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German Pages 280 [281] Year 2019
Nadine Wendland
G ibbon, die Kirchengeschichtsschreibung und die Religionsphilosophie der Aufklärung Zum Verhältnis von innovativer Rezeption und kritischer Argumentation in der Historiographie des 18. Jahrhunderts
Studien zum achtzehnten Jahrhundert · Band 41
Meiner
STUDIEN ZUM ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERT Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts Band 41
FELIX MEINER VERL AG · HAMBURG
NADINE WENDL AND
Gibbon, die Kirchengeschichtsschreibung und die Religionsphilosophie der Aufklärung Zum Verhältnis von innovativer Rezeption und kritischer Argumentation in der Historiographie des 18. Jahrhunderts
FELIX MEINER VERL AG · HAMBURG
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über 〈http://portal.dnb.de〉 abrufbar. ISBN 978-3-7873-3692-0 ISBN eBook 978-3-7873-3693-7 Die Dissertationsschrift wurde an der Philosophischen Fakultät der HumboldtUniversität zu Berlin eingereicht. Gutachter der Dissertationsschrift waren Prof. Dr. Wilfried Nippel, Prof. Dr. Peter Burschel und Prof. Dr. Martin Mulsow. Die Disputation fand am 28. Oktober 2016 statt. © Felix Meiner Verlag, Hamburg 2019. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: satz&sonders GmbH, Dülmen. Druck und Bindung: Strauss, Mörlenbach Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de
I
1 1.1 1.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4
E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungsgegenstand und Problemstellung . . . . . . . . . Forschungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigene Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . Auswahl der berücksichtigten kirchengeschichtlichen Themen Gliederung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gibbons Literatur für das Thema Kirchengeschichte . . . . . . Auswahl der berücksichtigten Referenzautoren . . . . . . . . . .
2 2.1 2.2 2.3
D C C Kirchengeschichte als Geschichte »natürlicher« Ursachen und menschlicher Schwächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fanatiker, Schwärmer und die christliche Dämonenangst Jenseitsglaube und christliche Moralvorstellungen . . . .
3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2
E K K Die Entwicklung der Kirchenverfassung . . . . . . . . . . . . . . Kritik am Klerus und Lob kirchlichen Widerstands . . . . . . Cyprian von Karthago . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gregor II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 4.1 4.2
M M . Das zerstörerische Potential des Christentums . . . . . Im Schatten des Judentums – Das Christentum bis zur Herrschaft Trajans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die rechtliche Praxis gegenüber den Christen und die Motive der Märtyrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Kirche unter Decius, Diokletian und anderen Verfolgungskaisern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3 4.4 5 5.1 5.2
. . . .
. . . . . .. .. ..
. . . . . . . .
7 7 11 13 13 16 18 19
.......
25
....... ...... .......
25 33 47
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57 57 72 72 77
......... .........
83 83
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93
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99
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. . . . .
. . . . . . . . . 106
G W . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Status der christlichen Wunder und Conyers Middletons Wunderzäsur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Einzelne Wunderbesprechungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
6
6
Inhalt
6.1 6.2
H- D »T D F « . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Judenchristen und Gnostiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Arianischer Streit und Arianismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
7 7.1 7.2
G P K K J . . . . . 187 Konstantin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Julian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
8
D G-R G S ( – ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
9
F
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Q- L . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 D
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
P
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
1 E
1.1 Untersuchungsgegenstand und Problemstellung Als im Jahr 1776 der erste Band von Edward Gibbons »The History of the Decline and Fall of the Roman Empire« veröffentlicht wurde 1, erlebte die englische Öffentlichkeit einen publizistischen Skandal. Theologische Kritiker unterschiedlicher Richtungen empörten sich in einer Vielzahl von teilweise sehr polemischen Antworten über Gibbons kritische Besprechung der Geschichte des frühen Christentums und der Christenverfolgungen durch die römischen Herrscher in Kapitel XV und XVI des Werks. 2 Besonders provozierend auf christliche Leser wirkten Gibbons anzüglicher Stil und die ironische Form der Darstellung, die mit zahlreichen versteckten Anspielungen und indirekten Unterstellungen arbeitete. Immer wieder wurde deshalb der Vorwurf laut, Gibbon habe seine Kritik am Christentum stets nur in verschleierter Form geäußert und sich nicht offen zu einem kritischen Standpunkt bekannt, was als noch verwerflicher erschien, als eine eindeutig heterodoxe Position zu vertreten. 3 Eine Verteidigungsschrift in eigener Sache, die 1779 erschienene »Vindication of Some Passages in the Fifteenth and Sixteenth Chapters of the History of the Decline and Fall of the Roman Empire«, verfasste Gibbon allerdings erst, nachdem der Oxforder Theologe Henry Edwards Davis ihm methodische Vergehen (die 1
In der vorliegenden Arbeit soll folgende Ausgabe von Gibbons Werk verwendet werden: Edward Gibbon: The History of the Decline and Fall of the Roman Empire, hg. v. David Womersley, 3 Bde, London u. a. 1994 (im Folgenden abgekürzt als DF). 2 Nigel Aston: A ›Disorderly Squadron‹? A Fresh Look at Clerical Responses to The Decline and fall, in: David Womersley (Hg.), Edward Gibbon. Bicentenary Essays, Oxford 1997, 253 – 278, hier S. 256 ff. Die Repliken gegen Gibbon sind dokumentiert in Shelby T. McCloy: Gibbon’s Antagonism to Christianity, London 1933. Ein Teil dieser Schriften ist als Nachdruck zugänglich in der Reihe »Gibboniana«, die ab 1974 bei Garland (New York u. a.) erschienen ist. Auszüge bietet auch der Band Religious Scepticism. Contemporary Responses to Gibbon, hg. v. David Womersley, Bristol 1997. 3 George Travis warf Gibbon beispielsweise vor: »[. . . ] you have endeavoured to effectuate your purpose [lessening the power of Christianity] by indirect machinations. You have, artfully enough, suggested ambiguous insinuations, where you durst not hazard a positive accusation. You have labored to raise a sneer, where you durst not risk an argument.«; George Travis: Letters to Edward Gibbon (2. Aufl., London 1785), Nachdruck New York u. a. 1974, S. 351 f.; Myron C. Noonkester: Gibbon and the Clergy. Private Vices, Public Virtues, Harvard Theological Review 83 (1990), 399 – 414, hier S. 404 ff.; Wilfried Nippel: Edward Gibbon, das antike Christentum und die anglikanische Kirche, in: Stefan Ehrenpreis u. a. (Hgg.), Wege der Neuzeit, Festschrift für Heinz Schilling zum 65. Geburtstag, Berlin 2007, 241 – 268, hier S. 254 f.
8
Einleitung
verfälschende Darstellung antiker Quellen und das Plagiieren zeitgenössischer Autoren) vorgeworfen hatte, was Gibbon als Angriff auf seinen guten Ruf als Historiker verstand. 4 In der »Vindication« widerlegte er einzelne der gegen ihn erhobenen Kritikpunkte anhand der relevanten Quellen 5 und formulierte eine Reihe von Arbeitsprinzipien, denen er sich als Historiker verpflichtet fühlte, darunter insbesondere die Forderung nach einer unparteilichen und interessenfreien Vorgehensweise. 6 Bereits 1776/77 war eine überarbeitete zweite und dritte Auflage des ersten Bandes des »Decline and Fall« erschienen; die Bände zwei und drei, in denen die Zeit bis zum Ende des Weströmischen Reiches behandelt wurde, folgten zeitgleich 1781. Die abschließenden Bände vier bis sechs legte Gibbon dann 1788 vor. 7 Auch die Fortsetzung von Gibbons Werk wurde von theologischen Kritikern häufig in derselben Weise wie der erste Band gelesen 8, was einen Grund sicherlich darin hatte, dass die im Vergleich zu späteren kirchengeschichtlichen Abschnitten stärker polemisierenden Kapitel XV und XVI durch die Form der Publikation (sie bildeten den Abschluss des ersten Bandes) ins Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung gerückt wurden. Verstanden als eine Art von Resümee, das die zerstörerische Rolle der Kirche beim Niedergang des Römischen Reiches herausstellte, beeinflussten diese beiden Kapitel nachhaltig die Reaktionen auf Gibbons Darstellung der späte4
Edward Gibbon: A Vindication, in: ders., The History of the Decline and Fall of the Roman Empire, hg. v. David Womersley, Bd. 3, London u. a. 1994, 1108 – 1184, hier S. 1110 f.: »The different misrepresentations, of which he [Davis] has drawn out the ignominious catalogue, would materially affect my credit as an historian, my reputation as a scholar, and even my honour and veracity as a gentleman.«; Henry Edwards Davis: An Examination of the Fifteenth and Sixteenth Chapters of Mr. Gibbon’s History of the Decline and Fall of the Roman Empire (London 1778), Nachdruck New York u. a. 1974. Vgl. Wilfried Nippel: Das Glaubensbekenntnis des Historikers: Edward Gibbon, das antike Christentum and die Anglikanische Kirche, in: ders., Klio dichtet nicht. Studien zur Wissenschaftsgeschichte der Althistorie, Frankfurt am Main u. a. 2013, 62 – 92, im Folgenden zitiert als Nippel (2013a), hier S. 78 f. 5 Vindication, DF, Bd. 3, S. 1116 ff. 6 Vindication, DF, Bd. 3, S. 1175. Vgl. Nippel (2013a), S. 78 u. zur »Vindication« insgesamt David Womersley: Gibbon and the »Watchmen of the Holy City«. The Historian and his Reputation 1776 – 1815, Oxford 2002, Kap. 2. 7 Wilfried Nippel: Der Historiker des Römischen Reiches: Edward Gibbon (1737 – 1794), in: Edward Gibbon, Verfall und Untergang des römischen Imperiums. Bis zum Ende des Reiches im Westen, übers. v. Michael Walter, hg. v. Walter Kumpmann, Bd. 6, München 2003, 7 – 102, hier S. 14. Zu Gibbons Überarbeitungen in den Kapiteln XV und XVI für die unterschiedlichen Auflagen des ersten Bandes vgl. Womersley (2002), Kap. 1. 8 So urteilte beispielsweise James Chelsum über die Bände zwei und drei: »There may be found in them, on due examination, much of the same species of poison as infected the former volume; much apparent spirit of prejudice, and much seeming eagerness to relate whatever may reflect either ridicule or disgrace upon the primitive Church.«; James Chelsum: A Reply to Mr. Gibbons’s Vincidation (Winchester 1785), Nachdruck New York u. a. 1974, S. 128.
Untersuchungsgegenstand und Problemstellung
9
ren Kirchengeschichte in den Bänden zwei bis sechs. 9 Im Zusammenhang mit der Französischen Revolution verfestigte sich eine Lesart von Gibbons Geschichtswerk als einem typischen Beispiel aufklärerischer Geschichtsschreibung und einer Form der Kirchenkritik in der Tradition Voltaires, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts dominierend blieb. 10 Erst die neuere Gibbon-Forschung rückte von dieser Einschätzung ab, indem sie die weitaus größere Vielschichtigkeit und Ambivalenz des »Decline and Fall« betonte und den Einfluss verschiedener Autoren neben Voltaire herausarbeitete. 11 Eine umfassende Untersuchung von Gibbons Methodik fehlt innerhalb der Forschung bisher allerdings – nicht nur für die kirchengeschichtlichen Teile von Gibbons Werk, sondern auch für andere Themen. Gerade auch vor dem Hintergrund der geschilderten Kontroverse um die beiden Kapitel zum frühen Christentum (die dann auch die Reaktionen auf die späteren Bände des Werks beeinflusste) stellt sich die Frage, welche Kriterien für Gibbons Vorgehensweise in den kirchengeschichtlichen Abschnitten seines Werks bestimmend sind, in welcher Form er unterschiedliche Sekundärliteratur zur Kirchengeschichte rezipiert und auf welche Wirkung seine entsprechende Darlegung abzielt. Die vorliegende Arbeit möchte deshalb Gibbons Arbeitsweise in den Mittelpunkt einer eigenen Untersuchung stellen und im Detail die Abhandlung einer Reihe von kirchengeschichtlichen Themen in »The Decline and Fall« betrachten, die Gegenstand kirchenkritischer, aber auch konfessioneller Debatten des 18. Jahrhunderts waren. Beabsichtigt wird dabei, Prämissen und Kennzeichen, intendierte Wirkung und kritischen Impetus von Gibbons methodischer Vorgehensweise herauszuarbeiten. Mit der skizzierten Problemstellung soll ausdrücklich an die oben angesprochene Entwicklung der neueren Forschung angeschlossen werden, die Gibbons facettenreiche und differenzierte Darstellung in Abgrenzung zu früheren Bewertungen des »Decline and Fall« hervorgehoben hat. Ziel der Untersuchung ist es dabei nicht, Gibbons Erörterung der Kirchengeschichte aus moderner althistorischer bzw. kirchengeschichtlicher Sicht zu beurteilen oder einzelne der darin aufgestellten Bewertungen und Schlussfolgerungen zu kirchengeschichtlichen Fragen kritisch zu überprüfen. Vielmehr richtet sich 9
Nippel (2003), S. 49. Details bei Paul Turnbull: ›Une marionnette infidele‹: The Fashioning of Edward Gibbon’s Reputation as the English Voltaire, in: David Womersley (Hg.), Edward Gibbon. Bicentenary Essays, Oxford 1997, 279 – 308, hier S. 279 u. 292 ff. Bereits zeitgenössische Kritiker wie William Disney und Joseph Priestley kritisierten Gibbons Anschluss an Voltaire; McCloy, S. 148, 183 u. 213. 11 Z. B. Michel Baridon: Gibbon et le mythe de Rome: Histoire et idéologie au siècle des lumières, Paris 1977; David Womersley: The Transformation of The Decline and Fall of the Roman Empire, Cambridge 1988, im Folgenden zitiert als Womersley (1988a); Nippel (2003) u. (2007). Vgl. dazu Turnbull (1997), S. 282 f. 10
10
Einleitung
das Interesse darauf, die Ausgestaltung seiner Präsentation verschiedener Themen in den Blick zu nehmen, die unterschiedlichen Argumentationsstränge seiner jeweiligen Darlegung herauszuarbeiten und deren argumentativen Verlauf zu rekonstruieren. Wie auch die Kontroverse nach dem Erscheinen des ersten Bandes von Gibbons Werk zeigt, war eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Kirchengeschichte im England des späten 18. Jahrhunderts nach wie vor sehr konfliktträchtig. Der Bereich der Kirchengeschichte hatte sich in der Folge von Reformation und Gegenreformation zum Gegenstand konfessioneller Polemik zwischen protestantischen und katholischen Theologen entwickelt (wobei der anglikanischen Kirche eine Sonderstellung zwischen den Kirchen der anderen Konfessionen zukam), später wurde er zudem zum Streitpunkt zwischen deistischen, heterodoxen oder auch religionskritischen Autoren und Verteidigern der offiziellen Kirche. 12 Dieses hohe Konfliktpotential kirchengeschichtlicher Themen macht es erforderlich, bei der Untersuchung von Gibbons Darstellung jeweils auch ausführlich auf den kritischen Gehalt einzelner Themen im zeitgenössischen Kontext einzugehen. Aus der Betrachtung ausgeklammert bleiben soll hingegen die Frage nach Gibbons religiöser Einstellung, die von modernen Kommentatoren sehr unterschiedlich beurteilt wurde. 13 Für eine Untersuchung seiner historiographischen Arbeitsweise ist Gibbons persönliche Religion nicht maßgeblich, zu ihrer Bestimmung müssten außerdem Selbstzeugnisse, Briefe oder andere persönliche Dokumente des Historikers herangezogen werden.
12
Roy Porter: Gibbon: Making History, London 1988, S. 18 ff.; Stephen P. Foster: Melancholy Duty. The Hume-Gibbon Attack on Christianity, Dordrecht 1997, S. 55 ff. 13 Momigliano beschrieb Gibbons religiösen Standpunkt als »vagen Deismus«. Andere Autoren wie Pocock und Young sprachen von einem der Haltung Humes vergleichbaren religiösen Skeptizismus. Turnbull vertrat wiederum die Annahme, Gibbon müsse als zwar skeptischer, letztlich jedoch gläubiger Christ betrachtet werden; Arnaldo D. Momigliano: Gibbons Beitrag zur historischen Methode, in: ders., Ausgewählte Schriften zur Geschichte und Geschichtsschreibung, Bd. 2, hg. v. Anthony Grafton, Stuttgart 1999, 237 – 255, hier S. 247 (Momiglianos Aufsatz wurde zum ersten Mal 1954 veröffentlicht); John G. A. Pocock: Gibbon and the Primitive Church, in: Stefan Collini u. a. (Hgg.), History, Religion and Culture. British Intellectual History 1750 – 1950, Cambridge 2000, 48 – 68, hier S. 54 f., im Folgenden zitiert als Pocock (2000a); Brian W. Young: »Scepticism in Excess«: Gibbon and Eighteenth-Century Christianity, Historical Journal 41 (1998), 179 – 199, im Folgenden zitiert als Young (1998a), hier S. 181; Paul Turnbull: The ›Supposed Infidelity‹ of Edward Gibbon, The Historical Journal 5 (1982), 23 – 41, hier S. 40 f.
Forschungslage
11
1.2 Forschungslage Zu Gibbons Werk existiert eine sehr umfangreiche, zum großen Teil aus dem anglo-amerikanischen Raum stammende Forschungsliteratur. 14 Die Beiträge mehrerer Sammelbände zu Gibbon, die seit den 1960er-Jahren anlässlich verschiedener Jahrestage erschienen sind, thematisieren aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus zahlreiche Einzelaspekte. 15 In einem wegweisenden Aufsatz hat Arnaldo Momigliano Gibbons historiographische Leistung derart charakterisiert, dass in seinem Geschichtswerk die ursprünglich eigenständigen Prinzipien von antiquarischer (Detail-)Forschung und »philosophischer« Auslegung der Vergangenheit, also die Methoden der »érudits« und der »philosophischen« Historiker, miteinander versöhnt werden und dem Leser gleichzeitig eine große historische Erzählung in Anknüpfung an klassische Vorbilder geboten wird. 16 Mit Gibbons Einstellung zur »Battle of the Books« (also der zwischen »ancients« und »moderns« ausgetragenen Debatte darüber, ob Kunst, Literatur und Geschichtsschreibung der Antike von »modernen« Werken übertroffen werden könnten) beschäftigte sich Joseph Levine. Er schreibt Gibbon in dieser Debatte eine gemäßigt moderne Position zu, in der sich die Bewunderung für die Errungenschaften der Antike mit der Wertschätzung neuer philologischer Methoden der Textkritik verband. 17 Wichtige Anstöße für eine Beschäftigung mit Gibbons Methodik geben auch die Arbeiten von David Womersley. Aus einer literaturwissenschaftlichen Perspektive hat Womersley u. a. die innere Entwicklung von Gibbons Werk im Verlauf der sechsbändigen Publikation untersucht und vertritt die überzeugende These, dass sich »The Decline and Fall« – in Abhängigkeit von dem behandelten historischen Gegenstand und Gibbons zunehmender Einsicht in die Kontingenz historischer 14
Einen äußerst umfassenden Überblick über die bis 1985 erschienene Forschungsliteratur zu Gibbon gibt Patricia B. Craddock: Edward Gibbon. A Reference Guide, Boston 1987. Eine umfangreiche Auswahl aus der älteren Literatur sowie ein Großteil der seit 1985 erschienenen Titel findet sich in Wilfried Nippel: Literatur zu Gibbon, in: Edward Gibbon, Verfall und Untergang des römischen Imperiums. Bis zum Ende des Reiches im Westen, übers. v. Michael Walter, hg. v. Walter Kumpmann, Bd. 6, München 2003, 103 – 114. 15 Lynn White: The Transformation of the Roman World. Gibbon’s Problem after Two Centuries, Berkeley 1966; Glen W. Bowersock u. a. (Hgg.): Edward Gibbon and the Decline and Fall of the Roman Empire, Cambridge, Mass. 1977 (die Aufsätze dieses Sammelbandes sind auch in Daedalus 105 (1976) erschienen); Pierre Ducrey (Hg.): Gibbon et Rome à la lumière de l’historiographie moderne, Genf 1977; Rosamond McKitterick / Roland Quinault (Hgg.): Edward Gibbon and Empire, Cambridge 1997; David Womersley (Hg.): Edward Gibbon. Bicentenary Essays, Oxford 1997. 16 Momigliano, S. 250 ff. 17 Joseph M. Levine: Humanism and History. Origins of Modern English Historiography, Ithaca u. a. 1987, S. 182 ff.; ders.: The Autonomy of History. Truth and Method from Erasmus to Gibbon, Chicago u. a. 1999, S. 157 ff.
12
Einleitung
Vorgänge – von einem charakteristischen Beispiel »philosophischer« Geschichtsschreibung im Stil von Hume oder Montesquieue (Band 1) zu einer vielschichtigen erklärungsoffenen Arbeit (Bände 2 – 6) entwickelte. 18 Eine andere Studie, in der die vielfältigen intertextuellen Bezüge zwischen Gibbons Gesamtwerk und den zeitgenössischen Reaktionen darauf analysiert werden, verdeutlicht, in welchem Ausmaß die öffentliche Wahrnehmung sowohl die Ausgestaltung des »Decline and Fall« als auch Gibbons Selbstdarstellung in anderen Schriften beeinflusste. 19 Mit den zahlreichen ideengeschichtlichen Kontexten, die für die Entstehung von Gibbons Werk wichtig sind und in denen es sich verorten lässt, beschäftigte sich John Pocock insbesondere in dem monumentalen sechsbändigen Werk »Barbarism and Religion«. 20 Konzentriert auf die ersten drei Bände des »Decline and Fall« liefert Pocock in seiner sehr breit angelegten Untersuchung ein Panorama der unterschiedlichsten Diskurse der Aufklärung, in denen sich Gibbons Geschichtswerk bewegt, und illustriert auf diese Weise die enorme Vielfalt seiner gelehrten Grundlagen. Er schließt ausdrücklich auch intellektuelle Kontexte ein, die im Werk keinen direkt nachweisbaren Niederschlag gefunden haben. 21 Der Althistoriker Wilfried Nippel schließlich hat in seiner Einführung zu einer deutschen Neuübersetzung der ersten drei Bände des »Decline and Fall« 22 sowie in verschiedenen Aufsätzen 23 Gibbons Verhältnis zur »philosophischen« Geschichtsschreibung und antiquarischen Gelehrsamkeit, seine Stellung in der Historiographiegeschichte und die Einordnung des »Decline and Fall« thematisiert. Nippel behandelt u. a. die Konzeption des Gesamtwerks, zeitgenössische Bezüge der kirchengeschichtlichen Darstellung, bedeutende Referenzwerke für das Thema Kirchengeschichte, Gibbons Quellen- und Literaturverarbeitung sowie die Rezeption seines Werks in Deutschland und liefert wichtige Anhaltspunkte für eine Untersuchung von Gibbons Methodik. 18
Womersley (1988a), besonders S. 4 ff. u. 44 ff. Womersley (2002), besonders S. 4 ff. 20 John G. A. Pocock: Barbarism and Religion, 6 Bde, Cambridge 1999 – 2015. 21 John G. A. Pocock: Barbarism and Religion, I: The Enlightenments of Edward Gibbon 1737 – 1764, Cambridge 1999, S. 1 u. 10; ders.: Barbarism and Religion, VI: Barbarism: Triumph in the West, Cambridge 2015, S. 8 f. 22 Nippel (2003). 23 Wilfried Nippel: Gibbons »philosophische Geschichte« und die schottische Aufklärung, in: Wolfgang Küttler u. a. (Hgg.), Geschichtsdiskurs, Bd. 2, Frankfurt am Main 1994, 219 – 228; ders.: Edward Gibbon und die christliche Republik Europa, in: Rüdiger Hohls u. a. (Hgg.), Europa und die Europäer. Quellen und Essays zur modernen europäischen Geschichte (Festschrift für Hartmut Kaelble zum 65. Geburtstag), Stuttgart 2005, 128 – 133; ders. (2007); ders., (2013); ders.: Fußnoten, Zitate, Plagiate. Wissenschaftsgeschichtliche Streifzüge, (Karl-ChristPreis für Alte Geschichte, 1) Heidelberg 2014; ders.: Zur Gibbon-Rezeption in der deutschen Altertumswissenschaft, in: Cord-Friedrich Berghahn / Till Kinzel (Hgg.), Edward Gibbon im deutschen Sprachraum. Bausteine einer Rezeptionsgeschichte, Heidelberg 2015, 89 – 100. 19
Eigene Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
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Auffallend häufig weckte »The Decline and Fall« außerdem das Interesse der Literaturwissenschaft, die Aspekte wie Gibbons Ironie, sprachliche und stilistische Eigenheiten oder narrative Muster und Erzählstrategien analysierte. 24 Auch wenn diese Arbeiten auf einem ganz anderen Ansatz als die vorliegende Untersuchung basieren, können sie an einzelnen Stellen doch aufschlussreiche Anregungen liefern. Während Gibbons Abhandlung der Kirchengeschichte von vielen Kritikern, wie eingangs veranschaulicht wurde, lange Zeit in die Tradition Voltaires gestellt wurde, ließ sich in den letzten Jahrzehnten innerhalb der Forschung eine gewisse Tendenz beobachten, Gibbons Rekurs auf die religionssoziologischen Arbeiten David Humes zum Thema zu machen. 25 Im Vordergrund steht hier in erster Linie das Anliegen, die Übernahme Hume’schen Gedankenguts durch Gibbon sowie inhaltliche Gemeinsamkeiten zwischen Humes und Gibbons Kritik am Christentum zu verdeutlichen. Weniger gut erforscht ist demgegenüber Gibbons Rezeption der kirchengeschichtlichen Schriften theologischer Autoren. 26 Eine Untersuchung, die sich speziell mit Gibbons Arbeitsweise als (Kirchen-)Historiker beschäftigt, ist bislang ein Desiderat der Forschung.
1.3 Eigene Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit 1.3.1 Auswahl der berücksichtigten kirchengeschichtlichen Themen Die Beschäftigung mit Aspekten der Kirchengeschichte nimmt in »The Decline and Fall« einen beträchtlichen Raum ein: Von insgesamt 71 Kapiteln widmen sich 24
Wichtige Arbeiten stammen z. B. von Leo B. Braudy: Narrative Form in History and Fiction: Hume, Fielding & Gibbon, Princeton 1970 oder Peter W. Cosgrove: Impartial Stranger. History and Intertextuality in Gibbon’s »Decline and Fall of the Roman Empire«, Newark 1999. 25 Eine detaillierte und informative Untersuchung liefert besonders Foster (vgl. Anm. 12). Weniger materialreich ist die Studie von Andreas M. Weber: David Hume und Edward Gibbon. Religionssoziologie in der Aufklärung, Frankfurt am Main 1990. Auch Pocock hat sich immer wieder mit Gibbon und Hume beschäftigt; z. B. John G. A. Pocock: Superstition and Enthusiasm in Gibbon’s History of Religion, Eighteenth-Century Life 8 (1982), 83 – 94; ders.: Edward Gibbon in History. Aspects of the Text in »The History of the Decline and Fall of the Roman Empire«, in: Grethe Peterson (Hg.), The Tanner Lectures on Human Values 11, Salt Lake City 1990, 289 – 364; ders.: Barbarism and Religion, II: Narratives of Civil Government, Cambridge 2000, im Folgenden zitiert als Pocock (2000b), S. 163 – 257. 26 Ein kurzer Abriss findet sich bereits in Owen Chadwick: Gibbon and the Church Historians, Daedalus 105 (1976), 111 – 124; vgl. auch Nippel (2003), S. 76 ff.; John G. A. Pocock: Barbarism and Religion, V: Religion: The First Triumph, Cambridge 2010; ders. (2015); David P. Jordan: Le Nain de Tillemont. Gibbon’s »Sure-Footed Mule«, Church History 39 (1970), 483 – 502.
14
Einleitung
immerhin zehn Kapitel mehr oder weniger ausschließlich einer Darstellung der Geschichte des Christentums 27, verstreute Passagen zur Kirchengeschichte sind immer wieder auch in anderen Kapiteln zu finden. Themen wie die Christenverfolgungen durch die römischen Herrscher (Kap. XVI) oder der arianische Streit (Kap. XXI) werden jeweils in einem eigenen Kapitel besprochen. Gibbons »handwerklicher« Umgang mit Literatur zur Kirchengeschichte sowie Ausgestaltung und Aufbau der Argumentation sollen am Beispiel unterschiedlicher kirchengeschichtlicher Themen betrachtet werden, um eine möglichst breite Untersuchungsbasis zu haben. Folgende Themen sollen hier berücksichtigt werden: Darstellung des frühen Christentums, frühe Kirchenverfassung und Kleruskritik, Christenverfolgungen, Wunder, Häresiegeschichte sowie die Porträts der Kaiser Konstantin I. und Julian »Apostata«. Die vorgestellte Auswahl orientiert sich am Stellenwert einzelner kirchengeschichtlicher Themen in Gibbons Werk. Um der inneren Entwicklung des »Decline and Fall« Rechnung zu tragen (vgl. Womersley 1988a) werden sowohl die frühen Kapitel XV und XVI ausführlich berücksichtigt als auch kirchengeschichtliche Kapitel des zweiten Bandes herangezogen. In einzelnen Fällen wurden ergänzend thematisch passende Passagen aus späteren Kapiteln in die Untersuchung miteinbezogen, wenn deren Betrachtung zusätzliche Rückschlüsse auf Gibbons Vorgehensweise versprach. Die genannten Themen zeichnet außerdem ein hohes Maß an kritischen Implikationen für Gibbons eigene Zeit aus. Sie erscheinen deshalb als besonders geeignet für die Rekonstruktion seiner historiographischen Arbeitsweise, weil Gibbon hier eine Vielzahl an Traditionsbeständen und Auslegungsvarianten, kirchenkritischen Argumentationsmustern und Ideen zur Verfügung stand, die er für die eigene Darstellung benützen konnte. Im Folgenden sollen die sechs Themen und ihr kritischer Gehalt kurz vorgestellt werden. Die Geschichte des Frühchristentums bis zur Herrschaft Konstantins I. war in theologischer Hinsicht ein äußerst heikler Bereich, weil die frühe Kirche wegen ihrer Nähe zu den Ursprüngen des eigenen Glaubens für spätere Christen eine Vorbildfunktion innehatte. 28 Im Zuge von Reformation und Gegenreformation beriefen sich protestantische und katholische Autoren wechselseitig auf ein idealisiertes Frühchristentum, um den Status der eigenen Konfession historisch-apologetisch abzusichern sowie deren Organisationsstruktur und Glaubenssätze zu legitimieren. 29 Ähnlich umstritten waren 27
Es handelt sich dabei um die Kapitel XV, XVI, XX, XXI, XXIII, XXVIII, XXXVII, XLVII, XLIX, LIV. 28 Stefan Alkier: Urchristentum. Zur Geschichte und Theologie einer exegetischen Disziplin, Tübingen 1993, S. 5; Robert L. Wilken: The Myth of Christian Beginnings, Garden City, N.Y. 1971, S. 43 ff. u. 71 ff. 29 Wilken (1971), S. 105 u. 115 ff.
Eigene Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
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die Entwicklung der Kirchenverfassung in den ersten drei Jahrhunderten und die Stellung des frühchristlichen Klerus. Dabei wurde insbesondere die Frage nach den apostolischen Ursprüngen des Bischofsamts kontrovers diskutiert. 30 Im englischen Kontext war dieses Thema aufgrund der starken Position des Episkopats in der anglikanischen Kirche und ihrem Festhalten an der apostolischen Sukzession ihrer Bischöfe in Gibbons Zeit nach wie vor sehr aktuell. 31 Auch das Thema antike Christenverfolgungen und Märtyrer nahm unter Theologen eine besondere Stellung ein: Die Verfolgungen wurden in der Rückschau als göttliche Prüfung und, da das Christentum letztlich standgehalten hatte und unter Konstantin I. rechtlich anerkannt worden war, als Beweis für die Überlegenheit des eigenen Glaubens interpretiert. 32 Märtyrer, die während der Verfolgungen ihr Leben verloren hatten, genossen eine hohe Verehrung und erhielten besondere Ehrenbezeigungen. 33 Um die christlichen Wunder entspann sich in England ab dem frühen 18. Jahrhundert eine große Kontroverse. 34 Wunder galten christlichen Apologeten als einer der zentralen Beweise für die Wahrheit der eigenen Religion; umgekehrt benützten heterodoxe Autoren ihre Wunderkritik dazu, die christliche Offenbarungsreligion insgesamt in Zweifel zu ziehen und die Position der offiziellen Kirche zu schwächen. 35 Zugleich entzweite die Frage nach einem historischen Endpunkt der authentischen Wunder Protestanten und Katholiken. 36 Eine Beschäftigung mit den Ketzern der Kirchengeschichte spielte in den konfessionellen, aber auch in kirchen- und religionskritischen Kontroversen der Frühen Neuzeit eine wichtige Rolle. Es ergaben sich hier vielfältige Möglichkeiten, den religiösen Widersacher entweder mit früheren Häretikern in Verbindung zu bringen und auf diese Weise zu diskreditieren oder als Häretiker verurteilte Glaubensgruppen zu rehabilitieren und eventuell auch als Vorläufer der eigenen
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Wilken (1971), S. 115 ff.; Ferdinand Christian Baur: Die Epochen der kirchlichen Geschichtsschreibung (1852), Nachdruck Hildesheim 1962, S. 46 f. u. 89 ff. 31 John Spurr: The Restoration Church of England, 1646 – 1689, New Haven u. a. 1991, S. 109 ff. u. 133 ff.; Jean-Louis Quantin: The Church of England and Christian Antiquity. The Construction of a Confessional Identity in the 17th Century, Oxford 2009, S. 98 ff. 32 Robin Lane Fox: Pagans and Christians, New York 1987, S. 549; Womersley (1988a), S. 129. 33 Susanne Hausammann: Alte Kirche. Zur Geschichte und Theologie in den ersten vier Jahrhunderten, II: Verfolgungs- und Wendezeit der Kirche, Neukirchen-Vluyn 2001, S. 28 ff. 34 Robert M. Burns: The Great Debate on Miracles from Joseph Glanvill to David Hume, London u. a. 1981, S. 10 f. 35 Foster, S. 94 f. u. 101; John C. A. Gaskin: Hume’s Philosophy of Religion, 2. Aufl., Basingstoke u. a. 1993, S. 143 ff. 36 Jane Shaw: Miracles in Enlightenment England, New Haven u. a. 2006, S. 21 ff.
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Position zu reklamieren. 37 Als zwei Symbolfiguren der Kirchengeschichte übten die römischen Kaiser Konstantin I. und Julian »Apostata« eine stark polarisierende Wirkung auf die Nachwelt aus und zogen häufig stereotype Bewertungen auf sich. 38 Konstantin wurde aufgrund seiner Konversion zum Christentum und der aktiven Förderung der Kirche von vielen Christen verehrt, von Kritikern der (katholischen) Kirche dagegen verteufelt. Demgegenüber spaltete der christlich getaufte und erzogene Julian, der sich während seiner Herrschaft um eine Restitution des Polytheismus bemühte, die Meinungen in umgekehrter Richtung. 39
1.3.2 Gliederung der Arbeit In Kapitel 2 soll Gibbons Darstellung des frühen Christentums behandelt werden. Textgrundlage ist hier Kapitel XV des »Decline and Fall«, in dem Gibbon fünf »natürliche« (d. h. politische, gesellschaftliche, psychologische) Ursachen für die Durchsetzung des Christentums im Römischen Reich erörtert und dabei verschiedene Aspekte des frühen Christentums kritisch beleuchtet. Die von Gibbon diskutierten fünf Ursachen (fanatischer Glaubenseifer der Christen, Unsterblichkeitslehre, Wunder, christliche Moral und die sich ausbildende Kirchenhierarchie 40) stellen dann nicht nur eine Alternative zu theologisch-providenziellen Erklärungen des christlichen Triumphes dar, sondern beschädigen auch eine Reihe apologetischer Annahmen über die »vorbildlichen« ersten Christen. Im ersten Abschnitt des Kapitels soll Gibbons Herangehensweise an das Thema Kirchengeschichte vorgestellt werden, bevor dann seine Abhandlung der Aspekte christlicher Glaubenseifer, Unsterblichkeitslehre und Moral näher untersucht wird (Kapitel 2.2-2.3). Kapitel 3 beschäftigt sich mit dem Thema frühe Kirchenverfassung und Kleruskritik. Die Entstehung einer Kirchenhierarchie bespricht Gibbon in Kapitel XV als fünfte »natürliche« Ursache und verbindet sie mit einer sehr kritischen 37
John Christian Laursen: Histories of Heresy in the Seventeenth and Eighteenth Centuries. Why Were They Written and How Were They Read? in: ders. (Hg.), Histories of Heresy in Early Modern Europe. For, Against, and Beyond Persecution and Toleration, New York 2002, 1 – 6, hier S. 2 ff.; Martin Mulsow: The Trinity as Heresy. Socinian Counter-Histories of Simon Magus, Orpheus, and Cerinthus, in: John Christian Laursen (Hg.), Histories of Heresy in Early Modern Europe. For, Against, and Beyond Persecution and Toleration, New York 2002, 161 – 170, hier S. 161 f. 38 Robert J. Ziegler: Edward Gibbon and Julian the Apostate, Papers on Language and Literature 10 (1974), 136 – 149, hier S. 136. 39 Stuart George Hall: »Konstantin I.«, Theologische Realenzyklopädie, Bd. 19 (1990); Adolf Lippold: »Iulianus I (Kaiser)«, Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 19 (2001). 40 DF, XV, Bd. 1, S. 447.
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Diskussion von Motivation und Amtsausübung der Bischöfe. Im ersten Abschnitt des Kapitels wird deshalb Gibbons Erörterung der Entwicklung der Kirchenverfassung untersucht, im zweiten Abschnitt folgt ein Blick auf seine Darstellung des Klerus am Beispiel des karthagischen Bischofs Cyprian (Kap. XV) und Papst Gregors II. (Kap. XLIX). Ausgewählt wurden hier die Porträts von zwei kirchenpolitisch aktiven, einflussreichen Repräsentanten des hohen Klerus, die in sehr unterschiedlichen historischen Konstellationen wirkten: Der Kirchenvater Cyprian setzte sich im dritten Jahrhundert für den Ausbau episkopaler Befugnisse ein, was ihn auch zu einer wichtigen Autorität anglikanischer Theologen machte. Gregor II. verteidigte demgegenüber im ersten Drittel des achten Jahrhunderts die christliche Bilderverehrung gegenüber den byzantinischen Herrschern und entwickelte sich zu einem Vorkämpfer des Widerstands gegen eine despotische Herrschaft. 41 Die Diskussion der Christenverfolgungen soll im vierten Kapitel betrachtet werden, relevant ist hier Kapitel XVI des »Decline and Fall«. Kapitel 5 widmet sich Gibbons Auseinandersetzung mit dem Thema Wunder. Im ersten Abschnitt des Kapitels wird die Erörterung der Wunder als der dritten »natürlichen« Ursache für den Aufstieg des Christentums in Kapitel XV analysiert, im zweiten Abschnitt soll dann Gibbons Besprechung einzelner, aus der Geschichte des Christentums überlieferter Wunder untersucht werden. Zu diesem Zweck wurden exemplarisch vier Wunderbesprechungen aus unterschiedlichen historischen Kontexten ausgewählt: Die Abhandlung der »übernatürlichen« Sonnenfinsternis während Jesu Passion (Kap. XV); die Erörterung von Konstantins Vision vor der Schlacht an der Milvischen Brücke (Kap. XX); die Darstellung der unerklärlichen Naturereignisse, die den Wiederaufbau des jüdischen Tempels in Jerusalem unter Kaiser Julian zum Scheitern brachten (Kap. XXIII); und ein Bericht über ein »medizinisches« Wunder aus der Zeit der Katholikenverfolgung durch die arianischen Vandalen in Nordafrika (Kap. XXXVII). Mit Gibbons Häresiegeschichte beschäftigt sich Kapitel 6, herangezogen werden sollen hier die Erörterung der bei Gibbon jeweils parallel betrachteten Häresien der Judenchristen und Gnostiker sowie des arianischen Streits. Relevant für die Darstellung von Judenchristen und Gnostikern sind Abschnitte aus Kapitel XV, XXI und XLVII. Mit der arianischen Kontroverse beschäftigt sich Gibbon ausführlich in Kapitel XXI, in wesentlich geringerem Umfang ist auch Kapitel XXXVII zur Ausbreitung des Arianismus interessant. Das siebte Kapitel behandelt schließlich Gibbons Porträts der Herrscher Konstantin I. und Julian »Apostata«. Für Konstantin als Figur der Kirchengeschichte ist insbesondere Kapitel XX 41
Friedrich Wilhelm Bautz: »Cyprian«, Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 1 (1990); ders.: »Gregor II.«, Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 2 (1990).
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zur Religion und Religionspolitik des Kaisers wichtig, hinzu kommen einzelne Abschnitte aus Kapitel XIV, XVII, XVIII und XXI. Mit Julians Religion und Religionspolitik beschäftigt sich Gibbon in Kapitel XXIII, ergänzend sollen für Julian außerdem die stärker politik- und militärgeschichtlichen Kapitel XIX, XXII und XXIV beachtet werden. Das abschließende Kapitel wirft dann einen kursorischen Blick auf die Aufnahme von Gibbons Geschichtswerk in Großbritannien und Deutschland, insbesondere auf seine Rezeption durch deutsche und britische Historiker vom Erscheinen des Werks bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.
1.3.3 Gibbons Literatur für das Thema Kirchengeschichte Für die kirchengeschichtlichen Teile seines Werks stützte sich Gibbon nicht nur auf die einschlägigen antiken Quellen, sondern zog auch eine kaum noch überschaubare Menge an Sekundärliteratur unterschiedlichster Provenienz heran. 42 Er berücksichtigte sowohl die relevanten Schriften der französischen »philosophes« als auch die religionssoziologischen Arbeiten Humes und die kritischen Publikationen englischer Dissenter wie Conyers Middleton oder Nathaniel Lardner. Als überaus wichtig für Gibbons Vorhaben erwiesen sich die kirchenhistorischen Werke protestantischer Autoren: Insbesondere die Untersuchungen des Göttinger Theologen Johann Lorenz Mosheim, aber auch die aus dem Umkreis des »Refuge« stammenden Arbeiten von Autoren wie Jean Le Clerc, Jacques Basnage oder Isaac de Beausobre lieferten wichtige Bausteine seiner Darstellung. 43 Unentbehrlich waren nicht zuletzt die kirchengeschichtlichen Werke und Quellenkompilationen katholischer Theologen, weil sie zu den für ein Problem jeweils relevanten Quellenstellen hinführten bzw. Quellen zur Geschichte der Kirche überhaupt erst verfügbar machten. Besonders hervorzuheben sind an dieser Stelle die umfangreichen Regesten des jansenistischen Geistlichen Sébastien Le Nain de Tillemont, die »Mémoires pour servir à l’histoire ecclésiastique des six premiers siècles« (1693 – 1712) und die »Histoire des Empereurs« (1691 – 1738), in denen jeweils die Kirchen- und Profangeschichte bis zum sechsten Jahrhundert abgehandelt wird. Beide wurden von Gibbon (trotz einer gelegentlich geäußerten
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Gibbons umfangreiche Bibliothek ist dokumentiert in Geoffrey Keynes: The Library of Edward Gibbon: A Catalogue, 2. Aufl., St. Paul 1980. Vgl. hierzu und zum Folgenden besonders den Überblick bei Nippel (2003), S. 34 f. u. 72 ff. 43 Chadwick, S. 113 ff.; Pocock (2010), Kap. 3 – 6, S. 90 ff.; Nippel (2003), S. 79 f. (zu Mosheim).
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Kritik an Tillemonts religiöser Befangenheit 44) in seinem Werk wiederholt herangezogen. 45 Seine Abhängigkeit von Tillemont und anderen bei der Darstellung der Kirchengeschichte räumte Gibbon selbst ohne weiteres ein. 46 Darüber hinaus profitierte er von den Quelleneditionen katholischer Geistlicher seit dem 17. Jahrhundert: An erster Stelle zu nennen sind hier die Editionsprojekte der Mauriner, der Benediktiner der Kongregation von St. Maur, die unter der Leitung von Jean Mabillon und seinem Nachfolger Bernard de Montfaucon zahlreiche patristische Quellen herausgaben. So nützte Gibbon beispielsweise die von Thierry Ruinart, einem Schüler Mabillons, edierten Märtyrerakten für seine Darstellung der Christenverfolgungen in Kapitel XVI. 47 Selbst die stark konfessionell ausgerichteten »Annales Ecclesiastici« (1588 – 1607) des Kardinals Cesare Baronius, in der wichtige, bis dahin unveröffentlichte Quellen zur Geschichte des Christentums zum ersten Mal zugänglich gemacht wurden, waren (ergänzt durch den Kommentar des Franziskaners Pagi) ein unverzichtbares Hilfsmittel für spätere Zeitabschnitte der Kirchengeschichte, zu denen es keine Darstellung von Tillemont mehr gab. 48
1.3.4 Auswahl der berücksichtigten Referenzautoren Angesichts der sehr großen Anzahl von rezipierten Schriften möchte diese Untersuchung sich auf Gibbons Umgang mit einigen für ihn zentralen Referenzwerken für das Thema Kirchengeschichte konzentrieren. Hier soll auf die Originaltexte zurückgegangen und die Literaturauswertung im Einzelnen betrachtet werden. An einzelnen Stellen, an denen Gibbons Rückgriff auf die antiken Quellen wichtig für das Verständnis seiner Arbeitsweise ist, sollen zudem exemplarisch die jeweils relevanten Quellen miteinbezogen werden. Beabsichtigt wird hier allerdings nur, von Gibbon zitierte Stellen zu verifizieren, ohne auf den Quellenkontext, Traditionen der Auslegung, usw. einzugehen. Eng am Text orientiert soll dann untersucht werden, in welchem inhaltlichen Zusammenhang Gibbon auf unterschiedliche 44
So kritisiert Gibbon beispielsweise Tillemonts inhumane Einstellung gegenüber den heidnischen Kaisern: »The Jansenists, who have so diligently studied the works of the fathers, maintain this sentiment with distinguished zeal, and the learned M. de Tillemont never dismisses a virtuous emperor without pronouncing his damnation.«; DF, XV, Bd. 1, S. 470, Anm. 70. 45 Jordan (1970), S. 483 u. 497 ff.; Martin R. P. McGuire: Louis-Sebastien Le Nain de Tillemont, Catholic Historical Review 52 (1966), 186 – 200, hier S. 198 f.; Pocock (2010), S. 47 ff.; Nippel (2003), S. 76 f. 46 Z. B. DF, Kap. XLVII, Bd. 2, S. 959, Anm. 62: »Once more, and almost for the last time, I appeal to the diligence of Tillemont: the Annals of Baronius and Pagi will accompany me much further on my long and laborious journey.« 47 Nippel (2003), S. 77 f. 48 Chadwick, S. 112 f.; Nippel (2003), S. 78 f.
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Schriften rekurriert, welche Ideen und Argumentationsstrategien, Auslegungsvarianten und historischen Informationen daraus übernommen werden, in welcher Form vorgefundenes Gedankengut ggf. abgewandelt oder umgedeutet wird, ob sich ein kombinierter Rekurs auf mehrere Werke beobachten lässt und welche Implikationen sich daraus für Gibbons Präsentation der Kirchengeschichte ergeben. Aufschlussreich sein kann auch die Form der Bezugnahme auf einen anderen Autor, also die Zitierpraxis. Als drei zentrale Bezugswerke sollen Voltaires »Essai sur les mœurs« (1756) 49, die religionssoziologischen Schriften von David Hume 50 und Johann Lorenz Mosheims kirchengeschichtliche Abhandlung »De rebus Christianorum ante Constantinum Magnum Commentarii« (1753) 51 berücksichtigt werden, für die sich ein wiederkehrender Rekurs in den hier betrachteten kirchengeschichtlichen Abschnitten des »Decline and Fall« feststellen lässt. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt damit auf Gibbons Verarbeitung von Gedankengut der Kirchenkritik und Kirchengeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts. Außer Betracht blieben die oben angesprochenen Quellenkompilationen und -regesten katholischer Autoren, weil sie Gibbon in erster Linie als Quellenfundus und Nachschlagewerk zur Klärung historischer Detailfragen dienten. Für einzelne Themen sind darüber hinaus weitere rezipierte Werke wichtig, die Gibbon in geringerem, individuell verschiedenem Umfang verarbeitet: Die Auseinandersetzung mit Conyers Middletons sehr umstrittener »Free Inquiry into the Miraculous Powers, Which are Supposed to Have Subsisted in the Christian Church« (1749) bildet einen zentralen Bestandteil von Gibbons Wunderkritik. 52 Die »Histoire critique de Manichée 49
Voltaires »Essai« erschien ab 1756 in mehreren überarbeiteten Ausgaben; Karen O’Brien: Narratives of Enlightenment. Cosmopolitan History from Voltaire to Gibbon, Cambridge 1997, S. 47 ff. In dieser Arbeit soll die von René Pomeau herausgegebene Ausgabe des »Essai« verwendet werden, die auf dem Text der 1785 in Kehl posthum erschienenen Werkausgabe beruht; Voltaire: Essai sur les mœurs et l’esprit des nations et sur les principaux faits de l’histoire depuis Charlemagne jusqu’à Louis XIII, hg. v. René Pomeau, 2 Bde, Paris 1990. 50 Relevant sind Humes Aufsätze »The Natural History of Religion« (1757 zusammen mit drei weiteren Aufsätzen Humes), »Of Superstition and Enthusiasm«, »Of Parties in General« (beide Aufsätze wurden 1741/42 innerhalb der »Essays, Moral and Political« veröffentlicht), »Of a Particular Providence and a Future State« und »Of Miracles« (1748, als Teile der »Enquiry Concerning Human Understanding«). 51 Johann Lorenz Mosheim: De rebus Christianorum ante Constantinum Magnum commentarii, Helmstedt 1753, S. 214, Anm. 2. Hier soll die englische Übersetzung von Robert S. Vidal und James Murdock von 1854 verwendet werden; Johann Lorenz von Mosheim: Historical Commentaries of the State of Christianity during the First Three Hundred and Twenty-Five Years from the Christian Era, transl. by Robert Studley Vidal and James Murdock, ed. by James Murdock, 2 Bde (New York 1854), Nachdruck Eugene 2006. 52 Conyers Middleton: A Free Inquiry into the Miraculous Powers, Which are Supposed to Have Subsisted in the Christian Church (London 1749), Nachdruck New York u. a. 1976.
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et du Manichéisme« (1734 – 39) des hugenottischen Theologen Isaac de Beausobre verwendet Gibbon häufiger innerhalb seiner Besprechung der gnostischen Häresien. 53 Für die Darstellung von Julian »Apostata« ist schließlich die JulianBiographie »Vie de l’empereur Julien« (1735) des Oratorianers Jean Philippe René de La Bléterie eine wichtige Quelle. 54 Wie lässt sich die Bedeutung eines Autors für Gibbons Geschichte der Kirche ermitteln? »The Decline and Fall« enthält einen umfangreichen, für die damalige Zeit ungewöhnlichen Anmerkungsapparat von insgesamt ca. 8.000 Fußnoten. Neben dem reinen Nachweis verwendeter Quellen und Sekundärliteratur erfüllen diese Anmerkungen vielfältige weitere Funktionen wie die Charakterisierung der rezipierten Autoren, das Einbringen delikater und unterhaltsamer Anekdoten oder die ironisch-skeptische Unterminierung von Aussagen aus dem Haupttext. 55 Um den Einfluss eines Autors zu bestimmen, ist die Anzahl der entsprechenden Verweise in Gibbons Fußnoten allerdings nicht immer informativ, da beispielsweise im Fall von Voltaire und Hume ein nicht in den Anmerkungen (oder auch direkt im Haupttext) dokumentierter Rekurs relativ häufig vorkommt. 56 Umfang und Bandbreite von Gibbons Rezeption der religionssoziologischen Schriften Humes sind jedoch insbesondere durch die Studie von Foster sehr gut dokumentiert (vgl. Kapitel 1.2), an deren Ergebnisse hier angeschlossen werden kann. Inhaltliche Übereinstimmungen zwischen Voltaires »Essai« und »The Decline and Fall« wurden von mehreren Autoren thematisiert 57, auch wenn hier nicht näher untersucht wurde, wie sich dieser Rekurs im Einzelnen gestaltet. Den Anschluss an Conyers Middleton hielten Gibbon bereits zeitgenössische Kritiker vor, in der nur wenige Seiten umfassenden Erörterung der christlichen Wunder 53
Isaac de Beausobre: Histoire critique de Manichée et du Manichéisme, 2 Bde (Amsterdam 1734 – 39), Nachdruck New York u. a. 1984. 54 Jean Philippe René de La Bléterie: Vie de l’empereur Julien, Paris 1735. Hier soll die englische Übersetzung von La Bléteries Werk verwendet werden: ders.: The Life of the Emperor Julian. Translated from the French. And improved with coins, notes and a genealogical table, London 1746, zitiert nach der Datenbank Eighteenth Century Collections Online. 55 Nippel (2014), S. 32 ff.; Peter W. Cosgrove: Undermining the Text: Edward Gibbon, Alexander Pope, and the Anti-Authenticating Footnote, in: Stephen A. Barney (Hg.), Annotation and its Texts, Oxford 1991, 130 – 151, hier S. 143 ff.; Frank Palmeri: The Satiric Footnotes of Swift and Gibbon, The Eighteenth Century 31 (1990), 245 – 262, hier S. 249 ff. 56 Ein wichtiges Hilfsmittel für die Untersuchung von Gibbons Literaturverarbeitung ist der von Womersley erstellte bibliographische Index im Anhang der von ihm herausgegebenen Ausgabe des »Decline and Fall«. Die Zahl der direkten Verweise auf Voltaire (drei Anmerkungen) und Hume (vier Anmerkungen) in den hier untersuchten Textabschnitten des »Decline and Fall« spiegelt nicht den tatsächlichen Einfluss beider Autoren auf Gibbon. 57 Z. B. Baridon, S. 438 ff.; Hugh R. Trevor-Roper: The Historical Philosophy of the Enlightenment, Studies on Voltaire and the Eighteenth Century 27 (1963), 1667 – 1687, hier S. 1677.
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in Kapitel XV finden sich immerhin einzelne Verweise auf Middletons »Free Inquiry«. 58 Als aufschlussreich erweisen sich Gibbons Fußnoten insbesondere für die theologischen Kirchenhistoriker Mosheim, Beausobre und La Bléterie. 59 Die ausgewählten Autoren, die im Folgenden kurz charakterisiert werden sollen, decken auch ein gewisses Spektrum an divergierenden religiösen bzw. kirchen- oder religionskritischen Standpunkten ab, so dass Gibbons Arbeitsweise anhand seines Umgangs mit Bezugswerken sehr unterschiedlicher Tendenz und Ausgestaltung untersucht werden kann. Der »philosophe« Voltaire bekämpfte in einer Vielzahl seiner Schriften die zeitgenössische katholische Kirche in Frankreich und agierte als Vorkämpfer für die Ideale der Aufklärung. 60 In Voltaires universalgeschichtlichem »Essai sur les mœurs« begegnen dem Leser zahlreiche antichristliche und antiklerikale Argumentationsmuster, er kann als typisches Beispiel einer aufklärerischen Kirchenkritik gelten. 61 Aus Gibbons Bezugnahme auf den »Essai« lassen sich Rückschlüsse auf sein Verhältnis zu einer »philosophisch« betriebenen Geschichtsschreibung und den Umgang mit spezifischen Themen der aufklärerischen Kirchenkritik ziehen. In Humes religionssoziologischen Arbeiten ist die Kritik am Christentum eingebunden in eine allgemeine kritische Analyse der Ursachen, Erscheinungsformen und Wirkungen von Religion. Der skeptische Philosoph Hume unternimmt darin den Versuch, das Phänomen Religion allein auf natürliche (d. h. psychologische und soziologische) Ursachen zurückzuführen. 62 Es finden sich Einwände gegen die »übernatürlichen« Bestandteile des Christentums wie Unsterblichkeitslehre und Wunder, antiklerikale Argumentationslinien oder auch eine kritische Beleuchtung 58
DF, XV, Anm. 73, 74, 79; McCloy, S. 60 u. 169. In den hier relevanten Textpassagen des »Decline and Fall« bezieht sich Gibbon in 47 Fußnoten auf Mosheim, in 19 Fußnoten auf Beausobre und in 19 Fußnoten auf La Bléterie. 60 Günter R. Schmidt: Voltaires Kritik am Christentum, in: Katarzyna Stokłoza / Andrea Strübind (Hgg.), Glaube – Freiheit – Diktatur in Europa und den USA. Festschrift für Gerhard Besier zum 60. Geburtstag, Göttingen 2007, 379 – 394, hier S. 379 u. 387 ff.; Jerome Rosenthal: Voltaire’s Philosophy of History, Journal of the History of Ideas 16 (1955), 151 – 178, hier S. 159. 61 Síofra Pierse: Voltaire: Polemical Possibilities of History, in: Sophie Bourgault u. a. (Hgg.), A Companion to Enlightenment Historiography, Leiden u. a. 2013, 153 – 187, hier S. 172 f.; John H. Brumfitt: Voltaire Historian, Oxford 1958, S. 30 ff. u. 166. – Nach dem Katalog von Keynes besaß Gibbon u. a. Voltaires »Collection complette des oeuvres« (Genf 1768 – 77); Keynes, S. 279. Band 8 und 9 dieser Ausgabe enthalten den »Essai«, dem hier zum ersten Mal als Einleitung die »Philosophie de l’histoire« vorangestellt war. 62 Lothar Kreimendahl: Die Naturgeschichte der Religion, in: ders., »Die Kirche ist mir ein Greuel«. Studien zur Religionsphilosophie David Humes, Würzburg 2012, 49 – 70, im Folgenden zitiert als Kreimendahl (2012a), hier S. 59 ff.; Foster, S. 266 ff. – Gibbon besaß alle wichtigen historischen und philosophischen Werke Humes, darunter die »History of England«, die »Dialogues Concerning Natural Religion« und die »Essays and Treatises on Several Subjects«, die alle hier relevanten Arbeiten sowie die beiden »Enquiries« enthielten; Keynes, S. 156. 59
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korrumpierter Formen der Religionsausübung. 63 Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Frage, wie Humes theoretische Religionskritik von Gibbon auf die Behandlung konkreter historischer Phänomene übertragen wird. Die kirchengeschichtlichen Arbeiten des lutheranischen Theologen Johann Lorenz Mosheim (1693 – 1755) kennzeichnen eine größere Ausgewogenheit und Sachlichkeit der Darstellung gegenüber früheren Werken der theologischen Kirchengeschichtsschreibung 64 sowie ein methodisch innovativer Ansatz, der auf herkömmliche religiöse Deutungsmuster weitgehend verzichtet. 65 Trotz dieser »modernen« Züge sind Mosheims kirchengeschichtliche Werke aus dem Blickwinkel des orthodoxen Lutheraners heraus verfasst. 66 Neben der bereits angesprochenen Schrift »De rebus Christianorum«, die im Detail die Geschichte des frühen Christentums bis zur Herrschaft Konstantins I. thematisiert, rezipiert Gibbon in wesentlich geringerem Umfang auch Mosheims »Allgemeine Kirchengeschichte«. 67 Anhand von Gibbons Mosheim-Rekurs lässt sich exemplarisch sein Umgang mit den kirchenhistorischen Schriften protestantischer Autoren nachvollziehen. Conyers Middleton, anglikanischer Geistlicher und Dissenter, bestritt in seiner »Free Inquiry« die Glaubwürdigkeit aller nachapostolischen Wunder, indem er u. a. die Integrität der im Anglikanismus hochgeachteten frühen Kirchenväter in Frage stellte. Die sehr kontrovers aufgenommene »Free Inquiry« spielte auch in Gibbons persönlicher Entwicklung eine wichtige Rolle: Nach der Lektüre der »Free Inquiry« und zweier antiprotestantischer Schriften des Katholiken Jacques-Bénigne Bossuet während seiner Studentenzeit in Oxford konvertierte 63
Foster, passim. Heussi (1903), S. 47 ff.; Klaus Fitschen: Mosheim, Melanchthon und die Irenik in der Kirchengeschichte, in: Günter Frank u. a. (Hgg.), Melanchthon und die Neuzeit, Stuttgart u. a. 2003, 95 – 110, hier S. 96. 65 Pocock (2010), S. 166 ff; Dirk Fleischer: Einleitung, in, Johann Lorenz von Mosheim: Versuch einer unpartheiischen und gründlichen Ketzergeschichte (1746), Nachdruck Waltrop 1995, III – XLV, hier S. XXVff. 66 Eginhard P. Meijering: Mosheim und die Orthodoxie, in: Martin Mulsow u. a. (Hgg.), Johann Lorenz von Mosheim (1693 – 1755). Theologie im Spannungsfeld von Philosophie, Philologie und Geschichte, Wiesbaden 1997, 261 – 275, hier S. 265 ff. 67 Mosheims »Allgemeine Kirchengeschichte« erschien ab 1726 in mehreren nicht identischen Teilfassungen, bevor 1755 die abschließende Fassung »Institutionum historiae ecclesiasticae antiquae et recentioris Libri quatuor« veröffentlicht wurde. Diese letzte Ausgabe wurde im 18. Jahrhundert mehrfach ins Englische übersetzt; Karl Heussi: Die Kirchengeschichtsschreibung Johann Lorenz von Mosheims, Gotha 1903, S. 4 f.; ders.: Johann Lorenz Mosheim. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte des 18. Jahrhunderts, Tübingen 1906, S. 214, Anm. 1. Hier soll die Übersetzung von Archibald Maclaine von 1765 verwendet werden; Johann Lorenz Mosheim: An Ecclesiastical History, Antient and Modern, from the Birth of Christ, to the Beginning of the Present Century . . . , transl. by Archibald Maclaine, 2 Bde, London 1765, zitiert nach der Datenbank Eighteenth Century Collections Online. – Gibbon besaß von beiden kirchengeschichtlichen Werken Mosheims jeweils die lateinische Originalausgabe; Keynes, S. 202. 64
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Gibbon vorübergehend zum Katholizismus, weil er Middletons Kritik an der katholischen Wundertradition nicht überzeugend fand. 68 Die »Histoire critique de Manichée et du Manichéisme« des hugenottischen Theologen Isaac de Beausobre verbindet eine teilweise Rehabilitierung der von Katholiken als Ketzer verurteilten antiken Glaubensgemeinschaft der Manichäer mit der kritischen Beleuchtung der entsprechenden patristischen Zeugnisse. Beausobres Untersuchung kennzeichnen eine hohe Gelehrsamkeit und eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem verfügbaren Quellenmaterial zum Manichäismus. 69 Die Julian-Biographie des Oratorianers La Bléterie, der Mitglied der »Académie des Inscriptions et des BellesLettres« war, zeichnet sich, anders als viele stark tendenziöse Arbeiten zu diesem Thema, durch eine vergleichsweise ausgewogene Darstellung des Kaisers aus. 70 Zusätzlich rezipiert Gibbon La Bléteries »Histoire de l’empereur Jovien« (1748), die Übersetzungen einiger Werke und eine Auswahl von Briefen Julians enthält. 71
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Vgl. einleitend Pocock (1999), S. 44 ff. John Christian Laursen: Temporizing after Bayle: Isaac de Beausobre and the Manicheans, in: Sandra Pott u. a. (Hgg.), The Berlin Refuge 1680 – 1780. Learning and Science in European Context, Leiden u. a. 2003, 89 – 110, hier S. 90 ff.; Guy G. Stroumsa: Isaac de Beausobre Revisited: The Birth of Manichaean Studies, in: Ronald E. Emmerick u. a. (Hgg.), Studia Manichaica, IV. Internationaler Kongreß zum Manichäismus, Berlin, 14. – 18. Juli 1997, Berlin 2000, 601 – 612, S. 607 ff. 70 Bruno Neveu: Un académicien du XVIIIe siècle, traducteur et biographe de l’empereur Julien: L’Abbé de la Bletterie, Académie des Inscriptions et des Belles-Lettres. Comptes rendus des séances de l’année 2000, 93 – 111, hier S. 102 u. 108; Womersley (1988a), S. 160 f. 71 Jean Philippe René de La Bléterie: Histoire de l’empereur Jovien, Paris 1748. 69
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2.1 Kirchengeschichte als Geschichte »natürlicher« Ursachen und menschlicher Schwächen Der Geschichte des frühen Christentums räumt Gibbon in seinem Werk einen relativ breiten Raum ein: In dem systematisch angelegten Kapitel XV bespricht er »The Progress of the Christian Religion, and the Sentiments, Manners, Numbers, and Condition, of the primitive Christians«, Kapitel XVI beschäftigt sich mit »The Conduct of the Roman Government towards the Christians, from the Reign of Nero to that of Constantine« (also mit den Christenverfolgungen). 1 Innerhalb der Kirchengeschichtsschreibung kam der Zeit der ersten Christen seit der Antike ein besonderer Stellenwert zu: Aufgrund ihrer Nähe zu den Ursprüngen des Christentums galt die Kirche des Apostolischen Zeitalters als normatives Modell für spätere Christen; mit dem Verweis auf eine als vorbildlich verstandene Frühkirche konnte sich die Absicht verbinden, auf Missstände in der Kirche der eigenen Zeit aufmerksam zu machen. 2 Nach der Reformation entwickelten protestantische Theologen in ihren stark apologetisch geprägten Werken zur Kirchengeschichte eine Verfallsgeschichte der vorreformatorischen Kirche. Die Berufung auf ein idealisiertes Frühchristentum diente hier u. a. dazu, die historische Entwicklung der Kirche (und insbesondere die hierarchische Struktur der katholischen Papstkirche) als zunehmenden Abfall von diesem Ideal zu präsentieren. Die eigene Konfession konnte dann, in Abgrenzung zum Katholizismus, in die Tradition der frühen Christen gestellt, die Reformation als Rückbesinnung auf die unverdorbenen Ursprünge des Christentums dargestellt werden. 3 Umgekehrt 1
DF, XV u. XVI, Bd. 1, S. 446 – 581. Alkier, S. 5; Ulrich Volp: Idealisierung der Urkirche (ecclesia primitiva), in: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. v. Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 2011, abrufbar unter http://www. ieg-ego.eu / volpu-2011-de, Abschnitt 5 u. 6; Wilken (1971), S. 43 ff. u. 71 ff. Eusebius zitiert in seiner »Kirchengeschichte« den Kirchenvater Hegesippus, der bereits von einer vorbildlichen »Urkirche« ausging, die, anders als die Kirche des zweiten Jahrhunderts, noch nicht von Glaubensstreitigkeiten beeinträchtigt gewesen sei; Eusebius, Kirchengeschichte 3, 32. 3 John Stroup: Protestant Church Historians in the German Enlightenment, in: Hans Erich Bödeker u. a. (Hgg.), Aufklärung und Geschichte. Studien zur deutschen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, Göttingen 1986 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 81), 169 – 192, hier S. 169; Wilken (1971), S. 105; Volp, Abschnitt 4. Ein kurzer Überblick über verschiedene idealisierte Aspekte des Frühchristentums findet sich ebd., Abschnitte 13 – 25. 2
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Die Charakterisierung des frühen Christentums
konzentrierten sich katholische Theologen der Frühen Neuzeit darauf, in ihren kirchengeschichtlichen Werken eine Kontinuität der Kirche und der katholischen Kirchenhierarchie von den Anfängen des Christentums bis in die zeitgenössische Gegenwart zu entwerfen. 4 Der lutheranische Kirchenhistoriker Johann Lorenz Mosheim, der von Gibbon sehr geschätzt und in seinem Werk häufig rezipiert wurde, vertrat eine abgeschwächte Form der Verfallstheorie, in der die Periode des idealen Christentums auf das erste Jahrhundert beschränkt war. Verantwortlich für den Niedergang der Kirche machte Mosheim die Korruption der christlichen Lehre durch neuplatonisches Gedankengut ab dem zweiten Jahrhundert und das Erstarken gnostischer Häresien 5 sowie die Entstehung einer kirchlichen Ämterhierarchie, die das spätere System der Papstkirche vorbereitete. 6 Eine extremere Variante der Verfallstheorie verfocht der radikale Pietist Gottfried Arnold u. a. in der sehr einflussreichen »Unparteiische[n] Kirchen- und Ketzer-Historie vom Anfang des Neuen Testaments bis auf das Jahr Christi 1688« (1699/1700). Für Arnold setzte sich die Korruption der Kirche bis in die eigene Gegenwart hinein fort, ein idealisiertes Bild der ersten Christen bildete bei ihm einen positiven Gegenentwurf zur institutionalisierten lutheranischen Kirche, die Arnold vehement bekämpfte. 7 Im englischen Kontext benützten verschiedene Vertreter des englischen Deismus den Rekurs auf ein idealisiertes Frühchristentum zu einer Kritik an Lehre und Kirchenordnung der anglikanischen Kirche. Indem das früheste Christentum mit der im Deismus vertretenen Idee einer natürlichen Religion identifiziert wurde, die noch nicht durch klerikale Machenschaften (»priestcraft«), Dogmen und äußerliche Rituale beeinträchtigt war, erschien die anglikanische Kirche als Zerrbild dieser ursprünglichen reinen Form des Christentums. 8 So postulierte beispiels4
Wilken (1971), S. 115 ff.; Baur, S. 72 ff.; Porter, S. 18 f. Zur protestantisch-katholischen Kontroverse um die Entwicklung der Kirchenverfassung vgl. Kapitel 3.1. 5 Alkier, S. 14 ff.; Pocock (2010), S. 186 ff.; Martin Mulsow: Eine ›Rettung‹ des Servet und der Ophiten? Der junge Mosheim und die häretische Tradition, in: ders. u. a. (Hgg.), Johann Lorenz Mosheim (1693 – 1755). Theologie im Spannungsfeld von Philosophie, Philologie und Geschichte, Wiesbaden 1997, 45 – 92, hier S. 78 ff. Mosheims Arbeitsweise als Kirchenhistoriker und Gibbons Rezeption von Mosheims Arbeiten werden ausführlich in Kapitel 3.1 besprochen. 6 Peter Landau: Johann Lorenz von Mosheim über den Rechtszustand der frühen Kirche, in: Martin Mulsow u. a. (Hgg.), Johann Lorenz von Mosheim (1693 – 1755). Theologie im Spannungsfeld von Philosophie, Philologie und Geschichte, Wiesbaden 1997, 329 – 346, hier S. 337 ff. 7 Alkier, S. 6 ff.; Peter Meinhold: Geschichte der kirchlichen Historiographie, Bd. 1, Freiburg im Breisgau 1967, S. 430 f. Zur Wirkungsgeschichte vgl. auch Fleischer, S. XXXVIIff. Gibbon konnte die auf Deutsch verfasste Ketzergeschichte von Arnold nicht lesen, weil er die deutsche Sprache nicht beherrschte; Nippel (2003), S. 80, Anm. 366. 8 Mulsow (1997), S. 63 f.; Peter Harrison: ›Religion‹ and the Religions in the English Enlightenment, Cambridge 1990, S. 161 ff. Zur natürlichen Religion der Deisten, die hier stark
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weise John Toland in der Abhandlung »Christianity not Mysterious« (1696) ein anfänglich rational verfasstes Christentum ohne Mysterien und übernatürliche Bestandteile, das erst im Lauf der Zeit durch die Ausbildung einer Priesterherrschaft und das damit verbundene Eindringen heidnischer Elemente und Zeremonien degeneriert sei. 9 Wie diese Beispiele andeuten, konnte die Berufung auf eine idealisierte Anfangszeit des Christentums also für die Rechtfertigung unterschiedlichster konfessioneller, aber auch kirchenkritischer Standpunkte herangezogen werden. Die hohe Brisanz des Themas »Urchristentum« beeinflusste auch Gibbons Vorgehensweise in Kapitel XV und XVI, zumal ab Mitte des 18. Jahrhunderts, also zum Zeitpunkt der Abfassung des ersten Bandes, in England eine ernstzunehmende orthodoxe Gegenreaktion auf kirchenkritische Angriffe existierte, die sich u. a. in einer steigenden Anzahl von providenziell angelegten Geschichtswerken äußerte. 10 In dieser Situation lag es nahe, keine offen skeptische Betrachtung dieses Themas zu riskieren und eine Kritik an der frühchristlichen Kirche lediglich mit indirekten Mitteln auszudrücken. Gibbons vorsichtige Herangehensweise zeigt sich beispielsweise auch darin, dass er in seinem Geschichtswerk die früheste Phase der Kirchengeschichte, also die Zeit der Apostel, bis auf vereinzelte Andeutungen ausspart. 11 Zu Beginn von Kapitel XV grenzt Gibbon seinen Untersuchungsgegenstand ein, indem er explizit die Sphäre der göttlichen Glaubensoffenbarung vom Bereich der »natürlichen« Ursachen trennt, die eine schnelle Verbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten begünstigten. »Our curiosity is naturally prompted to inquire by what means the Christian faith obtained so remarkable a victory over the established religions of the earth. To this inquiry, an obvious but satisfactory answer may be returned; that it was owing to the convincing evidence of the doctrine itself, and to the ruling providence of its great Author. But as truth verallgemeinernd dargestellt wird, vgl. Wayne Hudson: The English Deists. Studies in Early Enlightenment, London 2009, im Folgenden zitiert als Hudson (2009a), S. 10 f. 9 Henning Graf Reventlow: Bibelautorität und Geist der Moderne. Die Bedeutung des Bibelverständnisses für die geistesgeschichtliche und politische Entwicklung in England von der Reformation bis zur Aufklärung, Göttingen 1980, S. 483 ff.; Hudson (2009a), S. 85 ff.; Harrison (1990), S. 164. Nach dem Katalog von Keynes befand sich Tolands »Christianity not Mysterious« nicht in Gibbons Besitz; Keynes, S. 268. Mit der frühchristlichen Geschichte beschäftigt sich Toland auch in seiner Schrift »Nazarenus, or, Jewish, Gentile, and Mahometan Christianity«, die in Kapitel 6.1 im Zusammenhang Gibbons Häresiegeschichte besprochen werden soll. 10 Womersley (1988a), S. 107 ff. Zum religiösen Klima in England vgl. auch John Gascoigne: Cambridge in the Age of the Enlightenment. Science, Religion and Politics from the Restoration to the French Revolution, Cambridge u. a. 1989, S. 247 ff. 11 Pocock (2000a), S. 50 f. Ausnahmsweise thematisiert wird das Apostolische Zeitalter beispielsweise in der (sehr polemischen) Diskussion der Sonnenfinsternis während Jesu Passion am Ende von Kapitel XV (vgl. Kapitel 5.2).
