) Gottesbeweis eigentlich aussehen müsste, führt Carls zu den Forderungen, dass er als Existenzbeweis mindestens eine Existenzprämisse, sowie eine Prinzipienprämisse einschließen müsse, wobei er für letztere als aussichtsreichsten Ausgangspunkt eine Einsicht in die Kontingenz der Wirklichkeit ansieht. In den drei anschließenden Kapiteln 7–9 entfaltet Carls drei klassische Wege der natürlichen Gotteslehre, nämlich den von den Vollkommenheiten der Dinge ausgehenden Weg zu Gott als dem Allervollkommensten (Kap. 7), den von der Kausalitätserfahrung ausgehenden Weg zu Gott als der ersten Ursache bzw. dem letzten Grund von allem (Kap. 8) und den von der menschlichen Erfahrung, geistbegabte Person zu sein, ausgehenden Weg zu Gott als absolutem Geist und Person (Kap. 9). Carls klärt Gotteseigenschaften, indem er klassische Gottesbeweise aus der Tradition in den Rahmen einer an den heutigen Weltund Selbsterfahrungen des Menschen orientierten Erfahrungsanalyse stellt und, von dieser ausgehend, metaphysische Reflexionen unternimmt. Den ersten Weg, Kapitel 7, setzt Carls bei der »Ganzheitserfahrung« an, der menschlichen Grunderfahrung, sich in jedem Erkenntnisakt und jeder Handlung als Teil eines größeren Ganzen zu erfahren, dessen Deutungen dann in so verschiedene Richtungen wie Pantheismus, Panentheismus oder – mittels einer Theorie positiver Eigenschaften – zu einem Gottesbeweis à la Gödel führen können. Der klassische Stufenbeweis von Thomas gehört in dieses Kapitel ebenso wie Carls’ Darstellung einer Urbild-Abbildlehre, die im Wesentlichen eine platonisierende Partizipationslehre ist. Der zweite Weg, Kapitel 8, knüpft an die grundlegende Erfahrung des Menschen an, in Kausalzusammenhänge eingebunden zu sein und neue Kausalketten beginnen lassen zu können, und damit gegenüber der eher statischen Ganzheitserfahrung aus Kap. 7 an die Erfahrung von Dynamik und Veränderung. Hier gliedert Carls den physikalischen Gottesbeweis ein, der davon ausgeht, dass etwas entsteht, d.h. zu existieren beginnt, und dann mit dem naturphilosophischen Kausalprinzip auf eine Kette von Ursachen dafür schließt. Dass diese Kette nicht unendlich in die Vergangenheit reichen kann, sieht der Autor bemerkenswerterweise nicht mit der klassischen, sondern erst mit der modernen Physik als begründet an. Hier schließt sich

Einleitung des Herausgebers

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das physiko-theologische Argument an, das Carls als Reflexion über die Frage nach dem Grund für die geordneten Strukturen der Natur einführt. Schwierigkeiten dieser klassischen Argumente führen ihn auf eine Neufassung eines kosmologischen Arguments, das letztlich ein Kontingenzargument ist und zur Existenz von etwas notwendigem Absoluten führt. Gott wird so als subsistierendes Sein, als reines Handeln und als letzter absoluter Grund alles Kontingenten und Relativen erschlossen. Kapitel 9 soll die beiden ersten Wege, die in einem gewissen »objektivistischen Geist« (149) vorgehen, durch einen anthropologischen Weg ergänzen. Der Mensch erfasst sich selbst als unvollendet und daher als strebend nach Erkenntnis, Sinn, Glück, Liebe usw. Die grundlegende Selbsterfahrung des Menschen als bewusster und freier Person wird in den verschiedenen Argumenten nach unterschiedlichen Aspekten entfaltet. Die axiologisch-eudaimonistischen Argumente haben zu ihrem Ausgangspunkt die Erfahrung, in beliebigen konkreten Handlungen im Grunde eine letzte, totale Bedeutsamkeit und einen Sinn des eigenen Daseins vorauszusetzen und damit eine Wirklichkeit, die dem Dasein diese totale Bedeutung bzw. die Befriedung der dem Leben eingeprägten Unruhe verleihen kann. Gott wird so als letzter Sinngrund und höchster Glücksgarant erschlossen. Ethisch-theologische Argumente setzen demgegenüber bei einer Erfahrung unbedingter moralischer Verpflichtung durch eine moralische Ordnung an. Der Mensch erfährt sich nicht als deren Urheber, sondern als ihr unterworfen, sodass Gott auf diesem Weg als eine »fordernde Macht« erschlossen wird. Carls charakterisiert ferner die objektive Wahrheit eines Erkenntnisgehalts und die absolute Sicherheit des Wissens als implizite Gotteserkenntnisse. Gott erscheint so als unbedingte Wahrheit, die in der Übereinstimmung der Vernunft mit dem Sein selbst besteht. Schließlich diskutiert Carls den Gottesbeweis aus der Absolutheit des Guten: Handlungen stellten stets ein Streben nach etwas Gutem als ihrem »Formalobjekt« dar und verwiesen so auf eine Dimension des absoluten und unendlichen Guten, das die freie menschliche Wahl bindet. Der Autor beschließt dieses Kapitel nicht ohne den Hinweis, dass all diese Charakterisierungen durch personale Attribute aufgrund der Analogie letztlich ein Mysterium bleiben. Die vier nächsten Kapitel, 10–13, behandeln Gottes Relation zur Welt, und zwar zunächst generell zur Welt als Schöpfung (Kap. 10) und dann spezieller zum Bösen in der Welt (Kap. 11), zur Freiheit des Menschen (Kap. 12) und zur Weltgeschichte (Kap. 13). Zur Klärung des Gott-Welt-Verhältnisses geht Kapitel 10 von der traditionellen Sichtweise aus, dass in Gott Sein und Wesen zusammenfallen. Von daher entwickelt es Gottes Einfachheit, seine zeitlose Ewigkeit und die Dialektik von räumlicher Allgegenwart und Nicht-Räumlichkeit. Gottes Verhältnis zur Welt

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werde nach Carls weder durch einen pantheistischen Monismus noch durch einen deistischen Dualismus richtig gefasst. Es sei vielmehr insgesamt von einer Verschränkung von Immanenz und Transzendenz gekennzeichnet, die keine innerweltliche Entsprechung habe. Gottes Allmacht meint seine völlige Souveränität bei der Schöpfung, d.h. beim Hervorbringen aller Dinge in der Welt, und zwar sowohl der Existenz als auch dem Wesen nach. Daher gehört die Erschaffung und Erhaltung aller innerweltlichen Seienden und ihrer Entstehungs- und Wirkungsprozesse dazu. Am Ende läuft Carls’ Theorie auf die klassisch-scholastische Lehre von Gott als der übergeordneten Erstursache gegenüber allen innerweltlichen Zweitursachen hinaus. Kapitel 11 ist dem Problem des Übels (auch: Theodizee-Problem) gewidmet: Wie kann eine Welt voller Leiden, Not und Bosheit überhaupt von einem allmächtigen, allgütigen und allwissenden Gott geschaffen werden? Carls schreibt diesem Problem eher praktisch-existenziellen als philosophisch-theoretischen Charakter zu. Während die Gottesattribute der Allmacht und der Allgüte schon in den früheren Kapiteln geklärt wurden, steht hier noch der Allwissenheitsbegriff zur Debatte. Gott ist nach Carls insofern allwissend, als er nicht nur von allem weiß, was möglich ist, sondern auch von allem, was wirklich ist, und zwar ähnlich wie ein Schriftsteller, der von den Figuren, die er schafft, dadurch weiß, dass er sie schafft. Carls unterscheidet mit Leibniz zwischen dem physischen und dem moralischen Übel. Er weist Ansichten als widersprüchlich zurück, die das Theodizeeproblem durch Rekurs auf zwei Weltprinzipien, ein gutes und ein böses, erklären wollen. Carls eigene theoretische Lösung geht in Richtung einer Privatio-boni-Theorie, derzufolge das Böse als Mangel an Güte und Vollkommenheit anzusehen ist. Letztlich geht die Existenz des Übels, auch des physischen Übels, auf die freie Weigerung der Kreatur zurück, mit Gott in dessen Sinne zusammenzuwirken. Das existenzielle Problem für den Gläubigen sei damit aber noch nicht gelöst. Denn wie lässt sich begreifen, dass ein Geschöpf sich seinem guten Schöpfer bewusst verweigert? Kapitel 12 will entsprechend das Verhältnis von Gottes gutem Schöpferwillen und der Möglichkeit des Menschen, moralisch schlecht zu handeln, klären. Carlsens Analyse führt zunächst zum Begriff der Freiheit des Menschen, sich weigern zu können, moralisch gut und damit im Zusammenwirken mit dem Willen des Schöpfers zu handeln. Diese Freiheit erscheint letztlich als Vorbedingung dafür, dass Gott in seiner Schöpfung »einen höheren Wert erreichen will, welcher sich ohne Freiheit nicht verwirklichen lässt, d.h. wenn jede Möglichkeit, sich zu weigern, moralisch gut zu handeln, von Anfang an ausgeschlossen wäre« (179). Auf diese Weise weist der Autor einen Weg, um zu verstehen, wie Gottes souveräne Schöpfermacht die Selbständigkeit und Freiheit des Menschen nicht aufhebt, sondern ermöglicht. Die Grenze

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philosophischer Reflexion ist jedoch dort erreicht, wo die existenzielle Auseinandersetzung mit dem Problem betroffen ist, wie und warum sich ein einzelner Mensch dazu entscheiden kann, moralisch schlecht – und damit nach Carls gänzlich irrational – zu handeln. Kapitel 13 behandelt die für Judentum und Christentum zentrale Überzeugung, dass es neben der Erschaffung und Erhaltung der Welt auch noch ein besonderes Handeln Gottes in der Weltgeschichte gibt. Dies scheint der metaphysischen Transzendenz Gottes (= seiner Transzendenz ggü. Raum und Zeit) zu widersprechen. Carls kommt hierzu auf die klassische Erstursachenlehre zurück, der zufolge Gott nicht als eine Ursache innerhalb der innerweltlichen Ursachenzusammenhänge, sondern als eine diesen übergeordnete und sie und ihr kausales Wirken ermöglichende Erstursache aufzufassen ist. Eine übernatürliche Gotteserkenntnis lässt sich laut Carls von der natürlichen nicht klar trennen. Das Auftreten Gottes als personal Handelnder sei Voraussetzung jeder persönlichen Gottesbeziehung. Unerwartete, überraschende Ereignisse können vom Menschen als persönliche Anrede Gottes gedeutet werden, auch wenn Gottes Gnade den Menschen nur durch innerweltliche Zweitursachen erreichen kann und die betreffenden Ereignisse mithin auch aus diesen Zweitursachen erklärt werden können. Schließlich plädiert Carls dafür, die Beziehung Gottes zur Welt nicht nur als relatio rationis aufzufassen, sondern als eine überkategoriale, »transzendentale« Beziehung, die Gottes Souveränität vollkommen wahrt. Den Abschluss des Buches bildet das ausführliche Kapitel 14, das auf etwa 75 Seiten einen Überblick über die Geschichte der natürlichen Theologie und ihrem Ringen um die Gottes- und die Theodizee-Problematik bietet – von den frühesten Anfängen im mythisch-symbolischen Denken, über die griechische Antike, das arabisch-lateinische Mittelalter bis hin zur Neuzeit. Der historische Überblick reicht bis an die kontinentaleuropäisch-christliche Religionsphilosophie des 20. Jahrhunderts heran (Blondel, Lonergan, Maréchal, Rahner u.A.). 2

Gestaltung der Edition

Der vorliegenden Ausgabe liegt der Text von Människan och gud : en kurs i filosofisk teologi [Der Mensch und Gott : Ein Kurs in philosophischer Theologie], Stockholm: Veritas 2004, zugrunde. Dabei handelt es sich um den vierten Band einer vierbändigen Einführung in die Philosophie. Die ersten drei Bände tragen die Titel »Wissen und Glauben« (Bd. 1: Kunskap och tro, Stockholm: Veritas 2002), »Der Mensch – wer ist das?« (Bd. 2: Människan – vem är hon?, Stockholm: Veritas 2002) und »Sein und Werden: Ein Kurs in Metaphysik

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und Ontologie« (Bd. 3: Att vara och att bli till : en kurs i metafysik och ontologi, Stockholm: Veritas 2003). Behandelt werden darin also die philosophischen Disziplinen der Erkenntnistheorie, der Anthropologie und der Metaphysik bzw. Ontologie. Der vorliegende vierte Band ist der Religionsphilosophie / natürlichen Theologie gewidmet. In ihm wird gelegentlich mittels der Stichworte »Erkenntnistheorie«, »Anthropologie« und »Ontologie« und der Angabe von Kapitelnummern auf die drei anderen Bände verwiesen. Die vorliegende Übersetzung wurde vom Herausgeber gemeinsam mit Frau Elisa Neuschulz erarbeitet. Frau Neuschulz hat als studierte Skandinavistin und Philosophin die Rohübersetzung erstellt und wurde nicht müde, gemeinsam mit dem Herausgeber an Feinheiten zu feilen. Da Rainer Carls selbst das 84. Lebensjahr hinter sich gelassen und außerdem beschlossen hat, sich ganz seiner pastoralen Berufung zu widmen, musste dieses Werk im »freien Flug« übersetzt werden, d.h. ohne die Möglichkeit, den Autor in Zweifelsfällen zu Rate zu ziehen. Nicht alle grammatischen Konstruktionen des Schwedischen lassen sich ohne Sinnverschiebung durch ähnliche Konstruktionen ins Deutsche übertragen. An einigen Stellen haben wir den Text geglättet, wenn der Sinn einer Formulierung sich nahezu eindeutig aus dem Text erschließen ließ. Einige Eigenheiten des Textes blieben jedoch bewusst erhalten, z.B. wenn die Menschheit in ihrer geschichtlichen Entwicklung fast im Tonfall der Aufklärung des 18. Jahrhunderts das »Menschengeschlecht« genannt wird. Wenn der Autor einen philosophischen Fachterminus in spezifischer Weise ins Schwedische übertragen hat, in Klammern aber das deutsche Original nennt, wurde der schwedische Ausdruck ins Deutsche zurückübersetzt und der Verweis auf den deutschen Terminus in Klammern stehengelassen. So kann der Leser eine Kostprobe davon erhalten, wie sich Konnotationen durch die Übertragung in eine andere Sprache verschieben können. Außerdem ist es womöglich von Interesse, welche Fremdsprachen Carls im Schwedischen heranzieht. Gelegentlich verwendet Rainer Carls im Schwedischen einen Ausdruck, der einem deutschen philosophischen Fachausdruck sehr ähnlich ist und wohl auch im Schwedischen ein philosophischer Fachausdruck ist, mit einer anderen Bedeutung als üblich. Zum Beispiel »Evidenz« (schwed. »evidens«) für eine Reflexion(serkenntnis). In solchen Fällen haben wir das verwandte deutsche Wort gewählt und damit der sprachlichen Nähe zum Original den Vorrang vor der Vermeidung möglicher Sinnstörungen beim Lesen eingeräumt. Eine weitere terminologische Besonderheit ist zu erwähnen. In der Religionsphilosophie hat es sich heute als Standard herauskristallisiert, »Übel« als einen Oberbegriff zu verwenden, unter den nicht nur das auf Handlungen

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zurückgehende Böse, sondern auch physische und andere Arten von Übel fallen. Eine Anpassung des Texts an diesen Standard haben wir jedoch unterlassen, da er bei einigen Wendungen zu ungewöhnlichen Konstruktionen führen würde (z.B. müsste dann vom »Wüten des Übels« die Rede sein, während das »Wüten des Bösen« eher als idiomatisch empfunden wird). Da das schwedische Original keine Fußnoten aufweist, konnten die Fußnoten ausschließlich für Anmerkungen der Herausgeber verwendet werden. Sterbedaten von inzwischen verstorbenen Autoren, deren Geburtsdatum Carls nennt, wurden nachgetragen. Verweise auf die Werke anderer Autoren wurden i.d.R. mit den im Deutschen üblichen Titeln wiedergegeben. Bei den Werken schwedischer Autoren, von denen uns keine deutsche Übersetzung bekannt ist, haben wir den Verweis auf das schwedische Werk stehen lassen und eine deutsche Übersetzung des Titels in eckigen Klammern beigefügt. 3

Zu Person und Werk Rainer Carls’

Rainer Carls wurde 1935 in Schlesien geboren und wuchs später in der Nähe von Hannover auf. 1956 trat er in den Jesuitenorden ein. Er studierte Philosophie in Pullach bei München sowie im schwedischen Uppsala, und Theologie in Frankfurt-St. Georgen. 1967 empfing er die Priesterweihe. Seit 1968 hat er seinen Lebensmittelpunkt in Schweden (Göteborg, Uppsala, Stockholm). Seine pastorale Tätigkeit führte ihn zunächst als Studentenseelsorger nach Göteborg (1968–1974) und Uppsala (1975–1980), später dann in die Pfarrseelsorge nach Stockholm (1980–2010). 1974 wurde Rainer Carls an der Universität Göteborg (Schweden) zum Dr. phil. promoviert. Im Druck erschien die Arbeit auf Deutsch unter dem Titel Idee und Menge: Der Aufbau einer kategorialen Ontologie als Folge aus den Paradoxien des Begriffsrealismus in der griechischen Philosophie und in der modernen mathematischen Grundlagenforschung. Das nur wenig beachtete Werk zieht interessante Parallelen zwischen Platons Ideenlehre und der modernen mathematischen Mengenlehre und Logik, näherhin zwischen den von Aristoteles und von Platon selbst gesehenen Antinomien der platonischen Ideenlehre und den von Cantor, Russell und anderen entdeckten logischen Antinomien. Im Kern besteht diese Parallele in der Ähnlichkeit zwischen dem antiken Universalienrealismus und dem modernen Begriffsrealismus: So wie Platon zu jedem Begriffsausdruck die Existenz einer entsprechenden Idee voraussetzte, nahmen die Logiker zu jedem Prädikat die Existenz einer entsprechenden Klasse bzw. zu jeder Formel mit einer freien Variable die Menge

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aller Elemente, auf die die Formel zutrifft, an. Die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten stellen sich in Carls’ logischer Analyse als verblüffend ähnlich heraus, wie dies auch für die zwei jeweils prominentesten Lösungsansätze gilt, nämlich Aristoteles’ Kategorienlehre und Russells Typentheorie einerseits und Aristoteles’ Analogiegedanken und Russells »systematische Mehrdeutigkeit« andererseits. Carls hielt häufiger Vorlesungen an der Münchener Hochschule für Philosophie und von 1975 bis 1980 am Philosophie-Institut der Universität Uppsala. Seit 1980 leitete er neben seiner pastoralen Tätigkeit die Erwachsenenbildungseinrichtung »Katolsk orientering« in Stockholm, aus der um das Jahr 2000 das Newman-Institut hervorging. Von 2001–2011 war er Rainer Carls Dozent am Newman-Institut in Uppsala (Schweden). Seit 2010/11 widmet er sich wieder hauptsächlich der Tätigkeit als Seelsorger.1 In der von Schöndorf 2010 besorgten Neubearbeitung des in zahlreichen Auflagen erschienenen Philosophischen Wörterbuchs von Brugger hat Carls eine Reihe von Beiträgen zu logiknahen Themen verfasst.2 An weiteren Publikationen ist zu nennen: der frühe Aufsatz »Zwei Formen der logischen Analyse und ihre philosophischen Implikationen«, in: Theologie und Philosophie 43 (1968), 207–236, in dem Carls gewisse Schwierigkeiten der aristotelischen Logik vor dem Hintergrund der modernen Logik und Sprachphilosophie erläutert. Aus demselben Jahr stammt der zweiteilige Aufsatz »Glaube und Offenbarung in den frühen und neueren Werken Gustaf Auléns«, in: Catholica 22 (1968), 179–192; »… (2. Teil)«, in: Catholica 22 (1968), 288–303. Drei Jahre nach Carlsens Promotion erschien dann »Existenzaussage und Existenzvoraussetzung in Existenzsätzen«, in: Theologie und Philosophie 52 (1977), 543–560. Auf Schwedisch stammt von ihm außerdem im Jahre 2001 das Buch Om tro och vetande: Ingemar Hedenius’ kristendomskritik i ett halvsekelperspektiv [Über Glauben und Wissen: Ingemar Hedenus Christentumskritik in der Perspektive eines halben Jahrhunderts], sowie eine Reihe von Beiträgen in philosophischen 1  Wir danken der deutschen Provinz der Jesuiten für die freundliche Bereitstellung biographischer Daten von Rainer Carls, sowie für ihre Unterstützung des Übersetzungsprojekts. 2  Aus seiner Feder stammen mindestens die 34 Beiträge »Allgemein« (22–23), »Axiom« (53–54), »Bedingung« (55–56), »Beweis« (64–65), »Deduktion« (74), »Dilemma« (90), »Disjunktion« (92), »Dritten, Satz vom ausgeschlossenen« (93–94), »Einteilung« (100–101), »Funktion« (141), »Ganz / Ganzheit« (142–144), »Gegensatz« (147–148), »Implikation« (221), »Indexikalisch / Indikator« (221–222), »Induktion« (224–225), »Kalkül« (236), »Klasse« (242– 243), »Logik« (275–280), »Meinen / Meinung« (289–290), »Methode« (301–303), »Modalität« (303–304), »Modell« (304–305), »Nominalismus« (332–333), »Prädikabilien« (373), »Schluss« (417–419), »Tautologie« (490), »Teil« (492), »Teilbarkeit« (492–493), »Typ / Typus« (520), »Universalienproblem« (525–527), »Verifikation« (539–540), »Vollständigkeit« (551), »Wahrheitstafeln / Wahrheitswert« (560–562), »Wahrscheinlichkeit« (564).

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und anderen Anthologien. 2013 veröffentlichte er die Monographie Ignatius av Loyolas teologiska profil. Mellan riddarväsen, renässans och reformation [Das theologische Profil des Ignatius von Loyola: zwischen Ritterschaft, Renaissance und Reformation]. Von der erwähnten Verlagerung auf die Spiritualität zeugt außerdem – wenn auch nicht ohne philosophischen Anspruch – der jüngst erschienene Aufsatz »Finding God in All Things: Panentheistic Features in the ›Spiritual Exercises‹ of St. Ignatius«, in: Gregorianum 98/4 (2017), 747–761. Im Rahmen seiner Lehrtätigkeit an der Münchner Hochschule für Philosophie (früher: Berchmannskolleg Pullach) hat Rainer Carls vor allem durch seine logikorientierten Veranstaltungen Generationen von Studierenden geprägt. Ab den 2000er Jahren wandte er sich vornehmlich Themen der philosophischen Gotteslehre zu, u.a. dem ontologischen Beweis Kurt Gödels. Seine sorgfältig ausgearbeiteten Skripten wurden und werden von seinen Studierenden sehr geschätzt. Während seiner Lehrtätigkeit in Schweden verfasste Rainer Carls eine Reihe von Skripten zu seinen Vorlesungen, die er dann in Buchform publizierte. Die Skripten waren in erster Linie gedacht als Einführung in die Philosophie für Theologiestudierende. So entstand die Tetralogie zu Erkenntnistheorie, Anthropologie, Ontologie und natürlicher Theologie, deren letztgenannter, vierter Band hier in deutscher Übersetzung als Der Mensch und Gott vorgelegt wird. Vom Umfang her umfasst dieser Band den Stoff einer klassischen neuscholastischen Gotteslehre. Und auch in puncto begrifflicher Differenzierung und der Orientierung an der Methode von Argument und Gegenargument erfüllt er die Standards dieser angeblich längst abgesunkenen Literaturgattung. Rainer Carls ist um klare Begrifflichkeit und um differenzierende Argumentation bemüht und will innerhalb der natürlichen Theologie als metaphysischer Religionsphilosophie den klassischen katholischen Standpunkt unter den Bedingungen der Moderne vertreten. Seine Gotteslehre führt jedoch schon im Titel »Mensch und Gott« deutlich den Hinweis auf eine konsequente Orientierung der metaphysischen Reflexion am Menschen, seinen Erkenntnisinteressen und -fähigkeiten, sowie seiner Welt- und Selbstdeutung. Nimmt man dies als Kennzeichen der »Moderne«, so ist Carlsens Gotteslehre »modern«. Er denkt die Vernunft historisch. Er bekennt sich zu einem nach-kantischen Standpunkt einer durch die Kritik geläuterten und ihrer Grenzen gewahren Vernunft. Theologisch vertritt er kein instruktionstheoretisches, sondern ein streng personales Offenbarungsverständnis. So straft Rainer Carls in seiner konsequenten Orientierung an der Moderne all diejenigen Lügen, die die Neuscholastik als ein totes und verknöchertes, sich in reiner Begriffsakrobatik ergehendes und auf philosophisch antimodernem

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und theologisch vorkonziliarem Standpunkt zurückgebliebenes Phänomen ansehen wollen. Philosophische Lehrbücher sind ein schwieriges und bisweilen umstrittenes Genre. Sie stehen im Ruf, über philosophische Gedanken zu informieren, anstatt den philosophischen Gedanken originär zu entwickeln, das Vergangene aufzulesen, anstatt der Zukunft »Brocken« hinzuwerfen und durch die Kürze und den kursorischen Stil den historischen Werken gar nicht gerecht werden zu können. Über all diese Kritikpunkte ließe sich nachdenken. Dennoch: Erstens ist der lehrbuchartige Zuschnitt überhaupt kein Argument gegen den systematischen Anspruch des Werkes. Dies bekam der Herausgeber selbst insofern zu spüren, als er an der Edition dieses vom Zuschnitt her seltenen Lehrbuchs festhielt, obwohl sich immer deutlicher herausstellte, dass er in einer ganzen Reihe von systematischen Punkten anderer Ansicht ist als Carls. Und zweitens gilt, dass in einer Zeit, in der die philosophische Überlieferung für den Einzelnen nahezu unüberblickbar geworden ist, kondensierte Formen, in denen dieses Erbe nicht museal konserviert, sondern für den systematischen Zugriff aufbereitet wird, extrem hilfreich sind und bleiben. Herzlich gedankt sei an dieser Stelle Frau Elisa Neuschulz für die produktive Zusammenarbeit bei der Übersetzung, meiner studentischen Mitarbeiterin Sr. Klara Hölzl für das gründliche Korrekturlesen, meinem Freund und Kollegen Geo Siegwart für den Hinweis auf Carlsens schwedisches Werk, der Deutschen Provinz des Jesuitenordens für die finanzielle Unterstützung der Drucklegung und der Gedächtnisstiftung Peter Kaiser für die Einrichtung der Stiftungsprofessur für Christliche Philosophie an der Universität Innsbruck, in deren Rahmen das vorliegende Buch entstanden ist. Innsbruck, 23. Juli 2019

Christian Tapp

Anstelle eines Vorworts Das vorliegende Buch »Der Mensch und Gott« ist der letzte Band von vieren in der Reihe »Grundprobleme der Philosophie«. Es ist die überarbeitete Version eines Kompendiums für eine zweijährige Vorlesungsreihe, die zum ersten Mal vom Herbstsemester 1989 bis zum Sommersemester 1991 gehalten wurde und ein Teil eines Kurses für die Ausbildung katholischer Priesteramtskandidaten war. Das Buch entspricht dem Thema des abschließenden vierten Semesters, welches die philosophische Gotteslehre behandelt. Das zuvor vervielfältigte Kompendium wurde seitdem mehrere Male überarbeitet und erweitert. Seine Terminologie und sein Inhalt wurden mit den übrigen drei Büchern der Reihe, über Erkenntnistheorie (»Erkenntnis und Glaube«), Anthropologie (»Der Mensch – wer ist er?«) und Metaphysik mit Ontologie und Kosmologie (»Zu sein und zu werden«), verglichen. Die Verweise auf »Erkenntnistheorie …«, »Anthropologie …« und »Ontologie …« im Text beziehen sich auf diese Bücher. Der ursprüngliche Text beabsichtigte, eine systematische Einleitung in die natürliche bzw. philosophische Gotteslehre zu geben, die auch »natürliche Theologie« genannt wird. Der Text benutzt keine biblischen Aussagen als Gründe für seine Argumentation. Wenn dennoch die Heilige Schrift zitiert wird, um einen bestimmten Aspekt in einer philosophischen Frage beleuchten zu können, geschieht dies gemäß herkömmlicher Gepflogenheiten. Wenn ein Text auf kirchliche Lehrentscheidungen verweist, ohne dass in der Argumentation von diesen ausgegangen wird, bezieht sich die Abkürzung »DH« auf »Heinrich Denziger & Peter Hünermann, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen«, Freiburg i. Br., 37. Aufl., 1991 (Herder). Um den Text nicht belasten zu müssen, wurden keine Fußnoten angeführt. Die kurzen Hinweise im Text zu den für das Thema relevanten Forschern und Denkern können aber vom Leser mit weiteren Angaben aus dem neu geschriebenen ideengeschichtlichen Schlusskapitel vervollständigt werden. Des Weiteren wurde eine ausführliche Bibliographie mit neueren Aufsatzsammlungen, Büchern und Artikeln hinzugefügt, die die behandelten Themen diskutieren und weiter präzisieren. Mein Dank gilt Ulla Sjöstedt und Lars Franzén für ihre sprachliche Durchsicht des Textes und besonders Rita Nemes für ihre vergleichende inhaltliche Korrektur der in dem Buch ausgedrückten Gedanken. Im Besonderen gilt mein Dank meinem Mitbruder Herrn Professor Peter Knauer SJ für seine kritischen Anmerkungen und Ratschläge. Rainer Carls SJ

Kapitel 1

Religion, Metaphysik und Theologie Die allgemeine Metaphysik hat das Seiende überhaupt als ihr Materialobjekt und untersucht ebenso wie die Ontologie alles, was ist (was es gibt, was existiert), unter dem formalen Aspekt, dass es ist (dass es es gibt, dass es existiert). Man kann jedoch die Frage stellen, inwieweit es auch zur Aufgabe der Metaphysik gehört, das Problem der Existenz und des Wesens Gottes zu behandeln sowie zu thematisieren, auf welche Weise alles, was es gibt, mit Gott zusammenhängt. Man könnte es nämlich so sehen, dass diese Fragen außerhalb des Kompetenzbereichs der Philosophie lägen, weil man meint, dass sie zur Religion gehörten, die in ihren unterschiedlichen Glaubensformen, Mythen und Kulten deutlich von dem vernunftbetonten Charakter der Metaphysik abweicht. Daher muss man von Anfang an für sich geklärt haben, wie sich die Religion der Menschen zur eigentlichen Theologie verhält und wie sie sich zur Metaphysik als natürlicher Theologie verhält. 1.1

Religion und Religionswissenschaft

Um klarer sehen zu können, wie sich die natürliche Theologie zur Philosophie im Allgemeinen verhält, muss sowohl das Verhältnis der Philosophie als auch das der Theologie zur Religion beachtet werden. Die Philosophie wie die Theologie gehen nämlich aus der methodischen Reflexion über die Situation des Menschen und sein Verhältnis zu Gott, seinen Mitmenschen und der Welt hervor. Aber die Religion hat es schon gegeben, lange bevor jemand begonnen hat, bewusst und systematisch über sich selbst nachzudenken. Archäologische und ethnologische Ergebnisse zeigen, dass es bei allen Völkern der Welt, so lange das Menschengeschlecht existiert, auch eine Form der Religion gegeben hat. Ein religionsloser Urzustand der Menschheit ist nur eine Hypothese mehrerer Religionskritiker (Holbach, Feuerbach, Freud, die Marxisten und Evolutionisten), die versuchen, die Religion als ein mehr oder weniger zufälliges und unnötiges Gebilde zu diskreditieren. Werden die einzelnen Religionen und die Religiosität der Menschen nur von hier aus betrachtet, können sie wie andere menschliche Erscheinungen (Phänomene), wie Sport und Kunst, zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung gemacht werden. In einer empirischen Wissenschaftstheorie

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Kapitel 1

lässt sich auch die Wissenschaft selbst als eine bloß menschliche Tätigkeit besprechen, ohne sich um ihre Wahrheit oder Gültigkeit zu kümmern. Auf die gleiche Weise untersucht man in den verschiedenen empirischen Religionswissenschaften selbige Religionen nur als menschliche psychische oder soziale Erscheinungen und sieht von der Wahrheit oder dem Wert der Religionen ab. Die Religionsgeschichte berichtet von den einzelnen Religionen als historischen Erscheinungen und versucht, ihre geschichtliche Entwicklung und wechselseitige Beeinflussung zu klären. Die Religionspsychologie befass sich mit den Persönlichkeitszügen religiöser Menschen sowie mit dem psychischen Hintergrund religiöser Erlebnisse und Handlungen auf die gleiche Weise, wie man das Bewusstsein, die Inspiration, die Handlungsmuster und den Charakter von Künstlern oder Wissenschaftlern untersuchen kann (Schleiermacher, James, Janet u.a.). Die Religionssoziologie befasst sich hauptsächlich mit religiösen Gemeinsamkeiten und der politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedeutung von Institutionen (Weber u.a.). Zur Religionswissenschaft wird auch die Religionsphänomenologie gerechnet, die mit Hilfe der phänomenologischen Methoden (Husserl u.a.) spezielle religiöse Erscheinungen untersucht, wie das Gebet, Opfer, Mythen usw. (van der Leeuw, Widengren, Eliade). Dies geschieht auf ähnliche Weise, wie sich die Phänomenologie der Kunst, der Wissenschaft oder der Gesellschaft mit Erscheinungen in dem betreffenden Bereich beschäftigt. Indem sie religiöse Phänomene klassifiziert und vergleicht, versucht die Religionsphänomenologie herauszufinden, was eine Religion auszeichnet, beachtet aber weder die Wahrheitsfrage, noch bewertet sie die unterschiedlichen religiösen Phänomene. Obwohl religiöse Erscheinungen zu jeder Zeit bei allen Völkern vorgekommen sind, ist es schwer, eine adäquate Beschreibung des Phänomens Religion zu geben. Mit Abstraktionsmethoden, die nur das berücksichtigen, was allen Religionen gemeinsam ist, erreicht man nur einen gänzlich verwässerten Religionsbegriff. Additionsmethoden, die alle Züge, die in einer bestimmten Religion vorkommen, zusammenzählen, vermögen nicht zwischen Wesentlichem und Zufälligem bei einer Religion zu unterscheiden. Unzureichend sind außerdem sowohl die Subtraktionsmethode, weil diese nur vernunftmäßig akzeptable Züge als echte religiöse Elemente anerkennt, als auch die Identitätsmethode, dergemäß nur solche Züge als wirklich zu einer Religion gehörig gelten dürfen, die dem eigenen Glaubenssystem entsprechen. Manchmal bezieht sich der Begriff »Religion« auf solche Erscheinungen oder Institutionen, die von einer menschlichen Gemeinschaft getragen werden und von einem bestimmten »Lehrsystem« hinsichtlich der Lebensauffassung, von Normen für eine bestimmte Lebensführung und von rituell-kultischen Elementen

Religion, Metaphysik und Theologie

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oder Vorschriften geprägt sind (Religion in einem objektiv-sozialen Sinne, z.B. der Hinduismus als soziale Erscheinung). Manchmal ist mit »Religion« nur eine religiöse Lebensauffassung und Lebenshaltung gemeint (Religion im ideologischen Sinne, z.B. der Hinduismus als eine normierende Lehre und Lebensform). Schließlich ist mit »Religion« (= Religiosität) auch die mehr oder weniger bewusste persönliche Ganzheit von religiösen Vorstellungen, Handlungen und Gefühlen des einzelnen Menschen gemeint (Religion in einem subjektiv-psychologischen Sinne, z.B. bei einem einzelnen Anhänger des Hinduismus). Über diese eher empirischen Religionsbegriffe hinaus kann mit »Religion« eine menschliche Grundrelation zu etwas Anderem, fern von allen sozialen, ideologischen und subjektiv-psychischen Dimensionen, gemeint sein (Religion in einem existenziellen Sinne). Etymologisch gesehen bezieht sich »Religion« (lat.: religio, wahrscheinlich abgeleitet von re-legere = etwas wieder und wieder durchlesen, gewissenhaft beachten; oder von re-ligare = festbinden, wieder anknüpfen) auf die Relation des Menschen zu etwas, was er gewissenhaft verehrt, oder auf seine Bindung zu dem, was er als seinen tragenden Grund oder sein letztes Ziel auffasst. Diese etymologische Erklärung ist ausreichend umfassend, um den vielfältigen religiösen Erscheinungen gerecht zu werden. Aber sie ist unzureichend, weil sie sogar auf Phänomene angewendet werden kann, die man für gewöhnlich nicht als »Religion« bezeichnen möchte, z.B. die Relation eines Kindes zu seinen Eltern, die Relation eines verliebten Menschen zu seinem Partner, die Relation eines schwachen Menschen zu einem charismatischen Anführer, die Relation eines Machtmenschen zur Macht, die Relation eines Nationalisten zur eigenen Nation, die Relation eines Ideologen zu einer bestimmten Ideologie. Auch haben diese Haltungen mehr oder weniger deutlich mit der Bindung des Menschen an eine tragende und Ehrfurcht erweckende Macht zu tun, mit Abhängigkeit von und Verpflichtung gegenüber etwas, das als geheimnisvoll aufgefasst wird. Um echte Religionen von unterschiedlichen Formen von Religionssurrogaten unterscheiden zu können, reicht es auch nicht, auf die fundamentale und existenzielle Relation des Menschen zu Gott zu verweisen und die Religion als eine Art Lebensgemeinschaft, Lebensauffassung oder Lebenshaltung zu beschreiben, die vom Glauben an Gott oder eine Gottheit geprägt ist. Auf diese Weise müssten nämlich der klassische Buddhismus oder bestimmte Arten der chinesischen Religiosität von unseren Religionen ausgeschlossen werden, weil sie ausdrücklich die Existenz einer Gottheit verneinen. Der Verweis der Religionsphänomenologie auf die Relation des Menschen zum Heiligen als dem wesensnotwendigen Grundzug einer Religion (Rudolf Otto) ist ebenfalls nicht gänzlich zufriedenstellend, weil so die Ehrfurcht eines Nationalisten

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Kapitel 1

vor der eigenen Nation und vor der Nationalflagge als eine Form von Religion gelten kann. Es ist auch unzureichend, Religion als das Verhältnis des Menschen zu einer Macht aufzufassen, die ihn weit überschreitet (transzendiert) und die Grundlagen und Grundbedingungen seines Daseins ausmacht, denn auch das Verhältnis eines Kindes zu seinen Eltern kann oft auf diese Weise beschaffen sein. 1.2

Religionswissenschaft und Religionsphilosophie

Von der empirischen Religionswissenschaft, die die tatsächlich vorliegenden Religionen quasi von außen betrachtet, unterscheidet sich die eigentliche Religionsphilosophie, die dieselben Religionen oder bestimmte spezielle Religionsformen unter einem philosophischen Blickwinkel, gewissermaßen von innen, untersucht. Sowohl die Religionswissenschaft als auch die Religionsphilosophie haben ein gemeinsames Materialobjekt für ihre Untersuchungen, nämlich die Religion und die Religiosität der Menschen, aber sie unterscheiden sich in ihrem Formalobjekt voneinander, d.h. durch ihre empirische bzw. philosophische Zugangsweise. Die Religionsphilosophie kann allgemein als die Wissenschaft aufgefasst werden, die sich aus einer philosophischen Reflexion über die notwendigen Wesenszüge der Religion (der Religionen), über die Möglichkeit der Religion, ihren Wahrheitsgehalt, ihre Berechtigung, speziellen Inhalte usw. ergibt. Dies hat zur Folge, dass man, abhängig vom Ausgangspunkt und den Voraussetzungen, unterschiedliche Formen von Religionsphilosophie unterscheiden kann. Wenn man annimmt, dass die eigentliche Grundlage der Religionen in einer göttlichen Uroffenbarung gegenüber den ersten Menschen liegt (theologische Erklärung), wird die Religionsphilosophie abhängig vom Inhalt der Theologie und damit ein Teil der Theologie. Wenn Religion als eine notwendige Konsequenz von psychischen oder sozialen Erscheinungen oder unbewussten Triebkräften aufgefasst wird (genetisch-psychologische Erklärung), wird die Religionsphilosophie ein Teil der Psychologie oder der Soziologie. Aber wenn man Religion als ein menschliches Urphänomen auffasst, das seinen Grund in dem besonderen Zug des Menschen hat, eine selbstbewusste und freie Person zu sein, muss man auch damit rechnen, dass der Mensch seit dem Beginn des Menschengeschlechts über sich selbst und sein ganzes Dasein reflektiert hat. Es ist anzunehmen, dass diese Reflexion in eine Art »elementare Religionsphilosophie« mündete, die eine religiöse Haltung und bestimmte religiöse Handlungsmuster zur Folge hatte. Der Urmensch hatte zwar kein klares Bewusstsein von sich selbst und keine größeren Freiheitsmöglichkeiten. Dennoch konnte

Religion, Metaphysik und Theologie

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er ein gewisses Verständnis der Grundlagen des Daseins und seiner eigenen Abhängigkeit von einer höheren Macht, die jegliche Ehrfurcht verdient, erreichen. Die Religionsformen des Urmenschen ergeben sich letztendlich aus einer sehr elementaren »philosophischen« Reflexion, die ihren – abhängig von den konkreten Umständen wechselnden, aber dennoch erstaunlich übereinstimmenden – Ausdruck überall in der Welt findet. Innerhalb der verschiedenen konkreten Religionen bemüht sich der Mensch, mit Hilfe von philosophischer Reflexion eine größere Klarheit über den Inhalt seiner eigenen religiösen Überzeugungen zu gewinnen. Innerhalb einer einzelnen Religion entstehen nämlich für gewöhnlich grundlegende Fragen, z.B. über die Beschaffenheit und das Vorkommen des Bösen in der Welt, über das Ziel und den Sinn des Menschen, über seine Sünde und Schuld, über die Rolle und den Wert von Gebet und Kulten, über das Verhältnis der Welt zur Gottheit, über die Sinnhaftigkeit des Daseins sowie über die Existenz und das Wesen der Gottheit. Die Untersuchung solcher oder ähnlicher Probleme kann mehr oder weniger systematisch geschehen und wird oft »metaphysische Religionsphilosophie« genannt. Dabei handelt es sich um klarstellende und bestätigende philosophische Reflexionen über den Inhalt der Religionen. Weil diese oft von dem Standpunkt eines Anhängers der jeweiligen Religion aus erfolgen, sind sie in der Regel mit unreflektierten und unkritisch akzeptierten Elementen vermischt. Solche Untersuchungen stehen oft in engem Zusammenhang mit naturphilosophischen, ontologischen und metaphysischen Auffassungen und Gesichtspunkten – oder sollten sie zumindest immer berücksichtigen. Die religionsphilosophische Reflexion erhält in der Regel einen zweifachen Charakter, sobald eine etablierte Religion schwächer wird. Derjenige, der in einer solchen Situation in seinen spontanen religiösen Überzeugungen verunsichert wurde, beginnt oft, religiöse Behauptungen und Handlungsmuster zu hinterfragen und kritische philosophische Argumente gegen eine bestimmte Religion wie das Christentum oder gegen Religion überhaupt zu richten, um auf diese Weise den eigenen skeptischen Standpunkt bekräftigen zu können (religionskritische Religionsphilosophie). Derjenige, der von der Wahrheit und der Berechtigung der eigenen Religion überzeugt bleibt, versucht hingegen, mit Hilfe von philosophischen Argumenten seine religiöse Haltung gegen diese kritischen Einwände zu verteidigen (apologetische Religionsphilosophie; griech.: apologia = Verteidigungsrede). Solche religionsphilosophischen Argumentationen haben in der Regel viel mit logischen, erkenntnistheoretischen und methodologischen Fragen zu tun, die die prinzipiellen Möglichkeiten und Grenzen des Menschen, über eine Gottheit zu sprechen und diese begrifflich zu fassen, betreffen.

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Kapitel 1

Eine weitere Form der Religionsphilosophie setzt die Ergebnisse der empirischen Religionswissenschaft voraus bzw. eine nähere Kenntnis mehrerer verschiedener, tatsächlich vorkommender Religionen (Philosophie der Religionen). Sie reflektiert nämlich philosophisch über das Phänomen der Religion selbst und vergleicht die tatsächlich vorkommenden Religionen miteinander. Sie geht von den unterschiedlichen Religionen aus, wie sie in der psychischen, sozialen und historischen Dimension der Wirklichkeit vorliegen, und untersucht, was sie von anderen kulturellen Erscheinungen unterscheidet. Sie versucht zu klären, was für jede einzelne Religion wesensnotwendig ist und welche Züge bei einzelnen Religionen zufällig sind, auf welche Weise sich eine echte Religion von einem Religionssurrogat unterscheidet, wie das Aufkommen der Religionen beim Menschengeschlecht gedacht werden kann und worin deren fundamentale Bedeutung für das menschliche Dasein besteht. Diese Form der Religionsphilosophie, die sich vor allem während der letzten Jahrzehnte herausgebildet hat, steht in engem Zusammenhang mit anthropologischen, moralphilosophischen und geschichtsphilosophischen Erwägungen. 1.3

Religion, die Offenbarung Gottes und die Theologie

Die Religionswissenschaften und die Religionsphilosophie im weiteren Sinne unterscheiden sich von der sogenannten Offenbarungstheologie, die nur mit einer bestimmten Gruppe von Religionen und deren Rolle für das menschliche Dasein zu tun hat. Die Offenbarungstheologie resultiert aus einer systematischen Reflexion über die Glaubensinhalte dieser Religionen. Gleichzeitig unterscheidet sie sich als theoretische Lehre oder Wissenschaft von diesen Religionen, weil eine Religion immer alle Dimensionen des menschlichen Daseins berührt. Da das Wort »Theologie« (aus dem Griech.: theos = Gott, logos = Lehre) sich etymologisch auf eine Lehre bzw. eine Erkenntnis von Gott bezieht, kann man nur in einem uneigentlichen Sinne z.B. über eine buddhistische oder konfuzianistische Theologie sprechen, weil man in diesen Religionen nicht von der Existenz eines Gottes ausgeht. Es ist ähnlich problematisch, von Theologie zu sprechen, wenn es sich um verschiedene Arten von Pantheismus handelt, wie bei bestimmten Formen der indischen Religion, oder um Polytheismus, z.B. bei den kanaanäischen, griechischen und germanischen Religionen. Ursprünglich wurde der Begriff »Theologie« verwendet, um die Lehre der mythischen Götterdichtungen zu bezeichnen (Platon, Aristoteles u.a.), und später sogar, um die metaphysischen Gotteserkenntnisse zu

Religion, Metaphysik und Theologie

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charakterisieren (Aristoteles, Stoiker, Neuplatonismus). Danach wurde das Wort »Theologie« von den frühen Kirchenvätern übernommen, um – im Gegensatz zu dem mythisch-religiösen Gedankengut in anderen religiösen Richtungen (z.B. im Gnostizismus) – das ausdrückliche Bekenntnis zur kirchlich-dogmatischen Lehre vom dreieinigen Gott als Schöpfer und Erlöser zu bezeichnen. Schließlich verschob sich der Begriff »Theologie« während des Mittelalters dahingehend, dass er sich auf die wissenschaftliche Bearbeitung der Glaubensinhalte der christlichen Religion bezog. Theologie in diesem Sinne war etwas genuin Christliches, weil es keine eigentlichen Vorbilder für eine solche vernunftmäßige Reflexion über Glaubensinhalte gab, weder in dem griechisch-römischen noch in dem älteren jüdischen Kulturkreis. Erst später kann die muslimische Scholastik oder das Judentum (z.B. Moses Maimonides) etwas Ähnliches vorweisen. Selbst dann, wenn man heute von der Theologie anderer Religionen spricht, verwendet man das Wort nur in einem abgeleiteten Sinn. Diese »übernatürliche« Offenbarungstheologie im genuin christlichen Sinne setzt voraus, dass Gott zu einem Zeitpunkt in der Geschichte des Menschengeschlechts sogenannte Mysterien (Geheimnisse) über sich selbst und über seine »Pläne« mit der ganzen Geschichte offenbart hat. Diese göttlichen Mysterien überschreiten (transzendieren) das natürliche Fassungsvermögen des Menschen so sehr, dass ohne Gottes Offenbarung niemand Kenntnis davon erlangen kann. Der Gegenstand der Reflexion dieser übernatürlichen Theologie ist das Wesen Gottes und sein Handeln gegenüber dem Menschen, aber nur in dem Maß, in welchem Gott dies dem Menschengeschlecht durch seine Offenbarung kundgetan hat. Die Offenbarungstheologie ist letztlich auf das Faktum der göttlichen Offenbarung angewiesen und indirekt auf die Quellen der Offenbarung, d.h. auf die mündliche Tradition und auf die in den »Heiligen Schriften« niedergeschriebenen Zeugnisse über diese Offenbarung. Diese Form der Theologie ist daher in ihrer Reflexion und in ihrem Ergebnis an die fundamentalen Glaubensüberzeugungen einer bestimmten konkreten Religion geknüpft, wobei die Richtigkeit der Glaubensüberzeugungen vorausgesetzt werden muss. Die grundlegende Bindung der christlichen Theologie an die Offenbarung Gottes führt zu einer Einteilung in (1) historische Theologie, die mit einer Analyse der christlichen Offenbarungsquellen im Rahmen der christlichen Kirche zu tun hat und die damit die Bibelwissenschaften sowie Dogmen-, Theologie- und Kirchengeschichte umfasst, und (2) systematische Theologie, zu der sowohl die spekulative Theologie (Dogmatik) als auch die Moraltheologie gezählt wird, und (3) praktische Theologie mit der Homiletik, Katechetik, Liturgik, Pastoraltheologie u.v.m.

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Kapitel 1

Die Bindung der christlichen Theologie an die Offenbarung Gottes in der menschlichen Geschichte bringt mit sich, dass man in diesen theologischen Disziplinen auch die wissenschaftlichen, speziell die geisteswissenschaftlichen, Ergebnisse sprachwissenschaftlichen, historischen, psychologischen und soziologischen Charakters berücksichtigen muss. Insbesondere aber ist die Reflexion der christlichen Theologie bleibend abhängig von philosophischen Untersuchungen, um eine vernunftgemäße Analyse der christlichen Offenbarungs- und Glaubensinhalte durchführen zu können. Die Philosophie kann somit als die »Dienstmagd der Theologie« (lat.: »ancilla theologiae«) betrachtet werden. Besonders muss man im Rahmen der christlichen Theologie den Anspruch der christlichen Religion bekräftigen, von der Offenbarung Gottes auszugehen und diese korrekt auszulegen. Dieses Problem wird in der sogenannten Fundamentaltheologie (Apologetik) behandelt, die zur Aufgabe hat zu untersuchen, inwieweit Gott sich in der Geschichte der Menschheit offenbaren kann und in welchem Maß der Mensch die göttliche Offenbarung zu begreifen und richtig zu deuten vermag. Die Fundamentaltheologie muss sogar zeigen, dass Gott sich tatsächlich offenbart hat, sowohl im Alten Bund als auch in dem Menschen Jesus von Nazareth, sowie dass diese Offenbarung im Judentum korrekt tradiert wurde und im frühen Christentum und schrittweise in der Bibel niedergeschrieben sowie ohne wesentliche Fehler innerhalb der christlichen Kirche bewahrt wurde. Weil die Fundamentaltheologie grundlegend ist für den Anspruch der christlichen Kirche, die Offenbarung Gottes entgegengenommen und korrekt tradiert zu haben, kann sie sich nicht auf diese Offenbarung stützen, sondern muss größtenteils sprachwissenschaftliche, geschichtswissenschaftliche, psychologische, hermeneutische und religionsphilosophische Erwägungen nutzen. Bei ihren Reflexionen über den Wahrheitsanspruch des Christentums muss die christliche Fundamentaltheologie von einer Grundlage ausgehen, die ihr mit den Menschen anderer Glaubensrichtungen gemein ist, nämlich dem vernünftigen Denken. Nur auf diese Weise kann man die Wahrheit der christlichen Religion rechtfertigen, ohne in einem Zirkelschluss vorauszusetzen, was bewiesen werden soll. 1.4

Die Vernunft des Menschen und die natürliche Theologie

Bereits während der Epoche des Hellenismus, aber auch später versuchten Vertreter des Judentums (Philo von Alexandrien) und des Christentums (Paulus, viele Kirchenväter) zu zeigen, dass die Aussagen der Bibel und der eigene religiöse Glaube den griechischen Anspruch auf Übereinstimmung mit

Religion, Metaphysik und Theologie

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der Vernunft erfüllten. Sie sahen sich gezwungen, den Glaubensinhalt mit rein philosophischen Mitteln zu prüfen und zu verteidigen. Auf ähnliche Weise versuchten muslimische Denker seit dem neunten Jahrhundert die Aussagen und die Glaubensüberzeugungen des Korans mit den Argumentationsmethoden der griechischen Philosophie gegen Einwände aus unterschiedlichen Richtungen zu verteidigen. Diese muslimische Scholastik (arab.: mutazila) beeinflusste während des Mittelalters sowohl jüdische Denker (Moses Maimonides) als auch die christliche Scholastik mit ihren Auffassungen. Diesen scholastischen Richtungen innerhalb der drei monotheistischen Religionen war gemeinsam, dass sie keinen tiefreichenden Gegensatz zwischen dem religiösen Glauben und dem vernünftigen Denken sahen und somit auch nicht zwischen der Offenbarungstheologie und der Philosophie. Nur in ihrer Verbindung miteinander können sie Licht auf die Gottesproblematik werfen und auf alles, was damit zusammenhängt. Man kann also zwischen einer Offenbarungstheologie, die von einer übernatürlichen Offenbarung ausgeht, und einer metaphysischen Disziplin, die unter Zuhilfenahme ausschließlich philosophischer Mittel mit der Gottesproblematik ringt und »natürliche Theologie« (lat.: theologia naturalis) oder »philosophische Theologie« genannt wurde, unterscheiden. Da eines ihrer Hauptprobleme darin besteht, wie trotz Gottes Güte und Allmacht etwas Böses in der Welt vorkommen kann, wurde diese Problematik auf wenig passende Weise »Theodizee« genannt (aus dem Griech.: theos = Gott und dike = Gerechtigkeit), als ob es darum ginge, Gott zu rechtfertigen. Die natürliche Theologie hat ebenso wie die Offenbarungstheologie Gott als ihr (Material-) Objekt, aber nur so weit, wie der Mensch mit seinen natürlichen Vernunftund Verstandeskräften Kenntnis von der Existenz Gottes sowie seinem Wesen, seiner Beschaffenheit und seinem Handeln erlangen kann. Gleichzeitig braucht die Offenbarungstheologie die natürliche Theologie, sowohl wenn es darum geht, eine vernunftgemäße Grundlage für den religiösen Glauben zu legen, als auch wenn es darum geht, größere Klarheit über die Bedeutung der göttlichen Offenbarung zu erreichen. Die natürliche Theologie kann als der am stärksten metaphysisch geprägte Teil der Religionsphilosophie betrachtet werden. Sie kümmert sich nämlich nicht um die konkrete Ausformung der betreffenden Religion, noch nimmt sie Rücksicht auf die Gemeinsamkeiten und Kennzeichen unterschiedlicher Religionen. Aufgrund ihrer allgemeinen Untersuchung der Möglichkeit des Menschen, Erkenntnisse über Gott, d.h. über Gottes Existenz und Wesen zu erlangen, stellt die natürliche Theologie die eigentliche Grundlage der Religionsphilosophie dar. Sie klärt nämlich die Wesensbeschaffenheit der Religion bzw. der Religionen und weist die Berechtigung ihrer Ansprüche nach. Eine

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Kapitel 1

Religionsphilosophie ohne natürliche Theologie kann ebenso wie die Philosophie der Ästhetik lediglich als eine Teildisziplin innerhalb der philosophischen Anthropologie aufgefasst werden, weil sie hauptsächlich mit dem philosophischen Grund für die religiösen Verhaltensweisen des Menschen zu tun hat. Wenn man aber innerhalb der natürlichen Theologie beweisen kann, dass es Gott als letzten Grund für alles, sogar für die Menschheit und das menschliche Dasein gibt, ist sie eine grundlegendere philosophische Disziplin als die Anthropologie. Die philosophischen Untersuchungen der natürlichen Theologie können es uns auch ermöglichen, zwischen echten Religionen und Religionssurrogaten zu unterscheiden sowie Stellung zu nehmen zu bestimmten Glaubensauffassungen der Religionen. 1.5

Die natürliche Theologie, die Ontologie und die Metaphysik

Als die erste, prinzipielle und grundlegende Disziplin im Verhältnis zu allem anderen innerhalb der Philosophie und der Wissenschaft umfasst die allgemeine Metaphysik über die Ontologie hinaus auch die natürliche Theologie (Aristoteles, Aristotelismus, bestimmte Scholastiker). Ebenso wie die Ontologie und die natürliche Theologie hat die allgemeine Metaphysik das Seiende im Allgemeinen zum Materialobjekt. Aber während die Ontologie alles, was es gibt, unter dem formalen Aspekt (Formalobjekt), dass es es gibt, untersucht, d.h. in dem Maße und insofern, als es es gibt (griech.: on he on; lat.: ens qua ens), hat die natürliche Theologie mit der Frage zu tun, inwieweit und auf welche Weise eine Beziehung hergestellt werden kann von allem, was es gibt, in dem Maße, in dem es es gibt, zu dem letzten absoluten Grund von allem, zu einem normierenden ontologischen Prinzip oder zu einem höchsten Seienden, das »Gott« genannt werden kann (vgl. Ontologie 1.1–3). Wie man das Verhältnis der natürlichen Theologie zur allgemeinen Metaphysik und zur Ontologie betrachtet, hängt letztendlich davon ab, wie man die Beziehung von Gott zu allem, was es gibt, auffasst. Da dem extremen Realismus und Rationalismus gemäß die begriffliche Weise des Menschen zu denken die eigentliche Grundlage für alle gültigen Erkenntnisse über die Wirklichkeit ist, wurde Gott in diesen philosophischen Richtungen oft als das Sein oder als das höchste Seiende neben den übrigen einzelnen Seienden verstanden. Manchmal identifizierte man ohne weitere Präzisierungen den Gottesbegriff mit dem Seinsbegriff oder einem entsprechenden Begriff, wie das Eine oder das Gute, sodass die natürliche Theologie zu einer Art allumfassender metaphysischer Lehre wurde (bestimmte Neuplatoniker u.a.).

Religion, Metaphysik und Theologie

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Wenn man hingegen den Gottesbegriff dem Seinsbegriff unterordnet, wird die natürliche Theologie an der Seite der Naturphilosophie und Anthropologie lediglich zu einer speziellen metaphysischen Disziplin (lat.: metaphysica specialis) im Verhältnis zur Ontologie als der allgemeinen Metaphysik (Wolff). Mit Hilfe von erkenntnistheoretischen Überlegungen kann man Klarheit darüber erzielen, dass die begriffliche Weise des Menschen (lat.: modus quo), Erkenntnisse über die Wirklichkeit (lat.: id quo) zu erlangen, keine Norm dafür darstellt, wie selbige Wirklichkeit eigentlich beschaffen ist. Das hat jedoch nicht zur Folge, dass es für den Menschen unmöglich ist, mit Hilfe von Begriffen zu verstehen, wie die Wirklichkeit beschaffen ist (gegen den Konzeptualismus3). Es ist auch nicht nötig, die Wirklichkeit als bloßes Resultat des begrifflichen Denkens des Menschen zu verstehen (gegen den Idealismus). Als kritischer Realist kann man nämlich davon ausgehen, dass der Existenzbegriff sich von allen kategorialen Begriffen durch seinen transzendentalen und analogen Charakter unterscheidet (vgl. Ontologie 3 und 5). Eine solche ontologische Betrachtungsweise des Seienden als Seienden mündet unmittelbar in die Problematik der natürlichen Theologie, nämlich ob es fern von den vielen endlichen, veränderlichen und relativen Formen des Seienden einen einzigen, unendlichen, unveränderlichen und absoluten Grund für deren Existenz gibt, der nur in einem analogen Sinne »das höchste Seiende« genannt werden kann. Die Ontologie beinhaltet also implizit die Gottesproblematik der natürlichen Theologie und die natürliche Theologie expliziert die der Ontologie eigene Problematik und führt sie Ende. So lange, wie man das Seiende nur allgemein als Seiendes betrachtet, aber noch nicht nach dem letzten Zusammenhang zwischen allem, was es gibt, fragt, hat man nur mit der Ontologie zu tun. Fragt man aber nach dem letzten absoluten Grund für den ganzen Zusammenhang von allem, was es gibt, wird die allgemeine Ontologie zur natürlichen Theologie. Folglich kann die Ontologie und die natürliche Theologie als zwei Seiten der allgemeinen oder reinen Metaphysik aufgefasst werden, welche deshalb »Ontotheologie« genannt wurde (Heidegger). Diese innere Verbindung zwischen Ontologie und natürlicher Theologie wird bedroht, wenn man auf dualistische Weise einen Graben aufreißt zwischen Gott und der Welt, zwischen dem Ewigen und dem Zeitgebundenen, zwischen dem Absoluten und dem Relativen, zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen. In einem solchen Fall muss man auch einen nahezu unüberbrückbaren Graben zwischen der begrifflich bestimmten Vernunfterkenntnis des Menschen und 3  D.h. dem Nominalismus, Anm. d. Hg.

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Kapitel 1

einem höheren Vernunftwissen annehmen, zwischen einer gewöhnlichen Erkenntnis und einem intuitiven oder mystischen Schauen, zwischen wissenschaftlichem Wissen und religiösem Glauben. 1.6

Offenbarungstheologie, natürliche Theologie und Wissenschaft

Da eine Lehre von Gott nicht in gleichem Sinne wie die empirischen und logisch-mathematischen Wissenschaften Erkenntnis beinhalten kann, war es umstritten, wie die Wissenschaftlichkeit der natürlichen Theologie und mehr noch der Offenbarungstheologie beschaffen ist. Natürlich kann man bei diesen beiden Formen von Theologie analytische Methoden anwenden, um die Bedeutung komplexer theologischer Begriffe zu verdeutlichen. Man kann sogar logische Ableitungen durchführen, um zu zeigen, wie bestimmte komplexe theologische Aussagen aus einfacheren Voraussetzungen folgen. In dieser Hinsicht funktioniert die natürliche Theologie und die Offenbarungstheologie auf die gleiche Weise wie andere Formen von Wissenschaft, zugleich aber ist sie nicht mehr als ein hypothetisch-deduktives Gedankensystem (vgl. Erkenntnistheorie 13). Das eigentliche Problem für beide Arten von Theologie besteht darin, dass die theologischen Grundbegriffe mindestens ähnlich bekannt sein müssen wie die komplexeren Begriffe und dass die Erkenntnisse über die ersten theologischen Grundsätze (Prämissen, Prinzipien) mindestens ähnlich sicher sein müssen wie die Erkenntnisse über solche Aussagen, welche aus ihnen abgeleitet werden können. Deshalb ist es wichtig zu sehen, wie man die Bedeutung von theologischen Grundbegriffen erfassen kann, die nicht definiert und damit auf bekanntere Begriffe zurückgeführt werden können, oder wie man Erkenntnis über die grundlegenden Aussagen (Prinzipien) der Theologie gewinnen kann, deren Wahrheit nicht aus anderen wahren Behauptungen abgeleitet werden kann. In der von Platons Gedanken beeinflussten christlichen Theologie hat man oft angenommen, dass es ein besonderes intuitives Vermögen gibt, mit dessen Hilfe der Mensch, durch Inspiration oder erleuchtet vom Heiligen Geist, bestimmte sichere Erkenntnisse über das Göttliche und das Übernatürliche erreichen kann. Die Offenbarungstheologie bekommt auf diese Weise den Charakter einer von allen Wissenschaften verschiedenen Weisheitslehre (griech.: sophia, gnosis; lat.: sapientia). In der von Aristoteles’ Gedanken beeinflussten Theologie bezweifelte man indessen das Vorkommen eines besonderen intuitiven Erkenntnisvermögens auf der theologischen Ebene und versuchte zu zeigen, wie jede menschliche Erkenntnis zumindest

Religion, Metaphysik und Theologie

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ihren Anfang in der Sinneswahrnehmung des Menschen nimmt. In diesem Fall können beide Arten der Theologie als Wissenschaft angesehen werden (griech.: episteme, lat.: scientia), deren Grundbegriffe aus der menschlichen Wahrnehmung und inneren Erlebnissen gewonnen werden und deren Grundsätze im Fall der natürlichen Theologie evidente Wahrheiten sein müssen, während sie im Fall der Offenbarungstheologie in einem religiösen Glaubensakt angenommen werden müssen. Wenn man die Theologie als eine theoretische Wissenschaft versteht, kann der Unterschied zwischen der natürlichen Theologie und der Offenbarungstheologie verdeutlicht werden, indem man von unterschiedlichen Erkenntnisquellen für ihre Grundprinzipien ausgeht. Die Wahrheit von solchen Behauptungen, die zur natürlichen Theologie gezählt werden können, wie z.B. dass es Gott gibt und dass er Einer ist und Schöpfer der Welt, kann mit Hilfe der natürlichen Vernunft eingesehen werden. Im Gegensatz dazu kann man meinen, dass christliche Glaubenssätze, wie dass Gott dreieinig ist und dass Jesus Christus gleichermaßen Gott und Mensch ist, das natürliche Erkenntnisvermögen des Menschen übersteigen und zu den dogmatischen Wahrheiten der übernatürlichen Offenbarungstheologie gehören. Für den hier in der Welt an seine Sinne gebundenen Menschen haben die Wahrheiten der übernatürlichen Theologie ihren äußeren Grund in der Offenbarung Gottes, in der Gott etwas von sich selbst und seinen »Plänen« unter den Menschen verkündet. Als unmittelbar evident können sie daher höchstens für den vollendeten Menschen im ewigen Leben angesehen werden (Thomas von Aquin). Die Theologen, die die Thesen über die letzte Evidenz4 der dogmatischen Wahrheiten infrage stellten, sahen in der Offenbarungstheologie eher eine praktische Wissenschaft (Duns Scotus, Ockham). Diese könnte zwar mit unterschiedlichen Methoden systematisch die in der Bibel und in der Tradition niedergelegten geoffenbarten Wahrheiten schildern, sie könnte sie aber nicht mit der Vernunft auslegen und damit in deren Inhalt eingreifen. Wenn man auf diese Weise die Möglichkeit der Vernunft bestreitet, in einem bestimmten Maße offenbarte Wahrheiten verstehen und auslegen zu können, reißt man einen breiten Graben auf zwischen der Religion und der Offenbarungstheologie einerseits und der philosophischen Gotteslehre und Religionsphilosophie andererseits (Gemeinschaften der Reformation). 4  Der Ausdruck »Evidenz« (bzw. »evidens« im Schwedischen) wird von Carls in Abweichung vom philosophischen Standardverständnis verwendet. Es ist nicht auszuschließen, dass er damit eine bestimmte Aussageabsicht verfolgt. Daher lassen wir »Evidenz« an einigen Stellen stehen, an denen sachlich ein anderer Ausdruck (etwa »Reflexion«, »Grund« oder »Beleg«) passender wäre.

14 1.7

Kapitel 1

Die Relation der natürlichen Theologie zur Offenbarungstheologie

Wenn man den religiösen Glauben (engl.: faith) auf eine dualistische Weise vom Wissen unterscheidet, muss die Offenbarungstheologie als unvereinbar mit der natürlichen Theologie erscheinen. In diesem Fall gründet sich letztere nämlich nur auf das vernunftgemäße Denken des Menschen und hat nichts mit dem Glauben, der sich auf eine göttliche Offenbarung stützt, zu tun. Wenn hingegen der religiöse Glaube des Menschen und seine vernunftgemäße Erkenntnis eine Ganzheit darstellen sollen, bedarf es sowohl der Offenbarungstheologie als auch der philosophischen natürlichen Theologie, um in der Gottesproblematik Klarheit zu erzielen. Die Offenbarungstheologie braucht nämlich das philosophische Denken, um herauszufinden, ob es Gott wirklich gibt und wer Gott ist. Zudem geht es darum, besser zu verstehen, was er eigentlich hat offenbaren wollen. Gleichzeitig können der religiöse Glaube und die Offenbarungstheologie als eine kritische Instanz fungieren, wenn es darum geht, Klarheit über die Grenzen des vernunftgemäßen Denkens zu gewinnen. Diese wechselseitige Abhängigkeit hat keineswegs zur Folge, dass die natürliche Theologie festlegen kann, wie die göttliche Offenbarung beschaffen sein muss. Auch kann sie die übernatürlichen Wahrheiten nicht ausschließlich mit Hilfe der Vernunft ableiten. Eine solche wechselseitige Abhängigkeit bedeutet aber ebenso wenig, dass die Offenbarungstheologie sich in das philosophische Denken des Menschen einmischen oder es steuern darf. Dieses muss nämlich erfolgen, ohne dass dabei offenbarte religiöse Wahrheiten logische oder rationale Gründe darstellen. Die natürliche Theologie oder andere philosophische Disziplinen braucht man nicht nur, um die Offenbarungstheologie als Wissenschaft darzustellen, sondern auch wenn es darum geht, die Bedeutung des eigenen religiösen Glaubens zu verstehen. Worte wie »Gott«, »schöpfen«, »Erlösung«, »Gnade« und »ewiges Leben« erhalten nämlich ihre semantische Bedeutung nicht durch einfache Sinneswahrnehmungen. Außerdem sind sie in der Regel mit einseitigen und oft gänzlich fehlerhaften Vorstellungen verknüpft. Deshalb muss man ihre Bedeutung mit Hilfe von vernunftgemäßen Erwägungen und Analysen klären. Um solchen religiösen Begriffen eine adäquatere Bedeutung geben zu können, ist man oft gezwungen, sie von sinnentstellenden, aber emotional zusagenden Bedeutungen zu befreien. Durch solche klärenden Untersuchungen religiöser Begriffe wird natürlich auch die Bedeutung von theologischen Behauptungen wie »Gott ist dreieinig«, »Der Mensch, der in vollkommenem Glauben an Gott lebt, wird am ewigen Leben teilhaben« usw. verändert.

Religion, Metaphysik und Theologie

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Die Glaubensauffassungen des Christentums und die Aussagen der Offenbarungstheologie haben zwar ihr Fundament in der Offenbarung Gottes. Aber sie würden eine uneinheitliche Vielfalt loser Behauptungen darstellen, wenn sie nicht mit Hilfe der menschlichen Vernunft und ihrer Wahrheiten miteinander in Zusammenhang gebracht werden könnten. Man braucht also die natürliche Theologie und andere philosophische Disziplinen, damit all das, was Gott über sich und seine »Pläne« hat offenbaren wollen, im Denken und in der Sprache der Menschen ein einheitlicheres System von Wahrheiten darstellen kann. Gerade in der modernen Welt ist es wichtig, dass die Religion und die Offenbarungstheologie der gewohnten säkularisierten Umwelt nicht fremd sind oder im Streit mit ihr liegen. Stattdessen ist ein respektvoller Dialog zwischen ihnen nötig. Die Offenbarungstheologie kann nämlich auch in der Gegenwart zu einem größeren Verständnis der Grenzen von Wissenschaft und Philosophie beitragen. Umgekehrt müssen religiöse Menschen und Theologen lernen, die Ergebnisse der neueren Wissenschaft und Philosophie zu berücksichtigen, um größere Klarheit über die Bedeutung und den Wahrheitsgehalt religiöser Aussagen zu gewinnen. Das vermittelnde Glied zwischen den verschiedenen natur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen und der Offenbarungstheologie kann sowohl die Religionsphilosophie als auch die natürliche Theologie sein.

Kapitel 2

Die Religion und der Glaube an Gott Damit man sowohl die natürliche Theologie als auch die Offenbarungstheologie als Wissenschaften ansehen kann, müssen die religiösen Ausdrücke, die in ihnen verwendet werden, eine intellektuell verständliche Bedeutung haben (Bedeutungspostulat). Zudem müssen die Behauptungen, die in ihnen aufgestellt werden, wahr oder falsch sein können (Wahrheitspostulat). Der Inhalt des religiösen Glaubens muss also in verständlichen Aussagen formuliert werden, die Gegenstand einer objektivierenden Analyse sein können. Auf diese Weise können die Glaubensüberzeugungen, die den oft unreflektierten Hintergrund jeder einzelnen Religion ausmachen, sprachlich ausgedrückt und zu einem mehr oder weniger einheitlichen System zusammengeführt werden. Dies ermöglicht es, dass die Glaubenssysteme unterschiedlicher Religionen miteinander verglichen und sogar einer kritischen Untersuchung unterzogen werden können. Dabei sind die Religiosität und der Gottesglaube des Menschen von einem so eigentümlichen Charakter, dass man sich mit Recht fragen kann, inwieweit der Glaubensinhalt überhaupt zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Reflexion gemacht werden kann. Man hat manchmal angenommen, dass ein fundamentaler Konflikt vorliegt zwischen der Religiosität und dem Gottesglauben des Menschen einerseits und der Theologie als Wissenschaft andererseits. Die Religion und der religiöse Glaube (engl.: faith) scheinen nämlich auf den ersten Blick mit den subjektiven Gefühlen und Erlebnissen der Menschen oder mit deren existenzieller Haltung zu tun zu haben und diese sind kaum einer objektivierenden Reflexion zugänglich. Auch der offenbarte Glaubensinhalt selbst scheint keiner angemessen vernünftigen und wissenschaftlichen Untersuchung zugänglich zu sein, weil der Glaube an Gott und seine Offenbarung gemäß der Auffassung des Christentums eine Gabe der Gnade Gottes ist, die mit dem ganzen Dasein des Menschen zu tun hat. Damit die natürliche Theologie als Wissenschaft möglich sein kann und Berechtigung hat, muss man zeigen, dass deren vernünftige Verfahren keineswegs der Beschaffenheit von Religion und Gottesglauben widerstreiten. Gleichermaßen muss gezeigt werden, dass die Offenbarung Gottes den ganzen Menschen betrifft, d.h. auch seine Vernunft, sodass seine Religiosität sich auch in vernunftgemäßen Formen ausdrücken kann und sogar muss.

18 2.1

Kapitel 2

Religion und Gottesglaube – und die menschliche Psyche

Die Religion und der Gottesglaube betreffen zwar den ganzen Menschen und vor allem sein Gefühlsleben. Dennoch kann die Religiosität des Menschen nicht nur mit seinen natürlichen Gefühlen und das Vorkommen des Gottesglaubens nicht nur mit Hilfe von psychisch-emotionalen Faktoren erklärt werden (gegen Hume u.a.). Zwar kommen bei der Religiosität vieler Menschen und in vielen konkreten Religionen solche Elemente vor, die vernunftmäßig problematisch, aber emotional zulässig sind. Trotzdem braucht man in Religion und Gottesglauben nicht nur den Ausdruck eines »primitiven« Stadiums im Denken des Menschengeschlechts zu sehen, welches für den modernen Menschen seine Bedeutung verlieren muss (gegen Comte; Positivismus). Auch wenn der Gottesglaube und die Religiosität der Menschen in der Regel von vielen Gefühlen begleitet werden, z.B. Freude und Sorge, Schreck und Zuversicht, Ekstase und Vernichtung, kann diese emotionale Betroffenheit damit erklärt werden, dass die Religiosität des einzelnen Menschen und seine Beziehung zu Gott mit seiner persönlichsten existenziellen Dimension zu tun haben. Weil er von Gottes Wesen in der Tiefe berührt wird, müssen sein Denken und Handeln, vor allem aber sein Gefühlsleben, intensiv davon beeinflusst werden. Dies aber beweist noch nicht, dass die Religion in erster Linie oder hauptsächlich mit der Erlebnis- oder Gefühlssphäre des Menschen zu tun hat. Als eine Folge von Darwins Evolutionstheorie kann der heutige Mensch mit seiner Kultur, Wissenschaft und Religion zumindest in biologischer und psychischer Hinsicht als Resultat einer seit Jahrmillionen vonstattengehenden Entwicklung ähnlicher, aber »primitiverer« Lebensformen gesehen werden. Auch den Ergebnissen der Archäologie und der Ethnologie zufolge sei diese der Anlass dafür, dass der Gottesglaube und das religiöse Leben der Menschen große Veränderungen durchgemacht hat. Dennoch braucht man nicht wie die evolutionistischen Religionstheorien (Animismus) anzunehmen, dass Religion nur ein Entwicklungsprodukt ist, das aus primitiven biologischen oder psychischen Triebkräften oder Reaktionsmustern hervorgegangen ist. Ängste vor unpersönlichen Kräften und Geistern sowie magische Riten und Zauberei kommen zwar oft in Zusammenhang mit Religion vor, besonders bei den früheren oder primitiveren Religionsformen. Dennoch hat man zeigen können, dass die Religiosität und der Gottesglaube des Menschengeschlechts ein so grundlegendes und ursprüngliches Phänomen sind, dass sie nicht ausschließlich auf gänzlich unpersönliche biologische oder psychische Erscheinungen und Erlebensmuster reduziert werden können.

Die Religion und der Glaube an Gott

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Gewiss versuchen viele Menschen ihre individuellen und sozialen Probleme mit Hilfe von Religion zu lösen. Um mit ihrem individuellen oder sozialen Elend hier in der Welt zurechtzukommen, schaffen sie sich eine Überzeugung von einer außerweltlichen göttlichen Macht und erwarten von dieser eine Erfüllung all ihrer Wünsche und Hoffnungen. Die Religiosität vieler Menschen kann daher wie eine Folge des subjektiven oder kollektiven Versuchs aussehen, einen Ausweg aus einer hoffnungslosen Situation zu finden. Es zeigt sich, dass der Gottesglaube und die Religiosität vieler verschwindet, sobald sie sich individuell oder gemeinschaftlich besser fühlen. Gemäß der genetischen Religionstheorien resultiert »Religion« auf diese Weise aus einem nicht-religiösen inneren oder äußeren Zustand und aus Bedingungen des einzelnen Menschen oder der ganzen Entwicklungsgeschichte des Menschengeschlechts (Feuerbach, Marxismus u.a.). Aber es hat sich gezeigt, dass diese Theorien nicht das gesamte Religionsphänomen erklären können, besonders nicht, warum bestimmte Menschen im gläubigen Gehorsam gegenüber Gott, aus Liebe zu ihm oder aus ähnlichen Motiven sich psychischer oder physischer Tortur aussetzen können, ohne eine Belohnung dafür zu erwarten. Man kann auch nicht bestreiten, dass die Ergebnisse der Tiefenpsychologie unsere Sicht auf die Religion in bestimmtem Maße verändert haben. Viele Menschen inszenieren und wiederholen damit in ihrer Religiosität ihre psychischen Kindheitskonflikte und -beziehungen, sodass ihr Verhalten Gott gegenüber leicht einen neurotischen Charakter annehmen kann. Die Gottesauffassung der Menschen sowie ihre religiösen und moralischen Verhaltensmuster werden nämlich von ihrer oft unbewussten Beziehung zu den Eltern, den Geschwistern, zum anderen Geschlecht usw. geprägt. Daher kann manchmal eine kleine Veränderung auf der psychischen Ebene zu einer großen Veränderung im religiösen Leben führen. Dennoch überschreitet die Tiefenpsychologie ihre Grenzen auf eine illegitime Weise, wenn sie zu einer psychogenetischen Religionstheorie wird, indem sie z.B. alle Religionen als eine kollektiv und sexuell bedingte Zwangsneurose erklärt (Freud) oder die Gottesauffassung des Menschen als Artikulation einer tief im Menschen liegenden gewaltsamen Triebkraft ansieht (Adler). Der enge Kontakt eines Therapeuten mit hauptsächlich pathologischen Formen von Religiosität kann ihn für das Verstehen eines gesunden religiösen Seelenlebens blind machen und dazu verleiten, jegliche Religion vor allem nach einem neurotischen Muster zu beurteilen. Es gibt zwar auch in der Tiefenpsychologie Tendenzen, in Religiosität und Gottesglauben etwas Positives zu sehen (tiefenpsychologische Religionstheorien). Aber die religiöse Dimension wird nicht angemessen gewürdigt,

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Kapitel 2

wenn sie ausschließlich oder hauptsächlich als Konsequenz funktionell wirkender Archetypen (Urbilder) im kollektiven Unterbewusstsein (Jung) betrachtet wird oder als Folge des fundamentalen Bedürfnisses des Menschen nach einem »Übergangsobjekt« während des psychischen Werdens (Winnicott, Rizzuto). Es sind andere Methoden nötig als nur religionswissenschaftliche und psychologische Beobachtung und Theoriebildung, um die Rolle des religiösen Erlebens und Fühlens des Menschen als bewusster und freier Person festzustellen. Entgegen seiner biologischen und psychischen Beschaffenheit zeichnet sich der Mensch nämlich als Person durch seine Transzendenz aus. Er kann prinzipiell alles Relative und Subjektive überschreiten und sich gänzlich auf das Absolute und Objektive in der Welt konzentrieren (vgl. Anthropologie 15.5). Dies spiegelt sich auch in seiner Religiosität und seinem Gottesglauben wider, der nicht nur aus unpersönlichen Faktoren im Dasein des Menschen hervorgehen kann. 2.2

Religion, Gottesglaube und die übernatürliche Offenbarung

Der Hang vieler Juden, Christen und Muslime, eine scharfe Grenze zwischen den eigenen Glaubensüberzeugungen als »der einzig wahren Religion« und den sogenannten Naturreligionen oder den naturphilosophischen Gotteserkenntnissen zu ziehen, verhindert oft einen fruchtbaren Dialog. Als »Offenbarungs-« bzw. »Buchreligionen« betrachten sie sich selbst häufig als allen anderen Formen von Religion überlegen. Sie stützen sich auf Gottes historische Offenbarung, so wie diese in heiligen Schriften niedergelegt ist. Als eine Folge der Bibelerzählung über das erste Menschenpaar im Paradies (vgl. 1 Mose 2,4–3,24) nahm man manchmal im Judentum und Islam, vor allem aber im christlichen Kulturkreis, eine Art göttlicher Uroffenbarung gegenüber der ganzen Menschheit an. Man dachte, dass diese Uroffenbarung eine direkte Erkenntnis über den einen Gott (Urmonotheismus) vermittele. Oft hat man auch angenommen, dass diese Gotteserkenntnis später verloren gegangen sei, beispielsweise wegen der Sünde, oder dass sie in etwas entstellter Form in den »heidnischen« Naturreligionen weitertradiert worden wäre. Diese Annahme steht im Gegensatz zu der Auffassung der Evolutionstheorie, dass das Menschengeschlecht aus dem Tierreich abstammt, und kann daher kaum länger verteidigt werden. Zwar unterscheidet sich der Glaube des Judentums, Christentums und Islams an Gott als personalen Schöpfer, Offenbarer und Erlöser von den Glaubensüberzeugungen anderer Religionen. Man muss daher aber noch

Die Religion und der Glaube an Gott

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keinen unüberbrückbaren Graben zwischen diesen sogenannten Offenbarungsreligionen und den verschiedenen Formen der Naturreligionen annehmen. Wer in keinster Weise die Bedeutung fundamentaler religiöser Begriffe verstünde und nicht die geringste vernunftgemäße Erkenntnis davon hätte, dass es Gott zumindest geben könnte, würde in einer historischen Situation kaum auf den Gedanken kommen, dass Gott sich wirklich geoffenbart hat, und würde nicht verstehen, was Gott zu offenbaren beabsichtigte. Gleichzeitig muss der recht einheitliche Glaube an einen höchsten Gott, welcher in den Naturreligionen verbreitet ist und demzufolge es ein höchstes Wesen gibt, das Himmelsvater und Urheber, Ordner und Aufrechterhalter von allen Dingen ist (Lang, Schmidt, Pettazzoni, Söderblom, Widengren u.a.), nicht mit Hilfe einer Theorie über einen ursprünglichen Monotheismus und eine paradiesische Uroffenbarung erklärt werden. Innerhalb der Offenbarungstheologie nimmt man für gewöhnlich an, dass der persönliche Glaube des Menschen an den sich offenbarenden Gott letztlich gänzlich von Gottes Gnade abhängt und somit eine Folge von Gottes eigenem Handeln ist. Die Naturreligionen hingegen scheinen ihre Ursache in spontanen religiösen Erlebnissen und Vernunftanstrengungen zu haben. Selbst wenn die Menschen durch ihr »allzu menschliches« – d.h. sündiges – Streben nach Autonomie versuchen, mit ihrer Vernunft Macht über Gott selbst zu erlangen, muss die natürliche Gotteserkenntnis nicht als ein Ausdruck dieser sündigen Tendenz angesehen werden (gegen Kierkegaard; dialektische Theologie: Barth; Existenztheologie: Gogarten, Bultmann). Laut dem deuterokanonischen Weisheitsbuch (13,1–9) und Paulus (Röm 1,18–23) kann der Mensch mit seiner Vernunft nicht nur eine Erkenntnis von Gott erreichen, sondern er besitzt sie bereits. Aber in der Regel weigert er sich, Gott als Gott zu akzeptieren, und erschafft sich stattdessen eine eigene »Religion« mit einem weniger »gefährlichen« Gottesbild. Der christliche Glaube an einen Gott, der sich in Jesus Christus für die Menschen geoffenbart hat, unterscheidet sich erheblich von den Glaubensauffassungen anderer Religionen. Aber deswegen müssen nicht alle Naturreligionen als reines Menschenwerk oder als eine Konsequenz des sündigen Versuchs der Menschen, Gott selbst zu beherrschen oder ihm zu entkommen, aufgefasst werden. Natürlich ist das gläubige Vertrauen der Menschen zu dem Gott der Offenbarung mehr als nur ein stimmungsvoller religiöser Zustand mit frommen Gefühlen und Erlebnissen. Aber deshalb muss man nicht alle Naturreligionen verwerfen, die keinen Zugang zu einer göttlichen Offenbarung in der Geschichte des Menschengeschlechts haben, sondern von tiefen existenziellen

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Kapitel 2

Einsichten in das persönliche Wesen und die Situation des Menschen ausgehen. Ein fehlerhaftes Gottesbild aufzugeben bzw. dieses von irreführenden symbolischen oder mythischen Elementen zu befreien (Entmythologisierung [Bultmann]) hat nicht zur Folge, dass man danach streben muss, ein »religionsloses Christentum« zu erreichen. Es hat auch nicht zur Folge, dass man den »reinen Glauben« erreichen muss, der auf jegliche natürliche Erkenntnis von Gott verzichtet und nur in einer existenziellen und persönlichen Glaubenshaltung dem vollständig überlegenen Gott gegenüber besteht (Tillich). Ebenso wenig geht es darum, dass sich in der modernen säkularisierten Gesellschaft der Gegenwart nach »Gottes Tod« ein »religionsloses Christentum« verwirklicht, welches zur Folge hat, dass man den Glauben in nichts Anderes als den »totalen Dienst« am Mitmenschen verwandelt (Sölle, Robinson). Laut der katholischen Theologie ist zwar Gottes Gnade der eigentliche Grund dafür, dass der Mensch Gottes übernatürliche Offenbarung mit einem religiösen Glaubensvertrauen akzeptiert. Aber die Gnade hebt nicht das natürliche Vermögen des Menschen wie den Intellekt und den Willen auf, welche von demselben Gott geschaffen wurden. Stattdessen bewahrt, transformiert und erhöht die Gnade die Möglichkeiten der menschlichen Natur. Es ist die freie und sündige Weigerung des einzelnen Menschen oder seines Umfelds, Gott als Gott zu erkennen, die sein natürliches »religiöses« Denken und Handeln irreführt und entstellt, sodass er sich Gottes Offenbarung und persönlichem Ruf widersetzt und sich an Gottes Stelle verschiedene Religionssurrogate erschafft. Eine Naturreligion kann somit sowohl Ausdruck einer echten Beziehung zu Gott sein als auch einer Weigerung, Gott als Gott zu akzeptieren. 2.3

Die Religion, der Offenbarungsglaube und die Vernunft des Menschen

Seit ältester Zeit hat die christliche Offenbarungstheologie behauptet, dass es einen großen Unterschied, aber keinen Gegensatz zwischen den übernatürlichen Glaubenswahrheiten der Offenbarung und der natürlichen Gotteserkenntnis der Vernunft gibt. Die Formulierung »credo quia absurdum« (»Ich glaube deshalb, weil es absurd ist«), welche fälschlicherweise Tertullian zugeschrieben wird, bedeutet nicht notwendigerweise eine Verachtung der Vernunft, sondern verweist lediglich darauf, dass das, was der religiöse Glaube umfasst, dem sehr begrenzten Intellekt des Menschen als paradox erscheinen kann. Laut den meisten Kirchenvätern wird die natürliche Gotteserkenntnis vorausgesetzt, um die höchste Erkenntnis- oder Weisheitsform erreichen zu

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können (griech.: gnosis, sophia), die es in der christlichen Offenbarung gibt und die im Glauben angenommen werden muss (Justinus, Irenaeus, Clemens von Alexandria, Origenes u.a.). Obwohl sich das Denken der Philosophen deutlich vom christlichen Glauben unterscheidet, geht jede Form von Religion letztendlich von der bzw. dem »sich keimend verbreitenden Vernunft bzw. Wort« (griech.: logos spermatikos) in der natürlichen Welt aus und wird überall dort ausgebildet, wo das Denken des Menschengeschlechts von einem Suchen nach Wahrheit geleitet wird. Einzelne Menschen können sich jedoch sogar Gott widersetzen und sich der Unvernunft und Irrationalität überlassen. In solchen Situationen besteht das Risiko, dass sie von der »natürlichen« Religion der großen Philosophen abfallen und außerdem blind für Gottes geoffenbarte Wahrheit werden. Daher wurde das Verhältnis des Glaubens zur Vernunft mit den Worten »Ich glaube, um Einsicht zu erhalten« bzw. »Einsicht erhalten zu können« (lat.: credo ut intellegam; Augustinus, Anselm von Canterbury) zusammengefasst und durch die Worte »Ich habe Einsicht, um zu glauben« bzw. »glauben zu können« (lat.: intellego ut credam; Augustinus) vervollständigt. Von der mittelalterlichen Scholastik an sieht die katholische Theologie in der natürlichen Gotteserkenntnis eine Art »Vorläufer des Glaubens« (lat.: praeambula fidei). Sie wird als ein grundlegend vernünftiger und religiös bedeutungsvoller, aber dennoch unzureichender Zugang zum christlichen Offenbarungsglauben aufgefasst. Der Mensch wurde als eine selbstbewusste und freie Person geschaffen, nicht um in religiösen Glaubenszusammenhängen gänzlich Abstand von seinem vernunftmäßigen Denken zu nehmen, sondern um mit Hilfe der richtig angewandten Vernunft Gottes übernatürliche Offenbarung frei annehmen zu können. Derjenige, der in einer anderen Religion oder mittels einer philosophischen Reflexion ernsthaft eine Antwort auf die Frage nach dem letzten Grund und Ziel des Daseins sucht, kann als ein religiöser Mensch betrachtet werden, der sich auf dem Weg zur vollkommenen Wahrheit im christlichen Glauben befindet (Thomas von Aquin u.a.). Die natürliche Vernunfterkenntnis des Menschen steht daher nicht in einem vollständigen Konflikt mit dem christlichen Offenbarungsglauben. Da das persönliche Glaubensvertrauen auf Gott und das Annehmen seiner Offenbarung bewusste und freie Handlungen des Menschen sind, setzen diese auch voraus, dass man bestimmte fundamentale metaphysische Wahrheiten akzeptiert, ohne die es unmöglich wäre, sich auf Gott zu verlassen und an seine Offenbarung zu glauben. Die enge Verbindung zwischen dem Offenbarungsglauben und der natürlichen Gotteserkenntnis wird aufgehoben, wenn die metaphysischen Wahrheiten über Gottes Existenz und Wesen auf rationalistischer Seite als

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notwendige Prämissen in einem letztendlich intellektuell zusagenden System aufgefasst werden. Ein solches, künstlich angefertigtes philosophisches System, welches »natürliche Religion« genannt wird, unterscheidet sich von jeder Offenbarungs- und Naturreligion. In diesem Fall entfernt man nämlich aus den historisch gegebenen Religionen alles, von dem man meint, es nicht vernunftmäßig beantworten zu können, z.B. Wunder und Prophezeiungen, aber auch Gottes übernatürliche Offenbarung und das religiöse Glaubensvertrauen der Menschen (Herbert von Cherbury, Tolan, Collins, Tindal u.a.). Selbst wenn man theoretisch Gottes Existenz akzeptiert, seine verehrungswürdige schöpferische Macht, die Verpflichtung des Menschen zu einem frommen Leben, Strafe und Belohnung in einem Leben nach diesem usw., wird diese »natürliche Religion« eine wirklichkeitsfremde intellektuelle Konstruktion. Da Gott hierbei lediglich ein menschliches Gedankenobjekt ist und daher nicht die existenzielle Dimension des Menschen berührt, kann man auf diese Weise kaum das Aufkommen und die Bedeutung der Religion für das Menschengeschlecht erklären. Außerdem wird die Beziehung des Menschen zu Gott in ein Fürwahrhalten von metaphysischen Prinzipien verwandelt. Diese Auffassung geht besonders dann zu weit, wenn man es z.B. als vernunftwidrig und unmöglich erklärt, dass Gott sich selbst und seine »Pläne« in der Welt auf übernatürliche Weise offenbaren kann (Deismus). Selbst wenn es eine solche rein vernunftmäßige »natürliche Religion« nie gegeben hat, machen ihre metaphysischen Prinzipien dennoch die Grundlage der historischen Religionen aus. Ansonsten könnte die Vielfalt der Religionen kaum als ein positives Phänomen des Menschengeschlechts erklärt werden. Wenn man nicht akzeptiert, dass eine jede Religion metaphysische Wurzeln hat,5 entsteht ein unüberbrückbarer Graben etwa zwischen dem christlichen Offenbarungsglauben als einem Werk von Gottes Gnade und den natürlichen Gotteserkenntnissen, die nur in »diese Welt« gehören (Ockham, Gemeinschaften der Reformation u.a.). In einem solchen Fall müsste man auch alle Werte, die es in den verschiedenen Religionen gibt, als fremd und irrelevant für den Offenbarungsglauben des Christentums abweisen (christlicher Fundamentalismus). Eine solche Einstellung führt außerdem zu einem grundlegenden Konflikt zwischen Glauben und Wissen und zu einer Spaltung des einzelnen Menschen in einen glaubenden und in einen erkenntnisorientierten Persönlichkeitsteil. Der Konflikt zwischen Glauben und Wissen kann nicht mit Hilfe der Lehre von der doppelten Wahrheit gelöst werden, dergemäß der religiöse Glaube 5  Wörtlicher aus dem Schwedischen wäre: »Wenn man nicht die metaphysischen Wurzeln einer jeden Religion akzeptiert …«, Anm. d. Hrsg.

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und die Vernunft je ihre spezielle Wahrheit haben. Diese können nicht miteinander verglichen werden und daher nicht das Gegenteil voneinander sein (vgl. Erkenntnistheorie 3). Eine solche Auffassung muss dazu führen, dass Religion und Offenbarungsglaube einen Platz am Rande des gewöhnlichen Daseins erhalten. Gemäß dieser Auffassung besitzen nämlich Philosophie und Wissenschaft die eigentliche Wahrheit, weil sie weniger von verfälschenden persönlichen Wünschen beeinflusst werden, nicht die Absicht haben, Anhänger zu gewinnen, und in ihrer Sprache weniger verschwommene Formulierungen, unklare Allegorien und Symbole verwenden. Eine gewisse Klarheit, was den Konflikt zwischen Glauben und Wissen angeht, kann erreicht werden, wenn man deutlich sieht, dass der religiöse Glaube (engl.: faith) vor allem eine vertrauensvolle Handlung ist, nämlich ein Glauben an jemanden, wobei dieser Glaube mit der freien Entscheidung des Menschen für Gott und seine Offenbarung zu tun hat. Dieser Glaube an jemanden unterscheidet sich deutlich von dem natürlichen, vernünftigen, kognitiven Glauben (engl.: belief). Wie eine propositionale Erkenntnisform, d.h. wie ein Führwahrhalten, dass etwas sich so und so verhält, hat der kognitive Glaube seinen letzten Grund in der vernünftigen Einsicht des Menschen (vgl. Erkenntnistheorie 2). Natürlich werden auf diese Weise noch nicht die Fragen gelöst, die aus dem Anspruch des Offenbarungsglaubens resultieren, Wahrheiten über Gott und sein Handeln zu beinhalten. Diese Wahrheiten können nämlich mit natur- und geisteswissenschaftlichen Auffassungen in Konflikt geraten. 2.4

Die Religion, der Gottesglaube und die Irrationalität des Menschen

Der Glaube an Gott, d.h. das religiöse Vertrauen zu Gott, unterscheidet sich augenscheinlich von den theoretischen Glaubensüberzeugungen in Bezug auf Gott. Dieser ist nämlich mehr als nur ein vages oder möglicherweise sicheres Fürwahrhalten von bestimmten metaphysischen oder religiösen Prinzipien in Bezug auf Gottes Existenz und Wesen. Eine Antwort auf die Frage, wie dieser religiöse Glaube eigentlich beschaffen ist, wird nur noch umfassender, wenn man außerdem beachtet, dass nicht einmal unsere alltäglichen und wissenschaftlichen Überzeugungen die bloße Folge nüchterner theoretischer Einsichten sind. Sie setzen vielmehr die freie persönliche Stellungnahme des einzelnen Menschen im Modus der Behauptung voraus, um als Erkenntnis akzeptiert zu werden (vgl. Erkenntnistheorie 4–5). Der Einzelne kann sich nämlich immer aus den verschiedensten Gründen dagegen wehren, das für wahr zu halten, was tatsächlich wahr ist. Er kann auch geneigt sein, etwas zu

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akzeptieren, was unklar oder falsch – und damit nicht wahr – ist, sei es, dass es sich um religiöse, sei es, dass es sich um wissenschaftliche Behauptungen handelt. Obwohl der religiöse Glaube in einem engen Zusammenhang mit dem Willen des Menschen zu stehen scheint, kann er nicht ausschließlich auf eine willkürliche Entscheidung zurückgeführt werden. Ein solcher »blinder Glaube« steht nämlich dem Wesen des Menschen als bewusster und freier Person entgegen. Eine echte persönliche Willensentscheidung ist nicht die Folge einer willkürlichen Wahl, sondern setzt stets eine vernunftgemäße Motivation voraus (vgl. Anthropologie 13.3–5). Es genügt ebensowenig, neben der objektiven und vernünftigen Erkenntnis einen mehr oder weniger irrationalen »Vernunftglauben« oder »moralischen Glauben« anzunehmen. Ein solcher Glaube soll das begrenzte Wissen der theoretischen Vernunft aufheben, damit überschreiten und auf diese Weise eine Stütze für das Postulat der praktischen Vernunft darstellen können, die mit Gottes Existenz und einem »Leben danach« zu tun hat – was unzureichend wäre (gegen Kant). Dieser Auffassung nach wird die menschliche Person nämlich aufgespalten in einen theoretisch-erkenntnismäßigen Teil, der in keiner Beziehung zu Gott steht, und einen praktisch-moralischen Teil, der von Gottes Existenz, dem freien Willen des Menschen und der Unsterblichkeit ausgeht, was ein moralisches Leben überhaupt ermöglicht. Der enge Zusammenhang des religiösen Glaubens mit der gefühlsmäßigen Erlebenssphäre des Menschen verführt dazu, den Glaubensakt, mit welchem sich der Mensch als Person in existenzieller Weise an Gott bindet, in seine irrationale Gefühlsdimension zu verlegen. Der religiöse Gottesglaube, der im Grunde mit der persönlichen Vertrauensbeziehung des Menschen zu Gott zu tun hat, ist weder dasselbe wie ein »Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit«6, das heißt, ein Gefühl der absoluten Abhängigkeit (Schleiermacher), noch dasselbe wie ein Erleben der vollständigen Verpflichtung gegenüber einer geheimnisvollen, ehrfurchtswürdigen Macht. Wenn die Religiosität des Menschen nur ein gefühlsmäßiges Glaubenserlebnis wäre, welches in seinem »frommen Selbstbewusstsein« aufkommt und vorliegt, und wenn sie weder mit seinem vernünftigen Denken noch mit seinem moralischen Handeln zu tun hätte, könnte sie nicht zu ihm als persönlicher Ganzheit gehören. Der Mensch würde passiv von seinen religiösen Gefühlen getroffen und auf dieselbe Weise »religiös werden«, wie er ängstlich oder fröhlich wird, ohne dass dies eine bewusste und freie persönliche Beziehung zu Gott beinhalten würde. 6  Deutsch im Original, Anm. d. Übers.

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Obwohl jede Religion mit dem Heiligen zu tun zu haben scheint, muss der innerste Kern der Religiosität des Menschen nicht mit seinem Erleben von oder mit seiner emotionalen Reaktion gegenüber »dem Heiligen« bzw. »dem Numinosen«, das als ein erschreckendes und faszinierendes Geheimnis (lat. mysterium tremendum et fascinosum; Rudolf Otto) beschrieben wird, identifiziert werden. Die menschliche Religiosität kann auch nicht so aufgefasst werden, dass sie ausschließlich auf das Heilige als ihr (religiöses) Apriori gerichtet ist, auf dieselbe Weise wie man annimmt, dass die Erkenntnis nur auf die Wahrheit gerichtet ist, das praktische Handeln nur auf das Gutsein und das ästhetische Gefühl nur auf die Schönheit als ihre jeweiligen apriorischen »Objekte« (gegen bestimmte Neukantianer; Nygren). Dieser Auffassung zufolge hat Religion nämlich nicht mit dem ganzen Menschen als selbstbewusster und freier Person zu tun, sondern stellt entweder ein spezielles psychisches Phänomen oder einen Sektor im Bewusstsein des Menschen dar. Die menschliche Person wird nicht mehr als eine ursprüngliche Einheit oder Ganzheit aufgefasst. Stattdessen wird der Mensch als in mehrere apriorische Sphären aufgespalten gedacht, die keine eigentliche Verbindung zueinander haben. Zwar gibt es »religiöse« Haltungen und sogar Weltreligionen ohne ein ausdrückliches Bekenntnis zur Existenz Gottes. Aber deshalb muss man nicht jede Religion als den bloßen Ausdruck einer emotionalen Reaktion gegenüber dem Heiligen auffassen, die ohne jede Verbindung zu Gott gedacht werden kann. Gemäß neuerer religionspsychologischer Ergebnisse gibt es so etwas wie ein elementarreligiöses Gefühl nicht. Vielmehr ist die religiöse Erfahrung eine sehr komplexe Erscheinung, die mit der menschlichen Person als ganzer zu tun hat. Sie beinhaltet in der Regel ein mehr oder weniger deutliches intellektuelles Moment einer »Gottesauffassung«, die mit einer Form ergebener Verehrung verbunden ist (Girgensohn, Gruehn). Der Glaube an Gott ist in erster Linie kein psychischer Zustand, sondern das persönliche Akzeptieren Gottes durch den Menschen und das vollständige Vertrauen zu ihm. Ebensowenig muss Gott als dem Heiligen untergeordnet angesehen werden, d.h. so, als wäre das Heilige umfassender als Gott. Die religionshistorische und -phänomenologische Forschung konnte zeigen, dass das menschliche Erleben des Heiligen in der Regel an die Auffassung eines »persönlichen« Gottes geknüpft ist (Glaube an einen höchsten Gott), der selbst als Grund des Heiligen gesehen wird. Solange man nicht näher angeben kann, was mit dem Heiligen gemeint ist, kann man ebensogut über Gott sprechen, weil man auf diese Weise bestimmte Züge verschiedener Religionen besser erklären kann. Nur von einem Gott, der eine objektive Wirklichkeit und nicht nur das Heilige bzw. Numinose wie ein religiöses Apriori im Menschen ist, kann gedacht werden, dass er einen vollständigen Anspruch auf den Menschen erhebt bzw. dessen

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vollständige Betroffenheit auslöst. Ein echter religiöser Glaube an Gott ist also viel mehr als nur ein bestimmtes Glaubenssystem in Bezug auf seine Lebensauffassung und mehr als ein bestimmter Lebensstil, der von der Überzeugung ausgeht, dass es etwas Göttliches als eine heilige Macht gibt. Wenn ein echter religiöser Gottesglaube vor allem als ein persönliches Glaubensvertrauen zu Gott und weniger als ein Fürwahrhalten von religiösen Auffassungen gesehen wird, müssen eine Reihe von Religionssystemen, z.B. der Buddhismus, bestimmte Formen des Hinduismus und die Theosophie, eher als Folgen von metaphysischen Überzeugungen denn als Ausdruck für die persönliche Gottesbeziehung des Menschen aufgefasst werden. Ein echter Gottesglaube dagegen kann vorliegen, wenn man bestimmte religiöse Aussagen glaubt (für wahr hält), weil man an Gott glaubt (ihm traut). Dieses Vertrauen zu Gott ist nicht dasselbe wie eine metaphysische Überzeugung von Gottes Existenz und kann nicht gänzlich auf eine solche zurückgeführt werden. Dennoch setzt es letztendlich die vernünftige Überzeugung des Menschen voraus, dass es Gott gibt und dass er glaubwürdig ist. Ein echtes Vertrauen kann sicher niemals mittels bloß vernünftiger Überlegungen sichergestellt werden. Dennoch muss das Glaubensvertrauen zu Gott eine verantwortungsvolle, d.h. bewusste und freie, persönliche Handlung sein. Es kann nicht einfach auf einer willkürlichen und willensmäßig blinden Glaubenssetzung aufruhen (gegen den Fideismus) oder auf anderen gefühlsmäßigen und irrationalen Faktoren. Um einen bösen Zirkel (lat.: circulus vitiosus) zu vermeiden, darf die Frage nach Gottes Existenz und Glaubwürdigkeit nicht nur mit einem Hinweis auf irgendeine Art religiösen »Glauben« beantwortet werden. Vielmehr müssen solche Probleme zumindest im Prinzip untersucht und mit Hilfe der Vernunft gelöst werden können. Der vertrauensvolle Glaube an Gott ist ein Glaube, der nach der Vernunft verlangt (lat.: fides quaerens intellectum). 2.5

Die Religion, der Gottesglaube und die Existenz des Menschen

Um die fundamentalen Kennzeichen der Religion und des persönlichen Gottesglaubens untersuchen zu können, kann es begründet sein, von einer Hypothese betreffs Gottes Existenz und von bestimmten Annahmen über Gottes Wesen auszugehen. Wenn es einen Gott gibt und alles andere nur wegen und im Verhältnis zu ihm, muss jeder Mensch als Person und in all seinen Funktionen von diesem Faktum geprägt sein. Seine Religiosität und sein Gottesglaube sind in einem solchen Fall nicht nur ein Resultat von unpersönlichen psychischen Faktoren, z.B. von rein emotionalen Triebkräften,

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von einem subjektiven Gedankenkonstrukt oder einer blinden Glaubenssetzung. Wenn es Gott gibt, kann der Gottesglaube nämlich als eine persönliche und existenzielle Reaktion auf dieses Faktum erklärt werden, das sein ganzes Dasein beeinflusst. Es ist natürlich keine vollständig durchdachte und gesicherte vernünftige Erkenntnis von Gott nötig, damit ein Mensch freiwillig die Existenz Gottes annehmen und anfangen kann, ihm zu trauen. Vielmehr ist es wichtig, dass er sich nicht von Anfang an gegen eine solche »Möglichkeit« wehrt, dass es einen Gott als Grundlage und Ursprung von allem gibt, und dass er bereit ist, mit seiner ganzen Person, d.h. mit der Vernunft, dem Willen und dem Gefühl, diese Möglichkeit als Faktum zu akzeptieren, ob dieses nun deutlicher oder weniger deutlich in seiner Erfahrung hervortreten und durch sein Denken bestätigt werden sollte. Der echte Gottesglaube kann somit als die existenzielle ehrfurchts- und gefühlvolle Hinwendung der menschlichen Person zu einem Gott angesehen werden. Ohne dass der Mensch eine klare Gottesauffassung haben muss, kann er in seiner Glaubenshaltung seine totale Abhängigkeit von diesem Gott akzeptieren und sich diesem wegen seiner übermächtigen Gottheit unterordnen. Ausschlaggebend für diese Haltung ist, dass der Mensch freiwillig akzeptiert und somit anerkennt, dass er in diesem Gott seinen absoluten Grund hat, seinen höchsten Wert und sein letztes Ziel. In einem solchen Fall wird auch die gesamte Erlebnis- und Gefühlsdimension des Menschen von dieser inneren willensmäßigen Bereitschaft berührt. Umgekehrt hat ein Erlebnis oder Gefühl nur wirklich religiöse Potenz, wenn es von der Bereitwilligkeit des Menschen getragen oder begleitet wird, Gott als Gott anzunehmen und sich selbst als abhängig von diesem Gott. Wie intensiv und erschütternd bestimmte Erlebnisse und Gefühle auch sein mögen, sie müssen keine religiöse Relevanz haben (gegen einen prekären Mystizismus). Sie können nämlich als bloße psychische Ereignisse gesehen werden, die keinen tiefen Einfluss auf die menschliche Person haben und daher nicht in Zusammenhang mit deren selbstbewusstem und freiem Dasein gebracht werden müssen. Die ehrfurchts- und liebevolle Hingabe des Menschen an Gott setzt auch eine Form der Erkenntnis voraus, wenn diese Haltung seinem Charakter als selbstbewusster und freier Person entsprechen können soll. Diese Erkenntnis über Gott muss durch andere Menschen vermittelt werden, z.B. wenn es um den religiösen Glauben von Kindern oder einfachen Menschen geht. Aber letztendlich muss sich der religiöse Glaube auf eine unvermittelte Gotteserkenntnis stützen können, die mit Hilfe der Vernunft erworben wird. Deshalb ist es nicht nötig, eine Art vernunftgemäße, intuitive oder esoterische Gotteserkenntnis als das Zentrum einer jeden Religion oder als die letzte Vollendung jeglicher Religiosität und jeglichen Gottesglaubens aufzufassen (gegen

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Gnostizismus, Theosophie, Hegel u.a.). Man muss auch nicht voraussetzen, dass es ein spezielles Vermögen im Menschen gibt, mit dessen Hilfe er eine Art höhere Erkenntnis von Gott und seinem Wesen durch direktes Schauen erreichen kann (gegen den Neuplatonismus, bestimmte Mystiker, Böhme, Swedenborg). Möchte man einen erkenntnistheoretischen Dualismus vermeiden, wenn es um unsere gewöhnliche Erkenntnis und unsere Erkenntnis von Gott und seinem Wesen geht, muss man annehmen, dass die natürliche Vernunft des Menschen ausreicht, um eine echte Gotteserkenntnis möglich zu machen (vgl. Anthropologie 12.5–6). Sowohl in seinem vernünftigen Denken als auch in seinem freien, willentlichen Handeln wird der Mensch ständig dazu getrieben, das Endliche und das Relative bei dem bisher Erreichten zu überschreiten (transzendieren), sei es bei sich selbst, sei es in der ganzen Geschichte der Menschheit (vgl. Anthropologie 15.5). Außerdem ist alles, was es gibt, in dem Maße und insofern es es gibt, sowohl intelligibel als auch erstrebenswert, d.h. erkenntnis- und willensmäßig zugänglich (vgl. Ontologie 5.6–7). Prinzipiell gibt es also nichts, was den Menschen daran hindert, durch sein intellektuelles und willensmäßiges Vermögen sogar mit Gott in Kontakt zu kommen und eine Auffassung von Gott zu entwickeln. »Weil die Menschen Personen sind, d.h. mit Vernunft und freiem Willen begabt und damit auch zu persönlicher Verantwortung erhoben, werden alle – ihrer Würde gemäß – von ihrem eigenen Wesen gedrängt und zugleich durch eine moralische Pflicht gehalten, die Wahrheit zu suchen, vor allem jene Wahrheit, welche die Religion betrifft« (Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Religionsfreiheit [Dignitatis humanae], Nr. 2). Der Mensch muss in seinem innersten Wesen als selbstbewusste und freie Person ernst genommen werden (Humanismus), gleichzeitig muss man erklären, warum er eigentlich nie ganz zufrieden ist mit seinem eigenen faktischen und endlichen Dasein, ohne ständig zu versuchen, etwas Größeres und Umfassenderes zu erreichen. Eine solche Sicht des Menschen erklärt am besten, warum es seit dem Beginn des Menschengeschlechts immer Religion gegeben hat und warum der Mensch in einem gewissen Sinne »unverbesserlich religiös« ist. Die religiöse Haltung und der Gottesglaube des Menschen ruhen also auf einem holistischen Verständnis des eigenen Daseins als einer Wirklichkeit, die durch ihr Verhältnis zu einem Gott oder einer göttlichen Macht bestimmt ist. Die unterschiedlichen Religionen können als verschiedene kulturell bedingte Ausdrücke eines selbstbewussten und freien Verhältnisses des Menschen zu dieser menschlichen Wirklichkeit und gleichzeitig als Ausdrücke seines Verhältnisses zu der Grundlage, dem Ziel und dem Sinn dieser Wirklichkeit gesehen werden. Die Grundfrage der natürlichen Theologie nach Gottes Existenz

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und Wesen erhält also ihren Antrieb und ihre Orientierung aus dem dem Menschen eigenen Wesen heraus, welches sich in seiner fundamentalen Abhängigkeit von der Grundlage der ganzen Wirklichkeit und in seiner selbstüberschreitenden Ausrichtung auf das, was ihn gänzlich überschreitet (transzendiert), zeigt. Gleichzeitig kann die natürliche Theologie ihre volle Bedeutung nur im Rahmen einer konkreten Religion bzw. einer konkreten religiösen Haltung bekommen, weil innerhalb dieser Haltung nicht nur das theoretische Denken, sondern vor allem das willentliche, ehrfurchtsvolle Akzeptieren dieser transzendenten Wirklichkeit stattfindet.

Kapitel 3

Religion, Gottesglaube, Gottesbild Von Anfang an haben sich verschiedene Denker innerhalb der christlichen Tradition die Grundfrage der natürlichen Theologie gestellt, ob es Gott wirklich gibt (die christlichen Apologeten des 2. Jahrhunderts nach Christus, die Kirchenväter, die Scholastik u.a.). Für gewöhnlich ging man davon aus, dass alle verstanden, was mit der Frage gemeint ist, und dass das Problem klar formuliert war. Man beachtete jedoch oft nicht, dass eine korrekte Antwort auf diese Frage eine Reflexion einer anderen Frage voraussetzt, nämlich über wen oder was man eigentlich spricht, wenn man Ausdrücke wie »Gott« oder »ein Gott« (hebr.: elohim; griech.: theos; lat.: deus; engl.: god, dt.: Gott7) verwendet. Auch sah man nicht besonders deutlich, dass die Frage nach einem Gott oder nach Gottes Existenz nur im Rahmen eines umfassenden Verständnisses der ganzen Wirklichkeit sinnvoll wird. Die häufig vorkommende Unklarheit in Bezug auf die Gottesproblematik führte dazu, dass man bei seinen Untersuchungen nicht selten über Gott bzw. über einen Gott sprach, als ob es sich um ein spezielles metaphysisches Objekt neben anderen einzelnen Dingen oder Wesen handelte (besonders während der Spätscholastik, während der Renaissance oder der Aufklärung). Diese Tendenz wird vor allem dadurch gefördert, dass religiöse Menschen – sogar religiöse Verkündiger und Theologen – oft über Gott oder einen Gott sprechen, als ob es sich um ein wohlbekanntes Wesen handelte. Wenn es aber Gott bzw. einen Gott gibt und er sich durch seine Transzendenz auszeichnet, so scheinen alle menschlichen Termini und Begriffe gänzlich unzureichend dafür zu sein, um mit ihrer Hilfe über ihn zu sprechen. Man muss also im Voraus die religiöse Sprache analysieren, um die Struktur und den Charakter, die die Aussagen über Gott haben könnten, zu klären. Noch wichtiger ist es zu zeigen, welche Bedeutung ein einzelner Mensch mit dem Ausdruck »Gott« bzw. »ein Gott« verbinden kann. Diese Bedeutung hängt mit dem Gottesbild des Einzelnen zusammen und das Gottesbild variiert von Mensch zu Mensch, von Kulturkreis zu Kulturkreis, von Religion zu Religion. Außerdem muss man sich darüber im Klaren sein, dass kein Gottesbild mit Gott selbst übereinstimmt. Es geht daher darum, mit Hilfe einer vertiefenden Reflexion über verschiedene Gottesbilder herauszubekommen, was eigentlich 7  Dt. im Original, Anm. d. Übers.

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Kapitel 3

mit den Ausdrücken »Gott« oder »ein Gott« gemeint ist und wie man diese auf eine mehr oder weniger korrekte Weise verwenden kann. 3.1

Der Ausdruck »Gott« und sein Inhalt

Ob man behauptet, dass Gott bzw. ein Gott existiert, oder ob man dies verneint (Atheismus, aus dem griech.: a = nicht, theos = Gott), man muss verstehen, was mit Ausdrücken wie »Gott« bzw. ein »Gott« gemeint ist. Dasselbe gilt, sowohl wenn man behauptet, dass man eine Form der Erkenntnis Gottes bzw. eines Gottes haben kann, als auch wenn man jede Möglichkeit bestreitet, eine solche Erkenntnis zu haben (Agnostizismus, aus dem Griech.: a = nicht, gnosis = Erkenntnis). Gottes Existenz oder unsere Erkenntnis von ihm zu behaupten ist nur sinnvoll, wenn man den Ausdrücken »Gott« bzw. »ein Gott« sowie entsprechenden Wörtern in anderen Sprachen eine intellektuell erfassbare semantische Bedeutung zuerkennt. Behauptungen wie »Es gibt einen Gott bzw. Gott«, »Gott gibt es nicht« und »Man kann keine Erkenntnis über Gott haben« sind für jemanden, der nie die Ausdrücke »Gott« oder »ein Gott« in einem Zusammenhang gehört hat, ebenso bedeutungslos wie »Bibo gibt es«, »Bibo gibt es nicht«, »Es gibt keinen Bibo«, »Man kann nichts über Bibo bzw. einen Bibo wissen«. Aber jeder, der in einer Behauptung Ausdrücke wie »Gott« (»ein Gott«) verwendet, um zu behaupten, dass es Gott (einen Gott) gibt oder nicht gibt, bzw. dass man Erkenntnisse von Gott (einem Gott) haben kann oder nicht, muss auch einräumen, dass diese Begriffe nicht gänzlich bedeutungslos sind. Eine syntaktische Untersuchung zeigt, dass ein Wort wie »Gott« eine besondere Stellung in der Sprache hat. Im christlichen Kulturkreis wird es in der Regel wie ein singulärer Term, wie ein Personenname, verwendet. In diesem Fall gibt es keine Pluralform und das Wort wird ohne bestimmten oder unbestimmten Artikel verwendet. Im Schwedischen wie im Englischen wird es dann gerne mit großem »G« geschrieben.8 Man kann dies als eine Art Personennamen auffassen, welcher solchen Gottesnamen wie »Jahwe«, »Odin«, »Shiva« usw. ähnelt. In Formulierungen wie »Wir alle befinden uns in Gott« oder »Wir sind Teile von Gott« aber ähnelt das Wort »Gott« viel mehr einem sogenannten Gegenstandsterm für einen Materialgegenstand oder einem Kollektivausdruck. In diesem Fall wird oft anstelle von »Gott« der Ausdruck »Gottheit« mit bestimmtem Artikel verwendet (vgl. Erkenntnistheorie 9.1). 8  Passus »im Schwedischen wie im Englischen wird es dann« v. Hrsg. hinzugefügt.

Religion, Gottesglaube, Gottesbild

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Das Wort »Gott« (schwed.: gud)9 mit einem kleinen »g« wird außerdem wie ein Begriffsausdruck benutzt, ähnlich wie »Pferd« und für gewöhnlich mit dem Artikel »ein Gott«, »der Gott« oder in Pluralform »die Götter« (vgl. Erkenntnistheorie 6.1–2). Sehr vereinzelt kommt »ein Gott« als relativer Begriffsausdruck vor und ähnelt »ein Vater von«, z.B. in der Formulierung »ein Gott für jemanden sein«. Wenn es um die semantische Bedeutung geht, kann man offensichtlich nicht mit Hilfe der Sinne herausbekommen, was mit einem Begriff wie »Gott« gemeint ist, sei es, er wird als Name verwendet, sei es, als Prädikat. Einerseits kommt in unserer Wahrnehmung nämlich kein konkretes Ding, Materialgegenstand oder Kollektiv vor, welches mit Recht »Gott« oder »Gottheit« genannt werden kann. Andererseits kann ein allgemeiner Gottesbegriff nicht aus einer Vielfalt von Sinneswahrnehmungen abstrahiert werden, so wie der Begriff rot aus einer Vielfalt von Farberlebnissen abstrahiert werden kann. Der Gott (die Gottheit, ein Gott), welcher nicht »gesehen« oder »be-griffen« werden kann (vgl. 2 Mose 33,18–23; Joh 1,18; 1 Tim 6,16), kann eigentlich überhaupt nicht mit unseren Sinnen erlebt werden. Keine noch so umwälzende äußere Wahrnehmung und kein inneres Erlebnis oder Gefühl darf daher als ein direktes Erlebnis von Gott oder einer Gottheit aufgefasst werden. Man hat oft angenommen, dass es eine besondere intuitive oder schauende Fähigkeit gibt, mit welcher der Mensch oder zumindest einzelne Menschen in unmittelbaren Gotteskontakt treten können. Zwar wird in den heiligen Schriften über die Möglichkeit des Menschen gesprochen, Gott zu schauen, und es wird davon berichtet, dass Menschen Gott direkt erblickt haben. Solche Texte können aber als symbolische Ausdrücke angesehen und dürfen nicht wörtlich genommen werden. Geht man nämlich von einer solchen schauenden Fähigkeit beim Menschen aus, muss man auch einräumen, dass Gott, trotz seiner Unendlichkeit und Transzendenz, zum Gegenstand für eine endliche »natürliche Fähigkeit der Seele« des Menschen werden kann. Für jemanden, der direkt und unmittelbar Gott erleben können sollte, würde Gott nämlich zu einem Objekt des Erlebens werden, sodass Gott im Verhältnis zum erlebenden Subjekt objektiviert würde. Dasselbe gilt, wenn das erste Menschenpaar im Paradies direkt hätte Gottes gewahr werden oder ihn erleben können (vgl. 1 Mose 2,4b–3,24). Die Bedeutung des Namens »Gott« oder des Prädikats »ein Gott« kann auch nicht beschrieben oder definiert werden. Wenn man nämlich annimmt, dass Gott oder ein Gott wie jedes andere einzelne Ding bezeichnet oder beschrieben werden kann, muss man voraussetzen, dass Gott entweder in der 9  V. Hrsg. hinzugefügt.

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Kapitel 3

Wahrnehmungs- oder Erlebnissphäre vorkommt, sodass er bezeichnet werden kann, oder dass Gott zusammen mit ähnlichen einzelnen Dingen oder Wesen unter einen eher übergeordneten Begriff fällt. Außerdem setzt jede Definition voraus, dass Worte wie »Gott« oder »ein Gott« bzw. die dazugehörigen Gottesbegriffe mindestens in zwei einfachere und damit umfassendere Begriffe oder Terme zerlegt werden können, deren Bedeutung besser bekannt sein muss. Wenn man mit Hilfe von umfassenderen Begriffen verstehen könnte, was mit Begriffen wie »Gott« bzw. »ein Gott« gemeint ist, oder wenn der Gottesbegriff aus einfacheren Begriffen bestehen würde, wäre Gott von der gleichen Art wie etwas Anderes in der Welt und damit kaum Gott. Selbst wenn Begriffe wie »Seiendes«, die Transzendentalien oder das Wort »Person« umfassender als der Gottesbegriff zu sein scheinen, haben sie nämlich nicht exakt dieselbe Bedeutung, wenn sie in der Rede über Gott verwendet werden oder wenn sie sich auf etwas Anderes als Gott beziehen. Selbst wenn Gott oder ein Gott nicht wahrgenommen oder erlebt und damit weder bezeichnet, beschrieben noch definiert werden kann, muss nicht jede Behauptung oder Aussage, die Terme wie »Gott« oder »ein Gott« verwendet, gänzlich sinnlos sein (gegen den logischen Positivismus: Carnap, Neurath, Ayer u.a.; bestimmte analytische Philosophen: der frühe Wittgenstein, Russell u.a.). Man kann zwar keine empirischen oder logischen Kriterien für die Wahrheit oder Falschheit dieser Aussagen angeben. Außerdem haben sie kaum dieselbe Art Bedeutung wie naturwissenschaftliche und mathematisch-logische Sätze. Aber dennoch sind sie nicht komplett bedeutungslos. Ebenso werden nämlich in der Alltagssprache und in der Wissenschaft viele Ausdrücke wie »Zeit«, »Liebe«, »löslich« usw. verwendet, welchen auf dieselbe Weise eine empirisch-logische Bedeutung fehlt, ohne dass sie als gänzlich bedeutungslos aufgefasst werden. Man kann nicht einerseits solche Ausdrücke in der Wissenschaft erlauben und andererseits zugleich in Bezug auf Gott einen Agnostizismus befürworten, weil man aufgrund des nicht-empirischen Charakters der religiösen Sprache nicht über Gott sprechen und noch weniger etwas über Gott wissen könne. 3.2

Das Gottesbild des Menschen und Gott

Das Wort »Gott« kann also so gesehen werden, dass es eine Bedeutung für all diejenigen hat, die es in einer Behauptung verwenden. Das heißt aber nicht, dass es in allen Aussagen, die mit Gott oder einem Gott zu tun haben, dieselbe Bedeutung hat. Worte wie »Gott« oder »ein Gott« und deren Entsprechungen

Religion, Gottesglaube, Gottesbild

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in anderen Sprachen scheinen nämlich für fast jeden einzelnen Menschen eine ganz und gar besondere Bedeutung zu haben, die dem Gottesbild dieses Menschen entspricht. Mit »Gottesbild« ist hier nicht bloß eine bildliche Vorstellung von Gott in der Phantasie gemeint. Ein Gottesbild im eigentlichen Sinne stellt eher die Gesamtheit von allen bewussten und unbewussten Vorstellungen und Begriffen dar, welche beim Einzelnen mit dem Wort »ein Gott« verknüpft sind, gesetzt den Fall, dass dieser Ausdruck überhaupt eine Bedeutung für ihn hat. Mit Gottesbild im weiteren Sinne sind hingegen solche eher allgemeingültigen Vorstellungsmuster und Begriffe gemeint, die mit dem Wort »ein Gott« innerhalb einer bestimmten sozialen Gemeinschaft (Familie, Gesellschaft, Kulturgruppe) oder Religionsgemeinschaft (schiitischer Islam, Katholizismus usw.) verbunden sind, sei es, dass diese Vorstellungen und Begriffe von allen so verstanden werden, sei es, dass sie zumindest gemäß der allgemeinen Ideologie von allen so gefasst werden sollten. Da das Dasein des Menschen stark von Sinneswahrnehmungen geprägt wird, ist es verständlich, dass für gewöhnlich Vorstellungen aus der Sinnenwelt in das Gottesbild des einzelnen Menschen einfließen. Aufgrund äußerer Umstände können solche Vorstellungen innerhalb derselben Religionsgemeinschaft, desselben Kulturkreises und sogar innerhalb derselben Familie stark variieren. Beispielsweise ist man im christlichen Kulturkreis aufgrund der Sprache der Bibel geneigt, Gott recht menschenähnliche (anthropomorphe) Züge zu geben. Das Gottesbild des einzelnen Menschen wird früh von solchen Vorstellungen geprägt, weil er in seiner Kindheit stärker von Wahrnehmungen und weniger vom Denken abhängig ist. Desgleichen gilt natürlich auch für Ausdrücke wie »Zeit«, »Liebe«, »ich« u.a., deren Bedeutungen bestimmte Vorstellungselemente beinhalten, ohne erschöpfend auf diese Elemente zurückgeführt werden zu können. Zu dem Gottesbild des Einzelnen gehören für gewöhnlich auch begriffliche Komponenten. Sie wurden während eines späteren Zeitabschnitts im Leben, wenn der Intellekt ausgebildeter ist, an den Ausdruck »ein Gott« geknüpft. Auf die gleiche Weise kann jemand im Erwachsenenalter eine mehr begrifflich geprägte Bedeutung mit Worten wie »Liebe«, »Zeit«, »Denken« verbinden. Die eher begrifflichen Komponenten in jemandes Gottesbild, z.B. dass Gott geschlechtslos sei, geraten oft in Konflikt mit eher kindlichen Vorstellungen, wie z.B. dass Gott ein Mann sei. So enthalten die Gottesbilder einzelner Menschen oft Spannungen und sogar Widersprüche. Diese Tatsache aber ist nicht Grund genug, um jede Gottesauffassung als etwas Widersprüchliches zu beurteilen, weil auch andere menschliche Auffassungen, z.B. über die Zeit und über die Veränderung, aus ähnlich paradoxen Komponenten bestehen.

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Weil man nicht auf Gott zeigen oder ihn definieren kann, muss der Mensch die Bedeutung des Namens »Gott« oder des Prädikats »ein Gott« in den konkreten Situationen, in welchen diese Begriffe verwendet werden, lernen. Dasselbe gilt natürlich für Worte wie »Zukunft«, »ich«, »Liebe«, »möglich« u.a. Äußere Umstände, die Handlungsmuster und Reaktionen anderer Menschen sowie die eigene Offenheit gegenüber Nuancierungen ermöglichen es einem Kind oder einem jungen Menschen, solchen Worten schrittweise Bedeutung zu geben. Diese Bedeutung ist aber nicht endgültig festgelegt, sondern wird so lange verändert, wie der einzelne Mensch bereit ist, die existenziellen Konsequenzen zu bejahen, die eine solche Veränderung für gewöhnlich zur Folge hat. Auf dieselbe Weise wie »Liebe«, »Zeit« und »ich« kann das Wort »Gott« eine sehr viel reichere Bedeutung bekommen, abhängig von äußeren Umständen und von der Bereitwilligkeit des Einzelnen, frühere Auffassungen zu modifizieren. Derselbe Ausdruck »Gott« kann aber auch eine sehr große Starrheit annehmen, die zu einem ideologischen Riegel führt, wenn der Einzelne sich weigert, sich selbst zu verändern. Dies gilt sowohl für einen religiösen Menschen als auch für einen Atheisten oder Agnostiker, weil sowohl jener, der die Existenz Gottes oder eines Gottes akzeptiert, als auch jener, der sie verneint, mit dem Begriff »ein Gott« eine Bedeutung verbunden haben muss. Das Gottesbild einzelner Menschen entsteht also in familiären und sozialen Zusammenhängen. Es wird in einem historischen Prozess entwickelt und von Generation zu Generation weitervermittelt. Dadurch entsteht die Frage, auf welche Weise ein Gottesbild zum ersten Mal im Menschengeschlecht entstanden ist. Die Frage kann natürlich nicht mit rein empirischen Mitteln gelöst werden. Eher ist man auf Mutmaßungen und Theoriebildungen angewiesen. Es hat sich gezeigt, dass eine rein evolutionistische Herleitung der verschiedenen Gottesbilder des Menschengeschlechts aus primitiven psychischen Reaktionsmustern nicht die große Bedeutung des Gottesbildes in der ganzen Menschheit erklären kann (gegen Animismus, Totemismus, magische Theorie usw.: Tylor, Marett, Frazer, Durkheim u.a.). Solche Auffassungen stimmen außerdem weniger mit den archäologischen und ethnologischen Fakten überein. Eine bessere Erklärung liefert die Lehre vom Urmonotheismus, derzufolge die Gottesbilder des Menschengeschlechts trotz aller Verschiedenheiten doch eine Form des Glaubens an einen höchsten Gott beinhalten oder zumindest gedacht werden kann, dass sie von einem solchen Glauben ausgehen, demzufolge es ein einziges höchstes, alles sehendes und allmächtiges Wesen gibt, das Ursprung und Ordner von allem ist (Lang, Pettazzoni, Söderblom, Widengren u.a.). Diese Auffassung braucht aber nicht mit der biblisch-theologischen Überzeugung verknüpft zu werden, dass die ursprüngliche Gottesauffassung von dem ersten Menschenpaar im Paradies herstammt, welches direkt mit Gott verkehren

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konnte, als sei er ein konkretes körperliches Wesen (gegen Schmidt). Diese Ansicht ist nämlich kaum vereinbar mit einer nüchternen Auffassung über die fundamentale Beziehung des endlichen Menschen zum transzendenten Gott. 3.3

Das Gottesbild des Menschen und seine Lebensanschauung

Das Gottesbild des Menschen wird mit Hilfe von Vorstellungen und aus der Sinnenwelt abstrahierten Begriffen gestaltet. Dies erklärt sowohl die Verschiedenheit der Gottesbilder beim Menschengeschlecht als auch die Veränderung des Gottesbildes während der Lebenszeit eines Menschen. Dies berechtigt jedoch nicht zu der Auffassung, dass das Gottesbild des Menschen bloß ein illusorisches Phantasieprodukt bzw. eine fiktive Konstruktion sei (gegen Xenophanes, Feuerbach) oder eine reine Vernunftidee ohne jegliche Entsprechung in der Wirklichkeit (gegen Kant). Wenn nämlich ein einzelner Mensch versucht, im Alltagsleben oder in der Wissenschaft an eine einheitlichere Wirklichkeitsauffassung heranzukommen, muss er auch auf ähnliche Weise komplexe Vorstellungen und Begriffe mit Hilfe dessen gestalten, was unmittelbar seiner Wahrnehmung zugänglich ist. Niemand hat ja eine direkte Wahrnehmung von Elementarteilchen oder dem Urknall. Der Mensch braucht auch bestimmte Referenzrahmen für Wahrnehmungen. Diese sind bei den einfachen Sinneswahrnehmungen nicht gegeben, sind aber dafür nötig, um die einzelnen Wahrnehmungen in einem größeren Zusammenhang zu verorten (vgl. Erkenntnistheorie 11.3–4). Der Verstand wirkt auch auf die Wahrnehmung zurück und verleiht ihr eine begrifflich fassbare Struktur. Diese Referenzrahmen und Strukturen können gänzlich individuell oder auch allgemeiner sein und können im zweiten Fall sowohl einen allgemein-menschlichen als auch einen sozialbedingten Charakter haben. Selbst die Natur- und Geisteswissenschaften brauchen fundamentale Referenzrahmen (Paradigmen) für die wissenschaftliche Begriffs- und Theoriebildung, wenn sie versuchen, die Wirklichkeit zu erklären oder zu deuten (vgl. Erkenntnistheorie 12.2–3 und 13.3). Während die Referenzrahmen der Wahrnehmung, des Denkens und der Wissenschaft nur mit einem Teil der Wirklichkeit zu tun haben, stellt eine Lebens- bzw. Weltanschauung einen notwendigen Referenzrahmen für das Verständnis des Menschen von der ganzen Wirklichkeit dar. Diese Lebensanschauungsrahmen, ohne welche der Mensch nicht in seinem Dasein zurechtkommen könnte, enthalten viele Komponenten, z.B. Wahrnehmungsmuster, Gedankenstrukturen, Handlungseinstellungen sowie politische und wissenschaftliche Überzeugungen. Diese individuellen oder allgemeiner gültigen

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Referenzrahmen kommen in allen Zusammenhängen vor, wenn auch im Hintergrund, und beeinflussen für gewöhnlich unbewusst das Denken und Handeln einzelner Menschen. Sie können sich während der Lebenszeit des Einzelnen stark verändern und enthalten oft eine Reihe paradoxer Elemente. Sie sind aber als Orientierungshilfen im Dasein notwendig, und ohne sie kann der Mensch nicht als Mensch funktionieren. Dies zeigt, dass sie nicht nur fiktive Konstruktionen sein oder nur einen ausschließlich praktischen Wert haben können. Zum Hintergrund jeder Lebensauffassung, im Alltagsleben ebenso wie in der Wissenschaft, gehören auch eine Reihe »theoretischer Entitäten«, damit die Lebensanschauung überhaupt als eine Orientierungshilfe in der Wirklichkeit funktionieren kann. Es handelt sich um solche Gebilde von Vorstellungen und Begriffen, die etwas abgrenzen oder definieren, dessen Existenz oft unbewusst vorausgesetzt wird, ohne dass man gezeigt hat oder zeigen kann, dass es dies wirklich gibt. Zu diesen theoretischen Entitäten können Hexen oder magische Kräfte ebenso sehr gezählt werden wie Elementarteilchen und Gravitationswellen. Zu diesen theoretischen Entitäten können sogar z.B. die absolute Zeit und der absolute Raum sowie der Urknall gezählt werden, vielleicht aber auch die selbständige Existenz der menschlichen Seele und die Gleichförmigkeit des Weltenlaufs. Zugleich ist es nicht nötig anzunehmen, dass man es bei all diesen Beispielen bloß mit leeren Fiktionen zu tun hat, denen jedes Fundament in der Wirklichkeit fehlt. Die Lebensauffassung des einzelnen Menschen prägt seine gesamte Wirklichkeitsauffassung. Daher gehört auch sein sehr individuelles Gottesbild zu dieser Grundhaltung, sei es, dass er Gottes Existenz akzeptiert, sei es, dass er sie verneint. Das Gottesbild des Menschen, welches Gott von allem Anderen abgrenzt, entsteht im Referenzrahmen der Lebensauffassung des Menschen und wird ein wichtiger Teil von diesem. Insofern kann Gott als eine Art theoretische Entität gesehen werden, die in Zusammenhang mit dem ganzen Dasein des Menschen steht. Dies hat nicht zur Folge, dass es Gott gibt, sondern nur, dass das Gottesbild des Menschen eine wichtige Rolle bei seiner Auffassung der gesamten Wirklichkeit spielt. Weil ein solches Gottesbild in der Lebensauffassung aus Vorstellungen und Begriffen aus der Sinnenwelt zusammengesetzt ist, kann man für den Fall, dass es Gott nun wirklich geben sollte, nicht davon ausgehen, dass diese Elemente exakt wiedergeben, wer oder was Gott eigentlich ist. Etwas Ähnliches gilt für die Elementarteilchen, die als theoretische Entitäten gesehen werden müssen, deren mikrophysische Eigenarten nicht exakt durch die makrophysikalischen Vorstellungen und Begriffsstrukturen des Menschen wiedergegeben werden können.

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Das Gottesbild des Menschen in der Religion und Theologie

Das Vorkommen der Religion und ihre Bedeutung für die ganze Menschheit deutet darauf hin, dass das Gottesbild bei den Menschen spontan entsteht, da sie fortwährend versuchen, sich ein Verständnis vom Dasein als Ganzem zu schaffen. Dies setzt nicht voraus, dass die ersten Menschen von Anfang an bewusst und systematisch über sich selbst und ihr ganzes Dasein reflektieren konnten. Ein Kind kann eine Sprache ohne Grammatikstudien lernen und entwickelt für gewöhnlich ohne eine tiefe philosophische Reflexion eine Art Auffassung vom Raum. Wie jeder normale Mensch wollte anscheinend auch der Urmensch sein persönliches Dasein und die ganze Wirklichkeit in dem umfassenderen Referenzrahmen seiner Lebensauffassung einordnen. Ein solcher Referenzrahmen wird für gewöhnlich zusammengehalten und erhält seine Einheitlichkeit durch etwas Großes, das mit »Gott« bezeichnet wird und zum Mittelpunkt der nachfolgenden religiösen Traditionen geworden ist. Der Mensch kann in dem System seiner Lebensauffassung für gewöhnlich nicht all das mit adäquaten sprachlichen Mitteln ausdrücken, womit er in seiner Erfahrung in Kontakt kommt. Für die meisten Dinge muss er unzureichende, aber wohlbekannte Vorstellungen und Begriffe aus der Sinnenwelt verwenden, um die Aspekte und Elemente ausdrücken und verdeutlichen zu können, die nicht direkt beobachtet werden können, aber dennoch zu seinem Wirklichkeitsverständnis gehören. Deshalb spielen die symbolischen Ausdrucksmittel des Menschen eine große Rolle in der Psychologie, Traumforschung, Literaturwissenschaft usw. Auf ähnliche Weise muss man auch bei den modernen Naturwissenschaften davon ausgehen, dass weder das Bild der Welle oder der Teilchen, noch die Zeit- und Raumvorstellung des Menschen die Beschaffenheit der physischen Welt adäquat wiedergeben. Die Art des Menschen, Elemente der Erfahrung und der Lebensanschauung mit Hilfe von Bildern und Vorstellungen aus der Sinnenwelt zu schildern, erklärt sogar die symbolisch-mystische Sprechweise der Religion und die Vielfalt der Gottesbilder, die im Laufe der Geschichte gestaltet wurden. So werden Gott menschliche Züge verliehen, wenn man ihn als menschenfreundlich versteht, und macht ihn zu einem kosmischen Faktor, wenn man von dem ungeheuren Abstand zwischen Gott und Mensch berührt wird. Für einen Jäger wird Gott vielleicht zu einem Herrn der Tiere und für einen Bauern zum Urheber von Fruchtbarkeit, für einen Nomaden ist Gott vielleicht der Herr des Himmels und für das Volk im Dschungel die geheimnisvolle Lebenskraft usw. Man geht von Erlebnissen im Familienleben oder in der Gesellschaft aus und benutzt für Gott Bezeichnungen wie »Vater«, »Fürst« oder »König«. Außerdem stellt man

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sich das Göttliche manchmal durch eine einzelne Gottesgestalt repräsentiert vor und manchmal durch eine Vielfalt von Göttern. Diese Symbole und Mythen in der religiösen Sprache dürfen nicht dazu verleiten zu meinen, dass die Gottheit exakt so beschaffen ist, wie das anschauliche Gottesbild es ausdrückt. Wenn man nämlich bei der philosophischen und theologischen Reflexion versucht, das Gottesbild von allen symbolischen und mythischen Elementen zu befreien, kann es leicht auf einen abstrakten und oft nichtssagenden metaphysischen Begriff reduziert werden. Außerdem muss man beachten, dass der persönliche und religiöse Hintergrund eines Philosophen oder Theologen, welcher den Lebensauffassungsrahmen des Betreffenden ausmacht, von größter Bedeutung in diesem »Reinigungsprozess« des religiösen Denkens und der religiösen Sprache ist. Sogar derjenige, der ein bestimmtes Gottesbild als widersprüchlich oder sinnlos beurteilt und meint, auf diese Weise zeigen zu können, dass es Gott nicht gibt, ist natürlich von dem Hintergrund seiner Lebensauffassung abhängig. Will man sich der Gottesproblematik so »objektiv« wie möglich annähern, muss man zuerst die Tatsache akzeptieren und sogar positiv würdigen, dass unterschiedliche Menschen in verschiedenen Kulturkreisen und Religionssystemen stark variierende Gottesbilder gestaltet haben, um ihre Lebensauffassung in Bezug auf das Dasein auszudrücken. Dennoch ist es die Aufgabe der Philosophie zu klären, welche Elemente in einem individuellen Gottesbild ungeeignet oder sogar fehlerhaft sind und auf welche Art man überhaupt berechtigterweise über Gott sprechen kann. Es ist wichtig zu beachten, dass man sich in allen Kulturen, in welchen das philosophische Denken einen bestimmten Reflexionsgrad erreicht hat, bewusst geworden ist, dass man nicht auf dieselbe Weise über Gott sprechen oder von ihm eine Erkenntnis haben kann, wie man über Dinge oder Wesen der Sinnenwelt spricht oder eine Erkenntnis hat. 3.5

Das Gottesbild des Menschen und die Existenz Gottes

Ohne dass man für sich geklärt hat, was mit dem Wort »Gott« gemeint ist, kann man die Frage, ob es Gott (Gottheit, Götter) gibt oder nicht, nicht beantworten. Sowohl derjenige, der behauptet, dass es Gott gibt, als auch der, der dies zurückweist, müssen sagen können, wovon sie sprechen, wenn sie Gottes Existenz bejahen oder verneinen. Weil das Wort »Gott« gerade so viele unterschiedliche Bedeutungen hat, wie es unter den Menschen verschiedene Gottesbilder gibt, kann man erst dann mit Recht etwas von Gott behaupten, wenn man eine Vorstellung des eigenen Gottesbildes hat. Damit eine Behauptung über Gott nicht

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bedeutungslos oder mehrdeutig ist, muss man von seinem eigenen Gottesbild sprechen und auf diese Weise erklären können, was man mit dem Begriff »Gott« meint. Eine vernünftige Diskussion über Gottes Existenz kann also nur durchgeführt werden, wenn jeder Beteiligte den anderen sein eigenes Gottesbild darstellen kann und will. Zugleich scheint es nahezu unmöglich, das eigene Gottesbild herauszufinden, und noch viel schwerer scheint es zu sein, jemandem darüber berichten zu können. Dies liegt zum Teil daran, dass der einzelne Mensch sich selten seines Gottesbildes gänzlich bewusst ist, ob er nun Gottes Existenz akzeptiert oder verneint. Wir haben nämlich selten eine klare Auffassung von den Lebensauffassungsstrukturen, die unser Denken und Handeln bestimmen. Dafür ist eine gründliche, klärende Reflexion nötig, sogar wenn es um das Verständnis so wohlbekannter Worte wie »Zeit« und »Liebe« geht. Kulturbedingte Faktoren und der Druck der sozialen Umwelt, allem voran aber der psychische Lernzwang in einer einseitig religiösen oder säkularisierten Umgebung haben für gewöhnlich zur Folge, dass das Wort »Gott« mit einer Bedeutung verwendet wird, die sich bei genauerer Reflexion unmittelbar als gänzlich unbegründet und sinnentstellend erweist. Viele, die versuchen zu erklären, was sie mit dem Wort »Gott« meinen, wiederholen oft bloß eine gelernte und unreflektierte Phrase, ohne dass sie dem Wort eine persönliche Bedeutung geben können, indem sie es mit dem Referenzrahmen ihrer eigenen Lebensauffassung in Verbindung setzen. Diese psychischen, sozialen und kulturellen Gründe, manchmal aber auch ein tiefer persönlicher Widerstand, können verhindern, dass einzelne Menschen überhaupt ihr eigenes Gottesbild reflektieren oder dazu bereit sind, es zu reflektieren. Viele geben manchmal eher prinzipielle philosophische Gründe dafür an, warum es unmöglich zu sein scheint, eine Auffassung davon zu gewinnen, wer oder was Gott eigentlich sein könnte. Häufig wird nämlich die Ansicht vertreten, dass derjenige, der versucht, auf irgendeine Weise eine Erkenntnis über Gottes Existenz zu erreichen, im Vorhinein wissen muss, wer Gott eigentlich ist. Wenn es Gott aber gibt und er sich wirklich durch seine Unendlichkeit und Transzendenz auszeichnet, ist es kaum möglich, Gottes Wesen direkt erfassen zu können. Die Vernunft des endlichen Menschen kann nämlich keine Auffassung des Unendlichen gewinnen. Zugleich scheint eine indirekte verstandesmäßige Auffassung von Gottes Wesen mit Hilfe einer begrifflichen Definition ausgeschlossen, weil diese voraussetzt, dass das, was Gottes Wesen auszeichnet, auch bei anderen konkreten Dingen und Wesen verwirklicht ist. Gott würde durch eine solche Definition zu einem Ding oder Wesen neben anderen Dingen und Wesen werden und würde dieselbe Beschaffenheit haben, wie sie anderen Dingen und Wesen zugeschrieben werden. Obwohl man meint,

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eine Methode zu brauchen, um sich Klarheit darüber zu verschaffen, wer oder was Gott eigentlich ist, bevor man die Frage, ob es ihn gibt, beantworten zu können, scheint es keine solche Methode zu geben. Es kann dennoch gänzlich irreführend sein, wenn man von einem subjektiven Gottesbild ausgeht und zu zeigen versucht, dass es Gott objektiv gesehen gibt oder nicht gibt. Bei vielen Menschen ist das größte Hindernis auf dem Weg zu einer wahreren und objektiveren Gottesauffassung ihre Abneigung dagegen, das eigene, oft anerzogene Gottesbild zu hinterfragen und zu modifizieren. Eine solche Veränderung hat nämlich nicht nur mit dem Intellekt des Menschen, sondern auch mit seinem Willen und seiner Gefühlssphäre und letztendlich mit seiner ganzen existenziellen Situation als personales Wesen zu tun. Ebenso wie viele Menschen abgeneigt sind, ihre Auffassung vom Raum oder ihre politischen Ideen zu ändern, sind sie auch abgeneigt, ein früheres Gottesbild aufzugeben. Das Gottesbild eines Menschen ist ausschlaggebend für sein Lebensauffassungssystem und damit für seine gesamte Sicht auf die Wirklichkeit, ob er nun Gottes Existenz akzeptiert oder verneint. Die subjektive Ausformung des Gottesbildes kann nämlich dem Einen die ersehnte Sicherheit geben und den Anderen veranlassen, Gott als einen störenden und dominanten Tyrannen abzuweisen. Wenn es um die Frage von Gottes Existenz und Wesen geht, ist der einzelne Mensch also nie nur ein objektiver Teilnehmer oder Beobachter, sondern eine ganz und gar existenziell berührte und engagierte Person.

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Die Möglichkeit, über Gott zu sprechen Es wäre kaum möglich, die natürliche Theologie als Wissenschaft anzusehen, wenn man nicht auf irgendeine Weise in der Lage wäre, über Gott zu sprechen und ihm Prädikate zuzuordnen. Man sollte also eigentlich einen Begriff anwenden können, welcher Gott be- und auszeichnet. Außerdem sollte man begriffliche Behauptungen über Gott tätigen und den Anspruch darauf erheben können, dass diese wahr sind. Sowohl die Kirchenväter als auch die muslimische, jüdische und christliche Scholastik musste daher zeigen, auf welche Weise man trotz allem über Gott sprechen kann. Dieselbe Frage wurde sogar innerhalb der von neuplatonischen Haltungen stark beeinflussten christlichen Mystik bedacht. Aber deren Richtungen kamen oft zu Ergebnissen, die von den theoretischen theologischen Schulen abwichen. Die Frage nach der Möglichkeit des Menschen, über Gott oder einen Gott zu sprechen, hat eine besondere Aktualität innerhalb der neueren Sprachphilosophie erhalten. Akzeptiert man nämlich, dass es Gott oder einen Gott gibt und dass ein solcher Gott alles Menschliche und Weltliche überschreitet (transzendiert), scheint es unmöglich zu sein, über Gott auf dieselbe Weise zu reden, wie man über etwas spricht, was man direkt erlebt oder was man verstandesmäßig und begrifflich erfasst. Ein Atheist, der die Existenz (eines) Gottes verneint, kann sogar einräumen, dass mit dem Begriff »Gott« eigentlich etwas Anderes gemeint ist als ein einzelnes Ding, eine Eigenschaft, eine Relation, ein Sachgegenstand o.Ä. in der Welt oder als Inhalt unserer Erlebenssphäre. Wenn es (einen) Gott gibt, muss er sich nämlich von allem, was mit Hilfe von übergreifenden kategorialen Begriffen charakterisiert werden kann, unterscheiden. Die sprachlichen Möglichkeiten des Menschen scheinen nicht auszureichen, um dem, was mit dem Namen »Gott« oder dem Prädikat »ein Gott« gemeint ist, Ausdruck zu verleihen. 4.1

Der Gottesname in der Philosophie und Theologie

Es ist natürlich nicht von Anfang an klar, ob Worte wie »Gott« bzw. »ein Gott« etwas Einzelnes bezeichnen bzw. ob ihnen begrifflich etwas entspricht. Nur in dem monotheistischen (aus dem Griech.: monos = ein Einzelnes, theos = Gott) Kulturkreis kann man sich weitestgehend sicher sein, dass die Menschen,

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wenn sie den Namen »Gott« benutzen, trotz ihrer variierenden Gottesbilder für gewöhnlich beabsichtigen, sich auf etwas Einzelnes zu beziehen. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass es Gott gibt und dass es einen einzigen Gott gibt. Aber die übliche Weise der Menschen, den Begriff »Gott« zu benutzen, deutet darauf hin, dass sie das Wort als einen singulären Term und in diesem Fall speziell als einen Eigennamen ansehen. Ein größeres Problem in diesem Zusammenhang ist, dass der Name »Gott« nicht wie andere singuläre Terme an ein eindeutig bestimmtes einzelnes Seiendes und noch viel weniger an ein konkretes Ding, welches mit einem solchen Namen bezeichnet wird, geknüpft werden kann. Derjenige, der kein allzu wunderliches Gottesbild hat, räumt ein, dass man nicht auf etwas zeigen und es »Gott« nennen kann, wie man auf einen einzelnen Menschen zeigen und ihn »Sokrates« nennen oder auf eine einzelne Stadt und sie »Stockholm« nennen kann. Man hat keine Art von »knowledge by acquaintance« (Russell) von Gott. Aber Gott kann auch nicht indirekt auf die gleiche Weise beschrieben werden, wie man jemandem z.B. eine Person oder ein konkretes bzw. einzelnes Ding ganz genau beschreiben kann, welches ihm oder ihr nicht direkt bekannt ist (knowledge by description). Eine solche Beschreibung wäre nur möglich, wenn man die nur Gott eigenen Beschaffenheiten oder Gottes ganz eigene Relation zu einem anderen einzelnen Ding angeben könnte, dessen besondere Relation zu einem dritten Ding usw., bis dies schließlich in eine ganz eigene Relation zum Menschen mündet, der versucht, Gott zu beschreiben (vgl. Erkenntnistheorie 9.3–5). Wenn man Gottes übernatürliche Offenbarung voraussetzen könnte, wäre es weniger schwierig zu beschreiben, wer Gott eigentlich ist. Man könnte nämlich auf den Gott verweisen, der sich einer bestimmten menschlichen Person offenbart hat und beispielsweise die Bezeichnung »der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs« (2 Mose 3,6) benutzen. Man könnte Gott auch mit einem bestimmten historischen Ereignis verbinden, in welchem sich Gott offenbart hat, etwa wie es in der Formel »Gott, der dich aus Ägypten geführt hat« (2 Mose 20,2) vorliegt. Schließlich könnte man auf jemanden verweisen, der in einer außerordentlich besonderen Relation zu Gott steht, beispielsweise durch die Formel »der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus« (Eph 1,3). Eine solche beschreibende Identifizierung Gottes kann aber so lange nicht benutzt werden, wie man nicht gezeigt hat, dass es Gott gibt und dass er sich auf diese Weise offenbart hat. Die Frage nach dem Gottesnamen bleibt außerdem sogar im Rahmen von Gottes übernatürlicher Offenbarung (vgl. 2 Mose 3,13) aktuell. Es kann nämlich wichtig sein zu wissen, wer Gott eigentlich ist, um Gott anderen vorstellen zu können, die keinen direkten Zugang zu Gottes historischer Offenbarung haben.

Die Möglichkeit, über Gott zu sprechen

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Gleichzeitig darf nicht übersehen werden, dass genau der biblische Gottesname »Jahwe« nicht wie jeder beliebige andere Name funktioniert. Es ist nämlich verboten, diesen Namen, der die Bedeutung »Ich-bin« (2 Mose 3,14f.) hat, zu benutzen und damit zu missbrauchen, genau wie der Mensch sich kein Bild von Gott machen darf (vgl. 2 Mose 20,4–7). Selbst wenn Gott durch sein historisches Handeln seinen Namen und damit sein »Wesen« offenbart, muss er laut dem Zeugnis der Bibel letztendlich der verborgene und unergründliche Gott (lat.: deus absconditus; vgl. Jes 45,15) bleiben. Gott darf nämlich nicht wie ein Ding neben anderen einzelnen Dingen behandelt werden bzw. nicht als ein Seiendes an der Seite anderer Seiender angesehen werden (Augustinus, Luther, Pascal, Newman u.a.). Zwar benutzen sowohl die Bibel als auch der Koran namenähnliche Bestimmungen für Gott und außerdem eine Menge begrifflich geprägter Ausdrücke wie »der Herr«, »der Mächtigste«, »der Allerhöchste«, »Vater«, »Erbarmender« usw. Diese Bezeichnungen dürfen aber weder für sich, noch zusammen als echte Wesensbestimmungen betrachtet werden, mit deren Hilfe Gott eindeutig charakterisiert werden kann. Man kann zwar in gewöhnlichen Zusammenhängen mit Hilfe einer Relationskette, z.B. mit Hilfe von zeitlichen Abfolgen oder Größenordnungen, ihre ersten bzw. letzten Glieder eindeutig charakterisieren oder zu charakterisieren versuchen, wie in »der erste Mensch«, »die größte Primzahl«, »der letzte Zug des Tages« usw. Ein solches Vorgehen setzt aber voraus, dass alle Glieder in der Relationskette ähnlich bzw. von derselben Beschaffenheit sind. So etwas gilt natürlich nicht für Gott, weil er sich als Herr vollständig von allen anderen Herren unterscheidet und weil Gottes Macht von der Macht aller anderen Mächtigen gänzlich verschieden ist. Daher kann man Gottes Wesensart nicht einmal auf diese vergleichende Art und Weise begrifflich bestimmen. 4.2

Die Rede von Gott und die negative Theologie

Gott wird manchmal als der »Unnennbare«, »Unaussprechliche« und »Namenlose« (griech.: anonymos, von a = nicht, onoma = Name; Dionysios Areopagita) bezeichnet. Dadurch wird nicht verneint, dass man in der Sprache den Personennamen »Gott« oder den Begriff »ein Gott« bilden und mit diesem Ausdruck ein bestimmtes Gottesbild verknüpfen kann. Eher will man andeuten, dass weder der Eigenname noch das Prädikat in seiner syntaktischen Funktion als adäquates Ausdrucksmittel für Gott dienen können. Der singuläre Term »Gott« würde nämlich Gott zu einem einzelnen Ding machen, ob nun zu etwas Konkretem oder einem Sachgegenstand, einem Kollektiv oder etwas

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Ähnlichem, sodass Gott dadurch verdinglicht würde. Ein Begriff »ein Gott« würde zumindest prinzipiell voraussetzen, dass mehrere einzelne Dinge die Beschaffenheit einer Gottheit als eine gemeinsame Beschaffenheit haben können. Außerdem kann das Gottesbild, das an diesen Ausdruck geknüpft wird, auf der semantischen Ebene nicht adäquat wiedergeben, wer oder was Gott eigentlich ist. Die Einsicht in die Begrenztheit der menschlichen Sprache sollte eigentlich dazu führen, dass uns, wenn wir Gott beim Namen nennen oder etwas über einen Gott sagen, bewusst wird, dass er nicht auf eine für uns wohlbekannte Art und Weise beschaffen ist. Wenn man Gott nämlich mit einem aus einem anderen Zusammenhang bekannten Namen bezeichnet oder wenn man ihm Prädikate mit wohlbekannten Begriffen zuordnet, muss man Gott zu einem bestimmten kategorialen Bereich zählen. Aber es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass Gott nicht dieser Stein, diese Farbe, diese Zahl, dieses Kunstwerk oder dieser Gedankeninhalt ist und dass man nicht über Gott aussagen kann, dass er einen Stein, eine Farbe, eine Zahl, ein Kunstwerk oder einen Gedankeninhalt darstellt. Gott ist also nicht dieses oder jenes, und er ist nicht auf diese oder jene Weise beschaffen. In diesem Sinne ist Gott prinzipiell unbegreiflich bzw. unfassbar (lat.: incomprehensibilis) und daher unaussprechlich (lat.: ineffabilis). Das haben die Konzilien der Kirche immer wieder festgelegt (vgl. Laterankonzil im Jahre 649 [DH 501], IV. Laterankonzil im Jahre 1215 [DH 800], I. Vatikanisches Konzil im Jahre 1870 [DH 3001]). Trotzdem muss man nicht annehmen, dass nur die totale Stille, die große Leere oder Erloschenheit (nir-vana, d.h. wo nichts weht) an Gottes Stelle übrig bleibt (vgl. Buddhismus [Nagarjuna], Nishida in Japan, Daoismus). Ebensowenig muss die Einsicht in die Begrenztheit der menschlichen Sprache in die extremste Form der sogenannten negativen Theologie münden, derzufolge man nur sagen kann, was Gott nicht ist. Ein Verneinen jeglicher Möglichkeit, auch in positiven Begriffen über Gott zu sprechen, führt nämlich zu einem Agnostizismus, in welchem man nicht mehr behaupten kann, dass Gott gut sei und dass er sich offenbart habe. Wenn es nur negative Aussagen über Gott gibt, kann man nur behaupten, dass es Gott nicht gibt, sodass dies eine Art Atheismus zur Folge hat. Eine solche »negative Theologie« zieht außerdem nach sich, dass man jede übernatürliche Offenbarung Gottes als unmöglich betrachten muss, weil man nicht begreifen kann, was über Gott gesagt wird. Die extreme Form der negativen Theologie ist deshalb in christlichen Kreisen nie konsequent durchgeführt worden. Aber man hat mit einem gewissen Recht behaupten können, dass man von Gott nur eine »gelehrte Unwissenheit« (lat.: docta ignorantia; Nikolaus von Kues) haben kann.

Die Möglichkeit, über Gott zu sprechen

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Eine moderatere Form der negativen Theologie verneint nicht jede Möglichkeit, etwas Positives über Gott zu sagen. Aber sie betont Gottes Unendlichkeit und Transzendenz, was jede unvorsichtige Aussage über Gott problematisch macht (vgl. Neuplatoniker Proklos, Dionysios Areopagita?; muslimische Mutazila; Moses Maimonides u.a.). In den einseitigen und übertriebenen Aussagen bestimmter Mystiker sind die Ansichten der negativen Theologie aber fast zu stark hervorgehoben worden. Sie betonten die Unfähigkeit des Menschen, positive inhaltliche und begriffliche Erkenntnisse von Gott zu haben, und behaupteten gleichzeitig, dass der Mensch sich nur im unaussprechlichen Dunkel der mystischen, intuitiven Erfahrungen mit Gott vereinen kann (mittelalterliche Mystiker: Meister Eckhart u.a.). In neueren Richtungen protestantischer Theologie hat man jeden Versuch, positiv über Gott zu sprechen, als eine Folge des »sündigen« Strebens des Menschen, Gott zu verdinglichen bzw. zu objektivieren und damit beherrschen zu können, sehen wollen. Deshalb forderte man eine »kritische Negation« aller positiven Aussagen über Gott (Dialektische Theologie: Barth). Eine Form der negativen Theologie liegt auch vor, wenn man meint, dass der Mensch sich immer auf dem Weg der Negation dem letztendlich unbegreiflichen Gott nähern muss (griech.: aphairesis; lat.: via negationis). Gott ist nämlich über alle begrifflichen Bestimmungen der menschlichen Sinnenwelt erhaben. Diese beinhalten stets eine bestimmte Begrenzt- oder Unvollkommenheit. Verneint man hingegen etwas, was begrenzt oder unvollkommen ist, liegt eine Negation von etwas vor, was bereits eine Negation enthält, sodass letztendlich etwas Positives ausgesagt wird. Wenn es Gott gibt, existiert er nicht auf eine begrenzte Weise, wie ich oder andere Wesen und konkrete Dinge, und wenn Gott eine Person ist, so ist er nicht auf unvollkommene Weise eine Person, wie ich selbst oder andere in meiner Umgebung. In diesem Fall gilt, dass man von Gott eher wissen kann, was er nicht ist, als was er ist, und dass wir nie wissen können, was er tatsächlich ist (Augustinus, Thomas von Aquin). Es wäre aber widersprüchlich, jegliche Möglichkeit zu verneinen, Gott zu benennen oder in einem gewissen Rahmen zu verstehen. In einem solchen Fall würde man ihm den Namen »der Unbenennbare« geben und ihn als den verstehen, der nicht verstanden werden kann. 4.3

Die indirekte Möglichkeit, über Gott zu sprechen

Will man die Tendenz der negativen Theologie zum Agnostizismus und gar zum Atheismus vermeiden, muss man nicht von ihrem genauen Gegenteil ausgehen. Einer solchen, extrem bejahenden theologischen Auffassung gemäß gibt

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es Gott in allem und daher können wir ihn in allem »finden«. Man meint, Gott könne mit ebenso vielen »Namen«, wie es Dinge in der Sinnenwelt gibt, beschrieben werden. Bestimmten Formen dieses Pantheismus (aus dem Griech.: pan = alles, theos = Gott) zufolge ist Gott identisch mit der Wirklichkeit und die ganze Wirklichkeit mit Gott, sodass alle einzelnen Dinge Gott sind und Gott, so könnte man sagen, jedes einzelne Ding ist, beispielsweise diese Farbe, dieser Stein, dieses Tier, dieser Mensch usw. Aber die Ansicht, dass Gott mit dem Universum oder mit der Natur identisch sein soll (Giordano Bruno, Spinoza u.a.), führt letztendlich zu einer Form von Atheismus. Man kann nämlich in diesem Fall darauf verzichten, von Gott zu sprechen, und nur von der sinnlich und begrifflich fassbaren Sinnenwelt in ihrer Ganzheit reden. Die Theologie kann durch die Forschungen der Wissenschaft ersetzt werden, und das Gebet zu Gott durch die Naturverehrung. Dann aber wird es schwierig zu erklären, wie es in dieser Welt, die Gott ist, Mängel und sogar das Böse geben kann. Wenn man diese extrem positive Theologie nicht akzeptieren will, kann man versuchen, die positiven Aussagen über Gott dadurch zu retten, dass man sie als eine besondere symbolische Form der Sprache des Menschen auffasst. Die Ansicht kann dadurch bekräftigt werden, dass man in allen Religionen Symbole und Mythen verwendet, um die religiösen Dimensionen auszudrücken. Besonders in der jüngsten Zeit hat man gezeigt, dass die symbolische Art und Weise zu sprechen nicht nur auf der religiösen Ebene eine große Bedeutung hat. Vielmehr wird der Mensch dazu angehalten, Mythen und Symbole zu nutzen, sobald er versucht, seinen tiefsten persönlichen Erfahrungen Ausdruck zu verleihen. Für diese hat der Mensch nämlich keine adäquaten Begriffe und kann sich daher keinen begrifflichen Überblick seiner Lebensauffassung in Bezug auf das Dasein verschaffen (Eliade, Pettazzoni, Lévy-Bruhl u.a.). Symbolisch-mythische Elemente scheint es in der ursprünglichen Ausstattung eines jeden Menschen zu geben, ob sie nun als Archetypen im kollektiven Unterbewusstsein des Menschengeschlechts gedeutet werden (Jung u.a.) oder als ein Aspekt im Wesen des Menschen als Person (Jaspers). Mythen und Symbole drücken natürlich nicht direkt etwas über Gott oder Götter aus. Stattdessen werden die Götter mit Hilfe von Bildern aus der an die Sinne gebundenen Wahrnehmungs- und Erfahrungssphäre geschildert, als ähnelten diese Götter Wesen der konkreten Welt. Die mythisch-symbolische Weise zu sprechen unterscheidet sich freilich von der Sprache, mit welcher wir natur- oder geisteswissenschaftliche Ergebnisse formulieren. Trotz alledem handelt es sich nicht bloß um eine Bildsprache, die höchstens eine emotionale oder ästhetische Funktion hat, in keinster Weise aber vernünftige Einsichten oder eine Art von Erkenntnis vermitteln kann (gegen die Sophisten, Aristoteles u.a.). Gleichzeitig muss man nicht fordern, dass es immer möglich wäre,

Die Möglichkeit, über Gott zu sprechen

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Mythen durch vernünftige Gedanken (griech.: logos) und Symbole durch Begriffe zu ersetzen (gegen Platon u.a.). Ohne den anschaulichen Charakter der Mythen und Symbole würde es den Erkenntnissen des Menschen von Gott – und mehr noch seiner persönlichen Beziehung zu Gott – an Flexibilität und ihrer tiefen Dimension mangeln, die zum religiösen Leben gehört. Viele moderne Forscher haben für sich geklärt, dass man manchmal nur mit Mythen und Symbolen etwas ausdrücken kann, wofür Begriffe fehlen. Das muss nicht bedeuten, dass man nur auf diese indirekte Weise über den unbegreiflichen Gott sprechen kann. Es bedeutet noch viel weniger, dass die metaphorische Bild- und Symbolsprache inhaltslos und deshalb für die intellektuelle Ebene nichtssagend wäre. Eine solche Sicht führt nämlich zum Agnostizismus, weil Mythen und Symbole, trotz ihres gefühlsmäßig stimulierenden oder ästhetisch zusagenden Einflusses auf die menschliche Psyche, nichts über Gott selbst aussagen können. Wie sehr auch Mythen und Symbole den Menschen in seiner emotionalen Sphäre erschüttern oder erheben, hat dies nicht die geringsten Konsequenzen für seine Erkenntnis von Gott. Es muss Gott nicht einmal geben, damit Mythen und Symbole die Psyche des Menschen beeinflussen können. Mythen und symbolische Ausdrücke benutzen jedoch solche bildliche Metaphern, deren übertragene und oft anschauliche Bedeutung nicht ohne Weiteres und niemals erschöpfend durch eine exakte begriffliche Bedeutung ersetzt werden kann (vgl. Ontologie 3.5). Dies gilt besonders, wenn man versucht, übersinnliche Abstrakta oder übernatürliche Sachverhalte zu veranschaulichen, indem man Gott z.B. »Fels« oder »Hirte« nennt, den Göttern Menschengestalt und einen Platz im Himmel gibt, oder sie als Handwerker arbeiten oder von einem bestimmten Zeitpunkt in der Urzeit an gegeneinander kämpfen lässt usw. In all diesen Fällen ist eine Interpretation nötig, die die versteckte Bedeutung in der buchstäblichen Aussage der Symbole oder Metaphern herausstellen kann (Hermeneutik, aus dem Griech.: hermeneuein = deuten; vgl. Erkenntnistheorie 13.3). Eine solche Deutung muss außerdem den sozialen, kulturellen und religiösen Zusammenhang beachten, in dem Mythen, Symbole oder Metaphern ursprünglich benutzt wurden, und den Zusammenhang, in den hinein übersetzt werden soll. 4.4

Die Interpretation der religiösen Symbolsprache

Sowohl die christliche als auch die jüdische und die muslimische Theologie haben es stets aufs Neue als ihre Aufgabe angesehen, das Gottesbild von mythischen und symbolischen Elementen zu befreien. Man trug Sorge dafür,

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Kapitel 4

alle solchen anthropomorphen Ausdrücke (aus dem Griech.: anthropos = Mensch; morphe = Gestalt) der religiösen Sprache zu entfernen oder umzudeuten, die Gott auf störende Weise in den religiösen Schriften zugeschrieben wurden. Dies zog es nach sich, zu verneinen (lat.: via negationis), dass Gott z.B. ein Mann bzw. ein König ist, dass er wütend bzw. froh ist, dass er Arme hat und dass er sitzt, aber auch, dass er sieht und hört usw. All das beinhaltet nämlich eine Begrenzung Gottes. Der, der ein Mann ist, ist keine Frau. Der, der etwas sieht, hat etwas vor sich, was nicht er selbst ist. Der, der wütend ist, ist nicht gleichzeitig ruhig usw. Eine jede solche anschauliche oder begriffliche Bestimmung Gottes hat eine entsprechende Einschränkung oder Begrenzung zur Folge. Wenn Gott aber allumfassend und unendlich sein soll, kann es nichts von derselben Macht wie Gott »an der Seite von«10 Gott geben, weil Gott dadurch begrenzt und zu etwas Endlichem würde. Es ist ein tieferes Verständnis der Namen und Begriffe, die für Gott verwendet werden, erforderlich, wenn man wirklich mit der religiösen Sprache etwas Positives über Gott aussagen möchte. Solche Namen und Begriffe, die etwas Positives über Gott sagen, dürfen nämlich nicht bloß als ästhetisch gefällige Allegorien und Bilder angesehen werden (gegen bestimmte muslimische und jüdische Theologen). Sie sind nicht nur bedeutungsvolle »Analogien«, welche nichts über Gott selbst aussagen (gegen Kant). Sie sind auch nicht nur emotional stimulierende Ausdrücke (gegen mehrere vom Kantianismus beeinflusste protestantische Theologen: Schleiermacher, Ritschl, Sabatier; gegen Anhänger des Modernismus in der katholischen Theologie). Die Gefühle des Menschen werden zwar stark von Begriffen wie »Vater«, »König«, »Zorn«, »sehen«, »sprechen« usw. beeinflusst, die einen bildlichen Charakter haben und dennoch für Gott verwendet werden. Sie deuten nämlich an, wie ein einzelner Mensch die Beziehung zwischen seiner eigenen ganzen Wirklichkeit und Gott erlebt und begreift. Bei einem solchen reinen erfahrungs- und gefühlsmäßigen Verständnis aller religiösen Begriffe aber ist Gott der »ganz Andere«, von dem man eigentlich keine natürliche Erkenntnis hat. Es geht deshalb darum, einen Deutungsrahmen für die religiöse Sprache zu finden, damit Gott mehr als der gänzlich unbekannte Andere sein kann, von dem man nicht einmal weiß, ob es ihn gibt, ob er gut ist und ob er sich geoffenbart hat. Diese Deutung muss beinhalten, dass man auf eine Weise, aber nicht auf eine direkte Weise, über Gott sprechen kann, weil Gott nicht verdinglicht und somit zu einem Objekt der Sprache und des Denkens werden darf (neuere protestantische Theologen: Tillich, Pannenberg, Ramsey, Jüngel). 10 

»An der Seite von« (»vid sidan om«): im Schwedischen bewusst bildsprachliche Wendung anstelle von »neben«. Falls dies im Deutschen zu sprachlichen Härten führen würde, wird es im Folgenden als »neben« wiedergegeben. Anm. d. Hg.

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Man kann wohl mit Recht eine radikale Entmythologisierung des kosmozentrischen Welt- und Gottesbildes innerhalb der Theologie fordern. Man kann auch mit einem gewissen Recht eine anthropozentrisch bedeutungsvollere, existentielle Interpretation der biblischen Aussagen über Gott empfehlen, sodass diese die eigentliche, nicht-mythologische christliche Botschaft ausdrückt (Bultmann, Existenztheologie). Religiöse Mythen und Symbole sagen nämlich immer etwas über das existentielle Wesen des Menschen, drücken dies aber vor dem Hintergrund einer speziellen mythischen Sicht auf das Dasein aus, welche in der Gegenwart überholt ist. Dass Gott ein König im Himmel ist, kann als eine Aussage darüber gedeutet werden, dass das Dasein des Menschen kein gänzlich unabhängiges und autonomes ist, sondern dass er sich als von einer größeren Macht abhängig und ihr unterworfen erfährt, die über ihm steht und ihn umfasst. Dass Gott zornig ist, kann bedeuten, dass der Übergriff des Menschen auf die Ordnung des Daseins letztendlich eine drohende Gefahr und eine Unsicherheit für ihn selbst nach sich zieht. Dass Gott spricht, kann leicht so aufgefasst werden, dass der Mensch von etwas, das größer als er ist, so berührt wird, dass er davon herausgefordert wird. Wenn man auf diese persönlich-existenzielle Weise über Gott spricht, sofern es ihn nun gibt, so verändert sich das Verständnis davon, wer Gott eigentlich ist, weil man nicht länger dieselben verdinglichenden und objektivierenden Ausdrucksweisen benutzt, wie wenn man z.B. über Pferde, Elektronen, Primzahlen oder den Urknall redet. Dennoch könnte eine solche Deutung von Texten unzureichend sein, wenn man meint, dass alle Aussagen über Gott von nichts Anderem als der existenziellen Situation des Menschen in der Welt handeln. Selbst wenn man in diesem Fall vom Menschen als sprachlichem Subjekt oder von der Welt ausgeht, spricht man dennoch über eine Beziehung, in welcher jemand oder etwas Anderes, der oder das mit Gott gleichgestellt werden kann, als logisches Subjekt auftritt. Eine passendere Sicht auf die mythisch-symbolische Sprache bietet die Lehre von der Proportionalitätsanalogie in Zusammenhang mit der sprachlichen Verwendung von metaphorischen Ausdrücken (vgl. Ontologie 3.5). Wenn Gott »König des Himmels« genannt wird oder wenn man betont, dass er König und im Himmel ist, wird immer ein Verhältnis ausgedrückt. Wie sich ein König zu seinem Königreich verhält, so verhält sich Gott zum Universum, und wie der Himmel über die Erde erhaben ist, so ist Gott über alles erhaben. Auf diese Weise wird etwas Negatives gesagt, nämlich dass Gott kein König im gewöhnlichen Sinne ist und dass es ihn an keinem Platz oberhalb der Erde gibt (lat.: via negationis). Zugleich wird mittels eines Vergleichs mit etwas Anderem, das uns wohlbekannt ist, etwas über Gott bejaht (lat.: via affirmationis). Ein solcher Vergleich hat keine direkte Erkenntnis darüber zur Folge, wer oder was Gott eigentlich ist. Dennoch kann eine Vielfalt von Bildern und Mythen

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zumindest ein bestimmtes Verständnis von Gottes Beziehung zum Dasein des Menschen geben. Dieses Verständnis von Metaphern wird außerdem bestätigt, wenn Gott als Schöpfer von allem akzeptiert wird. Die Welt kann nämlich als Gottes Schöpfung ihm gegenüber nicht ganz fremdartig sein. Mit all ihren vielfältigen Elementen muss sie ihren Schöpfer auf bestimmte Weise widerspiegeln und damit offenbaren. 4.5

Die analoge Weise, über Gott zu sprechen

Ohne jede Möglichkeit, etwas Positives von Gott sagen zu können, wird die Gott-Rede des Menschen entweder nur seine Erfahrungen und Gefühle berühren oder höchstens von metaphorischem Charakter sein. Weder die rein verneinende noch die metaphorische Ausdrucksweise sind ausreichend, wenn man ernsthaft darauf abzielt, beispielsweise zu behaupten, dass es Gott gibt, dass er gut ist und dass er sich geoffenbart hat. Man könnte nicht einmal mit Metaphern über Gott sprechen, wenn die konkreten Dinge der Welt oder zumindest die Menschen nicht auf irgendeine Weise Gott ähneln würden. Eine metaphysische Proportionalitätsanalogie zwischen Gott und dem Geschaffenen setzt nämlich immer eine Art Vergleichbarkeit aufgrund eines gemeinsamen »dritten Elements im Vergleich« (lat.: tertium comparationis; vgl. Ontologie 3.5) voraus. Wenn Worte wie »existiert« bzw. »gut«, die eine bestimmte Bedeutung haben, wenn sie einem konkreten Menschen als Prädikat zugeordnet werden, totale Nicht-Existenz bzw. totale Nicht-Güte bedeuten würden, wenn sie auf Gott angewendet werden, so gibt es Gott ganz einfach nicht bzw. ist Gott in keinster Weise gut. Dennoch darf man nicht annehmen, dass Namen, die für Gott benutzt werden, und Begriffe, die ihm als Prädikat zugeordnet werden, die exakt gleiche Bedeutung oder einen ähnlichen Inhalt wie in anderen Zusammenhängen haben. Ohne eine solche Analogie kann Gott als der absolute All-Eine sich nicht den konkreten Dingen mit-teilen, sodass alles, was zur Vielfalt der Dinge gehört, auf seine eigene endliche Weise auch eines sein kann (vgl. Proklos). Eher müssen solche Ausdrücke wie »existiert«, »gut«, »eins« weit über ihre übliche Alltagsbedeutung hinausgehen, wenn Gott wirklich als derjenige, der über allen Namen steht, verstanden werden soll (griech.: hyperonymos; Dionysios Areopagita). Die semantische und ontologisch-metaphysisch relevantere Lehre von der inneren Attributionsanalogie kann das Verständnis der Möglichkeit des Menschen, positiv von Gott zu sprechen, vertiefen (vgl. Ontologie 3.5, Hochscholastik: Thomas von Aquin, Cajetan, Suárez u.a.). Diesbezüglich muss man davon ausgehen, dass der Gedanke an die Analogie zwischen

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unterschiedlichen Kategorieumgebungen dafür genutzt werden kann, ein entsprechendes Verhältnis, welches zwischen Gott und der »geschaffenen« Welt vorliegt, zu beleuchten. Das analoge Verhältnis, welches zwischen einer einzelnen Eigenschaft wie Klugheit und einem konkreten Ding wie Sokrates besteht (vgl. Ontologie 6), scheint auf eine ähnliche und doch sehr anders beschaffene Weise sogar für das Verhältnis aller einzelnen endlichen Wesen zu Gott als dem zuerst Existierenden zu gelten. So kann man von Sokrates sagen, dass es ihn gibt, und von seiner Klugheit, dass es sie gibt. Aber mit »geben« ist im ersten Fall eine primäre und selbständige Existenzweise gemeint und im zweiten eine sekundäre Form von Existenz, die vollständig von der Existenz eines konkreten Dinges abhängig ist. Auf ähnliche Weise kann man auch von Gott und den konkreten Dingen sagen, dass es sie gibt, aber auf gänzliche verschiedene Weise. Die Existenz der konkreten Dinge ist nämlich vollkommen abhängig von Gottes besonderer Existenz. Daher kann die Erfahrung unserer eigenen Existenzweise oder derjenigen anderer konkreter Dinge keine adäquate Einsicht darüber vermitteln, was mit Gottes »Existenz« gemeint ist. Von Gottes Existenz kann man bloß eine analoge und damit inadäquate Erkenntnis haben. Der Mensch kann nämlich nur von seiner eigenen Art zu existieren ausgehen und folgert daraus, dass es jemanden oder etwas als Grund der eigenen Existenz geben muss. Er kann jedoch keine adäquate Erkenntnis von Gottes Wesen haben, sei es, auf welche Weise Gott existiert, sei es, wer oder was Gott in sich selbst ist. Die Analogie des Seienden (lat.: analogia entis), d.h. besonders die innere Attributionsanalogie, ermöglicht es also, positiv von Gott zu sagen, dass er existiert. Man muss sich aber immer bewusst sein, dass es Gott auf eine gänzlich andere Weise als z.B. einen Menschen gibt. Je mehr man außerdem die Existenz des Menschen trotz seiner fundamentalen Selbständigkeit als eine völlig abhängige Existenzform verstehen kann, desto mehr kann man eine Ahnung davon bekommen, dass der Mensch auf Grundlage von etwas Anderem, das existieren muss, existiert, ohne dass man verstehen kann, auf welche Weise es existiert (vgl. katholische Theologen: Przywara, Söhngen, Balthasar, Rahner). Das ist der Grund dafür, dass auch eine metaphysische Proportionalitätsanalogie vorliegt. Gott verhält sich zu seiner absoluten Weise zu sein, wie der Mensch sich zu seiner von Gott absolut abhängigen Weise zu existieren verhält. In dem Maße, in dem Gott existiert, muss er nämlich mit sich selbst identisch, d.h. eine absolute Einheit sein. In demselben Maße ist Gott intelligibel und daher gänzlich wahr sowie erstrebenswert und somit, alles zusammengenommen, gut usw. (vgl. Ontologie 5.4–8). Jegliche Rede von Gott muss von einer solchen positiven Beschaffenheit ausgehen, welche auch Gott zugeschrieben werden kann, z.B.: »Gott ist gut«

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(lat.: via affirmationis). Gleichzeitig muss aber etwas verneint werden, nämlich dass Gott gut ist, wenn auch nicht auf dieselbe Weise wie »Ein Mensch ist gut« (lat.: via negationis). Schließlich muss das Positive auf eine für uns nahezu unbeschreibliche Weise überboten werden, d.h. Gott ist gut in einem Sinne, der alle bekannten Grade von Güte überschreitet (transzendiert) und der daher nicht direkt für die Menschen verständlich ist (lat.: via eminentiae). Auf entsprechende Weise können sogar solche positiven Begriffe Gott als Prädikate zugeordnet werden, die in ihrer eigentlichen Bedeutung keine Begrenzung beinhalten, wohl aber, wenn sie auf ein konkretes Ding angewendet werden, z.B. »lebt«, »weiß«, »will«, »handelt« u.a. In einem solchen Fall ist es wichtig, sich bewusst zu sein, dass Gottes Leben, Wissen, Wollen und Handeln von einem gänzlich anderen Charakter als das uns bekannte biologische Leben und das menschliche Wissen, Wollen und Handeln sind. Die Möglichkeit, auf eine analoge Weise über Gott zu sprechen, verhindert zwei problematische Konsequenzen, die sonst unmittelbar für jede Religion und jeden Gottesglauben entstünden. Dadurch dass die Attributionsanalogie bei verschiedenen Verwendungen einer positiven Beschaffenheit eine gewisse Übereinstimmung nach sich zieht, wird verhindert, dass man von einem unüberbrückbaren Graben zwischen Gott und der Welt ausgeht, der jegliche Erkenntnis von Gott unmöglich macht (Agnostizismus, Kantianismus). Insofern die Attributionsanalogie zur Folge hat, dass jede Beschaffenheit, die Gott auf eine eminente und überwältigende Weise zugeschrieben wird, sich von der entsprechenden Beschaffenheit in der Welt unterscheidet, bedeutet dies, dass Gott nicht mit der ganzen Welt oder einem Teil davon identifiziert werden kann (Pantheismus, Panentheismus). Zwischen Gott und der Welt besteht stattdessen ein unendlicher, aber kein unüberbrückbarer Unterschied. Die prinzipiell analoge Weise von Gott zu sprechen hat zudem zur Folge, dass Gott nie ein adäquates Objekt für das begriffliche Denken des Menschen sein kann und dass man auf rationalistische Weise keine logischen Schlussfolgerungen aus dem Gottesbegriff ziehen kann (gegen Descartes, Spinoza u.a.). Trotz der Möglichkeit des Menschen, mit positiven Begriffen über Gott sprechen zu können, bleibt Gott aufgrund der analogen Redeweise letztendlich ein unbegreifliches »Mysterium«. Daher gilt, was bereits vom vierten Laterankonzil (1215) ausgedrückt wurde: »Denn zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so große Ähnlichkeit (lat.: similitudo) feststellen, dass zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit (lat.: dissimilitudo) festzustellen wäre« (De errore abbatis Ioachim [DH 806]).

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Der Gottesbegriff und Gottes Existenz Es muss sowohl die Frage der Funktion unterschiedlicher Gottesbilder für den Menschen als auch die Frage der Möglichkeit des Menschen, bedeutungsvoll über Gott sprechen zu können, deutlich von dem Problem unterschieden werden, ob es Gott wirklich gibt oder nicht. Die meisten Menschen scheinen nämlich eine bestimmte Art Gottesbild zu haben. Sie benutzen ferner bestimmte Bezeichnungen für Gott und äußern sich darüber, wie Gott beschaffen sei. Dadurch wird jedoch noch nicht gesagt, ob es etwas oder jemanden gibt, der einem solchen Gottesbild entspricht und über den man mit Recht auf diese Weise reden kann. Da die Gottesbilder des Menschen nicht nur unterschiedlich sind, sondern darüber hinaus oft unvereinbar miteinander, kann man sich fragen, ob es – unabhängig von den Vorstellungen und dem Denken des Menschen – überhaupt etwas oder jemanden geben kann, welcher all diesen Gottesbildern entspricht. Wenn nämlich ein jedes von diesen Gottesbildern Gott selbst entspräche, sollte deren Unvereinbarkeit miteinander zur Folge haben, dass es nicht einen Gott geben kann, sondern höchstens, dass es ebenso viele Götter wie unvereinbare Gottesbilder in der Menschheit gibt. Die Religionskritik ist oft von diesem Problem ausgegangen und hat die voreilige Schlussfolgerung gezogen, dass es Gott nicht gibt. Alle Gottesbilder wurden als bloße menschliche Gedankenkonstruktionen angesehen. Die Menschen scheinen sich nämlich einen Gott nach ihrem eigenen Bild und ihrem eigenen Gefallen zu schaffen. Es ist also eine ernsthafte Reflexion des eigenen – in der Regel recht subjektiven – Gottesbildes nötig, bevor man anfangen kann, die Frage zu stellen, ob es einen so beschaffenen Gott gibt oder nicht. Deshalb ist es wichtig, das eigene, oft erlernte und unreflektierte Gottesbild von belanglosen und fehlerhaften Zügen zu befreien, um dadurch einen plausibleren, vernunftgemäßeren Gottesbegriff zu erreichen. Das ist besonders wichtig bei jedem ernstzunehmenden Dialog zwischen einem Atheisten, der die Existenz Gottes verneint, und einem Theisten, der davon überzeugt ist, dass es Gott gibt. Beide müssen nämlich geklärt haben, dass sie wirklich über dasselbe sprechen und dass sie mit den Worten »ein Gott« »dasselbe Ding« meinen, bevor sie überhaupt anfangen können, die Frage zu diskutieren, ob es Gott gibt oder nicht.

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Kapitel 5

Das Gottesbild, die Gottesidee und die Existenz Gottes

Das Vorkommen eines Gottesbildes bzw. einer Gottesidee überall auf der Welt und während aller Zeiten haben manche Denker als einen hinreichenden Beweisgrund für Gottes Existenz angesehen (der sogenannte historische bzw. ethnologische Gottesbeweis, vgl. Cicero). Archäologischen und ethnologischen Ergebnissen zufolge hat die Menschheit überall auf der Welt spontan unterschiedliche Gottesbilder oder Gottesideen entwickelt. Diese können gewiss stark variieren, aber in ihren Grundzügen sind sie einander auffällig ähnlich. Das Vorkommen eines Gottesbildes bzw. einer Gottesidee während aller Zeiten und bei allen Völkern kann so gesehen werden, dass sich zeigt, dass es sich nicht nur um eine mehr oder weniger zufällige Kulturerscheinung handelt, sondern um etwas, das allgemein menschlich ist. Die Gottesidee scheint auf eine eher ursprüngliche Art und Weise in den Menschen eingeprägt zu sein, wie von einer höheren Macht (der sogenannte psychologische Gottesbeweis: bestimmte Gedanken Platons haben die Kirchenväter beeinflusst, andere die Philosophen der Romantik). Die variierende Ausformung des Gottesbildes bzw. der Gottesidee kann hingegen als eine Folge von kulturkreisbedingten Unterschieden erklärt werden. Nicht nur derjenige, der Gottes Existenz akzeptiert, sondern auch derjenige, der sie verneint, muss eine bestimmte Vorstellung oder Auffassung von Gott haben. Kein Atheist kann nämlich mit Recht Gottes Existenz oder die einer Gottheit verneinen, ohne dass er zumindest versteht, was er mit dem Wort »Gott« meint. Wenn ein solcher Atheist fortwährend beharrlich versucht, andere zu überzeugen, dass es Gott oder Götter nicht gibt, zeigt sein emotionales Engagement, dass ihn die Gottesproblematik in der Tiefe berührt. Daher muss er in seinen Überlegungen von einer Art Gottesidee ausgehen, selbst wenn er sie im Nachhinein als fehlerhaft, abwegig, gefährlich, bedrohlich oder menschenunwürdig beurteilt. Man kann zeigen, dass auch solche Religionssysteme, welche den Eindruck erwecken, ohne eine Gottesidee auszukommen (Buddhismus, die Lehre des Konfuzius), eigentlich nur eine allzu enge anthropomorphe oder intellektuelle Gottesauffassung ablehnen. Zu diesem Zweck aber müssten sie nicht jeden Gedanken daran, dass das Dasein von einer transzendenten Macht gesteuert und geordnet wird, die man »Gottheit« nennen könnte, ablehnen. Die allgemeinmenschliche Bedeutung der Gottesidee kann nur bestritten werden, wenn es wirklich psychisch gesunde, erwachsene Menschen gibt, die überhaupt nicht verstehen können, was mit Worten wie »Gott« oder »Gottheit« gemeint sei. Darüber hinaus dürften sie in keinster Weise von der Gottesproblematik berührt werden, besonders nicht

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von der Frage, ob es Gott gibt oder nicht. Sie dürften letztlich z.B. nicht den Unterschied verstehen können zwischen dem, was mit »total unabhängig bzw. autonom von etwas sein« und was mit »abhängig von einer absoluten und machtvollen Ordnung bzw. ihr unterworfen sein« gemeint ist. Den Bedeutungsunterschied zwischen diesen beiden Ausdrücken sehen zu können, hat noch nicht zur Folge, dass man auch die Existenz einer solchen Ordnung, von der der Mensch komplett abhängig ist, einräumt. Das Vorkommen eines Gottesbildes bzw. einer Gottesidee im Bewusstsein des Menschen muss nicht bedeuten, dass es Gott gibt. Ein solches Faktum kann nämlich auch als eine Folge einer rein psychologischen oder anthropologischen Notwendigkeit erklärt werden. Das Bewusstsein des Menschen mag als eine ausreichende Grundlage für das Aufkommen einer allgemeinmenschlichen Gottesidee erscheinen. Auf ähnliche Weise entwickeln alle Menschen Vorstellungen über dreidimensionale Räume, ohne dass diese zu der Annahme berechtigten, dass es einen objektiven dreidimensionalen Raum unabhängig vom Menschen gebe. Der allgemeinmenschliche Charakter der Gottesidee kann nämlich damit erklärt werden, dass er apriorisch oder notwendigerweise gegeben ist, z.B. wie eine »regulative transzendentale Idee« in der reinen Vernunft ohne jede objektive Wirklichkeitsgrundlage (Kant) oder wie eine reine Gedankenkonstruktion aufgrund bestimmter allgemeinmenschlicher psychischer oder sozialer Bedürfnisse (Feuerbach). Gottes Existenz kann auch nicht aus der Gottesidee hergeleitet werden, indem man auf den Nutzen verweist, der aus der Annahme der Existenz eines solchen Gottes folgt (utilitaristischer Gottesbeweis: gegen James). Zwar kann es von hohem Wert für die Menschheit sein, wenn man von Gottes Existenz ausgeht. Man kann aber Gottes Existenz nicht nur deswegen postulieren, weil es ohne Gott keine Moral geben könnte, da alles erlaubt wäre (gegen Dostojewski). Man kann auch nicht argumentieren, dass Gott erfunden werden sollte, wenn es ihn nicht gäbe, weil die Menschheit ohne Gott jeglicher Ordnung entbehren und ein großes Chaos entstehen würde (gegen Voltaire). Das Verneinen von Gottes Existenz darf nämlich nicht dazu führen, dass menschenunwürdige und destruktive Religionssurrogate entstehen, selbst wenn dies häufig geschehen ist, z.B. im Marxismus und im Nationalsozialismus. Das Akzeptieren von Gottes Existenz führt seinerseits nicht notwendig zu einer moralischeren Haltung und einer größeren Harmonie als bei dem, was im Zuge eines religionskritischen, aber wahren Humanismus entstehen kann. Solche rein utilitaristischen Auffassungen genügen also nicht als Beweisgrund für Gottes Existenz. Sie gehen nämlich von einem seltsamen Gottesbild aus, demgemäß Gott hauptsächlich ein nützliches Mittel für ein

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erstrebenswertes Ziel ist. Man akzeptiert in diesem Fall eigentlich nur den Nutzen der Gottesidee für die Menschheit, ohne dass man deshalb bereit ist, von Gott selbst auszugehen. Ebenso ist es kaum korrekt, für Gottes Existenz mit der sogenannten Pascalschen Wette zu argumentieren (gegen Pascal), die nur eine Variante des utilitaristischen Gottesbeweises ist. Bei einer Wette ist derjenige, der auf Gottes Existenz setzt, zwar dem Anderen, der auf Gottes Nicht-Existenz wettet, überlegen, da letzterer alles verliert, wenn es Gott wirklich gibt. Gibt es Gott hingegen nicht, endet das Leben für beide mit dem Tod und der Ausgang ist der gleiche. Aber die Chancen wären in dem Fall umgekehrt, in welchem die Welt von einem Monster gesteuert wird, welches nach dem Tod all diejenigen bestraft, die auf Gott gesetzt haben, weil die Wette in diesem Fall zum Vorteil dessen gereicht, der Gott verneint (Hedenius). Wichtiger ist, dass hinter dem Argument ein Gottesbild steht, demgemäß Gott hauptsächlich eine unsichere Eventualität für den Menschen darstellt, und eine solche Auffassung kann niemals einen tragfähigen Grund für eine persönliche Beziehung zu Gott ausmachen. 5.2

Gottesbild und Gottesbegriff

Wenn es unabhängig vom Bewusstsein und Denken der Menschen etwas in Wirklichkeit geben würde, was einem bestimmten Gottesbild entspräche, folgt daraus noch nicht, dass es sich wirklich um Gott handelt. Aber es genügt auch nicht als ein Beweis gegen Gottes Existenz, wenn es das, was jemand mit dem Wort »Gott« meint, nicht gibt und nicht einmal geben kann. Zugleich kann das Gottesbild, welches aufgrund der persönlichen, sozialen und kulturellen Entwicklungsgeschichte von jemandem an den Ausdruck »Gott« bzw. »ein Gott« geknüpft ist, eine Argumentation für oder gegen Gottes Existenz ermöglichen. Identifiziert man beispielsweise Gott mit dem Universum, kann man leicht beweisen, dass es einen solchen Gott gibt, weil es das Universum gibt. Wenn jemandes Gottesbild hingegen einen logischen Widerspruch enthält, ist es leicht zu beweisen, dass es einen solchen Gott nicht gibt und nicht einmal geben kann. Die Aussage »Gott gibt es nicht; ich konnte ihn von meiner Raumkapsel aus nicht sehen« zeigt höchstens, dass der Kosmonaut Gagarin – wenn er wirklich meinte, was er sagte – sich offenbar Gott als ein materielles und sinnlich wahrnehmbares Wesen im Universum vorstellte. Um zu vermeiden, dass die Gottesproblematik von irreführenden Vorstellungen und Auffassungen aus untersucht wird, ist eine vorhergehende klärende Reflexion über das eigene Gottesbild nötig. Das ist sowohl für den,

Der Gottesbegriff und Gottes Existenz

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der Gottes Existenz akzeptiert, als auch für den, der sie verneint, wichtig. Das Gottesbild eines Menschen, das häufig während der Kindheit oder der Jugend ausgebildet oder erworben wird, kann dadurch von fehlerhaften Ansichten und begrifflichen Widersprüchen befreit werden. Das bedeutet nicht, dass das ursprüngliche Gottesbild, welches oft sowohl die psychischen als auch die sozialen Dimensionen eines Menschen berührt, in allen Zusammenhängen durch eine abstrakte metaphysische Gedankenkonstruktion ersetzt werden muss. Aber eine solche Reflexion ist wichtig, damit man eine bestimmte kritische Distanz zu den Anschauungs- und Emotionskomponenten des eigenen Gottesbildes gewinnen kann. Diese spiegeln nämlich zumeist die psychischen und emotionalen Bedürfnisse des einzelnen Menschen wider und drücken weniger sein existenzielles Interesse daran aus, wer Gott eigentlich ist, wenn es ihn denn gibt. Die vernünftige Reflexion über das eigene Gottesbild kann zum Ziel haben, all die Ungereimtheiten und Widersprüche, die Klarheit in Bezug auf Gott verhindern, zu beseitigen. Das muss nicht bedeuten, dass alle paradoxen Eigenschaften innerhalb des Gottesbildes oder des Gottesbegriffs entfernt werden müssen. Gott kann auch weiterhin als überall und dennoch nirgends anwesend, als trotz seiner Unveränderlichkeit lebend und handelnd, als alles überschreitend (transzendierend) und dennoch in allem seiend, als liebevoll und dennoch gerecht usw. aufgefasst werden. Sogar die neuere Naturwissenschaft sieht sich gezwungen, Elementarteilchen auf paradoxe Weise sowohl Wellen- als auch Teilcheneigenschaften zuzuschreiben, welche in einem deutlichen Gegensatz zueinander stehen. Niemand zieht daraus die Schlussfolgerung, dass es diese Partikel nicht gibt, sondern nur, dass der makrophysikalische Vorstellungs- und Begriffsapparat die mikrophysischen Eigenschaften der Elementarteilchen nicht adäquat wiedergeben kann. Was für unsere Auffassung von physischen Elementen gilt, muss in einem umso höheren Grad für unsere Auffassung von Gott gelten. Dennoch trifft man auf spezifische Probleme, wenn es darum geht, einen plausiblen und widerspruchsfreien Gottesbegriff auszubilden, sodass man sich danach die Frage vornehmen kann, ob es einen solchen Gott gibt oder nicht. Ein Gott kann nämlich, wenn es ihn (oder sie oder es) überhaupt gibt, nicht in einem eindeutigen Sinne mit etwas Anderem unter ein und demselben Begriff subsumiert werden. Gott bzw. ein Gott kann auch nicht mit Hilfe zweier oder mehr umfassender Begriffe charakterisiert werden. Weder ein Begriff aus dem Alltagsleben noch aus den sophistischsten metaphysischen Begriffsbildungen ist ausreichend, um eindeutig festzulegen, wer oder was Gott eigentlich ist, wenn es ihn nun gibt. Das hat weitreichende Konsequenzen, sobald jemand von einem Gottesbegriff ausgeht, um entweder zu beweisen, dass es einen

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solchen Gott gibt, oder, dass es ihn nicht gibt. Sobald man nämlich näher untersucht, wie ein Existenzbeweis für gewöhnlich beschaffen ist, zeigt sich, dass ein sogenannter Gottesbeweis auf eine eigene Weise durchgeführt werden muss. Etwas Ähnliches gilt in noch höherem Maße für jedes Argument, mit welchem man zu beweisen versucht, dass es Gott nicht gibt. 5.3

Das Verneinen von Gottes Existenz

Der eigentliche sogenannte theoretische Atheismus formuliert seine fundamentale Behauptung von Gottes Nicht-Existenz mit Sätzen wie »Es gibt keinen Gott oder Gottheit« bzw. »Gott gibt es nicht« oder, in der schwächeren Form, »Es ist nicht wahrscheinlich, dass es Gott oder einen Gott bzw. eine Gottheit gibt« (bestimmte griechische Sophisten: Lukrez, französische Aufklärungsphilosophen, die deutschen Materialisten des 19. Jahrhunderts, Marxismus, Nietzsche, bestimmte Existenzialisten u.a.). Dieser theoretische Atheismus unterscheidet sich von dem sogenannten Agnostizismus, welcher nur infrage stellt, ob der Mensch überhaupt eine Erkenntnis von Gott bzw. einem Gott erreichen kann, oder sogar ausdrücklich verneint, dass es eine solche Erkenntnismöglichkeit gibt. Damit ein theoretischer Atheist ernstgenommen werden kann, sollte er eigentlich hinreichende Gründe dafür vorlegen, dass es Gott nicht oder wahrscheinlich nicht gibt. Ein Agnostiker hingegen sollte beweisen, dass der Mensch keine Erkenntnis von einer »göttlichen Dimension« zu haben vermag. Wenn ihm dies gelingt, kann er sogar die Behauptung anderer abweisen, dass sie eine Art Erkenntnis von Gottes Existenz und Wesen hätten. Im Gegensatz zu den Vertretern des theoretischen Atheismus, gegen welche man ernsthaft argumentieren kann, versucht ein sogenannter praktischer Atheist jede Diskussion zu vermeiden, weil er zwar theoretisch akzeptiert, dass es Gott gibt, er aber keine wie auch immer gearteten praktischen Konsequenzen aus dieser Überzeugung ziehen will (Indifferentismus). Es gibt sogar eine Form von praktiziertem Atheismus, bei dem sich jemand jeder ernstzunehmenden Stellungnahme in Bezug auf Gottes Existenz entzieht, indem er jeder Reflexion der Gottesproblematik ausweicht. Im Gegensatz sowohl zum theoretischen als auch zum praktischen Atheismus erklärt jemand, der »Ich weiß nicht, ob Gott existiert« äußert, nur seine Unwissenheit und muss keine Gründe für diese Behauptung vorlegen. In diesem Fall handelt es sich nicht um Atheismus im engeren Sinne, weil weder Gottes Existenz in der Theorie verneint wird, noch der Gottesfrage in der Praxis ausgewichen wird. Der theoretische und praktische Atheismus unterscheidet sich auch von dem

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sogenannten methodischen Atheismus innerhalb der modernen empirischen Natur- und Geisteswissenschaften. Dabei handelt es sich ebenfalls nicht um Atheismus im engeren Sinne, sondern um eine wissenschaftliche Vorgehensweise, welche in allen Untersuchungen und Erklärungen mit Recht von metaphysischen Aspekten und damit auch von Gottes Existenz absieht. Damit ein Verneinen von Gottes Existenz nicht gänzlich beliebig wird, muss es durch Argumente gestützt werden. Da es jedoch immer leichter zu beweisen ist, dass es etwas gibt, als, dass es etwas nicht gibt, ist es schwer zu beweisen, dass es Gott nicht gibt. Auf jeden Fall hat man nicht bewiesen, dass es Gott nicht gibt, wenn man nur darauf verweisen kann, dass man keinen Beweis für Gottes Existenz hätte. Nicht zu beweisen oder nicht beweisen zu können, dass es Gott gibt, ist nämlich nicht dasselbe wie zu beweisen, dass es Gott nicht gibt. Man kann auch keine rein empirische Methode anwenden, um zu beweisen, dass es keinen Gott gibt. Mit einer solchen Methode könnte man möglicherweise beweisen, dass es einen Hund in einer bestimmten Wohnung zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht gibt. Aber in einem solchen Fall muss man immer einen räumlich begrenzten Bereich und einen bestimmten begrenzten Zeitraum angeben, damit man mit Hilfe einer empirischen Untersuchung konstatieren kann, dass es das, was man sucht, an diesem Ort zu dieser Zeit nicht gibt. Weil man nicht das ganze Universum zu allen Zeiten untersuchen kann, ist es praktisch unmöglich zu beweisen, dass es z.B. keinen Stein gibt, der exakt fünf Tonnen wiegt, oder, dass es keine Einhörner gibt. Um zu beweisen, dass es solche Steine oder Tiere gibt, genügt es hingegen, dass man nur einen einzigen Stein von fünf Tonnen oder ein Einhorn findet. Nur auf Basis des naiven Gottesbildes, demzufolge Gott einen Platz im Raum hat, ist die Methode überhaupt anwendbar, um zu beweisen, dass es einen solchen Gott nicht gibt. Die empirische Methode ist hingegen nicht anwendbar, wenn man von der Auffassung ausgeht, dass Gott weder zeitgebunden ist, noch sich an einem Ort im Raum befindet. Wenn man systemgebundenere Methoden nutzen möchte, um zu beweisen, dass es keinen Gott gibt, muss man von bestimmten im Vorhinein akzeptierten erkenntnistheoretischen, anthropologischen, ontologischen oder metaphysischen Hypothesen ausgehen. Wenn es nämlich z.B. nur materielle Dinge gäbe (Materialismus) oder nur Vorstellungen (Phänomenalismus) oder nur mich selbst (Solipsismus), könnte es keinen immateriellen, objektiv existierenden Gott geben, welcher sich von mir unterscheidet. Aber die Sicherheit, mit der die Nicht-Existenz eines solchen Gottes bewiesen werden kann, ist nicht größer als die Sicherheit der eigenen »metaphysischen« Annahmen der jeweiligen Systeme, welche nicht bewiesen werden können und häufig sogar widerlegt werden.