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and reason seldom find so favourable a reception in the world, and as the wisdom of Providence frequently condescends to use the passions of the human heart, and the general circumstances of mankind, as instruments to execute its purpose; we may still be permitted, though with becoming submission, to ask, not indeed what were the first, but what were the secondary causes of the rapid growth of the Christian church.« 12 Mit dem hier skizzierten methodischen Ansatz, sich als Kirchenhistoriker auf die Analyse der »natürlichen« Ursachen (»secondary causes«) zu konzentrieren und auf eine Auseinandersetzung mit übernatürlichen oder providenziellen Erklärungsmustern theologischen Stils zu verzichten, schließt Gibbon an die Arbeiten »philosophischer« Historiker wie Hume und Voltaire an. 13 Die Kirchengeschichte, bis zu diesem Zeitpunkt eine Domäne theologischer Autoren, verlor auf diese Weise ihren exklusiven Status und musste sich denselben rationalen Maßstäben stellen wie die Profangeschichte. Theologische Kirchenhistoriker interpretierten bis dahin die menschliche Geschichte in einer Weise, die historische Ereignisse als Ausdruck des göttlichen Eingreifens in den Weltlauf und als Beweise für die Überlegenheit des christlichen Glaubens verstand. Eine Beschränkung auf die gesellschaftlichen, politischen oder allgemein menschlichen Wirkfaktoren der Kirchengeschichte lieferte so nicht nur eine alternative Erklärung zu theologischen Auslegungsmustern, sondern unterminierte auch die zentrale apologetische Strategie einer historisch angelegten Glaubensrechtfertigung. In letzter Konsequenz stellte die Vorgehensweise der »philosophischen« Historiker also auch die Glaubensinhalte des Christentums in Frage. 14 Anhand der oben zitierten Textpassage lässt sich exemplarisch Gibbons Spiel mit ironischen Wendungen veranschaulichen, die den (christlichen) Leser des »Decline and Fall« häufig auf eine falsche Fährte locken. Gibbons Formulierungen scheinen dem christlichen Weltbild auf den ersten Blick entgegenzukommen, suggerieren ein Einverständnis des Verfassers mit dem christlichen Offenbarungsglauben (»an obvious but satisfactory answer«, »the convincing evidence of the doctrine itself«, »the ruling providence of its great Author«) und betonen den untergeordneten Status der geplanten Untersuchung. Die »natürlichen« Ursachen werden als rein ergänzend zu dem zentralen Faktor der göttlichen Vorsehung präsentiert. Sollte ein Leser diese Ausführungen jedoch tatsächlich für bare Münze nehmen, würden seine Erwartungen durch die sich anschließende Erörterung schnell enttäuscht. Denn die von Gibbon betrachteten fünf Ursachen (intoleranter 12
DF, XV, Bd. 1, S. 447. Trevor-Roper (1963), S. 1669 f.; Womersley (1988a), S. 125 ff.; Momigliano, S. 253: »Gibbon folgte Voltaire darin, kühn jede Schranke zwischen Kirchengeschichte und profaner Geschichte hinwegzufegen.« 14 Womersley (1988a), S. 126 ff.; Foster, S. 55 ff. 13
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Glaubenseifer der Christen, Unsterblichkeitslehre, Wunder, christliche Moral und die sich ausbildende Kirchenhierarchie 15) begründen nicht nur die Ausbreitung des frühen Christentums derartig überzeugend, dass eine providenzielle Erklärung dieses Vorgangs schlicht überflüssig wird. Darüber hinaus diskreditieren sie eine Reihe apologetischer Grundannahmen und beschädigen so nachhaltig das Bild eines vorbildlichen Frühchristentums. 16 Eine Konzentration auf die »natürlichen« Ursachen eröffnet Gibbon die Möglichkeit, jede Kritik an der Kirche als eine Beschreibung gesellschaftlicher Missstände und menschlicher Schwächen auszugeben, ohne sich auf das Gebiet theologischer Glaubenssätze vorzuwagen und auf diese Weise Gefahr zu laufen, eindeutig mit einer heterodoxen Haltung identifiziert zu werden. Diese Strategie verschleiert Gibbon in einem berühmten Zitat über die traurige Pflicht des Historikers, sich (anders als die Theologen) allein mit der durch menschliche Schwächen und Irrtümer korrumpierten Religion abgeben zu müssen wie sie auf der Erde praktiziert wird. 17 Mit seiner rationalen Betrachtung der Kirchengeschichte verfolgt Gibbon, wie bereits angedeutet wurde, eine Strategie, die vor ihm u. a. Voltaire in seinem »Essai sur les mœurs« (1756) anwandte. Auch sprachlich erinnert die oben zitierte Passage über die »natürlichen« Ursachen stark an Voltaires ironische Formulierungen im »Essai«. 18 Derartige offenkundige Textanleihen bei Voltaire (sie finden sich auch an anderer Stelle) erregten die Missbilligung theologischer Kritiker von Gibbons Werk und bedingten die in der Einleitung geschilderte Abstemplung Gibbons als einem radikalen Kirchenfeind in der Tradition des »philosophe«. 19 Im Folgenden sollen Voltaires Arbeitsweise als Historiker sowie Konzeption und 15
DF, XV, Bd. 1, S. 447. Zu Gibbons Ironie und Argumentationsstrategien vgl. Womersley (1988a), S. 110 ff.; David Wootton: Narrative, Irony and Faith in Gibbon’s Decline and Fall, in: David Womersley (Hg.), Edward Gibbon. Bicentenary Essays, Oxford 1997, 203 – 234, hier S. 218 ff. 17 DF, XV, Bd. 1, S. 446: »The great law of impartiality too often obliges us to reveal the imperfections of the uninspired teachers and believers of the gospel; and, to a careless observer, their faults may seem to cast a shade on the faith which they professed. But the scandal of the pious Christian, and the fallacious triumph of the Infidel, should cease as soon as they recollect not only by whom, but likewise to whom, the Divine Revelation was given. The theologian may indulge the pleasing task of describing Religion as she descended from Heaven, arrayed in her native purity. A more melancholy duty is imposed on the historian. He must discover the inevitable mixture of error and corruption, which she contracted in a long residence upon earth, among a weak and degenerate race of beings.« 18 Die korrespondierende Stelle in Voltaires »Essai« lautet: »Rien n’est plus digne de notre curiosité que la manière dont Dieu voulut que l’Église s’établît, en faisant concourir les causes secondes à ses décrets éternels. Laissons respectueusement ce qui est divin à ceux qui en sont les dépositaires, et attachons-nous uniquement à l’historique.«; Voltaire, Essai, VIII, Bd. 1, S. 277. Vgl. Baridon, S. 438. 19 Turnbull, S. 279 u. 292 ff. 16
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Tendenz des »Essai« kurz charakterisiert werden, bevor dann Gibbons Besprechung des christlichen Glaubenseifers, der ersten »natürlichen« Ursache, näher untersucht wird (Kapitel 2.2). Voltaires »Essai« enthält eine Universalgeschichte der menschlichen Zivilisation und Kultur bis zur Herrschaft Ludwigs XIV., behandelt werden Aspekte wie die Künste, Wissenschaft, Handel, Religion, Gesetzgebung, gesellschaftliche und politische Strukturen usw. 20 Interessant für die hier untersuchte kirchengeschichtliche Darstellung Gibbons ist nur ein kleiner Teil des »Essai« (vor allem die Kapitel VIII bis XI, in denen die Zeit vor und während der Herrschaft Konstantins I. thematisiert wird, und einzelne Passagen aus der »Philosophie de l’histoire« zum Judentum). 21 Insgesamt ist Voltaires Abhandlung kirchengeschichtlicher Themen stark geprägt durch seine Vorreiterrolle im Kampf gegen die zur damaligen Zeit sehr einflussreiche katholische Kirche von Frankreich. 22 In einer Vielzahl seiner Schriften wandte sich Voltaire mehr oder weniger direkt gegen das Christentum und präsentierte die Kirche als eine Institution, die ihre Macht auf der Unterwerfung und Täuschung der Menschen sowie der Unterdrückung Andersgläubiger begründete (Voltaires berühmter Schlachtruf, mit dem er eine Zeit lang seine Briefe unterzeichnete, lautete »Écrasez l’infâme!«). 23 Die kirchengeschichtliche Darstellung im »Essai« zielt dementsprechend stark darauf ab, die ungerechtfertigten Herrschaftsansprüche der zeitgenössischen katholischen Kirche zu entlarven und die Mehrzahl der (früh-)christlichen Schriften als zu diesem Zweck verfasste Fälschungen bloßzustellen. 24 Gibbon teilt mit Voltaire zwar die Verurteilung religiöser Intoleranz und eine antiklerikale Tendenz, dennoch provozierten ihn Voltaires Einseitigkeit und das propagandistische Eintreten für bestimmte Positionen vor allem in späteren Kapiteln seines Werks immer wieder zu kritischen Kommentaren. 25 Ungeachtet einer gewissen Selbststilisierung drückt sich hier auch 20
Pierse, S. 172; Brumfitt, S. 30 ff. Der »Essai« war auch ein Gegenentwurf zum »Discours sur l’histoire universelle« des französischen Bischofs Jacques-Bénigne Bossuet von 1681 als klassischem Beispiel einer theologisch-providenziell angelegten Geschichte der Menschheit. 21 Voltaire, Essai, VIII – XI, Bd. 1, S. 277 – 308 u. Introduction, XXXVIII – XLIX, Bd. 1, S. 135 – 180 (zum Judentum). 22 Schmidt, S. 382 u. 393; Pierse, S. 174 f. 23 Schmidt, S. 379 u. 387 ff. 24 Vgl. z. B. Voltaire, Essai, IX, Bd. 1, S. 294 f.: »Tant de fraudes, tant d’erreurs, tant de bêtises dégoûtantes, dont nous sommes inondés depuis dix-sept cents années, n’ont pu faire tort à notre religion. Elle est sans doute divine, puisque dix-sept siècles de friponneries et d’imbécillités n’ont pu la détruire; et nous révérons d’autant plus la vérité que nous méprisons le mensonge.«; Rosenthal, S. 151 f. 25 DF, LVIII, Bd. 3, S. 583, Anm. 65: »In their views of the character and conduct of Alexius, Maimbourg has favoured the Catholic Franks, and Voltaire has been partial to the schismatic Greeks. The prejudice of a philosopher is less excusable than that of a Jesuit.«; DF, LXVII, Bd. 3,
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die aufrichtige Abneigung gegenüber einer tendenziös ausgerichteten Geschichtsschreibung aus. 26 Anders als Gibbon verfocht Voltaire zudem eine theistische Vernunftreligion. 27 Diese Tendenz spiegelt sich insbesondere in der »Philosophie de l’histoire« wider, so wenn Voltaire bei der Beschreibung verschiedener antiker Völker eine monotheistisch verfasste Religion und den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele als zentrale Kriterien nannte, um den jeweiligen zivilisatorischen Status eines Volks auszumachen. Umgekehrt sah er seine Verachtung für das Judentum dadurch bestätigt, dass die Lehre von einem Leben nach dem Tod den Juden unbekannt war. 28 Frühere Kulturen, Völker und Epochen betrachtete Voltaire als Historiker stark aus dem Blickwinkel des »philosophe«, der bestimmte theoretische Annahmen zur Entwicklung der menschlichen Zivilisation gemäß den Werten der Aufklärung veranschaulichen möchte. Gemessen an den eigenen Idealen, die Voltaire unter großen Herrschern wie Ludwig XIV. oder Peter dem Großen exemplarisch verwirklicht sah, erschien die Vergangenheit in seiner Darstellung dann häufig als rückständig, barbarisch und religiös fanatisch. 29 Im Unterschied zu Gibbon brachte Voltaire der Geschichte der Antike kein wirkliches Erkenntnisinteresse entgegen und begegnete ihr aufgrund der häufig fragmentarischen Quellenlage und der in den Quellen überlieferten übernatürlichen Ereignisse sehr skeptisch. 30 Gerade für die Zeit der Antike zeigt der »Essai« deshalb Defizite in der Quellenauswertung: Lücken oder Widersprüche in den überlieferten Texten werden nicht S. 916, Anm. 13: »Voltaire admires le Philosophe Turc; would he have bestowed the same praise on a Christian prince for retiring to a monastery? In his way, Voltaire was a bigot, an intolerant bigot.« 26 Pocock (2000b), S. 153 ff. 27 Rosenthal, S. 159. Pocock bewertet Voltaires »Essai« als »deist manifesto« im Unterschied zu Gibbons »sceptical manifesto«; Pocock (2000b), S. 107. Brumfitt hingegen kommt in seiner Studie zu dem Ergebnis, dass (anders als in der »Philosophie de l’histoire«) im »Essai« ein Gleichgewicht zwischen antichristlicher Tendenz und dem Streben des Historikers nach Unparteilichkeit herrsche; Brumfitt, S. 76 u. 166. Zu Voltaires Theismus, auf den hier nicht im Detail eingegangen werden soll, vgl. Schmidt, S. 382 ff. 28 Voltaire, Essai, Introduction, XL, Bd. 1, S. 140: »Si Moïse avait institué sa religion de lui-même, comme Zoroastre, Thaut, les premiers brames, Numa, Mahomet, et tant d’autres, nous pourrions lui demander pourquoi il ne s’est pas servi dans sa religion du moyen le plus efficace et le plus utile pour mettre un frein à la cupidité et au crime; pourquoi il n’a pas annoncé expressément l’immortalité de l’âme, les peines et les récompenses après la mort: dogmes reçus dès longtemps en Égypte, en Phénicie, en Mésopotamie, en Perse, et dans l’Inde.« 29 Pocock (2000b), S. 121 ff.; Rosenthal, S. 155 f.; Alkier, S. 61 f. Zu Voltaires Darstellung zeitgenössischer Herrscher vgl. Catherine Volpilhac-Auger: Voltaire and History, in: Nicholas Cronk (Hg.), The Cambridge Companion to Voltaire, Cambridge 2009, 139 – 152, hier S. 145 f. 30 Volpilhac-Auger, S. 143 u. 147. Auch der Geschichte des Mittelalters als einer historischen Epoche, in der die Kirche sehr dominant war, stand Voltaire grundsätzlich ablehnend gegenüber; Pocock (2000b), S. 121.
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diskutiert. Gelegentlich finden sich falsche Angaben, häufig fehlen Quellenbelege auch ganz. 31 Vergleichbare Unterschiede zwischen Voltaire und Gibbon zeigen sich auch in ihrem Verhältnis zu den Werken antiquarischer Gelehrsamkeit. Während diese für Gibbon wie angesprochen ein unentbehrliches Hilfsmittel seiner Arbeit waren, interessierte Voltaire sich kaum für die Exaktheit historischer Details und stand der Arbeit der Antiquare verächtlich gegenüber. 32 Voltaires nachlässigen Umgang mit den Quellen kritisiert auch Gibbon (besonders in späteren Kapiteln des »Decline and Fall«) immer wieder, wenngleich er diese Gelegenheiten auch dazu benützt, sich selbst als den überlegenen Historiker zu präsentieren. 33 Hinsichtlich der Frage, ob gesicherte historische Erkenntnisse möglich sind, war Voltaire stark von den Debatten des historischen Pyrrhonismus beeinflusst. Aussagen über die Vergangenheit konnten in seinen Augen deshalb keinen absoluten Wahrheitsgehalt beanspruchen, sondern waren stets nur als Wahrscheinlichkeiten zu bewerten. 34 Geleitet von einem starken antikatholischen Impetus verwarf Voltaire im »Essai« Berichte christlicher Autoren häufig als unglaubwürdig (»invraisemblable«), ohne zwischen einzelnen Zeugnissen zu differenzieren oder sie einer genaueren Überprüfung zu unterziehen. Eine beliebte Methode von Voltaire war es auch, eine Reihe von christlichen »Legenden« aufzuzählen, um auf diese Weise generell die Täuschungen und Manipulationen der Kirche sowie die Verblendung ihrer Anhänger bloßzustellen. 35 Es soll hier nicht bestritten werden, dass Gibbons Herangehensweise an das Thema Kirchengeschichte stark an Voltaires Ansatz im »Essai« erinnert. Hinsichtlich der in Kapitel XV besprochenen »natürlichen« Ursachen für den Erfolg des frühen Christentums fällt jedoch schnell auf, dass in Voltaires relativ knapper 31
Ähnlich kritisch beurteilt beispielsweise Brumfitt Voltaires Quellenarbeit; Brumfitt, S. 134 ff. René Pomeau hat die Genauigkeit von Voltaires Fußnoten im »Essai« im Einzelnen überprüft und kommt zu dem Ergebnis, dass die Angaben umso exakter werden, je weiter sich Voltaires Darstellung dem 18. Jahrhundert nähert. Allerdings bleibt festzuhalten, dass Voltaire, bezogen auf die Darstellung der Antike, überwiegend keine Belege liefert; René Pomeau: Introduction, in: Voltaire: Essai sur les mœurs et l’esprit des nations et sur les principaux faits de l’histoire depuis Charlemagne jusqu’à Louis XIII, hg. v. René Pomeau, Paris 1990, Bd. 1, I-LXVI, hier S. XXIIff. 32 Momigliano, S. 241; Levine (1987), S. 182 ff.; Porter, S. 68 ff. 33 Vgl. z. B. DF, LXIV, Bd. 3, S. 796, Anm. 20: »[Voltaire’s] account of Zingis and the Moguls contains, as usual, much general sense and truth, with some particular errors.« oder DF, LI, Bd. 3, S. 252, Anm. 55: »Voltaire, who casts a keen and lively glance over the surface of history, has been struck with the resemblance of the first Moslems and the heroes of the Iliad [. . . ].«; Pocock (2000b), S. 156 ff. Zu Gibbons Rhetorik vgl. James D. Garrison: Lively and Laborious. Characterization in Gibbon’s Metahistory, Modern Philology 76 (1978), 163 – 178, hier S. 167 ff. 34 Brumfitt, S. 98 ff.; O’Brien, S. 23 f. 35 Vgl. z. B. Voltaire, Essai, IX, Bd. 1, S. 289 ff.
Fanatiker, Schwärmer und die christliche Dämonenangst
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Darstellung dieses Zeitabschnitts die von Gibbon diskutierten fünf Ursachen in dieser Form gar nicht zu finden sind. Wie im Folgenden näher ausgeführt werden soll, bietet der beschriebene methodische Ansatz Gibbon vielmehr die Möglichkeit, unterschiedliche Ideen und Argumentationsstrategien der zeitgenössischen Kirchen- und Religionskritik wie auch der Kirchengeschichtsschreibung theologischer Provenienz aufzugreifen, einzelne Elemente daraus miteinander zu kombinieren und in abgewandelter Form in die eigene Darstellung einzubringen.
2.2 Fanatiker, Schwärmer und die christliche Dämonenangst Den intoleranten Glaubenseifer der Christen (die erste der fünf »natürlichen« Ursachen) führt Gibbon auf die jüdischen Wurzeln des Christentums zurück. 36 Die anschließende Untersuchung diskutiert dann nicht nur einen Erfolgsfaktor des Christentums, sondern charakterisiert auch die häufig idealisierten ersten Christen als fanatisch und aggressiv. In einer weiteren Konsequenz wird damit auch der Boden für eine alternative Lesart der Christenverfolgungen durch die römischen Herrscher in Kapitel XVI bereitet. 37 Gibbons sehr negative Beurteilung der antiken Juden in Kapitel XV, in der die vermeintliche Intoleranz, Unmenschlichkeit und Antisozialität dieser Gruppe herausgestellt werden 38, entspricht einer weit verbreiteten Tendenz innerhalb der Aufklärung. Aufgrund seines Traditionalismus, der Schriftgläubigkeit und dem Festhalten an überlieferten Gesetzen und Riten wurde das Judentum von vielen Aufklärern, beispielsweise innerhalb der klandestinen kirchen- und religionskritischen Literatur in Frankreich oder auch von Voltaire, als den eigenen Werten entgegengesetzt empfunden, das jüdische Volk und seine im Alten Testament überlieferte Geschichte wurden häufig in herabsetzender Weise präsentiert. 39 36
DF, XV, Bd. 1, S. 447: »I. The inflexible, and, if we may use the expression, the intolerant zeal of the Christians, derived, it is true, from the Jewish religion, but purified from the narrow and unsocial spirit, which, instead of inviting, had deterred the Gentiles from embracing the law of Moses.« 37 Nippel (2007), S. 251. 38 DF, XV, Bd. 1, S. 447 ff. Antijüdische Passagen finden sich beispielsweise auch in DF, XV, Bd. 1, S. 456 f.; XVI, Bd. 1, S. 515 f. Zu Gibbons Darstellung des Judentums vgl. kurz David S. Katz: Gibbon’s Jews. Dead but Alive in Eighteenth-Century England, in: Richard I. Cohen u. a. (Hgg.), Jewish Culture in Early Modern Europe: Essays in Honor of David B. Ruderman, Cincinnati 2014, 271 – 281, hier S. 271 ff. 39 Adam Sutcliffe: Judaism and Enlightenment, Cambridge u. a. 2003, im Folgenden zitiert als Sutcliffe (2003a), S. 185 ff. u. 231 f.; ders.: Judaism in the Anti-Religious Thought of the Clandestine French Early Enlightenment, Journal of the History of Ideas 64 (2003), 97 – 117,
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Indirekt traf eine derartige negative Darstellung der antiken Juden immer auch das Christentum, denn für viele apologetische Schriften war der Verweis auf die jüdischen Wurzeln des Christentums zentral, um die Autorität der Kirche zu legitimieren. Die Juden galten christlichen Theologen als wichtige Zeugen bei der Etablierung des Christentums, das Neue Testament wurde als Erfüllung der im Alten Testament überlieferten Prophezeiungen angesehen. Die Strategie, durch eine Abwertung der Juden, ihrer Geschichte und Religion gezielt den christlichen Glauben in ein schlechtes Licht zu rücken, findet sich in verschiedenen Schriften der aufklärerischen Kirchenkritik 40, die allerdings, wie etwas später gezeigt werden soll, kritische Argumente jüdischer Denker gegen das Christentum durchaus für eigene Zwecke einsetzte. Exemplarisch repräsentiert Voltaire die Verachtung vieler Aufklärer gegenüber dem Judentum: In zahlreichen seiner Schriften führte er die Irrationalität und Amoralität des Alten Testaments vor, verunglimpfte die antiken Juden – und diffamierte auf diese Weise auch die ihm verhasste katholische Kirche. 41 Im »Essai« finden sich antijüdische Ausfälle insbesondere in der dem Haupttext vorangestellten »Philosophie de l’histoire«. Hier griff Voltaire beispielsweise die jüdische Überzeugung an, Gottes auserwähltes Volk zu sein, und brandmarkte die vermeintliche Unmenschlichkeit und kulturelle Barbarei der Juden. 42 Über die jüdische Nation insgesamt fällte er an einer Stelle das drastische Urteil: »Elle ose étaler une haine irréconciliable contre toutes les nations; elle se révolte contre tous ses maîtres. Toujours superstitieuse, toujours avide du bien d’autrui, toujours barbare, rampante dans le malheur, et insolente dans la prospérité. Voilà ce que furent les Juifs aux yeux des Grecs et des Romains qui purent lire leurs livres; mais, im Folgenden zitiert als Sutcliffe (2003b), hier S. 103 u. 107 f.; Frank E. Manuel: The Broken Staff. Judaism through Christian Eyes, Cambridge, Mass. u. a. 1992, S. 192 f. Eine für die Aufklärung ungewöhnliche philosemitische Einstellung vertrat Toland, er plädierte u. a. für eine Naturalisierung der Juden in Großbritannien; Silvia Berti: At the Roots of Unbelief, Journal of the History of Ideas 56 (1995), 555 – 575, hier S. 566 ff. 40 Sutcliffe (2003b), S. 110; Manuel, S. 177 ff.; speziell zu Voltaire Rosenthal, S. 159 u. 164 ff. Zur Bedeutung des Judentums in christlichen Auslegungen der Weltgeschichte vgl. Sutcliffe (2003a), S. 65 ff.; Manuel, S. 197. 41 Sutcliffe (2003a), S. 231 f.; Manuel, S. 194 f.; Graham Gargett: Voltaire and the Bible, in: Nicholas Cronk (Hg.), The Cambridge Companion to Voltaire, Cambridge 2009, 193 – 204, hier S. 196 ff. Die Motive für Voltaires antisemitische Äußerungen sind innerhalb der Forschung umstritten. Gargett (S. 196 f.) argumentiert beispielsweise, dass sich dahinter vor allem rhetorische Zwecke im Sinne einer Diffamierung der katholischen Kirche verbergen. Sutcliffe und Manuel gehen hingegen von einer tiefer gehenden Abneigung Voltaires gegenüber dem Judentum aus; Sutcliffe, (2003a), S. 238 f.; Manuel, S. 194. 42 Z. B. Voltaire, Essai, Introduction, XXXVIII, Bd. 1, S. 135 f.; XLIV, Bd. 1, S. 158: »Si l’on peut conjecturer le caractère d’une nation par les prières qu’elle fait à Dieu, on s’apercevra aisément que les Juifs étaient un peuple charnel et sanguinaire.«
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aux yeux des Chrétiens éclairés par la foi, ils ont été nos précurseurs, ils nous ont préparé la voie, ils ont été les hérauts de la Providence« 43 Gibbons antijüdische Passagen in Kapitel XV, die sich zwischen den Zeilen auch gegen die Kirche richten, erinnern deutlich an die »Philosophie de l’histoire«, ohne dass sich in diesem Kontext ein Verweis auf Voltaire finden würde. Dass Gibbon hier, wie auch an anderer Stelle, nicht explizit auf den »philosophe« rekurriert, hat möglicherweise taktische Gründe. Angesichts von Voltaires Ruf als dem Kirchenfeind schlechthin hätte eine direkte Zitation Gibbon keinen argumentativen Vorteil verschafft, sondern im Gegenteil Kritikern zusätzliche Möglichkeiten eröffnet, ihn mit dem Vorwurf der heterodoxen Abweichung zu belegen. Die Übernahme Voltaire’scher Ideen wurde Gibbon von theologischen Kritikern ohnehin vorgehalten. 44 Die polemischen Äußerungen über die Juden belegt Gibbon stattdessen durch verschiedene antike Quellen, darunter Tacitus’ berüchtigten Judenexkurs aus den »Historien«. 45 Voltaire vergleichbar beschwört er beispielsweise die Antisozialität und Menschenfeindlichkeit der Juden, die auch ein Thema des »Judenexkurses« ist: »A single people refused to join in the common intercourse of mankind. [. . . ] The sullen obstinacy with which they [the Jews] maintained their peculiar rites and unsocial manners, seemed to mark them out a distinct species of men, who boldly professed, or who faintly disguised, their implacable hatred to the rest of humankind.« 46 Wie Voltaire weist Gibbon ferner auf die politisch unfreie Stellung der Juden hin und verstärkt damit das Bild eines verachtenswerten Volkes, stützt diese Aussage aber wiederum auf Tacitus. »The Jews, who, under the Assyrian and Persian monarchies, had languished for many ages the most despised portion of their slaves, emerged from obscurity under the successors of Alexander; and as they multiplied to a surprising degree in the East, and afterwards in the West, they soon excited the curiosity and wonder of other nations.« 47 43
Voltaire, Essai, Introduction, XLII, Bd. 1, S. 151 f. McCloy, S. 148, 183 u. 213. 45 DF, XV, Bd. 1, S. 447, Anm. 1 u. 2. Neben Tacitus werden Herodot, Diodorus Siculus, Cassius Dio und Justin der Märtyrer als Quellen genannt. Tacitus’ Judenexkurs findet sich in den Historien 5, 2 – 13. Zur Rezeption des Judenexkurses bei Gibbon und im 18. Jahrhundert insgesamt vgl. René S. Bloch: Antike Vorstellungen vom Judentum. Der Judenexkurs des Tacitus im Rahmen der griechisch-römischen Ethnographie, Stuttgart 2002, S. 206 ff. 46 DF, XV, Bd. 1, S. 447 f.; Tacitus, Historien 5, 4: »Um sich des Volkes für die Zukunft zu versichern, führte Moses neue religiöse Bräuche ein, die mit den sonst auf der Welt üblichen im Widerspruch standen. Dort bei den Juden ist alles unheilig, was bei uns heilig ist; anderseits ist bei ihnen gestattet, was wir als Greuel betrachten.« In den Historien 5, 5 schreibt Tacitus dann über die Juden, dass sie sich untereinander solidarisch zeigten, »während allen anderen Menschen gegenüber feindseliger Haß hervortritt.« 47 DF, XV, Bd. 1, S. 447; Tacitus, Historien 5, 8: »Solange das Morgenland unter der Gewalt der Assyrer, Meder und Perser stand, waren die Juden der mißachtetste Teil der Knechtsvölker.«; 44
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Gibbons Zitierweise verrät hier ein ausgeprägtes taktisches Geschick und macht gleichzeitig die Unterschiede zu Voltaires historiographischer Praxis deutlich. Während Voltaire in den antijüdischen Passagen der »Philosophie de l’histoire« kaum Quellen nannte, belegt Gibbon die sehr polemische Charakterisierung der Juden durch eine Reihe antiker Autoren. Ein besonderes Gewicht kommt dabei dem Zeugnis von Tacitus zu, der in Gibbons Werk häufiger für seine genaue und unparteiliche Geschichtsschreibung gewürdigt wird. 48 Auf diese Weise gelingt es Gibbon den Anschein zu erwecken, als ob sich seine antijüdische Darlegung wie auch die unausgesprochen übermittelte Kritik am Christentum aus einer »neutralen« antiken Quelle von hoher Reputation ergeben würden. Eine für die Kirche diskreditierende Darstellung erhält durch diese Vorgehensweise eine verstärkte Legitimation, Gibbon kann nicht mehr eindeutig mit einem heterodoxen Standpunkt identifiziert werden. Die im Vergleich zum Judentum erfolgte Akzeptanzsteigerung des Christentums nach außen führt Gibbon auf die Distanzierung der Kirche von den jüdischen Ritualgesetzen und das Gebot einer aktiven Missionierung zurück: »Under these circumstances, Christianity offered itself to the world, armed with the strength of the Mosaic law, and delivered from the weight of its fetters.« 49 Im Verlauf der anschließenden Erörterung, wie sich die Kirche erst allmählich von ihren jüdischen Wurzeln lösen konnte, werden dann die frühchristlichen Häresien der Judenchristen und Gnostiker thematisiert, die ausführlich in Kapitel 6.1 besprochen werden. 50 Neben der geschilderten Abwertung des Judentums lässt sich bei kirchenkritischen Autoren (so bei verschiedenen Vertretern des englischen Deismus) auch ein Rekurs auf die antichristliche Literatur jüdischer Gelehrter der Frühen Neuzeit ausmachen, die darin für eine Überlegenheit des eigenen Glaubens argumentiert hatten. Obwohl derartige Manuskripte häufig nur in geringer Anzahl zirkulierten und nicht allgemein zugänglich waren, war es nicht ungewöhnlich, dass Kritiker der Kirche die von jüdischen Gelehrten entwickelten
Voltaire, Essai, Introduction, XLII, Bd. 1, S. 150: »Ainsi les Juifs furent presque toujours subjugués ou esclaves.« 48 Zu Gibbons hoher Wertschätzung für Tacitus vgl. z. B. DF, IX, Bd. 1, S. 230: »In their primitive state of simplicity and independence, the Germans were surveyed by the discerning eye, and delineated by the masterly pencil, of Tacitus, the first of historians who applied the science of philosophy to the study of facts. The expressive conciseness of his descriptions has deserved to exercise the diligence of innumerable antiquarians, and to excite the genius and penetration of the philosophic historians of our own times.« Vgl. David P. Jordan: Gibbon and his Roman Empire, Urbana u. a. 1971, S. 172 ff. 49 DF, XV, Bd. 1, S. 451. 50 DF, XV, Bd. 1, S. 452 ff.
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Argumente aufgriffen, um mit ihrer Hilfe ihrerseits das Christentum zu diskreditieren. 51 Eine vergleichbare argumentative Strategie findet sich auch bei Gibbon, wenn er, im Rahmen seiner Erörterung der antiken Judenchristen in Kapitel XV, einzelne Argumente aus der zeitgenössisch vielbeachteten, christlich-jüdischen Kontroverse zwischen dem arminianischen Theologen Philipp van Limborch und dem jüdischen Arzt und Philosophen Isaak Orobio de Castro aufgreift. Gibbon nimmt sich hier die Freiheit heraus, Details dieser frühneuzeitlichen Debatte auf den Konflikt zwischen antiken Judenchristen und »orthodoxen« Christen zu übertragen. 52 Das Streitgespräch zwischen Limborch und Orobio de Castro fand vermutlich zwischen 1683 und 1685 statt, es wurde von Limborch 1687 unter dem Titel »De veritate religionis Christianae. Amica collatio cum erudito Judaeo« veröffentlicht. 53 Limborchs Schrift machte die Debatte einer breiteren Öffentlichkeit vertraut. In der öffentlichen Meinung galt überwiegend Orobio de Castro als Sieger, Limborchs Argumente für das Christentum schienen erfolgreich widerlegt worden zu sein. 54 Gibbon referiert detailliert einige der von Orobio de Castro vorgebrachten Einwände, die spitzfindig auf Widersprüche innerhalb der christlichen Glaubensrechtfertigung zielten, und legt sie den Judenchristen des ersten Jahrhunderts in den Mund. »These Judaising Christians seem to have argued with some degree of plausibility from the divine origin of the Mosaic law, and from the immutable perfections of its great Author.« 55 Die Formulierungen lassen an dieser Stelle 51
Sutcliffe (2003a), S. 170 ff.; Richard H. Popkin: Jewish Anti-Christian Arguments as a Source of Irreligion from the Seventeenth to the Early Nineteenth Century, in: Michael Hunter / David Wootton (Hgg.), Atheism from the Reformation to the Enlightenment, Oxford u. a. 1992, 159 – 181, hier S. 176 ff.; Berti, S. 565 ff. 52 DF, XV, Bd. 1, S. 452. 53 Peter van Rooden / J. W. Wesselius: The Early Enlightenment and Judaism. The »Civil Dispute« between Philippus van Limborch and Isaak Orobio de Castro (1687), Studia Rosenthaliana 21 (1987), 140 – 153, hier S. 141 ff. Popkin datiert das Streitgespräch zwischen Limborch und Orobio de Castro davon abweichend auf das Jahr 1686; Popkin (1992), S. 174. Der Philosoph und Arzt Isaac Orobio de Castro (ca. 1617/20 – 1687) stammte von konvertierten portugiesischen Juden ab. Nachdem er in Spanien wegen Praktizierung des jüdischen Glaubens von der Inquisition zum christlichen Bekenntnis gezwungen worden war und inhaftiert wurde, floh er zuerst nach Frankreich, dann nach Amsterdam, wo er sich 1662 der jüdischen Gemeinde anschloss; van Rooden / Wesselius, S. 141.; Popkin (1992), S. 171 ff. 54 Popkin (1992), S. 174 f. In der Folge kam beispielsweise Jacques Basnage in seiner »Histoire des Juifs« von 1715 zu dem Schluss, dass es für die christliche Sache vorteilhafter sei, sich zukünftig nicht mehr auf religiöse Disputationen mit Juden einzulassen, da aus diesen Gesprächen zumeist die jüdischen Disputanten als Gewinner hervorgingen. Die Konversion der Juden sollte, so Basnage, besser der göttlichen Fügung überlassen werden. Zu inhaltlichen Details dieser Debatte vgl. Sutcliffe (2003a), S. 168 f. 55 DF, XV, Bd. 1, S. 452.
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geschickt offen, inwieweit Gibbon die Partei der Judenchristen einnimmt oder nur als ein unparteilicher Berichterstatter der Kontroverse auftritt. In ähnlicher Weise legt auch eine Anmerkung nicht eindeutig fest, welcher der beiden Parteien Gibbon hier beipflichtet. »These arguments were urged with great ingenuity by the Jew Orobio, and refuted with equal ingenuity and candour by the Christian Limborch. See the Amica Collatio (it well deserves that name), or account of the dispute between them.« 56 Durch dieses Manöver gedeckt kann Gibbon, im Anschluss an Orobio de Castro, beispielsweise das Paradox präsentieren, warum Gott die Abschaffung des jüdischen Gesetzes nicht in einer eindeutigen Form angekündigt oder dieses Gesetz umgekehrt von Anfang an als ein Provisorium mit eingeschränkter Gültigkeit verkündet habe. 57 Auch die Tatsache, dass Jesus und die Apostel an der Befolgung der jüdischen Gesetze festhielten, anstatt ihre Aufhebung zu predigen, lässt sich mit Orobio de Castro gegen christliche Apologeten einwenden. 58 Eine zusätzliche kritische Spitze verleiht Gibbon dem letzten Aspekt, indem er die Einzelheiten über Jesu Leben einer unter christlichen Zeitgenossen sehr angesehenen Quelle entnimmt, der apologetischen Schrift »De veritate religionis Christianae« (1622) des arminianischen Theologen und Rechtsgelehrten Hugo Grotius. 59 Nachdem auf diese Weise die Diskrepanz zwischen Anspruch und argumentativer Überzeugungskraft christlicher Apologien offenkundig geworden ist, schlägt Gibbon eine scheinbare Auflösung dieses Widerspruchs vor. Er verweist auf ein von christlichen Theologen vorgebrachtes Gegenargument, präsentiert dieses allerdings in einer Form, die dessen mangelnde Plausibilität überdeutlich macht. »Arguments like these appear to have been used in the defense of the expiring cause of the Mosaic law; but the industry of our learned divines has abundantly explained the ambiguous language of the Old Testament, and the ambiguous conduct of the apostolic teachers. It was proper gradually to unfold the system of the Gospel, and to pronounce, with the utmost caution and tenderness, a sentence of condemnation so repugnant to the inclination and prejudices of the believing Jews.« 60 Wenngleich Gibbon sich hier vordergründig wieder einmal dem Standpunkt der Christen anzunähern scheint, verstärkt die ironische Nachzeichnung der christlichen Verteidigungsstrategie eher noch den Eindruck, dass die Argumente 56
DF, XV, Bd. 1, S. 452, Anm. 15. DF, XV, Bd. 1, S. 452. 58 DF, XV, Bd. 1, S. 452. 59 DF, XV, Bd. 1, S. 452, Anm. 16. Zu Hugo Grotius vgl. Ralph Tuchtenhagen: »Grotius (de Groot), Hugo«, Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 17 (2000). »De veritate religionis Christianae« gilt als Grotius’ theologisches Hauptwerk und erlebte insgesamt 146 Auflagen. 60 DF, XV, Bd. 1, S. 452. 57
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der Juden (bzw. Judenchristen) für die Berechtigung des jüdischen Gesetzes allen Bemühungen von (orthodoxer) christlicher Seite überlegen sind. Indem Gibbon Orobio de Castros Argumente den antiken Judenchristen unterschiebt, gelingt ihm ein rhetorischer Angriff auf die Glaubensfundamente des Christentums, der eine eindeutige Stellungnahme zugunsten der Judenchristen jedoch vermeidet. Trotz dieser argumentativen Strategie steht seine grundsätzliche Ablehnung des Judentums und der zur Debatte stehenden jüdischen Gesetze allerdings außer Zweifel. 61 Ein weiteres Schlaglicht auf den intoleranten Glaubenseifer von Juden und Christen wirft Gibbon, indem er zusätzlich verschiedene Ideen und Argumente aus zwei religionssoziologischen Arbeiten Humes, der »Natural History of Religion« und dem Aufsatz »Of Superstition and Enthusiasm« 62, in seine Darstellung einfließen lässt, ohne dass diese vollständig rezipiert oder detailgetreu übernommen würden. Im Folgenden sollen der methodische Ansatz und das kritische Potential von Humes Religionssoziologie kurz vorgestellt werden. Hume zählte zu den wenigen Historikern, die Gibbon in seiner »Vindication« als vorbildlich würdigt, weil sie kirchengeschichtliche Themen unparteilich und ohne sich den Interessen einer Partei zu verpflichten dargestellt hätten. »Since the origin of Theological Factions, some Historians, Ammianus Marcellinus, Fra-Paolo, Thuanus, Hume, and perhaps a few others, have deserved the singular praise of holding the balance with a steady and equal hand. Independent and unconnected, they contemplated with the same indifference, the opinions and interests of the contending parties; or, if they were seriously attached to a particular system, they were armed with a firm and moderate temper, which enabled them to suppress their affections, and to sacrifice their resentments.« 63 In »The Decline and Fall« findet sich eine Reihe positiver Kommentare, die auch Humes philosophischen Arbeiten eine hohe Wertschätzung entgegenbringen. Gelobt werden Humes »fine philosophy« 64 und 61
Vgl. z. B. DF, XV, Bd. 1, S. 450 f.: »Yet even in their fallen state, the Jews, still asserting their lofty and exclusive privileges, shunned, instead of courting, the society of strangers. They still insisted with inflexible rigour on those parts of the law which it was in their power to practise. Their peculiar distinctions of days, of meats, and a variety of trivial though burdensome observances, were so many objects of disgust and aversion for the other nations, to whose habits and prejudices they were diametrically opposite. The painful and even dangerous rite of circumcision was alone capable of repelling a willing proselyte from the door of the synagogue.« 62 David Hume: The Natural History of Religion, in: ders., The Philosophical Works, hg. v. Thomas H. Green u. Thomas H. Grose, Bd. 4, (London 1886), Nachdruck 2. Aufl., Aalen 1992, 309 – 363; ders.: Of Superstition and Enthusiasm, in: ders., The Philosophical Works, hg. v. Thomas H. Green u. Thomas H. Grose, Bd. 3, (London 1886), Nachdruck 2. Aufl., Aalen 1992, 144 – 150. 63 Vindication, DF, Bd. 3, S. 1171. 64 DF, LIX, Bd. 3, S. 646, Anm. 87.
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»admirable good sense and scepticism« 65, die religionssoziologischen Arbeiten werden als »ingeniously« und »sagaciously« charakterisiert. 66 In den »Memoirs« schreibt Gibbon, die Glückwünsche Humes zur Publikation des ersten Bandes von »The Decline and Fall« hätten die Mühe von zehn Jahren Arbeit aufgewogen. 67 Innerhalb seiner Religionssoziologie unternahm Hume den Versuch, das Phänomen Religion allein auf natürliche Ursachen zurückzuführen. Während er besonders in den »Dialogues concerning Natural Religion« (die 1779 posthum erschienen, aber bereits in den 1750er-Jahren verfasst wurden) 68 demonstriert hatte, dass alle rationalen Beweise für die Existenz Gottes zum Scheitern verurteilt sind, verfolgte er mit der »Natural History« einen alternativen Zugang zu diesem Problem. Da sich das Phänomen Religion nicht in rationaler Weise unter Zuhilfenahme vernünftiger Argumente erklären ließ und eine göttliche Offenbarung für einen skeptischen Philosophen natürlich auch nicht in Frage kam, lokalisierte Hume in der »Natural History« den Ursprung religiöser Überzeugungen und Verhaltensweisen in bestimmten psychologischen Dispositionen des Menschen. 69 Humes anthropologisch fundierter Ansatz wirkte sehr provokativ auf Christen, unterminierte er doch wirkungsvoll die theologischen Grundlagen des Christentums und diskreditierte die Annahme einer göttlichen Glaubensoffenbarung. 70 Anstößig für christliche Leser der »Natural History« waren beispielsweise auch der für das Christentum nachteilig ausfallende Vergleich von Monotheismus und Polytheismus in den Abschnitten IX – XII der Untersuchung oder Humes Nachweis, dass alle volkstümlichen Formen der Religion sich prinzipiell schädlich auf die 65
DF, XXXI, Bd. 2, S. 186, Anm. 66. DF, XXIII, Bd. 1, S. 868, Anm. 12 u. VIII, Bd. 1, S. 220, Anm. 24. 67 In den »Memoirs« schreibt Gibbon über die Glückwünsche von Hume und William Robertson mit gespielter Bescheidenheit: »The candour of Dr Robertson embraced his disciple: a letter from Mr Hume overpaid the labour of ten years; but I have never presumed to accept a place in the triumvirate of British historians.«; Edward Gibbon: Memoirs of My Life, hg. v. Georges A. Bonnard, London u. a. 1966, S. 158. 68 Diese Abhandlung Humes, von der Gibbon ebenfalls ein Exemplar besaß, war ihm erst 1776/77 (also nach der Abfassung des ersten Bandes seines Werks) bekannt und soll hier nicht berücksichtigt werden; Foster, S. 3, Anm. 6 u. S. 266, Anm. 9. 69 John C. A. Gaskin, Hume on Religion, in: David Fate Norton (Hg.), The Cambridge Companion to Hume, Cambridge 1992, 313 – 344, hier S. 318 f.; Foster, S. 266 ff.; Alkier, S. 63 f. Hume selbst beschrieb die Zielsetzung der »Natural History« folgendermaßen: »As every enquiry, which regards religion, is of the utmost importance, there are two questions in particular, which challenge our attention, to wit, that concerning its foundation in reason, and that concerning its origin in human nature.« Die »Natural History« verfolgt nach Hume den Zweck, eine Antwort auf die zweite Frage zu finden; Hume, Natural History, Introduction, S. 309. Zu Hume als Begründer der Religionssoziologie vgl. auch Gaskin (1993), S. 187. 70 Kreimendahl (2012a), S. 60; Foster, S. 268 f. 66
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moralischen Maßstäbe auswirkten (Abschnitt XIV). 71 Entsprechende Reaktionen auf Humes Schrift von Seiten der Kirche blieben nicht aus. 72 Die Idee, das Phänomen Religion auf eine psychologisch erklärbare Erscheinung zu reduzieren, war nicht grundlegend neu, erhielt durch Humes Ausgestaltung jedoch eine starke Ausstrahlungskraft. 73 Eine zentrale These der »Natural History« lautete, dass die anfängliche Religion der Menschen polytheistisch angelegt war und der menschlichen Unsicherheit angesichts einer ungewissen Zukunft sowie den dadurch geweckten negativen Emotionen entsprang. 74 Mit dieser psychologischen Begründung von Religion und der Annahme eines ursprünglichen Polytheismus wandte Hume sich auch kritisch gegen das deistische Gottesbild, denn Deisten gingen von einer ursprünglich monotheistischen Religion aller Menschen aus, deren rationale Struktur durch die Vernunft erfasst werden konnte und die u. a. durch das Agieren des Klerus allmählich zu polytheistischen Glaubensformen degeneriert war. 75 Humes prinzipieller Skeptizismus, der aufgrund der Einsicht in die Beschränktheit des menschlichen Erkenntnisvermögens alle geschlossenen Glaubenssysteme (darunter auch deistische oder atheistische) in Frage stellte 76, war vermutlich – neben ihrer vielseitigen Verwendbarkeit – einer der Gründe dafür, dass sich Humes religionssoziologische Ideen als sehr anziehend für Gibbon erwiesen. Der ursprüngliche Polytheismus der Menschen entwickelte sich, so der Fortgang von Humes Argument, aufgrund der menschlichen Eitelkeit zu einer monotheistischen Form der Religion, weil eine Gottheit immer stärker überhöht und mit immer vortrefflicheren Qualitäten ausgestattet wurde. 77 Dieser Monotheismus beruhte allerdings nicht auf rationaler Erkenntnis, sondern verdankte sich allein psychologischen Vorgängen, so dass er nach Hume ebenfalls nicht von 71
Christopher J. Wheatley: Polemical Aspects of Hume’s Natural History of Religion, Eighteenth-Century Studies 19 (1986), 502 – 514, hier v. a. S. 503; Kreimendahl (2012a), S. 67. 72 Zur Publikationsgeschichte und zu den Widerständen gegen die »Natural History« vgl. Kreimendahl (2012a), S. 49 ff.; Foster, S. 265. William Warburton, der vergeblich versuchte, eine Veröffentlichung der »Natural History« zu verhindern, äußerte 1757 in einem Brief an Humes Verleger: »The design of the first essay is the very same with all Lord Bolingbroke’s, to establish naturalism, a species of atheism, instead of religion [. . . ].« (zitiert nach Foster, S. 265). 73 Kreimendahl (2012a), S. 60 f. John Trenchard hatte bereits 1709 eine »Natural History of Superstition« verfasst, die nicht ohne Einfluss auf Humes Arbeit war, insgesamt aber keine große Wirkung entfaltete; vgl. Harrison, S. 168 f. 74 Hume, Natural History, II, S. 315: »We may conclude, therefore, that, in all nations, which have embraced polytheism, the first ideas of religion arose not from a contemplation of the works of nature, but from a concern with regard to the events of life, and from the incessant hopes and fears, which actuate the human mind.«; vgl. auch ebd., Introduction, S. 309 f. 75 Kreimendahl (2012a), S. 63 f.; Gaskin (1993), S. 185 ff.; Weber, S. 50 ff. u. 71 f. 76 Gaskin (1992), S. 321 f. 77 Hume, Natural History, VI, S. 330 f.
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Dauer war. Mit dem parallel vorhandenen Bedürfnis der Gläubigen nach einem greifbaren Gott kehrten polytheistische Glaubensformen zurück – ein laut Hume unaufhörlicher Kreislauf setzte ein. 78 Gibbon verwendet insbesondere Humes Gegenüberstellung monotheistischer und polytheistischer Religionen aus der »Natural History«. Im Rahmen der Diskussion der ersten »natürlichen« Ursache dient sie ihm dazu, die intolerante Haltung der Juden und frühen Christen gegenüber dem heidnischen Bevölkerungsteil aufzudecken. Eine provokante These Humes lautete, dass polytheistische Religionen, im Unterschied zu monotheistischen Glaubensformen, aufgrund ihrer inneren Struktur grundsätzlich tolerant auftraten. Weil sie durch eine Vielzahl parallel existierender Götter mit jeweils begrenztem Machtstatus gekennzeichnet seien, würden auch die Götter fremder Religionen akzeptiert, so Hume. Der monotheistische Glaube an einen einzigen Gott verbinde sich hingegen stets mit dem Anspruch, im Besitz der allein gültigen Wahrheit zu sein, und spreche auf diese Weise allen anderen Religionen ihre Existenzberechtigung ab. 79 Diese Argumentation verstärkt Hume durch einen Blick auf die Glaubensinhalte monotheistischer und polytheistischer Religionen: Während polytheistische Kulte auf einer Vielzahl nicht kohärenter Mythen beruhten, beanspruche das Christentum aufgrund der Übernahme philosophischer Prinzipien den Wahrheitsstatus eines philosophischen Systems. Daraus resultiert nach Hume die gefährliche dogmatische Zuspitzung monotheistischer Religionen, die er für die Verfolgung Andersgläubiger verantwortlich macht. 80 Bereits in Kapitel II charakterisierte Gibbon, im Anschluss an Hume, die polytheistische Religion des Reichs im zweiten Jahrhundert als tolerant und unbelastet durch Dogmen- und Glaubensstreitigkeiten: »The superstition of the people was not embittered by any mixture of theological rancour; nor was it confined by the chains of any speculative system. The devout polytheist, though fondly attached to his national rites, admitted with implicit faith the different religions of the earth.« 81 In einer Anmerkung verbindet er Humes »Natural History« ironisch mit dem »Discours sur l’histoire universelle« des französischen Bischofs Bossuet als 78
Hume, Natural History, VIII, S. 335 f.: »The feeble apprehensions of men cannot be satisfied with conceiving their deity as a pure spirit and pefect intelligence; and yet their natural terrors keep them from imputing to him the least shadow of limitation and imperfection. They fluctuate between these opposite sentiments.« Vgl. Kreimendahl (2012a), S. 65. 79 Hume, Natural History, IX, S. 336 ff.: »For as each sect is positive that its own faith and worship are entirely acceptable to the deity, and as no one can conceive, that the same being should be pleased with different and opposite rites and principles; the several sects fall naturally into animosity, and mutually discharge on each other that sacred zeal and rancour, the most furious and implacable of all human passions.« (Zitat S. 337). 80 Hume, Natural History, XI u. XII, S. 341 u. 348 ff. 81 DF, II, Bd. 1, S. 56 f.
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charakteristischem Beispiel für eine intolerante Gesinnung und einseitig christliche Auslegung der Weltgeschichte: »The best commentary may be found in Mr. Hume’s Natural History of Religion, and the best contrast in Bossuet’s Universal History.« 82 Diese positive Kennzeichnung der traditionellen Kulte dient Gibbon in Kapitel XV (er erinnert ausdrücklich an seine frühere Darstellung 83) als Folie für die Schilderung der jüdisch-christlichen Fanatiker, sie macht den Kontrast zwischen den beiden intoleranten monotheistischen Systemen und dem grundsätzlich als tolerant beschriebenen Polytheismus besonders augenfällig. »An exclusive zeal for the truth of religion, and the unity of God, was as carefully inculcated in the new as in the ancient system: and whatever was now revealed to mankind concerning the nature and designs of the Supreme Being, was fitted to increase their reverence for that mysterious doctrine«, lautet das Urteil über die jüdischen und christlichen Monotheisten. 84 Seine Abqualifizierung des frühchristlichen Glaubenseifers verstärkt Gibbon, indem er als eine weitere Facette seiner Kritik Humes religionskritische Begriffe der Schwärmerei (»enthusiasm«) und des Aberglaubens (»superstition«) einbringt. Hume hatte diese Termini in dem bereits angesprochenen Aufsatz »Of Superstition and Enthusiasm« entwickelt, im Kontext seiner Analyse der englischen Religionskriege in der »History of England« dienten sie einer Kennzeichnung der verfeindeten religiösen Parteien in England. Die katholische Partei belegte Hume in diesem Zusammenhang mit dem Begriff des Aberglaubens, die radikalen protestantischen Sekten (wie beispielsweise die Independenten) charakterisierte er als schwärmerisch. 85 Beide Begrifflichkeiten Humes richten den Fokus auf die psychologisch begründete Entartung religiösen Verhaltens und verdeutlichen insbesondere dessen überwiegend negative soziale Folgen. 86 82
DF, II, Bd. 1, S. 57, Anm. 3. Zu Bossuet vgl. Sutcliffe (2003a), S. 234. DF, XV, Bd. 1, S. 447: »We have already described the religious harmony of the ancient world, and the facility with which the most different and even hostile nations embraced, or at least respected, each other’s superstitions.« 84 DF, XV, Bd. 1, S. 451. 85 Foster, S. 283 ff.; Paul H. Meyer: Voltaire and Hume as Historians: A Comparative Study of the Essai sur les mœurs and the History of England, Publications of the Modern Language Association of America 73 (1958), 51 – 68, hier S. 64. »Superstition« und »enthusiasm« wurden als feststehende Termini der aufklärerischen Religionskritik bereits vor Hume dazu verwendet, sittlich degenerierte Formen von Religion zu kennzeichnen; Foster, S. 276 ff. 86 Foster, S. 274 f.; Lothar Kreimendahl: Humes Kritik an den Schwärmern und das Problem der »wahren Religion« in seiner Philosophie, in: ders., »Die Kirche ist mir ein Greuel«. Studien zur Religionsphilosophie David Humes, Würzburg 2012, 71 – 91, im Folgenden zitiert als Kreimendahl (2012b), hier S. 74 f. Auf das Problem der »true religion« bei Hume, die als Gegenstück zu den beiden entarteten Formen der Religion fungiert, soll hier nicht eingegangen werden; vgl. dazu Kreimendahl (2012b), S. 80 ff. 83
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Schwärmerei gründet nach Hume auf einer Überschätzung der eigenen Person und dem Verlust einer realistischen Wirklichkeitseinschätzung. Die Vorstellung der Schwärmer, an keine materiellen Beschränkungen mehr gebunden zu sein, geht dabei einher mit der Illusion, in einer unmittelbaren Verbindung zu Gott zu stehen. 87 »Superstition« resultiert laut Hume hingegen aus der menschlichen Furcht vor dem Unbekannten: Der Abergläubische erwartet schreckenerregende Dinge, die durch die Vorstellungskraft ins Unermessliche gesteigert werden. 88 Beide Religionsformen vergleicht Hume in seinem Aufsatz hinsichtlich von drei weiter gefassten Charakteristika: Aufgrund der niedergedrückten Verfassung der Gläubigen fördere der Aberglauben eine Verehrung materieller Objekte, das Vollziehen bestimmter Zeremonien und eine zentrale Stellung der Priester als Vermittler zwischen der Kirchengemeinde und Gott. Umgekehrt behindere die Schwärmerei die Entstehung eines sozial abgegrenzten und einflussreichen Klerus, weil sich Schwärmer selbst als Adressaten der göttlichen Inspiration fühlten, eine vermittelnde Funktion der Priester somit überflüssig würde. Schwärmerei verhindere damit, so Hume, eine Form der geistlichen Tyrannei, wie sie exemplarisch die strenge Kirchenhierarchie der katholischen Kirche verkörpere. 89 Bezüglich des jeweiligen Gewaltpotentials stuft Hume die Schwärmerei in ihrer Frühphase zwar als weitaus aggressiver ein und hebt ihre gesellschaftlich zerrüttende Wirkung hervor, geht jedoch auch von einer raschen Abflachung des Gewaltniveaus aus. Abergläubisch verfasste Religionen zeigten sich laut Hume demgegenüber zuerst weniger aggressiv, übten jedoch eine langanhaltende indirekte Form geistlicher und moralischer Unterwerfung aus. 90 Damit zusammenhängend kommt Hume zu seiner dritten Schlussfolgerung, dass der Aberglaube die Entwicklung und Geltung bürgerlicher Freiheiten behindere, während die Schwärmerei – in einer positiven Konsequenz – zu einer Stärkung dieser Freiheiten beitrage. 91 Der Rekurs auf Humes Termini der Schwärmerei und des Aberglaubens durchzieht die kirchengeschichtlichen Passagen von Gibbons Werk, beide Begriffe werden von ihm auf unterschiedlichste Personen und Phänomene der Kirchen87
Hume, Of Superstition, S. 145: »In such a state of mind, the imagination swells with great, but confused conceptions, to which no sublunary beauties or enjoyments can correspond. [. . . ] And a full range is given to the fancy in the invisible regions or world of spirits, where the soul is at liberty to indulge itself in every imagination, which may best suit its present taste and disposition.« 88 Hume, Of Superstition, S. 144: »In such a state of mind, infinite unknown evils are dreaded from unknown agents; and where real objects of terror are wanting, the soul, active to its own prejudice, and fostering its predominant inclination, finds imaginary ones, to whose power and malevolence it sets no limits.« 89 Hume, Of Superstition, S. 145 ff. 90 Hume, Of Superstition, S. 148 f. 91 Hume, Of Superstition, S. 149 f. Vgl. Meyer, S. 54.
Fanatiker, Schwärmer und die christliche Dämonenangst
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geschichte angewendet. Inwieweit Gibbon jeweils den Bedeutungsgehalt eines Begriffs übernimmt oder einzelne Komponenten herausgreift, variiert und abwandelt, wechselt von Stelle zu Stelle. 92 Einzelne Charakteristika der Schwärmer (Selbstüberschätzung, Bewusstsein einer direkten Verbindung zu Gott, hohe Gewaltbereitschaft) passen sehr gut zu der aus Humes »Natural History« entlehnten Theorie der intoleranten Monotheisten und verstärken in Kapitel XV das Bild der frühen Christen als einer abgekapselten, latent aggressiven Glaubensgemeinschaft. Das christliche Selbstverständnis, als einzige Religion einen Zugang zur göttlichen Wahrheit zu besitzen, erscheint so in Gibbons Darstellung als stark schwärmerisch inspiriert: »The promise of divine favour, instead of being partially confined to the posterity of Abraham, was universally proposed to the freeman and the slave, to the Greek and to the barbarian, to the Jew and to the Gentile. Every privilege that could raise the proselyte from earth to Heaven, that could exalt his devotion, secure his happiness, or even gratify that secret pride, which, under the semblance of devotion, insinuates itself into the human heart, was still reserved for the members of the Christian church [. . . ].« 93 Da Gibbon Humes Begriffspaar in freier Art und Weise verwendet, wird es möglich, bei den frühen Christen neben schwärmerischen Zügen auch Charakteristika des Aberglaubens auszumachen. Die christliche Angst vor Dämonen, die Gibbon an einer etwas späteren Stelle als Begleiterscheinung des fanatischen Glaubenseifers bespricht, erinnert in den übersteigerten Phantasien und der unterwürfigen Haltung der Betroffenen deutlich an Humes Entwurf des Aberglaubens. »But the established religions of Paganism were seen by the primitive Christians in a much more odious and formidable light. It was the universal sentiment both of the church and of heretics, that the dæmons were the authors, the patrons, and the objects of idolatry. [. . . ] The dæmons soon discovered and abused the natural propensity of the human heart towards devotion, and, artfully withdrawing the adoration of mankind from their Creator, they usurped the place and honours of the Supreme Deity.« 94 Einen freien Rekurs auf Humes Kategorie des Aberglaubens ergänzt Gibbon hier durch eine ironische Nachzeichnung der christlichen Dämonenlehre, nach der die Dämonen Urheber der Götterwelt der klassischen Mythologie waren. Seine entsprechende Darlegung kann Gibbon durch das Zeugnis mehrerer Kirchenväter, darunter Tertullian, stützen: »Tertullian alleges the confession of the Dæmons themselves as often as they were tormented by the Christian exorcists.« 95 Ge92
Zu Gibbons Rezeption von Humes Begriffen vgl. Pocock (1982), S. 83 f. DF, XV, Bd. 1, S. 451. 94 DF, XV, Bd. 1, S. 459. 95 DF, XV, Bd. 1, S. 460, Anm. 39; Tertullian, Apologetikum 23: »Oder wenn die Engel und Dämonen dasselbe bewirken wie eure Götter, wo bleibt dann der Vorzug der Gottheit, 93
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schickt setzt Gibbons Argumentation die angeblich von den Dämonen betriebene polytheistische Götterwelt in Analogie zur christlichen Religion und verwischt damit eine klare Abgrenzung beider Glaubensformen: »[The dæmons] lurked in the temples, instituted festivals and sacrifices, invented fables, pronounced oracles, and were frequently allowed to perform miracles. The Christians, who, by the interposition of evil spirits, could so readily explain every praeternatural appearance, were disposed and even desirous to admit the most extravagant fictions of the Pagan mythology.« 96 Die hier aufgezählten Details der heidnischen Kulte, die von den antiken Christen als reale Ausdrucksformen der Dämonen angesehen und gefürchtet wurden, erinnern stark an die christliche Religionsausübung. Indirekt unterstellt die Darstellung deshalb auch, dass bestimmte »übernatürliche« Aspekte des Christentums (wie Prophezeiungen oder Wunder) auf einer vergleichbaren Täuschung der Gläubigen beruhten. Indem Gibbon Humes Kategorie des Aberglaubens auf die frühen Christen überträgt und gleichzeitig ein Verwirrspiel rund um die christliche Dämonenlehre entwickelt, brandmarkt er die christlichen Gläubigen als leichtgläubig und irrational. Da die traditionelle Religion das politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben im Römischen Reich nachhaltig prägte, habe sich der christliche Glaubenseifer mit seiner Dämonenangst auch sehr negativ auf die soziale Integration der Christen ausgewirkt, lautet ein weiterer Vorwurf Gibbons, der etwas später während der Erörterung der christlichen Tugend (der vierten »natürlichen« Ursache) wieder aufgegriffen wird. Denn politische Zeremonien, familiäre Bräuche und andere Rituale des zwischenmenschlichen Umgangs, die Ausübung der Künste und des Handels waren, wie Gibbon vorführen kann, mit einer Vielzahl heidnischer Ausdrucksformen verbunden. 97 Umgekehrt verstärkte der Protest gegen die Dämonen nach Gibbon den Fanatismus und Gruppenzusammenhalt der Christen: »By these frequent protestations their [the Christians’] attachment to the faith was continually fortified, and in proportion to the increase of zeal, they combated with the more ardour and success in the holy war, which they die man doch schlechterdings für erhabener als jegliche andere Macht halten muss? Würde die Vorstellung, sie selbst seien es, die sich zu Göttern machen, indem sie gerade die Dinge tun, welche den Glauben an Götter hervorrufen, nicht würdiger sein, als zu glauben, dass die Götter den Engeln und Dämonen gleich seien.« In Anmerkung 38 verweist Gibbon zusätzlich auf Justin den Märtyrer, Athenagoras und Laktanz. 96 DF, XV, Bd. 1, S. 460. 97 DF, XV, Bd. 1, S. 460 ff.: »The religion of the nations was not merely a speculative doctrine professed in the schools or preached in the temples. The innumerable deities and rites of polytheism were closely interwoven with every circumstance of business or pleasure, of public or of private life; and it seemed impossible to escape the observance of them, without, at the same time, renouncing the commerce of mankind, and all the offices and amusements of society.« (Zitat S. 460).
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had undertaken against the empire of the dæmons.« 98 Mit dieser Stilisierung der frühen Christen als Glaubenskämpfer in einem »Heiligen Krieg« gegen Dämonen und heidnische Götter wird erneut das aggressive Potential der Kirche herausgestellt und die Idee einer friedliebenden »Urkirche« ad absurdum geführt.
2.3 Jenseitsglaube und christliche Moralvorstellungen Gibbons Besprechung der zweiten »natürlichen« Ursache für den Triumph des Christentums, die Idee von einer unsterblichen Seele und einem göttlichen Endgericht über alle Menschen, nimmt insbesondere die sozialen Auswirkungen dieser Lehre kritisch in den Blick. Die Vorstellung, dass Gott die positiven und negativen Taten eines Menschen nach dem Tod vergelten werde, galt vielen christlichen Theologen als unabdingbar für ein sittliches Leben im Diesseits. Ein Fehlen dieser Überzeugung stellte häufig (u. a. bei Pierre Bayle) ein Kriterium dafür dar, ob eine abweichende religiöse Position als atheistisch eingestuft wurde. 99 Zum Auftakt seiner Erörterung stellt Gibbon dem christlichen Jenseitsglauben als positiven Gegenentwurf die Philosophie Ciceros gegenüber. Wie andere antike Philosophen habe Cicero in der Frage nach der Unsterblichkeit der Seele ausdrücklich eine skeptische Haltung eingenommen: »The writings of Cicero represent in the most lively colours the ignorance, the errors, and the uncertainty of the ancient philosophers with regard to the immortality of the soul.« 100 Ciceros Persönlichkeit und philosophische Grundhaltung wurden von vielen Aufklärern, u. a. von den englischen Deisten, sehr positiv bewertet. 101 Seine skeptische Metaphysik dient Gibbon hier als Beispiel einer rationalen, im positiven Sinn philosophischen Einstellung, der gegenüber die christliche Unsterblichkeitslehre wie auch die ihr zugrunde liegende neuplatonische Philosophie als widervernünftig und absurd erscheinen. 102 Einzelne Argumente Gibbons gegen die Unsterblichkeitslehre erinnern erneut an religionskritische Überlegungen Humes (relevant ist hier der Aufsatz »Of a 98
DF, XV, Bd. 1, S. 463. Christopher Brooke: How the Stoics Became Atheists, The Historical Journal 49 (2006), 387 – 402, hier S. 392 u. S. 398 f. 100 DF, XV, Bd. 1, S. 463. In Anmerkung 51 bezieht Gibbon sich u. a. auf Ciceros »Gespräche in Tusculum«, »Über das Alter« und »Somnium Scipionis«. 101 Günter Gawlick: Cicero and the Enlightenment, Studies on Voltaire and the Eighteenth Century 25 (1963), 657 – 682, hier S. 658 ff. 102 Zu Gibbons Ablehnung der neuplatonischen Philosophie insgesamt vgl. Pocock (1990), S. 353 ff. 99
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Die Charakterisierung des frühen Christentums
Particular Providence and a Future State«) 103, wiederum findet keine detailgetreue Rezeption statt. Analog zu Hume führt Gibbon beispielsweise den Ursprung der christlichen Doktrin auf die sehr kritisch beurteilte neuplatonische Philosophie zurück. Dabei übernimmt er auch einen von Hume geäußerten Seitenhieb gegen die übersteigerte Einbildungskraft und Eitelkeit der neuplatonischen Philosophen: »Yet there were a few sages of Greece and Rome who had conceived a more exalted, and, in some respects, a juster idea of human nature; though it must be confessed, that, in the sublime inquiry, their reason had been often guided by their imagination, and that their imagination had been prompted by their vanity.« 104 Neben dem Rekurs auf Hume eröffnet Gibbon weitere Diskussionszusammenhänge, die hier nur auszugsweise betrachtet werden können. Eine antiklerikale Wendung schlägt er ein, wenn die Etablierung dieser Lehre u. a. bei den Ägyptern oder Galliern mit dem Eigeninteresse einer professionellen Schicht von Priestern in Verbindung gebracht wird, da sich für diese barbarischen Völker kein überlegener Wissensstand ausmachen lasse. »The important truth of the immortality of the soul was inculcated with more diligence as well as success in India, in Assyria, in Egypt, and in Gaul; and since we cannot attribute such a difference to the superior knowledge of the barbarians, we must ascribe it to the influence of an established priesthood, which employed the motives of virtue as the instrument of ambition.« 105 Indem in diesem Beispiel die Unsterblichkeitslehre mit dem barbarischen Kulturzustand ihrer Anhänger kontrastiert und auf eigennützige Motive des Klerus zurückgeführt wird, erscheint eine göttliche Stiftung dieser Doktrin mehr als fragwürdig. Darüber hinaus geht Gibbon der provokativen Frage nach, wie es erklärt werden könne, dass im Alten Testament ein Leben nach dem Tod nicht explizit erwähnt wird. »We might naturally expect, that a principle so essential to religion, would have been revealed in the clearest terms to the chosen people of Palestine, and that it might safely have been intrusted to the hereditary priesthood of Aaron. It is incumbent on us to adore the mysterious dispensations of Providence, when 103
Vgl. Foster, S. 140 ff.; David Hume: Of a Particular Providence and a Future State, in: ders., The Philosophical Works, hg. v. Thomas H. Green u. Thomas H. Grose, Bd. 4, (London 1886), Nachdruck 2. Aufl., Aalen 1992, 109 – 122. Humes Aufsatz »Of the Immortality of the Soul« wurde erst 1777 posthum veröffentlicht und war Gibbon zum Zeitpunkt der Abfassung des ersten Bandes vermutlich nicht bekannt. 104 DF, XV, Bd. 1, S. 463; Hume, Of a Particular Providence, S. 116: »But what must a philosopher think of those vain reasoners, who, instead of regarding the present scene of things as the sole object of their contemplation, so far reverse the whole course of nature, as to render this life merely a passage to something farther [. . . ]? Whence, do you think, can such philosophers derive their idea of the gods? From their own conceit and imagination surely.« 105 DF, XV, Bd. 1, S. 465.
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we discover, that the doctrine of the immortality of the soul is omitted in the law of Moses [. . . ].« 106 Dieses Problem hatte auch der anglikanische Theologe William Warburton, auf den Gibbon in einer Fußnote hinweist, in seiner Schrift »The Divine Legation of Moses Demonstrated« (1738/41) diskutiert. 107 Warburton hatte in seiner gegen Deisten und andere »freethinker« gerichteten Abhandlung den Status des mosaischen Gesetzes verteidigt: Da das jüdische Volk des Alten Testaments laut Warburton so unbeständig im Glauben war, dass die göttliche Vorsehung permanent unterstützend oder strafend in den Alltag eingreifen musste, war eine Perspektive der Belohnung oder Bestrafung in einem Leben nach dem Tod überflüssig. 108 Diese das Judentum herabsetzende Idee fügt sich gut in Gibbons Darlegung und dient hier in einer Kehrtwende von Warburtons übergreifender Argumentation dazu, einen wichtigen Glaubenssatz des Christentums zu verunglimpfen. Die Diskussion anderer chiliastischer Ideen des frühen Christentums wie der Erwartung, das Ende der Welt und Jesu Rückkehr auf die Erde würden unmittelbar bevorstehen, unterstreicht die Irrationalität der frühchristlichen Mentalität. 109 Wie abwegig derartige Vorstellungen auf spätere Betrachter wirkten, wird im Text u. a. dadurch hervorgehoben, dass als eine besonders stark ausgeschmückte Variante der christlichen Parusieerwartung Irenäus’ Schilderung des »Neuen Jerusalems« präsentiert wird. 110 Gibbon kann auch konstatieren, dass die Idee, Jesus werde auf die Erde zurückkehren und ein tausendjähriges Reich errichten, von der Kirche selbst später als häretisch verworfen wurde. »But when the edifice of the church was almost completed, the temporary support was laid aside. The doctrine of Christ’s reign upon earth, was at first treated as a profound allegory, 106
DF, XV, Bd. 1, S. 465. DF, XV, Bd. 1, S. 465, Anm. 57: »The right reverend author of the Divine Legation of Moses assigns a very curious reason for the omission, and most ingeniously retorts it on the unbelievers.« 108 Christoph Schmitt: Warburton, William, Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 13 (1998); Brian W. Young: Religion and Enlightenment in Eighteenth-Century England. Theological Debate from Locke to Burke, Oxford 1998, im Folgenden zitiert als Young (1998b), S. 178 f. 109 DF, XV, Bd. 1, S. 466 f.: »In the primitive church, the influence of truth was very powerfully strengthened by an opinion, which, however it may deserve respect for its usefulness and antiquity, has not been found agreeable to experience. It was universally believed, that the end of the world, and the kingdom of Heaven, were at hand.« – Die Hoffnung, Jesu Rückkehr auf die Erde stehe in naher Zukunft bevor, wird in verschiedenen Büchern des Neuen Testaments thematisiert und verband sich mit der Vorstellung eines göttlichen Gerichts über alle Menschen; Walter Radl: »Parusie. I. Biblisch-theologisch«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 7 (1998). 110 DF, XV, Bd. 1, S. 468, Anm. 63: »One of the grossest images may be found in Irenæus [. . . ].«; Irenäus, Gegen die Häresien 5, 33, 3. 107
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was considered by degrees as a doubtful and useless opinion, and was at length rejected as the absurd invention of heresy and fanaticism.« 111 Die christliche Überzeugung, alle Heiden seien nach dem Jüngsten Gericht dem Schicksal ewiger Verdammnis ausgesetzt, kritisiert Gibbon als unmenschlich und irrational: »The condemnation of the wisest and most virtuous of the Pagans, on account of their ignorance or disbelief of the divine truth seems to offend the reason and the humanity of the present age. But the primitive church, whose faith was of a much firmer consistence, delivered over, without hesitation, to eternal torture, the far greater part of the human species.« 112 Relativiert Gibbon hier im Haupttext seine Aussage noch ein Stück weit, indem er zwischen dem fanatischen frühen Christentum und der Kirche der eigenen Gegenwart differenziert, macht die entsprechende Anmerkung in einer Spitze gegen die zeitgenössische anglikanische Kirche deutlich, dass dort, wie in anderen Kirchen, immer noch Toleranzdefizite zu beklagen sind. 113 Ironisch kontrastiert Gibbon in diesem Kontext das christliche Ideal der Nächstenliebe mit der Intoleranz der Kirche gegenüber allen Andersgläubigen: »These rigid sentiments, which had been unknown to the ancient world, appear to have infused a spirit of bitterness into a system of love and harmony.« 114 Die inhumanen Züge des frühen Christentums werden dann ausgerechnet mithilfe eines Zitats aus einer Schrift von Tertullian demonstriert – Gibbons bevorzugter Quelle für die Illustrierung frühchristlicher Glaubensstrenge und Antisozialität. Dramaturgisch geschickt bricht Gibbon Tertullians Rede mit dem Hinweis ab, diese Auslassungen könnten dem Leser aufgrund ihrer unmenschlichen Einfärbung nicht weiter zugemutet werden. »But the humanity of the reader will permit me to draw a veil over the rest of this infernal description, which the zealous African pursues in a long variety of affected and unfeeling witticisms.« 115 Ein vergleichbares Vorgehen zeigte sich bereits bei der Diskussion der christlichen Dämonenangst: Wie befremdlich die Abkapselung der frühen Christen auf ihre Umwelt wirkte, führte Gibbon vor, indem er sich in diesem Zusammenhang mehrfach auf den für seine Rigidität bekannten Tertullian berief. 116 Tertullian,
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DF, XV, Bd. 1, S. 468. DF, XV, Bd. 1, S. 470. 113 DF, XV, Bd. 1, S. 470, Anm. 70. Zur Funktion von Gibbons Fußnoten vgl. Cosgrove (1991), S. 143 f. 114 DF, XV, Bd. 1, S. 470. 115 DF, XV, Bd. 1, S. 471; Tertullian, Über die Schauspiele 30. 116 Z. B. DF, XV, Bd. 1, S. 460, Anm. 40: »Tertullian has written a most severe treatise against idolatry, to caution his brethren against the hourly danger of incurring that guilt.« Ähnliche Verweise auf Tertullian finden sich in Anmerkung 42, 46, 48 u. 50. 112
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den Gibbon u. a. als »the zealous African« 117, »severe reformer« 118 und »the stern Tertullian« 119 charakterisiert, erscheint als besonders geeigneter Gewährsmann, um plakativ die christliche Glaubensstrenge zu entlarven. Zeitgenössische Kritiker hielten Gibbon deswegen vor, Tertullian könne wegen seiner unnachgiebigen Einstellung und des späteren Übertritts zum Montanismus nicht als repräsentativ für die allgemeine Haltung der frühen Kirche gelten. 120 Derartige Vorwürfe scheinen Gibbon nicht ganz unberührt gelassen zu haben. Wie Womersley nachgewiesen hat, verstärkte Gibbon seine Argumentation an der oben zitierten Stelle für die 1777 erschienene dritte Auflage des ersten Bandes durch eine längere Fußnote, die den Leser auf Tertullians herausragende Stellung in der Kirche aufmerksam macht. »In order to ascertain the degree of authority which the zealous African had acquired, it may be sufficient to allege the testimony of Cyprian, the doctor and guide of all the western churches. As often as he applied himself to his daily study of the writings of Tertullian, he was accustomed to say: ›Da mihi magistrum; Give me my master.‹« 121 Dass viele Heiden Angst vor den drohenden Qualen in der christlichen Hölle empfanden, funktionierte nach Gibbon wiederum als Motor der Glaubensausbreitung, weil so neue Konversionen zum Christentum stimuliert wurden. »The careless Polytheist, assailed by new and unexpected terrors, against which neither his priests nor his philosophers could afford him any certain protection, was very frequently terrified and subdued by the menace of eternal tortures.« 122 Die vorbildliche Moral der ersten Christen, Gibbons vierte »natürliche« Ursache in Kapitel XV, war ein zentraler Bestandteil apologetischer Schriften und wurde als ein wichtiger Beweis für den göttlichen Ursprung des eigenen Glaubens gewertet. 123 Wie brisant eine kritische Abhandlung dieses Themas war, wusste Gibbon natürlich. Vordergründig nimmt er deshalb eine betont unterwürfige Hal117
DF, XV, Bd. 1, S. 471, Anm. 72. Zu Gibbons Charakterisierung seiner Quellen vgl. Garrison (1978), S. 166 ff.; Nippel (2003), S. 75. 118 DF, XV, Bd. 1, S. 460, Anm. 42: »This severe reformer shews no more indulgence to a tragedy of Euripides, than to a combat of gladiators.« Gibbon bezieht sich hier auf Tertullians Schrift »Über die Schauspiele«. 119 DF, XV, Bd. 1, S. 471. 120 Z. B. Chelsum, Remarks on the Two Last Chapters of Mr. Gibbon’s History, 2. Aufl. (Oxford 1778), S. 63 f.: »It may not be improper to remark that ›the vehement Tertullian‹ is here the only evidence appealed to. Nor is it on this occasion only, but on many others also that he is brought forward to view, as if we were to consider him as our Author’s favourite witness.« Vgl. McCloy, S. 60 f. In der »Vindication« rechtfertigt Gibbon seinen Rückgriff auf Tertullian u. a. mit dem Hinweis, er habe nur diejenigen Schriften Tertullians berücksichtigt, die vor dem Übertritt zum Montanismus entstanden; Vindication, DF, Bd. 3, S. 1125 f. 121 DF, XV, Bd. 1, S. 471, Anm. 72; Womersley (2002), S. 34. 122 DF, XV, Bd. 1, S. 471. 123 Wootton (1997), S. 222 f.; Womersley (1988a), S. 117.