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Einer dieser systemgebundenen Versuche, Gottes Nicht-Existenz zu beweisen, geht von dem Prinzip »Ockhams Rasiermesser« aus, das erkenntnistheoretisch gerechtfertigt werden kann. Gemäß diesem Prinzip sollte man nicht von jemandes Existenz ausgehen, solange diese Annahme sich nicht als notwendig erwiesen hat, um bestimmte bekannte Fakten zu erklären. Man muss also nicht von der Existenz eines Gottes ausgehen, solange man alle Erscheinungen in der Welt ohne Gott erklären kann. Um jedoch wirklich zu beweisen, dass es keinen Gott gibt, muss das Prinzip eine schärfere und damit problematischere Form bekommen, nämlich, dass Gott nicht nötig ist, um alle Erscheinungen in der Welt zu erklären, und dass es somit Gott nicht gibt. Um beweisen zu können, dass es Gott nicht gibt, muss man also beweisen, dass die Welt bis ins winzigste Detail erklärt werden kann, ohne dass man von der Existenz eines Gottes ausgehen muss. Ein solches Unterfangen ist praktisch unmöglich durchzuführen, weil es den totalen Überblick über die gesamte Wirklichkeit und eine vollständige Kenntnis all der dahinterliegenden Gründe und Ursachen voraussetzt. Dies kann Veranlassung zu gänzlich subjektiven Beurteilungen von faktischen Sachverhalten geben. Um wirklich beweisen zu können, dass es keinen Gott gibt, kann man eigentlich nur die rational-logische Methode anwenden, welche eine Schlussfolgerung von der Unmöglichkeit bis zur Nicht-Existenz zulässt. Diese Methode setzt nämlich einen Gottesbegriff voraus und beweist, dass dieser Begriff entweder (1) im Widerspruch zu faktischen Sachverhalten steht oder (2) in sich selbst widersprüchlich ist. Im ersten Fall kann man der Ansicht sein, dass Gottes Güte dem Bösen in der Welt widerspricht (Theodizee-Problem, Voltaire, Hume, Hedenius) oder dass Gottes Allmacht der menschlichen Freiheit und persönlichen Entwicklung widerspricht (Feuerbach, Marx, Nietzsche, Sartre, Camus). Im zweiten Fall genügt es nicht, von den Gottesbildern der Menschen auszugehen. Denn selbst wenn die meisten oder sogar alle Gottesbilder der Menschheit widersprüchlich wären, kann man mit dieser Methode nur beweisen, dass es einen Gott, der diesen (faktischen) Gottesbildern entspricht, nicht gibt. Um erfolgreich beweisen zu können, dass es gar keinen Gott gibt, muss man nämlich beweisen, dass alle (möglichen) Gottesbegriffe notwendigerweise einen inneren Widerspruch beinhalten. Außerdem darf nicht übersehen werden, dass die Ausformung des Gottesbegriffs immer unzureichend und inadäquat sein muss, weil alle Begriffe nur in analoger Weise auf Gott angewendet werden können. Weil die Existenz von etwas nicht mit Recht verneint werden kann, ohne dass man weiß, worüber man spricht, muss selbst der theoretische Atheist ein Verständnis davon haben, was mit den Begriffen »Gott« oder »ein Gott« gemeint ist. Daher kann man für gewöhnlich einräumen, dass es den Gott,

Der Gottesbegriff und Gottes Existenz

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dessen Nicht-Existenz ein Atheist zu beweisen versucht, faktisch nicht gibt. Dies hängt aber davon ab, dass der Atheist von einem Gottesbild ausgeht, welches auch ein Theist als unsinnig oder widersprüchlich betrachten muss. Trotz seiner korrekten Beweisführung hat ein Atheist in einem solchen Fall also noch nicht bewiesen, dass es keinen Gott gibt. Um diesen Einwand zu umgehen, hat der theoretische Atheismus im weiteren Sinne etwas entwickelt, was man eher atheistische Religionskritik nennen könnte. Diese sieht nicht davon ab, Gottes Existenz von Anfang an zu verneinen, aber sie kritisiert jede bis dahin vertretene Konzeption von Gott als entweder bedeutungslos oder widersprüchlich. Alle sogenannten Gottesbeweise in der Geschichte werden beanstandet, weil in ihnen entweder dem Wort »Gott« eine klare Bedeutung fehlt oder der Gottesbegriff widersprüchlich ist. Man kann zwar kaum vollständige oder ausreichende Belege für eine solche Ansicht bringen. Diese Form der Religionskritik zwingt aber zu einer Reflexion der Naivität und Widersprüchlichkeit bestimmter Gottesbilder, obwohl viele von sich behaupten, überzeugt zu sein, dass es einen solchen Gott gibt (vgl. Vatikanum II, Gaudium et Spes § 19). 5.4

Der Gottesbegriff und der sogenannte ontologische Gottesbeweis

Offensichtlich ist es leichter, die Existenz von jemandem bzw. etwas zu beweisen als dessen Nicht-Existenz. Es ist aber auch nicht ganz einfach, aus wahren Prämissen stringent abzuleiten, dass es Gott gibt. Man scheint nämlich nur mit Hilfe der Empirie beweisen zu können, dass es etwas gibt. Dies kann aufgrund einer direkten Beobachtung, eines Erlebnisses oder einer Erfahrung erfolgen, oder auch aufgrund einer Ableitung aus Prämissen, welche ihrerseits mit Hilfe von direkten Beobachtungen, Erlebnissen oder Erfahrungen bestätigt werden. Der Grund für die Überzeugung, dass es jemanden oder etwas gibt, wird also von Wahrnehmungen, Erlebnissen und Erfahrungen gebildet (vgl. Erkenntnistheorie 10–12). Außerdem sind für gewöhnlich weitere Prämissen notwendig, um eine logisch stringente Schlussfolgerung ziehen zu können. Auf diese Weise scheint man jedoch kaum einen Gottesbeweis führen zu können, weil Gott kein konkretes Ding und deshalb auch kein Gegenstand einer empirischen Beobachtung oder eines Erlebnisses sein kann. Wenn man dennoch annimmt, dass eine komplizierte Ableitung aus empirischen Beobachtungen oder Erlebnissen zum Ziel führen könnte, muss die Erkenntnis von Gottes Existenz mindestens so unsicher sein wie überhaupt jede empirische Erkenntnis. Das Problem der empirischen Gotteserkenntnis könnte vermieden werden, wenn man Gottes Existenz beweisen könnte, ohne etwas Anderes als den

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Kapitel 5

Gottesbegriff vorauszusetzen (der sogenannte ontologische Gottesbeweis). Um jeglichen Zirkelschluss (lat.: circulus vitiosus) zu vermeiden, gilt es, einen Begriff zu bilden, welcher nicht bereits neben den anderen begrifflichen Komponenten die Existenz enthält. Beispielsweise könnte aus einem Begriff wie Schöpfer-des-existierenden-Universums rein analytisch folgen, dass es einen solchen Schöpfer des Universums gibt, und dies würde uns keine neue Erkenntnis über etwas vermitteln, was nicht bereits in dem Begriff vorausgesetzt war. Stattdessen muss ein solcher Begriff zu einer synthetischen Behauptung a priori führen, gemäß welcher das, was der Begriff prädiziert, existieren muss, ebenso wie aus dem Begriff Dreieck folgt, dass Dreiecke notwendig drei Seiten haben (vgl. Erkenntnistheorie 7.3–7). In der Philosophiegeschichte wurden mehrere Vorschläge für einen solchen Begriff gemacht, z.B. Etwas-das-so-beschaffen-ist-dass-über-es-hinaus-nichtsGrößeres- bzw. -nichts-Vollkommeneres-gedacht-werden-kann (lat.: aliquid quo nihil maius cogitari possit: Anselm von Canterbury) oder vollkommenerals-alles, mächtiger-als-alles (Descartes). Solche Fachwörter sind allgemeinbegrifflich und weil man sie ohne Probleme denken kann, hat ihr Begriffsinhalt zumindest eine Existenz im Denken, als Gedankenobjekt. Damit aber das Argument durchgeführt werden kann, müssen diese Begriffe außerdem den Anspruch erfüllen, keinen offenen oder verborgenen Widerspruch zu enthalten, weil man aus einem widersprüchlichen Begriff Beliebiges ableiten kann (Leibniz). Ein ontologisches Argument darf natürlich nicht auf beliebige Weise formuliert werden. Wenn man nämlich mit Hilfe des Prädikats »ist vollkommener« die bestimmte Beschreibung »das Vollkommenste« bildet, könnte dies Anlass zu der analytischen Behauptung geben: »Das Vollkommenste ist vollkommener als alles andere«, aus welcher mit Hilfe der PE-Regel11 (vgl. Ontologie 2.5–6) gefolgert werden kann: »Etwas ist vollkommener als alles andere«, bzw.: »Es gibt etwas, was vollkommener ist als alles andere«, und daraus: »Es gibt einen Gott«. Weil man bei Einzigkeitsaussagen implizit die Existenz dessen, wovon man spricht, voraussetzt (vgl. Erkenntnistheorie 9.5), darf eine Konstante wie »das Vollkommenste« im Standardsystem der Logik nur verwendet werden, wenn man im Vorhinein garantieren kann, dass es das, worauf die Beschreibung abzielt, wirklich gibt. Das ontologische Argument sollte hingegen auf folgende Weise gestaltet werden können: Wenn das, was man sich als das Vollkommenste denkt, nur im Denken existiert, aber nicht in Wirklichkeit, könnte man sich etwas noch Vollkommeneres denken, nämlich das, was zudem in Wirklichkeit existiert. Die 11 

PE-Regel: Partikularquantor-Einführung, Anm. d. Hg.

Der Gottesbegriff und Gottes Existenz

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bloße Existenz im Denken und das damit gegebene Fehlen wirklicher Existenz muss nämlich, im Vergleich zu einer Existenz sowohl im Denken als auch in der Wirklichkeit, als eine weniger vollkommene Existenzweise betrachtet werden. Zu dem Begriff Vollkommenstes-Wesen scheint also notwendig die Existenz zu gehören. Damit muss das, was der Begriff als Prädikat wahrheitsgemäß über die Wirklichkeit aussagt, existieren, und das, was durch einen solchen Begriff prädiziert wird, kann auch »ein Gott« genannt werden. Damit ist natürlich noch nicht bewiesen, dass es nur einen solchen Gott gibt, welcher vollkommener als alles Andere bzw. so beschaffen ist, dass man sich nichts Größeres denken kann (Scholz). Das Problem kann gelöst werden, wenn man beachtet, dass es keine zwei vollkommensten Wesen geben kann, weil diese sich in wenigstens einer Eigenschaft unterscheiden müssen, die dem einen zukommt und dem anderen fehlt. Aber das Wesen, welchem eine Eigenschaft fehlt, ist weniger vollkommen als das, welches die Eigenschaft hat. Gegen diesen ontologischen Gottesbeweis ist eingewandt worden, dass er den Ausdruck »existiert« so behandelt, als wäre er ein gewöhnliches Prädikat. Aber die Existenz darf nicht als eine gewöhnliche, begrifflich fassbare Eigenschaft oder Vollkommenheit betrachtet werden, die etwas zuzukommen scheint oder etwas zugeschrieben werden dürfte. Bei »Pferde existieren« bzw. »Götter gibt es« drücken nämlich »existieren« bzw. »gibt es« keine Eigenschaften oder Vollkommenheiten ähnlich gewöhnlicher Beschaffenheiten aus, die Pferden oder Göttern zukommen können. Überhaupt drückt »existieren« eine Eigenschaft aus, die dem Pferd- oder Gottesbegriff zukommen könnte, nämlich dass ein solcher Begriff mit Recht als Prädikat einem Ding zugeordnet werden kann (Frege u.a.). Ein solches Verständnis des Existenzausdrucks hat zur Folge, dass sich 100 wirklich existierende Taler rein begrifflich gesehen nicht von 100 nur gedachten Talern unterscheiden, sodass weder der abstrakte Begriff 100-Taler, noch irgendein Begriff überhaupt etwas über Existenz oder Nicht-Existenz aussagt (Kant). Diese Einwände haben zur Folge, dass sich der ursprüngliche ontologische Gottesbeweis nicht durchführen lässt. Trotz dieses berechtigten Einwands darf nicht übersehen werden, dass im konkreten Leben dennoch ein großer Unterschied vorliegt zwischen wirklichen und nur gedachten Talern. Man konnte sich nämlich zur Zeit Kants für 100 wirklich existierende Taler etwas kaufen, während man sich im anderen Fall nur denken konnte, sich etwas dafür zu kaufen. Obwohl der Ausdruck »existiert« sich deutlich von gewöhnlichen kategoriellen Prädikatausdrücken unterscheidet, kann man nicht verneinen, dass dieser nach weiteren Präzisierungen dennoch wie ein Prädikat funktioniert, z.B. in Einzigkeitsaussagen und in Zusammenhang mit den Existenzvoraussetzungen der Logik (vgl. Ontologie 2).

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Kapitel 5

Je mehr man der Ansicht zuneigt, dass das begriffliche Denken des Menschen mit der Struktur der Wirklichkeit übereinstimmt (Platonismus: Anselm von Canterbury, Bonaventura, Duns Scotus; Rationalismus: Descartes, Spinoza, Leibniz, Wolff), oder die Ordnung der Wirklichkeit auf eine Begriffsordnung (Idealismus: Hegel) oder auf Sprachstrukturen (Malcolm, Schüler von Wittgenstein) zurückführt, desto mehr ist man bereit, das ontologische Argument zu akzeptieren. Das Argument wird dagegen von solchen Denkern abgelehnt, denenzufolge die begriffliche Weise des Menschen, die Wirklichkeit zu verstehen (lat.: modus quo), sich beträchtlich von der Wirklichkeitsordnung selbst unterscheidet, d.h. von dem, was verstanden wird (lat.: id quod). Sie bestreiten nämlich, dass mit der widerspruchsfreien Denkmöglichkeit eines komplexen Begriffs die Existenz von etwas bewiesen werden kann (Anselms Zeitgenosse Gaunilo; kritische Realisten: Thomas von Aquin; Konzeptualisten: Ockham, Kant u.a.). 5.5

Der Gottesbegriff, Gottes Wesen und Gottes Existenz

Während des letzten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts wurde immer wieder versucht, das ontologische Argument mit Hilfe der Modallogik zu rekonstruieren. Man hat beweisen können: Wenn es möglich ist, dass etwas so beschaffen ist, dass nichts Vollkommeneres gedacht werden kann bzw. dass etwas alle positiven Eigenschaften besitzt, dann ist es notwendigerweise so, dass es auch in Wirklichkeit existiert. Das hat zur Folge, dass aus der möglichen Existenz eines vollkommensten Wesens modallogisch dessen notwendige Existenz folgt (Gödel, Hartshorne, Plantinga u.a.). Derjenige, der einräumt, dass es möglich ist, dass es Gott als Allervollkommensten gibt, muss auch einräumen, dass Gott mit Notwendigkeit existiert. Ein theoretischer Atheist kann daher seine Behauptung, dass es Gott nicht gibt, nur dann mit logischer Stringenz aufrechterhalten, wenn er oder sie beweisen kann, dass es unmöglich ist, dass es Gott gibt. Die neuere Argumentation bestätigt die frühere Ansicht, dass Gott nicht als das Größte und Allervollkommenste gedacht werden kann, ohne dass man Gott als notwendig existierend denkt. Es gehört zu Gottes besonderen Kennzeichen, dass er sich von allem Anderen unterscheidet, was kontingent ist, weil es alle solchen Dinge sowohl geben als auch nicht geben kann, und es sie daher nicht mit Notwendigkeit gibt. Allein durch das Denken der Begriffe Allergrößtes bzw. Allervollkommenstes hat man jedoch noch nicht bewiesen, dass sie widerspruchsfrei sind. Wenn sie nämlich widersprüchlich sein sollten,

Der Gottesbegriff und Gottes Existenz

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würden sie jegliche Existenzmöglichkeit und damit auch jede wirkliche Existenz ausschließen. Der Mensch kann zwar, indem er von wohlbekannten Dingen und Eigenschaften ausgeht (via affirmationis), und durch Verneinen (via negationis) und Steigerung (via eminentiae), eine bestimmte Ahnung vom Inhalt dieser Begriffe haben. Wenn aber der Mensch wirklich verstehen könnte, was es in sich selbst bedeutet, am vollkommensten zu sein, und wenn er den vollständigen Inhalt dieses Begriffs umfassend durchschauen könnte, so hätte er eine vollständige Erkenntnis von Gottes Wesen. Weil eine solche Möglichkeit in der christlichen Offenbarungstheologie abgewiesen wird, ist man in vielen Fällen dem eigentlichen ontologischen Argument gegenüber ziemlich skeptisch gewesen. Es ist vielleicht nicht möglich, mit dem ontologischen Argument rein logisch die Existenz eines einzigen Gottes zu beweisen. Es kann aber gezeigt werden, dass Gottes Wesen notwendig mit der Existenz verknüpft ist. Das bedeutet, dass jemand, der ein vollständiges Verständnis von Gottes Wesen gewinnt, unmittelbar verstehen muss, dass es Gott geben muss. Bei dem, worauf das Wort »Gott« abzielt, kann kein Unterschied zwischen Wesen und Existenz gemacht werden – ob es Gott gibt oder nicht –, weil es notwendigerweise zu Gottes Wesen gehört, dass es ihn gibt. Gottes Wesen ist es also zu sein, und dadurch unterscheidet sich Gott von allem, was nicht Gott ist. Weil es alles Andere sowohl geben als auch nicht geben kann, kann dessen Wesen gedacht werden, ohne dass man dadurch irgendeine Erkenntnis von dessen Existenz erhält. Gottes Existenz hingegen ist in und durch sein Wesen gegeben. Gottes Weise zu sein unterscheidet sich also auf radikale und für den Menschen unbegreifliche Weise von allen anderen Weisen zu sein (vgl. die Analogie des Seins; Ontologie 3.5). Während man von allem Anderen sagen kann, dass es seine Existenz hat, sollte man sagen, dass Gott seine Existenz ist oder das Sein selbst ist (lat.: ipsum esse). Dieses Verständnis von Gott findet seinen Ausdruck auch in der Formel »Gott ist das in sich selbst existierende Wesen« (lat.: esse subsistens, von subsistere = aufstehen, standhalten, vorhanden sein). Man hat auch Ausdrücke wie »höchstes Wesen« (lat.: summa essentia) oder »höchstes Seiendes« (lat.: summum ens) benutzt, um anzudeuten, dass Gottes Wesen im Gegensatz zum Wesen aller übrigen Dinge bereits Gottes Existenz enthält, weil Gott über allem steht, was es sicher gibt, aber auch über dem, was es nicht geben kann. Wenn man auf diese Weise die Bedeutung des Wortes »Gott« und damit sein Gottesbild präzisiert, hat man noch immer nicht bewiesen, dass es Gott wirklich gibt. Ein derart präzisierter Gottesbegriff könnte nämlich widersprüchlich sein und damit wäre ausgeschlossen, dass es einen solchen Gott gibt. Wenn aber dieser präzisierte Gottesbegriff widerspruchsfrei

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Kapitel 5

wäre, könnte dies dennoch bedeuten, dass die Frage »Gibt es einen Gott?« auf eine typisch menschliche Weise gestellt wird. Eine solche Frage ist aber im Grunde problematisch, weil sie einen Unterschied dazwischen macht, was Gott ist und ob es Gott gibt. Ein solcher Gott muss außerdem ein Einziger sein, weil etwas, dessen Wesen dasselbe ist wie zu sein, keine Vielfalt zulässt, sondern allumfassend sein muss. Sollte es zwei oder mehrere Götter geben, müssten sie sich in ihrem Wesen voneinander unterscheiden, sodass ihre Wesen nicht dasselbe sein könnten wie der Umstand, dass es sie gibt. Stattdessen müssen sie sich dadurch voneinander unterscheiden, dass es den einen auf eine Weise und den Anderen auf eine andere Weise gibt. Hat etwas als sein Wesen, notwendigerweise zu existieren, so schließt das aus, dass es etwas Anderes gibt, dessen Wesen auch darin besteht, notwendigerweise zu existieren. Wenn es einen Gott gibt, so muss Gott ein einziger sein. Es ist also nicht möglich, dass es »neben« oder »an der Seite von« oder »außerhalb« oder »unabhängig von« Gott etwas exakt Gleiches wie Gott geben kann, weil Gott auf diese Weise nicht länger der sein könnte, dessen Wesen darin besteht, dass er ist. In diesem Sinne muss der eine Gott allumfassend und unendlich und unbegrenzt in seinem Verhältnis zu allem Anderen sein.

Kapitel 6

Die Erkenntnis des Menschen von Gott Die Metaphysik hat alles, was ist (existiert, es gibt), zu ihrem Materialobjekt und betrachtet es unter den allgemeingültigsten Gesichtspunkten. Daher muss sie sogar die göttliche Dimension berücksichtigen und die Frage erörtern, ob es Gott als letzten Grund für alles Seiende gibt. Die Metaphysik ist mehr als nur eine kategoriale Ontologie, die bloß die besonderen Kennzeichen der unterschiedlichen Kategoriebereiche untersucht (gegen Nicolai Hartmann). Sie ist auch mehr als eine Ontologie, die nur alles, was es gibt, in Beziehung zum transzendenten Seienden als solchem setzt (gegen Heidegger?). In der eigentlichen Metaphysik ist eine bestimmte Erkenntnis jenes vollkommensten und absolut notwendigen »Seienden« nötig, das »Gott« genannt werden könnte. In diesem Fall wird die Metaphysik so weit ausgedehnt, dass sie sogar den Charakter einer natürlichen Theologie hat. Diese betrachtet alles, was es gibt, in dem Rahmen und Umfang, in dem es in Beziehung zu einem absoluten Grund steht oder von einem einheitlichen Prinzip abhängig ist, das alle übrigen begrenzten und kontingenten Seienden überschreitet (transzendiert). Das wichtigste Problem der natürlichen Theologie ist, inwieweit und mit welcher Sicherheit der Mensch eine Art Erkenntnis von Gottes Existenz erreichen kann. Bei dieser Frage geht es nicht um eine Art übernatürlicher Erkenntnis, welche dem christlichen Glauben zufolge dem Menschen durch Gottes besondere Gnade eingeflößt werden kann und die unerschütterliche Überzeugung nach sich zieht, dass es Gott gibt. Vielmehr handelt es sich um eine natürliche Erkenntnis, die mit Hilfe der Vernunft auf ähnliche Weise erreicht werden kann, wie man zu einer wissenschaftlichen bzw. philosophischen Erkenntnis kommen kann. Eine weitere Frage ist, wie und auf welche Weise der Mensch mit Hilfe der Vernunft über seine Erkenntnis von Gottes Existenz hinaus sogar eine bestimmte »analoge« Erkenntnis von Gottes »Wesen« gewinnen kann, d.h. auf welche Weise Gott dem endlichen Menschen erscheinen kann. Bei dieser Frage geht es darum, ob der Mensch eine Erkenntnis darüber gewinnen kann, wer oder was Gott eigentlich ist, sowie welche »Eigenschaften« und »Beziehungen« Gott »hat« und auf welche Weise Gott »handelt«. Auch in diesem Fall darf man nicht von der übernatürlichen Offenbarung ausgehen. Es geht vielmehr darum, mit Hilfe der Vernunft Klarheit darüber zu gewinnen, wie sich die Welt und der Mensch zu Gott verhalten, um dadurch ein Verständnis von Gott selbst zu erlangen.

72 6.1

Kapitel 6

Die Verneinung der Gotteserkenntnis des Menschen

Die Einsicht in die Schwierigkeiten der Gotteserkenntnis des Menschen führt leicht zu einem theologischen Agnostizismus, demzufolge der Mensch nichts von Gott wissen kann. Dieser Agnostizismus unterscheidet sich deutlich von der Ansicht eines theoretischen Atheisten, dass es keinen Gott gibt (vgl. Kap. 5.3). Der agnostische Standpunkt kann mit Hilfe der allgemeineren Behauptung ausgedrückt werden »Der Mensch kann überhaupt keine Erkenntnis von Gott haben« oder durch die speziellere Behauptung »Der Mensch kann nicht wissen, ob es einen Gott gibt oder nicht.« Ein radikal theologischer Agnostizismus verneint jegliche Erkenntnismöglichkeit in Bezug auf Gott, also nicht bloß jedes Wissen, sondern auch Ahnungen, mystisches Schauen, Glauben u.v.m. Ein moderater theologischer Agnostizismus behauptet nur, dass der Mensch mit seiner natürlichen Vernunft keine Erkenntnis von Gott bzw. der Existenz eines Gottes erlangen kann. Häufig tritt ein solch praktischer Agnostizismus nicht in Form einer ausdrücklichen Behauptung auf, sondern zeigt sich eher in einer gleichgültigen Haltung gegenüber der Gottesproblematik, weil »man ja auf jeden Fall nichts von Gott wissen kann«. Ein Agnostiker verneint also nicht ausdrücklich, dass es einen Gott gibt oder geben kann. Man sollte daher beim Agnostizismus nicht von einer Form des Atheismus sprechen. Dennoch hat der Agnostizismus eine gewisse Tendenz, zum theoretischen oder – noch häufiger – praktischen Atheismus zu werden. Von dem Urteil, dass man nicht wissen könne, ob es einen Gott gibt, gleitet man fast unmerklich in ein Urteil über, dass es keinen Gott gebe, und noch öfter nehmen Agnostiker die Haltung ein, als gebe es einen Gott nicht. Die agnostische Auffassung ist nicht dasselbe wie die innere Haltung bei jemandem, der seinen eigenen Mangel an Kenntnissen über Gott in der Behauptung »Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt« ausdrückt. Der Agnostizismus muss auch von der Haltung hinter der Behauptung »Ich weiß nicht, ob man irgendeine Erkenntnis von Gott haben kann« unterschieden werden. Eine solche Behauptung drückt nur die Unkenntnis in Bezug auf die Erkenntnismöglichkeiten des Menschen im Hinblick auf Gott aus. Der Sprecher hat keine eigene Auffassung, wie es sich eigentlich verhält, sondern spricht nur wahrheitsgemäß von sich selbst und seinem eigenen Kenntnisstand, ist möglicherweise aber gleichzeitig auch bereit, sich von einer verlässlichen Argumentation überzeugen zu lassen. Damit die Behauptung des theologischen Agnostizismus nicht gänzlich willkürlich ist, sollte ein Agnostiker seine Auffassung durch bestimmte Gründe untermauern. Er sollte z.B. behaupten können, dass der Mensch aufgrund seines begrenzten Erkenntnisvermögens prinzipiell zu keiner Erkenntnis

Die Erkenntnis des Menschen von Gott

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eines Gottes bzw. der Existenz eines Gottes kommen kann. Bei einer solchen philosophischen Argumentation muss man von einem breiteren erkenntnistheoretischen Agnostizismus ausgehen, demgemäß der Mensch bestimmte Erkenntnisformen nicht haben oder Erkenntnisse von bestimmten Objekten nicht erreichen kann. Dieser muss außerdem zeigen, dass der Mensch aufgrund dieser Begrenzungen keine Erkenntnis von einem Gott erreichen kann. Man kann auch von speziellen theologischen Überlegungen ausgehen, gemäß welchen der tiefe Graben bzw. der unendliche Abstand zwischen Gott und dem Menschen nicht mit Hilfe der natürlichen Vernunft des Menschen überbrückt werden kann. Der theologische Agnostizismus folgt natürlich unmittelbar aus einem erkenntnistheoretischen Skeptizismus, welcher verneint, dass der Mensch überhaupt irgendeine wahre Erkenntnis erreichen kann (Hume). Er folgt auch aus einem erkenntnistheoretischen Relativismus oder Subjektivismus, welcher die Möglichkeit des Menschen bestreitet, zu notwendigen und objektiven Erkenntnissen zu gelangen (Protagoras, Epikur; vgl. Erkenntnistheorie 3). Ein Verneinen jeglicher Gotteserkenntnis kann auch von einem partiellen erkenntnistheoretischen Agnostizismus ausgehen, demzufolge es für den Menschen unmöglich ist, andere als empirische und möglicherweise logisch-analytische Erkenntnisse zu erreichen (Empirismus, Sensualismus, Positivismus, Pragmatismus; vgl. Erkenntnistheorie 11–12). Schließlich ist ein solches Verneinen für gewöhnlich eine Folge der Ansicht, dass der Mensch nicht die Grenze der möglichen Wahrnehmungen überschreiten kann, sodass jegliche metaphysische Erkenntnis von der Wirklichkeit (das Ding an sich) und damit auch von Gott und Gottes Existenz unmöglich ist (Kant, Kantianismus). Überhaupt sollte der Mensch irgendeine Form von erfahrungsmäßiger »Erkenntnis« von Gott erreichen können, z.B. durch ein irrationales Gefühl, durch mystisches Schauen oder durch ein Glaubenserlebnis (Erlebnistheologie innerhalb des Protestantismus: Hamann, Schleiermacher, Ritschl, Sabatier; Lundsche12 Theologie: Nygren; Ontologismus [Gioberti, Rosmini] und der Modernismus innerhalb der katholischen Theologie). Da die transzendentale Methode zeigt, dass diese erkenntnistheoretischen Ansätze implizit widersprüchlich sind, kann der theologische Agnostizismus auch nicht von diesen ausgehen. Man kann, ohne erkenntnistheoretisch zu argumentieren, natürlich nur behaupten, dass es keine Erkenntnis von Gott gibt, weil Gott nicht intelligibel und damit für die natürliche Vernunft des Menschen gänzlich unzugänglich sei. Eine solche Behauptung muss aber als widersprüchlich angesehen werden, weil sie dennoch eine Form der 12 

Nach Universitätsstadt Lund (Schweden), Anm. d. Hg.

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Erkenntnis von Gott ausdrückt. Eine solche Behauptung verstößt außerdem gegen das ontologische Prinzip, dass alles, was es gibt, in dem Maße, in dem es es gibt, intelligibel sei (vgl. Ontologie 5.6). Als Gegengewicht zu einem solchen philosophischen Agnostizismus in Bezug auf Gott kann man schließlich auf die Möglichkeit der menschlichen Person verweisen, seine eigenen endlichen Grenzen zu überschreiten (transzendieren) (vgl. Anthropologie 15.5). 6.2

Die Möglichkeit der natürlichen Gotteserkenntnis

Obwohl die vom Neuplatonismus beeinflusste mystische Tradition von einer negativen Theologie ausgeht, verteidigt sie für gewöhnlich keinen theologisch motivierten Agnostizismus. Dies tut auch die katholische Tradition nicht, obgleich sie häufig Gottes Unaussprechlichkeit und Unbegreiflichkeit behauptet (vgl. Kap. 4.2). Die katholische Tradition will bloß den großen Unterschied zwischen der geschaffenen Welt und Gott als Schöpfer hervorheben und damit das Unvermögen der Menschen zu einer adäquaten Erkenntnis von Gottes Wesen betonen. Aber in dieser theologischen Tradition verneint man für gewöhnlich nicht, dass der Mensch mit seiner natürlichen Vernunft eine bestimmte, wenn auch eine durchgehend analoge, philosophische Erkenntnis von Gottes Existenz erlangen kann. Ein gewisser Agnostizismus kann nur bei solchen Richtungen innerhalb der neueren Mystik wahrgenommen werden, die vom orientalischen Mystizismus beeinflusst worden sind. Innerhalb der protestantischen Theologie dagegen tritt ein theologisch motivierter Agnostizismus deutlicher hervor, bei dem man den Gegensatz zwischen dem von der Sünde verdorbenen »natürlichen« und dem in Christus durch Gottes »Gnade allein« vom »Glauben allein« erlösten Menschen hervorgehoben hat (Luther, Calvin, frühe Dialektische Theologie). Um den tiefen Graben zwischen den Erkenntnissen der Naturwissenschaften und dem Offenbarungsglauben des Christentums überbrücken zu können, gingen mehrere katholische Theologen des 19. Jahrhunderts von ähnlichen Auffassungen in Bezug auf unsere natürlichen Erkenntnisse und unsere Gotteserkenntnisse aus. Sie versuchten, den Gottesglauben zu retten, indem sie die Erkenntnis von Gottes Existenz allein auf eine übernatürliche Uroffenbarung gründeten, welche weiter tradiert wurde und im Glauben entgegengenommen werden muss (Traditionalismus: de Maistre, de Bonald, de la Mennais; Fideismus: Bautain). Gegen den theologisch motivierten Agnostizismus kann eingewendet werden, dass dem Apostel Paulus zufolge gilt: »Das, was man von Gott wissen kann, können sie [die Menschen] ja selbst sehen; Gott hat es für sie

Die Erkenntnis des Menschen von Gott

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offensichtlich gemacht. Denn von der Schöpfung der Welt an konnten seine unsichtbaren Eigenschaften, seine ewige Macht und Göttlichkeit durch seine Werke verstanden werden und waren sichtbar«. Das Problem ist, dass »sie Erkenntnis von Gott hatten, aber ihn nicht geehrt oder ihm gedankt haben« (Röm 1,19–21). Lukas zufolge sagt Paulus in seiner Rede auf dem Areopag, dass Gott alles geordnet hat, sodass auch Heiden »Gott suchen können und sich vielleicht zu ihm vortasten können – er ist ja von keinem von uns weit entfernt. Denn in ihm ist es, dass wir leben, uns bewegen und wir sind« (Apg 17,27–28). Auf ähnliche Weise wird in den jüdischen Schriften von Salomos Weisheit erzählt: »Hoffnungslose Toren waren all die Menschen, die nichts von Gott wussten, die nicht vermochten, Kenntisse zu schöpfen aus dem Schönen, das sie von Ihm sagen, der ist, und die nicht den Künstler kennenlernten, indem sie auf sein Werk achteten … Denn aus der Größe und Schönheit des Geschaffenen tritt das Bild des Urhebers hervor in Gedanken« (Weish 13,1.5). Mit solchen biblischen Texten als Grundlage hat die katholische Theologie die Möglichkeiten der menschlichen Erkenntnis reflektiert und festgehalten, dass der Mensch mit seiner natürlichen Vernunft Erkenntnis von Gottes Existenz haben kann. Diese Auffassung hat immer zur katholischen Theologie gehört, auch wenn sie erst auf dem Ersten Vatikanischen Konzil im Jahre 1870 zum ersten Mal klar formuliert worden ist: dass man nämlich von »Gott, dem Anfang und Ziel aller Dinge, mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft sichere Erkenntnisse auf Grundlage der geschaffenen Dinge erlangen kann« (»Dei Filius« [DH 3004]; vgl. Pius X., Rundschreiben »Pascendi dominici gregis« gegen den Modernismus 1907 [DH 3475 ff.]). Diese Formulierung sagt zwar nicht ausdrücklich, auf welche Weise »sichere Erkenntnisse« von Gott erlangt werden können. Sie stellt aber fest, dass dies indirekt und vermittelt durch die natürliche Vernunft »auf Grundlage der geschaffenen Dinge« geschieht. Es muss nicht im Widerspruch zu der übernatürlichen Beschaffenheit des christlichen Gottesglaubens (engl.: faith) stehen, dass dessen Grund auch in der natürlichen Vernunfterkenntnis des Menschen liegt. Es entspricht dem Wesen des Menschen als bewusster und freier Person nämlich besser, wenn sein Vertrauen nicht gänzlich blind ist, sondern auf einer natürlichen Gotteserkenntnis beruht, die vor seiner Vernunft gerechtfertigt werden kann. Die endliche und sinnesgebundene Gotteserkenntnis des Menschen ist nämlich kein unvermitteltes und direktes Erleben von Gott. Man kann sich hingegen die Möglichkeit einer vermittelten und indirekten Gotteserkenntnis durch einen Beweis vorstellen. Man macht den Gottesglauben nicht weniger angreifbar, wenn man ihn in einen Bereich fern aller Vernunft »rettet«. Stattdessen

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Kapitel 6

geht es darum, die Vernunft richtig zu nutzen, wenn der »Gottesglaube« nicht letztendlich zu einer Folge rein psychischer oder sozialer Faktoren werden soll. Ohne vernünftige Gründe kann auch der wissenschaftliche Charakter der Theologie nicht verteidigt werden. 6.3

Die Struktur und Problematik eines Gottesbeweises

Um nicht die Möglichkeit jeglicher vernünftiger Argumentation für Gottes Existenz von Anfang an abzuweisen, ist es wichtig, die grundlegenden Voraussetzungen eines Gottesbeweises zu untersuchen. Jeder Beweis kann nämlich als eine geordnete Folge von Propositionen bzw. Aussagen angesehen werden, die entweder die wahren Prämissen des Beweises darstellen oder aus diesen Prämissen ausschließlich mit Hilfe logischer Regeln geschlossen werden können. Die Wahrheit der Prämissen muss ohne weiteren Beweis akzeptiert werden, weil jeder Versuch, deren Wahrheit mit Hilfe eines neuen Beweises zu bestätigen, sich wiederum auf neue unbewiesene oder nicht beweisbare Prämissen stützt (vgl. Erkenntnistheorie 2.6). Ebenso muss man sowohl für einen Gottesbeweis als auch für jeden anderen Beweis die Gültigkeit eines bestimmten Bestands logischer Regeln voraussetzen. Genau wie jeder Beweis in einen wahren Schlusssatz (Konklusion) mündet, so mündet ein Gottesbeweis schließlich in die Behauptung, dass es einen Gott bzw. Gott gibt. Dies wird als wahr akzeptiert, weil die Prämissen wahr und die logischen Regeln gültig sind. Die logischen Regeln sind in diesem Fall das geringere Problem. Selbst wenn es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, wie ein logisches Regelsystem aussehen kann und darf, herrscht dennoch eine bestimmte Einigkeit unter den modernen Logikern. Das eigentliche Problem stellen vielmehr die Prämissen des Beweises dar, d.h. die unbewiesenen Axiome und Prinzipien, deren Wahrheit akzeptiert werden muss, wenn die Wahrheit des Schlusssatzes aus ihnen abgeleitet werden soll. Weil die Wahrheit des Schlusssatzes logisch aus der Wahrheit der Prämissen folgt, muss man sich in Bezug auf jeden wirklichen Beweis, z.B. innerhalb der Mathematik, fragen, wie man wissen kann, dass dessen Prämissen wahr sind. Auf dieselbe Weise ist es für jeden Gottesbeweis entscheidend, wie die Wahrheit all seiner Prämissen bestätigt werden kann, ohne dass man sie wiederum beweisen muss. In einem solchen philosophischen Gottesbeweis ist es vor allem wichtig, dass die Wahrheit der Prämissen nicht mit Hilfe übernatürlicher Offenbarungen bestätigt werden darf. Selbstverständlich kann man ohne Schwierigkeiten eine logische Ableitung von Gottes Existenz konstruieren. Man muss in diesem Fall von der Wahrheit

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der Prämissen absehen. Stattdessen behandelt man sie nur als hypothetische Annahmen, aus welchen logisch folgt, dass es Gott gibt. Auf diese Weise könnte man ein hypothetisch-deduktives System für die natürliche Theologie gestalten. Die einzelnen Aussagen in einem solchen System wären zwar auf eine logische und möglicherweise widerspruchsfreie Weise miteinander verbunden, sie können aber nicht länger als wahr in sich selbst angesehen werden (vgl. Erkenntnistheorie 8.5–6 und 13.2). Innerhalb eines solchen logisch zusammenhängenden Systems kann man natürlich nicht beweisen, dass es Gott wirklich gibt, sondern nur, dass es Gott gibt, sofern die Prämissen wahr sind. In einem echten Gottesbeweis, bei welchem man darauf abzielt, die Wahrheit der Behauptung »Es gibt Gott bzw. einen Gott« zu beweisen, muss man hingegen von wahren und nicht nur hypothetisch angenommenen Prämissen ausgehen. Bei einer gewöhnlichen Beweisprozedur geht man nicht von einer beliebigen Aufstellung wahrer Prämissen aus und versucht auf gut Glück abzuleiten, welcher Schlusssatz aus ihnen folgt. Dasselbe gilt für einen Gottesbeweis, den man für gewöhnlich ausgehend von einer bestimmten, unbestätigten subjektiven Überzeugung, dass es Gott bzw. einen Gott gibt, unternimmt. Erst danach versucht man, die Überzeugung mit Hilfe eines Gottesbeweises zu bekräftigen, d.h. man ist bestrebt, Prämissen zu finden, deren Wahrheit überzeugender als der Schlusssatz ist, dass es Gott bzw. einen Gott gibt. Es ist dabei eine unentbehrliche Voraussetzung, dass man die Bedeutung der Begriffe versteht, welche in den Prämissen verwendet werden und dazu dienen können, uns zumindest ein analoges Verständnis davon zu vermitteln, wer Gott ist. Beim ontologischen Gottesbeweis versucht man zwar, Gottes Existenz apriorisch aus einem im Vorhinein gegebenen Begriff abzuleiten (vgl. Kap. 5.4). Aber eigentlich ist es nicht möglich, rein logisch-begrifflich zu beweisen, dass etwas wirklich existiert (Thomas von Aquin, Kant u.a.). Jeder Beweis einer Existenzbehauptung scheint darum eine Prämisse vorauszusetzen, die selbst eine Existenzbehauptung ist oder zumindest auf einer impliziten Existenzvoraussetzung beruht, die einer impliziten Existenzbehauptung entspricht. Als man z.B. in der Astronomie von der zuvor »bewiesenen« Existenz der Planeten Neptun und Uranus und insbesondere von dem Vorkommen, d.h. der Existenz, von bestimmten Abweichungen in ihren Bahnen ausging, konnte man dies als »Beweisgrundlage« für die Existenz einer unbekannten Gravitationsquelle auffassen, die man Planet X nannte. Aber erst nachdem man das Vorkommen, d.h. die Existenz, eines hellen Flecks am Himmel als hinreichenden Beweisgrund für die objektive Existenz eines bestimmten Planeten angesehen hatte, wurde dieser mit dem Planeten X identifiziert und bekam den Namen Pluto. Man kann nicht ausschließen, dass man auf dieselbe Weise eine Behauptung wie »Es gibt Gott bzw. einen Gott« beweisen kann, indem man von der Existenz

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Kapitel 6

von etwas Anderem ausgeht, d.h. man muss in einem Gottesbeweis immer von einer sogenannten Existenzprämisse ausgehen. Um die Existenz von etwas beweisen zu können, ist für die Prämissen auch ein allgemeingültiges Gesetz bzw. Prinzip nötig. Dieses besagt ungefähr: »Wenn es kein a gibt, sollte es auch kein b geben«, oder: »Es ist unmöglich, dass es b gibt, ohne dass es a gibt«. Abweichungen bei den Bahnen von Neptun und Uranus sollte es nicht geben, wenn es nicht etwas gäbe, was die Planeten beeinflusst. Die Sinneswahrnehmung eines hellen Flecks am Himmel sollte es nicht geben, wenn es nicht etwas gäbe, was diese hervorruft. Auf dieselbe Weise muss ein Gottesbeweis bei seinen Prämissen eine Gesetzes- oder Prinzipienprämisse beinhalten, die letztendlich besagt: »Wenn es keinen Gott gibt, sollte es dieses und jenes nicht geben (dessen Existenz von der Existenzprämisse des Beweises garantiert wird)«. Wenn man außerdem beweisen will, dass es nur einen Gott gibt, d.h. dass es Gott gibt, braucht man zudem eine dritte Prämisse, welche »Einzigkeitsprämisse« genannt werden kann. 6.4

Der Grundbegriff des Gottesbeweises

Ohne dass man eine klare Gottesauffassung vorauszusetzen braucht, müssen die Prämissen des Gottesbeweises mit Hilfe von Begriffen formuliert werden, die bereits zumindest implizit über sich selbst hinaus in Richtung eines Gottes zeigen. Etwas Ähnliches gilt z.B. in der Geometrie, welche von wahrnehmbar gegebenen vierkantigen Feldern oder Häusern ausgeht und mit Hilfe des abstrakten theoretischen Punkt- und Linienbegriffs definiert, was mit »Quadrat« gemeint ist. Also muss man darauf achten, dass ein Gottesbeweis nicht von Grundbegriffen ausgeht, welche auf zirkuläre Weise mit Hilfe des Wortes »ein Gott« definiert wurden. Man darf beispielsweise nicht mit Hilfe des Begriffs »schöpfen« im Sinne von »aus einem Nichts von einem Gott hervorgerufen« beweisen, dass es einen schöpferischen Gott gibt, weil alles, was es gibt, von ihm geschaffen worden sein muss. Stattdessen muss man Eigenschaften oder möglicherweise Beschaffenheiten finden, welche als Grundbegriffe verwendet werden können und welche, nachdem der Beweis durchgeführt worden ist, eine nähere Charakterisierung dessen ermöglichen, was mit dem Begriff »ein Gott« gemeint sein könnte. Als geeignete Gottesbegriffe in einem Gottesbeweis kann man eigentlich alle solchen begrifflich fassbaren Eigenschaften nutzen, deren Inhalte so beschaffen sind, dass sie in einem analogen Sinne über bestimmte kategoriale Grenzen hinausgehen können. Dafür sind die rote Farbe und die Tapferkeit weniger geeignet, weil nur materielle Körper als rot seiend angesehen werden

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können und nur lebende Wesen als tapfer. Als geeignete Grundbegriffe können hingegen besonders Transzendentalien funktionieren, weil alles, was es gibt, insoweit es es gibt, mit sich selbst identisch und einzig ist, intelligibel und wahr, erstrebenswert und gut (vgl. Ontologie 5). Die Bedeutung dieser transzendentalen Begriffe ist aus der persönlichen Erfahrung bekannt und ein Verständnis ihrer begrifflichen Bedeutung setzt keineswegs ein ausdrückliches vorhergehendes Verständnis dessen voraus, was ein Gott sei. Die Wahrheit der Existenzprämisse eines Gottesbeweises ist dadurch sichergestellt, dass wir direkt erfahren haben, dass es selbstidentische, intelligible und gute Geschöpfe gibt, weil wir selbst solche sind. Man muss nicht ausschließen, dass es auch andere positive Beschaffenheiten gibt, die als Grundbegriffe in einem Gottesbeweis dienen können. Die Bedeutung dieser Begriffe darf aber unter keinen Umständen eine solche Begrenzung oder Unvollkommenheit beinhalten, dass diese Ausdrücke ihre Bedeutung verlieren, wenn sie etwas »außerhalb« ihres eigenen Prädikationsbereichs als Prädikate zugeordnet werden. Es sind vielmehr solche begrifflichen Ausdrücke als Grundlage für die Existenzprämisse eines Gottesbeweises geeignet, welche sinnvoll auch über den eigenen Prädikationsbereich hinaus und damit möglicherweise auf analoge Weise (via affirmationis, via negationis) auf einen Gott angewendet werden können (vgl. Kap. 4.5). Es muss außerdem möglich sein, ihre Bedeutung derart auszuweiten, dass sie auch für etwas gänzlich Unbegrenztes und unendlich Vollkommenes als gültig angesehen werden können (via eminentiae). Nur solche positiven Beschaffenheiten sind also geeignete Grundbegriffe für einen Gottesbeweis, welche Gott oder einem Gott zugeschrieben werden können, wenn es ihn nun wirklich gibt. Aufgrund der Analogie geschieht dies zwar nur auf indirekte, aber dennoch sinnvolle und positive Weise. Die Bedeutung dieser Grundbegriffe muss nämlich auf eine für uns unbegreifliche Weise ausgeweitet werden können. Sie sollen uns eigentlich – bereits in ihrer uns bekannten begrenzten Anwendungsform – eine gewisse Ahnung von etwas Größerem geben, dessen Existenz mit Hilfe eines Gottesbeweises bestätigt werden kann. Wenn ausgehend von unterschiedlichen Gottesbegriffen die Existenz eines Gottes bewiesen werden könnte, ließe sich vermuten, dass es eine Vielfalt von sogenannten Gottesbeweisen gibt, von denen jeder auf seinem je eigenen besonderen Grundbegriff basiert. So sollte man beispielsweise den Begriff »ein Gott« benutzen und die Existenz von etwas absolut und unbegrenzt Gutem, was als Gott aufgefasst werden kann, ausgehend von der Existenz guter Dinge beweisen können. In einem solchen Fall muss man beachten, dass das absolut Gute in seiner Existenzweise aufgrund der Analogie die Existenzweise der endlichen und relativen guten Dinge weit überschreitet (transzendiert).

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Dessen ungeachtet sollte man mit einem solchen Gottesbeweis nicht nur zeigen können, dass es einen Gott gibt, sondern auch, wie das Wesen eines Gottes beschaffen sein muss, selbst wenn man nicht ganz verstanden hat, was es bedeutet, absolut gut zu sein. In einem solchen Gottesbeweis könnte man gleichzeitig Gottes Existenz und Wesen herausfinden, welche letztendlich identisch sein müssen (vgl. Kap. 5.5). Je mehr Gottesbeweise auf diese Art gestaltet werden, desto mehr kann das Verständnis, wer oder was Gott eigentlich ist, vertieft werden, sodass man zu einem reicheren Gottesbegriff kommt. Dennoch könnten all die verschiedenen Gottesbeweise nie eine erschöpfende Erkenntnis von Gottes Wesen vermitteln. Aufgrund der Analogie kann man nämlich nur erahnen, auf welche Weise Gott bzw. ein Gott alle positiven Eigenschaften überschreitet (transzendiert), die in der von uns erlebten Wirklichkeit im Rahmen einer endlichen und weniger vollkommenen Weise vorkommen. Außerdem darf Gottes Wesen nicht als aus einer Vielfalt von Beschaffenheiten zusammengesetzt gedacht werden, die Gott mit konkreten Dingen und Wesen gemeinsam hat. Dass eine Vielzahl analoger Begriffe in Zusammenhang mit den unterschiedlichen Gottesbeweisen verwendet werden kann, hat seinen Grund in der begrifflich-abstrahierenden Denkweise des Menschen. Selbst wenn er sich Gott aus einer Reihe unterschiedlicher begrifflicher Blickwinkel und Perspektiven nähert, bleibt Gott für ihn dennoch ein letztlich unbegreifliches Mysterium. Etwas Ähnliches gilt bereits in Bezug auf die Erkenntnis des Menschen von seinen Mitmenschen, weil man, trotz aller Erkenntnisse über den Anderen aus unterschiedlichen Blickwinkeln, den Anderen nie restlos verstehen kann. 6.5

Der unbewiesene Ausgangspunkt der Gottesbeweise

Der Wert der logischen Beweisführung darf nicht überschätzt werden. Durch eine rein logische Beweisführung kommt man nämlich zu keiner Erkenntnis, die nicht bereits zumindest implizit in den Prämissen des Beweises enthalten ist. Innerhalb eines wissenschaftlichen Systems kann nichts bewiesen werden, was nicht schon zumindest in unausgesprochener Weise in dessen Axiomen und Prinzipien vorliegt, deren Wahrheit letztendlich ohne Beweis akzeptiert werden muss. Daher müssten auch alle Prämissen eines Gottesbeweises zusammen zumindest implizit denselben erkenntnismäßigen Inhalt haben wie die Behauptung, dass es Gott gibt, damit diese Behauptung wirklich rein logisch aus ihnen folgen könnte. Eigentlich hat ein Gottesbeweis also keine andere Aufgabe, als etwas zu verdeutlichen und ausdrücklich zu bestätigen, was auf eine unklare und implizite Weise bereits im Denken und in der Überzeugung

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des Menschen vorliegt, wenn die Prämissen für einen Gottesbeweis formuliert werden und ihre Wahrheit bestätigt wird. Auf diese Weise wird weder ein Gottesbeweis noch ein anderer Beweis zu einem zirkulären Argument. Man muss nur aufpassen, dass keine der Prämissen des Gottesbeweises als wahr akzeptiert wird, die ihrerseits aus einer anderen Prämisse folgt, die bereits offen oder verdeckt besagt, dass es Gott gibt. Da die Wahrheit der Existenzprämisse bei einem Gottesbeweis für gewöhnlich ohne Beweis bestätigt werden kann, stellt dessen Prinzipienprämisse das eigentliche Problem dar. Diese trägt außerdem die eigentliche Beweislast, weil die Existenzprämisse in sich selbst nur die Existenz von etwas aus der Wahrnehmungs- und Erfahrungssphäre konstatiert, was für gewöhnlich nicht mit Gott identifiziert wird. Die Prinzipienprämisse muss nämlich bereits ein unausgesprochenes und mehr oder weniger intuitives Wissen von etwas viel Größerem als allem, was zur Wahrnehmungs- und Erfahrungssphäre gehört, beinhalten. Nur unter diesen Voraussetzungen kann man aus der Existenz von etwas, was auf Basis der äußeren Welt der Wahrnehmung oder der inneren Welt des Erlebens oder der Selbsterfahrung konstatiert wird, überhaupt Gottes Existenz ableiten. Obwohl die unterschiedlichen Gottesbeweise eine ähnliche logische Struktur haben, unterscheiden sich ihre Prinzipienprämissen erheblich voneinander, je nachdem welche erfahrbare Eigenschaft oder Beschaffenheit man als Grundbegriff des Gottesbeweises wählt. Für jeden Gottesbeweis gilt, dass man ohne Beweis intuitiv konstatiert, dass die für den Beweis relevante Prinzipienprämisse wahr ist. Zu solchen Prinzipienprämissen kann man beispielsweise zählen, dass es nichts Gutes gibt, wenn es nicht das absolut Gute gibt, oder dass es unmöglich ist, dass es etwas Endliches gibt, wenn es nicht etwas Unendliches gibt usw. Dass solche komplexen Prämissen wahr sind, kann nur mit persönlichen Erfahrungen und nach einer tiefgehenden Analyse, was mit den Begriffen »etwas Gutes« bzw. »endliches Wesen« usw. gemeint ist, behauptet werden. Eine solche Analyse kann schließlich in die klare Einsicht münden, dass etwas oder jemand die notwendige Voraussetzung (Möglichkeitsbedingung) oder der Grund für die Existenz von etwas in der endlichen Wirklichkeit ist, was mit unseren Sinnen erlebt oder in uns selbst erfahren werden kann. In dieser durch die persönliche Erfahrung und die tiefgreifende Analyse entstandenen Einsicht ist ein implizites Wissen von Gottes Existenz enthalten, welches danach in einem Gottesbeweis ausdrücklich formuliert werden kann. Ein echter Gottesbeweis muss viel mehr als nur eine Ableitung innerhalb eines hypothetisch-deduktiven Systems sein. Vielen Wissenschaftstheoretikern zufolge sind alle »Beweise« innerhalb gewöhnlicher

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Wissenschaften wie Mathematik, Geometrie oder Physik nichts Anderes als solche logisch-stringenten Ableitungen, weil die Wahrheit von Axiomen für gewöhnlich nicht innerhalb des Rahmens eines wissenschaftlichen Systems bestätigt werden kann. Bei einem Gottesbeweis aber muss man viel mehr zeigen, als dass dessen Prämissen zusammen keinen Widerspruch beinhalten (vgl. Erkenntnistheorie 13.2). Mittels eines solchen Widerspruchsfreiheitsbeweises allein hat man nämlich noch nicht bewiesen, dass es einen Gott gibt, sondern nur: dass es einen Gott gibt, wenn alle Prämissen des Gottesbeweises wahr sind. Dennoch hat ein Beweis für die Widerspruchsfreiheit in einem Gottesbeweis einen eigenen Wert. Dieser garantiert nämlich, dass es möglich ist, dass es einen solchen Gott gibt. Dann nämlich kann nur ein Faktum außerhalb des logischen Systems verwendet werden, um Gottes Existenz zu widerlegen. Wird außerdem das Ergebnis des ontologischen Gottesbeweises beachtet, gemäß welchem es notwendig ist, dass es einen Gott gibt, wenn seine Existenz möglich ist (vgl. Kap. 5.5), kann die Existenz von einem Gott nur verneint werden, wenn man beweisen kann, dass entweder die Prämissenmenge in jedem möglichen Gottesbeweis widersprüchlich ist oder dass ein Faktum außerhalb des Systems die Gültigkeit aller solcher »Gottesbeweise« widerlegt. Um mit Recht behaupten zu können, dass es keinen Gott gibt, genügt es hingegen nicht, nur zu behaupten, dass man nicht einsieht, dass die Prämissen der unterschiedlichen Gottesbeweise wahr sind. Wenn ein Gottesbeweis mehr als nur die rein hypothetische Ableitung der Existenz eines Gottes sein soll, muss man aufgrund eines objektiven Beweises behaupten können, dass die Prinzipienprämisse wahr ist (vgl. Erkenntnistheorie 5). Die Wahrheit einer solchen Prämisse einsehen zu können, setzt natürlich eine große Vertrautheit mit dem voraus, was die Prämisse aussagt. Genauso muss man wissen, was mit »Punkt«, »Linie«, »euklidischer Raum« usw. gemeint ist, wenn man nicht nur darauf abzielt, einige Axiome für die Geometrie zu formulieren, sondern außerdem behaupten will, dass diese wahr sind, weil sie evident seien. Im Gegensatz zur Evidenz wissenschaftlicher Prinzipien kann die Evidenz der Prinzipienprämissen eines Gottesbeweises nicht als eine Einsicht in einen notwendigen apriorischen Zusammenhang zwischen zwei verschiedenen Begriffen erklärt werden (vgl. Erkenntnistheorie 7.6–7). Stattdessen muss sie auf der Einsicht beruhen, dass alles, was es gibt, als etwas Endliches, Begrenztes und Relatives einen Grund für seine Existenz benötigt, welcher wiederum alles in unserer konkreten Welt überschreitet (transzendiert). In dieser Einsicht ist bereits das implizite Wissen oder die Ahnung von etwas enthalten, was weit

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größer ist als all das, was einem bekannt ist, und was daher »Gott« genannt oder mit dem Prädikat »ein Gott« bezeichnet werden kann. 6.6

Der Gottesbeweis und die menschliche Erfahrung

Gemäß der systematischen Analyse der Grundstruktur eines Gottesbeweises wird auf jeden Fall – abgesehen vom ontologischen Gottesbeweis – eine fundamentale menschliche Erfahrung vorausgesetzt, die bereits ein gewisses implizites Wissen von Gott enthält und mit dem eigentlichen Gottesbeweis erklärt und verdeutlicht werden kann. Diese Erfahrung liegt weder bei Wahrnehmungen noch im rationalen Denken in ihrer Gesamtheit vor. Stattdessen ist es nötig, dass der Mensch es als Person mit seinem ganzen Erkenntnisvermögen sowie unbehindert von vorgefassten Meinungen, subjektiven Ängsten und einschränkenden Vorurteilen wagt, sich der ganzen Wirklichkeit, auf die er trifft, auszusetzen. Da er in einer solchen Grunderfahrung auf etwas Absolutes treffen könnte, was auf eine für ihn unbegreifliche Weise größer als er selbst ist und ihn auf eine unaussprechliche Weise überschreitet (transzendiert), muss er auch willensmäßig bereit sein, sich selbst als denjenigen zu akzeptieren, der vollkommen abhängig von diesem Absoluten ist. Jeder bewusste oder unbewusste Widerstand gegen eine solche erfahrungsbasierte Einsicht verhindert nämlich von Anfang an die Einsicht in die Wahrheit der Prinzipienprämisse eines Gottesbeweises (vgl. Erkenntnistheorie 4). Eine solche fundamentale persönliche Erfahrung, welche implizit bereits eine Erfahrung von Gott beinhaltet, kann auch erklären, warum es Religionen gegeben zu haben scheint, so lange es Menschen gegeben hat. Wenn nämlich einzelne menschliche Personen mit ihrem ganzen Erkenntnisvermögen und ohne willensmäßigen Widerstand mit ihrem Bewusstsein von sich selbst der erfahrbaren endlichen Welt begegnen, machen sie gleichzeitig Erfahrungen, die implizit auf etwas verweisen, was viel größer als sie selbst ist. Diese Erfahrungen wurden stets auf sehr unterschiedliche Weise artikuliert und haben im Lauf der Geschichte auf verschiedene Weise Ausdruck gefunden. Es handelt sich aber immer um dieselbe fundamentale Grunderfahrung, und die Abhängigkeit des Gottesbeweises von dieser Grunderfahrung erklärt auch, warum die Existenz eines Gottes so selten jemandem, der sich emotional oder willensmäßig gegen eine solche Wahrheit wehrt, beweisbar erscheint. Solche Personen können nämlich immer die Gültigkeit des Gottesbeweises abweisen, indem sie behaupten, dass dessen Prinzipienprämisse (für sie) nicht offensichtlich ist.

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Kapitel 6

Dennoch kann man diese Grunderfahrung, die die Wahrheit der Prinzipienprämisse evident macht, eigentlich nicht verneinen, sondern höchstens wegerklären. Die Grunderfahrung kann mit Hilfe von transzendentalen Methoden gestützt werden, weil jeder Mensch beispielsweise beim Erkenntniserwerb und Handeln auf diese Erfahrung zurückgreift und von einer solchen Erfahrung ausgeht, sogar wenn er Gottes Existenz ausdrücklich verneint. Dass ein Mensch sich auf eine Erfahrung, die er ausdrücklich verneint, stützen kann, gerade wenn es darum geht, einen Gottesbeweis zu gestalten, zeugt davon, dass sein Erkenntnisinteresse von anderen Motiven als dem Willen, die Wahrheit zu wissen, geleitet wird. Nur jemand, der sich nicht von Anfang an emotional oder willensmäßig den Konsequenzen eines Gottesbeweises widersetzt, kann eine echte Bereitschaft besitzen, einen Gottesbeweis nicht nur zu verstehen und zu akzeptieren, sondern dessen Wahrheit sogar in praxi zu erfüllen, weil diese Wahrheit notwendig zu einer Stellungnahme führt, die das ganze persönliche Dasein berührt.

Kapitel 7

Gott, der Allervollkommenste Metaphysik als natürliche Theologie ist nur möglich, wenn der Mensch mit seiner Vernunft sichere Erkenntnis von der Existenz Gottes gewinnen kann. Gleichzeitig muss er beurteilen können, inwieweit bestimmte Behauptungen über Gott wahr sind oder nicht. Damit der Beweis der natürlichen Theologie für Gottes Existenz nicht von Anfang an angreifbar ist, muss sie von alltäglichen und unbezweifelbaren Phänomenen ausgehen, welche außerdem rational kontrollierbar und bestenfalls intersubjektiv mitteilbar sein sollten. Phänomene, die auf Wahrnehmungen oder inneren Erlebnissen beruhen, scheinen als Ausgangspunkt für einen Gottesbeweis weniger geeignet zu sein. Vielmehr muss man von bestimmten, für das menschliche Dasein notwendigen Erfahrungen ausgehen, beispielsweise von der eigenen Existenz oder der Anderer, von Einheit, Güte, Leben usw. Solche grundlegenden Erfahrungen besitzen natürlich bereits einen höheren Grad von Komplexität. Ihr Inhalt liegt nämlich nicht in Form einer einfachen Empfindung oder eines Erlebnisses vor. Diese Erfahrungen entstehen vielmehr vor dem Hintergrund einer Menge unterschiedlicher Wahrnehmungen und Erlebnisse. Außerdem hängen sie stark von dem individuellen, sozialen, kulturellen und historischen Hintergrund des einzelnen Menschen ab. Jeder Gottesbeweis erfordert also in erster Linie eine klärende Analyse des Inhalts der Erfahrung und eine eingehende Reflexion des individuellen Erfahrungshintergrunds. Erst danach kann aus den notwendigen Besonderheiten der direkten Erfahrung ein begrifflich-metaphysischer Beweis für die Existenz Gottes entwickelt werden. Ohne ein eingehendes Verständnis und die Deutung der eigenen Erfahrung fehlt den Grundbegriffen des Gottesbeweises die ontologisch relevante, existenzielle Tiefendimension, welche nötig ist, damit die Argumentation nicht zu einer oberflächlichen Abfolge von starren Begriffsmustern wird. Wenn die Erfahrung nicht in einem logisch-rationalen Gottesbeweis expliziert und durch diesen strukturiert wird, kann die Erfahrung leicht fehlerhaft verwendet werden, um eigene Vorurteile und Wunschträume zu bekräftigen.

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Kapitel 7

Die Grunderfahrungen und die Gotteserfahrung des Menschen

Mit der Erfahrung, die den Grund eines jeden Gottesbeweises ausmachen muss, ist nicht irgendein spontanes mystisches Erlebnis gemeint, welches durch seine unmittelbare Evidenz jemanden überzeugt, dass es Gott gibt. Diese Grunderfahrung ist nicht das gleiche wie ein außerordentliches Erlebnis z.B. des Heiligen. Sie ist auch nicht das gleiche wie ein sehr besonderes oder überwältigendes Natur- oder Kunsterlebnis. Stattdessen handelt es sich um eine allgemeinmenschliche natürliche Erfahrung, welche in jedem menschlichen Erkenntnisakt und jeder freien Handlung vorliegt. Sie stellt nämlich den Hintergrund all unseres kognitiven und praktischen Handelns dar, einen Hintergrund, der für gewöhnlich nicht direkt bemerkt wird, dessen man sich aber im Nachhinein bewusst werden kann. Auf die gleiche Weise erfährt der Mensch bei jedem Erkenntnisakt oder jeder Handlung sich selbst als »an der Seite von etwas«, was durch eine anschließende Reflexion verdeutlicht werden kann. Dies ist der erfahrungsmäßige Grund dafür, dass er weiß, dass er selbst es ist, der diese Erkenntnis hat bzw. auf eine bestimmte Art und Weise handelt. Diese Selbsterfahrung bedeutet jedoch nicht, dass er sich selbst wie eine Art Objekt direkt erleben oder bemerken muss (vgl. Anthropologie 6.1–2 und 7.1–2). Solche allgemeinmenschlichen Erfahrungen, die als Ausgangspunkt für einen Gottesbeweis dienen, haben im Grunde ähnlichen Charakter, selbst wenn sie untereinander stark variieren können. Alle zeichnen sich mehr oder weniger deutlich durch eine Gemeinsamkeit aus, nämlich dass bei jedem Erkenntnisakt oder jeder bewussten Handlung etwas vorliegt, was weit über das hinausgeht, wovon man eine direkte Erkenntnis hat oder was man im Zuge einer Handlung vollzieht. Beispielsweise setzt bereits unsere natürliche Erkenntnis der Existenz konkreter materieller Dinge in einer äußeren Welt eine Menge unterschiedlicher Erfahrungen voraus, welche weder in den Sinneswahrnehmungen selbst gegeben sind, noch rein logisch aus ihnen hergeleitet werden können (vgl. Erkenntnistheorie 11). Etwas Ähnliches gilt bei unseren spontanen Überzeugungen, dass es andere Menschen und uns selbst als einzelne Personen gibt (vgl. Erkenntnistheorie 10.4–5; Anthropologie 6.3–5). Man kann außerdem mit verschiedenen Argumenten zeigen – besonders mit Hilfe der transzendentalen Methode –, dass diese natürlichen Überzeugungen richtig sein müssen. Ansonsten wäre das gesamte zwischenmenschliche Dasein nur eine Illusion. Außerdem könnte jemand, der solche Überzeugungen verneint, seine innere Auffassung nicht gegen andere behaupten, ohne im selben Augenblick inkonsequent gegen sich selbst zu sein und auf widersprüchliche Weise zu handeln.

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Diese allgemeinmenschliche Erfahrung, die einen nicht unmittelbar bewussten Hintergrund zu allen Erkenntnisakten und Handlungen darstellt, kann in einer nachfolgenden Reflexion gedeutet und in den verschiedenen Religionen auf unterschiedliche Weise konkretisiert werden. Es ist bereits schwer, jemand anderem zu erklären, was mit einem »konkreten Ding in der äußeren Welt« oder dem Wort »ich« gemeint ist. Noch schwerer muss es sein, eine Erfahrung zu verdeutlichen und auszudrücken, die eine implizite Erkenntnis des Göttlichen beinhaltet. Dies kann erklären, warum eine Deutung dieser allgemeinmenschlichen Erfahrung nie vollständig sein kann und warum keine Reflexion der eigenen Erfahrung ein zufriedenstellendes, vollständiges Verständnis von Gott bieten kann. Eine allgemeinmenschliche Erfahrung kann »Gotteserfahrung« genannt werden, wenn das, was neben den direkten Erkenntnissen und Handlungen des Menschen erfahren wird, zugleich als der notwendige Grund für die Gültigkeit und Bedeutung dieser Erkenntnisse und Handlungen angesehen wird. Das in diesem Sinne »Erfahrungsmäßige«, was über die eigentliche Erkenntnis und Handlung hinausgeht, darf nicht als etwas nur rein Subjektiv-Emotionales aufgefasst werden, was sich dem Menschen aufdrängt (gegen Hume), oder als Ausdruck transzendental-apriorischer Anschauungsformen oder Denkkategorien (gegen Kant). Deshalb kann man von »Gotteserfahrung« erst dann sprechen, wenn man mit unterschiedlichen Argumenten und vor allem mit Hilfe der transzendentalen Methode zeigen kann, dass das, was in solchen Erfahrungen vorliegt, etwas objektiv Gegebenes ist. Selbst wenn das objektiv Gegebene auf eine ganz andere Weise vorliegt als alles, was als Objekt der direkten Wahrnehmung und des Erlebens vorkommt, hat es dennoch einen unvermeidlichen Einfluss auf die menschliche Weise zu denken und zu handeln. Der Mensch als Person wird nämlich durch das, was er »gleichermaßen an der Seite von« erfährt, vor einen totalen Anspruch gestellt, dem er nicht entkommen und den er nicht mit Recht verneinen kann. Die nachfolgende Reflexion einer solchen allgemeinmenschlichen Grunderfahrung bzw. »Gotteserfahrung« muss zeigen, dass das erfahrungsmäßig Gegebene nicht nur eine Gedankenkonstruktion der aktiven Vernunft des Menschen oder durch eine Entscheidung seines freien Willens hervorgebracht worden ist. Indem er seine Erfahrung reflektiert, kann der Mensch die evidenzbasierte Sicherheit gewinnen, dass er trotz all seiner Relativität »gleichermaßen von außen« von etwas Absolutem berührt wird, dem er sich letztlich nicht entziehen kann. Diese Evidenz ist nicht damit gegeben, dass man eine direkte Erkenntnis von etwas hat, sondern geht aus der Reflexion des allgemeinen Grundes einer jeden solchen Erkenntnis hervor. Auf dieselbe Weise kann eine einzelne Wahrnehmung von einem Pferd auch nicht von sich aus

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eine Form der Gewissheit vermitteln, dass Pferde nicht nur in der subjektiven Vorstellung des Menschen vorkommen. Eine Gewähr, dass es Pferde in der vom Menschen unabhängigen Wirklichkeit gibt, muss sich vielmehr auf eine Reflexion der gesamten Erfahrung stützen, die eine solche Wahrnehmung eines Pferdes begleitet (vgl. Erkenntnistheorie 10–11). Außer der Reflexion einer solchen »Gotteserfahrung«, dergemäß das gesamte Dasein als in etwas Größeres eingeordnet erfahren wird, in das man sich einfügen oder nach dem man sich richten muss, gewinnt der Mensch eine evidenzbasierte Sicherheit davon, dass etwas seine eigene Existenz überschreitet (transzendiert). Eine solche Reflexion ist außerdem notwendig, damit man selbstkritisch einen Unterschied zwischen der echten »Gotteserfahrung« und einem problematischen, emotional betonten und damit subjektiven Gotteserlebnis machen kann. Schließlich wird die Reflexion der impliziten natürlichen »Gotteserfahrung« benötigt, damit diese von den belanglosen subjektiven Elementen befreit und dadurch objektiviert und systematisiert werden kann. Entwickelt man jedoch auf diese Weise einen philosophischen Gottesbeweis, darf das trotz allem noch nicht als ein hinreichender Grund für das eigentliche religiöse Leben gelten. Die Religion beginnt erst, wenn ein solcher rationaler Gottesbeweis Konsequenzen für die praktische und existenzielle persönliche Haltung des Menschen hat. 7.2

Die Ganzheitserfahrung des Menschen als Gotteserfahrung

Eine solche Gotteserfahrung, die als Ausgangspunkt für einen Gottesbeweis genutzt werden kann, liegt bei der Erfahrung von sich selbst als Teil von etwas Größerem vor, worin man sich einfügen muss, um leben, denken und handeln zu können. Was der Mensch auch macht, er kann sich selbst erfahren und sich seiner bewusst sein als eingefügt in seinem Familienzusammenhang in der Geschichte der Menschheit auf dem Planeten Erde im unermesslich großen Weltall. Er wird die ganze Zeit dazu genötigt, in seinem Denken und Handeln diesen umfassenderen Zusammenhang zu beachten und zu berücksichtigen. Weder die Menge einzelner Wahrnehmungen, wie viele sich auch aneinanderfügen, noch die Menge der logischen Schlussfolgerungen aus diesen Wahrnehmungen können einen hinreichenden Grund für die spontane Überzeugung bieten, dass man etwas angehört, was viel größer ist als man selbst. Der Mensch muss essen, um überleben zu können, muss sich in eine menschliche Gemeinschaft einfügen, um existieren und als Mensch funktionieren zu können, muss Rücksicht auf die ökologische Ordnung der Natur nehmen, um nicht die Bedingungen für das Dasein des Menschengeschlechts zu zerstören usw. Dieses

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Verständnis der notwendigen Rücksicht des Menschen auf einen größeren Zusammenhang ist nicht das Resultat einer wissenschaftlichen Untersuchung. Es gehört vielmehr zu denjenigen unausgesprochenen Voraussetzungen, die das Streben nach Erkenntnis und jede wissenschaftliche Arbeit vorantreiben. Wenn man davon ausgeht, dass es niemanden oder nichts Anderes als einen selbst gibt (Solipsismus), kann man natürlich bestreiten, dass dieses Bewusstsein seinen Grund in einer objektiven Erfahrung hat. Man muss sich selbst dann als das Unendliche, Unbegrenzte und den absoluten Grund alles Anderen ansehen. Alles Andere ist dann nur Objekt der eigenen Einbildung oder ein Produkt des eigenen Willens. Dass diese Ansicht absurd ist, zeigt sich darin, dass man essen muss, um zu überleben, und dass man selbst mit seiner Willenskraft diese Grundbedingung nicht ändern kann. Außerdem handelt jeder echte Vertreter des Solipsismus entgegen seiner eigenen Grundauffassung, wenn er seine Auffassung betont, um jemand Anderen zu überzeugen. Er gesteht durch diese Art zu handeln nämlich indirekt ein, dass der Andere weder ein bloß von ihm eingebildetes Objekt noch ein bloßes Produkt seines Willens ist. Auch wenn jemand den Solipsismus in der Theorie verteidigen kann, muss er sich in der Praxis dennoch einer Gesetzesgebundenheit unterwerfen, über die er nicht bestimmt und die sich ihm quasi »von außen« aufzwingt. Sobald er aber zugesteht, dass er sich bestimmten notwendigen Bedingungen unterwerfen muss, gesteht er indirekt auch zu, dass er nur ein Teilaspekt ist oder abhängig von etwas, was sehr viel größer ist als er selbst. Erfährt man sich selbst als in Beziehung zu etwas viel Größerem befindlich und sieht man aufgrund dieser Erfahrung ein, dass man selbst, zusammen mit allem Anderen, von etwas Übergreifendem abhängig ist, kann dies zur Einsicht in eine Reihe von Prinzipien führen. Zu diesen Prinzipien, die einander auf gewisse Weise ähneln, gehört: Wenn es etwas gibt, das begrenzt und endlich ist, muss es etwas geben, das unbegrenzt und unendlich ist; wenn es etwas gibt, das relativ und abhängig ist, muss es etwas geben, das absolut unabhängig ist. Obwohl es z.B. Teile von Teilen von Teilen usw. geben kann, scheint die Vernunft zu fordern, dass es etwas gibt, das nicht länger nur ein Teil von etwas Anderem ist oder in etwas Anderes eingeht oder relativ zu etwas Anderem ist usw. Diese Auffassung kann natürlich als nicht evident abgewiesen werden (Empirismus, Positivismus), sie kann aber nicht direkt widerlegt werden. Außerdem wird sie dadurch bekräftigt, dass der Mensch im Allgemeinen danach strebt, sich einen Überblick über das Ganze bzw. eine flächendeckende Theorie von allem zu verschaffen. Man kann diese Tendenz natürlich als eine apriorische regulative Idee der theoretischen Vernunft erklären, die nicht garantiert, dass es eine Entsprechung in der objektiven Wirklichkeit gibt (das Ding an sich: Kant). Aber auch diese Auffassung erhebt den Anspruch darauf,

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eine allumfassende philosophische Theorie zu sein, dergemäß die überindividuelle Vernunft mit ihren apriorischen Strukturen im Verhältnis zu allem Anderen, was begrenzt, abhängig und relativ ist, zu etwas Allumfassendem, Unabhängigem und Absolutem wird. Der Einzelne erfährt sich selbst und alles Andere in der Umwelt also als etwas Endliches und Relatives im Verhältnis zu etwas Anderem (die Grundlage der Existenzprämisse). Außerdem liegt die von der Evidenz bestätigte Einsicht vor, dass all das Endliche, Begrenzte, Abhängige und Relative etwas Unendliches, Unbegrenztes, Unabhängiges und Absolutes fordert, um überhaupt existieren zu können (Grundlage der Prinzipienprämisse). Dies beinhaltet die unausgesprochene Konsequenz, dass es etwas geben muss, was unendlich und unbegrenzt sowie absolut unabhängig ist. Außerdem ist deutlich, dass es das, was unendlich und unbegrenzt und absolut unabhängig ist, nur einmal geben kann (Einzigkeitsprämisse). Was »Gott« genannt werden könnte, muss also ein Einziges sein. Diese Überlegung erfordert aber eine Reihe weiterer Präzisierungen. 7.3

Gott als das vollkommene All

Das Erleben der Abhängigkeit der eigenen Person, der eigenen Familie, des eigenen Lebensbereichs und aller übrigen endlichen, konkreten Dinge von etwas Größerem scheint bereits im »naiven« Denken des Urmenschen zu einer Auffassung geführt zu haben, die in den älteren Religionen in mythischer Form ausgedrückt wurde. Man konnte sich z.B. vorstellen, dass etwas Allumfassendes ähnlich wie das Himmelsgewölbe alles Begrenzte umfasst oder dass die unendliche Einheit von Himmel und Erde der Lebensraum von allen endlichen und relativen Dingen ist. Diese Grunderfahrung, welche in mythischen Vorstellungen ausgedrückt wurde, führte im Zuge eines begrifflich-abstrakteren Denkens häufig zu einer pantheistischen Konzeption (aus dem Griech.: pan = alles; theos = ein Gott) des Weltalls. Die Totalität all des Endlichen und Relativen, was es »in der Welt« gibt, wurde nämlich mehr oder weniger deutlich als etwas Göttliches aufgefasst und diese Gottheit wurde wie das ganze Universum als unbegrenzt, unendlich und absolut seiend gedacht. Innerhalb des eigentlichen Pantheismus identifizierte man seitdem ausdrücklich die gesamte Wirklichkeit, d.h. das Weltall, als Totalität von allem, was es gibt, mit der einen allumfassenden, unendlichen und absoluten Gottheit (vgl. Ontologie 9.2). Nimmt man außerdem in monistischem Geiste an, dass alles, was es gibt, materiell ist, kann die alles ordnende, gegenwärtige,

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unzerstörbare und unveränderliche ewige Materie nahezu als eine Gottheit angesehen werden (materialistischer Pantheismus: Thales, Anaximenes; Philosophen der Aufklärung: Holbach, Diderot u.a.). Wenn man hingegen alles als lebende Natur auffasst, kann die Gottheit mit der allumfassenden und alles durchdringenden Natur identifiziert und diese Natur bzw. das gesamte Universum in Analogie zu einem lebenden Organismus gesehen werden (naturalistischer Pantheismus: Anaximander, Diogenes, Giordano Bruno?, Schelling). Wird die Gottheit mit dem Universum identifiziert, wird Gottes eigene Existenz eigentlich aufgehoben, sodass es nur diese Welt gibt, die »Gott« genannt wird (immanenter Pantheismus: Renan, Taine, Haeckel, Ostwald). Diese Auffassung mündet für gewöhnlich in eine reine Naturverehrung, weil die Natur dem Menschen zur Gottheit geworden ist. Man kann auch davon ausgehen, dass das Universum nicht nur eine Totalität von allem ist, was es gibt, sondern eine unendliche, allumfassende Ganzheit, die weit mehr als die Summe ihrer Teile ist, welche durch ein absolutes Prinzip miteinander vereint werden. In diesem Fall müssen alle einzelnen Dinge als die endlichen und relativen, echten Teile des Weltalls aufgefasst werden, während das allumfassende und absolute Universum und insbesondere das Ganzheitsprinzip mit der Gottheit identifiziert werden. Als das statische Substanzprinzip des Universums und als Grund für die Einheit der gesamten Wirklichkeit kann die Gottheit so gedacht werden, dass zu ihr neben vielen anderen fundamentalen Eigenschaften sowohl der physische Raum als auch das psychische Bewusstsein gehören (Substanzmonismus, Spinoza: »Deus sive natura« = »Gott, d.h. die Natur«). Die Gottheit kann aber auch als ein eher dynamisches Lebensprinzip aufgefasst werden, das zu allem gehört, alles, d.h. das ganze Universum, lebendig macht, oder als eine Weltseele oder ein »Weltgeist«, die oder der in jedem einzelnen Ding enthalten ist und alles, d.h. das ganze Universum, beseelt (bestimmte Formen der indischen Religion: Vedante [Shankara], Ramakrishna-Bewegung [Vivekananda, Radhakrishnan]; Hesiod, Xenophanes, die Stoiker, u.a.). Diesem immanenttranszendentalen Pantheismus bzw. Panentheismus (aus dem Griech.: pan en theos = alles in einer Gottheit) gemäß ist die Gottheit viel mehr als nur die Totalität von allem im Universum – und ist zugleich allen Dingen immanent. Die Gottheit stellt nämlich das innerste Wesen sowohl aller einzelnen Dinge als auch des gesamten Universums dar, indem sie zugleich das alles zusammenfassende Ganzheitsprinzip ist. Eine bestimmte Form des akosmischen Panentheismus (aus dem Griech.: a = nicht, kosmos = Weltall) liegt vor, wenn die körperlich-materielle Welt nur als eine äußere Manifestation (aus dem Lat.: manifestare = sich offenbaren)

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des geistigen Inneren der Gottheit aufgefasst wird (bestimmte Formen der indischen Religion: Bhagavad Gita, Ramanuja, Aurobindo) oder wenn das Werden aller Dinge als Folge eines notwendigen Emanationsprozesses (aus dem Lat.: e-manare = fließen aus) aus dem All-Einen (Plotin, Proklos) oder als dialektischer Prozess gilt, in welchem der absolute Geist zu sich selbst kommt (Hegel). Weil man sich dachte, dass es in Gott alles gibt, hegte man oft Zweifel, ob der Welt im Verhältnis zu Gott überhaupt selbständige Existenz zukommt. Selbst wenn die endliche Welt, gemäß bestimmter Formen dieses transzendenten Panentheismus, so gesehen wird, dass sie ihre ganze Existenz in Gott hat, wird dennoch die im Verhältnis zu allem Anderen stark überlegene Rolle Gottes betont (Herder, Goethe, Krause u.a.). Innerhalb des mystischen Pantheismus bzw. Panentheismus kann die Welt im Verhältnis zu dem Gott, der die (geistige) Innenseite der materiellen Welt darstellt, sogar als reine Illusion oder Nichtigkeit oder etwas Schlechtes erklärt werden (indischer Mystizismus: Shankara, Ramanuja; die vom Neuplatonismus beeinflussten christlichen Mystiker: Dionysios Areopagita?, Johannes Scotus Eriugena, Amaury von Bène, David von Dinant; Böhme). Diesem transzendenten Panentheismus können in der Moderne einige Prozesstheologen beigezählt werden, denen zufolge Gott selbst in einem bestimmten kosmischen Prozess entsteht (Whitehead?, Hartshorne). Selbst wenn man die Welt innerhalb einer pantheistisch gefärbten Grundauffassung nicht immer mit Gott oder Gott mit der Welt identifiziert, wird die Selbständigkeit und der substantiale Charakter der konkreten Dinge und damit der ganzen Welt dennoch für gewöhnlich verneint (vgl. Ontologie 6.1–3). Daraus folgt, dass man kaum noch das Selbstbewusstsein und die Freiheit des Menschen verteidigen kann, weil der Mensch nicht länger als etwas Selbständiges und damit auch nicht als Person angesehen werden kann (vgl. Anthropologie 6–8). Der Mensch und alles Andere im Universum werden zu mehr oder weniger selbständigen Aspekten oder notwendigen Produkten des allumfassenden und alles durchdringenden Gottes. Die Bedeutung der menschlichen Geschichte sowie die Verantwortung des Menschen werden dadurch aufgehoben, und somit wird die moralische Ordnung zu etwas Illusorischem. Man braucht auch nicht von einem personalen Gott auszugehen, weil Gott in allem als ein nicht-personaler und allumfassender absoluter Weltengrund oder als der notwendige »Prozess« gesehen werden kann, in welchem alles und damit sogar Gott entsteht. All das zeigt, dass eine tiefere Analyse der Eigenart der relativen und endlichen Welt erforderlich ist, um besser verstehen zu können, was die absolute und unendliche Voraussetzung von allem ist.

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7.4

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Gott und die Vollkommenheit aller Dinge

Die Deutung des Pantheismus in Bezug auf die Erfahrung des Menschen, wie unzureichend diese auch sein mag, zeugt von einem inneren dynamischen Streben im Menschen, nämlich nach der allumfassenden und absoluten Wirklichkeit in und fern von allem Endlichen und Relativen zu fragen. Die spontane Erfahrung des Menschen von sich selbst als einer »Teilkomponente« im Zusammenhang mit allen anderen konkreten Dingen muss aber nicht auf die extensive naturalistische Sphäre begrenzt werden, in welcher der Mensch sich selbst in Relation zu dem großen Weltall setzen kann. Sie kann auch durch die mehr nach innen gewandte Erfahrung ergänzt werden, wie das eigene Dasein zusammen mit Anderen in etwas Größeres eingebettet ist, was den absoluten »metaphysischen« Grund für alles darstellt, was es gibt. Mit diesem modifizierten Ausgangspunkt kann das weltimmanente Gottesverständnis des Pantheismus durch eine eher welttranszendente Auffassung von etwas Allumfassenden und Absoluten in und fern von allem, was es in der Welt gibt, ersetzt werden. Der Mensch ist davon überzeugt, dass es ihn gibt, aber er erfährt seine Existenz im Verhältnis zu etwas Anderem, was seine eigene Existenz weit übertrifft (transzendiert) und wovon er abhängig ist. Diese Erfahrung kann mit Hilfe folgender Frage artikuliert werden: Warum gibt es überhaupt etwas und warum nicht nichts (Leibniz)? Was ist eigentlich der Grund dafür, dass es etwas gibt? Weder ich selbst noch etwas Anderes in der Welt scheinen nämlich den hinreichenden Grund für die Existenz aller Dinge darstellen zu können. Vielmehr scheint es notwendig zu sein, dass es etwas gibt, was größer und mehr ist als ich zusammen mit allem Anderen in der Welt bzw. zu dem ich und alles Andere in Beziehung zu stehen oder von dem wir Teilaspekte zu sein scheinen. Wenn man dieses Größere mit dem Weltall selbst identifiziert, muss man auch zugestehen, dass dieses Weltall den Grund seiner Existenz in sich selbst hat, d.h. dass das Weltall notwendigerweise existiert. Hält man es hingegen für möglich, dass es das Universum nicht gibt, darf dieses Größere nicht mit dem Universum identifiziert werden. Stattdessen muss man davon ausgehen, dass etwas Anderes als dieses Universum mit Notwendigkeit existiert und so umfassend ist, dass alles Andere – d.h. selbst das gesamte Universum mit allen endlichen und relativen, konkreten Dingen – darin »eingeschlossen« wird und davon abhängt. Eine Reflexion der Frage, was es für mich und alle lebenden Wesen bedeutet, zu existieren bzw. zu sein, kann zu einer Antwort führen. Zu-sein bedeutet in diesem Fall dasselbe wie zu-leben, weil tot-zu-sein für etwas Lebendes

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nicht-(mehr)-zu-sein zur Folge hat. Lebende Wesen sollte es aber nicht geben können, wenn es keinen absoluten Grund für das Leben überhaupt gäbe, sodass Leben »in der Welt« nicht realisiert werden könnte. Die Vielfalt der lebenden Wesen setzt voraus, dass jedes Einzelne von ihnen auf seine Weise am Leben teilnimmt, was die Grundlage dafür darstellt, dass sie auf ihre begrenzte individuelle Weise leben. Etwas Ähnliches scheint für andere (durchweg) positive Beschaffenheiten zu gelten, die unter den konkreten Dingen jemand oder etwas haben muss, um wie ein eben so beschaffenes Ding existieren zu können. Der Gedanke an die Teilhabe (lat.: participatio von pars = Teil; capere = nehmen, greifen; griech.: methexis) an all dem, was die Grundlage für die spezifischen Existenzweisen darstellt, setzt zwar eine bestimmte Form von begrifflichem Realismus voraus (vgl. Erkenntnistheorie 6.3), aber keinen widersprüchlichen uneingeschränkten solchen. Alle nicht-positiven Beschaffenheiten werden nämlich von Anfang an ausgeschlossen, z.B. blind-zu-sein, was eigentlich bedeutet, nicht sehen zu können. Da konkrete Dinge aufgrund ihrer Endlichkeit bestimmte Formen von Negationen beinhalten, sind jedoch selbst ihre positiven Beschaffenheiten nicht durchgehend positiv. Nur insofern diese (Beschaffenheiten) von der Negation befreit werden, können die endlichen Dinge als teilhabend an einer durchgehend positiven Beschaffenheit angesehen werden. So kann die Beschaffenheit Mensch-zu-sein, d.h. zu-leben(existieren)-als-Mensch, als positiv angesehen werden, aber sie ist im Gegensatz zu der Beschaffenheit zu-leben nicht durchgehend positiv. Ein Mensch lebt nämlich nur während einer begrenzten Lebenszeit und hat daher nur auf eine menschlich begrenzte Weise, die eine Negation bedeutet, teil an der durchweg positiven Beschaffenheit zu-leben. Der Gedanke an diese Art von Teilhabe wird natürlich vom Konzeptualismus (Ockham, Kant, u.a.) abgewiesen, kann aber innerhalb eines moderaten Begriffsrealismus (vgl. Erkenntnistheorie 6.5–7) akzeptiert werden. Man muss in diesem Fall nicht einmal exakt angeben, welche Beschaffenheiten als positive angesehen werden. Es genügt zu akzeptieren, dass es die konkreten Dinge in der Welt nicht geben kann, ohne dass sie an solchen positiven und wesensnotwendigen Beschaffenheiten teilhaben, die nicht als bloße Begriffsinhalte des Denkens betrachtet werden dürfen. Diese Beschaffenheiten muss es in Wirklichkeit geben, d.h. unabhängig vom Denken des Menschen, weil ihre wirkliche Existenz Voraussetzung und Grund z.B. für die Existenz eines denkenden Menschen ist. Wenn man diese Voraussetzung akzeptiert, welche in den für die Logik und Mathematik so wichtigen engeren Abstraktionsprinzipien ausgedrückt wird (vgl. Erkenntnistheorie 6.3), entsteht eine neue Totalität, zu der man all diejenigen positiven Beschaffenheiten zählen muss, die wesensnotwendig und konstitutiv für die Existenz der konkreten Dinge sind.

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Die Existenz dieser vielen verschiedenen positiven und wesensnotwendigen Beschaffenheiten und die Teilhabe der konkreten Dinge an ihnen sind nur denkbar und möglich, wenn diese Beschaffenheiten sich nicht ganz voneinander unterscheiden, sondern stattdessen etwas gemeinsam haben. Sie müssen nämlich darin übereinstimmen, dass es sie zumindest gibt und sie mit sich selbst identisch sind. Gäbe es solche positiven Beschaffenheiten nicht, könnten nämlich die konkreten Dinge der Welt auch nicht an ihnen teilhaben, und wären sie nicht mit sich selbst identisch, könnten die konkreten Dinge nicht wesensnotwendig und eindeutig auf eine bestimmte Weise beschaffen sein. Die Existenz und Einheit dieser positiven Beschaffenheiten stellt also ihre gemeinsame Eigenschaft dar. Ihre Existenz und Selbstidentität ist aber außerdem eine notwendige Voraussetzung dafür, dass es konkrete Dinge, die an ihnen teilhaben, geben kann und sie mit sich selbst identisch sind. Ohne das Leben selbst gäbe es keine lebenden Wesen, die zumindest für eine endliche Lebenszeit lebend und in diesem Sinne mit sich selbst identisch sein könnten. Mit Hilfe der folgenden recht plausiblen Voraussetzungen kann gezeigt werden, dass es logisch möglich ist, dass es etwas gibt, was alle durchweg positiven Beschaffenheiten besitzt: (1) Für jede Beschaffenheit gilt: entweder ist sie selbst oder ihre Negation durchweg positiv, (2) jede Komponente einer zusammengesetzten durchweg positiven Beschaffenheit ist selbst durchweg positiv, (3) die Beschaffenheit alle-durchweg-positiven-Beschaffenheiten-zu-haben ist selbst durchweg positiv. Wenn man dies nun mit dem Ergebnis des ontologischen Arguments kombiniert (vgl. Kap. 5.4), kann man beweisen, dass das, was alle positiven Beschaffenheiten besitzt, nicht nur möglich ist, sondern mit Notwendigkeit existiert. Man kann auch beweisen, dass es nicht mehr als ein einziges solches höchstes »Seiendes« gibt und geben kann, welches alle durchweg positiven Beschaffenheiten besitzt (Gödel). Man könnte dieses höchste Seiende »das Allervollkommenste« oder auch »das höchste Gute« und – warum nicht? – »Gott« nennen. Das Allervollkommenste unterscheidet sich von allem Anderen dadurch, dass es alle durchweg positiven Beschaffenheiten besitzt, während alles Andere nur einige davon auf seine begrenzte Weise haben kann. Dieses Argument muss weiter präzisiert werden, um nicht Anlass zu einer Reihe von Problemen zu geben, die aus der Struktur des menschlichen Denkens und der Sprache folgen könnten. Wenn dieses Allervollkommenste nämlich als ein konkretes Ding mit bestimmten Eigenschaften bzw. Beschaffenheiten gesehen wird, z.B. als etwas Gutes, sollte es zumindest eine positive Beschaffenheit, z.B. die Güte, mit anderen Dingen gemeinsam haben

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und damit hätte es selbst teil an der Güte, um gut sein zu können. Man muss in diesem Zusammenhang nämlich die Attributionsanalogie genau beachten, die zwischen allen konkreten lebenden Wesen und dem Leben selbst, an dem sie teilhaben, besteht – was ein Aspekt beim Allervollkommensten sein muss. Das Allervollkommenste kann nämlich nicht wie konkrete Dinge an solchen durchweg positiven Beschaffenheiten teilhaben, sondern es muss »sie in sich selbst enthalten« oder mit ihnen auf eine für uns gänzlich unbegreifliche Weise identisch sein. Gleichzeitig kann alles Andere, was solche positiven Beschaffenheiten besitzt, nur durch eine »Teilhabe« an den allervollkommensten Vollkommenheiten existieren. Das Allervollkommenste und »all das Andere«, was an seinen Vollkommenheiten teilhat, existieren also nicht unter denselben Bedingungen. Alles, was auf seine eigene besondere Weise an einer durchweg positiven Beschaffenheit teilhat, kann es nur als ein solches geben, weil es das Allervollkommenste gibt und es auf eine für uns nicht gänzlich begreifbare Weise eins (identisch) mit dieser Beschaffenheit ist. 7.5

Das Allervollkommenste und die Vollkommenheit der Dinge

Die Existenz des Allervollkommensten stellt die Grundlage für die Existenz der endlichen Dinge und ihre positiven wesensnotwendigen Beschaffenheiten dar. Damit wird die Frage aktualisiert, wie man das z.B. Verhältnis zwischen einem einzelnen guten Ding und dem Allervollkommensten auffassen könnte, das in sich selbst die »Güte« enthält, indem es auf bestimmte Weise eins mit ihr ist. Da das Allervollkommenste ein Einziges ist, kann man zu der extrem monistischen Auffassung kommen, dass das Allervollkommenste das Einzige ist, was es gibt, d.h. dass es nur ein »Seiendes« gibt, das dasselbe ist wie das Sein selbst (Xenophanes, Parmenides). Die materielle Welt und die veränderliche Vielfalt der konkreten Dinge müssen in einem solchen Fall zu einer Illusion erklärt werden, oder man muss eine Lösung für das Problem finden, wie eine Vielfalt des Seienden trotz der Einheit und der Einheitlichkeit des Seins möglich sind. Jede Emanationstheorie, die alles Andere aus dem höchsten Guten und dem absoluten Einen in einem notwendigen Prozess hervortreten und dieses Andere zugleich eins mit dem ursprünglichen Einen werden lässt, scheint in einen inneren Widerspruch zu münden. Eine solche Auffassung kann nur aufrechterhalten werden, wenn man zugesteht, dass das Nicht-Sein als das Mit-Prinzip des Seins selbst fungiert, sei es, dass man dieses Nicht-Sein in der Materie sieht, sei es, in der »Abgrenzung« als Gegenprinzip der Einheit oder im Bösen als Gegenprinzip des Guten (Platon?, Plotin, Proklos, Aurobindo).