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tung ein und präsentiert den Fokus seiner Untersuchung erneut als rein ergänzend zum Bereich der Theologie. »As it is my intention to remark only such human causes as were permitted to second the influence of revelation, I shall slightly mention two motives which might naturally render the lives of the primitive Christians much purer and more austere than those of their Pagan contemporaries, or their degenerate successors [. . . ].« 124 Die beiden hier erwähnten pragmatischen Erklärungen erweisen sich dann schnell als überaus despektierlich für die Kirche. Gibbons erste Erklärung, in der die Tugendhaftigkeit der frühen Christen auf das Bedürfnis zurückgeführt wird, Buße für begangene Sünden zu leisten, rekurriert auf einen bereits in der Antike gegen die Christen erhobenen Vorwurf. Von heidnischen Kontrahenten des Christentums wie dem Platoniker Celsus kann Gibbon den Einwand übernehmen, die christliche Religion habe eine besondere Attraktivität für Kriminelle besessen und zahlreiche Straftäter angezogen, da die mit der Konversion verbundene Sündenvergebung für diese Personengruppe ein probates Mittel darstellte, sich von ihren Vergehen reinzuwaschen. »It is a very ancient reproach, suggested by the ignorance or the malice of infidelity, that the Christians allured into their party the most atrocious criminals, who, as soon as they were touched by a sense of remorse, were easily persuaded to wash away, in the water of baptism, the guilt of their past conduct, for which the temples of the gods refused to grant them any expiation But this reproach, when it is cleared from misrepresentation, contributes as much to the honour as it did to the increase of the church.« 125 Auch hier erwecken Gibbons Formulierungen den Anschein, lediglich einen Einwand antiker Kritiker wiederzugeben, ohne dieser Kritik definitiv beizupflichten. Gleichwohl legt die weitere Argumentation nahe, dass zum einen die antichristlichen Vorwürfe als glaubwürdig erachtet, zum anderen aber auch die exzessive Tugendhaftigkeit der neu zum Christentum Konvertierten bei einer genaueren Betrachtung als ausgesprochen gefährlich bewertet werden muss. Ein derartiger Rückgriff auf antike Widerlegungen des Christentums entspricht einem Trend der Kirchenkritik des 17. und 18. Jahrhunderts, die antichristlichen Argumente heidnischer Autoren wie Celsus, Porphyrius oder Julian 124
DF, XV, Bd. 1, S. 475 f. DF, XV, Bd. 1, S. 476 (in Anmerkung 83 verweist Gibbon auf Celsus und Julian »Apostata«); Origenes, Gegen Celsus 3, 65: »Celsus glaubt aber, ›daß wir solche Ermahnungen an die Sünder richteten, um sie zu bekehren, weil wir nicht imstande wären, einen wirklich braven und rechtschaffenen Menschen zu gewinnen‹, und daß wir deswegen ›den ruchlosesten und verworfensten Leuten die Tore öffneten‹.« Celsus’ Schrift »Wahres Wort« entstand um das Jahr 180 und ist nur fragmentarisch in der Replik des Kirchenvaters Origenes (»Contra Celsum«) überliefert; Winfried Schröder: Die Wiederkehr der Verfemten. Zur Rezeption von Kelsos, Porphyrios und Julian in der Aufklärung, Aufklärung 21 (2009), 29 – 50, hier S. 31. 125
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»Apostata« inspirierten unterschiedliche Denker, u. a. auch Voltaire. 126 Aufgrund ihrer verwickelten Überlieferungsgeschichte waren diese Texte allerdings nicht durchgängig bekannt, so dass ihr Einfluss auf die Religionskritik der Aufklärung auch nicht überschätzt werden sollte. Berücksichtigt werden muss zudem, dass der neuplatonische Hintergrund dieser Texte in deutlichem Kontrast zu der rationalistischen Zielsetzung der Aufklärer stand. Trotz der genannten Einschränkungen bildeten sie eine Fundgrube für alle Kritiker der Kirche. 127 Die zweite von Gibbon vorgetragene Erklärung für die außergewöhnliche Moral der frühen Christen, der Gruppenzwang innerhalb der Gemeinden aufgrund ihrer bedrängten und isolierten Lage, kennzeichnet das Christentum als »Staat im Staate« und unterstreicht damit das Bedrohungspotential der Kirche. 128 Ihren negativen Höhepunkt erreichte die christliche Tugend nach Gibbon in der rigiden Moralität der Kirchenväter, die als allen natürlichen und sozialen Regungen des Menschen zuwiderlaufend dargestellt wird. »Ambitious to exalt the perfection of the gospel above the wisdom of philosophy, the zealous fathers have carried the duties of self-mortification, of purity, and of patience, to a height which it is scarcely possible to attain, and much less to preserve, in our present state of weakness and corruption. A doctrine so extraordinary and so sublime must inevitably command the veneration of the people; but it was ill calculated to obtain the suffrage of those worldly philosophers, who, in the conduct of this transitory life, consult only the feelings of nature and the interest of society.« 129 Mit seiner Ablehnung dieser Form von Moral konnte Gibbon an eine Tradition frühneuzeitlicher Kritik an den Kirchenvätern anschließen, wie sie u. a. in den Arbeiten des hugenottischen Theologen und Theoretikers des Naturrechts Jean Barbeyrac (1674 – 1744) zum Ausdruck kam. Barbeyracs »Traité de la morale des pères de l’Eglise« von 1728, auf den sich Gibbon in mehreren Anmerkungen bezieht, wird als »a very judicious treatise« gewürdigt. 130 Barbeyrac hatte in seinem Traktat den Kirchenvätern jegliche Vorbildfunktion in moralischen Fragen abgesprochen und die von ihnen vertretenen Moralprinzipien als widernatürlich und unsinnig kritisiert. 131 126
Schröder (2009), S. 47; Wolfram Kinzig: Polemics Reheated? The Reception of Ancient Anti-Christian Writings in the Enlightenment, Zeitschrift für Antikes Christentum 13 (2009), 316 – 350, hier S. 349 f. 127 Schröder (2009), S. 34 f. u. 47. 128 DF, XV, Bd. 1, S. 476 f. 129 DF, XV, Bd. 1, S. 477 f. 130 DF, XV, Bd. 1, S. 478, Anm. 87. Weitere Verweise auf Barbeyrac finden sich ebd., S. 480, Anm. 93 u. S. 481, Anm. 100. 131 Sandra Pott: Reformierte Morallehren und deutsche Literatur von Jean Barbeyrac bis Christoph Martin Wieland, Tübingen 2002, S. 66 ff.; Joris van Eijnatten: The Church Fathers Assessed. Nature, Bible and Morality in Jean Barbeyrac, Amsterdam 2003, abrufbar über das
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Seine Kritik verstärkt Gibbon in diesem Punkt durch den Rückgriff auf ein Begriffspaar aus Humes Ethik: Die von Hume in der »Enquiry concerning the Principles of Morals« entwickelten Kategorien des Angenehmen und des Nützlichen werden bei Gibbon als »love of pleasure« und »love of action« eingeführt und bilden das Gerüst für eine durchgängig kritische Beurteilung der frühchristlichen Moral. »The insensible and inactive disposition, which should be supposed alike destitute of both, would be rejected, by the common consent of mankind, as utterly incapable of procuring any happiness to the individual, or any public benefit to the world. But it was not in this world that the primitive Christians were desirous of making themselves either agreeable or useful.« 132 An dieser Stelle macht die Darstellung zusätzlich einen negativen Zusammenhang zwischen christlicher Moral und Unsterblichkeitslehre auf: Der Jenseitsglaube absorbierte nach Gibbon alle in Humes Sinn positiven Energien der Christen, so dass diese eine passive weltabgewandte Einstellung zeigten und keinen Beitrag zum öffentlichen Leben mehr leisteten. In der extremen Tugend der Kirchenväter deutet sich in Gibbons Analyse bereits die Ausbildung des Mönchtums an (das ausführlich in Kapitel XXXVII seines Werks besprochen wird): »Such are the early traces of monastic principles and institutions, which, in a subsequent age, have counterbalanced all the temporal advantages of Christianity.« 133 Die spätere Untersuchung des Mönchtums läuft dann auf die Quintessenz hinaus, dass die mönchische Lebensweise mit einer Zerstörung aller im moralischen Sinn positiv zu wertenden Eigenschaften verbunden sei. 134 Das Thema Kirchenväter und Keuschheitsideal bietet Gibbon auch eine willkommene Gelegenheit, sich über die christliche Sexualmoral lustig zu machen und eine Reihe von anzüglichen Anspielungen und Anekdoten einzubringen. 135 Zu diesem Zweck übernimmt er beispielsweise aus Isaac de Beausobres »Histoire critique de Manichée et du Manichéisme« eine Schilderung der von den Kirchenvätern digitale Repositorium der Frije Universiteit Amsterdam unter http://dare . ubvu . vu . nl / bitstream / 1871 / 10569 / 1 / Barbeyrac _ Fathers.pdf, S. 6 ff. 132 DF, XV, Bd. 1, S. 478; David Hume: An Enquiry concerning the Principles of Morals, hg. v. Tom L. Beauchamp, Oxford 1998, 9, 1, S. 72. Vgl. Foster, S. 204 ff. 133 DF, XV, Bd. 1, S. 481. 134 Z. B. DF, XXXVII, Bd. 2, S. 419: »The freedom of the mind, the source of every generous and rational sentiment, was destroyed by the habits of credulity and submission; and the monk, contracting the vices of a slave, devoutly followed the faith and passions of his ecclesiastical tyrant.« Vgl. Nippel (2003), S. 71 f.; Leslie W. Barnard: Two Eighteenth Century Views of Monasticism. Joseph Bingham and Edward Gibbon, in: Judith Loades (Hg.), Monastic Studies. The Continuity of Tradition, Bangor 1990, 283 – 291, hier S. 286 ff. 135 Vgl. Nippel (2003), S. 89 ff.; Brian W. Young: Gibbon on Sex, Textual Practice 11 (1997), 517 – 537, hier S. 528 f.
Jenseitsglaube und christliche Moralvorstellungen
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favorisierten Art der Fortpflanzung, in der die Naivität der Kirchenväter ironisiert wird. »It was their [the fathers’] favourite opinion, that if Adam had preserved his obedience to the Creator, he would have lived for ever in a state of virgin purity, and that some harmless mode of vegetation might have peopled paradise with a race of innocent and immortal beings.« 136 Als ausgesprochen schädlich beurteilt Gibbon die gesellschaftliche Selbstausgrenzung der Christen und ihre Weigerung, staatliche und militärische Ämter zu übernehmen. Die Verwerflichkeit dieser Haltung kann Gibbon erneut durch ein Argument des antiken Kritikers Celsus belegen, der den Christen ihre Zurückhaltung in allen öffentlichen Angelegenheiten vorgehalten hatte und durch dieses Verhalten den Fortbestand des Reiches bedroht sah. »This indolent, or even criminal disregard to the public welfare, exposed them to the contempt and reproaches of the Pagans, who very frequently asked, what must be the fate of the empire, attacked on every side by the barbarians, if all mankind should adopt the pusillanimous sentiments of the new sect?« 137 Auch hier schafft es Gibbon, durch die Präsentation eines heidnischen Arguments Kritik an der Kirche zu übermitteln, ohne selbst offen als Kritiker aufzutreten. Am Ende hat Gibbons Besprechung den Gehalt der christlichen Morallehre als negativ erwiesen und anschaulich ihre gefährlichen sozialen Auswirkungen demonstriert. Wenn in Bezug auf die frühen Christen von Tugendhaftigkeit eigentlich nicht mehr gesprochen werden kann, ist in der Folge auch ein wichtiger Stützpfeiler theologischer Glaubensrechtfertigungen beschädigt. Für die im Vorangegangenen betrachtete Diskussion des jüdisch-christlichen Glaubenseifers, der Unsterblichkeitslehre und der Moral des frühen Christen136
DF, XV, Bd. 1, S. 479 f. mit Anm. 91; Beausobre, Histoire critique, VII, III, XVII, Bd. 2, S. 465: »Cette difficulté, qui semble suffire toute seule pour montrer l’absurdité du Systême Manichéen, n’auroit pourtant fait aucune peine à notre Hérésiarque. Il auroit répondu, à l’exemple de plusieurs Peres, que si Adam & Eve ne s’étoient pas abaissez à l’indigne moyen dont ils se servirent pour se procurer des Enfans, ils en auroient eu par une voye incomparablement plus noble & plus pure: Semblables alors aux Intelligences célestes, qui n’ont point de sexe, mais qui ne laissent pas d’avoir la fécondité, ils auroient vu naître d’eux une Race innocente & immortelle, au lieu que la Génération ne produit rien que de vicieux & de mortel.« Gibbons BeausobreRezeption wird ausführlich in Kapitel 6.1 besprochen. 137 DF, XV, Bd. 1, S. 482. In Anmerkung 103 würdigt Gibbon Celsus’ Darlegung und bringt einen Seitenhieb gegen den Kirchenvater Origenes als dem Übermittler dieser Argumente an: »As well as we can judge from the mutilated representation of Origen, his adversary, Celsus, had urged his objection with great force and candour.«; z. B. Origenes, Gegen Celsus 8, 69: »Ohne zu merken, daß seine Worte mit dem Satze: ›Handelten nämlich alle so wie du‹ in Widerspruch stehen, fährt Celsus fort: ›Das wirst du doch nicht behaupten wollen, daß, wenn die Römer dir Glauben schenkten und ihren den Göttern und Menschen gegenüber herkömmlichen Bräuchen entsagten und dann deinen ›Höchsten‹, oder wen du auch willst, anriefen, daß er dann vom Himmel herabsteigen und für sie streiten würde, so daß sie keine andere Hilfe mehr brauchten.‹.« Vgl. Robert L. Wilken: The Christians as the Romans Saw Them, New Haven u. a. 1984, S. 117 f.
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tums in Kapitel XV lässt sich zusammenfassend festhalten, dass Gibbon eine Reihe von Ideen und Argumentationsmustern aus dem Arsenal der aufklärerischen Kirchenkritik aufgreift, wichtige Bestandteile seiner Darlegung liefern die hier im Detail betrachteten Arbeiten von Voltaire und Hume. Vorgefundenes Gedankengut modifiziert Gibbon dabei häufig, bringt es mit antiken Quellen in Verbindung oder kombiniert unterschiedliche Ansätze. Eine (indirekt auch die Kirche herabsetzende) antijüdische Darlegung im Stil Voltaires, die u. a. auf Tacitus’ »Judenexkurs« rekurriert, verbindet sich beispielsweise mit einer lose an Humes Religionssoziologie angelehnten Kennzeichnung der Christen als »Schwärmer«, »Abergläubische« und Vertreter eines intoleranten Monotheismus, um den religiösen Fanatismus von Juden und Christen zu demonstrieren. Auf diese Weise entsteht ein Bild der frühen Christen als einer abgekapselten, moralisch fragwürdigen und latent bedrohlichen Glaubensgemeinschaft, das den apologetischen Topos der vorbildlichen »Urchristen« auf den Kopf stellt und darüber hinaus den Grundstein für eine kritische Geschichte der Christenverfolgungen in Kapitel XVI legt. Durch eine Reihe von sprachlichen und argumentativen Mitteln gelingt es Gibbon häufig, den eigenen kirchenkritischen Standpunkt bis zu einem gewissen Grad unbestimmt zu halten und sich, sehr zur Erbitterung zeitgenössischer Theologen, nicht auf die eindeutige Position des Kirchenfeindes festlegen zu lassen.
3 E K K
3.1 Die Entwicklung der Kirchenverfassung Auch Gibbons fünfte »natürliche« Ursache für den Erfolg des Christentums, die Herausbildung einer hierarchisch strukturierten Kirchenverfassung während der ersten drei nachchristlichen Jahrhunderte, stellte innerhalb der konfessionellen Kirchengeschichtsschreibung ein äußerst umstrittenes Thema dar. 1 Exemplarisch wurde dieser Streit in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in zwei monumentalen kirchengeschichtlichen Werken ausgetragen: Den zwischen 1559 und 1574 von verschiedenen lutheranischen Theologen verfassten, unter der Leitung von Matthias Flacius Illyricus herausgegebenen »Magdeburger Zenturien« und den als Reaktion darauf entstandenen »Annales Ecclesiastici« (1588 – 1607) des römischen Kardinals Baronius. Beide Werke zeichnen ein konfessionell verengter, tendenziöser Blickwinkel auf die Geschichte der Kirche und die polemisch zugespitzte Form der Darstellung aus. 2 Für die Legitimierung des katholischen Standpunkts erwies es sich in diesem Zusammenhang als wesentlich, die hierarchische Verfassung der katholischen Kirche und insbesondere die dominante Stellung der Päpste auf frühchristliche Wurzeln zurückzuführen und eine ungebrochene Tradition dieser Verfassungsstrukturen von der Zeit der Apostel an zu konstruieren. Reformation und Protestantismus wurden in dieser Lesart der Kirchengeschichte als ein Bruch mit dem ursprünglichen, von Gott gestifteten Christentum gebrandmarkt. 3 Demgegenüber verurteilten protestantische Autoren wie die Magdeburger »Zenturiatoren« die katholische Kirchenhierarchie und insbesondere den von den Päpsten erhobenen Anspruch auf Universalherrschaft und höchste Autorität in allen Glaubensfragen als Abfall vom »idealen« Urzustand und Inbegriff kirchlicher Korruption. Der Papst verkörperte in protestantischen Schriften den Antichrist, die Reformation konnte als Rückkehr zu den unverdorbenen Wurzeln des Christentums präsentiert werden. 4 1
Die Entwicklung der Kirchenverfassung bespricht Gibbon in DF, XV, Bd. 1, S. 482 ff. Chadwick, S. 111 f. Zu den »Magdeburger Zenturien« vgl. Meinhold, Bd. 1, S. 268 ff. Anders als die »Magdeburger Zenturien« war Baronius’ Kirchengeschichte für Gibbon nach wie vor unentbehrlich, weil darin viele Quellen zur Geschichte des Christentums zum ersten Mal veröffentlicht waren; Chadwick, S. 112; Nippel (2003), S. 79. 3 Wilken (1971), S. 115 ff.; Baur, S. 89 ff. 4 Wilken (1971), S. 109 ff.; Baur, S. 46 f.; Meinhold, Bd. 1, S. 268. Vgl. Kapitel 2.1. 2
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Als Gibbon etwa 200 Jahre nach diesen stark apologetisch geprägten Schriften die Entwicklung der Kirchenverfassung während der ersten drei Jahrhunderte erörterte, wurde diese Frage zwar von konfessionellen Kirchenhistorikern nicht mehr so polemisch diskutiert wie im 16. und 17. Jahrhundert. Gerade im Kontext der anglikanischen Kirche mit ihrer Sonderstellung zwischen den Kirchen der anderen Konfessionen enthielt das Thema frühchristliche Kirchenverfassung auch in Gibbons Zeit noch ein großes kritisches Potential, da die Kirchenordnung der »Church of England« der katholischen Ekklesiologie nahe steht und eine starke Stellung des Episkopats darin bis heute von zentraler Bedeutung ist. 5 Gibbon war sich der Brisanz dieses Themas und der kontroversen konfessionellen Lesarten durchaus bewusst. 6 Zentraler Bezugspunkt seiner Untersuchung der frühchristlichen Kirchenverfassung in Kapitel XV ist Mosheims Abhandlung »De rebus Christianorum« (1753), in der detailliert und quellennah die Geschichte der Kirche bis zur Herrschaft Konstantins I. dargestellt wird. 7 Ausdrücklich beruft Gibbon sich zu Beginn seiner Erörterung auf den lutheranischen Kirchenhistoriker als Gewährsmann, da sich dessen Schriften durch eine gelehrte und unparteiliche Untersuchung des Themas auszeichneten. »In the history of the Christian hierarchy, I have, for the most part, followed the learned and candid Mosheim.« 8 Im Anschluss an die klassische protestantische Argumentationslinie hatte sich Mosheim in der Streitfrage nach Ursprung und Verfasstheit des Bischofsamts dafür ausgesprochen, dass sich dieses Amt nicht auf apostolische Ursprünge zurückführen lasse und sich zudem die eingeschränkten Befugnisse der frühen Bischöfe (ein Amt dieser Bezeichnung fand sich bereits unter den Christen des ersten Jahrhunderts) nicht mit dem absoluten Herrschaftsanspruch späterer Bischöfe und zumal der Päpste vergleichen ließen. 9 Damit lief Mosheims Auslegung auch der Haltung der anglikanischen Kirche zuwider, in der die apostolische Sukzession ihrer Bischöfe eine zentrale, bis zum heutigen Tag aufrechterhaltene Position darstellt. 10 Ausrichtung und Methodik von Mosheims Kirchengeschichtsschreibung 5
Spurr, S. 109 ff. u. 133 ff. DF, XV, Bd. 1, S. 483: »The government of the church has often been the subject as well as the prize of religious contention. The hostile disputants of Rome, of Paris, of Oxford, and of Geneva, have alike struggled to reduce the primitive and apostolic model, to the respective standards of their own policy.« Vgl. Nippel (2003), S. 53. 7 Relevant sind folgende Abschnitte aus Mosheims »De rebus Christianorum«: I, 41 ff., Bd. 1, S. 168 ff.; II, 20 ff., Bd. 1, S. 322 ff.; III, 23 ff., Bd. 2, S. 115 ff. 8 DF, XV, Bd. 1, S. 483, Anm. 105. Neben Mosheim zieht Gibbon an einigen Stellen (Anm. 113, 118, 124) auch den arminianischen Theologen Jean Le Clerc als Referenzautor heran. 9 Landau, S. 333 ff. u. 339 f. 10 Quantin (2009), S. 98 ff.; Stanley L. Greenslade: The Authority of the Tradition of the Early Church in Early Anglican Thought, in: Günther Gassmann / Vilmos Vatja (Hgg.), Tradition in Luthertum und Anglikanismus, Gütersloh 1972 (Oecumenica. Jahrbuch für ökume6
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sollen nachfolgend kurz charakterisiert werden, bevor dann Gibbons Abhandlung der frühen Kirchenverfassung im Einzelnen betrachtet wird. Wie bereits angeklungen ist, bringt Gibbon dem Kirchenhistoriker Mosheim eine hohe Wertschätzung entgegen. In »The Decline and Fall« finden sich zahlreiche Verweise auf Mosheim, in denen die Qualität seiner Arbeiten gewürdigt wird. Er wird als »ingenious and candid« 11, »learned and copious« 12 oder »full, rational, correct, and moderate« 13 bezeichnet; an anderer Stelle attestiert Gibbon ihm »judgment and candour« 14 und »good sense« 15 und diese Liste positiver Attribute ließe sich noch erweitern. 16 Auch unter englischen Theologen genoss der Kirchenhistoriker Mosheim zu Gibbons Zeit großes Ansehen, was sich u. a. darin zeigt, dass Mosheims »Allgemeine Kirchengeschichte« im 18. Jahrhundert gleich mehrfach ins Englische übersetzt wurde. 17 Gibbons fast durchgängig positives Urteil über den Kirchenhistoriker Mosheim entspricht in vielen Punkten der Sicht der heutigen Forschung. Während die protestantische Kirchenhistoriographie des 16. und 17. Jahrhunderts stark apologetisch geprägt war und in erster Linie das Ziel verfolgte, den Status der eigenen Konfession zu rechtfertigen, zeichnen sich Mosheims kirchengeschichtliche Arbeiten durch eine größere Ausgewogenheit und Sachlichkeit der Darstellung sowie einen neuen methodischen Ansatz aus. Apologetische oder polemische Ziele sind darin von untergeordneter Bedeutung. 18 Neben dem zentralen Prinzip der Unparteilichkeit zählte Mosheim selbst Vollständigkeit, Gründlichkeit und Regelmäßigkeit (d. h. die Anwendung einheitlicher Regeln) zu den maßgeblichen Richtlinien der Kirchengeschichtsschreibung 19, ohne dass er dabei die Grenzen, nische Forschung 1971/72), 9 – 33, hier S. 10. Der Begriff »apostolische Sukzession« meint eine Kontinuität der kirchlichen Amtsträger (Bischöfe) seit den Aposteln, wodurch die Kontinuität in Lehre, Glaubensregel und Schriftauslegung garantiert werden soll. Die Strategie, die eigene Kirche durch den Nachweis der Kontinuität zu den Aposteln zu legitimieren, findet sich bereits sehr früh sowohl bei mehrheitskirchlichen als auch gnostischen Autoren; Wolfgang Beinert: »Successio apostolica«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 9 (2000). 11 DF, XV, Bd. 1, S. 458, Anm. 32. 12 DF, XV, Bd. 1, S. 495, Anm. 145. 13 DF, XLVII, Bd. 2, S. 933, Anm. 1. 14 DF, LIV, Bd. 3, S. 424, Anm. 1. 15 DF, LIX, Bd. 3, S. 646, Anm. 87. 16 Vgl. auch Gibbons Aussage über Mosheim in der »Vindication«: »The learning and judgment of Mosheim had been of frequent use in the course of my Historical Inquiry, and I had not been wanting in proper expressions of gratitude.«; Vindication, DF, Bd. 3, S. 1141. 17 Heussi (1906), S. 214; Pocock (2010), S. 164. 18 Heussi (1903), S. 47 ff.; Stroup, S. 169 f. u. 173; Fitschen, S. 96. 19 Heussi (1903), S. 51 ff.; Fleischer, S. XIVf.; Mosheim selbst sprach diese Regeln der Geschichtsschreibung im Vorwort seiner Ketzergeschichte an, sie sind jedoch für sein gesamtes kirchengeschichtliches Werk grundlegend.
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inwieweit eine unparteiliche Geschichtsschreibung überhaupt möglich ist, im modernen Sinn kritisch reflektiert hätte. Im Hinblick auf den Umgang mit den historischen Quellen bedeutete das Prinzip der Unparteilichkeit für Mosheim, sich bei der Auswahl und Interpretation dieser Zeugnisse nicht von partikularen Interessen leiten zu lassen, sondern sich an objektiven Kriterien zu orientieren. 20 Das von Mosheim postulierte Prinzip der Gründlichkeit schlägt sich besonders deutlich in den überaus detaillierten Anmerkungen zu »De rebus Christianorum« nieder: Mosheim erörterte hier akribisch die jeweils relevanten Quellenstellen und verwies auf Ungereimtheiten, Lücken und Überlieferungsprobleme des vorliegenden Materials. Obwohl Gibbon dieser voluminöse Anmerkungsapparat an manchen Stellen zu dem Vorwurf provoziert, Mosheim erweise sich als spitzfindig oder weitschweifig 21, steht seine grundsätzliche Wertschätzung von Mosheims kirchengeschichtlichen Arbeiten doch außer Frage. Denn ungeachtet derartiger vereinzelter Einwände kommen die genannten Arbeitsprinzipien Gibbons eigenen Richtlinien für eine geglückte Geschichtsschreibung sehr nahe. 22 Ein »modernes« Gesicht erhält Mosheims Kirchengeschichtsschreibung, im Vergleich zu früheren Werken theologischer Provenienz, auch durch den weitgehenden Verzicht auf eine Schilderung übernatürlicher Ereignisse und die Verwendung herkömmlicher religiöser Deutungsmuster. Da Mosheim die Kirche als eine anderen gesellschaftlichen Institutionen durchaus vergleichbare Gemeinschaft verstand, konzentrierte sich seine Geschichte der Kirche auf die Motive und Handlungsweisen von Individuen und Personengruppen. 23 Verbunden war diese »pragmatische« Methode mit der Absicht, den Leser zu belehren und durch eine Schilderung der Anfechtungen und Irrtümer der Kirche früherer Jahrhunderte im eigenen Glauben zu bestärken. 24 Zwar hielt Mosheim als theologischer Historiker an der Möglichkeit einer göttlichen Intervention in den Weltlauf ausdrücklich fest, diese theologischen Vorannahmen waren jedoch nicht ausschlaggebend für seine Arbeit als Kirchenhistoriker. 25 Vermutlich trug dieser rationale Blickwinkel, der nur natürliche Ursachen als Erklärungsfaktoren zuließ und damit Gibbons methodischer Vorgehensweise relativ nahe kam, wesentlich dazu bei, dass »De rebus 20
Fleischer, S. XVI. DF, XVI, Bd. 1, S. 564, Anm. 152; XX, Bd. 1, S. 730, Anm. 16. 22 Zu den Prinzipien der Unparteilichkeit und Vollständigkeit vgl. z. B. Vindication, DF, Bd. 3, S. 1175. 23 Pocock (2010), S. 166 ff; Landau, S. 342 f.; Fleischer, S. XXVff.; Fleischer spricht in diesem Zusammenhang treffend von einer »Anthropologisierung« der Kirchengeschichte (S. XXVII). 24 Florian Neumann: Mosheim und die westeuropäische Kirchengeschichtsschreibung, in: Martin Mulsow u. a. (Hgg.), Johann Lorenz von Mosheim (1693 – 1755). Theologie im Spannungsfeld von Philosophie, Philologie und Geschichte, Wiesbaden 1997, 111 – 146, hier S. 114 ff. 25 Fleischer, S. XXVII. 21
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Christianorum« zu einem der bevorzugten kirchengeschichtlichen Referenzwerke Gibbons wurde. Trotz der geschilderten sachlichen und an wissenschaftlichen Regeln orientierten Anlage seiner kirchengeschichtlichen Arbeiten darf nicht übersehen werden, dass Mosheim in vielen Punkten wie dem arianischen oder dem christologischen Streit einen orthodoxen Standpunkt vertrat. 26 In einer Kontroverse mit Toland trat er ausdrücklich als Gegner deistischen Gedankenguts hervor. 27 Aus Gibbons Perspektive hat dies jedoch (in Kombination mit Mosheims Arbeitsweise) den Vorteil, dass der Lutheraner in umstrittenen Fragen der Kirchengeschichte als theologische Autorität herangezogen werden kann, die über jeden Verdacht heterodoxer Abweichung erhaben ist. Der Verweis auf Mosheims von orthodoxer Seite anerkannte Schriften lässt sich so auch zu einer gezielten Stärkung der eigenen kirchenkritischen Argumentation einsetzen. Beim Thema Kirchenverfassung kann Gibbon aus »De rebus Christianorum« eine fundierte und detaillierte Abhandlung der Kirchenstrukturen bis zur Zeit Konstantins I. entnehmen, deren Verfasser theologisch sehr angesehen war und die inhaltlich zudem seiner eigenen Ablehnung kirchlicher Machtstrukturen vergleichsweise nahe stand. Mosheims Modell einer negativen Entwicklung der Kirchenverfassung bildet für Gibbon darüber hinaus, wie im Einzelnen noch gezeigt werden soll, eine geeignete Grundlage, um seine prinzipielle Kritik am Christentum und die weiterführende These von der zerstörerischen Kraft der Kirche fortzuentwickeln. Diese weit über den kritischen Gehalt von Mosheims Ausführungen hinaus zielende Perspektive entwickelt Gibbon wesentlich dadurch, dass er erneut einzelne Ideen und Begriffe aus Humes Religionssoziologie in seine Argumentation einflicht. Als eine Art von Subtext erweitern sie den Bezugsrahmen der entsprechenden Darstellung und eröffnen eine zusätzliche kirchen- bzw. religionskritische Bedeutungsdimension. Während der Besprechung der vierten »natürlichen« Ursache, der vorbildlichen Moral der frühen Christen, führte Gibbon die an Hume angelehnten Begriffe der »love of pleasure« und »love of action« ein, um die Abschottung der Christen vom öffentlichen Leben zu kritisieren (vgl. Kapitel 2.3). Daran anknüpfend verbindet Gibbon im Kontext der fünften Ursache Humes Kategorien mit dessen 26
Meijering, S. 265 ff. Henning Graf Reventlow: Johann Lorenz von Mosheims Auseinandersetzung mit John Toland, in: Martin Mulsow u. a. (Hgg.), Johann Lorenz Mosheim (1693 – 1755). Theologie im Spannungsfeld von Philosophie, Philologie und Geschichte, Wiesbaden 1997, 93 – 110, hier S. 98 f.; Mulsow (1997), S. 74 mit Anm. 100. Mosheim verfasste 1719 und 1720 mehrere Gegenschriften zu Tolands »Nazarenus, or, Jewish, Gentile, and Mahometan Christianity«, darunter die im Vergleich zu seinen kirchenhistorischen Werken weitaus stärker polemisierende Schrift »Vindiciae Antiquae Christianorum Disciplinae, adversus celeberrimi viri Jo. Tolandi, Hiberni, Nazarenum«. 27
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religionssoziologischem Begriff der Schwärmerei als einer übersteigerten Form der Religiosität und nützt diese theoretischen Ideen Humes für eine eigene Erklärung der christlichen Motivlage. »But the human character, however it may be exalted or depressed by a temporary enthusiasm, will return by degrees to its proper and natural level, and will resume those passions that seem the most adapted to its present condition. The primitive Christians were dead to the business and pleasures of the world; but their love of action, which could never be entirely extinguished, soon revived, and found a new occupation in the government of the church.« 28 Anhand dieses Zitats lässt sich erneut Gibbons spielerischer Umgang mit der theoretischen Begriffswelt Humes veranschaulichen: Die ursprüngliche Definition der Schwärmerei ausweitend zeigen sich die schwärmerischen Christen bei Gibbon in überschwänglicher oder niedergeschlagener Stimmung (»exalted or depressed by a temporary enthusiasm«), der eigentlich enger gefasste und eindeutig festgelegte Begriff lässt sich auf diese Weise auf die Beobachtung so widersprüchlicher Phänomene wie dem gesellschaftlichen Rückzug der Christen und ihrem Streben nach Einfluss übertragen. Zusätzlich klingt hier Humes Aufsatz »Of Parties in General« an, in dem Hume die Gefährlichkeit isolierter (Religions-)Gruppen für den Zusammenhalt von Staat und Gesellschaft analysiert hatte, wenn Gibbon im Anschluss daran die Kirche in quasi-militärischen Formulierungen als »Sekte« charakterisiert. »A separate society, which attacked the established religion of the empire, was obliged to adopt some form of internal policy, and to appoint a sufficient number of ministers, intrusted not only with the spiritual functions, but even with the temporal direction of the Christian commonwealth.« 29 Ein zentrales Argument aus Humes Aufsatz »Of Parties« lautete, dass im frühen Christentum der Klerus alle Macht an sich ziehen konnte, weil sich der neue Glaube in Opposition zum bestehenden Glaubens- und Herrschaftssystem entwickelte und das Priesteramt deshalb nicht an die Ausübung weltlicher Herrschaftsaufgaben gekoppelt war. 30 Eine derartige Trennung von weltlicher und geistlicher Macht war nach Hume in den traditionellen Religionen unbekannt, da die Herrscher dort auch das 28
DF, XV, Bd. 1, S. 482; Hume, An Enquiry, 9, 1, S. 72; ders., Of Superstition, S. 145. DF, XV, Bd. 1, S. 482 f.; David Hume: Of Parties in General, in: ders., The Philosophical Works, hg. v. Thomas H. Green u. Thomas H. Grose (London 1886), Nachdruck 2. Aufl., Aalen 1992, Bd. 3, 127 – 133, hier S. 127: »Factions subvert government, render laws impotent, and beget the fiercest animosities among men of the same nation, who ought to give mutual assistance and protection to each other.« Vgl. Foster, S. 241. 30 Hume, Of Parties, S. 131 f.: »But the Christian religion arising, while principles directly opposite to it were firmly established in the polite part of the world who despised the nation that first broached this novelty; no wonder, that, in such circumstances, it was but little countenanced by the civil magistrate, and that the priesthood was allowed to engross all the authority in the new sect.« 29
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Amt des Priesters ausübten, beide Bereiche also in einer Person vereint waren. 31 Die gefährliche Dominanz der Priester habe sich im Christentum auch erhalten, nachdem es zur vorherrschenden Religion im Römischen Reich geworden war, argumentierte Hume. 32 Diese Theorie erweist sich als sehr fruchtbar für Gibbons Argumentation, erlaubt sie es doch, den Blick auf die sich ausbildenden kirchlichen Herrschaftsstrukturen zu lenken und den politischen Ehrgeiz der Bischöfe sowie daraus resultierende negative Folgen bloßzustellen. Im Text spiegelt sich Humes These durch die wiederholte Belegung kirchlicher Strukturen mit Begriffen aus den Bereichen politischer und militärischer Herrschaft, die eine Vergleichbarkeit von kirchlichem Hegemonialstreben und weltlicher Gewaltausübung suggerieren, wie im Folgenden an einzelnen Beispielen verdeutlicht werden soll. 33 Die spielerische Kombination verschiedener Elemente aus Humes Religionssoziologie liefert an dieser Stelle nicht nur eine psychologische Erklärung für die Umlenkung der christlichen Antriebskräfte. Gleichzeitig weist sie auf den Konflikt zwischen Christen und römischen Herrschern voraus und verstärkt Gibbons Darlegung des zerstörerischen Potentials der Kirche. 34 Dieser zusätzliche kritische Impetus, der an einzelnen Punkten der Argumentation durchscheint, übersteigt bei weitem die antipäpstliche Tendenz von Mosheims Untersuchung des Themas Kirchenverfassung. Alle wichtigen Etappen bei der Entstehung der Kirchenhierarchie übernimmt Gibbon aus »De rebus Christianorum«, in mehreren Anmerkungen wird direkt auf Mosheim verwiesen. 35 Wie Mosheim führt Gibbon die Entstehung eines Vorsteheramtes in den Presbyterkollegien gegen Ende des ersten Jahrhunderts (dieser Vorsitzende wurde als Bischof bezeichnet, während zuvor die Begriffe Presbyter und Bischof für die gleichen Amtsträger verwendet wurden) auf das Wachstum der christlichen Gemeinden und veränderte Bedürfnisse in der Organisation zurück und teilt damit Mosheims pragmatischen, funktionalen Erklärungsansatz. 36 31
Hume, Of Parties, S. 131. Hume, Of Parties, S. 132: »And the same principles of priestly government continuing, after Christianity became the established religion, they have engendered a spirit of persecution, which has ever since been the poison of human society, and the source of the most inveterate factions in every government.« 33 Zu Gibbons sprachlicher Gestaltung vgl. Nippel (2003), S. 55. 34 Die Vermutung, dass die frühen Christen ihre Verfolgung (zumindest in Teilen) selbst herausgefordert hätten, findet sich ebenfalls bei Hume: »Hence we may entertain a suspicion, that those furious persecutions of Christianity were in some measure owing to the imprudent zeal and bigotry of the first propagators of that sect [. . . ].«; Hume, Of Parties, S. 132, Anm. 1. 35 Referenzen auf Schriften Mosheims finden sich in Anmerkung 106, 113, 116, 119, 120, 124, 127, 130, 133 und 145. 36 DF, XV, Bd. 1, S. 484 f.; Mosheim, De rebus, I, 41, Bd. 1, S. 169. 32
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Wenn Gibbon im Anschluss daran die rasche und erfolgreiche Verbreitung dieses Modells in den christlichen Gemeinden und seine jahrhundertelange Gültigkeit schildert, enthält seine Darstellung immer wieder skeptische Untertöne. So lobt er in einer Fußnote ausdrücklich den »republican genius« der schweizerischen und deutschen Protestanten. 37 Die Vorstellung einer göttlichen Stiftung der Kirchenhierarchie ironisiert Gibbon zudem, wenn er auf die Frage nach den Ursprüngen des Bischofsamts charakteristischerweise zwei mögliche Antworten anbietet. »[The episcopal form of government] is still revered by the most powerful churches, both of the East and of the West, as a primitive and even as a divine establishment.« 38 Mosheim hatte in »De rebus Christianorum« betont, dass die frühen Bischöfe, im Vergleich zu späteren Amtsträgern, nur mit bescheidenen Machtbefugnissen ausgestattet waren. 39 Bei Gibbon wird dieser Gesichtspunkt in einen ironischen Seitenhieb gegen die Machtfülle und den Prunk späterer Vertreter des hohen Klerus verwandelt: »It is needless to observe, that the pious and humble presbyters, who were first dignified with the episcopal title, could not possess, and would probably have rejected, the power and pomp which now encircles the tiara of the Roman pontiff, or the mitre of a German prelate.« 40 Als zentraler Quellenbeleg für die Annahme einer apostolischen Sukzession der Bischöfe galten lange Zeit die Briefe des Kirchenvaters Ignatius, der zur Zeit Trajans Bischof von Antiochien war. Die darin übermittelten Informationen schienen auf eine starke Stellung des Episkopats bereits zu Beginn des zweiten Jahrhunderts hinzudeuten. 41 Um die Frage der Authentizität dieser Quelle oder zumindest eines Teils der überlieferten Briefe, die in drei unterschiedlich umfangreichen Fassungen vorliegen, hatte sich seit der Reformation eine lebhafte 37
DF, XV, Bd. 1, S. 485, Anm. 112. DF, XV, Bd. 1, S. 485. Vgl. John Clive: Gibbon’s Humor, Daedalus 105 (1976), 27 – 36, hier S. 31. 39 Mosheim, De rebus, I, 42, Bd. 1, S. 174: »It is certain, however, that it would be forming a very erroneous judgment, were we to estimate the power, the revenue, the privileges, and rights of the first bishops, from the rank, affluence, and authority attached to the episcopal character in the present day.« 40 DF, XV, Bd. 1, S. 485. 41 Die fragliche Stelle, die sich auf die Stellung der Bischöfe bezieht, findet sich in Ignatius’ Brief an die Smyrnäer 8 – 9: »Wo immer der Bischof sich zeigt, da sei auch das Volk, so wie da, wo Jesus Christus ist, auch die katholische Kirche ist. Ohne den Bischof darf man nicht taufen noch das Liebesmal feiern, aber was immer er für gut findet, das ist auch Gott wohlgefällig, auf daß alles, was geschieht, sicher sei und gesetzmäßig. [. . . ] Es ist gut, Gott und den Bischof zu kennen. Wer den Bischof ehrt, der wird von Gott geehrt; wer ohne des Bischofs Wissen etwas tut, der dient dem Teufel.« – In Ignatius’ Brief an die Smyrnäer wird zum ersten Mal der Begriff »katholisch« in ekklesiologischer Bedeutung verwendet, er bezeichnet an dieser Stelle die Gesamtkirche in Unterscheidung zur lokalen Kirche; Knut Wenzel: »Katholisch«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 5 (1996). 38
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Kontroverse zwischen protestantischen Kritikern und den Verteidigern eines frühen Bischofsamts entwickelt. Aufgrund der zentralen Bedeutung des Episkopats innerhalb der anglikanischen Kirchenverfassung war dieses Problem besonders im 17. Jahrhundert auch unter anglikanischen Theologen sehr virulent. 42 An dieser Stelle kommt es Gibbons Argumentation entgegen, dass Mosheim in »De rebus Christianorum« das Problem einer Bewertung der Ignatius-Briefe in gewohnt ausführlicher und ausgewogener Form diskutiert hatte und zu dem Schluss gekommen war, dass sich ein zweifelsfreier Beweis für ihre Authentizität nicht finden lasse und folglich alle überlieferten Fassungen dieser Briefe mit Vorsicht gelesen werden müssten. 43 Zweifel gegenüber der Zuverlässigkeit dieser Briefe kann Gibbon so direkt durch einen Verweis auf Mosheims Untersuchung legitimieren: »Ignatius is fond of exalting the episcopal dignity. Le Clerc very bluntly censures his conduct. Mosheim, with a more critical judgment, suspects the purity even of the smaller epistles.« 44 Da Gibbon hier keine explizite Feststellung trifft, ob Ignatius’ Briefe als authentisch gelten können, sondern nur auf Mosheims Urteil in dieser Frage verweist, erhält eine im anglikanischen Kontext despektierlich anmutende Argumentation zusätzliche Überzeugungskraft und ist gegen kritische Einwände orthodoxer Theologen ein Stück weit abgesichert. Obwohl Gibbon dann, wiederum im Anschluss an Mosheim 45, auf die basisdemokratische Verfassung der frühen Kirche eingeht, liest sich die entsprechende Beschreibung ambivalent, »schwärmerische« Züge der Gläubigen in Anlehnung an Humes Terminus werden deutlich. »The primitive bishops were considered only as the first of their equals, and the honourable servants of a free people. 42
Gareth V. Bennett: Patristic Tradition in Anglican Thought, 1660 – 1900, in: Günther Gassmann / Vilmos Vatja (Hgg.), Tradition in Luthertum und Anglikanismus, Gütersloh 1972 (Oecumenica. Jahrbuch für ökumenische Forschung 1971/72), 63 – 87, hier S. 64 f. Sehr wichtig sind in diesem Zusammenhang die 1644 von James Ussher veröffentlichten und häufig rezipierten »Polycarpi et Ignatii Epistolae«; vgl. William R. Schoedel: »Ignatius von Antiochien«, Theologische Realenzyklopädie, Bd. 16 (1987). Die Briefe der sog. mittleren Fassung, zu denen auch der fragliche Brief an die Smyrnäer zählt, werden heute innerhalb der Forschung überwiegend als echt eingestuft. 43 Mosheim, De rebus, I, 52, Bd. 1, S. 205: »The distinction thus generally recognized in favour of the above-mentioned particular letters is grounded on reasons of no little force and weight, but at the same time they are not of such a conclusive nature as to silence all objection: on the contrary, a regard for truth requires it to be acknowledged, that so considerable a degree of obscurity hangs over the question respecting the authenticity of not only a part, but the whole of the Epistles ascribed to Ignatius, as to render it altogether a case of much intricacy and doubt.« 44 DF, XV, Bd. 1, S. 485, Anm. 113. 45 Mosheim, De rebus, I, 45, Bd. 1, S. 179: »Of these parts, the chief in point of authority was the people: for to them belonged the appointment of the bishop and presbyters, as well as of the inferior ministers; – with them resided the power of enacting laws as also of adopting or rejecting whatever might be proposed in the general assemblies, and of expelling and again receiving into communion any depraved or unworthy members.«
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Whenever the episcopal chair became vacant by death, a new president was chosen among the presbyters by the suffrage of the whole congregation, every member of which supposed himself invested with a sacred and sacerdotal character.« 46 Die korrespondierende Anmerkung bezieht sich direkt auf Humes Aufsatz und weist das christliche Selbstverständnis, Adressat der göttlichen Inspiration zu sein, als Schwärmerei aus: »As the human heart is still the same, several of the observations which Mr. Hume has made on Enthusiasm, may be applied even to real inspiration.« 47 Indem Gibbon hier Humes Begriff der Schwärmerei einbringt, der neben einer positiven Konnotation (Freiheit des Individuums vor Tyrannei, Stiftung einer starken zivilen Gesellschaft) u. a. auch die Komponente eines hohen Aggressionspotentials beinhaltet 48, erhält die an Mosheims positive Bewertung angelehnte Beschreibung der frühen Kirchenstrukturen einen sehr skeptischen Beiklang. Im Kontext einer Darlegung, wie Dominanzstreben der Kirche und Christenverfolgungen zusammenhängen, wird hier bereits die demokratisch organisierte Kirche des ersten Jahrhunderts in Zweifel gezogen. Als weiteren zentralen Gesichtspunkt von Mosheims antikatholisch motivierten Ausführungen übernimmt Gibbon dann in einer eng an die Vorlage angelehnten Form die These, dass alle christlichen Gemeinden ursprünglich in gleicher und freier Form existierten und sich in der Art kleiner Republiken selbst verwalteten. »Such was the mild and equal constitution by which the Christians were governed more than an hundred years after the death of the apostles. Every society formed within itself a separate and independent republic: and although the most distant of these little states maintained a mutual as well as friendly intercourse of letters and deputations, the Christian world was not yet connected by any supreme authority or legislative assembly.« 49 Die anfänglich vorhandene gleiche und unabhängige Stellung aller christlichen Gemeinden endete nach Mosheim mit der Entstehung und zunehmenden Verbreitung provinzialer Synoden ab Ende des zweiten Jahrhunderts. Trotz organisatorischer Vorteile bedeuteten diese Versammlungen, so Mosheim, u. a. einen erheblichen Machtzuwachs für die Bischöfe und stellten damit einen wesentlichen Schritt auf dem Weg zur Papstkirche dar. 50
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DF, XV, Bd. 1, S. 486. DF, XV, Bd. 1, S. 486, Anm. 114. 48 Hume, Of Superstition, S. 145 ff. 49 DF XV, Bd. 1, S. 486; Mosheim, De rebus, I, 22, Bd. 1, S. 329: »[. . . ] yet each individual church which had a bishop and presbyters of its own, assumed to itself the form and rights of a little distinct republic or commonwealth; and with regard to its internal concerns, was wholly regulated by a code of laws, that, if they did not originate with, had, at least, received the sanction of the people constituting such church.« 50 Mosheim, De rebus, I, 22 f., Bd. 1, S. 329 ff. 47
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Gibbon schließt sich dieser Erklärung explizit an 51, auch hier finden sich jedoch gegenläufige Anspielungen, beispielsweise in der ironischen Beschreibung des vermeintlich inspirierten Charakters dieser Synoden. »Their decrees which were styled Canons, regulated every important controversy of faith and discipline; and it was natural to believe that a liberal effusion of the holy spirit would be poured on the united assembly of the delegates of the Christian people.« 52 Wenn die katholische Kirche hinsichtlich ihrer Organisation und Außenwirkung als »great fœderative republic« 53 bezeichnet wird, assoziiert die Darstellung wiederum den Bereich weltlicher Herrschaft. Diese auf den ersten Blick positiv anmutende Beschreibung der Kirche liest sich zwiespältig, transportiert sie doch auch die Vorstellung von der Kirche als »Staat im Staate«, also einer autonomen Organisation innerhalb der bestehenden Strukturen des Römischen Reichs, die als bedrohlich für die politische Ordnung wahrgenommen wird. Den endgültigen Abfall von einer demokratisch verfassten Kirchenorganisation lokalisierte Mosheim im dritten Jahrhundert, als der Machtausbau des Episkopats auf Kosten von Presbytern und Gemeinden (exemplarisch repräsentiert durch Cyprian, den Bischof von Karthago) seinen Höhepunkt erreichte. 54 Gibbon geht über diese kritische, aber sachliche Darstellung Mosheims hinaus und verschärft sie zu einem antiklerikalen Ausfall. In drastischen Formulierungen schildert er die Machtusurpation der Bischöfe und den willkürlichen Charakter ihrer Herrschaft: »[. . . ] the bishops obtained by their alliance a much larger share of executive and arbitrary power; and as soon as they were connected by a sense of their common interest, they were enabled to attack, with united vigour, the original rights of their clergy and people. The prelates of the third century imperceptibly changed the language of exhortation into that of command, scattered the seeds of future usurpations, and supplied, by scripture allegories and declamatory rhetoric, their deficiency of force and of reason.« 55 Die Machtkonzentration in den Händen der Bischöfe spiegelt sich auch in der begrifflichen Unterscheidung von »Laien« und »Klerus« wider, an der Gibbon eine erneute Kritik an Ehrgeiz und weltlichem Herrschaftsgebaren des Episkopats festmacht. »[. . . ] the latter [the clergy], according to the signification of the word, 51
DF, XV, Bd. 1, S. 487, Anm. 116: »The coalition of the Christian churches is very ably explained by Mosheim.« 52 DF, XV, Bd. 1, S. 486. 53 DF, XV, Bd. 1, S. 487. 54 Mosheim, De rebus, III, 24, B. 2, S. 128: »For, as is common in human affairs, the bishops, who presided over the congregations, arrogated to themselves much more dignity and authority than they had before possessed, and the ancient rights, not only of the people but also of the presbyters, they first abridged, and then wholly subverted, directing all the affairs of their communities according to their own pleasure.« 55 DF, XV, Bd. 1, S. 487.
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was appropriated to the chosen portion that had been set apart for the service of religion; a celebrated order of men which has furnished the most important, though not always the most edifying, subjects for modern history. Their mutual hostilities sometimes disturbed the peace of the infant church, but their zeal and activity were united in the common cause, and the love of power, which (under the most artful disguises) could insinuate itself into the breasts of bishops and martyrs, animated them to increase the number of their subjects, and to enlarge the limits of the Christian empire.« 56 Die bereits diskutierte »love of action«, hinter der Humes Kategorie des Nützlichen als einem zentralen Antrieb menschlichen Strebens steht 57, hat sich hier zu einer – wenngleich getarnten – Machtliebe (»love of power«) gewandelt, die auf den Bereich psychologischer Motivationen zurück verweist und damit die Vorstellung einer von Gott gewollten und beförderten Ausbreitung des christlichen Glaubens konterkariert. Gibbons Formulierungen (»their subjects«, »to enlarge the limits of the Christian empire«) evozieren auch hier den Bereich politischer Herrschaft und verstärken dadurch noch den Eindruck, der Einsatz des Klerus für die Kirche verdanke sich allein persönlichen Machtinteressen. Die ausführliche Erörterung der beiden spezifischen Herrschaftsinstrumente der Bischöfe (Verfügungsgewalt über die Güter ihrer lokalen Kirche, Exkommunikation als Disziplinarmaßnahme) unterstreicht den autoritären Charakter der Bischofsherrschaft. 58 Klagen über Bereicherungen durch Kleriker sind selbst von Cyprian überliefert, wie Gibbon anführen kann. 59 Ihren negativen Höhepunkt erreicht die Ausbildung der Kirchenhierarchie bei Mosheim in der Vorrangstellung der Bischöfe der wichtigsten Städte, die als Metropoliten und Patriarchen einen herausgehobenen Status genossen. 60 Auch diesen letzten Schritt der Argumentation übernimmt Gibbon von Mosheim: »[. . . ] the office of perpetual presidents in the council of each province, was conferred on the bishops of the principal city, and these aspiring prelates, who soon acquired the lofty titles of Metropolitans and Primates, secretly prepared themselves to 56
DF, XV, Bd. 1, S. 490. In Anmerkung 127 verweist Gibbon auf Mosheims Erörterung dieser beiden Begriffe. Mosheim, De rebus, I, 45, Bd. 1, S. 181, Anm. 1. 57 Hume, An Enquiry, 9, 1, S. 72. 58 DF, XV, Bd. 1, S. 490 ff. 59 DF, XV, Bd. 1, S. 493 mit Anm. 140; Cyprian, Briefe 65, 3: »Da ist es gar kein Wunder, wenn sie, die den Herrn verleugnet haben, jetzt von unseren Ratschlägen und den Geboten des Herrn nichts wissen wollen. Um Geldspenden und Opfergaben und Gewinn ist es ihnen zu tun, wonach sie schon früher in unersättlicher Gier trachteten, und auch jetzt lechzen sie nach Schmausereien und Tafelfreuden, bei denen sie sich jüngst täglich den Magen überluden, bis sie das Unverdaute wieder von sich gaben. Damit beweisen sie jetzt ganz deutlich, daß sie auch vorher nicht der Religion gedient, sondern vielmehr nur dem Bauche und der Gewinnsucht in unheiliger Begehrlichkeit gefrönt haben.« Gibbon verweist in Anmerkung 140 zusätzlich auf Cyprians Schrift »Über die Gefallenen«. 60 Mosheim, De rebus, II, 23, Bd. 1, S. 335 f.
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usurp over their episcopal brethren the same authority which the bishops had so lately assumed above the college of presbyters.« 61 Am Ende einer Entwicklung, die einzelne Bischöfe privilegierte, steht bei Mosheim und Gibbon dann die quasi-monarchische Sonderstellung des römischen Bischofs und seiner Kirche, mit der die Entwicklung einer innerkirchlichen Hierarchie und der Niedergang der ursprünglich egalitären Kirchenverfassung ihren Abschluss fanden. 62 Zeitlich versetzt vollzog die Entwicklung der Kirchenorganisation damit auch die Verfassungsentwicklung im Römischen Reich nach. 63 Verhältnismäßig kurz handelt Gibbon den in der Kirchengeschichte des Eusebius überlieferten Bericht über einen Aufenthalt des Apostels Petrus in Rom ab, bei dem Petrus die Kirche von Rom gestiftet und wie der Apostel Paulus den Märtyrertod erlitten haben soll. 64 Katholische Theologen beriefen sich auf diese Quelle, um die besondere Stellung der Kirche von Rom und ihres Hauptes zu rechtfertigen; der Papst konnte nach dieser Auslegung als Erbe und Stellvertreter von Petrus auf Erden einen universalen Herrschaftsanspruch erheben. 65 Da diese Überlieferung durch den reformierten Theologen und Gelehrten Ezechiel Spanheim zur Zeit der Abfassung von Gibbons Werk bereits widerlegt worden war 66, hält Gibbon eine ausführliche Auseinandersetzung mit der entsprechenden Stelle aus Eusebius vermutlich nicht mehr für nötig. Vielleicht spielt in diesem Zusammenhang auch eine Rolle, dass der Bericht über die Romfahrt des Petrus vor allem im Zusammenhang mit der Legitimierung des päpstlichen Anspruchs auf Universalherrschaft relevant war und für eine Infragestellung anglikanischer Traditionen weniger kritisches Potential besaß. Interessant ist an dieser Stelle ein Vergleich mit Voltaires »Essai«: Als erbitterter Gegner der katholischen Kirche nützt Voltaire diese Gelegenheit, um sich über die Absurdität des fraglichen Berichts lustig zu machen und eine Attacke gegen die Leichtgläubigkeit der Kirchenväter und späterer katholischer Autoren bis zur Renaissance zu reiten. »Il est reconnu par tous les savants que Simon Barjone, surnommé Pierre, n’alla jamais à Rome. On rit aujourd’hui de la preuve que 61
DF, XV, Bd. 1, S. 488. In der korrespondierenden Fußnote (Anm. 120) nennt Gibbon u. a. Mosheim als Referenzautor. 62 DF, XV, Bd. 1, S. 488 f.; Mosheim, De rebus, II, 23, Bd. 1, S. 336 f. 63 Nippel (2003), S. 53. 64 DF, XV, Bd. 1, S. 489: »Instead of one apostolic founder, the utmost boast of Antioch, of Ephesus, or of Corinth, the banks of the Tyber were supposed to have been honoured with the preaching and martyrdom of the two most eminent among the apostles; and the bishops of Rome very prudently claimed the inheritance of whatsoever prerogatives were attributed either to the person or to the office of St. Peter.«; Eusebius, Kirchengeschichte 2, 14. Das Martyrium der Apostel Petrus und Paulus wird erwähnt in ebd. 3, 2. 65 Michael Kappes: »Petrusamt«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 8 (1999). 66 DF, XV, Bd. 1, S. 489, Anm. 122.
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des idiots tirèrent d’une épître attribuée à cet apôtre, né en Galilée. Il dit dans cette épître qu’il est à Babylone. Les seuls qui parlent de son prétendu martyre sont des fabulistes décriés, un Hégésippe, un Marcel, un Abdias, copiés depuis par Eusèbe. [. . . ] Ces inepties sont aujourd’hui méprisées de tous les chrétiens instruits; mais depuis Constantin, elles furent autorisées jusqu’á la renaissance des lettres et du bon sens.« 67 Während Voltaire also vergleichsweise eindimensional (und ohne auf die textkritischen Untersuchungen nachreformatorischer Autoren einzugehen) diese Überlieferung als christliche »Legende« abqualifiziert, nimmt sich Gibbon die Freiheit heraus, durch ein Wortspiel mit einer Bibelstelle Skepsis an der katholischen Herleitung der päpstlichen Autorität zu wecken. »It is in French only, that the famous allusion to St. Peter’s name is exact. Tu es Pierre et sur cette pierre. – The same is imperfect in Greek, Latin, Italian, &c. and totally unintelligible in our Teutonic languages.« 68 Im Anschluss daran beschäftigt sich Gibbon mit weiteren Zeugnissen der Kirchenväter, die auf eine Vorrangstellung der römischen Kirche hinzuweisen scheinen und die protestantische Kirchengeschichtsschreibung deshalb vor ernsthafte Probleme stellten. 69 So war Mosheim für die Annahme eingetreten, dass die apostolischen Kirchen des zweiten Jahrhunderts untereinander gleichberechtigt waren und die Kirche von Rom keine spirituelle Autorität beanspruchen konnte. Diese Annahme versuchte er u. a. durch eine spezielle Auslegung einer Stelle bei Irenäus plausibel zu machen: Hier werde zwar die römische Kirche in hohem Maße gelobt, aus dem überlieferten Text lasse sich ein Vorrang dieser Kirche jedoch nicht ableiten. Mosheim führte in diesem Zusammenhang auch das Argument an, dass sich die genaue Bedeutung des zu einem großen Teil nur in einer lateinischen Übersetzung erhaltenen Textes nicht entschlüsseln lasse. 70 67
Voltaire, Essai, VIII, Bd. 1, S. 279 f. DF, XV, Bd. 1, S. 489, Anm. 123. Gibbon spielt hier auf Jesu Worte aus dem MatthäusEvangelium an, auf die sich katholische Apologeten der Petrus-Tradition stützten: »Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.«; Matthäus 16, 18 – 19. 69 Gibbon nennt in diesem Zusammenhang die Kirchenväter Irenäus, Tertullian und Cyprian als Quelle; DF, XV, Bd. 1, S. 489, Anm. 124. 70 Mosheim, De rebus, II, 21, Anm. 2, Bd. 1, S. 324 ff. Irenäus widmete sich in »Gegen die Häresien« dem Nachweis, dass sich in den apostolischen Kirchen die christliche Lehre seit den Aposteln unverfälscht erhalten habe. Zu diesem Zweck wollte er das Beispiel »der größten und ältesten und allbekannten Kirche, die von den beiden ruhmreichen Aposteln Petrus und Paulus zu Rom gegründet und gebaut ist« betrachten. Die von Mosheim kritisierte dunkle Stelle lautet: »Mit der römischen Kirche nämlich muß wegen ihres besonderen Vorranges jede Kirche übereinstimmen, d. h. die Gläubigen von allerwärts, denn in ihr ist immer die apostolische Tradition bewahrt von denen, die von allen Seiten kommen.«; Irenäus, Gegen die Häresien 3, 3, 2. 68
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Mosheims argumentative Defizite an dieser Stelle scheinen auch Gibbon nicht entgangen zu sein, seine Formulierungen lesen sich auf den ersten Blick wie eine Befürwortung der katholischen Gegenposition. »The bishops of Italy and of the provinces were disposed to allow them [the Roman bishops] a primacy of order and association (such was their very accurate expression) in the Christian aristocracy.« 71 Die entsprechende Fußnote stellt die Schwächen protestantischer Autoren bei einer der eigenen Linie konformen Auslegung dieser Quellen dem uneindeutigen und schwer fassbaren Charakter der patristischen Zeugnisse gegenüber: »Le Clerc and Mosheim labour in the interpretation of these passages. But the loose and rhetorical style of the fathers often appears favourable to the pretensions of Rome.« 72 Anders als die protestantischen Kirchenhistoriker verwirft Gibbon die patristischen Quellen also nicht vollständig. In gewohnter Weise vermeidet er vielmehr eine endgültige Festlegung, stellt lediglich die Gewichte der einzelnen Positionen fest und trifft keine abschließende Aussage darüber, ob diese Zeugnisse als glaubwürdig gelten können. 73 Die gewählten Formulierungen (»loose and rhetorical style«, »appears favourable«) legen allerdings nahe, dass die Texte der Kirchenväter nicht als ernstzunehmende Belege für eine herausgehobene Stellung der römischen Kirche gewertet werden können. Die weitere Argumentation schränkt deren Aussagekraft dann auch faktisch ein, denn das Beispiel der afrikanischen und kleinasiatischen Bischöfe unter der Führung Cyprians zeigt, dass es von Seiten der lokalen Kirchen durchaus Widerstand gegen die römischen Hegemonialbestrebungen gab. 74 Für die Besprechung der Kirchenverfassung (der fünften »natürlichen« Ursache) lässt sich abschließend festhalten, dass es Gibbon u. a. durch eine spezifische Kombination der Referenzautoren Mosheim und Hume gelingt, auf mehreren Ebenen eine Kritik an der sich ausbildenden Kirchenhierarchie und der Willkürherrschaft der Bischöfe zu übermitteln. Aus der Schrift »De rebus Christianorum« kann er eine kirchengeschichtlich fundierte, skeptische Abhandlung der frühen Kirchenverfassung aus protestantischem Blickwinkel übernehmen und sich in heiklen Fragen direkt auf Mosheims Urteil berufen. Diese Darstellung, die von der hohen Reputation des lutheranischen Kirchenhistorikers profitiert, hat auch kritische Implikationen gegenüber der »Church of England« mit ihrer zentralen Stellung des Episkopats. Mosheims kritische Darlegung verschärft Gibbon gezielt, 71
DF, XV, Bd. 1, S. 489. DF, XV, Bd. 1, S. 489, Anm. 124. 73 Zu Gibbons methodischer Vorgehensweise vgl. auch Vindication, DF, Bd. 3, S. 1151: »If we skilfully combine the passions and prejudices, the hostile motives and intentions, of the several theologians, we may frequently extract knowledge from credulity, moderation from zeal, and impartial truth from the most disingenuous controversy.« 74 DF, XV, Bd. 1, S. 489 f. 72
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indem er einzelne Ideen und Argumente aus Humes Religionssoziologie aufgreift und (in häufig modifizierter Form) in den eigenen Text einbringt. Auf diese Weise entsteht unterschwellig ein Bild des frühen Christentums als einer aggressiven und potentiell staatsgefährdenden Kraft, in einer weiteren Konsequenz wird damit auch eine alternative Erklärung der Christenverfolgungen vorbereitet. Gibbons Auseinandersetzung mit dem Thema Kirchenverfassung und Klerus soll im folgenden Abschnitt durch den Blick auf seine Charakterisierung von zwei einflussreichen Vertretern des hohen Klerus, des karthagischen Bischofs Cyprian (Kap. XV) und Papst Gregors II. (Kap. XLIX), vertieft werden, die ihr Amt in sehr unterschiedlichen historischen Konstellationen ausübten. Während der Kirchenvater Cyprian sich im dritten Jahrhundert für den Ausbau episkopaler Befugnisse engagierte und deshalb ab dem 17. Jahrhundert zu einer wichtigen Autorität anglikanischer Theologen wurde, trat Gregor II. im ersten Drittel des achten Jahrhunderts als Verteidiger der christlichen Bilderverehrung gegenüber den byzantinischen Herrschern auf, was ihn zu einem Vorkämpfer des Widerstands gegen eine despotische Herrschaft werden ließ.
3.2 Kritik am Klerus und Lob kirchlichen Widerstands 3.2.1 Cyprian von Karthago Der karthagische Bischof Cyprian (248/49 – 258) spielte, wie angeklungen ist, eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung bischöflicher Vorrechte im dritten Jahrhundert. Als es in der Folge eines Reichsgesetzes von Kaiser Decius (249), das den Vollzug der heidnischen Opfer für die gesamte Bevölkerung vorschrieb, in der Kirche zum Konflikt um einen angemessenen Umgang mit den »Lapsi« (Christen, die dieses Opfergebot befolgt hatten und als vom Glauben Abgefallene galten) kam, agierte Cyprian als machtbewusster Kirchenfürst und setzte seine Position gegenüber Felicissimus und anderen karthagischen Befürwortern einer milderen Praxis durch. 75 Mit seiner Schrift »Von der Einheit der katholischen Kirche« (»De catholicae ecclesiae unitate«, 251) leistete er auch eine sehr wirkmächtige theoretische Begründung episkopaler Autorität. Im »Ketzertaufstreit« mit dem römischen Bischof Stephan I., der sich um die Gültigkeit der von häretischen 75
Bautz, »Cyprian«; Wilhelm M. Gessel: »Lapsi, Lapsae«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 6 (1997). Neben den »Lapsi«, die unter dem Verfolgungsdruck das heidnische Opfer vollzogen hatten, gab es auch Christen, die sich eine Opferbescheinigung erkauft hatten, ohne das Opfer tatsächlich zu vollziehen. Mit dem Problem einer möglichen Wiederaufnahme der »Lapsi« beschäftigte sich Cyprian in seiner Schrift »Über die Gefallenen« (»De lapsis«). Vgl. Kapitel 4.
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oder schismatischen Klerikern gespendeten Taufe drehte, widersetzte Cyprian sich der Deutungshoheit und den Hegemonialabsichten der römischen Kirche. Der Bischof von Karthago erlitt (nachdem er sich diesem Schicksal zuerst durch die Flucht entzogen hatte) während der valerianischen Verfolgung im Jahr 258 in Karthago das Martyrium – und ging in die Geschichte der katholischen Kirche auch als Märtyrer und Heiliger ein. 76 Innerhalb der anglikanischen Kirche mit ihrer insgesamt sehr lebendigen patristischen Tradition nahm Cyprian eine besondere Stellung ein: Zum einen konnte Cyprians Schrift »Von der Einheit der katholischen Kirche« als Beleg herangezogen werden, um die dominante Stellung auch der anglikanischen Bischöfe zu rechtfertigen. Zum anderen wurde sein Kampf gegen die Suprematsansprüche der römischen Kirche und für die Selbstbestimmung der lokalen Kirchen zu einem zentralen Bezugspunkt anglikanischer Theologen der »High Church« bei ihrem Versuch, die Rechte der eigenen Kirche gegenüber päpstlichen Herrschaftsansprüchen abzugrenzen. 77 Eine skeptische Auseinandersetzung mit der Person Cyprians hatte also immer auch kritische Implikationen gegenüber der »Church of England«. Gibbon beschäftigt sich relativ ausführlich mit Cyprian: In Kapitel XV widmet er sich im Rahmen der Abhandlung der frühen Kirchenverfassung Cyprians Tätigkeit als Bischof von Karthago und den internen Machtkämpfen der karthagischen Kirche; in Kapitel XVI thematisiert er Cyprians Konflikt mit den römischen Herrschern und sein Martyrium unter Kaiser Valerian. 78 Wenn Gibbon bei seiner Erörterung der Kirchenverfassung Machtgier und Amtsmissbrauch des Klerus einer vernichtenden Kritik unterzieht, stellt sich diese Darstellung in weiten Teilen als Auseinandersetzung mit der Figur Cyprians dar. Der Bischof von Karthago, der in seiner Person die Rollen des Märtyrers und Heiligen wie auch des machtbewussten Kirchenherrschers vereinigte, erscheint dabei als besonders geeignet, um die weltlich anmutenden Ambitionen des höheren Klerus zu entlarven. »[. . . ] and the episcopal cause was indebted for its rapid progress to the labours of many active prelates, who, like Cyprian of Carthage, could reconcile the arts of the most ambitious statesman with the Christian virtues which seem adapted to the character of a saint and martyr.« 79 Ein vergleichbar negatives Urteil über den Kirchenvater Cyprian findet sich auch in den Schriften Mosheims: In einer für die protestantische Kirchengeschichtsschreibung charakteristischen Art 76
Maurice Bévenot: »Cyprian von Karthago«, Theologische Realenzyklopädie, Bd. 8 (1981); Bautz, »Cyprian«. 77 Womersley (2002), S. 112 f.; Bennett, S. 74 f. 78 DF, XV, Bd. 1, S. 486 ff.; XVI, Bd. 1, S. 541 ff. Gibbons Darstellung von Cyprian als Märtyrer soll in Kapitel 4 besprochen werden. 79 DF, XV, Bd. 1, S. 488.
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hatte Mosheim in »De rebus Christianorum« Machtkalkül und Ehrgeiz Cyprians bloßgestellt, die zu einer Zerstörung des ursprünglich demokratischen Systems der Kirchenorganisation geführt hätten. 80 Die von Cyprian entwickelte theoretische Begründung der bischöflichen Befugnisse wertete Mosheim sehr kritisch, da er hier eine frühe Version späterer päpstlicher Ansprüche ausmachte. 81 Auch Gibbon bezieht sich ausdrücklich auf Cyprians Schrift (»Cyprian, in his admired treatise De Unitate Ecclesiæ« 82), wenn er, wie in Kapitel 3.1 veranschaulicht wurde, in Anlehnung an Mosheim den Ausbau episkopaler Befugnisse im dritten Jahrhundert nachzeichnet. Cyprians Theorie von einer spezifischen Begründung des Bischofsamts hatte anglikanischen Theologen des hochkirchlichen Flügels wie John Pearson in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als argumentative Waffe gegen die von Katholiken reklamierte Universalherrschaft des Papstes gedient. 83 Plastisch illustriert Gibbons Darstellung die von der Kirche vertretene unterschiedliche Legitimation weltlicher und episkopaler Herrschaft. »Princes and magistrates, it was often repeated, might boast an earthly claim to a transitory dominion: it was the episcopal authority alone which was derived from the deity, and extended itself over this and over another world. The bishops were the vicegerents of Christ, the successors of the apostles, and the mystic substitutes of the high priest of the Mosaic law.« 84 Diese theologische Rechtfertigung konterkariert die nachfolgende Anspielung auf die biblische Metapher von den Bischöfen als den Hirten ihrer Gemeinde: »The bishops acknowledged the supreme authority which resided in the assembly of their brethren; but in the government of his peculiar diocese, each of them exacted from his flock the same implicit obedience 80
Mosheim, De rebus, III, 24, Bd. 2, S. 129, Anm. 1: »But this same Cyprian, who, when he has selfpossession and is apprehensive of some danger, acknowledges the church to be superior to the bishop, and attributes much importance to the clergy and the people, at other times so exalts the authority and dignity of bishops, as to subvert and destroy all the prerogatives of the people and presbyters, and strenuously maintain that the whole government of the church belongs to the bishop alone.« 81 Mosheim, De rebus, III, 24, Bd. 2, S. 131 ff., Anm. 1: »In short, whatever prerogatives the greatest of the Roman Pontifs at this day arrogate to themselves, with perhaps the single exception of infallibility, were all ascribed by Cyprian to the bishops universally [. . . ].« (Zitat S. 137). 82 DF, XV, Bd. 1, S. 487, Anm. 117. 83 Womersley (2002), 112 f.; Bennett, S. 74 f. Eine derartige Vorgehensweise zeigt sich beispielsweise in den »Annales Cypriani« von John Pearson, die den 1682 von John Fell herausgegebenen Werken Cyprians vorangestellt wurden und die Cyprians Traktat für eine Stärkung der anglikanischen Position benützten. Cyprian leitete die exklusiven Befugnisse des Bischofsamts (vor dem Hintergrund der kircheninternen Streitigkeiten um die »Lapsi«) aus dem Umstand ab, dass eine unangefochtene Stellung der Bischöfe innerhalb der lokalen Kirchengemeinden als grundlegend für Einheit und Fortbestand der Gesamtkirche angesehen werden müsse; Cyprian, Von der Einheit 5. 84 DF, XV, Bd. 1, S. 487.
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as if that favourite metaphor had been literally just, and as if the shepherd had been of a more exalted nature that that of his sheep.« 85 Dass Gibbon hier das Beispiel Cyprian vor Augen hat, macht die entsprechende Anmerkung unmissverständlich deutlich. »We may appeal to the whole tenor of Cyprian’s conduct, of his doctrine, and of his Epistles.« 86 Gibbons sprachliche Gestaltung der Opposition gegen Cyprian assoziiert Vorgänge des politischen und verfassungsrechtlichen Lebens, der Widerstand von Felicissimus und anderen in der innerkarthagischen Auseinandersetzung um eine angemessene Behandlung der »Lapsi« wird als eine Verteidigung des »democratical part of the constitution« 87 präsentiert. Die Kirche habe diesen Widerstand, so Gibbon, wiederum als Abspaltung und Sektierertum gebrandmarkt: »But their patriotism received the ignominious epithets of faction and schism [. . . ].« 88 Die Kritik an Cyprian kann Gibbon hier direkt aus Mosheim übernehmen, der die Rolle Cyprians im Streit um die »Lapsi« sehr kritisch bewertete. 89 Auch in dem bereits zitierten resümmierenden Urteil über das System der Bischofskirche, das an die auf Hume verweisende Idee einer »love of power« anknüpft, scheint der Gedanke an Cyprian (als Bischof und Märtyrer) mitzuschwingen: »[The bishops’] mutual hostilities sometimes disturbed the peace of the infant church, but their zeal and activity were united in the common cause, and the love of power, which (under the most artful disguises) could insinuate itself into the breasts of bishops and martyrs, animated them to increase the number of their subjects, and to enlarge the limits of the Christian empire.« 90 Während die bisher untersuchten Passagen aus Kapitel XV ein sehr kritisches Bild von Cyprian entwerfen, billigt Gibbon dessen Widerstand im »Ketzertaufstreit« mit dem römischen Bischof Stephan I. »But the power of a monarch was rejected with abhorrence, and the aspiring genius of Rome experienced from the nations of Asia and Africa, a more vigorous resistance to her spiritual, than she had formerly done to her temporal, dominion.« 91 Wurde im Fall der innerkar85
DF, XV, Bd. 1, S. 487. Das Bild des Hirten begegnet im Neuen Testament in unterschiedlichem Zusammenhang; in Epheser 4, 11 werden in einer »Ämterliste« die vermutlich zusammengehörenden Ämter der »Hirten und Lehrer« genannt; Josef Zmijewski: »Hirt, Guter Hirt. II. Neues Testament«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 5 (1996). 86 DF, XV, Bd. 1, S. 487, Anm. 118. 87 DF, XV, Bd. 1, S. 487. 88 DF, XV, Bd. 1, S. 488. 89 DF, XV, Bd. 1, S. 488, Anm. 119: »If Novatus, Felicissimus, &c. whom the bishop of Carthage expelled from his church, and from Africa, were not the most detestable monsters of wickedness, the zeal of Cyprian must occasionally have prevailed over his veracity. For a very just account of these obscure quarrels, see Mosheim.«; Mosheim, De rebus, III, 14, Bd. 2, S. 50 ff. 90 DF, XV, Bd. 1, S. 490 (meine Hervorhebung). 91 DF, XV, Bd. 1, S. 489.