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Solche Formen eines emanatistischen Monismus neigen oft dazu, zu einem Dualismus zu werden, demgemäß jede Vielfalt und Materialität als Abfall von der geistigen Ur-Einheit sowie jede Endlichkeit und Begrenzung als etwas Schlechtes im Verhältnis zum Ur-Guten gedeutet werden. Christlichen Denkern, die von den neuplatonischen Vorstellungen beeinflusst wurden, fiel es oft schwer, den Eigenwert der materiellen, endlichen Dinge zu sehen, was häufig einen anthropologischen Dualismus zwischen der guten geistigen Seele und dem hinderlichen, materiellen Körper zur Folge hatte (Origenes, Dionysios Areopagita, Johannes Scotus Eriugena; vgl. Anthropologie 5). Da das Vollkommenste all die Vollkommenheiten enthält, an denen konkrete Dinge teilhaben können, liegt zwischen dem Vollkommensten und diesen konkreten Dingen dennoch eine gewisse Übereinstimmung vor. Es ist daher eine Art Erkenntnis von diesem Allervollkommensten möglich, sodass ein totaler Agnostizismus ausgeschlossen werden muss. Gleichzeitig kann es das Vollkommenste nicht auf dieselbe Weise wie alle anderen konkreten Dinge geben, welche an diesen Vollkommenheiten teilhaben. Würde das Allervollkommenste nämlich zusammen mit allen konkreten Dingen, die an diesen Vollkommenheiten teilhaben, eine Vielfalt von ähnlichen einzelnen Dingen ausmachen, müsste dies in eine pantheistische bzw. panentheistische Auffassung der Gesamteinheit münden. Wenn man auf eine eindeutige (univoke) Weise von Gott, d.h. dem Allervollkommensten, und allem Anderen in der Welt sagen könnte, dass sie »existieren«, müssten Gott und die Welt entweder identisch miteinander sein oder auf dieselbe Weise »nebeneinander« als selbständige Einheiten existieren (gegen Duns Scotus, vgl. Ontologie 3.3). Gäbe es das endliche Universum auf dieselbe Weise wie das unendlich Vollkommene, würden Gott und die Welt entweder eine einzige Substanz darstellen (Substanzmonismus) oder das Allervollkommenste wäre das höchste Seiende neben allem, was es in einer größeren und damit umfassenderen Totalität alles Seienden gibt. Nur wenn man die Analogie des Seins beachtet (lat.: analogia entis), kann man vermeiden, dass Gott entweder identisch mit der ganzen Welt wird oder nur das höchste Seiende neben anderen Seienden ist. Der Gedanke der Analogie des Seins verdeutlicht nämlich den Zusammenhang zwischen der durchgehenden Einheit bzw. Einheitlichkeit und der tiefgreifenden Differenz, die die gesamte Wirklichkeit kennzeichnet, d.h. Gott und die Welt »zusammen«. Das Allervollkommenste und alles Andere stimmen darin überein, dass sie existieren, unterscheiden sich aber darin, dass alles Andere als das Vollkommenste nur existiert, weil das Allervollkommenste existiert. Zu existieren bedeutet nämlich für das Vollkommenste, den Grund für seine Existenz in und durch

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sich selbst zu haben (lat.: aseitas, von: a-se = von-sich, durch-sich). Zu existieren bedeutet für alles Andere, dass der Grund für seine Existenz in etwas Anderem liegt. Das Vollkommenste existiert also seinem Wesen gemäß mit Notwendigkeit (lat.: esse per essentiam), weil Gottes Wesen Gottes Existenz ist. Alles Andere existiert hingegen nur durch Teilhabe (lat.: esse per participationem) und ist in diesem Sinne nicht notwendig, sondern kontingent, weil es möglich ist, dass es nicht existiert. Den Hintergrund zu dieser Auffassung stellt das Prinzip des zureichenden Grundes dar: Alles, was existiert, hat einen Grund für seine Existenz, entweder in sich selbst oder in etwas Anderem (Leibniz). Die Analogielehre verdeutlicht jedoch nicht die Beziehung, die zwischen dem wesensnotwendig existierenden Allervollkommensten und allen übrigen konkreten Dingen und Wesen herrscht, die zumindest auf ihre spezifische Weise einige von dessen Vollkommenheiten besitzen. Der Teilhabegedanke erklärt nicht ganz, wie die Einheit der Wirklichkeit mit dem tiefgreifenden Unterschied zwischen dem Allervollkommensten und allen auf ihre endliche Weise vollkommenen einzelnen Dingen zusammengeführt werden kann. In unserer Alltagserfahrung scheint nämlich eine Teil-habe (parti-cipation) bei dem, woran man teil-haben kann, eine Teil-barkeit vorauszusetzen. An einem Stück Brot oder einem Schluck Wasser teil-zu-haben, setzt einen ausgedehnten materiellen Bereich voraus, welcher in unterschiedliche Quantitäten eingeteilt werden kann, die weniger werden, wenn man etwas davon mit-teilt. Dies ist jedoch nicht mehr wahr, wenn wir in einem analogen Sinne sagen, dass jemand an der Freude oder Erkenntnis eines anderen Menschen teil-hat. Die »Menge von« Freude und Erkenntnis wird nämlich nicht vermindert, wenn wir etwas davon einem Anderen mit-teilen. Die gemeinsame Freude und Erkenntnis kann stattdessen sogar größer werden. Aber selbst in diesem Fall wird eine geteilte Zweiheit von Menschen und eine Beziehung zwischen ihnen vorausgesetzt, in welcher der eine dem Anderen etwas mit-teilt. Geht es hingegen um die Teilhabe des konkreten Dings am Allervollkommensten, muss auch die nebengeordnete Zweiheit ausgeschlossen werden, welche in allen Verhältnissen von Teilhabe zwischen menschlichen Personen vorliegt. 7.6

Das Vollkommenste als das »Urbild« von allem

Das Verhältnis zwischen dem vollkommensten Einen und der Vielheit aller konkreten Dinge, welche am Allervollkommensten teilhaben, kann mit Hilfe der Beziehung verdeutlicht werden, die zwischen der Vielheit ähnlicher einzelner Dinge und der Grundlage für die Einheit der Vielheit besteht. Einzelne

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Menschen beispielsweise scheinen nur als Menschen existieren zu können, weil sie an etwas Gemeinsamem teilhaben, was sie zu Menschen macht. Die Grundlage für die Einheit der Vielheit muss einerseits als mehr denn bloß eine einheitliche Denkhandlung oder ein Begriffsinhalt ohne Realitätswert angesehen werden (gegen den Konzeptualismus: Ockham, Kant u.a.). Andererseits sollte diese Grundlage nicht als eine verdinglichte, einheitliche und selbständige Idee an der Seite der konkreten selbständigen Dinge gelten (gegen einen extremen Realismus: Platon?, Platonismus). Der Grund dieser Einheit sollte vielmehr mit etwas identifiziert werden, was es als wesensnotwendige Beschaffenheit in allen einzelnen Dingen gibt, welche eine ähnlich geartete Vielheit darstellen (Aristoteles). Als Einheitsgrund muss diese Beschaffenheit außerdem als vor den einzelnen Dingen in der Vielfalt seiend angenommen werden, weil es sich um deren Grundlage handelt (Thomas von Aquin; vgl. Erkenntnistheorie 6.5–6). Jedes Element in einer solchen Vielheit von einzelnen Dingen mit ähnlichen Beschaffenheiten hat auf seine individuelle Weise an der Beschaffenheit teil, ohne dass die Beschaffenheit selbst, beispielsweise Mensch-zu-sein oder die Tapferkeit, teilbar sein muss (Nikolaus von Kues). Von jedem Element einer Vielfalt von ähnlich beschaffenen Dingen kann gesagt werden, es »repräsentiere« (anwesend machen, aus dem Lat.: re = wieder, praesens = anwesend) oder »exemplifiziere« (Beispiel geben zu, aus dem Lat.: exemplum = Muster, Vorbild) die Beschaffenheit, an der es teilhat. Die einheitliche Beschaffenheit selbst kann so gedacht werden, dass sie eine Art »Vorbild« oder »Urbild« darstellt, während das so Beschaffene nur als ihr »Abbild« fungiert. Dieses Modell hebt sowohl die fundamentale Ähnlichkeit als auch den entscheidenden Unterschied hervor, welcher bei einer Vielfalt ähnlich beschaffener einzelner Dinge vorliegt, weil das Abbild aufgrund einer Art Teilhabe an der Besonderheit des Urbildes dem Urbild ähnelt, sich aber gleichzeitig in seiner Funktion als Abbild offenbar von dem Urbild unterscheidet. Man muss nämlich sowohl eine totale Gleichheit zwischen Urbild und Abbild als auch eine totale Verschiedenheit der beiden ausschließen. Daraus folgt nicht, dass zwischen ihnen nur eine Art partieller Ähnlichkeit oder Differenz vorliegt. Vielmehr ist die Beziehung zwischen Urbild und Abbild davon gekennzeichnet, dass eine Gleichheit im Unterschied und ein Unterschied in der Gleichheit vorliegt, weil sie einander gleichen, aber nicht miteinander identisch sind. Dieser Gedanke kann bei dem sogenannten Stufenbeweis für Gottes Existenz bzw. dem Gottesbeweis aus den Graden des Seienden angewendet werden, welcher von der Einsicht ausgeht, dass Beschaffenheiten auf eine mehr oder weniger vollkommene Weise exemplifiziert bzw. verwirklicht sein können (Augustinus, Anselm, Thomas von Aquin u.a.). Da ein dreibeiniges

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Pferd weiterhin ein Pferd ist, auch wenn es in physischer Hinsicht ein weniger vollkommenes Pferd als ein vierbeiniges ist, besitzt die Beschaffenheit ein-Pferd-sein, welche im Normalfall vier Beine zu haben beinhaltet, auch eine bestimmte normierende Funktion. Man braucht deswegen jedoch nicht anzunehmen, dass es die Idee eines Pferdes bzw. eine Art Idealpferd gibt, welches sich von allen konkreten Pferden »an der Seite« jenes Ideals unterscheidet (gegen einen extremen Begriffsrealismus), denn die normierende Grundlage für die Pferdebeschaffenheit der konkreten Pferde muss selbst kein Pferd sein. Wenn es aber um Transzendentalien wie Einheit, Wahrheit, Güte sowie um bestimmte andere positive Beschaffenheiten geht, die in unterschiedlichen Graden in der Welt verwirklicht sind, muss es zu ihrem graduellen Vorkommen eine normierende Grundlage im höchsten Seienden geben, welches in sich selbst in höchstem Grade eins, wahr, gut usw. sein muss (vgl. Platon). Darüber hinaus scheinen sogar die unterschiedlichen lebenden Wesen für die verschiedenen Grade des Lebens eine Grundlage in etwas Anderem vorauszusetzen, welches im allerhöchsten Grade lebend ist. Auf dieselbe Weise brauchen alle mit Vernunft begabten Wesen für ihre unterschiedlichen Grade von Selbstbewusstsein und Freiheit eine normierende Grundlage in etwas, welches in höchstem Grade sich seiner selbst bewusst und frei ist. 7.7

Die Einheit der Vollkommenheiten im Vollkommensten

Was die letzte normierende Grundlage für die endlichen und graduellen Vollkommenheiten der Welt ist, muss diese Vollkommenheiten in höchstem Grade in sich selbst enthalten und sie gleichzeitig zu einer letzten Einheit zusammenfassen. Wenn diese Vollkommenheiten Gottes »Beschaffenheiten«, »Eigenschaften« oder »Attribute« genannt werden, darf dies nicht zu einer fehlerhaften Auffassung verleiten. Zeichnet sich das Vollkommenste auch durch den höchsten Grad aus, ist es nicht eine Art Summe oder Zusammensetzung aller Vollkommenheiten, sondern muss letztendlich ganz und gar einfach und unteilbar sein. Ein Mensch, welcher an seine Sinne gebunden und abhängig von seinem abstrakten Denken ist, kann sich aber weder vorstellen noch verstehen, wie diese Vollkommenheiten in Gott eine untrennbare Einheit darstellen können. Er kann zwar von der Sinnenwelt bestimmte Begriffe abstrahieren, welche verschiedenen erfahrbaren Vollkommenheiten entsprechen (via affirmationis), muss aber zugleich das verneinen, was deren begrenztes Vorkommen in der erlebten Welt ausmacht (via negationis) und muss die Inhalte dieser Begriffe auf eine letztendlich unbegreifliche Weise erhöhen (via

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eminentiae). Gott wird auf diese Weise zum allumfassenden und unendlich vollkommenen und daher unbegreiflichen Mysterium. Bereits auf der physischen Ebene kann der Mensch sich weder vorstellen noch gänzlich verstehen, wie so verschiedene Kräfte wie die Gravitationskraft, die elektromagnetische Kraft sowie die schwache und die starke Kernkraft beim Urknall zu Beginn des Universums eine einzige Kraft darstellen konnten. Noch weniger kann der Mensch sich vorstellen und begreifen, wie die Wahrheit, die Güte, das Leben usw. in ihrem höchsten Grad miteinander identisch sein können, sodass sie eine untrennbare Einheit mit dem höchsten Grad des Seins darstellen. Diese »göttlichen Eigenschaften« sind weder rein negativ (negative Theologie) noch gänzlich synonym, als ob sie exakt dasselbe bedeuten würden (gegen Meister Eckhart). Jede Einzelne stellt vielmehr auf ihre Weise einen Aspekt der göttlichen vollkommenen Einheit dar, die in ihrer endlichen Ausformung in eine Menge verschiedener Vollkommenheiten zersplittert ist. Um eine Ahnung davon zu bekommen, wer oder was Gott ist, gilt es daher, Gott auf dialektische Weise alle möglichen Vollkommenheiten zuzuschreiben und sie zugleich miteinander ins Gleichgewicht zu bringen, sodass sie einander ausbalancieren können: Gott ist zwar die Güte, aber er ist auch die Wahrheit und die Gerechtigkeit usw. In Gott werden alle solchen durch die Endlichkeit gegebenen Widersprüche aufgehoben, sodass er als das »Zusammenfallen aller Widersprüche« angesehen werden kann (lat.: coincidentia oppositorum, Nikolaus von Kues).

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Gott, Ursache und Grund von allem Das Argument der natürlichen Theologie für Gottes Existenz sollte von recht unzweifelhaften Phänomenen ausgehen. Daher kann man sich fragen, ob es, trotz aller Vielfalt, einen leichter zugänglichen Grund gibt als die Erfahrung des Menschen von der Ganzheit und Einheit aller Dinge. Eine solche Erfahrung kann dem Menschen zugleich neue Erfahrungen ermöglichen, welche als Ausgangspunkt für weitere Gottesbeweise genutzt werden können. Die Reflexion, die ihren Ausgangspunkt bei solchen neuen Erfahrungen hat, kann danach weitere Dimensionen dessen, was »Gott« genannt wird, klären. Die Ganzheitserfahrung des Menschen führt zwar zu einer bestimmten Erkenntnis des Allervollkommensten als Grund für und Urbild von allen Vollkommenheiten in der Welt, dieses Vollkommenste könnte aber weiterhin als eine eher statische Einheit aufgefasst werden, in der all diese Vollkommenheiten zusammengefasst sind. Wenn man hingegen von der Veränderlichkeit und der dynamischen Ordnung der erlebten Welt ausgeht und nach ihrem Grund, ihrem Ziel und ihrer Bedeutung fragt, kann die Frage, wer oder was Gott eigentlich ist, dem Verständnis des Menschen eine weitere Dimension hinzufügen. Der sogenannte kosmologische Gottesbeweis, welcher von der Bewegung, der Veränderlichkeit, dem Anfang, der Ordnung usw. der erlebten Welt ausgeht, mag dem modernen naturwissenschaftlich orientierten Menschen trotz seiner Schwächen oft sehr überzeugend erscheinen. Dennoch kann er einer Reihe berechtigter Einwände ausgesetzt werden, wenn sein Erfahrungshintergrund nicht so einer tieferen philosophischen Analyse unterzogen wird, dass die anschließende Reflexion in ein metaphysisches Argument mündet. Außerdem genügen all diese Argumente nicht, wenn es darum geht zu zeigen, dass Gott auch eine Person ist. 8.1

Die fundamentale Kausalitätserfahrung des Menschen

So wie der Mensch in jedem bewussten Erkenntnisakt und jeder freien Handlung indirekt und unreflektiert die Wirklichkeit und das Dasein als Gesamtheit erlebt, erfährt er auf entsprechende Weise einen fundamentalen Kausalzusammenhang zwischen allem in der Wirklichkeit. Bereits die sich wiederholenden »Warum«-Fragen des kleinen Kindes zeigen, dass der Mensch sich

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nicht damit zufrieden gibt, nur reine Fakten zu konstatieren, d.h. dass sich etwas auf eine bestimmte Weise verhält, ohne fortwährend auch zu versuchen, darüber Klarheit zu erlangen, warum es sich auf diese Weise verhält, d.h. was die (wirkende) Ursache dafür ist, dass es sich auf diese Weise verhält (vgl. Ontologie 7.6). Weniger offenkundig ist, dass der Mensch sich wieder und wieder fragt, wozu es dient, dass es sich so und so verhält, was der Zweck oder das Ziel ist, d.h. die Zweckursache. Die Überzeugung des Menschen, dass das, was in der Welt geschieht, von einem grundlegenden kausalen Zusammenhang von Ursache (lat. causa; engl.: cause; dt.: Ursache) und Wirkung (lat.: effectus; engl.: effect; dt.: Wirkung) geprägt ist, muss sich auf eine allgemeinmenschliche Erfahrung stützen, weil ein solcher Kausalnexus zwischen zwei Dingen oder Ereignissen nicht direkt mit den Sinnen wahrgenommen werden kann. Das, was direkt wahrgenommen wird, ist nur, dass die »Ursache« für gewöhnlich in Bezug auf die Zeit vor der »Wirkung« kommt und dass eine bestimmte Regelhaftigkeit zwischen Ursache und Wirkung besteht. Das Wirken oder Ein-Wirken der »Ursache« auf die »Wirkung« kann man hingegen nicht dahingehend wahrnehmen, dass ein notwendiger ontologischer Zusammenhang zwischen ihnen vorliegt (vgl. Ontologie 9). Dennoch kann die Überzeugung eines Menschen, dass eine Ursache mit natürlicher Notwendigkeit kraft eines Kausalnexus eine Wirkung hervorbringt, nicht bloß auf subjektive, gewohnheitsmäßige psychische Mechanismen (gegen Hume, Empiristen) oder auf apriorische Kategorien der theoretischen Vernunft (gegen Kant) zurückgeführt werden. Diese spontane Überzeugung muss sich auf eine allgemeinmenschliche Grunderfahrung stützen. Dass der spontanen Kausalitätserfahrung des Menschen in Form eines Kausalzusammenhangs in der Wirklichkeit, die von den Vorstellungen und dem Denken des Menschen unabhängig ist, entsprochen wird, kann durch die nachfolgende Reflexion auf vielfältige Weise bekräftigt werden. Der Einfluss unterschiedlicher Ursachen auf den Menschen und ein notwendiger Kausalzusammenhang sind nämlich erforderlich, damit überhaupt eine Erkenntnis über das aktuelle Bewusstsein hinaus möglich sein kann, beispielsweise eine Erkenntnis des Vergangenen, anderer Menschen oder der Außenwelt (vgl. Erkenntnistheorie 10.3–5 und 11.2–3). Außerdem erfährt der Mensch sich selbst unmittelbar als Ursache und ist sich deshalb bewusst, dass er der eigentliche Grund seiner freien Taten und Handlungen ist. Er könnte nicht verantwortlich für seine Handlungen sein, wenn er durch sie nichts anderes beeinflussen würde, und letztendlich die gesamte Welt und Geschichte (vgl. Anthropologie 8). Bei jeder naturwissenschaftlichen Experimentsituation wird nicht nur vorausgesetzt, dass die Untersuchungsinstrumente und auch die Sinnesorgane

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des Beobachters von etwas beeinflusst werden, sondern gemäß neuerer Ergebnisse der Physik auch, dass der Beobachter und sein Werkzeug das, was untersucht werden soll, beeinflussen (Heisenbergsche Unschärferelation; vgl. Ontologie 9). Daher ist eine rein funktionelle Deutung von Experimentsituationen nicht möglich und eine Ursache ist nicht mehr nur eine notwendige Bedingung (lat.: conditio) oder ein notwendiger Umstand (lat.: occasio) für die Wirkung. Weil ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Ursache und Wirkung sowie ein wirklicher Einfluss der Ursache auf die Wirkung vorliegen, können diese nicht gänzlich identisch sein. Es ist außerdem nicht nötig anzunehmen, dass Ursache und Wirkung immer zwei voneinander gänzlich verschiedene Dinge oder »Sachen« sein müssen, wie der Ausdruck »Ursache« anzudeuten scheint. Daher hat der eigentliche Kausalzusammenhang nicht in allen Kontexten mit einer physischen Kraft oder einem Energiefluss zu tun, welcher von dem Einen zum Anderen übergeht. Wenn man den einzelnen Menschen als Ursache seiner Handlungen ansieht, können diese nicht ganz von ihm unterschieden werden und zugleich ist keine Kraft oder Energie als Verbindungsglied zwischen ihm und seinen Handlungen vorhanden. Indem er zur Ursache seiner Handlungen wird, formt der Mensch mehr und mehr sich selbst, sodass er sich selbst durch seine Handlungen verändert. Die naturwissenschaftliche Forschung zeigt, dass auch bei den übrigen Ursache-Zusammenhängen in der Wirklichkeit eine Form dieser Wechselwirkung vorzuliegen scheint. Man muss jedoch nicht in allen Zusammenhängen voraussetzen, dass eine Ursache notwendigerweise zeitlich vor oder zumindest gleichzeitig mit ihrer Wirkung vorhanden sein muss. Das Entscheidende ist das ontologische Ursache-Verhältnis, nicht die zeitliche Reihenfolge. Die spontane Kausalitätserfahrung des Menschen kann als eine Form der Gotteserfahrung angesehen werden, weil sie unmittelbar zu der Einsicht führt, dass er nicht selbst die Ursache für seine eigene Existenz und im größeren Maßstab auch nicht für sein Wesen ist. Weil seine Eltern ein Kind haben wollten, kam er zur Welt, und während seines gesamten vergangenen Lebens erlebte er viele Einwirkungen, die ihn tief geprägt haben. Im Zuge einer weiteren Reflexion wird deutlich, dass die meisten Ursachen, die zu seiner Existenz Veranlassung gegeben und sein Wesen geprägt haben, ihrerseits zumindest teilweise aufgrund anderer Ursachen entstanden sind und von anderen Ursachen beeinflusst wurden. Dies hat zur Folge, dass er zu seinem gesamten Kausalzusammenhang Stellung nehmen muss, dessen Endprodukt er selbst ist. Darüber hinaus muss er selbst handeln, um seine Existenz als Person in dieser Welt fortsetzen zu können und dadurch selbst zur Ursache für weitere Wirkungen werden zu können. Eingefügt in einen großen

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Kausalzusammenhang erfährt der konkrete Mensch sich als ein Endprodukt unterschiedlicher Ursachen und als Ursache weiterer Wirkungen, ohne dass er sich von diesen fundamentalen Voraussetzungen seines Daseins befreien könnte. 8.2

Gott und die Entstehung und Veränderung der Welt

Ausgehend von der spontanen Kausalitätserfahrung kann man in der nachfolgenden Reflexion eine Reihe impliziter Voraussetzungen klären und erläutern, welche benötigt werden, um zeigen zu können, dass nicht nur ein durchgängiger Kausalzusammenhang in der Welt vorliegt, sondern auch, dass es eine erste (letzte) Ursache für die ganze Welt geben muss, die man »Gott« nennen könnte. Obwohl man das nicht durch eine direkte Wahrnehmung oder ein Erlebnis konstatieren kann, ist es möglich, eine sichere Erkenntnis davon zu gewinnen, dass es etwas in der Welt gibt, was nur aufgrund einer Ursache existiert (Existenzprämisse). Außerdem kann man verstehen, dass, wenn etwas aufgrund einer Ursache existiert, es dann etwas oder jemanden geben muss, das oder der selbst nicht aufgrund einer Ursache existiert und zugleich die letzte Ursache von allem Anderen ist, was aufgrund einer Ursache existiert (Prinzipienprämisse). Die Einsicht, dass es eine erste Ursache von allem geben muss, kommt bei den frühen Menschen in ihren verschiedenen anschauungsbezogenen mythischen Vorstellungen zum Ausdruck. Manchmal hat man gemeint, dass die Menschen und Dinge unserer an die Sinne gebundenen Welt und unseres Universums aus dem »Körper« einer Gottheit geworden sind oder abgespalten wurden, manchmal, dass die Gottheit sie ähnlich wie ein Handwerker hergestellt hat, und manchmal, dass die Gottheit sie durch einen Willensakt oder einen Befehl hervorgerufen hat. Oft ließ man eine Vielfalt an Göttern (Polytheismus, aus dem Griech.: poly = viele, theos = Gott) aus der einen Urgottheit hervorgehen, welche auf diese Weise zur ersten Ursache von allem Anderen wurde (Theogonie, aus dem Griech.: theos = Gott, genesis = Ursprung). Es ist unklar, ob man in der früheren Zeit diese sinnengebundenen Vorstellungen als genaue Beschreibungen aufgefasst hat – oder nur als Bilder für etwas letztendlich Unbegreifliches. Im Zuge der philosophischen Reflexion versuchte man, eine intellektuell zufriedenstellendere Antwort auf die Frage, woher alles kommt, zu geben. Dadurch dass man den Ursachebegriff entwickelt hatte, konnte man die Erfahrung präzisieren und so zu einem geeigneten Ausgangspunkt gelangen, der einen stringenteren Beweis für die Existenz einer ersten Ursache ermöglichte.

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Weil aber »Ursache« und »Wirkung« korrelative Begriffe sind, sodass keine Ursache ohne Wirkung sein kann, und umgekehrt, ist es unzureichend, nur zu konstatieren, dass es in der Sinnenwelt Wirkungen gibt, die Ursachen voraussetzen, und auf diesem Weg zu zeigen, dass es eine erste Ursache geben muss. Stattdessen muss man von der Existenz von etwas ausgehen, was in sich selbst noch nichts von einem Kausalzusammenhang aussagt. Dies kann z.B. die Existenz von etwas sein, was entsteht, was anfängt zu geschehen, was es zu geben beginnt o.Ä. (physikalischer Gottesbeweis). Das Erleben unserer selbst und die Wahrnehmung der Außenwelt vermitteln uns eine Überzeugung davon, dass es etwas gibt, was zu existieren beginnt. Alles, was zu existieren beginnt, muss außerdem als etwas Endliches und mehr oder weniger Zufälliges angesehen werden, weil es nicht immer da war und es daher nicht mit Notwendigkeit existiert. Dies führt zu der Einsicht, dass nichts anfangen kann, wenn es keine Ursache gibt, deren Wirkung es ist. Die Einsicht kann mit dem sogenannten naturphilosophischen Kausalprinzip ausgedrückt werden: »Jedes Ereignis bzw. jede Veränderung bzw. alles, was anfängt zu existieren, hat eine hinreichende Ursache seiner Existenz«, was uns erlaubt, eine Schlussfolgerung von der Gegenwart zurück auf die Vergangenheit zu ziehen. Nicht evident ist hingegen das sogenannte Kausalgesetz: »Ähnliche ursächliche Konstellationen haben ähnliche Wirkungen«, was zur Folge hat, dass man von der Gegenwart aus die Zukunft genau bestimmen kann. Dieses Gesetz wird zwar im Rahmen einer deterministischen Naturauffassung genutzt, aber es ist nicht wahr, weil es weder für die freien Handlungen des Menschen gilt (vgl. Anthropologie 8.2–4) noch für die mikrophysischen Prozesse und ihre statistische Gesetzhaftigkeit (vgl. Ontologie 9.4–5). Weil jede Veränderung und jedes Ereignis voraussetzt, dass es eine Ursache gibt, muss auch jede Ursache einer Veränderung wiederum eine Ursache haben, wenn sie in ihrer verursachenden Aktivität sich selbst verändert und zu etwas Anderem wird. Auf diese Weise entsteht eine Kette von Ursachen, von denen jede eine Ursache braucht, um sich verändern zu können. Wenn es außerdem korrekt ist, dass alle uns bekannten Ursachen sich selbst verändern, falls sie etwas Anderes verursachen, ist eine besondere Ursache nötig, damit eine Ursache beim Verursachen von etwas Anderem sich selbst verändern kann. Da es kaum zutrifft, dass zirkuläre Ursachenketten existieren, in denen jede Ursache direkt oder indirekt ihre eigene Ursache ist, muss man die Möglichkeit ausschließen, dass eine Ursache in der Ursachenkette zugleich ein früheres Glied in der Kette verursacht. Wenn das Universum in Zeit und Raum unendlich wäre (klassische Physik), könnte man annehmen, dass die linearen Ursachenketten unendlich sind. In einem solchen Fall muss man nicht voraussetzen, dass es eine erste

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unveränderliche und unverursachte Ursache von allem Anderen in der Kette gibt, sondern annehmen, dass jede Ursache in einer solchen linearen Kette auch die Wirkung einer anderen Ursache ist. Außerdem kann es mehrere Ursachenketten »nebeneinander« geben, die nicht notwendig aus einer ursprünglichen Ursachenkette hervorgehen müssen. Aber sowohl der Zerfall der radioaktiven Stoffe als Entropie als auch mehrere andere physikalische Beobachtungen bestätigen, dass unser Universum als Gesamtheit mit einer Zeit- und Raumordnung entstanden ist (Urknall; vgl. Ontologie 10.1). In diesem Fall müssen die unterschiedlichen Ursachenketten denselben Anfang in einer einzigen ersten Ursache haben, die selbst nicht verändert wird, wenn sie etwas verursacht. Diese Konsequenz kann nur abgewiesen werden, wenn in diesem Sonderfall, d.h. das Weltall und seinen Anfang betreffend, die universelle Gültigkeit des naturphilosophischen Kausalprinzips verneint wird (Kant). 8.3

Gott und die Ordnung und Entwicklung der Welt

Ein in der Geschichte häufiger vorkommender Gottesbeweis war der teleologische (aus dem Griech.: telos = Ziel, Schluss; logos = Lehre) bzw. physiko-theologische, welcher von der anscheinend zweckbestimmten und planmäßigen Beschaffenheit von Natur und Welt ausgeht. Sowohl die Komplexität der konkreten Dinge als auch die ganze kosmische Entwicklung hin zu komplexeren Formen fordern eine zufriedenstellende Erklärung. Unseren Alltagserlebnissen nach setzen komplexe geordnete Strukturen, z.B. Ruinen eines Palastes in der Wüste oder Schriftzeichen auf einem Papier, voraus, dass es im Hintergrund einen ordnenden (menschlichen) Intellekt gibt, welcher etwas mit einer Absicht in Richtung auf ein Ziel ordnen kann. Weil die erhabene Ordnung der Natur nicht auf einen menschlichen Intellekt zurückgeführt werden kann, postulierte man analogerweise, dass es einen überlegenen kosmischen Intellekt gebe, der Grundlage und Ursprung der gesamten Weltordnung sei. Für gewöhnlich hat man diesen Intellekt mit Gott identifiziert und oft auf anthropomorphe Weise angenommen, dass die ganze Welt und alles in ihr nicht nur geschaffen, sondern auch absichtlich von einem solchen Gott geordnet wurde, ähnlich wie die Gedanken, Pläne, Wünsche und der Wille des Menschen. In bestimmten Mythen fand diese Vorstellung dadurch ihren Ausdruck, dass man die Gottheit als einen geschickten Handwerker schilderte, der das vorliegende Material bearbeitet und strukturiert. In anderen Mythen wird veranschaulicht, wie die Gottheit ein Chaos nach einem mühevollen Streit mit

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feindlichen Mächten (griech.: chaos = Unordnung) zu einer Ordnung (griech.: kosmos) umstrukturiert. Später ist die philosophische Reflexion darüber, was der Grund für die geordneten Strukturen und die Entwicklung in der Natur sein könnte, wieder und wieder zu der Einsicht gelangt, dass es eine Art Zweck-Ursache geben muss (lat.: causa finalis), die die steuernde Triebkraft für die an Prozessen beteiligten Gegenstände in der Welt ist (Anaxagoras, Platon, Aristoteles, Thomas von Aquin, Duns Scotus, Suárez u.a.). Man kann zwar annehmen, dass der Zweck der konkreten Dinge und Wesen in ihrer Natur als »Entelechie« (aus dem Griech.: en = in; telos = Zweck; echein = besitzen, haben) angelegt ist, sodass sie das Ziel ihres Werdens in sich selbst haben (immanente Teleologie; vgl. Anthropologie 13.1; Ontologie 7.4–6). Aber es scheint eine treibende Kraft hinter dem Vorkommen und der Entwicklung der Dinge nötig zu sein, die den konkreten Dingen und Wesen auch ihr spezifisches Ziel gibt (transzendente Teleologie). Wenn es sich auch als unausweichlich herausstellen kann, von einer innewohnenden Zweckmäßigkeit bei solchen Naturerscheinungen wie den komplexen Funktionen der Sinnesorgane, der Anpassung der Lebewesen an ihre Umwelt, dem zielgerichteten Verhalten von Tieren usw. auszugehen (vgl. Ontologie 10.3–4), hat man dennoch versucht, diese als Konsequenzen ausschließlich zufälliger Ereignisse oder notwendiger und damit zielloser Prozesse zu erklären (Materialismus, Mechanismus). Lange ging man davon aus, dass auch zweckmäßig funktionierende Wesen rein zufällig entstehen und sich entwickeln können, während nicht-zweckmäßige Lebewesen schnell als untauglich aussortiert werden (das natürliche Auswahlprinzip der Evolutionstheorie; Evolutionismus; Nicolai Hartmann). Solche Theorien konnten als zufriedenstellend betrachtet werden, solange man der Ansicht war, dass es das Universum immer gegeben hat und immer geben wird. Aber das ist nunmehr problematisch, weil neuere Untersuchungen darauf hindeuten, dass die begrenzte Existenz des Universums von etwa 15 Milliarden Jahren seit dem Urknall nicht dafür ausreicht, den unermesslichen Artenreichtum und die Komplexität der Lebewesen durch rein zufällige Prozesse entstehen zu lassen. In der modernen Zeit hat man auch darauf aufmerksam gemacht, dass die Entwicklung der Natur von einem chaotischen Anfang zu komplexeren Formen auf der anorganischen (Atome, Moleküle, Sterne, Milchstraße), der organischen (Mikroben, Pflanzen, Tiere, Menschen) und der sozialen Ebene (Gesellschaft, Kultur) gegen das Entropiegesetz (aus dem Griech.: entrope = Kampf gegen, Verwandlung) verstößt, gemäß welchem die Unordnung in einem geschlossenen System wie dem Weltall eigentlich ständig zunimmt.

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Der Entwicklungsprozess setzt auch voraus, dass die kleinsten Bausteine der Natur, die Elementarteilchen, so beschaffen sein müssen, dass alle komplexen Formen in der Welt gebildet werden können. Außerdem muss es bestimmte dynamische Organisationsprinzipien geben, die komplexere Formen entstehen lassen. Gemäß dem sogenannten anthropischen Prinzip der neueren Physik schließlich sollten minimale Veränderungen des quantitativen Wertes der Naturkonstanten und der Anfangsbedingungen des Universums zur Folge haben, dass der Mensch nicht entstehen kann (vgl. Ontologie 10.5–6). All dies spricht dafür, dass es eine überragende vernünftige Ursache gibt, die der Ursprung dieser intelligiblen Welt mit all ihrem Artenreichtum und ihrer Komplexität ist (vgl. auch den indischen Theismus: Aurobindo). 8.4

Die Grenzen des physikalischen und physiko-theologischen Gottesbeweises

Sowohl der physikalische Gottesbeweis, der vom Anfang der veränderlichen Welt ausgeht, als auch der physiko-theologische Beweis, der die zielorientierte Ordnungsstruktur und Entwicklung der Welt annimmt, sind trotz ihrer größtenteils überzeugenden Kraft mit Schwierigkeiten behaftet. Ein entscheidender Einwand gegen diese Gottesbeweise ist nicht, dass sie bei der Anwendung des Ursache- und Zweckbegriffs von Situationen innerhalb der Welt bis zum ganzen Universum als solchem ausgreifen, und damit über die Definitionsbereiche dieser Begriffe hinaus (gegen Kant). Problematisch ist vielmehr, dass sie die Erkenntnis des Menschen von Gott von physikalischen Theorien abhängig machen, deren Wahrheitsgehalt immer provisorisch und relativ ist. Für einen echten Gottesbeweis ist nämlich mehr als nur eine naturwissenschaftlichhypothetische Sicherheit notwendig. Wie problematisch es sein kann, wenn ein Gottesbeweis gänzlich von einer physikalischen Theorie abhängig ist, zeigt der sogenannte kinesiologische Beweis, der vom Vorkommen von Bewegung (griech.: kinesis) in der Welt ausgeht. Wenn die Behauptung »Damit etwas, was sich bewegt, nicht damit aufhört, ist eine beständig wirkende Ursache nötig, die die Bewegung in Gang hält« als physikalisches Gesetz akzeptiert wird, gilt der sogenannte Bewegungssatz: »Alles, was sich bewegt, wird von etwas Anderem in Bewegung gehalten«. Weil es Dinge gibt, die sich bewegen, kann man mit Hilfe dieses Bewegungssatzes die Existenz des »unbewegten Bewegers« herleiten, der, ohne sich selbst zu bewegen, die letzte Triebkraft und das letzte Ziel ist und die ganze sich vollziehende Bewegung des Universums aufrechterhält (Aristoteles). Weil aber dem Verständnis der modernen Physik zufolge keine Kraft nötig ist, um eine

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unbehinderte Bewegung in Gang zu halten, ist der Bewegungssatz nicht wahr und der kinesiologische Gottesbeweis auch nicht korrekt. Wenn der Bewegungssatz ersetzt wird durch das naturphilosophische Kausalprinzip »Alles, was sich zu bewegen beginnt, und alles, was verändert wird, braucht etwas (Anderes), das diese Bewegung in Gang setzt oder es verändert« bzw. »Alles, was entsteht, benötigt etwas Anderes, das es entstehen lässt«, kann eine andere Form des Gottesbeweises gebildet werden. Jede akzidentelle und substantielle Veränderung setzt nämlich die Existenz einer Ursache voraus, die es etwas ermöglicht, wirklich zu existieren. Eine solche Ursache gibt also entweder Anlass zur Existenz einer akzidentellen Form bei einem konkreten Ding oder lässt das konkrete Ding entstehen (vgl. Ontologie 7.1–3). Aber gemäß dem Prinzip »Nichts kann Ursache von etwas sein, das über das hinausgeht, was es selbst besitzt« muss das, was Ursprung der Existenz von etwas Anderem ist, in Besitz von dem sein, was es an das Andere weitergibt. Die Argumentation führt in diesem Fall zur Existenz eines ersten Bewegers (griech.: proton kinoun; lat.: primum movens), der die im Universum herrschenden Bewegungen und Veränderungen in Gang setzt (Kalam-Argument: al-Kindi, Saadia Gaon). Man kann sich also der Existenz einer ersten wirkenden Ursache anschließen, die dem gesamten Universum und allen konkreten Dingen sowohl ihre Existenz als auch ihre zielgerichtete Wesensbeschaffenheit gibt (Thomas von Aquin). Aber diese Art der Argumentation zeigt eigentlich nichts Anderes, als dass jede Ursachenkette ein erstes Glied hat, das nicht entsteht und daher im Gegensatz zu den übrigen Gliedern der Kette nicht von etwas Anderem verursacht wurde. Wenn man außerdem annimmt, dass alle Ursachenketten ein gemeinsames erstes Glied haben, muss es eine einzige erste Ursache geben. Diese erste Ursache kann nicht mit dem Universum oder mit etwas im Universum identifiziert werden, wenn man davon ausgeht, dass das Universum selbst im Zuge des Urknalls entstanden ist und sich seitdem ständig zu einer immer komplexeren Ordnung entwickelt hat. Wenn man aber diese erste Ursache mit Gott identifiziert, kann Gott leicht als eine Art Werkmeister aufgefasst werden (griech.: demiourgos, von demios = das Volk betreffend, öffentlich; ergon = Werk), d.h. als ein dem gesamten Universum und der kosmischen Weltordnung überlegener Erfinder und In-Gang-Setzer (vgl. Platons Timaios, Prokolos, Philon; Gnostizismus, Manichäismus). In einem solchen Fall kann Gott auch als der intelligente Ursprung der zielgerichteten Ordnungsstruktur und Entwicklung der Welt angesehen werden, die von einem innewohnenden Streben in Gang gehalten wird (vgl. Aristoteles). Aber dabei genügt es eigentlich, dass Gott die wohlgeplante Weltenmaschinerie in Gang setzt, welche danach von anfangs festgelegten Regeln (Naturgesetzen)

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gesteuert wird, ohne dass Gott jemals in die notwendig ablaufenden Ereignisse der Welt einzugreifen braucht (Deismus; aus dem Lat.: deus = Gott; Herbert von Cherbury?, Toland, Collins, Tindal, Shaftesbury, Voltaire u.a.). Eine solche intelligente erste Ursache für alles Andere ist der entscheidende Faktor im ganzen Universum. Als Werkmeister der Welt, d.h. als erste Ursache für das ganze Universum und als Ursprung der einem festen Plan folgenden Entwicklung der Welt, hat Gott zwar eine überlegene Position und Rolle. Eigentlich ist ein solcher Gott aber nicht mehr als ein konkretes intelligentes Wesen, weil er ähnlich wie wir ein hochgradig geordnetes System plant, konstruiert und in Gang setzt, auch wenn das System in seinem Fall der gesamte Kosmos mit seiner inneren Entwicklung ist. Je mehr man in diesem Fall die innere Gesetzmäßigkeit der Welt betont, desto weniger muss man davon ausgehen, dass Gott in seiner Existenz und als erste Ursache den Weltzusammenhang überschreitet. Folglich ist Gott nicht einmal als Grund für die fortgesetzte Existenz der Welt notwendig. Außerdem kann man in einem solchen Fall auch immer fragen, was die Ursache von Gottes eigener Existenz sei. 8.5

Kausalität und das notwendige Absolute

Um den kosmologischen Gottesbeweis präzisieren zu können, muss der Kausalitätsbegriff tiefer analysiert werden. Manchmal hat man den Kausalitätsbegriff als einen transzendentalen betrachten wollen und dazu angenommen, dass alles, was es gibt, in dem Maße, in welchem es existiert, eine Ursache haben muss. In einem solchen Fall muss man davon ausgehen, dass es etwas gibt, was nicht nur Ursache für etwas Anderes, sondern auch für sich selbst ist (lat.: causa sui), d.h. dass etwas in der Lage ist, sich seine eigene Existenz zu verleihen (Plotin, Victorinus?, Descartes?, Spinoza). Die Auffassung wird missverstanden, wenn man meint, dass etwas, was es nicht gibt, sich selbst aus dem Nichts hervorbringen kann. Diese Ansicht wurde in der Lebensphilosophie (Bergson) und in der Prozesstheologie (Whitehead) angedeutet. Eine ähnliche Ansicht wurde in Zusammenhang mit der Quantentheorie und der Chaosforschung sowie der Theorie sich selbst organisierender Systeme deutlicher erkennbar entwickelt. Dass aber das totale Nichts Ursache für etwas Seiendes werden kann (bestimmte Formen des Buddhismus) oder dass die rein begriffliche Wesensbeschaffenheit sich ihre Existenz verleihen könnte (Hegel), ist eine sehr viel problematischere Auffassung. Ein solcher Gedanke widerspricht den gewohnten Ansichten, dass etwas sich nicht seine eigene Existenz geben kann (vgl. Thomas von Aquin). Zugleich kann man annehmen, dass etwas mit Notwendigkeit existieren kann, dessen Existenzgrund nicht in etwas Anderem als etwas Existierendem besteht.

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Der Ursachebegriff darf also nicht als ein Transzendentale gesehen werden, denn zu existieren bedeutet nicht dasselbe wie verursacht zu sein. Deshalb muss man jedoch nicht ausschließen, dass alles einen vernunftgemäßen Grund für seine Existenz haben muss, sei es, dass es durch etwas Anderes verursacht wurde (lat.: esse ab alio), sei es, dass es durch sich selbst (lat.: esse a se; aseitas) und daher mit Notwendigkeit existiert (das Prinzip des zureichenden Grundes: Leibniz). Wenn es überhaupt etwas gibt, muss es entweder selbst der letzte hinreichende Grund für seine eigene Existenz sein oder es muss etwas geben, was der hinreichende Grund für seine eigene Existenz und die alles Anderen ist. Im Gegensatz zu allem, was relativ ist, d.h. abhängig von etwas Anderem, was es gibt, muss diese äußerste Ursache im absoluten Sinne, d.h. gänzlich unabhängig von allem Anderen, existieren. Die Argumentation kann dahingehend vertieft werden, dass man davon ausgeht, dass es in der Welt etwas gibt, was kontingent ist, d.h. was es geben kann, aber auch nicht geben kann (Existenzprämisse). Man kann leicht verstehen, dass alles, was es auf eine kontingente Weise gibt, d.h. was es nicht mit Notwendigkeit gibt und was es daher auch nicht geben könnte, für seine Existenz etwas Anderes erfordert, was es verursacht (metaphysisches Kausalprinzip, Prinzipienprämisse). Daraus folgt, dass es etwas geben muss, was mit Notwendigkeit existiert und was die letzte Ursache für die Existenz der kontingenten Dinge ist. Sonst würde es keinen hinreichenden Grund für die Existenz der kontingenten Dinge geben. Das, was kontingent ist, existiert also letztendlich gänzlich abhängig von dem und aufgrund dessen, was nicht kontingent ist. Nimmt man außerdem an, dass das gesamte Universum nicht mit Notwendigkeit existiert, d.h. dass es möglich ist, dass es das Universum nicht gibt, muss man auch die Existenz des notwendigen Absoluten akzeptieren, ohne das es ein kontingentes Universum nicht geben würde. Dieses Absolute, das mit Notwendigkeit existiert und daher den Grund seiner Existenz in und »von« sich selbst hat, kann mit Gott identifiziert werden (Kontingenzbeweis: Ibn Sina [Avicenna], Moses Maimonides, Thomas von Aquin u.a.). Ein Kriterium für die Kontingenz der Dinge ist ihre substantielle Veränderung. Alles, was entsteht, d.h. was beginnt, da zu sein, oder vergeht, existiert nämlich nicht mit Notwendigkeit, sondern kann existieren oder nicht existieren. Daher kann das naturphilosophische Kausalprinzip als ein Sonderfall des metaphysischen Kausalprinzips aufgefasst werden. Etwas kann aber kontingent sein, auch wenn es nicht durch einen Zufall entstanden ist. Wenn man sich nämlich denkt, dass etwas nicht-notwendig existiert, muss man nicht zugleich annehmen, dass es auch zu einem Zeitpunkt entsteht. Etwas Anderes zu verursachen, sodass es existiert, ist nämlich nicht dasselbe, wie dieses Andere in Gang zu setzen, d.h. es zu einem Zeitpunkt entstehen zu lassen sowie es anschließend in seiner Existenz aufrechtzuerhalten. Auch wenn

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das Weltall keinen zeitlichen Anfang hatte, muss es nicht mit Notwendigkeit existieren und den Grund seiner Existenz in sich selbst haben. Dafür muss ein solches Universum von dem notwendigen Absoluten verursacht sein, das aus eigener Kraft existiert (Thomas von Aquin). Ein wichtigeres Kriterium für die Kontingenz der Dinge ist ihre metaphysische »Zusammensetzung« aus Existenz und Wesen. Sobald man nämlich bei etwas zwischen den Momenten, dass es existiert und was es ist, unterscheiden kann, ist es nicht mehr notwendig, dass es es gibt. Nicht kontingent zu sein, bedeutet nämlich, mit absoluter Notwendigkeit zu existieren, was bedeutet, dass das Wesen von etwas mit seiner Existenz identisch ist. Dies hat außerdem zur Folge, dass das notwendige Absolute, von dessen Existenz man ausgehen muss, weil es kontingente Dinge gibt, zugleich ein Einziges sein muss. Wenn es nämlich mehrere notwendige absolute »individuelle Dinge« gäbe, müssten sie sich voneinander durch eine Form der Wesensbeschaffenheit unterscheiden, sodass ihre Existenz nicht mit ihrem Wesen identisch sein könnte (vgl. Kap. 5.5). Alles, was kontingent ist, existiert also, weil es vom notwendigen Absoluten verursacht wurde, und nicht, weil es durch einen Zufall in die Existenz gesetzt wurde. Dieses notwendige Absolute ist dasselbe wie das Sein selbst, das auch der letzte Grund der Existenz der kontingenten Dinge ist. Diese wurden nämlich vom notwendigen absoluten Sein verursacht und haben daher »Teil am Sein selbst«. 8.6

Das notwendige Absolute und das Allervollkommenste

Mit Hilfe einer gründlichen metaphysischen Analyse des kontingenten Seins kann man herausfinden, dass es etwas geben muss, was auf letztlich unbegreifliche Weise alles Relative und Kontingente in unserer sinnengebundenen Welt überschreitet (transzendiert). Mit einer weiteren Reflexion kann gezeigt werden, dass das notwendige Absolute, welches das Sein selbst ist, auch identisch mit dem unendlich Vollkommenen sein muss. So wie die Ursache der Existenz der kontingenten konkreten Dinge in der Welt im notwendigen Absoluten liegen muss, müssen deren positive Beschaffenheiten, die zu ihrem Wesen gehören und daher letztendlich die Weise bestimmen, wie es sie gibt, ihren letzten Grund in diesem notwendigen Absoluten haben, das in sich selbst alle diese positiven Beschaffenheiten enthalten muss (vgl. Kap. 7.5–7). In dem Maße, in dem etwas Kontingentes vom notwendigen Absoluten verursacht wird, muss dieses Kontingente auf seine begrenzte Weise an den positiven Beschaffenheiten teilhaben, die sich in diesem Absoluten auf seine unendlich vollkommene Weise befinden. Etwas hat also Teil an

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der Vollkommenheit des Allervollkommensten, indem es vom absolut Notwendigen verursacht wurde und nicht aufgrund einer Art Emanation, welche vom Unendlichen abgespalten wurde. Daher kann das metaphysische Kausalprinzip auch folgende Gestalt haben: »Alles, was durch Teilhabe existiert, ist verursacht worden« (Thomas von Aquin). Wenn nun dieses notwendige Absolute, welches zugleich das unendlich Vollkommene ist, als Gott aufgefasst wird, muss Gott mehr als eine Art erster Ursache sein, d.h. mehr als ein intelligenter In-Gang-Setzer des Verlaufs der Welt. Durch das Verursachen muss Gott nämlich auch in das Verursachte eingehen und somit zur Vollkommenheit der kontingenten konkreten Dinge werden (siehe unten, Kap. 10.1–2). Eine weitere Reflexion über dieses notwendige Absolute bzw. Allervollkommenste zeigt, dass man Gott nicht ähnlich wie die konkreten Dinge auffassen darf, als wäre er ein Art Subjekt oder Substanz, welche bestimmte Handlungen ausführt (vgl. Ontologie 6.2–3). Wenn Gott nämlich von seinen »Handlungen« verschieden wäre, sodass er erst das Eine und dann das Andere täte, würde dies bedeuten, dass er sich veränderte und zeitmäßig zusammengesetzt wäre, sodass er gemäß dem naturphilosophischen Kausalprinzip etwas Anderes als Ursache bräuchte. Unsere menschliche Sprache zwingt uns zwar, von Gott zu sprechen, als wäre er jemand, wäre auf eine bestimmte Weise beschaffen und führte verschiedene Handlungen nacheinander aus. Aber Gott selbst muss nicht nur mit seinen Beschaffenheiten identifiziert werden, sondern auch mit seinen Handlungen, sodass er eins mit seinem Handeln ist. Zu sein bedeutet für Gott also dasselbe wie zu handeln, d.h. wirksam zu sein. Das notwendige Absolute und das unendlich Vollkommene sind also in sich selbst existierende Aktivitäten bzw. Wirksamkeiten. Gott kann also, eher statisch, als das in sich selbst bestehende (subsistierende) Sein und zugleich, eher dynamisch, als das in sich selbst bestehende Handeln aufgefasst werden, d.h. als das reine »Wirken« (lat.: actus purus), das sowohl der Grund für das Werden der Wirklichkeit ist, als auch in dieses Werden eingeht. Als das subsistierende Sein und das reine Handeln ist Gott, ohne sich verändern zu müssen, der letzte Grund für jede Veränderung und jedes Werden in der Welt. Das Werden der Dinge als Übergang vom »Nicht-Sein« zum »Sein« bzw. von der Möglichkeit zur Wirklichkeit und damit zum Werden und zur Entwicklung der Welt hat seine letzte Ursache im subsistierenden Sein als reinem Handeln. Als das subsistierende Sein und das reine Handeln steht Gott außerdem weiter über allen vorhergehenden Möglichkeiten und ist unabhängig von ihnen. Daher verwirklicht Gott keine eigenen kontingenten Möglichkeiten und strebt nicht nach sich selbst in einem sukzessiven Entwicklungsprozess, durch den er zu sich selbst werden würde. Zugleich muss

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Gott der letzte Grund nicht nur dafür sein, dass es etwas gibt, sondern auch dafür, dass das, was es gibt, möglich ist und sich somit durch einen oft langwierigen Entwicklungsprozess verwirklichen kann. Zwischen dem einen notwendigen Absoluten und unendlich Vollkommenen einerseits und der Vielfalt der kontingenten und relativen, endlichen Dinge andererseits liegt also ein fundamentaler Unterschied vor. Das bedeutet, dass Gott sich sowohl durch seine Transzendenz als auch durch seine Immanenz in Beziehung zu den Dingen in der Welt auszeichnet. Trotz seiner Transzendenz als absolute notwendige Ursache aller kontingenten Dinge bleibt Gott nämlich den verursachten Dingen als deren Vollkommenheit immanent und darf deshalb nicht als Ursache ähnlich anderer Ursachen gedacht werden (gegen den Deismus). Trotz ihrer Teilhabe am Allervollkommensten sind die endlichen Dinge vom unendlich Vollkommenen verursacht, das sie auf eine unbegreifliche Weise überschreitet (transzendiert). Sie dürfen daher nicht als Teile von Gott oder als Abspaltungen einer Gottheit aufgefasst werden (gegen den Pantheismus, Polytheismus). Dies hat zur Folge, dass das Absolute und das Relative, das Notwendige und das Kontingente, das unendlich Vollkommene und die endlichen Dinge niemals mit Hilfe eines gemeinsamen eindeutigen Begriffs verstanden werden können. Gott als transzendente »Ursache« und »Ganzheit« von allem unterscheidet sich mehr von allen innerweltlichen Ursachen und Ganzheitszusammenhängen, als dass er ihnen gleicht. Auch wenn man zugesteht, dass die teleologische Grundordnung der Welt das absolut Notwendige und Allervollkommenste als letzte Ursache haben muss, ist es schwer zu zeigen, dass diese Ursache auf eine intelligente und zielgerichtete Weise handelt. Im Besonderen darf man diese handelnde Ursache nicht auf eine zu anthropomorphe Weise verstehen. Sie muss nämlich nicht erst in ihrem Intellekt von einem Ziel inspiriert werden oder die Ursache für ein Ziel sein, nach dessen Verwirklichung sie dann mit ihrem Willen strebt. Wenn Gott auf diese Weise handelte, würde dies bedeuten, dass Gott zuerst denkt, danach anfängt, wirksam zu werden und schließlich seine Wirksamkeit zur Vollendung führt. Wenn das absolut Notwendige und Allervollkommenste wirklich letzter Grund und intelligente Ursache der teleologischen Weltordnung ist, muss dieses Denken mit seinem Willen und seinem Handeln zusammenfallen. Weil es nichts neben Gott geben kann, kann Gottes letztendliche Zielsetzung bei all seinem Handeln außerdem nichts Anderes als er selbst sein. Er selbst muss also das letzte Ziel all seines Handelns sein. Gott ist zwar die wirkende Ursache »hinter« allem Werden und jeder Entwicklung. Zugleich muss er aber auch das letzte Ziel »vor« allen geordneten und zielgerichteten Prozessen in der Welt sein (Platon, Aristoteles, Thomas von Aquin, Duns Scotus u.a.).

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Gott, absoluter Geist und Person Die Erfahrung des Menschen, Teil einer umfassenden Totalität oder Gesamtheit und in einen Kausalzusammenhang eingebunden zu sein, kann den Ausgangspunkt einer metaphysischen Reflexion darstellen, die in einen Gottesbeweis mündet. Eine solche Ableitung der Existenz Gottes aus der Existenz und objektiven Beschaffenheit der Welt oder aus der persönlichen Erfahrung des Weltzusammenhangs geschieht aber häufig in dem gleichen objektivistischen Geist, mit dem man in der Physik das Vorkommen eines neuen Elementarteilchens berechnet oder in der Biologie eine neue Pflanzenart entdeckt. Indem man die Existenz des allervollkommensten, notwendigen, absoluten, subsistierenden Seins als Grund für alles Andere beweist, erklärt man noch nicht, inwiefern Gott eine Person ist und welches Verhältnis Gott zum Menschen als bewusster und freier Person hat. Die Erfahrung von uns selbst als Komponenten oder Teile einer größeren Totalität und als von einer Ursache hervorgebracht wird in der modernen Zeit außerdem oftmals mit Hilfe von Vorstellungen und Begriffen ausgedrückt, die einer von den Naturwissenschaften dominierten Lebensauffassung entstammen. So bedeutet »geben« heutzutage häufig nichts Anderes als »in Zeit und Raum vorkommen«. Die Verursachung wird in der Regel als eine Art Energieübertragung angesehen, das Verursachende als etwas In-Gang-Setzendes in der Zeit gedacht, die Totalität von allem wird als das räumliche Weltall verstanden usw. Diese von der Lebensauffassung geprägten Vorstellungen und Begriffsmuster machen es für den modernen Menschen nahezu unmöglich, überhaupt Gottes Existenz zu akzeptieren (Atheismus) oder einen erkenntnismäßigen Zusammenhang zwischen der Welt und Gott zu sehen (Agnostizismus). Man denkt sich Gott höchstens als identisch mit dem ganzen Universum (Pantheismus) oder als eine überlegene Teilkomponente im Universum, die zugleich dessen zeitmäßigen Verlauf in Gang setzt (Deismus). Daher ist eine vorhergehende metaphysische Analyse der wichtigsten Grundbegriffe nötig, bevor man die klassischen natürlichen Gottesbeweise als echte Beweise für Gottes Existenz akzeptiert. Da sich das Verständnis des Menschen von sich selbst sowie der Welt und dem gesamten Dasein im Lauf der Geschichte verändert hat und vertieft werden konnte, muss man sich fragen, ob ein »Gottesbeweis« in der modernen Zeit nicht von der Grunderfahrung des Menschen von sich selbst als bewusster und freier Person ausgehen sollte. Das vertiefte Verständnis des Menschen

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als selbständiges Subjekt im Verhältnis zur objektiven Welt (Transzendentalphilosophie) und als freier und verantwortlicher Person innerhalb des Verlaufs der Weltgeschichte (Existenzphilosophie und Philosophie der Person) hat Aspekte der menschlichen Erfahrung hervorheben können, welche früher zu wenig beachtet wurden. Diese können zum Ausgangspunkt für unterschiedliche Arten sogenannter anthropologischer Gottesbeweise werden, welche sich in ihrer Ausformung von den klassischen, eher metaphysischen und ontologischen Beweisen unterscheiden. Auf diese Weise kann die unbeteiligte, objektive, rein theoretische Ableitung von Gottes Existenz durch eine Beweisführung vervollständigt werden, welche zu Gott als transzendenter, d.h. die Welt überschreitender Person führt (Theismus). Als solche berührt Gott den gesamten Menschen auf existenzielle Weise, was unausweichliche moralische Konsequenzen hat. 9.1

Die Erfahrung des Menschen seiner selbst als Person

Das besondere Kennzeichen der anthropologischen Gottesbeweise besteht darin, dass sie in erster Linie vom Selbstbewusstsein des Menschen, seinen persönlichen Aktivitäten und seinen Bestrebungen, und weniger von der Erfahrung eines objektiven Ganzheits- und Kausalitätszusammenhangs ausgehen. Dieses Bewusstsein von sich selbst und die allgemeinmenschliche Erfahrung von sich selbst als Person ist nicht nur ein Erlebnis bestimmter notwendigerweise funktionierender instinktiver und psychisch-emotionaler (gegen den Empirismus, Biologismus, Psychologismus) oder transzendental-strukturierender Mechanismen und Muster (gegen den Kantianismus). Es genügt nicht, bloß auf die subjektiven inneren Erlebnisse und Gefühle des Menschen zu verweisen. Stattdessen muss man zeigen, dass diese Erfahrungen auch objektive Gültigkeit besitzen, wie sehr sie auch an den einzelnen Menschen als lebendes und von Erlebnissen und Emotionen beeinflusstes Subjekt gebunden sein mögen (vgl. Anthropologie 6–7). Jeder normal denkende und handelnde Mensch erfährt sich selbst in der Regel als unzureichend und unvollendet. Daher versucht er ständig, etwas ihm Fernes zu erreichen, was er als unermesslich viel größer und mehr als er selbst erfährt. So zeigt sein unaufhörliches Streben nach neuen Erkenntnissen, dass er sich im Grunde bewusst ist, dass er nicht die ganze Wahrheit besitzt und dass er auch nicht der Ursprung der Wahrheit sein kann. Im Streben des Menschen nach dem Sinn des Lebens zeigt sich, dass er nicht in sich selbst vollendet ist und sich diesen Sinn nicht aus eigener Kraft geben kann. Durch sein Streben nach Glück gibt er zu, dass ihm etwas Wichtiges fehlt und er dies

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nicht selbst produzieren kann. Durch seine Sehnsucht nach einer echten, beständigen Liebesbeziehung erfährt er gleichzeitig, dass er allein nicht vollendet ist und weder über die Liebe verfügen, noch diese aus eigener Kraft erzwingen kann. Anhand einer aufrichtigen Selbstreflexion kann der Mensch außerdem entdecken, dass all dies, wonach er strebt und sich sehnt, sein Denken und Handeln die ganze Zeit beeinflusst, sogar wenn er sich dazu entschließt, sich nicht davon beeinflussen zu lassen. Betrachtet man solche Erfahrungen nur als erlebnisbasierte Folgen von instinktiven, emotional-subjektiven oder transzendentalen Strukturmustern, können sie nicht als Ausganspunkt für einen »anthropologischen Gottesbeweis« dienen, weil sie in sich selbst keine Form einer persönlichen »Gotteserfahrung« darstellen. Man muss also von Anfang an zeigen, dass solche Erfahrungen, die sich unreflektiert »irgendwie an der Seite« eines jeden menschlichen Erkenntnisakts und einer jeden freien Handlung befinden, von etwas Größerem zeugen, was zwar nicht zu der einen oder anderen Handlung nötigt, aber dennoch den Menschen zu einer persönlichen Stellungnahme zwingt, der er nicht entkommen kann. Mit Hilfe der transzendentalen Methode kann die nachfolgende Reflexion außerdem klären, dass dieser erfahrungsmäßige Grund für einen anthropologischen Gottesbeweis letztendlich mit etwas zu tun hat, was die biologische und psychische Subjektivität des Menschen weit überschreitet (transzendiert), und zugleich der Grund für die absolute und objektive Gewissheit des Menschen ist. Diese personbezogenen Erfahrungen haben mit dem für gewöhnlich unbeachteten Hintergrund von Denken und Handeln des Menschen zu tun. Auch wenn man sich bei einer nachfolgenden Reflexion auf diese Erfahrungen konzentriert, um deren besondere Kennzeichen verdeutlichen zu können, kann es weiterhin schwierig sein, ihnen mit adäquaten sprachlichen Mitteln Ausdruck zu verleihen. Jemand, der sich von Wahrnehmungen, Erlebnissen, Gefühlen, spontanen Impulsen, anerzogenen Ansichten und den Erwartungen anderer Menschen lenken lässt, ist sich oft nicht bewusst, wonach er oder sie sich eigentlich sehnt und was die eigentliche Triebkraft ihres oder seines Daseins ist. Als Folge traumatischer Erlebnisse oder als Konsequenz einer freien Entscheidung kann ein Mensch sich gegen die Einsicht wehren, dass er immer von einem Streben nach Wahrheit, Güte, Gerechtigkeit, Sinn, »Glück«, Liebe usw. angetrieben wird. Er kann sich in einem solchen Fall weigern, die tiefsten Triebkräfte seiner Handlungen überhaupt zu reflektieren. Eine grundlegende Bereitschaft zum Nachdenken über die impliziten Voraussetzungen des eigenen Denkens und Handelns ist also erfordert, wenn man überhaupt Klarheit darüber gewinnen will, welche Erfahrungen implizit jeden einzelnen Erkenntnisakt und jede freie Handlung begleiten.

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Der unentbehrliche Grund für die verschiedenen Ausformungen des anthropologischen Gottesbeweises liegt also in der Selbsterfahrung des Menschen. Wenn der Mensch nämlich nicht bereits bei seinen persongebundenen Handlungen implizit mit Gott zu tun hätte, würde auch die überzeugendste metaphysische Reflexion über die Beschaffenheit des Daseins bloß in ein rein objektives Wissen münden, dass es Gott gibt. Geht man bei seinen eigenen persönlichen Handlungen hingegen von der impliziten, bewussten Erfahrung von sich selbst aus, kann die Erkenntnis von »Gott an sich« zu einer existenziellen Erkenntnis von »Gott für mich« werden, welche eine gänzlich persönliche Stellungnahme erfordert. Die für das persönliche Handeln fundamentale und notwendige Besonderheit, die von der Selbsterfahrung des Menschen ausgeht und durch eine nachfolgende Reflexion verdeutlicht wird, kann zu einem anthropologischen Gottesbeweis geformt werden. Dieser wird Gottes »Beschaffenheit« sowohl als eine die Welt übersteigende (transzendente) Macht als auch als eine souverän handelnde Person zeigen. 9.2

Das Streben des Menschen nach einem Ziel, einem Sinn und Gott

Indem der Mensch sich seiner Selbsterfahrung bewusst ist und sie reflektiert, entdeckt er, dass er in seinem Denken und Handeln ständig von etwas beeinflusst wird, was seinen eigenen Überlegungen und seiner freien Entscheidung vorausgeht. Diese von den einzelnen Personen gewählten Aktivitäten sind nämlich von Beginn an auf solche Ziele ausgerichtet, welche die begrenzten Ziele, derer sich ein Mensch bewusst ist, die er sich frei setzt und zu erreichen versucht, weit überschreiten (transzendieren). In der Regel handelt es sich um etwas, was so selbstverständlich ist, dass es leicht übersehen wird, z.B. dass der Mensch bei jeder persönlichen Handlung nach etwas strebt, was einen Sinn hat bzw. für ihn sinnvoll ist. Mit »Sinn« wird angedeutet, dass jede Handlung ein Ziel hat, einen Zweck oder einen Wert, dessen sich der handelnde Mensch oft nicht bewusst ist, nach welchem er sich manchmal aber auch bewusst und absichtlich richtet. Diese Art Sinn hat mit einem grundlegenden Aspekt des menschlichen Daseins zu tun, welcher sich auf den Menschen als Person bezieht und ihn dazu inspiriert, überhaupt zu handeln. Es handelt sich um etwas, was seinem vitalsten und persönlichsten Bedürfnis entspricht und seine tiefste Sehnsucht erfüllt. Diese Erfahrung von Sinn, die alles persönliche Denken und Handeln begleitet, kann dadurch verdeutlicht werden, dass man sie an das Erleben einer inneren und häufig auch äußeren Harmonie knüpft, die beim Erreichen des Ziels entsteht. Solche psychischen Zustände bestehen in einem zufriedenstellenden

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Erlebnis einer echten Übereinstimmung zwischen der äußeren Situation und dem inneren Menschen. Sie werden von uns als sinnvoll betrachtet und lassen uns vorbehaltlos unsere Umwelt, unsere historische Situation und sogar uns selbst akzeptieren. Auch wenn der Mensch dieses »Glück«, das die an die Sinnhaftigkeit gebundenen Harmoniezustände bereiten, nicht aus eigener Kraft festhalten kann und obwohl diese Zustände auf vielerlei Weise gefährdet werden und für gewöhnlich nach einer bestimmten Zeit verschwinden, stellen sie sowohl den wichtigsten Orientierungspunkt für alles, was wir planen, als auch die entscheidende Triebkraft für all unser Handeln dar. Dies gilt auch für jemanden, der das Dasein nur als Leiden versteht und daher nach Befreiung aus diesem Leiden sucht (Buddhismus) oder der die Wirklichkeit als im Grunde sinnlos auffasst, gleichzeitig aber dennoch Ratschläge für das Überleben gibt (metaphysischer Nihilismus: Nietzsche?, Sartre). Das persönliche, bewusste und freie Handeln des Menschen oder seine Weigerung zu handeln geschehen niemals ohne Absicht und ohne Ziel. Das macht jede Handlung sinnvoll, da sie zumindest im Augenblick des Handelns als wertvoll für den Handelnden aufgefasst wird (vgl. Anthropologie 13.3–4). Wer sein Dasein nicht länger als sinnvoll erfahren kann, weil er nicht länger erkennt, dass er durch sein Handeln z.B. ein Bedürfnis befriedigt, ein Leiden lindert, jemandem Freude bereitet, jemand Anderen bereichert oder sich selbst von Hindernissen befreit, erlahmt gänzlich in seiner Aktivität und seiner Handlungskraft. In unserer endlichen Welt wird außerdem nur das als gänzlich sinnvoll erfahren, was auf eine bestimmte Art und Weise über sich selbst hinauszeigt. Wie zufriedenstellend bestimmte endliche biologische, psychische, intellektuelle, moralische, ästhetische oder persönliche Werte für eine bestimmte Zeit auch sein mögen, man erlebt sie doch nicht als unbegrenzt sinnvoll. Die Selbstverwirklichung eines Menschen sollte nicht einmal stets als uneingeschränkt sinnvoll und damit als absolut erstrebenswert angesehen werden, weil sich der Mensch nur dann selbst verwirklichen zu können scheint, wenn er nicht direkt nach dieser Selbstverwirklichung strebt (Frankl). Damit die einzelnen Handlungen eines Menschen überhaupt sinnvoll sein können, muss sein Dasein als Gesamtheit, d.h. die Gesamtheit, zu der seine Handlungen gehören, einen Sinn haben. Der Frage nach dem Sinn des Lebens oder des Daseins kann man natürlich ausweichen, wenn man sie als unklar oder unwissenschaftlich ansieht. Diese Frage kann aber nicht gänzlich verdrängt werden, da sie den eigentlichen Grund für jedes persönliche Handeln darstellt. Außerdem betrifft sie nicht nur etwas Provisorisches, Temporäres oder Relatives, sondern mit etwas, das den absoluten und tragenden Grund für das persönliche Dasein des Menschen und all seine Handlungen ausmacht.

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Wie eine genauere Analyse zeigt, hält jeder Mensch in seinem Dasein etwas für absolut und unbedingt wertvoll, selbst wenn er das oft nicht reflektiert und sich dessen daher selten bewusst ist. Es hat sich aber gezeigt, dass der Mensch ohne ein solches absolutes Lebensziel ein »existenzielles Vakuum« erfährt, in welchem alles sinnlos erscheinen kann (Frankl). Derjenige, der tief in sich nicht davon überzeugt ist, dass das Dasein als Ganzes einen Sinn haben muss, könnte auch einen Misserfolg im Berufsleben, eine zerbrochene Liebesbeziehung, eine quälende Erkrankung oder den unausweichlichen Tod nicht als Zeichen der Sinnlosigkeit oder Absurdität des Daseins, sondern nur als beklagenswerte Fakten erfahren. Zugleich muss derjenige, der vor Anderen ernsthaft auf der totalen Sinnlosigkeit des Daseins besteht, zumindest den Sinn des eigenen Lebens erfahren haben, um diese Auffassung geltend zu machen und dadurch Andere beeinflussen zu können. Man muss sogar den bewussten und freiwilligen Suizid aus Verzweiflung über »die Sinnlosigkeit von Allem« als einen äußersten Versuch betrachten, einen sinnvollen Ausweg aus einer verzwickten Situation zu finden, oder als Zeichen einer sinnvollen Auflehnung gegen ein unverdientes Schicksal. Der Mensch setzt also in jeder seiner Handlungen die unbedingte Bedeutung seines ganzen Daseins voraus und akzeptiert sie. Im Grunde geht er offenbar immer davon aus, dass es eine letzte Wirklichkeit gibt, die seinem Dasein diese totale Bedeutung verleihen kann. Diese letzte Wirklichkeit kann »Gott« genannt werden (axiologischer Gottesbeweis; aus dem Griech.: axios = würdig). Viele Menschen identifizieren zwar den ganzen Sinn des Daseins mit etwas Endlichem und Relativem, aber sie sind dennoch schockiert, wenn sich plötzlich zeigt, dass dieses Endliche und Relative nicht der ganze Sinn des Lebens sein kann. Vor allem kann man sich bewusst werden, dass diese Erfahrung des vollkommenen Sinns des eigenen Lebens auf etwas Absolutes und alle menschlichen Teilziele und Teilwerte weit Überschreitendes (Transzendierendes) verweist, wenn man auf engagierte Weise zu handeln beginnt, wenn man von der Ungerechtigkeit in der Welt tief bewegt wird, wenn man jemanden liebt oder wenn man sich selbst als geliebt erfährt usw. Die Überzeugung, dass trotz der Endlichkeit und Vergänglichkeit der ganzen zeit- und raumgebundenen Welt nicht alles vergebens ist, zeugt von einer Erfahrung von etwas, was sowohl das menschliche Leben als auch die menschliche Geschichte und die Grenzen der ganzen Welt weit überschreitet (transzendiert). Nur eine welttranszendente Wirklichkeit kann dem Dasein des Menschen seine letzte Bedeutung und Harmonie verleihen (eudaimonistischer Gottesbeweis; aus dem Griech.: eudaimon = glückselig). So lange man nicht nach dieser Wirklichkeit als dem eigentlichen Sinn des Lebens strebt, ist das Leben des Menschen von einer inneren Unruhe geprägt (Augustinus) und von einem unstillbaren Hunger

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nach dem, was den Menschen letztendlich zufriedenstellen und sein Dasein sinnvoll machen kann. Das fundamentale Streben des Menschen nach Sinn und Harmonie kann nicht bloß als Effekt einer subjektiven Illusion oder Projektion erklärt werden. Gemäß dem Prinzip, dass ein natürliches Grundstreben nicht ziellos sein kann (lat.: »Impossibile est desiderium naturale esse inane«), könnte es dieses Streben im Menschen nämlich gar nicht geben, wenn es prinzipiell nichts gäbe, was es befriedigen könnte. Zwar könnte das Suchen eines Tieres nach Nahrung während der Winterzeit vergebens sein, aber den Hunger des Tieres, d.h. sein natürliches biologisches Streben nach Futter, würde es nicht geben, wenn es überhaupt kein Futter gäbe. Auf dieselbe Weise dürfte es das bewusste Streben eines einzelnen Menschen nicht geben. Die Ziele und die Harmonie aber, die er eigentlich und häufig unbewusst in und durch jede seiner Handlungen zu erreichen versucht und die es möglich machen, dass er überhaupt handelt, zeigen, dass es etwas geben muss, was weit über das hinausgeht, dessen er sich bewusst ist und nach dem er absichtlich strebt. 9.3

Der Mensch, der Anspruch des Gewissens und Gott

Der Mensch erfährt sich in seinem Handeln nicht nur als auf ein transzendentes Ziel ausgerichtet, das den letzten Grund für den Sinn und die Harmonie seines Daseins ausmacht, sondern auch geführt und begleitet von einer Art normierender Forderung und Anspruch, deren Ursprung nicht er selbst ist, sondern die ihm gewissermaßen von außen zustoßen. Dabei handelt es sich auch um etwas Allgemeinmenschliches, was so selbstverständlich ist, dass es leicht übersehen werden kann, nämlich dass sich der Mensch bei jeder persönlichen Handlung auch einer moralischen Verpflichtung und Verantwortung bewusst ist (vgl. Anthropologie 8.6 und 13.5–6). Diese Forderung beinhaltet einen Anspruch, der an die menschliche Person gestellt wird, und indem die Forderung erfüllt wird, kann eine Handlung als moralisch berechtigt angesehen werden. Eine genauere Reflexion typischer Charakteristika eines moralischen Urteils kann die moralische Verpflichtung und Verantwortung des Menschen genauer beleuchten. Man hat zwar verneint, dass es eine natürliche Moralordnung gibt, die den letzten Grund für alle gefühlsmäßigen »moralischen« Reaktionen (Wert-Nihilismus, Wertesubjektivismus) und für jede staatliche gesetzgebende Macht darstellt (Rechtspositivismus). Wenn Vertreter einer solchen Ansicht aber meinen, dass diese Theorien »besser« als andere seien, weil sie »wahr« seien, und außerdem fordern, dass diese Theorien von allen

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akzeptiert werden »sollten«, fällen sie ein moralisches Urteil, welches zeigt, dass auch sie ein moralisches Bewusstsein haben. Außerdem beurteilen sie bestimmte menschliche Handlungen für gewöhnlich spontan und ohne weiteres Nachdenken als gut, korrekt und nachahmenswert, während sie der Ansicht sind, dass andere Handlungen schlecht und daher verwerflich seien. Bei solchen moralischen Werturteilen wird ein einzelner Mensch nicht danach beurteilt, ob er gute oder schlechte natürliche Eigenschaften hat, wie in »Er ist ein guter oder schlechter Sänger«, sondern danach, ob er als Person bewusst und absichtlich auf eine korrekte oder fehlerhafte Weise gehandelt hat, wie in »In einer solchen Situation aufzugeben oder bei seiner Familie zu bleiben, war schlecht oder gut gehandelt«. Im letzteren Fall wird der einzelne Mensch als direkt verantwortlich für sein Handeln betrachtet. Ein solches moralisches Urteil hat also mit dem Menschen als einer bewussten und freien Person zu tun. Dieselbe Art von Urteilen fällen wir mit unserem Gewissen auch über uns selbst. Zwar versuchen wir oft, ein für uns unvorteilhaftes Urteil zu verdrängen, und reagieren daher gefühlsmäßig stark auf die Vorhaltungen Anderer, tun alles, um uns zu entschuldigen, und verteidigen unsere Art zu handeln. Gerade die starken Emotionen zeigen aber, dass wir in unserem tiefsten Inneren dennoch davon überzeugt sind, dass unsere Art zu handeln schlecht war und wir deshalb anders hätten handeln sollen. Ebenso können wir beispielsweise davon überzeugt sein, wie richtig eine selbstlose Handlung war, obwohl sie große Opfer erforderte, und dies gibt uns eine größere innere Zufriedenheit und Harmonie, die sich von jeglicher Selbstgefälligkeit unterscheidet. Diese moralischen Urteile, welche – verurteilend oder wertschätzend – unsere bewussten Handlungen leiten, drücken ein moralisches Bewusstsein aus, das als »Stimme des Gewissens« von einer ursprünglichen Erkenntnis in Bezug auf unsere moralischen Verpflichtungen und von unserer Verantwortung zeugt (Sokrates). Dass unser Selbstbewusstsein auch einen moralischen Aspekt hat, zeigt sich darin, dass man in vielen Sprachen dasselbe Wort sowohl für »Bewusstsein« als auch für »Gewissen« verwendet (lat.: conscientia; engl.: conscience). Wer ein moralisches Urteil fällt – ob er es nun ausdrücklich akzeptiert oder verneint –, setzt implizit voraus, dass der handelnde Mensch frei von allen Hindernissen sein muss und frei handeln kann, dass er die »Handlung«, die als schlecht beurteilt wird, auch hätte unterlassen können. Der Handelnde wird als Ursprung bzw. Ursache seiner Handlungen und daher als für sie verantwortlich aufgefasst. Wenn hingegen die Freiheit eines Menschen vollständig fehlt oder eingeschränkt ist, wird der Betreffende in der Regel gar nicht oder nur

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teilweise für sein schlechtes »Handeln« verantwortlich gemacht, auch wenn es nicht gutgeheißen werden muss (vgl. Anthropologie 8.3–6). Ein moralisches Urteil bedeutet auch die Einsicht, dass der moralische Wert einer Handlung, trotz ihres engen Zusammenhangs mit anderen menschlichen Werten, all diese anderen Werte übertrifft und sich offenbar von ihnen unterscheidet. Es handelt sich nämlich um einen Wert, der mit den menschlichen Handlungen und den handelnden Personen als solchen zu tun hat. Als freie und bewusste Person gestaltet sich der Mensch in seinem Handeln nämlich selbst vor dem Hintergrund einer objektiv erfahrbaren Werteordnung. Wenn ein einzelner Mensch in seiner persönlichen Entwicklung zumindest in der Praxis beginnt, zwischen verschiedenen Werten bewusst unterscheiden zu können, ist er in der Regel auch bald davon überzeugt, dass das Genussvolle oder Nützliche nicht immer das an sich Wertvolle und Wahre sein muss. Der moralische Wert sticht deswegen als etwas hervor, was unter allen Umständen erreicht werden sollte, weil die Alternativen, ein guter oder ein böser Mensch zu werden, nicht gleichwertig sind. Der Mensch erfährt sich selbst nämlich in der absoluten Verpflichtung, gut zu sein und darf daher unter keinen Umständen wählen, böse zu werden. Damit drückt ein moralisches Urteil eine unbedingte und absolute Forderung aus, einen »kategorischen Imperativ« (Kant), der nicht von einer hypothetischen Bedingung eingeschränkt werden kann. Der Mensch ist absolut verpflichtet, das Gute zu tun und das Böse zu vermeiden, obwohl er frei ist und daher etwas Schlechtes anstatt etwas Gutes tun könnte. Der freie Wille des Menschen und die absolute moralische Verpflichtung heben einander nämlich nicht auf, sondern bedingen sich eher gegenseitig. Denn die moralische Verpflichtung zwingt den Menschen nicht, sodass er nicht anders handeln könnte, sondern diese Verpflichtung ist eine Forderung, die sich gerade an ihn als freie Person richtet, nämlich dass er auf eine bestimmte Weise handeln sollte und daher nicht anders agieren darf. Zugleich könnte man ohne eine solche absolute moralische Verpflichtung nicht länger zwischen einem guten und einem bösen Handeln des Menschen unterscheiden. Der absolute und allgemeingültige Anspruch der moralischen Verpflichtung kann bestritten werden, indem man auf eine angenommene Relativität der Moralordnung verweist. Man hat zwar während der verschiedenen geschichtlichen Epochen und in unterschiedlichen gesellschaftlichen und kulturellen Situationen sehr verschiedene Dinge als erlaubt und verboten beurteilt. Das kann aber als eine Konsequenz der Einsicht einzelner Menschen angesehen werden, dass das, was im konkreten Zusammenhang eigentlich gut oder böse ist, oft auf einer Menge soziokultureller Umstände beruht. Ein solche Einsicht

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kann außerdem durch die eigene Bereitwilligkeit oder Weigerung des einzelnen Menschen, auf eine moralisch korrekte Weise zu handeln, gefördert oder verhindert werden. Vor allem ist die absolute Verpflichtung an eine praktische Entscheidung innerhalb der konkreten persönlichen Lebenssituation gebunden. Diese Verpflichtung ist mehr als nur eine abstrakte allgemeingültige Forderung, die im Zuge und mittels einer theoretischen Überlegung in Bezug auf eine moralische Frage entdeckt wurde. Die absolute Forderung der moralischen Verpflichtung kann schließlich nicht gänzlich auf psychische oder gesellschaftliche Kräfte zurückgeführt werden, wie z.B. Über-Ich-Strukturen, Hypnose, Dressur, Gruppendruck u.v.m., was sich »gewissermaßen von außen« dem freien Menschen aufzwingt. Wenn die ganze Moralordnung auf solche relativen Faktoren zurückgeführt werden könnte, würden sowohl die Freiheitsmöglichkeiten des Menschen als auch der absolute Charakter der moralischen Verpflichtung aufgehoben werden. Man kann auch nicht das Freiheitsvermögen des Menschen beibehalten, wenn man zugleich die Existenz absolut verpflichtender Werte und Normen verneint (gegen Nietzsche?, Sartre). Wer behauptet, dass das moralische Bewusstsein nur eine Illusion ist, setzt im gleichen Augenblick implizit eine absolute moralische Forderung voraus und erklärt sie zugleich zur Illusion. Ein solcher Mensch wird nämlich im Zuge der aufrichtigen Verteidigung seiner Ansicht über den illusorischen Charakter der Moralordnung von der absoluten moralischen Forderung gesteuert, dass die Wahrheit der rechten Beschaffenheit von Moralordnung und Gewissen unter allen Umständen deutlich gemacht und verbreitet werden sollte, ohne Rücksicht auf eine persönliche Benachteiligung. Die absolute moralische Verpflichtung trifft auf den Menschen also nicht von einer zwingenden Instanz seiner Umwelt aus, weil eine solche seine Freiheit und damit auch jede Möglichkeit zu einer eigentlichen moralischen Verpflichtung aufheben würde. Sie wird als eine Verpflichtung erfahren, die das Zentrum der vernunftbegabten menschlichen Person »gewissermaßen von innen« als die freie Person, die sie ist, auf sie ausrichtet. Die intellektuell fassbare Ordnung der Moral, welche durch ihren absoluten Anspruch den freien Willen des Menschen verpflichtet, kann zwar aus der vernünftigen Natur des Menschen hergeleitet werden. Der Mensch erfährt sich selbst aber nicht als autonomer Gesetzesgeber, der sich aus eigener Kraft diese moralische Ordnung gegeben hat, denn er kann einsehen, dass er sich diese vernünftige Natur auch nicht selbst gegeben hat. Die absolute Verpflichtung der Moralordnung in den einzelnen Situationen wird im Besonderen als eine herausfordernde Anrede im Gewissen erfahren (vgl. Anthropologie 13.6). Diese Anrede muss letztendlich zu einer fordernden Macht führen, die den

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Menschen selbst sowie alle innerweltlichen, zwingenden Faktoren weit überschreitet (transzendiert) und daher »Gott« genannt werden kann (moralischer oder ethisch-theologischer oder deontologischer Gottesbeweis: Newman u.a.). 9.4

Der Mensch angesichts des Absolutheitsanspruches der Wahrheit und Gott

Der axiologisch-eudaimonistische und der ethisch-theologische Gottesbeweis können in Frage gestellt werden, wenn man der Ansicht ist, dass die Erfahrung des Menschen vom Sinn des Daseins und von einer moralischen Verpflichtung aus notwendigen strukturierenden Kennzeichen im menschlichen Intellekt ohne jegliche objektive Verbindung zur Wirklichkeit hervorgehen (Kantianismus). Wer aber auf diese Weise annimmt, dass die notwendigen Einsichten der Vernunft keine wirkliche objektive Erkenntnis enthalten, muss natürlich auch davon ausgehen, dass die Vernunft überhaupt recht wenig mit der objektiven Wirklichkeit zu tun hat, sodass das ganze Dasein im Grunde eigentlich nicht für die Vernunft zugänglich ist. Einerseits kann zwar nicht mit Hilfe einfacherer Einsichten bewiesen werden, sondern muss als ein fundamentales »Faktum« akzeptiert werden, dass das Dasein vernunftgemäß ist. Wenn sich andererseits aber jemand weigert, diesen Ausgangspunkt zu akzeptieren, kann der Betreffende diesen Gegensatz nicht ohne innere Widersprüche behaupten und noch weniger eine »vernünftige« Quelle für seine Einsicht angeben. Nur aufgrund emotionaler oder ähnlicher »irrationaler«, in bestimmten Fällen auch religiöser, Motive kann jemand versuchen, die totale Vernunftwidrigkeit des Daseins zu behaupten (vgl. Erkenntnistheorie 4). Wer nicht von Anfang an von verschiedenen emotionalen oder rein willensmäßigen oder ähnlich »irrationalen« Faktoren geprägt ist, muss zugestehen, dass man bei jeder Erkenntnishandlung etwas implizit erfahren kann, was weit über den ausdrücklich echten Erkenntnisinhalt hinausgeht. Das Wissen des Menschen ist viel mehr als eine bloße subjektive Überzeugung oder ein unerschütterliches Fürwahrhalten. Der propositionale Gehalt des Wissens muss nämlich auch objektiv gültig sein. Er muss wahr sein und daher letztendlich mit etwas Objektivem übereinstimmen, was nicht gänzlich vom Denken des Menschen abhängt (vgl. Erkenntnistheorie 2.4–6). Dasselbe Wissen muss außerdem absolut sicher sein, d.h. seine Wahrheit darf nicht von bestimmten anderen belanglosen, relativen Bedingungen abhängen (vgl. Erkenntnistheorie 3.3–5). Die Wahrheit und die absolute Sicherheit des Wissens sind aber nicht damit gegeben, dass man sich den einzelnen propositionalen Erkenntnisinhalt denkt. Die Wahrheit und die absolute Sicherheit des Wissens

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werden nämlich »gewissermaßen an der Seite von« den inhaltlich bestimmten Erkenntnishandlungen erfahren und zeigen sich beim Nachdenken dennoch als die tragenden Gründe des ganzen menschlichen Wissens, welches dadurch seine objektive Gültigkeit und seinen Sinn für das menschliche Leben erhält. Mit der objektiven Wahrheit des Erkenntnisinhalts und der absoluten Sicherheit des Wissens liegt eine (moralische) Forderung vor, nämlich dass der Mensch als bewusste und freie Person zu dieser Wahrheit eindeutig Position beziehen muss, auch wenn dies in bestimmten Fällen für den Einzelnen zu Nachteilen führt. Der einzelne Mensch kann sich zwar aufgrund von emotionalen und anderen nicht gänzlich »vernünftigen« Motiven sowie durch das willensmäßige Verdrängen bestimmter entscheidender Gründe weigern, einen bestimmten Erkenntnisinhalt als wahr und sicher zu akzeptieren. Er ist sich aber in der Regel zugleich deutlich bewusst, dass er etwas abweist, was er eigentlich akzeptieren sollte. Der Mensch kann nämlich nicht lügen, sei es »vor sich selbst« oder vor anderen, ohne zugleich zu wissen, was wahr ist. Er kann auch nicht eine Erkenntnis als nur relativ sicher beurteilen, ohne eine absolute Sicherheit von dem relativen Charakter dieser Erkenntnis zu haben. Noch weniger kann der Mensch danach streben, etwas Falsches auf die gleiche Weise wie etwas Wahres zu wissen, weil jede Erkenntnis davon, was falsch ist, eine Erkenntnis davon voraussetzt, was wahr ist. Die Vernunft des Menschen ist also fundamental auf die absolute Wahrheit ausgerichtet, auch wenn der einzelne Mensch sich weigern kann, dies anzuerkennen. Daher stellt die absolute Wahrheit für jeden Menschen eine letzte Herausforderung dar, zu der er Stellung beziehen muss. Eine echte Gotteserfahrung liegt also auch in der Erfahrung vom absoluten Wahrheitscharakter des Wissens vor. Diese stellt eine implizite Gotteserkenntnis dar und kann mit dem folgenden »Gottesbeweis« erläutert werden. Wie relativ die einzelnen Erkenntnisse des Menschen auch sein mögen und wie sehr er sich auch weigern mag, die fundamentalen Grundbedingungen der Vernunft anzuerkennen, so muss er in einer wahrheitsgemäßen Beurteilung der Situation dennoch zugestehen, dass er zumindest von bestimmten Wahrheiten eine sichere Erkenntnis hat. Das Dasein des Menschen zeichnet sich also auf der Ebene der Vernunft durch ein absolutes Wissen aus, das in allen seinen echten Behauptungen zum Ausdruck kommt. Ein Mensch kann nämlich nur mit Recht etwas behaupten, wenn er sich sicher ist, dass die Behauptung wahr ist. Zwar kann ein einzelner Mensch verneinen, dass er Wissen besitzt, zugleich aber setzt er dennoch auf eine widersprüchliche Weise voraus, dass er eine sichere Erkenntnis hat, weil er mit seiner Behauptung indirekt zugesteht, dass er weiß, dass es keine sichere Erkenntnis gibt. Obwohl das Wissen des Menschen von der sich verändernden Welt ausgeht und mit sehr relativen sinnlichen Erkenntnissen beginnt, ist es letztlich eine Erkenntnis von etwas

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Absolutem, das all das Endliche, sich Verändernde und Relative überschreitet (transzendiert). Diese unbedingte Wahrheit, der die Übereinstimmung der Vernunft mit dem absoluten subsistierenden Sein entspricht, kann wiederum »Gott« genannt werden (Gottesbeweis ausgehend von der Absolutheit der Wahrheit: Augustinus? u.a.). Natürlich ist Gott viel mehr als diese absolute subsistierende Wahrheit, welche den Grund und das »Formalobjekt« des vernünftigen Denkens ausmacht und den Menschen zu einer Stellungnahme »zwingt« (vgl. Anthropologie 12.6). Da die Wahrheit mit der Vernunft korreliert, muss die absolute subsistierende Wahrheit ihre Entsprechung in einer absoluten und in sich selbst existierenden Vernunft haben (lat. intelligere subsistens). Gott als die absolute Vernunft ist identisch mit sich selbst als absolutes Sein und ist in dieser Identität die absolute Wahrheit. Gottes Weise zu sein kann daher als die reine intellektuelle Aktivität aufgefasst werden, d.h. Gott kann als die Vernunft verstanden werden, die sich selbst denken kann (griech.: noesis noeseos; Aristoteles), oder als der absolute Geist (Hegel). Die dem Menschen eigene Vernunft, die in ihrer transzendierenden Einstellung zur absoluten Wahrheit etwas Positives ist, muss ihren Grund in Gott haben und an ihm als der vollkommensten Vernunft teilhaben. Dies gilt nicht nur für die Existenz des Menschen, sondern auch für seine Einstellung zur absoluten Wahrheit, die Gott selbst ist (Aristoteles, Augustinus, Thomas von Aquin). Dies bedeutet nicht, dass das Bewusstsein des Menschen von sich selbst dasselbe wie Gottes Selbstbewusstsein, d.h. das der absoluten Vernunft, ist, wodurch Gott seine eigene Ursache oder sein eigener Grund ist (gegen Spinoza?, Fichte). Man braucht den gesamten menschlichen Erkenntnisprozess auch nicht auf eine pantheistische Weise aufzufassen und die dynamische Entwicklung der ganzen Welt als Gottes eigene, d.h. des absoluten Geistes, »dialektische« Entwicklung zu sich selbst zu verstehen (gegen Schelling, Hegel). Obwohl die menschliche Vernunft in ihrem Handeln als durchgehend verursacht von und teilhabend an der absoluten Vernunft angesehen werden muss, darf der Mensch als Person nicht darauf reduziert werden, nur eine Funktion oder ein Effekt der dem absoluten Geist eigenen Dynamik zu sein. 9.5

Die Gebundenheit der Freiheit an das Gute und an Gott

Die fundamentale Erfahrung von etwas Absolutem ist nicht exklusiv an den bewussten Erkenntniserwerb des Menschen gebunden, sondern begleitet ihn auch bei all seinen übrigen freien Handlungen. Eine jede solche persönliche Handlung wird nämlich nicht nur als sinnhaft »für mich« sowie als moralisch

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verpflichtend und mit Verantwortung verbunden erfahren, sondern auch durch die prinzipielle Einstellung zu etwas Gutem »an sich«, nach dem der Handelnde immer strebt. Zwar kann man sich aufgrund emotionaler und ähnlich »irrationaler« Motive willensmäßig gegen den Gedanken der Freiheit des menschlichen Willens wehren, um auf diese Weise der damit verbundenen Verantwortung für die eigenen Handlungen zu entkommen. Blockiert man aber nicht auf diese Weise die Einsicht in die eigene Erfahrung, kann man im Zuge der nachfolgenden Reflexion von persönlichen Handlungen Klarheit darüber gewinnen, wie man »an der Seite« konkreter Ziele, auf die eine jede solche Handlung gerichtet ist, etwas erfährt, was das direkte erstrebenswerte Ziel der freien Handlung weit überschreitet (transzendiert). Das Handeln des Menschen unterscheidet sich durch seine freie Spontaneität von einem willkürlichen oder zufälligen Agieren. Das, wonach mittels einer freien Handlung gestrebt wird, d.h. das Ziel, auf das die Handlung gerichtet ist, muss nämlich immer auch einen Wert an sich haben (vgl. Ontologie 5.7). Ein einzelner Mensch kann sich aufgrund seiner Freiheit zwar der Erfahrung einer moralischen Verpflichtung widersetzen und in auffallendem Kontrast zu seiner Erfahrung von der Grundausrichtung der Vernunft auf die Wahrheit hin handeln. In diesem Fall muss er dies durch eine Art gedankenmäßigen Selbstbetrug von etwas, was in einer konkreten Situation eigentlich nicht gut an sich ist, zu etwas umformen, was er als »gut«, d.h. als nützlich und genussvoll für ihn, auffasst und was er deshalb als sinnvoll erfährt. Kann der Mensch aber bei einer noch so freien Handlung nach etwas streben, was er als insgesamt und an sich schlecht erfährt? Jede freie Handlung hat nämlich eine fundamentale und notwendige Begrenzung darin, dass sie sich auf das Gute als ihr »Formalobjekt« ausrichten muss (vgl. Anthropologie 8.5 und 13.4). Wie frei der Mensch auch ist, er erfährt sich bei seinen freien Handlungen mit Notwendigkeit als gebunden an das, was gut ist. Die Selbsterfahrung des Menschen, auf das Gute als die eigentliche Grundlage jeder freien Entscheidung ausgerichtet zu sein, zeigt, dass er trotz seiner psychischen Freiheit an das absolut Gute an sich gebunden ist. Zwar kann er sich auf unterschiedliche Weise widersetzen und sich gegen diese Gebundenheit empören, aber er kann seine Ausgangslage dennoch nicht verändern. Auch wenn er als Folge seiner Freiheitserfahrung seine Autonomie und Ungebundenheit hervorheben kann, gelingt dies nur, wenn er die eigene Autonomie und Ungebundenheit als etwas Gutes an sich oder als ein Mittel sieht, um etwas Gutes an sich zu erreichen. Auch in diesem Fall ist er also an das Gute an sich gebunden. Dieses Gute an sich ist außerdem nichts endlich Gutes, sodass es beispielsweise unter einem bestimmten Aspekt gut ist, aber nicht unter einem anderen. Es ist auch nicht nur nützlich und daher gut in einem relativen Sinne, d.h. gut für dieses oder jenes Ziel. Dieses Gute an sich, welches

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auf eine fundamentale Weise jede freie menschliche Wahl bindet, zeigt sich als das absolute und unendlich Gute und kann »Gott« genannt werden (Gottesbeweis ausgehend von der Absolutheit des Guten). Dieses absolut und unendlich Gute darf nicht nur als ein absolutes moralisches Gesetz oder als eine transzendente Werteordnung gesehen werden, die sich von den übrigen Wirklichkeiten unterscheidet und die Triebkraft hinter den freien und moralischen Handlungen des Menschen ist oder durch das Streben des Menschen dazu wird (gegen Renan, Taine, Nicolai Hartmann, Scheler u.a.). Noch weniger darf das absolut Gute auf eine pantheistische Weise mit einem blinden und unpersönlichen Willen identifiziert werden, der der Grund von allem ist und den gesamten Weltverlauf sowie das menschliche Leben steuert (gegen Schopenhauer, Eduard von Hartmann). Weil alles, was es gibt, in dem Maße, in dem es es gibt, an sich gut ist und es alles, was an sich gut ist, in dem Maße gibt, in dem es gut ist (vgl. Ontologie 5.7), muss das absolute Gute mit dem subsistierenden Sein und der absoluten Wahrheit identisch sein. Außerdem muss Gott als das absolute Gute auch ein absoluter Wille sein, weil der Wille notwendig an die Güte gebunden ist und die Güte an sich nicht ohne Verbindung zu einem entsprechenden Willen verstanden werden kann. Der absolute Wille, der auf sich selbst als das absolute Gute gerichtet ist, überschreitet (transzendiert) natürlich den Menschen und die ganze Welt. All das Endliche und Relative kann es nur aufgrund dieses absoluten Willens geben, der selbst nicht von etwas Anderem als sich selbst abhängig ist und jede Vollkommenheit in sich enthält. Der Wille des Menschen mit seiner Grundausrichtung auf das Gute an sich muss als einer der positiven Aspekte der Vernunft verstanden werden, und daher kann es ihn nur aufgrund des absoluten Willens sowie als teilhabend am absoluten Willen geben. Ist darüber hinaus die psychische Freiheit des Menschen wirklich etwas Positives, muss auch Gott, der der absolute Wille und die absolute Vernunft ist, gerade in seiner Identität mit der absoluten Güte und Wahrheit frei von jedem Zwang und sich selbst gegenüber frei sein. In dieser Hinsicht kann man Gott als den absolut freien Grund seiner selbst auffassen, weil er trotz seiner Freiheit in notwendiger Übereinstimmung mit der Vernunft sich selbst als das absolute Gute will (Aristoteles, Plotin?, Thomas von Aquin u.a.). 9.6

Die persönliche Liebe des Menschen zu Gott

Gott als der letzte Sinn des menschlichen Lebens und als der moralisch verpflichtende Grund, als das absolut Wahre und Gute und als die absolut bewusste und freie Vernunft kann nicht nur eine Art transzendenter notwendiger

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Urgrund für das persönliche Leben des Menschen sein, sondern muss auch selbst eine Person sein. Eine Art unpersönlicher Urgrund kann nämlich nicht den adäquaten äußersten Sinn und eine unbedingt moralisch verpflichtende Lebensführungsnorm für den Menschen als bewusste und freie Person mit tiefen Beziehungen zu anderen Personen darstellen. Ein solcher Urgrund, auch wenn er allgemein »geistig« gedacht wird, wäre entsprechend sehr viel weniger vollkommen als die menschliche Person mit ihrer selbstbewussten Freiheit und ihren persönlichen Beziehungen zu Mitmenschen. Wären das absolut Wahre und das höchste Gute nur unpersönliche Werte, sollte das Streben des Menschen nach ihnen weit weniger sinnvoll als eine echte Liebesbeziehung zu einem anderen Menschen erscheinen, weil dieser andere als Du seinem persönlichen Wesen besser entsprechen würde als der unpersönliche Gott. Ebenso könnte eine unbedingte moralische Verpflichtung, die von dem absolut Wahren und dem höchsten Guten als unpersönlichen Grundwerten ausgeht, letztlich als eine von außen kommende, versklavende Bindung der Freiheit der menschlichen Person betrachtet werden. Soll die menschliche Freiheit als dem unterworfen erfahren werden, was als Person weniger vollkommen als der Mensch selbst ist, muss die moralisch verpflichtende Macht selbst sich dadurch auszeichnen, eine Person zu sein. In den Mythen vieler Religionen wird Gott zwar als eine menschliche Person geschildert, und daher bestimmt ein solches Gottesbild oft das religiöse Denken. Im Zuge der philosophischen Reflexion wurden aber zu stark anthropomorphe Bilder von Gott mit Recht abgewiesen, z.B. Gott als Vater, Handwerker, Liebhaber, Gesetzgeber, Polizist, Hausherr usw. Dafür wurde in Griechenland und in Indien Gottes Transzendenz und Immanenz betont, während man sehr zurückhaltend war, wenn es darum ging, ihn als Person zu beschreiben. Man befürchtete nämlich, dass Gott, indem man ihn als Person betrachtet, wiederum dem Menschen viel zu ähnlich und damit nur zu einem Teil von allem würde. Trotz des sehr anthropomorphen biblischen Gottesbildes hat man sich in der jüdisch-christlichen Philosophie jedoch bemüht, einer theistischen Gottesauffassung gerecht zu werden, die nicht nur Gottes absolute Transzendenz betont, sondern auch Gott als Person hervorhebt. Dadurch ist auch das philosophische Verständnis des Menschen als Person sehr viel deutlicher geworden (Personalismus). Im Zuge eines jeden bewussten Erkenntnisakts und einer jeden Handlung kann ein einzelner Mensch sich selbst als Person erfahren, die berechtigterweise mit dem Wort »ich« von sich selbst sprechen kann. Die Reflexion über diese Erfahrung zeigt, dass dies bereits möglich ist, wenn er nur mit »du« von einer anderen Person, die von sich selbst mit »ich« redet, angesprochen worden ist. Diese Ich-Du-Beziehung, die in zwischenmenschlichen Dialogen

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verwirklicht wird, ist nicht in erster Linie ein Verhältnis zwischen zwei bereits konstituierten, bewussten und freien Subjekten, sondern der eigentliche Grund für die Personwerdung des Menschen (vgl. Anthropologie 9.1–2). Da der endliche Mensch eine andere Person braucht, um eine bewusste und freie Person zu werden, muss es ursprünglich eine Person geben, die nicht so wie ich aufgrund einer anderen Person derselben Art zu einer Person geworden ist. Diese in sich selbst existierende (subsistierende) Person muss der letzte Grund für die Existenz jeder anderen Person und für die Personbeschaffenheit sein und kann wiederum »Gott« genannt werden (Gottesbeweis ausgehend von der Ich-Erfahrung: Buber, Marcel). Jede menschliche Person, die mit Recht von sich selbst »ich« sagt, muss außerdem gerade als Person an Gottes eigener Ich-Beschaffenheit bzw. seinem Personcharakter teilhaben, wenn es wirklich eine Vollkommenheit ist, eine Person zu sein. Der Gedanke an Gott als Person kann vertieft werden, wenn man von der Erfahrung des Menschen von sich selbst als von Anderen geliebt und als Andere liebend ausgeht. Die Liebe bedeutet auf der Ebene menschlicher Personen ein ehrfurchtsvolles Akzeptieren des Selbstwertes des Anderen als Person und ein engagiertes Interesse daran, den Wert des Anderen und sein Gutsein an sich zu fördern und möglicherweise zu erhöhen (vgl. Anthropologie 9.4). Weil die Liebe zwischen den Menschen etwas sehr Positives ist, muss sie ihren Grund in Gott haben und an ihm teilhaben. Gott muss also die absolut vollkommene und in sich selbst existierende (subsistierende) Liebe sein, die nicht erst selbst geliebt werden muss, um lieben zu können, sondern die sich selbst liebende Liebe ist, d.h. das subsistierende engagierte Interesse zu existieren. Gott, als der absolute Wille zu sich selbst als das absolute Gute, ist dasselbe wie diese unendliche subsistierende Liebe, mit der Gott sich selbst und alles Andere in sich selbst liebt (Gottesbeweis ausgehend von der Liebe: Augustinus). Weil Gott als diese absolut vollkommenste Liebe der Grund für das Werden des Menschen als Person ist, muss er selbst eine Person sein. 9.7

Gott als das unbegreifliche personale Mysterium

Zwar kann die Reflexion über die eigene Ganzheits- und Kausalitätserfahrung zu einer Reihe theoretischer ontologischer und kosmologischer Gottesbeweise führen. Gemäß diesen zeichnet sich Gott als der Allervollkommenste, als das subsistierende Sein, als Urbild, Grundlage und Ordnung von allem usw. aus. Ebenso kann man von der persönlichen Selbsterfahrung ausgehen und mit dem anthropologischen Argument zeigen, dass Gott der letzte Sinn des Menschenlebens und die absolut verpflichtende Norm sowie das absolut Wahre und

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Kapitel 9

Gute und die subsistierende bewusste und freie Vernunft sein muss. Aber in der menschlichen Ich-Erfahrung im Zusammenhang mit der Erfahrung der zwischenmenschlichen Liebe liegt mehr als nur ein Ausgangspunkt für einen theoretischen Gottesbeweis vor. Solche persönlichen Erfahrungen stellen nämlich den tiefsten Grund für eine existenzielle Überzeugung dar, die nicht länger durch eine theoretische Argumentation für Gottes Existenz bekräftigt werden muss. Als absolutes »Ich«, d.h. als die in sich selbst existierende (subsistierende) Person und als die vollkommenste Liebe, transzendiert Gott natürlich alle endlichen Personen in der Welt und deren liebevolle Ich-Du-Beziehungen auf eine dem Menschen unbegreifliche Weise. Gott muss aber zugleich diesen Liebesbeziehungen zwischen den Menschen immanent sein. Gott kann nämlich nicht etwas neben diesen innerweltlichen Liebesbeziehungen sein, sondern sie müssen an ihm teilhaben und ihren letzten Grund in ihm haben. Gott als Person und als Liebe selbst ist nicht bloß ein »entfernter« ontologischer Grund für das Wesen des Menschen als Person und für die Liebe zwischen den Menschen. Gott ist auch nicht bloß ein übermächtiges und selbständiges Person-Ich, das eine von ihm selbst abtrennbare liebevolle Beziehung zu einem von ihm abtrennbaren selbständigen Menschen-Du hat. Soll Gott nicht nur eine Art persönlicher Partner vis-à-vis zur menschlichen Person und auf demselben Niveau wie der Mensch sein, muss er gerade als Person der immanente Grund für das Person-Ich eines jeden Menschen mit seinem Selbstbewusstsein, seinem freien Handeln und seiner persönlichen Eigenverantwortung sein. Als Person muss Gott auch das Innerste einer jeden liebevollen Ich-Du-Beziehung, ja, sogar der Liebesbeziehung zwischen Mensch und Gott sein. Daher muss Gottes Liebe zum Menschen in dem Maße, in dem sich Gott selbst dem Menschen mit-teilt, identisch mit Gott selbst sein, und die Liebe des Menschen zu Gott muss insoweit, wie Gott durch den Menschen sich selbst liebt, dieselbe sein wie Gott. Auch wenn Gott mit Recht als Person gesehen werden kann, darf man niemals vergessen, dass Gott aufgrund der Analogie nicht den anderen innerweltlichen Personen ähnlich als eine Person aufgefasst werden darf. Dies geschieht nicht selten, weil viele Menschen gerne ihr persönliches Zukurzkommen auf der menschlichen Ebene mit Hilfe ihres emotionalen Gottesverhältnisses kompensieren oder ihre persönlichen Wünsche und Erwartungen auf einen Gott projizieren, der sie erfüllen soll. Gott kann auf diese Weise leicht zu einem imaginären »Subjekt« oder »Objekt« gemacht werden, d.h. zu etwas, was das persönliche Liebesbedürfnis des Menschen befriedigt. Nur wenn man sowohl Gottes Immanenz als auch Gottes Transzendenz beachtet,

Gott, absoluter Geist und Person

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ist man nicht gezwungen, die Personalität Gottes abzulehnen. Etwas solches ist z.B. bei bestimmten Mystikern geschehen, die Gott mit einem gewissen Recht nicht als »etwas« ansehen wollten und sich daher weigerten, ihn als Person zu betrachten; oder bei neueren protestantischen Theologen, die Gott nicht als »jemand« auffassen wollen und ihn daher lieber mit der weltimmanenten Mitmenschlichkeit identifizieren (Gott-ist-tot-Theologie: Sölle, Robinson). Weil die menschliche Person in ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Freiheit nicht für das rationale Denken zugänglich ist, muss Gott umso mehr als Person, d.h. als jemand, der bewusst und frei sich selbst und alles Andere in sich selbst liebt, ein Mysterium darstellen. Je mehr der Mensch somit rein theoretisch von Gott »weiß«, desto mehr muss Gott als der letztendlich Unbegreifliche und Unaussprechliche hervortreten. Je mehr der Mensch im Zuge seiner vernünftigen Reflexion Gott als das letztlich unbegreifliche und unaussprechliche Mysterium erfahren kann, desto mehr tritt Gott für ihn auch als der Heilige hervor, der den Menschen sowohl fasziniert als auch ängstigt, sodass er zum Mysterium hingezogen ist und zugleich vor ihm zurückweicht. Das richtige vernünftige Denken objektiviert und verdinglicht Gott nicht, sondern lässt ihn vielmehr als ein »mysterium tremendum et fascinosum« (Rudolf Otto) hervortreten.

Kapitel 10

Gott und die geschaffene Welt Die Fragen nach Gottes Existenz und nach dem »Wesen« Gottes sind derart voneinander abhängig, dass die eine ohne die andere nicht beantwortet werden kann. Daher wird zugleich konstatiert, dass es Gott gibt und wer Gott im Verhältnis zum Menschen ist, wenn man mit Hilfe unterschiedlicher »Gottesbeweise« herleitet, dass es das allervollkommenste, absolute und unabhängig bestehende Sein gibt, das Personcharakter hat und ebenso mit dem absolut Wahren und Guten wie mit der absolut frei handelnden Vernunft identifiziert werden kann. Die doppelte Frage nach Existenz und »Wesen« Gottes wird zudem dadurch beantwortet, dass der Mensch von seiner »transzendentalen Gotteserfahrung« ausgeht. Diese begleitet seine selbstbewussten Wahrnehmungen und Erlebnisse nämlich auf unterschiedliche Weise und liegt insbesondere in all seinen bewussten Erkenntnishandlungen und übrigen freien Taten vor, wobei sie all diese überschreitet (transzendiert) und weit über sie hinausweist. In Zusammenhang mit den Gottesbeweisen wird indirekt sogar die Frage berührt und beantwortet, wie sich die Welt, d.h. alles, was nicht Gott ist, zu Gott verhält. Die Erscheinungen in der Welt und für den Menschen, die den Grund für die Gottesbeweise ausmachen, zeigen sich als am Allervollkommensten teilhabend und als dessen »Abbilder«, sodass Gott auf eine bestimmte Weise in ihnen gegenwärtig sein muss (immanens; aus dem Lat.: in, manere = in, verbleiben; vgl. Hamann et al.). Zugleich darf Gott nicht ausschließlich als die letzte Ursache und als ordnender Grund aller Dinge, bloß wie eine Art Demiurg, d.h. als eine Art höchstes Wesen unter anderen konkreten Dingen und Wesen aufgefasst werden, er muss vielmehr gegenüber dem Menschen sowie gegenüber dem ganzen Universum und allen Dingen, die darin enthalten sind, unvergleichbar überlegen sein (transzendent). Das grundlegende Verhältnis der Welt zu Gott muss weiter präzisiert werden, wenn man ernsthaften Einwänden vorbeugen möchte. Sobald man nämlich die Auffassung gewinnt, dass es das absolut Unendliche und Notwendige gibt, wird es schwerer zu begreifen, wie es etwas Endliches und Relatives überhaupt geben kann. Um sowohl ein pantheistisches als auch ein deistisches Verständnis des ganzen Daseins und der Beziehung zwischen der Welt und Gott vermeiden zu können, muss man zeigen, wie Gott eins mit der Welt sein und sich dennoch von ihr unterscheiden kann. Darüber hinaus muss man verdeutlichen, was in diesem Fall mit »Schöpfung« gemeint ist, sodass

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Kapitel 10

dieser Begriff tatsächlich etwas mit Gott als souveräner und frei schöpfender Person zu tun hat. 10.1

Die Transzendenz Gottes im Verhältnis zur Welt

Der Kontingenzbeweis für Gottes Existenz macht deutlich, dass sich das absolut Notwendige, das die Ursache seiner Existenz in sich selbst trägt, radikal von all dem Kontingenten unterscheidet, welches seine letzte Ursache im subsistierenden Sein hat (vgl. Kap. 8.5). Als letzter und notwendiger Ursprung von allem muss Gott sich also von allem anderen unterscheiden, was relativ und bedingt, kontingent und zufällig ist. Alles solche ist nämlich gemäß seiner Existenzweise grundlegend abhängig von etwas Anderem und existiert daher nur insofern, als es an der Existenz dieses Anderen teilhat. Was auf seine Weise in Bezug auf etwas existiert, ist abhängig von diesem, daher relativ dazu und kann nicht Gott selbst sein, sondern muss seinen letzten Grund und Ursprung in Gott haben. Alles in unserer Welt zeigt sich als aus verschiedenen ontologischen Prinzipien oder Teilen zusammengesetzt (vgl. Ontologie 4.1–2 und 6.3–4). Im Gegensatz dazu muss Gott als das notwendige absolute Sein völlig einfach sein und kann nicht in dem Sinne konstituiert oder zusammengesetzt sein, dass er in seiner Existenz auf irgendeine Weise von Prinzipien oder von der Existenz von Teilen abhängig wäre. Gott muss in seiner absoluten Einfachheit auch jeder Zusammensetzung, die immer eine Form der Negation beinhaltet, in dem Maße überlegen sein, als der eine Teil der Zusammensetzung etwas Positives hat, was dem anderen fehlt, sodass diese sich voneinander und vom ganzen Zusammengesetzten, zu welchem sie gehören, unterscheiden. Gott unterscheidet sich also aufgrund seiner totalen Einfachheit von jedem Konglomerat, jedem Kollektiv und jeder Ganzheit und ist transzendent im Verhältnis zu allem, was aus einer Vielheit räumlich ausgedehnter Teile zusammengesetzt ist (vgl. Ontologie 8.1–3). Da jede räumliche Ausdehnung die Verschiedenheit der Teile im Verhältnis zueinander voraussetzt und damit eine Negation enthält, muss Gott seinem Wesen nach allen räumlichen Bestimmungen fernstehen. Dafür muss Gott auch im Verhältnis zum ganzen Universum transzendent sein, d.h. zur Totalität aller ausgedehnten Dinge, die als Teile bzw. Komponenten des Universums angesehen werden können. Zugleich ist Gott aber nicht dasselbe wie ein dimensionsloser mathematischer Punkt, der eigentlich nichts Anderes als ein idealisiertes Abstraktionsprodukt und Gedankenobjekt ist. Gott verfügt nämlich über keine räumlich bedingten Beziehungen im Verhältnis zu den ausgedehnten konkreten Dingen, d.h. weder

Gott und die geschaffene Welt

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über irgendwelche Grenzen noch über eine räumlich fassbare Gestalt. Daher kann Gott auch keinen Platz einnehmen, sei es in einem physisch gedachten Himmel, sei es irgendwo anders im Universum. Aufgrund seiner Einfachheit muss sich Gott auch von allem unterscheiden, was in bestimmter Hinsicht veränderlich ist, und daher ganz andersartig als alles sein, d.h. alles transzendieren, was aus aufeinander folgenden Teilmomenten zusammengesetzt ist (vgl. Ontologie 7.1–3). Als das notwendig Absolute und Allervollkommenste kann Gott nämlich weder durch eine substantielle Veränderung entstehen noch aufhören zu existieren (Augustinus). Darüber hinaus, dass Gott weder anfangen noch aufhören kann zu existieren, kann er sich auch nicht akzidentell verändern und in einem zeitlichen Prozess werden (Thomas von Aquin), weil jede solche akzidentelle Veränderung eine Zusammensetzung aus einem bleibenden Substanzprinzip und verschiedenen akzidentellen Eigenschaften, welche entstehen oder vergehen, voraussetzt (vgl. Ontologie 6.5–7). Als der Allervollkommenste kann Gott sich auch nicht entwickeln und vollkommener werden, weil eine solche Serie von sich akzidentell entwickelnden Veränderungen immer zur Folge hat, dass positive Eigenschaften zu einem Subjekt hinzukommen, sodass es in einem sukzessiven Prozess eine größere Vollkommenheit erreicht. Gott muss nicht nur im Verhältnis zu allen einzelnen veränderlichen konkreten Dingen, sondern auch im Verhältnis zum ganzen Universum transzendent sein, weil dieses sich in einem fortwährenden Prozess ständig entwickelt und verändert (vgl. Ontologie 9–10). Gottes Transzendenz hat zur Folge, dass er überhaupt keine zeitbezogenen Eigenschaften besitzt, noch weniger als z.B. die Zahl 2, die sich auch nicht verändert. Gottes Unveränderlichkeit ist nämlich nicht dasselbe wie eine statische Regungslosigkeit. Ein solcher Begriff ist nämlich ein menschliches Gedankenprodukt, denn er wird gebildet, indem man jede Bewegung wegdenkt, er bleibt aber dennoch zeitlich, da er eine Dauerhaftigkeit im Verhältnis zu etwas, was in Bewegung ist, voraussetzt. Aber Gottes ewige Existenz bedeutet deswegen keinen unendlich langen Zeitverlauf, der eine zeitliche Dauerhaftigkeit ohne Anfang und Ende zur Folge hat (uneigentliche Ewigkeit; lat.: sempiternitas; engl.: perpetuity; dt.: immerwährend [Adj.]). Vielmehr ist mit Ewigkeit (eigentliche Ewigkeit; lat.: aeternum; engl.: eternity; dt.: Ewigkeit) sein transzendentes und »zeitloses Sein« im Gegensatz zu der räumlich ausgedehnten und zeitlich veränderlichen, zersplitterten Welt gemeint (Augustinus, Boethius, Thomas von Aquin, Kierkegaard). Gottes Ewigkeit hat auch mit einem Sein zu tun, das nicht in aufeinanderfolgende Teilmomente aufgeteilt werden kann und das fern aller zeitbezogenen Bestimmungen und im Gegensatz zu jeder Potentialität das Dasein jeder Vollkommenheit in dynamischer Wirklichkeit und Aktivität einschließt.

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Kapitel 10

Aufgrund seiner absoluten Einfachheit muss Gott sich schließlich radikal von allem Anderen unterscheiden, was durch verschiedene ontologische Prinzipien konstitutiert ist, z.B. durch substantielle Form und Materialprinzip bzw. durch Wesen und Existenz (vgl. Ontologie 7.3 und 4.3), und daher zusammen mit anderen eine Vielfalt einzelner Seiender darstellen kann (vgl. Ontologie 8.4–6). Eine jede solche Vielfalt unterscheidet sich von der fundamentalen Einheit und Einfachheit des Seins. Eine Vielfalt bedeutet nämlich immer eine Zersplitterung in etwas Positives, sodass das eine Element in der Vielfalt etwas hat, was dem anderen fehlt. Weil Gott im Verhältnis zu jeder Vielfalt, sowohl gegenüber ähnlichen einzelnen Seienden als auch gegenüber kategorial verschiedenen Seienden, transzendent ist, ist er es natürlich auch im Verhältnis zum gesamten vielfältigen Universum. Er ist also transzendent im Verhältnis zu allen einzelnen Seienden im Universum, die zusammen mit anderen ähnlich gearteten Seienden eine Vielfalt aus verschiedenen Formen darstellen. 10.2

Gottes Immanenz in der Welt

In Bezug auf die zeitlich und räumlich geprägte, vielfältige Welt bedeutet Gottes Transzendenz, dass er sich radikal von dieser unterscheidet. Gott kann also nicht auf eine pantheistische oder panentheistische Weise mit dem gesamten Universum identifiziert werden oder ein Teil davon sein. Da Gott als das Allervollkommenste aber auf eine aktuelle Weise die ganze Vollkommenheit des Seins in sich selbst »fasst«, muss er sich von all den Dingen unterscheiden, denen die eine oder andere Vollkommenheit fehlt oder die nur ein potentielles Vermögen besitzen, diese Vollkommenheit auf ihre eigene Weise zu erreichen. Als das Unendliche, das in sich all das fasst, was durch und durch positiv ist, ist Gott etwas Anderes als das Endliche und Begrenzte. Gott ist daher auch im Verhältnis zu einer Welt transzendent, die von Anfang an nicht die gesamte Vollkommenheit beinhaltet, bei der aber angenommen werden kann, dass sie diese absolute Vollkommenheit durch einen Entwicklungsprozess erreichen kann (gegen Hegel; Prozesstheologie). Auch wenn Gott und die Welt nicht miteinander identifiziert werden dürfen, kann es sie ebenso wenig »gegenüber« oder »neben« einander geben, so als wären sie zwei selbständige Seiende. Die »Wirklichkeit« selbst, die so gedacht werden könnte, dass sie sowohl Gott als auch die Welt umfasst, ist nämlich nicht auf eine dualistische Weise in zwei voneinander verschiedene Bereiche, d.h. in die göttliche und die weltliche Wirklichkeit, aufgeteilt (vgl. Ontologie 3.4). Wie schwer es auch für das menschliche Denken sein mag, die an Zeit und Raum gebundene Vielheit der Welt mit Gottes Einheit und Einfachheit

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zu vereinen, stellt eine Form des Substanzmonismus, welcher die Welt in Gott aufgehen lässt oder die Welt mit Gott identifiziert, nicht die einzige Lösung dar (gegen Spinoza u.a.). Um auf eine zufriedenstellende Weise die gesamte Wirklichkeit zu erklären, muss man zwar von einer Form von Monismus ausgehen, aber nur in dem Sinne, dass überhaupt alles letztlich auf eine einzige absolute Wirklichkeit zurückgeführt werden kann, die der letzte ontologische Grund der gesamten Wirklichkeit ist. Diese Form von Monismus vermeidet eine totale Identifikation von allem mit Gott und betont zugleich die Einheit von allem in diesem einen transzendenten Ursprung und Grund. Wenn man davon ausgeht, dass es nichts geben und nichts positive Eigenschaften haben kann, sofern es nicht am Allervollkommensten teilhat, kann man trotz der Betonung von Gottes Transzendenz sowohl an der Einheit der gesamten Wirklichkeit als auch an der fundamentalen Beziehung der konkreten Dinge zu Gott als ihrem Ursprung festhalten. Dies ist möglich, weil sich der transzendente Gott durch seine Schöpfung selbst allem mit-teilt und daher auf eine bestimmte Weise immanent, d.h. in allem enthalten ist. Obwohl Gott keine raumbezogenen Eigenschaften haben kann, kann man dennoch mit einem gewissen Recht sagen, dass Gott überall anwesend ist. Dies gilt aber nur insofern, als alle ausgedehnten Dinge und das ganze Universum auf ihre eigene Weise an Gottes eigenem, unendlich vollkommenem Sein teilhaben, einfach weil sie als etwas Ausgedehntes existieren und positive Eigenschaften besitzen. Ebenso kann man sagen, dass Gott immer existiert. Aber dies ist nur insofern korrekt, als das, was während all der Zeiten, in denen es existiert, veränderlich ist, auf seine Weise an Gottes uneingeschränkt vollkommenem Sein teilhat. Gott ist also auf dieselbe Weise sowohl im räumlich Ausgedehnten als auch im zeitlich Veränderlichen immanent bzw. anwesend und zugleich gegenüber all diesem transzendent. So ist Gott dem ganzen Universum ebenso immanent, wie er es zugleich aufgrund seiner Transzendenz überschreitet. Mit Gottes Transzendenz ist also nicht gemeint, dass Gott auf eine deistische Weise die Ursache der gesamten Welt und von allem in ihr ist, und sich daher von allem Verursachten auf dieselbe Weise unterscheidet, wie sich ein konkretes Ding, z.B. ein Handwerker oder Demiurg, von allem Anderen, was verursacht wird, zeit- und räumlich unterscheidet. Auf eine dialektische Weise kann man nämlich mit Recht sagen, dass Gott aufgrund seiner Immanenz überall anwesend ist, ebenso wie Gott zugleich aufgrund seiner Transzendenz nirgends, d.h. an keinem Ort, existiert. Auf dieselbe Weise kann gesagt werden, dass es Gott aufgrund seiner Immanenz immer gibt, ebenso wie Gott zugleich aufgrund seiner Transzendenz niemals, d.h. zu keinem Zeitpunkt, existiert hat, existiert oder existieren wird.

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Um sowohl Gottes Transzendenz als auch seiner Immanenz gerecht zu werden, darf man nicht auf eine dualistische Weise einen unüberbrückbaren Graben zwischen Gott als dynamisch ordnender Vernunft oder Geist und der ähnlich ursprünglichen Materie als ontologischem Grundprinzip für die Vielfalt und Endlichkeit der Welt ziehen (gegen Platon, Aristoteles, Plotin, Neuplatonismus, bestimmte Mystiker u.a.). Natürlich transzendiert Gott als der eine unendlich Vollkommene alles Materielle, was eine Vielheit von endlichen und begrenzten Dingen ist. Deshalb muss man aber nicht neben Gott von einem ähnlich »ewig« existierenden Materieprinzip ausgehen, das Gott als souveränem und allmächtigem Willen Grenzen setzen könnte. Das ontologische Materieprinzip ist nämlich keine selbständige Wirklichkeit, sondern hat mit der notwendigen ontologischen Grundbeschaffenheit der körperlichen Dinge zu tun (vgl. Ontologie 7.3). Als absolute Vernunft und souveräner Wille transzendiert der personale Gott nicht bloß die materielle Welt, sondern auch den materiellen Körper und die an die Geschichte gebundene menschliche Person. All das Körperliche und Materielle – wie begrenzt und potentiell, wie vernunft- und geistlos es auch sein mag – muss nämlich zumindest die Grundlage seiner Existenz in Gott haben und daher an Gott als dem absoluten und in sich selbst existierenden Sein teilhaben. Außerdem muss all das Körperlich-Materielle in der Welt in dem Maße von der absoluten Vernunft und dem souveränen Willen geprägt sein, in dem es etwas Positives ist – z.B. in seiner fundamentalen Ordnungsstruktur, die die Entwicklung aller höheren und komplexeren Formen ermöglicht –, und daher in dieser Hinsicht an Gott als dem reinen und absoluten Geist teilhaben. Auf diese Weise kann Gott trotz seiner Immaterialität sogar als in den ausgeprägtesten materiellen und körperlichen Dingen im Universum immanent und anwesend angesehen werden. 10.3

Das fundamentale Verhältnis der Welt zu Gott

Die Immanenz Gottes in der Welt und damit die Immanenz der Welt in Gott macht Gottes Transzendenz im Verhältnis zur Welt keineswegs zunichte, sondern setzt diese voraus. Als das Allervollkommenste muss Gott die Vielheit der an Zeit und Raum gebundenen, begrenzten Welt transzendieren und kann als das einzige unendliche Vollkommene nicht die Welt als etwas Anderes »neben sich« oder »gegenüber von sich« haben. Es kann aber auch kein totaler Gegensatz zwischen der Welt und Gott als dem notwendigen Sein bestehen, weil dies bedeuten würde, dass es etwas »an der Seite von Gott« gäbe, was es eigentlich nicht geben könnte, weil seine Existenz von Gott abhängig ist.

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Zugleich muss alles, was es gibt und was nicht identisch mit Gott ist, in einem gewissen Gegensatzverhältnis zu Gott stehen. Obwohl die Welt sich also von Gott unterscheidet, weil sie nicht mit Gott identisch ist, steht sie nicht in totalem Gegensatz zu ihm und ist damit nicht gänzlich verschieden von Gott. Für die begrenzte Vernunft des Menschen ist es fast unmöglich zu verstehen, dass sowohl Gottes radikale Transzendenz im Verhältnis zur Welt als auch seine tiefe Immanenz in ihr ohne alle Abschwächungen aufrechterhalten bleiben und sich zugleich miteinander vereinen und damit sowohl seine Verschiedenheit von der Welt als auch seine Einheit mit ihr zum Ausdruck bringen. Das Verhältnis der Welt zu Gott, das sowohl eine Form von Identität als auch eine grundlegende Differenz beinhaltet, hat keine exakte Entsprechung in der Sinnenwelt, weder im Verhältnis der Teile zu einem materiellen Körper, noch im Verhältnis der einzelnen Dinge zu einer gemeinsamen Art, noch in der Beziehung eines Erkenntnisinhalts zu einem Erkenntnisakt. Trotzdem kann eine tiefere Reflexion zeigen, dass jede Vielheit, die auf der logischen Ebene eine Art Verschiedenheit zwischen dem Einen und dem Anderen und damit einen Gegensatz zur Einheit bedeutet, auf der ontologischen Ebene eine bestimmte grundlegende Einheit für ihre Existenz voraussetzt (vgl. Ontologie 8). Natürlich ist die Einheit der ausgedehnten und veränderlichen konkreten Dinge sehr unvollkommen, weil ihre vielfältigen materiellen Teile nebeneinander und ihre zeitlichen Zustände nacheinander sich nicht gegenseitig durchdringen und insbesondere nicht miteinander und mit der Gesamtheit identifiziert werden können. Eine größere Einheit liegt hingegen trotz aller Verschiedenheit bei den menschlichen Personen vor, die sich selbst auf eine selbstbewusste Weise als eine einzige ausgedehnte und veränderliche körperlich gebundene Ganzheit erfahren, während der Körper nicht als gänzlich identisch mit der menschlichen Person erfahren wird und daher auf eine bestimmte Weise als verschieden vom »Ich« aufgefasst werden kann (vgl. Anthropologie 7 und 10–11). Die höchste Form einer Einheit in der Differenz liegt auf der zwischenmenschlichen Ebene, besonders bei der gegenseitigen Liebe zweier Menschen vor (vgl. Anthropologie 9). In all diesen Fällen schließen Einheit und Verschiedenheit bzw. Identität und Differenz einander nicht aus, sondern sind in steigendem Grad ihre gegenseitigen notwendigen Voraussetzungen. Ein tieferes Verständnis von Gottes Verhältnis zur Welt kann erreicht werden, wenn man beachtet, dass alles in der Welt zu einem Kategorienbereich gehört, während Gott nicht zu einem dieser Bereiche gezählt werden darf (vgl. Ontologie 6.1–3). Gottes Verhältnis zur Welt kann nur in einem bestimmten analogen Sinn mit dem überkategoriellen Verhältnis zwischen einem einzelnen Ding und dessen Beschaffenheiten verglichen werden. Dann jedoch muss

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Kapitel 10

man darauf achten, Gott nicht zu der einen absoluten, selbständigen Substanz und alles andere zu Gottes Eigenschaften zu machen (gegen Spinoza). Ein bestimmtes analoges Modell für das Verhältnis der einzelnen kontingenten Seienden zu dem notwendigen subsistierenden Sein liegt vor, wenn wir sagen, dass die Eigenschaften eines konkreten Dings im Ding liegen und dass ein konkretes Ding in seinen Eigenschaften ist. So können wir zum Beispiel sagen, dass eine menschliche Person in ihren Erkenntnissen, Entscheidungen und persönlichen Beziehungen ist, aber ebenso, dass diese in der Person sind, auch wenn die betreffende Person sich deutlich von ihren Eigenschaften und Beziehungen unterscheidet. Dem abstrakten begrifflichen Denken scheinen zwei menschliche Individuen sehr verschieden und kaum identisch zu sein. Dennoch können sie insofern als ähnlich angesehen werden, dass es sie gibt, dass es Menschen sind, und vor allem, dass sie in gegenseitiger Liebe »eins miteinander werden«. Einheit und Verschiedenheit, Identität und Differenz können also offensichtlich zusammen vorkommen. Wenn man außerdem von der Analogie des Seins ausgeht, kann man noch besser sehen, wie Gottes Einheit mit der Welt und seine Verschiedenheit in Bezug zur Welt nicht nur gemeinsam vorkommen, sondern wie sie einander notwendig bedingen und voraussetzen (vgl. Ontologie 3.5–6). Die Wirklichkeit besteht nämlich nicht aus einer Menge beziehungsloser Bereiche, denen jede Gemeinsamkeit fehlt, sondern sie stellen trotz aller Verschiedenheiten letztendlich eine Einheit mit internen Beziehungen dar. Zwischen dem Sein selbst, als letzter Grundlage von allem, was es gibt, und allem, was aufgrund seiner Teilhabe am Sein existiert, muss nämlich trotz aller augenscheinlichen Unterschiede eine tiefe Einheit und Gemeinsamkeit bestehen. Diese kann sogar als Identität bezeichnet werden, sofern man mit diesem Ausdruck nicht den fundamentalen Unterschied verneinen will, der dennoch zwischen Gott und der Welt besteht. Jedes einzelne Sein hat an exakt demselben Sein teil, aber auf seine eigene und besondere Weise. Jedes einzelne Seiende ist also, trotz seiner mit anderen gemeinsamen Weise zu sein, etwas Individuelles und daher verschieden von allem Anderen und zugleich, trotz seiner individuellen Verschiedenheit im Verhältnis zu allem Anderen, aufgrund seines Seins eins mit allem Anderen. Jedes einzelne Seiende hat mit allem Anderen, was es auch gibt, gemeinsam, dass es existiert, es unterscheidet sich aber von allem Anderen dadurch, dass es auf eine bestimmte Weise existiert. Zugleich muss das, was die letzte Grundlage für die Existenz alles Seienden ist, auch die letzte Grundlage für jede Differenzierung zwischen ihnen sein. Sonst müsste es eine letzte Grundlage für die Existenz von allem geben und eine andere Grundlage für dessen

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verschiedene Weisen zu existieren, d.h. es müsste einen Gott geben, der die Grundlage für die Existenz einer Welt darstellt, und einen anderen, welcher die Grundlage für die differenzierte Ordnung der Welt ausmacht. Eine nähere Analyse zeigt folgendes Verhältnis: Je vollkommener etwas ist, d.h. je mehr es am Sein selbst teilhat, desto mehr positive Eigenschaften kann es mit etwas Anderem gemeinsam haben und diesem Anderen ähneln. Versteht man nun die individuelle Existenz und Einheit bei einzelnen Dingen als etwas Positives, so folgt: Je mehr einzelne Dinge in ihrer individuellen Existenz eins mit sich sind und einander in dieser Hinsicht ähneln, desto stärker müssen sie sich gerade aufgrund ihrer Individualität voneinander unterscheiden. Zwei Ziegelsteine haben nicht sehr viele positive Eigenschaften miteinander gemeinsam, aber zugleich unterscheiden sie sich auch nicht besonders stark voneinander, obwohl sie alle individuelle Ziegelsteine sind. Zwei Tiere haben mehr positive Eigenschaften miteinander gemeinsam, zugleich unterscheiden sie sich in ihrer Individualität auch stärker voneinander als Ziegelsteine. Zwei Menschen haben aufgrund ihres Selbstbewusstseins und ihrer Freiheit sowie dadurch, dass sie mit Recht »ich« von sich selbst sagen können, mehr Positives miteinander gemeinsam als zwei Tiere. Zugleich unterscheiden sich zwei Menschen aber viel stärker voneinander als zwei Tiere, eben aufgrund ihres individuellen Selbstbewusstseins und ihrer Freiheit sowie dadurch, dass ein jeder »ich« von sich selbst sagen und sich damit vom Anderen abgrenzen kann. Zwei Menschen stellen außerdem die intimste Personeneinheit genau in dem Augenblick dar, in welchem sie sich als individuelle und voneinander verschiedene Personen zeigen. Je mehr also etwas am Sein selbst teilhat, desto mehr ist es aufgrund dieses »identischen« Seins etwas Anderem ähnlich und ihm in diesem Sinne immanent, während es sich zugleich, aufgrund seiner eigenen Teilhabe am Sein, umso mehr von allem Anderen unterscheidet und es transzendiert. Gott als das notwendige, absolute und vollkommenste Sein muss daher auf äußerste Weise allem »Anderen«, was am Sein teilhat, immanent und in diesem vorhanden sein. Zugleich muss Gott auf überlegene Weise all das Andere transzendieren, was bloß auf endliche und individuelle Weise am Sein teilhaben kann. Mit seiner begrenzten Vernunft kann der Mensch dieses einzigartige Verhältnis nicht exakt begreifen, verstehen oder sich auch nur vorstellen, welches zwischen der Welt und Gott besteht und keine exakte Entsprechung in der übrigen Wirklichkeit haben kann. Das Verhältnis der Welt und aller einzelnen Seienden zu Gott ist nämlich keine Beziehung, die zwischen zwei einzelnen Dingen besteht, nachdem sie in ihrer Existenzweise und ihrem Wesen konstituiert wurden. Vielmehr hat dieses Verhältnis seine

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Kapitel 10

Grundlage in Gott selbst, sodass die Existenz und die Existenzweise der endlichen Seienden in einem gewissen Sinne mit ihrer »Gottesbeziehung« gleichgesetzt werden können. 10.4

Gott als souveräner Schöpfer der ganzen Welt

Indem man Gottes Transzendenz trotz durchgehender Immanenz und damit seine bedeutende Verschiedenheit trotz umfassender Einheit im Verhältnis zur Welt hervorhebt, können sowohl pantheistisch-monistische als auch deistisch-dualistische Auffassungen vermieden werden. Dieses »dialektische« Verständnis von Gottes Verhältnis zur Welt ist notwendig, wenn man die besondere göttliche Aktivität klären will, durch die Gott die Welt hervorbringt und die mit dem Spezialausdruck »erschaffen« bezeichnet wird (hebr.: bara’; griech.: ktizein; lat.: creare; engl.: to create; dt.: erschaffen). Das Substantiv »Schöpfung« (griech.: ktisis; lat.: creatio; engl.: creation; dt.: Schöpfung) bezeichnet sowohl die Welt und alle Dinge in ihr in dem Maße, wie sie geschaffen sind, als auch Gottes eigene Aktivität, durch die er die Welt hervorbringt. Wer in der Schöpfung selbst nichts Besonderes sieht, wird sie wahrscheinlich eher in einem pantheistischen Sinne als eine notwendige oder auch spontan entstandene Differenzierung der göttlichen Welteneinheit verstehen (indische Religion und Philosophie; Stoizismus, Neuplatonismus u.a.), oder in einem eher dualistischen Sinne als ein ordnendes und formgebendes Handeln eines Gottes an der ewigen notwendigen Urmaterie als eines Prinzips des Chaos (Platon, Aristoteles u.a.) oder in einem deistischen Sinne als die Vorstellung eines gänzlich selbständigen Objekts, das es anschließend weiterhin unabhängig vom Handwerker (Demiurg) gibt. Obwohl ein spezifischer Schöpfungsbegriff zum ersten Mal in der israelisch-jüdischen Religion vorkommt, gibt es kein Hindernis, diesen Begriff in einer präzisierten Form auch für eine philosophische Reflexion zu verwenden. Seine Entstehung hat ihren Grund in der den Israeliten und dem Judentum eigenen Auffassung eines einzigen, transzendenten und persönlichen Gottes, der souverän und ohne jede Mühe durch sein befehlendes Wort die Welt und alles, was darin ist, schaffen kann (1 Mose 1,1–2,4a). Von griechischen Ideen beeinflusst beschreibt das späte Judentum Gott als allmächtigen Schöpfer, der die gesamte Welt »aus dem Nichts« hervorbringt (2 Makk 7,28). Diese Ausdrucksweise kann den Eindruck vermitteln, dass der Schöpfungshandlung das Nichts selbst zeitlich vorausgeht und sogar als eine Art Material für die schöpferische Handlung verwendet wird. Daher hat die christliche Philosophie lieber davon gesprochen, dass Gott etwas schafft,

Gott und die geschaffene Welt

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»ohne dass es selbst oder irgendeine Grundlage (bereits) vorliegt« (lat.: ex nihilo sui et subiecti). Schöpfung bedeutet also, dass Gott etwas in Bezug auf dessen gesamte Existenz und Wesen hervorbringt, bzw. ein Seiendes insofern, als es ist. Traditionell wird Gott in Bezug auf seine Schöpfung vor allem als »wirkende Ursache« beschrieben. Das Modell ist der Handwerker, der aufgrund einer freien Willensentscheidung und durch seine Wirksamkeit ein von sich verschiedenes Werk produziert (vgl. Ontologie 7.6). Diese Beschreibung von Gott, die von der sinnengebundenen Welt ausgeht, muss natürlich in bestimmtem Maße verneint und auf eminente Weise überboten werden, damit sie in einem analogen Sinn überhaupt mit Recht auf Gott angewendet werden kann. Wenn gesagt wird, dass Gott etwas aus dem Nichts schafft, wird Gottes absolute Souveränität betont, durch die sich seine schaffende Handlung von allem innerweltlich Verursachten unterscheidet. Bei seiner Schöpfung ist Gott nämlich nicht auf eine bestimmte Weise von Material abhängig und durch etwas begrenzt, was bereits vorhanden ist. Dafür hat Gottes schaffende Handlung mehr als gewöhnliche, akzidentelle oder substantielle Veränderungen zur Folge (vgl. Ontologie 7.1–3). Schaffen bedeutet nämlich nicht, dass Gott nur etwas in Gang setzt, sondern dass Gott etwas einschließlich dessen gesamten Wesens erschafft, d.h. Gott ist sogar Ursache für alles, was während der gesamten veränderlichen, aber beständigen Existenz zum Wesen von etwas gezählt werden kann. Wird Gott als »allmächtig« bezeichnet, wird die Souveränität der Schöpfungshandlung betont, d.h. dass Gott bei seiner Schöpfung absolut unabhängig von allen Voraussetzungen und frei von allen Hindernissen ist. Im Gegensatz zu allen innerweltlichen Ursachen muss Gott als so mächtig angesehen werden, dass er in der Lage ist, vollkommen ungehindert alles zu erschaffen, was möglich ist, sowohl in Bezug auf die Existenz als auch auf das Wesen des jeweiligen Geschaffenen. Mit »Gottes Allmacht« ist hingegen nicht gemeint, dass Gott auch etwas schaffen kann, was in sich selbst widersprüchlich ist, z.B. einen quadratischen Kreis oder einen Stein, den niemand aufheben kann. Etwas Widersprüchliches nicht erschaffen zu können, ist keine Begrenzung, weil ein logischer Widerspruch bloß eine typisch menschliche Konstruktion ist, d.h. ein Gedankenobjekt, das es nicht in Wirklichkeit geben kann. Etwas Widersprüchliches nicht hervorbringen zu können, ist vielmehr ein Zeichen der höchsten Vollkommenheit Gottes, weil es von der vollkommenen Identität mit sich selbst zeugt, die nichts beinhalten kann, was ist und zugleich nicht ist. Mit dem traditionellen Schöpfungsbegriff wird besonders Gottes Transzendenz als wirkende Ursache (lat. causa efficiens) hervorgehoben,

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Kapitel 10

während Gottes Immanenz im Geschaffenen und die Immanenz des Geschaffenen in Gott zu wenig beachtet wird. Der schaffende Gott ist in Beziehung zur Welt zwar der ganz Andere, während die Welt in Beziehung zu Gott kaum überhaupt etwas, d.h. fast gar nichts ist. Dennoch muss man auch in diesem Fall berücksichtigen, dass Gottes Schöpfung nichts ist, was sich von ihm unterscheidet, weil er sonst nicht mit seiner Handlung eins und daher nicht unendlich und der Allervollkommenste wäre. Gottes Schöpfung muss ihm also immanent und daher eins mit ihm sein, d.h. es kann keine Schöpfungshandlung geben, die gewissermaßen »zwischen« dem Schöpfer und dem Geschaffenen liegt. Wenn man dennoch von Gottes »transzendentem Handeln nach außen« (lat.: actio transiens) spricht, will man andeuten, dass Gott im Zuge seines Schaffens etwas »Anderes« hervorbringt, d.h. etwas, was sich in einem gewissen Sinne von Gott unterscheidet und daher nicht exakt dasselbe wie Gott ist. Dann aber darf man nicht vergessen, dass es nichts gänzlich von Gott Abgetrenntes im Sinne von etwas »außerhalb Gottes« geben kann. 10.5

Die Teilhabe der geschaffenen Welt am schaffenden Gott

Wenn man einen Schöpfungsbegriff bilden will, der sowohl Gottes Immanenz in der Welt als auch seine Transzendenz berücksichtigt, kann man von menschlichen Erfahrungen ausgehen, die mit einer »immanenten Wirksamkeit« (lat.: actio immanens) zu tun haben. Dabei handelt es sich um eine Aktivität, deren Wirkung nicht »außerhalb«, sondern »innerhalb« der Handlung liegt, sodass diese Wirksamkeit den Handelnden vollkommener macht. Solche Aktivitäten treten bereits auf der biologischen Ebene auf, z.B. bei der Atmung, beim zielgerichteten Verhalten des Tieres usw. Besonders kommen sie aber auf der persönlichen Ebene vor, z.B. bei der Begriffsbildung des Menschen, seinem Denken, Verstehen, Erkenntniserwerb und vor allem bei seinen freien Entscheidungen. Bei innerweltlichen Seienden scheint zudem jede Aktivität nach außen mit einer immanenten Wirksamkeit verknüpft zu sein. Etwas, das nach außen zu wirken strebt, muss sich nämlich erst selbst aktivieren und sich zugleich durch seine Wirksamkeit nach außen selbst vervollkommnen, d.h. es hat dadurch stärker am Sein teil. Zudem scheint bei innerweltlichen Seienden keine Aktivität gänzlich immanent, d.h. ohne irgendeine Wirkung nach außen sein zu können. Alles deutet darauf hin, dass eine Aktivität desto immanenter ist, d.h. mehr zur Vervollkommnung des Handelnden führt, je mehr sowohl der Handelnde als auch das Handeln selbst am Sein teilhaben. Bereits die Atmung und das instinktive Verhalten von Lebewesen haben zur Folge, dass sie leben und

Gott und die geschaffene Welt

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ihre Art erhalten. Die intellektuelle Wirksamkeit des Menschen aber und besonders sein bewusstes und freies Handeln haben zur Folge, dass er zu einer individuellen Person wird, die viel mehr ist, als dass sie einfach nur lebt. Während es bei den Lebewesen keine Aktivität zu geben scheint, die nur nach außen wirkt, ohne den Handelnden zugleich vollkommener zu machen, muss Gott als der Allervollkommenste und als das absolute Sein im »Handeln« des Lebewesens die reine immanente Wirksamkeit, die reine nach innen wirkende Aktivität, der reine Akt (lat.: actus purus) sein. Daher muss auch Gottes schaffendes Handeln in erster Linie als eine immanente Wirksamkeit angesehen werden. Als »Wirksamkeit nach außen« kann sie nur insofern aufgefasst werden, als ihr Ergebnis, d.h. die geschaffene Welt, sich von Gott aufgrund ihrer endlichen Vollkommenheit und ihrer Teilhabe am Sein unterscheidet. Da Gottes schaffendes Handeln in Analogie zur immanenten Wirksamkeit innerweltlicher Wesen verstanden werden muss, müssen alle negativen Elemente entfernt werden, mit welchen letztere behaftet sein könnten. Gottes Handeln unterscheidet sich nämlich von der selbstverwirklichenden immanenten Aktivität anderer Wesen, weil Gott als der Allervollkommenste durch seine Schöpfung nicht vollkommener werden kann (gegen bestimmte Pantheisten und Prozesstheologen). Gottes Erschaffen kann nämlich nur dann als eine immanente, d.h. nach innen wirkende und »selbstverwirklichende« Handlung und sogar als eine Art »Werden Gottes« angesehen werden, wenn man jeden Mangel von Vollkommenheit und Potentialität in dieser Schöpfung verneint. Daher darf Gottes »schaffendes Werden« in keinster Weise einer inneren Notwendigkeit in Gott oder einem wesensnotwendigen Zwang entspringen. Das Erschaffen muss eine Handlung sein, welche gänzlich aus Gottes freier »Entscheidung« resultiert. Gott kann sich selbst durch sein Erschaffen auch nicht akzidentell oder substantiell verändern und auf diese Weise vollkommener werden. Gottes »erschaffendes Werden« bedeutet nur, dass etwas, was sich von Gott unterscheidet, entsteht und wird. Gottes »erschaffendes Selbstwerden« – was bedeutet, dass Gott als der Allervollkommenste absolut frei über sich selbst verfügen kann – kann wie Gottes immanentes Handeln nur als eine total schenkende und damit hervorbringende »Aktivität« verstanden werden. Indem Gott sich selbst mit-teilt und dadurch das von ihm verschiedene »Andere« als ein selbständiges Seiendes hervorbringt, verwirklicht Gott sich selbst als das absolute, vollkommene Sein. Gott »wird vollendet«, ohne vollkommener zu werden, indem er das geschaffene Andere an sich selbst teilhaben lässt, sodass es auf seine eigene, d.h. auf die von seinem Wesen bestimmte, endliche, individuelle Weise das göttliche Sein abbildet.

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Kapitel 10

Trotz der inadäquaten Ausdrucksweise der Sprache kann man sagen, dass dem Dasein der geschaffenen Welt und aller Dinge einerseits das Nichts und andererseits das Sein Gottes »vorangeht«. Im ersten Fall ist gemeint, dass das Geschaffene »ontologisch vor« seiner Entstehung überhaupt nichts ist und dass nichts »zeitlich« der Schöpfung vorangeht, weil das Erschaffen nicht bedeutet, dass etwas von dem Einen zum Anderen verändert worden ist. Im zweiten Fall ist gemeint, dass Gott als der absolut Vollkommene nicht nur eine Art erste Ursache am Anfang der Schöpfung darstellt, sondern dass Gott die Erstursache von allem ist, weil es das Geschaffene nur durch die Teilhabe an Gottes absolutem, notwendigem Sein gibt, ohne dass es Gott deshalb »zu einem Zeitpunkt vor« der Schöpfung geben müsste. In diesem Sinne kann man sogar sagen, dass das Geschaffene »von Gott« stammt, weil Gott in seiner absoluten Freiheit sich selbst, d.h. sein eigenes Sein, auf eine individuelle Weise jedem einzelnen endlichen Seienden mit-teilt. 10.6

Gott und der Fortbestand der geschaffenen Welt

Um das Erschaffen nicht falsch zu verstehen, muss man beachten, dass die räumliche Ausdehnung und die zeitliche Veränderung Beschaffenheiten des Erschaffenen sind und entstehen, weil die Welt geschaffen wird. Dies erklärt auch das paradoxe Verhältnis, dass Gott nirgends existiert und gleichzeitig überall anwesend ist. Durch sein Erschaffen lässt Gott nämlich alles im Universum an seinem eigenen Sein teilhaben und ist in dem Sinne allen räumlichen Teilen der ausgedehnten Dinge immanent. Zugleich kann Gott sich nicht an einem bestimmten Ort im Universum befinden oder identisch mit dem Universum sein, sondern er transzendiert alles. Auf die gleiche Weise kann man davon sprechen, dass Gott ewig, d.h. zeitlos bzw. fern aller Zeit, existiert, aber nicht, dass er immer existiert, sei es während eines unendlichen langen Zeitraums, sei es überhaupt zu einem bestimmten Zeitpunkt. Dennoch kann man mit Recht sagen, dass es Gott immer und überall gibt, weil er durch seine erschaffende Wirksamkeit nicht nur das gesamte Weltall in Gang setzt, sondern die räumliche Existenz aller konkreten Dinge und ihre zeitgebundenen Veränderungen hervorbringt. Dass Gott sich der Welt und allem in ihr durch sein Schaffen selbst mit-teilt, bedeutet also nicht, dass Gott lediglich alles in Gang setzt, als wäre sein Erschaffen bloß ein Handeln »am Anfang« alles zeitlichen Daseins. Stattdessen bringt Gott die Welt mit all ihren geschaffenen endlichen Dingen in ihrer ganzen Existenz und ihrem Wesen hervor, auch die beständige Existenz der konkreten Dinge mit all ihren Veränderungen (vgl. Ontologie 7.2). Nicht bloß

Gott und die geschaffene Welt

151

der Anfang der geschaffenen zeitlichen Dinge, sondern auch deren Fortbestand haben also ihren direkten Grund in dem schöpferischen Handeln Gottes, mit welchem Gott sich diesen selbst mit-teilt. Unter den zuletzt genannten Aspekten kann Gottes Schaffen als »bleibende Wirksamkeit« (lat.: conservatio) oder »kontinuierliches Erschaffen« (lat.: creatio continua) bezeichnet werden. Das bedeutet natürlich nicht, dass Gott in jedem Augenblick der Gegenwart »fortfährt« die Welt zu erschaffen, weil Gott ansonsten selbst dem zeitlichen Verlauf unterworfen wäre. Vielmehr ist mit diesen Ausdrücken gemeint, dass Gott aus seiner »ewigen Zeitlosigkeit« die Welt und alle endlichen Dinge mit ihren aufeinander folgenden »Zeitmomenten« erschafft. Dies bedeutet, dass alle zeitlichen »Jetzts« der geschaffenen Welt für Gottes schaffendes Handeln gleichermaßen »anwesend« sind, wie der Anfang des Universums oder der Beginn eines Dings, z.B. eines Menschen. Da alles gemäß seiner Existenz und seinem Wesen geschaffen wird, muss Gott über die Eigenschaften der endlichen Dinge hinaus auch die dynamische Aktivität von allem hervorbringen. Jede Aktivität und jedes Handeln beinhalten nämlich eine bestimmte Teilhabe am Sein und haben daher ihren letzten Grund im absolut vollkommenen Sein als der reinen Handlung. Je mehr etwas, das geschaffen ist, an Gottes Sein teilhat, desto aktiver und dynamischer ist es wirksam, weil Gott sich selbst als die reine Wirksamkeit umso mehr diesem Seienden mit-teilt – sowohl wenn es um dessen Vermögen zu wirken, als auch um dessen eigene Wirksamkeit geht. In diesem Sinne sagt man, dass Gott durch seine Mitwirkung (lat.: concursus) jedes innerweltliche Seiende an seiner eigenen Wirksamkeit teilhaben lässt. Dies bedeutet dennoch nicht, dass nur Gott wirksam ist, wenn das Geschaffene agiert und handelt. Gottes »Mitwirkung« hat vielmehr mit seiner direkten schaffenden Einwirkung auf das Geschaffene zu tun, wodurch das eigene Agieren und Handeln aller konkreten Dinge überhaupt entsteht. Um das Eigentümliche an Gottes schaffendem Handeln im Vergleich zu den Aktivitäten und Handlungen innerweltlicher Dinge zu verdeutlichen, hat man die Unterscheidung zwischen Erstursache (lat.: causa prima) und Zweitursachen (lat.: causae secundae) verwendet. Mit »Erstursache« ist nicht gemeint, dass Gott die erste Ursache, d.h. das zeitlich erste Glied, in einer Ursachenkette ist. Gott ist vielmehr jeder Ursachenkette, d.h. jeder innerweltlichen Kausalität, übergeordnet, weil er auch die schaffende Ursache alles kausalen Agierens und Handelns in der Welt ist. Selbst wenn ein Mensch mit seinen freien Willenshandlungen, oder möglicherweise ein »ursacheloser« Quantensprung, als die erste Ursache einer innerweltlichen Kausalkette angesehen werden könnte, unterscheiden sie sich deutlich von Gott als der alles schaffenden Erstursache. Sie sind nämlich

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Kapitel 10

Zweitursachen, weil sie selbst vom Schöpfer verursacht werden mussten, um mit Gottes Mitwirkung selbst etwas Anderes verursachen zu können. Weil es nichts, was geschaffen wurde, abgetrennt und »außerhalb« von Gott geben kann, muss Gott, indem er sich selbst als die reine Handlung mit-teilt, auch allem, was von innerweltlichen Zweitursachen verursacht wurde, immanent sein. Daher kann eine Zweitursache nichts hervorbringen, was nicht zugleich aus Gottes schaffender Wirksamkeit hervorgeht. Obwohl aber die geschaffene Welt auch bei ihrer eigenen Aktivität im Grunde davon abhängig ist, dass Gott sich als schaffende Erstursache selbst mit-teilt, widerspricht dies keineswegs dem Gedanken, dass auch innerweltliche konkrete Dinge und Wesen sich durch eine wirkliche Selbständigkeit auszeichnen und selbst als echte Ursachen wirksam sein können (s.u. Kap. 12).

Kapitel 11

Gott und das Böse in der Welt Das Verhältnis der Welt zu Gott wird sowohl von Gottes Transzendenz als auch von seiner Immanenz in der Welt geprägt, d.h. von Gottes grundsätzlicher Verschiedenheit von der Welt trotz seiner innigsten Einheit mit ihr. Der letzte Grund dieses Verhältnisses liegt in der souveränen, freien, schaffenden Willensentscheidung des allmächtigen Gottes. In dem Maße, in welchem Gott sich allem, was es in der Welt gibt, frei mit-teilt, wird die Welt als etwas geschaffen, das sich von Gott unterscheidet. Dies gilt nicht nur für das Dasein der konkreten Dinge und Wesen in der Welt, sondern in ebenso hohem Maß auch für deren Eigenschaften, Beziehungen, Handlungen usw. Da der allmächtige, freie, schaffende Gott zugleich durch und durch gut und allwissend sein muss, entsteht das Problem, wie sich dies mit dem Vorkommen des Bösen in der Welt vereinbaren lässt. Jedes Erlebnis vielfältigen Leidens in der Welt, von Katastrophen, Notsituationen und menschlicher Bosheit, wirft die Frage auf, wie eine solche Welt von einem allmächtigen, allgütigen und allwissenden Gott geschaffen werden konnte. Dieses sogenannte Theodizee-Problem (aus dem Griech.: theos = Gott; dike = Gerechtigkeit; Leibniz) hat im Laufe der neueren Philosophiegeschichte wieder und wieder als wichtigstes Argument gegen Gottes Existenz gedient (vgl. Voltaire, Hume, Büchner, Dostojewski, Camus u.a.). Das Vorkommen des Bösen in der Welt scheint nämlich zu zeigen, dass es keinen Gott geben kann. Die natürliche Theologie muss die Theodizee-Frage nicht so sehr deshalb behandeln, um Gottes Existenz gegen die Einwände des Atheismus zu »rechtfertigen«, als vielmehr, um größere Klarheit darüber zu erhalten, was das Böse eigentlich ist und wie es sich zu Gott verhält, der der durch und durch gute Schöpfer der gesamten Welt ist. Das Theodizee-Problem berührt nämlich vor allem den wirklich gläubigen Menschen, der von Gottes Allmacht und Allgüte überzeugt ist und daher mit Gott ringt, wenn er im Zuge seines Glaubens auf so viel sinnloses Leiden trifft. Je mehr Gott jemandem bedeutet, desto deutlicher tritt das Theodizee-Problem hervor, welches in erster Linie einen praktisch-existenziellen Charakter hat und sich daher nicht durch eine »philosophisch-theoretische« Antwort lösen lässt.

154 11.1

Kapitel 11

Die Güte des allmächtigen, schaffenden Gottes und das Ziel der Welt

In bestimmter Weise bestätigt die philosophische Reflexion die jüdischchristliche Auffassung, dass der allmächtige Gott nicht nur die Welt mit allem in ihr frei geschaffen, sondern auch eine durch und durch gute Welt hervorgebracht hat (vgl. 1 Mose 1,31). Da alles, was es gibt, in dem Maße, in dem es existiert, auch gut und wertvoll und daher erstrebenswert ist (vgl. Ontologie 5.7), muss Gott als das absolut Vollkommene auch das absolut Gute und Wertvolle und daher das absolut Erstrebenswerte sein. Das hat zur Folge, dass Gott die Welt nicht wie eine innerweltlich wirkende Ursache hervorbringt, sondern eher »aus dem Nichts«, mit sich selbst als letztem Ziel, indem er die Welt an sich selbst teilhaben lässt. In dieser Hinsicht kann Gott sich nicht auf dieselbe Weise, wie es bei innerweltlichen Dingen der Fall ist, selbst zum Ziel haben. Diese vergrößern nämlich ihre eigene Vollkommenheit durch ihre Handlungen, während etwas solches für Gott in seiner schaffenden Wirksamkeit nicht möglich ist. Indem Gott sich selbst allem, was entsteht und wird, frei mit-teilt, wird die Welt als etwas Selbständiges in dem Maße geschaffen, in dem Gott die einzelnen Seienden an seinem eigenen subsistierenden Sein und seiner eigenen Vollkommenheit teilhaben lässt. Das bedeutet, dass Gottes freies, schaffendes Handeln letztlich ein Ausdruck von Gottes Liebe sein muss. Nur durch seine Liebe kann sich nämlich der Eine auf innigste Weise mit dem Anderen vereinen, ohne zugleich die Selbständigkeit des Anderen aufzuheben und ihn abhängig zu machen. Nur die Liebe, als das aufrichtige Interesse von Einem, dass jemand selbständig wird, kann dem Anderen echte Selbständigkeit verleihen, ohne die nahe Einheit mit dem Anderen aufzuheben und ohne den Anderen gänzlich von sich selbst abzugrenzen (vgl. Anthropologie 9.4 und 13.7). Nur eine Einheit in der Liebe kann differenziert sein, und nur der Unterschied, der in der echten Liebe vorliegt, kann auch für den Fortbestand der Einheit mitentscheidend sein. Das eigentliche Ziel für Gottes schaffendes Handeln scheint daher darin zu bestehen, dass er sich selbst dem Anderen in Liebe frei mit-teilen kann und gerade dadurch das Andere an sich selbst teilhaben lässt. Natürlich kann Gott nicht seine gesamte unendliche Vollkommenheit einem geschaffenen Wesen mitteilen, weil das Geschaffene niemals gänzlich mit Gott identisch sein kann, da es sich von Gott darin unterscheidet, dass der Grund seiner Existenz nicht in ihm selbst liegt. Gott kann dem Geschaffenen seine eigene Vollkommenheit nur innerhalb derjenigen »Grenzen« mitteilen, welche das »Wesen« bzw. die Existenzweise der einzelnen geschaffenen Dinge und Wesen vorgeben. Alles Geschaffene kann also an Gottes eigener

Gott und das Böse in der Welt

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Vollkommenheit nur in dem Maße teilhaben, in dem seine endliche Natur es ihm erlaubt. Die Begrenzung der geschaffenen Wesen und Dinge folgt notwendig aus ihrer endlichen Natur. Obwohl diese Endlichkeit verglichen mit der göttlichen absoluten Vollkommenheit immer einen gewissen Mangel und damit eine gewisse Negation beinhaltet, muss sie nicht als das »metaphysische Böse« aufgefasst werden (lat.: malum metaphysicum; gegen Leibniz). Da Gott keiner Notwendigkeit unterworfen ist und weil die begrenzte, individuelle Existenzweise der endlichen Dinge nicht als etwas Böses verstanden werden muss, ist Gott nicht gezwungen, die beste aller »möglichen Welten« zu schaffen (gegen einen metaphysischen Optimismus: Leibniz). In seiner schaffenden Liebe handelt Gott ohne jeden Zwang. Dafür ist es ausreichend, dass die Welt, die Gott schafft, durch und durch gut ist und so auf ihre endliche Weise Gott als das allervollkommenste Sein widerspiegelt und abbildet. Auch wenn jedes geschaffene, individuelle Ding als Folge seiner Endlichkeit von der Vollkommenheit ausgeschlossen ist und ihm die individuelle Vollkommenheit eines anderen Dinges fehlt, darf diese Individualität nicht einfach als etwas Böses aufgefasst werden (gegen bestimmte indische Denksysteme). Je mehr es nämlich Geschaffenes wie diese einzigartigen individuellen Seienden gibt, desto mehr hat es an Gottes eigener Vollkommenheit teil, zu der auch Gottes Einzigartigkeit gezählt werden muss. Ein endliches geschaffenes Seiendes kann aber natürlich aufgrund seines begrenzten individuellen Wesens bloß auf eine sehr begrenzte Weise an Gottes eigener, einzigartiger Individualität teilhaben. Gott kann also seine unendliche Vollkommenheit nur in dem Maße mitteilen, in welchem ein endliches Seiendes daran teilhaben kann. Außerdem braucht das, was geschaffen ist, nicht von Beginn seines Dasein an an dieser gesamten Vollkommenheit teilzuhaben. Gott schafft nämlich eine Welt, in der sich konkrete Dinge durch unterschiedliche Veränderungen und eigene Aktivitäten entwickeln und dadurch auf dem Weg zu ihrer Vollendung sind. Die gesamte Welt mit all ihren einzelnen Seienden befindet sich auf dem Weg zu ihrem letzten Ziel. Dieses Ziel beinhaltet insofern die vollständige Teilhabe an Gottes Sein und Güte, als die konkreten Dinge und damit die gesamte Welt an Gottes unendlicher Vollkommenheit teilhaben können. Betrachtet man das Werden der Welt von außen, so erkennt man, dass Gottes Schöpfung also nichts von Anfang an Fertiges ist, so als ob alles, was während des Verlaufs der Weltgeschichte entsteht und wird, bereits zu Beginn als etwas Unentwickeltes vorläge und nur noch entwickelt werden müsste. Stattdessen beinhaltet Gottes schaffendes Handeln, dass die Welt entsteht und sich entwickelt, indem sie sukzessive an Gottes absolutem und daher ewigem, d.h. zeitlosem Sein und seiner Güte teilhat.

156 11.2

Kapitel 11

Der allwissende, schaffende Gott und seine Vorsehung

Wenn Gott – außer als allmächtiger Schöpfer von allem – auch als das letzte Ziel gedacht wird, darf er weder als eine blind wirkende Ursache noch als ein unpersönlicher, höchster und letzter Wert gesehen werden. Gott ist nämlich nicht eine Art unpersönliches Schicksal, das alles zum Besten vorherbestimmt (Fatalismus; Stoiker). Eine solche Auffassung widerspricht nämlich der Auffassung Gottes als einer Person, die die Welt in Liebe frei schafft, indem sie sie an sich selbst als Person, an ihrem Sein und ihrer Güte teilhaben lässt. Dass Gott als allmächtig, d.h. als die alles-bewirkende Ursache, beschrieben wird, bedeutet nicht, dass Gott auch die allein-wirkende Ursache ist, die die Entwicklungen von allem bis ins kleinste Detail festlegt und daher souverän alles vorherbestimmt, entweder zum Guten oder zum Bösen (Prädestinationslehre: bestimmte Muslime, der späte Augustinus, Calvin?). Gegen einen solchen Gedanken spricht nämlich, dass Gott in seiner Güte das Ziel aller geschaffenen Dinge ist und dass er beabsichtigt, ihnen seine Güte mitzuteilen. Weil Gott als Person in Liebe die Welt schafft, der er seine Güte frei mitteilt, muss er sich auch aller Dinge, die er schafft, gänzlich bewusst sein. Gottes allumfassende Kenntnis von der Welt (lat.: omniscientia) setzt nicht voraus, dass es die Welt »bereits« gibt und sie auf eine bestimmte Weise beschaffen ist, weil alle »Eigenschaften« und »Handlungen« Gottes und daher auch Gottes »Wissen« in seinem »Wesen« zusammenfallen, die dasselbe sind wie Gottes unendlich vollkommenes Sein. Um von der Welt Kenntnis zu haben, muss Gott nämlich nicht wie wir Menschen »nach und nach« konstatieren, dass es die Welt gibt und wie sie eigentlich »aussieht«. Vielmehr ist die Welt und alles in ihr sowohl in Bezug auf seine Existenz als auch auf sein Wesen gänzlich abhängig von Gottes Kenntnis. Gott muss sich auch nicht wie endliche Wesen erst einmal etwas ausdenken, was er danach schafft. Stattdessen ist Gottes Kenntnis von der Welt exakt dasselbe wie seine schaffende Handlung. In seiner bewussten Kenntnis dessen, was er schafft, die mit seinem freien Willen in Bezug auf dieses Geschaffene identisch ist, teilt sich Gott diesem Geschaffenen selbst mit. Daher ist Gottes Kenntnis von der Welt und allem in ihr identisch mit Gottes schaffendem Handeln. Das Schaffen selbst bedeutet, dass Gottes »Intellekt« mit der geschaffenen »Wirklichkeit« übereinstimmt und diese Übereinstimmung die eigentliche ontologische Wahrheit der geschaffenen Welt darstellt, die der letzte Grund für die logische Wahrheit der Menschen ist (vgl. Erkenntnistheorie 3.2–4; Ontologie 5.6). Aufgrund von Gottes Immanenz im Geschaffenen und der Immanenz des Geschaffenen in Gott ist Gottes Kenntnis dessen, was er schafft, dieselbe wie seine Kenntnis seiner selbst als Schaffender. Da Gott gemäß seinem Wesen,

Gott und das Böse in der Welt

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d.h. als das absolut vollkommene Sein, alles ausschließt, was widersprüchlich und daher metaphysisch unmöglich ist, und weil Gott auch der letzte Grund für die Existenz und das Wesen aller geschaffenen Dinge ist, hat Gott in seinem ewigen Bewusstsein von sich selbst auch eine vollständige Kenntnis von allem, was in seiner Schaffensordnung möglich ist (lat.: scientia simplicis intelligentiae). Gottes Kenntnis hat natürlich nicht die Gestalt wahrer Propositionen bzw. Aussagen o.Ä., weil solche aufgrund der abstrahierenden Denkweise des Menschen gebildet werden, um Erkenntnisse zu gewinnen. Gott hat außerdem eine vollständige Kenntnis der wirklichen Welt mit allen für uns Menschen vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Ereignissen in dem Maße, in dem sich Gott durch sein ewiges, d.h. zeitloses, schaffendes Handeln in bewusster Freiheit der Welt mit-teilt und zugleich mit dem Geschaffenen zusammenwirkt (lat.: scientia visionis). Gottes Kenntnis von dem, was möglich ist, und dem, was wirklich geschaffen wird, kann in einem gewissen Rahmen mit der »schaffenden« Tätigkeit eines Schriftstellers verglichen werden, weil dieser Kenntnis von seinen Figuren erhält, indem sein denkendes Handeln sie erfindet, oder mit der Arbeitsweise eines Technikers, der in Bezug auf seine Erfindung Klarheit gewinnt, indem er sie konstruiert. Gottes allwissende Erkenntnis von der Welt muss durch und durch aktiv und daher frei von aller Potentialität und Abhängigkeit sein. Daher kann man sagen, dass alles, was es in der Welt gibt, in Übereinstimmung mit Gottes Idee dazu geschaffen wurde. Jedes Werden und jede Entwicklung in der Welt kann somit als eine Art Verwirklichung von Gottes Gedanken angesehen werden, in der Gott letztendlich »sich selbst verwirklicht«. Gottes Denken darf natürlich nicht als etwas verstanden werden, was sich zeitlich im Geschaffenen vollzieht, obwohl sein Denken vorrangig und in Bezug auf die Entstehung sowie die Entwicklung des Geschaffenen grundlegend sein muss. Der letzte Grund für die Existenz des Geschaffenen besteht natürlich insgesamt darin, dass Gott durch seine schaffende Kenntnis dieses Geschaffenen seine »Idee« von ihm und damit sich selbst verwirklicht. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Wirklichkeit und die Selbständigkeit des Geschaffenen aufgehoben würde, sodass die geschaffenen Dinge bloß Ideen in Gottes Bewusstsein wären. Dass Gott in seiner Allwissenheit und seiner souveränen Freiheit alles in der Welt in Übereinstimmung mit seiner »grundlegenden Kenntnis« von diesem schafft und mit einer innewohnenden Ausrichtung auf sich selbst als letztem Ziel hervorbringt, kann als »Gottes Vorsehung« bezeichnet werden (griech.: pronoia; lat.: providentia; engl.: providence; dt.: Vorsehung). Mit »Vorsehung« ist hier nicht gemeint, dass Gott etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhersieht oder vorherbestimmt, bevor es geschieht, sondern dass sein schaffendes Handeln den ontologischen Grund für und die treibende Kraft von allem

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Kapitel 11

darstellt, was zeitlich passiert. Gottes Vorsehung zeigt sich darin, dass Gott die ganze Welt und all ihre konkreten Dinge gemäß seines allumfassenden Plans (allgemeine Vorsehung) aufrechterhält, und im Besonderen darin, dass er die einzelnen Menschen auf ihre guten Ziele ausrichtet sowie mit ihnen zusammenwirkt, um diese Ziele zu erreichen (besondere Vorsehung). 11.3

Das Erleben und das Aufeinandertreffen des Menschen mit dem Bösen in der Welt

Je mehr Gott als der allmächtige Schöpfer und besonders als der durch und durch gute und allwissende Ordner von allem aufgefasst wird, desto weniger begreiflich erscheint das Böse in der Welt. Je mehr Gottes Vorsehung und liebevolle Fürsorge betont wird, desto weniger versteht man, warum die Welt oft nicht als Gottes durch und durch gute Schöpfung erlebt wird. Nicht nur das vielfältige Leid in Zusammenhang mit Krankheiten, Unglücken, Naturkatastrophen usw., welche oft als sinnlos empfunden werden, sondern auch das raffiniertere Böse und Ungerechte, dem man selbst oder Andere ausgesetzt sind, können gerade beim Glaubenden eine existenzielle Not hervorrufen. Je mehr etwas Böses den betrifft, der Gottes Existenz akzeptiert und versucht, das Bild eines allmächtigen und guten Schöpfers aufrechtzuerhalten, desto weniger werden die Betroffenen die Augen vor der existenziellen Problematik, die daraus entsteht, verschließen. Derjenige, der vom Wüten des Bösen zerschmettert wird, kann für gewöhnlich das Böse nicht wie andere »vom Glück Begünstigte« als eine unbedeutende Erscheinung betrachten. Ausgehend von einer mehr oder weniger pantheistischen Ansicht hat man sich nämlich fast dazu entschieden, das Böse im Dasein der Menschen wegzuerklären. Man versucht, das Theodizee-Problem zu lösen, indem man das objektiv vorhandene Vorkommen des Bösen verneint, indem man es als etwas Illusorisches und als Folge einer subjektiven Einbildung verstanden hat, deren Ursachen bei den falschen Erwartungen an das Dasein liegen (bestimmte Strömungen innerhalb der indischen Religion und Philosophie; Stoiker). Auf diese Weise wird der Mensch in einem gewissen Maße für alles Leiden und alles Böse, von dem er getroffen wird, verantwortlich gemacht, während man ihm die Befreiung von diesem Bösen durch eine tiefsinnige Einsicht in den dem menschlichen Dasein eigenen Charakter versprochen hat. Aber der, der das Böse bloß als Illusion von nicht-erleuchteten Menschen ansieht, nimmt das Leiden und die existenzielle Not der Menschen kaum ernst und kann daher gänzlich verzweifeln, wenn er oder sie selbst von

Gott und das Böse in der Welt

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etwas unerklärlichem Bösen getroffen wird. Man sollte also davon ausgehen, dass das Böse im Grunde ein objektiver Faktor des menschlichen Daseins ist. Ein anderer Versuch, das Böse weniger entscheidend sein zu lassen und dadurch den Unterschied zwischen Böse und Gut nahezu aufzuheben, besteht darin, Leiden, Schmerz und menschliche Bosheit als notwendige Voraussetzungen oder unausweichliche Konsequenzen der grundsätzlichen Vollkommenheit der gesamten Welt zu sehen. Das Böse bzw. etwas Schlechtes in der Welt als Ganzheit wird lediglich als etwas weniger Gutes bzw. als ein weniger guter Bestandteil in einer umso besseren Gesamtheit, als ein weniger gutes Mittel, um ein umso besseres Ziel zu erreichen, oder als ein negativer Nebeneffekt beim Erreichen des durch und durch guten Ziels aufgefasst (Spinoza, Schelling, Hegel, u.a.). Ein Gott, der bei seinem souveränen, schaffenden Handeln dem Prinzip folgt, dass der Zweck die Mittel heilige, kann aber kaum sowohl allmächtig als auch allgütig sein. Eine ähnliche, aber sehr problematische Auffassung versucht, das Böse fast mit der notwendigen Begrenztheit der innerweltlichen Dinge zu identifizieren oder das Böse als eine notwendige Voraussetzung zu sehen, um das Gute hervorheben zu können (Plotin, der frühe Augustinus, Aurobindo). Weil Gott in seiner allwissenden Allmacht und Güte aber nicht von etwas abhängig sein kann, muss Gott eine Welt ohne das Böse schaffen können und daher kann das Böse in der Welt nicht auf diese Weise erklärt werden. Derselbe Einwand kann gegen die Ansicht gerichtet werden, dass es sich bei einem solchen Fall einer mit metaphysischer Notwendigkeit gegebenen Begrenzung, die das »metaphysische Böse« genannt wurde, bloß um die kleinste Menge an Bösem handeln kann, welche auch in der besten aller möglichen Welten enthalten sein muss (gegen Leibniz). Um eine zufriedenstellendere Antwort auf das Problem des Bösen geben zu können, sollte man wie Leibniz zwischen dem physisch Bösen (lat.: malum physicum), welches aus allem besteht, dem jemand ausgesetzt werden kann, z.B. Schmerz, physisches Leid, Übergriffe, Ausbeutung usw., und dem moralisch Bösen bzw. der Bosheit unterscheiden, die letztendlich mit der persönlichen Entscheidung und dem Handeln eines selbstbewussten und freien Wesens sowie mit dessen persönlicher Einstellung zu tun hat, aus der sich die Handlungen ergeben. In bestimmten Sprachen gibt es nur ein Wort für diese beiden Arten des Bösen (hebr.: ra’; lat.: malus; frz.: mal), in anderen Sprachen hingegen unterscheidet man zwischen der ersten Form (schwed.: dålig; griech.: kakos; engl.: bad; dt.: schlecht, schlimm) und der zweiten (schwed.: ond; griech.: poneros; engl.: evil; dt.: böse, übel). Man sollte beachten, dass etwas, z.B. ein Leiden, welches für ein Wesen physisch schlecht sein kann, oft seinen Ursprung im moralisch Bösen bzw. in der Bosheit eines anderen Wesens hat.

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Kapitel 11

Was physisch böse sein kann – z.B. eine Überschwemmung, ein Erbeben, eine Feuersbrunst, zu hohe oder zu niedrige Temperaturen, die Wucht eines zermalmenden Steines –, ist eigentlich nicht schlecht an sich, sondern bloß schlecht für etwas, was darunter leidet. Daher hat man manchmal angenommen, dass Gott ein geringeres physisches Übel zulassen kann, um dadurch einen höheren Wert zu erreichen, z.B. einen Schmerz, um einen körperlichen Schaden anzuzeigen, eine Krankheit, um an die endliche Dimension des Menschen zu erinnern. Man hat sich auch gedacht, dass etwas physisch Böses um einer höheren Ordnung willen gestattet werden kann, z.B. das Dahinsiechen und der Tod des einen Lebewesens, um einem anderen Platz zu machen oder um die Art zu erhalten. Man ist sogar davon ausgegangen, dass Gott das physisch Böse dazu benutzt, um dem moralisch Guten bessere Geltung zu verschaffen oder um ein Verbrechen gegen das moralisch Gute zu bestrafen. Doch sind alle diese Auffassungen problematisch, weil das physische Übel als eine Art Mittel genutzt wird, um ein höheres oder besseres Ziel zu erreichen. So etwas scheint nicht gänzlich mit dem Allwissen und der Allmacht des liebevoll schaffenden Gottes vereinbar zu sein. 11.4

Gottes Allmacht und Güte – und das Böse

Derjenige, der es wagt, das Böse als einen ernsten Faktor in der von Gott geschaffenen Welt, wie wir sie erleben, zu sehen und zu akzeptieren, ist in der Regel weniger geneigt, das Böse durch das Herunterspielen seiner Bedeutung wegzuerklären. Wird das Vorkommen des Bösen ein existenzielles Problem für jemanden, weil der Betreffende selbst darunter gelitten hat, entsteht oft die Neigung dazu, Gottes Existenz oder zumindest seine Allmacht oder Allgüte infragezustellen oder zurückzuweisen. In diesem Fall kann man von den Einwänden ausgehen, dass Gott eine durch und durch gute Welt schaffen bzw. das Böse in der Welt abschaffen (1) entweder will, aber nicht kann, (2) oder kann, aber nicht will, (3) oder nicht kann und nicht will, (4) oder will und kann. Im ersten Fall ist Gott nicht allmächtig, im zweiten nicht allgütig und liebevoll und im dritten weder allmächtig noch allgütig. Aber wenn Gott, wie im vierten Fall, sowohl allmächtig als auch allgütig sein soll, ist es unbegreiflich, warum er in einem solchen Fall nicht eine durch und durch gute Welt schafft oder zumindest das Böse beseitigt (vgl. Epikur).

Gott und das Böse in der Welt

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Wenn man dem Bösen in der Welt zum Trotz einen absoluten Grund für die gesamte Wirklichkeit und das menschliche Dasein beibehalten will, kann man versuchen, die Güte dieses Weltgrundes bzw. einer Gottheit zu bestreiten. Man kann davon ausgehen, dass das Böse oder sogar das Nichts selbst der Urgrund von allem ist, um auf diese Weise die Rolle des Bösen in der Welt sowie beim Leiden und Handeln der Menschen erklären zu können (Buddhismus?; Pessimismus: Schopenhauer). Innerhalb des Rahmens dieser Auffassung kann man das Gute in der Welt für eine bloße Illusion erklären oder davon ausgehen, dass das Nichts selbst ein Grund für das werden kann, was es faktisch gibt, oder dass das Böse der Grund für das minimale Gute sein kann, welches es trotz allem gibt. Diese Auffassung kann nicht verteidigt werden, weil das Böse ohne das Gute weder gedacht noch verstanden werden kann. Wenn man trotz des Bösen in der Welt dennoch die Güte und Liebe des schaffenden Gottes hervorheben will, scheint dies nur möglich zu sein, wenn man Gottes Allmacht einschränkt und damit verneint. In bestimmten Mythen wird bereits geschildert, wie eine ursprüngliche Gottheit, die als Urvater und Repräsentant der Gottheit beschrieben wird, aus sich selbst einen bösen Abkömmling gebiert, gegen den sie dann kämpfen muss (kanaanäische Religion, iranische Religion). Eine solche mythische Auffassung kann zu einem extremen metaphysischen Dualismus führen, demgemäß das gute göttliche Grundprinzip von Anfang an gegen ein entgegengesetztes, ebenso ewiges, böses Prinzip kämpfen muss, das entweder die gute Schöpfung Gottes zerstören will oder sogar selbst Schöpfer einer bösen Welt ist (Zoroastrismus, Manichäismus; Albigenser, Vorstellungen des Teufels bei einigen Christen; Böhme, der späte Schelling). Eine solche Ansicht muss letztendlich als widersprüchlich betrachtet werden, da ein gutes Weltprinzip, das Anlass zu einem bösen Weltprinzip geben kann, nicht durch und durch vollkommen und gut sein kann und weil ein gutes Weltprinzip, das mit einem ebenso ewigen, bösen Weltprinzip konfrontiert wird und gegen dieses kämpfen muss, weder unendlich noch allmächtig und damit nicht Gott sein kann. In anderen Mythen wird geschildert, wie eine gute Gottheit gegen Chaosmächte kämpfen muss, die erst nach einem mühsamen Gefecht überwunden und eventuell in eine Schöpfungsordnung eingebaut werden können. Dies kann dazu führen, dass man davon ausgeht, dass alles Böse in der Welt seinen Grund in einem negativen ontologischen Prinzip hat, z.B. in der Materie als dem Prinzip der Potentialität, in der Körperlichkeit als Gegensatz zum Geist oder in der Individualität als Grundlage für die Zersplitterung der Ureinheit in eine Vielfalt, die als solche schlecht ist. Gemäß dieser dualistischen Ansicht bleibt Gott zwar durch und durch gut, aber wenn er die endliche Welt schafft,

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Kapitel 11

muss er dieses negative Prinzip nutzen (indische Religion und Philosophie; Plotin; Neuplatoniker; Gnostiker; bestimmte christliche Mystiker). Auch diese Auffassung hat jedoch zur Folge, dass Gott nicht durch und durch gut ist, weil Gott, sobald er vorhat, etwas zu schaffen, in seiner Allmacht durch etwas Anderes eingeschränkt ist. Ganz allgemein ist es widersprüchlich, dass als Grundlage für das Werden alles Geschaffenen und allen Daseins zwei entgegengesetzte ontologische Prinzipien angenommen werden, die nicht aufeinander zurückgeführt werden können. 11.5

Das Gute und das Böse in der geschaffenen Welt

Das Theodizeeproblem erfährt eine Lösung, wenn man das Böse einerseits als einen wirklichen Faktor in der Welt ernstnimmt und andererseits fortfahren will, von Gott als allmächtigem, allgütigem und allwissendem Schöpfer von allem auszugehen. Das Problem selbst kann in aller Kürze als folgende Schlussfolgerung formuliert werden: (1)

Alles, was es in der Welt gibt, wurde von einem allmächtigen und allgütigen Gott geschaffen; (2) das Böse bzw. Dinge, die schlecht und böse sind, gibt es in der Welt; (S) das Böse wurde von einem allmächtigen und allgütigen Gott geschaffen (was ein Widerspruch ist). Will man die Schlussfolgerung (S) vermeiden und dennoch die Prämisse (1) beibehalten, muss man die Prämisse (2) verneinen. Dies kann nur geschehen, wenn man auf rechte Weise versteht, was mit dem Bösen gemeint ist und wie sich das Böse zur Existenz und Eigenart der geschaffenen Welt verhält. Ausdrücke wie »schlecht« und »böse« scheinen ihren Platz in erster Linie in propositionalen Operatoren wie »Es ist schlecht, dass …« zu haben. Auch als Adjektive sind sie keine eindeutigen Ausdrücke für einzelne Eigenschaften. Stattdessen funktionieren sie wie Negationen solcher Wörter wie »wohl« oder »gut« und haben eine ähnliche Bedeutungsbreite. Seltener werden sie genutzt, um ein einzelnes Seiendes, welches nicht gut ist, zu bezeichnen, sodass man von einem bösen Menschen oder dem Teufel als Bösem spricht. Weil Güte zusammen mit Einheit und Wahrheit zu den transzendentalen Begriffen, d.h. zu solchen Eigenschaften gezählt wird, die auf eine systematisch mehrdeutige Weise allem, was es gibt, in dem Maße, in dem es es gibt, zugeschrieben werden müssen (vgl. Ontologie 5.7), kann das Böse nichts Positives sein, sondern muss

Gott und das Böse in der Welt

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als Gegensatz zum Guten auch einen Gegensatz zu allen Seienden in dem Maße beinhalten, in dem es es gibt. Was bei einem einzelnen Seienden als schlecht oder böse beurteilt wird, muss also als ein Fehlen von etwas Positivem, als eine Art Mangel an Güte bzw. Vollkommenheit angesehen werden und somit als etwas, was es nicht gibt. Jedes geschaffene Seiende entbehrt aber etwas aufgrund seiner Endlichkeit (das sogenannte metaphysische Böse), ohne dass dieser Mangel an Sein als etwas Schlechtes oder Böses beurteilt werden muss. Daher beinhaltet sowohl das physische als auch das moralische Böse nicht irgendeinen Mangel, sondern einen Mangel an etwas, was es eigentlich geben sollte, d.h. einen Mangel an entsprechender Güte oder Vollkommenheit. Dies setzt voraus, dass ein einzelnes geschaffenes Seiendes auf seinem individuellen Weg zur eigenen Vollendung in Einheit mit seinem Wesen auf unterschiedliche Weise gehindert werden kann oder in der Lage ist, sich selbst zu behindern. Wie ein Loch, ein Schatten, eine Hungersnot oder der Tod muss das Böse als ein Gedanke verstanden werden, dessen Fundament dennoch in der Wirklichkeit liegt (lat.: ens rationis cum fundamento in re; vgl. Ontologie 11). Der Mensch kann nämlich mit seinem abstrahierenden Denken solche Gedankeninhalte entwickeln, die einen Mangelzustand anzeigen und daher eigentlich bedeuten, dass es etwas nicht gibt. Diese Gedankeninhalte können dann fälschlicherweise so aufgefasst werden, als würde es sie in Wirklichkeit geben. Das physisch Böse kann als ein moralisch irrelevanter Mangel einer Vollkommenheit gelten, nach der ein einzelnes Seiendes strebt und die es innerhalb der Grenzen seines Wesens auch zu erreichen vermag, sofern es daran nicht gehindert wird. Das moralische Böse betrifft hingegen den Mangel an Güte und Vollkommenheit, die ein bewusstes und freies Wesen durch seine persönlichen Entscheidungen und sein Handeln erreichen kann und sollte. Da jedes Fehlen und jeder Mangel voraussetzt, dass es ein Subjekt gibt, das in dem Maße gut ist, in dem es existiert, kann das Böse nichts Selbständiges sein und daher auch nicht in sich selbst existieren (subsistieren). Daher kann nichts durch und durch böse sein, ebenso wenig wie das Nichts etwas in sich selbst sein kann, ohne dass es zumindest als etwas, was es gibt, gedacht wird. Das Böse kann es also nur deshalb geben, weil es etwas Gutes gibt, d.h. das Böse nährt sich stets wie ein Parasit vom Guten. Daher kann man eigentlich auch kein echtes Wissen davon haben, was das Böse oder Schlechte an sich ist, sondern man muss erst Wissen vom Guten und Vollkommenen besitzen. All das hat nicht zur Folge, dass das Böse überhaupt nichts ist und dass ein Mangel des entsprechenden Guten nicht objektiv konstatiert werden kann. Auch wenn das Böse nicht als eine wirkende Ursache von etwas aufgefasst werden kann, vermag es dennoch zu großen Schäden zu führen, weil jede vollkommene

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Kapitel 11

Ganzheit und Totalität mangelhaft und damit schlecht wird, sobald nur ein einziger Teil oder eine Komponente fehlt, während eine mangelhafte Ganzheit oder Totalität nur vollkommen gut werden kann, wenn all ihre Teile oder Komponenten an ihrem Platz sind, d.h. wenn nichts weiter fehlt (lat.: bonum ex integra causa, malum ex quolibet defectu). Auch wenn Gott die äußerste Ursache von allem, was es gibt, in dem Maße, in dem es gut ist, ist, hat weder das physische noch das moralische Böse seinen Grund in Gottes schaffendem Handeln, weil sie nur Mängel der dazugehörigen Güte und des Seins sind (Augustinus, Thomas von Aquin u.a.). Das Böse kann auch nicht auf ein notwendiges ontologisches Prinzip neben Gott zurückgeführt werden, weil ein Mangel oder ein Fehlen bedeutet, dass es dies gerade nicht gibt. Daher muss zumindest das moralisch Böse als Mangel des entsprechenden Guten seinen eigentlichen Ursprung in der geschaffenen Welt haben. Es muss letztendlich auf die Weigerung eines bewussten und frei handelnden, geschaffenen Wesens zurückgeführt werden, sich in Übereinstimmung mit Gottes Gedanken schaffen zu lassen. Das bedeutet für das geschaffene Wesen, dass es unvollkommen wird und ihm die entsprechende Gutheit fehlt, sodass sogar das physisch Böse in Form eines Mangels an Wohlbefinden, Gesundheit, Geborgenheit usw. hinzukommt. Das hat auch für die Umwelt des geschaffenen Wesens, die in vielerlei Hinsicht von der Güte und Vollkommenheit des geschaffenen Wesens abhängig ist, zur Folge, dass sie nicht in Übereinstimmung mit Gottes Plan stehen kann. Letztendlich bedeutet dies für die gesamte geschaffene Welt, dass sie nicht zu einer durch und durch vollkommenen und guten Totalität wird. Damit hat das Theodizeeproblem gewiss in einem bestimmten Rahmen eine Lösung gefunden, auch wenn die Frage noch nicht beantwortet wurde, warum Gott überhaupt eine Welt geschaffen hat, in der sich freie Wesen seiner liebevollen, schaffenden Macht widersetzen können.

Kapitel 12

Gott und die Freiheit des Menschen Die Frage nach dem Verhältnis Gottes zur geschaffenen Welt muss weiter präzisiert werden, wenn sich zeigt, dass das Böse in der Welt weder auf den Willen und das Handeln des guten Gottes noch auf ein böses Prinzip neben Gott zurückgeführt werden kann. Das Böse als Mangel an entsprechender Gutheit kann nämlich auch keine notwendige Voraussetzung für eine durch und durch gute, geschaffene Welt oder eine unausweichliche Konsequenz derselben sein. Der Ursprung dieses Mangels muss daher in eben dieser Welt liegen. Möglicherweise ist er im Verlauf der Weltgeschichte entstanden, und sein eigentlicher Grund ist dann in der relativen Selbständigkeit der geschaffenen Welt gegenüber ihrem Schöpfer zu suchen. Letztlich muss das Böse nämlich als Folge der bewussten und freien Willensentscheidungen der endlichen, geschaffenen Wesen aufgefasst werden, die dem allmächtigen Willen des souveränen Gottes widersprechen. Um das Böse als einen Mangelfaktor in der Welt besser zu verstehen, ist eine vertiefte Analyse von Gottes grundlegender »Beziehung« zur geschaffenen Welt und Gottes unausweichlicher »Mitwirkung« mit den geschaffenen, konkreten Dingen bei ihrer eigenen Wirksamkeit nötig. Man muss nämlich verstehen, wie ein freies, endliches Wesen, wie es die menschliche Person ist, sich durch seine Willensentscheidung dem schaffenden Willen und Handeln des souveränen Gottes widersetzen kann. Dadurch kann dieses freie endliche Wesen zum Grund für das Böse werden, d.h. für die Entstehung eines Mangels in der geschaffenen Welt. Konnte Gott denn nicht freie Wesen schaffen und sie zugleich daran hindern, ihre Freiheit zu missbrauchen und sich dadurch dem Guten in der Schöpfung zu widersetzen? Konnte Gott nicht wenigstens alle schlechten Konsequenzen der moralisch bösen Handlungen der geschaffenen Wesen verhindern? Eine weitere Frage hat mit Gottes Kenntnis vom Bösen in der Welt zu tun. Wie erlangt Gott eigentlich Wissen über die freien, guten Handlungen des Menschen bzw. dessen freie Weigerung, richtig zu handeln? Müsste Gott nämlich die freie Entscheidung des geschaffenen Wesens abwarten, wäre er dann weiterhin der souveräne Schöpfer der gesamten Welt und nicht nur ein »Zuschauer« des Dramas der Welt? Wenn Gott aber niemals das Böse wollen kann und von allem in der Welt Kenntnis hat, da er es erschafft, warum verzichtet er dann nicht darauf, unsere Welt zu schaffen, in der so viel Böses vorkommt?

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Kapitel 12

Wird Gott nicht letztlich doch zum Grund alles Bösen, indem er diese unsere Welt und alles darin schafft? 12.1

Die Mitwirkung des Schöpfers bei der Wirksamkeit der geschaffenen Dinge

Weil Gott in seiner Freiheit alles sowohl hinsichtlich seiner Existenz als auch hinsichtlich seines Wesens schafft und weil zum Wesen der einzelnen Seienden auch deren Wirksamkeit gehört, muss Gottes schaffendes Handeln der letzte Grund bzw. die Erstursache für die Wirksamkeit aller geschaffenen Dinge sein. Gewiss erhält Gott die geschaffenen konkreten Dinge in ihrer dauerhaften und selbständigen Existenz. Gott schafft zwar all ihre Eigenschaften und Fähigkeiten, die ihnen ihr Agieren und Handeln ermöglichen. Gott muss aber auch die schaffende Erstursache aller Aktivitäten und Handlungen der konkreten Dinge und Wesen sein, weil diese in ihrer Existenz weit über die Fähigkeiten hinausgehen, aus welchen sie hervorgegangen sind (vgl. Kap. 10.6). Wenn Gott mehr als nur ein Ingangsetzer und ein Aufrechterhalter sein soll, muss er als alles schaffende Erstursache durch die Kraft, wachsen, sehen und denken zu lassen, auch das konkrete Wachstum, das aktuelle Sehen und jeden einzelnen Gedanken hervorbringen. Auch wenn Gott die schaffende Erstursache aller Aktivitäten und Handlungen der konkreten Dinge und Wesen ist, wird dadurch deren Eigenaktivität nicht unmöglich. Man braucht nämlich nicht anzunehmen, dass das Geschaffene bloß ein zufälliger Anlass (lat.: occasio) ist, d.h. eine okkasionelle Ursache (lat.: causa occasionalis), während Gott selbst als die einzige echte Ursache überhaupt handelt (gegen bestimmte muslimische Denker: Ghazali; Okkasionalismus: Malebranche, Geulincx; vgl. Anthropologie 5.4, Ontologie 9.4). Gott ist im Zuge seines schaffenden Handelns auch nicht nur die einzige, ausschlaggebende Hauptursache (lat.: causa principalis), die durch die Nutzung alles Geschaffenen als Instrumentalursachen (lat.: causa instrumentalis), d.h. als unselbständige Werkzeuge, die einzelnen Geschehnisse und Ereignisse der Welt hervorbringt. Solche Auffassungen übersehen oder verneinen die relative Selbständigkeit der geschaffenen Welt und münden schließlich in eine Art Pantheismus. Sie können daher den selbständigen und freien Handlungen der menschlichen Person nicht gerecht werden. Aus einer ontologischen Perspektive ist jede Aktivität und jede Handlung des Geschaffenen und jede Wirkung eines solchen Agierens und Handelns etwas, das über das konkrete Seiende mit seinen Fähigkeiten hinausgeht. Aufgrund ihrer innerweltlichen Wirksamkeit überschreiten

Gott und die Freiheit des Menschen

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(transzendieren) Dinge und Wesen nämlich ihre eigene Existenz und bringen etwas Neues und Zusätzliches hervor (vgl. Ontologie 10.5–6). In diesem Fall ist also Gottes schaffendes Handeln nötig, weil das Geschaffene niemals eine schaffende Erstursache im eigentliche Sinne sein kann. Nicht nur in Bezug auf seine Existenz, sondern auch in Bezug auf seine ganze Wirksamkeit muss das Geschaffene nämlich vom absoluten Sein abhängig sein und daher an ihm teilhaben. Zwar kann das Geschaffene als eine sekundäre Hauptursache selbständig agieren, aber nur, wenn Gott als Erstursache durch seine schaffende Mitwirkung der letzte Grund dieser Wirksamkeit ist (vgl. Kap. 10.6; Ontologie 9.4). Manchmal hat man Gottes Mitwirkung dahingehend einschränken wollen, nur existenzgebend zu sein, während man annahm, dass die sekundären Hauptursachen das Wesen ihrer Aktivitäten, Handlungen und Wirkungen, besonders ihre individuelle Gestaltung, bestimmen. In diesem Fall wäre Gott durch seine schaffende Mitwirkung die Erstursache für die Existenz der Aktivität eines geschaffenen Wesens, z.B. dass es singt oder denkt, während das geschaffene Wesen als sekundäre Hauptursache entscheiden würde, wie die Aktivität beschaffen ist, z.B. was es singt oder denkt (bestimmte Scholastiker). Eine solche Verteilung der generellen »simultanen Mitwirkung« des Schöpfers und des Geschaffenen aber (lat.: concursus simultaneus) scheint nicht korrekt zu sein, wenn es zu erklären gilt, wie einzelne Handlungen zugleich Werk des schaffenden Gottes und dennoch Wirkungen des freien Handelns eines geschaffenen Wesens sein können. In diesem Fall würde sich Gottes Mitwirkung mit dem Geschaffenen nämlich nicht von seinem schaffenden Handeln im Allgemeinen unterscheiden. Gottes Mitwirkung muss als eine überlegene, direkte, ursachenmäßige Einwirkung auf die gesamte Wirksamkeit des Geschaffenen gesehen werden, durch die die eigenen Aktivitäten und Handlungen des Geschaffenen sowie alle daraus hervorgehenden Wirkungen entstehen (vgl. Kap. 10.4–5). Einerseits ist mit Gottes Mitwirkung also keineswegs gemeint, dass letztlich nur Gott wirksam ist, wenn geschaffene Dinge oder Wesen agieren und handeln. Wenn Gott überhaupt selbständige konkrete Dinge und Wesen in der Welt schafft, müssen sie auch als selbständige Hauptursachen wirksam sein können, d.h. sie müssen aus einer eigenen, ihnen innewohnenden Kraft ihre eigenen Aktivitäten und Handlungen sowie deren Wirkungen hervorbringen können. Andererseits kann aber ein Gott, der bloß Ursache für die Existenz der konkreten Dinge und Wesen ist, deren Wesen, Eigenschaften, Aktivitäten und Handlungen jedoch nicht hervorbringen kann, kaum als der allmächtige Schöpfer von allem verstanden werden, und die Welt nicht als durch und durch Gottes Werk.

168 12.2

Kapitel 12

Gottes schaffende Wirksamkeit innerhalb der geschaffenen Welt

Obwohl jegliche innerweltliche Tätigkeit nur aufgrund von Gottes schaffender Mitwirkung stattfindet, wurde noch nicht deutlich erklärt, wie sich diese Mitwirkung zu den eigenen Aktivitäten und Handlungen der geschaffenen Dinge und Wesen verhält. Gemäß der Theorie von Gottes vorausgehender physischer Einwirkung (lat.: praemotio physica) ist der göttliche Einfluss nicht nur nötig, um jemandes Bereitschaft zu tun und zu handeln zu determinieren, sondern vor allem, damit das Geschaffene vom potentiellen zum wirklichen Tun und Handeln übergehen kann (Báñez; Thomisten-Schule). Diese Theorie bewahrt zwar Gottes absolute Souveränität als Erstursache von allem, was in der Welt geschieht. Sie schreibt aber die Steigerung von Vollkommenheit, welche vorliegt, wenn die Handlungspotentialität zum aktuellen Handeln wird, fast ausschließlich Gott selbst zu, sodass das Geschaffene kaum länger als selbständige Ursache in seinem Tun oder Handeln fungieren kann. Ernster genommen wird die selbständige Wirksamkeit des Geschaffenen hingegen in der Theorie von Gottes unbestimmter (indifferenter) simultaner Mitwirkung (lat.: concursus simultaneus et indifferens), dergemäß Gott nicht direkt auf die individuelle Gestaltung des faktischen Tuns und Handelns der Dinge und Wesen einwirkt, sondern nur begleitend zu deren Verwirklichung beiträgt (de Molina; Molinisten). Diese Auffassung scheint jedoch Gottes souveränes schaffendes Handeln einzuschränken und klärt nicht, woher das Geschaffene den Antrieb erhält, vollkommener zu werden, indem es von seinen Handlungsmöglichkeiten im Allgemeinen zu einer konkreten und gänzlich individuellen Handlung übergeht. In diesen beiden Theorien wird auf unreflektierte Weise vorausgesetzt, dass Gottes schaffendes Handeln und die innerweltliche Wirksamkeit des Geschaffenen als Ursachen oder Kräfte funktionieren, die miteinander »konkurrieren« und daher einander ausschließen. Man geht nämlich davon aus, dass das, was dem Geschaffenen zugeordnet wird, nicht auch Gott zugeschrieben werden kann und umgekehrt, sodass entweder Gott oder das innerweltliche Sein die allein agierende oder handelnde Ursache ist. Das Problem wird kleiner, wenn man von der metaphysischen Auffassung des Personalismus ausgeht, dass Einheit und Verschiedenheit einander nicht prinzipiell ausschließen und dass, je größer die Verschiedenheit der individuellen Existenzweise von Personen ist, desto ausgeprägter die Einheit im Sein zwischen ihnen sein wird (vgl. Anthropologie 9.4). Dies hat nämlich zur Folge, dass je selbständiger ein geschaffenes einzelnes Seiendes ist, es desto mehr mit Gott vereint und daher von ihm abhängig ist und umgekehrt. Je mehr

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das Geschaffene aus eigener, ihm innewohnender Kraft agiert und handelt und daher Gott gegenüber relativ selbständig ist, desto mehr ist es bei seinen innerweltlichen Aktivitäten und Handlungen von Gottes schaffender Mitwirkung abhängig. Von diesem anscheinend paradoxen Verhältnis, welches zwischen Gottes Mitwirkung und allen innerweltlichen Aktivitäten und Handlungen besteht, kann man wohl kaum ein vollständiges, rationales Verständnis erreichen. Hierbei gilt nämlich das Analogie-Prinzip, demgemäß Gottes schaffendes Handeln eher von allem innerweltlichen Handeln verschieden als diesem ähnlich ist. Größere Klarheit kann man jedoch gewinnen, wenn man beachtet, dass ein geschaffenes Sein bei jeder Aktivität und Handlung »über sich selbst hinausgeht«. Begrifflich gesehen bleibt ein solches »Über-sich-selbst-Hinausgehen« des Geschaffenen weiterhin eine paradoxe Erscheinung. Einerseits sollte nämlich das konkrete Seiende nicht aus eigener Kraft aus sich selbst mehr machen können, als in ihm ist, sodass es eigentlich nichts hervorbringen kann, was es nicht bereits enthält. Andererseits kann ein Tun und Handeln des Geschaffenen, bei dem das Geschaffene oft weit über sich selbst hinausgeht, nicht allein Gottes schaffendem Handeln zugeschrieben werden, weil man auf diese Weise nicht länger von dem Geschaffenen als einer innerweltlichen Ursache sprechen könnte (vgl. Ontologie 10.5). Das Paradox wird weniger extrem, wenn man annimmt, dass Gott als souveräne und frei wirkende Ursache gerade durch seine schaffende Mitwirkung die echte Selbständigkeit des Geschaffenen hervorbringt, die sich darin zeigt, dass das Geschaffene in seiner Tätigkeit weit über sich selbst hinausgehen kann. Da Gott bei jedem innerweltlichen Ursachegeschehen als schaffende Erstursache wirksam ist, kann das Geschaffene bei seiner Aktivität und seinem Handeln über sich selbst hinausgehen und mehr hervorbringen, als in ihm ist. Weil Gott aber nicht als eine konkurrierende Ursache an der Seite der geschaffenen Zweitursachen, sondern als Erstursache durch seine schaffende Mitwirkung den Grund darstellt, der das selbständige Tun und Handeln der geschaffenen Dinge ermöglicht, kann man die geschaffenen Dinge und Wesen zu Recht als echte Zweitursachen betrachten und ihnen diese Tätigkeiten und Wirkungen zuschreiben. Das bedeutet jedoch nicht, dass Gott seine eigene persönliche Selbständigkeit und Freiheit »aufgibt«, wenn er selbständig wirkende Dinge und Wesen schafft, die bei ihren eigenen Aktivitäten und Handlungen weit über sich selbst hinausgehen, da sie als zweite Hauptursachen agieren und handeln. Auf diese Weise wird die innerweltliche Kausalität im Verhältnis zum schaffenden, aufrechterhaltenden und mitwirkenden Gott keineswegs vollständig irrelevant.