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thagischen Kontroversen noch der Widerstandsgeist von Cyprians Gegnern als Patriotismus gewürdigt, gesteht Gibbon jetzt auch dem Bischof von Karthago eine patriotische Haltung zu. »The patriotic Cyprian, who ruled with the most absolute sway the church of Carthage and the provincial synods, opposed with resolution and success the ambition of the Roman pontiff, artfully connected his own cause with that of the eastern bishops, and, like Hannibal, sought out new allies in the heart of Asia.« 92 Obwohl Gibbons Bewertung also einzelne positive Züge Cyprians nicht unterschlägt, hinterlässt auch dieses Urteil letztlich einen ambivalenten Eindruck. Cyprians Opposition gegen Rom offenbart gleichzeitig seinen absoluten Herrschaftsanspruch (»who ruled with the most absolute sway«). Ein an dieser Stelle angestellter Vergleich mit dem karthagischen Feldherrn Hannibal spielt u. a. auf das Fehlen politischer oder militärischer Machtmittel in den Händen des Klerus an und liest sich entsprechend zwiespältig: »If this Punic war was carried on without any effusion of blood, it was owing much less to the moderation than to the weakness of the contending prelates. Invectives and excommunications were their only weapons [. . . ].« 93 Insgesamt überwiegt in Gibbons Cyprian-Porträt die Kritik an einem Bischof, der machtgierig seine Stellung gegenüber den Gläubigen ausnützte und sich in der Ausübung seines geistlichen »Hirtenamts« als absolut regierender Potentat erwies. Auch im Kontext der bereits diskutierten Herrschaftsinstrumente der Bischöfe spielt Gibbon auf Cyprians Schrift »Von der Einheit« an. »The bishops, whose paternal care extended itself to the government of both worlds, were sensible of the importance of these prerogatives, and covering their ambition with the fair pretence of the love of order, they were jealous of any rival in the exercise of a discipline so necessary to prevent the desertion of those troops which had enlisted themselves under the banner of the cross, and whose numbers every day became more considerable.« 94 Dieses Zitat vereinigt noch einmal sehr schön verschiedene argumentative Stränge von Gibbons Analyse des bischöflichen Dominanzstrebens, beispielhaft verkörpert durch Cyprian. Eine skeptische Bewertung der Unsterblichkeitslehre verbindet sich hier mit einer Kritik an der von Cyprian entwickelten theoretischen Begründung des Bischofsamts (die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung der Kirche als Vorwand, um sich gegen interne Konkurrenten durchzusetzen). Zusätzlich scheint hier die These von der bedrohlichen Ausstrahlung des frühen Christentums durch, wenn das Agieren der Bischöfe in militärisch geprägten Formulierungen in Beziehung zur Ausbreitung des Christentums gesetzt wird. Mithilfe eines längeren Zitats aus einem Brief Cyprians veranschaulicht 92 93 94
DF, XV, Bd. 1, S. 489. DF, XV, Bd. 1, S. 489. Vgl. Womersley (2002), S. 113 f. DF, XV, Bd. 1, S. 496.
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Gibbon den Anspruch der Bischöfe auf absolute Autorität, die nach Cyprian für die Einheit der Gesamtkirche und das Überleben des Christentums grundlegend war. 95 Zum Abschluss seiner Diskussion der fünften »natürlichen« Ursache stellt Gibbon noch einmal Cyprian als Prototyp des machtbewussten Kirchenherrschers in den Mittelpunkt und zieht eine Analogie zwischen der geistlichen Herrschaft der Bischöfe und einer despotischen Gewaltherrschaft über ein unterworfenes Volk. »Cyprian had renounced those temporal honours, which it is probable he would never have obtained; but the acquisition of such absolute command over the consciences and understanding of a congregation, however obscure or despised by the world, is more truly grateful to the pride of the human heart, than the possession of the most despotic power, imposed by arms and conquest on a reluctant people.« 96
3.2.2 Gregor II. Papst Gregor II. (715 – 731) und seinen Konflikt mit dem byzantinischen Herrscher Leon III. um die Rechtmäßigkeit der christlichen Bilderverehrung behandelt Gibbon in Kapitel XLIX im Rahmen der Darstellung des byzantinischen Bilderstreits. Ausgelöst wurde diese Auseinandersetzung 726 durch ein Edikt Leons III., das die Bilderverehrung verbot und eine Entfernung aller Bilder aus den Kirchen anordnete. Papst Gregor II., der großen Rückhalt von der italienischen Bevölkerung erhielt, stellte sich in der Folgezeit an die Spitze der Opposition der italienischen Christen gegen diesen Erlass, exkommunizierte auf einer Synode in Rom die Bilderstürmer und brachte seine Kritik an deren Vorgehensweise auch in zwei Briefen an Leon III. zum Ausdruck. 97 Längerfristig betrachtet führten das Bilderverbot und die daran anschließende Erhebung der italienischen Städte gegen die byzantinische Oberherrschaft auch zu einer Annäherung der Päpste an die fränkischen Herrscher, die wiederum eine politische Wiedergeburt des Reichs und
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DF, XV, Bd. 1, S. 496: »From the imperious declamations of Cyprian, we should naturally conclude, that the doctrines of excommunication and penance formed the most essential part of religion; and that it was much less dangerous for the disciples of Christ to neglect the observance of the moral duties, than to despise the censures and authority of their bishops.« Gibbon verweist in Anmerkung 149 auf Cyprian, Briefe 69. Die angegebene Stelle konnte allerdings nicht verifiziert werden. Zu Gibbons narrativer Gestaltung vgl. Cosgrove (1999), S. 200 ff. 96 DF, XV, Bd. 1, S. 497. 97 Hans Georg Beck: Die griechische Kirche im Zeitalter des Ikonoklasmus, in: Hubert Jedin (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte, Freiburg im Breisgau u. a. 1973, Bd. 3, 1, S. 31 – 65, hier S. 33 ff.; Bautz, »Gregor II.«.
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eine Stärkung der Hausmacht der Päpste mit sich brachte. 98 Den geschichtlichen Stellenwert der Auseinandersetzung zwischen Rom und Byzanz und der daraus resultierenden politischen Umgestaltung hebt auch Gibbon hervor: »At the head of this class, we may justly rank the worship of images, so fiercely disputed in the eighth and ninth centuries; since a question of popular superstition produced the revolt of Italy, the temporal power of the popes, and the restoration of the Roman empire in the West.« 99 Welches Bild Gibbon von Papst Gregor II. entwirft, ist insofern von besonderem Interesse, als die Geschichte des byzantinischen Bilderstreits die theologische Kirchengeschichtsschreibung in unterschiedliche Lager aufspaltete. Wie Gibbon einleitend deutlich macht, variierte die Bewertung der beteiligten Päpste durch byzantinische, griechische, katholische und protestantische Autoren in Abhängigkeit von ihrer Haltung in der Frage der Bilderverehrung. »[. . . ] but the conduct of the second and third Gregory, in this memorable contest, is variously interpreted by the wishes of their friends and enemies.« 100 Während Gibbon in diesem Kontext die Strategie von katholischen Theologen wie Baronius, der beide Päpste als Vorbilder der eigenen Kirche reklamiert hatte, zurückhaltend bewertete 101, distanzierte er sich hier (anders als im Beispiel der Kirchenverfassung) ausdrücklich auch von den tendenziösen Darstellungen protestantischer Kirchenhistoriker wie Jacques Basnage oder Friedrich Spanheim des Jüngeren »On this occasion, the effects of love and hatred are the same; and the zealous protestants, who seek to kindle the indignation, and to alarm the fears of princes and magistrates, expatiate on the insolence and treason of the two Gregories against their lawful sovereign.« 102 Die entsprechende Anmerkung unterstreicht dann durch den Verweis auf die Tradition der »Magdeburger Zenturiatoren« als Vorreitern einer konfessionell-tendenziösen Kirchengeschichtsschreibung, wie die Arbeiten protestantischer Autoren zu diesem Thema trotz gradueller Abweichungen hinsichtlich ihres polemischen Gehalts zu bewerten
98
Eugen Ewig: Die Abwendung des Papsttums vom Imperium und seine Hinwendung zu den Franken, in: Hubert Jedin (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte, Freiburg im Breisgau u. a. 1973, Bd. 3, 1, S. 3 – 30, hier S. 26 ff.; Thomas F. X. Noble: Images, Iconoclasm, and the Carolingians, Philadelphia 2009, S. 52 ff. 99 DF, XLIX, Bd. 3, S. 86. 100 DF, XLIX, Bd. 3, S. 97. 101 DF, XLIX, Bd. 3, S. 98: »The modern champions of Rome are eager to accept the praise and the precedent: this great and glorious example of the deposition of royal heretics is celebrated by the cardinals Baronius and Bellarmine [. . . ].« 102 DF, XLIX, Bd. 3, S. 98.
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sind. 103 Auch der ansonsten für seine Ausgewogenheit bekannte Mosheim übte in seiner »Allgemeinen Kirchengeschichte« deutlich Kritik am fanatischen Auftreten der involvierten Päpste bei ihrem Kampf für die heiligen Bilder: »The furious zeal which Gregory II. had shewn in defending the odious superstition of imageworship, was not only imitated, but even surpassed by his successor, who was the IIId pontif of that name; and though, at this distance of time, we are not acquainted with all the criminal circumstances that attended the intemperate zeal of these insolent prelates, yet we know with the utmost certainty, that it was owing to their extravagant attachment to image-worship that the Italian provinces were torn from the Grecian empire.« 104 Im Unterschied zu diesen negativ geprägten Abhandlungen protestantischer Autoren stellt Gibbons Darstellung das politische Engagement und die »weltlichen« Tugenden der beteiligten Päpste, unter ihnen Gregor II., in den Mittelpunkt: »In the school of adversity the priest insensibly imbibed the virtues and the ambition of a prince; the same character was assumed, the same policy was adopted, by the Italian, the Greek, or the Syrian, who ascended the chair of St. Peter; and, after the loss of her legions and provinces, the genius and fortune of the popes again restored the supremacy of Rome.« 105 In einer Situation, in der Rom seine imperiale Vormachtstellung verloren hatte, stand das Engagement kirchlicher Herrscher wie Gregor II. also in Verbindung mit der Befreiung der italienischen Provinzen von der byzantinischen Oberherrschaft. Byzanz verkörperte für Gibbon in erster Linie ein politisches System der Stagnation, in dem ein autokratisch regierender Despot an der Spitze des Staates stand und bürgerliche Tugenden wie das Streben nach Selbstbestimmung verkümmert waren. 106 Vor diesem Hintergrund erhielt das Agieren der in den Bilderstreit involvierten Päpste, das einem weltlichen Herrscher angemessen war, ausdrücklich Gibbons Billigung. Eine gewisse Einseitigkeit in der Besprechung der byzantinischen Geschichte und in Gibbons Umgang mit den byzantinischen Quellen lässt sich dabei allerdings nicht leugnen. 107 103
DF, XLIX, Bd. 3, S. 98, Anm. 29: »Take, as a specimen, the cautious Basnage and the vehement Spanheim, who, with an hundred more, tread in the footsteps of the centuriators of Magdeburgh.« 104 Mosheim, Ecclesiastical History, VIII, II, 3, Bd. 1, S. 270. 105 DF, XLIX, Bd. 3, S. 97. 106 John Robertson: Gibbon’s Roman Empire as a Universal Monarchy: the Decline and Fall and the Imperial Idea in Early Modern Europe, in: Rosamond McKitterick / Roland Quinault (Hgg.), Edward Gibbon and Empire, Cambridge 1997, 247 – 270, hier S. 268 f. 107 James Howard-Johnston: Gibbon and the Middle Period of the Byzantine Empire, in: Rosamond McKitterick / Roland Quinault (Hgg.), Edward Gibbon and Empire, Cambridge 1997, 53 – 77, hier S. 74 ff.; Stephen Runciman: Gibbon and Byzantium, Daedalus 105 (1976), 103 – 110, hier S. 104.
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Es wäre falsch, Gibbon in irgendeiner Form mit den Motiven der christlichen Bilderverehrer identifizieren zu wollen. Sehr deutlich wird seine Haltung in der an den Anfang des Kapitels gestellten Rekapitulation der Genese der christlichen Bilderverehrung. Da die entsprechende Abhandlung sehr komplex aufgebaut ist und Gibbon verschiedene Gedankengänge verfolgt, um die Rationalität der Bilderverehrung zu unterminieren 108, können an dieser Stelle nur einzelne Argumente angedeutet werden, ohne im Detail auf den argumentativen Verlauf einzugehen. So rekurriert Gibbon an einer Stelle erneut auf Humes religionskritischen Begriff des Aberglaubens, um die Attraktivität der Bilder für die Gläubigen zu erklären. »The worship of images had stolen into the church by insensible degrees, and each petty step was pleasing to the superstitious mind, as productive of comfort and innocent of sin.« 109 Unmittelbar danach bringt er eine These von Conyers Middleton ein, nach der in verschiedenen Praktiken des Katholizismus wie der Bilderverehrung Elemente der früheren heidnischen Religion zurückgekehrt seien, legt diese jedoch taktisch klug den frühmittelalterlichen jüdischen und muslimischen Kritikern des Christentums in den Mund. »But in the beginning of the eighth century, in the full magnitude of the abuse, the more timorous Greeks were awakened by an apprehension, that under the mask of Christianity, they had restored the religion of their fathers: they heard, with grief and impatience, the name of idolaters; the incessant charge of the Jews and Mahometans, who derived from the Law and the Koran an immortal hatred to graven images and all relative worship.« 110 Gibbons positive Bewertung Gregors II. stützt sich vor allem auf die zentrale Rolle des Papstes beim Widerstand Italiens gegen die politische Unterdrückung durch die byzantinischen Herrscher. Ein längeres Zitat aus einem der päpstlichen Briefe an Leon III. dient als Grundlage für eine Offenlegung der byzantinischen Despotie. 111 Obwohl Gibbon das Eintreten Papst Gregors II. für die italienische Unabhängigkeit positiv beurteilt, lässt sein Porträt auch Raum für alternative Deutungen. So weist er beispielsweise auf den nicht eindeutigen Charakter der 108
Vgl. Howard-Johnston, S. 58 f. DF, XLIX, Bd. 3, S. 91; Hume, Of Superstition, S. 144 f. 110 DF, XLIX, Bd. 3, S. 91. Middleton entwickelte diesen kontroversen Gedankengang in seinem »Letter from Rome« (1729). Middletons Theorie rezipierte Gibbon auch in Kapitel XXVIII im Kontext der im fünften Jahrhundert aufblühenden katholischen Heiligen- und Reliquienverehrung; DF, XXVIII, Bd. 2, S. 97 mit Anm. 90. 111 DF, XLIX, Bd. 3, S. 100: »You assault us, O tyrant! with a carnal and military hand: unarmed and naked, we can only implore the Christ, the prince of the heavenly host, that he will send unto you a devil, for the destruction of your body and the salvation of your soul. [. . . ].« Die Frage nach der Authentizität der beiden Briefe Gregors II. ist innerhalb der Forschung umstritten, in der heute vorliegenden Form handelt es sich wahrscheinlich um eine Kompilation aus dem neunten Jahrhundert; Leslie Brubaker / John F. Haldon: Byzantium in the Iconoclast Era (ca. 650 – 850). The Sources, an Annotated Survey, Aldershot u. a. 2001, S. 277. 109
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päpstlichen Briefe hin: »[. . . ] they exhibit the portrait, or at least the mask, of the founder of the papal monarchy.« 112 Parallel dazu distanziert sich Gibbon auch von den in seinen Augen wenig überzeugenden theologischen Argumenten des Verfassers wie der Darlegung, dass christliche Bilder nicht mit heidnischen Idolen verglichen werden könnten, entsprechende Vorwürfe gegen die Bilderverehrer also unberechtigt seien. 113 Auch auf die Frage nach den Motiven Gregors II. gibt Gibbons Porträt keine eindeutige Antwort: »Neither zeal nor policy allowed him to hesitate; and the haughty strain in which Gregory addressed the emperor displays his confidence in the truth of his doctrine or the powers of resistance. Without depending on prayers or miracles, he boldly armed against the public enemy, and his pastoral letters admonished the Italians of their danger and their duty.« 114 Diese Erklärungsangebote schreiben dem Papst ambivalente Charakterzüge zu und lassen ihn zwischen christlichem Glauben und einer republikanischen Gesinnung schwanken (»neither zeal nor policy«, »the truth of his doctrine or the powers of resistance«). 115 In einem Rückblick auf die Anfänge des römischen Kaisertums zieht die Darstellung schließlich eine Verbindungslinie zwischen der Zerstörung der republikanischen Freiheiten und dem Verlust bürgerlicher Tugenden durch die Machtusurpation des Augustus und dem Einsatz Gregors II. im achten Jahrhundert. Ausgerechnet dem Oberhaupt der katholischen Kirche fällt bei Gibbon die Rolle zu, erfolgreich einen Zustand der Freiheit erkämpft zu haben, der mit dem Übergang von der Republik zum Kaiserreich verloren gegangen war. »The liberty of Rome, which had been oppressed by the arms and arts of Augustus, was rescued, after seven hundred and fifty years of servitude, from the persecution of Leo the Isaurian.« 116 Wie dieses Beispiel zeigt, gesteht Gibbon also selbst einem Papst eine positive Rolle zu, wenn dieser wie Gregor II. Widerstand gegen die despotische Unterdrückung politischer Freiheiten leistete. 117 Während die Aktivitäten Cyprians und anderer frühchristlicher Bischöfe vor dem Hintergrund der zerfallenden Reichsstrukturen interpretiert und als potentiell gefährlich für den Fortbestand der 112
DF, XLIX, Bd. 3, S. 99. DF, XLIX, Bd. 3, S. 99 f. 114 DF, XLIX, Bd. 3, S. 101. 115 Zur sprachlichen Gestaltung vgl. Braudy, S. 246 ff. 116 DF, XLIX, Bd. 3, S. 104. Zur Bewertung der politischen Verfassung des Reichs unter Augustus und seinen Nachfolgern vgl. z. B. DF, III, Bd. 1, S. 93: »To resume, in a few words, the system of the Imperial government; as it was instituted by Augustus, and maintained by those princes who understood their own interest and that of the people, it may be defined an absolute monarchy disguised by the forms of a commonwealth. The masters of the Roman world surrounded their throne with darkness, concealed their irresistible strength, and humbly professed themselves the accountable ministers of the senate, whose supreme decrees they dictated and obeyed.« Vgl. Nippel (2003), S. 43 ff. 117 Vgl. Nippel (2005), S. 130 f. 113
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bestehenden Ordnung eingeschätzt wurden, erfährt das Engagement Gregors II. in Kapitel XLIX eine andere Beurteilung. Denn der Einsatz des Papstes für die Verteidigung der Bilderverehrung setzte längerfristig betrachtet einen Prozess in Gang, der zu einer Neuordnung der politischen Verhältnisse und einer Wiederherstellung des Römischen Reichs unter anderen Vorzeichen führte.
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4.1 Das zerstörerische Potential des Christentums Wie die Berufung auf das frühe Christentum, dessen vorbildliche Glaubensreinheit und Tugendhaftigkeit, ein wiederkehrender Bestandteil apologetischer Schriften war, so entwickelten diese auch für die Christenverfolgungen unter den römischen Herrschern vor Konstantin I. spezifische Formen der Auslegung. Kirchenväter wie Cyprian und Eusebius, die Zeitzeugen der Verfolgungen waren, betrachteten sie als ein göttliches Strafgericht, das der Kirche wegen zunehmender innerer Missstände auferlegt worden war. 1 Da das Christentum trotz des Verfolgungsdrucks letztlich triumphierte und unter Konstantin I. rechtlich anerkannt worden war, konnten die Verfolgungen in der Rückschau auch als ein Zeugnis für Gottes allmächtiges Wirken und den göttlichen Ursprung des christlichen Glaubens interpretiert werden. 2 Im Zusammenhang mit den christlichen Märtyrern entwickelte sich zudem eine spezifische Theologie des Martyriums mit eigenen Begrifflichkeiten. 3 Christen, die während der Verfolgungen ihr Leben verloren hatten, wurde eine generelle Sündenvergebung zugesprochen; im öffentlichen Leben der Kirche wurden ihnen besondere Ehrenbezeigungen zuteil, die vor allem in der Verehrung ihrer Grabstätten und der Anbetung der Märtyrerreliquien zum Ausdruck kamen. 4 Der Märtyrerkult bildete so eine der Wurzeln der kirchlichen Heiligenverehrung: Die ersten Heiligen, die von der Kirche verehrt und in die Festkalender der Gemeinden aufgenommen wurden, waren Märtyrer. Apostel oder Bischöfe, die als Heilige verehrt wurden, konnten am Ende der Verfolgungszeit auch nachträglich die Ehrenstellung eines Märtyrers erhalten. 5 1
Werner Portmann: Zu den Motiven der diokletianischen Christenverfolgung, Historia 39 (1990), 212 – 248, hier S. 224 ff.; Lane Fox, S. 549. 2 Womersley (1988a), S. 129. 3 Lane Fox, S. 436 ff.; Glen W. Bowersock: Martyrdom and Rome, Cambridge 1995, S. 6 ff. Der Begriff »Märtyrer« stammt ursprünglich aus dem Griechischen und meinte schlicht »Zeuge«. In der Bedeutung des christlichen »Blutzeugen«, der für den Glauben sein eigenes Leben hingibt, tauchte er zum ersten Mal Mitte des zweiten Jahrhunderts in einem Brief der Gemeinde Smyrna auf, in dem das Martyrium Polykarps berichtet wird. 4 Karl Hausberger: »Heilige / Heiligenverehrung. III. Anfänge der christlichen Heiligenverehrung«, Theologische Realenzyklopädie, Bd. 14 (1985); Hausammann, S. 28 ff. 5 Hausammann, S. 27 ff. Gibbon setzt sich mit dem Entstehen der christlichen Heiligenund Reliquienverehrung in Kapitel XXVIII auseinander; DF, XXVIII, Bd. 2, S. 90 ff.
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Märtyrergeschichte und Märtyrerlegenden
Anders als die Authentizität der christlichen Wunder oder die apostolische Sukzession der Bischöfe standen die Christenverfolgungen im anglikanischen Kontext jedoch nicht im Zentrum öffentlicher Diskussion. 6 Allerdings hatte der von Gibbon rezipierte anglikanische Theologe und Non-Juror Henry Dodwell in der elften Untersuchung seiner »Dissertationes Cyprianicae« von 1682 die von katholischer Seite vertretenen Märtyrerzahlen stark reduziert. 7 Widersprochen wurde Dodwell dann von dem Mauriner Thierry Ruinart innerhalb seiner (von Gibbon gleichfalls verwendeten) Ausgabe der frühen Märtyrerakten, den »Acta primorum Martyrum sincera et selecta« (1689). 8 Voltaires »Essai«, aus dem Gibbon einige Impulse bezieht, behandelte das Thema Christenverfolgungen und Märtyrer sehr kritisch; in gewohnt kursorischer Form wird gegen die kirchliche Bewertung der Verfolgungen polemisiert und die Glaubwürdigkeit christlicher Berichte über diese Vorgänge diskreditiert. 9 Wenngleich die Verfolgung der antiken Christen insgesamt ein weniger prominentes Thema darstellte, begibt sich Gibbon also auch hier – ähnlich wie bei der Besprechung des Frühchristentums in Kapitel XV – auf ein kontroverses Terrain. 10 Seine Betrachtung dieses Themas in Kapitel XVI eröffnet Gibbon, indem er seine Leser auf einen scheinbar paradoxen Sachverhalt hinweist. »If we seriously consider the purity of the Christian religion, the sanctity of its moral precepts, and the innocent as well as austere lives of the greater number of those, who during the first ages embraced the faith of the gospel, we should naturally suppose, that so benevolent a doctrine would have been received with due reverence, even by the unbelieving world; that the learned and the polite, however they might deride the miracles, would have esteemed the virtues of the new sect; and that the magistrates, instead of persecuting, would have protected an order of men who yielded the 6
Nippel (2007), S. 253. Dodwell, der eine immense Gelehrtheit besaß, ist hinsichtlich seines theologischen Standpunktes schwierig einzuschätzen. Er stand der »High Church« durchaus nahe, war Verfechter eines starken Bischofsamts und bekämpfte die unterschiedlichen Ausprägungen des englischen Dissent. Mit seinen dogmatischen Theorien (beispielsweise zur Unsterblichkeitslehre) verstieß er jedoch immer wieder gegen den bestehenden Konsens der anglikanischen Kirche, mit seiner Märtyrerdarstellung lieferte er (unabsichtlich) Munition für heterodoxe Autoren; C.D.A. Leighton: The Religion of the Non-Jurors and the Early British Enlightenment: A Study of Henry Dodwell, History of European Ideas 28 (2002), 247 – 262, hier S. 251 ff.; Jean-Louis Quantin: Anglican Scholarship Gone Mad? Henry Dodwell (1641 – 1711) and Christian Antiquity, in: Christopher R. Ligota / Jean-Louis Quantin (Hgg.), History of Scholarship: A Selection of Papers from the Seminar on the History of Scholarship Held Annually at the Warburg Institute, Oxford u. a. 2006, 305 – 356, hier S. 314 ff. – Gibbon bezieht sich in Anmerkung 43, 90, 125 und 160 von Kapitel XVI auf Dodwell. 8 Nippel (2007), S. 253 f. 9 Voltaire, Essai, VIII, Bd. 1, S. 277 ff. Zu Gibbon und Voltaire vgl. Baridon, S. 438 f. 10 Vgl. Foster, S. 164 ff. 7
Das zerstörerische Potential des Christentums
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most passive obedience to the laws, though they declined the active cares of war and government.« 11 Dieses Zitat spielt auf den Topos des vorbildlichen frühen Christentums an 12, und stellte den christlichen Leser dieser Passage vor ein Dilemma. Denn wenn das frühe Christentum eine in jeder Hinsicht vorbildliche Religion darstellte und seine Anhänger als moralisch ausgezeichnete und sozial unauffällige Bürger gelten können, stellt sich offensichtlich die Schwierigkeit, wie sich noch eine überzeugende Motivation für den Ausbruch der Verfolgungen (gleichfalls ein wichtiger Bestandteil christlicher Apologien) finden lässt. Verteidiger des christlichen Glaubens sahen sich auf diese Weise in argumentative Schwierigkeiten verwickelt, aus denen sich nur schwer ein Ausweg finden ließ. 13 Als noch rätselhafter erscheinen die Verfolgungen, wenn Gibbon danach, mithilfe von Humes Gegenüberstellung polytheistischer und monotheistischer Glaubensformen in der »Natural History«, die charakteristisch tolerante Verfasstheit polytheistischer Religionen hervorhebt. »If on the other hand we recollect the universal toleration of Polytheism, as it was invariably maintained by the faith of the people, the incredulity of philosophers, and the policy of the Roman senate and emperors, we are at a loss to discover what new offence the Christians had committed, what new provocation could exasperate the mild indifference of antiquity, and what new motives could urge the Roman princes, who beheld without concern a thousand forms of religion subsisting in peace under their gentle sway, to inflict a severe punishment on any part of their subjects, who had chosen for themselves a singular but an inoffensive mode of faith and worship.« 14 Dass die zitierten Anspielungen auf die hohe Moralität des Christentums sich nur vordergründig auf die christliche Sichtweise einlassen und tatsächlich als ironisch eingekleidete Kritik an der Kirche gelesen werden müssen, hat bereits die Abhandlung der fünf »natürlichen« Ursachen in Kapitel XV deutlich gemacht. Wie veranschaulicht wurde, entstand hier unausgesprochen der Eindruck, dass das frühe Christentum alles andere als harmlos, sondern im Gegenteil für den Fortbestand des Römischen Reichs ausgesprochen bedrohlich war. 15 Diese versteckte Linie der Argumentation lässt dann auch die von den römischen Herrschern initiierten antichristlichen Maßnahmen in einem anderen Licht erscheinen als es der christlichen Interpretation dieser Vorgänge entsprach, ohne dass Gibbon selbst
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DF, XVI, Bd. 1, S. 514. Alkier, S. 5 f.; Wilken (1971), S. 24 f. Vgl. Kapitel 2.1. 13 Zu Gibbons Argumentationsstrategie vgl. Wootton (1997), S. 218; Womersley (1988a), S. 118 ff. 14 DF, XVI, Bd. 1, S. 514; Hume, Natural History, IX, S. 336 f. 15 Vgl. Wootton (1997), S. 222 ff. 12
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jemals eine explizite Verbindung zwischen seiner Besprechung der »natürlichen« Ursachen und der Erklärung der Verfolgungen hergestellt hätte. 16 Daran anknüpfend verdichtet Gibbon die bedrohlichen Aspekte des neuen Glaubens, wenn er zu Beginn von Kapitel XVI eine Reihe von Vorwürfen präsentiert, die bereits antike Kontrahenten des Christentums vorgetragen hatten (eine wichtige Quelle bildet hier wiederum die nur indirekt in einer Replik des Kirchenvaters Origenes überlieferte Schrift des Platonikers Celsus). 17 Diese aus der Antike überlieferten Widerlegungen des Christentums verbinden sich bei Gibbon erneut mit Einsprengseln aus Humes Religionssoziologie und einer antijüdischen Argumentation im Stil Voltaires. In lockerem Anschluss an zwei Thesen Humes, der in der »Natural History« postulierten grundsätzlichen Toleranz polytheistischer Religionen und der in »Of Parties« demonstrierten Gefährlichkeit (religiöser) Splittergruppen (vgl. Kapitel 3.1) 18, illustriert Gibbon das tolerante Zusammenleben der unterschiedlichen Völker im Römischen Reich, aus dem die Christen als intolerante »Sekte« herausfielen. »It has already been observed, that the religious concord of the world was principally supported by the implicit assent and reverence which the nations of antiquity expressed for their respective traditions and ceremonies. It might therefore be expected, that they would unite with indignation against any sect or people, which should separate itself from the communion of mankind, and claiming the exclusive possession of divine knowledge, should disdain every form of worship, except its own, as impious and idolatrous.« 19 Bevor der Konflikt zwischen Christen und römischen Herrschern betrachtet wird, widmet sich die Darstellung jedoch zuerst einer Untersuchung der jüdisch-römischen Beziehungen – ein argumentativer Umweg, der mehrere Zwecke erfüllt. Da sich auch für die antiken Juden feststellen lässt, dass sie sich aus der Reichsgemeinschaft ausgrenzten, andere Religionen nicht tolerierten und die Steuerzahlungen an Rom verweigerten, möchte Gibbon an ihrem Beispiel konkret untersuchen, inwieweit seine an Hume angelehnten, lediglich spekulativen Überlegungen zutreffend sind. In einem weiteren Schritt will er dann auch Rückschlüsse auf die Motive der Christenverfolgungen ziehen. 20 16
Vgl. Nippel (2007), S. 251. Zum Rekurs auf die Argumente antiker heidnischer Autoren insgesamt vgl. Schröder (2009), S. 34 f. u. 47; Kinzig, S. 349 f. (vgl. Kapitel 2.3). 18 DF, XVI, Bd. 1, S. 515: »A reason has been assigned for the conduct of the emperors towards the primitive Christians, which may appear the more specious and probable as it is drawn from the acknowledged genius of Polytheism.«; Hume, Natural History, IX, S. 336 f.; ders., Of Parties, S. 131 ff. mit Anm. 1. 19 DF, XVI, Bd. 1, S. 515. 20 DF, XVI, Bd. 1, S. 515: »As the payment of this tribute was inflexibly refused by the Jews, and by them alone, the consideration of the treatment which they experienced from the Roman 17
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Darüber hinaus nützt Gibbon diese Gelegenheit wieder einmal für einen antijüdischen Ausfall, in dem die Unmenschlichkeit und Grausamkeit der Juden vorgeführt werden. 21 Die Beschreibung der jüdischen Revolten gegen die römische Herrschaft bis zum Bar-Kokhba-Aufstand (132 – 135) präsentiert die Juden als unberechenbare Fanatiker und betont die Gewaltätigkeit dieser Aufstände: »From the reign of Nero to that of Antoninus Pius, the Jews discovered a fierce impatience of the dominion of Rome, which repeatedly broke out in the most furious massacres and insurrections. Humanity is shocked at the recital of the horrid cruelties, which they committed in the cities of Egypt, of Cyprus, and of Cyrene, where they dwelt in treacherous friendship with the unsuspecting natives; and we are tempted to applaud the severe retaliation which was exercised by the arms of the legions against a race of fanatics, whose dire and credulous superstition seemed to render them the implacable enemies not only of the Roman government, but of humankind.« 22 Ähnlich wie bei der Erörterung der jüdisch-christlichen Intoleranz in Kapitel XV erinnert diese Abqualifizierung der Juden deutlich an Voltaires »Philosophie de l’histoire«. 23 Wiederum spielt Gibbon an dieser Stelle auf das Motiv des jüdischen Menschenhasses an, den Voltaire aber auch Tacitus im Judenexkurs der »Historien« angeprangert hatten. 24 Eine derartige Diffamierung der Juden ließ sich, wie gezeigt wurde, aufgrund der engen geistigen Verbindung zwischen Judentum und Christentum grundsätzlich auf die Christen übertragen und diskreditierte damit unausgesprochen auch die Kirche (vgl. Kapitel 2.2). 25 magistrates, will serve to explain how far these speculations are justified by facts, and will lead us to discover the true causes of the persecution of Christianity.« – Im Jahr 71 wurde durch Vespasian eine Sondersteuer für die Juden eingeführt (der »fiscus Iudaicus«); Günter Stemberger: »Juden«, Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 19 (1998). 21 DF, XVI, Bd. 1, S. 515 f. 22 DF, XVI, Bd. 1, S. 515 f. Unter Trajan erhoben sich die Juden ab 115 in Babylonien, Ägypten und der Kyrenaika, diese Aufstände wurden von den Römern nach einem blutigen Krieg niedergeschlagen, die betroffenen jüdischen Gemeinden dabei fast völlig ausgelöscht. Der BarKokhba-Aufstand erfasste ab 132 weite Teile der Provinz Judäa, dem Krieg der römischen Truppen fiel ein Großteil der jüdischen Bevölkerung der Provinz zum Opfer; Stemberger, »Juden«. 23 Vgl. DF, XV, Bd. 1, S. 447 f.; Voltaire, Essai, Introduction, XLII, Bd. 1, S. 151. 24 Gibbon beruft sich hier u. a. auf Cassius Dio (Anm. 1 u. 2); Cassius Dio, Römische Geschichte 68 u. 69. In Anmerkung 1 übernimmt Gibbon aus Cassius Dio einige drastische Details und eine sehr hohe Anzahl an Opfern der jüdischen Aufstände. Zu Gibbons Stilisierung der jüdischen Grausamkeit vgl. Frederick P. Lock: The Rhetoric of Numbers in Gibbon’s History, Newark 2012, S. 139. Ähnlich auch DF, XVI, Bd. 1, S. 517: »[The Jews’] irreconcileable hatred of mankind, instead of flaming out in acts of blood and violence, evaporated in less dangerous gratifications.« 25 Sutcliffe (2003b), S. 110; Manuel, S. 177 ff. Bereits Tacitus übertrug das Motiv des Menschenhasses von den Juden auf die Christen (Annalen 15, 44), diese Stelle aus Tacitus greift Gibbon etwas später während der Besprechung der Neronischen »Christenverfolgung« auf; DF, XVI, Bd. 1, S. 528 mit Anm. 32 u. 33 (vgl. Kapitel 4.2).
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Obwohl Gibbons Darstellung die Juden als inhumane Fanatiker und Reichsfeinde ausweist, lässt sich in ihrem Fall nur ein partiell gewaltsames Vorgehen der römischen Behörden feststellen. Nach der Niederschlagung der jüdischen Aufstände und der Wiederherstellung der Ordnung in der Provinz Syria Palaestina erfolgten keine weiteren Maßnahmen gegen die Juden, das Verhalten der römischen Herrscher zeigte die gewohnte Toleranz. 26 Das Beispiel der Juden kann also als Beweis für ein maßvolles und pragmatisches Vorgehen der römischen Herrscher in religionspolitischen Angelegenheiten dienen. Eine direkte Antwort auf die Frage, wie es zu den Christenverfolgungen kam, gibt die Darstellung bis zu diesem Punkt nicht. Indirekt legt die Argumentation jedoch nahe, dass den antiken Christen offensichtlich noch schwerer wiegende Vergehen anzulasten sind, wenn die römischen Herrscher selbst eine vermeintlich inhumane und mit befremdlichen Bräuchen ausgestattete Religion wie das Judentum weitgehend tolerierten. 27 Als Erklärung für die unterschiedliche Behandlung von Juden und Christen bringt Gibbon dann ein von Celsus überliefertes Argument gegen das Christentum ein. »By embracing the faith of the gospel, the Christians incurred the supposed guilt of an unnatural and unpardonable offence. They dissolved the sacred ties of custom and education, violated the religious institutions of their country, and presumptuously despised whatever their fathers had believed as true, or had reverenced as sacred.« 28 Celsus hatte dem jüdischen Volk zu Gute gehalten, an den eigenen religiösen Traditionen festzuhalten 29, während er den Christen vorwarf, von Bräuchen und Religion ihrer Vorfahren abgefallen zu sein. 30 Da die 26
DF, XVI, Bd. 1, S. 516: »Notwithstanding these repeated provocations, the resentment of the Roman princes expired after the victory; nor were their apprehensions continued beyond the period of war and danger. By the general indulgence of polytheism, and by the mild temper of Antoninus Pius, the Jews were restored to their ancient privileges [. . . ].« 27 DF, XVI, Bd. 1, S. 517: »Since the Jews, who rejected with abhorrence the deities adored by their sovereign and by their fellow-subjects, enjoyed however the free exercise of their unsocial religion; there mus have existed some other cause, which exposed the disciples of Christ to those severities from which the posterity of Abraham was exempt.« 28 DF, XVI, Bd. 1, S. 517 f. In Anmerkung 8 verweist Gibbon auf Celsus: »From the arguments of Celsus, as they are represented and refuted by Origen, we may clearly discover the distinction that was made between the Jewish people and the Christian sect.« Als weiteren antiken Referenztext nennt Gibbon den Dialog »Octavius« von Minucius Felix, in dem die antichristlichen Argumente des Heiden Caecilius überliefert sind. 29 Origenes, Gegen Celsus 5, 25: »Die Juden nun, die ein besonderes Volk geworden sind und sich nach der Landessitte Gesetze gegeben haben und diese bei sich auch jetzt noch bewahren und einen Gottesdienst haben, der, wie er sonst auch immer beschaffen sein mag, doch von den Vätern ererbt ist, handeln ähnlich wie die andern Menschen; denn ein jedes Volk hält die von den Vorfahren überkommenen Gebräuche, von welcher Art sie auch sein mögen, in Ehren.« 30 Origenes, Gegen Celsus 5, 33: »Ich will sie [die Christen] fragen, woher sie kommen, oder wen sie als Urheber ihrer väterlichen Gesetze betrachten. Sie werden keinen anzugeben wissen, da
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Christen, im Unterschied zu den Juden, mit den eigenen religiösen Traditionen brachen und damit gegen einen allgemein gültigen Konsens verstießen, können sie als außerhalb der Gemeinschaft stehende »Sekte« präsentiert werden. »The Jews were a nation; the Christians were a sect; and if it was natural for every community to respect the sacred institutions of their neighbours, it was incumbent on them to persevere in those of their ancestors.« 31 Indem Gibbon die Celsus entnommene Kritik am Traditionsbruch der Christen in Zusammenhang mit einer Neuinterpretation der Christenverfolgungen bringt, deutet sich die Richtung einer alternativen Erklärung der Verfolgungen an, in der die christliche Deutung dieser Vorgänge in ihr Gegenteil verkehrt wird, weil die auslösenden Faktoren der Seite der Christen zugeschrieben werden. 32 In vergleichbarer Weise greift Gibbon weitere antichristliche Einwände aus antiken Texten auf, um seine Beleuchtung der problematischen Aspekte des frühen Christentums fortzusetzen. Eine Kritik am Gottesbild der Christen und ihrer Glaubensausübung, die äußere Manifestationen des Glaubens wie Altäre, Tempel oder Götterbilder verachtete, kann Gibbon u. a. den Argumenten des Heiden Caecilius aus Minucius Felix’ Dialog »Octavius« entnehmen. »The pure and sublime idea which they [the Christians] entertained of the Supreme Being escaped the gross conception of the Pagan multitude, who were at a loss to discover a spiritual and solitary God, that was neither represented under any corporeal figure or visible symbol, nor was adored with the accustomed pomp of libations and festivals, of altars and sacrifices.« 33 Entfernt klingt hier vielleicht auch eine Idee aus Humes »Natural History« an, die das für den Menschen nicht mehr fassbare Gottesbild monotheistischer Religionen beschrieb. 34 Ausnahmsweise rückt Gibbon hier auch von seiner bereits angesprochenen Zurückhaltung ab, das Apostolische Zeitalter und Jesus als historische Person zu thematisieren 35, wenn er genüsslich das von den heidnischen Autoren bezeugte sie ebenfalls von dort [von den Juden] ausgegangen sind und ihren Lehrmeister und Chorführer nicht anderswoher nehmen: und doch sind sie von den Juden abgefallen.« Vgl. Wilken (1984), S. 112 ff. 31 DF, XVI, Bd. 1, S. 517. 32 Foster, S. 166; Womersley (1988a), S. 129. 33 DF, XVI, Bd. 1, S. 519 mit Anm. 9; Minucius Felix, Octavius 10, 2 – 3: »Weshalb sonst hätten sie keine Altäre, keine Tempel, keine bekannten Götterbilder [. . . ]? Woher aber stammt und wer ist und wo ist jener einzigartige, alleinstehende, verlassene Gott, welchen keine Republik, kein Königreich, nicht einmal die Religion der Römer kennt?« 34 Hume, Natural History, VIII, S. 335: »Men’s exaggerated praises and compliments still swell their idea upon them; and elevating their deities to the utmost bounds of perfection, at last beget the attributes of unity and inifinity, simplicity and spirituality. Such refined ideas, being somewhat disproportioned to vulgar comprehension, remain not long in their original purity [. . . ].« 35 Pocock (2000a), S. 50 f.
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Unverständnis für den Stifter des christlichen Glaubens vorträgt. »[Jesus’] mild constancy in the midst of cruel and voluntary sufferings, his universal benevolence, and the sublime simplicity of his actions and character, were insufficient, in the opinion of those carnal men, to compensate for the want of fame, of empire, and of success; and whilst they refused to acknowledge his stupendous triumph over the powers of darkness and of the grave, they misrepresented, or they insulted, the equivocal birth, wandering life, and ignominious death, of the divine Author of Christianity.« 36 Seine Zweifel gegenüber Jesu Ansehen und theologischem Status bringt Gibbon hier an, indem er in diesem theologisch sehr brisanten Kontext vorgeblich nur die kritische Perspektive heidnischer Autoren wiedergibt und sich nicht direkt mit deren antichristlichen Äußerungen identifiziert. Ein weiterer Anklagepunkt von heidnischer Seite bezog sich auf die heimlichen Zusammenkünfte der Christen: Sie erregten den Argwohn der römischen Herrscher, da private Versammlungen religiöser Natur generell als verdächtig erschienen und verurteilt wurden. 37 Gibbon benützt diesen Punkt, um erneut den bedrohlichen Charakter des Christentums in den Augen der Heiden und das defensive Verhalten der Kaiser herauszustellen. »The religious assemblies of the Christians, who had separated themselves from the public worship, appeared of a much less innocent nature: they were illegal in their principle, and in their consequences might become dangerous; nor were the emperors conscious that they violated the laws of justice, when, for the peace of society, they prohibited those secret and sometimes nocturnal meetings.« 38 Verschiedene Kritikpunkte aus Kapitel XV und XVI zusammenfassend lassen sich die frühen Christen dann als weltabgewandte und sozial isolierte Gruppe präsentieren, die durch den Verrat der eigenen religiösen Traditionen, die Formierung einer abgeschotteten Gemeinschaft (im Sinn von Humes religionskritischem Aufsatz »Of Parties«) und obskure Prophezeiungen als bedrohlicher Fremdkörper innerhalb des Reichs erscheinen musste. »The new converts seemed to renounce 36
DF, XVI, Bd. 1, S. 520 mit Anm. 13. Origenes, Gegen Celsus 1, 61: »Wenn Celsus dies beachtet hätte, so würde er nicht sagen: ›Wenn, damit du nicht herangewachsen in seiner Stadt König wärst, warum bist du, nachdem du herangewachsen warst, nicht König, sondern bettelst so unmännlich, du, der Sohn Gottes, und versteckst dich aus Furcht und ziehst in Jammer und Elend herum?‹« 37 Z. B. Minucius Felix, Octavius 10, 1 – 2: »Dies allein schon ist mehr als genug und eben die Heimlichtuerei dieser verwerflichen Religion erweist all das oder so ziemlich alles als richtig. Denn warum suchen sie so angelegentlich den Gegenstand ihrer Verehrung, wie er nun beschaffen sein mag, geheimzuhalten und zu verbergen? Freut sich nicht das Gute stets der Öffentlichkeit, während das Laster sich versteckt? Weshalb sonst hätten sie keine Altäre, keine Tempel, keine bekannten Götterbilder; warum reden sie nicht öffentlich, versammeln sich niemals ungescheut? Weil eben der Gegenstand ihrer Verehrung und Verheimlichung strafbar oder schändlich ist.« Vgl. Hausammann, S. 2 f. 38 DF, XVI, Bd. 1, S. 521.
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their family and country, that they might connect themselves in an indissoluble band of union with a peculiar society, which every where assumed a different character from the rest of mankind. Their gloomy and austere aspect, their abhorrence of the common business and pleasures of life, and their frequent predictions of impending calamities, inspired the Pagans with the apprehension of some danger which would arise from the new sect, the more alarming as it was the more obscure.« 39 Mit dem Vorwurf illegaler Versammlungen verbanden sich Geschichten über vermeintliche Orgien und Ritualmorde der Christen. Gibbon nützt diese überlieferten Gerüchte zu einem Verwirrspiel mit den unterschiedlichen Perspektiven von »orthodoxen« Christen, häretischen Christen und heidnischen Kritikern des Christentums, das die christliche Moral (wie auch die innere Einheit der Kirche) bloßstellt und hier als abschließendes Beispiel des Rekurses auf die Argumente heidnischer Autoren betrachtet werden soll. Um mögliche Vorwürfe einer kirchenfeindlichen Darstellung zu entkräften, stellt Gibbon zu Beginn unmissverständlich klar, lediglich die Sichtweise der antichristlichen Seite zu referieren, wenn er auf die Vergehen der ersten Christen zu sprechen kommt. »[The Christians’] mistaken prudence afforded an opportunity for malice to invent, and for suspicious credulity to believe, the horrid tales which described the Christians as the most wicked of human kind, who practised in their dark recesses every abomination that a depraved fancy could suggest, and who solicited the favour of their unknown God by the sacrifice of every moral virtue.« 40 Im Text folgt ein längeres wörtliches Zitat aus Minucius Felix’ »Octavius«, das diese Anschuldigungen anschaulich und ausführlich dokumentiert. 41 Von den Vorwürfen aus dem Mund des Heiden Caecilius aus Minucius Felix’ Dialog rückt Gibbon dann gleich wieder ein Stück weit ab, indem er ausdrücklich auf die Perspektive der christlichen Seite verweist und sich selbst in diesem Zusammenhang geschickt als unparteilichen Berichterstatter stilisiert. »But the perusal of the ancient apologies was sufficient to remove even the slightest suspicion from the mind of a candid adversary.« 42 Diese vorgeblich hohe Überzeugungskraft der christlichen Apologien führt Gibbon zu einer letzten Erklärungsmöglichkeit: Die Kirche selbst habe den zahlreichen Gruppen häretischer Christen ihre angebliche Sittenlosigkeit zum Vorwurf gemacht. 43 Dass 39
DF, XVI, Bd. 1, S. 521. DF, XVI, Bd. 1, S. 522. 41 DF, XVI, Bd. 1, S. 522 mit Anm. 19; Minucius Felix, Octavius 9, 5 – 6. Gibbon verweist hier zusätzlich auf Justin den Märtyrer, Athenagoras und Tertullian. 42 DF, XVI, Bd. 1, S. 522. 43 DF, XVI, Bd. 1, S. 523: »Nothing, it should seem, could weaken the force or destroy the effect of so unanswerable a justification, unless it were the injudicious conduct of the apologists themselves, who betrayed the common cause of religion, to gratify their devout hatred 40
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umgekehrt auch die Häretiker ähnlich lautende Vorwürfe gegen die Anhänger der Hauptkirche erhoben, lässt sich am Beispiel des zum Montanismus übergetretenen Kirchenvaters Tertullian nachweisen. »Accusations of a similar kind were retorted upon the church by the schismatics who had departed from its communion, and it was confessed on all sides, that the most scandalous licentiousness of manners prevailed among great numbers of those who affected the name of Christians.« 44 Angesichts der überlieferten wechselseitigen Beschuldigungen von »orthodoxen« und häretischen Christen erscheinen dann, wie Gibbon anschaulich demonstrieren kann, nicht nur unterschiedslos alle Christen als diskreditiert. Die Darlegung macht darüber hinaus plausibel, warum die römischen Herrscher die Christen insgesamt unter Verdacht stellten und mit entsprechenden Maßnahmen reagierten. Ohne dass Gibbon sich jemals direkt zum Wahrheitsgehalt der heidnischen Zeugnisse geäußert hätte, gelingt es ihm durch das Einblenden unterschiedlicher Perspektiven, die Kirche indirekt in ihrem Selbstverständnis als moralisch vorbildliche Institution zu diskreditieren und gleichzeitig an einem erneuten Beispiel den defensiven Charakter der kaiserlichen Religionspolitik vorzuführen. Nachdem in der geschilderten Weise das frühe Christentum als eine fanatische, potentiell gefährliche und zudem moralisch korrumpierte Bewegung entlarvt wurde, kann Gibbon seine Einschätzung der Christenpolitik der römischen Herrscher vortragen. Die antichristlichen Gewaltmaßnahmen (die zudem im Vergleich mit den Religionskriegen der Frühen Neuzeit als gemäßigt erscheinen) werden als eine durch Staatsräson motivierte Abwehrreaktion verstanden und auf rein pragmatische Beweggründe der Herrscher zurückgeführt. »But the princes and magistrates of ancient Rome were strangers to those principles which inspired and authorised the inflexible obstinacy of the Christians in the cause of truth, nor could they themselves discover in their own breasts, any motive which would have prompted them to refuse a legal, and as it were a natural, submission to the sacred institutions of their country [. . . ] As they were actuated, not by the furious zeal of bigots, but by the temperate policy of legislators, contempt must often have relaxed, and humanity must frequently have suspended the execution of those laws, which they enacted against the humble and obscure followers of Christ.« 45 Eine derartige Argumentation wirkte auf christliche Leser sehr provokant, weil to the domestic enemies of the church. It was sometimes faintly insinuated, and sometimes boldly asserted, that the same bloody sacrifices, and the same incestuous festivals, which were so falsely ascribed to the orthodox believers, were in reality celebrated by the Marcionites, by the Carpocratians, and by several other sects of the Gnostics [. . . ].« 44 DF, XVI, Bd. 1, S. 523. In Anmerkung 22 macht Gibbon sich über Tertullians »Seitenwechsel« lustig: »When Tertullian became a Montanist, he aspersed the morals of the church which he had so resolutely defended.« 45 DF, XVI, Bd. 1, S. 524.
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sie den Christen selbst die Verantwortung für den Ausbruch der Verfolgungen anlastete. 46 Die Idee, dass die Christenverfolgungen ausschließlich auf politischen Motiven beruhten und nicht durch religiösen Eifer ausgelöst wurden, findet sich auch in Voltaires »Essai«. 47 Anders als im »Essai« ergibt sich die Unterminierung der christlichen Sicht auf die Verfolgungen bei Gibbon jedoch aus verschiedenen antiken Quellen in Verbindung mit einem erneuten Rekurs auf Humes religionssoziologische Theorien, sie wird in einer differenzierten und mehrstufigen Argumentation entwickelt. Demgegenüber stellte Voltaire seine These einer nicht religiös motivierten Verfolgung der Christen lediglich in den Raum, ohne sie in Einzelheiten auszuführen oder durch antike Zeugnisse zu belegen. Ein vergleichbarer, noch umfangreicherer Rückgriff auf Argumentationsmuster des »Essai« begegnet innerhalb Gibbons Besprechung der einzelnen Christenverfolgungen (Kapitel 4.2 u. 4.4) und soll in diesem Zusammenhang ausführlicher besprochen werden.
4.2 Im Schatten des Judentums – Das Christentum bis zur Herrschaft Trajans Anschließend wendet sich Gibbon einer Betrachtung der einzelnen Etappen der christlich-römischen Beziehungen bis zur Herrschaft Konstantins I. zu. Ausgehend von der Idee eines staatspolitisch motivierten Konflikts zwischen den römischen Machthabern und der aufstrebenden Kirche präsentiert er vier Annahmen, die Ausmaß und Härte der Verfolgungen im Vergleich zu christlichen Darstellungen revidieren: 1.) Wegen der engen Verflochtenheit des frühen Christentums mit dem Judentum nahmen die römischen Herrscher vor Trajan die Christen nicht als eigenständige Religionsgemeinschaft wahr und ergriffen deshalb auch keine antichristlichen Maßnahmen. 2.) Das Vorgehen der Behörden bei der Verurteilung der Christen zeichnete sich durch Umsicht und Zurückhaltung aus. 3.) Es wurden maßvolle Strafen verhängt. 4.) Zwischen einzelnen Phasen der Verfolgung gab es lange Zeiten des Friedens für die Kirche. 48 Diese Annahmen will Gibbon durch eine Untersuchung des verfügbaren Quellenmaterials erhärten. 49 Insbesondere Gibbons erste und vierte Annahme greifen, wie noch gezeigt werden soll, Argu46
Foster, S. 166; Womersley (1988a), S. 129. Voltaire, Essai, VIII, S. 283: »Si Décius, Maximin, et Dioclétien, persécutèrent les chrétiens, ce fut pour des raisons d’État [. . . ].« 48 DF, XVI, Bd. 1, S. 524. 49 DF, XVI, Bd. 1, S. 524 f.: »Notwithstanding the careless indifference which the most copious and the most minute of the Pagan writers have shewn to the affairs of the Christians, 47
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mente Voltaires aus dem »Essai« auf; die Ähnlichkeit reicht dabei manchmal bis in Details der Formulierungen hinein. 50 Dass Gibbon seine Rezeption einzelner Ideen aus Voltaires »Essai« im Text wiederum nicht explizit kennzeichnet, hat vermutlich auch damit zu tun, dass eine Bezugnahme auf Voltaire in diesen theologisch heiklen Fragen die eigene Position noch angreifbarer gemacht hätte. Mosheim, der für seine gelehrte und ausgewogene Darstellung von Gibbon sonst häufig gelobt wird (vgl. Kapitel 3.1), ist beim Thema Christenverfolgungen ein nur eingeschränkt geeigneter Referenzautor. Anders als bei der Erörterung der Kirchenverfassung in Kapitel XV kann Gibbon Mosheims Arbeiten zwar zur Klärung kirchengeschichtlicher Detailfragen heranziehen, in der Bewertung der Verfolgungen bestehen jedoch große Unterschiede zu dem lutheranischen Kirchenhistoriker. Denn während die Darlegung in Kapitel XVI darauf hinausläuft, die antichristliche Reaktion der römischen Herrscher verständlich zu machen und eine alternative Darstellung zur christlichen Sichtweise zu geben, betrachtet Mosheim als theologischer Historiker die Bedrängnisse der frühen Kirche aus einer orthodoxen Perspektive heraus und bedauert die großen Leiden der Christen. Charakteristisch negativ fällt beispielsweise sein Urteil über das Vorgehen Neros und seiner Nachfolger aus: »[Nero’s] example was, in this respect, pretty uniformly copied after by his successors, during three centuries; although their severity was not always carried to the same extent: and hence the professors of Christianity had to endure a long series of dire afflictions, or, to use a more familiar term, persecutions, to which an end was not put until the time of Constantine the Great.« 51 Mosheims orthodoxe Haltung und die Unterschiede zu Gibbon zeigen sich auch in der Einschätzung der Lage der Christen unter Septimius Severus. Gibbon spricht in diesem Zusammenhang von einer »mitigated persecution« und sieht hier noch den toleranten Geist des Polytheismus verkörpert. 52 Demgegenüber unterstreicht Mosheim die bedrohte Situation der Kirche unter Septimius Severus: »For although this emperor, upon his first assuming the government, manifested a disposition to favour the Christians, to one of whom he stood indebted for a very signal benefit; yet under cover, as it should seem, of the turbulence of the times which succeeded, the magistrates and enemies of Christianity took occasion to rekindle the flames of persecution, and to carry their oppression and cruelty to the greatest extent. By the concurrence of abundant authorities, it is rendered indisputable, that in some provinces, towards the close of this century, the Christians were exposed to such a dreadful series of calamities and sufferings as it had scarcely ever it may still be in our power to confirm each of these probable suppositions, by the evidence of authentic facts.« 50 Vgl. Baridon, S. 438 f. 51 Mosheim, De rebus, I, 26, Bd. 1, S. 125 f. 52 DF, XVI, Bd. 1, S. 552.
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fallen to their lot to encounter before.« 53 Eine Argumentationsvorlage für seine kritische Erörterung der Verfolgungen kann Gibbon (anders als im Beispiel der Kirchenverfassung) Mosheims Untersuchung also nicht entnehmen. Als erste Verfolgung nach christlicher Zählung gilt das gewaltsame Vorgehen Neros gegen die Christen in Rom im Jahr 64. 54 Der Vorgehensweise Voltaires vergleichbar demonstriert Gibbon die Verflochtenheit von Christentum und Judentum zu dieser Zeit. Ironisch schreibt er hier der göttlichen Vorsehung die Bewahrung dieser Christen vor einem Schicksal als Märtyrer zu, weil Christen und Juden für die Herrscher noch nicht unterscheidbar waren. »By the wise dispensation of Providence, a mysterious veil was cast over the infancy of the church, which, till the faith of the Christians was matured, and their numbers were multiplied, served to protect them not only from the malice but even from the knowledge of the pagan world. The slow and gradual abolition of the Mosaic ceremonies afforded a safe and innocent disguise to the more early proselytes of the Gospel.« 55 Über die von Nero initiierten Strafverfolgungsmaßnahmen kommt Gibbon zu einem ähnlichen Urteil wie Voltaire: Da diese nicht aus religiösen Motiven heraus erfolgten, sondern vielmehr den pragmatischen Grund hatten, den Zorn der Bevölkerung nach dem Brand Roms zu beschwichtigen, werden sie nicht als Verfolgung im eigentlichen Sinn gewertet. 56 Als zentrale Quelle für die Vorgänge unter Nero gilt die Schilderung von Tacitus in seinen Annalen, an die Gibbon eine ausgefeilte Betrachtung der Ereignisse anknüpft. 57 Tacitus’ Qualitäten als Historiker und die Ausgewogenheit seiner Darstellung unterstreicht Gibbon auch an dieser Stelle: »The character of the philosophic historian, to whom we are principally indebted for the knowledge of this singular transaction, would alone be sufficient to recommend it to our most attentive consideration.« 58 Der unnachahmliche Stil des antiken Historikers 53
Mosheim, De rebus, II, 18, Bd. 1, S. 317; vgl. z. B. auch Mosheims Beurteilung der Lage der Christen unter Trajan; De rebus, II, 8, Bd. 1, S. 290 f. 54 Die Annahme von insgesamt zehn Christenverfolgungen, die Gibbon an einer späteren Stelle (DF, XVI, Bd. 1, S. 550 mit Anm. 104) kritisiert, geht auf die spätantiken Theologen und Kirchenhistoriker Orosius und Sulpicius Severus zurück, war jedoch auch innerhalb der Kirche nicht unumstritten; Rudolf Freudenberger: »Christenverfolgungen«, Theologische Realenzyklopädie, Bd. 8 (1981). 55 DF, XVI, Bd. 1, S. 525; Voltaire, Essai, VIII, Bd. 1, S. 277: »Il y avait déjà quelques chrétiens à Rome du temps de Néron: on les confondait avec les Juifs, parce qu’ils étaient leurs compatriotes, parlant la même langue, s’abstenant comme eux des aliments défendus par la loi mosaïque.« 56 DF, XVI, Bd. 1, S. 527: »To divert a suspicion, which the power of despotism was unable to suppress, the emperor resolved to substitute in his own place some fictitious criminals.«; Voltaire, Essai, VIII, Bd. 1, S. 278. 57 DF, XVI, Bd. 1, S. 527 ff.; Tacitus, Annalen 15, 38 – 44. 58 DF, XVI, Bd. 1, S. 526.
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und seine Reputation hätten zudem, so Gibbon, Interpolationen späterer Autoren erschwert. 59 Außerdem wird Tacitus’ Aussage durch das Zeugnis Suetons (»the diligent and accurate Suetonius«) bestätigt. 60 Durch Tacitus lässt sich zum einen die Interpretation rechtfertigen, dass es sich bei den von Nero angeordneten Maßnahmen gegen die Christen in Rom nicht um eine religiös motivierte Verfolgung handelte, sondern allein politisch-pragmatische Gründe des Herrschers ausschlaggebend waren. 61 Zum anderen kann Gibbon aus Tacitus eine sehr negative Kennzeichnung des Christentums und das brisante Detail übernehmen, dass die Christen von Nero hauptsächlich ihres Menschenhasses wegen bestraft wurden. 62 Diese nicht unumstrittene Auslegung des lateinischen Originals, in der das Motiv des Menschenhasses von den Juden (vgl. den Judenexkurs der »Historien«) auf die Christen übertragen wird, legitimiert Gibbon ausdrücklich dadurch, dass er sich auf das Urteil von Mosheim, Le Clerc u. a. beruft. 63 Im Anschluss daran entwirft Gibbon eine ausdrücklich spekulativ gehaltene Betrachtung der Ereignisse unter Nero, die erneut mit dem Motiv der christlichen (und jüdischen) Menschenfeindlichkeit spielt und das Christentum in raffinierter Weise in ein schlechtes Licht stellt. Ausgehend von dem zeitlichen Abstand von gut 50 Jahren zwischen den historischen Vorfällen unter Nero und ihrer Niederschrift in den »Annalen« stellt Gibbon die Vermutung auf, dass Tacitus in dieser Textpassage seine persönlichen Erfahrungen mit den Christen zur Zeit Hadrians auf die Situation unter Nero übertragen und – wo er von den Christen spricht – in Wirklichkeit die radikalen und gewaltbereiten Anhänger Judas des Galiläers (»a new and pernicious sect of GALILÆANS, which was capable of the most horrid crimes«) gemeint habe, eine Gruppe von Juden, die sich während des ersten Jahrhunderts gegen Rom auflehnte und für eine rigorose Auslegung des jüdischen Gesetzes eintrat. 64 Da beide Gruppen unter der Bezeichnung Galiläer bekannt wa59
DF, XVI, Bd. 1, S. 529. DF, XVI, Bd. 1, S. 529 mit Anm. 35. Sueton erwähnt, dass unter Nero Christen (»eine Sekte, die sich einem neuen gemeingefährlichen Aberglauben ergeben hatte«) hingerichtet wurden, ohne sich zu den genaueren Umständen zu äußern; Sueton, Nero 16. 61 DF, XVI, Bd. 1, S. 527; Tacitus, Annalen 15, 44: »Aber nicht durch menschliche Hilfeleistung, nicht durch die Spenden des Kaisers oder die Maßnahmen zur Beschwichtigung der Götter ließ sich das böse Gerücht unterdrücken, man glaubte vielmehr fest daran: befohlen worden sei der Brand. Daher schob Nero, um dem Gerede ein Ende zu machen, andere als Schuldige vor und belegte die mit den ausgesuchtesten Strafen, die, wegen ihrer Schandtaten verhaßt, vom Volk Chrestianer genannt wurden.« 62 DF, XVI, Bd. 1, S. 528. Tacitus stellt fest, dass die Verurteilten nicht allein der Brandstiftung verdächtig waren, sondern vor allem aufgrund »einer haßerfüllten Einstellung gegenüber dem Menschengeschlecht schuldig gesprochen« wurden; Tacitus, Annalen 15, 44. 63 DF, XVI, Bd. 1, S. 528, Anm. 32. 64 DF, XVI, Bd. 1, S. 529 ff. (Zitat S. 531); Pieter W. van der Horst: »Judas der Galiläer«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 5 (1996). 60
Im Schatten des Judentums – Das Christentum bis zur Herrschaft Trajans
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ren, erscheint eine derartige Verwechslung durchaus als plausibel. Sollte Gibbons Vermutung zutreffen, wären in Wirklichkeit also gar nicht die Christen, sondern eine radikal-jüdische Sekte (die späteren Zeloten) von Neros Gewaltmaßnahmen betroffen gewesen. Indirekt suggeriert die Darstellung zudem, dass die beiden als »Galiläer« bekannten Glaubensgruppen, was ihre Radikalität und menschenfeindliche Einstellung betrifft, durchaus Gemeinsamkeiten aufweisen. Anders ließe sich kaum erklären, wie es zu Tacitus’ Verwechslung von jüdischen Galiläern und Christen kommen konnte. Auch mit stilistischen Mitteln rückt Gibbon die frühen Christen in die Nähe der radikalisierten Zeloten: »Under the appellation of GALILÆANS, two distinctions of men were confounded, the most opposite to each other in their manners and principles; the disciples who had embraced the faith of Jesus of Nazareth, and the zealots who had followed the standard of Judas the Gaulonite. The former were the friends, the latter were the enemies, of humankind; and the only resemblance between them consisted in the same inflexible constancy, which, in the defence of their cause, rendered them insensible of death and tortures.« 65 Zwar wird in diesem Zitat zunächst ausdrücklich zwischen der christlichen Nächstenliebe und der inhumanen Gesinnung der Zeloten unterschieden. Anschließend fallen aber auch die Christen unter das Verdikt des intoleranten Glaubenseifers, so dass Christen und Zeloten dann doch nicht mehr eindeutig voneinander abgegrenzt werden können. Mit dieser Methode gelingt es Gibbon wieder einmal, eine despektierliche Argumentation gegen Angriffe von theologischer Seite abzusichern. Als Resultat dieser ausdrücklich spekulativ gehaltenen Überlegungen zu Tacitus’ Bericht lässt sich die Gesamtzahl der Christenverfolgungen verringern (unabhängig davon, ob die Zeloten oder doch die Christen Opfer der Maßnahmen waren), da sich bei Nero keine religiös motivierte Vorgehensweise feststellen lässt. Indirekt weist Gibbons Darstellung die frühen Christen als unmenschliche Fanatiker aus und kompromittiert damit das Bild einer moralisch vorbildlichen Glaubensgemeinschaft. Unübersehbar sind in diesem Zusammenhang die Unterschiede zu Voltaires Vorgehensweise im »Essai«, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Voltaire zwar zu einer ähnlichen Bewertung der Neronischen »Verfolgung« kam, die fraglichen Ereignisse jedoch in aller Kürze und ohne auf Tacitus oder Sueton einzugehen abhandelte. 66 Auch die Behandlung der Christen durch Kaiser Domitian gegen Ende des ersten Jahrhunderts, die von christlicher Seite als zweite von zehn Verfolgungen gewertet wurde, lässt Gibbon nicht als Verfolgung im eigentlichen Sinn gelten, 65 66
DF, XVI, Bd. 1, S. 531. Voltaire, Essai, VIII, Bd. 1, S. 278.
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da hier machtpolitische Gründe und die psychologische Verfassung des Kaisers den Ausschlag gegeben hätten. 67 Aus Cassius Dio kann Gibbon die für die Kirche wenig schmeichelhaften Vorwürfe Domitians gegen die angeklagten Personen zitieren: »The guilt imputed to their charge was that of Atheism and Jewish manners; a singular association of ideas, which cannot with any propriety be applied except to the Christians, as they were obscurely and imperfectly viewed by the magistrates and by the writers of that period.« 68 Durch den Verweis auf die begrenzte Sicht der antiken Heiden erweckt Gibbon auch hier den Eindruck, er würde lediglich eine von anderer Seite gegen die Christen erhobene Anschuldigung präsentieren. In diesem Kontext besprechen sowohl Gibbon als auch Voltaire einen in Eusebius’ Kirchengeschichte überlieferten Bericht des Hegesippus, wie zwei mit Jesus verwandte Personen, die Enkel des Judas, vor Domitian geladen und nach einer Befragung ohne weitere Maßnahmen entlassen wurden. 69 Ein Vergleich verdeutlicht anschaulich die jeweilige Quellenarbeit beider Autoren und ihren Umgang mit einem christlichen Zeugnis von fragwürdiger Glaubwürdigkeit. Die von Voltaire als absurd eingestufte Geschichte nützt Gibbon einerseits, um im Anschluss an eine patristische Quelle das nachsichtige Vorgehen des Herrschers gegenüber den Christen nachzuzeichnen. Zum anderen gelingt es ihm, mithilfe einiger im Text überlieferter Einzelheiten das klägliche Auftreten dieser vermeintlichen Erben Christi sowie die geringe Bedeutung des frühen Christentums in den Augen Domitians (bzw. des Statthalters von Judäa 70) zu entlarven. 71 Ein endgültiges Urteil über die Glaubwürdigkeit von Hegesippus’ Bericht trifft Gibbon auch in diesem Fall nicht; vielmehr wählt er bewusst offen gehaltene Formulierungen, die seine Position in dieser Frage nicht eindeutig festlegen. 72 67
DF, XVI, Bd. 1, S. 533: »[. . . ] the present greatness of his own family alarmed the pusillanimous temper of Domitian, which could only be appeased by the blood of those Romans whom he either feared, or hated, or esteemed.« Vgl. Hausammann, S. 7 f. Die Strafmaßnahmen Domitians richteten sich lediglich gegen einzelne hochstehende Personen am Hof. 68 DF, XVI, Bd. 1, S. 534 mit Anm. 54; Cassius Dio, Römische Geschichte 67, 14. 69 DF, XVI, Bd. 1, S. 532 f.; Voltaire, Essai, VIII, Bd. 1, S. 281; Eusebius, Kirchengeschichte 3, 20. 70 Gibbon geht hier über Hegesippus hinaus, indem er die Vermutung äußert, dass dieses Verhör eher vor dem Statthalter von Judäa als vor Kaiser Domitian stattgefunden habe. Zudem ergänzt er eine Ortsangabe für den Landbesitz der Verhörten. Ob es sich dabei um Gibbons eigene Ideen handelt oder er diese aus einem gelehrten Kommentar übernommen hat, konnte nicht festgestellt werden. 71 DF, XVI, Bd. 1, S. 532 f.: »The grandsons of St. Jude were dismissed with compassion and contempt.« (Zitat S. 533). Aus dem durch Eusebius überlieferten Bericht des Hegesippus lassen sich die Details entnehmen, dass die Enkel des Judas Handarbeiter waren und von Domitian »als gemeine Leute« verachtet und ohne Verurteilung entlassen wurden; Eusebius, Kirchengeschichte 3, 20. 72 DF, XVI, Bd. 1, S. 532: »Among the Christians, who were brought before the tribunal of the emperor, or, as it seems more probable, before that of the procurator of Judæa, two persons
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Eine wesentlich andere Vorgehensweise zeigt sich bei Voltaire: Hier taucht Hegesippus’ Bericht im Rahmen der Erörterung einer ganzen Reihe von überlieferten christlichen »Legenden« auf, mittels derer der mangelnde Wahrheitsgehalt der (antiken) christlichen Kirchengeschichtsschreibung insgesamt demonstriert werden soll. Voltaire nennt hier nicht nur eine falsche Quelle (Tertullian anstelle von Eusebius); er verwirft den fraglichen Bericht auch als offensichtlich falsch, ohne sich die Mühe einer kritischen Überprüfung zu machen. 73 Gibbon wiederum gelingt es, gerade aus der genauen Analyse der Überlieferung, die auf die überlieferten historischen Einzelheiten eingeht, polemisches Kapital zu schlagen und den niedrigen Status des Christentums zur Zeit Domitians vor Augen zu führen.
4.3 Die rechtliche Praxis gegenüber den Christen und die Motive der Märtyrer Im Rahmen seiner zweiten und dritten Annahme zu den Verfolgungen betrachtet Gibbon die von Trajan und seinen Nachfolgern überlieferten Reskripte, wie mit den Christen umgegangen werden soll, sowie die tatsächlich feststellbare Bestrafungspraxis. 74 So kann er die gemäßigte und humane Grundhaltung des Trajanreskripts herausstellen, das ungefähr zwischen 111 und 113 als Reaktion auf eine Anfrage Plinius des Jüngeren, des Statthalters von Bithynien-Pontus, entstand. »The answer of Trajan, to which the Christians of the succeeding age have frequently appealed, discovers as much regard for justice and humanity as could be reconciled with his mistaken notions of religious policy. Instead of displaying the implacable zeal of an inquisitor, anxious to discover the most minute particles of heresy, and exulting in the number of his victims, the emperor expresses much
are said to have appeared, distinguished by their extraction, which was more truly noble than that of the greatest monarchs. These were the grandsons of St. Jude the apostle, who was the brother of Jesus Christ.« (meine Hervorhebung). 73 Voltaire, Essai, VIII, Bd. 1, S. 281: »Comment croire Tertullien, qui, sur la foi d’Hégésippe, rapporte sérieusement que Domitien interrogea les petits-fils de l’apôtre saint Jude, de la race de David, dont il redoutait les droits au trône de Judée, et que, les voyant pauvres et misérables, il cessa la persécution? S’il eût été possible qu’un empereur romain craignît des prétendus descendants de David, quand Jérusalem était détruite, sa politique n’en eût donc voulu qu’aux Juifs, et non aux chrétiens. Mais comment imaginer que le maître de la terre connue ait eu des inquiétudes sur les droits de deux petits-fils de saint Jude au royaume de la Palestine et les ait interrogés? Voilà malheureusement comme l’histoire a été écrite par tant d’hommes plus pieux qu’éclairés.« 74 DF, XVI, Bd. 1, S. 524, 534 ff.
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more solicitude to protect the security of the innocent, than to prevent the escape of the guilty.« 75 Vergleichbares lässt sich auch für ein gegen Denunzianten gerichtetes Reskript Hadrians (124/125) feststellen: Konnte ein Ankläger keine überzeugenden Beweise für die Zugehörigkeit der beschuldigten Person zum Christentum erbringen, musste er mit einer harten Bestrafung rechnen. Potentielle Ankläger sahen sich also einem starken Druck von zwei Seiten ausgesetzt, argumentiert Gibbon. Im Fall einer erfolgreichen Anklage waren sie sozialer Ächtung ausgesetzt; scheiterte ihre Klage hingegen, hatten sie eine persönliche Bestrafung zu erwarten. Beides legt nahe, dass die tatsächliche Zahl der Anklagen eingeschränkt war. 76 Für den wenig fanatischen Charakter der antichristlichen Maßnahmen spreche zudem, so Gibbon, dass verurteilte Christen häufig mit vergleichsweise milden Strafen belegt wurden und in vielen Fällen nicht die Todesstrafe, sondern Verbannung oder Zwangsarbeit verhängt wurden. 77 Auch die von Gibbon angestellte Beobachtung, dass das Martyrium häufig entweder Personen traf, die eine herausgehobene Stellung innerhalb der Kirchenhierarchie einnahmen (wie das Beispiel von Ignatius, des Bischofs von Antiochien, zeigt) oder umgekehrt einen niedrigen sozialen Status besaßen, schränkt die tatsächliche Zahl der christlichen Blutzeugen ein. Bei Angehörigen der ersten Gruppe konnte von einer abschreckenden Wirkung auf die Gesamtkirche ausgegangen werden, während das Leben der Opfer aus der zweiten Gruppe dem antiken Verständnis nach keinen großen Wert besaß. 78 Scharf wendet sich Gibbon deshalb an dieser Stelle gegen die christlichen Märtyrerberichte, in denen die Leiden der Christen während der Verfolgungszeit stark übertrieben wurden und die er als eine Erfindung der Mönche späterer Jahrhunderte wertet. »The ancient apologists of Christianity have censured, with equal truth and severity, the irregular conduct of their persecutors, who, contrary to every principle of judicial proceeding, admitted the use of torture, in order to obtain, not a confession, but a denial, of the crime which was the object of their inquiry. The monks of succeeding ages, who, in their peaceful solitudes, 75
DF, XVI, Bd. 1, S. 535. Das Trajanreskript legte fest, dass nur diejenigen Anhänger des Christentums zum Tode verurteilt wurden, die auf eine dreimalige Anfrage hin an ihrem Glauben festhielten und das traditionelle Opferritual verweigerten. Eine aktive Fahndung nach Anhängern des neuen Glaubens war darin nicht vorgesehen, anonymen Anzeigen gegen Personen christlichen Glaubens wurde nicht nachgegangen; Hausammann, S. 9 ff. 76 DF, XVI, Bd. 1, S. 536: »The violence of personal or superstitious animosity might sometimes prevail over the most natural apprehensions of disgrace and danger; but it cannot surely be imagined, that accusations of so unpromising an appearance were either lightly or frequently undertaken by the Pagan subjects of the Roman empire.« Vgl. Hausammann, S. 11 f. 77 DF, XVI, Bd. 1, S. 524, 537 ff. Vgl. Nippel (2007), S. 252. 78 DF, XVI, Bd. 1, S. 540 mit Anm. 70.
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entertained themselves with diversifying the deaths and sufferings of the primitive martyrs, have frequently invented torments of a much more refined and ingenious nature.« 79 Diesen christlichen »Legenden« mit ihren häufig ausgeschmückten und übertriebenen Schilderungen setzt Gibbon den Bericht über das Martyrium Cyprians entgegen. Der Bischof von Karthago erlitt im Jahr 258 unter Kaiser Valerian den Märtyrertod, nachdem er sich während der vorangegangenen Verfolgung unter Decius einer möglichen Bestrafung durch die Flucht entzogen hatte. 80 Vermutlich spielen mehrere Gründe zusammen, warum Gibbon gerade dieses Beispiel eines Märtyrerschicksals wählt, um eine von christlichen Märtyrerdarstellungen abgegrenzte Beschreibung eines Christenprozesses zu geben. Wie Gibbon selbst ausführt, sind Cyprians Verurteilung und Hinrichtung ungewöhnlich gut belegt, die entsprechenden Quellen zeichnen sich durch ihre glaubwürdige und konsistente Darstellung aus und enthalten keine Schilderung übernatürlicher Vorfälle. 81 Person und Leben des ehrgeizigen Bischofs von Karthago (»the zealous, the eloquent, the ambitious Cyprian« 82) galt zudem gerade im anglikanischen Kontext, wie im vorigen Kapitel verdeutlicht wurde, ein besonderes Interesse aufgrund seiner zentralen Rolle bei der Durchsetzung bischöflicher Vorrechte und seiner theoretischen Begründung einer episkopalen Vorrangstellung. 83 Am Beispiel Cyprians lässt sich darüber hinaus demonstrieren, dass das Vorgehen der römischen Machthaber gegen die Christen in der Mitte des dritten Jahrhunderts nicht durch Glaubenseifer, sondern im Gegenteil durch Zurückhaltung und Mäßigung geprägt war. Wie Gibbon feststellt, blieb Cyprian längere Zeit unbehelligt, obwohl er als Bischof von Karthago eine exponierte Stellung einnahm. »[Cyprian’s] character as well as his station seemed to mark out that holy prelate as the most distinguished object of envy and of danger. The experience, however, of the life of Cyprian, is sufficient to prove, that our fancy has exaggerated the perilous situation of a Christian bishop; and that the dangers to which he was exposed were less imminent than those which temporal ambition is always prepared to encounter 79
DF, XVI, Bd. 1, S. 538. Bautz, »Cyprian«; zu Cyprian insgesamt, vgl. Kap. 3.2.1 81 Gibbon stützt seine Schilderung im Wesentlichen auf den kurzen Lebensabriss des Diakons und Zeitzeugen Pontius sowie die prokonsularischen Akten zum Fall Cyprian: »We have an original life of Cyprian by the deacon Pontius, the companion of his exile, and the spectator of his death; and we likewise possess the ancient proconsular acts of his martyrdom. These two relations are consistent with each other, and with probability; and what is somewhat remarkable, they are both unsullied by any miraculous circumstances.«; DF, XVI, Bd. 1, S. 542, Anm. 80. Als weitere Quellen nennt Gibbon Cyprians eigene Briefe sowie die Cyprian-Biographien von Le Clerc und Tillemont; DF, XVI, Bd. 1, S. 541, Anm. 76. 82 DF, XVI, Bd. 1, S. 541. 83 Womersley (2002), S. 112 f.; Bennett, S. 74 f. 80
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in the pursuit of honours.« 84 Für eine milde Vorgehensweise der Behörden spricht nach Gibbon weiterhin, dass sich Cyprian unter Kaiser Decius einer möglichen Bestrafung durch die Flucht entziehen konnte, dass während der Herrschaft Valerians in einem ersten Schritt lediglich eine Verbannungsstrafe gegen ihn verhängt wurde und nach einer Verschärfung der Lage für die Christen eine erneute Flucht möglich gewesen wäre. 85 Cyprians Gefangennahme und sein Prozess kennzeichnet schließlich, wie Gibbon hervorhebt, ein fairer Umgang mit dem Angeklagten: Cyprian wird ehrenhaft behandelt 86; er erhält eine von ihm ausgeschlagene Chance, der Todesstrafe zu entgehen, indem er die heidnischen Opfer vollzieht; die Form, in der das Urteil verkündet wird (»the magistrate [. . . ] pronounced with some reluctance the sentence of death«) und die Schilderung von Cyprians Hinrichtung lassen jede Spur von Fanatismus oder ostentativer Grausamkeit vermissen; nicht zuletzt wird den karthagischen Christen ein öffentliches Begräbnis gestattet. 87 Gibbons detaillierte Schilderung des Prozesses gegen Cyprian liest sich damit wie ein Gegenentwurf zur Darstellung vieler christlicher Autoren. Betrachtet man Cyprians Märtyrertod in einem weiter gefassten Zusammenhang, kann dieser gut bezeugte Einzelfall auch dazu dienen, Umfang und Grausamkeit der antichristlichen Reaktion insgesamt zu relativieren. Denn der Bischof von Karthago war, wie Gibbon im Anschluss an dessen Biographen Pontius beobachtet, der erste Bischof aus der Provinz Afrika, der Mitte des dritten Jahrhunderts dieses Schicksal erlitt. »It is remarkable, that of so great a multitude of bishops in the province of Africa, Cyprian was the first who was esteemed worthy to obtain the crown of martyrdom.« 88 Da christliche Bischöfe aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung verstärkt im Blickfeld der Behörden standen, liegt der Schluss nahe, dass es (bezogen auf die Provinz Afrika) bis zu diesem Zeitpunkt nur in vergleichsweise geringem Maß zu Verfolgungen der Christen kam. Das Beispiel Cyprians eignet sich schließlich auch als Anknüpfungspunkt, um mögliche eigennützige Motive der christlichen Märtyrer aufzudecken. Gibbon 84
DF, XVI, Bd. 1, S. 541. DF, XVI, Bd. 1, S. 541 ff. 86 DF, XVI, Bd. 1, S. 543: »An elegant supper was provided for the entertainment of the bishop, and his Christian friends were permitted for the last time to enjoy his society [. . . ].« 87 DF, XVI, Bd. 1, S. 542 ff. (Zitat S. 544). 88 DF, XVI, Bd. 1, S. 545; Pontius, Leben Cyprians 19: »Indem er so sein Leiden vollendete, geschah es, daß Cyprian, der ein Vorbild in allem Guten gewesen, auch der erste Bischof in Afrika war, der die Märtyrerkrone erwarb; wurde er doch (unter den Bischöfen) der erste Märtyrer seit den Aposteln. Denn seitdem in Karthago die Reihenfolge der Bischöfe aufgezeichnet ist, wird unter ihnen, so trefflich sie auch waren, nie einer erwähnt, der den Märtyrertod gefunden hätte.« In der korrespondierenden Fußnote (Anm. 88) bringt Gibbon einen Seitenhieb gegen Tillemonts Befangenheit in dieser Frage unter: »M. de Tillemont is not pleased with so positive an exclusion of any former martyrs of the episcopal rank.« 85
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bringt mehrere Faktoren ins Spiel, die Cyprians Entschluss zum Martyrium erklären könnten: »Could we suppose that the bishop of Carthage had employed the profession of the Christian faith only as the instrument of his avarice or ambition, it was still incumbent on him to support the character which he had assumed; and, if he possessed the smallest degree of manly fortitude, rather to expose himself to the most cruel tortures, than by a single act to exchange the reputation of a whole life, for the abhorrence of his Christian brethren and the contempt of the Gentile world. But if the zeal of Cyprian was supported by the sincere conviction of the truth of those doctrines which he preached, the crown of martyrdom must have appeared to him as an object of desire rather than of terror.« 89 Zwar nennt Gibbon auch an dieser Stelle mehrere vorstellbare Motive Cyprians. Anders als in späteren Porträts (wie der Darstellung der Kaiser Konstantin und Julian), die sich durch ihre Vielgestaltigkeit und Erklärungsoffenheit auszeichnen 90, dominiert in diesem Fall jedoch die polemische Absicht, die wenig heroischen Beweggründe der christlichen Märtyrer bloßzustellen. Dies wird auch deutlich, wenn Gibbon in Anlehnung an Conyers Middletons »A Free Inquiry into the Miraculous Powers, which are Supposed to Have Subsisted in the Christian Church« (1749) eine Reihe egoistischer, »weltlicher« Motive für den Schritt in den Märtyrertod bespricht. 91 Middletons »Free Inquiry«, die insbesondere für Gibbons Erörterung der christlichen Wunder wichtig ist und in diesem Zusammenhang ausführlicher besprochen werden soll (vgl. Kapitel 5.1), stellte die Glaubwürdigkeit der christlichen Wunderberichte und die Integrität der im Anglikanismus besonders verehrten Kirchenväter vehement in Frage und sorgte deshalb bei ihrem Erscheinen für einen publizistischen Eklat. Middletons skeptische Diskreditierung aller Wunder der nachapostolischen Zeit provozierte nicht nur katholische Autoren, sondern auch die anglikanische Orthodoxie. 92 Im Anschluss an Henry Dodwells »Dissertationes Cyprianicae« sprach Middleton in der »Free Inquiry« den christlichen Märtyrern (und zumal den Kirchenvätern, die als Märtyrer ums Leben gekommen waren) jede herausragende moralische Autorität ab, indem er auf eine Reihe eigennütziger Motive dieser Personengruppe hinwies. 93 Genannt werden in erster Linie die Hoffnung auf eine vollständige 89
DF, XVI, Bd. 1, S. 545. Vgl. Martine W. Brownley: Clarendon, Gibbon, and the Art of Historical Portraiture, English Language Notes 24 (1986), 49 – 58, hier S. 54 ff.; Braudy, S. 232 f. u. 245 f. Zu Gibbons Konstantin- und Julian-Darstellung vgl. Kapitel 7. 91 DF, XVI, Bd. 1, S. 545 ff. 92 Young (1998a), S. 184; Ted A. Campbell: John Wesley and Conyers Middleton on Divine Intervention in History, Church History 55 (1986), 39 – 49, hier S. 40 f. 93 Middleton, Free Inquiry, S. 200: »[. . . ] but since some of those Fathers, to whose testimony I have chiefly appealed, as Papias, Justin, Irenæus, Cyprian, &c. were not onely persons of the greatest piety and zeal, but said to have been Martyrs also for the faith of Christ; it may be 90
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Sündenvergebung und der »weltliche« Ruhm, der den Märtyrern in Form der kirchlichen Heiligenverehrung winkte. 94 Diese Kritik Middletons übernimmt Gibbon, um die psychologischen Hintergründe der christlichen Todesbereitschaft aufzuzeigen und die Fragwürdigkeit des kirchlichen Märtyrerkults zu kritisieren. »[The Fathers] inculcated with becoming diligence, that the fire of martyrdom supplied every defect and expiated every sin [. . . ]. The assurance of a lasting reputation upon earth, a motive so congenial to the vanity of human nature, often served to animate the courage of the martyrs.« 95 Das exzessive Verhalten der frühchristlichen Märtyrer, die ihren Tod teilweise sogar selbst provozierten, wird im Text zusätzlich (in einer Variation von Humes religionssoziologischem Begriff ) als typisch schwärmerische Überschreitung aller persönlichen Grenzen präsentiert. »Several examples have been preserved of a zeal impatient of those restraints which the emperors had provided for the security of the church.« 96 Auf diese Weise werden die christlichen Märtyrer in die Nähe einer korrumpierten Erscheinungsform von Religion gerückt, die sich nach Hume durch Fanatismus, Irrationalität und Gewaltbereitschaft auszeichnete. 97 Wenn Gibbon die christliche Wahrnehmung der Märtyrer in Kontrast zu den konsternierten Reaktionen heidnischer Philosophen setzt, unterstreicht er noch einmal den irrationalen Charakter dieses Phänomens. »The behaviour of the Christians was too remarkable to escape the notice of the ancient philosophers; but they seem to have considered it with much less admiration than astonishment. Incapable of conceiving the motives which sometimes transported the fortitude of believers beyond the bounds of prudence or reason, they treated such an eagerness to die as the strange result of obstinate despair, of stupid insensibility, or of a superstitious phrenzy.« 98 In praktischer Hinsicht lässt sich feststellen, dass sich die »schwärmerische« Todesverachtung der Märtyrer als vorteilhaft für Zusammenhalt und Wachstum proper to add a reflection or two on the particular case of Martyrdom; in order to shew, that this venerable name made no real difference in the personal characters of men, nor ought to give any additional weight to the authority of a Christian witness.« 94 Middleton, Free Inquiry, S. 200 ff. 95 DF, XVI, Bd. 1, S. 545. In Anmerkung 90 beruft sich Gibbon ausdrücklich auf Middleton und Dodwell: »The learning of Dodwell, and the ingenuity of Middleton, have left scarcely anything to add concerning the merit, the honours, and the motives of the martyrs.« 96 DF, XVI, Bd. 1, S. 547. 97 Hume, Of Superstition, S. 145 ff. 98 DF, XVI, Bd. 1, S. 547. Eine zusätzliche kritische Wendung gibt Gibbon diesem Gedanken, weil er sich in Anmerkung 96 auf den Kirchenvater Tertullian stützen kann, um das Unverständnis der heidnischen Philosophen zu belegen. Tertullian hatte in »An Scapula« die von Gibbon zitierte Aussage des Prokonsuls von Asien Arrius Antoninus überliefert, der die Todesbereitschaft der christlichen Märtyrer mit den Worten kommentierte: »Elende, wenn ihr sterben wollt, so habt ihr ja Abgründe und Stricke.«; Tertullian, An Scapula 5.
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der Kirche erwies – und nicht zuletzt deshalb von den kirchlichen Autoritäten sanktioniert wurde. »The generous enthusiasm was communicated from the sufferer to the spectators; and the blood of martyrs, according to a well-known observation, became the seed of the church«, schreibt Gibbon in Anspielung auf eine Formulierung Tertullians in der »Apologie«. 99 Auf die christlichen Märtyrer lässt sich schließlich noch ein weiteres Charakteristikum der Hume’schen »Schwärmer« übertragen: Eine anfänglich hohe Gewaltbereitschaft, die jedoch rasch an Heftigkeit verliert und in ein gemäßigtes Verhalten übergeht. 100 Denn wie Gibbons Untersuchung der Märtyrerbewegung zeigt, ebbte sie nach kurzer Zeit ab; alltägliche Empfindungen und Verhaltensweisen der Gläubigen kehrten zurück. 101 Stilistisch unterstreicht Gibbon seinen Spott über diesen Gesinnungswandel der frühen Christen mithilfe militärischer Sprachbilder, die an seine frühere Schilderung der erstarkenden Kirche in Kapitel XV erinnern – mit dem Unterschied, dass im Beispiel der Märtyrer die Christen als die unterlegene Partei vorgeführt werden. »As the lives of the faithful became less mortified and austere, they were every day less ambitious of the honours of martyrdom; and the soldiers of Christ, instead of distingushing themselves by voluntary deeds of heroism, frequently deserted their post, and fled in confusion before the enemy whom it was their duty to resist.« 102 Die zunehmende Unwilligkeit der Christen, ihren Glauben mit dem eigenen Leben zu bezeugen, spiegelt sich in drei von Gibbon abschließend besprochenen Methoden, dem Märtyrertod zu entgehen: Die Vermeidung einer behördlichen Befragung durch die Flucht; der Erwerb einer Opferbescheinigung, ohne das Opfer tatsächlich zu vollziehen (diese Christen wurden als »libellatici« bezeichnet); und der Vollzug der geforderten Opferhandlung. 103 Den glorifizierenden Märtyrerberichten christlicher Autoren begegnet Gibbon also mit verschiedenen Methoden: Er präsentiert als Gegenbeispiel das gut bezeugte Martyrium Cyprians, überträgt Humes religionssoziologischen Terminus der Schwärmerei auf die antiken Märtyrer oder rezipiert eine Kritik von Middleton an der Motivation dieser Personengruppe. Auf diese Weise werden die innerhalb der Kirche hochgeschätzten Märtyrer als irrationale und letztlich von eigennützigen Motiven angetriebene Fanatiker entlarvt. 99
DF, XVI, Bd. 1, S. 547; Tertullian, Apologetikum 50. Tertullians Zitat setzt Gibbon hier als bekannt voraus und verzichtet deshalb auf einen Quellenbeleg; Nippel (2003), S. 60. 100 Hume, Of Superstition, S. 148 f. 101 DF, XVI, Bd. 1, S. 548: »But although devotion had raised, and eloquence continued to inflame, this fever of the mind, it insensibly gave way to the more natural hopes and fears of the human heart, to the love of life, the apprehension of pain, and the horror of dissolution.« 102 DF, XVI, Bd. 1, S. 548. Eine militärisch geprägte Schilderung des Aufstiegs der Kirche findet sich z. B. in DF, XV, Bd. 1, S. 496. 103 DF, XVI, Bd. 1, S. 548 f. Vgl. Gessel, »Lapsi, Lapsae«.
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Märtyrergeschichte und Märtyrerlegenden
4.4 Die Kirche unter Decius, Diokletian und anderen Verfolgungskaisern Gibbons bisherige Untersuchung der Verfolgungen hat demonstriert, dass das Christentum bis zur Herrschaft Trajans nicht eindeutig vom Judentum abgegrenzt werden konnte und auf diese Weise vor Verfolgung geschützt war und dass Rechtsprechung und Bestrafungspraxis gegenüber den Christen sich weitaus humaner gestalteten als dies christliche Berichte glauben machen wollten. Auch das vierte Argument wendet sich gegen die christliche Interpretation der Verfolgungen: Zwischen einzelnen Perioden, für die sich antichristliche Maßnahmen feststellen lassen, genoss die Kirche nach Gibbon häufig friedliche Zeitabschnitte; in der Reihe der römischen Kaiser ließen sich neben einzelnen Verfolgungskaisern viele Herrscher finden, die dem christlichen Glauben gleichgültig oder sogar freundlich begegneten. »But these transient persecutions served only to revive the zeal, and to restore the discipline of the faithful: and the moments of extraordinary rigour were compensated by much longer intervals of peace and security. The indifference of some princes, and the indulgence of others, permitted the Christians to enjoy, though not perhaps a legal, yet an actual and public, toleration of their religion.« 104 Dieser Gedankengang erinnert erneut an Voltaire 105 und auch in Einzelheiten der Argumentation finden sich Ähnlichkeiten, die auf eine Rezeption des »Essai« schließen lassen. Voltaire vergleichbar hebt Gibbon beispielsweise hervor, dass der »Großen Verfolgung« unter Diokletian achtzehn friedliche Herrschaftsjahre dieses Kaisers vorausgingen, in denen sich die Kirche großer Freiheiten erfreute. 106 Analog zu Voltaire findet sich der Hinweis, dass die Verfolgungen nach der Abdankung Diokletians nicht in allen Teilen des Reiches in gleichem Umfang und mit gleicher Intensität fortgesetzt wurden und es erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Provinzen gab. 107 Derartige historisch belegte Details entkräfteten wirkungsvoll das Bild einer zu allen Zeiten bedrängten Kirche, die unermessliche Leiden für sich reklamieren konnte. An Voltaire erinnert schließlich auch Gibbons Strategie, die günstige Lage der Christen unter verschiedenen Herrschern durch den Verweis auf einen von christlichen Autoren selbst beklagten moralischen Verfall der Kirche herauszustellen (beispielsweise für die Kirche unter Diokletian vor Ausbruch der »Großen Verfolgung«). 108 Wenngleich sich also auch in diesem Kontext unbestreitbare Anleihen an den »Essai« beobachten lassen, fällt wiederum schnell auf, 104
DF, XVI, Bd. 1, S. 550. Voltaire, Essai, VIII, Bd. 1, S. 281: »Aucun des Césars n’inquiéta les chrétiens jusqu’à Domitien.«; »Nerva, Vespasien, Tite, Trajan, Adrien, les Antonins, ne furent point persécuteurs.« 106 DF, XVI, Bd. 1, S. 558; Voltaire, Essai, VIII, Bd. 1, S. 285. 107 DF, XVI, Bd. 1, S. 570; Voltaire, Essai, VIII, Bd. 1, S. 286 f. 108 DF, XVI, Bd. 1, S. 559; Voltaire, Essai, VIII, Bd. 1, S. 282 f. 105
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dass Gibbon im Unterschied zu Voltaire detailliert die Lage der Christen unter den einzelnen Kaisern betrachtet und, wo antichristliche Maßnahmen unbestreitbar sind, nach möglichen Hintergründen dieser Vorgänge fragt. Als unhaltbar lässt sich angesichts der eingegrenzten Verfolgungszeiträume die von vielen Christen vertretene Idee von insgesamt zehn Christenverfolgungen unter den römischen Herrschern erweisen. »As often as any occasional severities were exercised in the different parts of the empire, the primitive Christians lamented and perhaps magnified their own sufferings; but the celebrated number of ten persecutions has been determined by the ecclesiastical writers of the fifth century, who possessed a more distinct view of the prosperous or adverse fortunes of the church, from the age of Nero to that of Diocletian«, 109 urteilt Gibbon unter Rückgriff auf eine Überlegung Mosheims aus »De rebus Christianorum«. Mosheim hatte sich dort skeptisch gegenüber der Annahme von zehn Verfolgungen gezeigt und diese Zahl allein darauf zurückgeführt, dass einige Theologen die historische Realität an die biblischen Prophezeiungen anpassen wollten. 110 Ausnahmsweise kann hier also auch einmal Mosheim für eine kritische Beleuchtung theologischer Interpretationsmuster herangezogen werden. Gibbon verwandelt Mosheims skeptische Vorbehalte in eine Gegenüberstellung von christlicher Prophezeiung und historischer Wahrheit, in der die unredlichen Praktiken der Kirchenväter herausgestellt werden. »[. . . ] and in their application of the faith of prophecy to the truth of history, they were careful to select those reigns which were indeed the most hostile to the Christian cause.« 111 In einem chronologischen Durchgang durch die Reihe der römischen Herrscher führt Gibbons Darstellung dann vor Augen, dass sich eine antichristliche Gesinnung (und dies gilt in noch stärkerem Maß für entsprechende aktive Maßnahmen gegen die Christen) nur bei wenigen Kaisern wie Mark Aurel ausmachen lässt. 112 Daneben stehen Herrscher, die dem Christentum ausgesprochen freundlich begegneten wie Severus Alexander. 113 So lässt sich selbst für die Re109
DF, XVI, Bd. 1, S. 550. DF, XVI, Bd. 1, S. 550, Anm. 104; Mosheim, De rebus, I, 26, Bd. 1, S. 126: »We have been for ages in the habit of considering the number of these persecutions as decidedly fixed at ten; but the early history of Christianity does not appear by any means to warrant this. [. . . ] The persons who first fixed the number at ten, certainly found nothing on record to authorize their doing so; but were, as it should seem, led away by a wish to make history in this respect, accomodate itself to certain passages of Scripture, in which they imagined it to be foretold that just so many persecutions would befal the Christians.« Vgl. Kapitel 4, Anm. 54. 111 DF, XVI, Bd. 1, S. 550. 112 DF, XVI, Bd. 1, S. 551: »During the whole course of his reign, Marcus despised the Christians as a philosopher, and punished them as a sovereign.« 113 DF, XVI, Bd. 1, S. 553: »The reigns of those princes who derived their extraction from the Asiatic provinces, proved the most favourable to the Christians [. . . ].« 110
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gentschaft eines als besonders grausam bekannten Herrschers wie Commodus festhalten, dass die Kirche nicht drangsaliert wurde. 114 Ähnliches lässt sich über die Lage der Christen unter Caracalla sagen. 115 Um die äußere Bedrohung der Kirche zu relativieren, weist Gibbon zudem auf die zahlreichen dogmatischen Streitigkeiten innerhalb der frühen Kirche hin. Eine ernsthafte Bedrängnis der Kirche erscheint als zweifelhaft, wenn beispielsweise das kirchliche Leben Ende des zweiten Jahrhunderts unter Septimius Severus von einer Kontroverse wie dem »Osterfeststreit« dominiert wurde. »The controversy concerning the precise time of the celebration of Easter armed the bishops of Asia and Italy against each other, and was considered as the most important business of this period of leisure and tranquillity.« 116 Für alle Fälle, in denen eine antichristliche Vorgehensweise der Machthaber historisch belegt ist, stellt Gibbon dann differenzierte Überlegungen an, welche Motive sich für den Ausbruch der Gewalt plausibel machen lassen. Wie die Argumentation vorführen kann, spielten dabei häufig nichtreligiöse Gründe eine zentrale Rolle, so dass die entsprechenden Vorgänge nicht als eine Verfolgung im kirchlichen Sinn gelten können. So kann Gibbon beispielsweise anführen, dass das Vorgehen des Maximinus Thrax in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts nur der Beseitigung der Günstlinge seines Vorgängers Severus Alexander diente und deshalb zu Unrecht als Christenverfolgung gewertet wurde. 117 Für die Verfolgung der Christen durch Decius (249 – 251), deren Grausamkeit Gibbon nicht unterschlägt, lässt sich zwar feststellen, dass die Christen als spezifische Gruppe betroffen waren. Da sich hinter den kaiserlichen Gesetzen gegen die Christen machtpolitische Gründe ausmachen lassen (der christliche Glaube wurde als bedrohlich für den Zusammenhalt des Reichs empfunden), fällt auch diese Verfolgung aus dem Rahmen theologischer Interpretationsmuster heraus. 118 Im Fall von Decius’ Nachfolger Valerian räumt Gibbon Gewaltmaßnahmen ein (»he 114
DF, XVI, Bd. 1, S. 551: »Under the gracious protection of Marcia, they [the Christians] passed in safety the thirteen years of a cruel tyranny [. . . ].« 115 DF, XVI, Bd. 1, S. 552: »The nurse as well as the preceptor of Caracalla were Christians; and if that young prince ever betrayed a sentiment of humanity, it was occasioned by an incident, which, however trifling, bore some relation to the cause of Christianity.« 116 DF, XVI, Bd. 1, S. 552. 117 DF, XVI, Bd. 1, S. 554: »[. . . ] and, after the death of Alexander, when the inhuman Maximin discharged his fury on the favourites and servants of his unfortunate benefactor, a great number of Christians, of every rank, and of both sexes, were involved in the promiscuous massacre, which, on their account, has improperly received the name of Persecution.« 118 DF, XVI, Bd. 1, S. 555: »The virtues of that prince [Decius] will scarcely allow us to suspect that he was actuated by a mean resentment against the favourites of his predecessor, and it is more reasonable to believe, that in the prosecution of his general design to restore the purity of Roman manners, he was desirous of delivering the empire from what he condemned as a recent and criminal superstition.« Vgl. Hausammann, S. 13 f. Decius erließ 249 ein Edikt, das
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adopted the maxims, and imitated the severity, of his predecessor Decius«), macht zugleich aber die eng begrenzte zeitliche Dauer dieser Verfolgung deutlich. 119 Für das Prinzipat Aurelians (270 – 275), der von theologischer Seite im Allgemeinen zu den Verfolgungskaisern gerechnet wurde, ließen sich konkrete Maßnahmen gegen die Christen nicht nachweisen, argumentiert Gibbon und kann hier (am Beispiel Paulus von Samosatas) wiederum die korrumpierte Moral der Christen dieser Zeit anprangern. 120 Seine Kritik entzündet sich in diesem Kontext insbesondere an der nicht eindeutigen Überlieferungslage und an christlichen Autoren wie Eusebius, Laktanz oder Orosius, weil diese durch unklare Aussagen die Verhältnisse unter Aurelian verschleiert hätten. Spätere Kirchenhistoriker übernahmen nach Gibbon diese Aussagen dann häufig ungeprüft, um auf diese Weise eine zusätzliche Zahl an Märtyrern für die Herrschaftszeit Aurelians herauszuschlagen. 121 Zu polemischer Hochform läuft Gibbon auf, wenn er auf den Fall Paulus von Samosata, der während der Herrschaft Aurelians Bischof von Antiochien war, zu sprechen kommt. 122 Da der Bischof von Antiochien wegen seiner Amtsführung und eines ausschweifenden Lebensstils auch innerkirchlich sehr umstritten war und seine Verfehlungen sowie die innerhalb der Kirche darüber erhobenen Klagen durch Eusebius zweifelsfrei verbürgt sind, bietet sich hier eine günstige Gelegenheit, Korruption und Sittenverfall des Klerus in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts vorzuführen. 123 Die polemische Wirkung seiner Darlegung war Gibbon bewusst, denn gegen mögliche Reaktionen christlicher Autoren wappnete er sich, indem er die unzweifelhafte Überlieferung dieses innerkirchlichen Skandals unterstrich. »If we are desirous of extenuating the vices of Paul, we must suspect
für die gesamte Bevölkerung den Vollzug des Opfers vorschrieb; von den Strafmaßnahmen bei Nichtbefolgung dieses Opfergebots waren besonders die Christen betroffen. 119 DF, XVI, Bd. 1, S. 555. 120 DF, XVI, Bd. 1, S. 556: »[. . . ] and (excepting only some hostile intentions which are attributed to the emperor Aurelian) the disciples of Christ passed above forty years in a state of prosperity, far more dangerous to their virtue than the severest trials of persecution.« 121 DF, XVI, Bd. 1, S. 556, Anm. 125: »Their language is in general so ambiguous and incorrect, that we are at a loss to determine how far Aurelian had carried his intentions before he was assassinated. Most of the moderns (except Dodwell) have seized the occcasion of gaining a few extraordinary martyrs.« 122 DF, XVI, Bd. 1, S. 556: »The story of Paul of Samosata, who filled the metropolitan see of Antioch, while the East was in the hands of Odenathus and Zenobia, may serve to illustrate the condition and character of the times.« 123 Eusebius, Kirchengeschichte 7, 30. Paulus von Samosata wurde um das Jahr 268 von der Kirche exkommuniziert, konnte sich aber im Amt halten, bis Kaiser Aurelian auf Bitten der Kirche in den Konflikt eingriff (ca. 272) und die Streitigkeiten beendete; Roman Hanig: »Paulos von Samosata«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 7 (1998).
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the assembled bishops of the East of publishing the most malicious calumnies in circular epistles addressed to all the churches of the empire.« 124 Besonderes Kapital schlägt Gibbon aus der Tatsache, dass Paulus von Samosata nicht aufgrund moralischen Versagens, sondern seiner dogmatischen Irrtümer wegen von der Kirche exkommuniziert wurde. Ironisch gesteht Gibbon dem Bischof von Antiochien sogar ein potentielles Schicksal als Märtyrer zu, wenn dieser nur an der orthodoxen Lehre festgehalten hätte. »Notwithstanding these scandalous vices, if Paul of Samosata had preserved the purity of the orthodox faith, his reign over the capital of Syria would have ended only with his life; and had a seasonable persecution intervened, an effort of courage might perhaps have placed him in the rank of saints and martyrs. Some nice and subtle errors, which he imprudently adopted and obstinately maintained, concerning the doctrine of the Trinity, excited the zeal and indignation of the eastern churches.« 125 Auch für die »Große Verfolgung« unter Diokletian und seinen Mitregenten (ab 302/303) lässt sich der tatsächlich auf die Kirche ausgeübte Druck im Vergleich zu christlichen Darstellungen relativieren: Analog zu Voltaire stellt Gibbon fest, dass vor dem Ausbruch der Gewalt gegen die Kirche achtzehn friedliche Herrschaftsjahre Diokletians standen. »Amidst the frequent revolutions of the empire, the Christians still flouristhed in peace and prosperity; and notwithstanding a celebrated æra of martyrs has been deduced from the accession of Diocletian, the new system of policy, introduced and maintained by the wisdom of that prince, continued, during more than eighteen years, to breathe the mildest and most liberal spirit of religious toleration.« 126 Wiederum findet sich in Eusebius’ Kirchengeschichte eine Textstelle, in der Klagen über den nachlassenden moralischen Standard der christlichen Gläubigen laut werden und die als Beweis für die unbedrängte Lage der Kirche in diesem Zeitraum herangezogen werden kann. »The corruption of manners and principles, so forcibly lamented by Eusebius, may be considered, not only as a consequence, but as a proof, of the liberty, which the Christians enjoyed and abused under the reign of Diocletian.« 127 Obwohl (oder gerade weil) Gibbon das Original hier korrekt zitiert, wirkte eine derartige Verwendung von Eusebius’ Kirchengeschichte für christliche Leser sehr anstößig. 124
DF, XVI, Bd. 1, S. 557, Anm. 128. DF, XVI, Bd. 1, S. 557. 126 DF, XVI, Bd. 1, S. 558; Voltaire, Essai, VIII, Bd. 1, S. 284. 127 DF, XVI, Bd. 1, S. 559; Eusebius, Kirchengeschichte 8, 1: »Da aber infolge zu großer Freiheit unser Sinn zu Stolz und Lässigkeit sich kehrte, indem der eine den andern beneidete und beschimpfte und wir uns, wenn es sich so traf, im Wortstreit wie mit Schwert und Speer bekämpften, Vorsteher mit Vorstehern zusammenstießen und Laien gegen Laien sich erhoben, niedrigste Heuchelei und Verstellung den höchsten Grad ihrer Bosheit erreichten, da begann das göttliche Strafgericht in der ihm eigenen schonenden Weise – die Versammlungen durften noch zusammentreten – ruhig und gelinde seines Aufsichtsamtes zu walten.« 125
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In einer Fußnote unterstreicht Gibbon deshalb seine untadelige Quellenarbeit an dieser Stelle. 128 Um den Ausbruch der Diokletianischen Verfolgung zu erklären, greift Gibbon erneut auf Humes Religionssoziologie zurück. Die Gegenüberstellung monotheistischer und polytheistischer Religionen in der »Natural History« dient hier der Illustrierung einer zunehmenden Konkurrenz zwischen den eigentlich toleranten traditionellen Kulten und der aufstrebenden Kirche. »The zeal and rapid progress of the Christians awakened the Polytheists from their supine indifference in the cause of those deities, whom custom and education had taught them to revere.« 129 Die polytheistischen Kulte übernehmen in Gibbons Darstellung Charakteristika der christlichen Religion wie den Wunderglauben und erscheinen damit als eine abergläubisch degenerierte Religion im Hume’schen Sinn: »The followers of the established religion intrenched themselves behind a similar fortification of prodigies; invented new modes of sacrifice, of expiation, and of initiation; attempted to revive the credit of their expiring oracles; and listened with eager credulity to every impostor, who flattered their prejudices by a tale of wonders. Both parties seemed to acknowledge the truth of those miracles which were claimed by their adversaries; and while they were contented with ascribing them to the arts of magic, and to the power of dæmons, they mutually concurred in restoring and establishing the reign of superstition.« 130 Wie im Beispiel der christlichen Dämonenfurcht in Kapitel XV (vgl. Kapitel 2.2) verwischen Gibbons Formulierungen auch hier die Grenze zwischen beiden Religionsformen und können auf diese Weise auch als eine skeptische Beschreibung des Christentums gelesen werden. In Anlehnung an Humes »Natural History« wird ferner für die eigentlich nicht philosophisch geprägte, traditionelle Religion der Römer festgestellt, dass sie eine Verbindung mit der neuplatonischen Philosophie einging und den christlichen Monotheismus so auch in diesem Punkt imitierte. 131 Auf die Erörterung der Ursachen der »Großen Verfolgung« folgt im Text eine detaillierte Schilderung der vier gegen die Christen erlassenen Edikte und des zeitlichen Ablaufs der Ereignisse. 132 Nicht unterschla128
DF, XVI, Bd. 1, S. 559, Anm. 135: »The reader who consults the original, will not accuse me of heightening the picture.« 129 DF, XVI, Bd. 1, S. 559 f.; Hume, Natural History, IXff., S. 336 ff. 130 DF, XVI, Bd. 1, S. 560; Hume, Of Superstition, S. 144 f. 131 DF, XVI, Bd. 1, S. 560 f.; Hume, Natural History, XI, S. 341 f. Vgl. Foster, S. 176 ff. 132 DF, XVI, Bd. 1, S. 561 ff. Zentrale Quellen sind an dieser Stelle Eusebius’ Kirchengeschichte und die Schrift »Über die Märtyrer in Palästina« sowie »Über die Todesarten der Verfolger« von Laktanz. Zu den antichristlichen Maßnahmen vgl. Hausammann, S. 17. Die vier gegen die Christen gerichteten Edikte sahen sich verschärfende Maßnahmen gegen das Christentum vor: Nachdem von den Bestimmungen zuerst nur der Klerus betroffen war, richtete sich das vierte Edikt auch gegen den christlichen Teil der Bevölkerung. Personen, die die heidnischen Opfer verweigerten, drohte eine Verschickung in die Bergwerke oder die Todesstrafe.
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gen wird dabei das zum Teil grausame Vorgehen der Behörden gegenüber den Christen. 133 Prinzipiell kritisch beurteilt Gibbon die Märtyrerberichte von christlicher Seite – eine Skepsis, die er mit Voltaire teilt. 134 Beide Autoren kritisieren bei ihrer Abhandlung der Verfolgungen explizit die »Legendenschreibung« der katholischen Überlieferung, in der neben einer sehr hohen Opferzahl zahlreiche drastische Einzelheiten und übernatürliche Geschehnisse übermittelt werden. Sehr deutlich formuliert Voltaire seine entsprechende Kritik im »Essai«: »Le vain plaisir d’écrire des choses extraordinaires, et de grossir le nombre des martyrs, a fait ajouter des persécutions fausses et incroyables à celles qui n’ont été que trop réelles.« 135 Bei Gibbon verbindet sich diese Kritik mit einer Ausdifferenzierung der Motive einzelner beteiligter Parteien: »The most extravagant legends, as they conduced to the honour of the church, were applauded by the credulous multitude, countenanced by the power of the clergy, and attested by the suspicious evidence of ecclesiastical history.« 136 Ein besonders augenfälliges Beispiel einer fingierten Überlieferung stellt der Bericht über das Martyrium der Thebaischen Legion dar, den Gibbon und Voltaire als offensichtlich erfunden einstufen. 137 Anders als Voltaire verwirft Gibbon die christlichen Märtyrerberichte jedoch nicht pauschal, sondern differenziert zwischen offensichtlich fiktiven Darstellungen, die einer historischen Grundlage entbehren, und gut bezeugten Fällen von hoher Glaubwürdigkeit. Als Beispiel einer Sammlung weitgehend authentischer Märtyrerakten gelten ihm die an einigen Stellen von Kapitel XVI zitierten »Acta primorum Martyrum sincera et selecta« (1689) des Mauriners Thierry Ruinart. 138 Ruinart war Benediktiner der »Congrégation de S.Maur« und Schüler Jean Mabil133
DF, XVI, Bd. 1, S. 569: »The resentment, or the fears, of Diocletian, at length transported him beyond the bounds of moderation, which he had hitherto preserved, and he declared, in a series of cruel edicts, his intention of abolishing the Christian name. [. . . ] By a second edict, the magistrates were commanded to employ every method of severity, which might reclaim them from their odious superstition, and oblige them to return to the established worship of the gods. This rigorous order was extended, by a subsequent edict, to the whole body of Christians, who were exposed to a violent and general persecution« 134 Zu Voltaire vgl. Rosenthal, S. 155. 135 Voltaire, Essai, VIII, Bd. 1, S. 285. 136 DF, XVI, Bd. 1, S. 578. 137 DF, XVI, Bd. 1, S. 561 f., Anm. 144; Voltaire, Essai, VIII, Bd. 1, S. 285 f. Die Geschichte über das vermeintliche Martyrium einer ganzen Legion christlicher Soldaten, die unter Maximian in den Alpen den Tod fanden, geht zurück auf eine Schrift des Bischofs Eucherius von Lyon aus dem fünften Jahrhundert; Thomas Bauer: »Thebäer«, Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 11 (1996); William H. C. Frend: Martyrdom and Persecution in the Early Church. A Study of a Conflict from the Maccabees to Donatus, Oxford 1965, S. 486. 138 Gibbon bezieht sich in Anmerkung 65, 145, 146, 158, 171 und 179 auf Ruinarts »Acta sincera«.
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lons in Saint-Germain-des-Prés, für seine Ausgabe der Akten der ersten Märtyrer der Kirche erhielt er großen Zuspruch aus der gelehrten Welt. 139 So würdigt Gibbon einzelne Märtyrerberichte wie den in Ruinarts Zusammenstellung enthaltenen Bericht über den Märtyrertod des Zenturions Marcellus als authentisch. 140 Dagegen lässt sich im »Essai« kein Interesse an einer möglichst wirklichkeitsgetreuen Rekonstruktion der Verfolgungsgeschichte feststellen: Ohne eine nähere Überprüfung urteilt Voltaire dort auch einige der von Ruinart in seine Sammlung aufgenommenen Berichte als christliche Fälschungen ab. 141 Können Ruinarts »Acta sincera« als positives Beispiel christlicher Gelehrsamkeit gelten, lässt sich Vergleichbares nicht über die Schriften der Kirchenväter sagen. Ausgerechnet am Beispiel des Kirchenvaters Eusebius führt Gibbon vor, wie tendenziös sich die Kirchengeschichtsschreibung christlicher Autoren bisweilen gestaltete. Anhand zweier Eusebius-Zitate führt Gibbon den Nachweis, dass der Bischof von Caesarea die Geschichte der frühen Kirche in einer parteilichen, den kirchlichen Interessen untergeordneten Form übermittelte. »The gravest of the ecclesiastical historians, Eusebius himself, indirectly confesses, that he has related whatever might redound to the glory, and that he has suppressed all that could tend to the disgrace, of religion. Such an acknowledgment will naturally excite a suspicion, that a writer who has so openly violated one of the fundamental laws of history, has not paid a very strict regard to the observance of the other: and the suspicion will derive additional credit from the character of Eusebius, which was less tinctured with credulity, and more practised in the arts of courts, than that of almost any of his contemporaries.« 142 Es überrascht nicht dass diese Kritik 139
Georgios Fatouros: »Thierry Ruinart«, Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 8 (1994); Thierry Barbeau: Dom Jean Mabillon et dom Thierry Ruinart. L’amitié du maître et du disciple, Collectanea Cisterciensia 61 (1999), 224 – 237, hier S. 227. Ruinart wandte sich im Vorwort seiner Sammlung gegen Dodwells »Dissertationes Cyprianicae«, in denen Dodwell die katholischen Märtyrerzahlen als stark übertrieben kritisiert hatte; Nippel (2007), S. 253 f. 140 DF, XVI, Bd. 1, S. 562 mit Anm. 145 zu Ruinarts »Acta sincera«: »The accounts of his [Maximilianus] martyrdom, and of that of Marcellus, bear every mark of truth and authenticity.« 141 Voltaire, Essai, VIII, Bd. 1, S. 292 ff. 142 DF, XVI, Bd. 1, S. 577 mit Anm. 178; Eusebius, Kirchengeschichte 8, 2: »Doch halten wir es nicht für unsere Aufgabe, die traurigen Schicksale aufzuzeichnen, von welchen sie letztlich betroffen wurden, wie es uns auch nicht zusteht, ihre gegenseitigen Streitigkeiten vor der Verfolgung und ihr widersinniges Gebaren der Nachwelt zu überliefern. Wir haben uns daher entschlossen, über sie nicht mehr zu berichten, als was zur Rechtfertigung des göttlichen Strafgerichtes dienen möchte. Und so wollen wir auch derer nicht Erwähnung tun, die durch die Verfolgung in Versuchung gerieten oder an ihrem Heile völlig Schiffbruch litten und sich freiwillig in die Tiefen der Fluten stürzten. Nur das werden wir in unsere allgemeine Geschichte einfügen, was zunächst für uns selbst, dann auch für die Nachwelt von Nutzen sein dürfte.«; ders., Märtyrer in Palästina 12: »[. . . ] alles das darf ich wohl übergehen; es liegt mir nach meinem Ermessen ferne, der ich, wie schon anfangs bemerkt, die Behandlung solcher Dinge vermeide und fernhalte, dagegen es für sehr passend erachte, in der Geschichte der bewundernswerten
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am »Vater der Kirchengeschichte« das Missfallen zeitgenössischer englischer Theologen erregte. 143 Chelsum warf Gibbon beispielsweise vor, die entsprechenden Textpassagen in verdrehter Form wiedergegeben zu haben – ein unzutreffender Vorwurf, wie Gibbon anhand der Originaltexte von Eusebius zeigen kann. 144 Hinter Gibbons Missbilligung von Eusebius’ historiographischer Praxis scheint sich, bei aller polemischen Zuspitzung, mehr als nur die taktische Absicht zu verbergen, einen von der Kirche verehrten Kirchenvater zu diskreditieren. Vielmehr deutet sich an einzelnen Stellen des »Decline and Fall« wie auch in der »Vindication« an, dass eine (in den Grenzen des Möglichen) wahrheitsgemäße Geschichtsschreibung Gibbon ein ernsthaftes Anliegen war. Schön kommt diese Verpflichtung des Historikers in dem nachfolgenden Zitat aus der »Vindication« zum Ausdruck: »Whatever subject he [the historian] has chosen, whatever persons he introduces, he owes to himself, to the present age, and to posterity, a just and perfect delineation of all that may be praised, of all that may be excused, and of all that must be censured. If he fails in the discharge of his important office, he partially violates the sacred obligations of truth, and disappoints his readers of the instruction which they might have derived from a fair parallel of the vices and virtues of the most illustrious characters.« 145 Wie vor ihm bereits Dodwell und Voltaire kritisiert auch Gibbon die unverhältnismäßig hohen Märtyrerrzahlen der katholischen Kirche: »The recent Märtyrer alles das zu sagen und zu schreiben und dem Ohre der Gläubigen zu vermitteln, was erhaben und rühmenswert ist im Sinne des heiligen Wortes, oder wenn irgend eine Tugend oder rühmenswerte Tat zu melden ist.« 143 Chelsum, Remarks, S. 226: »But a yet heavier attack on the venerable Historian remains behind.« Mit den entsprechenden Vorwürfen Chelsums setzt sich Gibbon in seiner »Vindication« auseinander; Vindication, DF, Bd. 3, S. 1173 ff. 144 Chelsum, Remarks, S. 229 f.; Vindication, DF, Bd. 3, S. 1173 f. Mehr Berechtigung scheint allerdings Chelsums kritische Anmerkung zu haben, Eusebius habe in anderem Zusammenhang (an einer von Gibbon gleichfalls zitierten Stelle aus Eusebius’ »Kirchengeschichte«) durchaus innerkirchliche Misstände angesprochen: »We may however venture to assert, that there is an inconsistency in the accusation, even at first sight, upon the strength of a testimony which our Author cannot but admit. When he himself informs us ›of THE CORRUPTION OF MANNERS AND PRINCIPLES‹ among the first Christians ›SO FORCIBLY LAMENTED by Eusebius,‹ I am totally at a loss to reconcile the Historian’s conduct on this occasion, with that of one who suppresses all that can tend to the disgrace of his cause. For once at least, even his accuser must confess that the Historian has been very remarkably inconsistent with himself.«; ebd., S. 226 f. Diesen Einwand kann Gibbon in der »Vindication« (S. 1177 ff.) nicht vollständig entkräften. 145 Vindication, DF, Bd. 3, S. 1175. Vgl. auch ebd., S. 1152: »[. . . ] it has been my invariable practice, to consult the original; to study with attention the words, the design, the spirit, the context, the situation of the passage to which I had been referred; and before I appropriated it to my own use, to justify my own declaration, ›that I had casrefully examined all the original materials that could illustrate the subject which I had undertaken to treat.‹« Vgl. Nippel (2007), S. 256.
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legendaries record whole armies and cities, which were at once swept away by the undistinguishing rage of persecution.« 146 Dieser übertrieben hohen Anzahl an Märtyrern begegnet Gibbon mit einer eigenen Kalkulation der Opferzahlen: Ausgehend von den bei Eusebius genannten Märtyrern in Palästina im Zeitraum zwischen 303 und 311 lässt sich für die letzte Verfolgungswelle eine Zahl von weniger als 2.000 Todesopfern im Gesamtreich errechnen. 147 Diese für Christen heikle Berechnung baut Gibbon weiter aus, indem er eine Verbindung zu den viel höheren Opferzahlen späterer innerchristlicher Glaubenskriege herstellt. Sein Vergleich zwischen den antiken Märtyrern und den Opfern eines frühneuzeitlichen Religionskriegs relativiert die Leiden der frühen Kirche in noch stärkerem Maße: »We shall conclude this chapter by a melancholy truth, which obtrudes itself on the reluctant mind; that even admitting, without hesitation or enquiry, all that history has recorded, or devotion has feigned, on the subject of martyrdoms, it must still be acknowledged, that the Christians, in the course of their intestine dissentions, have inflicted far greater severities on each other, than they had experienced from the zeal of infidels.« 148 Das von Gibbon hier ausgewählte Vergleichsbeispiel, die Verfolgung der niederländischen Protestanten durch die spanische Herrschaft zur Zeit Karls V., zeigt, dass den Kämpfen zwischen verschiedenen christlichen Konfessionen weitaus mehr Menschen zum Opfer fielen als den Verfolgungen im Römischen Reich. Im Anschluss an den arminianischen Theologen Hugo Grotius, der nach Gibbon als zuverlässiger Gewährsmann und unparteilicher Historiker gelten kann, lässt sich eine Zahl von mehr als 100.000 Opfern annehmen. 149 Indem Grotius’ Schätzung durch die Angaben des katholischen Historikers Paolo Sarpi ergänzt wird, der immerhin noch von einer Zahl von 50.000 Opfern ausging und im Text als ein Grotius’ ebenbürtiger Historiker gewürdigt wird, verstärkt sich die Beweiskraft von Gibbons Kalkulation. »In learning and moderation, FraPaolo was not inferior to Grotius. The priority of time gives some advantage to the evidence of the former which he loses on the other hand by the distance of Venice from the Netherlands.« 150 146
DF, XVI, Bd. 1, S. 578. DF, XVI, Bd. 1, S. 578 f. mit Anm. 182 zu Eusebius; Eusebius, Märtyrer in Palästina 13. Die Angaben aus Eusebius’ »Über die Märtyrer in Palästina« bilden auch für die moderne Forschung den einzigen Anhaltspunkt, um Rückschlüsse auf die Gesamtzahl der christlichen Märtyrer zu ziehen; Nippel (2003), S. 58 f., Anm. 234. 148 DF, XVI, Bd. 1, S. 580. Vgl. Foster, S. 164 ff. 149 DF, XVI, Bd. 1, S. 580: »[. . . ] and this extraordinary number is attested by Grotius, a man of genius and learning, who preserved his moderation amidst the fury of contending sects, and who composed the annals of his own age and country, at a time when the invention of printing had facilitated the means of intelligence, and increased the danger of detection.« 150 DF, XVI, Bd. 1, S. 580, Anm. 186. Vgl. Nippel (2007), S. 253. Zu Gibbons Wertschätzung von Sarpi vgl. auch Vindication, DF, Bd. 3, S. 1171. 147
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Märtyrergeschichte und Märtyrerlegenden
Dieser Vergleich, in dem methodisch die Zeugnisse eines protestantischen und eines katholischen Autors von jeweils hohem Ansehen miteinander kombiniert werden, illustriert eindrucksvoll, dass die Zahl der Toten aus einem innerchristlichen Religionskrieg der Frühen Neuzeit in jedem Fall um ein Vielfaches höher liegt als die Zahl der antiken christlichen Märtyrer. Abschließend gelingt es Gibbon so noch einmal, das Aggressionspotential der Kirche zu allen Zeiten vor Augen zu führen und gleichzeitig die Leiden der antiken christlichen »Blutzeugen«, die in Form der Märtyrerverehrung einen wichtigen Bestandteil des christlichen Selbstverständnisses bildeten, zu relativieren. Gibbons Besprechung der Christenverfolgungen in Kapitel XVI bietet damit eine (für Christen sehr anstößige) Alternative zu christlichen Darstellungen dieser Vorgänge. Vorbereitet durch die Argumentation in Kapitel XV und einen einleitenden Abschnitt in Kapitel XVI, in denen in einer vielschichtigen Darlegung die latente Aggressivität der frühen Kirche herausgestellt wurde, werden Ausmaß und Härte der antichristlichen Maßnahmen reduziert, die politisch-pragmatische (und nicht religiöse) Motivation der römischen Herrscher hervorgehoben und die Motive der christlichen Märtyrer kritisch beleuchtet. Auch hier bedient sich Gibbon häufig der Technik, nicht offen einen kritischen Standpunkt zu beziehen, sondern vordergründig lediglich die kirchenkritischen Argumente und Einwände anderer Autoren vorzutragen. Eine wichtige Quelle für Gibbon ist in diesem Zusammenhang Voltaires »Essai«, aus dem er verschiedene argumentative Strategien zur Unterminierung der christlichen Geschichte der Verfolgungszeit übernehmen kann. Allerdings geht Gibbon auch in diesem Fall weit über Voltaire hinaus, indem er beispielsweise eine detaillierte Auseinandersetzung mit antichristlichen Argumenten antiker heidnischer Autoren vornimmt und diese mit Humes Religionssoziologie in Verbindung bringt oder detailliert die einzelnen römischen Herrscher und ihre Christenpolitik unter die Lupe nimmt. Im Unterschied zu Voltaires Vorgehensweise im »Essai« zeichnet seine Darstellung außerdem eine akribische und kreative Auseinandersetzung mit den antiken Quellen für die Verfolgungen aus.
5 G W
5.1 Status der christlichen Wunder und Conyers Middletons Wunderzäsur Anders als die im vorangegangenen Kapitel besprochenen Christenverfolgungen wurden die aus der Geschichte des Christentums überlieferten Wunder in der englischen Öffentlichkeit des frühen und mittleren 18. Jahrhunderts äußerst lebhaft diskutiert. Einige Jahrzehnte vor der Entstehung von Gibbons Werk entwickelte sich hier eine regelrechte »Wunderdebatte«, in der über die Authentizität der Wunder und die Beweiskraft überlieferter Wunderberichte gestritten wurde. 1 Das Thema Wunder war zwischen Verteidigern und Kritikern des christlichen Glaubens, aber auch zwischen Theologen der unterschiedlichen Konfessionen sehr umstritten: Wunder galten neben der göttlichen Offenbarung an Moses und den biblischen Prophezeiungen als ein zentraler Beweis für die Wahrheit der christlichen Religion und dienten dazu, den Autoritätsanspruch der Kirche zu stützen. Deshalb bildete die Berufung auf die Geschichtlichkeit der Wunder einen wichtigen Bestandteil apologetischer Schriften zur Verteidigung des Christentums. 2 Kritiker der Kirche (im anglikanischen Kontext besonders Autoren aus dem Umkreis des englischen Deismus) benutzten wiederum den hohen Stellenwert der Wunder innerhalb christlicher Apologien als Ansatzpunkt, um die christliche Offenbarungsreligion insgesamt in Zweifel zu ziehen und die Position der offiziellen Kirche zu schwächen. Wenn auf verschiedene Weise die Geschichtlichkeit der christlichen Wunder und die Glaubwürdigkeit erhaltener Wunderberichte in Frage gestellt wurden, erschien in der Folge auch die christliche Religion als Ganzes diskreditiert. 3 Verschärfend kommt hinzu, dass die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt der Kirchengeschichte tradierte Wunder als authentisch gelten können, seit der Reformation einen zentralen Streitpunkt zwischen katholischen und protestantischen
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Burns, S. 10 f.; Shaw, S. 15 f. Shaw lokalisiert die Anfänge der Wunderdebatte in England bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. 2 Pocock (1999), S. 44 f.; Foster, S. 94 f.; Gaskin (1993), S. 143 ff. Auch die christlichen Prophezeiungen wurden in England zum Gegenstand einer hitzigen Debatte. Bei Gibbon wird dieses Thema nur in kleinerem Umfang behandelt; z. B. DF, XV, Bd. 1, S. 511 f. 3 Gaskin (1993), S. 144 f.; Foster, S. 101. Für die Vertreter des englischen Deismus lässt sich kein einheitlicher Standpunkt in der Frage feststellen, inwieweit Wunder überhaupt möglich sind; nicht alle englischen Deisten beschäftigten sich überhaupt mit diesem Thema; Burns, S. 14 u. 70 f.
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Gibbon über Wunder
Autoren darstellte. Katholische Apologeten sahen die eigene Kirche, wie ausgeführt wurde, in einer ungebrochenen Kontinuität zur Kirche des Apostolischen Zeitalters und hielten so von Gott gestiftete übernatürliche Phänomene bis in die zeitgenössische Gegenwart hinein für möglich. Demgegenüber verfochten protestantische Theologen den Standpunkt, dass die von Gott verliehenen wundersamen Gaben der frühen Christen an einem bestimmten historischen Zeitpunkt versiegten und alle später bezeugten Wunder als Fälschungen katholischer Autoren zu bewerten seien. Als Zäsur wurde hier häufig die Herrschaftszeit Kaiser Konstantins I. genannt, da die Kirche mit dem Ende der Christenverfolgungen nicht länger von außen bedroht war, ein göttliches Eingreifen zugunsten der christlichen Gläubigen also überflüssig wurde. 4 Die von Protestanten entwickelten Argumente gegen eine Fortdauer der Wunder bis in die Gegenwart, die sich explizit auch gegen vermeintliche im zeitgenössischen Katholizismus gewirkte Wunder richteten, boten Kritikern der Kirche (so auch Hume) einen weiteren Angriffspunkt, indem die protestantische Skepsis gegenüber einem Teil der christlichen Wunderüberlieferung ausgeweitet und auf die Spitze getrieben wurde. 5 Innerhalb der anglikanischen Kirche war das Problem, eine überzeugende Erklärung für das Versiegen der Wundertradition zu finden, auch deshalb besonders virulent, weil sie aufgrund ihrer angesprochenen Zwischenstellung zwischen den protestantischen Glaubensgemeinschaften und der katholischen Kirche individuelle Interpretationsmuster entwickeln musste. 6 Ab dem Ende des 17. Jahrhunderts entspann sich hier eine »Wunderdebatte« zwischen Verteidigern der christlichen Wunder wie Isaac Newton, Robert Boyle oder John Wilkins und deistischen Kritikern dieser Tradition, darunter Autoren wie Charles Blount, Thomas Morgan, Thomas Chubb und Peter Annet. 7 Großen Anstoß erregten in den 1720er-Jahren die Untersuchungen des Cambridger Theologen Thomas Woolston (»Discourses on the Miracles of Our Saviour«, 1727 – 29), die sich gegen eine wörtliche Auslegung der von Jesus überlieferten Wunder wandten. Woolstons in einer hohen Auflage erschienene »Discourses« lösten in England einen Sturm der Entrüstung aus und brachten ihrem Verfasser eine Verurteilung wegen Blasphemie ein. 8 Sehr 4
Shaw, S. 21 ff.; Robert C. Ingram: ›The Weight of Historical Evidence‹: Conyers Middleton and the Eighteenth-Century Miracles Debate, in: Robert D. Cornwall u. a. (Hgg.), Religion, Politics and Dissent, 1660 – 1832. Essays in Honour of James E. Bradley, Farnham u. a. 2010, 85 – 110, hier S. 105. 5 Peter Harrison: Prophecy, Early Modern Apologetics, and Hume’s Argument against Miracles, Journal of the History of Ideas 60 (1999), 241 – 256, hier S. 249. 6 Pocock (1999), S. 45; Quantin (2009), S. 130 ff. 7 Burns, S. 12 f. u. 72 ff.; Shaw, S. 158 ff. 8 Wayne Hudson: Enlightenment and Modernity. The English Deists and Reform, London 2009, im Folgenden zitiert als Hudson (2009b), S. 49 f. u. 54 ff. Woolstons »Discourses« erlebten sechs aufeinanderfolgende Auflagen und wurden auch in den amerikanischen Kolonien gelesen.
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wichtig für Gibbons Behandlung der Wunder waren dann zwei wunderkritische Beiträge aus der Endphase dieser Debatte: Humes Aufsatz »Of Miracles«, der im Jahr 1748 als Teil der »Enquiry Concerning Human Understanding« publiziert wurde (vgl. Kapitel 5.2), und die bereits erwähnte »Free Inquiry« (1749) von Conyers Middleton, der zwei Jahre zuvor ein »Introductory Discourse« vorausgegangen war. Middletons »Free Inquiry« nahm innerhalb der intellektuellen und religiösen Entwicklung des jungen Gibbon eine besondere Stellung ein. Wie Gibbon in seinen »Memoirs« rückblickend schildert, bewegte ihn während seines Studiums in Oxford die Lektüre der »Free Inquiry« sowie das sich anschließende Studium zweier antiprotestantischer Schriften des katholischen Theologen Bossuet dazu, für kurze Zeit zum katholischen Glauben zu konvertieren, da ihn die Argumente Middletons gegen die katholische Wundertradition nicht überzeugen konnten. 9 Middleton blieb auch später ein wichtiger Referenzautor für Gibbon: In Kapitel XV werden Argumente der »Free Inquiry« herangezogen, um die frühchristlichen Wunder zu kritisieren; in Kapitel XXVIII rekurriert Gibbon auf Middletons Schrift »A Letter from Rome«. 10 Der anglikanische Geistliche und Dissenter Middleton erregte immer wieder Aufmerksamkeit mit an heterodoxes Gedankengut grenzenden Schriften zur frühen Geschichte der Kirche und provozierte auf diese Weise orthodoxe Zeitgenossen, was eine anvisierte berufliche Karriere in der anglikanischen Kirche erschwerte. 11 Seine kirchengeschichtlichen Arbeiten zeichnen eine intensive BeNach dem Katalog von Keynes enthielt Gibbons Bibliothek keine Schriften von Thomas Woolston. 9 Zu Gibbons Konversion vgl. David Womersley: Gibbon’s Apostasy, British Journal for Eighteenth-Century Studies 11 (1988), 51 – 70, im Folgenden zitiert als Womersley (1988b), hier S. 54 ff.; Nippel (2003), S. 8 ff. In den »Memoirs« schreibt Gibbon über seine Konversion zum Katholizismus: »The progress of my conversion may tend to illustrate, at least the history of my own mind. It was not long since Dr. Middleton’s free Enquiry had sounded an alarm in the Theological world: much ink and much gall had been spilt in the defence of the primitive miracles; and the two dullest of their champions were crowned with Academic honours by the University of Oxford. The name of Middleton was unpopular; and his proscription very naturally tempted me to peruse his writings and those of his antagonists. His bold criticism, which approaches the precipice of infidelity produced on my mind a singular effect; and had I persevered in the communion of Rome I should now apply to my own fortune the prediction of the Sybill, Via prima salutis quod minimum reris, Graiâ pandetur ab Urbe.«; Memoirs, S. 58. 10 DF, XV, Bd. 1, S. 471 ff.; XXVIII, Bd. 2, 96 f. Zu Middletons Einfluss auf Gibbon vgl. Pocock (1999), S. 45 ff.; Womersley (2002), S. 309 ff.; Young (1998a), S. 182 ff. 11 Zu Middletons Biographie vgl. ausführlich Hugh R. Trevor-Roper: From Deism to History: Conyers Middleton, in: ders., History and the Enlightenment, New Haven u. a. 2010, 71 – 119, im Folgenden zitiert als Trevor-Roper (2010a), passim; Ingram (2010), S. 90 ff. Middleton (1683 – 1750) war Fellow des Trinity College Cambridge, hatte einen Lehrstuhl für Geologie inne und wirkte viele Jahre hindurch als leitender Bibliothekar der Universitätsbibliothek von
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schäftigung mit den relevanten Quellen zur Kirchengeschichte und eine gegen den Traditionalismus der anglikanischen Kirche gerichtete, sehr skeptische Haltung gegenüber den Kirchenvätern aus. 12 Innerhalb der modernen Forschung werden Middletons religiöser Standpunkt und das Ausmaß seiner heterodoxen Abweichung unterschiedlich eingeschätzt. 13 Brian Young charakterisierte Middleton einmal treffend als »sceptical Christian«. 14 Ein ähnliches Urteil findet sich bereits bei Gibbon: In der »Vindication« wird die ambivalente Position Middletons (Geistlicher der anglikanischen Kirche und skeptischer Kritiker in der Nähe zu deistischem Gedankengut) hervorgehoben, die ihn als einen Gegenpol zu dem römischen Kardinal Baronius, dem Vertreter einer konfessionell befangenen Gelehrsamkeit, erscheinen lässt. »A Theological Barometer might be formed, of which the Cardinal [Cesare Baronius] and our countryman Dr. Middleton should constitute the opposite and remote extremities, as the former sunk to the lowest degree of credulity, which was compatible with learning, and the latter rose to the highest pitch of scepticism, in any wise consistent with Religion.« 15 Im »Introductory Discourse« und der sich anschließenden »Free Inquiry« problematisierte Middleton die für Protestanten heikle Frage, wie ein Zeitpunkt bestimmt werden kann, an dem die (ursprünglich den Aposteln von Gott übertragenen) wundersamen Gaben der frühen Christen zu einem Ende kamen und durch lediglich vorgetäuschte Wundertaten abgelöst wurden. 16 Seine These lautete, dass authentische Wunder nur zu Lebzeiten der Apostel vorkamen und alle später belegten Wunder als Fälschungen zu bewerten sind. 17 Damit stellte die »Free Inquiry« eine extreme Variante protestantischer Kritik am katholischen WunderCambridge. Am bekanntesten sind neben der »Free Inquiry« die Werke »A Letter from Rome« (1729) und »The Life of Marcus Tullius Cicero« (2 Bde, 1741). 12 Brian W. Young: Conyers Middleton: The Historical Consequences of Heterodoxy, in: Sarah Mortimer u. a. (Hgg.), The Intellectual Consequences of Religious Heterodoxy 1600 – 1750, Leiden u. a. 2012, 235 – 266, hier S. 247 f. 13 Ingram bewertet Middleton beispielsweise als gläubigen Christ, der durch seine kritischen Arbeiten zur Kirchen- und Dogmengeschichte die eigene Religion lediglich von allem dogmatischen und patristischen Ballast befreien wollte, um sie so vor deistischen Angriffen zu schützen; Ingram (2010), S. 92 f. Trevor-Roper schätzt Middleton hingegen als »free-thinker« ein und betont die Rationalität und Vernunftgebundenheit seines Standpunktes; Trevor-Roper (2010a), S. 106 ff. 14 Young (1998a), S. 184. In einem späteren Beitrag hebt Young Middletons Klassizismus und die Ambiguität seines Denkens hervor; Young (2012), S. 237 ff. 15 Vindication, DF, Bd. 3, S. 1151. 16 Middleton, Free Inquiry, Præface, S. XIV: »It being agreed then, that in the original promise of these miraculous gifts, there is no intimation of any particular period, to which their continuance was limited, the next quæstion is, by what sort of evidence the precise time of their duration is to be determined?« 17 Middleton, Introductory Discourse, S. XCI: »Which brings me at last to that general conclusion, wich I have undertaken to illustrate; that there is no sufficient reason to believe, from
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glauben dar: Der häufig von Protestanten in dieser Frage vertretene Standpunkt (ein Abbruch der Wunder während der Herrschaft Konstantins I.) wurde hier weit hinter sich gelassen. 18 In methodischer Hinsicht konzentrierte sich Middleton in seiner Studie auf die überlieferten patristischen Zeugnisse für Wunder und nahm eine kritische Sichtung der darin enthaltenen Einzelheiten vor. 19 Der kritische Impetus seiner Arbeit richtete sich insbesondere gegen die Kirchenväter als Verfasser und Übermittler christlicher Wunderberichte: Middleton fällte ein harsches Urteil über Charakter und Motivation von Vätern wie Justin dem Märtyrer, Irenäus und späteren, deren Urteilskraft, Glaubwürdigkeit und Integrität vehement in Frage gestellt wurden. 20 Detailliert führte Middleton unglaubwürdige Einzelheiten und Unstimmigkeiten in den erhaltenen Wunderberichten vor 21 und diskreditierte die Autorität einzelner Kirchenväter, indem er u. a. darauf hinwies, dass diese absurde und später von der Kirche selbst verworfene Lehrmeinungen propagierten (wie beispielsweise die Doktrin vom bevorstehenden Weltende). 22 Eine derartige Geringschätzung der Kirchenväter las sich im anglikanischen Kontext besonders kritisch, weil hier die frühen Kirchenväter eine herausragende Autorität in allen theologischen Streitfragen genossen. 23 Wenn sich insgesamt über die Kirchenväter als Quelle wenig Positives feststellen ließ, konnten offensichtlich auch die von ihnen überlieferten Wunderzeugnisse keine Glaubwürdigkeit beanspruchen. Dies galt nach Middleton nicht nur für die Kirchenväter des vierten und fünften Jahrhunderts, die von protestantischen Autoren häufig als unzuverlässig verworfen wurden, sondern gerade auch für die innerhalb der anglikanischen Kirche sehr geschätzten frühen Väter wie Justin den Märtyrer, the testimony of antiquity, that any miraculous powers did ever actually subsist in any age of the Church, after the times of the Apostles.« 18 Shaw, S. 21 ff.; Ingram (2010), S. 105 ff. 19 Middleton, Free Inquiry, Præface, S. IXf.: »The present quæstion, concerning the reality of the miraculous powers of the primitive Church, depends on the joint credibility of the facts, pretended to have been produced by those powers, and of the witnesses, who attest them. If either part be infirm, their credit must sink in proportion; and if the facts especially be incredible, must of course fall to the ground: because no force of testimony can alter the nature of things.« Vgl. Young (2012), S. 252. 20 Middleton, Free Inquiry, Præface, S. XXXIf.: »In the pursuit of which end, I have shewn, by many indisputable facts, that the ancient Fathers, by whose authority that delusion was originally imposed, and has ever since been supported, were extremely credulous and superstitious; possessed with strong prejudices and an enthusiastic zeal, in favor, not onely of Christianity in general, but of every particular doctrine, which a wild imagination could ingrast upon it; and scrupling no art or means, by which they might propagate the same principles.« 21 Middleton, Free Inquiry, S. 123 ff. 22 Middleton, Free Inquiry, S. 51 ff. 23 Zum hohen Stellenwert der Kirchenväter im Anglikanismus vgl. Quantin (2009), besonders S. 397 ff.
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Irenäus oder Cyprian, da ein Vergleich beider Personengruppen hinsichtlich ihrer Bildung und Urteilskraft zu Ungunsten der frühen Väter ausfallen müsse. 24 In einer Verkehrung der späteren Rezeptionsgeschichte sorgte die Veröffentlichung von Middletons wunderkritischer und antipatristischer Abhandlung im Jahr 1749 für einen publizistischen Skandal in England und verdrängte zur Verärgerung Humes den ein Jahr zuvor erschienenen Aufsatz »Of Miracles« aus der öffentlichen Wahrnehmung. 25 Sehr umstritten war die »Free Inquiry« neben ihrer Diskreditierung der frühen Kirchenväter auch deshalb, weil ihre Argumentation Protestanten vor ein schwerwiegendes Problem stellte. Denn wenn alle nachapostolischen Wunder lediglich ein Werk von Betrügern waren, wie konnte dann noch die Authentizität der neutestamentarischen Wunder garantiert werden? Zwar unternahm Middleton argumentative Anstrengungen, um die Wunder des Neuen Testaments abzusichern 26, diese Argumentation erscheint jedoch als halbherzig und wenig überzeugend. Zeitgenössische Kritiker der »Free Inquiry« warfen Middleton deshalb vor, implizit auch die Wunder des Neuen Testaments in Zweifel zu ziehen und mit seiner Untersuchung weniger die katholische Tradition zu entwerten als vielmehr Deisten und anderen Feinden der Kirche eine Tür zu öffnen – und auf diese Weise den christlichen Glauben an sich zu untergraben. 27 Diese argumentative Hintertür der »Free Inquiry« nützt auch Gibbon, wie noch gezeigt werden soll, für eine Zuspitzung seiner Wunderkritik. 28 In der Abhandlung der fünf »natürlichen« Ursachen für die Durchsetzung des Christentums tauchen die christlichen Wunder als dritte Ursache auf: »The supernatural gifts, which even in this life were ascribed to the Christians above the rest of mankind, must have conduced to their own comfort, and very frequently to the conviction of infidels.« 29 Werden die Wunder in diesem Zitat vordergründig als ein die Konversion befördernder Faktor beschrieben, macht die
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Middleton, Introductory Discourse, S. LXXXV: »If we compare the principal Fathers of the fourth, with those of the earlier ages; we shall observe the same characters of zeal and piety in them all, but more learning, more judgement, and less credulity in the later Fathers.« 25 Nippel (2003), S. 9. 26 Middleton führt hier insbesondere das Argument an, dass es aus der Zeit der apostolischen Väter wie Ignatius von Antiochien oder Clemens von Rom keine Berichte über Wunder gibt, sich also eine zeitliche Lücke von ca. 50 Jahren zwischen den nach Middleton echten Wundern aus der Zeit der Apostel und späteren nur noch vorgetäuschten Wundern ergibt; Middleton, Free Inquiry, S. 2 ff. u. 19 f. Vgl. Campbell, S. 41 f. 27 Young (1998a), S. 184. Einen Überblick über die kritischen Reaktionen auf die »Free Inquiry« gibt Young (2012), S. 253 ff. 28 Vgl. Womersley (1988b), S. 68, Anm. 16. 29 DF, XV, Bd. 1, S. 471; vgl. auch DF, XV, Bd. 1, S. 475: »The most curious, or the most credulous, among the Pagans, were often persuaded to enter into a society, which asserted an actual claim of miraculous powers.« Vgl. Nippel (2007), S. 248 f.