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Kapitel 12

Stattdessen ist es der mitwirkende Gott selbst, der durch die Tätigkeit der geschaffenen, selbständigen Dinge sein schaffendes Handeln ausübt und es ihnen ermöglicht, sich selbst zu überschreiten (transzendieren). Gott schafft also diese Welt, indem er die selbständigen Aktivitäten und Handlungen innerweltlicher sekundärer Ursachen als deren eigene hervorbringt. Daher ist Gott, wenn er sich nicht selbst widersprechen soll, in einem gewissen Sinne an den innerweltlichen Kausalzusammenhang »gebunden«, dessen Ursache er zugleich selbst ist. Dies erklärt teilweise, warum es in unserer evolutionären Welt natürliche Prozesse gibt, welche als etwas physisch Böses betrachtet werden können, insofern sie den bewussten Menschen betreffen, z.B. das Vergehen eines Dinges, um einem anderen Platz zu machen, oder wenn höhere Lebensformen dem destruktiven Einfluss niederer Prozesse ausgesetzt sind usw. Einige dieser Prozesse können sogar höheren Zielen dienen, z.B. ein Schmerz, der biologische Unordnung signalisiert. Daher kann man sagen, dass Gott nicht nur das, was als physisch böse aufgefasst wird, zulässt, sondern es in einem gewissen Maße auch will, nämlich wenn es eine notwendige Voraussetzung dafür ist, dass ein umfassenderer Wert verwirklicht werden kann. 12.3

Die Souveränität des Schöpfers und die Autonomie des Menschen

Das Problem des Verhältnisses zwischen Gottes souveränem Schaffen sowie seinem mitwirkenden Handeln und der innerweltlichen Tätigkeit des Geschaffenen verschärft sich weiter, wenn es geschaffene Personwesen gibt, die bewusst und frei entweder in Einheit mit Gottes schaffendem Willen oder im Widerspruch dazu handeln können. Um den souverän schaffenden Willen des allmächtigen Gottes zu retten, kann man annehmen, dass Gott »von Anfang an« die »freien« Entscheidungen aller geschaffenen Personen festlegt, sodass das Gute oder das Böse ihrer Handlungen vorher bestimmt ist (Fatalismus der Muslime; der späte Augustinus?, Luther?, Calvin; Jansenismus). In einem solchen Fall muss man jedoch eigentlich verneinen, dass es überhaupt freie, geschaffene Wesen gibt – und zugleich muss Gott auch für das Böse in der Welt als die eigentliche Ursache angesehen werden. Will man hingegen an der selbständigen Freiheit und auch an der Autonomie der menschlichen Person festhalten, muss man von der allmächtigen und allwissenden Vorsehung eines persönlichen Gottes Abstand nehmen oder auch verneinen, dass es Gott überhaupt gibt (Scheler, Nicolai Hartmann, Sartre, Camus). Damit jedoch hebt man zugleich die ontologische Grundlage für die Freiheit und das moralische

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Handeln des Menschen auf, weil es ohne normierende Gründe auch keine freie Wahl gibt (vgl. Anthropologie 13.4–6). Der schaffende Wille des allmächtigen und allwissenden Gottes und das selbständige freie Handeln des Menschen, durch die er das Menschengeschlecht und die Zukunft der Welt gestaltet, scheinen miteinander unvereinbar zu sein, sodass Gott als Konkurrent des Menschen aufgefasst werden kann (Feuerbach, Marxismus, Nietzsche). Jeder Theonomie-Gedanke (aus dem Griech.: theos = Gott, nomos = Gesetz), demzufolge Gott das absolute und ungehinderte Weltregiment inne hat, sodass alles in der Welt gemäß seinem allmächtigen und souveränen Willen geschieht, scheint die Autonomie des Menschen (aus dem Griech.: autos = selbst, nomos = Gesetz) aufzuheben, die gerade bedeutet, dass der Mensch selbst sein eigenes Leben und seine eigene Zukunft gestalten kann. Der Mensch, der davon absieht, sich selbst als diese individuelle Person zu verwirklichen und seine eigene Zukunft sowie die Anderer zu formen, scheint dieser Auffassung zufolge im Gegensatz zum Willen des souveränen Gottes zu stehen, auf den der Mensch in den Geboten und Verboten trifft, die seine Normen bilden. Je mehr er dagegen sich selbst und sein eigenes Streben auslöscht sowie sich dem göttlichen Gesetz unterwirft, desto mehr scheint er sich in Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen zu befinden. Der Gegensatz zwischen der Souveränität des allmächtigen, schaffenden Gottes und der Autonomie der freien Wesen wird nahezu unüberbrückbar, wenn man außerdem annimmt, dass es durch die geschaffenen Wesen zu moralisch bösen »Handlungen« kommen kann. Eine solche bewusste und freie böse »Handlung« würde es somit als etwas geben, das mit der Welt geschaffen wurde und dennoch dem Willen des Schöpfers entgegengesetzt ist. Durch sein schaffendes Handeln legt Gott nämlich das Wesen aller geschaffener Wesen fest, was den Grund für die moralischen Handlungsnormen solcher Wesen darstellt. In diesem Fall könnten sich die geschaffenen Wesen im Zuge ihres freien bösen »Handelns« gegen den Schöpfer der Welt wenden und sogar Gottes schaffender Macht »entgegenwirken«, indem sie gegen Gottes Willen aus eigener Kraft ein Seiendes hervorbringen, das Gott nicht schaffen will. Das Vorkommen einer solchen moralisch bösen »Handlung« in der Welt würde Gottes absoluter Vollkommenheit gänzlich widersprechen, weil Gott diese niemals wollen und daher auch niemals schaffen könnte. Eine solche moralisch böse »Handlung« kann aufgrund ihrer tiefgehenden Bosheit nicht einmal als Mittel dienen, um einen größeren Wert zu erreichen. Daher kann Gott nicht das bewusste, freie und sündige Nein eines einzelnen Menschen wollen, um so innerhalb der Geschichte des Menschengeschlechts schrittweise das höchste Gut des gesamten Weltenplans zu verwirklichen

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Kapitel 12

(gegen Irenaeus’ Sicht des Sündenfalls). Wenn nun das moralisch Böse in einem absoluten »Gegensatz« zu Gottes schaffendem Willen steht und es daher absolut nicht existieren sollte und kann, wie kann dann noch behauptet werden, dass es in dieser Welt »vorkommt«? Dann müsste es ein Werk des allmächtigen und durch und durch guten Gottes sein. Die Möglichkeit des Menschen, moralisch böse zu handeln, die als Ausdruck der Autonomie des Menschen angesehen werden sollte, scheint also zur Folge zu haben, dass es einen allmächtigen und allgütigen schaffenden Gott nicht gibt und nicht einmal geben kann. 12.4

Die freie Wahl des Menschen zwischen Gut und Böse

Damit Gott nicht als ein allmächtiger Potentat angesehen werden kann, der zwar freie Menschen schafft, sie aber gleichzeitig dem absoluten Zwang zum Gehorsam unterwirft, muss geklärt werden, wie das moralisch Böse beschaffen und überhaupt möglich ist. Eine Antwort muss davon ausgehen, dass man nicht nach dem Bösen an sich streben kann, weil der freie Wille prinzipiell auf das Gute ausgerichtet ist. Außerdem muss der Mensch  frei von physischen und psychischen Zwängen sein, um die freie Ursache seines eigenen Handelns sein zu können, sodass er sich frei entscheiden kann, zu handeln und damit zur ersten Ursache seiner eigenen Handlungen zu werden. Als geschaffenes Wesen ist der Mensch aber weder seine eigene Erstursache noch die seines Handelns. Er ist auch nicht in einem absoluten Sinne frei und daher nicht gänzlich autonom in seinem Handeln. Prinzipiell ist er nämlich an das Gute an sich, d.h. an das Formalobjekt des freien Willens gebunden, und an das in seinem Wesen verankerte moralische Gesetz, welches ihn unbedingt verpflichtet (vgl. Anthropologie 13.3–5). Wenn der Mensch gänzlich unbehindert von seinen naturgegebenen Begrenzungen vor einer Wahl zwischen dem absolut Guten an sich und etwas relativ Gutem stehen könnte, sollte er sich im Zuge einer vernunftgemäßen freien Wahl immer mit Notwendigkeit für das absolut Gute entscheiden. Es gibt nämlich keinen vernünftigen Grund, warum man das endliche und relative Gute dem absolut Guten vorziehen sollte, weil dieses in sich selbst natürlich alles übrige, endliche Gute miteinschließt. Eine vernunftgemäße freie Wahl zwischen zwei Alternativen ist für das geschaffene Wesen daher nur möglich, wenn es um das endliche und relative Gute geht, d.h. etwas, was gut in einer bestimmten Hinsicht, aber nicht in einer anderen ist, oder das gut für einen bestimmten Zweck, aber nicht für einen anderen ist usw. Man kann in diesem Fall etwas nur insofern wählen, als es in wenigstens einer Hinsicht gut ist, weil

Gott und die Freiheit des Menschen

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der von der Vernunft geleitete freie Wille niemals auf etwas ausgerichtet sein kann, was schlecht ist. Die begrenzte Erkenntnis des geschaffenen Menschen ermöglicht es außerdem, dass er das relativ Gute dem absoluten, unendlichen Guten, d.h. Gott, vorzieht, weil er mit seiner endlichen Vernunft das absolut Unendliche an sich nicht verstehen kann. Aufgrund seiner Vernunft ist der Mensch sich außerdem des moralischen Anspruchs bewusst, demgemäß man nur die moralisch gute Alternative wählen sollte, d.h. etwas, das direkt oder indirekt die Entwicklung der eigenen Person und die Zukunft der gesamten Menschheit fördert. Diese verpflichtende Forderung bindet wohl die »Freiheit« der menschlichen Person, sie beinhaltet für den freien Menschen aber keine Art »Heteronomie« (aus dem Griech.: heteros = der zweite, nomos = Gesetz). Sie drängt sich ihm nämlich nicht durch eine willkürliche göttliche Willensentscheidung »gewissermaßen von außen« auf, die das Schaffen selbst begleitet und sich von diesem unterscheidet. Die verpflichtende moralische Forderung entspringt vielmehr gänzlich dem individuellen Wesen der geschaffenen menschlichen Person und stimmt daher vollkommen mit deren vernünftigem und freiem Wesen überein. Der Mensch ist also in dem Sinne autonom, dass er selbst entscheiden kann, gemäß der Vernunft zu handeln oder sich ihr zu widersetzen. Trotzdem ist der Mensch nicht gänzlich autonom, weil er die grundlegenden Bedingungen seiner selbst als endlicher Person nicht verändern kann und außerdem verpflichtet ist, im Einklang mit dem eigenen individuellen Wesen zu handeln. Außerdem ist der Mensch als selbständige und freie innerweltliche Ursache in einem bestimmten Sinne schaffend und kann daher durch seine persönliche Willensentscheidung etwas Neues und Ursprüngliches hervorbringen und auf diese Weise zu einer ersten Ursache einer neuen Ursachenkette werden. Trotzdem ist und bleibt er jedoch Gottes Schöpfungswerk, mit allem, was dies in Bezug auf eine fundamentale Abhängigkeit und Relativität im Verhältnis zu Gott als souverän schaffender Erstursache beinhaltet. Obwohl der Mensch als endliche, freie Person auf eine moralisch böse Weise handeln kann, ergibt sich das moralisch Böse nicht als notwendige Konsequenz aus der an sich guten Fähigkeit, sich selbständig und frei für etwas zu entscheiden. Sowohl die fundamentale Ausrichtung des Willens auf das absolut Gute als auch die unbedingte vernunftgemäße moralische Verpflichtung, das Gute zu tun, zeigen, dass der freie Wille an sich etwas sehr Gutes ist. Es kann eigentlich keine gänzlich zufriedenstellende Erklärung des Problems geben, wie der endliche freie Mensch überhaupt auf eine moralisch böse Weise handeln kann, weil das Böse als totaler Gegensatz zum intelligiblen Guten letztlich vollkommen irrational und vernunftwidrig ist. Jeder Versuch, das moralisch Böse verständlich (intelligibel) zu machen, führt letzten Endes

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Kapitel 12

dazu, dass man nicht mehr begreifen kann, wie das Böse eigentlich möglich ist. Mit seinem Willen, der ein bewusstes, vernünftiges Streben darstellt, kann ein Mensch nämlich niemals nach dem moralisch Bösen »an sich« streben. Eine solche Verhaltensweise wäre nämlich etwas gänzlich Irrationales, weil sie bedeuten würde, dass der Mensch sich selbst als vernünftiges Wesen aufhebt. Nach etwas Fehlerhaftem und damit Schlechtem als notwendigem Mittel, um etwas Gutes zu verwirklichen oder um etwas viel Böseres zu vermeiden, kann gewiss gestrebt werden. Dabei geht es jedoch nie um das moralisch Böse an sich. Wenn der Mensch sich also gänzlich vernunftgemäß entscheidet, müssen sein Entschluss und die nachfolgenden Handlungen moralisch gut sein, auch wenn sie manchmal objektiv schlecht erscheinen. Nur wenn er sich dafür entscheidet, vernunftwidrig zu handeln, werden sein Entschluss und die anschließenden Ereignisse moralisch böse sein. Weil nun kein Mensch sich nach reiflicher Überlegung bewusst gegen die Vernunft entscheiden zu können scheint, könnte man meinen, dass es nur aufgrund eines Fehlers oder eines Zwangs zu einer vernunftwidrigen Entscheidung kommen kann. Zugleich scheint jedoch jeder Mangel an Erkenntnis und Freiheit den Menschen daran zu hindern, überhaupt moralisch handeln zu können, sodass sein Handeln demnach nicht als moralisch relevant betrachtet werden kann. Wenn man nun radikal verneint, dass etwas moralisch Böses in der Welt vorkommt, weil es rational nicht begreifbar ist, oder wenn man es als Wirkung eines Mangels an Erkenntnis und Freiheit erklärt, so widerspricht dies natürlich allem, was man erlebt und erfährt. Ein solcher Ausgangspunkt führt nämlich dazu, dass jede moralische Verantwortung und jede echte menschliche Schulderfahrung (nicht: Schuldgefühl) zur Illusion erklärt werden muss. Man sollte daher lieber davon ausgehen, dass das moralisch Böse als totaler Gegensatz zum Guten prinzipiell nicht intelligibel sein kann, weil jede wirklich vernunftgemäße Ursache für eine moralisch böse »Handlung« diese in mindestens einer Hinsicht zu etwas Gutem machen würde. Der eigentliche Grund für eine total vernunftwidrige und damit moralisch böse Entscheidung muss im endlichen Menschen selbst gesucht werden, da seine freien Entscheidungen, gerade weil sie frei sind, letztlich nicht vollständig durch etwas Anderes, z.B. mit Hilfe seines Motivs, erklärt werden können. Die Selbständigkeit und Freiheit des vernünftigen Menschen ermöglicht es, dass er sich auch auf eine unerklärliche, irrationale Weise gegen sich selbst wenden kann und (zumindest teilweise) seine eigene Existenz aufheben kann. Der endliche, geschaffene Mensch kann sich nämlich aufgrund seiner Freiheit gänzlich vernunftwidrig entschließen, sich selbst als seinen eigenen, absolut autonomen Ursprung und damit als seinen eigenen Schöpfer zu sehen.

Gott und die Freiheit des Menschen

12.5

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Gottes Mitwirkung und Kenntnis des Menschen

Eine tiefere Einsicht in die totale Irrationalität des moralisch Bösen vermittelt auch ein besseres Verständnis davon, wie sich die Freiheit der geschaffenen Wesen, welche beinhaltet, dass sie sich auch weigern können, moralisch gut zu handeln, zu Gottes souverän schaffendem Willen verhält. Gewiss kann es die freien, guten Handlungen des Menschen nur in dem Maße geben, in dem sie von Gott als Erstursache durch seine direkte Mitwirkung geschaffen werden. Wie kann Gott aber bei etwas mitwirken, was als eine moralisch böse »Handlung« verstanden werden kann? Würde Gott in einem solchen Fall am Ende nicht doch zur letzten Ursache des moralisch Bösen werden? Die Auffassung von Gottes absoluter Allmacht kann verteidigt werden, indem man die Theorie von Gottes vorangehender physischer Einwirkung durch die Theorie von Gottes physischer Vorherbestimmung (lat.: praedeterminatio physica) vervollständigt. Gemäß dieser Theorie gibt Gott einem geschaffenen, freien Wesen im Vorhinein eine solche Zielorientierung mit, dass es, wenn es sich für die von Gott beabsichtigte, moralisch gute Handlung entscheidet, bloß aufgrund des göttlichen Impulses auf diese Weise zu handeln beginnen kann. Bei jemandem, der sich hingegen weigert, gemäß Gottes Absicht zu handeln, liegt »eine nur zureichende göttliche Mitwirkung« vor, um etwas Anderes zu erreichen (Báñez; Thomisten-Schule). Gottes notwendige Einwirkung auf das moralisch gute Handeln des Menschen garantiert, dass Gott trotz des freien Handelns des Menschen seinen eigenen Willen und sein eigenes Werk vollbringt. Durch die Theorie wird jedoch nicht vollständig geklärt, wie sich ein freies, geschaffenes Wesen unter dem Einfluss der göttlichen, vorbestimmenden Einwirkung frei dazu entschließen kann, nicht moralisch gut zu handeln. Außerdem ist unklar, ob Gott dadurch nicht doch dafür verantwortlich wird, dass der Mensch nicht moralisch gut handelt. Will man sowohl die Freiheit des Menschen als auch Gottes Güte und Heiligkeit berücksichtigen, kann man davon ausgehen, dass das geschaffene Wesen eine solche göttliche Einwirkung nicht braucht und noch weniger einen vorbestimmten Impuls, um auf eine bestimmte Weise frei handeln zu können. Man kann sich denken, dass die Freiheit des Menschen darin besteht, dass er als geschaffenes Wesen seine Aktivität aus eigener Kraft hervorbringen und ihr durch seine freie Entscheidung ihre Richtung geben kann. Gott und das freie geschaffene Wesen wirken derart gemeinsam, dass Gottes eigene unbestimmte (indifferente) simultane Mitwirkung auf eine neutrale Weise das freie Wesen begleitet, welches durch die Ausrichtung seines Willens entscheidet, wie die Handlung beschaffen sein soll. Obwohl zwei Ursachen zusammenwirken,

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Kapitel 12

entsteht nur eine Wirkung (de Molina, Molinisten). Diese Theorie scheint jedoch die Absolutheit des schaffenden Gottes einzuschränken, weil sie den Eindruck vermittelt, als bestimme der Mensch durch seine freie Entscheidung nicht nur die zukünftige Beschaffenheit der Welt, sondern »zwinge« Gott auch dazu, mit ihm gemeinsam zu wirken. Die Theorie erklärt außerdem nicht gänzlich, wie jemand im Zuge seiner freien Handlungen über sich selbst hinausgehen kann, weil der Betroffene – besonders, wenn er oder sie sich weigert, gut zu handeln – aufgrund Gottes unbestimmter (indifferenter) Mitwirkung eigentlich etwas Positives erreichen sollte. Wenn nun tatsächlich Gottes indifferente, schaffende Mitwirkung an den freien Handlungen des geschaffenen Wesens benötigt wird, muss man sich außerdem fragen, wie Gott überhaupt etwas von diesen Handlungen wissen kann, seien sie moralisch gut oder böse. Das Problem ist weniger drängend für eine Theorie, die von Gottes vorangehender und vorbestimmender Einwirkung auf den schaffenden freien Willen ausgeht (Báñez), weil Gott durch seine schaffende Mitwirkung unfehlbar »im Vorhinein« dessen Wirkung kennt, nämlich die moralisch gute Handlung, die er gerade selbst schafft, oder die Abwesenheit dieser Handlung. Viel gravierender ist das Problem innerhalb jener Theorie, die Gottes indifferente Mitwirkung bei den eigenen freien Entscheidungen und Handlungen des Menschen annimmt (de Molina). Nur wenn Gott – über seine absolute Kenntnis von allem Notwendigen und über sein ewiges, aber relatives Wissen von seiner eigenen schaffenden Mitwirkung bei allem Faktischen hinaus – außerdem ein »dazwischen liegendes« Wissen (lat.: scientia media) davon hat, wie sich alle freien Wesen unter jedweder Bedingung verhalten würden, kann Gott ein Vorauswissen von allem Zukünftigen (lat.: futurabilia) haben, unabhängig von den eigenen, freien, zukünftigen Entscheidungen. Ungeachtet dessen, dass bei beiden Lösungen der Zeitaspekt eine gewisse Rolle spielt, müssen wir uns dem Grundproblem auf eine andere Weise nähern. Trotz der schaffenden Mitwirkung und der Vorsehung des allmächtigen Gottes darf die Bedeutung der Freiheit zu handeln auf Seiten der geschaffenen Wesen nicht verringert und erst recht nicht verneint werden. Eine solche Freiheit bringt zwar eine gewisse Art Autonomie mit sich, welche zur Folge hat, dass die geschaffenen Wesen in gewisser Hinsicht tatsächlich der Grund ihrer selbst und ihrer eigenen Zukunft sowie der Zukunft der Welt sein können (lat.: causa sibi; Victorinus, Augustinus). Dies gilt nicht nur für das Fällen eines moralischen Urteils durch den Menschen, das ausschlaggebend für eine freie Entscheidung ist (Thomas von Aquin), sondern auch für seine selbständige Eigenaktivität, durch die er seiner Entscheidung gemäß handelt. Nur auf diese Weise kann man das Bewusstsein seiner selbst des Menschen als Ursache

Gott und die Freiheit des Menschen

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seines eigenen freien, selbstbestimmten Handelns erklären. Anderenfalls wäre es nicht länger möglich, den Menschen für seine freien Entscheidungen und Handlungen verantwortlich zu machen. Gottes absolut freie und souveräne schaffende Handlung, welche die letzte transzendente Grundlage für die Selbständigkeit und Freiheit der geschaffenen Wesen darstellt, kann nicht zugleich in Konkurrenz zum persönlichen Streben des Menschen stehen, sich selbst zu verwirklichen und eine bessere Zukunft für das Menschengeschlecht zu schaffen. Auch in diesem Fall gilt das Prinzip, dass je mehr ein geschaffenes freies Wesen in seiner ganzen Wirklichkeit mit dem schaffenden Gott vereint ist, es desto mehr an Gottes Vollkommenheit teilhat, zu der auch Gottes Selbständigkeit, Freiheit und Schaffenskraft gezählt werden müssen. Das bedeutet zugleich, dass je mehr etwas an Gottes Vollkommenheit und damit an Gottes selbständiger freier Schaffenskraft partizipiert, sich dieses konkrete, geschaffene Seiende desto mehr von Gott unterscheiden muss. In Bezug auf den freien und autonomen Menschen besteht Gottes Schaffenshandlung offenbar darin, dass Gott als Ursache den Menschen hervorbringt, indem er seine eigene Vollkommenheit mit ihm teilt. Die beste Analogie dazu stellt die Liebesbeziehung der Menschen dar, in der eine größere Einheit entsteht, je mehr die Partner sich bemühen, durch ihre Hingabe die Selbständigkeit des Anderen zu fördern. Gottes Schaffen des einzelnen Menschen als bewusstes und freies Personwesen bedeutet, dass Gott in seiner Liebe mit dem Menschen in dem Maße etwas von seiner Person-Existenz teilt, in dem der Mensch als Person aufgrund seiner Endlichkeit an Gott teilhaben kann und in dem er zulässt, dass Gott selbst sich ihm mit-teilt. Der endliche, selbständige Mensch kann durch seine freie, aber moralisch böse Entscheidung seine Ähnlichkeit mit Gott als Person zwar auf eine vernunftwidrige Weise aufheben und dadurch seine eigene Selbständigkeit und Freiheit als diese konkrete Person verringern. Ein solch moralisch böses Agieren aber kann nur insofern als »Handlung« angesehen werden, als dessen Ursprung in der freien Entscheidung liegt, nicht vernunftgemäß zu handeln. Es geschieht also als Folge einer vernunftwidrigen Entscheidung, die im Widerspruch zur Absicht und zum Willen des personalen Schöpfers steht. Weil ein solches Handeln nichts hervorbringt, was es nicht bereits gibt, ist Gottes besondere, schaffende Mitwirkung nicht nötig, sondern sie ist nur ein Effekt von Gottes allgemeiner, simultaner Mitwirkung mit allem Geschaffenen überhaupt. Stattdessen wird Gott durch das moralisch böse Agieren eines Menschen daran »gehindert«, sich selbst mit-teilen zu können. Dadurch wird Gott daran »gehindert«, den freien Menschen seiner gesamten personalen Wirklichkeit entsprechend zu schaffen, d.h. im Hinblick auf seine gesamte

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Kapitel 12

Existenz und sein individuelles Wesen, und damit auch die Zukunft der Welt in Einheit mit seinem Plan. 12.6

Der liebevoll schaffende Gott und das Böse in der Welt

Gott schafft also eine Welt mit freien Wesen, die selbst entscheiden können, mit Gottes Mitwirkung moralisch gut zu handeln oder sich zu weigern, auf diese Weise zu agieren. Außerdem kann der allwissende Gott nicht in Unkenntnis darüber sein, dass bestimmte geschaffene Wesen sich weigern, moralisch gut zu handeln. Daher kann man sich ferner fragen, ob Gott nicht letztlich doch dafür verantwortlich ist, dass das Böse in der Welt eine solch destruktive Macht wird. Gott will durch sein Handeln zwar nicht das moralisch Böse mit seinen gefährlichen Konsequenzen hervorbringen. Da Gott aber endliche Wesen schafft, die durch ihre freien Entscheidungen selbst beschließen können, nicht gemäß Gottes Schöpfung zu handeln, scheint Gott indirekt doch für ihre Entscheidungen verantwortlich zu sein. Hätte Gott keine freien Wesen geschaffen, würde es weder ein irrationales Sich-Weigern, moralisch gut zu handeln, geben, noch die daraus folgenden schlechten, d.h. die physisch üblen, Konsequenzen für die gesamte Welt. Selbst wenn man annimmt, dass Gott das moralisch Böse nicht will, aber dennoch zulässt, kann dessen Vorkommen nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass man auf bestimmte positive Effekte oder höhere Werte, die dadurch erreicht werden, verweist, z.B. die wachsende Demut eines einzelnen Menschen vor seinem Schöpfer, seine Einsicht in das eigene Heilsbedürfnis oder seine zunehmende Bereitwilligkeit, in Zukunft mit dem Schöpfer zusammenzuwirken. Das Vorkommen des moralisch Bösen mit seinen verhängnisvollen Konsequenzen kann auch nicht gerechtfertigt werden, indem man davon ausgeht, dass das Gute letztlich siegen wird und Gott durch Belohnung und Strafe die zerstörte Weltordnung wiederherstellt. Es kann auch kein hinreichender Grund für das Vorhandensein von moralisch bösen »Handlungen« sein, dass es trotz des Mangels an Ordnung, Güte und Einheit unter den Konsequenzen einer freien Weigerung, gut zu handeln, doch bestimmte positive Punkte gibt oder diese Weigerung mit bestimmten positiven Werten verbunden ist. Vor allem darf man nicht davon ausgehen, dass Gott gemäß dem Prinzip »der Zweck heiligt die Mittel« das Böse wolle, um das Gute zu erreichen, und dass er in seiner allwissenden Weisheit das moralisch Böse »von Anfang an« in seinen guten Weltenplan eingebaut habe. Der eigentliche Grund, warum Gott trotz allem freie Wesen schafft und damit »riskiert«, dass sie sich weigern könnten, im Zusammenwirken mit

Gott und die Freiheit des Menschen

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ihm moralisch gut zu handeln, muss stattdessen darin gesucht werden, dass Gott im Zuge seines Schaffens nicht nur seine Güte, sondern auch seine Freiheit und Selbständigkeit mit den Wesen teilen will. Wenn Gott nur materielle Gegenstände, Pflanzen und Tiere geschaffen hätte, aber keine freien Wesen, wäre eine solche Welt zwar durch und durch gut, und Gott hätte die Möglichkeit des moralisch Bösen verhindert. Da Gott aber eine Welt mit freien Wesen schafft, die nicht von Anfang an vollendet sind, sondern es durch ihre freien Handlungen werden können, muss er auch zulassen, dass sie sich aufgrund ihrer freien Selbständigkeit weigern können, so zu handeln, dass sie in Einheit mit seinem schaffenden Willen vollendet werden, und sich dadurch, dass sie sich weigern, moralisch gut zu handeln, seiner eigenen schaffenden Mitwirkung widersetzen. Der Schöpfer kann also nicht für die Handlungen der geschaffenen Wesen verantwortlich gemacht werden und ist daher nicht daran schuld, wenn diese sich weigern, gemäß der Absicht und dem Willen des Schöpfers zu handeln. Gott will also in keinster Weise das moralisch Böse, »muss« es aber zulassen, wenn er in seinem schaffenden Willen einen höheren Wert erreichen will, welcher sich ohne Freiheit nicht verwirklichen lässt, d.h. wenn jede Möglichkeit, sich zu weigern, moralisch gut zu handeln, von Anfang an ausgeschlossen wäre. Dennoch kann man weiter einwenden, dass Gottes Absicht, das Geschaffene an seiner Freiheit teilhaben zu lassen, nicht das Risiko aufwiegt, dass der einzelne Mensch seine Freiheit dafür benutzt, sich dem Schöpfer zu widersetzen, sodass er, zumindest teilweise, sein eigenes Werden zerstört. Der tiefste Grund für Gottes Schaffen von freien Wesen muss wohl darin gesucht werden, dass Gott das Geschaffene auch nicht an dem hätte teilhaben lassen können, was ihn am meisten auszeichnet, d.h. an seiner Liebe, wenn er nicht zugleich dem Geschaffenen die persönliche Freiheit gegeben hätte, die die Liebe erst ermöglicht. Der Mensch als Ich kann nämlich die andere Person als Du nur dann lieben und umgekehrt, wenn beide in dieser Liebensbeziehung an der absoluten Liebe, die Gott ist, teilhaben und wenn sie durch ihre gegenseitige Liebe ein Abbild dieser göttlichen Liebe werden. Beide lieben nämlich nicht nur einander, sondern zugleich auch ihre gegenseitige Liebe, weil sie ehrfurchtsvoll ihren Wert akzeptieren und sich mit großem Engagement bemühen, diese Liebe zu fördern und nach Möglichkeit zu vermehren und zu intensivieren. Letztlich lieben sie also in ihrer Liebe zueinander die Liebe selbst, d.h. Gott selbst, der auf eine endliche und relative Weise in ihrer gegenseitigen, liebevollen Ich-Du-Relation Wirklichkeit wird. Sowohl die Freiheit als auch die Liebe wären in der geschaffenen Welt unmöglich, wenn Gott keine Wesen geschaffen hätte, welche an seiner eigenen Selbständigkeit, Freiheit und Liebe teilhätten. Damit wird er aber

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Kapitel 12

»gezwungen«, die mögliche Weigerung der freien Wesen, moralisch gut zu handeln, zuzulassen, weil das Gegenteil eine Unmöglichkeit wäre. Dennoch ist die philosophische Reflexion nicht imstande, die letzte Antwort auf das Problem des Bösen zu geben, weil man auf einer rein theoretischen Ebene nicht das existenzielle Problem lösen kann, warum sich ein einzelner Mensch überhaupt dazu entschließen und entscheiden kann, sich auf eine gänzlich irrationale Weise zu weigern, moralisch gut zu handeln.

Kapitel 13

Gott und die Weltgeschichte Das Verhältnis zwischen der geschaffenen Welt und Gott als Schöpfer auf eine zufriedenstellende Weise zu klären, ist herausfordernd. Nur mit Mühe kann gezeigt werden, wie Gottes Transzendenz im Verhältnis zur Welt und seine Immanenz in ihr, d.h. Gottes ungeheure Andersartigkeit gegenüber der Welt und seine intimste »Einheit« mit ihr, einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig bedingen. Es ist schwer zu verstehen, warum das Böse in der Welt kein Beweis gegen Gottes Existenz als allmächtiger, allwissender und allgütiger Schöpfer ist. Am schwersten ist es zu begreifen, wie Gottes souveräne Schöpferallmacht die Selbständigkeit und Freiheit der menschlichen Person nicht aufhebt, sondern gerade möglich macht. Der Gedanke der jüdisch-christlichen Religion, dass Gott in die Welt »eingreift«, indem er durch seine »übernatürliche Offenbarung« sich selbst und seinen »Heilsplan« der menschlichen Geschichte bekannt macht, wirft eine weitere Frage auf. Wenn Gott, als die schaffende Erstursache außerhalb von Raum und Zeit, sich von allen innerweltlichen Zweitursachen unterscheidet, wie kann er dann überhaupt in dieser Welt handeln? Gottes Transzendenz und seine Unveränderlichkeit scheinen eine göttliche Offenbarung in der menschlichen Geschichte unmöglich zu machen. 13.1

Gott als die schaffende Erstursache der gesamten Welt

Um Klarheit über das Verhältnis zu gewinnen, das zwischen Gott und der geschaffenen Welt mit ihren konkreten Dingen und ihrer Geschichte besteht, muss man sorgfältig zwischen den innerweltlichen Zweitursachen, die sogar das erste Glied einer neuen Ursachenkette sein können, und Gott als der schaffenden Erstursache, die niemals als ein Glied einer Ursachenkette verstanden werden darf, unterscheiden. Der vollständige Kausalzusammenhang in der Welt besteht aus allen komplexen Ursachenketten, in denen die Ursache, die eine Wirkung hervorbringt, oft bereits ein Effekt einer anderen (für gewöhnlich zeitlich vorangegangenen) Ursache ist, während die Wirkung dieser Ursache ihrerseits (in der Regel zu einem späteren Zeitpunkt) als Ursache für weitere Effekte dienen kann. Die Erfahrung des Menschen von seiner persönlichen Freiheit einschließlich seiner Verantwortung und Schuld (vgl. Anthropologie 8.4–6 und 13.4–6) zeigt aber, dass zumindest bestimmte

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innerweltliche Ursachen anders beschaffen und viel mehr als nur Effekte vorangeganger Ursachen sein müssen. Im Verhältnis zu den übrigen Gliedern einer Ursachenkette kann der Mensch nämlich das allererste Glied einer solchen Ursachenkette sein. Er ist im Zuge seines freien und verantwortlichen Handelns eine erste Ursache, d.h. eine Ursache, ohne die es die gesamte daran anschließende Ursachenkette überhaupt nicht geben könnte. Dennoch ist es eine notwendige Voraussetzung, dass Gott als Erstursache den Menschen schafft, damit der Mensch eine erste Ursache sein und durch seine Freiheit für sich selbst entscheiden kann zu handeln, und auf eine bestimmte Weise zu handeln. Weniger klar ist jedoch, ob z.B. der Urknall oder ein »zufälliger« Quantensprung als erste Ursachen aufgefasst werden können, durch die eine neue Ursachenkette beginnt. Als schaffende Erstursache darf Gott keineswegs so als eine Ursache gedacht werden wie in einer innerweltlichen Ursachenkette aus nebengeordneten Gliedern. Wäre Gott nämlich bloß ein erstes Glied in innerweltlichen Ursachenketten, so wäre er zeitlich und von ähnlicher Beschaffenheit wie alle übrigen Glieder dieser Ursachenketten. Außerdem müssten die übrigen Glieder in den verschiedenen Ursachenketten in ihrer Weise zu existieren weitestgehend unabhängig von Gott sein, weil Gott nur als erstes Glied, d.h. als Ingangsetzer, dieser innerweltlichen Ursachenketten auftreten würde. Im Zuge seines Schaffens handelt Gott nicht auf dieselbe Weise wie ein Mensch, der durch seine freie Entscheidung nur zur Ursache einer neuen Ursachenkette wird. Gott schafft die Welt nicht, indem er sie in Gang setzt, z.B. durch den »Urknall«, sondern Gott verhält sich als schaffende Erstursache zu jedem Detail in der Welt gleich direkt und unvermittelt wie zum »Beginn« der Welt und zur Welt als Totalität. Sowohl die geschaffenen ersten Ursachen, als auch alle nachfolgenden Glieder in den geschaffenen, innerweltlichen Ursachenketten sind bloß Zweitursachen im Verhältnis zu Gott als schaffender Erstursache. Gott hingegen ist die frei und souverän schaffende Erstursache des gesamten innerweltlichen Kausalzusammenhangs, d.h. der Totalität der Zweitursachen und aller Kausalzusammenhänge zwischen ihnen. Als schaffende Erstursache dieses gesamten kausalen, innerweltlichen Zusammenhangs ist Gott außerdem von allem überhaupt absolut unabhängig, während alles Andere in der Welt direkt von Gott abhängt. Eine solche Auffassung von Gott als der alles schaffenden Erstursache, die sich offenbar von allen innerweltlichen Zweitursachen unterscheidet, scheint im Gegensatz zur jüdisch-christlichen Grundüberzeugung zu stehen, wie sie in der Bibel zum Ausdruck kommt. Auf den ersten Blick beachtet diese nämlich kaum Gottes schaffendes Handeln, sondern geht von Gottes überwältigenden

Gott und die Weltgeschichte

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Taten in der Geschichte aus. Sie konzentriert sich vor allem auf Gottes »Befreiung« der israelitischen Stämme aus der Sklaverei in Ägypten, auf Gottes wunderbares »Eingreifen« in die Geschichte des jüdischen Volkes, auf Gottes souveräne, persönliche Herrschaft über das Schicksal aller Menschen und Völker, auf Gottes Heilswerk in Jesu Christi Leben und Tod. Gottes freies, schaffendes Handeln wird bloß als eine notwendige Voraussetzung für Gottes eigentliche historische Wirksamkeit gesehen, mit der Gott als allmächtige Person gemäß seiner allwissenden Vorsehung die Weltgeschichte einem im Vorhinein bestimmten Ziel entgegen führen und lenken kann. Im »primitiven« religiösen Denken hat man in der Regel weniger Schwierigkeiten, Bilder auf den innerweltlichen Zusammenhang anzuwenden, da Mythen und Symbole das Handeln übernatürlicher Mächte in der Welt veranschaulichen können. Solche mythisch-symbolischen Elemente prägen auch das biblische Denken. Es wird z.B. gesagt, dass Gott innerhalb von sechs Tagen durch eine Reihe von aufeinander folgenden Entscheidungen das gesamte Universum hervorbringt (1 Mose 1,1–2,4a), dass er den Menschen aus Staub von der Erde formt, danach einen Garten pflanzt und anschließend Tiere als Hilfe für den Menschen schafft (1 Mose 2,4b–24). Auf ähnliche Weise kann gesagt werden, dass Gott die historischen Ereignisse hervorbringt, dass er z.B. das Volk Israel durch das Rote Meer in die Freiheit entkommen lässt und es aus dem Exil in Babylon führt (2 Mose 14–15; Jes 40,12–41,20). Diesen Vorstellungen gemäß »greift« Gott in die Entwicklung der Natur und der Geschichte »ein« und handelt dort ähnlich wie innerweltliche erste Ursachen. Erst in moderner Zeit hat man ernsthaft hinterfragt, ob solche Aussagen überhaupt als exakte Naturund Geschichtsbeschreibungen gelten dürfen, und man hat eine radikale »Entmythologisierung« gefordert, um ihren eigentlichen religiösen Inhalt verstehen zu können. Bestimmte spekulative Überlegungen scheinen auch dazu zu führen, dass der schaffende Gott ähnlich wie innerweltliche erste Ursachen zumindest in bestimmten Fällen in der Weltgeschichte etwas gänzlich Neues hervorbringen muss, während Gott ansonsten als die Erstursache aller sekundären Ursachen verstanden werden kann. Wenn nämlich alles in der Welt aufgrund seines Wesens feste Grenzen bei seiner innerweltlichen Wirksamkeit haben soll, scheint ein direktes göttliches Eingreifen in die Natur unentbehrlich zu sein, damit die Welt immer komplexere Formen entwickeln kann. Gott muss auf seine schaffende Weise in die Welt und Natur »eingreifen«, um etwas hervorbringen zu können, was ganz und gar neu ist und nicht auf etwas Vorangegangenes zurückgeführt werden kann, z.B. wenn Gott das Leben in einer rein materiellen und leblosen Welt oder die geistige Seele des Menschen in der

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Kapitel 13

materiellen Natur bzw. im menschlichen Körper entstehen lässt. Gegen diese Auffassung kann eingewandt werden, dass Gott in einem solchen Fall »quasi im Nachhinein« in den Verlauf der Natur eingreift und auf diese Weise seine Schöpfung »verbessert«. 13.2

Gottes Wirksamkeit in der Welt durch die Zweitursachen

Wird Gott als schaffende Erstursache zu sehr von den innerweltlichen sekundären, geschaffenen Ursachen abgesondert, scheint er nicht mehr auf eine persönliche und souveräne Weise, z.B. durch ein Wunder oder einen persönlichen Ruf, in den Gang der Weltgeschichte »eingreifen« zu können. In diesem Fall scheint es ausgeschlossen, dass Gott sich selbst und seine »Absichten« in der Geschichte dem Menschengeschlecht offenbart und dadurch eine persönliche Beziehung zu einzelnen Menschen pflegt. Die Kenntnis der gesamten Menschheit von Gott sollte ihren einzigen Grund in der allgemeingültigen Gotteserfahrung haben, die in einer anschließenden metaphysischen Reflexion entwickelt und reflektiert werden kann. Über diese natürliche Theologie hinaus dürfte eine »übernatürliche Theologie«, die auf Gottes übernatürlicher Offenbarung in der Geschichte des Menschengeschlechts beruht, vollständig unmöglich sein. In der christlichen Theologie und Philosophie hat man für gewöhnlich die Möglichkeit von Gottes persönlichem Auftreten in der Geschichte des Menschengeschlechts wahren wollen, welche über die »Ordnung der Natur« hinausgeht und daher nicht ausschließlich mit Hilfe der allgemeinmenschlichen natürlichen Vernunft erforscht werden kann. Man versucht zwar, an dem Gedanken festzuhalten, dass Gott die Erstursache ist, d.h. dass Gott in innerweltlichen Zusammenhängen aus eigener Aktivität handelt, die aufgrund seiner Mitwirkung durch geschaffene innerweltliche Zweitursachen ausgeführt wird. Gegen den Deismus und die Religionskritik versuchte man in christlichen Kreisen dennoch häufig geltend zu machen, dass Gott nicht nur durch sein unmittelbares, persönliches Handeln bestimmte Wirkungen in der Weltgeschichte hervorbringen kann, sondern manchmal auch wirklich ohne eine Zweitursache in der Welt, d.h. über die eigene Ordnung der Natur hinaus oder sogar im Gegensatz zu ihr, gehandelt hat. Dies sollte sowohl bei bestimmten allgemeingültigen Zusammenhängen der Fall sein, z.B. wenn Gott direkt die menschliche Seele schafft, als auch bei bestimmten Ausnahmefällen, z.B. wenn er sich in der Weltgeschichte durch ein Wunder offenbart oder einen bestimmten Menschen beruft und eine persönliche Beziehung zu ihm unterhält.

Gott und die Weltgeschichte

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Diese Distinktion zwischen Gottes »gewöhnlichem« schaffenden, erhaltenden und mitwirkenden Handeln in Bezug auf die Welt und seinem »außergewöhnlichen«, übernatürlichen »Eingreifen« in den Verlauf der Weltgeschichte scheint anfänglich sehr ansprechend zu sein. Gott, der die gesamte Welt »aus dem Nichts«, ohne jede Mitwirkung irgendwelcher innerweltlicher Zweitursachen schafft, sollte auf dieselbe Weise jedes konkrete Ding der Welt hervorbringen können. Dennoch basiert diese gängige Auffassung auf der fehlerhaften Annahme, dass Gott ein konkretes Ding in der Welt auf dieselbe Weise hervorbringt, wie er die Welt in ihrer Gesamtheit schafft. Man beachtet dabei nicht, dass ein konkretes Seiendes »in der Welt« durch seine Beziehungen zu den übrigen konkreten Seienden konstituiert wird, was für die Welt als Totalität nicht gilt. Bereits die Elementarteilchen scheinen auf individuelle Weise in Beziehung zum Rest der Welt zu stehen und ihre beobachtbaren Beschaffenheiten auf ihrer Beziehung zum Beobachter zu beruhen. Dies wird auf der zwischenmenschlichen Ebene am deutlichsten, weil ein Menschenkind biologisch durch seine Eltern und als individuelle Person durch seine zwischenmenschlichen Beziehungen konstituiert wird. Das Verhältnis, das zwischen der Welt als Totalität und Gott als Schöpfer besteht, unterscheidet sich offenbar von der Beziehung aller innerweltlichen konkreten Dinge und Wesen zu Gott. Gewiss sind die gesamte Welt sowie alles in ihr direkt abhängig von Gottes schaffender Handlung. Die Welt als Totalität aber ist unmittelbar abhängig, während die direkte Abhängigkeit innerweltlicher Dinge und Wesen von Gottes schaffenden Handlungen dadurch vermittelt wird, dass sie zu etwas Anderem in der Welt und dadurch auch zur Welt als Totalität in Beziehung stehen. Obwohl Gottes direkte schaffende Wirksamkeit überall auf der Welt geschieht – während aller Zeiten und bei allem in der Welt –, wirkt Gott »innerhalb der Welt« niemals anstelle des Geschaffenen, d.h. ohne mit der Eigenaktivität des Geschaffenen zusammenzuwirken, die gewiss auch durch seine schaffende Mitwirkung hervorgebracht wird. Wenn Gott innerhalb der Weltgeschichte etwas Neues hervorbringen möchte, was nicht bereits ein Effekt natürlicher Kräfte zwischen den innerweltlich geschaffenen Seienden ist, sollte Gott durch sein »außergewöhnliches« Eingreifen exakt dasselbe hervorbringen, was für gewöhnlich durch innerweltliche Kräfte hervorgebracht wird. Gottes Wirksamkeit sollte also auf dieselbe Weise wie ein innerweltliches, verursachendes Ereignis beschaffen sein, sodass die Wirksamkeit Gottes und des Geschaffenen und damit Gott und das Geschaffene rein wissenschaftlich miteinander verglichen werden können und sich nicht voneinander unterscheiden würden. Wenn Gott in der Weltgeschichte gänzlich ohne Zweitursachen wirken könnte, wäre Gott selbst nicht nur die schaffende Erstursache, sondern hätte außerdem den Charakter einer

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Zweitursache, d.h. Gott wäre beispielsweise eine Naturkraft neben anderen Naturkräften. Dies widerspricht dem Analogieprinzip, demgemäß Gott allem in der Welt eher unähnlich als ähnlich ist. Dass Gott bloß durch sein Mitwirken mit innerweltlichen Kräften etwas in der Weltgeschichte hervorbringen kann, bedeutet keineswegs eine Einschränkung von Gottes Allmacht, wie sich Menschen in ihrem abstrakten Denken leicht vorstellen könnten. Es handelt sich nämlich nicht um Gottes Unfähigkeit, sondern um eine (logische) Unmöglichkeit, weil es unmöglich ist, etwas als einen Teil des Weltzusammenhangs zu schaffen, ohne es zugleich in Zusammenhang mit dem Rest der Welt zu bringen. Es ist nämlich unmöglich, beispielsweise einen Menschen ohne jegliche Verbindung zur übrigen Welt zu schaffen, weil das neue Wesen keine Eltern und keine Beziehungen zu anderen Menschen hätte. Dieses Wesen besäße dadurch keine Sprache, keinen kulturellen Hintergrund und vor allem wäre es kein Ich im Verhältnis zu einem menschlichen Du usw. Dasselbe gilt, allerdings in einem geringeren Grad, auch für Tiere, Pflanzen und sogar für die materiellen Teilchen. Wendet man ein, dass der allmächtige Gott auch sämtliche Beziehungen des neuen Menschen zu allem in der ganzen Welt schaffen können muss, so bedeutet das nur, dass dieser in seinem Werden in der Welt verankert und nicht ohne jede Verbindung zu ihr geschaffen wird. Gott kann also etwas »Neues« in der Welt nur hervorbringen, indem er es durch die sekundären Ursachen schafft, die letztlich auch von ihm geschaffen wurden. Was es auf diese Art gibt, gehört zur Welt und ist in seinem Werden notwendigerweise von der Welt als Totalität abhängig. 13.3

Gott als der personale Schöpfer und Ordner der Welt

Gott ist nicht nur die schaffende Erstursache für die Existenz der Welt, sondern auch für deren natürliche Ordnung, für die natürliche Eigenart aller Dinge und Wesen und damit auch für den evolutionären Weltprozess. Für diesen sind besonders die Selbständigkeit und Eigenaktivität der geschaffenen Dinge und Wesen typisch, d.h. ihre Fähigkeit, in Einheit mit ihrem Wesen als Zweitursachen in der Welt wirksam zu werden. Manchmal hat man gemeint, dass sich ihre Wirksamkeit in engen Grenzen bewegt, was sich durch eine unerschütterliche Regelmäßigkeit ausdrückt, die z.B. durch die sogenannten Naturgesetze beschrieben wird. Dabei übersieht man jedoch, dass die Naturgesetze nur ein Ausdruck des abstrakten menschlichen Denkens sind und dass der Mensch zwar mit Hilfe von Gesetzen wiederholbare Naturprozesse beschreiben, das konkrete Seiende und die individuellen Ereignisse in der Welt

Gott und die Weltgeschichte

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aber nicht vollständig verstehen kann. Was zur Ordnung in der Natur gehört, geht weit über das hinaus, was jemals mit Hilfe von Naturgesetzen beschrieben werden kann (vgl. Ontologie 9). Weil Gott als Erstursache nichts unabhängig von der Eigenaktivität des Geschaffenen in der Weltgeschichte hervorbringt, ist er auch in seiner »Weltherrschaft« in einem gewissen Sinne »abhängig« von der innerweltlichen Wirksamkeit des Geschaffenen, wenn er die evolutionäre Ordnung der Natur schafft. Diese Auffassung widerspricht nicht Gottes Allmacht, sondern entspricht der traditionellen Unterscheidung zwischen Gottes absoluter Machtvollkommenheit (lat.: potentia Dei absoluta) und Gottes geordneter Machtvollkommenheit (lat.: potentia Dei ordinata). Gottes absolute Macht bedeutet, dass Gott alles machen kann, was nicht in sich selbst widersprüchlich und dadurch mit seinem Wesen unvereinbar ist. Sich Gottes Macht auf diese Weise zu denken, entspricht der abstrakten Denkweise des Menschen, durch die er die Wirklichkeit versteht. Man sieht nämlich davon ab, dass es in einer Welt, die mit einer bestimmten Absicht geschaffen wurde, nur dasjenige geben kann, was nicht im Gegensatz zu Gottes schaffendem Willen steht, und in dem Maße, in dem sich dieser Wille in der geschaffenen Welt ausdrückt. Gott als schaffende Erstursache kann also nicht, einem launischen Zauberer gleich, all das in der Welt hervorbringen, was sich der Mensch in seiner Phantasie und seinem begrenzten Verständnis vorstellen und denken kann. Wenn Gott diese Welt in ihrer Totalität wirklich will, kann er in ihr nur das hervorbringen, was in Einklang mit seinem schaffenden Willen steht. Gott in seiner schaffenden und ordnenden Machtvollkommenheit kann sich nicht selbst widersprechen. Diese traditionelle, differenzierte Auffassung von Gottes Machtvollkommenheit ist etwas gänzlich Anderes als die deistische oder naturalistische Position, dergemäß Gott, nachdem er die Welt konstruiert und in Gang gesetzt hat, sich überhaupt nicht mehr in das Weltgeschehen einbringen kann. Sie unterscheidet sich auch von der dualistischen Ansicht, derzufolge Gott auf eine übernatürliche Weise das natürliche Geschehen aufheben muss, um sich selbst in die Welt miteinzubringen und den Gang der Geschichte zu einem im Vorhinein bestimmten Ziel zu lenken. Die neuere Sicht auf die Gesetzesgebundenheit der Natur ermöglicht ein Verständnis von Gottes übernatürlichem »Eingreifen« in die Weltgeschichte, das nicht bedeutet, dass Gott die Strukturen oder Gesetze der Natur aufheben oder zur Seite drängen muss. Gemäß der Sicht der klassischen Physik auf die Natur als deterministisch und sogar mechanisch funktionierenden Zusammenhang ist es gewiss unmöglich, dass Gott in der Weltgeschichte als eine frei handelnde Person auftreten könnte, ohne zugleich die ursprüngliche Naturordnung zu durchbrechen oder aufzuheben. Neueren naturwissenschaftlichen Ergebnissen zufolge muss

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dies nicht der Fall sein, da die Welt in keinster Weise durch und durch eindeutig determiniert ist. Die Position innerhalb der Quantenphysik, dass mikrophysische Ereignisse indeterminiert sind, muss zwar nicht bedeuten, dass sie ohne Ursache sind, aber sie bedeutet, dass nicht jedes einzelne innerweltliche Ereignis in all seiner Konkretheit durch die innerweltlich wirkenden Ursachen eindeutig festgelegt ist. Es wird auf der biologischen Ebene deutlicher, wo z.B. spontane Veränderungen mit entscheidender Bedeutung für den Fortschritt des evolutionären Prozesses in seiner konkreten Beschaffenheit nicht ausschließlich Konsequenzen einer totalen Determination sind. All dies ermöglicht es, dass Gott aufgrund seiner Mitwirkung bei der Eigenaktivität der geschaffenen Dinge in der Welt handeln kann, sodass Gott als freie, schaffende Person auftritt, welche den natürlichen Verlauf der Weltgeschichte zu einem Ziel führt. Dass Gott in der Weltgeschichte nur in Mitwirkung mit den Zweitursachen handelt, ist die letzte Erklärung dafür, dass Gott, trotz seiner liebevollen Vorsehung, die Eigenaktivität der Welt nicht aufhebt, um beispielsweise die verhängnisvollen Folgen moralisch böser Handlungen zu verhindern und auf diese Weise den Verlauf der Welt zu zwingen, seinem Plan und Willen zu folgen. Trotzdem kann Gott als Zeichen seiner persönlichen Vorsehung Außergewöhnliches, d.h. etwas innerhalb des Verlaufs der Natur gänzlich Unerwartetes, hervorbringen. Gott kann nämlich bei den Vermögen der geschaffenen Dinge und Wesen derart mitwirken, dass diese in ihrer innerweltlichen Wirksamkeit auf eine unberechenbare Weise über sich selbst hinausgehen können. Natürlich bedeutet dies nicht, dass Gott so aufgefasst werden sollte, als sei er »unbegrenzt frei«, um auf welche Weise auch immer in den Verlauf der Weltgeschichte »einzugreifen«. Die Möglichkeit der Mitwirkung reicht jedenfalls innerhalb der natürlichen Welt schon aus, damit Gott als Person durch die natürlichen Kräfte bei dem Geschaffenen wirken kann. Diese Mitwirkung Gottes beim Geschaffenen geschieht sowohl, um das Wüten des Bösen einzuschränken, als auch, um außerordentliche und erstaunliche Ereignisse hervorbringen zu können, die als Beweis für Gottes liebevolles, persönliches Interesse am und Engagement beim Werden der gesamten Welt aufgefasst werden können. 13.4

Gottes übernatürliche Offenbarung und der Mensch

Könnte Gott im historischen Verlauf der Welt nicht als frei handelnde Person auftreten – auch wenn sich dies nur als Mitwirkung mit dem Geschaffenen vollziehen würde –, so wäre es für den Menschen auch nicht möglich, eine

Gott und die Weltgeschichte

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persönliche Gottesbeziehung zu haben. Eine ausreichende Grundlage für eine echte, persönliche Gottesbeziehung ist nämlich weder bei religiösen Erfahrungen des unpersönlichen Heiligen, noch bei allgemeinmenschlichen, impliziten Gotteserfahrungen gegeben, die bei der Erfahrung z.B. der notwendigen Teilhabe an einer unendlichen Ganzheit oder einer absoluten Abhängigkeit von einem letzten Grund oder einem ständigen Suchen nach einem letzten Sinn vorliegen (vgl. Kap. 2.4 und 7.1). Die persönliche Gottesbeziehung des einzelnen Menschen folgt auch nicht automatisch aus der Herleitung von Gottes Existenz durch die natürliche Theologie und ihrer rein theoretischen Erkenntnis, dass es einen personalen Gott gibt (vgl. Kap. 7–9). Die eigentliche Grundlage der persönlichen Gottesbeziehung des Menschen besteht in der individuellen Erfahrung, dass Gott als personales »Ich« in einer konkreten historischen Situation ein personales Verhältnis zu ihm als Du herstellt. Er muss sich existenziell von Gott »angesprochen« erfahren, der ihn durch seine liebevolle Fürsorge zu seinem Du macht, sodass der Mensch sich selbst als ein menschliches Ich in einer liebevollen Antwort mit Ver-antwortung an seinen Gott als Du wenden kann (vgl. Buber, Marcel u.a.). Dieser »Direktkontakt« mit dem persönlichen Gott beginnt in der Regel mit unerwarteten und überraschenden innerweltlichen Ereignissen. Diese können einen Menschen, der nach einem absoluten Sinn für sein Dasein sucht, existenziell betreffen, da sie naheliegenderweise auf Gott als den absoluten Grund der Wirklichkeit verweisen. Durch solche einzelnen Ereignisse kann Gott als Person dem einzelnen Menschen seine »Absicht« kundtun, einen »Dialog« mit ihm beginnen zu wollen. Er seinerseits kann diese Ereignisse als individuelle Ansprache des transzendenten Gottes und als sinnliches Zeichen für Gottes persönliches Interesse und Engagement an seiner Person verstehen. In diesem persönlichen Handeln, das in der Theologie »Gottes übernatürliche Selbstoffenbarung« genannt wird, wendet sich Gott natürlich ausschließlich an den Menschen, weil nur er eine persönliche Antwort geben kann. Auch wenn Gott in diesem Fall in keinster Weise die natürliche Weltordnung aufheben muss, kann man von Gottes historischem »Eingreifen« in den natürlichen Verlauf der Welt sprechen. Dies aber darf nicht dazu verleiten, dass man auf dualistische Weise einen Graben zwischen Natur und Übernatur, zwischen dem Reich der Natur und der Gnade, zwischen dem Geschaffenen und dem geoffenbarten Gott zieht (gegen Kierkegaard, frühe dialektische Theologie u.a.). Da das Geschaffene auf eine unberechenbare Weise über sich selbst hinaus gehen kann, bedarf es nur Gottes direkter Mitwirkung mit dem Geschaffenen, damit er auf das freie Wesen einwirken und etwas kundgeben kann, was dieses mit Hilfe seiner eigenen intellektuellen Wirksamkeit nicht selbst herausgefunden hätte. Geht man davon aus, dass auch Gottes Gnade

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den Menschen nur durch sekundäre innerweltliche Ursachen vermittelt erreicht, kann man in solchen Situationen auch von Gottes gnadenvollem Handeln gegenüber dem einzelnen Menschen sprechen. Er kann seinerseits durch eine übernatürliche, vertrauensvolle, freie Glaubenshandlung darauf antworten und mit dem handelnden Gott zusammenwirken. Trotz des unermesslichen Abstands zum Menschen aufgrund seiner Transzendenz berührt Gott ihn durch alles in der geschaffenen Welt aufgrund seiner Immanenz und seinem Vorhandensein in allem. 13.5

Die natürliche und übernatürliche Erkenntnis des Menschen von Gott

Während Gottes »natürliche Offenbarung«, d.h. Gottes schaffende Handlung, die allgemeinmenschliche, natürliche Gotteserkenntnis ermöglicht, ist Gottes übernatürliche Offenbarung eine Voraussetzung für die übernatürliche Gotteserkenntnis des Menschengeschlechts, d.h. für den religiösen Gottesglauben, der ein vertrauensvolles Akzeptieren von Gott selbst und seinem Zeugnis in einzigartigen historischen Situationen ist. Dennoch gibt es keinen gänzlichen Unterschied zwischen diesen beiden Formen von Gotteserkenntnis. Bei der Gotteserkenntnis des Menschen überwiegt nämlich manchmal der »natürliche« Aspekt und manchmal der »historisch-persönliche«. Daher gibt es letztlich auch keine klare Trennung zwischen Philosophie und Theologie, wenn es um die Gotteserkenntnis des Menschen geht. Beim einzelnen Menschen liegt nämlich kein Gegensatz zwischen seiner natürlichen Gotteserkenntnis, die mit der natürlichen Vernunft erreicht werden kann, und seinem religiösen Gottesglauben vor, der letztlich auf Gottes freier und spendender übernatürlicher Offenbarung beruht. Da der geschaffene Mensch mit all seinen Fähigkeiten und Handlungen, also auch mit seinem vernünftigen Denken, nur aufgrund seiner Teilhabe an dem schaffenden Gott existiert, muss auch die natürliche Gotteserkenntnis im Grunde eine von Gott mitgeteilte Erkenntnis sein, die demzufolge letztlich Gottes freie »Gnadengabe« ist. Diese natürliche Gotteserkenntnis ergibt sich nämlich nie nur aus rein allgemeingültigen und notwendigen, vernünftigen Überlegungen. Vielmehr ist sie in ihrer konkreten Form nahezu vollständig von innerweltlichen historischen Faktoren beeinflusst, da die fundamentale Gotteserfahrung des einzelnen Menschen niemals gänzlich unabhängig von historisch bedingten psychischen, moralischen, sozialen, ökonomischen und politischen Momenten ist. Derjenige, dessen vernünftiges Denken mit der Frage von Gottes Existenz kämpft, ist immer schon von den vielen, innerweltlichen

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Zweitursachen beeinflusst, welche für ihre eigene Existenz und Wirksamkeit der Mitwirkung Gottes als Erstursache bedürfen. In seinen konkreten individuellen Alltagssituationen, über die der Einzelne weder verfügen, noch sich von diesen gänzlich distanzieren kann, wird er von etwas berührt, zu dem er Stellung nehmen muss. Im günstigen Fall kann er diese Situationen als einen Hinweis auf Gott verstehen, der sich ihm nahezu überall in der geschaffenen Welt zu erkennen gibt. Auf diese Weise kann überhaupt alles, was Gegenstand der menschlichen Erkenntnis werden kann, eine neue Bedeutung als »Zeichen« erhalten, das über sich selbst hinausweist. Weil der Mensch als vernünftige und freie Person aufgrund seiner Transzendenz in der Tiefe seiner selbst eigentlich nach dem absolut Wahren und dem absolut Guten strebt, auch wenn er oft bewusst versucht, dies infragezustellen oder zu verneinen, besitzt er außerdem eine fundamentale Offenheit (lat.: potentia oboedientalis) gegenüber Gott, der in jeder individuellen historischen Situation zu ihm sprechen kann (vgl. Anthropologie 15.6–7). Die Gotteserkenntnis, die der übernatürlichen Offenbarung Gottes entspringt, setzt ihrerseits die natürliche Gotteserkenntnis voraus, die durch die menschliche Vernunft und die natürlichen Fähigkeiten des Menschen erreicht wird. Gottes gnadenvolle und frei geoffenbarte Mitteilung seiner selbst setzt nämlich voraus, dass der einzelne Mensch in seinem konkreten Wesen und seiner historischen Situation die Fähigkeit besitzt, sich als angesprochen zu erfahren, um Gottes Zeugnis entgegenzunehmen. Das bedeutet, dass der Mensch imstande sein muss, mit seinen natürlichen Fähigkeiten die Erkenntnis von Gottes Existenz und von Gottes Möglichkeit, sich ihm persönlich zu offenbaren, zu erreichen. Anderenfalls würde der Mensch nie annehmen, dass Gott im Zuge eines unerwarteten und verwirrenden innerweltlichen Geschehens überhaupt zu ihm sprechen könnte und dass Gott dadurch eine persönliche Beziehung zu ihm »aufbauen« möchte. Hätte ein Mensch überhaupt keine natürliche Gotteserkenntnis, könnte Gott sich ihm auch nicht offenbaren, weil bei diesem Menschen jedweder »Anknüpfungspunkt« für die übernatürliche Offenbarung fehlte. Wenn sich Gott mit seiner Offenbarung »quasi von außen« der menschlichen Person aufdrängte, würde er außerdem die Freiheit des Menschen aufheben. In einem solchen Fall würde Gottes offenbarendes Handeln nämlich seine eigene schaffende Wirksamkeit aufheben oder behindern. Die natürliche Gotteserkenntnis, die ihren Anfang in der geschaffenen Welt sowohl außerhalb als auch innerhalb des Menschen nimmt, und die durch Gottes Offenbarung vermittelte übernatürliche Gotteserkenntnis bedingen einander gegenseitig. Ebenso wie durch Gottes schaffendes Handeln die Selbständigkeit und Eigenaktivität des Menschen entsteht und wird, sodass das,

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was eine Wirkung innerweltlicher Zweitursachen ist, zugleich von Gott als Erstursache hervorgebracht wird, muss auch die übernatürliche Offenbarung als ein Resultat des Zusammenwirkens Gottes mit den innerweltlichen natürlichen Faktoren verstanden werden, mit materiellen Elementen, biologischen Triebkräften, der Vernunft und dem Willen des Menschen u.v.m. Daher braucht man nicht zu verneinen, dass Gott in diesem Fall auf eine »übernatürliche« persönliche Weise in der Weltgeschichte handelt. Auch wenn Gottes übernatürliche Offenbarung sich nur vor dem Hintergrund des interpretierenden Zugriffs des Menschen auf individuelle, verwirrende Ereignisse der Geschichte vollziehen kann, verhindert dies nicht, dass diese Offenbarung Gottes eigenes, persönliches »Zeugnis« oder »Wort« in der Geschichte des Menschengeschlechts ist. Gottes Zeugnis kann also in der Welt nur als das vom Menschen verstandene und akzeptierte Zeugnis vorkommen. 13.6

Gottes persönliches Werk in der Welt durch den freien Menschen

Der persönliche Gottesglaube des Menschen, d.h. die vertrauensvolle Beziehung zu Gott, die auf Gottes historischer Offenbarung seiner selbst beruht, ist nur möglich, wenn er sich nicht bloß auf Gottes äußeres, sondern auch auf Gottes inneres Zeugnis stützt. Gottes äußeres Zeugnis von sich selbst ereignet sich durch innerweltliche Geschehnisse, die für einen einzelnen Menschen ein klares Zeichen dafür darstellen, dass er keinem blinden Schicksal unterworfen ist, sondern letztlich von einer persönlichen Macht »berührt wird«, die ihn einlädt und in einem bestimmten Maße auffordert, sich ihr vertrauensvoll hinzugeben. Der Mensch als körperlich und zeitlich gebundene Person braucht solche äußeren Zeichen, um anfangen zu können, an Gott als liebevollen, persönlichen Partner zu glauben. Nicht einmal Gott in seiner Allmacht vermag diese Bedingung zu umgehen, weil Gott seine Liebe und persönliche Sorge um den Einzelnen und damit um das gesamte Menschengeschlecht nur dann offenbaren kann, wenn er sich dem freien Menschen durch solche äußeren Ausdrücke kundtut. Gleichzeitig bedarf der persönliche Gottesglaube des Menschen auch Gottes sogenannten inneren Zeugnisses, d.h. Gottes Mitwirkung an den eigenen Handlungen des Menschen und ihrer Ausrichtung entsprechend der Teilhabe des Menschen an der persönlichen Existenz und dem Leben des schaffenden Gottes. Der katholischen Theologie zufolge prägt diese Ausrichtung am göttlichen Leben in der gegenwärtigen Schöpfungsordnung gewiss alle Menschen und entspricht daher zugleich ihrer Natur, wie sie in unserer Welt verwirklicht ist. Diese Ausrichtung ist aber zugleich etwas, was kein Mensch fordern kann,

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sondern etwas, womit Gott ihn in seiner freien Gnade ausstattet. Diese »Gabe der Gnade« gestaltet die menschliche Natur um und verleiht ihr dadurch die Fähigkeit, in Gottes äußeren Zeugnissen seine historische Selbstoffenbarung als solche wiederzuerkennen und zu akzeptieren. Aufgrund dieser Synthese von Gottes äußeren und inneren Zeugnissen ist es dem einzelnen Menschen möglich, als freie Person die fundamentale Forderung, an Gott zu glauben, zu akzeptieren. Dieser Glaube besteht darin, dass der Einzelne sich vertrauensvoll Gottes Lenkung überlässt, d.h. dass er Gottes Willen an sich geschehen lässt, wodurch Gott als schaffende Erstursache zur Norm für das eigene Handeln wird. Da Gott sich nur mittelbar durch innerweltliche Ursachen offenbart, besteht seine Offenbarung nicht in einer speziellen Erscheinung, die sich vollkommen von allem Anderen unterscheidet. Nichts in der Welt kann nämlich mit Gott identifiziert oder ausschließlich auf Gott zurückgeführt werden, ohne dass etwas Geschaffenes damit verbunden ist, sodass man sogar mit Recht sagen kann, dass Gott nirgendwo in der Welt vorkommt. Auch die verwirrendsten Ereignisse können stets mit Hilfe der innerweltlichen Ursachen erklärt werden. Über den personalen Gott als freie, schaffende und sich offenbarende Erstursache hingegen kann der Mensch niemals verfügen oder ihn einplanen, wie es mit anderen Dingen in der Welt möglich ist. Dies entspricht der These vieler Mystiker und jener der negativen Theologie, dass Gott vor allem nicht als dieses oder jenes usw. erfahren wird, sondern stattdessen als das radikal Andere (Plotin, Dionysios Areopagita, Meister Eckhart, Nikolaus von Kues, Angelus Silesius, Böhme; bestimmte Formen des Buddhismus). Gottes »Nichtvorhandensein« in der konkreten Welt ermöglicht es dem Menschen, seine Existenz zu verneinen oder sich Gottes persönlicher Zusprache im Offenbarungsgeschehen zu entziehen. Auf diese Weise zwingt Gott den freien Menschen nicht, seinem schaffenden Willen zu folgen, weil er in einem solchen Fall die Freiheit des Menschen aufheben würde, die mit Gottes schaffendem Handeln gegeben ist. Wer aber Gottes Offenbarung frei akzeptiert, tritt in eine persönliche Beziehung und in eine Lebensgemeinschaft mit Gott ein, der dem Geschaffenen in dem Maße liebevoll sein Selbst mit-teilen möchte, in welchem es an Gott selbst teilhaben kann. Das freie Akzeptieren von Gottes Offenbarung im Glauben des Menschen bedeutet daher die Teilhabe an Gottes eigener schaffender Wirksamkeit. In dieser Mitwirkung mit dem Menschen führt Gott seinen eigenen Schöpfungsplan aus, der gemäß der These der Offenbarungstheologie in einer sündigen Welt mit Gottes Heilsplan identisch sein muss. Gottes schaffendes und heilbringendes Handeln in der Weltgeschichte geschieht nicht in Konkurrenz zum persönlichen, freien Handeln des Menschen im Hinblick auf seine eigene zukünftige

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Erfüllung und die der Welt. In seiner Vorsehung nutzt Gott stattdessen das freie »Ja« des Menschen, um dieses Ziel zu erreichen, was mithin die Teilhabe des einzelnen Menschen, des Menschengeschlechts und damit der gesamten Schöpfung an Gottes eigener Vollkommenheit zur Folge hat, insoweit diese an seiner Vollkommenheit teilhaben können. Je selbständiger und freier das geschaffene Wesen ist, mit dem Gott als schaffende Erstursache mitwirkt, desto unbehinderter und persönlicher kann Gott seine schaffende, offenbarende und heilsbringende Wirksamkeit in der Geschichte der Welt ausüben. Das bedeutet, dass Gott vor allem durch den Menschen frei in der Welt handelt und dass er durch die individuelle Freiheit des einzelnen Menschen am effektivsten in den Gang der Weltgeschichte »eingreift«, wenn auch nicht direkt erkennbar. Gott gestaltet also die Zukunft und das Schicksal des Menschengeschlechts und der Welt vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, durch die dem Menschen eigene Freiheit. Daher offenbart sich Gott am deutlichsten in der echten Liebe der Menschen zueinander. Zugleich kann Gottes Absicht, sich selbst dem Geschaffenen in dem Maße schaffend mitzu-teilen, in dem es an ihm teilhaben kann, durch die Weigerung einzelner Menschen sich gemäß Gottes Absicht und Willen schaffen zu lassen, verzögert und sogar verhindert werden, sodass sie nicht an ihm teilhaben. Somit kann der einzelne Mensch nicht nur seine eigene, sondern auch die zukünftige Vervollkommnung der gesamten Welt verhindern, wie diese »ursprünglich« von Gott beabsichtigt und gewollt war. Das Problem des Bösen kann der christlichen Theologie zufolge nur insofern gelöst werden, als sich Gott in seinem heilbringenden Handeln mit den mangelhaften Geschöpfen solidarisiert und damit trotz allem versucht, diese zu ihrer endgültigen Vollendung zu führen. 13.7

Gottes Unveränderlichkeit und seine Beziehung zum Geschaffenen

Gottes offenbarendes und heilbringendes Handeln in der menschlichen Geschichte scheint im Gegensatz zu Gottes ewiger Unveränderlichkeit zu stehen. Dies hat dazu geführt, dass man Gott zu einem möglicherweise interessierten, aber machtlosen Zuschauer der Geschichte der Menschheit (Deismus) oder zu einem allmächtigen Potentaten gemacht hat, durch den jede echte Geschichte unmöglich wird (Fatalismus, Prädestinationslehre). Dieses Problem wird nicht durch die Annahme gelöst, dass die geschaffene Welt eine wirkliche Beziehung (lat.: relatio realis) zu Gott hat, während Gottes Beziehung zum Geschaffenen bloß eine gedachte (lat.: relatio rationis) ist. Eine wirkliche Beziehung Gottes zur veränderlichen Welt scheint zwar seiner

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Absolutheit und Unveränderlichkeit zu widersprechen (Thomas von Aquin u.a.). Eine bloß gedachte Beziehung Gottes zum Geschaffenen bedeutet jedoch letztlich, dass Gott eigentlich keine Beziehung zur Welt hat. Natürlich muss Gottes Beziehung zur geschaffenen Welt gänzlich anders beschaffen sein als die Beziehung der geschaffenen Welt zu Gott. Dies aber ist bereits gegeben, wenn Gottes Verhältnis zum Geschaffenen nicht als eine kategoriale Beziehung verstanden wird, weil eine solche bloß etwas, was es bereits gibt, näher charakterisiert (vgl. Ontologie 6.7). Vielmehr muss Gottes Beziehung zum Geschaffenen eine grundlegende und konstituierende, überkategoriale Bestimmung von allem sein, was es in der geschaffenen Welt gibt. Eine solche transzendentale Beziehung hat mit der gegenseitigen Einheit im Sein bei solchen »(individuellen) Dingen« zu tun, welche sich aufgrund ihrer Weise zu sein voneinander unterscheiden. Obwohl diese transzendentale Beziehung im Grunde eine Vollkommenheit bedeutet, ist sie in der geschaffenen Welt immer mit einer Abhängigkeit verknüpft, weil sie auch mit der Unselbständigkeit zu tun hat, die es bei den sich voneinander unterscheidenden Seienden gibt. Gottes Verhältnis zur geschaffenen Welt bedeutet hingegen für Gott selbst nicht die geringste Abhängigkeit, weil es sich um eine einzigartige Beziehung handelt, die mit Gottes absolutem Wesen als Schöpfer von allem identisch ist. Weil alles, was es gibt, seine Existenz Gott verdankt, besteht kein Risiko, dass Gott von dem abhängig werden kann, was in seiner Entstehung und seinem Werden voll und ganz von Gott abhängig ist. Dennoch ist es für das abstrakte Denken des Menschen, durch welches er verschiedene Wirklichkeitsaspekte mittels unterschiedlicher Begriffe versteht, unbegreiflich, wie Gott mit seinem schaffenden, sich offenbarenden und heilbringenden Handeln in die sich verändernde Welt »eingreifen« kann, ohne sich selbst zu verändern.

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Die Geschichte der natürlichen Theologie In diesem Überblick über die Geschichte der natürlichen Theologie sollen nicht die Entstehung, die Entwicklung und die Kennzeichen einzelner Religionen oder der Religion selbst beschrieben werden, sondern das historische Ringen des Menschengeschlechts mit dem Gottes- und Theodizeeproblem sowie die philosophischen Begriffe und Theorien, mit denen man versucht hat, diese Fragen zu klären. 14.1

Die Religion des Menschen und sein Weg zu Gott

Die Archäologie und die Ethnologie haben zeigen können, dass die Menschen zu allen Zeiten und überall auf der Welt bestimmte Formen von Religion hatten. Zwar gibt es bei fast allen diesen Religionen animistische, magische und totemistische Auffassungen. Die Religionswissenschaften haben aber zeigen können, dass bei fast allen Religionen, und daher wahrscheinlich auch bei den ältesten Religionen, eine Form des Glaubens an einen höchsten Gott vorhanden war. Man verehrte ein höchstes Wesen als Ursache und Aufrechterhalter von allem, was oft als mit dem allumfassenden Himmel verbunden und als etwas angesehen wurde, das die Grundlage für das moralische und gesellschaftliche Leben des Menschengeschlechts darstellen kann. Diese Auffassungen scheinen aus einem allgemeinmenschlichen Staunen über die eigene Existenz sowie über den Grund und den Sinn des gesamten Daseins hervorzugehen. Bei den frühen Religionen wurden diese Gedanken nicht auf eine begrifflich-theoretische Weise, sondern mit Hilfe von Mythen und Symbolen ausgedrückt. Der Inhalt der Mythen wurde durch kultische Tänze, Schauspiel o.Ä. geschildert. Diesen uralten Mythen folgend nahm man eine Wirklichkeit jenseits der Sinne an, die gegenüber dem uns bekannten, endlichen und vergänglichen Dasein oft als viel wichtiger betrachtet wurde. In einer späteren Periode schien man umfassendere Theogonien und Kosmogonien entwickelt zu haben, in denen man von mythischen Vorstellungen erzählte, wie die gesamte bekannte Welt, aber auch die vielfältige göttliche Dimension in einem dynamischen Prozess entstanden sind. In diesen Theogonien und Kosmogonien veranschaulichte man die Ordnung, die nicht nur in der Welt, sondern auch zwischen der Welt und der göttlichen Sphäre herrscht.

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Die ursprünglichen mythologischen Erfahrungsreligionen des Menschen wurden während der 500 Jahre vor Christus sowohl im Osten als auch im Westen von umfassenden intellektuellen Spekulationen abgelöst, die von einem wachsenden Vertrauen in die Kraft der menschlichen Vernunft zeugen. Das bedeutet nicht, dass man mit einer theologischen Reflexion über den Inhalt der eigenen Religion begonnen hätte. Vielmehr versuchte man auf eine intellektuell besser vertretbare Weise, die anthropologischen und kosmologischen Rätsel des Daseins zu lösen. Das klassische chinesische Denken wurde nicht so sehr von kosmogonischen Mythen beeinflusst, in denen einem kosmischen Ordnungssystem ein irrationales Chaos gegenübergestellt wurde. Es zeichnete sich auch weniger durch ein Suchen nach letzten Wahrheiten aus, sondern versuchte vor allem, die Harmonie des praktischen Lebens bei den einzelnen Menschen und in der Gesellschaft zu fördern. Die stark ritualisierte Verehrung der Vorväter bei den älteren chinesischen Religionen führte unter Kong Fuzi (551 bis 479 v. Chr.) und anderen Konfuzianern zur Skepsis in Bezug auf die Existenz von Göttern. Innerhalb des Rahmens der naturalistischen Ying-Yang-Dualität betonte man den Himmel (chin.: tian), identifizierte ihn aber mit dem gesamten, geordneten Kosmos und sah ihn weniger als den Ursprung der Ordnung oder als eine abstrakte Ordnung im Kosmos an. Vor allem suchte man nach Regeln für das ethische, politische und kulturelle Leben und kümmerte sich kaum um deren letzte metaphysische Grundlagen. Die Gründer des Daoismus, Lao Zi (Anfang des 6. Jahrhunderts v. Chr.) in Dao-de-jing und Zhuang Zi (ca. 369 bis ca. 289 v. Chr.) u.a., knüpften hingegen die moralische Harmonie des Menschen (chin.: de) an die Ordnung des gesamten Kosmos. Die Yin-Yang-Dualität wurde durch den unveränderlichen geistigen Weg (chin.: dao) ergänzt, welcher sowohl als Grundlage für das Ergebnis aus Entstehung, Ordnung und Veränderung von allem als auch als eigentlicher Richtpunkt der ethischen Lebensführung des Menschen angesehen wurde. Auch wenn man innerhalb dieser beiden Richtungen der chinesischen Philosophie und Religion kaum von etwas Transzendentem ausgehen kann, was Existenz, Ordnung und Wirksamkeit von »Myriaden von Dingen« bestimmen soll, steht dem Daoismus zufolge das Dao selbst letztlich auf unfassbare Weise hinter allem, was sich näher am Nicht-Sein als am Sein befindet. Der ritualisierte Opferkult, bei dem es in der indischen Religion während der vedischen Zeit (1700 bis 600 v. Chr.) um eine einzige göttliche Dimension in der Gestalt vieler Götter ging (Polytheismus?, Henotheismus), führte dazu, dass die Einheit hinter der Vielheit mehr hervorgehoben wurde. Die pluralistischen Vorstellungen der Seele wurden durch den Gedanken von Atman als dem einheitlichen Prinzip der Seele in allem Lebenden ersetzt. Man stellte sich aber

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vor, dass das gesamte materielle, physische Universum von einem göttlichen, geistigen Dasein durchdrungen ist, welches in unterschiedlichen Göttern Gestalt annimmt. Diese eine, allumfassende Gottheit, die alles hervorbringt und sowohl in den einzelnen Göttern als auch im bewussten Atman der Menschen gegenwärtig ist, wurde während der Zeit der Upanishaden (1000 bis 200 v. Chr.) »Brahman« genannt. Brahman als das alles einende, absolute und geistige Grundprinzip ist sowohl dem gesamten Universum gegenüber transzendent als auch zugleich allem im Universum immanent. In den Upanishaden fehlt eine einheitliche Sicht auf Brahman. Daher wurde Brahman in den Schulen der Vedantaphilosophie, die die wichtigsten Denkrichtungen des Hindiusmus darstellen, manchmal mehr in einem theistischen Sinne, als die Ursache von allem aufgrund einer Art Emanation, und manchmal in einem eher pantheistischen Sinne als die eine Wirklichkeit von allem gedeutet. Besonders betont wird der mystische Weg, der die einzige Möglichkeit darstellt, im Bewusstsein eine Erkenntnis von Brahman zu gewinnen. Brahmans Rolle als Ursprung von allem und Gegenstand der Liebe der Menschen wird in den Volksreligionen und besonders in der Bhagavad Gita (ca. 200 v. Chr. bis ca. 200 n. Chr.) dargestellt, derzufolge Brahman seine Unendlichkeit opfert, um endlich werden und die Welt hervorbringen zu können. Gemäß Ramanuja († ca. 1137) kann Brahman in Analogie zu einem allumfassenden, eigenständigen Selbstbewusstsein verstanden werden, das das gesamte Universum als seinen Körper und die menschlichen Seelen als seine qualitativen Beschaffenheiten besitzt. Bei den sogenannten Advaita-Richtungen (Sanskrit: advaita = Nicht-Zweiheit; seit ca. 200 v. Chr.) wird besonders der absolute Einheitsaspekt bei Brahman als das Sein (Sanskrit: sat) und als das allumfassende Selbstbewusstsein hervorgehoben, von dem nichts positiv ausgesagt werden kann. Nicht nur das Atman des Menschen, sondern die gesamte Vielfalt der konkreten Dinge sind eigentlich identisch mit Brahman. Alle anderen Dinge über Brahman hinaus müssen gemäß Shankara (ca. 788 bis ca. 820 n. Chr.) als Traumbilder verstanden werden, in denen die Einheit von allem auf illusorische und verfälschend-scheinbare Weise (Sanskrit: maya) in eine Vielfalt zersplittert wird. Bereits während der Zeit der Upanishaden wandte sich Gautama (ca. 560 bis ca. 480 v. Chr.) sowohl gegen die indische Volksreligion als auch gegen die dem philosophischen Denken geläufige pantheistische Gottesauffassung. Innerhalb des von ihm initiierten »atheistischen« Buddhismus wird die Existenz der gesamten Welt, von Seelen, Göttern und Brahman, verneint. Jede Auffassung von Einheit, Selbständigkeit, Beständigkeit und Absolutheit wird als Illusion und als Grund allen Leidens betrachtet. Dieses Leiden ist eine Folge des vergeblichen Strebens, aus dem Nichts als ein konkretes, menschliches

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Individuum hervorzugehen. Dennoch akzeptiert auch der Buddhismus, dass das Dasein vom notwendigen Karmagesetz geleitet wird. Besonders Nagarjuna (ca. 150 bis ca. 200 n. Chr.) versuchte zu zeigen, dass es widersprüchlich ist, etwas Seiendes anzunehmen, und dass daher alles als bloße Leere und Nichtigkeit aufgefasst werden muss. Die Religion des Iran, die ursprünglich der indischen ähnelte, entwickelte sich aufgrund des Einflusses von Zarathustra (griech.: Zoroaster; ungefähr 550 v. Chr., vielleicht bereits etwa 1000 v. Chr.) in eine andere Richtung. Gemäß seiner Verkündigung in Gathas sind aus dem hohen Gott und dem Schöpfer von allem Ahura Mazda (Herr der Weisheit) und Spenta Mainyu (der heilige Geist) als das Prinzip des Guten und Angra Mainyu (der feindliche Geist) als das Prinzip des Bösen hervorgegangen. Indem der hohe Gott mit der Güte selbst identifiziert wurde, entstand ein extremer Dualismus, der von zwei nahezu gleichmächtigen Göttern ausging, d.h. von den zwei gleichermaßen ewigen Grundprinzipien des Guten und des Bösen. Gemäß dieser Sicht ist der böse Gott in unsere Welt eingedrungen, die eigentlich vom guten Gott geschaffen wurde. Man dachte zudem, dass sich die guten geistigen Seelen der Menschen in ihrem körperlichen Zustand in dieser vom Bösen beherrschten Welt befinden und sich ständig danach sehnen, aus ihr befreit zu werden. Einen ähnlichen Dualismus kennt die kanaanäische Religion, in welcher der Hauptgott El, der als der Schöpfer von allem betrachtet wird, Vater von mehreren »Gottessöhnen« wird, von welchen sich vor allem Baal (Herr), als der Vertreter der Fruchtbarkeit, des Lebens und der Güte, und die Chaosmächte Jam (das Meer) und Mot (der Tod) auszeichnen. Baal muss gegen Jam und Mot kämpfen und wird im ersten Zeitalter von Mot bezwungen, dann aber wieder zum Leben erweckt, und schließlich besiegt er Mot. In einem gewissen Gegensatz zu den orientalischen Religionen wurden im griechischen Denken die philosophischen Spekulationen der Vernunft schrittweise von den Mythen und Kulten der Volksreligion losgelöst. Zwar ging Hesiod (ca. 700 v. Chr.) in der Theogonie von kosmogonischen Mythen über den Sieg der Ordnung gegen das Chaos aus und verknüpfte sogar den Gedanken von der Entstehung der Götter mit diesen Erzählungen von der Entstehung von allem. Im Grunde aber versuchte er, die fundamentalen metaphysischen Fragen nach dem Wesen und dem Sein der gesamten Welt sowie aller konkreten Dinge auf eine bestimmte Weise zu beantworten. Im Gegensatz zum Polytheismus des Volkes aber ist die Gottheit gemäß Hesiod ein gestaltloser Geist, der sich selbst in etwas Anderes, auch in die einzelnen Götter verwandeln kann; zugleich hält die Gottheit jedoch das gesamte Universum mit allen Göttern und konkreten Dingen als eine einheitliche Ganzheit zusammen. Auf ähnliche

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Weise betrachtete die von Pythagoras von Samos (ca. 570 bis ca. 497 v. Chr.) initiierte pythagoreische Bewegung das gesamte Universum als einen einzigen göttlichen, lebenden Kosmos, der sich durch seine Ordnung, Harmonie und ewige Schönheit auszeichnet. In der antiken vorsokratischen Naturphilosophie wurde der Kosmos selbst als eine ewig seiende, harmonische Einheit betrachtet, die aus einer Vielfalt konkreter Dinge, Menschen und Götter besteht und zugleich als etwas Göttliches erfahren wird. Gemäß Thales von Milet (ca. 625 bis ca. 545 v. Chr.), Anaximenes († ca. 528 bis 525 v. Chr.) und Anaximander (ca. 610 bis ca. 546 v. Chr.) war der Urstoff (z.B. Wasser, Luft bzw. das Unendliche [griech.: apeiron]), der als Grundprinzip (griech.: arche) von allem in der Welt angesehen wurde, sowohl etwas Materielles als auch etwas Lebendiges und sogar etwas Göttliches. Bereits bei Anaximander, aber deutlicher bei Dionysios von Apollonia (4. Jh. v. Chr.) findet sich der Gedanke, dass der geordnete Verlauf der Natur von einem übermächtigen Geist gesteuert wird wie ein Schiff vom Kapitän und dass sich dieser überlegene Intellekt zum gesamten Universum verhält wie die Seele zum lebenden Organismus. Unter den Vorsokratikern war Xenophanes von Kolophon (ca. 570 bis ca. 470 v. Chr.) ein Kritiker der Volksreligionen. Deren verschiedene anthropomorphe Göttervorstellungen betrachtete er als illusorische Phantasieprodukte, in denen sich die Menschen nach ihrem eigenen Muster ein Bild von einem Gott geschaffen hatten. Er verneinte Gottes Existenz aber nicht, sondern ging von einem einzigen Gott als dem Höchsten aus, der durch sein Denken alles erschaffen kann. Es ist hingegen nicht sicher, inwiefern die Gottheit seiner Ansicht nach eine Art Weltseele darstellen soll, die den gesamten Kosmos zu einer lebendigen, bewussten und göttlichen Einheit macht. Der Kosmos, der laut Xenophanes eine einzige, allesumfassende, ewige und göttliche Einheit ist, ähnelt dem undifferenzierten und unveränderlichen, selbständigen Sein bei Parmenides (* ca. 515 v. Chr.), dem Gründer der eleatischen Schule. Seiner Position zufolge ist dieses Sein das Einzige, was es gibt, und daher identisch mit dem gesamten Weltall. Die Vielfalt von veränderlichen einzelnen Seienden in unserer Welt, die eine Mischung aus Sein und Nichts ist, stellt hingegen bloß ein Produkt unserer illusorischen Vorstellungen dar. Heraklit (ca. 540 bis ca. 480 v. Chr.) verneinte zwar das Vorkommen jeglicher selbständigen und dauerhaften Ganzheit in der Welt. Er gestand aber dennoch zu, dass das Feuer wie eine Art dynamischer Urstoff oder universelles Weltprinzip fungiert und dass der einende und ordnende Grund der Kosmosharmonie in einer Art Weltintellekt (griech.: logos) liegt. Auf ausdrücklichere Weise postulierte Anaxagoras (ca. 500 bis ca. 428 v. Chr.) die Existenz einer

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Art Weltvernunft (griech.: nous) als ein autonomes und in seiner Macht unbegrenztes »geistiges« Prinzip und als eine Art zielorientierte erste Ursache unseres gesamten wohlgeordneten Kosmos. Merkwürdigerweise akzeptierten auch solche Materialisten und Atomisten wie Leukipp (* ca. 480/470 v. Chr.) und Demokrit (ca. 460 bis ca. 380/370 v. Chr.) aus Atomen zusammengesetzte Götter als lebende, intelligente, materielle Dinge einer besonderen Art, die entstehen und vergehen. Ein eigentlicher Atheismus oder Agnostizismus in Bezug auf Gottes Existenz wurde hingegen zum ersten Mal ausdrücklich von bestimmten Sophisten wie z.B. Protagoras (ca. 485 bis ca. 415 v. Chr.) formuliert, demzufolge es für einen Menschen unmöglich ist, überhaupt eine objektive Erkenntnis zu gewinnen. 14.2

Die kosmozentrische Gottesauffassung der Griechen

Das Gerichtsverfahren gegen Sokrates (470/69 bis 399 v. Chr.) zeigt, wie leicht das philosophische Denken in Konflikt mit politischen Ambitionen und der institutionellen Religion geraten kann. Sokrates’ Suche nach der Klarheit des Gedankens, seine Konsequenz gegen den Relativismus der Sophisten und sein Versuch, andere zu einer moralischen Lebensführung zu inspirieren, weckte Widerstand (vgl. Platons Werke Apologie, Kriton, Gorgias, Protagoras). Während das Gericht Athens ihn der »Nicht-Religiosität« (griech.: asebeia) beschuldigte, berief er sich auf ein göttliches Orakel als Inspirationsquelle für sein Suchen nach Weisheit. Lieber ließ er sich zum Tod verurteilen, als der göttlichen Stimme seines Gewissens nicht zu folgen, der man Sokrates zufolge bei allen moralisch wichtigen Handlungen gehorchen muss, wenn der Mensch mit sich selbst in Harmonie leben möchte. In anderen Zusammenhängen argumentierte Sokrates auch, dass der gesetzmäßige Verlauf und die Ordnung der Natur ihren Grund in einem übermenschlichen Geist haben. Als Sokrates’ Schüler Platon (427 bis 347 v. Chr.) in seinen großen Werken der mittleren Periode – Phaidon 72e–77a, 99d–102a, Symposion 199c–212c, Politeia VI–VIII und Phaidros 247d–257b – seine Ideenlehre vertiefte, verband er sie mit eher metaphysisch-ontologischen Auffassungen und in gewissem Maße auch mit einer Gottesvorstellung. Jede Vielfalt von ähnlichen konkreten Dingen setzt nämlich voraus, dass es eine entsprechende selbständige, einheitliche Idee bzw. übergeordnete Vollkommenheit gibt, an der ein jedes der vielen konkreten Dinge teilhat. Eine solche Idee fungiert auch als wirksames und normierendes Urbild für alle konkreten Dinge. Jedes dieser Dinge bildet seinerseits in einem weniger vollkommenen Grad die Idee selbst ab, weil es auf stärker fehleranfällige Weise existiert als die Idee selbst. Die

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Ideen gehören nämlich einem von den weltlichen Dingen streng getrennten »Himmelreich« an. Sie stellen das wahre Sein dar, welches im Gegensatz zu allen sinnengebundenen, begrenzten und veränderlichen konkreten Seienden nicht mit dem Nichts vermischt ist. Die wahre Philosophie führt Schritt für Schritt von den für unsere Sinne zugänglichen schönen Dingen schließlich zum Schauen des Schönen an sich. Die Schönheit bzw. das Gute selbst (griech.: auto kalon kai agathon) sind an sich notwendig und unveränderlich und gehören daher zur geistigen Dimension der Wirklichkeit und nicht zur zufälligen und veränderlichen Welt. All die schönen Dinge in der Welt aber haben in einem bestimmten Grad an der Idee des Schönen oder des Guten teil, die in ihnen allen wirksam vorhanden ist. Die Idee des Guten ist zugleich die höchste Idee im Verhältnis zu den übrigen Ideen, die in ihrer normierenden Funktion an ihr teilhaben müssen. Die Idee des Guten erleuchtet die geistigen Ideen ähnlich wie die Sonne, die die körperliche Welt beleuchtet, und daher ist diese Idee der Gegenstand der höchsten Erkenntnis. Platon knüpft diese philosophischen Untersuchungen nicht ausdrücklich an die Religion oder an eine Form der Gottesauffassung. Das Wort »Theologie« wird in Politeia II, 375a–383c, bloß verwendet, um die symbolische Gottesauffassung der Mythendichtung zu kennzeichnen, welche nach Platon durch vernünftige Gedanken ersetzt werden muss. In Platons späteren Schriften Parmenides und Sophistes scheint der allgemeingültige Charakter der Ideenlehre für ihn selbst problematisch geworden zu sein. Er sah wohl, dass die frühere ontologische Ideenlehre nicht vollständig das logische Problem löst, wie jede begrenzte Vielfalt von konkreten Seienden ihren letzten Grund in einer Einheit haben und wie insbesondere die Vielfalt von Ideen eine Einheit untereinander darstellen kann. Aufgrund der Überlegungen der Eleaten rückt für Platon mehr die fundamentale Einheit der gesamten Wirklichkeit in den Mittelpunkt, und besonders das Problem, wie sich das Eine zum Anderen verhält, d.h. zur Vielfalt der konkreten Dinge und der Ideen. Gemäß Platons Timaios, 27c–52d, gibt es einerseits das immer Seiende, welches das einzige sichere Objekt für das Wissen ist, und andererseits das immer Werdende, welches das Objekt der Wahrnehmung ist. Die Gottheit wird als ein Werkmeister (Demiurg) beschrieben, der einen Kosmos mit mathematisch ausgewogener Harmonie hervorbringt, indem er die ebenso ewige wie chaotische Materie im Hinblick auf die ewigen Ideen ordnet, die als Urbilder für all das »Geschaffene« fungieren. Die dem Demiurgen eigene Güte erfordert, dass dieser Kosmos ihm ähnelt und die Welt daher als eine beseelte Ganzheit geschaffen wird, in der alles in der Einheit einer vernünftigen Weltseele (griech.: nous) zusammengehalten wird, die das wirksame und

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dynamisch ordnende Prinzip sowie der Grund für alles ist, was entsteht und sich in der körperlichen Welt entwickelt. Die Begrenzung, die Nichtigkeit und das Böse in der Welt müssen hingegen dem materiellen Prinzip zugeschrieben werden, das Bestandteil alles Endlichen ist. Aristoteles (384 bis 322 v. Chr.) veränderte den Ausgangspunkt seines Lehrers Platon erheblich, was Folgen für seine eigene Gottesauffassung hatte. Im Besonderen stellte er den dualistischen Zug der Ideenlehre infrage und ging bei seinem hylemorphistischen System von einer holistischeren Gesamtsicht aus. Er verneinte nicht, dass jede Vielheit, z.B. von konkreten Dingen, ein gemeinsames Wesen haben muss (griech.: ousia, eidos). Dieses aber kommt als einheitliche Form (griech.: morphe) im Ding, und nicht als abgetrenntes Seiendes vor. Daher muss die intellektuelle Erkenntnis des Menschen mit den Sinnen beginnen, aber die Formen, die der Intellekt von den Phänomenen abstrahiert, werden danach für sich selbst gedacht, ohne dass sie exakt der Wirklichkeit entsprechen müssen. Gewiss kann der Mensch eine sichere und wahre Erkenntnis dessen, was es gibt, gewinnen, die Weise aber, wie er sich das denkt, was es gibt, ist typisch menschlich. Außerdem muss das, was das Erste im Denken ist, das Letzte in der Ordnung des Seins sein, und umgekehrt. Da all das, wovon man wahrheitsgemäß prädizieren kann, dass es existiert, keine allumfassende, einheitliche Gattung darstellt, muss der Existenzausdruck in den verschiedenen Kategorien auf systematisch mehrdeutige Weise verwendet werden, sodass man von dem Seienden bloß in dem Maße sprechen kann, in dem es ist bzw. existiert (griech.: on he on). Daher ist die erste Philosophie laut Aristoteles in Ta metaphysika 4, 6 und 11 nicht bloß eine Lehre vom Sein an sich, sondern auch eine Lehre vom ontologisch ersten Seienden, im Verhältnis zu dem (griech: pros hen) man von allem Anderen sagen kann, dass es ist. Diese Lehre wird von Aristoteles auch als »theologische« Wissenschaft bezeichnet, auch wenn er wie Platon in anderen Zusammenhängen mit »Theologie« die Lehre der Mythendichtung meint. Dieses höchste Seiende ist in seiner selbständigen Weise zu existieren von nichts Anderem abhängig, wie es zugleich den unbedingten Grund für alles andere Existierende darstellt. Die besonderen Kennzeichen, die Aristoteles in Ta metaphysika 7–10 den gewöhnlichen »ersten Substanzen« (griech.: ousia prote) zuschreibt, ordnet er in Ta metaphysika 12 und Physike akroasis 8 auch diesem höchsten Seienden, das als eine Gottheit angesehen werden kann, zu, wenngleich auf eminente Weise. Es ist nämlich ganz und gar eins ohne Teile, es ist der reine Akt ohne jede Potentialität. Daher ähnelt es einer reinen Form ohne Materie und muss als ein nicht körpergebundener und nicht sinnengebundener, reiner Intellekt verstanden werden. Gäbe es keine »Substanz« mit diesen besonderen Kennzeichen, würde es die Vielfalt von

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materiellen, potentiellen Substanzen nicht geben, weil ihre Potentialität von etwas aktualisiert werden muss, was reiner Akt ist, sodass es zu keinem infiniten Regress kommen kann. Das höchste Seiende wird als letzter Grund für die Ordnung der Natur und der Welt benötigt. Als reiner Akt bringt das höchste Seiende aus der ewigen ersten Materie, welche als reine Potentialität gesehen werden muss, durch seine Wirksamkeit unseren Kosmos hervor. Selbst wenn Gott über keine Vorsehung oder Kenntnis der zukünftigen kontingenten Ereignisse verfügt, ist er dennoch als der »unbewegte Beweger« für die zielgerichtete Entwicklung des gesamten Kosmos notwendig. Weil dieses höchste Seiende als die reine Aktualität nicht veränderlich ist, kann es nicht den gesamten Kosmos so in Gang setzen und aufrechterhalten, als handelte es sich um eine gewöhnliche Wirkursache. Vielmehr muss alles in Liebe nach diesem höchsten Seienden streben, und es wird zur letzten Zweckursache jeder Bewegung im Kosmos, indem es alles an sich zieht. Im Besonderen hat Aristoteles dieses höchste Seiende als einen nicht körperlich gebundenen reinen Geist verstehen wollen (griech.: nous), der die Vernunft ist, die sich selbst denkt (griech.: noesis noeseos), weil es etwas Unvollkommenes wäre, wenn sich ihr Erkenntnisobjekt »außerhalb« seiner selbst befände. Daher muss sich Gott in seinen Erkenntnissen selbst denken, sodass das Erkenntnissubjekt und das Erkenntnisobjekt in Gott eine Einheit bilden. Gott muss auch als absolut frei angesehen werden, insofern er seine eigene Ursache ist. Das Interesse für die Empirie und der Einfluss von Demokrits materialistischer Atomtheorie führte bei Epikur von Samos (341 bis ca. 271 v. Chr.) und seinen Anhängern, speziell bei dem römischen Philosophen Lukrez (ca. 96 bis ca. 55 v. Chr.) in dem Lehrgedicht De rerum natura, V–VI, zu einer sehr eigenen Auffassung des Göttlichen. Weil man meinte, dass unsere Welt wie viele andere bloß eine zufällige Zusammenstellung von verschiedenen Atomen ist, kann ihr Grund nicht in einem göttlichen Demiurgen oder in einem göttlichen Intellekt liegen. Wenn es überhaupt Götter gibt, so sind sie glückliche und unsterbliche, anthropomorphe Wesen, die sich um unsere Welt weder kümmern können noch wollen, was sich am Vorhandensein des Bösen in der Welt zeigt. Folglich muss der Mensch die Götter und eine eventuelle Strafe oder den Tod durch sie eigentlich nicht fürchten. Dem von Zenon von Kition (ca. 333 bis ca. 262 v. Chr.) gegründeten und während des Hellenismus (ca. 300 v. Chr. bis ca. 200 n. Chr.) sehr einflussreichen Stoizismus nach war es für den Menschen entscheidend, in vollständiger Harmonie mit dem von der Weltseele der Gottheit (griech.: pneuma) beseelten Kosmos leben zu können, der vernunftmäßig (griech.: logos), einem zweckmäßigen Plan folgend geordnet ist. Dieser unpersönliche Weltgeist

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wird als eine Art allumfassender, lebender Materialstoff oder als eine universelle Lebenskraft aufgefasst. Die Materie selbst ist bloß eine Modifikation dieses Lebensgeistes, der alles im Kosmos durchdringt und ihn wie eine Art Weltvernunft mit absoluter Notwendigkeit lenkt, sodass vom Schicksal alles bis ins kleinste Detail mit vollkommener Zweckmäßigkeit vernünftig geordnet ist. Zwei Prinzipien konstituieren diesen Kosmos, nämlich die passive Materie (griech.: hyle) und der aktive, göttliche Weltgeist. Die Existenz der immanenten Gottheit wird oft mit Hilfe der vernünftigen Ordnung deduziert, welche im gesamten Weltall herrscht. Die negativen und schlechten Seiten des Universums werden hingegen als illusorische Nebeneffekte oder als unausweichliche Konsequenzen der bestmöglichen Ordnung wegerklärt. Nach 100 v. Chr. wurde eine spezielle Form des Platonismus zur wichtigsten Denkrichtung im Römischen Reich, die besonders von Platons späteren Schriften ausging. Man folgte dem Dualismus Platons insofern, als man in dem unveränderlichen und zeitlosen göttlichen Einen das aktive Grundprinzip des gesamten Kosmos sah. Dieses erste Prinzip wurde eng mit einer Weltseele (vgl. Platons Timaios) oder auch mit einer Art Intellekt (griech.: nous, logos; vgl. Aristoteles, Stoiker) verbunden gedacht, wobei diese zugleich zwischen dem transzendenten Einen und der Materie als dem zweiten, gänzlich passiven Grundprinzip im Kosmos vermittelt. Durch den göttlichen Intellekt, der manchmal als ein untergeordneter Schöpfer (Demiurg) an der Seite des All-Einen aufgefasst wird, wird alles Andere den Ideen gemäß gestaltet, die oft als Gottes Gedanken aufgefasst werden. Die Materie stellt den letzten Grund für die Vielfalt der veränderlichen, konkreten Dinge in der Welt dar, die durch eine Art Abfallen vom wahren Sein zustandegekommen sind, so dachte man. Trotz seiner Vorliebe für die platonischen Skeptiker akzeptierte Marcus Tullius Cicero (106 bis 43 v. Chr.) in De natura deorum, De divinatione und De fato in einer Art natürlichen Theologie dennoch mehrere Argumente für die Existenz einer Gottheit, zugleich kritisierte er jedoch die Ansicht der Epikureer und Stoiker bezüglich des Göttlichen. Für ihn war es wichtig, die Bedeutung der Götter für die Natur und für das individuelle und soziale Leben der Menschen hervorzuheben. Wie die Stoiker nahm er an, dass die natürliche Welt ein intellektuell fassbarer und von einer Gottheit geordneter Kosmos ist, der die eigentliche Norm für die menschliche, gerechte Gesetzgebung darstellt. Bei Cicero findet man Ansätze von unterschiedlichen Gottesbeweisen, ausgehend z.B. von der übereinstimmenden Überzeugung der Völker oder von der vernunftgemäßen Ordnung aller Dinge. Gegen die Epikureer und Stoiker verteidigte er den freien Willen des Menschen und die damit verbundene Verantwortung.