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weitere Darstellung dann deutlich, wie irrational und übersteigert die christliche Wundergläubigkeit auf spätere Betrachter wirken musste. 30 Gibbons Erörterung der Wunder in Kapitel XV greift stark auf die »Free Inquiry« zurück und kann auch als eine Auseinandersetzung mit Middletons Schrift gelesen werden. Bereits die ironische Bloßstellung der verschiedenen »übernatürlichen« Gaben der Christen (»the gift of tongues, of vision and of prophecy, the power of expelling dæmons, of healing the sick, and of raising the dead« 31), die im Text der eigentlichen Erörterung von Middletons Wunderzäsur vorausgeht, zeigt einen ausgeprägten Rekurs auf die »Free Inquiry«, ohne dass Gibbon eine systematische und umfassende Zurückweisung der einzelnen wundersamen Fähigkeiten vornehmen würde, wie Middleton sie durchführte. Anhand eines Zitats aus Irenäus stellte Middleton beispielsweise die von den Christen des zweiten Jahrhunderts reklamierte Gabe, in fremden Zungen zu sprechen, in Frage, denn der Kirchenvater selbst hatte seine Schwierigkeiten zum Ausdruck gebracht, sich während seiner Missionierung in Gallien mit der einheimischen Bevölkerung zu verständigen. 32 Gibbon übernimmt sowohl die Quellenstelle als auch Middletons polemische Auslegung dieses Zitats: »The knowledge of foreign languages was frequently communicated to the contemporaries of Irenæus, though Irenæus himself was left to struggle with the difficulties of a barbarous dialect whilst he preached the gospel to the natives of Gaul.« 33 Da es für eine außergewöhnliche Beherrschung fremder Sprachen unter den Christen aus späteren Jahrhunderten keine Zeugnisse mehr gibt, war Middleton auch zu dem Schluss gekommen, dass diese Gabe am schnellsten wieder aufgegeben worden war, weil sie im Unterschied zu anderen übernatürlichen Fähigkeiten (wie der Austreibung von Dämonen) kaum vorgetäuscht werden konnte. 34 Sicherheitshalber bringt Gibbon diese das Christentum herabwürdigende Spitze in einer Anmerkung unter; seinen eigenen, nicht näher ausgeführten Standpunkt rückt er dabei in Distanz zu Middletons unverhüllter Skepsis gegenüber den christlichen Wundergaben. »Dr. Middleton observes, that as this pretension of all others was 30
DF, XV, Bd. 1, S. 472 f. Vgl. Wootton (1997), S. 222. DF, XV, Bd. 1, S. 472; Middleton, Free Inquiry, S. 71 f. Middleton bespricht in diesem Kontext zusätzlich die christlichen Gaben, die Geheimnisse der Menschen aufzudecken und die Heilige Schrift auszulegen. 32 Middleton, Free Inquiry, S. 119 f. Die entsprechende Stelle aus »Gegen die Häresien« lautet: »Du darfst jedoch bei uns, die wir unter den Kelten weilen und uns zumeist mit der barbarischen Sprache abmühen, weder die Kunst der Rede suchen, die wir nicht gelernt, noch die Kraft des schriftlichen Ausdruckes, den wir nicht geübt haben, noch schöne Redewendungen oder Dialektik, die wir nicht verstehen..«; Irenäus, Gegen die Häresien 1, Vorrede. 33 DF, XV, Bd. 1, S. 472. Eine explizite Quellenangabe findet sich in diesem Beispiel nur bei Gibbon. 34 Middleton, Free Inquiry, S. 120 ff. 31
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the most difficult to support by art, it was the soonest given up. The observation suits his hypothesis.« 35 Als interessant erweist sich in diesem Fall ein Blick auf die unterschiedlichen Fassungen von Kapitel XV in der ersten bis dritten Auflage des ersten Bandes. Wie Womersley herausgefunden hat, wurde die fragliche Fußnote von Gibbon erst für die dritte Auflage des ersten Bandes (1777), also nach Erscheinen eines Großteils der öffentlichen Angriffe auf ihn, in die vorliegende Form gebracht. Dies unterstreicht den Verdacht, dass Gibbon an dieser Stelle bewusst einen zu engen Anschluss an Middletons sehr kontrovers diskutierte »Free Inquiry« zu vermeiden suchte. 36 Vergleichbare Anklänge an die »Free Inquiry« lassen sich auch bei der Abhandlung der christlichen Visionen und Prophezeiungen feststellen: Wie Middleton rückt Gibbon diese in die Nähe ekstatischer Geisteszustände und verwendet zu diesem Zweck dieselben Quellenstellen, die auch Middleton angeführt hatte. »When their devout minds were sufficiently prepared by a course of prayer, of fasting, and of vigils, to receive the extraordinary impulse, they were transported out of their senses, and delivered in exstasy what was inspired, being mere organs of the holy spirit, just as a pipe or flute is of him who blows into it.« 37 Zusätzliche Zweifel an der Authentizität der christlichen Visionen schürt Gibbon, indem er, wiederum in Übereinstimmung mit Middleton, eine kritische Äußerung Ciceros über verschiedene von antiken Kulten gemachte Prophezeiungen auf die Christen überträgt. 38 Analog zu Middleton vermerkt Gibbon schließlich den pragmatischen Nutzen dieser Visionen für die Kirche – und macht so erneut ihren 35
DF, XV, Bd. 1, S. 472, Anm. 74. Womersley (2002), S. 31 f. Womersley hat auf überzeugende Weise Zusammenhänge zwischen den öffentlichen Reaktionen und den von Gibbon vorgenommenen Korrekturen für die zweite und dritte Auflage des ersten Bandes des »Decline and Fall« rekonstruiert: Die Änderungen für die zweite Auflage sind nach Womersley vor allem defensiv geprägt, diejenigen für die dritte Auflage hingegen wieder stärker offensiv, weil Gibbon zum Zeitpunkt des Erscheinens der dritten Auflage das kritische Potential seiner Gegner bereits einschätzen konnte (ebd., S. 38 ff.). Die oben besprochene Fußnote fällt aus diesem Muster allerdings heraus, da Gibbon hier erneut eher defensiv reagiert. 37 DF, XV, Bd. 1, S. 472 mit Anm. 75; Middleton, Free Inquiry, S. 111 f. Gibbons Schilderung an dieser Stelle geht auf eine auch von Middleton zitierte Formulierung von Athenagoras zurück: »Auch Ihr, die ihr durch Eure Einsicht und durch Eure Frömmigkeit gegen das wahrhaft göttliche die andern überraget, dürftet zugeben, daß es unvernünftig ist, von der gläubigen Hingabe an den göttlichen Geist, der den Mund der Propheten wie (der Musiker) ein Instrument rührte, abzulassen und sich nach Menschenmeinungen zu richten.«; Athenagoras, Bittschrift für die Christen 7. Neben Athenagoras werden bei Middleton und Gibbon die Autoren Justin der Märtyrer und Tertullian genannt. 38 DF, XV, Bd. 1, S. 472, Anm. 75; Middleton, Free Inquiry, S. 98; Cicero, Über die Wahrsagung 2, 54. 36
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göttlichen Ursprung zweifelhaft. 39 Auch Gibbons Diskreditierung der christlichen Gabe der Totenerweckung hat eine Entsprechung im entsprechenden Abschnitt der »Free Inquiry«: Middleton und Gibbon führen diese Gabe ad absurdum, indem sie ironisch auf das Beispiel von Theophilus, des Bischofs von Antiochien, verweisen, der in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts der Bitte eines konversionswilligen heidnischen Freundes, Bekanntschaft mit einer vom Tod auferstandenen Person zu machen, nicht entsprechen konnte. 40 Die angesprochenen Übereinstimmungen mit der »Free Inquiry« blieben auch zeitgenössischen Kritikern nicht verborgen. Gibbon sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, Ideen aus Middletons Schrift wie auch aus den Arbeiten anderer Autoren plagiiert zu haben. Besonders drastisch formulierte, wie angesprochen, der Oxforder Theologe Davis diesen Vorwurf, der Gibbon, anders als frühere Angriffe auf ihn, zu seiner »Vindication« provozierte. 41 In seiner Verteidigungsschrift geht Gibbon auf die gegen ihn erhobenen Plagiatsvorwürfe lediglich in allgemeiner Form ein, indem er seine Literaturverarbeitung insgesamt rechtfertigt. 42 Während der erste Teil der »Vindication«, der sich mit der Anschuldigung auseinandersetzt, antike Quellen zur Geschichte des Christentums verfälschend dargestellt zu haben, eine zum Teil sehr detaillierte Verteidigung der eigenen Quellenarbeit darstellt 43, vermeidet Gibbon es hier, sich mit speziellen Kritikpunkten auseinanderzusetzen. Eine gewisse Abhängigkeit von Middletons Schrift (und von den Arbeiten anderer Autoren wie Barbeyrac) scheint er nicht bestreiten zu können und deshalb einen anderen Weg der Verteidigung zu wählen. An die Besprechung der wundersamen Gaben der frühen Christen, schließt sich in Kapitel XV eine Auseinandersetzung mit Middletons These an, dass die authentischen Wunder des Christentums nach dem Tod der Apostel versiegten und spätere Wunder als Täuschungen bewertet werden müssten. Wie anstößig die entsprechende Darlegung auf christliche Leser wirkte, war natürlich auch Gibbon bewusst. So weist er ausdrücklich auf die publizistische Erregung nach der Veröffentlichung der »Free Inquiry« hin: »The miracles of the primitive church, after obtaining the sanction of ages, have been lately attacked in a very free and ingenious inquiry; which, though it has met with the most favourable reception 39
DF, XV, Bd. 1, S. 472: »We may add, that the design of these visions was, for the most part, either to disclose the future history, or to guide the present administration of the church.«; Middleton, Free Inquiry, S. 109. 40 DF, XV, Bd. 1, S. 472 f. mit Anm. 78; Middleton, Free Inquiry, S. 74 f. Middleton und Gibbon beziehen sich auf Theophilus’ Schrift »An Autolykus«. 41 Nippel (2003), S. 81 ff. Den Vorwurf, Gibbon habe Middleton und Barbeyrac plagiiert, äußert u. a. auch Chelsum, Remarks, Preface, S. IIIff. 42 Vindication, DF, Bd. 3, S. 1150 ff. 43 Vindication, DF, Bd. 3, S. 1116 ff.
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from the Public, appears to have excited a general scandal among the divines of our own as well as of the other protestant churches of Europe.« 44 Als Beispiel einer (gemäßigt) kritischen Reaktion auf Middletons Schrift nennt Gibbon die Stellungnahme Mosheims: »The university of Oxford conferred degrees on his [Middleton’s] opponents. From the indignation of Mosheim, we may discover the sentiments of the Lutheran divines.« 45 Dieser Verweis kann allerdings kaum davon ablenken, dass Gibbons weitere Erörterung der Wunder eine genau entgegengesetzte Richtung zu Mosheims Bewertung einschlägt. Während der lutheranische Theologe seine Leser vor Middletons Schrift gewarnt hatte, weil er durch sie die zentralen Bestandteile des christlichen Glaubens gefährdet sah, benutzt Gibbon die argumentativen Defizite der »Free Inquiry«, um (wenngleich nur in suggestiver Form) auch den Status der apostolischen Wunder in Frage zu stellen. Ein ambivalenter Umgang mit der »Free Inquiry« zeigt sich bereits, wenn Gibbon (wieder einmal zurückgezogen auf die Rolle des überparteilichen Historikers) das von Middleton aufgeworfene Problem diskutiert, wie sich ein Versiegen der wundersamen Kräfte unter den Christen zu einem beliebigen Zeitpunkt der Kirchengeschichte plausibel erklären lasse. »The duty of an historian does not call upon him to interpose his private judgment in this nice and important controversy; but he ought not to dissemble the difficulty of adopting such a theory as may reconcile the interest of religion with that of reason, of making a proper application of that theory, and of defining with precision the limits of that happy period exempt from error and from deceit, to which we might be disposed to extend the gift of supernatural powers.« 46 Unausgesprochen gelten die in diesem Zitat angesprochenen Schwierigkeiten natürlich auch für die von Middleton verfochtene Zäsur – und der geschilderte Konflikt zwischen religiösen und rationalen Interessen ließe sich gut auf eine Charakterisierung von Middletons Standpunkt übertragen. Eine Tendenz der »Free Inquiry« aufgreifend verleiht Gibbon seiner Darlegung dann zuerst eine bewusst antikatholische Ausrichtung, wenn er die Verbindungslinien zwischen der Ausbildung »katholischer« Strukturen und Riten sowie den christlichen Wundern betont und die katholische Religion als »Aberglauben« diskreditiert. »From the first of the fathers to the last of the popes, a succession of 44
DF, XV, Bd. 1, S. 473. DF, XV, Bd. 1, S. 473, Anm. 80. Mosheim hatte in seiner Schrift »De rebus Christianorum« zwar Middletons Gelehrsamkeit und originellen Geist gewürdigt, sich jedoch ablehnend gegenüber dessen Argumentation und der damit verbundenen negativen Beurteilung auch der frühen Kirchen-väter gezeigt. Middletons Darlegung bewertete er insgesamt als problematisch, da sie in seinen Augen einen Angriff auf die neutestamentarischen Wunder und damit auf die Fundamente des christlichen Glaubens darstellte; Mosheim, De rebus, II, 5, Anm. 2, Bd. 1, S. 279 ff. 46 DF, XV, Bd. 1, S. 473. 45
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bishops, of saints, of martyrs, and of miracles, is continued without interruption, and the progress of superstition was so gradual and almost imperceptible, that we know not in what particular link we should break the chain of tradition.« 47 Gleichzeitig wird hier Middletons Wunderzäsur subtil unterlaufen, denn die Tradition der Wunder und anderer Elemente des Katholizismus erstreckt sich ausdrücklich von der Zeit der ersten Kirchenväter bis in Gibbons eigene Zeit, umfasst also auch die nach Middleton wunderfreie Periode der nachapostolischen Väter. Im Anschluss an Middleton stellt Gibbon Spekulationen darüber an, welche Schwierigkeiten bei der Festlegung einer genauen Trennlinie zwischen echten und vorgetäuschten Wundern auftreten. Da wundersame Vorfälle die Kirchengeschichte durchziehen, können nach Gibbon alle historischen Wunderberichte ein gleiches Maß an Glaubwürdigkeit beanspruchen. 48 In einer korrespondierenden Fußnote wird der für seine wunderstiftenden Fähigkeiten berühmte Heilige Bernhard von Clairvaux aufs Korn genommen, der zwar über die Wunder eines Freundes Bericht erstattete, die zahlreichen von ihm selbst gewirkten Wunder aber unerwähnt ließ. An seine Leser richtet Gibbon die rhetorische Frage, wie es sich erklären lasse, dass von katholischen Heiligen keine Berichte über eigene Wundertaten überliefert sind. 49 An ein Argument aus der »Free Inquiry« erinnert auch Gibbons Strategie, eine funktional motivierte Erklärung für ein Ende der Wunder zu Beginn des vierten Jahrhunderts mit dem Hinweis darauf zu entkräften, dass ein großer Teil der Weltbevölkerung immer noch nicht zum Christentum bekehrt ist, Wunder als Antrieb der Konversion also immer noch gefragt sein könnten. 50
47
DF, XV, Bd. 1, S. 473 f; Middleton, Introductory Discourse, S. LIf.: »For it was in these very primitive ages, and especially in the third, fourth and fifth centuries, those florishing times of miraculous powers, as Dr. Chapman calls them, in which the chief corruptions of Popery were either actually introduced, or the seeds of them so effectually sown, that they could not fail of producing the fruits, which we now see. By these corruptions I mean, the institution of Monkery; the worship of reliques; invocation of Saints; prayers for the Dead, the superstitious use of Images; of the Sacraments, of the Sign of the Cross; and of consecrated oil; by the efficacy of all which rites, and as a proof of their divine origin, perpetual miracles are affirmed to have been wrought in these very centuries.« Zu Middletons Antikatholizismus vgl Campbell, S. 40 f. u. 48. 48 DF, XV, Bd. 1, S. 474: »Every age bears testimony to the wonderful events by which it was distinguished, and its testimony appears no less weighty and respectable than that of the preceding generation, till we are insensibly led on to accuse our own inconsistency, if in the eighth or in the twelfth century we deny to the venerable Bede, or to the holy Bernard, the same degree of confidence which, in the second century, we had so liberally granted to Justin or to Irenæus.«; z. B. Middleton, Introductory Discourse, S. LXXI. 49 DF, XV, Bd. 1, S. 474, Anm. 81. Zu Gibbons Anmerkungen vgl. Cosgrove (1991), S. 146. 50 DF, XV, Bd. 1, S. 474: »If the truth of any of those miracles is appreciated by their apparent use and propriety, every age had unbelievers to convince, heretics to confute, and idolatrous nations to convert, and sufficient motives might always be produced to justify the interposition of Heaven.«; Middleton, Free Inquiry, Præface, S. XVIIIff.
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Für protestantische Christen spitzt Gibbon seine bisherigen Überlegungen zu einem Dilemma zu: »And yet since every friend to revelation is persuaded of the reality, and every reasonable man is convinced of the cessation, of miraculous powers, it is evident that there must have been some period in which they were either suddenly or gradually withdrawn from the Christian church.« 51 Erneut wird dann die Position der »Free Inquiry« überschritten, indem Middletons Wunderzäsur stillschweigend in eine Aufzählung möglicher Endpunkte der Periode echter Wunder aufgenommen wird. »Whatever æra is chosen for that purpose, the death of the apostles, the conversion of the Roman empire, or the extinction of the Arian heresy, the insensibility of the Christians who lived at that time will equally afford a just matter of surprise.« (meine Hervorhebung). 52 Das Problem, wie sich das Unverständnis derjenigen Christen erklären lässt, die den Übergang von authentischen zu lediglich vorgetäuschten Wundern unmittelbar miterlebten, bezieht Gibbon also ausdrücklich auch auf das Apostolische Zeitalter. Anschaulich illustriert die Darstellung die Schwierigkeiten, die sich aus der Vorstellung ergeben, ein Zeitalter realer Wunder werde durch eine Periode gefälschter Wunder abgelöst. In einem ironischen Vergleich werden Gott als Maler und die christlichen Gläubigen als sein Publikum präsentiert. 53 Bereits an einer etwas früheren Stelle wandte sich Gibbon direkt gegen Middletons Verteidigung einer Ausnahmestellung der apostolischen Wunder, wenn er hervorhob, dass es, anders als von Middleton behauptet, Quellenbelege für übernatürliche Gaben auch unter den ersten Schülern der Apostel gab. »Notwithstanding the evasions of Dr. Middleton, it is impossible to overlook the clear traces of visions and inspiration, which may be found in the apostolic fathers.« 54 Aus dem Umstand, dass von den apostolischen Vätern wie Ignatius von Antiochien oder Clemens von Rom keine Wundertaten überliefert sind und sich erneute Berichte über Wunder erst wieder mit einem zeitlichen Abstand von etwa 50 Jahren finden, leitete Middleton ab, dass wunderstiftende Fähigkeiten mit dem Tod der Apostel versiegten und alle später bezeugten Wunder als Fälschungen einzuschätzen sind. 55 51
DF, XV, Bd. 1, S. 474. DF, XV, Bd. 1, S. 474. 53 DF, XV, Bd. 1, S. 474: »The recent experience of genuine miracles should have instructed the Christian world in the ways of providence, and habituated their eye (if we may use a very inadequate expression) to the style of the divine artist. Should the most skilful painter of modern Italy presume to decorate his feeble imitations with the name of Raphael or of Correggio, the insolent fraud would be soon discovered and indignantly rejected.« 54 DF, XV, Bd. 1, S. 472, Anm. 73. 55 Über die apostolischen Väter schreibt Middleton: »But instead of this, it is remarkable, that there is not the least claim or pretension, in all their several pieces, to any of those extraordinary gifts, which are the subject of this inquiry; nor to any standing power of working 52
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Ein versteckter Seitenhieb gegen Middletons Wunderzäsur findet sich auch am Ende von Kapitel XV, wo Gibbon sich über die Überfülle an (vorgeblich authentischen) Wundern in der Frühzeit des Christentums lustig macht und sich dabei ausdrücklich auf den gesamten Zeitraum von der Lebenszeit Jesu bis zu den apostolischen Vätern bezieht. »But how shall we excuse the supine inattention of the Pagan and philosophic world, to those evidences which were presented by the hand of Omnipotence, not to their reason, but to their senses? During the age of Christ, of his apostles, and of their first disciples, the doctrine which they preached was confirmed by innumerable prodigies.« 56 Mit Middletons These bricht außerdem die sich anschließende Erörterung der »übernatürlichen« Sonnenfinsternis während Jesu Kreuzigung (vgl. Kapitel 5.2). 57 Wenn die Darstellung dann die abergläubische Mentalität der frühen Christen (wie auch der Heiden) vor Augen führt, bleibt Gibbons Standpunkt bezüglich der »Free Inquiry« erneut im Ungewissen. »Whatever opinion may be entertained of the miracles of the primitive church since the time of the apostles, this unresisting softness of temper, so conspicuous among the believers of the second and third centuries, proved of some accidental benefit to the cause of truth and religion.« 58 Zur Veranschaulichung des mentalen Zustands der frühen Christen bemüht Gibbon dann ein ähnliches Bild, wie es Middleton (allerdings in einem anderen zeitlichen Kontext) verwendete. »The primitive Christians perpetually trod on mystic ground, and their minds were exercised by the habits of believing the most extraordinary events. They felt, or they fancied, that on every side they were incessantly assaulted by dæmons, comforted by visions, instructed by prophecy, and surprisingly delivered from danger, sickness, and from death itself, by the supplications of the church.« 59 An der entsprechenden Stelle der »Free Inquiry« kritisierte Middleton die abergläubische Haltung der frühen Christen wie auch anderer Bevölkerungsgruppen, indem er aus den Texten der Kirchenväter Belege dafür sammelte, dass der Glaube an Dämonen und an das Wirken heidnischer und jüdischer Magier (diese konnten vorgeblich mit den Seelen Verstorbener bzw. den miracles, as residing still among them, for the conversion of the Heathen world.«; Middleton, Free Inquiry, S. 3. 56 DF, XV, Bd. 1, S. 512. 57 DF, XV, Bd. 1, S. 512 f. 58 DF, XV, Bd. 1, S. 474 f. 59 DF, XV, Bd. 1, S. 475; Middleton, Free Inquiry, S. 71: »Every man will perceive, how easy it must have been to men of that class [the magicians], whether Heathens, Jews, or Christians, (for they are all allowed to have had such Impostors among them) to impose the tricks of their art, as the effects of a supernatural power, on a multitude already persuaded, that they lived on magic ground, exposed at every step to snares and charms, contrived by malicious Spirits, perpetually haunting them, and watching every unguarded moment, to get possession both of their souls and bodies.«
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Dämonen in Kontakt treten) unter den Christen des zweiten und dritten Jahrhunderts weit verbreitet war. Personen in einer derart abergläubischen mentalen Verfassung hielten natürlich auch die innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft vorgetäuschten Wunder für wahr, da sie den Wundern der »Gegenseite« offensichtlich Glauben schenkten, argumentierte Middleton und wertete dies als Beweis für seine These, dass es sich bei den christlichen Wundern des entsprechenden Zeitraums um Täuschungen handelte. 60 Gibbon verschiebt raffiniert den zeitlichen Bezugsrahmen von Middletons Argument und münzt es auf die christlichen Gläubigen als Zeugen der apostolischen Wunder um. Da bereits die Christen dieses Zeitraums von vermeintlich wundersamen Vorfällen (in Wirklichkeit Täuschungen) umgeben waren, besaßen sie laut Gibbon eine hohe Affinität für übernatürliche Phänomene und waren auf diese Weise in einer idealen Verfassung, auch den (ausdrücklich als authentisch deklarierten) Wundern des Neuen Testaments Glauben zu schenken. »The real or imaginary prodigies, of which they so frequently conceived themselves to be the objects, the instruments, or the spectators, very happily disposed them to adopt with the same ease, but with far greater justice, the authentic wonders of the evangelic history; and thus miracles that exceeded not the measure of their own experience, inspired them with the most lively assurance of mysteries which were acknowledged to surpass the limits of their understanding.« 61 Vordergründig wird hier zwar noch zwischen neutestamentarischen Wundern und anderen wundersamen Vorfällen zweifelhafter Natur differenziert. Doch wenn die Wunder des Neuen Testaments nur deshalb für real gehalten wurden, weil die entsprechenden Zeugen ständig mit fingierten Wundern konfrontiert waren, wie es Gibbons Argumentation nahe legt, verschwimmt offensichtlich die Trennlinie zwischen beiden Arten von Wundern. Indirekt ist damit auch die erste Gruppe von Wundern diskreditiert. In einer Abwandlung einer Überlegung Middletons gelingt es Gibbon so, auch die frühesten christlichen Wunder zu verunglimpfen und die »Free Inquiry« damit erneut zu unterlaufen, ohne diese Kritik offenkundig und sich selbst direkt angreifbar zu machen. Nur angedeutet werden kann in diesem Zusammenhang, wie Gibbon in dem vorangegangenen Zitat auch mit sprachlichen Mitteln eine eindeutige Unterscheidung zwischen echten und gefälschten Wundern umgeht. Er verwendet miteinander korrespondierende Formulierungen (»they felt, or they fancied«, »the real or imaginary prodigies«). 62 Spielerisch werden zudem alle möglichen Wunderbegriffe durcheinander geworfen: Neben dem Begriff »miracle« im Sinne einer Überschrei60 61 62
Middleton, Free Inquiry, S. 66 ff. DF, XV, Bd. 1, S. 475. Vgl. Clive, S. 31 f.
Einzelne Wunderbesprechungen
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tung der Naturgesetze finden sich die Termini »prodigy« (eine Benennung, die auf die Zeichen der heidnischen Götter hindeutet), »wonder« (als allgemeinem Begriff für Wunder) und die religiös konnotierte Bezeichnung »mystery«. 63 Mit einem Seitenhieb gegen die protestantische Gnadenlehre, nach der die Gläubigen allein durch Glaubensstärke und nicht durch moralisch wertvolle Taten Rechtfertigung erlangen können, beschließt Gibbon seine Wunderdiskussion in Kapitel XV. »It is this deep impression of supernatural truths, which has been so much celebrated under the name of faith; a state of mind described as the surest pledge of the divine favour and of future felicity, and recommended as the first or perhaps the only merit of a Christian. According to the more rigid doctors, the moral virtues, which may be equally practised by infidels, are destitute of any value or efficacy in the work of our justification.« 64
5.2 Einzelne Wunderbesprechungen Wichtig für Gibbons über das Gesamtwerk verstreute Besprechung einzelner überlieferter Wunder aus der Geschichte des Christentums sind Ideen aus Humes wunderkritischem Aufsatz »Of Miracles«. 65 Die zentralen Gedanken dieses Aufsatzes, sein methodischer Ansatz und Humes argumentative Zielrichtung sollen im Folgenden kurz dargestellt werden. Ausgangspunkt in »Of Miracles« ist die Frage, welches Maß an Glaubwürdigkeit einem Augenzeugenbericht über ein vergangenes Ereignis grundsätzlich zukommen kann. Um den Grad der Überzeugungskraft eines Berichts zu bestimmen, finde bei den Zuhörern oder Lesern eine Abwägung statt, argumentiert Hume. Gesichtspunkte, die für das Berichtete sprechen (wie der Umstand, dass es der allgemeinen Erfahrung entspricht) würden denjenigen Aspekten gegenübergestellt, welche die Glaubwürdigkeit des Geschilderten herabsetzen. Die Urteilsbildung erfolge nach einer Abgleichung beider Seiten. 66 Hume nennt folgende, für Gibbons Wunderkritik sehr wichtige Punkte, die Zweifel an der Plausibilität eines Berichts wecken und den Kriterien des (auch gerichtlichen) Zeugenverhörs entsprechen: Verschiedene Zeugen eines Ereignisses 63
Vgl. Nippel (2003), S. 52. DF, XV, Bd. 1, S. 475. 65 David Hume: Of Miracles, in: ders., The Philosophical Works, hg. v. Thomas H. Green u. Thomas H. Grose, Bd. 4 (London 1886), Nachdruck 2. Aufl., Aalen 1992. Zu Gibbons Rezeption von Humes wunderkritischen Ideen vgl. besonders Foster, Kap. 3. 66 Hume, Of Miracles, S. 89 ff. Hume kann hier u. a. an die Schrift »La logique, ou l’art de penser« (1662) der jansenistischen Theologen Antoine Arnaud und Pierre Nicole aus dem Kloster Port-Royal anknüpfen; David Wootton: Hume’s ›Of Miracles‹: Probability and Irreligion, in: Michael A. Stewart (Hg.), Studies in the Philosophy of the Scottish Enlightenment, Oxford 1990, 191 – 229, hier S. 196 ff. 64
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widersprechen sich; es gibt insgesamt nur wenige Zeugen; die Zeugen sind von fragwürdigem Charakter, verbinden ein persönliches Interesse mit dem berichteten Sachverhalt oder übermitteln ihren Bericht zögernd oder in übertriebener Weise. 67 Zweifelhaft sind nach Hume zudem alle Aussagen, in denen außergewöhnliche oder wundersame Aspekte auftauchen, weil diese grundsätzlich der alltäglichen Erfahrung zuwider laufen. 68 Wenn Hume dann das skizzierte Modell der Abwägung von Wahrscheinlichkeiten auf Wunderberichte überträgt, wird schnell deutlich, dass diese einem enorm hohen (und letztlich unerfüllbaren) Anspruch genügen müssten, um als überzeugend gelten zu können. Ein Wunder stellt nach Hume per definitionem eine Überschreitung der Naturgesetze dar. Die Naturgesetze zeichneten sich aber gerade dadurch aus, dass sie auf der Beobachtung regelmäßig wiederkehrender Naturphänomene beruhten, ihnen also ein sehr hoher Grad an Wahrscheinlichkeit zukommt. Daraus leitet Hume die Folgerung ab, dass es nach einer Abgleichung beider Seiten als beinahe ausgeschlossen erscheint, dem Bericht über ein Wunder Glauben schenken zu können. 69 Humes skeptische Erörterung der christlichen Wunder in »Of Miracles«, die sich indirekt auch gegen damit verbundene Legitimierungsabsichten der Kirche richtet, konzentriert sich also auf die Personen, die ein Wunder bezeugt haben, und die mögliche Beweiskraft vorliegender Zeugnisse. 70 Gibbon eröffnet dieser Ansatz, wie im Einzelnen noch zu zeigen ist, eine Reihe von Möglichkeiten, die Glaubwürdigkeit überlieferter Wunderberichte in Frage zu stellen, ohne eine eindeutige Aussage zum Status der Wunder an sich treffen zu müssen und sich damit in einen argumentativ schwierigen Bereich zu begeben. Gegen religiöse Wunder führt Hume in »Of Miracles« weiterhin an, dass sich in der Geschichte der Menschheit kein einziges Beispiel für ein überzeugend be67
Hume, Of Miracles, S. 91: »We entertain a suspicion concerning any matter of fact, when the witnesses contradict each other; when they are but few, or of a doubtful character; when they have an interest in what they affirm; when they deliver their testimony with hesitation, or on the contrary, with too violent asseverations.« Zu Gibbons Quellenauswertung vgl. Nippel (2003), S. 74 f. 68 Hume, Of Miracles, S. 91: »Suppose, for instance, that the fact, which the testimony endeavours to establish, partakes of the extraordinary and the marvellous; in that case, the evidence, resulting from the testimony, admits of a diminution, greater or less, in proportion as the fact is more or less unusual.« 69 Hume, Of Miracles, S. 93, 105. Es ist innerhalb der Forschung umstritten, ob Hume an dieser Stelle die Existenz von Wundern grundsätzlich ausschließen will (vgl. Foster S. 109 mit Anm. 32) oder ob er in einer schwächeren Lesart lediglich die Möglichkeit bestreitet, dass ein Wunder jemals glaubwürdig bezeugt werden könne; vgl. Gaskin (1993), S. 154; Wootton (1990), S. 204. Diese Frage soll hier ausgeklammert bleiben, da in Bezug auf Gibbon vor allem wichtig zu sein scheint, welche Methode Hume zur Kritik an religiösen Wundern vertreten hat. 70 Foster, S. 93 f. u. 111.
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legtes Wunder finden lasse 71; dass eine generelle Neigung für das Ungewöhnliche und Überraschende (»the passion of surprize and wonder«) die Menschen sehr anfällig dafür mache, Wunder zu glauben 72; und dass Wunder vor allem unter barbarischen, wenig zivilisierten Völkern bezeugt seien. 73 Ein besonders schlagkräftiges Argument, das auch Gibbon im Rahmen seiner Wunderkritik mehrfach rezipiert, leitet Hume ganz am Ende seines Aufsatzes aus der Tatsache ab, dass übernatürliche Vorfälle in den meisten Religionen – und eben nicht nur im Christentum – belegt sind. Da sich mit derartigen Berichten immer der Anspruch verbindet, die Wahrheit des eigenen Glaubenssystems zu legitimieren, hebt sich die Überzeugungskraft der jeweiligen Wundergeschichten laut Hume wechselseitig auf. 74 Exemplarisch sollen im Folgenden vier Wunder aus der Geschichte des Christentums und ihre Darstellung durch Gibbon betrachtet werden: Die Diskussion der »übernatürlichen« Sonnenfinsternis während Jesu Passion (Kap. XV); die Erörterung der berühmten Vision Konstantins I. vor der Schlacht an der Milvischen Brücke (Kap. XX); die Abhandlung der außergewöhnlichen Naturerscheinungen, die im Jahr 363 angeblich den Wiederaufbau des jüdischen Tempels in Jerusalem unter Kaiser Julian verhinderten (Kap. XXIII); und der Bericht über eine Gruppe katholischer Bekenner in Nordafrika, denen während der Verfolgung durch die Vandalen um das Jahr 484 die Zunge entfernt wurde und die trotz dieser Verstümmelung die (medizinisch unerklärliche) Fähigkeit zu sprechen besessen haben sollen (Kap. XXXVII). Bei den ersten drei Beispielen handelt es sich um Wunder, die innerhalb der Apologetik und Kirchengeschichtsschreibung häufig rezipiert wurden; das vierte Beispiel zog hingegen ein eher geringes Interesse der Nachwelt auf sich. Mit der Auswahl wurde außerdem versucht, Wunder aus unterschiedlichen Perioden der Kirchengeschichte herauszugreifen und damit auch unterschiedliche Teile von Gibbons Werk zu berücksichtigen. Während die Diskussion der Sonnenfinsternis bei Jesu Passion am Ende von Kapitel XV einen der seltenen Fälle darstellt, in
71
Hume, Of Miracles, S. 94 f. Hume, Of Miracles, S. 95 f. 73 Hume, Of Miracles, S. 96 ff. 74 Hume, Of Miracles, S. 98 ff.: »Every miracle, therefore, pretended to have been wrought in any of these religions (and all of them abound in miracles), as its direct scope is to establish the particular system to which it is attributed; so has it the same force, though more indirectly, to overthrow every other system. In destroying a rival system, it likewise destroys the credit of those miracles, on which that system was established; so that all the prodigies of different religions are to be regarded as contrary facts, and the evidences of these prodigies, whether weak or strong, as opposite to each other.« (Zitat S. 99). Vgl. Wootton (1990), S. 212 ff. Auch dieses Argument aus »Of Miracles« wurde bereits vor Hume von unterschiedlichen Autoren diskutiert. 72
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denen Gibbon die Geschichte des Apostolischen Zeitalters thematisiert 75, werden Konstantins Vision und die Vorgänge rund um den gescheiterten Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels (zweites und drittes Beispiel) im Rahmen der vielschichtigen Porträts der Kaiser Konstantin und Julian besprochen. Das letzte hier untersuchte Wunder datiert aus dem späten fünften Jahrhundert und findet sich im Kontext der Darstellung der Ausbreitung des Arianismus. Die ausgewählten Wunderbesprechungen versprechen daher Rückschlüsse auf Gibbons Arbeitsweise in dem stärker polemisierenden frühen Kapitel XV wie auch in späteren Kapiteln, die sich durch eine differenziertere Darstellungsweise auszeichnen. 76 Eine »übernatürliche« Sonnenfinsternis während Jesu Passion (das erste hier betrachtete Beispiel) ist in den Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas überliefert und wurde in christlichen Apologien als Beweis dafür gewertet, dass Jesus tatsächlich Gottes Sohn war. Während Gibbon am Ende von Kapitel XV auf den ersten Blick lediglich eine spektakuläre Naturerscheinung diskutiert, hat seine entsprechende Argumentation also weiterreichende Implikationen und richtet sich indirekt auch gegen das mit diesem Naturphänomen verknüpfte zentrale Ereignis aus der Geschichte des Christentums – Jesu Wirken als Gottes Sohn auf Erden und seine Auferstehung. 77 Gibbons Besprechung dieser Sonnenfinsternis steht im Kontext eines weiter gefassten Arguments, das die Gleichgültigkeit der heidnischen Philosophen des ersten und zweiten Jahrhunderts gegenüber den christlichen Prophezeiungen, einem zentralen Bestandteil des neuen Glaubens, betont und auf diese Weise die inhaltliche Substanz des Christentums in Zweifel zieht. 78 Eine vergleichbare Missachtung durch die heidnischen Eliten lässt sich auch für die christlichen Wunder feststellen, wie Gibbon in einer sehr polemischen, auch gegen Middletons Wunderzäsur gerichteten Paraphrasierung der im Neuen Testament überlieferten Wunder verdeutlicht. »But how shall we excuse the supine inattention of the Pagan and philosophic world, to those evidences which were presented by the hand of Omnipotence, not to their reason, but to their senses? During the age of Christ, of his apostles, and of their first disciples, the doctrine which they preached was confirmed by innumerable prodigies. The lame walked, the blind saw, the sick were healed, the dead were raised, dæmons were expelled, and the 75
Vgl. Pocock (2000a), S. 50 f. Zur inneren Entwicklung von Gibbons Werk vgl. besonders Womersley (1988a), S. 4 ff. u. 44 ff. Auch Pocock bewertet die Kapitel XV und XVI als lediglich vorläufig und nicht repräsentativ für Gibbons Abhandlung der Kirchengeschichte insgesamt; Pocock (2000a), S. 66 ff.; ders.: Gibbon and the Invention of Gibbon: Chapters 15 and 16 Reconsidered, History of European Ideas 35 (2009), 209 – 216, hier S. 215 f. 77 Matthäus 27, 45; Markus 15, 33; Lukas 23, 44 – 45. Zu Gibbons Argumentation in diesem Beispiel insgesamt vgl. Womersley (1988a), S. 123 ff. 78 DF, XV, Bd. 1, S. 511 f. 76
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laws of Nature were frequently suspended for the benefit of the church. But the sages of Greece and Rome turned aside from the awful spectacle, and pursuing the ordinary occupations of life and study, appeared unconscious of any alterations in the moral or physical government of the world.« 79 Humes methodischer Vorgehensweise aus »Of Miracles« vergleichbar konzentriert Gibbon sich hier auf die Überlieferungslage für diese frühchristlichen Wunder. Allerdings wird der Ansatz von Hume, der sich auf die positiv vorhandenen Zeugnisse für ein Wunder richtete, methodisch insofern variiert, als hier zusätzlich die Frage aufgeworfen wird, welche spezifischen Zeugnisse für die Wunder des fraglichen Zeitraums fehlen, obwohl sie aller Erwartung nach vorhanden sein müssten. Eine zusätzliche kritische Ebene entwickelt Gibbon in dem angeführten Zitat, indem er in freier Weise Humes Wertschätzung der traditionellen polytheistischen Kulte und dessen Kritik an der christlichen Jenseitsorientierung ins Spiel bringt. 80 Diese Gegenüberstellung wertet zum einen den Status der heidnischen Philosophen als potentiellen Wunderzeugen auf. Zum anderen erscheint die christliche Wundergläubigkeit im Kontrast zu der auf alltäglicher Erfahrung und Common Sense gegründeten heidnischen Philosophie als noch irrationaler und unberechenbarer. Das skizzierte Argumentationsschema überträgt Gibbon dann auf ein spezifisches übernatürliches Ereignis aus der Passionsgeschichte: »Under the reign of Tiberius the whole earth, or at least a celebrated province of the Roman empire, was involved in a præternatural darkness of three hours. Even this miraculous event, which ought to have excited the wonder, the curiosity, and the devotion of mankind, passed without notice in an age of science and history.« 81 Erneut stehen hier die unerklärlicherweise fehlenden Zeugnisse der heidnischen Umwelt im Mittelpunkt. Seine christlichen Leser konfrontiert Gibbon damit wieder einmal mit einem Dilemma: Wenn der Glaube an die Geschichtlichkeit dieser Sonnenfinsternis (und damit auch an Jesu Auferstehung) aufrechterhalten werden soll, muss eine überzeugende Erklärung für die Ignoranz der heidnischen Philosophen und Historiker gefunden werden. Gegen die christliche Überlieferung wird unter Anwendung von Humes Kriterien zusätzlich angeführt, dass die christlichen Quellen einander widersprechende räumliche Angaben für das Naturphänomen machen (»the whole earth, or at least a celebrated province of the Roman empire«). Spielerisch wird zudem Humes Begriff der »passion of surprize and wonder« eingebracht, die in »Of Miracles« als eine Triebfeder menschlicher Wundergläubigkeit fungierte 82 und die Gibbon 79 80 81 82
DF, XV, Bd. 1, S. 512. Hume, Of a Particular Providence, S. 109 f. u. 116; Foster, S. 135 ff. DF, XV, Bd. 1, S. 512. Hume, Of Miracles, S. 95.
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in dem vorangegangenen Zitat ironisch der von der Kirche geforderten religiösen Ehrfurcht gegenüberstellt. Das Dilemma für die christlichen Verteidiger der Sonnenfinsternis verschärft Gibbon dann weiter, indem er im Detail die Quellenlage für das fragliche Ereignis betrachtet und insbesondere das Schweigen von zwei berühmten heidnischen Naturphilosophen konstatiert. »It happened during the lifetime of Seneca and the elder Pliny, who must have experienced the immediate effects, or received the earliest intelligence, of the prodigy. Each of these philosophers, in a laborious work, has recorded all the great phenomena of Nature, earthquakes, meteors, comets, and eclipses, which his indefatigable curiosity could collect. Both the one and the other have omitted to mention the greatest phenomenon to which the mortal eye has been witness since the creation of the globe.« 83 Weil das neutestamentarische Naturphänomen in den naturgeschichtlichen Werken von Seneca und Plinius dem Älteren nicht erwähnt wird 84, liegt der Schluss nahe, dass es sich dabei um eine Erfindung christlicher Autoren handelt. Eine explizite Feststellung in dieser Frage trifft Gibbon jedoch nicht. Seine skeptische Beleuchtung der christlichen Überlieferung treibt Gibbon schließlich auf die Spitze, wenn er auf Berichte über ein anderes unerklärliches Naturereignis rekurriert, das in der antiken heidnischen Überlieferung einen hohen Stellenwert besaß und zudem gewisse Parallelen zu dem im Neuen Testament überlieferten Phänomen aufweist: Die Eklipse der Sonne nach der Ermordung Caesars, die u. a. von Plinius dem Älteren explizit beschrieben wird. »A distinct chapter of Pliny is designed for eclipses of an extraordinary nature and unusual duration; but he contents himself with describing the singular defect of light which followed the murder of Cæsar, when, during the greatest part of a year, the orb of the sun appeared pale and without splendour. This season of obscurity, which cannot surely be compared with the præternatural darkness of the Passion, had been already celebrated by most of the poets and historians of that memorable age.« 85 Dieser Vergleich erinnert an Humes angesprochenes Argument von der Konkurrenz zwischen den Wundern verschiedener Religionen, das sich für Gibbon immer wieder als eine sehr effektive Waffe seiner Wunderkritik erweist. An einer späteren Stelle würdigt er Humes Argument explizit, wenn im Rahmen der Kritik am christlichen Reliquienhandel in Kapitel LXI die aus dem 17. Jahrhundert bezeugten Wunderheilungen im Kloster Port-Royal de Paris und insbesondere 83
DF, XV, Bd. 1, S. 512. In Anmerkung 197 verweist Gibbon auf Senecas »Naturales quaestiones« und die »Naturalis historiae« von Plinius dem Älteren. 85 DF, XV, Bd. 1, S. 512 f. 84
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die im Jahr 1656 stattfindende Heilung der Marguerite Périer thematisiert werden. 86 Die korrespondierende Fußnote spricht Hume hier das Verdienst zu, im Unterschied zu Voltaire eine effektive Argumentationsstrategie zur Widerlegung derartiger Legenden entwickelt zu haben. 87 In Humes »Of Miracles« ist diese ungewöhnlich dicht bezeugte Geschichte einer Wunderheilung in Port-Royal Bestandteil des Arguments konkurrierender Wundertraditionen. 88 Im Gegensatz dazu beschränkt sich Voltaires Darstellung der Vorfälle von Port-Royal in seinem »Siècle de Louis XIV.« darauf, die Wundergläubigkeit der Betroffenen lächerlich zu machen, indem ironisch die Unverhältnismäßigkeit zwischen einem göttlichen Eingreifen und der (weltgeschichtlich betrachtet) eingeschränkten Bedeutung der jansenistischen Glaubensgemeinschaft unter Ludwig XIV. illustriert wird. 89 Übertragen auf das Beispiel der neutestamentarischen Sonnenfinsternis, der ein vergleichbares Phänomen aus der heidnischen Überlieferung gegenübergestellt wird, lässt die Idee konkurrierender Wundertraditionen das Schweigen von Plinius dem Älteren über die »christliche« Sonnenfinsternis als noch unerklärlicher erscheinen. Da die Quellenlage für das heidnische Schauspiel zudem weitaus dichter ist 90, stellt sich für Christen das schwerwiegende Problem, wie der Glaube an diese Sonnenfinsternis und indirekt auch an Jesu Auferstehung noch verteidigt werden können, wenn gleichzeitig die Realität der Eklipse nach Caesars Tod bestritten wird. Zwar differenziert Gibbon formal wieder einmal zwischen beiden Vorgängen und billigt der im Neuen Testament bezeugten Sonnenfinsternis einen anderen Status zu als ihrer heidnischen Entsprechung (»this season of obscurity, which cannot surely be compared with the præternatural darkness of the Passion«). Gleichzeitig suggeriert die Darstellung jedoch, dass das übernatürliche Natur86
DF, LXI, Bd. 3, S. 721. Wie u. a. Racine in seiner »Histoire de Port Royal« berichtete, soll Marguerite Périer, eine Nichte von Blaise Pascal, am 24. März 1656 von einem Geschwür am linken Auge geheilt worden sein, nachdem sie eine der Reliquien des Klosters, einen angeblich aus der Dornenkrone Christi stammenden Dorn, berührt hatte. Diese den Zeitgenossen als unerklärlich geltende Heilung war durch das Zeugnis mehrerer Ärzte ungewöhnlich dicht bestätigt – und wurde später in jansenistischen Kreisen als ein Zeichen dafür gewertet, dass Gott im Konflikt mit den französischen Jesuiten die Sache der Jansenisten unterstütze; Lucien Ceyssens: »Périer, Marguerite: Appendice: Le miracle à Port-Royal« in: Jean Lesaulnier u. a. (Hgg.), Dictionnaire de Port-Royal, Paris 2004. 87 DF, LXI, Bd. 3, S. 721, Anm. 54: »Voltaire strives to invalidate the fact: but Hume, with more skill and success, seizes the battery, and turns the cannon against his enemies.« 88 Hume, Of Miracles, S. 98 ff. Die Heilung der Marguerite Périer bespricht Hume in einer umfangreichen Fußnote, die nicht in allen Ausgaben von »Of Miracles« enthalten ist (S. 101, Anm. 1). 89 Voltaire: Le siècle de Louis XIV, in: ders., Œuvres historiques, hg. v. René Pomeau, Paris 1957, XXXVII, S. 1070 f. 90 Gibbon nennt Vergil, Tibullus, Ovid, Lucan, Marcus Antonius, Plutarch, Appian, Cassius Dio und Julius Obsequens als Quellen; DF, XV, Bd. 1, S. 513, Anm. 199 u. 200.
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phänomen während Jesu Kreuzigung ohne historische Substanz ist und als eine Erfindung christlicher Autoren bewertet werden muss. Eine explizite Widerlegung dieser Sonnenfinsternis findet sich bei Gibbon jedoch an keiner Stelle, auf die zweifelhafte christliche Überlieferung wird nur am Rande eingegangen. 91 In loser Anlehnung an Humes Aufsatz »Of Miracles« und einer individuellen Ausgestaltung der darin enthaltenen wunderkritischen Ideen gelingt es Gibbon also, die Glaubwürdigkeit eines vermeintlich wundersamen Begleitumstandes der Passionsgeschichte nachhaltig zu diskreditieren, ohne auf Jesu Passion und Auferstehung direkt einzugehen oder sich jemals offen zum Status der christlichen Wunder zu äußern. Die Wirkung dieser argumentativ und stilistisch sehr polemischen Stelle wurde sicherlich noch dadurch verstärkt, dass sie den Abschluss von Kapitel XV, dem ersten der beiden berüchtigten Kapitel zur Geschichte des Christentums, bildet und auf diese Weise eine verstärkte Aufmerksamkeit auf sich zog. Auch für Gibbons Besprechung der berühmten Vision Konstantins I. vor der Schlacht an der Milvischen Brücke im Jahr 312 (Kapitel XX), dem zweiten hier untersuchten Beispiel, lässt sich ein freier und kreativer Rückgriff auf Ideen Humes aus »Of Miracles« feststellen. Nach der christlichen Überlieferung hatte Konstantin in der Nacht vor der Entscheidungsschlacht gegen seinen Widersacher Maxentius im Traum die Anweisung erhalten, die Schilde seiner Truppen mit einem Kreuzzeichen versehen zu lassen. In einer veränderten Variante erschien dem Kaiser zusätzlich zu einem früheren Zeitpunkt am Himmel ein Kreuzzeichen aus Licht. Die Übernahme des christlichen Symbols (des »Labarums«) als Feldzeichen und der sich anschließende Sieg über Maxentius wurden von christlichen Apologeten als Beleg für ein Bekenntnis Konstantins zum Christentum und ein Eingreifen Gottes zugunsten der Christen interpretiert. 92 Bei Konstantins Vision handelt es sich nicht um ein Wunder in Humes Sinn (ein Ereignis, das die Naturgesetze bricht), die Wahrnehmung eines außergewöhnlichen Himmelszeichens könnte auch auf andere als übernatürliche Gründe zurückgeführt werden. Dennoch soll dieses Beispiel hier als Wunderbericht betrachtet werden, denn wichtig zu sein scheint vor allem, dass christliche Autoren diese Vision als eine von Gott initiierte Erscheinung bewerteten und Gibbon dementsprechend die überlieferten Zeugnisse für die Vision einer kritischen Beleuchtung unterzieht. 91
Zu den christlichen Quellen vgl. DF, XV, Bd. 1, S. 512, Anm. 196. Hall, »Konstantin I.«. Nach Laktanz »ward [Konstantin] im Traume ermahnt, das himmlische Zeichen Gottes auf den Schildern anbringen zu lassen und so die Schlacht zu beginnen«; Laktanz, Von den Todesarten der Verfolger 44. Bei Eusebius findet sich zusätzlich die Erwähnung eines Kreuzzeichens, das der Kaiser am Himmel sah; Eusebius, Leben Konstantins 1, 28 – 29. Eine übernatürliche Erscheinung im Zusammenhang mit der Schlacht gegen Maxentius wird auch von dem heidnischen Redner Nazarius erwähnt; Nazarius, Panegyric of Constantine 14, 1 – 4. 92
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Die Besprechung von Konstantins Vision in Kapitel XX gliedert sich in drei Abschnitte, in denen jeweils ein spezifischer Aspekt thematisiert wird: Das »Labarum« und seine symbolische Bedeutung, die mutmaßlich auslösenden Faktoren für Konstantins Traum sowie die eigentliche Vision des Kaisers, das vermeintlich von Gott gewirkte Kreuzzeichen am Himmel, das in christlicher Deutung mit dem Sieg über Maxentius in Verbindung gebracht wurde. 93 Als interessant für die Frage nach der Rezeption von Humes wunderkritischen Ideen erweist sich der dritte Teil. Einleitend stilisiert sich Gibbon zum unparteilichen Philosophen, der sich ohne Vorurteile der Untersuchung außergewöhnlicher oder übernatürlicher Phänomene widmen will, um in dieser Funktion die zahlreichen Irrtümer und Manipulationen im Bereich Wunder aufzudecken. »The philosopher, who with calm suspicion examines the dreams and omens, the miracles and prodigies, of profane or even of ecclesiastical history, will probably conclude, that if the eyes of the spectators have sometimes been deceived by fraud, the understanding of the readers has much more frequently been insulted by fiction.« 94 In dieser Rolle kann Gibbon eine alternative naturwissenschaftliche Erklärung für die Vision des Kaisers vorschlagen: Es könnte sich hier schlicht um einen Meteor gehandelt haben. 95 Das Hauptaugenmerk der nachfolgenden kritischen Untersuchung liegt wiederum auf den historischen Zeugnissen für das fragliche »Wunder«. Erneut kommt hier auch Humes Argument von den konkurrierenden Wundertraditionen verschiedener Religionen zum Einsatz. Diese Idee aus »Of Miracles« erfährt insofern eine Abwandlung als für die Vision jeweils ein Zeugnis aus christlicher und heidnischer Feder existiert. Denn das Zeugnis des Kirchenvaters Eusebius lässt sich ergänzen durch ein zum Lob Konstantins verfasstes Panegyrikus des heidnischen Redners Nazarius aus dem Jahr 321, in dem ebenfalls eine übernatürliche (wenn auch in anderer Form dargestellte) Erscheinung im Zusammenhang mit Konstantins Sieg über Maxentius beschrieben wird. 96 93
DF, XX, Bd. 1, S. 735 f.: »The real or imaginary cause of so important an event, deserves and demands the attention of posterity; and I shall endeavour to form a just estimate of the famous vision of Constantine, by a distinct consideration of the standard, the dream, and the celestial sign; by separating the historical, the natural, and the marvellous parts of this extraordinary story, which, in the composition of a specious argument, have been artfully confounded in one splendid and brittle mass.« 94 DF, XX, Bd. 1, S. 740. 95 DF, XX, Bd. 1, S. 740: »Every event, or appearance, or accident, which seems to deviate from the ordinary course of nature, has been rashly ascribed to the immediate action of the Deity; and the astonished fancy of the multitude has sometimes given shape and colour, language and motion, to the fleeting but uncommon meteors of the air.« 96 DF, XX, Bd. 1, S. 740 f. Nazarius spricht in seiner Lobrede von himmlischen Heeren, die Konstantin zu Hilfe geeilt seien; Nazarius, Panegyric of Constantine 14, 1 – 4. Zu Nazarius
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Scheint Nazarius auf den ersten Blick noch Eusebius’ Bericht zu bestätigen, kann Gibbon aus dieser Quelle auch eine weitere Deutungsmöglichkeit entnehmen, die den Status der christlichen Vision relativiert, weil eine argumentative Verbindung zur römischen Mythologie hergestellt wird. »For the truth of this prodigy, the Pagan orator [Nazarius] appeals to the whole Gallic nation, in whose presence he was then speaking; and seems to hope that the ancient apparitions would now obtain credit from this recent and public event.« 97 In einer Fußnote verweist Gibbon auf die Dioskuren und unterstreicht die zahlreich vorhandenen Zeugnisse für dieses Phänomen: »The apparitions of Castor and Pollux, particularly to announce the Macedonian victory, are attested by historians and public monuments.« 98 Indem Gibbon an dieser Stelle Nazarius’ Parallelsetzung der kaiserlichen Vision mit dem Auftauchen der Dioskuren übernimmt, treten in seiner Darstellung die fabelhaften Gestalten der antiken Mythologie in Konkurrenz zu dem christlichen »Wunder«. Während Nazarius’ Darstellung darauf abzielte, die Realität der mythologischen Erscheinungen argumentativ zu stärken, nützt Gibbon diesen Gedankengang jedoch, um in einem Rückgriff auf Humes Argument konkurrierender Wundertraditionen die Glaubwürdigkeit der christlichen Vision zu unterminieren. Für christliche Leser dieser Darlegung eröffnet sich so wiederum das nicht explizit formulierte Dilemma, dass entweder auch die mythologischen Gestalten als real angesehen werden müssen oder aber die Quelle Nazarius nicht mehr als Nachweis für die Geschichtlichkeit von Konstantins Vision herangezogen werden kann. Da Gibbon außerdem vorführen kann, dass für das Erscheinen der Dioskuren (wie im vorangegangenen Beispiel der Sonnenfinsternis nach dem Mord an Caesar) eine viel bessere Quellenlage existiert als für das christliche Wunder, weckt diese Argumentation starke Zweifel an der Authentizität von Konstantins Vision, obwohl eine definitive Stellungnahme auch hier fehlt. Nach dem Seitenblick auf ein konkurrierendes heidnisches Zeugnis konzentriert sich Gibbons Kritik im Anschluss an die Kriterien aus »Of Miracles« darauf, einzelne Defizite und Schwachstellen von Eusebius’ »Vita Konstantini«, der zen-
vgl. Barbara Sailor Rodgers: Nazarius, Panegyric of Constantine. Introduction, in: Charles E. Nixon u. a. (Hgg.), In Praise of Later Roman Emperors: The Panegyrici Latini. Introduction, Translation, and Historical Commentary with the Latin Text of R[oger] A. B. Mynors. Berkeley u. a. 1994, 334 – 342, hier S. 334 f. 97 DF, XX, Bd. 1, S. 741; Nazarius, Panegyric of Constantine 15, 1 – 7. 98 DF, XX, Bd. 1, S. 741, Anm. 47. In Ciceros »Vom Wesen der Götter« 2, 6 (Gibbon nennt ebd. 2, 2; 3, 5 – 6) wird das Erscheinen der Dioskuren u. a. vor dem Sieg der Römer über Perseus von Makedonien in der Schlacht von Pydna (168 v. Chr.) beschrieben. Gibbon verweist zusätzlich auf Florus und Valerius Maximus. Zu den Dioskuren vgl. Kirsten Dickhaut: »Kastor und Polydeukes«, Der Neue Pauly, Suppl. 5 (2008).
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tralen christlichen Quelle für die Vision, vorzuführen. 99 So kann Gibbon darauf verweisen, dass Eusebius keine präzisen Orts- und Zeitangaben für das Ereignis liefert; dass die Geschichte nur auf einem einzigen Zeugnis (dem des Kaisers selbst) basiert, das zudem aufgrund eines zeitlichen Abstandes von 26 Jahren zwischen den Ereignissen und ihrer Übermittlung sowie den äußeren Umständen des Gesprächs zwischen Konstantin und Eusebius nicht besonders vertrauenerweckend wirkt; und dass Eusebius durch sein Verhältnis zum kaiserlichen Hof als befangen erscheint. 100 Dieser Liste an Einwänden lässt sich noch das Eusebius entnommene Detail hinzufügen, dass auch der Kirchenvater selbst die erschwerte Glaubwürdigkeit seiner Geschichte indirekt eingestanden hat. »The prudence and gratitude of the learned prelate forbade him to suspect the veracity of his victorious master; but he plainly intimates, that, in a fact of such a nature, he should have refused his assent to any meaner authority.« 101 Die Kirchenväter des vierten und fünften Jahrhunderts erwähnten Konstantins Vision nicht, was Gibbon damit begründet, dass Eusebius’ Lobschrift auf Konstantin diesen Autoren nicht bekannt war. 102 Dass Eusebius selbst in seiner Kirchengeschichte nicht auf das fragliche Ereignis eingeht, stellt in Gibbons Augen allerdings einen schwerwiegenden Einwand dar. »The silence of the same Eusebius, in his Ecclesiastical History, is deeply felt by those advocates for the miracle who are not absolutely callous.« 103 Indem Gibbon auch in diesem Beispiel (in lockerem Anschluss an »Of Miracles«) Defizite und Widersprüche der christlichen Überlieferung vor Augen führt, gelingt es ihm, ein für das christliche Selbstverständnis sehr wichtiges 99
DF, XX, Bd. 1, S. 741 f.; Eusebius, Leben Konstantins 1, 28. DF, XX, Bd. 1, S. 741: »The learned bishop of Cæsarea appears to be sensible, that the recent discovery of this marvellous anecdote would excite some surprise and distrust among the most pious of his readers. Yet, instead of ascertaining the precise circumstances of time and place, which always serve to detect falsehood, or establish truth; instead of collecting and recording the evidence of so many living witnesses, who must have been spectators of this stupendous miracle, Eusebius contents himself with alleging a very singular testimony; that of the deceased Constantine, who, many years after the event, in the freedom of conversation, had related to him this extraordinary incident of his own life, and had attested the truth of it by a solemn oath.« Eusebius, Leben Konstantins 1, 28. Zur Kritik an Eusebius’ Glaubwürdigkeit vgl. auch DF, XVI, Bd. 1, S. 577 mit Anm. 178. 101 DF, XX, Bd. 1, S. 741. Über Konstantins Vision und die Umstände ihrer Übermittlung schreibt Eusebius: »Während der Kaiser aber so betete und eifrig darum flehte, erschien ihm ein ganz unglaubliches Gotteszeichen, das man wohl nicht leicht gläubig hinnehmen würde, wenn ein anderer davon berichtete; da es aber der siegreiche Kaiser selber uns, die wir diese Darstellung schreiben, lange Zeit hernach, als wir seiner Freundschaft und des Verkehres mit ihm gewürdigt worden waren, erzählt und sein Wort mit Eidschwüren bekräftigt hat, wer sollte da noch Bedenken tragen, der Erzählung Glauben zu schenken, zumal auch die Folgezeit der Wahrheit seines Wortes Zeugnis gab?«; Eusebius, Leben Konstantins 1, 28. 102 DF, XX, Bd. 1, S. 742, Anm. 52. 103 DF, XX, Bd. 1, S. 741, Anm. 48. 100
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Wunder als fiktiv zu entlarven. Humes Kriterien der Quellenkritik ergänzt Gibbon dabei durch eigene Gesichtspunkte (wie den Einwand, dass eine Vision des Kaisers in einer anderen Schrift von Eusebius nicht erwähnt wird). Das dritte berücksichtigte Beispiel, die wundersamen Naturerscheinungen im Zusammenhang mit dem gescheiterten Wiederaufbau des jüdischen Tempels in Jerusalem unter Kaiser Julian (363), wurden in der christlichen Tradition als göttliche Abwendung einer frevlerischen Tat ausgelegt. 104 Der anglikanische Theologe William Warburton wählte für seine Abhandlung »Julian, or a discourse concerning the earthquake and fiery eruption, which defeated the emperor’s attempt to rebuild the Temple at Jerusalem« (1750) diesen speziellen Fall aus, um gegenüber Hume und Middleton zumindest ein überzeugend belegtes Wunder der Kirchengeschichte anführen zu können. 105 Gibbon bespricht diese Ereignisse in Kapitel XXIII 106 und wendet auch hier Humes Verfahren an, die christlichen Wunder auf dem Umweg über die Wunderzeugen und ihre Berichte einer kritischen Beleuchtung zu unterziehen. »But the Christians entertained a natural and pious expectation, that, in this memorable contest, the honour of religion would be vindicated by some signal miracle. An earthquake, a whirlwind, and a fiery eruption, which overturned and scattered the new foundations of the temple, are attested, with some variations, by contemporary and respectable evidence.« 107 Die hier als »contemporary and respectable evidence« vorgestellten Quellen Ambrosius, Johannes Chrysostomus und Gregor von Nazianz müssen, angesichts der prinzipiell zu erwartenden Voreingenommenheit christlicher Autoren beim Thema Wunder, nicht allzu ernst genommen werden, wenngleich sich beispielsweise für Gregor von Nazianz feststellen lässt, dass er seine Aufzeichnungen über das Scheitern des Bauvorhabens in enger zeitlicher Nähe zu den Vorfällen abfasste. 108 Eine definitive Aussage darüber, ob diese Berichte als glaubwürdig gelten können, trifft Gibbon in diesem Zusammenhang nicht. Eine weitaus größere Schwierigkeit für den Fortgang der Argumentation stellt dagegen das Zeugnis des heidnischen Historikers Ammianus Marcellinus dar, der in seiner römischen Geschichte die Naturkatastrophe während des Tempelbaus in
104
Lippold, »Iulianus I (Kaiser)«. Robert C. Ingram: William Warburton, Divine Action, and Enlightened Christianity, in: William Gibson u. a. (Hgg.), Religious Identities in Britain, 1660 – 1832, Aldershot u. a. 2004, 97 – 118, hier S. 102 ff. Gibbon bezieht sich in diesem Zusammenhang mehrfach auf Warburtons Schrift (Kap. XXIII, Anm. 71, 72, 78, 79 und 83). 106 DF, XXIII, Bd. 1, S. 888 ff. 107 DF, XXIII, Bd. 1, S. 890. 108 DF, XXIII, Bd. 1, S. 890. 105
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Jerusalem gleichfalls erwähnt hat. 109 Da Ammianus Marcellinus im Allgemeinen von Gibbon für seine unparteiliche und aufrichtige Einstellung geschätzt wird und seiner Aussage dementsprechend ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit zukommt, lässt sich dieser Bericht nicht so einfach entkräften wie das im vorangegangenen Beispiel besprochene Zeugnis des Kirchenvaters Eusebius für Konstantins Vision. Ausdrücklich würdigt Gibbon zuerst die Unvoreingenommenheit des »philosophischen Soldaten« Ammianus Marcellinus in dieser Frage und betont dessen Qualitäten als Historiker: »The philosophic soldier, who loved the virtues, without adopting the prejudices, of his master, has recorded, in his judicious and candid history of his own times, the extraordinary obstacles which interrupted the restoration of the temple of Jerusalem.« 110 Ammians Besprechung der Ereignisse wird als direktes Zitat in den Text übernommen. 111 Im Anschluss daran greift Gibbon (wiederum in der Rolle des unparteilichen Historikers) ein Manko dieses Berichts heraus: Die zeitliche Distanz zwischen den berichteten Ereignissen und ihrer Aufzeichnung durch Ammianus Marcellinus. Ausgehend von dieser Schwachstelle kann er in suggestiver Form Zweifel an der Glaubwürdigkeit des fraglichen Wunders wecken: »Such authority should satisfy a believing, and must astonish an incredulous, mind. Yet a philosopher may still require the original evidence of impartial and intelligent spectators.« 112 In einem erneut spekulativ gehaltenen Gedankengang schlägt Gibbon danach eine mögliche Erklärung für die Übernahme der christlichen Wundergeschichte durch Ammian vor: »At this important crisis, any singular accident of nature would assume the appearance, and produce the effects, of a real prodigy. This glorious deliverance would be speedily improved and magnified by the pious art of the clergy of Jerusalem, and the active credulity of the Christian world; 109
DF, XXIII, Bd. 1, S. 890: »The last of these writers [Gregor von Nazianz] has boldly declared, that this præternatural event was not disputed by the infidels; and his assertion, strange as it may seem, is confirmed by the unexceptionable testimony of Ammianus Marcellinus.«; Über die Ereignisse in Jerusalem schreibt Ammianus Marcellinus in seiner römischen Geschichte: »Als Alypius diese Aufgabe energisch in Angriff nahm und der Provinzstatthalter ihm dabei zur Seite stand, brachen nahe an den Fundamenten furchtbare Flammenbündel immer wieder hervor, verbrannten mehrfach die hier Arbeitenden und machten den Platz unzugänglich. Da das Element auf diese Weise hartnäckig Widerstand leistete, kam das Vorhaben zum Erliegen.«; Ammianus Marcellinus 23, 1. 110 DF, XXIII, Bd. 1, S. 890 f. Zu Gibbons Charakterisierung seiner Quellen vgl. Garrison (1978), S. 167 ff. und Nippel (2003), S. 75. In der »Vindication« rechnet Gibbon Ammianus Marcellinus zum Kreis der wenigen unparteilichen Historiker; Vindication, DF, Bd. 3, S. 1171. Zu Gibbons Verwendung von Ammianus Marcellinus vgl. Glen W. Bowersock: Gibbon and Julian, in: Pierre Ducrey (Hg.), Gibbon et Rome à la lumière de l’historiographie moderne, Genf 1977, 191 – 217, hier S. 195 f. 111 DF, XXIII, Bd. 1, S. 891. 112 DF, XXIII, Bd. 1, S. 891.
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and at the distance of twenty years, a Roman historian, careless of theological disputes, might adorn his work with the specious and splendid miracle.« 113 In einer Anmerkung verstärkt Gibbon die Vorbehalte gegenüber diesem Wunder, indem er auch hier auf ein fehlendes Zeugnis von christlicher Seite hinweist. Der Kirchenvater Hieronymus (347 – 420) wirkte in Palästina und müsste die fraglichen Ereignisse als Zeitgenosse miterlebt haben. 114 Die von Gibbon hier vorgeschlagene Erklärung (eine Naturkatastrophe, die in einer religiös angespannten Situation und befördert durch das Agieren des Jerusalemer Klerus als Wunder interpretiert wurde) suggeriert zwar, dass Ammians Bericht nicht als ausreichender Beleg gewertet werden kann. Durch die Verwendung andeutender, im Konjunktiv gehaltener Formulierungen wird diese Erklärung jedoch lediglich als ein mögliches Deutungsangebot präsentiert, ein definitives Urteil gibt Gibbon nicht ab. 115 Auch in diesem Beispiel dient Humes Technik der Zeugenkritik Gibbon also als Ansatzpunkt, um die auf den ersten Blick durchaus beweiskräftigen Zeugnisse für das Wunder während des Jerusalemer Tempelbaus zu entkräften. Deutlich über Hume hinaus geht Gibbon, wenn er in spekulativer Form den Bericht von Ammianus Marcellinus in Frage stellt und eine alternative Erklärung für die Umdeutung dieser Vorfälle zu einem Wunder entwirft. Als letztes Beispiel soll Gibbons Darstellung eines »medizinischen« Wunders aus der Zeit der vandalischen Katholikenverfolgung in Nordafrika im fünften Jahrhundert betrachtet werden (Kapitel XXXVII). Während der Herrschaft der Vandalen, die im Jahr 429 die nordafrikanischen Provinzen des Römischen Reiches eroberten und Anhänger des arianischen Bekenntnisses waren, kam es zu restriktiven Maßnahmen gegenüber der einheimischen katholischen Bevölkerung. 116 In einer Variation der Argumentationslinie aus Kapitel XVI prangert Gibbon in diesem Zusammenhang die Intoleranz der vandalischen Herrscher und die Grausamkeit ihrer antikatholischen Maßnahmen an. 117 Unter König Hunerich (um 420 – 484) verschärfte sich die Situation für die Katholiken. In dem Ort Tipasa wurde um 484 eine Gruppe katholischer Gläubiger, die am trinitarischen Bekenntnis festhielten, verstümmelt; ihnen wurden die rechte Hand und die Zunge entfernt. Von diesen Gläubigen wird berichtet, dass sie trotz des Eingriffs
113
DF, XXIII, Bd. 1, S. 891. DF, XXIII, Bd. 1, S. 891, Anm. 84: »The silence of Jerom would lead to a suspicion, that the same story, which was celebrated at a distance, might be despised on the spot.« 115 Zu Gibbons methodischer Vorgehensweise vgl. Braudy, S. 216 f. 116 DF, XXXVII, Bd. 2, S. 435 ff. Zur Verfolgung der nordafrikanischen Katholiken durch die Vandalen vgl. Christoph Eger: »Vandalen«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 10 (2001). 117 DF, XXXVII, Bd. 2, S. 436. 114
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noch die Fähigkeit zu sprechen besessen haben sollen. 118 Diesem Ereignis gesteht Gibbon innerhalb der zahlreichen, von Katholiken fingierten Wunder aus der Zeit der Vandalenherrschaft eine Sonderstellung zu: »The example of fraud must excite suspicion; and the specious miracles by which the African Catholics have defended the truth and justice of their cause, may be ascribed, with more reason, to their own industry, than to the visible protection of Heaven. Yet the historian, who views this religious conflict with an impartial eye, may condescend to mention one praternatural event, which will edify the devout, and surprise the incredulous.« 119 Das Zeugenverhör beweist in diesem Fall, dass der Geschichte der ohne Zunge sprechenden katholischen Gläubigen eine herausgehobene Glaubwürdigkeit zukommt. Mit der Schrift »Historia Persecutionis Africanae Provinciae« des Bischofs Victor von Vita existiert eine zeitnah abgefasste Schilderung der Vorgänge (zum größten Teil wahrscheinlich entstanden im Jahr 484), deren Verfasser die Verfolgung der Katholiken unmittelbar miterlebte. 120 Gibbons Wertschätzung der Quelle Victor von Vita drückt sich auch darin aus, dass er dessen Beurteilung der Vorfälle als direktes Zitat in den eigenen Text übernimmt. 121 Das Zeugnis des afrikanischen Bischofs lässt sich ergänzen durch den Bericht des Aeneas von Gaza, eines christlichen Neuplatonikers, der den katholischen Bekennern im Anschluss an ihre Überführung nach Konstantinopel persönlich begegnet war und dessen Quellenwert Gibbon gleichfalls als sehr hoch einschätzt. »At Constantinople we are astonished to find a cool, a learned, an unexceptionable witness, without interest, and without passion. Æneas of Gaza, a Platonic philosopher, has accurately described his own observations on these African sufferers.« 122 Auch Aeneas 118
Eger, »Vandalen«; John Moorhead: Introduction, in: Victor of Vita: History of the Vandal Persecution, translated with notes and introduction by John Moorhead, Liverpool 1992, S. Xff. Gibbon bespricht dieses Ereignis in DF, XXXVII, Bd. 2, S. 443 f. 119 DF, XXXVII, Bd. 2, S. 443. 120 DF, XXXVII, Bd. 2, S. 443: »But the holy confessors continued to speak without tongues; and this miracle is attested by Victor, an African Bishop, who published an history of the persecution within two years after the event.« Über die fraglichen Vorgänge schreibt Victor von Vita: »When this came to the attention of the king, in his wrath he sent a count with orders that the entire province was to be gathered together in the middle of the forum, and that he was to cut the tongues and right hands of these people completely off. But when this was done, thanks to the operation of the Holy Spirit they spoke, and continue to speak, just as they had spoken before. And if anyone finds this hard to believe, he should go to Constantinople now, and there he will find one of them, the subdeacon Reparatus, speaking correctly and in faultless manner.«; Victor von Vita, History of the Vandal Persecution 3, 30. Hier wird die englische Übersetzung von John Moorhead verwendet (vgl. Kapitel 5.2, Anm. 118). Zur Person Victor von Vitas, über die nur wenig bekannt ist, und zur Datierung der »Historia Persecutionis Africanae Provinciae« vgl. Moorhead, S. XVff. 121 DF, XXXVII, Bd. 2, S. 443. 122 DF, XXXVII, Bd. 2, S. 443 f. Der christliche Neuplatoniker Aeneas von Gaza wurde um 430 geboren und starb bald nach 518, seine Begegnung mit den katholischen Bekennern
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Gibbon über Wunder
von Gazas Erinnerungen an seine Begegnung mit den katholischen Bekennern erscheinen im Text als wörtliches Zitat. 123 Diesen beiden überzeugenden Quellen lassen sich noch die Aussagen (»the superfluous evidence«) des Kaisers Justinian, des Chronisten Marcellinus Comes und von Papst Gregor I. hinzufügen, die das »Sprachwunder« gleichfalls erwähnt haben. 124 Humes Verfahren der Wunderkritik, das sich auf die Defizite der Zeugnisse für ein Wunder konzentriert, stößt hier also scheinbar an seine Grenzen. Im Fall der katholischen Bekenner scheinen die überlieferten Berichte die von Hume aufgestellten Kriterien zu erfüllen: Es gibt mehrere Augenzeugen für dieses Wunder, deren Aussagen übereinstimmen; die Berichte darüber wurden in unmittelbarer zeitlicher Nähe abgefasst; Schauplatz ist die Hauptstadt des oströmischen Reiches; Charakter und Reputation sprechen für die Zeugen und zumindest ein Teil von ihnen verbindet auch kein persönliches Interesse mit dem berichteten Sachverhalt. 125 Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Gibbon: »They all lived within the compass of a century; and they all appeal to their personal knowledge, or the public notoriety, for the truth of a miracle, which was repeated in several instances, displayed on the greatest theatre of the world, and submitted, during a series of years, to the calm examination of the senses.« 126 Anders als im Fall einer Naturkatastrophe kann dieses Wunder zudem über Jahre hinweg einer Überprüfung unterzogen werden. Doch Gibbon findet auch an dieser Stelle einen Ausweg: Lakonisch vermerkt er, dass das fragliche Wunder, trotz der außergewöhnlich guten Beweislage, nicht die Zustimmung eines Arianers oder Sozinianers erhalten würde. »This supernatural gift of the African confessors, who spoke without tongues, will command the assent of those, and of those only, who already believe, that their language was schildert er in dem Dialog »Theophrastus«; Friedrich Wilhelm Bautz: »Aeneas von Gaza«, Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 1 (1990). 123 DF, XXXVII, Bd. 2, S. 444. 124 DF, XXXVII, Bd. 2, S. 444 mit Anm. 125. 125 Vgl. Hume, Of Miracles, S. 91. 126 DF, XXXVII, Bd. 2, S. 444. So überzeugend belegt ist dieses spezielle Wunder, dass es selbst denjenigen Kriterien zu entsprechen scheint, die Hume in »Of Miracles« für ein potentiell glaubwürdiges Wunder aufstellte und die seiner Argumentation nach von keinem aus der Geschichte der Menschheit überlieferten Wunder erfüllt wurden; Hume, Of Miracles, S. 94 f.: »For first, there is not to be found in all history, any miracle attested by a sufficient number of men, of such unquestioned good-sense, education, and learning, as to secure us against all delusion in themselves; of such undoubted integrity, as to place them beyond all suspicion of any design to deceive others; of such credit and reputation in the eyes of mankind, as to have a great deal to lose in case of their being detected in any falsehood; and at the same time, attesting facts, performed in such a public manner, and in so celebrated a part of the world, as to render the detection unavoidable: All which circumstances are requisite to give us a full assurance in the testimony of men.«
Einzelne Wunderbesprechungen
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pure and orthodox. But the stubborn mind of an infidel is guarded by secret, incurable, suspicion; and the Arian, or Socinian, who has seriously rejected the doctrine of the Trinity, will not be shaken by the most plausible evidence of an Athanasian miracle.« 127 Durch diesen Verweis auf einen mit dem katholischen Blickwinkel konkurrierenden Standpunkt (der nicht Gibbons eigener Position entspricht) wird die vorangegangene kritische Sichtung der vorhandenen Zeugenberichte, die der fraglichen Geschichte einen sehr hohen Grad an Glaubwürdigkeit zusprach, ein Stück weit relativiert. Das Einbringen einer alternativen Sichtweise reicht aus, um auch dieses eigentlich überzeugend belegte Wunder in Zweifel zu ziehen. Wie die vorangegangene Untersuchung einzelner Wunderbesprechungen aus »The Decline and Fall« deutlich gemacht hat, übernimmt Gibbon zwar nicht das theoretische Gerüst aus »Of Miracles« oder führt eine genaue Aufrechnung von Wahrscheinlichkeitsgraden durch, rekurriert jedoch in freier Weise auf Humes wunderkritische Ideen. Humes Kriterien für die Beurteilung von Wunderberichten, die von Gibbon abgewandelt und durch eigene Gesichtspunkte ergänzt werden, bieten ihm eine Reihe von Möglichkeiten, Zweifel an der Geschichtlichkeit der christlichen Wunder zu wecken, ohne den Status dieser Wunder direkt in Frage stellen zu müssen. Etwas heraus fällt das erste untersuchte Beispiel, Gibbons Diskussion der übernatürlichen Sonnenfinsternis während Jesu Auferstehung in Kapitel XV, aufgrund der zugespitzten Argumentationsstruktur und des sehr polemischen Stils. Da Gibbon Humes wunderkritische Ideen in kreativer Weise rezipiert, kann er sich auch die Freiheit heraus nehmen, dessen Ansatz methodisch zu überschreiten, wenn die Argumente aus »Of Miracles« (wie im dritten und vierten Beispiel) an ihre Grenzen stoßen. Diese beiden letzten Wunderberichte stellen auch ein schönes Beispiel für Gibbons vielschichtige Darstellungsform in späteren Kapiteln seines Werks dar, in der dem Leser in spekulativer Form mögliche Erklärungen eines Sachverhalts präsentiert werden.
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DF, XXXVII, Bd. 2, S. 444.
6 H- D »T D F «
6.1 Judenchristen und Gnostiker In den theologischen, philosophischen und religionskritischen Diskursen des 17. und 18. Jahrhunderts kam der Beschäftigung mit Geschichte und Gedankengut unterschiedlicher Häresien ein zentraler Stellenwert zu. 1 Es lassen sich unterschiedliche Strategien beobachten, frühere als Häretiker verdammte Glaubensgruppen zu rehabilitieren (und ggf. für die eigene Sache in Anspruch zu nehmen) oder umgekehrt den religiösen Widersacher mit historischen Ketzern in Verbindung zu bringen und sein Anliegen auf diese Weise zu diskreditieren. Manchmal wurde der Vorwurf der Häresie von verschiedenen Glaubensparteien auch wechselseitig erhoben. 2 Gibbon räumt der Beschäftigung mit den dogmatischen Streitigkeiten des antiken und mittelalterlichen Christentums sowie einzelnen Sekten in seinem Werk breiten Raum ein. 3 Seine Darstellung christlicher Häresien soll in diesem Kapitel an drei Beispielen (Judenchristentum, gnostische Sekten und Arianismus) untersucht werden, deren Wurzeln in der Antike lagen und die nach der Reformation und insbesondere im 18. Jahrhundert erneut zum Gegenstand religiöser Kontroversen wurden. Eine beliebte Vorgehensweise kirchenkritischer Autoren unterschiedlicher Ausrichtung war es, sich mit Lehre und Glaubenspraxis früherer Häretiker zu identifizieren und diese als Vorläufer des eigenen Standpunktes und Vertreter eines reinen, noch unverdorbenen Christentums zu präsentieren – in Abgrenzung zur bestehenden korrumpierten Kirche. 4 So verwendeten in England heterodoxe Denker im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert (prominentes Beispiel ist Toland mit seiner Schrift »Nazarenus, or, Jewish, Gentile, and Mahometan Christianity« von 1718) den Rekurs auf die nur fragmentarisch überlieferte Lehre der antiken 1
Laursen (2002), S. 2. Laursen (2002), S. 4 f., Mulsow (2002), S. 161 f. 3 So beispielsweise bei der Besprechung des arianischen Streits (Kap. XXI), des christologischen Streits (Kap. XLVII), des Bilderstreits (Kap. XLIX) oder der Sekte der Paulizianer (Kap. LIV). Schön kommt Gibbons Interesse für religiöse Kontroversen auch in dem folgenden Zitat aus seinen »Memoirs« zum Ausdruck: »From my childhood I had been fond of Religious disputation: my poor aunt has been often puzzled by my objections to the mysteries which she strove to believe; nor had the elastic spring been totally broken by the weight of the Atmosphere of Oxford.«; Memoirs, S. 58. 4 Mulsow (1997), S. 62 ff. 2
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Häresie- und Dogmengeschichte in »The Decline and Fall«
Judenchristen, um die Stellung der zeitgenössischen anglikanischen Kirche und das für den Anglikanismus zentrale Trinitätsdogma anzugreifen und auf diese Weise die eigene kritische Position zu untermauern. 5 Die Darstellung des antiken Judenchristentums soll, zusammen mit der inhaltlich eng verbundenen Besprechung der Gnostiker, im nachfolgenden Textabschnitt betrachtet werden. Um die gnostisch geprägte Religionsgemeinschaft der Manichäer entwickelte sich eine öffentliche Kontroverse, als sich Pierre Bayle in seinem berühmten »Dictionnaire historique et critique« (erschienen 1697) in mehreren Beiträgen dem Manichäismus widmete und die dualistische Lehre der Manichäer als den christlichen Theodizeen überlegen ansah. Bayle reagierte damit auf ein konfessionell-polemisches Werk des katholischen Bischofs Bossuet, die »Histoire des variations des églises protestantes« (1685), in dem Bossuet die manichäisch geprägten spätmittelalterlichen Sekten der Waldenser und Albigenser als Vorläufer des Protestantismus bewertet, ihre Lehre und religiösen Praktiken als verwerflich gebrandmarkt und auf diese Weise auch die protestantischen Kirchen diskreditiert hatte. 6 Eine weitere Gegenschrift auf Bossuet stellte die für Gibbons Untersuchung der Gnostiker vergleichsweise wichtige »Histoire critique de Manichée et du Manichéisme« (1734 – 39) des hugenottischen Theologen Isaac de Beausobre dar. 7 Mit der Reformation und der Ausbildung verschiedener protestantischer Kirchen rückten die »Ketzer« der Kirchengeschichte also auch in den Fokus konfessioneller Polemiken zwischen Katholiken und Protestanten: Katholische Theologen warfen den Protestanten vor, in der Nachfolge früherer Häretiker zu stehen. 8 Protestantische Autoren, für die häresiegeschichtliche Arbeiten insgesamt einen wichtigen Stellenwert besaßen, versuchten, eine Kontinuität zwischen früheren, vom Katholizismus abgefallenen Gruppierungen und der eigenen Glaubensgemeinschaft herzustellen. Auf diese Weise sollten Dominanzstreben und Intoleranz der katholischen Kirche bloßgestellt und der eigene Status gestärkt werden. 9 Mittelalterliche Häretiker wie die Albigenser konnten so als »Zeugen 5
Justin A. Champion: The Pillars of Priestcraft Shaken. The Church of England and its Enemies, 1660 – 1730, Cambridge u. a. 1992, S. 123 ff. Zu Tolands »Nazarenus« vgl. auch Reventlow (1997), S. 93 ff. 6 Richard H. Popkin: Manicheanism in the Enlightenment, in: Kurt H. Wolff / Barrington Moore (Hgg.), The Critical Spirit. Essays in Honor of Herbert Marcuse, Boston 1967, 31 – 54, hier S. 32 ff. Für Gibbons häresiegeschichtliche Erörterungen insgesamt ist Bayles »Dictionnaire« weniger wichtig, in den in diesem Kapitel besprochenen Textpassagen finden sich lediglich zwei Anmerkungen zu Bayle. 7 Zu Beausobres »Histoire critique« vgl. Popkin (1967), S. 34 f.; Laursen (2003), S. 92 ff. Zu Gibbons Rückgriff auf Beausobre vgl. John G. A. Pocock: Gibbon and the History of Heresy, in: John Christian Laursen (Hg.), Histories of Heresy in Early Modern Europe. For, Against, and Beyond Persecution and Toleration, New York 2002, 205 – 220, hier S. 211 ff. 8 Stroumsa, S. 601; Popkin (1967), S. 32 f. 9 Mulsow (1997), S. 62 ff.; Stroumsa, S. 602.
Judenchristen und Gnostiker
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der Wahrheit« und Vorläufer protestantischer Kritik am Katholizismus verstanden werden. 10 Ein einflussreiches und häufig rezipiertes Beispiel für eine Rehabilitierung verschiedener häretischer Gruppen war die bereits angesprochene »Unparteiische Kirchen- und Ketzer-Historie« des radikalen Pietisten Gottfried Arnold, in der die Beziehungen zwischen offizieller Kirche und Häretikern vollständig umgewertet wurden und das bestehende Kirchensystem einer radikalen Kritik unterzogen wurde. 11 Auch der von Gibbon sehr geschätzte und insgesamt häufig rezipierte lutheranische Kirchenhistoriker Mosheim beschäftigte sich in seinen Arbeiten ausführlich mit der historischen Entwicklung und Lehre unterschiedlicher Sekten. 12 Mosheims Einstellung zu häretischen Traditionen ist u. a. mitbestimmt durch die stark kirchenfeindliche Ketzergeschichte Arnolds; in Abgrenzung zu einem derartigen Vorgehen wollte Mosheim eine unparteiliche und interessenfreie Darstellung der Häresien geben, die auf den vorhandenen Quellen aufbauen und diese nach bestimmten Standards (Vollständigkeit, Gründlichkeit, Unparteilichkeit) auswerten und verarbeiten sollte, wie Mosheim selbst in der Vorrede zu seiner »Unpartheyischen und gründlichen Ketzergeschichte« festhielt. 13 Natürlich ist auch Mosheims Darstellung nicht objektiv, sondern vielmehr geprägt durch den Standpunkt des lutheranisch-orthodoxen Theologen, was sich beispielsweise in der sehr kritischen Sicht auf die antiken gnostischen Sekten äußert. 14 Gleichwohl erweist sich Mosheim gerade auch in häresiegeschichtlichen Fragen als ein wichtiger Referenzautor für Gibbon. 15 Das dritte in diesem Kapitel berücksichtigte Beispiel, Gibbons Erörterung des arianischen Streits, also der Kontroverse um die christliche Trinität im vierten Jahrhundert, weist ebenfalls starke zeitgenössische Implikationen auf. Denn 10
Sandra Pott: Radical Heretics, Martyrs, or Witnesses of Truth? The Albigenses in Ecclesiastical History and Literature (1550 – 1850), in: Ian Hunter (Hg.), Heresies in Transition. Transforming Ideas of Heresy in Medieval and Early Modern Europe, Aldershot u. a. 2005, 181 – 194, hier S. 183. 11 Pott (2005), S. 186 f.; John Christian Laursen: What is Impartiality? Arnold on Spinoza, Mosheim on Servetus, in: Ian Hunter (Hg.), Heresies in Transition. Transforming Ideas of Heresy in Medieval and Early Modern Europe, Aldershot u. a. 2005, 143 – 154, hier S. 147 f.; Fleischer, S. XXXVIIff. Vgl. Kapitel 1.1. 12 Zu Mosheims häresiegeschichtlichen Arbeiten vgl. besonders Mulsow (1997), passim. Mosheim verfasste verschiedene Studien und Texte über häretische Gruppen und Personen, am bekanntesten ist wahrscheinlich seine in zwei Bänden erschienene Arbeit »Versuch einer unpartheyischen und gründlichen Ketzergeschichte« von 1746/48. 13 Martin Mulsow: Einleitung, in: Johann Lorenz Mosheim, Versuch einer unparteiischen und gründlichen Ketzergeschichte. Erster Band (1746), Nachdruck Hildesheim u. a. 1998, 5 – 11, hier S. 6 f.; Fleischer, S. XVff. 14 Mulsow (1997), S. 76 ff. 15 Vgl. Pocock (2002), S. 211 f. Gibbon rekurriert in den häresiegeschichtlichen Abschnitten seines Werks zudem häufiger auf den arminianischen Theologen und Kirchenhistoriker Le Clerc, der hier nicht berücksichtigt werden kann.
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Häresie- und Dogmengeschichte in »The Decline and Fall«
die Trinitätsdoktrin, die für die Identität der anglikanischen Kirche zentral war, wurde, wie bereits angedeutet, ab dem späten 17. Jahrhundert aus unterschiedlichen Richtungen in Frage gestellt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde die anglikanische Kirche insbesondere durch die antitrinitarischen Unitarier herausgefordert (vgl. Kapitel 6.2). 16 Für Gibbons Darstellung der antiken Judenchristen und Gnostiker sollen Passagen aus Kapitel XV, XXI und XLVII des »Decline and Fall« herangezogen werden, für die arianische Kontroverse und den Arianismus sind insbesondere Kapitel XXI und Teile von Kapitel XXXVII interessant. Das Judenchristentum steht in einem engen Zusammenhang mit den Anfängen des Christentums: Die ersten christlichen Gemeinden, die im Verlauf des ersten Jahrhunderts entstanden, so auch die Urgemeinde in Jerusalem, waren stark jüdisch geprägt; ihre Mitglieder stammten aus dem Judentum. 17 Nach einer modernen praxisorientierten Definition kennzeichnet das Judenchristentum ein Bekenntnis zu Jesus als Messias und die Einhaltung bestimmter jüdischer Gesetze und Praktiken (Beschneidung, rituelle Speisegesetze, Sabbatgebot u. a.). 18 Fragmente mehrerer judenchristlicher Evangelien sind in patristischen Texten überliefert, sie zeugen von unterschiedlichen christologischen Vorstellungen judenchristlicher Gruppen (darunter auch Ideen, die von der Kirche später als häretisch verworfen wurden). 19 Der Abspaltungsprozess des Judenchristentums von der Kirche vollzog sich im Kontext der jüdisch-römischen Kriege, als eine Art Endpunkt lässt sich der Bar-Kokhba-Aufstand (132 – 135) bestimmen. 20 Wie angedeutet wurde, diente die nur fragmentarisch überlieferte Lehre der antiken Judenchristen kirchenkritischen Autoren im England des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts als Munition, um die für den Anglikanismus wichtige Trinitätsdoktrin und damit auch die Autorität der anglikanischen Kirche anzugreifen. Die Christologie der Judenchristen wurde dabei als eine Art Vorläufer zur 16
G. M. Ditchfield: Anti-Trinitarianism and Toleration in Late Eighteenth- Century British Politics: The Unitarian Petition of 1792, Journal of Ecclesiastical History 42 (1991), 39 – 67, hier S. 39 f. 17 James Carleton Paget: Jewish Christianity, in: William Horbury u. a. (Hgg.), The Cambridge History of Judaism, Bd. 3: The Early Roman Period, 731 – 775, Cambridge 2008 (OnlineAusgabe), hier S. 742; Günter Stemberger: »Judenchristen«, Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 19 (1998). 18 Paget, S. 734 u. 740 f. (dort auch ausführlich zu den Problemen einer einheitlichen Definition). »Judenchristentum« ist ein moderner Begriff, der im 18. Jahrhundert gebräuchlich war, sich jedoch erst im 19. Jahrhundert mit Ferdinand Christian Baur vollständig durchsetzen konnte; Paget, S. 731. Gibbon verwendet unterschiedliche Bezeichnungen für die antiken Judenchristen (neben »Ebionites« und »Nazarenes« finden sich die Begriffe »Jewish Converts«, »Judaising Christians«, »Christian Jews«). 19 Paget, S. 757 u. 767 f.; Stemberger, »Judenchristen«. 20 Stemberger, »Judenchristen«.
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Position der Unitarier interpretiert, die in Jesus lediglich einen moralisch vorbildlichen Mensch ohne göttlichen Status sahen, von einem einzigen Gott ausgingen und darüber hinaus für eine Kontinuität zwischen den drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam eintraten. 21 Eine vergleichbare Argumentation vertrat auch Toland in seinem »Nazarenus«: Die judenchristlichen Nazaräer wertete Toland als Vertreter eines ursprünglichen reinen Christentums, das Jesus noch als Mensch verstanden hatte und frei von später aufgekommenen, abergläubischen Bräuchen war, somit einer »natürlichen« Religion im Sinne der Aufklärer entsprach. Davon unterschied Toland im »Nazarenus« die Gruppe der Heidenchristen, die bei ihm für eine zunehmende Korruption des Christentums durch die Rezeption philosophischer Ideen, die Einführung heidnischer Riten und die Entstehung einer kirchlichen Hierarchie standen. 22 Toland ging zudem von einer Kontinuität zwischen dem Judentum, einem ursprünglichen judenchristlich geprägten Christentum und dem Islam aus. In seiner Darstellung setzten sich diese drei Religionen positiv von dem späteren degenerierten Christentum heidenchristlicher Provenienz (und damit auch der zeitgenössischen anglikanischen Kirche) ab. 23 Tolands Schrift wurde von orthodoxen Theologen als sehr anstößig empfunden und provozierte zahlreiche Gegenschriften. 24 Bei Gibbon steht die Besprechung von Judenchristen und Gnostikern in Kapitel XV im Zusammenhang mit dem intoleranten Glaubenseifer der frühen Christen, den Gibbon auf die jüdischen Wurzeln des Christentums zurückführte. 25 Die Argumentation lenkt an dieser Stelle das Augenmerk des Lesers auf die inneren Streitigkeiten des frühen Christentums und dessen unklare Abgrenzung gegenüber verschiedenen judenchristlichen Gruppierungen. Im Anschluss an einen vergleichsweise polemischen Teil, in dem zeitgenössische Argumente gegen das Christentum in den antiken Kontext der Ausdifferenzierung verschiedener christlicher Glaubensrichtungen verlagert werden, folgt im Text ein Abriss der 21
Champion, S. 106 ff. Zur theologischen Position der Unitarier insgesamt vgl. auch Ditchfield (1991), S. 44 ff. 22 Reventlow (1997), S. 94 ff.; Champion, S. 128 ff. Tolands Arbeit »Nazarenus« beruhte auf dem Fund eines Manuskripts, das Toland als eine auf das apokryphe Barnabas-Evangelium zurückgehende Schrift türkischen Ursprungs beschrieb. Auf die genaue Überlieferungsgeschichte dieses Manuskripts kann hier nicht eingegangen werden; vgl. dazu Reventlow (1997), S. 93 f. u. 97 f. 23 Champion, S. 126 f.; Reventlow (1997), S. 96. Zu Tolands für die Aufklärung ungewöhnlichem Philosemitismus vgl. Berti, S. 566 ff. 24 Gesine Palmer: Ein Freispruch für Paulus. John Tolands Theorie des Judenchristentums, Berlin 1996, S. 18 f. Auch Mosheim verfasste 1719 und 1720 mehrere Gegenschriften zu Tolands »Nazarenus«; Mulsow (1997), S. 74 mit Anm. 100. – Nach dem Katalog von Keynes befand sich Tolands »Nazarenus« nicht in Gibbons Bibliothek; vgl. Keynes, S. 268 mit den in Gibbons Bibliothek enthaltenen Werken von Toland. 25 DF, XV, Bd. 1, S. 447 ff. Vgl. Kapitel 2.2.
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Geschichte der stark judenchristlich geprägten Gemeinde von Jerusalem von ihren Anfängen bis zur Zerstörung der Stadt Jerusalem unter Kaiser Hadrian im Jahr 135. 26 Mit dem Blick auf die Entstehungsgeschichte der Kirche von Jerusalem kann Gibbon illustrieren, wie prägend die jüdischen Traditionen in dieser Phase des Christentums waren. »The history of the church of Jerusalem affords a lively proof of the necessity of those precautions, and of the deep impression which the Jewish religion had made on the minds of its sectaries.« 27 Als Beleg für eine herausgehobene Stellung der Jerusalemer Gemeinde zu dieser Zeit führt Gibbon die bereits diskutierte Untersuchung der Kirchenverfassung in »De rebus Christianorum« an. 28 Mosheim schilderte dort die beratende Funktion für andere Gemeinden, die der Kirche von Jerusalem im ersten Jahrhundert zukam. 29 Durch die Heidenmission des Apostels Paulus und die wachsende Anzahl an Heidenchristen innerhalb des Gesamtchristentums habe das Judenchristentum allmählich an Bedeutung verloren, führt Gibbon aus. Wie häufig beim Thema Mission und Ausbreitung des Christentums durchziehen den Text hier militärische Sprachwendungen, die das aggressive Potenzial der Kirche hervorheben. »The Jewish converts, or, as they were afterwards called, the Nazarenes, who had laid the foundations of the church, soon found themselves overwhelmed by the increasing multitudes, that from all the various religions of polytheism inlisted under the banner of Christ [. . . ].« 30 In der Schilderung der nachfolgenden Ereignisse, bei denen sich das Schicksal der Judenchristen in Jerusalem als eng verknüpft mit den militärischen Konflikten zwischen jüdischem Volk und römischen Herrschern erweist, gibt Gibbon kurzzeitig den Anschluss an Mosheim auf und kommt zu einer anderen Auslegung als der lutheranische Kirchenhistoriker. Im Zusammenhang mit dem Ausbruch des ersten Jüdischen Kriegs und der Zerstörung des Tempels von Jerusalem im Jahr 70 31 hätten die Judenchristen der Jerusalemer Gemeinde die Stadt verlassen 26
DF, XV, Bd. 1, S. 453 f. DF, XV, Bd. 1, S. 453. In Anmerkung 17 verweist Gibbon auf die Kirchengeschichte von Eusebius, nach der die ersten fünfzehn Bischöfe der Jerusalemer Gemeinde beschnittene Juden waren; Eusebius, Kirchengeschichte 4, 5. Als weitere Quelle wird Sulpicius Severus genannt. 28 DF, XV, Bd. 1, S. 453: »It was natural that the primitive tradition of a church which was founded only forty days after the death of Christ, and was governed almost as many years under the immediate inspection of his apostles, should be received as the standard of orthodoxy.« In der korrespondierenden Fußnote (Anm. 18) rekurriert Gibbon auf Mosheim und würdigt seine Arbeit als »masterly performance«. Vgl. Kapitel 3.1. 29 Mosheim, De rebus, I, 48, Anm. 1, Bd. 1, S. 197 f. 30 DF, XV, Bd. 1, S. 453. Vgl. Stemberger, »Judenchristen«. Zu Gibbons Metaphorik vgl. Nippel (2003), S. 55. 31 Im Jahr 66 brach in der Provinz Judäa nach längeren vorangegangenen Spannungen ein offener Aufstand der Juden gegen die römische Herrschaft aus. Die Römer unter Titus konnten 27
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und sich in Pella im Jordanland angesiedelt, da sie von den Römern, so Gibbon, aufgrund ihrer Verbindung zum Judentum wie Juden behandelt wurden. »The Nazarenes retired from the ruins of Jerusalem to the little town of Pella beyond the Jordan, where that ancient church languished above sixty years in solitude and obscurity.« 32 Mosheim hingegen hatte sich in diesem Zusammenhang darum bemüht, eine (geographische) Trennung der am jüdischen Gesetz festhaltenden Christen von der »Hauptkirche« und damit die Manifestierung einer judenchristlichen Häresie erst im Jahr 135 auszumachen, als im Kontext des Bar-Kokhba-Aufstandes, der anschließenden vollständigen Zerstörung Jerusalems und der Vertreibung des jüdischen Volkes ein überwiegender Teil der judenchristlichen Gläubigen die jüdischen Bräuche aufgab und im Heidenchristentum aufging. Nach diesem Datum hielt lediglich eine Restgruppe von Judenchristen an den jüdischen Gesetzen fest. 33 Dahinter könnte sich bei Mosheim die Absicht verbergen, ein von häretischen Tendenzen freies Frühchristentum zu konstruieren. Bei Gibbon fällt die Gründung einer separaten judenchristlichen Kirche dagegen bereits in die Zeit des ersten Jüdischen Krieges. Indirekt diskreditiert seine Darstellung also auch den christlichen Topos eines einigen »Urchristentums« ohne Glaubensstreitigkeiten während des ersten Jahrhunderts. Diesen Gedankengang greift Gibbon an einer im Jahr 70 Jerusalem einnehmen, wobei der jüdische Tempel zerstört wurde. Im Jahr 74 fiel die letzte jüdische Festung; Stemberger, »Judenchristen«; ders., »Juden«. 32 DF, XV, Bd. 1, S. 453. In Anmerkung 19 beruft Gibbon sich auf Eusebius und Jean Le Clerc. Bei Eusebius findet der Auszug der Christen aus Pella bereits vor Ausbruch des Krieges statt: »[. . . ] als endlich die Kirchengemeinde in Jerusalem in einer Offenbarung die ihren Führern geworden war, die Weissagung erhalten hatte, noch vor dem Kriege die Stadt zu verlassen und sich in einer Stadt Peräas, namens Pella, niederzulassen und als sodann die Christgläubigen von Jerusalem weggezogen waren und die heiligen Männer die königliche Hauptstadt der Juden und ganz Judäa völlig geräumt hatten, da brach das Strafgericht Gottes über die Juden wegen der vielen Freveltaten, die sie an Christus und seinen Aposteln begangen hatten, herein und vertilgte gänzlich dieses Geschlecht der Gottlosen aus der Menschengeschichte.«; Eusebius, Kirchengeschichte 3, 5. Zu den historischen Ereignissen vgl. Stemberger, »Judenchristen«. 33 Mosheim, De rebus, II, 38, Bd. 1, S. 396 f.: »The first dissension of this nature that took place occurred amongst the Christians of Palestine under the reign of the emperor Hadrian. [. . . ] Filled with indignation at this proceeding of their brethren [renouncing the law of Moses], the rest of the Jewish converts, who still retained an immoderate attachment to the law of Moses, withdrew into that part of Palestine which is distinguished by the name of Perœa, and there established a peculiar church of their own, in which the ceremonial law was retained in all its ancient dignity.« Mosheim ist in dieser Frage allerdings nicht ganz eindeutig, denn an einer etwas späteren Stelle spricht er davon, dass ein großer Teil der Judenchristen im Zuge des Übertritts zum »orthodoxen« Christentum aus Pella nach Jerusalem zurückkehrte; ebd., S. 398 f. Zum BarKokhba-Aufstand vgl. Stemberger, »Juden«. Der im Jahr 132 ausgebrochene Aufstand der Juden gegen Rom wurde nach drei Jahren niedergeschlagen. Zahlreiche Siedlungen in der Provinz Judäa wurden während des Krieges zerstört, ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung wurde getötet. Für Juden galt in der Folge ein Verbot, Jerusalem und seine Umgebung zu betreten.
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etwas späteren Stelle wieder auf, indem er eine despektierliche Erklärung für die Aussagen von Kirchenvätern wie Hegesippus und Clemens von Alexandria über die Reinheit der frühen Kirche liefert. Weil in der Frühzeit der Kirchengeschichte die Grenzen zwischen Orthodoxie und Heterodoxie weniger streng ausgelegt wurden, hätten abweichende Gruppierungen größere Freiheiten genossen. 34 Explizit an Mosheim schließt Gibbon wieder an, wenn er dessen Spekulationen aufgreift, wie sich der Übertritt eines großen Teils der Judenchristen zur heidenchristlich geprägten »Hauptkirche« im Jahr 135 erklären lässt. Ausschlaggebend für die Aufgabe der jüdischen Gesetze waren bei Mosheim pragmatische Gründe, da die betroffenen Christen sich durch diesen Schritt Zutritt zu Hadrians neu gegründeter Kolonie »Aelia Capitolina« und den mit einer Ansiedlung verbundenen Privilegien verschafften. 35 Diese profane Erklärung lässt sich gut in eine kritische Sichtweise auf die Geschichte der Kirche integrieren, so dass Mosheims Urteil in dieser Frage ausdrücklich Gibbons Würdigung erhält. 36 Hinsichtlich der unterschiedlichen judenchristlichen Sekten und den von den Kirchenvätern und späteren Theologen verwendeten Begrifflichkeiten »Ebioniten« und »Nazaräer« (bzw. »Nazoräer«) 37 suggeriert die Darlegung wiederum im Unterschied zu Mosheim, dass beide Gruppen nicht eindeutig voneinander unterschieden werden können und es sich bei den jeweiligen Begriffen nur um später aufgekommene polemische Zuschreibungen der Kirchenväter handelt. Mosheim als lutheranischer Kirchenhistoriker legte in seinen theologischen und kirchen34
DF, XV, Bd. 1, S. 457 mit Anm. 31. Gibbon bezieht sich hier u. a. auf die Kirchengeschichte von Eusebius (3, 32): »In seinem Berichte über die erwähnten Zeiten fügt Hegesippus jener Erzählung noch bei, daß die Kirche bis dahin eine reine, unbefleckte Jungfrau geblieben sei; denn die, welche die gesunde Lehre der Heilspredigt zu untergraben suchten, hielten sich damals, wenn es schon solche gab, noch in Finsternis versteckt und verborgen. Als der heilige Chor der Apostel auf verschiedene Weise sein Ende gefunden hatte und jenes Geschlecht, welches das Glück hatte, mit eigenen Ohren der göttlichen Weisheit zu lauschen, abgetreten war, erhob sich zum ersten Male der gottlose Irrtum durch die Schuld lügenhafter fremder Lehrer. Diese wagten nun, da keiner der Apostel mehr am Leben war, mit frecher Stirne der Lehre der Wahrheit eine falsche sog. Gnosis entgegenzusetzen.« Gibbon verweist zusätzlich auf ebd. 4, 22 und Clemens von Alexandria, Teppiche 7, 17. 35 DF, XV, Bd. 1, S. 454; Mosheim, De rebus, II, 38, Bd. 1, S. 396 ff. mit Anm. 1. 36 DF, XV, Bd. 1, S. 454, Anm. 21: »By comparing their [Eusebius’ and Sulpicius Severus’] unsatisfactory accounts Mosheim has drawn out a very distinct representation of the circumstances and motives of this revolution.« 37 Der Begriff »Ebioniten« (er bedeutet »Arme« und wurde ursprünglich von einer Gruppe von Judenchristen als Selbstbezeichnung verwendet) findet sich in häretischer Bedeutung zum ersten Mal bei Irenäus (»Adversus haereses«), im dritten und vierten Jahrhundert wurde er zur allgemeinen Bezeichnung für Judenchristen. Eine häretische Gemeinschaft der »Nazoräer« wird in der Schrift »Panarion« (374 – 377) von Epiphanius beschrieben, Hieronymus erwähnte 393 eine Gruppe der »Nazaräer«; Stemberger, »Judenchristen«; Georg Strecker: »Judenchristentum«, Theologische Realenzyklopädie, Bd. 17 (1988).
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geschichtlichen Arbeiten hingegen viel Wert darauf, die Unterschiede zwischen Ebioniten und Nazaräern herauszustellen. 38 Ein zentraler Punkt von Mosheims Untersuchung der antiken Judenchristen in »De rebus Christianorum« lautete, dass sie in zwei streng voneinander zu trennende Gruppen (Nazaräer und Ebioniten) zerfallen seien. Die Nazaräer wertete Mosheim in diesem Zusammenhang nicht als eigentliche Häretiker und beschrieb ihre Christologie als der orthodoxen Lehre nahe stehend, während die Ebioniten weitaus negativer beurteilt wurden. 39 Gegen Tolands »Nazarenus«, in dem Ebioniten und Nazaräer als in Wirklichkeit identische Glaubensgruppen gewertet wurden, hatte Mosheim mehrere Repliken verfasst. 40 Gibbon schließt sich in dieser Frage weder Mosheims orthodoxer Argumentation an noch teilt er Tolands Identifikation mit den antiken Judenchristen. An einer Stelle betont er die Nähe zwischen den hier als »Nazaräer« bezeichneten Judenchristen und den Juden: »The ruin of the temple, of the city, and of the public religion of the Jews, was severely felt by the Nazarenes; as in their manners, though not in their faith, they maintained so intimate a connexion with their impious countrymen, whose misfortunes were attributed by the Pagans to the contempt, and more justly ascribed by the Christians to the wrath, of the Supreme Deity.« 41 Diese »Nazaräer« werden von Gibbon gleichzeitig als Begründer der Kirche präsentiert (»the Jewish converts, or, as they were afterwards called, the Nazarenes, who had laid the foundations of the church« 42), so dass hier versteckt wieder einmal die Ursprünge des Christentums diskreditiert werden, da Juden und Christen sich in dieser frühen Phase der Kirchengeschichte anscheinend kaum voneinander unterscheiden lassen. An einer anderen Stelle sieht Gibbon in der Bezeichnung »Ebioniten« eine abwertende Kennzeichnung derjenigen Judenchristen, die im Jahr 135 die Anpassung an die heidenchristlich geprägte Hauptkirche verweigerten und in Pella verblieben. Mit diesem Begriff wurden sie nach Gibbon durch spätere Kirchenväter nachträglich als Häretiker abgestempelt: »When the name and honours of 38
Reventlow (1997), S. 104 f. Mosheim, De rebus, II, 39 u. 40, Bd. 1, S. 400 ff.: »[. . . ] for they [the Judaizing Christians] were divided into two sects differing widely from each other in their tenets respecting Christ, and the necessity of obedience to the law, and possibly as to various other matters of opinion. Of these the one, namely, that of the Nazarenes, is not considered by ancient Christian writers as coming within the class of heretics; but the other, that of the Ebionites, is uniformly reckoned in the catalogue of those sects whose principles strike at the very fundamentals of the Christian faith.« (Zitat S. 400); ebd., S. 403: »The Ebionites [. . . ] were a sect of a much worse description than that of the Nazarenes.« 40 Reventlow (1997), S. 104. 41 DF, XV, Bd. 1, S. 453. 42 DF, XV, Bd. 1, S. 453. 39
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the church of Jerusalem had been restored to Mount Sion, the crimes of heresy and schism were imputed to the obscure remnant of the Nazarenes, which refused to accompany their Latin bishop. [. . . ] The name of Nazarenes was deemed too honourable for those Christian Jews, and they soon received from the supposed poverty of their understanding, as well as of their condition, the contemptuous epithet of Ebionites.« 43 Eine derartige Argumentation legt jedoch nahe, dass Ebioniten (»the obscure remnant of the Nazarenes«) und Nazaräer, zumindest hinsichtlich ihrer Lehre, nicht so eindeutig voneinander unterschieden werden können, wie dies beispielsweise Mosheim unterstellt hatte. Dieser Eindruck wird durch die korrespondierende Fußnote noch verstärkt, die Gibbons im Haupttext formulierte Trennung beider Gruppen unterläuft. 44 An die sprachliche Herabwürdigung schloss sich nach Gibbon, abgesehen von einzelnen nachsichtigen Stimmen wie Justin dem Märtyrer, die innerkirchliche Verdammung der nicht vollständig zum Christentum konvertierten Judenchristen an. 45 Anders als Toland sieht Gibbon in den Ebioniten oder Nazaräern aber auch nicht die Vertreter eines ursprünglichen, dem zeitgenössischen Anglikanismus überlegenen Christentums. Insgesamt erscheinen die Judenchristen in seiner Darstellung als historisch unbedeutend; die Ebioniten werden als obskure Sekte beschrieben, deren Mitglieder nach 135 allmählich in der Kirche oder im Judentum aufgingen. »The unfortunate Ebionites, rejected from one religion as apostates, and from the other as heretics, found themselves compelled to assume a more decided character; and although some traces of that obsolete sect may be discovered as late as the fourth century, they insensibly melted away either into the church or the synagogue« 46, urteilt er über das Verschwinden der judenchristlichen Sekten. Den theologischen Gegenpol zum Judenchristentum bilden in Gibbons Darstellung die gnostischen Häresien. Die Bewegung der Gnosis (die Bezeichnung geht zurück auf das altgriechische Wort für »Erkenntnis«) entwickelte sich ab der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts, ihre Blütezeit erlebte sie um die Mitte des zweiten Jahrhunderts mit verschiedenen gnostischen Sekten wie den Valentinianern oder Basilidianern. Kennzeichen des Gnostizismus sind u. a. ein dualistisches antimaterialistisches Weltbild mit einer sehr negativen Beurteilung 43
DF, XV, Bd. 1, S. 454 f. DF, XV, Bd. 1, S. 454, Anm. 22: »Le Clerc seems to have collected from Eusebius, Jerome, Epiphanius, and other writers, all the principal circumstances that relate to the Nazarenes or Ebionites.« (meine Hervorhebung). 45 DF, XV, Bd. 1, S. 455: »The more rigorous opinion prevailed, as it was natural to expect, over the milder; and an eternal bar of separation was fixed between the disciples of Moses and those of Christ.« 46 DF, XV, Bd. 1, S. 455. 44
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der irdischen Welt und der Glaube an einen als Demiurg bezeichneten zweiten Gott, der als Schöpfer der Welt galt und häufig mit dem Gott des Alten Testaments identifiziert wurde. 47 Unter orthodoxen Theologen der Frühen Neuzeit waren Gnostiker schlecht angesehen und wurden u. a. mit religiöser »Schwärmerei« in Verbindung gebracht. 48 Zeitgenössische religiöse Skeptiker wurden von ihren Gegnern manchmal als »moderne« Gnostiker bezeichnet und mit dem Vorwurf konfrontiert, lediglich die Argumente der antiken Gnostiker aufzugreifen, um die bestehende Kirche zu kritisieren. 49 Wie erwähnt wurde in der Aufklärung die gnostisch geprägten Manichäer zum Gegenstand einer öffentlichen Debatte Begründet im dritten Jahrhundert durch den Perser Mani verschmolz der Manichäismus Elemente aus Christentum, Zoroastrismus, Buddhismus und Gnostizismus und verbreitete sich über das gesamte Mittelmeergebiet sowie nach Zentralasien und China. Der Kirchenvater Augustinus von Hippo, der vor seiner Konversion zum Katholizismus selbst Anhänger des Manichäismus war, verfasste gegen den Manichäer Faustus von Mileve um das Jahr 400 die Streitschrift »Contra Faustum Manichaeum«. 50 Als Reaktion auf die »Histoire des variations des églises protestantes« des katholischen Bischofs Bossuet, in der Bossuet die Beschreibung der manichäisch geprägten spätmittelalterlichen Sekten der Waldenser und Albigenser dazu benützt hatte, die protestantischen Kirchen als vermeintliche Nachfolger dieser von ihm verteufelten Gruppen zu diskreditieren, befasste sich Pierre Bayle in seinem »Dictionnaire historique et critique« in mehreren Artikeln mit der manichäischen Lehre. 51 Diese Beiträge dienten Kritikern der Kirche wie Voltaire wiederum als Munition, weil Bayle argumentiert hatte, dass die manichäische Zwei-PrinzipienLehre als Erklärung für die Existenz des Bösen in der Welt plausibler als die christliche Lehre sei. 52 Weniger öffentliches Aufsehen als die Beiträge aus Bayles »Dictionnaire« erregte die für Gibbons Darstellung wichtige »Histoire critique de Manichée et du Manichéisme« des hugenottischen Theologen Isaac de Beau-
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Robert McLachlan Wilson: »Gnosis / Gnostizismus II«, Theologische Realenzyklopädie, Bd. 13 (1984). 48 Mulsow (2002), S. 163. 49 Womersley (2002), S. 20 f. mit Anm. 27. 50 Alexander Böhlig: »Manichäismus«, Theologische Realenzyklopädie, Bd. 22 (1991). 51 Popkin (1967), S. 32 f. Bayle setzte sich in den Artikeln »Manichées«, »Marcionites«, »Origen« und »Pauliciens« mit dem Manichäismus auseinander; vgl. auch Stroumsa, S. 601. Auf die mittelalterlichen Sekten der Paulizianer und Albigenser sowie mögliche Verbindungslinien dieser Gruppen zur Reformation geht Gibbon in Kapitel LIV seines Werks ein, dieser Aspekt kann in der vorliegenden Arbeit leider nicht behandelt werden. 52 Popkin (1967), S. 32 u. 39 ff.
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sobre. 53 Kennzeichnend für Beausobre ist sein Eintreten für religiöse Toleranz und eine gemäßigt antikatholische Haltung, die sich auch von radikal-orthodoxen Protestanten distanziert. 54 In seiner »Histoire critique« verfolgte Beausobre die Strategie, den Manichäismus ein Stück weit zu rehabilitieren, indem er u. a. aufzeigte, dass viele der dort vertretenen Ideen, in ihrem historischen Kontext betrachtet, sinnvoll und dem antiken Wissensstand angemessen sind und dass die katholischen Kirchenväter als Quellen für den Manichäismus als stark parteilich und damit unglaubwürdig gelten müssen. 55 In Ergänzung zu der kritischen Auseinandersetzung mit den katholischen Quellen berücksichtigte Beausobre in seiner sehr breit angelegten Studie, die auch Vorläufer des Manichäismus wie die gnostischen Sekten der Basilidianer und Markioniten betrachtet, u. a. auch persische und indische Quellen. 56 Gibbon schätzte Beausobres »Histoire critique« und lobte den hugenottischen Theologen als »a Protestant, but a Philosopher« 57 oder »most learned and rational« 58, kritisierte im Einzelfall jedoch auch Beausobres parteiliche Befangenheit zugunsten der Manichäer. 59 Hinsichtlich des jüdischen Erbes des Christentums erscheinen die gnostischen Häresien als Gegenposition zum Judenchristentum: Während die unterschiedlichen judenchristlichen Gruppierungen an den jüdischen Traditionen festhielten, verbinde die Gnostiker umgekehrt ihre Ablehnung des Alten Testaments, argumentiert Gibbon und ironisiert gleichzeitig die Position der »orthodoxen« Christen. »While the orthodox church preserved a just medium between excessive veneration and improper contempt for the law of Moses, the various heretics deviated into equal but opposite extremes of error and extravagance. From the acknowledged truth of the Jewish religion, the Ebionites had concluded that 53
Isaac de Beausobre (1659 – 1738) wirkte nach seiner Flucht aus Frankreich von 1695 bis zu seinem Tod u. a. als Prediger der französischen Kirche in Berlin. Neben der »Histoire critique de Manichée et du Manichéisme« (1734 – 39) verfasste er verschiedene Arbeiten zur Verteidigung der Reformation wie die »Histoire de la Réformation« (posthum erschienen 1785 – 86) sowie eine gemeinsam mit Jacques Lenfant verfasste Übersetzung des Neuen Testaments ins Französische und gab die Zeitschrift »Bibliothèque germanique« heraus. Zu Beausobres Biographie vgl. besonders Frédéric Hartweg: Le Grand Beausobre. Aspekte des intellektuellen und kirchlichen Lebens der ersten Generation des Berliner Refuge, in: Wilhelm Treue (Hg.), Geschichte als Aufgabe. Festschrift für Otto Büsch zu seinem 60. Geburtstag, Berlin 1988, 55 – 81, passim; Laursen (2003), S. 90 f. 54 Laursen (2003), S. 92 f. u. 100 ff.; Pocock (2010), S. 154 ff. 55 Laursen (2003), S. 94 ff.; Pocock (2010), S. 155 f.; Popkin (1967), S. 41 f. 56 Stroumsa, S. 607 ff. 57 DF, XXVIII, Bd. 2, S. 96, Anm. 88. 58 DF, XLVII, Bd. 2, S. 942, Anm. 19. 59 DF, XV, Bd. 1, S. 458, Anm. 32: »In the account of the Gnostics of the second and third centuries, [. . . ] Beausobre [is] almost always an apologist.«
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it could never be abolished. From its supposed imperfections the Gnostics as hastily inferred that it never was instituted by the wisdom of the Deity.« 60 An die gnostische Skepsis anknüfend macht sich Gibbon über die Irrationalität und Inhumanität des Alten Testaments lustig: »There are some objections against the authority of Moses and the prophets, which too readily present themselves to the sceptical mind; though they can only be derived from our ignorance of remote antiquity, and from our incapacity to form an adequate judgment of the divine œconomy. These objections were eagerly embraced and as petulantly urged by the vain science of the Gnostics.« 61 Die im Text angebotenen vermeintlichen Auswege für christliche Leser (»our ignorance of remote antiquity«, »our incapacity to form an adequate judgment of the divine œconomy«, »the vain science of the Gnostics«) erweisen sich wieder einmal als Sackgasse und verstärken im Gegenteil noch den Eindruck, das Alte Testament müsse als absurd und amoralisch eingestuft werden. 62 Wie häufiger in Kapitel XV gelingt es Gibbon auch hier, keine offen kritische Position zu beziehen und dem Anschein nach lediglich die Einwände der Gnostiker vorzutragen. Referenzautor ist an dieser Stelle Beausobre, dessen Darstellung in der korrespondierenden Fußnote ausdrücklich als gelehrt und unparteilich gewertet wird. 63 Es folgt im Text eine längere Passage, in der Gibbon in losem Anschluss an Beausobre und indem er sich vorübergehend die Perspektive der Gnostiker zu eigen macht, die Absurdität der alttestamentarischen Überlieferung vor Augen führt und die grausamen und inhumanen Aspekte der jüdischen Geschichte herausstreicht. 64 Gibbons Form der Darstellung suggeriert in diesem Abschnitt, dass Sichtweise und Argumentation der Gnostiker durchaus als vernünftig gelten können und die gnostische Kritik, beispielsweise an der Promiskuität biblischer Gestalten oder den jüdischen Ritualen und Zeremonien, ins Schwarze trifft. Über die bei Beausobre diskutierten Einwände der Manichäer gegen das Alte Testament hinausgehend gibt Gibbon seiner Erörterung eine dezidiert antijüdische Wendung, indem er auch an dieser Stelle die Grausamkeit und Menschenfeindlichkeit der Juden anprangert. 65 Wie im ersten Kapitel ausführlich diskutiert 60
DF, XV, Bd. 1, S. 456. DF, XV, Bd. 1, S. 456. 62 Zu Gibbons Ironie vgl. Wootton (1997), S. 220. 63 DF, XV, Bd. 1, S. 456, Anm. 26 : »Beausobre [. . . ] has stated their [the Gnostics’] objections, particularly those of Faustus, the adversary of Augustin, with the most learned impartiality.«; Beausobre, Histoire critique, II, I, 3. Bd. 1, S. 270 ff. Hier wie an anderer Stelle unterscheidet Gibbon nicht ausdrücklich zwischen Gnostizismus und Manichäismus, er betrachtete den Manichäismus wohl als eine von zahlreichen gnostischen Sekten; vgl. DF, XV, Bd. 1, S. 458. 64 DF, XV, Bd. 1, S. 456 f. 65 DF, XV, Bd. 1, S. 456: »The conquest of the land of Canaan, and the extirpation of the unsuspecting natives, they [the Gnostics] were at a loss how to reconcile with the common notions 61
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wurde, hatten derartige antijüdische Ausfälle häufig die Kirche zum Ziel und waren eine beliebte Strategie aufklärerischer Kirchenkritiker, exemplarisch repräsentiert durch Voltaire. Weil christliche Apologeten sich standardisiert auf die jüdischen Wurzeln des Christentums beriefen, um die Überlegenheit der eigenen Religion nachzuweisen, traf eine Abwertung des Judentums immer auch die Glaubensfundamente des Christentums. 66 Erneut bringt Gibbon hier den Judenexkurs von Tacitus ein, um den vermeintlichen Menschenhass der Juden bloßzustellen. Tacitus’ sehr negatives Urteil über die Juden, in dem ihnen aber zumindest eine auf das eigene Volk beschränkte Solidarität zugestanden wurde, verschärft Gibbon an dieser Stelle noch durch einen Verweis auf das Werk »Bellum Iudaicum« des antiken jüdischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus: »Surely Tacitus had seen the Jews with too favourable an eye. The perusal of Josephus must have destroyed the antithesis.« 67 Auf diese Weise wird der jüdische Menschenhass als absolut präsentiert, weil er sich nicht nur gegen Fremde, sondern auch gegen die eigenen Landsleute zu richten schien. Von der veranschaulichten skeptischen (und sehr anstößigen) Betrachtung des Alten Testaments aus dem Blickwinkel der Gnostiker distanziert Gibbon sich sofort wieder, indem er in den entsprechenden Ausführungen einen expliziten Verweis auf Mosheims orthodox geprägte Untersuchung des Gnostizismus in der »Allgemeinen Kirchengeschichte« unterbringt. »The milder Gnostics considered Jehovah, the Creator, as a Being of a mixed nature between God and the Dæmon. Others confounded him with the evil principle. Consult the second century of the general history of Mosheim, which gives a very distinct, though concise, account of their strange opinions on this subject.« 68 Schlägt man die fragliche Stelle in Mosheims Kirchengeschichte nach, findet sich dort nicht nur ein Überblick über die unterschiedlichen Varianten des gnostischen Gottesbildes. 69 Zusätzlich stuft Mosheim die Gnostiker in diesem Zusammenhang eindeutig als Häretiker ein und charakterisiert sie zudem als gefährliche Unruhestifter, die eine große Anzahl of humanity and justice. But when they recollected the sanguinary list of murders, of executions, and of massacres, which stain almost every page of the Jewish annals, they acknowledged that the barbarians of Palestine had exercised as much compassion towards their idolatrous enemies, as they had ever shewn to their friends or countrymen.« Beausobre bespricht in der »Histoire critique« folgende Einwände der Manichäer gegen das Alte Testament: Kritik am Gottesbild des Alten Testaments; Kritik an der dort präsentierten Moral; die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele ist nicht erwähnt; religiöser Kult und Zeremonien des Judentums erscheinen als Gott unwürdig; die Schöpfungsgeschichte und andere alttestamentarische Geschichten wirken absurd; das Auftreten von Jesus als Gottes Sohn lässt sich nicht auf Prophezeiungen des Alten Testaments zurückführen; Beausobre, Histoire critique, II, I, 3, Bd. 1, S. 270. 66 Sutcliffe (2003b), S. 110; Manuel, S. 177 ff. 67 DF, XV, Bd. 1, S. 456, Anm. 27; Tacitus, Historien 5, 5. 68 DF, XV, Bd. 1, S. 457, Anm. 29. 69 Mosheim, Ecclesiastical history, II, II, 5, Bd. 1, S. 108 ff.
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von Christen zu einer Annahme des eigenen Irrglaubens verführt hätten. 70 Eine derartige Einschätzung liegt natürlich weit entfernt von Gibbons Absichten. Nach Womersley fügte Gibbon die angesprochene Fußnote erst nachträglich für die zweite Auflage des ersten Bandes in den Text ein, als die ersten publizistischen Angriffe gegen ihn bereits erschienen waren. Diese Vorgehensweise unterstreicht die Annahme, dass der Verweis auf Mosheims »Kirchengeschichte« an dieser Stelle aus taktischen Motiven heraus erfolgte, um eine allzu enge Identifikation mit der gnostischen Position zu umgehen. 71 Nachdem Gibbon in der skizzierten Weise seinen kritischen Standpunkt etwas relativiert hat, nützt er erneut eine Idee aus Beausobres »Histoire critique« zu einem Seitenhieb gegen die Kirchenväter und ihre allegorische Auslegung des Alten Testaments. »The most learned of the fathers, by a very singular condescension, have imprudently admitted the sophistry of the Gnostics. Acknowledging that the literal sense is repugnant to every principle of faith as well as reason, they deem themselves secure and invulnerable behind the ample veil of allegory, which they carefully spread over every tender part of the Mosaic dispensation.« 72 Beausobre ironisierte an der entsprechenden Stelle eine allegorische Interpretation des Alten Testaments durch Kirchenväter wie Augustinus und Origenes, da sie die gnostische Kritik unabsichtlich stütze. 73 Während Gibbon die Einwände der Gnostiker gegen das Alte Testament bis zu diesem Punkt als durchaus stichhaltig präsentierte und ihr kritisches Potential zu einer Diffamierung der jüdischen Wurzeln des Christentums wie auch des Judentums an sich verwendete, verschiebt sich der Blickwinkel seiner Darlegung im Folgenden und hebt die unverständlichen esoterischen Aspekte der gnostischen Lehre hervor. Zwar zeichneten sich die Gnostiker (was sich auch in ihrem Namen spiegelt) nach Gibbon als derjenige Teil der Christen aus, der über das höchste Maß an Bildung und Wohlstand verfügte. 74 Die Lehre der Gnostiker stuft Gibbon 70
Mosheim, Ecclesiastical history, II, II, 5, Bd. 1, S. 108: »These obscure and unfrequented heretical assemblies [of the Ebionites] were very little detrimental to the Christian cause, which suffered much more from those sects [the Gnostics], whose leaders explained the doctrines of Christianity in a manner conformable to the dictates of the oriental philosophy concerning the origin of evil.« 71 Womersley (2002), S. 20 f. 72 DF, XV, Bd. 1, S. 457 mit Anm. 30 zu Beausobre. 73 Beausobre, Histoire critique, II, I, 4, Bd. 1, S. 283 ff.: »Il faut en convenir: ces aveux des Péres sont très-desavantageux à l’Ancien Testament. Des Hérétiques, qui n’étoient pas prévenus en faveur de la Révélation des Hébreux, savoient bien en profiter, & n’avoient pas assez de docilité pour soumettre leur Raison & leur Foi à des Explications allégoriques.« (Zitat S. 287). 74 DF, XV, Bd. 1, S. 457: »The Gnostics were distinguished as the most polite, the most learned, and the most wealthy of the Christian name, and that general appellation which expressed a superiority of knowledge, was either assumed by their own pride, or ironically bestowed by the envy of their adversaries.«
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gleichwohl als undurchsichtig und obskur ein, was wiederum kein gutes Licht auf das Christentum insgesamt wirft, da die Gnostiker ja als der Teil der Christen mit dem höchsten Bildungsniveau präsentiert wurden. »The Gnostics blended with the faith of Christ many sublime but obscure tenets, which they derived from oriental philosophy, and even from the religion of Zoroaster, concerning the eternity of matter, the existence of two principles, and the mysterious hierarchy of the invisible world.« 75 Seine eigene Position verortet Gibbon jetzt demonstrativ bei Mosheim: »In the account of the Gnostics of the second and third centuries, Mosheim is ingenious and candid; Le Clerc dull, but exact; Beausobre almost always an apologist; and it is much to be feared, that the primitive fathers are very frequently calumniators.« 76 Im Unterschied zu Beausobre, der die Sache der Gnostiker verteidigte, und den in umgekehrter Richtung befangenen frühen Kirchenvätern wird Mosheim hier als ein unparteilicher Gewährsmann charakterisiert. Gibbons Schilderung der psychologischen Verfassung der gnostischen Gläubigen evoziert Humes religionssoziologische Kategorie des Aberglaubens, wie das Christentum insgesamt zerfiel auch die Glaubensgemeinschaft der Gnostiker in zahlreiche Sekten. »As soon as they [the Gnostics] launched out into that vast abyss, they delivered themselves to the guidance of a disordered imagination; and as the paths of error are various and infinite, the Gnostics were imperceptibly divided into more than fifty particular sects [. . . ].« 77 Damit wird der Gnostizismus bei Gibbon zu einem Zerrbild der Kirche: Die gnostischen Sekten gründeten jeweils eigene Gemeinden mit Bischöfen, Gelehrten und Märtyrern; neben den vier kanonischen Evangelien entstanden viele gnostische Evangelien. 78 Herabsetzend für die Kirche liest sich auch der Umstand, dass sich der Gnostizismus ab Beginn des zweiten Jahrhunderts rasch und weit verbreitete (hier kann Gibbon sich auf Tertullian berufen 79), und dass er, so Gibbons Schlussfolgerung, eigentlich zum Erfolg des Christentums beitrug, weil vielen Heiden eine Konversion erleichtert 75
DF, XV, Bd. 1, S. 458. DF, XV, Bd. 1, S. 458, Anm. 32. 77 DF, XV, Bd. 1, S. 458; Hume, Of Superstition, S. 144 f. 78 DF, XV, Bd. 1, S. 458: »Each of these sects could boast of its bishops and congregations, of its doctors and martyrs, and, instead of the four gospels adopted by the church, the heretics produced a multitude of histories, in which the actions and discourses of Christ and of his apostles were adapted to their respective tenets.« 79 DF, XV, Bd. 1, S. 458 mit Anm. 36: »Faciunt favos et vespæ; faciunt ecclesias et Marcionitæ, is the strong expression of Tertullian, which I am obliged to quote from memory.« Die fragliche Stelle findet sich in Tertullians »Adversus Marcionem« und bezieht sich auf die Gemeinden der Markioniten, deren Ursprung sich nach Tertullian auf ein gefälschtes Evangelium gründete; Tertullian, Gegen Marcion 4, 5: »Auch die Wespen machen Honigwaben, auch die Marcioniten stiften Kirchengemeinden.« 76
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wurde. 80 Genüsslich zitiert Gibbon in einer Fußnote das Beispiel des vom Manichäismus zum Christentum konvertierten Kirchenvaters Augustinus und macht sich über dessen Glaubensentwicklung lustig: »Augustin is a memorable instance of this gradual progress from reason to faith. He was, during several years, engaged in the Manichæan sect.« 81 Als vorläufiges Fazit lässt sich festhalten, dass Gibbon zwar (in enger Anlehnung an Beausobres »Histoire critique«) die gnostischen Einwände gegen das Alte Testament vorträgt und diese Gelegenheit benützt, um die jüdische Tradition der Kirche und das Judentum insgesamt zu verunglimpfen. Lehre und Wirken der gnostischen Sekten begegnet er, anders als Beausobre, gleichwohl mit Skepsis, eine Distanzierung vom Blickwinkel der Gnostiker wird u.a durch den Rekurs auf Mosheim erreicht. Dahinter mögen sich zum Teil taktische Gründe verbergen, um von theologischen Kritikern nicht auf eine Position als »moderner Gnostiker« festgelegt werden zu können. Wichtiger scheint jedoch zu sein, dass sich für Gibbon die Gnostiker hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Wirkung und der Überzeugungskraft ihrer Lehre nicht vom Rest der Christen unterschieden. In diese Richtung weist auch die Pointe der im Vorigen untersuchten Textpassage über Judenchristen, Gnostiker und »orthodoxe« Christen. Mit Bezug auf ihr Verhältnis zu allen Andersgläubigen lassen sich nach Gibbon keine Unterschiede zwischen orthodoxen und häretischen Christen feststellen: »But whatever difference of opinion might subsist between the Orthodox, the Ebionites, and the Gnostics, concerning the divinity or the obligation of the Mosaic law, they were all equally animated by the same exclusive zeal, and by the same abhorrence for idolatry which had distinguished the Jews from the other nations of the ancient world.« 82 Auf diese Weise schließt sich auch der Bogen von Gibbons Erörterung des christlichen Glaubenseifers, der ersten »natürlichen« Ursache für die Ausbreitung des Christentums (vgl. Kapitel 2.2). Die religiöse Intoleranz der Christen wird als umfassend präsentiert, zwischen den verschiedenen christlichen Richtungen lassen sich in dieser Frage keine Unterschiede ausmachen. Eine wichtige Rolle spielen Judenchristen und Gnostiker bei Gibbon auch im Zusammenhang mit zwei großen dogmatischen Kontroversen des antiken Christentums, dem arianischen und dem christologischen Streit. Die Untersuchung 80
DF, XV, Bd. 1, S. 459: »Though they [the Gnostics] constantly disturbed the peace, and frequently disgraced the name, of religion, they contributed to assist rather than to retard the progress of Christianity. The Gentile converts, whose strongest objections and prejudices were directed against the law of Moses, could find admission into many Christian societies, which required not from their untutored mind any belief of an antecedent revelation. Their faith was insensibly fortified and enlarged, and the church was ultimately benefited by the conquests of its most inveterate enemies.« 81 DF, XV, Bd. 1, S. 459, Anm. 37. 82 DF, XV, Bd. 1, S. 459.
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der arianischen Kontroverse in Kapitel XXI leitet Gibbon mit einer Erörterung der gegensätzlichen Christologien von Judenchristen und Gnostikern ein. Mit dem ironischen Rekurs auf die Mängel der judenchristlichen Lehre aus Sicht der Kirche verbindet Gibbon hier eine erneute Anspielung auf die bereits diskutierte, theologisch sehr wichtige Unterscheidung zwischen den judenchristlichen Gruppen der Ebioniten und Nazaräer: »The faith of the Ebionites, perhaps of the Nazarenes, was gross and imperfect.« 83 Gibbon bezieht sich an dieser Stelle auf die von späteren Theologen unterschiedlich beurteilte Christologie der Ebioniten und Nazaräer. Obwohl in dem vorangegangenen Zitat zwischen eindeutig häretischen Ebioniten und von diesen abgegrenzten Nazaräern differenziert wird, werden bereits leise Zweifel an der Konformität der nazaräischen Lehre geweckt (»the faith of the Ebionites, perhaps of the Nazarenes«). Gibbons Zitierpraxis und der subtile Rückgriff auf Mosheims Erörterung des Judenchristentums in »De rebus Christianorum« verstärken den Eindruck, dass auch die Christologie der Nazaräer nicht dem orthodoxen Trinitätsbegriff entsprach. Im Fall der Ebioniten schließt sich Gibbon ohne Abstriche dem Standpunkt von Mosheim und Le Clerc an: »The sentiments of the Ebionites are fairly stated by Mosheim and Le Clerc. [. . . ]« 84 Mosheim beschrieb in »De rebus Christianorum«, wie veranschaulicht wurde, die Ebioniten im Unterschied zu den Nazaräern als eine Gruppe verwerflicher Häretiker, deren theologische Vorstellungen mit der offiziellen Lehre der Kirche unvereinbar waren und die deshalb auch unter den frühen Kirchenvätern als Häretiker galten. 85 Weitaus positiver fiel hingegen sein Urteil über die Gemeinschaft der Nazaräer aus: Sie seien von den antiken Autoren vor Epiphanius nicht zu den Häretikern gezählt worden, weil ihre (nicht bis ins letzte Detail geklärte) Lehre dem orthodoxen Trinitätsbegriff näher stünde, die Jungfrauengeburt und eine wie auch immer geartete göttliche Qualität Jesu nicht bestritten würden. 86 Mosheims orthodox geprägte Argumentation in dieser Frage zielt offensichtlich darauf ab, das Trinitätsdogma als zentralen Bestandteil der christlichen Theologie historisch in der Frühzeit des Christentums zu verankern und sich gegen Angriffe wie Tolands »Nazarenus« zu verteidigen, in dem Ebioniten und Nazaräer explizit gleich gesetzt und beide als Verkörperung einer natürlichen, von Priestern nicht korrumpierten Religion (im Unterschied zur späteren Kirche) reklamiert wurden. 87 Seine Zweifel an der Rechtgläubigkeit der nazaräischen Lehre spitzt Gibbon zu, indem er in einer zweiten Anmerkung, die sich auf die Nazaräer bezieht, Mosheims 83 84 85 86 87
DF, XXI, Bd. 1, S. 773 f. DF, XXI, Bd. 1, S. 773, Anm. 22. Mosheim, De rebus, II, 39 u. 40, Bd. 1, S. 400 ff. Mosheim, De rebus, II, 39 u. 40, Bd. 1, S. 400 ff. Reventlow (1997), S. 104 f.
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Position zusätzlich in Beziehung zu dem Urteil von George Bull als Vertreter eines ausgeprägten Anglokatholizismus setzt. »Staunch polemics, like Bull, insist on the orthodoxy of the Nazarenes; which appears less pure and certain in the eyes of Mosheim.« 88 George Bull (1634 – 1710), Bischof von St. Davids und patristischer Gelehrter, hatte besonders in seiner Schrift »Defensio Fidei Nicenae« von 1685 nachzuweisen versucht, dass das Trinitätsdogma historisch eine ungebrochene Kontinuität besitze und sich von der Zeit der Apostel an als Glaubensartikel der Kirche nachweisen lasse. 89 Im Kontrast zu Bulls Abhandlung (aber auch nur im Kontrast dazu) erscheint es als legitim, in Mosheims vergleichsweise ausgewogenen und undogmatischen Erörterungen eine Tendenz zur kritischen Betrachtung der nazaräischen Christologie festzustellen. Mit der geschilderten Strategie gelingt es Gibbon einerseits zu suggerieren, er würde sich bei der Bewertung der Ebioniten und Nazaräer hinter Mosheims Urteil stellen. Andererseits legen die Wahl seiner Formulierungen und die Kombination der verwendeten Referenzautoren den Schluss nahe, dass auch die christologischen Vorstellungen der Nazaräer mit Skepsis betrachtet werden müssen und diese von orthodoxen Autoren zu Unrecht als frühe Vertreter der Trinitätsdoktrin in Anspruch genommen wurden. Die theologische Gegenposition zu den Judenchristen, die in Jesus einen Mensch ohne göttliche Attribute sahen, vertraten die (von Gibbon in diesem Zusammenhang als »Doketen« bezeichneten) gnostischen Sekten. »The Gnostics, who were distinguished by the epithet of Docetes, deviated into the contrary extreme; and betrayed the human, while they asserted the divine, nature of Christ.« 90 Gibbons Gegenüberstellung von Ebioniten und Doketen wie auch die Wahl der Terminologie erinnern deutlich an Beausobres »Histoire Critique«, Beausobre unterschied dort die von ihm untersuchten »Doketen« von einer Sekte der »Ebioniten«. 91 Die Ursprünge des Doketismus sieht Gibbon, Beausobre vergleichbar, in einer Rezeption platonischen Gedankenguts, insbesondere der platonischen 88
DF, XXI, Bd. 1, S. 774, Anm. 23. Friedrich Wilhelm Bautz: »Bull, George« Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 1 (1990); Bennett, S. 75 f.; Womersley (2002), S. 124. Bull wandte sich mit seinem Werk »Defensio Fidei Nicenae« gegen den Jesuiten Petavius, der von einer historischen Entwicklung der Trinitätsdoktrin ausging. 90 DF, XXI, Bd. 1, S. 774. Im modernen Sinn meint Doketismus alle Christologien, nach denen Jesus nur scheinbar ein Mensch war oder ihm kein volles Menschsein und die Erfahrung menschlichen Leidens zukamen. Der Begriff »Doketen« findet sich aber bereits bei antiken Autoren wie Theodoretos von Kyros als Bezeichnung für bestimmte häretische Gruppen; Theresia Hainthaler: »Doketismus«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 3 (1995). 91 Beausobre, Histoire critique, II, II, 4, Bd. 1, S. 377: »Après la Secte des simples Judaïzans, c’est-à-dire, de ces Chrétiens, qui, sortis de la Synagogue, maintenoient la nécessité de garder les Cérémonies de la Loi, il n’y en a point de plus ancienne, que les Sectes opposés des EBIONITES & des DOCÉTES.« 89
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Idee des »logos«. 92 Explizit aus der »Histoire critique« übernimmt Gibbon eine Spitze gegen die Kirche, die auf die unterschiedlichen theologischen Fronten der arianischen Kontroverse anspielt und den identischen (platonischen) Ursprung von orthodoxer und gnostischer Trinitätslehre deutlich macht. 93 Obwohl Gibbon in diesem Zusammenhang häufiger auf Beausobres Werk rekurriert, wendet er dessen prognostische Argumentation doch in eine andere Richtung, immer wieder wird bei ihm Skepsis gegenüber der gnostischen Lehre laut. Während für die auf das Menschliche gerichtete Christologie der Judenchristen ein gewisses Verständnis anklang, mokiert sich Gibbon über die platonisch inspirierte Erklärung der Doketen für Jesu Menschwerdung, Kreuzigung und Auferstehung. Seinen besonderen Spott erregt das Entsetzen der Doketen angesichts der Vorstellung, dass Jesus auf »natürlichem« Weg geboren worden sein könnte. »While the blood of Christ yet smoked on Mount Calvary, the Docetes invented the impious and extravagant hypothesis, that, instead of issuing from the womb of the Virgin, he had descended on the banks of the Jordan in the form of perfect manhood; that he had imposed on the senses of his enemies, and of his disciples; and that the ministers of Pilate had wasted their impotent rage on an airy phantom, who seemed to expire on the cross, and, after three days, to rise from the dead.« 94 Verschärft wird diese Kritik in einer Anmerkung, in der Gibbon (wiederum im Anschluss an Beausobre) die Empörung der Manichäer über Kirchenväter wie Augustinus und ihre Auslegung der Jungfrauengeburt illustriert. 95 Anders als in den eingangs besprochenen häresiegeschichtlichen Teststellen aus Kapitel XV fällt die Betrachtung von Judenchristen und Doketen in dieser allerdings relativ kurzen Passage aus Kapitel XXI weniger polemisch zugespitzt aus. 96 Noch stärker zum Tragen kommen sachliche Einzelheiten und ideengeschichtliche Zusammenhänge in Kapitel XLVII, das u. a. den christologischen Streit, also die theologischen Kontroversen um das christliche Inkarnationsdogma und das richtige Verständnis von Jesu Natur im vierten und fünften Jahrhundert,
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DF, XXI, Bd. 1, S. 774; Beausobre, Histoire critique, II, II, 4, Bd. 1, S. 379. DF, XXI, Bd. 1, S. 774, Anm. 26: »The Arians reproached the orthodox party with borrowing their Trinity from the Valentinians and Marcionites.«; Beausobre, Histoire critique, II, III, 7, Bd. 1, S. 544. 94 DF, XXI, Bd. 1, S. 774 f. 95 DF, XXI, Bd. 1, S. 774, Anm. 27: »The Gnostics asserted the impurity of matter, and of marriage; and they were scandalized by the gross interpretations of the fathers, and even of Augustin himself.«; Beausobre, Histoire critique, VIII, 1, Bd. 2, S. 523 ff. 96 Zur inneren Entwicklung von Gibbons Werk vgl. besonders Womersley (1988a), S. 4 ff. u. 44 ff.; zum Stellenwert von Kapitel XV und XVI innerhalb des Gesamtwerks vgl. auch Pocock (2000a), S. 66 ff.; ders. (2009), S. 215 f. 93
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thematisiert und in dem Gibbon zu Beginn auf mehrere christologische Modelle, darunter auch diejenigen der Judenchristen und Doketen, eingeht. 97 Interessant ist in diesem Kontext Gibbons Nachweis der verwendeten Quellen, der gleichzeitig die eigene Abhängigkeit von den gelehrten kirchenhistorischen Arbeiten des 17. und 18. Jahrhunderts offen eingesteht. In einer umfangreichen Fußnote findet sich ein geraffter Überblick über die für dieses Thema relevanten zeitgenössischen Autoren (Petavius, Le Clerc, Beausobre, Mosheim) mit einer Einschätzung ihrer Stärken und Schwächen. 98 Über den lutheranischen Kirchenhistoriker Mosheim äußert Gibbon hier beispielsweise: »Less profound than Petavius, less independent than Le Clerc, less ingenious than Beausobre, the historian Mosheim is full, rational, correct, and moderate.« 99 Auch in diesem Kontext kritisiert Gibbon, dass die Judenchristen von späteren Theologen zu Unrecht als »rechtgläubig« vereinnahmt wurden und die Überlieferungslage für diese religiösen Gruppen sehr dürftig sei. 100 Aufgrund ihrer jüdischen Prägung waren die Judenchristen nach Gibbon nicht in der Lage, in Jesus mehr als einen Propheten und den erwarteten Messias zu sehen. 101 Anders als in Kapitel XV beschäftigt sich Gibbon hier mit Details der judenchristlichen Lehre und geht beispielsweise ausführlich auf zwei unterschiedliche Varianten 97
DF, XLVII, Bd. 2, S. 933 ff. Zum christologischen Streit vgl. Arno Schilson: »Christologie II. Zur Geschichte der Ch.«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 2 (1994); Wilhelm Breuning: »Chalkedon 2) Das Konzil v. Chalkedon«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 2 (1994). Eine Einigung in der Kontroverse um das christliche Inkarnationsdogma wurde auf dem 4. Ökumenischen Konzil von Chalkedon (451) erreicht. Nach der dort formulierten Lehrformel kamen Jesus zwei Naturen (eine göttliche und eine menschliche) zu, er wurde als vollkommener Gott und vollkommener Mensch verstanden. 98 DF, XLVII, Bd. 2, S. 932, Anm. 1: »By what means shall I authenticate this previous enquiry, which I have studied to circumscribe and compress? – If I persist in supporting each fact or reflection by its proper and special evidence, every line would demand a string of testimonies, and every note would swell to a critical dissertation. But the numberless passages of antiquity which I have seen with my own eyes, are compiled, digested, and illustrated, by Petavius and Le Clerc, by Beausobre and Mosheim. I shall be content to fortify my narrative by the names and characters of these respectable guides; and in the contemplation of a minute or remote object, I am not ashamed to borrow the aid of the strongest glasses [. . . ].« 99 DF, XLVII, Bd. 2, S. 933, Anm. 1. 100 DF, XLVII, Bd. 2, S. 933: »A laudable regard for the honour of the first proselytes, has countenanced the belief, the hope, the wish, that the Ebionites, or at least the Nazarenes, were distinguished only by their obstinate perseverance in the practice of the Mosaic rites. [. . . ] Yet the most charitable criticism must refuse these sectaries any knowledge of the pure and proper divinity of Christ.« 101 DF, XLVII, Bd. 2, S. 933: »Educated in the school of Jewish prophecy and prejudice, they had never been taught to elevate their hopes above an human and temporal Messiah. If they had courage to hail their king when he appeared in a plebeian garb, their grosser apprehensions were incapable of discerning their God, who had studiously disguised his cælestial character under the name and person of a mortal.«
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des judenchristlichen Jesus-Bildes ein. 102 Zusätzlich wird die Überlieferungslage diskutiert und auf ein von den Nazaräern verwendetes Evangelium verwiesen, eine ursprüngliche, nicht mehr erhaltene Fassung des Matthäus-Evangeliums in hebräischer Sprache. 103 Ironische Formulierungen und spöttische Einschübe fehlen gleichwohl nicht: So diskreditiert Gibbon an einer Stelle das Judentum mit einer Anspielung auf den jüdischen Aberglauben, mit der zugleich auch die (vorgeblich weniger eindrucksvollen) Wunder des Neuen Testaments abgewertet werden. »The miracles of the gospel could not astonish a people who held, with intrepid faith, the more splendid prodigies of the Mosaic law. The prophets of ancient days had cured diseases, raised the dead, divided the sea, stopped the sun, and ascended to heaven in a fiery chariot.« 104 Durch die Begriffswahl »miracles« und »prodigies« deutet sich auch auf sprachlicher Ebene die Unglaubwürdigkeit dieser Wunder an. 105 An einer anderen Stelle stellt Gibbon, bezogen auf eine Ausprägung der judenchristlichen Christologie, Spekulationen darüber an, wie Jesu Menschwerdung vor sich gegangen sein könnte und macht sich dabei über die von der Historiographie abweichende Erkenntnisform der Theologen lustig. »The natural suspicions of the husband [Joseph], conscious of his own chastity, were dispelled by the assurance (in a dream) that his wife was pregnant of the Holy Ghost: and as this distant and domestic prodigy could not fall under the personal observation of the historian, he must have listened to the same voice which dictated to Isaiah the future conception of a virgin.« 106 Als konträre Position zu den Judenchristen folgt im Text eine Diskussion der doketistischen Christologie: »The seeds of the faith, which had slowly arisen in the rocky and ungrateful soil of Judea, were transplanted, in full maturity, to the happier climes of the Gentiles; and the strangers of Rome or Asia, who never beheld the manhood, were the more readily disposed to embrace the divinity, of Christ.« 107 Wenn Gibbon die platonischen Wurzeln der doketistischen Christologie aufzeigt, die den Begriff des »logos« auf Jesus übertrug und zudem stark antimaterialistisch geprägt war (nach einer in der Antike verbreiteten Idee wurde die Materie als nicht von Gott geschaffen und prinzipiell verdorben angesehen), erinnert seine Darstellung erneut an Beausobre. 108 Kritische Distanz zum 102
DF, XLVII, Bd. 2, S. 934. DF, XLVII, Bd. 2, S. 934 f. mit Anm. 4 u. 5. 104 DF, XLVII, Bd. 2, S. 934. 105 Zu Gibbons wechselnder Terminologie für Wunder vgl. Nippel (2003), S. 52. 106 DF, XLVII, Bd. 2, S. 934 f. Gibbon spielt hier auf Matthäus 1, 23 (mit dem Zitat aus Jesaja 7, 14) an. 107 DF, XLVII, Bd. 2, S. 936. 108 DF, XLVII, Bd. 2, S. 936: »But the prevailing doctrine of the eternity and inherent pravity of matter, infected the primitive churches of the East. Many among the Gentile proselytes, 103
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Gedankengut der Doketen klingt auch hier durch: »While his [Christ’s] blood was still recent on mount Calvary, the Docetes, a numerous and learned sect of Asiatics, invented the phantastic system, which was afterwards propagated by the Marcionites, the Manichæans, and the various names of the Gnostic heresy.« 109 Bei der Paraphrasierung der doketistischen Vorstellung, Jesu Leben, Kreuzigung und Auferstehung hätten nur dem Schein nach stattgefunden und auf einer göttlichen Täuschung beruht, evozieren Gibbons Formulierungen eine Theateraufführung. »[Jesus] first appeared on the banks of the Jordan in the form of perfect manhood; but it was a form only, and not a substance; an human figure created by the hand of Omnipotence to imitate the faculties and actions of a man, and to impose a perpetual illusion on the senses of his friends and enemies. [. . . ] The rage of the Jews was idly wasted against an impassive phantom; and the mystic scenes of the passion and death, the resurrection and ascension of Christ, were represented on the theatre of Jerusalem for the benefit of mankind.« 110 Diese Gelegenheit lässt Gibbon sich nicht entgehen, um auch die Wahrheitsliebe der orthodoxen Christen zu unterminieren. »If it were urged, that such ideal mimicry, such incessant deception, was unworthy of the God of truth, the Docetes agreed with too many of their orthodox brethren in the justification of pious falsehood.« 111 Zusammenfassend lässt sich Gibbons Vorgehensweise in den zuletzt betrachteten Passagen über Judenchristen und Gnostiker / Doketen (Kapitel XXI und XLVII) als eine Kombination aus ernster wissenschaftlicher Auseinandersetzung und einzelnen despektierlichen Einwürfen und Anspielungen kennzeichnen. Eine häufig sehr detaillierte Erörterung theologischer, ideengeschichtlicher und überlieferungsgeschichtlicher Fragen mischt sich mit Spitzen gegen das Judentum oder die platonisch geprägte Christologie der Doketen.
refused to believe that a cælestial spirit, an undivided portion of the first essence, had been personally united with a mass of impure and contaminated flesh: and, in their zeal for the divinity, they piously abjured the humanity, of Christ.«; Beausobre, Histoire critique, II, II, 4, Bd. 1, S. 379. Zum ideengeschichtlichen Hintergrund vgl. Pocock (2010), S. 144 ff. 109 DF, XLVII, Bd. 2, S. 936. Gibbon geht hier offensichtlich von einer ursprünglichen Sekte der »Doketen« aus, die ihre christologischen Ideen an verschiedene gnostische Gruppierungen (darunter auch die Manichäer) weiter gab. 110 DF, XLVII, Bd. 2, S. 936 f. Zu Gibbons sprachlicher Gestaltung vgl. Martine W. Brownley: The Theatrical World of the »Decline and Fall«, Papers on Language & Literature 15 (1979), 263 – 277, hier S. 265 f. 111 DF, XLVII, Bd. 2, S. 937.