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Einen großen Einfluss auf die spätere natürliche Gotteslehre und auf die christliche Theologie und Mystik übte der Neuplatonismus aus, welcher besonders von Plotin (ca. 205–270) in den Enneaden, ausgehend von den Überlegungen des späten Platon über das Verhältnis zwischen Einheit und Vielheit, entwickelt wurde. Das Eine (griech.: to hen) stellt man sich als das einfache absolute Gute und damit als den göttlichen Grund für alles Andere vor. Es wird nicht viel über das Eine an sich gesagt, weil es als etwas Unaussprechliches und Unbegreifliches angesehen wird, das zu etwas Zusammengesetztem und zu einer Vielheit werden würde, wenn man etwas Anderes, Positives darüber aussagen oder sein Wesen begreifen würde. Es ist sogar unangebracht zu sagen, dass das Eine »ist« und dass es »eines« ist, weil solche Ausdrücke etwas Existierendes beschreiben, das mit sich selbst eins ist, und nicht etwas, das der absolute einfache Grund für alles ist, was eins ist. Das Eine ist außerdem sein eigener Grund (griech.: aition heautou; lat.: causa sui), und es ist frei, weil es sich selbst so will, wie es ist, und weil es so existiert, wie es sich selbst will. Aus dem Einen geht Plotin zufolge zuerst die Vernunft (griech.: nous) und anschließend die Seele (griech.: psyche) hervor. Beide haben mit dem Einen gemein, dass sie »Hypostasen« genannt werden, auch wenn sie in Beziehung zu dem Einen bereits das Andere sind. Sie stellen die grundlegenden, ewigen Prinzipien von allem (griech.: archai) dar, weil alles Andere in seiner Existenzweise aus ihnen hervorgeht und von ihnen abhängig ist. Die Vernunft ist gewissermaßen die geistige Grundlage des Einen in den unveränderlichen ewigen Ideen. Die Vernunft geht als eine Art geistiges Ganzheitsprinzip in alles Andere ein und macht es zu etwas vernunftmäßig Fassbarem und im Falle des Menschen zu einer vernunftgemäß handelnden Einheit. Die Seele hingegen bringt als das Lebensprinzip und als ein »Bild der Ewigkeit« sukzessive die gesamte, zeitlich veränderliche und räumlich sinnengebundene Welt hervor. Als eine Art Weltseele ist sie in allem zugleich dynamisch wirksam. Jede tiefere Wirklichkeitsschicht »geht« aus einer höheren Schicht »hervor« oder wird von ihr »hervorgebracht«, wie die Sonne Licht oder das Feuer Wärme ausstrahlen. Plotins Begriff »sich verströmen« (lat.: emanare) darf nicht so verstanden werden, dass das All-Eine sich selbst ausbreitet, weil die Ursache selbst in diesem Prozess weder beeinflusst werden noch etwas verlieren darf. Die tiefere Schicht hat vielmehr an der höheren Schicht teil (lat.: participare), während diese eine Art Modell (griech.: paradeigma) oder Urbild (griech.: eikon, eidolon) für die tiefere Schicht darstellt, die wiederum als Abbild angesehen werden kann. Die räumlich zersplitterte Welt kann gemäß Plotin aber nur aufgrund eines weiteren Prinzips entstehen, nämlich der Materie. Die Materie stellt als Gegensatz zum Einen die absolute Vielheit dar und muss

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als ein Mangel an Sein bzw. als Nicht-Sein (griech.: me on), als Mangel an Intelligibilität bzw. als Falschheit und als Mangel an Güte bzw. als das Böse verstanden werden. Jede Aktivität in der Wirklichkeit, abgesehen von der inneren Aktivität des Einen, ist eine Form des Denkens, das in seiner höchsten Gestalt eine Art schauende Kontemplation darstellt (griech.: theoria, noesis). Auf diese Weise wird derjenige, der eine Erkenntnis hat, eins mit dem, wovon er die Erkenntnis hat, sodass bei der höchsten Erkenntnis eine vollkommene Einheit entsteht, eine »Illumination«. Der Herausgeber von Plotins Schriften und Gegner der neuen christlichen Lehre Porphyrios (ca. 233 bis ca. 305) versuchte in der Eisagoge und seinen Kommentaren zu Aristoteles’ logischen Schriften seine Kenntnis von Aristoteles zu vertiefen und außerdem Plotins oft nur schwer fassliche Gedanken mit Hilfe von Aristoteles’ klarerer Sprache zu verdeutlichen. Sein Interesse für Logik, Metaphysik und andere Bereiche hatte seinen Grund in der neuplatonischen Überzeugung, dass die Aktivität des reinen Intellekts zum wahren Wesen der Wirklichkeit führt, d.h. zu dem all-einen Gott, dessen Existenzgrund in ihm selbst liegt und von dem alles Andere abhängt. Iamblichos (ca. 242–330) führte über dem Einen, das die Ursache von allem und damit an das Andere gebunden ist, eine noch höhere transzendente Einheit ein. Diese ist unaussprechlich, unbegreiflich und kann durch das Nachdenken des Intellekts nicht erreicht werden, allerdings ist es möglich, sich aufgrund einer göttlichen Fähigkeit, die es in jedem Individuum gibt, mit ihr zu vereinen. Dies erfordert eine »Theosophie«, d.h. eine höhere Weisheit von Gottes Mysterium durch mystische Intuition, um eine Erkenntnis des Göttlichen zu gewinnen. Der Neuplatoniker Proklos (412–485) folgt in In Platonis rem publicam commentarii, Theologia Platonica, Institutio theologica, In Platonis Parmenidem, In Platonis Timaeum commentaria, De decem dubitationibus circa providentiam, De providentia et fato und De malorum subsistentia in groben Zügen Plotins Denkweise, aber er spricht betont vom Einen als Gott. Weil nichts größer als das All-Eine sein kann, ist Gott die höchste Form von Einheit und damit ganz einfach Gott, während Platons Demiurg, welcher der intelligente Ursprung der gesamten Weltordnung ist, bloß ein Gott ist. Gott selbst als das höchste Eine muss unaussprechlich und unbegreifbar sein, da jede begriffliche Bestimmung, die etwas von Gott prädiziert, eine Zusammensetzung im Einen darstellen würde. Weil aber alles Andere, auch die niedrigsten materiellen Elemente, Einheiten in sich selbst sind, liegt ein Funke des Einen in all diesem Anderen, was dadurch an dem Einen teilhat (partizipiert). So kann das Eine dennoch erreicht werden, indem sich nämlich einzelne Dinge, ausgehend von ihrer inneren Einheit, in mystischen Akten durch eine Art Glauben an das Eine binden.

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Nach Proklos kann man dennoch von Gottes besonderer Position in der ontologischen Ordnung und von Gottes Beziehung zu allem Anderen sprechen. Gott kann nämlich auch mit der Vernunft erreicht werden, indem man entweder in einer »Theologie« mit Hilfe von Negationen alle Beschaffenheiten von Gott entfernt oder indem man ein analoges Verständnis der besonderen Charakteristika des Einen aufgrund seiner Wirkungen in der Welt gewinnt. Da das Eine alle anderen Seienden transzendiert, kann Gott auch als »(etwas) nicht Seiendes« im Sinne von »(etwas) Seiendes vor allem Seienden« angesehen werden. Im Verhältnis zum in seiner Macht absolut unbegrenzten Einen ist alles Andere eine begrenzte Einheit und gehört für gewöhnlich zu einer Vielheit. Das unbegrenzte Eine und die Grenze sind die Prinzipien, aus denen die verschiedenen Schichten des Seins aufgrund der Vorsehung des Einen sukzessive hervorgebracht werden, d.h. aufgrund der Aktivität, die allen einzelnen Seienden ihre Einheit verleiht. Zugleich ist dieses Eine auch das höchste Gute, d.h. die Vollkommenheit, die in unterschiedlichen Graden abgebildet wird und nach der alles strebt, auch die Materie. Daher kann das Böse nichts Absolutes und Selbständiges sein oder zu einer der verschiedenen Schichten des Seins gehören. Das Böse gibt es »über den totalen Mangel an Sein hinaus«, und es kann nur etwas Ausgedachtes sein, das von der Wirklichkeit zehrt. 14.3

Die monotheistischen Religionen und die natürliche Theologie

Im Gegensatz zur stark kosmozentrischen Ausrichtung der griechischen Philosophie entwickelte sich in den israelitischen Religionen eine eher personalistische und theozentrische Glaubensüberzeugung. Gott wurde nämlich weniger als ein kosmischer Faktor und als Ursprung von allem angesehen, sondern vielmehr als eine personale Macht, die in einer historischen Situation eine konkrete Beziehung nicht nur zum Volk Israel, sondern auch zu einzelnen Menschen wie Abraham, Moses, David u.a. unterhält. Obwohl Gott in den biblischen Schöpfungsgeschichten 1 Mose 1–2 (entstanden etwa 8. Jh. bzw. 4. Jh. v. Chr.) als Schöpfer des Menschengeschlechts und der gesamten Welt beschrieben wird, spielt der eigentliche Schöpfungsgedanke im religiösen Denken der Israeliten keine größere Rolle. Während der vielen Jahrhunderte der israelitischen und jüdischen Geschichte aber veränderte sich auch das Gottesbild. Nach den älteren biblischen Texten aus dem 8. Jahrhundert etwa formt Gott die ersten Menschen »mit eigenen Händen« aus Stoffen der Erde, pflegt direkten Umgang mit ihnen (vgl. 1 Mose 2,4b–3,24) sowie ihren Nachkommen (vgl. z.B. 1 Mose 18) und

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wandert zusammen mit dem Volk Israel in das gelobte Land, wo er sich im Tempel von Jerusalem niederlässt. Nach späteren Texten aus dem vierten Jahrhundert etwa wohnt Gott im Himmel, schafft durch bloße Befehle in sechs Tagen eine durch und durch gute Welt mit allem in ihr und besonders mit dem Menschen als seinem Abbild bzw. Spiegelbild (vgl. 1 Mose 1,1–2,4a). Gott tritt in dieser Welt und in der Geschichte der Menschen höchstens durch seine mitteilenden Engel oder durch sein Wort auf. Er wird vor allem als der persönliche Erlöser der Israeliten verstanden, der Moses in Zusammenhang mit ihrer Befreiung aus Ägyptens »Sklaverei« seinen Namen »Ich bin« offenbart (vgl. 2 Mose 3,1–14), gleichzeitig aber verbietet, diesen Namen zu missbrauchen sowie sich ein Bild von ihm zu machen (vgl. 2 Mose 20,1–7). Vor allem in den späteren Prophetenkreisen wird Gottes absolute Einheit und Transzendenz hervorgehoben, die ihn als den universellen Schöpfer und den souverän Handelnden in der Geschichte des Judentums und aller Völker beschreiben (vgl. Jes 40–45). Die Zerstreuung der Juden nach dem Exil über den Nahen Osten und das Mittelmeer mit seinem teils iranisch, teils griechisch beeinflussten Denken hatte etwa vom dritten Jahrhundert v. Chr. an Konsequenzen für das frühere Gottesbild der israelitischen Religion. Die griechisch geschriebenen deuterokanonischen Schriften der Bibel und die jüdisch-apokalyptische Literatur um Jesu Geburt herum zeugen von Einflüssen aus dem Iran. Zum Teil schwächten sie den früheren Monotheismus ab, weil sie einerseits von einem umfassenden Glauben an gute und böse Geistermächte und von einem ausgeprägten Dualismus zwischen der von bösen Mächten beherrschten endlichen Welt und andererseits von Gottes ewiger, überhistorischer, durch und durch guter Dimension ausgingen. Von der griechischen Philosophie wurden bestimmte ontologische und kosmologische Gedanken übernommen, was sich z.B. darin zeigt, dass die griechische Septuaginta-Übersetzung der Bibel (abgeschlossen um 150 v. Chr.) den hebräischen Gottesnamen »Ich bin, der ich bin« (2 Mose 3,14) mit »Ich bin der Seiende« (griech.: ego eimi ho on) wiedergibt, was das Sein deutlicher hervorhebt. Platonische und stoische Gedanken beeinflussten auch die spätere Weisheitsliteratur, z.B. in Salomons Weisheit (ca. 100 v. Chr. bis 50 n. Chr.), dergemäß die Weisheit selbst (griech.: sophia) eine persönliche Macht ist, die nach Gottes Willen den gesamten Kosmos ordnet, und der Mensch aufgrund alles Schönen in der Welt mit seiner natürlichen Vernunft Erkenntnis von Gott als Grundlage und »Bild« jeder Schönheit erlangen kann (vgl. Weish 13,1–9). Unter griechischem Einfluss konnte man schließlich sagen, dass Gott die gesamte Welt und das Menschengeschlecht »nicht aus dem Seienden« (griech.: ouk ex onton), d.h. nicht aus etwas, was

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es gibt (2 Makk 7,28), schuf. Dies wurde später mit einer »Schöpfung aus dem Nichts« (lat.: creatio ex nihilo) gleichgesetzt. Um das Verhältnis der jüdischen Religion zur Philosophie ihrer Zeit, besonders zu den Gedanken des Platonismus und der Stoiker, und zu anderen Religionen zu klären, bemühte sich Philo von Alexandrien (ca. 25 v. Chr. bis ca. 40 n. Chr.) in Peri pronoias, Peri ton metonomazomenon, Nomon hieron allegorias, Hoti atrepton to theion und Peri tes kata Moysea kosmopoiias zu zeigen, wie sehr gerade die biblischen Schriften und die jüdischen Glaubensüberzeugungen mit der griechischen Forderung nach Vernunftentsprechung übereinstimmen. Um die anthropomorphe Rede der Bibel von Gott zu vermeiden, geht Philon von dem Ausdruck »Ich bin, der ich bin« (vgl. 2 Mose 3,14) aus und beschreibt Gott manchmal in personalistischen Begriffen als »der, der ist«, manchmal aber auch rein ontologisch als »das, was ist«, besonders wenn er Gott als das wahre Sein oder auch als das Eine oder das Gute sieht. Er unterscheidet zwischen Gottes Existenz, von welcher der Mensch mit seinem natürlichen Intellekt sichere Erkenntnis gewinnen kann (natürliche Theologie), und Gottes Wesen. Dieses ist aufgrund von Gottes totaler Transzendenz für den menschlichen Intellekt unzugänglich (negative Theologie), was zur Folge hat, dass Gott weder benannt noch beschrieben werden kann. Vom transzendenten Gott unterscheidet Philon dessen Wort bzw. Vernunft (griech.: logos), die zwar zu Gott gehört, zugleich aber als eine Art vermittelnder Demiurg dient, durch den Gott alles aus der ursprünglichen Materie schafft. Dieser Logos, der in sich alle Urbilder für die Schöpfung enthält, besteht als ein transzendenter Aspekt Gottes, wird aber zugleich als eine Art in sich selbst existierende (subsistierende) Weltseele betrachtet, die allem Geschaffenen als vernunftbezogener Aspekt immanent ist. Weil die Zeit damit beginnt, dass der Kosmos einen Anfang hat, wird alles im Kosmos gleichzeitig geschaffen, geordnet und von Gottes guter und wohlwollender Vorsehung gelenkt, während die Weisheit (griech.: sophia), Güte, Souveränität und der Geist (griech.: pneuma) als unabhängige Aspekte bei Gott und als vermittelnde Instanzen zwischen Gott und der Schöpfung betrachtet werden. Das im ersten Jahrhundert n. Chr. aus der jüdischen Religion erwachsende Christentum muss sich bald sowohl vom Judentum als auch von der heidnischen Religiosität abgrenzen. Christliche Verkünder, die das Heilswerk Jesu Christi in der hellenistischen Welt verdeutlichen wollen, müssen vom griechischen Denken ihrer Zeit ausgehen. Man konnte zu dieser Zeit nicht auf die Bibel verweisen, weil zu diesem frühen Zeitpunkt unklar war, was zum Alten Testament gezählt werden soll, während Schriften des Neuen Testaments noch verfasst wurden. Wenn der Apostel Paulus vor dem Areopag in

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Athen (Apg 17,22–34) und in seinen Briefen (z.B. Röm 1,18–32) seine Sicht auf die Bedeutung des christlichen Glaubens auch für Nicht-Juden darlegt, geht er davon aus, dass alle Menschen mittels ihrer natürlichen Vernunft Erkenntnis von Gott gewinnen können. Laut den Paulus-Briefen (Kol 1,15–23, Eph 1,3–10, Hebr 1,1–4) und besonders laut Johannes (Joh 1,1–18, 1 Joh 4,7–16) hat niemand Gott jemals gesehen. Gott tritt aber sinnlich und erfahrbar in unsere Welt ein, nicht nur in der Liebe der Menschen zueinander, sondern vor allem in Gottes präexistentem, wenngleich menschgewordenem Wort (griech.: logos). Gott zeigt sich nämlich im historischen Menschen Jesus von Nazareth, der ein Abbild des unsichtbaren Gottes ist und durch den Gott alles schafft, das sündige Menschengeschlecht erlöst und schließlich alles mit sich selbst vereinigt. Die ersten Christen waren außerdem davon überzeugt, dass Gottes eigener dynamischer Geist (griech.: pneuma) in der christlichen Kirche anwesend ist und sie durch die Geschichte führt (vgl. Apg 1,6–8). Diese biblischen Texte wurden zur Grundlage für die spätere christliche Theologie und Philosophie, auch wenn das Wort »Theologie« zunächst nicht mehr verwendet wird. Während des ersten Jahrhunderts n. Chr. waren es vor allem die bekehrten Heiden mit einer umfassenden Ausbildung in griechischer Philosophie, welche die Vernunftentsprechung des christlichen Glaubens gegen die sie umgebende hellenistische Kultur verteidigten. Für die spätere christliche Theologie war es wegweisend, dass diese frühen Kirchenväter wie Marcianus Aristides (ca. 140), Flavius Justinus (ca. 110–165) u.a. einerseits auf die Eigenart des christlichen Glaubens als höchster Form von »Weisheit« (griech.: sophia) achteten, andererseits aber versuchten, die christliche Religion mit dem philosophischen Denken ihrer Zeit zu vereinen. Sie nahmen an, dass sich der christliche Glaube und das vernünftige Denken der Philosophen durch Gottes Logos vereinigen lassen, der einerseits Gottes Mysterien der christlichen Gemeinschaft offenbart und andererseits überall als das »Samen verspritzende vernünftige Denken bzw. Wort« (griech.: logos spermatikos) wirksam ist. Daher zeugt die gemeinsame Erkenntnis aller Völker von Gottes Existenz und die sublime Erkenntnis der heidnischen Philosophen davon, dass es den einen, geistigen, ewigen Weltengrund gibt, der ein persönlicher Schöpfer und Ordner des gesamten Kosmos ist. Besonders unter Platons Einfluss entwickelte sich eine offenbar dualistische Sicht auf das Verhältnis zwischen der geistigen, ewigen, göttlichen Dimension und der materiellen, zeitlichen Welt, die aus dem Nichts geschaffen wird. Sehr früh wurde das Christentum auch von solchen Denkrichtungen beeinflusst, die ihre Wurzeln in anderen Religionen oder philosophischen Systemen haben und von den führenden Theologen der Kirche nicht als Vertreter des wahren christlichen Glaubens angesehen werden. Dazu gehört besonders der

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Gnostizismus (ca. 0 bis 300 n. Chr.), der als eine Verschmelzung griechischer, iranischer und jüdischer Auffassungen sowie solcher des von dem Perser Mani (ca. 216 bis ca. 276) gegründeten Manichäismus gesehen werden kann. Diese zeichneten sich durch eine extrem dualistische Sicht auf das Dasein aus, dergemäß zwischen der guten, geistigen und göttlichen Sphäre und der bösen, materiellen und körperlichen Welt ein totaler Gegensatz herrscht. Die Welt wurde nicht von dem guten Gott geschaffen, sondern von einem bösen Demiurgen in Gang gesetzt, der aufgrund seines Stolzes und seiner Neugierde vom guten Gott abgefallen war. Daher kann man, um eine vernünftige Gotteserkenntnis zu gewinnen, nicht einfach von dieser bösen, geschaffenen Welt ausgehen, sondern es muss die göttliche Vernunft (griech.: logos) in der Welt oder Gottes Geist (griech.: pneuma) hinzukommen, die bzw. der die Menschen befreit und ihnen die wahre Erkenntnis (griech.: gnosis) oder Weisheit (griech.: sophia) verleiht. Die Seelen der Menschen beinhalten noch immer etwas von dem ursprünglichen Guten, auch wenn sie nun in ihren bösen Körpern gefangen sind. Sie können aber durch die Verachtung des Körpers sowie alles Weltlichen, und indem sie sich an eine »esoterische«, mystische Erkenntnis, d.h. an eine Art Gottesweisheit (griech.: theosophia) halten, von der bösen körperlichen Welt befreit werden, sodass sie schließlich vom Körper erlöst werden und ein ewiges, seliges Dasein bei Gott erreichen können. Gegen das dualistische Denken der Gnostiker und Manichäer wurde die jüdisch-christliche Auffassung, dass ein einziger Gott eine durch und durch gute Welt geschaffen hat, von christlichen Theologen wie den Kirchenvätern Irenäus (ca. 130 bis ca. 202) in Adversus haereses und Tertullian (ca. 160 bis ca. 220) in De testimonio animae und Apologeticum im Westen sowie Clemens von Alexandria (ca. 150 bis ca. 215) in Protreptikos pros Hellenas, Paidagogos und Stromateis und Origenes (ca. 185 bis ca. 254) in Peri archon im Osten verteidigt. Gegen die mythisch-religiösen Auffassungen der Häretiker wurde das Bekenntnis zur christlichen Lehre des dreieinigen Gottes als souveränem Schöpfer der gesamten Welt und von Jesus Christus als Erlöser der Menschen behauptet. Man war davon überzeugt, dass der Mensch mit seiner natürlichen Vernunft vermittels einer Erleuchtung durch den bei der Schöpfung anwesenden göttlichen Geist eine natürliche Gotteserkenntnis gewinnen kann, die notwendig ist, damit er sich auch der höchsten Form der Erkenntnis bzw. Weisheit (griech.: gnosis, sophia) öffnen kann, die in der christlichen Offenbarung vorliegt und im Glauben entgegengenommen werden muss. Bereits im aufrichtigen Suchen der Philosophen nach der Wahrheit beginnt die Religion, die von Gottes Wort bestimmt ist (griech.: logos), während das Risiko des Abfallens von der »natürlichen Religion« nur in der Irrationalität einzelner Menschen und der Blindheit gegenüber der geoffenbarten Wahrheit besteht.

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Dies bezeugt das Vorhandensein der Gottesidee bei allen Völkern, aber speziell die Gotteserkenntnis Platons und anderer Philosophen, welche ohne Gottes direkte Offenbarung erreicht wurde. Nur Tertullian bezweifelte die natürliche Fähigkeit des Menschen, eine echte Gotteserkenntnis erreichen zu können. Man nahm an, dass das Böse in dieser von Gott geschaffenen, durch und durch guten Welt daher kommt, dass Gott auch bewusste und freie Wesen geschaffen hat, die mit Gott mitwirken, sich aber auch weigern können, Gottes Willen zu folgen. Unter diesen gibt es Engel, die aufgrund ihrer Weigerung in Teufel verwandelt wurden, Origenes zufolge aber auch Seelen, die nach ihrem Widerstand zu einem schlechteren Dasein in der materiellen Welt verurteilt wurden, und die ersten Menschen, deren Sünde verhängnisvolle Folgen für das gesamte Menschengeschlecht hatte (Irenäus). Trotzdem kümmert sich Gott um die Menschen und die Welt bzw. versucht, sie durch Jesus Christus zu erlösen sowie mit der gesamten Weltgeschichte seinen Plan zu verwirklichen, wobei Gott auch das Böse als ein Mittel nutzen kann, um das Gute zu erreichen. Der Versuch der Theologie, die Mysterien des christlichen Glaubens so zu formulieren, dass diese von zeitgenössischen, gebildeten Menschen akzeptiert werden konnten, wurde in der Ostkirche durch die kappadokischen Väter Gregor von Nazianz (ca. 325 bis ca. 390), Basilius von Caesarea (ca. 330–379) und Gregor von Nyssa (ca. 335 bis ca. 390) unternommen. Sie waren sowohl von Origenes’ platonischem Denken als auch von Plotins Neuplatonismus beeinflusst. Der Gedanke an die Unaussprechlichkeit des unendlichen und transzendenten Gottes wurde betont, demgemäß Gottvater als fern jeglicher begrifflicher Prädikationsmöglichkeiten angesehen wurde. Gottes inneres Mysterium ist aber durch den Logos Gottes und den Sohn geoffenbart worden, welcher in Jesus von Nazareth Mensch geworden ist, sowie durch den Geist Gottes, der dritten Person in Gott, die im Menschen wirkt und ihn dazu befähigt, in Liebe eine Art mystischer Erkenntnis von dem transzendenten Gott zu erreichen. Diese theologische Sicht hatte zur Folge, dass die christliche Mystik manchmal die relative, zeitliche Welt in einen nahezu unüberwindbaren Gegensatz zur absoluten, ewigen, göttlichen Dimension setzte. Es wurde angenommen, dass diese dem Menschen nur mittels einer intuitiven Anschauung oder seiner von Gottes Geist inspirierten Vernunft zugänglich ist. Deutlicher tritt die negative Theologie bei einem syrischen Mönch (ca. 500) in Peri theion onomaton, Peri tes ouranias hierarchias, Peri tes ekklesiastikes hierarchias und Peri mystikes theologias hervor. Diese stark neuplatonisch beeinflussten Texte, die Paulus’ Schüler Dionysios Areopagita (vgl. Apg. 17,34) zugeschrieben werden, hatten einen großen Einfluss auf die christliche Mystik sowie auf die Theologie und Philosophie des Mittelalters. In den Texten wird

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die absolute Transzendenz des unendlichen und vollkommenen Seins betont, das in sich selbst nicht begreifbar und daher namenlos und unaussprechlich ist. Aber auch wenn man diesem höchsten Seienden nur mit Hilfe von Negationen Prädikate zuordnen kann (apophatische Theologie), ist auch eine positive Prädikation möglich (kataphatische Theologie), weil Gott als letzte Ursache von allem in allem anwesend ist und daher als der »Vielnamige« (griech.: polyonymos) bezeichnet wird. Da Gott aber sowohl alle negativen als auch alle positiven Bestimmungen (griech: hyperonymos) transzendiert, kann der Mensch sich mit ihm eigentlich nur im »mystischen Dunkel der Unwissenheit« fern aller Begreifbarkeit und Aussprechbarkeit13 vereinen (mystische Theologie). Alle verschiedenen Seienden in diesem gesamten, hierarchisch geordneten Universum, das von Anfang an auf eine undifferenzierte Weise im höchsten Seienden enthalten ist, gehen aus dieser ersten Ursache hervor und existieren auf eine differenzierte Weise. Das höchste Seiende wird mit dem höchsten Guten identifiziert, das sich entwickelt, sich dadurch manifestiert und sich selbst in den verschiedenen Seienden abbildet, weil »das Gute so beschaffen ist, dass es sich selbst verbreitet«. Zugleich gibt es innerhalb der einzelnen Seienden ein Streben, sich zum eigenen Ursprung zurück zu wenden, da die Vollkommenheit jedes Seienden in seiner Nähe zum Guten besteht. Das Böse hingegen ist ein Mangel an diesem Guten und damit ein Fehlen des Seins, d.h. eigentlich nur Nichtigkeit. In der Westkirche war es Gaius Marius Victorinus in Adversus Arianos, der im vierten Jahrhundert einen modifizierten Neuplatonismus in die christliche Theologie einführte, welcher es ermöglichte, einen rein metaphysischen Mystizismus mit den Mysterien des Christentums von der Dreieinigkeit und Gottes Menschwerdung in Jesus Christus zu vereinen. Gottvater entsprach in etwa dem neuplatonischen unaussprechbaren und unbegreiflichen Einen, das fern alles Seienden, d.h. fern aller physischen Dinge und fern der intelligiblen Ideen Platons ist. Gottes Sohn bzw. der Logos hingegen, der als das erste Seiende und als Offenbarer des Vaters betrachtet wird, macht in seiner menschlichen Gestalt den Vater für die Welt sichtbar. In Plotins Nachfolge geht Victorinus in Candidi epistula davon aus, dass der Ursachebegriff auch für Gott gilt, der als »Ursache seiner selbst« bzw. als »seine eigene Ursache« (lat.: causa sibi, causa sui) verstanden wird und einen Gegensatz zu allem Anderen darstellt, das von Gott verursacht wurde, d.h. »was Gott ist« wird als Ursache für »dass Gott ist« gesehen. Laut Victorinus existiert alles Gott gegenüber Andere auf kontingente Weise, d.h. es ist bis zu seiner Existenz weder notwendig noch unmöglich. 13 

Laut dem schwedischen Original »Unaussprechbarkeit« (outsägbarhet), vermutlich ein Tippfehler, Anm. d. Hrsg.

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Nachdem sich Aurelius Augustinus (354–430) unter dem Einfluss von Marius Victorinus’ christlichem Neuplatonismus von seiner früheren Neigung zum Skeptizismus und Manichäismus freimachen konnte, versuchte er in De diversis quaestionibus LXXXIII, De doctrina christiana I, De trinitate, In Ioannis evangelium tractatus und De civitate Dei die Dogmen des Christentums mit der griechischen Philosophie, besonders mit den bedeutungsvollen Entdeckungen Platons und des Platonismus zu vereinen. Er verteidigte die Vernunftentsprechung des christlichen Glaubens, wies zugleich aber den Gedanken ab, dass der Gottesglaube eine Art Wissen sein soll. Muss auch der Gottesglaube dem vernünftigen Verständnis vorausgehen, ist es dennoch nötig, den Glaubensinhalt zu verstehen, um das, was man glaubt, vernunftmäßig anzunehmen. In Confessionum libri tredecim, De libero arbitrio und Soliloquia zeigt sich, dass Augustinus selbst den vernunftmäßigen Untersuchungen der früheren Philosophen nicht nur folgt oder den religiösen und theologischen Inhalt der Gottesproblematik reflektiert, sondern dass er – wahrscheinlich aufgrund seiner Bekehrungsgeschichte – den existenziellen und persönlichen Ich-Aspekt hervorhebt, der stets das Denken des Menschen und sein Streben nach Gott begleitet. Durch die Philosophie kann der Mensch zwar einen erkenntnismäßigen Zugang zu Gott erlangen, die vernünftige Erkenntnis Gottes stellt aber nicht den entscheidenden Grund für die Erlösung durch Gott dar. Vor dem Hintergrund der platonisch inspirierten heidnischen Philosophen und christlichen Theologen entwickelte Augustinus eine neue Auffassung von Gott. Gott als die eine, transzendente, durch und durch gute Wirklichkeit ist, besonders in seiner Dreieinigkeit, zwar unaussprechbar und unbegreiflich, jedoch schafft er die Welt in seinem unerforschlichen Bewusstsein und seiner absolut souveränen Freiheit. Weil der Mensch gemäß dem Zeugnis der Bibel als bewusstes und freies Wesen nach Gottes Bild geschaffen wurde, kann die Dreieinigkeit durchaus in Analogie mit dem geistigen Bewusstsein des Menschen verstanden werden, welches als eine dreifaltige Einheit von Erinnerung, Verstand und Willen verfasst ist (psychologische Dreieinigkeitslehre). Der Mensch kann nämlich mit Hilfe der durch den Heiligen Geist inspirierten und erleuchteten Vernunft einen bestimmten, intuitiven Zugang zur göttlichen Dimension erlangen. In De natura boni contra Manichaeos, Confessionum libri tredecim, De genesi ad litteram u.a. übernimmt Augustinus den von den Graden der Vollkommenheit ausgehenden Gottesbeweis aus der Tradition und zeigt, dass es Gott als »das höchste Gute« gibt, »über das hinaus weder etwas sein kann, noch etwas verstanden werden kann, was vollkommener ist«. Zugleich entwickelt er auch eigene Gottesbeweise, die seinen personalistischen Ausgangspunkt fortsetzen, oder deutet sie an, z.B. einen Beweis ausgehend von der Absolutheit der

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Wahrheit, einen anderen ausgehend vom Streben des Menschen nach dem Sinn des Lebens und der Harmonie sowie einen ausgehend von der Liebe. Weil Gott gänzlich einfach ist, müssen seine Eigenschaften, die man prädizieren kann, identisch mit Gott und miteinander sein, sodass sich Gott als das höchste Seiende in sich selbst »befindet«. Gottes Einfachheit schließt auch aus, dass Gott Teile hat oder dass er veränderlich ist. Der große Gegensatz zwischen dem ewigen, absoluten geistigen Gott und der zeitlichen, relativen, materiellen Welt bringt einen gewissen Dualismus mit sich, der das philosophische und theologische Denken für mehrere Jahrhunderte dominieren wird. Laut Augustinus war Gott zuallererst ein unerforschlicher, souverän und frei schaffender Wille, der durch seine Wirksamkeit den ungeheuren Unterschied zwischen sich selbst und der Welt konstituierte. Gott gibt es nämlich nicht »an der Seite von« oder »gegenüber von« dem Geschaffenen, sondern Gott schafft alles Andere aus dem Nichts (lat.: ex nihilo), d.h. er bringt sogar die nicht geformte Materie hervor und gestaltet alles aus ihr. Außerdem erhält er alles, was es gibt, in seiner Existenz, sodass es nicht aufhört zu existieren und nicht wieder zu nichts wird. Gott hat die Welt auch nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt in Gang gesetzt, sondern die Zeit zusammen mit der Welt geschaffen, d.h. Gott schafft jedes »Jetzt« der Welt und dazu alle innerweltlichen Ereignisse. In De duabus animabus contra Manichaeos, De libero arbitrio, De spiritu et littera, De perfectione justiciae hominis, Retractationes und De praedestinatione sanctorum untersucht Augustinus die Probleme, die in Zusammenhang mit einer solchen Auffassung vom Verhältnis der Welt zu Gott entstehen. Gewiss kann Gott bestimmte Formen des Bösen in der Welt zulassen und sogar wollen, um dadurch etwas Besseres zu erreichen. Gott kann aber niemals das moralisch Böse wollen, d.h. die Bosheit, die als ein Mangel an Gutem in der Schöpfung entsteht, und zwar aufgrund der Weigerung des freien Menschen, Gottes schaffendem und ordnendem Willen zu folgen. Ein großes Problem stellt in einem solchen Fall das freie menschliche Handeln im Verhältnis zur Allmacht und Allwissenheit des Schöpfers dar, besonders für Gottes Voraus-Wissen, Prädestination und Gnade. Gewiss kann Gott trotz seiner Allmacht, die bedeutet, dass er alles tun kann, was er möchte, nicht auf eine Weise handeln, die einen Widerspruch enthalten würde. Außerdem gibt es keinen früheren Zeitpunkt, zu dem Gott jede freie Handlung des Menschen kennt, sondern Gott kennt sie, weil er ihn in seiner eigenen Ewigkeit, d.h. losgelöst von jeder Zeit, geschaffen hat. Im Gegensatz aber zu dem Gedanken, dass die innerweltliche Kausalordnung eine Folge von Gottes Wissen ist und nicht umgekehrt, scheint die Möglichkeit des Menschen, in Freiheit moralisch böse zu handeln und zu sündigen, zur Folge zu haben, dass er auf seine Weise eine Ursache für die Zukunft der Welt sein kann, und dies gegen Gottes schaffendes vorausgehendes

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Wissen. Um trotz der Freiheit und Verantwortung des Menschen die Auffassung von der schaffenden Allwissenheit des allmächtigen Gottes zu retten und um den theologischen Gedanken, dass die Befreiung des Menschen von der Sünde nur durch Gottes Gnade geschieht, besonders gegen die Pelagianer verteidigen zu können, argumentierte Augustinus vor allem in seinen späteren Schriften zunehmend für den Gedanken, dass der durch die Sünde verdorbene Mensch von dem souverän schaffenden Gott zur Erlösung oder zum ewigen Tod vorherbestimmt ist. Der Übersetzer von Aristoteles’ Schriften ins Lateinische, Anicius Manlius Severinus Boethius (ca. 480–525/6), der stark von Marius Victorinus’ christlichem Neuplatonismus beeinflusst war, vermittelte Aristoteles’ Gedanken zwar der Nachwelt, oft aber in einer sinnentstellenden platonischen Gestalt, besonders wenn er in Opuscula sacra mit einer von Aristoteles inspirierten logischen Analyse die kirchlichen Dogmen von der Person Jesu Christi und der Dreieinigkeit verdeutlichen will. Als er im Gefängnis auf das Todesurteil wartete, wurde er laut De consolatione philosophiae von der Philosophie selbst gelehrt, dass Gott als das Sein an sich (lat.: esse) die von der Materie befreite reine Form und das höchste Gute ist, »von dem nichts Besseres gedacht werden kann«. Von diesem Allervollkommensten kann der Mensch dadurch Erkenntnisse gewinnen, dass er von dem endlichen und daher unvollkommenen Guten ausgeht, um sich Stufe für Stufe diesem höchsten Guten zu nähern, was für den Menschen die höchste Form von Glück und Harmonie bedeutet. Während all das endliche Gute an dem höchsten Guten teilhat, kann das Böse nur eine Nichtigkeit sein, d.h. ein Mangel an Sein. Wie Augustinus steht auch Boethius vor dem Problem der Gebundenheit der innerweltlichen Dinge an die Zeit und der zeitlosen Ewigkeit Gottes sowie vor der Frage, wie sich die Freiheit des Menschen zu Gottes Allwissenheit und Gottes Vorhersehung verhält. In ihren Auffassungen vom Verhältnis der Welt zu Gott waren die byzantinische und die westkirchliche christliche Philosophie und Theologie stark vom Dualismus des Platonismus und Neuplatonismus beeinflusst. Der eine Gott ist in seiner persönlichen Dimension (griech.: hypostasis) in sich dreieinig, im Verhältnis zur endlichen und zeitlichen Welt aber ist Gott das einheitliche, ewige, schaffende Grundprinzip von allem, was es gibt. Er ist die Grundlage nicht nur der konkreten Dinge, sondern auch ihrer Eigenschaften, Beziehungen, Handlungen und ihrer Entwicklung gemäß einer zweckmäßigen Ordnungsstruktur. Gott unterscheidet sich deutlich von der Welt, insofern er z.B. vom Laterankonzil (649) als »ungeschaffen, ohne Anfang, unbegrenzt, unbegreiflich (lat.: incomprehensibilis), unveränderlich, Schöpfer von allem, Vorseher und Aufrechterhalter« (DH 501) beschrieben wird. Dieser Unterschied muss dieser Versammlung zufolge auch in Jesus Christus vorhanden sein, weil

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er als Gottes Logos einen göttlichen, schaffenden und als Jesus von Nazareth einen sehr begrenzten menschlichen Willen hat (DH 500). Trotz dieses Unterschieds kann Gottes ewige Vernunft (griech.: nous), d.h. der göttliche Logos, der auf verschiedene Weise sowohl in der geschaffenen Welt als auch in Jesus von Nazareth zur sichtbaren Wirklichkeit wird, mit der menschlichen Vernunft erfasst werden. Während christliche Theologen für gewöhnlich von einem »platonischen Dualismus« zwischen der göttlichen, geistigen, ewigen und der menschlichweltlichen, materiellen, zeitlichen Dimension ausgingen, um einer Vermengung entgegenzuwirken, die in christlichen Kreisen aufgrund der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus häufiger vorkommt, versuchten muslimische und jüdische Denker den Graben zwischen dem absolut transzendenten Gott und der konkreten menschlichen Welt in der Regel mit Hilfe von Aristoteles’ Auffassungen zu überbrücken, um Gott als souveränen Schöpfer mit dem Geschaffenen zu vereinen. Dies tritt bei dem ersten großen muslimischen Philosophen Abu Yusuf al-Kindi (ca. 801 bis ca. 873) hervor, der in Fi hudud al-ashya’ wa-rusumiha und anderen von Aristoteles inspirierten Werken eine Brücke zwischen dem griechischen und dem muslimischen Denken darstellt. In einem gewissen Gegensatz zur früheren reinen Korandeutung folgte er den rationalistischeren Richtungen (arab.: mutazila), die sukzessive auf eine dialektische Weise theologische Fragen behandelte (arab.: kalam = Debatte, Rede, Wort; mutakallimum = Debattierender, Scholastiker), z.B. nach der Willensfreiheit im Verhältnis zum ursprünglichen Gedanken der Prädestination, nach der absoluten Gerechtigkeit des allmächtigen Gottes und der Sünde des Menschen und nach Gottes absoluter Einheit im Verhältnis zur Vielheit seiner Eigenschaften und seines Handelns. Al-Kindi benutzte in Fi al-falsafa al-ula und Fu wahdaniya Allah wa tunahiy jirm al-’alam Aristoteles’ Gedanken des unbewegten Bewegers und legte einen von Aristoteles abweichenden kosmologischen Gottesbeweis vor (Kalam-Argument), demgemäß Gott als die ewige, absolute Einheit das zeitlich endliche Universum aus dem Nichts geschaffen haben muss, weil alles, was entsteht, von etwas Anderem und letztlich von etwas, das nicht entsteht, sondern auch für die Zeit der letzte Grund ist, verursacht sein muss. Das muslimische Kalam beeinflusste auch jüdische Denker, die versuchten, die Bibelauslegung der früheren Rabbiner mit einer Art spekulativer Theologie zu vervollständigen, besonders in Bezug auf Gottes Einheit trotz seiner vielen Eigenschaften und in Bezug auf Gottes Gerechtigkeit sowie die Freiheit und Sünde des Menschen. Der erste unter diesen jüdischen systematischen Philosophen war Saadia Gaon al-Fayyumi (ca. 882–942), der in Sefer Emunot ve-De’ot einen rationalistisch geprägten Platonismus vertritt

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und einen kosmologischen Beweis entwickelte, in dem er im Gegensatz zu Aristoteles die Bewegung der Himmelssphären als Argument für ein in der Zeit endliches Universum verwendet und als eine Bestätigung der These, dass alles von Gott geschaffen sein muss, der selbst eins sein und alle seine Eigenschaften zu einer einzigen ununterscheidbaren Wirklichkeit zusammenfassen muss. 14.4

Der Mensch vor dem Angesicht Gottes im Mittelalter

Die Sicht des Mittelalters auf die Beziehung des Menschen zu Gott entwickelte sich ab den letzten Jahrzehnten des achten Jahrhunderts. Während der sogenannten karolingischen Renaissance bemühte man sich, die antiken lateinischen Texte in einem christlichen Geist zu deuten, studierte platonisch inspirierte Autoren wie Augustinus und Boethius und legte die Grundlage für die Rolle der Logik in der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Johannes Scotus Eriugena (ca. 800–ca. 877) versuchte in De divina praedestinatione, De divisione naturae (Periphyseon) und Expositiones in hierarchiam coelestem neuplatonische Spekulationen bei den griechischen Kirchenvätern wie Gregor von Nyssa und Dionysios Areopagita mit der lateinischen Tradition zu vereinen. Er übernahm Dionysios’ affirmative und negative Theologie, entwickelte dessen Gedanken aber zu einem metaphysischen Monismus und Pantheismus weiter. Das Eine bringt demgemäß in einem zeitlosen Prozess durch Selbstemanation alles aus sich selbst hervor. Gott und das Geschaffene sind ein und dasselbe, weil Gott die »Form von allem« (lat.: forma omnium) bzw. »die Form der Formen« (lat.: forma formarum) ist. Zugleich transzendiert Gott alles. Die Materie, die noch nicht geformt ist und aus der alles geschaffen wird, ist Gottes eigene versteckte Natur, die eigentlich das Nichts, d.h. nichts von den geschaffenen Dingen ist, weil er alle Dinge transzendiert. Die geschaffenen Dinge sind aber eigentlich auch nichts, da sie nicht der Grund für ihre eigene Existenz sind. Alles überhaupt, auch die Seele des Menschen, ist ursprünglich mit dem Einen vereint und ist nichts Anderes als die intellektuellen und ewigen Ideen in Gottes Bewusstsein, d.h. in Gottes Logos. Wenn aber diese Ideen aus Gott hervorgehen, sind sie von illusorischen Vorstellungen verdeckt, die ihre materiellen und körperlichen Eigenschaften darstellen. All diese verkörperlichten göttlichen Ideen streben danach, in einer ewigen kosmischen Kreisbewegung wieder zum Einen zurückkehren zu dürfen. Diese ist eigentlich Gottes Selbstoffenbarung, welche bedeutet, dass Gott sich selbst in der geschaffenen Welt schafft. Auch will der Mensch zu seinem Urgrund in Gottes Bewusstsein zurückkehren, und dies erfolgt in mehreren Stufen intellektueller

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Kontemplation. Er kann dieses Ziel aber auch verfehlen, indem er sich an irreführende Illusionen hängt. Das Denken des frühen Mittelalters ist stark von dem Platonismus geprägt, den Augustinus’ und Boethius’ Schriften Theologen wie z.B. Anselm von Canterbury (1033–1109) vermitteln. Auch von Aristoteles’ logischen Schriften beeinflusst, bemühte er sich im Monologion, Proslogion und Cur Deus homo »nur mit dem Verstand« (lat.: sola ratione), d.h. sowohl mit der Erfahrung als auch mit dem Intellekt, »aufgrund notwendiger Gründe« (lat.: necessariis rationibus) – sofern es möglich ist – auch rein theologische Fragen zu beweisen und wurde dafür »der Vater der Scholastik« genannt. Der Gottesglaube ist laut Anselm ein »Glaube, der nach intellektueller Einsicht strebt« (lat.: fides quaerens intellectum) und er fasst seine eigene Haltung mit den Worten zusammen: »Ich glaube, um eine intellektuelle Einsicht zu gewinnen« (lat.: credo ut intellegam). Im Monologion scheint Anselm nicht nur Gottes Existenz beweisen zu wollen, d.h. die Existenz des höchsten Seienden als Grund des Universums, sondern auch etwas von Gottes Wesen, dass nämlich der Grund für das gesamte Universum nur ein solches höchstes Wesen sein kann. Er geht von Graden des Seins aus und sieht in der Existenz der Dinge eine Vollkommenheit, die in einem analogen Sinne ihren höchsten Grad im Allervollkommensten erreicht. Weil jedes geschaffene Seiende in dem Grade, in dem es existiert, dem höchsten Seienden ähnelt, ermöglicht diese Ähnlichkeit in einem bestimmten Maße, auf analoge Weise etwas von Gott zu prädizieren. Das höchste Seiende kann vor allem im menschlichen Bewusstsein entdeckt werden, welches in Erinnerung an sich selbst, im Bewusstsein seiner selbst und in Liebe zu sich selbst als sein eigener Spiegel und damit zugleich als wahres Abbild des höchsten Seienden angesehen werden kann. Im Proslogion geht Anselm von einem Gottesbegriff aus, welcher auf ähnliche Weise bei Augustinus und bei bestimmten muslimischen Denkern vorkommt und den er mit den Worten »etwas (das), über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann« (lat.: aliquid (id) quo nihil maius cogitari potest) ausdrückt. Von dieser »Beschreibung« Gottes ausgehend, entwickelt er den sogenannten ontologischen Gottesbeweis (in Kants Terminologie), in welchem er mit Hilfe einer reductio ad absurdum zeigt, dass es einen solchen Gott in Wirklichkeit geben muss. Außerdem leitet er aus diesem Gottesbegriff die meisten Attribute Gottes her, dass Gott beispielsweise in sich selbst existiert, allmächtig, allgütig und durch und durch gerecht sowie größer ist als alles, was man begreifen kann. Im Liber apologeticus adversus respondentem pro insipiente, das eine Antwort auf die Einwände im Liber pro insipiente des Mönchs Gaunilo (* ca. 1000) darstellt, bestätigt Anselm, dass er beabsichtigt,

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einen Beweis für Gottes Existenz zu führen, und dass der von ihm verwendete Gottesbegriff so viel Beweiskraft besitzt, dass derjenige, der den Sinn dieses Begriffs versteht, auch zugestehen muss, dass es einen solchen Gott gibt. In De veritate betrachtet Anselm die ontologische Wahrheit, d.h. die Echtheit, die immer zu Behauptungen, Gedanken, Willenshandlungen usw. gehört, auch wenn ihr eigentlicher Sinn oft verdreht und verfälscht werden kann. Er folgt Augustinus darin, dass er diese ewige Wahrheit mit Gott identifiziert. In De libertate arbitrii, De casu diaboli und De concordia praescientiae et praedestinationis et gratiae Dei cum libero arbitrio versucht er, die freie Wahl zu definieren und verdeutlicht ihr Verhältnis zur Sünde und zu Gottes Allwissen, Gnade und möglicher Vorherbestimmung. Besonders wichtig für die zukünftige theologische Diskussion von Gottes allmächtigem Willen und dem freien Handeln des Menschen war Anselms Beschreibung des moralisch Bösen als Mangel (lat.: privatio) an Gutem, das es nach dem Willen des Schöpfers geben sollte. Während des frühen Mittelalters wurde der theologische Unterricht in den frühen Kathedral- und Klosterschulen z.B. in Chartres oder Paris (St. Victor) von Gedanken geprägt, die hauptsächlich aus Platons Timaios stammten und von Vertretern des Neuplatonismus inspiriert waren. Die Theologenschule in Chartres entwickelte den Gedanken der »Ausfaltung« (lat.: explicatio) von allem aus und der »Einfaltung« (lat.: implicatio) in Gott. Das gesamte Universum wurde als ursprünglich in Gott, dem Urgrund von allem, »eingefaltet« verstanden, sodass es sich in der Schöpfung »entfalten« konnte. Zugleich besitze es ein Streben, zu seinem Ursprung zurückzukehren und wieder zu einer Einheit in Gott »eingefaltet« zu werden, beispielsweise in der menschlichen Kontemplation. Eriugenas pantheistisches System, aber auch Augustinus’ und Boethius’ Gedanken beeinflussten während des zwölften Jahrhunderts bestimmte Vertreter dieser Schulen, z.B. Hugo von St. Victor (1096–1141) in Epitome Dindimi in philosophiam und Didascalicon de studio legendi. Richard von St. Victor († 1173) versuchte in De trinitate durch einen »Glauben, der nach Einsicht sucht« eine »notwendige Ursache« für die Existenz Gottes und Gottes Beschaffenheiten zu entdecken, beabsichtigte dabei aber nicht, die Dreieinigkeit zu »beweisen«, sondern bemühte sich bloß, mit Hilfe der Logik das göttliche Sein zu erklären, wie es sich in der Bibel geoffenbart hat. Während dieser frühen Scholastik meinte man in der Regel, dass die göttliche Dimension in sich selbst nur durch Gottes eigene Offenbarung, durch die vom Heiligen Geist erleuchtete Vernunft oder im Zuge eines mystischen Schauens erreicht werden könne. Die muslimische Scholastik (arab.: mutazila), die etwa vom 9. Jahrhundert an versucht hatte, mit Hilfe der intellektuellen Argumentationsmethoden (arab.:

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kalam) die Probleme in Bezug auf Gottes Einheit und seine verschiedenen Attribute, Gottes Gerechtigkeit und seine Prädestination, Gottes Allmacht und die Freiheit des Menschen usw. zu lösen, wurde bereits früh vom Monismus des Neuplatonismus und mit der Zeit auch zunehmend von Aristoteles’ Gedanken beeinflusst. Ibn Sina (Avicenna; 980–1037), der in Kitab al-hudud, Kitab al-shifa und Kitab al-najat eine neuplatonische Emanationslehre vertritt, untersucht dennoch im Geiste des Aristoteles das »absolute Sein«, d.h. das existierende Seiende, das von Gott als letzter Ursache von allem unterschieden werden muss. Der metaphysische Unterschied zwischen Existenz und Wesen, der bei allem außer Gott vorliegt, bringt es mit sich, dass aus jemandes Wesen niemals dessen Existenz abgeleitet werden kann, weil es ein jedes solches Wesen geben und nicht geben kann, d.h. weil es kontingent ist. Da alles, was es auf eine solche kontingente Weise gibt, als seine letzte Ursache etwas benötigt, was notwendig und absolut ist, muss Gott mit Notwendigkeit existieren und den Grund seiner Existenz in sich selbst haben. Von diesem notwendigen, höchsten Seienden emaniert alles Andere und diese Emanation ist auch die Brücke, die den unbegreiflichen Gott, der der reinste Intellekt ist, mit der Möglichkeit des Menschen verbindet, eine Form der Erkenntnis von Gott zu haben. Der Sufi-Mystiker und Theologe Abu Hamid al-Ghazali (1058–1111), der nach einer Glaubenskrise in einer mystischen Erfahrung durch das göttliche Licht neues Vertrauen in seine Vernunft gewonnen hatte, widersetzte sich in Tahafut al-falasifa, Al-Iqtisad fi’l-i’tiqad, Ihya’ ’ulum aldin und Al-munqidh min al-dalal der Verwendung der neuplatonischen und aristotelischen Metaphysik innerhalb des religiösen Denkens und legte damit den Grund für eine zunehmende Skepsis gegenüber der Bedeutung der Philosophie im Islam. Seine ambivalente Haltung zur Philosophie zeigt sich aber darin, dass er dem geoffenbarten Glauben der Muslime durch die Erfahrung der Sufi-Mystik ein vernünftiges Fundament geben will und in seiner Kritik anderer muslimischer Denker philosophische Argumente verwendet. Mit Hilfe der Logik beanstandet er die Annahme anderer Philosophen, dass die Welt ewig, d.h. in der Zeit unendlich sein muss, weil die Zeit zur geschaffenen Welt zu zählen ist, während Gott sich in seiner zeitlosen Ewigkeit entschieden hat, die zeitliche Welt zu schaffen. Er beweist die Existenz Gottes als notwendiger Ursache für die Entstehung und Existenz der in der Zeit endlichen Welt. Weil Gott alle Einzelheiten in der konkreten Welt schafft, weiß Gott, ohne sich selbst zu verändern, alles, indem er es schafft. Gott zeichnet sich durch eine derartige Einheit aus, dass er über Eigenschaften und Handlungen verfügen kann, die »von Gottes Wesen verschieden, aber ihm zuzuschreiben sind«. Da Gott in seiner Allmacht die Ursache von allem überhaupt ist, kann das freie Handeln des Menschen

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höchstens als zufälliger Anlass für Gott betrachtet werden, diese beabsichtigte Handlung auszuführen, und es liegt an Gott, dass der Mensch eine Erkenntnis von Gott gewinnt. Abu’l Walid Muhammad Ibn Rushd (Averroes; 1126–1198), der fast alle Schriften des Aristoteles kommentierte, kritisierte in Tahafut al-tahafut und Fasl al-maqal den Neuplatonismus innerhalb des muslimischen Denkens, griff aber gleichzeitig al-Ghazali wegen seines Widerstands gegen jede metaphysische Bearbeitung religiöser Fragen an, weil die Religion der Philosophie unterlegen ist, wenn es darum geht, Erkenntnisse zu gewinnen. Die Existenz Gottes als des absoluten Seins kann aufgrund der Kontingenz der Welt bewiesen werden. Ganz in Aristoteles’ Sinne verteidigte Ibn Rushd die zeitmäßige Unendlichkeit der Welt und wies damit eine Schöpfung in der Zeit ab. Laut Ibn Rushd kann Gott außerdem nur solche Dinge wissen, die seinem notwendigen Wesen widersprechen, was es für Gott unmöglich macht, Erkenntnisse auch von den zufälligen und individuellen Dingen in der Welt als solchen zu haben. Als der allmächtige Schöpfer von allem hat Gott ein weit vollkommeneres Wissen von der Welt, als der Mensch es jemals erreichen kann, weil er vom Individuellen und Zufälligen ausgehen muss, um das Allgemeingültige und Notwendige, d.h. das Göttliche, zu erreichen. Um allen Einwänden aus religiösen Kreisen innerhalb des Islam gegen seine gewagten Ansichten entgegenzuwirken, scheint er eine Art Lehre der doppelten Wahrheit akzeptieren zu wollen. Nicht nur Saadia Gaon und andere jüdische Denker, sondern auch muslimische Philosophen beeinflussten die religiösen Auffassungen des Judentums, z.B. bei Moshe ben Maimon (Moses Maimonides; 1135–1204) in Dalalat al-Ha’irin. Er versuchte, die Diskrepanz zwischen dem philosophischen, intellektuellen Denken und den Auffassungen der jüdischen Religion zu überbrücken, indem er die Aussagen der hebräischen Bibel besonders mit den Gedanken des Aristoteles verband. Entgegen der anthropomorphen Ausdrucksweise der Bibel betonte er Gottes reine Vollkommenheit und absolute Einfachheit. Aufgrund seiner Transzendenz kann Gott nur innerhalb des Rahmens einer negativen Theologie beschrieben werden, dergemäß Gottes Unendlichkeit dazu führen sollte, dass jede unkritische Rede über Gott als unmöglich angesehen wird. Gottes Existenz kann bewiesen werden, weil Gott das Vollkommenste im Verhältnis zu allen Graden einer mehr oder weniger mangelhaften Vollkommenheit und die letzte notwendig existierende Ursache alles Endlichen ist. In Gottes absoluter Einheit müssen alle Attribute Gottes identisch sein, während ihre Vielheit bloß auf der Denkweise des Menschen beruht. Gewiss können weder die zeitmäßige Unendlichkeit der Welt noch ihre Schöpfung in der Zeit bewiesen werden, aber die zweite Alternative ist

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plausibler, weil sie dem Gedanken der Bibel entspricht, dass die kontingente, geordnete Vielheit der Welt durch Gottes freien, schaffenden Willen entsteht und weil dies den großen Unterschied zwischen Gott und der Welt bestätigt. Gottes kontinuierlich schaffendes Handeln ist etwas Anderes als eine natürliche, zeitliche Veränderung, bei welcher etwas vorliegen muss, z.B. Materie, die umgeformt wird. Gott lenkt den Gang der Welt nicht bloß durch allgemeine Gesetze, sondern indem er kraft seiner Vorsehung in der Welt, auch in ihren Einzelheiten, mitwirkt. Der Mensch muss trotzdem die Fähigkeit haben, frei und damit verantwortlich zu handeln, weil Gott seinen Bund mit Israel und der Menschheit eben genau so eingegangen ist. Während des Mittelalters wurden die Auffassungen des Neuplatonismus und speziell des Aristoteles in Europa ins Bewusstsein gerufen, vor allem als christliche Theologen und Philosophen zunehmend in Kontakt mit den Schriften von jüdischen und muslimischen Denkern sowie deren Kommentaren zu den griechischen Philosophen kamen. Die Scholastiker des Mittelalters wurden vor allem von Aristoteles’ Schriften beeinflusst, die es ab dem Beginn des 12. Jahrhunderts auch in lateinischer Übersetzung gab, und vom Aristotelismus, der vor allem in Avicennas, Averroes’ und Moses Maimonides’ eigenen Texten vorlag. In Aristoteles’ hylemorphistischem Holismus, der das konkrete Materielle mit den geistigen Formen vereint und den Menschen mit Hilfe der abstrahierenden Vernunft Erkenntnis des Göttlichen gewinnen lässt, sahen die christlichen Theologen offenbar einen besseren Ausgangspunkt, um die konkrete Menschwerdung des notwendigen, transzendenten und ewigen Gottes in Jesus Christus zu verdeutlichen, als bei den platonischen und neuplatonischen, dualistischen oder sogar monistischen Systemen, nach denen das absolute Eine in das absolute Andere, d.h. in die komplexe, materielle Vielheit der veränderlichen und kontingenten Welt aufgespalten werden muss. Die Problematik mit Aristoteles’ Philosophie im christlichen Denken verschärfte sich weiter, als Scholastiker wie Boethius von Dacien (ca. 1240– ca. 1290) in De summo bono und De aeternitate mundi und Siger von Brabant (ca. 1240–ca. 1284) in De aeternitate mundi, De necessitate et contingentia causarum, Quaestiones in metaphysicam und Quaestiones super Librum de causis einen Aristotelismus nach Averroes zu verteidigen versuchten, der im Gegensatz zur christlichen Theologie die Schöpfung der Welt in der Zeit und das nach dem Tod fortgesetzte Leben der individuellen Seele verneint. Um diese philosophischen Theorien mit dem christlichen Glauben vereinen zu können, legte Boethius die Theorie der Autonomie des Wissens und des Glaubens vor (keine doppelte Wahrheit). Laut Siger muss Aristoteles’ physikalischer Beweis für die Existenz des ersten Bewegers in einen metaphysischen Beweis für Gottes Existenz eingebettet sein, demgemäß das höchste Seiende einzigartig

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und die eigentliche Ursache der Existenz aller anderen Seienden ist. Nachdem eine Reihe von Thesen des Boethius und des Siger sowie anderer aristotelisch geprägter Philosophen – u.a. auch Thomas von Aquins – 1270 und 1277 in Paris und Oxford als unvereinbar mit der christlichen Theologie beurteilt wurden, bemühte sich Siger, einen weniger herausfordernden Standpunkt zu vertreten. Die Kirche des Mittelalters war gezwungen, auch anderen Einflüssen von außen entgegenzuwirken, die die christliche Lehre bedrohten, nämlich den radikalen Katharern (aus dem Griech.: katharos = rein) und der dualistischen, gnostizistischen und manichäischen Christentumsdeutung der Albigenser im 12. bis 14. Jahrhundert, derzufolge ein gutes und ein böses Weltprinzip bzw. Gott gleichwertig nebeneinander existieren. Der gute Gott beherrscht die ewige geistige Wirklichkeit, hat aber mit der vergänglichen, materiellen Welt wenig zu tun. Die Seelen der Menschen, die ursprünglich in Gottes Dimension leben, gelangen in diese körperliche Welt und sehnen sich danach, von ihr befreit zu werden, um zum ewigen Dasein Gottes zurückkehren zu können. Obwohl Augustinus’, Boethius’ und besonders Dionysios’ Neuplatonismus Albert Magnus (1200–1280) in Summa de creaturis, De unitate intellectus contra Averroem, De fato, Super Dionysios De caelaesti hierarchia, Super Dionysium De divinis nominibus, Summa theologiae sive de mirabili scientia Dei I, Metaphysica und De causis et processu universitatis a prima causa beeinflusste, schätzte er vor allem Aristoteles’ Gedanken, die er auf weite Strecken aus muslimischen Quellen übernahm. In seinen Kommentaren versucht er zu verdeutlichen, dass gerade Aristoteles’ ursprüngliches philosophisches System als Hintergrund der christlichen Philosophie und Theologie geeignet ist, wenn man sowohl Averroes’ Einseitigkeiten als auch das Risiko eines neuplatonischen Pantheismus vermeiden will. Bei ihm erhalten die materielle Welt, die Erkenntnis durch die Sinne und die empirischen Wissenschaften eine große Bedeutung, und er unterscheidet deutlich zwischen der Philosophie, die auf der natürlichen Vernunft basiert, und der Theologie, die ihren Grund in der übernatürlichen »Offenbarung und Prophetie« hat. Die Emanation besteht seiner Ansicht nach darin, dass Gott als Urprinzip bzw. als der erste Handelnde (lat.: primum agens) und das höchste Gute derjenige ist, »der sich selbst und sein Sein (an sich) verbreitet« (lat.: diffusivum sui et esse), nicht indem er überfließt und hineinfließt (lat.: effusio, infusio) oder der »Formgeber« (lat.: dator formarum) der Materie ist, sondern indem er eine konkrete Ganzheit aus Form und Materie schafft und zugleich als der erste Beweger (lat.: primum movens) die Formen aller Dinge zu einer Einheit versammelt, indem er als das höchste Ziel sie an sich »zieht«. Dieser Prozess mündet in die Analogie eines doppelten Seins (lat.: analogia entis), die über eine gewöhnliche Attributionsanalogie hinaus auch eine sogenannte entgegennehmende Analogie (lat.: analogia recipientium)

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umfasst, die von dem Grad handelt, in welchem das einzelne Seiende innerhalb des Rahmens einer hierarchischen Ordnung alles Existierenden das Sein empfangen kann. Gott lässt nämlich das endliche Seiende ganz an sich selbst teilhaben, jedoch nur in dem Maße, in dem ein endliches Seiendes es seinem Wesen gemäß kann und ein vernünftiges Wesen seinem freien Willen gemäß bereit ist, Gott selbst entgegenzunehmen. Thomas von Aquin (1225–1274) folgte trotz seiner Wertschätzug von Augustinus, Boethius und Dionysios in seinen vielen Aristoteles-Kommentaren und in Expositio super librum Boethii De trinitate, Expositio in librum Boethii De hebdomadibus und In librum beati Dionysii De divinis nominibus expositio weit mehr den Gedanken des Aristoteles als sein Lehrer Albert. In dessen Gefolge wollte er die Eignung der aristotelischen Philosophie für die christliche Theologie zeigen und verbarg seine Wertschätzung der muslimischen und jüdischen Aristoteliker wie Avicenna und Moses Maimonides nicht. In Scriptum super libros Sententiarum, De aeternitate mundi contra murmurantes und De unitate intellectus contra Averroistas verteidigte er gegen einen pantheistischen Neuplatonismus, einen christlichen Platonismus und einen Aristotelismus nach Averroes seine eigene Auffassung, dass die geschaffene Welt dem christlichen Glauben nach zwar einen Anfang hat, Gott sie aber zeitlich ebenso endlich wie unendlich hätte schaffen können, und dass die individuelle Seele des Menschen unsterblich ist, nicht nur sein überindividueller, handelnder Intellekt (lat.: intellectus agens), welcher nicht mit Gottes eigener Vernunft identifiziert werden darf. Nicht nur in seinen Hauptwerken Summa contra genitiles I–III und Summa theologiae I, sondern auch in Quaestiones disputatae de malo, Quaestiones quodlibetales behandelt Thomas Themen – wie Gottes Existenz und Eigenschaften, den Ursprung der Schöpfung in Gott und die Zielausrichtung von allem –, die zur natürlichen Theologie gehören und die aus »Prinzipien, die man durch das natürliche Licht des Intellekts erkennt«, folgen und zur Metaphysik gehören. Die übernatürliche Theologie hat hingegen die Aufgabe zu verstehen, was man glaubt, und geht daher von Prinzipien aus, die durch Gottes Offenbarung gegeben wurden. Da nach Aristoteles jede Erkenntnis aus den Sinnen gewonnen wird, weist Thomas Anselms »ontologischen Gottesbeweis« ab, da dieser darauf abzielt, die Existenz von etwas in der objektiven Wirklichkeit aus dem reinen Denken abzuleiten. Auch wenn die Aussage »Es gibt Gott« als evident an sich (lat.: per se) angesehen werden muss, weil Gottes Wesen identisch mit Gottes Existenz ist, ist sie für uns nicht evident. Da außerdem Gottes Wesen für uns unaussprechbar und unbegreiflich ist (negative Theologie), kann man auch nicht damit beginnen zu definieren, wer Gott eigentlich ist, um danach »beweisen« zu können, dass es Gott gibt.

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Vielmehr muss man stets die fundamentale Analogie zwischen Gott und allem Anderen beachten, was höchstens in einem bestimmten Maße Gott ähnlich bzw. ein Abbild Gottes sein oder auch in seiner Existenz und seinem Wesen an Gott teilhaben bzw. von ihm verursacht sein kann, sodass alles, was positiv von Gott prädiziert werden kann, Gott auf eine eminente Weise »zukommen« muss. Dennoch vermag der Mensch nach Thomas – indem er mit seinem natürlichen Intellekt von der Erfahrung der Existenz der endlichen, konkreten Dinge und beispielsweise den Eigenschaften der Transzendentalien ausgeht – aufgrund der Analogie des Seins eine wahre und sichere Erkenntnis von etwas zu gewinnen, was der Grund von allem ist und »Gott« genannt werden kann. Dies geschieht auf ähnliche Weise, wie man die Existenz einer Ursache aus ihren Wirkungen herleiten kann. Von früheren Philosophen übernimmt er mit Modifikationen die »fünf Wege« zu Gott, unter denen die ersten drei »kosmologischen« Argumente von Aristoteles und Avicenna beeinflusst sind, nämlich die Argumente ausgehend von der Bewegung bzw. Potentialität, ausgehend von der Kausalordnung, bei der nichts ohne seine eigene Ursache sein kann (lat.: causa sui ipsius), und ausgehend von der Kontingenz der Dinge. Dagegen weist er das Kalam-Argument ab, weil laut Thomas die Endlichkeit der geschaffenen Welt eine Glaubenswahrheit ist und nicht rein philosophisch bewiesen werden kann. Der fünfte Weg geht von der Ordnung und der Zielausrichtung in der Welt aus, die einen ordnenden Grund für alles voraussetzt. Im vierten Weg wird der platonische Partizipationsgedanke und das Argument ausgehend von den Graden der Vollkommenheit an die Kausalität geknüpft, weil alles, was aufgrund von Partizipation existiert (lat.: ens per participationem), verursacht sein muss, sodass das, was die letzte Ursache eines solchen Seienden darstellt, die Vollkommenheit an sich ist, an der alles Andere in unterschiedlichen Graden teilhat. Außerdem zeigt die transzendente Ausrichtung des menschlichen Intellekts bzw. des menschlichen Willens auf das absolut Wahre bzw. Gute, was als Gott angesehen werden kann, dass er im Streben seiner Vernunft und seines Willen auf eine bestimmte Weise an Gott als vollkommenster Vernunft und vollkommenstem Willen teilhat. Ein jeder also, der mit seiner Vernunft aufrichtig nach dem letzten Grund und Ziel von allem fragt und sucht, steht folglich in Beziehung zu Gott und kann daher als religiös betrachtet werden. Während jedes endliche, kontingente Seiende zumindest aus Existenz und Wesen, aber auch aus Materie und Form oder Substanz und Akzidenz usw. zusammengesetzt ist, ist Gott als das unendlich vollkommene und absolut notwendige Sein ganz und gar einfach. In seinem Bewusstsein von sich selbst ist Gott zugleich eins mit sich selbst und sich selbst gegenüber radikal frei und

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in diesem Sinne sein eigener Grund (lat.: sui causa). Als das absolut Gute, das sich selbst verströmen will (lat.: bonum diffusivum sui), ist Gott auch die erste Ursache für alles Geschaffene (lat.: causa prima), welche durch Wissen und Willen handelt, ohne die geringste Potentialität und zeitliche Veränderung. Die ganze Welt in dieser räumlichen und zeitlichen Ordnung, also nicht bloß alle konkreten Dinge, sondern alle ihre Eigenschaften, Beziehungen, Bewegungen und Handlungen werden von Gott aus seiner zeitlosen, d.h. ewigen Existenz geschaffen. Zugleich partizipiert das, was in Gottes Sein geschaffen wird, an Gottes Vollkommenheit und hat dem endlichen Maß entsprechend, das durch das Wesen jedes einzelnen Seienden bestimmt wird, an ihr teil, sodass man sagen kann, dass Gott in allem vorhanden und wirksam ist. Das Böse muss hingegen als ein Mangel (lat.: privatio) an Güte aufgefasst werden, die es in Einheit mit Gottes schaffendem Willen geben sollte, die aber nicht geschaffen werden kann, solange ein freies Wesen sich weigert, sich schaffen zu lassen bzw. bei Gottes schaffendem Willen mitzuwirken. Während die Welt mit allem, was geschaffen wird, eine wirkliche Beziehung zum Schöpfer hat, insofern es sowohl in Bezug auf die Existenz als auch in Bezug auf das Wesen vollkommen von Gott abhängig ist, darf Gott selbst nicht so gedacht werden, als stünde er in einer wirklichen Beziehung zu etwas Anderem, weil Gott als Folge einer solchen Beziehung nicht mehr absolut und unveränderlich sein könnte. Während vor allem Dominikaner wie Albert und Thomas sich darum bemühten, Aristoteles’ Philosophie als Grundlage für das scholastische Denken einzuführen, folgten andere Theologen wie Robert Grosseteste (ca. 1170–1253) in seinen vier Kommentaren zu Dionysios sowie in De veritate, De scientia Dei, De statu causarum, De intelligentiis, De unica forma omnium, Hexaëmeron, De finitate motus et temporis und De luce und besonders Franziskaner wie z.B. Bonaventura (ca. 1217–1274) in Collationes in Hexaëmeron, De reductione artium ad theologiam, Quaestiones disputatae, Breviloquium, De mysterio Trinitatis und Itinerarium mentis in Deum weit mehr Augustinus’ Platonismus und Dionysios’ Neuplatonismus. Demgemäß konnten Aristoteles’ Gedanken wohl die Grundlage für Logik und Naturphilosophie, kaum aber für eine christliche Metaphysik und vor allem nicht für eine Theologie darstellen. Vom Neuplatonismus wurde insbesondere eine bestimmte Lichtmetaphysik übernommen, d.h. der Gedanke, dass das Geschaffene aus Gott wie das Licht aus einer Lichtquelle emaniert und zugleich an dieser Quelle partizipiert. Diese Emanation besteht aber darin, dass Gott als die absolut freie Ursache diese Welt aus dem Nichts schafft, während das Geschaffene Gott als sein Urbild widerspiegelt, es abbildet und danach strebt, wieder zu seinem Ursprung zurückzukehren. Weil Bonaventura zufolge auch der Intellekt des Menschen von innen

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durch Gott erleuchtet ist (lat.: illuminatio), hatte er weniger Schwierigkeiten, Anselms »ontologischen Gottesbeweis« zu akzeptieren und meinte sogar, dass Gottes Existenz selbstevident ist. Er übernahm auch das kosmologische Kalam-Argument, aber in modifizierter Form, weil er im Gegensatz zu Thomas meinte, dass man die Endlichkeit der Welt in der Zeit beweisen könne. Der neue Aristotelismus und Dionysios’ Neuplatonismus beeinflussten den Franziskaner Johannes Duns Scotus (ca. 1266–1308) sowohl in seinen Kommentaren zu Aristoteles als auch zu den Sentenzenmeistern wie in Quaestiones quodlibetales, Collationes, De primo principio und Theoremata (deren Echtheit aufgrund eines Abschnittes umstritten ist, demzufolge Gottes Existenz nicht mit der natürlichen Vernunft bewiesen werden kann). Er wich jedoch stark von den Scholastikern früherer Generationen ab, weil er davon ausging, dass »Seiendes« und andere Transzendentalien als eindeutige Ausdrücke bzw. Begriffe (lat.: univocum) verwendet werden. Dafür verneinte er jede Analogie zwischen Gott als dem absoluten Sein und allen übrigen Seienden, was es zu zeigen erschwerte, dass das absolut notwendige, höchste Seiende dasselbe wie das eine, unendlich Vollkommene ist, an dem alle endlichen Seienden partizipieren. Das erste Objekt in einem geschaffenen Intellekt muss folglich dieses eindeutige und unbegrenzte Sein darstellen, welches nicht mit Gott identifiziert werden darf. Das hat zur Folge, dass der Mensch mit seinem Intellekt eine Erkenntnis von allem, was es gibt, gewinnen kann, Gott eingeschlossen, ohne dass er die »via negationis« und die »via eminentiae« berücksichtigen muss. In seiner umfassenden Argumentation für Gottes Existenz verbindet Duns Scotus alle bekannten Gottesbeweise zu einer einzigen, logisch integrierten Argumentation. Er akzeptiert Anselms »ontologisches« Argument, verwirft aber Aristoteles’ Bewegungsargument. Im ersten Schritt zeigt er die Existenz einer ersten wirkenden und zielgerichteten Ursache sowie die Existenz des allervollkommensten Seins; im zweiten Schritt zeigt er, dass diese drei eine einzige Natur darstellen und im dritten Schritt zeigt er schließlich Gottes Existenz als das aktuell unendliche Seiende. Zugleich fasste er den platonischen Partizipationsgedanken und die Urbild-Abbild-Relation bloß als eine Art Wirkkausalität auf. In deutlicher Absetzung von seinem Lehrer Thomas von Aquin entwickelte der Dominikaner Meister Eckhart (ca. 1260–ca. 1327) im Prolog zu Opus tripartitum und in dem Fragment zu Opus propositionum sowie in Quaestiones Parisienses ein Denksystem, das von neuplatonischen Gedanken des Augustinus und des Dionysios beeinflusst war. Er betonte die Mangelhaftigkeit des scholastischen Denkens und die Bedeutung der mystischen Theologie und betrachtete beispielsweise Eriugenas Gedanken mit einer gewissen Sympathie. Er arbeitete eine Lehre der Transzendentalien aus und identifizierte sie mit

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der Gottheit, in anderen Zusammenhängen aber argumentierte er dafür, dass Gott nicht das Sein, sondern der Intellekt (lat.: intelligere) sei, während das Sein zum Geschaffenen gehöre. Um Gottes absolute Einfachheit bewahren zu können, hob Meister Eckhart im Geiste der negativen Theologie die Unaussprechlichkeit und Unbegreifbarkeit Gottes sehr stark hervor und behauptete, dass der Mensch sich nur in der mystischen, intuitiven Erfahrung mit Gott vereinen könne. Er wollte ihn daher auch nicht mehr als Seiendes oder als Person auffassen und konnte von Gott sogar als »dem Nichts« sprechen. Die Möglichkeit, mit Hilfe der natürlichen Vernunft eine echte Erkenntnis von Gott zu gewinnen, wurde im Spätmittelalter zunehmend infrage gestellt, nachdem der Franziskaner Wilhelm von Ockham (ca. 1285–ca. 1349) in seinen Aristoteles-Kommentaren sowie in Summa logicae und Quodlibeta septem eine konzeptualistische Sicht auf jede Erkenntnis entwickelt und dadurch die Grenzen der menschlichen Vernunft aufgezeigt hatte. Als er außerdem die Regel formulierte, dass man nicht mehr Seiende akzeptieren sollte, als notwendig sind, um die Wirklichkeit zu erklären – das sogenannte »Rasiermesser-Prinzip« –, führte dies zu einer gewissen Skepsis in Bezug auf die Möglichkeit des Menschen, die Grenzen der Sinneserfahrung zu überschreiten und so metaphysische, alles umgreifende Begriffe und ein philosophisches System, das die gesamte Wirklichkeit umfasst, zu entwickeln. Diese Auffassungen hatten zur Folge, dass der in der früheren Scholastik akzeptierte enge Zusammenhang zwischen der natürlichen Vernunft des Menschen und dem religiösen Glauben aufgelöst wurde, sodass das Band zwischen Metaphysik und Theologie zerriss, weil man alle Antworten auf religiöse Fragen ausschließlich in Gottes übernatürlicher Offenbarung suchte. Es ist verständlich, dass Ockham von seinem erkenntnistheoretischen Standpunkt aus Anselms »ontologischen« Beweis abwies und überhaupt in Bezug auf jeden sogenannten Gottesbeweis große Zweifel hegte. Die Verwässerung der Scholastik während des Spätmittelalters und die Auffassungen der Renaissance öffneten den Weg für neue philosophische Gedanken, z.B. bei Nicolaus Cusanus (Nikolaus von Kues; 1401–1464) in De docta ignorantia, De Deo abscondito, De quaerendo Deum, De dato patris luminum, Dialogus de genesi, Apologia doctae ignorantiae, De visione Dei, De principio, Trialogus de possest, Directio speculantis seu de non aliud, De venatione sapientiae und De apice theoriae, auch wenn er in vielem von Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Bonaventura, Meister Eckhart einerseits und vom Platonismus und besonders vom Neuplatonismus andererseits abhängig war. In seiner ausgeprägt negativen Theologie betont er die »gelehrte Unwissenheit« (lat.: docta ignorantia) des Menschen in Bezug auf Gott, d.h. dass der Mensch intellektuelle Klarheit über seine prinzipielle Unwissenheit

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in Bezug auf das göttliche Sein braucht. Diese Unwissenheit liegt in dem unendlichen, ontologischen und erkenntnismäßigen Unterschied zwischen dem Unendlichen an sich und dem endlichen Intellekt des Menschen begründet. Bei Gott kommt es nämlich zu einem »Zusammenfallen der Gegensätze« (lat.: coincidentia oppositorum), weil Gott als das gänzlich undifferenzierte Sein fern aller Gegensätze sein muss. Der Grund dafür liegt darin, dass jedes einzelne Seiende wie dieses individuelle Ding in einem notwendigen Gegensatz zu etwas Anderem steht, während bei Gott alles eine Einheit sein muss, weil alle Unterschiede in Gott zu Einem vereint sind. Gott ist nämlich als »Überwesenhaftes« (lat.: superessentialis) fern aller einzelnen Seienden, während er zugleich die Form eines jeden geschaffenen Seienden ist (lat.: forma omnium). Von Gott kann weder eindeutig noch analog prädiziert werden, dass es ihn gibt, auch wenn Gott das Sein an sich ist (lat.: entitas), das den Grund von allem darstellt, was es gibt (lat.: ens). Alles, was es gibt, muss (ontologisch) vor seiner Erschaffung in Gott als seiner »Ursache« »eingefaltet« (lat.: implicatio) sein, sodass es sich bei der Schöpfung selbst entfalten kann (lat.: explicatio). Dass Gott sich nicht vom gesamten Universum unterscheidet, bedeutet nicht, dass er nichts Anderes als das Universum ist, sondern nur, dass Gott die Gesamtheit aller endlicher Seienden transzendiert. Jedes einzelne Ding in der Vielheit ähnlicher Dinge hat auf seine individuelle Weise an den Eigenschaften teil, die bei Gott eine vollkommene Einheit darstellen. 14.5

Das Gottesverständnis des Westens nach der Renaissance

Das Gottesverständnis der Renaissance entwickelte sich vor dem Hintergrund der antiken Werte, die hauptsächlich mit den platonischen und neuplatonischen Gedanken zu tun hatten, oft im Gegensatz zu der »dogmatischen« Metaphysik der Scholastik, die stärker von aristotelischen Auffassungen geprägt war. Entscheidender war die Entwicklung eines neuen Gottesbildes, das mit der neuen Sicht auf die nicht veräußerbare Selbständigkeit und Freiheit der individuellen menschlichen Person sowie mit der neuen säkularen sozio-politischen Gesellschaftsordnung nach der kirchlich-religiösen Dominanz des Mittelalters konfrontiert war. Außerdem schwächten sich frühere metaphysische Einsichten zunehmend durch die spätmittelalterlichen konzeptualistischen und nominalistischen Tendenzen ab, sodass Gott höchstens als ein für den menschlichen Intellekt zugängliches Erkenntnisobjekt neben anderen verstanden oder als nur der christlichen Offenbarungssphäre zugehörig angesehen wurde. Die Gottesauffassung der Renaissance zeigt sich im christlichen Humanismus

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des Desiderius Erasmus von Rotterdam (1466/69–1536) in Enchiridion militis Christiani, Laus stultitiae und Ratio verae theologiae. Er betont die Bedeutung des christlichen Glaubens gegenüber den metaphysischen Spekulationen der Scholastik und die Bedeutung der biblischen Schriften im Verhältnis zur unzureichenden Vernunft des Menschen. Während er der natürlichen Vernunft skeptisch gegenüber steht, dehnt er diese skeptische Haltung nicht auf die Dogmen der Kirche aus, sondern entwickelt eine »christliche Philosophie«, die in einer gelehrten Frömmigkeit (lat.: docta pietas) besteht. In seiner Polemik gegen Luther widersetzt er sich in Diatribe de libero arbitrio der Prädestinationslehre und verteidigt den freien Willen des Menschen, der es dem Menschen ermöglicht, sich mit Hilfe der Gnade für den Weg der Erlösung zu entscheiden. Unter den Reformatoren hatte Martin Luther (1483–1546) bei seinen theologischen Studien hauptsächlich den Nominalismus und Voluntarismus Ockhams und anderer kennengelernt, demgemäß Gott in seiner souveränen Macht und Freiheit dem Menschen die Möglichkeit gibt, selbst für seine Erlösung tätig zu sein. Von den Schriften des späten Augustinus inspiriert drückt er jedoch in Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum, Disputatio contra scholasticam theologiam, Von der Freiheit eines Christenmenschen, De servo arbitrio, Disputatio de iustificatione und Disputatio de homine die Auffassung aus, dass der sündige Mensch seine gesamte Freiheit verloren hat und in keinster Weise zu seiner Erlösung beitragen kann. Alles hängt allein von Gottes Gnade (lat.: sola gratia) und allein vom Glauben (lat.: sola fide) ab, welcher als alleiniges Werk Gottes anzusehen ist. Daher vermag kein Mensch in der gegenwärtigen historischen Situation mit seiner natürlichen Vernunft, die Luther die »Hure des Teufels« nennt, eine tiefere metaphysische Gotteserkenntnis zu gewinnen. Jede erlösungsbezogene Erkenntnis vom verborgenen Gott (lat.: Deus absconditus) ist nur durch Jesus Christus gegeben, und es kann sie daher nur durch das Zeugnis der Bibel mittels der Erleuchtung des Heiligen Geistes geben. Umso weniger gelingt es dem Menschen mit seinem »geknechteten Willen«, der entweder vom Bösen oder von Gottes Vorbestimmung gesteuert wird, durch einen echten freien Akt dem Willen des allmächtigen Gottes zu folgen und an seiner Erlösung mitzuwirken. Bei Johannes Calvin (1509–1564) wurde diese Prädestinationslehre noch deutlicher entwickelt, dergemäß Gott als alleinwirkende Ursache alles souverän vorherbestimmt, entweder zur Erlösung oder zum Bösen und damit zum ewigen Tod. Auch wenn dieser Dualismus zwischen religiösem Glauben und vernünftiger Erkenntnis, zwischen Theologie und Philosophie, zwischen Gottes Allmacht und der vermeintlichen Freiheit des Menschen, zwischen Gottes Gnade und dem Werk des Menschen durch Reformatoren wie Philipp Melanchthon (1497–1560) in

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Loci communes gemildert wurde, wird er dennoch die reformatorische Gesellschaft dominieren. Das reformatorische Problem des Verhältnisses zwischen Gottes vorbestimmender Gnade und den freien Taten des sündigen Menschen erhielt innerhalb der katholischen Kirche eine neue Aktualität in dem sogenannten De-auxiliis-Streit zwischen Jesuiten und Dominikanern über das Verhältnis der Gnade des allmächtigen und allwirkenden Gottes zum freien Handeln des Menschen. Beeinflusst vom Geist der Renaissance hatte der Gründer des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola (1491–1556), in Geistliche Übungen und in seiner geistlichen Theologie nicht nur Gottes Anwesenheit und Handeln im kleinsten Detail der Schöpfung, sondern auch das Gewicht der persönlichen freien Wahl und Selbstbestimmung des einzelnen Menschen vor Gottes souveränem Willen in allen Situationen des Lebens betont. Gegen die Reformatoren hoben die Theologen des Jesuitenordens daher die Freiheit und Verantwortung des Menschen vor Gott hervor und wurden von ihren Gegnern häufig einer neuen Art häretischen Pelagianismus’ beschuldigt. Als der Jesuit Luis de Molina (1535–1600) in Liberi arbitrii cum gratiae donis, divina praescientia, providentia, praedestinatione et reprobatione concordia und Commentaria in primam divi thomae partem von Thomas’ Ideen aus versuchte, die katholische Lehre von der Gnade des allwissenden und allesbewirkenden Gottes und der Vorsehung mit einer stark betonten Auffassung der freien Wahlmöglichkeiten des Menschen zu vereinen, traf er auf Widerstand, u.a. durch den Dominikaner Domingo Báñez (1528–1604) in De vera et legitima concordia liberi arbitrii cum auxiliis gratiae Dei und Scholastica commentaria in primam partem Summae Theologicae S. Thomae Aquinatis, der eigentlich Thomas von Aquins Gedanken verteidigen wollte, obwohl seine Auffassungen von den Jesuiten als der calvinistischen Prädestinationslehre sehr ähnlich empfunden wurden. Der anschließende Streit wurde 1607 durch ein päpstliches Dekret dahingehend beigelegt, dass beide theologischen Positionen innerhalb der katholischen Theologie vertreten werden dürfen und keine von ihnen häretisch genannt werden darf. Dies trug auch dazu bei, dass jesuitische Theologen wie Francisco Suárez (1548–1617) in De gratia und Robert Bellarmin (1542–1621) in De gratia et libero arbitrio sich um eine Versöhnung beider Standpunkte bemühten (Kongruismus). Diese Theologen und ihre Nachfolger waren sich darin einig, dass Gott als Erstursache durch sein allgemeines Mitwirken (lat.: concursus generalis) alle natürlichen Ereignisse verursacht, bei denen konkrete Dinge gemäß ihren inneren Triebkräften als Zweitursachen wirken. Ein Mangel, der entsteht, hängt von der Unzulänglichkeit der Zweitursachenordnung ab, die von Gott zugelassen wird. Beim Menschen genügt Gottes Mitwirkung für freie,

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moralisch gute Handlungen. Zugleich will Gott keine moralisch bösen Handlungen, lässt sie aber dennoch zu und »wirkt« sogar bei demjenigen Handeln »mit«, dessen moralisch böser, d.h. mangelhafter Charakter gänzlich von der Weigerung des freien, geschaffenen Wesens abhängt, gemäß Gottes Willen zu handeln. Darüber hinaus wirkt Gott mit seiner erlösenden Gnade auf eine »übernatürliche« Weise bei bestimmten freien Handlungen mit, obwohl der freie Mensch sich auch in diesem Fall Gottes Gnade widersetzen kann. Unter diesen Voraussetzungen sind die Handlungen des Menschen nach Molina nur dann frei, wenn »er handeln und nicht handeln kann, oder er auf eine Weise handeln kann, sodass er auch das Gegenteil hätte tun können«. Daher muss Gottes Mitwirkung an sich neutral sein (lat.: indifferens), sodass diese in ihrer Wirkung effektiv oder ineffektiv ist, je nach der Zustimmung des freien Wesens oder seiner Weigerung zuzustimmen. Um den Gedanken an Gottes allwissende Vorsehung verteidigen zu können, nahm Molina bei Gott, über sein totales Wissen von allem Notwendigen und allem faktisch Geschaffenen hinaus, auch ein »dazwischen liegendes Wissen« (lat.: scientia media) von allen möglichen zukünftigen Konsequenzen (lat.: futuribilia) der Wahlalternativen der freien Wesen an. Nach Báñez und seinen Anhängern war dies mit der Lehre von Gott als schaffender Erstursache der moralisch guten und übernatürlichen, erlösenden Handlungen des Menschen unvereinbar. Vielmehr muss Gott stattdessen auf das Geschaffene gemäß dessen Wesen mittels eines vorherigen »physischen« Impulses (lat.: praemotio physica) einwirken. Diese effektive Mitwirkung ist nötig, damit ein freies geschaffenes Wesen von der totalen Bereitwilligkeit, auf eine von Gott im Vorhinein determinierte (lat.: praedeterminatio physica) moralisch gute Weise zu handeln, dazu übergehen kann, wirklich auf diese Weise zu handeln. Dabei lässt der Impuls zu, dass eine Wirkung entsteht, die aus einer freien Entscheidung, nicht gemäß Gottes Absicht zu handeln, hervorgeht, wobei er dann seine eigentliche Zielwirkung verfehlt. In diesem Fall ist Gottes »mittleres Wissen« für die Möglichkeiten in der Zukunft nicht nötig, weil Gott im Zuge seines Schaffens alles »sieht«, sei es ein determiniertes Ereignis oder eine freie Handlung. In Disputationes metaphysicae behandelte Suárez im ersten Hauptteil »das Seiende in dem Maße, in dem es ein reales Seiendes ist«, d.h. in dem es wirklich an sich existiert, und im zweiten Hauptteil beschäftigte er sich mit den einzelnen bzw. partikulären Seienden, zu denen er nicht nur das Geschaffene, sondern sogar Gott zählt. Er ging von der inneren Attributionsanalogie des Seins zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen aus und leitete auf Basis einer Kausalitätsordnung aller entstehenden Seienden metaphysisch Gottes notwendige Existenz als erstes Seiendes her; zugleich wies er

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Aristoteles’ physikalisches Argument, das zum »unbewegten Beweger« führt, zurück. Er versuchte auch, Gottes Vollkommenheit, Einfachheit, Unendlichkeit, Unveränderlichkeit, Weisheit und Allmacht zu klären. Zudem war er mit der Argumentation für Gottes Existenz ausgehend von dem gesetzmäßigen, geordneten Verlauf und der Entwicklung der Natur vertraut. Zur gleichen Zeit wurde innerhalb der Gemeinschaften der Reformation der Graben zwischen dem religiösen Glauben und dem Denken der reinen Vernunft und damit zwischen Theologie und Philosophie zunehmend größer, während sich die katholischen Theologen intensiv speziellen Glaubensfragen widmeten. Die reine Naturwissenschaft löste sich immer mehr von der scholastischen Naturphilosophie innerhalb des Rahmens der aristotelischen Metaphysik. Aber weder Nikolaus Kopernikus (1473–1543) in De revolutionibus orbium coelestium noch Johannes Kepler (1571–1630) in Mysterium cosmographicum, Astronomia nova, Harmonice mundi und Epitome astronomiae Copernicanae wollten die christliche Gottesauffassung angreifen. Ihre Theorien standen zwar im Gegensatz zum Wortlaut der Bibel, problematischer aber war, dass sie vom Aristotelismus abwichen, der das theologische Denken dominierte, und oft von einer neuplatonischen Metaphysik inspiriert waren, z.B. der Sonne als Lichtquelle und Zentrum des Universums und einer kosmischen Harmonie, die sich im dreieinigen Gott widerspiegelt. Galileo Galilei (1564–1642) hingegen meinte in Nuncius sidereus, Il saggiatore, Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo und Discorsi e dimostrazioni matematiche intorno a due nuove scienze, dass man mit Beobachtung und Experimenten eine sichere, demonstrierbare Erkenntnis gewinnen kann, die im Gegensatz zur Metaphysik und theologischen Spekulation sowie dem Zeugnis der Bibel stehen kann. Obwohl der traditionelle christliche Glaube lange nach der Renaissance dominierend blieb, entwickelten bestimmte Denker aufgrund neuerer naturwissenschaftlicher Ergebnisse eine neue Gottesauffassung, die nicht nur im Gegensatz zur früheren aristotelischen Grundansicht, sondern auch zu christlichen Dogmen stand. Ausgehend von neuplatonischen Gedanken entwickelte der Naturphilosoph Giordano Bruno (1548–1600) ein eigenes System in Della causa, principio et uno, De l’infinito, universo et mondi, De umbris idearum und De monade numero et figura liber, item de innumerabilibus, immenso et infigurabili seu de universo et mundis libro octo. In einem gewissen Maße identifizierte er Gott mit dem Universum selbst oder mit der Natur oder auch mit der Weltseele, die das Universum zu Einem macht. Dieses Universum wurde als eine unbegrenzte und damit unendlich ausgedehnte, beseelte Ganzheit gesehen. Diese Ganzheit umfasst unendlich viele Welten, die unserer eigenen ähneln und wie intelligente lebende Wesen als Teile in das göttliche All eingehen. Jede dieser Welten ist außerdem von Gottes eigenem Leben durchdrungen. Laut

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Bruno müssen die konkreten Dinge und die einzelnen Menschen mehr als kollektive Aggregate denn als lebende Materie aufgefasst werden. In dieser Zeit äußerer und innerer Umwälzungen, einer wachsenden Skepsis gegenüber den Möglichkeiten der Vernunft und eines zunehmenden starren Dogmatismus in religiöser und philosophischer Hinsicht versuchte René Descartes (1596–1650) in Regulae ad directionem ingenii, Discours de la méthode, Principia philosophiae und Meditationes de prima philosophia eine neue, unzweifelhafte Grundlage für die intellektuellen Erkenntnisse des Menschen fern jeglicher religiöser und weltlicher Autoritäten zu legen. Er fand eine unerschütterliche Sicherheit in Bezug auf die Existenz des Erkenntnissubjekts durch die Einsicht »Ich denke, also bin ich« (lat.: cogito ergo sum) und in Bezug auf die notwendigen apriorischen Wahrheiten der Logik und der Mathematik mit ihren klaren und deutlichen Ideen. Um aber eine ähnlich sichere Erkenntnis auch von der äußeren Welt und innerhalb der neuen empirischen Wissenschaften gewinnen zu können, muss das Problem der Unzuverlässigkeit von Sinnen und Gedächtnis gelöst werden. Vor allem muss man die Hypothese, dass ein »böser Dämon« (lat.: genius malignus) das Denken systematisch in die Irre führt, abweisen. Die Vernunftgemäßheit von allem ist nach Descartes nur dadurch garantiert, dass man von klaren und allgemein akzeptierten Begriffen wie unendlich-vollkommen bzw. mächtiger-als-alles-Andere ausgeht und außerdem in Anselms Geiste die notwendige Existenz und Güte eines solchen vollkommensten bzw. mächtigsten Wesens beweist, das der schaffende Ursprung und Ordner von Allem ist. Von seiner Definition von »Substanz« als »das, was so existiert, dass es nichts Anderes für seine Existenz benötigt« her hätte Descartes eigentlich von nur einer einzigen Substanz ausgehen können, nämlich von Gott in seiner absolut unabhängigen und selbständigen Existenz. Weil aber das Geschaffene Gott nur braucht, um existieren zu können, nahm er in platonischem Geiste an, dass es auch denkende Substanzen (lat.: res cogitans), d.h. die menschlichen, bewussten Seelen, als Subjekte der Erkenntnis gibt, und die ausgedehnte Substanz (lat.: res extensa), d.h. die materielle körperliche Welt, als Objekt der Erkenntnis. Dieser Substanzdualismus kann nur dadurch überwunden werden, dass Gott als seine eigene, absolute und notwendige Ursache die Ursache von allem Geschaffenen ist und mit diesem mitwirkt (lat.: concursus Dei), sodass auch eine innerweltliche Kausalitätsordnung möglich ist. Descartes’ Kausalitätsgedanke stellt den Ausgangspunkt für die Okkasionalisten Arnold Geulincx (1624–1669) in Quaestiones quodlibeticae, Annotata praecurrentia ad R. Cartesii und Annotata majora in Principia philosophiae Renati des Cartes und Nicolas Malebrance (1638–1715) in De la recherche de la vérité, Traité des lois de la communication du mouvement und Entretiens sur la

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métaphysique et la religion dar. Sie verschärften Descartes’ Dualismus und verneinten jede echte Kausalität zwischen Seele und Körper und sahen im Geschaffenen nur einen Anlass (lat.: occasio), auf den hin Gott selbst als die eine echte Ursache handelt. Trotz seiner Abhängigkeit von Descartes betont Blaise Pascal (1623–1662) nach seiner religiösen Bekehrung in Écrits sur la Grace und Pensées die Begrenzung des rationalistischen Denkens und das Unvermögen der menschlichen Vernunft als Quelle sicherer Erkenntnis und als Hilfe rechten Handelns. Erst wenn man sowohl den Verstand (frz.: raison) als auch »das Herz« (frz.: cœur) als Organ von Klarheit und religiöser Erfahrung nutzt, kann man seine Größe im Verhältnis zum Nichts und seine Kleinheit im Verhältnis zu Allem, d.h. zu Gott und dem Universum, einsehen. Gott ist nämlich nicht nur »der Gott der Philosophen«, d.h. eine Art Ziel für die Vernunft, sondern »der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs«, d.h. der in der Geschichte handelnde, personale Gott. Gottes Existenz kann nicht bewiesen, sondern muss im Glauben akzeptiert werden. Derjenige aber, der Gott akzeptiert, hat beste Chancen bei einer Wette. Pascal stand auch den Jansenisten nahe, eine durch Cornelius Jansen (1585–1638) gegründete Gruppierung innerhalb der katholischen Kirche, die die Freiheit der menschlichen Person mit Verweis auf Augustinus geradezu verneinte, um den souverän schaffenden und den vorherbestimmenden, erlösenden Willen des allmächtigen Gottes retten zu können. Die Schwierigkeit mit Descartes’ Substanzdefinition führte dazu, dass Baruch de Spinoza (1632–1677) in Renati des Cartes principiorum philosophiae, Ethica, more geometrico demonstrata, Tractatus de intellectus emendatione und Tractatus theologico-politicus versuchte, das Problem dadurch zu überbrücken, dass er die eine Substanz in der Gottheit sah, die ihre eigene Ursache ist, »in sich selbst« existiert und »durch sich selbst verstanden wird«. Die Existenz einer solchen begrifflich fassbaren Gottheit kann mit Hilfe einer Art von ontologischem Argument hergeleitet werden. Die Gottheit ist nämlich nicht nur unbegrenzt in ihrer Art, sondern allumfassend, d.h. absolut unendlich und unbegrenzt in ihren Eigenschaften (Attributen), und als unendlich in ihrer Vollkommenheit muss es sie geben. Alles andere, was es gibt, ist von dieser Gottheit abhängig. Alle Dinge müssen nämlich in der Gottheit existieren, und sie können nicht ohne sie gedacht werden. Daher muss die Gottheit mit dem gesamten Universum bzw. mit der Natur identifiziert werden (Spinoza: »Deus sive natura«). Zugleich ist die Gottheit auch das Substanzprinzip von allem und das eigentlich Wirkliche hinter allen Erscheinungen. Das Bewusstsein und die Ausdehnung sind nur zwei der unendlich vielen Eigenschaften der Gottheit. Diese treten in der Welt in ihren Modi auf, nämlich als Ideen im Bewusstsein und als ausgedehnte Körper. Weil alles eine einzige Substanz ist, kann die

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Gottheit als Teil bewusster Seelen in ausgedehnten Körpern ungehindert mit sich selbst »wechselwirken«, wobei das Bewusstsein als der aktive Teil (lat.: natura naturans) dem Körper als dem passiven Teil (lat.: natura naturata) übergeordnet ist. Weil alles in der Gottheit mit logischer Notwendigkeit geschieht, gibt es in der Natur keinen Zufall und keine Freiheit und daher auch nicht im Menschen. Eine solche Gottheit schafft nicht, handelt nicht in der menschlichen Geschichte, hört keine Gebete und ist nicht Gegenstand der Verehrung. Dagegen kann die Gottheit bzw. die Natur vollständig mit dem Intellekt verstanden werden, sowohl die Attribute der Ausdehnung in der wahren Physik als auch die Attribute des Denkens in der wahren Psychologie. Eine Zielgerichtetheit gibt es in der logisch notwendigen Welt nicht, in der bereits die kleinsten Bestandteile sowohl ausgedehnt als auch bewusst sein müssen. Das Böse in der Welt muss daher als etwas im einzelnen Detail Schlechtes aufgefasst werden, was für eine bzw. innerhalb einer umso besseren Ganzheit notwendig ist. Um Descartes’ Dualismus zu vermeiden, entwickelte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) in Dissertatio de arte combinatoria, praefixa est demonstratio existentiae Dei ad mathematicam certitudinem exacta, Confessio naturae contra atheistas, De rerum originatione radicali, De ipsa natura, Considérations sur la doctrine d’un esprit universel, Système nouveau de la nature et de la communication des substances, Essais de Théodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l’homme et l’origine du mal, Monadologie, Principes de la nature et de la grâce fondés en raison und Discours de métaphysique schrittweise sein ontologisches System der einfachsten individuellen Substanzen (Monaden), von denen jede einzelne das gesamte Universum widerspiegelt und die ohne einen echten Kausalnexus dennoch aufgrund einer durch den Schöpfer von Anfang an aufrechterhaltenen »vorbestimmten Harmonie« (lat.: harmonia praestabilita) aufeinander einzuwirken scheinen. Er akzeptierte Descartes’ (ontologischen) Gottesbeweis aus dem Gottesbegriff, präzisierte aber die Argumentation durch die Forderung, dass man im Vorhinein die Widerspruchsfreiheit des Gottesbegriffs und damit Gottes mögliche Existenz garantieren muss, zugleich versuchte er selbst auf unterschiedliche Weise, diese Widerspruchsfreiheit des Begriffs »das Allervollkommenste« zu beweisen. Indem er die Frage stellte, warum es überhaupt etwas gibt und nicht einfach nichts, arbeitete er auch den Gottesbeweis aus der Kontingenz der Welt um, indem er zeigte, dass die bloße Existenz eines kontingenten Seienden einen hinreichenden Grund für die Existenz dessen voraussetzt, was absolut notwendig und daher absolut vollkommen ist, d.h. Gott. Bei der Verteidigung seiner These, dass Gott in seiner Güte die beste aller »möglichen Welten« geschaffen hat, prägte Leibniz den Begriff »Theodizee«, d.h. Gottes Rechtfertigung, gegen Ansichten seiner Gegner, dass das Vorhandensein des Bösen in Welt zeigt, dass es Gott nicht

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gibt. Er formulierte den Unterschied zwischen dem physisch, moralisch und metaphysisch Bösen (lat.: malum physicum, morale, metaphysicum) und erklärte im Geiste Augustinus’ diese Formen des Bösen als unterschiedliche Arten von Mangel an Gutem. Im Geiste des Rationalismus verstand der deutsche Aufklärungsphilosoph Christian Wolff (1679–1754) in Discursus praeliminaris de philosophia in genere, Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, Philosophia prima, sive Ontologia, methodo scientifica pertractata, Theologia naturalis, methodo scientifica pertractata, den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet und Anmerckungen über die vernünfftigen Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt die Philosophie als »Wissenschaft des Möglichen in dem Maße, in dem es sein kann«, d.h. als ein allumfassendes System. Im Gegensatz zu Aristoteles, aber ähnlich den Scholastikern des 17. Jahrhunderts unterschied er deutlich zwischen der Ontologie als einer übergeordneten, allgemeinen Metaphysik (lat.: metaphysica generalis) und der natürlichen Theologie, die zusammen mit der rationalen Psychologie und der Kosmologie als untergeordnete, speziellere Formen der Metaphysik (lat.: metaphysica specialis) aufgefasst wurden. Das bedeutet, dass Gott als ein wissenschaftlichen Untersuchungen zugängliches »mögliches Erkenntnisobjekt« verstanden wurde, wie ein Seiendes »neben« dem Menschen und dem gesamten Universum. Wolff unterscheidet genau die natürliche Theologie, d.h. »die Wissenschaft der Dinge, die durch Gott möglich sind« und die »nur mit Hilfe des Lichts der Natur« erreicht werden können, von der Offenbarungstheologie, welche auf Gottes übernatürlicher Offenbarung und dem Zeugnis der Bibel beruht. Wie Leibniz beweist er ausgehend von der Existenz der kontingenten Dinge und der Ordnung der gesamten Welt mit Hilfe des Satzes vom zureichenden Grund, dass es Gott als das absolut notwendige, von sich aus existierende (lat.: ens a se) und alles ordnende Seiende gibt, beweist aber auch Gottes Existenz aufgrund des Gottesbegriffs »des allervollkommensten Seienden«, d.h. dem Seienden, »zu dem alle miteinander vereinbaren Wirklichkeitsbeschaffenheiten gemäß dem absolut höchsten Grad gehören«. Ein Gegengewicht zu diesem Rationalismus bildeten solche theosophische Geistesströmungen, die teilweise von neuplatonischen und gnostischen Gedanken beeinflusst waren und besonders innerhalb des Protestantismus, z.B. von Jacob Böhme in Morgenröthe im Anfang, Hohe und tieffe Grunde von dem dreyfachen Leben des Menschen, Sex puncta theosophica oder von den Sechs mystischen Puncten, Angelus Silesius (Johann Scheffler; 1624–1677) in Der Cherubinische Wandersmann und Emanuel Swedenborg (1688–1772) in Arcana coelestia, entwickelt wurden. Weil sie den Möglichkeiten der menschlichen

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Vernunft, relevante Erkenntnisse von Gott zu gewinnen, skeptisch gegenüberstanden, bemühten sie sich um eine höhere Gotteserkenntnis durch ein direktes mystisches Schauen von Gottes Wesen und der himmlischen Welt. Laut Böhmes Pantheismus ist Gott sowohl das undifferenzierte Nichts, als auch das Prinzip und der Urgrund für alles. Gott hat den Willen, sich selbst zu schauen, und dadurch wird die geschaffene Welt hervorgebracht, in der durch die Differenzierung auch das Böse entsteht. Ein bestimmter Pantheismus ist auch bei Angelus Silesius vorhanden, demgemäß Gott ebenso groß wie der Mensch ist und es Gott ohne den Menschen nicht geben kann. Swedenborg lehnte die Lehre von der Dreieinigkeit ab, weil Gott ein Einziger ist und durch all das Geschaffene handelt, sodass Gottes Weisheit und Leben in die Seele des Menschen und weiter in seinen Körper fließen. Häufig entwickelten diese Denker ihre Positionen im Gegensatz zu der offiziellen protestantischen Theologie. Im Kontrast zu diesen religiös mystischen Spekulationen und in einem wachsenden Gegensatz zur offiziellen Lehre der Kirche wurden die zunehmend rationalen und experimentellen Methoden der neuen Naturwissenschaften entwickelt. Der Begründer der klassischen Physik, Isaac Newton (1642–1727), wollte in Philosophiae naturalis principia mathematica eine allumfassende Theorie für die materielle Welt entwickeln. Sein selbstkritischer Ausspruch »Ich dichte keine Hypothesen zusammen« (lat.: hypotheses non fingo) war nicht gegen die Kirche gerichtet. Er versuchte sogar in Opticks und General Scholium ausgehend von der Ordnung der Welt zu beweisen, dass es Gott fern von Zeit und Raum als den intelligent Handelnden (lat.: agent) gibt, und als erste Ursache aller kontingenten Phänomene des Universums, die den in der Natur vorhandenen, notwendigen, mechanischen Gesetzen folgen. Zugleich verstand er den überall vorhandenen, grenzenlosen, unendlichen, notwendigen und unveränderlichen, absoluten Raum als Gottes »boundless uniform Sensorium«, d.h. als eine Art göttliches Sinnesorgan (lat.: sensorium Dei), ohne die Welt als »the Body of God« oder die Teile des Universums als Teile von Gott verstehen zu wollen. Wie sehr Newtons mechanische Ansicht dennoch für den großen Graben zwischen dem religiösen Glauben und dem vernünftigen Denken der Wissenschaft entscheidend wurde, zeigt sich bei dem Astronomen Pierre Simon de Laplace (1749–1827), der nur wenige Jahrzehnte nach Newton zu Napoleon sagen konnte, dass er Gott als Hypothese in seinem mechanischen und deterministischen physikalischen System nicht brauche. Eine Form des materialistischen oder panvitalistischen »Pantheismus« wurde im Zeitalter der Aufklärung von französischen Philosophen wie Paul Henri Thierry d’Holbach (1723–1789) in Système de la nature und Le christianisme dévoilé ou Examen des principes et des effets de la religion chrêtienne und

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Denis Diderot (1713–1784) in Pensées philosophiques, Encyclopédie, Pensées sur l’interprétation de la nature und Supplément au Voyage de Bougainville entwickelt. Beeinflusst von der materialistischen und mechanischen Auffassung der neuen Naturwissenschaften versuchten sie dennoch, eine metaphysisch umfassende Position zu entwickeln, dergemäß das Universum bzw. die Natur als Totalität aller materiellen und zugleich lebenden Körper, d.h. der gesamten physischen Wirklichkeit, das eine, allumfassende und unendliche Absolute ist. Zugleich nahmen sie an, dass die einzelnen Religionen sich aufgrund rein primitiver psychischer oder sozialer Bedürfnisse aus dem religionslosen Urzustand der Menschheit entwickelten. Die englische Aufklärung während des 18. Jahrhunderts knüpfte an Gedanken an, die früher von Herbert von Cherbury (1583–1648) in De veritate, prout distinguitur a revelatione, a verisimili, a possibili, et a falso, De causis errorum: una cum tractatu de religione laici und De religione gentilium geäußert wurden. Als Freidenker sah er bei der rechten Vernunft (lat.: recta ratio), und nicht bei äußeren Autoritäten, den eigentlichen Grund alles religiösen Denkens, sodass es hinter allen historischen Religionen eine allgemeinmenschliche »natürliche Religion« gibt. Diese besteht aus solchen vernunftgemäßen Grundwahrheiten, die von allen akzeptiert werden, sobald sie sie verstanden haben, z.B. die Existenz einer höchsten Gottheit, die Verehrung einer Gottheit, ein moralisches Leben und eine Belohnung oder Strafe in einem »Leben danach«. Obwohl er der »Vater des englischen Deismus« genannt wird, scheint er keinen vollständigen Deismus vertreten zu haben, weil er eine göttliche Offenbarung und die göttliche Gnade im Leben einzelner Menschen nicht direkt verneint. Die deistische These, dass Gott als Schöpfer der Ingangsetzer der Welt ist, seitdem aber nicht in den notwendigen Verlauf der Weltenmaschinerie eingreift, wird dagegen ausdrücklich von John Toland (1670–1722) in Christianity not mysterious, Letters to Serena und Pantheisticon, Anthony Collins (1676–1729) in An essay concerning the use of reason in propositions, the evidence whereof depends upon human testimony, A discourse of free thinking, occasion’d by the rise and growth of a sect call’d free thinkers und A discourse of the grounds and reasons of the christian religion, Anthony Ashley Cooper Shaftesbury (1671– 1713) in The moralist und Characteristics of men, manners, opinions, times und Matthew Tindal (ca. 1657–1733) in A new catechism und Christianity as old as the creation verteidigt. Diese Denker kritisierten jede Form von Religion, deren Auffassungen nicht mit der Vernunft gerechtfertigt werden können, besonders das Christentum mit seiner übernatürlichen Offenbarung, seinen Wundern und seiner Prophetie sowie Gottes Menschwerdung in Jesus Christus. Der Versuch der englischen Aufklärung, eine vernunftgemäße, natürliche Religion zu entwickeln, beeinflusste mehrere Denker in Frankreich,

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z.B. François Marie Arouet de Voltaire (1694–1778), der in Lettres philosophiques, Traités de métaphysique, La métaphysique de Newton, Discours en vers sur l’homme, Zadig ou la destinée, Candide ou l’optimisme und Des doutes sur la liberté eine deistische Gottesauffassung vertrat. Wie seine Aussage »Wenn es Gott nicht gäbe, sollte man ihn erfinden« (frz.: Si Dieu n’existait pas, il faudrait l’inventer) zeigt, vertrat er von Anfang an die Position, dass Gottes Existenz als Grundlage für die Ordnung von Natur und Gesellschaft notwendig ist. Später wurde er aber aufgrund des Theodizee-Problems zunehmend skeptisch, ob der Mensch wirklich frei sei und es Gott als ordnenden und wohlwollenden Schöpfer der Welt gebe. Andere Denker der Aufklärung wie z.B. Claude Adrien Helvetius (1715–1771) und Denis Diderot (1713–1784) gingen weiter und verneinten Gottes Existenz ganz und gar. Die deistischen Ideen der Aufklärung verbreiteten sich auch bis nach Deutschland, wo Hermann Samuel Reimarus (1694–1768) in Die vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion und Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) im Drama Nathan der Weise die natürliche Religion gegen die religiösen Ansprüche sowohl des Judentums als auch des Christentums verteidigten und den historischen Wert der biblischen Zeugnisse zu bezweifeln begannen. Indem bestimmte englische Philosophen der Aufklärung von einem deutlicheren Empirismus ausgingen, begannen sie auch einen zunehmenden Agnostizismus zu vertreten und schrittweise zu behaupten, dass der Mensch mit seiner natürlichen Vernunft überhaupt keine Kenntnis von Gott erlangen kann. Weil nach John Locke (1632–1704) in An Essay Concerning Human Understanding das Bewusstsein des Menschen eine »unbeschriebene Tafel« (lat.: tabula rasa) ohne angeborene Ideen ist und jede Erkenntnis überhaupt aus der Wahrnehmung der Sinne stammt, dringt der Mensch erst in einem sehr späten Stadium zu solchen abstrakten Ideen wie Identität, Sein, Einheit, Substanz und Gott vor, und daher bleiben diese sehr umstritten. Einen noch umfassenderen Empirismus vertrat der Bischof George Berkeley (1685–1753), der in A treatise concerning the principles of human knowledge, Three dialogues between Hylas and Philonous und An essay towards a new theory of vision durch seinen spiritualistischen Phänomenalismus eigentlich für die Religion und gegen die Konsequenzen arbeiten wollte, die aus dem damals zunehmenden Skeptizismus oder Aberglauben an die Methoden der Naturwissenschaften folgten. Seine These, dass zu sein dasselbe ist wie wahrzunehmen (lat.: esse est percipi), gab ihm die Möglichkeit, die gesamte materielle und körperliche Welt zu verneinen und nur Gottes Existenz als die schaffende, bewusste Substanz und den Menschen als die geschaffene, bewusste Substanz zu akzeptieren, in deren Bewusstsein die gesamte körperliche Welt geschaffen wird. Bei David Hume (1711–1776) ist in A treatise of Human Nature, Enquiries concerning Human

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Understanding die extremste Form des Empirismus enthalten, der schrittweise in einen radikalen Skeptizismus in Bezug auf die Möglichkeiten des Menschen mündet, überhaupt irgendwelche sicheren, wahren und intersubjektiven Erkenntnisse über die direkte Wahrnehmung hinaus zu gewinnen, sowohl in der Metaphysik und Religion als auch in allen Wissenschaften (Agnostizismus). Auf ähnliche Weise wie das Substanz-, Kausalitäts- und Ich-Verständnis der Menschen mit Hilfe von Wahrnehmungsinhalten und bestimmten psychischen Mustern erklärt wird, lassen sich moralische und religiöse Auffassungen sowie die Entstehung des Gottesglaubens selbst auf bestimmte psychische oder emotionale Mechanismen zurückführen. Dennoch versuchte Hume in The natural history of religion und Dialogues concerning natural religion im Geiste der Aufklärung und besonders aufgrund des Theodizee-Problems zu zeigen, wie Religion letztlich dem vernünftigen Denken des Menschen widerspricht. 14.6

Der Gott des Idealismus – und des Realismus

Der Kampf des 18. und 19. Jahrhunderts mit der Gottesauffassung kann als eine Folge des Grabens zwischen Vernunft und religiösem Glauben gesehen werden, der durch die Theologen der Reformation aufgerissen und von Immanuel Kant (1724–1804) vertieft wurde. Von Anfang an war Kant von Leibniz’ und Wolffs Rationalismus beeinflusst und mit Newtons Forschungsergebnissen sowie denen anderer Naturwissenschaftler vertraut. Er ging zu großen Teilen von diesen Positionen aus, als er in seinen ersten Schriften Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio, Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus, Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes, Untersuchungen über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral und Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik versuchte, das rationalistische Denken mit den empirischen Naturwissenschaften zu versöhnen. Zu dieser Zeit akzeptierte er solche metaphysischen Prinzipien, die zumindest bestimmte Beweise für Gottes Existenz ermöglichen, und meinte sogar, dass Gott die beste aller möglichen Welten schaffen muss. In diesen Schriften aber steht er der Behandlung von Themen wie z.B. der Unsterblichkeit der Seele, der Freiheit des Menschen und Gottes Vorsehung durch die Metaphysik zunehmend kritisch gegenüber. Weil man neue, objektive Erkenntnisse nur durch Sinneserfahrung und nicht durch reine Begriffe gewinnen kann, kann die Metaphysik nichts Anderes als eine Wissenschaft der Grenzen der menschlichen Vernunft sein. Weil Existenz kein gewöhnliches begriffliches Prädikat ist, können die vom Gottesbegriff ausgehenden Argumentationen früherer Philosophen nicht korrekt

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sein. Der Gottesbeweis aus der Kontingenz der Dinge und der teleologische Gottesbeweis, der von der Ordnung der Welt ausgeht, sind gleichermaßen unzureichend, weil man mit deren Hilfe zwar möglicherweise beweisen kann, dass es ein notwendiges Seiendes gibt, aber kein solches, welches alle Attribute Gottes besitzt. Man kann jedoch Gottes Existenz als Bedingung für die Möglichkeit der gesamten Wirklichkeit beweisen. Ein solcher Gott kann aber höchstens die Ursache und Grundlage für die notwendigen Gesetze der Natur sein, weil Gott den Ergebnissen der neuen Wissenschaften gemäß nicht in den Verlauf der Welt eingreifen kann. Nachdem Kant durch seine Lektüre von Humes Schriften aus seinem »dogmatischen Schlummer« geweckt wurde, führte dies zu seiner »Kopernikanischen Wende«, d.h. zu seiner Wende vom Objekt zum Subjekt, mit der Folge, dass er es in der Kritik der reinen Vernunft (Transzendentale Dialektik), Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können und Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft als unmöglich ansah, dass man mit der reinen Vernunft durch metaphysische Beweisführung über die Grenzen der Sinneserfahrungen hinausgelangen kann. Die Auffassungen der traditionellen Metaphysik in Bezug auf die Freiheit des Menschen, die Unsterblichkeit der Seele und Gottes Existenz sind bloß Illusionen, die einem unvermeidlichen Versuch entspringen, die Kategorien des Verstandes anzuwenden, um Erkenntnisse von etwas Unbedingtem fern aller Erfahrung zu gewinnen. Auf diese Weise kann der Verstand nicht zum Ding an sich14 vordringen, d.h. zur Wirklichkeit an sich, sondern nur zu »regulativen Vernunftideen«, d.h. zu Vorstellungen, die den Erkenntnisprozess des Menschen regeln. Aus dieser Einschränkung des Vermögens der menschlichen Vernunft folgt, dass man in einem metaphysisch-rationalistischen Sinn nichts mehr von Gott wissen kann, weil Gott im Verhältnis zur menschlichen Erfahrung vollständig transzendent ist. Das »ontologische Argument« ist laut Kants Terminologie ungültig, weil es den Existenzbegriff behandelt, als wäre er ein Prädikat, d.h. wie eine wirkliche Beschaffenheit oder Vollkommenheit, und weil es zur Erfahrung in keiner Beziehung mehr steht. Damit sind auch das »kosmologische Argument« ausgehend von der Kontingenz der Dinge und das »teleologische Argument« ausgehend von der Ordnung von allem als Gottesbeweise ungültig, weil man nur mit Hilfe des ontologischen Arguments von der Idee eines notwendigen »Weltenerbauers« zu der Idee eines absolut vollkommenen Seienden übergehen kann. Schließlich gilt auch der Beweis für die Existenz Gottes als Grundlage für all das Mögliche in der Welt nicht, weil der Begriff eines »ens realissimum«, d.h. eines Seienden, das in sich selbst den 14 

Dt. im Original in Klammern, Anm. d. Hrsg.

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Grund für den »totalen Inbegriff aller Möglichkeit« enthält, eine weitere der illusorischen Ideen der Vernunft ist. Trotz Kants verwüstender Vernunftkritik, die jede echte, objektive metaphysische oder religiöse Erkenntnis unmöglich zu machen scheint, war es nicht seine Absicht, das Fundament der Religion zu widerlegen. Stattdessen wollte er einem allzu starken Vertrauen in die menschliche Vernunft entgegenwirken, um auf diese Weise für den Glauben Platz zu schaffen (»Ich musste also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen«, KrV B XXX). Auch wenn die reine Vernunft Gottes Existenz nicht beweisen kann, kann sie auch nicht beweisen, dass es Gott nicht gibt, sodass Raum entsteht, der es ermöglicht, mit einem »Vernunftglauben« oder einem »moralischen Glauben« von Gottes Existenz, der Freiheit des Menschen und der Unsterblichkeit der Seele auszugehen. In der Kritik der reinen Vernunft (Der Kanon der reinen Vernunft), Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und Kritik der praktischen Vernunft verdeutlicht Kant weiter, wie solche religiösen Auffassungen wie Gottes Existenz, die Willensfreiheit und die Unsterblichkeit der Seele mit Hilfe des Postulats der praktischen Vernunft bestätigt werden können, welches erfüllt sein muss, damit das Handeln des Menschen gemäß dem kategorischen Imperativ möglich ist. Gegen den Vernunftkult der Aufklärung und gegen Kants Transzendentalphilosophie wandte sich Johann Georg Hamann (1730–1788) in Biblische Betrachtungen, Brocken, Gedanken über meinen Lebenslauf, Sokratische Denkwürdigkeiten, Golgatha und Scheblimini, Kreuzzüge des Philologen, Philologische Einfälle und Zweifel und Metakritik über den Purismus der Vernunft. Obwohl er von Anfang an durch die Gedanken der Aufklärung beeinflusst war, hatte der junge Lutheraner Hamann in einer mystischen Erfahrung das Dasein Gottes in sich selbst und in allem Anderen in der Welt erlebt und erfahren, wie Gott durch die Ereignisse der Natur und der Geschichte und durch das Wort der Schriften zu ihm sprach. Er kritisierte die Vernunftverehrung seiner Zeit, weil diese der Vernunft, die allein die Wahrheit von Aussagen beurteilen kann, eine allzu große Autorität über den für die Vernunft unzugänglichen Glauben zuschreibt. Dieser ist laut Hamann eine unmittelbare Erfahrung und lässt sich daher eigentlich nicht in Propositionen ausdrücken. Da Gott durch den Menschen handelt, ist alles, was der Mensch hervorbringt, eigentlich Gottes Schöpfung durch den Menschen als frei handelnde Person. Hamanns Gedanken beeinflussten Johann Gottfried Herder (1744–1803) in Gott: Einige Gespräche, Auch eine Philosophie der Geschichte der Menschheit und Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Herders holistische Auffassung des persönlichen und sozialen Daseins des Menschen führte ihn dazu, das Universum als einen großen Organismus zu sehen, an dem sowohl all

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das Materielle als auch all das Lebendige und Psychische teilhaben. Dieser lebende Kosmos wird von einer Gottheit zu einer Einheit gestaltet; diese Gottheit wirkt wie eine Weltseele bei allem mit, was passiert, und ist der Grund für die dynamische Ordnung und Entwicklung des Universums. Herders Pantheismus war bedeutsam für Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) in Dichtung und Wahrheit, Studie nach Spinoza, Plato als Mitgenosse einer christlichen Offenbarung, Geistesepochen und Einwirkung der neueren Philosophie. Außerdem wurde er von Spinozas Gedanken beeinflusst, dass Gott die Natur ist, und fasste die Gottheit als ein kosmisches Bewusstsein auf. Sie ist der Grund für jede Ordnung und Entwicklung im Universum und vereint alles Materielle und Lebendige in sich selbst als eine Ganzheit, indem sie es an sich selbst teilhaben lässt. Unter dem Einfluss von Hamanns Denken verteidigte der Publizist Friedrich Heinrich Jacobi (1743–1819) in David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus, Fliegende Blätter und Abhandlung über das Unternehmen des Kritizismus, die Vernunft zu Verstande zu bringen sowohl das Gefühl und den religiösen Glauben als auch die vergessenen intuitiven Kräfte der Vernunft sowie die individuelle Freiheit und einen personalen Gott gegen die Überbewertung der Rolle der Vernunft in der Aufklärung. Laut Jacobi muss jede widerspruchsfreie vernunftgemäße Philosophie »spinozistisch sein« und daher pantheistisch, fatalistisch und atheistisch. Damit wird der Unterschied zwischen dem Schöpfer und dem Geschaffenen sowie zwischen der Notwendigkeit und der Freiheit aufgehoben. Der sogenannte Pantheismusstreit wurde 1785 durch Jacobis Angriff in Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn besonders gegen Lessings vermeintlichen und Goethes offenkundigen spinozistischen Pantheismus ausgelöst. Von derselben Grundthese aus kritisierte Jacobi Kant und wurde zur Ursache des sogenannten Atheismus-Streits, als er in Jacobi an Fichte (1799) jede reine Philosophie als »Nihilismus« bezeichnete und Fichte eines »umgestülpten« Spinozismus wegen anklagte, demgemäß das Ich, das seine eigene Ursache ist, der eigentliche Grund jeder Aktivität in der Wirklichkeit sei. Schließlich löste Jacobi mit Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung (1811) den sogenannten Streit über die göttlichen Dinge aus, im Laufe dessen er Schelling beschuldigte, dass dieser versuche, einen Pantheismus im lügenhaften Gewand des Theismus darzulegen. Philosophen des deutschen Idealismus wie Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) in Versuch einer Kritik aller Offenbarung, Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung, Die Bestimmung des Menschen und Die Anweisung zum seeligen Leben beabsichtigten, Kant zu vervollständigen, indem sie gänzlich von dem »objektiven« Ding an sich absahen. Sie machten stattdessen das direkte und unvermittelte Bewusstsein des Menschen von sich

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selbst zur Grundlage der gesamten Wirklichkeit. Die sich selbst bestimmende, freie und daher sich selbst schaffende Wirksamkeit des absoluten Ichs (lat.: causa sui) ist laut Fichte der Grund für sein eigenes Werden und das alles Anderen. Im Verhältnis zur Welt als sein Material entfaltet das absolute Ich seine autonome moralische Wirksamkeit. Das Göttliche muss daher mit der moralischen Ordnung identifiziert werden, die das Verhältnis zwischen dem Ich und der Welt, d.h. dem Anderen, darstellt. Trotz aller Inspiration von Kant, Fichte und Spinoza versuchte Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775–1854) in seinen frühen Werken Vom Ich als Prinzip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen, Von der Weltseele, eine Hypothese der höheren Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus, Bruno oder über das göttliche und natürliche Princip der Dinge, Ein Gespräch, Philosophie und Religion und System des transcendentalen Idealismus mit seiner Identitätsphilosophie jeden Dualismus zu überbrücken. Das Absolute und Göttliche ist entweder ein objektives Ding im Verhältnis zu einem Subjekt oder die statisch verstandene Natur im Verhältnis zu den veränderlichen Dingen. Das Absolute muss vielmehr als die dynamisch schaffende Aktivität des unbedingten, transzendentalen Selbstbewusstseins gesehen werden, die in der Intuition der menschlichen Vernunft vorliegt. Diese richtet sich zwar auf die »objektive« Natur, die ihrerseits hervorgebracht wird und immer schon gänzlich durch die dynamische Selbstentwicklung des Geistes geformt ist. Die Welt kann als erstarrter Geist angesehen werden und die Natur als ein allumfassender, selbstbewusster, absoluter Weltgeist, durch den alles im Universum, sowohl das Physische als auch das Psychische, hervorgebracht wird und an dem alles teilhat. Ein großes Problem für Schelling war, wie eine solche immanente und mit der Welt identische Gottheit im Zuge ihrer Schöpfung eine Welt hervorbringen kann, in der es das Böse gibt. Auf eine fast dualistische Weise nahm Schelling später in Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände und Die Weltalter [Fragment] an, dass das Gute und das Böse ihren Grund in zwei Urprinzipien haben, die notwendig für die Spannungen innerhalb der Gottheit selbst sind, welche wiederum die Triebkräfte hinter der Entwicklung der gesamten Natur und des Bewusstseins darstellen. Der Gedanke aber, dass das Böse notwendig ist, um das durch und durch gute Ziel erreichen zu können, widerstrebte ihm letztlich und führte zu einer umso größeren Opposition gegen Hegels Philosophie und, in Philosophie der Mythologie und Philosophie der Offenbarung, zu einem wachsenden Interesse an der Theologie. Der Versuch des deutschen Idealismus, das Subjekt und das Objekt, das Absolute und das Relative, das Veränderliche und das Ewige zu vereinen, erreichte

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seinen Höhepunkt bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) in Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie, Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjektivität, Phänomenologie des Geistes, Wissenschaft der Logik III, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Von Kant beeinflusst bemühte er sich, alle Erkenntnisprinzipien und moralischen Gesetze aus der spontanen Autonomie der menschlichen Vernunft herzuleiten, die ein Kennzeichen des absoluten Geistes, d.h. der göttlichen Dimension der gesamten Wirklichkeit ist. Aber dieser Weltgeist bzw. diese Weltvernunft ist laut Hegel nichts Statisches, sondern ein durch und durch dynamisches und aktiv wirkendes Prinzip. Es tritt sowohl in der Natur als auch im Menschengeschlecht hervor und damit im historischen, dialektischen Entwicklungsprozess des gesamten Daseins, in dem der absolute Geist sich zunehmend selbst verwirklicht. Nach Hegel ist Gott die höchste Wirklichkeit im Verhältnis zu allen anderen weniger vollkommenen Graden wirklichen oder bloß gedachten Seins. Weil außerdem alles in der Wirklichkeit, und damit selbst die göttliche Wirklichkeit, für die absolute und damit auch für die menschliche Vernunft intelligibel sein muss, erhält das ontologische Argument für die Existenz Gottes, d.h. des absoluten Geistes, bei Hegel neben den kosmologischen und teleologischen Gottesbeweisen, die nur zeigen, dass es Gott als die absolute Substanz bzw. als das allumfassende Lebensprinzip gibt, die höchste Bedeutung. Gott als die höchste Wirklichkeit ist die totale Einheit von Wesen und Existenz und als solche sein eigener Grund (lat.: causa sui). Weil man nicht denken kann, dass Gott nicht existiert, geht Gottes Existenz aus der Beschaffenheit seines reinen begrifflichen Wesens hervor. Zugleich bedingt Gott aber alles Andere in der Wirklichkeit, die somit durch all ihre konkreten Dinge an Gott selbst teilhat. Weil die gesamte, positive Wirklichkeit dasselbe ist wie der absolute Geist in seiner dialektischen Entwicklung, muss das Böse als eine notwendige, aber weniger gute Negation auf dem Weg zur letztlichen, vollkommenen Erfüllung gesehen werden. Jeder sogenannten positiven Religion wie dem Judentum und Christentum gegenüber, von deren Inhalt gesagt wird, dass er auf einer Offenbarung beruht und für die menschliche Vernunft nicht intelligibel gemacht werden kann, war Hegel kritisch. Daher bemühte er sich, den Charakter des Christentums als eine »natürliche Religion« zu erfassen, deren Prinzipien mit dem Wesen des Menschen übereinstimmen. Schließlich unterscheidet sich die Religionsphilosophie von der natürlichen Theologie, weil ihr Thema nicht nur Gott, sondern auch die Religion selbst, d.h. die Weise von Gottes Dasein im religiösen Bewusstsein ist. Unter dem Einfluss der postkantianischen Philosophie versuchte Karl Christian Friedrich Krause (1781–1832) in Urbild der Menschheit, Abriss des

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Systemes der Philosophie und Vorlesungen über die Anthropologie den Pantheismus der Idealisten mit dem christlichen Theismus in einem sogenannten Panentheismus zu vereinen, demgemäß das Weltall und alles in einer Gottheit ruht, während sich die Gottheit durch alles in der Welt manifestiert. Die Natur, der Geist und der Mensch sind drei in sich selbst unendliche Seiende, die Gott, d.h. das absolut unendliche Seiende, als ihren metaphysischen Grund benötigen. Eine starke Kritik der Vernunftverehrung der Aufklärungsphilosophie entstand unter den deutschen Romantikern, die wie Friedrich von Schlegel (1772– 1829) in Philosophie des Lebens und Philosophie der Geschichte und Friedrich von Hardenberg (Novalis; 1772–1801) den Wert des Gefühls, des Erlebens sowie der mystischen Erfahrung und Liebe gegenüber der Dominanz des Intellekts betonten. Gegen den naturwissenschaftlichen Mechanismus hoben sie die Verehrung für die Natur hervor, die leicht in eine Form von Pantheismus mündete. Das Auftreten der Gottesidee bei allen Völkern schien manchmal als ein Argument für Gottes Existenz anerkannt zu werden, weil nur er die Idee in die Seele des Menschen gelegt haben kann. Bei seinem Versuch, eine Position zwischen der Aufklärungsphilosophie, dem deutschen Idealismus und der Romantik einzunehmen, empfahl der protestantische Theologe Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768–1834) in Über die Religion: Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen und Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhang dargestellt einen neuen Anfang des theologischen Denkens nach der Religionskritik der Aufklärung. Die Religionsphilosophie als eine kritische Disziplin vergleicht verschiedene Religionen in Bezug auf ihre ethische Grundlage und ermöglicht dadurch eine Bestätigung der Bedeutung des Christentums. Die Religion selbst ist ein allgemeinmenschliches Gefühl der Koexistenz mit dem Unendlichen, und der Grund liegt laut dem späten Schleiermacher in einem »Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit«, das im frommen Selbstbewusstsein spontan entsteht. Die Religion kann also nicht in einen Konflikt mit der vernünftigen Erkenntnis geraten, vielmehr kann die christliche Frömmigkeit durch Intellekt und Erfahrung bekräftigt werden. Die Philosophie, die eine Art negative Theologie darstellt, verweist nämlich auf ihren entgegengesetzten Pol, ist aber unfähig, diesen mit rein intellektuellen Mitteln zu erreichen (Agnostizismus). Kants Philosophie und Schleiermachers Gedanken über das religiöse Erleben und die Bedeutung des Gefühls innerhalb der Theologie hatten einen großen Einfluss auf die sogenannte liberale Theologie, beispielsweise bei Albrecht Ritschl (1822–1889) in Unterricht in der Christlichen Lehre und Theologie und

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Metaphysik und bei Auguste Sabatier (1839–1901) in De la vie intime des dogmes et de leur puissance d’évolution, Religion et la culture moderne, Esquisse d’une philosophie de la religion und Les Religions d’autorité et la religion de l’esprit. Gemäß dieser liberalen Theologie hat die christliche Religion und Theologie keine engere Verbindung mit dem metaphysischen Denken des Intellekts, sondern muss an das religiöse Selbstbewusstsein der christlichen Gemeinschaft anknüpfen. Vertrauen zu Gott ist ein Faktum, das nicht erklärt werden muss, sondern alles Andere erklärt. Arthur Schopenhauer (1788–1860) wollte in Die Welt als Wille und Vorstellung, Über den Willen in der Natur und Über die Freiheit des menschlichen Willens eigentlich Kant vollenden, war aber stark sowohl von Schellings Philosophie als auch von hinduistischen und späteren buddhistischen Gedanken beeinflusst worden. In seinem Panthelismus (aus dem Griech.: pan = alles und thelein = zu wollen), einer Form von Pantheismus, sah er die gesamte Wirklichkeit als konkreten Ausdruck eines einzigen, überwiegend unbewusst und autonom wirkenden Weltwillens. Als eine Form unpersönlichen Urstrebens bzw. Lebenswillens steuert dieser nicht nur den gesamten Kosmos, sondern bestimmt auch das Verhalten, Denken und Handeln des Menschen. Dieser Wille kann als Weltgrund ebenfalls als eine absolute, ewige, unendliche, aber nicht-personale Gottheit angesehen werden, auch wenn Schopenhauer selbst jeder Religion gegenüber kritisch war. Das Problem des Bösen löste er im buddhistischen Geiste dadurch, dass er innerhalb eines durchgängigen Pessimismus jede Bedeutung des Daseins verneinte und das Leiden des Menschen und das Böse als ein der Welt innewohnendes, charakteristisches Kennzeichen darstellte. Ein ähnlich pantheistisches Denksystem liegt bei Eduard von Hartmann (1842–1906) in Philosophie des Unbewußten vor, der von Kant inspiriert das Absolute sowohl mit einer unendlichen und ewigen Idee als auch mit einem unbewussten und blind wirkenden Willen identifizierte, der der Grund aller Dinge, aller Ereignisse sowie aller menschlichen Handlungen ist. Das Böse ist kein Mangel in dieser Welt, sondern zeigt, dass diese nach ihrer letzten Vollkommenheit strebt, d.h. nach ihrer totalen Vernichtung, die gleichzeitig der höchste Ausdruck des Unbewussten im Wesen des Menschen ist. Friedrich Nietzsche (1844–1900), der in Menschliches – Allzumenschliches, Morgenröte, Die fröhliche Wissenschaft, Also sprach Zarathustra, Jenseits von Gut und Böse, Zur Genealogie der Moral, Die Götzen-Dämmerung, Der Antichrist und Ecce Homo in Schellings Geiste den Vernunftoptimismus Hegels und anderer kritisierte, folgte zunächst Schopenhauers Betonung des Lebenswillens. Während er anfangs offenbar jede theoretische Wahrheit verneinen wollte, verwarf er schließlich nur jede metaphysische und religiöse Wahrheit.

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Zu Beginn akzeptierte er zumindest bestimmte fundamentale humanistische Werte, vertrat später jedoch zunehmend die Ansicht, dass alle Werte ihren unberechtigten Grund in einem lebensverneinenden, »asketischen« Ideal haben, das nahezu alle Religionen geprägt hat und auch von der Metaphysik übernommen wurde. Weil dem menschlichen Leben in seiner gegenwärtigen Form eigentlich jede Bedeutung fehlt, mussten die alten Werte durch ein neues Ideal ersetzt werden, welches dem Willen zur Macht entspricht, d.h. einem teilweise unbewussten, notwendigen Urstreben, das am Ende der natürlichen Entwicklung des Menschengeschlechts den Übermenschen hervorbringt. Weil Gott in seiner Allmacht als der Konkurrent des starken, freien Menschen verstanden werden muss, propagiert Nietzsche mit seiner Auffassung, dass Gott tot sei und die Menschen ihn ermordet hätten, einen theoretischen Atheismus. Beeinflusst durch die Betonung der Entwicklung von Wissen und Kultur zu seiner Zeit (Evolutionismus) arbeitete Auguste Comte (1798–1857) in Cours de philosophie positive, Système de philosophie positive und La synthèse subjective ein positivistisches System aus, das in einer Kritik aller Religionen und der Metaphysik kulminierte. Dem ursprünglichen theologischen und primitivsten Stadium des Menschengeschlechts, das von den Erklärungen der Religion und des Gottesglaubens für alle Phänomene geprägt war, folgte das metaphysische Stadium, welches in das während des 19. Jahrhunderts erreichte wissenschaftliche Stadium übergegangen ist. Alles, was die Sinne überschreitet, kann endlich verworfen werden, und nur das wissenschaftliche Denken ist zu gestatten, was das Menschengeschlecht zu dessen Vervollkommnung führen wird. Eine Art »Religion der Menschheit«, deren Grund bloß in kosmologischen und anthropologischen Erkenntnissen liegt, soll letztlich alle moralischen und politischen Fragen beantworten können. Auch wenn John Stuart Mill (1806– 1873) in On liberty, Utilitarianism, An examination of Sir William Hamilton’s philosophy, Auguste Comte and positivism und Three essays in religion in seinem Empirismus stark von Comtes methodischen Überlegungen beeinflusst ist, wies er die von Comte propagierte »Religion der Menschheit« ab und erkannte die Legitimität der religiösen Hoffnung an, nicht aber die des religiösen Glaubens. Ein vollständiger theoretischer Atheismus wurde von deutschen naturwissenschaftlichen Materialisten wie Karl Vogt (1817–1895) in Köhlerglaube und Wissenschaft, Jacob Moleschott (1822–1893) in Der Kreislauf des Lebens und Die Einheit des Lebens, Friedrich Karl Christian Ludwig Büchner (1824–1899) in Kraft und Stoff, Natur und Geist und Die Stellung des Menschen in der Natur und Eugen Karl Dühring (1833–1921) in Cursus der Philosophie vertreten. Ihnen zufolge kann und muss die gesamte Wirklichkeit ausschließlich auf die ewige

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Materie und auf solche Kräfte, die mit der reinen Materie zusammenhängen, zurückgeführt werden. Laut Büchner, der sein System nur auf Resultate der empirischen Wissenschaften gründet, dürfen weder Religion, Metaphysik noch transzendente Begriffe verwendet werden, wenn es darum geht, die Beschaffenheit von allem zu erklären. Das Theodizee-Problem zeigt, dass es Gott nicht geben kann und dass man die Menschheit mit Hilfe der Wissenschaft vom Bösen befreien muss. Kritik an jeder Religion und Metaphysik wurde zunehmend auch von früheren Anhängern Hegels formuliert wie z.B. Ludwig Andreas Feuerbach (1804–1872) in Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, Zur Kritik der Hegelschen Philosophie, Das Wesen des Christentums, Grundsätze der Philosophie der Zukunft, Das Wesen der Religion, Vorlesungen über das Wesen der Religion und Der Ursprung der Götter nach den Quellen des classischen, hebräischen und christlichen Altertums. Feuerbach zufolge muss jede Theologie in Anthropologie verwandelt und Wissen von Gott durch eine Wissenschaft vom Menschen ersetzt werden, in der alle idealisierenden Denkprojektionen aufgegeben werden müssen. In seiner Religionskritik betont Feuerbach, dass Gott, wenn es ihn gäbe, der schlimmste Konkurrent des freien und autonomen Menschen wäre. Gott ist aber bloß ein menschliches Phantasieprodukt oder ein Gedankenkonstrukt. Einzelne schwache Menschen oder die gesamte Menschheit sahen sich nach dem religionslosen Urzustand gezwungen, dieses zu erschaffen, um die Entbehrungen des Daseins dank der illusorischen Hoffnung auf eine Belohnung in einem Leben danach ertragen zu können. »Dass ich Gott verneine, das bedeutet bei mir: Ich verneine die Negation des Menschen.« Feuerbachs Religionskritik inspirierte auch Karl Marx (1818–1883) in Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, Die deutsche Ideologie (zusammen mit Engels) und La Misère de la Philosophie und Friedrich Engels (1820–1895) in Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie und Dialektik der Natur sowie die Denker des anschließenden dialektischen Materialismus. Der Mensch, der durch die politisch-ökonomischen Faktoren versklavt wurde, kann von diesem Zwang nur dann befreit werden, wenn er auch den lähmenden Einfluss der Religion als »Opium für das Volk«, d.h. als ein Rauschmittel für den unterdrückten Menschen durchschaut. Indem es ihn betäubt, hindert es ihn daran, die Zukunft des gesamten Menschengeschlechts in seine eigenen Hände zu nehmen, damit schließlich durch eine Revolution des Proletariats das kommunistische Paradies erreicht werden kann, in dem Gott nicht mehr gebraucht wird. Nicht bloß die Vertreter des Empirismus und Positivismus sahen im wissenschaftlichen und technischen Fortschritt des 19. Jahrhunderts eine Bestätigung

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ihrer Kritik an dem überholten kirchlich-religiösen Anspruch, sondern auch Denker, die von den rationalistischen oder idealistischen Ideen her davon ausgingen, dass die neuen wissenschaftlichen Methoden zu neuen Ergebnissen in allen menschlichen Zusammenhängen führen können. Zu den letzteren gehört Ernest Renan (1823–1892), der in Dialogues philosophiques, Essais de morale et de critique und L’Avenir de la Science versuchte, eine Synthese zwischen Hegels System und einem weniger »säkularisierten« Positivismus zu erreichen, indem er in Zusammenhang mit dem Voranschreiten der Vernunft einem abstrakten Weltgesetz von hauptsächlich moralischem Charakter gemäß ein göttliches Bewusstsein zuließ. Zu jenen gehört auch der junge Hippolyte Adolphe Taine (1828–1893), der in De la destinée humaine, De l’intelligence sowie in vielen Artikeln, die in Sa vie et sa correspondance: Correspondance de jeunesse gesammelt wurden, ausgehend von Gedanken Spinozas, Hegels und Mills versuchte, ein zusammenhängendes pantheistisches Weltsystem herzuleiten, während er sich später in Derniers essais zunehmend gezwungen sah zuzugestehen, dass die endliche und kontingente Welt nicht von einem »göttlichen« Weltgesetz gelenkt wird. Die Diskussionslage zwischen den Naturwissenschaftlern und den Theologen veränderte sich radikal, nachdem Charles Robert Darwin (1809–1882) in On the Origin of species by means of natural selection und The descent of man seine biologische Evolutionstheorie für alles Lebende eingeführt hatte. Diese widersprach der zu Darwins Zeit nahezu allgemein akzeptierten philosophischen Position, dass alle Arten von Anfang an von einem intelligenten und zielorientierten Schöpfer geschaffen wurden. Auch wenn der Gedanke der biologischen Entwicklung lebender Wesen bereits Jahrzehnte vor Darwin diskutiert worden war und auch wenn Darwin selbst seine Theorie nicht für eine antireligiöse Polemik nutzte, bedrohte seine mechanische Sicht auf die Entwicklung des Lebens die in christlichen Kreisen allgemein akzeptierte Auffassung, dass das Universum selbst ein transzendentes Ziel hat. Dass die Ordnung und Zielorientierung im Universum nicht das Werk eines Schöpfers sein, sondern aus einem blinden Zufall hervorgehen soll, war für fast alle Theologen und Philosophen inakzeptabel, besonders für solche, die die Position vertraten, dass das Studium der Natur Gottes Existenz bestätige. Nicht einmal Darwin konnte später an dem Gedanken festhalten, dass der Entwicklungsprozess gemäß festen Gesetzen eines Schöpfers stattfinden kann. Der Konflikt zwischen den Darwinisten und besonders dem protestantischen Christentum mit seinem betonten Bibelglauben verschärfte sich, als Denker wie z.B. Herbert Spencer (1820–1903) in First principles sowie in den Essays The development hypothesis und Progress: its law and cause und Ernst Heinrich

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Haeckel (1834–1919) in Natürliche Schöpfungsgeschichte und Die Welträtsel Darwins evolutionistische Ideen erweiterten. Sie vertraten die Ansicht, dass die Ideen auch für die Entstehung des Menschengeschlechts und für das menschliche Leben in allen Bereichen gelten würden, z.B. für die Entwicklung von Kultur, Wissenschaft und Religion. So entwickelte Spencer eine agnostische Theorie über die Entwicklung der Religion ausgehend von dem Versuch der Menschen, mit dem Absoluten umzugehen, das mit »the Unknowable« identifiziert werden muss. Haeckel hingegen arbeitete auf Basis des Darwinismus einen pantheistischen, evolutionären Monismus aus, demgemäß auch alle menschlichen Phänomene mit Hilfe der dem Universum innewohnenden natürlichen Gesetzesgebundenheit erklärt werden können. Die Spannung zwischen Glauben und Wissen wurde durch Thomas Henry Huxley (1825– 1895) in Evidence as to man’s place in nature, On our knowledge of the causes of the phenomena of organic nature und Agnosticism and Christianity weiter verschärft, da er den Darwinismus verteidigte und sich zu einem Fürsprecher eines konsequenten Agnostizismus in religiösen Fragen machte. Um die Jahrhundertwende von 1900 unternahmen mehrere Naturwissenschaftler eine Reihe von Versuchen, die dominierende mechanischmaterialistische Weltanschauung zu vervollständigen oder sogar zu ersetzen. So betonte Wilhelm Ostwald (1853–1932) in Der energetische Imperativ, Moderne Naturphilosophie, Die Pyramide der Wissenschaften, Monistische Sonntagspredigten und Arbeiten zum Monismus den dynamischen Aspekt der Natur und die Bedeutung der elektromagnetischen Energie im Gegensatz zur herrschenden statischen Sicht auf die Welt als Totalität von materiellen Körpern, die gemäß notwendigen Naturgesetzen von Kräften beeinflusst sind. Auf dieser Grundlage entwickelte er ein monistisches metaphysisches System (Energetismus), das über die materielle, organische und bewusste Sphäre hinaus auch eine Gottheit umfasst. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts an versuchten hinduistische Denker wie Sri Ramakrishna (1836–1886) und speziell Swami Vivekananda (1863–1902) die westlichen Ideen mit der indischen Advaita Vedanta unter dem Schlagwort »nichts Anderes als die Upanishaden« zu vereinen. Laut Vivekananda, dem Spencers und Haeckels monistische und evolutionistische Theorien bekannt waren, können Religion und Wissenschaft sowie die verschiedenen Religionen untereinander versöhnt werden, weil sie unzureichende Ergebnisse des Versuchs des Menschen sind, das unaussprechliche absolute All-Eine auszudrücken. »Der Materialist hat recht! Es gibt nur das Eine. Er nennt es Materie, und ich nenne es Gott.« Auf eine ähnliche Weise bemühte sich Sarvepalli Radhakrishnan (1888–1975) in The reign of religion in contemporary philosophy,

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Indian philosophy, An idealist view of life, Eastern religions and western thought und Recovery of faith, christliche Gedanken mit dem Advaita-VedantaMonismus zu vereinen, indem er von der Identität zwischen dem wahren und bewussten Selbst des nicht persönlichen und unaussprechbaren absoluten All-Einen und des Menschen ausging, während er zugleich die Wirklichkeit des Universums akzeptierte. Weil das Universum eine von Brahmans Manifestationen ist, entsteht die Wissenschaft, um schrittweise zu bekräftigen, was die Religion schon lange intuitiv verstanden hat. Im Gegensatz zu diesem Denker ging Aurobindo Ghose (1872–1950) in The life divine, The synthesis of Yoga und The foundations of indian culture von einem realistischeren Verständnis des Universums und den konkreten Dingen aus. Er nahm einen erkenntnistheoretischen Parallelismus zwischen den Wahrnehmungen und der mystischen Erfahrung an, weil beide Erkenntnis von Gott bzw. Brahman vermitteln können. Die Entwicklung der Welt zu einem intelligiblen Universum mit selbstbewussten Wesen ist ein Prozess, in dem Brahman als das höchste Seiende schrittweise hervortritt, nachdem er von Beginn an in der anscheinend unbewussten Materie immanent vorhanden war. Der Grund für das Böse liegt in den Begrenzungen, die auch mit der Materie gegeben sind; das Böse aber wird verschwinden, je mehr die Entwicklung voranschreitet und sich das göttliche Brahman als eine Folge der geistigen Anstrengungen des Menschen etabliert. Wie der Hinduismus in Indien wurden auch bestimmte Formen des Buddhismus, z.B. Denker der Kyoto-Schule in Japan, von westlichen Ideen beeinflusst, beispielsweise vom Neuplatonismus, Meister Eckhart, Hegel, Nietzsche, James und Bergson. So betonten Nishida Kitaro (1870–1945) in Zen no kenkyuu und Mu no jikakuteki-gentei, Tanabe Hajime (1885–1962) und Nishitani Keiji (1900–1990) den Zusammenhang zwischen James’ »reiner Erfahrung« und der »Nichtigkeit« des Buddhismus sowie zwischen Religion und Vernunft. In der Erleuchtung der Zen-Meditation ist das Selbstbewusstsein eine subjekt- und objektlose Grunderfahrung, bei der der Mensch sich selbst nicht mehr vom anderen unterscheidet. Stattdessen ist das Selbst identisch mit sich selbst, indem es mit allem Anderen eins ist. Das bedeutet, dass das logische Widerspruchsprinzip seine Gültigkeit verliert. Im Gegensatz zum absoluten (geistigen) Sein, das dem westlichen Denken gemäß sowohl das Bewusstsein als auch die bewusst gemachte Wirklichkeit umfassen soll, während das Nichts nur als eine Art Negation oder Mangel an Sein verstanden wird, sieht Nishida im buddhistischen Nirwana das absolute Nichts, d.h. etwas, das »ohne das entgegengesetzte Andere« ist. Das absolute Nichts, das im meditativen Selbstbewusstsein wahrnehmbar wird, überschreitet (transzendiert) jedes einzelne Seiende, welches sich dadurch auszeichnet, dass es einen Gegensatz

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besitzt. Gott ist nämlich »das absolute Sein nur deshalb, weil er das absolute Nichts ist«. In dieser für die christliche Theologie so unübersichtlichen Situation während des 19. Jahrhunderts, als man besonders im Protestantismus versuchte, sich den ständig wechselnden Ideologien anzupassen, wodurch die Glaubenssubstanz des Christentums schrittweise verwässert wurde, wandte sich Sören Aabye Kierkegaard (1813–1855) unter dem Einfluss von Hamann und den Gedanken des frühen Schelling in Entweder–Oder, Furcht und Zittern, Wiederholung, Philosophische Brocken, Stadien auf des Lebens Weg, Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift, Die Krankheit zum Tode und Einübung im Christentum insbesondere gegen Hegels Idealismus und die liberale Theologie seiner Zeit. Im Gegensatz zu den abstrakten Überlegungen des Idealismus in Bezug auf den Intellekt und den Willen des Menschen ging er von der einzelnen menschlichen Person als denkendem und handelndem Subjekt in einer konkreten historischen Situation aus. Diese Situation wird beim Einzelnen nicht durch die Aktivität des Selbstbewusstseins oder des Willens geschaffen, als wäre der Mensch Gott selbst. Vielmehr wird die einzelne menschliche Person herausgefordert, sich auf eine bestimmte Weise zu dieser konkreten existenziellen Situation zu verhalten. Nur auf diese Weise kann sie sich selbst bewusst und frei für ihre eigene Geschichte und für die zukünftige Geschichte der gesamten Welt entscheiden. Aus dem »unendlichen qualitativen Unterschied zwischen Zeit und Ewigkeit« – und damit zwischen dem zeitlichen Menschen und dem ewigen Gott – folgt, dass die christliche Offenbarung und eine gewöhnliche natürliche Gotteserkenntnis nicht miteinander vergleichbar sind. Eigentlich kann man nichts von Gott wissen, wenn sich Gott nicht in seiner Gnade offenbart und diese Offenbarung nicht von einem Menschen im persönlichen Glauben angenommen wird. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es gewisse katholische Denker, die der Religion eine neue Chance im Rahmen der damaligen Ideologien geben wollten. Hauptvertreter dieser Strömung des Traditionalismus oder Fideismus waren Louis-Gabriel Ambroise Vicomte de Bonald (1754–1840) in Théorie du pouvoir politique et religieux dans la société civile15, Joseph de Maistre (1753– 1821) in Du Pape suivi de l’Eglise Gallicane dans son rapport avec le Souverain Pontife 16, Félicité de la Mennais (1782–1854) in L’Essai sur l’indifférence en matière de religion und Paroles d’un croyant und Louis-Eugène-Marie Bautain (1796–1867) in De l’enseignement de la philosophie au 19me siècle, La religion et la liberté und La philosophie des lois. Um den Einwänden der Aufklärung und der 15  16 

I. Orig. civilisée, Anm. d. Hrsg. I. Orig. Pontif, Anm. d. Hrsg.

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Wissenschaften gegen die Religion entgegenzuwirken, verneinten sie, dass der Mensch mit Hilfe der Vernunft eine natürliche Erkenntnis von Gott erreichen kann, und betonten entweder die fundamentale Bedeutung einer übernatürlichen Uroffenbarung und Tradition (lat.: traditio) oder die entscheidende Rolle des religiösen Glaubens (lat.: fides) für die Erkenntnis des Menschen von Gott. Diese Auffassungen wurden von der Leitung der katholischen Kirche in den Jahren 1840, 1844 und 1855 abgewiesen (DH 2751–2756, 2765–2769, 2811–2814). Im Jahre 1846 und besonders im Jahre 1864 wurden im sogenannten Syllabus zugleich aber auch der Pantheismus, der Naturalismus und der absolute Rationalismus (DH 2775–2780, 2901–2914) abgelehnt. Diesen Richtungen zufolge hat der Mensch entweder eine unmittelbare intuitive Erkenntnis von Gott oder er kann mit Hilfe seiner natürlichen Vernunft ohne eine Offenbarung fast alles von Gott wissen. Zusammenfassend wurde auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1870) einerseits gegen den extremen Rationalismus festgelegt, dass Gott letztlich unbegreiflich und daher auch unaussprechbar ist, andererseits aber gegen sowohl den extremen Traditionalismus als auch den Fideismus bestimmt, dass der Mensch sehr wohl mit dem Licht der natürlichen Vernunft eine Gotteserkenntnis gewinnen kann (DH 3000–3045). Das wurde im Jahre 1907 mit dem Rundschreiben Pascendi dominici gregis (DH 3475–3500) noch einmal in Auseinandersetzung mit dem Modernismus bekräftigt, demzufolge der Mensch kein vernünftiges Wissen von Gott haben kann (Agnostizismus), sondern höchstens eine Form der erlebnisbasierten oder mystischen »Erkenntnis«. Die Leitung der katholischen Kirche empfahl während des 19. Jahrhunderts zwar mehrere Male eine Rückkehr zu den scholastischen Quellen, aber diese Aufforderungen mündeten meist in einen kommentierenden Umgang mit den klassischen Texten und selten in ein konstruktives Neudenken. Katholische Theologen antworteten auf die antimetaphysischen oder religionskritischen Ansichten der Kantianer und Idealisten, der Traditionalisten und Fideisten, der Empiristen und Positivisten oft mit Verweisen auf traditionelle scholastische Thesen, ohne sich eigentlich weiter mit dem Hintergrund dieser Systeme und der Gültigkeit bestimmter Einsichten zu befassen. In diesem Zusammenhang wies Joseph Kleutgen (1811–1883) in Die Theologie der Vorzeit und Die Philosophie der Vorzeit auf die Schwäche des Umgangs katholischer Intellektueller mit dem modernen Denken hin und betonte die realistische aristotelische Erkenntnistheorie und Metaphysik als Gegengewicht zu allen metaphysik- und religionsfeindlichen Strömungen. Dies führte schließlich dazu, dass Leo XIII. (1810–1903) im Rundschreiben Aeterni Patris (1879) die Philosophie des Thomas

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von Aquin als das zuverlässigste intellektuelle Fundament für das katholische Denken anpries. Zur selben Zeit galt Kardinal John Henry Newman (1801–1890) in An essay in aid of a grammar of assent und in einer Reihe theologischer Schriften als wegweisend. Gegen die rationalistischen Tendenzen innerhalb der katholischen Theologie und Philosophie machte er geltend, dass Gott nie wie irgendein wissenschaftliches Erkenntnisobjekt behandelt werden darf, beispielsweise wie ein einzelnes »Ding« oder ein »Seiendes« neben anderen Seienden. Laut Newman hat die menschliche Erkenntnis nämlich eine pragmatische Seite, aus der folgt, dass ein Erkenntnissubjekt nur dann zu einem echten Wissen gelangt, wenn es sich nicht von Anfang an, aufgrund gefühls- oder willensmäßiger Motive, einer persönlichen Stellungnahme (lat.: assensus) widersetzt und bereit ist, ein wahrheitsgemäßes Urteil zu fällen. Newman zeigt auch, wie man in solchen persönlichen Situationen vor der absoluten, moralischen Verpflichtung des Gewissens steht, welche die psychischen oder sozialen Faktoren, denen der Mensch unterworfen ist, weit überschreitet und daher auf Gott bezogen werden muss. 14.7

Der Gott der modernen Zeit

Die Religions- und Metaphysikkritik des 19. Jahrhunderts sowie der übermäßige Glaube an die Bedeutung der Naturwissenschaften hatten für die Zukunft der Menschheit zur Folge, dass sich Fachphilosophen zu Beginn des 20. Jahrhunderts kaum für die natürliche Theologie und die sogenannten Gottesbeweise interessierten. Obwohl die physikalischen Ergebnisse, die zu Beginn des Jahrhunderts Veranlassung zur Relativitätstheorie und Quantenphysik gegeben hatten, das zuvor dominierende Newtonsche Weltbild ins Wanken gebracht hatten, waren wenige Wissenschaftler und Philosophen bereit, ihre metaphysik- und religionskritische Haltung zu überprüfen. Bezeichnend ist, dass die neue Logik, die schrittweise zu einer Umgestaltung früherer ideologischer Stellungnahmen führte, innerhalb der analytischen und neopositivstischen Philosophie anfangs sogar die Metaphysik- und Religionskritik verstärkte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fuhr man fort, für gewöhnlich in denselben Bahnen wie im 19. Jahrhundert zu denken, auch wenn sich, besonders auf dem Kontinent, langsam eine Veränderung vollzog. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatte man innerhalb des Neukantianismus versucht, Kants Denken wiederzubeleben und mit der Entwicklung der neuen Wissenschaften in Verbindung zu bringen. Zwar kritisierte man im

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Geiste der Aufklärung zu einem gewissen Teil die Metaphysik und wies jede Form der natürlichen Theologie ab. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts aber entstand eine neue Offenheit gegenüber der ontologischen Seite der Metaphysik und für die kulturelle Bedeutung der Religion, z.B. bei Paul Natorp (1854–1924) in Kant und die Marburger Schule und Philosophische Systematik, Wilhelm Windelband (1848–1915) in Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhang mit der allgemeinen Kultur und den besonderen Wissenschaften und Präludien, Heinrich Rickert (1863–1936) in Die Logik des Prädikats und das Problem der Ontologie, Thesen zum System der Philosophie und Grundprobleme der Philosophie, Methodologie, Ontologie, Anthropologie und Hermann Cohen (1842–1918) in Logik der reinen Erkenntnis, Ethik des reinen Willens und Ästhetik des reinen Gefühls, besonders aber in Der Begriff der Religion im System der Philosophie und Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums. Windelbands und Cohens Systematisierung der drei im transzendentalen Bewusstsein verankerten Apriori-Werte, nämlich Wahrheit, Güte und Schönheit, und die damit gegebene Einteilung der Philosophie in Logik, Ethik und Ästhetik wurden für die spätere Religionsphilosophie wichtig. In Bezug auf die Religion vertrat man hingegen die Position, dass sie keinen separaten kulturellen Bereich besitzt, und das Heilige wurde nicht einmal als ein eigener apriorischer Wert neben den drei anderen angesehen. Wer den apriorischen Charakter des Heiligen betonte, war der Religionsphänomenologe Rudolf Otto (1869–1937) in Das Heilige. Ihm zufolge stellt das Heilige den wesensnotwendigen Grundzug jeder Religion dar und bestimmt die Grundbeziehung eines jeden Menschen zur Gottheit, weil der Grund für die Religiosität des Menschen im Erleben des Heiligen bzw. bei der emotionalen Reaktion darauf liegt, welches seinerseits als das »ganz Andere« bzw. als ein »erschreckendes und faszinierendes Geheimnis« (lat.: mysterium tremendum et fascinosum) angesehen werden muss. Durch den Kantianismus erhielt die protestantische Theologie und Religionsphilosophie, die lange von einer rationalistischen liberalen Theologie oder einer Erlebnistheologie dominiert wurde, ein neues Fundament; zugleich wies sie in der Regel jede Form von Metaphysik ab. Dies gilt besonders für die Lundsche Schule von Anders Nygren (1890–1978) in Det religionsfilosofiska grundproblemet [Das religionsphilosophische Grundproblem], Dogmatikens vetenskapliga grundläggning med särskild hänsyn till den Kant-Schleiermacherska problemställningen [Das wissenschaftliche Fundament der Dogmatik, mit besonderem Bezug zu der Kant-Schleiermacherschen Problemstellung], Filosofi och motivforskning [Philosophie und Motivforschung] und Religiöst apriori: de filosofiska förutsättningar och teologiska konsekvenser [Religiöses Apriori: Die philosophischen Voraussetzungen und theologischen

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Konsequenzen] und Ragnar Bring (1895–1988) in Teologie och religion [Theologie und Religion] und Till frågan om den systematiska teologiens uppgift [Zur Frage nach der Aufgabe der systematischen Theologie]. Man unterschied zwischen vier streng getrennten Apriori, die das Denken und Handeln des Menschen bestimmen und nicht in einer übergreifenden Einheit vereint werden können, nämlich das Wahre als das Apriori der Wissenschaft, das Gute als das Apriori der Ethik, das Schöne als das Apriori der Ästhetik und das Heilige oder das Ewige als das Apriori der Religion. Weil das vernunftgemäße Denken des Menschen und seine Religiosität zu zwei gänzlich verschiedenen Apriori gehören, kann man über Gott nicht mit gewöhnlichen inhaltlich festgelegten Namen oder Begriffen sprechen. Außerdem kann man keine vernunftgemäße Erkenntnis von Gott haben, sondern nur eine Form irrationalen, gefühlsmäßigen Erlebens oder Erfahrens. Ein ähnliches apriorisch-emotional psychologisches Verständnis des religiösen Erlebens, das bereits bei William James (1842–1910) in The will to believe und The varieties of religious experience und Pierre Janet (1859–1947) in L’évolution psychologique de la personnalité und De l’angoisse à l’extase: Études17 sur les croyances et les sentiments vorkommt, wird mehrere Jahrzehnte später die Theorien der Religionspsychologie einseitig bestimmen. Weil man nicht davon ausgeht, dass es einen Grund für den Gottesglauben der Menschheit auf Basis der Vernunft gibt, wurde manchmal versucht, den Anspruch der Religion mit Hilfe jenes Nützlichen zu rechtfertigen, welches aus der Akzeptanz der Existenz Gottes durch den Menschen folgt. Auch versuchte man, die eigentliche Quelle des religiösen Erlebens und der Religiosität der Menschen ausschließlich im Unbewussten zu lokalisieren. Die Tendenz, den eigentlichen Grund der Religion im Unbewussten und in den teilweise krankhaften Zügen der menschlichen Psyche zu entdecken, ist in den Auffassungen der Tiefenpsychologie enthalten, z.B. bei Sigmund Freud (1856–1939) in Die Zukunft einer Illusion, Totem und Tabu und Der Mann Moses und die monotheistische Religion und Alfred Adler (1870–1937) in Religion und Individualpsychologie: eine prinzipielle Auseinandersetzung über Menschenführung (mit Ernst Jahn) und Der Sinn des Lebens. Freud, dem in seiner therapeutischen Praxis viele Formen krankhafter religiöser Vorstellungen begegnet sind, sah in der Religion hauptsächlich eine sexuell bedingte »allgemeinmenschliche Zwangsneurose«, die in der Zukunft des Menschengeschlechts eines Tages wie eine Kindheitsneurose verschwinden wird. Laut Adler ist Gott keine transzendente Macht, unser Gottesbild hat seinen Ursprung vielmehr in einem tief in uns liegenden, gewaltsamen Urtrieb. 17 

I. Orig. à l’éxtase: Étude sur.

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Eine tiefenpsychologische Religionstheorie mit einer positiveren Sicht auf die Bedeutung von Religion für das Menschengeschlecht wurde von Carl Gustav Jung (1875–1961) in Psychologie und Religion, Einführung in das Wesen der Mythologie und Man and his symbols entwickelt. Demgemäß fungieren das Gottesbild, die Religion und viele religiöse, mythische und symbolische Elemente wie Archetypen im kollektiven Unbewussten des Menschengeschlechts. Anderen Religionstheorien zufolge, z.B. von Donald Woods Winnicott (1896–1971) in Transitional objects and transitional phenomena, The child and the outside world: studies in developing relationships und Playing and reality und Ana-Maria Rizzuto in The birth of the living God und Why did Freud reject God?, kann Gott die Funktion eines »Übergangsobjekts« erhalten, welches das aufwachsende Kind für seine psychische Entwicklung benötigt. Eine herausragende Bedeutung hat Gott laut Viktor Emil Frankl (1905–1997) in Der Wille zum Sinn, Der unbewußte Gott und Der Mensch auf der Suche nach Sinn: zur Rehumanisierung der Psychotherapie, weil der Mensch in seinem tiefsten persönlichen Streben nach dem Sinn des Lebens einen Anker im Absoluten braucht. In diesem Zusammenhang waren die religionspsychologischen Untersuchungen von großer Bedeutung, die von Karl Girgensohn (1875–1925) in Der seelische Aufbau des religiösen Erlebens und Werner Gruehn (1887–1961) in Neuere Untersuchungen zum Wertproblem: Ein Beitrag zur experimentellen Erforschung des religiösen Phänomens, Das Werterlebnis: Eine religionspsychologische Studie auf experimenteller Grundlage und Die Frömmigkeit der Gegenwart: Grundtatsachen der empirischen Psychologie unternommen wurden. Sie zeigten die komplexe Beschaffenheit der Gotteserfahrung und des Gottesglaubens, welche die gesamte menschliche Person berühren und sowohl ein intellektuelles Moment als auch das Akzeptieren Gottes durch den Menschen im Zuge umfassender Verehrung und Vertrauen beinhalten. Die vorherrschende evolutionistische Ideologie beeinflusste mehrere Religionsforscher, Ethnologen und Soziologen wie Edward Burnett Tylor (1832– 1917) in Researches into the early history of mankind and the development of civilization und Primitive culture: researches into the development of mythology, philosophy, religion, language, art, and custom (2 Bände), Robert Ranulph Marett (1866–1943) in The treshold of religion und Faith, hope and charity in primitive religion, William Robertson Smith (1846–1894) in The religion of the semites, James George Frazer (1854–1941) in The golden bough: a study in magic and religion (12 Bände), Totemism, Totemism and exogamy: a treatise on certain early forms of superstition and society, The belief in immortality and the worship of the dead (2 Bände), The worship of nature, The fear of the dead in primitive religion und Creation and evolution in primitive cosmogonies and other pieces,

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Émile Durkheim (1858–1917) in Les formes élémentaires de la vie religieuse: le système totémique en Australie und Lucien Lévy-Bruhl (1857–1939) in La mentalité primitive, L’âme primitive, Le surnaturel et la nature dans la mentalité primitive und La mythologie primitive. Sie entwickelten evolutionistische Religionstheorien, denen zufolge die Religion beim Menschengeschlecht aus sehr primitiven Vorstellungen hervorgegangen ist, beispielsweise aus dem Gedanken einer persönlichen Seelen- bzw. unpersönlichen Geisteskraft (Animismus), aus einem Streben, mit magischen Mitteln das Dasein zu beherrschen (magische Theorie), aus Totemvorstellungen, die mit der Verehrung der eigenen Sozialgruppen verbunden werden (Totemismus, soziologische Religionstheorie) oder aus einem primitiven, nicht-vernunftgemäßen mythisch-symbolischen (prälogischen) Denken. Gegen diese evolutionistischen Religionstheorien wandte sich zu Anfang des 20. Jahrhunderts Andrew Lang (1844–1912) in The making of religion, Magic and religion, Origins of religion, The secret of the totem und Method in the Study of Totemism mit der Behauptung, dass der Gottesglaube der frühesten Religionen einem einzigen höchsten Wesen galt. Diese Behauptung wurde durch das überwältigende ethnologische Material von Wilhelm Schmidt (1868–1954) in Der Ursprung der Gottesidee: eine historisch-kritische und positive Studie (12 Bände), Ursprung und Werden der Religion: Theorien und Tatsachen und Die Uroffenbarung als Anfang der Offenbarungen Gottes bestätigt. Seine Auffassung, dass der Glaube an einen einzigen Gott (Urmonotheismus) gerade bei den sehr primitiven Völkern überall auf der Welt vorkommt, ergänzte Schmidt durch die Behauptung, dass dies eine göttliche Uroffenbarung an das erste Menschenpaar belegt. Vermittelnde Religionstheorien liegen vor bei Raffaele Pettazzoni (1883–1959) in L’essere celeste nelle credenze dei popoli primitivi, Dio: Formazione e sviluppo del monoteismo, Essays on the history of religions und L’onniscienzia di Dio, Nathan Söderblom (1866–1931) in Uppenbarelsereligion, Natürliche Theologie und die allgemeine Religionsgeschichte und Gudstron uppkomst und Geo Widegren (1907–1996) in Hochgottglaube im alten Iran, Religionens värld: religionsfenomenologiska studier och översikter und Religionens ursprung: en kort framställning av de evolutionistiska religionsteorierna och kritiken mit dessa. Ihnen zufolge gibt es in vielen frühen Kulturen einen ursprünglichen Glauben an einen höchsten Gott, dieses Faktum bestätigt jedoch noch nicht die These eines Urmonotheismus des gesamten Menschengeschlechts und noch weniger die Behauptung einer göttlichen Uroffenbarung gegenüber dem ersten Menschenpaar. Innerhalb des Bereichs der Religionswissenschaft wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Religionssoziologie von Max Weber (1864–1920) in Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus und Gesammelte Aufsätze

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zur Religionssoziologie und die Religionsphänomenologie von Gerardus van der Leeuw (1890–1950) in Phänomenologie der Religion und Mircea Eliade (1907–1986) in Patterns in comparative religion, The sacred and the profane, Myth and reality und The quest: History and meaning in religion entwickelt. Durch eine gründliche phänomenologische Untersuchung des religionshistorischen Materials und einen analysierenden Vergleich einzelner religiöser Phänomene konnte man zeigen, dass viele frühere Auffassungen von Religion nur unberechtigte Schreibtischprodukte waren. Insbesondere konnte erwiesen werden, dass die symbolisch-mythische Ausdrucksweise ein unentbehrliches Mittel ist, um tiefe persönliche religiöse Erfahrungen mitteilen zu können. Im Gegensatz zum mechanischen Materialismus und Empirismus der Zeit entwickelte sich innerhalb der Lebensphilosophie eine offenere Einstellung zur Metaphysik und ein tieferes Verständnis der Bedeutung von Religion für den Menschen im Anschluss an Goethe, Schelling u.a., z.B. bei Henri-Louis Bergson (1859–1941) in Essai sur les données immédiates de la conscience, L’évolution créatrice, L’énergie spirituelle und Les deux sources de la morale et de la religion. Laut Bergson führt die dynamische Lebenskraft (franz.: élan vital) über viele Zwischenschritte schließlich zum Höhepunkt der gesamten Entwicklung, nämlich zu einer allgemeinmenschlichen Moral und zur Religion. Eine ähnliche Offenheit gegenüber der Religion gibt es beim Gründer der phänomenologischen Bewegung, Edmund Husserl (1859–1938), der von seinem Lehrer Franz Brentano (1838–1917) beeinflusst und von James’ und Bergsons Gedanken inspiriert in Logische Untersuchungen, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, Cartesianische Meditationen und Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie die phänomenologische Methode entwickelte, um im Gegensatz zum Psychologismus, Empirismus und Positivismus das bewusste psychische Leben des Menschen untersuchen zu können, ohne von vorgefassten Meinungen und ideologischen Elementen gesteuert zu werden. Dies weckte in Husserl ein erneuertes Interesse an metaphysischen, ontologischen und religiösen Themen, die er unter einem eher anthropologischen Blickwinkel untersuchte. Um 1900 äußerte Gottlob Frege (1848–1925), einer der Begründer der modernen Logik, aufgrund seiner sprachanalytischen Untersuchungen in Die Grundlagen der Arithmetik, Funktion und Begriff, Über Sinn und Bedeutung und Über Begriff und Gegenstand ähnlich wie Kant berechtigte Bedenken in Bezug auf den ontologischen Gottesbeweis, weil der Existenzausdruck kein gewöhnliches Prädikat sein kann. Eine ähnliche Kritik am ontologischen Beweis vertrat der protestantische Theologe, Philosoph und Logiker Heinrich Scholz (1884– 1956) in Der Anselmische Gottesbeweis. Als sich Ludwig Wittgenstein (1889– 1951) in Tractatus Logico-Philosophicus, Philosophical investigations, The blue

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and brown books und On certainty, Bertrand Russell (1872–1970) in On denoting und Knowledge by acquaintance and knowledge by description und andere Vertreter der analytischen Philosophie in Bezug auf religiöse Fragen äußerten, schien es für sie offensichtlich zu sein, dass gemäß der neuen Logik sämtliche Aussagen über Gott als sinnlos und alle Gottesbeweise als haltlos betrachtet werden müssen. Wittgenstein zufolge muss jede metaphysische Untersuchung die Möglichkeiten der menschlichen Sprache überschreiten, sodass das Göttliche höchstens zum »Unaussprechbaren« gezählt werden kann. Ähnliche Auffassungen vertraten in den 1920ern und 1930ern die logischen Positivisten wie Moritz Schlick (1882–1936) in Allgemeine Erkenntnislehre, Positivismus und Realismus, Über das Fundament der Erkenntnis und Meaning and verification, Erleben, Erkennen, Metaphysik, Positivismus und Realismus, Rudolf Carnap (1891–1970) in Der logische Aufbau der Welt, Scheinprobleme in der Philosophie, Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache, Logische Syntax der Sprache und Philosophy and logical syntax und Alfred Jules Ayer (1910–1989) in Language, Truth and Logic, The Foundations of empirical knowledge und Metaphysics and common sense. Eine ähnliche neukantianisch inspirierte oder sprachanalytisch und neopositivistisch beeinflusste Religionskritik liegt bei Axel Hägerström (1868–1939) in Das Prinzip der Wissenschaft, Om filosofins betydelse för människan, Filosofi och vetenskap und Religionsfilosofi und bei Ingemar Hedenius (1908–1982) in Om rätt och moral, Tro och vetande und Att välja livsåskådning vor. Da der Neopositivismus und die analytische Philosophie im Namen der neuen Logik alle metaphysischen »Gottesbeweise« als unzureichend verurteilt haben, ist es erstaunlich, dass gerade solche Denker, die von der Logik geprägt sind, z.B. Wittgensteins Schüler Norman Malcolm (1911–1990) in Anselm’s ontological argument und vor allem der Mathematiker Kurt Gödel (1906–1978) in seinen zahlreichen posthum veröffentlichten Aufzeichnungen in Collected Works III sich für den ontologischen Gottesbeweis interessierten und diesen als eine gültige Argumentation innerhalb des Rahmens der Modallogik akzeptierten. Der ontologische Gottesbeweis wurde auch von Charles Hartshorne (1897–2000) in The logic of perfection and other essays in neoclassical metaphysics, Omnipotence and other theological mistakes, Man’s vision of God and the logic of theism, The divine relativity: a social conception of God und Anselm’s discovery akzeptiert. Mit seinem Lehrer Alfred North Whitehead (1861–1947), der zusammen mit Russell die Principia mathematica und später Religion in the making, Process and reality, Adventures of ideas und Essays in science and philosophy verfasst hat, zählt Hartshorne durch Man’s vision of God and the logic of theism und Omnipotence and other logical mistakes zu den sogenannten Prozesstheologen. Diese vertraten eine Form des

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Panentheismus, derzufolge Gott in einen kosmischen Prozess eingeht bzw. mit diesem identisch wird, durch den alles in der Welt und in der menschlichen Heilsgeschichte hervorgebracht wird. Auf ähnliche Weise verteidigt der reformierte Theologe Alvin Plantinga (geb. 1932) in Kant’s objection to the ontological argument, God and other minds: a study of the rational justification of belief in God, God, freedom and evil, Does God have a nature?, The nature of necessity und Warranted christian belief innerhalb des Rahmens der Modallogik das ontologische Argument und darüber hinaus eine bestimmte Form der natürlichen Theologie. Obwohl viele Denker während des 19. Jahrhunderts im Namen der Naturwissenschaft jede vernunftgemäße Gotteserkenntnis für unmöglich erklärt haben, veränderten die physikalischen Ergebnisse des 20. Jahrhunderts das gesamte Weltbild. Innerhalb der Relativitätstheorie wurden der absolute Charakter von Zeit und Raum und schrittweise die Unendlichkeit von Zeit, Raum und Universum infrage gestellt. Die Entdeckung, dass Universum, Zeit und Raum beim Urknall entstanden sind, belebte die Frage nach einem Schöpfer von allem wieder. Der Welle-Teilchen-Dualismus der Quantenphysik und der quantenphysikalische Indeterminismus erforderten eine Umwertung von Begriffen wie »Masse«, »Energie« und »Kausalität« und widerlegten den strengen physikalischen Determinismus. Die konsequente Anwendung des Entropie-Gesetzes auf die kosmische Entwicklung des Universums einerseits und die Entstehung aller komplexen Strukturen im Universum andererseits sowie das anthropische Prinzip weckten bei vielen Physikern erneut die Frage nach einem intelligenten Schöpfer des gesamten Universums und damit die gesamte Gottesproblematik. Schließlich stellten die beiden verheerenden Weltkriege und die Unmenschlichkeiten, die von zwei ausgesprochen atheistischen Systemen begangen wurden, – nämlich vom Nationalsozialismus, der in Nietzsches Nachfolge versuchte, das individualistische Ideal des Übermenschen zu verwirklichen, und vom Marxismus, der sich bemühte, das kollektivistische, kommunistische Paradies zu errichten – das gesamte moderne humanistische Projekt infrage. Es begann ein Suchen nach einer zufriedenstellenden Antwort auf die Frage nach der Grundlage und dem Sinn des Daseins, und viele schlossen sich emotional ansprechenden Gruppierungen an wie der Theosophie, Scientology und New Age, die oft jede philosophische Behandlung der Gottesfrage abwiesen. Während man in wissenschaftlich und ideologisch geprägten Kreisen an den Auffassungen des 19. Jahrhunderts festhielt, proklamierten bestimmte protestantische Theologen wie John Arthur Thomas Robinson (1919–1983) in Honest to God, The new reformation?, Exploration into God und The human face of God und Dorothee Sölle (1929–2003) in Stellvertretung: ein Kapitel Theologie

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nach dem »Tode Gottes«, Die Wahrheit ist konkret und Politische Theologie: Auseinandersetzung mit Rudolf Bultmann den Tod des transzendenten Gottes, damit Gott im Mitmenschen wirklich werden kann. Dennoch gab es bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts philosophische Richtungen, die für eine weniger einseitige Gottesauffassung hätten wegweisend sein können. Gegen die Transzendentalphilosophie und den Neukantianismus wandten sich innerhalb des realistischen Zweiges der phänomenologischen Bewegung Schüler Husserls wie Max Ferdinand Scheler (1874–1928) in Die transcendentale und die psychologische Methode, Zur Phänomenologie und Theorie der Sympathiegefühle und von Liebe und Haß, Vom Ewigen im Menschen, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Die Stellung des Menschen im Kosmos und Philosophische Weltanschauung und Nicolai Hartmann (1882– 1950) in Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, Diesseits von Idealismus und Realismus, Das Problem des geistigen Seins, Zur Grundlegung der Ontologie und Ästhetik. Sie bemühten sich um eine neue Grundlegung der Metaphysik als Ontologie und rangen mit Fragen nach den Gründen der moralischen und ethischen Werte. Scheler befürwortete anstelle der klassischen Gottesbeweise eine intuitivere bzw. praktischer orientierte Argumentation und zeigte zugleich, wie nur »das Absolute« – als freie Person und als die subsistierende Liebe – ein hinreichender Grund sein kann, um die Sorge, das Gewissen, die Freiheit und die Liebe des Menschen zu erklären. Hartmann hingegen kam über die reine Ontologie hinaus nicht zu einer theoretischen Gottesauffassung und damit zu einer natürlichen Theologie, sondern identifizierte das »Metaphysische« mit dem letztlich Unbegreiflichen. Darüber hinaus führte die Werttheorie zu einer Art »postulatorischem Atheismus«, weil der Glaube an einen göttlichen Gesetzgeber und an die göttliche Vorsehung als unvereinbar mit der Überzeugung von einer autonomen Grundlage der Werte und der Wertigkeit einer freien, moralischen Person angesehen werden muss. Aufgrund eines gewissen Einflusses von Kierkegaard stellte der existenzphilosophische Zweig innerhalb der phänomenologischen Bewegung die bewusst, absichtlich und verantwortlich handelnde menschliche Person in das Zentrum des philosophischen Denkens und versuchte zugleich, auch die metaphysisch-ontologische Dimension zu beachten. Martin Heidegger (1889–1976) zielte in Sein und Zeit, Briefe über den Humanismus, Gelassenheit, Identität und Differenz, Der Satz vom Grund, Vom Wesen des Grundes, Die Grundprobleme der Phänomenologie, Kant und das Problem der Metaphysik, Was ist Metaphysik und Einführung in die Metaphysik darauf ab, seine eigene Metaphysik gegen das abzugrenzen, was er »Onto-Theologie« nannte, weil diese auf eine zu stark verobjektivierende Weise die Lehre des Seins und die natürliche Theologie zusammenfasst, dabei jedoch der anthropologischen Perspektive

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zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. Heidegger kommt nicht zu einer eigentlichen Gottesauffassung, auch wenn die Gottesproblematik indirekt berührt wird bei seinem Versuch, die sogenannte ontologische Differenz, d.h. das Verhältnis und den Unterschied zu klären, der zwischen den einzelnen Seienden und dem Sein im Allgemeinen herrscht. Auf ähnliche Weise betont Karl Jaspers (1883–1969) in Vernunft und Existenz, Chiffren der Transzendenz, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte und Der philosophische Glaube die menschliche Existenz in ihrer Ganzheit inmitten dieser Welt und die Grenzsituationen, in denen sich der Mensch seiner selbst als Person in der Geschichte bewusst wird. Laut Jaspers erfährt der Mensch im Zuge des sogenannten philosophischen Glaubens sich selbst als transzendent. Dieser Glaube gehört zum allgemeinen Gottesglauben, der seinen eigenen Ausdruck in Symbolen und Mythen findet. Bei Jean-Paul Sartre (1905–1980) in La transcendance de l’égo, L’être et le néant: Essai d’ontologie phénoménologique und L’Existentialisme est un humanisme und Albert Camus (1913–1960) in L’homme révolté wird die Existenzphilosophie zu einem betonten Atheismus, weil die Existenz des Menschen als souveräne Person so sehr hervorgehoben wird, dass es Gott nicht geben kann, weil Gott zum Konkurrenten des freien und autonomen Menschen werden würde. Eine wichtige Veränderung der modernen Gottesauffassung entwickelte sich vornehmlich aus jüdischer Richtung unter dem Einfluss des späten Hermann Cohen in Form einer Position, die das Ich-Du-Verhältnis ins Zentrum rückt und als Personalismus oder Dialogphilosophie bezeichnet wird. Zu dieser Richtung wird besonders Martin Buber (1878–1965) gezählt, der in Ich und Du, Die Frage an den Einzelnen, Zwei Glaubensweisen, Distance and Relation, Bilder von Gut und Böse, Gottesfinsternis und Die Schriften über das dialogische Prinzip die Bedeutung der zwischenmenschlichen, dialogischen Ich-Du-Beziehung, auch in Bezug auf die Beziehung des Menschen zu Gott, dem »ewigen Du«, hervorhebt. Ähnliche Auffassungen vertreten Franz Rosenzweig (1886–1929) in Der Stern der Erlösung I, Das Büchlein vom gesunden und kranken Menschenverstand und Das neue Denken und Emmanuel Levinas (1906–1995) in De l’existence a l’existant, Totalité et infini, Humanisme de l’autre homme, De Dieu qui vient à l’idée und Dieu, la mort et le temps. Innerhalb des Protestantismus wurde die dominierende liberale Theologie von der dialektischen Theologie abgewiesen, die nach dem ersten Weltkrieg an Kierkegaards Gedanken anknüpfte. Sie wurde von dem reformierten Theologen Karl Barth (1886–1968) in Der Römerbrief, Die kirchliche Dogmatik I–III und Fides quaerens intellectum: Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms entwickelt. Weil das natürliche Dasein des Menschen als von der Sünde beherrscht angesehen wird,

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ist Gott als »der gänzlich Andere« dem frommen Selbstbewusstsein nicht zugänglich, und daher kann der Glaube an Gott keine natürliche religiöse Haltung sein. Jede natürliche Gotteserkenntnis wies Barth als gänzlich unvereinbar mit Gottes Offenbarung sowie dem Glauben des Menschen ab und betrachtete sie als Ausdruck des Versuchs des Menschen, Gott mit der Vernunft zu beherrschen. Er forderte eine »kritische Negation« aller positiven Rede von Gott und beurteilte die Lehre der Analogie des Seienden als einen »antichristlichen Einfall«, wenn es um die Gotteserkenntnis geht. Ähnliche Auffassungen in Bezug auf die Gotteserkenntnis im Verhältnis zum christlichen Glauben kommen bei anderen Vertretern der frühen dialektischen Theologie wie Friedrich Gogarten (1887–1967) in Glaube und Wirklichkeit, Weltanschauung und Glaube, Der Zerfall des Humanismus und die Gottesfrage, Der Mensch zwischen Gott und Welt und Die Wirklichkeit des Glaubens: Zum Problem des Subjektivismus in der Theologie vor. Entscheidend für eine gewisse Veränderung von Barths Sicht auf die Analogie des Seienden (lat.: analogia entis) und dessen Bedeutung für die natürliche Gotteserkenntnis waren die Verdeutlichungen, die von katholischen Theologen wie Erich Przywara (1889–1972) in Analogia entis: Metaphysik und Hans Urs von Balthasar (1905–1988) in Analogie und Dialektik und Analogie und Natur vorgenommen wurden. Unter dem Einfluss der Existenzphilosophie und des Personalismus wurde der Gegensatz zwischen dem christlichen Glauben und der natürlichen Theologie innerhalb der sogenannten Existenztheologie gemildert, die aus der dialektischen Theologie entstanden war. Zu dieser Richtung zählt Emil Brunner (1889–1966), der in Die Frage nach dem »Anknüpfungspunkt« als Problem der Theologie, Das Symbolische in der religiösen Erkenntnis, Erlebnis, Erkenntnis und Glaube, Philosophie und Offenbarung und Offenbarung und Vernunft die Vernunft als wesentlich ansah, um den christlichen Glauben erklären und verkünden zu können, und die Ansicht vertrat, dass eine Philosophie, die die Grenzen der Vernunft zeigt, auch eine Offenbarung des Absoluten vorbereitet. Die Vervollkommnung des Menschen als Ich hängt außerdem von seiner Beziehung zum göttlichen Du ab. Stark beeinflusst von Heidegger befürwortete Rudolf Bultmann (1884–1976) in Glauben und Verstehen und Kerygma und Mythos 7: Ein theologisches Gespräch eine radikale Entmythologisierung und eine existenzielle Deutung der biblischen Texte, sodass die eigentliche, persönliche Glaubensdimension der Bibel in der modernen Zeit hervortreten kann. Zudem vertrat er die Ansicht, dass ein Verständnis von Gottes Handeln in der Geschichte nur möglich ist, wenn der Mensch bereits ein vorangehendes existenzielles Selbstverständnis und eine Gotteserkenntnis hat. Gegen die Ablehnung jeder natürlichen Theologie durch die frühe dialektische Theologie lenkten mehrere neuere protestantische Theologen

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die Aufmerksamkeit darauf, wie wichtig es ist, einen Deutungsrahmen für die religiöse Sprache zu finden, damit Gott nicht der unbekannte Andere bleibt, von dem man nichts wissen kann – weder ob es ihn gibt, noch ob er gut ist oder sich offenbart hat. Zugleich darf Gott jedoch nicht in unserer Sprache verdinglicht oder nur zu einem Objekt im Denken werden. Zu diesen Theologen kann man in einem gewissen Maße Paul Tillich (1886–1965) zählen, der in Systematic theology I, The courage to be, Biblical religion and the search for ultimate reality, The new being, Dynamics of faith, Ultimate concern: Tillich in dialogue und in den Artikeln What is wrong with the ›dialectic‹ theology?, Natural and revealed religion, Philosophy and theology, Existential philosophy und The two types of philosophy of religion davon ausgeht, dass die Gotteserkenntnis mit der Erfahrung des modernen Menschen von einer transzendenten Dimension zusammenhängen muss, in der das gesamte Dasein eine Art metaphysische Deutung erfährt, auch wenn Gott letztlich nur durch einen aufrichtigen Glauben erreicht werden kann. Ähnliche Auffassungen wurden von Wolfhart Pannenberg (1928–2014) in Grundfragen systematischer Theologie und Eberhard Jüngel (*1934) in Gott als Geheimnis der Welt sowie dem Anglikaner Ian Thomas Ramsey (1915–1972) in Freedom and immortality, Prospect for metaphysics, On being sure in religion, Religious language, Religion and science, Models and mystery und Christian discourse: some logical explorations vertreten, demzufolge nur eine metaphorische Rede von Gott möglich ist, während die Sicherheit in Bezug auf Gottes Existenz aus der Ich-Erfahrung und dem Selbstbewusstsein stammen muss. Gegen die kantianischen und idealistischen Systeme einerseits und die empiristischen und psychologistischen Richtungen andererseits wandte sich während des 20. Jahrhunderts die neuthomistische Philosophie, die sich schrittweise von der überwiegend apologetischen und hauptsächlich kommentierenden Rolle der Neuscholastik lösen konnte. Stark beeinflusst von Bergsons Lebensphilosophie und teilweise von der Existenzphilosophie knüpften die zwei Philosophen und Laientheologen Jaques Maritain (1882– 1973) in Distinguer pour unir ou Les degrés du savoir, De la philosophie chrétienne, Humanisme intégral, The degrees of knowledge, A preface to metaphysics und Existence and the existent und Étienne Gilson (1884–1978) in Réalisme thomiste et critique de la connaissance, The unity of philosophical experience und Being and some philosophers an Aristoteles und die realistische Tradition der mittelalterlichen Philosophie an, um den Dualismus der modernen Zeit zwischen Vernunfterkenntnis und religiösem Glauben sowie zwischen der Metaphysik und den empirischen Wissenschaften überbrücken zu können. Sie betrachteten die natürliche Theologie samt der Gottesproblematik als Höhepunkt des philosophischen Fragens des Menschen nach dem Sinn des

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eigenen Daseins und nach seiner moralischen Verantwortung für die Zukunft der Menschheit, weil das Suchen des Menschen nach Wahrheit und sein Streben nach Werten im Grunde auf eine Teilhabe an Gott selbst ausgerichtet ist. Der Paläontologe und jesuitische Priester Pierre Teilhard de Chardin (1881–1955), der ebenfalls stark von Bergsons Lebensphilosophie beeinflusst war, versuchte in Le Phénomène humaine, L’apparition de l’homme und L’avenir de l’homme den Graben zwischen den Naturwissenschaften und der christlichen Offenbarung und Gottesauffassung zu überbrücken und entwickelte ein eigenes philosophisches System, demgemäß Gott nicht nur der Ursprung von allem ist, sondern auch das Ziel der Entwicklung des gesamten Universums, von Materie, Leben (Biosphäre) und Intellekt (Noosphäre) bis hin zur totalen Einheit des gesamten Menschengeschlechts im kosmischen Christus. Die katholische Theologie und Philosophie des 20. Jahrhunderts absorbierte zunächst schrittweise existentialistische und personalistische Gedanken. Zur Dialogphilosophie können Laienphilosophen wie Ferdinand Ebner (1882–1931) in Das Wort und die geistigen Realitäten: pneumatologische Fragmente und Wort und Liebe, Gabriel Marcel (1889–1973) in Journal métaphysique, Être et avoir, Le mystère de l’être, Homo viator: prolégomènes à une métaphysique de l’espérance, L’homme problématique, Existence et objectivité und The existential background of human dignity und Theodor Haecker (1879–1945) in Wahrheit und Leben, Was ist der Mensch?, Der Geist des Menschen und die Wahrheit gezählt werden. Ihnen zufolge können die besonderen Kennzeichen des Menschen, seine Sorge, Liebe, Gewissen und Freiheit, ihre letzte Grundlage nur im Transzendenten und Absoluten haben, auf das sie ausgerichtet sind. Schrittweise versuchten auch katholische Theologen wie Karol Wojtyla (1920–2005) in Der Streit um den Menschen: personaler Anspruch des Sittlichen, Person und Tat und Liebe und Verantwortung die Sicht auf den Menschen und die Gottesauffassung mit phänomenologischen, existenzphilosophischen und personalistischen Gedanken zu ergänzen. Als Papst Johannes Paul II. bekräftigte er seine Auffassung in Bezug auf das Verhältnis der Vernunft zum christlichen Glauben in seiner Enzyklika Fides et ratio. Eine nähere Untersuchung Kants und der idealistischen Philosophie führte unter katholischen Philosophen und Theologen wie Maurice Blondel (1861– 1949) in L’action: essai d’une critique de la vie et d’une science de la pratique, L’être et les êtres: essai d’ontologie concrète et intégrale, La philosophie et l’esprit chrétien und Exigences philosophiques du christianisme und Jesuiten wie Joseph Maréchal (1878–1944) in Le point de départ de la métaphysique zu dem Versuch, das vom Neuthomismus dominierte katholische Denken mit wichtigen Einsichten der Transzendentalphilosophie zu vereinen und eine kritische, realistische Synthese zu schaffen, die »transzendentaler Thomismus« genannt

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wurde. Diese ging vom menschlichen Bewusstsein aus und untersuchte dessen Möglichkeitsbedingungen. Laut diesen Denkern und ihren Nachfolgern, wie den jesuitischen Theologen Bernard Lonergan (1904–1984) in Insight: A Study of Human Understanding und Verbum: Word and Idea in Aquinas und Karl Rahner (1904–1984) in Geist in Welt und Hörer des Wortes, muss auch die natürliche Theologie vom persönlichen Selbstbewusstsein und der Freiheit des Menschen ausgehen, um Erkenntnisse von Gott zu gewinnen, der nicht nur das absolute Sein, sondern auch dynamischer Geist und in Liebe handelnde Person ist.