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6.2 Arianischer Streit und Arianismus Die arianische Kontroverse, die sich um das richtige Verständnis der christlichen Trinität drehte, erschütterte die Kirche des vierten Jahrhunderts und hatte auch erhebliche Auswirkungen auf den inneren Zusammenhalt des Römischen Reichs. 112 In England hatte eine Beschäftigung mit dem arianischen Streit im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts starke zeitgenössische Implikationen: Das Trinitätsdogma, das im ersten der »39 Artikel« der anglikanischen Kirchenverfassung von 1563 behandelt wird, bildet einen zentralen Glaubensartikel der anglikanischen Kirche und ist für ihr Selbstverständnis, auch in Abgrenzung zu verschiedenen Formen antitrinitarischen Dissents, wesentlich. 113 Während zu Beginn des 18. Jahrhunderts der Arianismus mit Vertretern wie William Whiston oder Samuel Clarke größeren Zulauf hatte, gewann seit dem Regierungsantritt Georgs III. (1760), der eine Schwächung der häufig mit arianischen Ideen sympathisierenden Latitudinarier bedeutete, der in seiner Lehre noch radikalere Unitarismus an Einfluss. 114 Häufig verband sich die Kritik an der Trinitätsdoktrin mit einer skeptischen Haltung gegenüber der Autorität und moralischen Integrität der Kirchenväter, was antitrinitarische Dissenter in den Augen orthodoxer Theologen als besonders gefährlich erscheinen ließ. 115 Die Erleichterungen des »Toleration Act« von 1689 galten so ausdrücklich nicht für antitrinitarische Dissenter; der »Blasphemy Act« (1697) sah strafrechtliche Maßnahmen bei einer Leugnung der Trinitätsdoktrin vor, die jedoch nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kamen. 116 Fast zeitgleich mit der Abfassung des zweiten Bandes von »The Decline and Fall« gab es in den 1770er-Jahren mehrere vergebliche Petitionen,
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Rowan D. Williams: »Arius, Arianismus«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 1 (1993); Hans Christof Brennecke: »Arius / Arianismus«, Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Bd. 1 (1998). Der alexandrinische Presbyter Arius und andere wandten sich ab etwa 321 gegen ein von platonischen Ideen beeinflusstes Jesus-Bild und lösten eine reichsweite und langandauernde Kontroverse aus. Auf dem Konzil von Nizäa (325) wurde unter dem Vorsitz Konstantins I. die Wesensgleichheit (»Homoousie«) von Sohn und Vater als Glaubensformel festgelegt. 113 Womersley (2002), S. 117 f. mit Anm. 64 (dort ist der entsprechende Artikel der anglikanischen Kirchenverfassung abgedruckt). 114 Maurice Wiles: Archetypal Heresy. Arianism through the Centuries, Oxford 1996, S. 130 u. 156 f.; Ditchfield (1991), S. 44 ff. Der Unitarismus vertrat im Vergleich zum Arianismus eine noch stärker von orthodoxen Vorstellungen abweichende Christologie, Jesus wurde ausschließlich als Mensch ohne übermenschliche Attribute verstanden. 115 Womersley (2002), S. 118 f. 116 Ditchfield (1991), S: 40 f.; Nippel (2013a), S. 87 f.
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die eine Abschaffung der Verpflichtung aller anglikanischen Geistlichen auf die »39 Artikel« zum Ziel hatten. 117 Wie Gibbon als Historiker die arianische Kontroverse darstellte, stieß vor dem Hintergrund der geschilderten zeitgenössischen Debatten deshalb auf großes öffentliches Interesse, zumal Gibbon nach der Kontroverse um seine Darstellung des Christentums in Kapitel XV und XVI ein Ruf als Feind der Kirche vorauseilte. 118 Die Wurzeln der christlichen Trinitätsdoktrin und der damit verbundenen Streitigkeiten lokalisiert Gibbon zu Beginn von Kapitel XXI in der Rezeption (neu-)platonischer Ideen durch das Christentum und knüpft damit an eine unter antitrinitarischen Autoren verbreitete Vorstellung an. 119 Indem Gibbon den arianischen Streit in Analogie zu dem etwa zeitgleich stattfindenden Schisma der Donatisten in Nordafrika 120 setzt, tritt das Konfliktpotential der arianischen Kontroverse zu Tage, denn im Vergleich mit den zeitlich und räumlich eingegrenzten Unruhen in Nordafrika erscheint der Kirchenstreit um die Trinität als weitaus folgenreicher. »The schism of the Donatists was confined to Africa: the more diffusive mischief of the Trinitarian controversy successively penetrated into every part of the Christian world. The former was an accidental quarrel, occasioned by the abuse of freedom; the latter was a high and mysterious argument, derived from the abuse of philosophy.« 121 Sprachlich kontrastieren in diesem Zitat der Aufstand der Donatisten gegen die römische Kirche (»abuse of freedom«) und die als viel gefährlicher gewertete Korruption des Christentums durch die Aufnahme neuplatonischen Gedankenguts (»abuse of philosophy«). Wenn Gibbon dann die Aufgabe des Historikers bei der Untersuchung dieser Kontroverse umreißt, suggerieren seine Formulierungen eine Kontinuität zwischen den christlichen Lehrstreitigkeiten und dem Niedergang des Römischen Reiches. »The historian may therefore be permitted respectfully to withdraw the veil of the sanctuary; and
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G. M. Ditchfield: The Subscription Issue in British Parliamentary Politics, 1772 – 1791, Parliamentary History 7 (1988), 45 – 80, hier S. 48 ff.; Young (1998b), S. 56 ff. 118 Vgl. dazu besonders Womersley (2002), S. 105 ff. 119 DF, XXI, Bd. 1, S. 770 ff. Vgl. Womersley (2002), S. 128 f. u. 132 f.; Pocock (2002), S. 215 f. 120 In der Folge der Christenverfolgungen und des »Ketzertaufstreits« um die Gültigkeit der von Häretikern bzw. »Lapsi« oder »Traditores« gespendeten Sakramente kam es nach der diokletianischen Verfolgung zu einer Abspaltung der rigoristisch eingestellten nordafrikanischen Kirche von Rom. Die nordafrikanischen Donatisten wurden durch Konstantin I. und seine Nachfolger bedrängt, der Donatismus versiegte unter Kaiser Honorius Anfang des fünften Jahrhunderts; Theofried Baumeister: »Donatismus, Donatisten«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 3 (1995). 121 DF, XXI, Bd. 1, S. 770. Auf das Schisma der Donatisten kommt Gibbon am Ende des Kapitels zurück, wenn er auf die Circumcellionen eingeht, eine fanatisierte gewaltbereite Untergruppe der Donatisten.
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to deduce the progress of reason and faith, of error and passion, from the school of Plato to the decline and fall of the empire.« 122 Vergleichsweise ausführlich verfolgt Gibbon die Rezeptionsgeschichte der platonischen Metaphysik mit dem zentralen Begriff des »logos«, der nach seiner Rezeption durch hellenistische jüdische Philosophen wie Philon von Alexandria schließlich Eingang in das Johannes-Evangelium fand. »The eloquence of Plato, the name of Solomon, the authority of the school of Alexandria, and the consent of the Jews and Greeks, were insufficient to establish the truth of a mysterious doctrine, which might please, but could not satisfy, a rational mind. A prophet, or apostle, inspired by the Deity, can alone exercise a lawful dominion over the faith of mankind; and the theology of Plato might have been for ever confounded with the philosophical visions of the Academy, The Porch, and the Lycæum, if the name and divine attributes of the Logos had not been confirmed by the celestial pen of the last and most sublime of the Evangelists,« 123 schreibt Gibbon in einer ironischen Anspielung auf die hohe Autorität des Evangelisten Johannes. Aus Beausobres »Histoire Critique« kann Gibbon den für die Kirche kompromittierenden Hinweis übernehmen, dass nach Meinung des Kirchenvaters Hieronymus der Verfasser des Johannes-Evangeliums mit der Rezeption von Platons Ideen zwei frühchristliche Häresien, die bereits diskutierten Gruppen der Ebioniten / Nazaräer und Gnostiker bzw. Doketen, bekämpfen wollte, sich die Übernahme dieses Konzepts also der Konkurrenz zwischen verschiedenen christlichen Gruppierungen (und weniger einer göttlichen Inspiration) verdankte. 124 Wiederholt spielt Gibbon in Kapitel XXI auf den spekulativen und unbegreiflichen Charakter der christlichen Trinitätsdoktrin an. Er bezeichnet sie als »a high and mysterious argument« 125, »the mysterious system« 126 oder »the abstruse question of the eternity of the Logos« 127. Der auf Platon zurückgehende Begriff des »logos« konnte von verschiedenen christlichen Parteien herangezogen werden, um ihre jeweiligen Trinitätslehren zu untermauern, stellt Gibbon fest und macht so 122
DF, XXI, Bd. 1, S. 770 f. Zu Gibbons komplexer Analyse der Gründe für den Niedergang des Römischen Reiches insgesamt vgl. beispielsweise Clifford Ando: Narrating Decline and Fall, in: Philip Rousseau u. a. (Hgg.), A Companion to Late Antiquity, Malden, MA u. a. 2009, 59 – 76, hier S. 62 ff. 123 DF, XXI, Bd. 1, S. 773. 124 DF, XXI, Bd. 1, S. 773: »Besides the general design of fixing on a perpetual basis the divine honours of Christ, the most ancient and respectable of the ecclesiastical writers have ascribed to the evangelic theologian, a particular intention to confute two opposite heresies, which disturbed the peace of the primitive church.«; Beausobre, Histoire critique, II, II, 4, Bd. 1, S. 377. 125 DF, XXI, Bd. 1, S. 770. 126 DF, XXI, Bd. 1, S. 776. 127 DF, XXI, Bd. 1, S. 779.
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wieder einmal den gemeinsamen Ursprung aller Trinitätsideen deutlich. 128 In methodischer Hinsicht kombiniert Gibbon an dieser Stelle mehrere Autoren mit unterschiedlichen theologischen Standpunkten (u. a. Beausobre und Mosheim), um die Rezeption platonischen Gedankenguts durch gnostische Sekten zu erhellen. »Beausobre has deduced the Gnostic errors from Platonic principles; and as, in the school of Alexandria, those principles were blended with the Oriental philosophy, the sentiment of Beausobre may be reconciled with the opinion of Mosheim.« 129 In seinem Bemühen, die theologischen Irrtümer der Manichäer / Gnostiker aus ihrem begrenzten historischen Wissensstand zu erklären, führte Beausobre in seiner »Histoire critique« die gnostische Lehre u. a. auf eine Rezeption platonischer Ideen zurück. 130 Mosheim hingegen hatte in seiner »Allgemeinen Kirchengeschichte« das Eindringen einer sog. »orientalischen« Philosophie in die christliche Theologie dafür verantwortlich gemacht, dass die gnostischen Häresien entstehen konnten und das Christentum in zahlreiche einander bekämpfende Sekten zerfiel. Dabei unterschied er streng zwischen der als schädlich gewerteten »orientalischen« Philosophie und einer Philosophie in der Tradition Platons, die von den Kirchenvätern irrtümlich für die Entstehung des Gnostizismus verantwortlich gemacht wurde. 131 Gibbon gelingt es in seiner Darlegung, die gegenläufigen Werturteile Mosheims und Beausobres in einen Argumentationsrahmen einzubinden, ohne sich einem dieser Standpunkte direkt anzuschließen. Sein weiter gefasstes Argument über den dubiosen platonischen Ursprung aller Versionen der Trinitätslehre
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DF, XXI, Bd. 1, S. 775: »The respectable name of Plato was used by the orthodox, and abused by the heretics, as the common support of truth and error: the authority of his skilful commentators, and the science of dialectics, were employed to justify the remote consequences of his opinions; and to supply the discreet silence of the inspired writers.« 129 DF, XXI, Bd. 1, S. 775, Anm. 30. Aus Tertullians Schrift »Über die Seele« kann Gibbon das folgende Zitat entnehmen: »Ich bedaure, dass Plato, ohne es zu ahnen, zum Spezereikrämer für sämtliche Häretiker geworden ist.«; Tertullian, Über die Seele 23. Gibbon verweist in dieser Anmerkung zusätzlich auf Petavius und Johann Jakob Brucker. 130 Beausobre, Histoire critique, II, III, 9 u. 10, Bd. 1, S. 569 ff. Vgl. Pocock (2010), S. 155. 131 Mosheim, Ecclesiastical history, I, II, 1, Bd. 1, S. 37: »But of all the different systems of philosophy that were received in Asia and Africa about the time of our Saviour, none was so detrimental to the Christian religion, as that which was styled gnosis [. . . ] and which we have above called the oriental doctrine, in order to distinguish it from the Grecian philosophy, It was from the bosom of this pretended oriental wisdom, that the chiefs of those sects, which in the three first centuries perplexed and afflicted the Christian church, originally issued forth. [. . . ] The ancient doctors, both Greek and Latin, who opposed these sects, considered them as so many branches that derived their origin from the platonic philosophy. But this was pure illusion: an apparent resemblance between certain opinions of PLATO, and some of the tenets of the eastern schools, deceived these good men, who had no knowledge but of the Grecian philosophy, and were absolutely ignorant of the oriental doctrines.« Vgl. Pocock (2010), S. 182 u. 203 ff.; Mulsow (1997), S. 78 ff.
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diskreditiert vielmehr sowohl die Anhänger der gnostischen Sekten als auch die Kirche. 132 Kurz darauf führt Gibbon das Zeugnis des von ihm geschätzten Kirchenvaters Athanasius an, der den unverständlichen Charakter der Trinitätsidee eingestanden hatte. 133 Auch die unklaren Aussagen der frühen Kirchenväter vor dem Konzil von Nizäa über die Natur der christlichen Trinität, deren Schriften später sowohl von orthodoxer als auch von häretischer Seite zur Stützung der eigenen Position herangezogen wurden, unterstreichen die Fragwürdigkeit der Trinitätsdoktrin, was Gibbon unter Berufung auf eine Reihe von zeitgenössischen Gelehrten wie Jean Daillé und Le Clerc vorträgt. 134 Zwei prinzipielle Unterschiede zwischen Philosophie und Theologie verursachen nach Gibbon das Bedrohungspotential einer philosophisch beeinflussten Religion wie dem Christentum und die gesellschaftsschädigende Wirkung theologischer Kontroversen: Der religiöse Eifer der Gläubigen und die absolute Lehrautorität der Kirche. Während sich die Philosophen als Randgruppe der Gesellschaft weitgehend unbeachtet und leidenschaftslos ihren Spekulationen widmeten, seien die philosophisch geprägten theologischen Streitigkeiten mit erbittertem Eifer ausgetragen worden und hätten breite Schichten der christlichen Bevölkerung erfasst. Entfernt klingen in dieser Erklärung auch Überlegungen aus Humes »Natural History« an, in der die negativen Konsequenzen einer Verquickung von Religion und Philosophie in monotheistischen Religionen analysiert 132
Zur methodischen Vorgehensweise Gibbons vgl. auch Vindication, DF, Bd. 3, S. 1151. DF, XXI, Bd. 1, S. 775 f.: »But the most sagacious of the Christian theologians, the great Athanasius himself, has candidly confessed, that whenever he forced his understanding to meditate on the divinity of the Logos, his toilsome and unavailing efforts recoiled on themselves; that the more he thought, the less he comprehended; and the more he wrote, the less capable was he of expressing his thoughts. In every step of the enquiry, we are compelled to feel and acknowledge the immeasurable disproportion between the size of the object and the capacity of the human mind.« Gibbons Zitate aus den Werken von Athanasius konnten leider nicht verifiziert werden, da Gibbon in diesem Fall nur auf die Seitenzahlen der von ihm verwendeten Gesamtausgabe (Paris 1627, Nachdruck Köln 1686) verweist und diese Ausgabe nicht zugänglich war. Zu Gibbons Quellenbasis vgl. Timothy D. Barnes: Derivative Scholarship and Historical Imagination: Edward Gibbon on Athanasius, in: Corolla Torontonensis: Studies in Honour of Ronald Morton Smith, hg. von Emmet Robbins / Stella Sandahl, Toronto 1994, 13 – 28, hier S. 20 ff. 134 DF, XXI, Bd. 1, S. 777 f.: »The suspense and fluctuation produced in the minds of the Christians by these opposite tendencies, may be observed in the writings of the theologians who flourished after the end of the apostolic age, and before the origin of the Arian controversy. Their suffrage is claimed, with equal confidence, by the orthodox and by the heretical parties; and the most inquisitive critics have fairly allowed, that if they had the good fortune of possessing the Catholic verity, they have delivered their conceptions in loose, inaccurate, and sometimes contradictory language.« In der korrespondierenden Fußnote (Anm. 39) führt Gibbon u. a. Daillé und Le Clerc an. 133
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wurden: »A theology, which it was incumbent to believe, which it was impious to doubt, and which it might be dangerous, and even fatal, to mistake, became the familiar topic of private meditation and popular discourse. The cold indifference of philosophy was inflamed by the fervent spirit of devotion [. . . ].« 135 Mithilfe eines Zitats aus Tertullians »Apologie«, in dem der Kirchenvater die Gelehrsamkeit der christlichen Gläubigen rühmte, wird im gleichen Zusammenhang wieder einmal die Unverständlichkeit der diskutierten theologischen Fragen ironisiert. 136 Zudem verfügte die Kirche nach Gibbon über eine absolute Lehrautorität, konnte für alle Gläubigen verbindliche Dogmen und Glaubensbekenntnisse festlegen und diese kraft ihrer hierarchischen Organisation und Disziplinierungsmittel notfalls mit Gewalt durchsetzen. 137 Die Besprechung des Konzils von Nizäa und der dort agierenden Glaubensparteien stellt dann die Instabilität theologischer Überzeugungen bloß, die vorrangig Ausdruck machtpolitischer Kämpfe waren und der Abgrenzung von anderen christlichen Gruppen dienten. »[. . . ] the tide of theological opinion began to flow with a gentle but steady motion toward the contrary extreme; and the most orthodox doctors allowed themselves the use of the terms and definitions which had been censured in the mouth of the sectaries.« 138 Eine ausführliche Diskussion von drei möglichen Konzeptionen der Trinität (Arianismus, Tritheismus, Sabellianismus) offenbart Gibbons ausgeprägtes Interesse für theologische Debatten, endet jedoch auch mit der Schlussfolgerung, dass derartige Spekulationen letztlich ins Leere führten. »Thus, after revolving round the theological circle, we are surprised to find that the Sabellian ends where the Ebionite 135
DF, XXI, Bd. 1, S. 776 f. (Zitat S. 777); Hume, Natural History, XI u. XII, S. 341 u. 348 ff. Hume machte die Übernahme philosophischer Grundsätze für die gefährliche dogmatische Zuspitzung monotheistischer Religionen verantwortlich, weil diese dadurch, im Unterschied zu polytheistischen Glaubenssystemen, den Wahrheitsanspruch eines philosophischen Systems beanspruchten. 136 DF, XXI, Bd. 1, S. 776 f.; Tertullian, Apologetikum 46: »Jeder beliebige christliche Handwerker aber hat Gott bereits gefunden, tut ihn kund und besiegelt in der Folge alles, was man in Bezug auf Gott fragen kann, durch die Tat, während Plato behauptet, daß man den Werkmeister des Weltalls nicht leicht finden und, wenn man ihn gefunden habe, nur schwer allen verkünden könne.« In Anmerkung 34 rekurriert Gibbon neben Tertullian zusätzlich auf Bayles »Dictionnaire«. 137 DF, XXI, Bd. 1, S. 778: »But the Christians formed a numerous and disciplined society; and the jurisdiction of their laws and magistrates was strictly exercised over the minds of the faithful. The loose wanderings of the imagination were gradually confined by creeds and confessions; the freedom of private judgment submitted to the public wisdom of synods; the authority of a theologian was determined by his ecclesiastical rank; and the episcopal successors of the apostles inflicted the censures of the church on those who deviated from the orthodox belief.« 138 DF, XXI, Bd. 1, S. 779.
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had begun; and that the incomprehensible mystery which excites our adoration, eludes our enquiry.« 139 In vergleichbarer Weise erfüllte der in Nizäa festgelegte Begriff des »Homoousion« (Wesensgleichheit) nach Gibbon zwar den Zweck, die auch in sich nicht einigen Fraktionen der »orthodoxen« Christen zusammenzuschließen, erscheint aber letztendlich als eine leere Bezeichnung ohne inhaltliche Bedeutung. »The authority of a general council, to which the Arians themselves had been compelled to submit, inscribed on the banners of the orthodox party the mysterious characters of the word Homoousion, which essentially contributed, notwithstanding some obscure disputes, some nocturnal combats, to maintain and perpetuate the uniformity of faith, or at least of language.« 140 Die Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Ebenen des Glaubens und der Sprache (»the uniformity of faith, or at least of language«) entlarvt hier zusätzlich die Gehaltlosigkeit des fraglichen theologischen Terminus. An anderer Stelle richtet sich Gibbons Spott gegen die beinahe gleich lautenden Begriffe »Homoousion« (die Glaubensformel der Athanasier) und »Homoiousion« als Trinitätsbegriff der sogenannten Semi-Arianer: »The Greek word, which was chosen to express this mysterious resemblance, bears so close an affinity to the orthodox symbol, that the profane of every age have derided the furious contests which the difference of a single diphthong excited between the Homoousians and the Homoiousians.« 141 Wie Gibbon in Kapitel XXXVII ausführt, schreckte die Kirche auch vor literarischen Fälschungen nicht zurück und gab später verfasste Texte als Schriften von Athanasius oder Augustinus aus, um Belege für das auf dem Konzil von Nizäa formulierte Glaubensbekenntnis präsentieren zu können. »Yet, instead of assuming such honourable pride, the orthodox theologians were tempted, by the assurance of impunity, to compose fictions, which must be stigmatized with the 139
DF, XXI, Bd. 1, S. 780 ff. (Zitat S. 781 f.). Der im dritten Jahrhundert aufgekommene Sabellianismus vertrat eine modalistische Trinitätslehre: Gott zeigt sich nach der Lehre der Sabellianer in verschiedenen Modi, der »logos« als eine Art göttliches Attribut kommt dem Menschen Jesus zu, womit der Anschluss an die Christologie der Ebioniten gegeben war; Charles Kannengiesser: »Sabellius«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 8 (1999). 140 DF, XXI, Bd. 1, S. 784; vgl. auch DF, XXI, Bd. 1, S. 783: »The interest of the common cause inclined them to join their numbers, and to conceal their differences; their animosity was softened by the healing counsels of toleration, and their disputes were suspended by the use of the mysterious Homoousion, which either party was free to interpret according to their peculiar tenets.« 141 DF, XXI, Bd. 1, S. 787; vgl. auch DF, XXI, Bd. 1, S. 820, Anm. 154: »[. . . ] I cannot forbear reminding the reader, that the difference between the Homoousion and Homoiousion, is almost invisible to the nicest theological eye.« Vgl. Nippel (2013a), S. 86. Die Semi-Arianer vertraten die Idee einer Wesensähnlichkeit von Vater und Sohn.
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epithets of fraud and forgery.« 142 Selbst Eingriffe in den Text der Bibel kamen in diesem Zusammenhang vor: Eindringliches Beispiel ist eine berühmte Stelle aus dem 1. Johannesbrief, die für die orthodoxe Lesart der Trinität spricht, von Gibbon jedoch zu Recht als eine nachträgliche Interpolation verworfen wird. »Even the Scriptures themselves were profaned by their rash and sacrilegious hands. The memorable text, which asserts the unity of the THREE who bear witness in heaven, is condemned by the universal silence of the orthodox fathers, ancient versions, and authentic manuscripts.« 143 Mit einer akribischen Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte der fraglichen Textstelle verstärkt Gibbon sein Urteil. 144 Anders als von theologischen Kritikern erwartet nimmt Gibbon gegenüber den Arianern als der letztlich unterlegenen Partei der Kontroverse eine kritische Haltung ein und nützt dieses Thema nicht aus, um indirekt Stellung für die zeitgenössischen antitrinitarischen Dissenter (und damit gegen die anglikanische Kirche) zu beziehen. 145 In Gibbons Distanz zum antiken Arianismus spiegelt sich seine Ablehnung politisch und theologisch radikaler Positionen wie auch sein positives Verhältnis zur anglikanischen Staatskirche wider: Die Arianer bedrohten im vierten Jahrhundert die Einheit der Kirche und die Stabilität des Römischen Reiches und zogen Gibbons Zurückweisung deshalb ebenso auf sich wie politisch extreme Denker der eigenen Zeit, die wie beispielsweise der radikale Unitarier Joseph Priestley auf einen Umsturz der staatlichen und kirchlichen Verhältnisse zielten. 146 Von Priestley, der u. a. für eine Trennung von Staat und Kirche eintrat und Gibbon in seiner Schrift »An History of the Corruptions of Christianity« (1782) als Vertreter des eigenen antikirchlichen Standpunktes reklamiert hatte, 142
DF, XXXVII, Bd. 2, S. 441. DF, XXXVII, Bd. 2, S. 442; 1. Joh. 5, 7 – 8: »Denn drei sind, die das bezeugen: den Geist und das Wasser und das Blut; und die drei stimmen überein.« Nachdem George Travis in seinen »Letters to Edward Gibbon, Esq.« (1784) Gibbons Beurteilung des »Comma Johanneum« kritisiert hatte, bestätigte der Gräzist Richard Porson 1790 Gibbons Urteil; Nippel (2013a), S. 86 f.; Levine (1999), S. 188 ff. u. 210 ff. 144 DF, XXXVII, Bd. 2, S. 442 f. mit Anm. 115 – 120. Das »Comma Johanneum« fehlt in allen alten Bibelübersetzungen und findet sich erst ab dem sechsten Jahrhundert in Manuskripten der Vulgata. Auch Erasmus schloss diese Stelle zuerst als unecht aus seinem griechischen Text und der lateinischen Übersetzung aus, nahm sie in spätere Ausgaben seines Neuen Testaments jedoch auf, um nicht als Häretiker zu gelten. Im 20. Jahrhundert wurde sie dann definitiv als Fälschung verworfen; Henk Jan de Jonge: »Comma Johanneum«, Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Bd. 2 (1999); Benedikt Kraft: »Comma Joanneum«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 2 (1994). 145 Womersley (2002), S. 126 ff. 146 Nippel (2013a), S. 87 ff.; zu Gibbon und Priestley vgl. auch Paul Turnbull: Gibbon’s Exchange with Joseph Priestley, British Journal for Eighteenth-Century Studies 14 (1991), 139 – 158, hier S. 140 ff.; Pocock (2000a), S. 64 f. 143
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distanzierte Gibbon sich brüsk und betonte in seiner Antwort die Gegensätze zwischen ihren Positionen. 147 Neben pragmatischen Motiven und der Sorge, durch eine Allianz mit Priestley politisch isoliert zu werden (Gibbon hoffte zu diesem Zeitpunkt auf ein neues politisches Amt), kommt darin auch seine Wertschätzung des bestehenden englischen Kirchensystems zum Ausdruck. Weil eine etablierte Kirche in Gibbons Augen den Zusammenhalt der Gesellschaft stärkte und der sozialen Stabilisierung diente, stellte sie eine begrüßenswerte Einrichtung dar, unabhängig davon, ob einzelne vertretene Dogmen rational nachvollziehbar waren oder nicht. 148 In einem späteren Kapitel des »Decline and Fall« würdigt Gibbon ausdrücklich die Errungenschaften der Reformation und das tolerante Klima in den Kirchen von England und Holland: »Since the days of Luther and Calvin, a secret reformation has been silently working in the bosom of the reformed churches; many weeds of prejudice were eradicated; and the disciples of Erasmus diffused a spirit of freedom and moderation. The liberty of conscience has been claimed as a common benefit, an inalienable right: the free governments of Holland and England introduced the practice of toleration; and the narrow allowance of the laws has been enlarged by the prudence and humanity of the times.« 149 Derartige Äußerungen verdeutlichen, dass Gibbon (anders als viele Aufklärer vom Schlage Voltaires) kein genereller Feind der Kirche ist. Vielmehr gesteht er ihr, wie im Fall der protestantischen Kirchen seiner eigenen Zeit, durchaus eine positive gesellschaftliche Funktion zu. 150
147
Brief an Joseph Priestley vom 28. 01. 1783: »That public will decide to whom the invidious name of unbeliever more justly belongs: to the historian, who, without interposing his own sentiments, has delivered a simple narrative of authentic facts, or to the disputant, who proudly rejects all natural proof of the immortality of the soul, overthrows (by circumscribing) the inspiration of the Evangelists and Apostles, and condemns the religion of every Christian nation as a fable less innocent, but not less absurd, than Mahomet’s journey to the third Heaven.«; Edward Gibbon: The Letters of Edward Gibbon, hg. v. Jane E. Norton, London 1956, Bd. 2, S. 321. Vgl. Nippel (2013a), S. 88 ff.; Turnbull (1991), S. 140 ff. 148 Nippel (2013a), S. 88 ff. (dort auch ausführlicher zum politischen Kontext); Turnbull (1991), S. 148 u. 153 f.; vgl. auch Nippel (2005), S. 130 f. 149 DF, LIV, Bd. 3, S. 438 f. In Anmerkung 42 warnt Gibbon seine Leser vor Priestleys revolutionärem Eifer: »I shall recommend to public animadversion two passages in Dr. Priestley, which betray the ultimate tendency of his opinions. At the first of these, the priest; at the second, the magistrate, may tremble!« Eine der von Gibbon zitierten Stellen aus Priestleys Arbeit lautet: »It is nothing but the alliance of the kingdom of Christ with the kingdoms of this world (an alliance which our Lord himself expressly disclaimed) that supports the grossest corruptions of Christianity; and perhaps we must wait for the fall of the civil powers before this most unnatural alliance be broken.«; Joseph Priestley: An History of the Corruptions of Christianity, (London 1782) Nachdruck New York u. a. 1974, Bd. 2, S. 484. Vgl. Nippel (2013a), S. 90 f. 150 Vgl. Nippel (2005), S. 130 f.
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Immer wieder finden sich in den Kapiteln XXI und XXXVII Stellen, in denen sich Gibbon kritisch gegenüber dem Arianismus äußert und die gesellschaftlich zerrüttende Wirkung des arianischen Streits beleuchtet. So hebt er beispielsweise hervor, dass auch der Arianismus in sich zerstritten war und mit der Zeit in achtzehn unterschiedliche Sekten zerfiel. 151 Kaiser Constantius II. (337 – 361), der mit seiner Religionspolitik stark die Arianer begünstigte, wird von Gibbon sehr skeptisch bewertet. Ein Zitat des von ihm sehr geschätzten heidnischen Historikers Ammianus Marcellinus, das Gibbon in einer englischen Übersetzung in den Haupttext aufnimmt (das lateinische Original findet sich zusätzlich in der korrespondierenden Anmerkung), illustriert anschaulich die abergläubische Mentalität von Constantius II. und seine destabilisierende Religionspolitik wie auch die übermäßig zahlreichen Versammlungen der Arianer. 152 Das Zeugnis von Ammianus Marcellinus als eines unparteilichen und nicht in die Ereignisse verwickelten Beobachters weist Gibbon in diesem Zusammenhang als besonders vertrauenswürdig aus: »The sentiments of a judicious stranger, who has impartially considered the progress of civil or ecclesiastical discord, are always entitled to our notice: and a short passage of Ammianus, who served in the armies, and studied the character, of Constantius, is perhaps of more value than many pages of theological invectives.« 153 Scharf verurteilt Gibbon auch das grausame Vorgehen von Makedonios, des Bischofs von Konstantinopel, gegen die Katholiken im Zusammenhang mit einem antikatholischen Gesetz von Constantius II.: »The execution of this unjust law, in the provinces of Thrace and Asia Minor, was committed to the zeal of Macedonius; the civil and military powers were directed to obey his commands; and the cruelties exercised by this Semi-Arian tyrant in the support of the Homoiousion, exceeded the commission, and disgraced the reign, of Constantius.« 154
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DF, XXI, Bd. 1, S. 785. DF, XXI, Bd. 1, S. 793 f. mit Anm. 91; Ammianus Marcellinus 21, 16: »Den klaren und einfachen christlichen Glauben verwirrte er [Constantius II.] mit dem Aberglauben eines alten Weibes. Mehr durch komplizierte Untersuchungen als durch ernsthafte Schlichtungsversuche erregte er viele Spaltungen, und als sie Fortschritte machten, nährte er sie mit wortreichen Streitigkeiten. Daher eilten Scharen von Bischöfen mit den Gespannen der Staatspost hierhin und dorthin zu sogenannten Synoden, und während er den gesamten Ritus nach seinem Willen zu gestalten versuchte, durchschnitt er die Nerven des Postwesens.« 153 DF, XXI, Bd. 1, S. 793. 154 DF, XXI, Bd. 1, S. 820. Makedonios’ theologische Position ist nicht bis ins Detail geklärt, u. a. vertrat er eine Wesensähnlichkeit zwischen Vater und Sohn (also eine semi-arianische Position); Thomas Böhm: »Makedonios«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 6 (1997). In Anmerkung 154 illustriert Gibbon, dass gerade die Kämpfe zwischen denjenigen Glaubensparteien der Kontroverse besonders hart waren, die sich theologisch kaum voneinander unterschieden. 152
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Eine ähnliche Haltung kennzeichnet Kapitel XXXVII, in dem Gibbon u. a. die Konversion der Barbaren zum arianischen Christentum schildert, dabei auf die Verfolgung der nordafrikanischen Katholiken durch die arianischen Vandalen eingeht und die Inhumanität der arianischen Verfolger brandmarkt. 155 In einer methodisch bemerkenswerten Vorgehensweise, die an dieser Stelle nur angedeutet werden kann, zieht Gibbon eine Quintessenz aus den vorhandenen Berichten katholischer Autoren. Obwohl diese Texte (die einzige Quelle für diese Vorgänge) als parteilich befangen gelten müssen, arbeitet Gibbon aus ihnen einige allgemeine Charakteristika der vandalischen Verfolgung heraus. 156 Zwar wird auch die frühere Intoleranz der Katholiken gegenüber Andersgläubigen thematisiert. 157 Drastisch schildert Gibbon jedoch vor allem die Strafmaßnahmen, denen die Katholiken in Nordafrika ausgesetzt waren, und das grausame Verhalten der arianischen Vandalen: »Through the veil of fiction and declamation, we may clearly perceive, that the Catholics, more especially under the reign of Hunneric, endured the most cruel and ignominious treatment.« 158 Auch Gibbons Porträt des Kirchenvaters Athanasius in Kapitel XXI, der als Erzbischof von Alexandria (328 – 373) in die Auseinandersetzungen um das Trinitätsdogma verwickelt war, enttäuschte mögliche Erwartungen zeitgenössischer Leser, Gibbon würde in diesem Kontext die Partei der historischen Arianer ergreifen. Athanasius agierte zeit seines Lebens als Verteidiger des nizänischen Glaubensbekenntnisses und leistete Widerstand gegen Eingriffe in seine bischöflichen Herrschaftsbefugnisse durch Konstantin I. und dessen Nachfolger (darunter auch Kaiser Julian »Apostata«). In der Folge wurde er mehrfach seines Amtes enthoben und ins Exil geschickt bzw. entzog sich durch Flucht der Verbannung. 159 Zeitgenössische antitrinitarische Autoren wie der englische Arianer William Whiston polemisierten gegen Athanasius und kritisierten ihn als ehrgeizigen Taktiker und Manipulator, der die Trinitätsdoktrin ausschließlich aus machtpolitischen Gründen propagierte habe. 160 155
DF, XXXVII, Bd. 2, S. 435 ff. Zur Verfolgung der nordafrikanischen Katholiken durch die Vandalen vgl. Eger, »Vandalen«. 156 DF, XXXVII, Bd. 2, S. 437 ff.: »The passionate declamations of the Catholics, the sole historians of this persecution, cannot afford any distinct series of causes and events; an impartial view of characters, or counsels; but the most remarkable circumstances, that deserve either credit or notice, may be referred to the following heads [. . . ].« (Zitat S. 437). 157 Z. B. DF, XXXVII, Bd. 2, S. 437: »If the rights of conscience had been understood, the Catholics must have condemned their past conduct, or acquiesced in their actual sufferings.« 158 DF, XXXVII, Bd. 2, S. 439. 159 Rowan D. Williams: »Athanasius«, Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Bd. 1 (1998); Charles Kannengiesser: »Athanasius der Große«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 1 (1993). 160 Womersley (2002), S. 123 ff. Womersley betont die wechselseitigen Verbindungen zwischen Gibbons Porträts von Athanasius (Kap. XXI) und Kaiser Julian (Kap. XXIII). In dieser
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Anders liest sich Gibbons Charakterisierung des Bischofs von Alexandria: Sie vermerkt zwar auch persönliche Schwächen, fällt aber überwiegend sehr positiv aus und betont vor allem Athanasius’ Qualitäten als (Kirchen-)Politiker. »Amidst the storms of persecution, the archbishop of Alexandria was patient of labour, jealous of fame, careless of safety; and although his mind was tainted by the contagion of fanaticism, Athanasius displayed a superiority of character and abilities, which would have qualified him, far better than the degenerate sons of Constantine, for the government of a great monarchy.« 161 Im Unterschied zu der negativen Beurteilung durch viele antitrinitarische Autoren wird Athanasius von Gibbon als große Führungspersönlichkeit mit politischem Instinkt, Weitblick und Menschenkenntnis präsentiert: »He preserved a distinct and unbroken view of a scene which was incessantly shifting; and never failed to improve those decisive moments which are irrecoverably past before they are perceived by a common eye. The archbishop of Alexandria was capable of distinguishing how far he might boldly command, and where he must dextrously insinuate; how long he might contend with power, and when he must withdraw from persecution; and while he directed the thunders of the church against heresy and rebellion, he could assume, in the bosom of his own party, the flexible and indulgent temper of a prudent leader.« 162 Allerdings gibt Gibbon kein ungebrochen positives Bild des Kirchenvaters und lässt, bevorzugt in den Fußnoten, einzelne kritische Bemerkungen einfließen, die Zweifel an Athanasius’ vollständiger Integrität und der Glaubwürdigkeit seiner Schriften wecken. 163 Dieses positive Urteil gründet sich auf Athanasius’ jahrzehntelange Abwehr kaiserlichen Dominanzstrebens, die als ein Beispiel zivilen Widerstands gegen eine tyrannische Herrschaft in hohem Maß gewürdigt wird. Über Athanasius’ Schriften gegen Constantius II. schreibt Gibbon beispielsweise: »In the height of his prosperity, the victorious monarch [Constantius II.] [. . . ] received from an Arbeit soll Gibbons Julian-Porträt hingegen im Zusammenhang mit der Charakterisierung Konstantins des Großen, einer weiteren Symbolfigur kirchengeschichtlicher und religionskritischer Arbeiten, betrachtet werden (vgl. Kapitel 7). 161 DF, XXI, Bd. 1, S. 796. Gibbon stützt seine entsprechende Darstellung häufig auf Athanasius’ eigene Schriften. Diese Verweise konnten leider nicht überprüft werden, weil die von Gibbon verwendete Ausgabe von Athanasius’ Werken nicht zugänglich war. Zu einer kritischen Bewertung von Gibbons Quellenarbeit innerhalb seiner Athanasius-Darstellung vgl. Barnes, S. 20 ff. 162 DF, XXI, Bd. 1, S. 797. 163 Z. B. DF, XXI, Bd. 1, S. 799, Anm. 105: »See, in particular, the second Apology of Athanasius, and his Epistles to the Monks. They are justified by original and authentic documents; but they would inspire more confidence, if he appeared less innocent, and his enemies less absurd.« Vgl. Leslie W. Barnard: Gibbon on Athanasius, in: Robert C. Gregg (Hg.), Arianism. Historical and theological reassessments. Papers from the Ninth International Conference on Patristic Studies, September 5 – 10, 1983, Oxford, Philadelphia 1985, 361 – 370, hier S. 366 ff.
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invisible hand a wound, which he could neither heal nor revenge; and the son of Constantine was the first of the Christian princes who experienced the strength of those principles, which, in the cause of religion, could resist the most violent exertions of the civil power.« 164 Athanasius erscheint bei Gibbon also in erster Linie als Vorkämpfer für die Behauptung gegenüber einem repressiven Herrscher. Wenn Gibbon in Kapitel LVI auf sein Athanasius-Porträt zurückkommt und die Opposition Kaiser Heinrichs IV. gegen Papst Gregor VII. (den Investiturstreit im 11. Jahrhundert) mit der historischen Rolle des Athanasius vergleicht, erneuert er seine positive Bewertung aus Kapitel XXI. 165 Die verheerenden sozialen Folgen religiöser Streitigkeiten zeigen sich am Beispiel des von Gibbon am Ende des Kapitels wieder aufgegriffenen donatistischen Schismas, genauer gesagt an den Circumcellionen, einer fanatischen Splittergruppe der nordafrikanischen Donatisten. »While the flames of the Arian controversy consumed the vitals of the empire, the African provinces were infested by their peculiar enemies the savage fanatics, who, under the name of Circumcellions, formed the strength and scandal of the Donatist party.« 166 Besonders erschreckend mutet in diesem Zusammenhang das Drängen der Circumcellionen an, als Märtyrer zu sterben, das in Anknüpfung an Überlegungen aus Kapitel XV und XVI als religiöser Eifer und »Schwärmerei« qualifiziert und in letzter Konsequenz auf die jüdischen Wurzeln des Christentums zurückgeführt wird. 167 Das Fazit über den arianischen Streit am Ende von Kapitel XXI stellt dann die wechselseitige Grausamkeit aller beteiligten christlichen Parteien in den Mittelpunkt. Methodisch geschickt beruft Gibbon sich auf Ammianus Marcellinus und Gregor von Nazianz, verwendet also die Aussagen eines heidnischen Historikers sowie eines Bischofs und Kirchenvaters, die beide den arianischen Streit als Zeitzeugen miterlebten und in ihren Schriften die Feindseligkeit der Christen bezeugen. »The simple narrative of the intestine divisions, which distracted the peace, and dishonoured the triumph, of the church, will confirm the remark of a 164
DF, XXI, Bd. 1, S. 814. Vgl. Nippel (2013a), S. 84; Womersley (2002), S. 132 ff. DF, LVI, Bd. 3, S. 504, Anm. 83: »That pope was undoubtedly a great man, a second Athanasius, in a more fortunate age of the church. May I presume to add, that the portrait of Athanasius is one of the passages of my history with which I am the least dissatisfied?« 166 DF, XXI, Bd. 1, S. 821. Vgl. Nippel (2013a), S. 87. Die Circumcellionen waren eine radikale revolutionäre Bewegung, die enge Verbindungen zur donatistischen Kirche hatte und sich im vierten und fünften Jahrhundert aufgrund sozialer und religiöser Spannungen unter der Landbevölkerung Nordafrikas verbreitete; William H. C. Frend: »Circumcellionen«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 2 (1994). 167 DF, XXI, Bd. 1, S. 823: »In the actions of these desperate enthusiasts, who were admired by one party as the martyrs of God, and abhorred by the other, as the victims of Satan, an impartial philosopher may discover the influence and the last abuse of that inflexible spirit, which was originally derived from the character and principles of the Jewish nation.«; Hume, Of Superstition, S. 145. 165
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pagan historian, and justify the complaint of a venerable bishop. The experience of Ammianus had convinced him, that the enmity of the Christians towards each other, surpassed the fury of savage beasts against man; and Gregory Nazianzen most pathetically laments, that the kingdom of heaven was converted, by discord, into the image of chaos, of a nocturnal tempest, and of hell itself.« 168 Das Zeugnis des vorbildlichen heidnischen Historikers Ammianus Marcellinus erhält hier also zusätzliches Gewicht durch die Aussage eines Kirchenvaters und Heiligen. Von der Warte des überparteilichen Beobachters aus kann Gibbon abschließend den intoleranten Fanatismus aller Glaubensparteien und die tendenziöse Berichterstattung christlicher Autoren anprangern: »The fierce and partial writers of the times, ascribing all virtue to themselves, and imputing all guilt to their adversaries, have painted the battle of the angels and dæmons. Our calmer reason will reject such pure and perfect monsters of vice or sanctity, and will impute an equal, or at least an indiscriminate, measure of good and evil to the hostile sectaries, who assumed and bestowed the appellations of orthodox and heretics. [. . . ] The metaphysical opinions of the Athanasians and the Arians, could not influence their moral character; and they were alike actuated by the intolerant spirit, which has been extracted from the pure and simple maxims of the gospel.« 169 An Gibbons Darstellung des arianischen Streits fallen ihre diffenrenzierte Ausgestaltung und das ausgeprägte Interesse für theologische Details der Kontroverse auf. Anders als viele Kirchenkritiker seiner Zeit bezieht Gibbon nicht die Position der historischen Arianer als Gegenpartei der Hauptkirche: So zeichnet er beispielsweise ein überwiegend positives Porträt von Athanasius, einem Gegner der Arianer, in dem u. a. dessen politische Führungsqualitäten gewürdigt werden. Dahinter verbirgt sich die Furcht vor der gesellschaftlich destabilisierenden Wirkung einer »revolutionären« Bewegung wie der arianischen Partei, die Gibbon 168
DF, XXI, Bd. 1, S. 823 f. mit Anm. 161 u. 162; Ammianus Marcellinus 22, 5: »Das tat er [Julian] aus dem Grunde so nachdrücklich, damit diese Freiheit ihre Meinungsverschiedenheiten vermehren sollte und er selbst nicht später die Einigkeit des Volks zu fürchten brauchte; denn er wußte aus eigener Erfahrung, daß keine Bestien den Menschen so gefährliche Feinde sind wie die Christen meistens in ihrem tödlichen gegenseitigen Haß.« Gibbons Quellenangabe für Gregor von Nazianz bezieht sich vermutlich auf ders., Reden 2, 81: »Alles ist geworden, wie es am Anfang war, da die Welt noch nicht bestand, und noch nicht die jetzige Ordnung und Gestaltung war, da die Verwirrung und Unordnung des Alls der gestaltenden Hand und Kraft bedurfte. Es sieht – wenn ihr so lieber wollt – aus wie in einem nächtlichen Kampfe und bei trübem Mondlicht, wenn man die Gesichter von Freund und Feind nicht unterscheiden kann, oder wie bei einer Seeschlacht und einem Seesturme, wenn die Winde heulen, die Brandung braust, die Wogen sich türmen, die Schiffe zerschellen, die Ruder zusammenstoßen, die Kommandorufe ertönen, die Stürzenden wehklagen und man seine eigene Stimme nicht hört, die Fassung und die Gelegenheit zur Tapferkeit verliert. Welch ein Unheil! Wir fallen übereinander her und verschlingen einander.« 169 DF, XXI, Bd. 1, S. 824.
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im England seiner Zeit durch die antitrinitärischen Unitarier verkörpert sah. Wie u. a. seine Auseinandersetzung mit Joseph Priestley zeigt, brachte er dem System der anglikanischen Staatskirche eine hohe Wertschätzung entgegen, da ein etabliertes Kirchensystem stabile politische Verhältnisse garantierte. Als zwei wichtige Referenzautoren von Gibbons häresiegeschichtlicher Untersuchung insgesamt erwiesen sich Mosheim und Beausobre. Während Gibbon in Kapitel XV bewusst einen Wechsel zwischen ihren jeweiligen Positionen nützt, um die Kirche umfassend zu diskreditieren und gleichzeitig den eigenen kritischen Standpunkt möglichst offen zu halten, gestaltet sich sein Rekurs in späteren häresiegeschichtlichen Passagen weniger plakativ und dient stärker dem Zweck, ideengeschichtliche und theologische Hintergründe der diskutierten Kontroversen zu erhellen.
7 G P K K J
7.1 Konstantin Konstantin I. (der Große) und Julian »Apostata« übten eine stark polarisierende Wirkung auf Theologen, Kirchenhistoriker und Kritiker der Kirche aus: Während Konstantin, der zum Christentum konvertierte und die Kirche während seiner Herrschaft aktiv förderte, von vielen Christen verehrt und von Kritikern der (katholischen) Kirche bekämpft wurde, spaltete der christlich getaufte und erzogene Julian aufgrund seiner Bemühungen um eine Restitution des Polytheismus die Meinungen in umgekehrter Richtung. 1 Vor diesem Hintergrund wurden Gibbons Porträts der beiden Kaiser vom zeitgenössischen Publikum mit Spannung erwartet: Nach den Kapiteln XV und XVI des ersten Bandes, die von christlichen Lesern als sehr polemisch empfunden worden waren, rechneten viele hier mit einer ähnlich skeptischen Darstellung des »Kirchenfeinds« Gibbon. 2 Konstantin (306 – 337), der sich gegen alle rivalisierenden Herrscher durchsetzen konnte und nach dem abschließenden Sieg über Licinius ab 324 als alleiniger Augustus regierte, wandte sich dem christlichen Glauben zu (die Taufe erhielt er allerdings erst kurz vor seinem Tod auf dem Sterbebett) und begünstigte die Christen, zuerst in seinem Herrschaftsbereich im Westteil des Reiches, als Alleinherrscher dann im Gesamtreich. Seine Herrschaft bedeutete für die Christen des Reichs ein Ende der Verfolgungen und die rechtliche Anerkennung (Mailänder Vereinbarung von 313), durch eine Reihe von Maßnahmen und Privilegien wurde die Kirche politisch und finanziell unterstützt. 3 Aufgrund seines Bekenntnisses zum Christentum sowie der unter ihm etablierten Verbindung von Staat und Kirche galt Konstantin christlichen Apologeten als von Gott berufener Herrscher und entwickelte sich zu einer Symbolfigur des Christentums, das während seiner Herrschaft eingeführte Kirchensystem wurde als wegweisend für die weitere Entwicklung der Kirche betrachtet. 4 1
Zur polarisierenden Wirkung von Konstantin und Julian vgl. z. B. Ziegler, S. 136. Womersley (2002), S. 126 f.; Nippel (2003), S. 66. 3 Hall, »Konstantin I.«; Joseph Vogt: »Constantinus der Große«, Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 3 (1957). 4 David P. Jordan: Gibbon’s ›Age of Constantine‹ and the Fall of Rome, History and Theory: Studies in the Philosophy of History 8 (1969), 71 – 96, hier S. 78. Die Idee des von Gott eingesetzten Herrschers findet sich auch in der »Vita Constantini« von Eusebius: »So hat also Gott selber, der höchste Herrscher der ganzen Welt, Konstantin, den Sohn eines solchen Vaters, 2
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Kritik an Konstantin und seiner Herrschaft wurde von unterschiedlichen Seiten geübt, häufig in Verbindung mit einer Kritik an der Kirche der eigenen Gegenwart. Der französische Staatstheoretiker Jean Bodin bewertete Konstantin im 16. Jahrhundert als Usurpator, der die Herrschaft widerrechtlich an sich gerissen und durch die Verlegung der Hauptstadt nach Konstantinopel den Westen des Reichs entscheidend geschwächt habe. 5 Für den radikalen Pietisten Arnold, der die institutionalisierte Kirche seiner Zeit bekämpfte, repräsentierte das Konstantinische Zeitalter eine entscheidende Etappe des Abfalls von einem als vorbildlich verstandenen frühen Christentum. 6 Ein anderer häufig erhobener Kritikpunkt, Konstantins willkürliche Grausamkeit, der mehrere Familienmitglieder, darunter im Jahr 326 sein ältester Sohn Crispus und die Ehefrau Fausta, zum Opfer fielen, diskreditierte den Kaiser moralisch und konterkarierte das Bild eines von Gott berufenen vorbildlichen Herrschers. Pierre Bayle widmete diesem Thema in seinem »Dictionnaire« einen eigenen Artikel (»Fausta«), mit dem er sich auch kritisch gegen den römischen Kardinal Baronius wandte. 7 Für zusätzlichen Zündstoff sorgte die Idee der sog. »Konstantinischen Schenkung«. Katholische Autoren verfochten die Annahme, Konstantin hätte nach seiner Taufe Papst Silvester u. a. den Vorrang vor allen anderen Patriarchen verliehen und die kaiserlichen Besitzungen sowie die Herrschaft über die Stadt Rom und den Westteil des Reichs dem Papst und seinen Nachfolgern überlassen, während der Kaiser seinen Einflussbereich auf das östliche Reich mit der neuen Hauptstadt Konstantinopel beschränkte. Die Authentizität der Schenkungsurkunde wurde 1440 durch den italienischen Humanisten Lorenzo Valla widerlegt. 8 Ein besonders negatives Konstantin-Bild propagierte Voltaire in seinen Schriften: Als erbitterter Feind der katholischen Kirche präsentierte er Konstantin als einen grausamen Machtmenschen, dessen Konversion zum Christentum sich allein politischem Ehrgeiz verdankte und der sich als absolut herrschender Tyrann über zum Herrn und Führer aller erwählt, so daß kein Mensch sich rühmen kann, ihn dazu erhoben zu haben, und dies war nur bei ihm der Fall, da ja die übrigen alle durch die Wahl anderer ihrer Würde teilhaftig geworden waren.«; Eusebius, Leben Konstantins 1, 24. 5 Heinrich Schlange-Schöningen: »Der Bösewicht im Räuberstaat«. Grundzüge der neuzeitlichen Wirkungsgeschichte Konstantins des Großen, in: Andreas Goltz u. a. (Hgg.), Konstantin der Große. Das Bild des Kaisers im Wandel der Zeiten, Köln u. a. 2008, 211 – 262, hier S. 220. 6 Alkier, S. 13 f.; Hall, »Konstantin I.«. 7 Schlange-Schöningen (2008), S. 222 f. Entsprechende Vorwürfe finden sich bereits bei antiken Kritikern des Kaisers wie dem heidnischen Historiker Zosimus; Hall, »Konstantin I.«. 8 Volker Leppin: Die Konstantinische Schenkung als Mittel der Papstkritik in Spätmittelalter, Renaissance und Reformation, in: Michael Fiedrowicz u. a. (Hgg.), Konstantin der Grosse. Der Kaiser und die Christen – die Christen und der Kaiser, Trier 2006, 237 – 266, hier S. 237 f.; Horst Fuhrmann: »Constitutum Constantini«, Theologische Realenzyklopädie, Bd. 8 (1981). Das »Constitutum Constantini« entstand ca. zwischen 750 und 850, der Entstehungsort ist nicht bekannt.
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Staat und Kirche zeigte. 9 Mitte des 19. Jahrhunderts vertrat dann auch Jacob Burckhardt die Meinung, Konstantin habe sich aus Machtkalkül dem Christentum zugewandt und sich der Kirche bedient, um seine Herrschaft abzusichern. 10 In »The Decline and Fall« verteilt sich die Besprechung der Herrschaft Konstantins auf mehrere Kapitel: In dem ereignisgeschichtlich ausgerichteten Kapitel XIV, das für die vorliegende Fragestellung weniger interessant ist, erörtert Gibbon die Kämpfe zwischen Konstantin und seinen Mitregenten bis zum Sieg über Licinius (324). Religiöse Aspekte wie die berühmte Vision Konstantins werden hier nicht erwähnt und erst in Kapitel XX im Zusammenhang mit der Frage nach der Konversion des Kaisers thematisiert. 11 Kapitel XVII behandelt den Ausbau Konstantinopels zur neuen Hauptstadt des Reichs und Konstantins Politik als Alleinherrscher. In Kapitel XVIII, das die Ereignisgeschichte bis zum Sieg Constantius II. (353) verfolgt, bespricht Gibbon auch Konstantins Charakter und die Morde an Crispus und Fausta. In dem zentralen Kapitel XX diskutiert Gibbon ausführlich Konstantins Verhältnis zum Christentum, die Konversion des Kaisers und die Konsequenzen seiner Religionspolitik. In Kapitel XXI finden sich schließlich auch einige Bemerkungen zur Rolle Konstantins während des arianischen Streits. Konstantins polarisierende Wirkung auf die Nachwelt, die Porträts des ersten christlichen Kaisers in die Extreme der Satire oder des Panegyrikums zerfallen ließ, war Gibbon natürlich bewusst. Zu Beginn von Kapitel XVIII illustriert er die Fronten zwischen Verteidigern und Gegnern Konstantins sowie die starke Interessengebundenheit dieser Debatten: »By the grateful zeal of the Christians, the deliverer of the church has been decorated with every attribute of a hero, and even of a saint; while the discontent of the vanquished party has compared Constantine to the most abhorred of those tyrants, who, by their vice and weakness, dishonoured the Imperial purple. The same passions have in some degree been perpetuated to succeeding generations, and the character of Constantine is considered, even in the present age, as an object either of satire or of panegyric.« 12 Eine besondere Brisanz misst Gibbon diesem Thema bei, weil das unter Konstantin entstandene Kirchensystem bis in die eigene Gegenwart hinein dominant war. 13 9
Heinrich Schlange-Schöningen: Das Bild Konstantins in der französischen Aufklärung, in: Klaus M. Girardet (Hg.), Kaiser Konstantin der Große. Historische Leistung und Rezeption in Europa, Bonn 2007, 163 – 176, S. 165 ff.; Roland Mortier: Une haine de Voltaire. L’empereur Constantin ›dit le grand‹, in: Maxine G. Cutler (Hg.), Voltaire, the Enlightenment and the Comic Mode. Essays in Honor of Jean Sareil, New York u. a. 1990, 171 – 182, hier S. 173 ff. 10 Schlange-Schöningen (2008), S. 235 ff. 11 Vgl. François Paschoud: Gibbon et Constantin, International Journal of the Classical Tradition 15 (2008), 173 – 186, hier S. 176 ff. 12 DF, XXVIII, Bd. 1, S. 643. 13 DF, XX, Bd. 1, S. 725: »[. . . ] a considerable portion of the globe still retains the impression which it received from the conversion of that monarch; and the ecclesiastical institutions of
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Von diesen tendenziösen Konstantin-Darstellungen will Gibbon sich in Kapitel XVIII absetzen, indem er die Aussagen von christlichen Apologeten wie Eusebius und Widersachern Konstantins wie dem heidnischen Historiker Zosimus miteinander kombiniert, also seine übliche Methodik beim Umgang mit parteilichen Quellen zur Kirchengeschichte anwendet. »By the impartial union of those defects which are confessed by his warmest admirers, and of those virtues which are acknowledged by his most implacable enemies, we might hope to delineate a just portrait of that extraordinary man, which the truth and candour of history should adopt without a blush.« 14 Um die von diesen Quellen vermittelten widersprüchlichen Charakterzüge des Kaisers zu einem glaubwürdigen Bild zusammensetzen zu können, schlägt Gibbon vor, zwischen den unterschiedlichen Perioden von Konstantins Herrschaft zu differenzieren. 15 Basierend auf verschiedenen heidnischen Zeugnissen macht Gibbon für die erste Hälfte der Regierungszeit (bis zum Beginn der Alleinherrschaft 324) überwiegend positive Charakteristika aus, angesprochen werden u. a. Ausdauer, Aktivität, Durchsetzungskraft und die Fähigkeit zur persönlichen Bindung. Dass Konstantins Mut und seine militärischen Fähigkeiten auch von Zosimus und Julian »Apostata«, also zwei Gegnern des Kaisers, gelobt wurden, erhöht in Gibbons Augen ihre Glaubwürdigkeit. 16 Analog dazu werden auch in Kapitel XIV Konstantins Leistungen als Feldherr gewürdigt, seine Herrschaft als Caesar in Gallien (306 – 312) wird verhalten positiv dargestellt. 17 Allerdings finden sich im Text einzelne Signale, dass hier keine ungebrochen positive Bewertung vorliegt. 18 Konstantins ausgeprägten Ehrgeiz, den Gibbon als psychologischen Hauptantrieb des Herrschers ausmacht, entschuldigt er in his reign are still connected, by an indissoluble chain, with the opinions, the passions, and the interests of the present generation« 14 DF, XXVIII, Bd. 1, S. 643. In der entsprechenden Fußnote (Anm. 1) verweist Gibbon, im Anschluss an Fleury, auf Eusebius und Zosimus: »Eusebius and Zosimus form indeed the two extremes of flattery and invective. The intermediate shades are expressed by those writers, whose character or situation variously tempered the influence of their religious zeal.« Zu Gibbons Methodik vgl. auch Vindication, DF, Bd. 3, S. 1151 und speziell zum Umgang mit Panegyriki James D. Garrison: Gibbon and the »Treacherous Language of Panegyrics«, Eighteenth-Century Studies 11 (1977), 40 – 62, hier S. 52 ff. 15 DF, XXVIII, Bd. 1, S. 643. Mit dieser zweigeteilten Betrachtungsweise von Konstantins Herrschaft knüpfte Gibbon an antike Vorbilder an; Paschoud (2008), S. 183. 16 DF, XXVIII, Bd. 1, S. 643 f. mit Anm. 2. 17 Beispielsweise DF, XIV, Bd. 1, S. 420 f. 18 DF, XIV, Bd. 1, S. 417: »And if we except the death of Maximian, the reign of Constantine in Gaul seems to have been the most innocent and even virtuous period of his life.« Zur sprachlichen Gestaltung vgl. Martine W. Brownley: Appearance and Reality in Gibbon’s History, Journal of the History of Ideas 38 (1977), 651 – 666, hier S. 654. An einer anderen Stelle von Kapitel XIV (S. 418) äußert Gibbon: »The virtues of Constantine were rendered more illustrious by the vices of Maxentius.«
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dieser Zeitspanne teilweise angesichts der angespannten äußeren Lage und der Bedrohung durch die Rivalen Maxentius und Licinius. 19 Ein von Gibbon angestellter Vergleich zwischen Konstantin und Augustus leitet zur Darstellung der zweiten Regierungshälfte (ab 324) über: Er kennzeichnet den christlichen Kaiser entweder als einen im Lauf der Zeit moralisch degenerierten Herrscher oder entlarvt ihn als Heuchler, der die Öffentlichkeit lange Zeit über seinen wahren Charakter täuschte. »In the life of Augustus, we behold the tyrant of the republic, converted, almost by imperceptible degrees, into the father of his country and of human kind. In that of Constantine, we may contemplate a hero, who had so long inspired his subjects with love, and his enemies with terror, degenerating into a cruel and dissolute monarch, corrupted by his fortune, or raised by conquest above the necessity of dissimulation.« 20 Da Augustus von Gibbon als Heuchler bewertet wurde, der seine wahre Macht maskiert hatte und nach außen den Anschein eines republikanischen Systems aufrecht erhielt 21, suggeriert dieser Vergleich in Bezug auf Konstantin, dass von den beiden vorgeschlagenen Alternativen die zweite Erklärung zutreffender ist. An Konstantin als Alleinherrscher verurteilt Gibbon dann u. a. Maßlosigkeit und Verschwendungssucht, die zu Lasten der Bevölkerung gingen und sogar von Eusebius indirekt kritisiert wurden 22, sowie einen allgemeinen Sittenverfall, ausgelöst auch durch das degenerierte äußere Erscheinungsbild des Kaisers. 23 Wenn Gibbon auf das von Gegnern der katholischen Kirche häufig ausgeschlachtete Thema der Familienmorde zu sprechen kommt, fällt bei aller Kritik seine vergleichsweise zurückhaltende und ausgewogene Darstellung auf, welche die überlieferten Einzelheiten dieser Vorgänge im Detail zu rekonstruieren versucht. 24 Demgegenüber veranschaulichte beispielsweise Voltaire plakativ den unmenschli19
DF, XXVIII, Bd. 1, S. 644: »The boundless ambition, which from the moment of his accepting the purple at York, appears as the ruling passion of his soul, may be justified by the dangers of his own situation, by the character of his rivals, by the consciousness of superior merit, and by the prospect that his success would enable him to restore peace and order to the distracted empire.« 20 DF, XXVIII, Bd. 1, S. 645. Vgl. Jordan (1969), S. 83 f. 21 Z. B. DF, III, Bd. 1, S. 96: »A cool head, an unfeeling heart, and a cowardly disposition, prompted him [Augustus], at the age of nineteen, to assume the mask of hypocrisy, which he never afterwards laid aside. [. . . ] His virtues, and even his vices, were artificial [. . . ].« Vgl. Nippel (2003), S. 43 ff. 22 DF, XXVIII, Bd. 1, S. 645 mit Anm. 5 zu den Quellen; Eusebius, Leben Konstantins 4, 54: »Und da er [Konstantin] sich solchen Leuten anvertraute, verfiel er wohl auch manchmal auf Ungehöriges; es war dies ein Makel, den der Neid seinen herrlichen Eigenschaften beifügte.« 23 DF, XXVIII, Bd. 1. S. 645 f.: »A secret but universal decay was felt in every part of the public administration, and the emperor himself, though he still retained the obedience, gradually lost the esteem, of his subjects.« (Zitat S. 645). 24 DF, XXVIII, Bd. 1, S. 646 ff.
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chen Charakter des Kaisers, indem er alle von Konstantin verübten Grausamkeiten an Angehörigen seiner Familie aufzählte. Konstantins Entschluss, den Herrschaftssitz nach Konstantinopel zu verlegen, wertete Voltaire in diesem Zusammenhang als taktische Entscheidung, um von den zuvor veranlassten Morden abzulenken. 25 Hier entlarvte sich Konstantin in Voltaires Urteil zudem als Heuchler, weil der Kaiser versucht habe, seinen Entschluss durch eine vorgetäuschte Vision zu rechtfertigen. 26 Gibbon interessiert sich für die auslösenden Faktoren der Gewalttaten: Als Ursache für den Mord an Crispus sieht er Konstantins Eifersucht auf einen vielversprechenden ältesten Sohn, der zunehmend als Rivale erschien, verbunden mit der Angst vor einer Verschwörung. 27 Indem Gibbon die Historizität der Ermordung von Konstantins Ehefrau Fausta in einer quellenkritischen Analyse in Frage stellt (darauf soll hier nicht im Detail eingegangen werden), gewinnt seine Argumentation zusätzlich an Überzeugungskraft. 28 Das abschließende Urteil nimmt eine aus der Antike überlieferte Gleichsetzung von Konstantin mit dem blutrünstigen Tyrannen Nero auf: »The deaths of a son, and of a nephew, with the execution of a great number of respectable, and perhaps innocent friends, who were involved in their fall, may be sufficient, however, to justify the discontent of the Roman people, and to explain the satirical verses affixed to the palace-gate, comparing the splendid and bloody reigns of Constantine and Nero.« 29 Gibbons besondere Missbilligung erregt in diesem Kontext das Schweigen der christlichen Quellen, allen voran von Eusebius, über diese Vorfälle. 30 25
Voltaire, Essai, X, Bd. 1, S. 298: »Il est évident que le meurtre de Licinius, son beaufrère, assassiné malgré la foi des serments; Licinien, son neveu, massacré à l’âge de douze ans; Maximien, son beau-père, égorgé par son ordre à Marseille; son propre fils Crispus, mis à mort après lui avoir gagné des batailles; son épouse Fausta, étouffée dans un bain; toutes ces horreurs n’adoucirent pas la haine qu’on lui portait. C’est probablement la raison qui lui fit transférer le siège de l’empire à Byzance.« 26 Voltaire, Essai, X, Bd. 1, S. 298: »[Constantin] feignait ainsi une révélation pour imposer silence aux murmures: ce trait seul pourrait faire connaître son caractère.« 27 DF, XVIII, Bd. 1, S. 648 ff. 28 DF, XVIII, Bd. 1, S. 652. 29 DF, XVIII, Bd. 1, S. 652. Bei Sidonius Apollinaris ist dieser Spottvers überliefert: »Wer fragt nach den goldenen Zeiten Saturns? Sie sind da, wie Juwelen leuchtend, jedoch neronianisch.« (hier zitiert nach der deutschen Übersetzung des »Decline and Fall«; Edward Gibbon: Verfall und Untergang des römischen Imperiums. Bis zum Ende des Reiches im Westen, hg. v. Walter Kumpmann, übers. v. Michael Walter, München 2003, Bd. 2, S. 384, Anm. 28, im Folgenden abgekürzt als VU). 30 DF, XXVIII, Bd. 1, S. 650: »The story of these unhappy princes [Crispus and Licinius], the nature and evidence of their guilt, the forms of their trial, and the circumstances of their death, were buried in mysterious obscurity; and the courtly bishop, who has celebrated in an elaborate work the virtues and piety of his hero, observes a prudent silence on the subject of these tragic events.« Konstantins Aggression fiel neben Crispus auch der Caesar Licinius zum Opfer.
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In Kapitel XX behandelt Gibbon die höchst kontrovers diskutierte Frage nach den Motiven für Konstantins Bekehrung, indem er zuerst eine Bestimmung des genauen Zeitpunkts der Konversion vorzunehmen versucht und dazu die vorhandenen Aussagen der Quellen vergleicht. 31 Die Beurteilung der Motivation des Kaisers hängt mit dieser Datierung eng zusammen, denn eine Konversion in einem späteren Lebensabschnitt rückt politische Beweggründe in den Vordergrund und schwächt die Annahme einer aufrichtigen Glaubensüberzeugung des Kaisers. Zudem würden dann der Übertritt zum Christentum und Konstantins moralisch korrumpierte Lebensphase zusammenfallen, was aus christlicher Sicht nur schwer erklärt werden kann. 32 Laktanz’ Annahme, Konstantin sei bereits während seiner Zeit als Caesar in Gallien zum Christentum konvertiert, verwirft Gibbon als offensichtlich apologetisch geprägt: »The eloquent Lactantius, in the midst of his court, seems impatient to proclaim to the world the glorious example of the sovereign of Gaul; who in the first moments of his reign, acknowledged and adored the majesty of the true and only God.« 33 Ohne Bewertung referiert Gibbon Eusebius’ Datierung: In der »Vita Constantini« steht Konstantins Bekehrung mit der Vision eines Kreuzzeichens in Verbindung, das dem Herrscher vor der Schlacht an der Milvischen Brücke (312) angeblich erschienen war und in christlicher Sicht den Sieg über den Rivalen Maxentius einleitete. 34 Der Konstantin feindlich gesinnte (und von Gibbon wenig geschätzte) heidnische Historiker Zosimus vertrat schließlich die Ansicht, Konstantin sei erst nach den Morden an Sohn und Ehefrau im Jahr 326 zum christlichen Glauben übergetreten, nachdem ihm die heidnischen Priester eine Absolution für diese Taten verweigert hatten – eine Idee, die Gibbon als tendenziöse Verleumdung ausweist. 35 Den widersprüchlichen Aussagen dieser Quellen begegnet Gibbon mit dem Hinweis, dass Konstantin nach kirchlichem Brauch erst kurz vor seinem Tod im Jahr 337 als bekehrter Christ gelten könne, da erst auf dem Sterbebett der Ritus der Handauflegung erfolgte, dem sich die Taufe anschloss. »According to the strictness of ecclesiastical language, the first of the Christian emperors was unworthy of that name, till the moment of his death; since it was only during his last illness that he received, as a catechumen, the imposition of hands, and was 31
DF, XX, Bd. 1, S. 725: »In the consideration of a subject which may be examined with impartiality, but cannot be viewed with indifference, a difficulty immediately arises of a very unexpected nature; that of ascertaining the real and precise date of the conversion of Constantine.« 32 Vgl. Jordan (1969), S. 85 f. 33 DF, XX, Bd. 1, S. 725. Gibbon bezieht sich auf Laktanz’ Werk »Divinae institutiones«. 34 DF, XX, Bd. 1, S. 725 f.; Eusebius, Leben Konstantins 1, 28 – 29.Vgl. Kapitel 5.2. 35 DF, XX, Bd. 1, S. 726: »The historian Zosimus maliciously asserts, that the emperor had imbrued his hands in the blood of his eldest son, before he publicly renounced the gods of Rome and of his ancestors.«; vgl auch DF, XX, Bd. 1, S. 747.
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afterwards admitted, by the initiatory rites of baptism, into the number of the faithful.« 36 Diese Datierung, die über Zosimus noch hinausgeht, belegt Gibbon durch Verweise auf Eusebius’ »Vita Constantini«, in der die fraglichen Vorgänge beschrieben werden, und u. a. Joseph Binghams »Antiquities of the Christian church« als antiquarischer Autorität. 37 In diesem Zusammenhang tadelt Gibbon auch den sonst von ihm an anderer Stelle häufig gelobten Mosheim, weil der lutheranische Kirchenhistoriker trotz überzeugender gegenläufiger Beweise, deren Plausibilität selbst Tillemont eingeräumt hatte, an einer zeitlich früheren Bekehrung Konstantins festhielt. »From the connection of these two facts, Valesius has drawn the conclusion which is reluctantly admitted by Tillemont, and opposed with feeble arguments by Mosheim.« 38 Mosheim hatte in »De rebus Christianorum« dafür plädiert, Konstantin seit dem Tod des Licinius im Jahr 324 (bei Mosheim 323) als bekehrten Christ zu werten und sich gleichzeitig dafür eingesetzt, die Konversion des Kaisers einer aufrichtigen religiösen Überzeugung zuzuschreiben. 39 Zusätzlich diskreditiert wird die Annahme einer Taufe im Jahr 324, wenn Gibbon in einer Fußnote kritisch auf die Verbindungslinie zwischen Konstantins Bekehrung und der »Konstantinischen Schenkung« aufmerksam macht, die katholische Autoren (darunter auch noch Baronius) lange Zeit vertreten hatten. 40 Weil die Schenkung an Papst Silvester 36
DF, XX, Bd. 1, S. 726. DF, XX, Bd. 1, S. 726 mit Anm. 5 u. 6; Eusebius, Leben Konstantins 4, 61: »Da er aber daran dachte, daß sein Ende nahe, meinte er, jetzt sei die rechte Zeit, sich von allen Sünden des ganzen Lebens zu reinigen; denn er glaubte, daß er alles, was er in menschlicher Schwachheit gefehlt habe, von der Seele durch die Kraft der geheimnisvollen Worte und durch das heilsame Bad abwaschen könne. In diesen Gedanken flehte er, auf der Erde kniend, zu Gott, bekannte in ebendieser Märtyrerkirche seine Sünden und wurde dort auch zum ersten Male des Gebetes der Handauflegung teilhaftig.«; ebd. 4, 62: »Nach diesen Worten vollzogen die Bischöfe den göttlichen Gesetzen gemäß, was vorgeschrieben war, und spendeten ihm die geheimnisvolle Gnade, nachdem sie die gehörige Unterweisung vorausgeschickt hatten. So wurde denn Konstantin durch die Geheimnisse Christi wiedergeboren und vervollkommnet, der einzige von den Kaisern seit Menschengedenken.« 38 DF, XX, Bd. 1, S. 726, Anm. 5. 39 Mosheim, De rebus, IV, 7, Anm. 1, Bd. 2, S. 469 f.: »After well considering the subject, I have come to the conclusion, that, subsequently to the death of Licinius in the year 323, when Constantine found himself sole Emperor, he became an absolute Christian, or one who believes no religion but the christian is acceptable to God.« Mosheim kritisierte ausdrücklich eine Auslegungsweise, die im Anschluss an die oben zitierten Eusebius-Stellen von einer Konversion Konstantins im Jahr 337, also kurz vor seinem Tod, ausging; ebd., Bd. 2, S. 461 ff. 40 DF, XX, Bd. 1, S. 726, Anm. 6: »The legend of Constantine’s baptism at Rome, thirteen years before his death, was invented in the eighth century, as a proper motive for his donation. Such has been the gradual progress of knowledge, that a story, of which Cardinal Baronius declared himself the unblushing advocate, is now feebly supported, even within the verge of the Vatican.« Vgl. Fuhrmann, »Constitutum Constantini«; Leppin, S. 237 f. In den »Annales Ecclesiastici« hatte Baronius die Annahme vertreten, bei der Schenkungsurkunde handele es sich zwar 37
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wie angesprochen im 15. Jahrhundert als katholische Legende entlarvt worden war, lässt dieser Hinweis auch eine Bekehrung des Kaisers Mitte der 320er-Jahre als unglaubwürdig erscheinen. Offiziell kann Konstantin nach dieser Argumentation also erst kurz vor seinem Tod als bekehrter Christ gelten. Aber wie steht es um die persönliche Religiosität des Kaisers? Gibbon schätzt Konstantins Hinwendung zum Christentum als längerfristigen Prozess ein und will sich dieser Frage mit den Methoden des genau arbeitenden Historikers nähern: »The Christianity of Constantine must be allowed in a much more vague and qualified sense; and the nicest accuracy is required in tracing the slow and almost imperceptible gradations by which the monarch declared himself the protector, and at length the proselyte, of the church.« 41 Die Indizien für Konstantins Religion, die Gibbon im Anschluss aus dem überlieferten Quellenmaterial zusammenträgt, weisen in unterschiedliche Richtungen. Gleichzeitig versteht Gibbon es immer wieder, eine politisch-taktische Dimension von Konstantins Religionspolitik offen zu legen. An einem Beispiel aus dem Jahr 321 demonstriert er, wie die Gesetzgebung des Kaisers darauf angelegt war, allen religiösen Parteien Genüge zu tun: »[. . . ] he [Constantine] artfully balanced the hopes and fears of his subjects, by publishing in the same year two edicts; the first of which enjoined the solemn observance of Sunday, and the second directed the regular consultation of the Aruspices.« 42 Aus diesem Jahr ist sowohl ein Erlass überliefert, der die Tätigkeit der Gerichte, Handwerker und der städtischen Bevölkerung am Sonntag untersagte (allerdings in einer Formulierung, die auch Heiden nicht verprellte), als auch ein Gesetz über die regelmäßige Konsultation der Haruspizes. 43 Belege gibt es nach Gibbon ferner dafür, dass der Kaiser bis zu seinem 40. Lebensjahr die heidnischen Kulthandlungen vollzog. 44 Dass Konstantin als Caesar in Gallien die Christen unter seinen Schutz stellte, spräche hingegen für eine tatsächliche Hinwendung zum Christentum, räumt Gibbon ein. 45 Die zwischen Konstantin und Licinius getroffene Mailänder Vereinbarung (313), mit der das Christentum neben anderen Religionen anerkannt und während um eine Fälschung, eine Übertragung kaiserlicher Besitztümer und Vorrechte von Konstantin an Papst Silvester habe gleichwohl stattgefunden; Schlange-Schöningen (2008), S. 222 f. 41 DF, XX, Bd. 1, S. 726. Vgl. Pocock (2015), 71 f. 42 DF, XX, Bd. 1, S. 727. 43 Vgl. Hall, »Konstantin I:«; Karen Piepenbrink: Konstantin der Große und seine Zeit, 3. Aufl., Darmstadt 2010, S. 109. 44 DF, XX, Bd. 1, S. 727 f.: »Whatever symptoms of Christian piety might transpire in the discourses or actions of Constantine, he persevered till he was near forty years of age in the practice of the established religion [. . . ].« (Zitat S. 727). 45 DF, XX, Bd. 1, S. 728 f.: »They [the Christians] were soon encouraged to depend on the favour as well as on the justice of their sovereign, who had imbibed a secret and sincere reverence for the name of Christ, and for the God of the Christians.«
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der Verfolgungen konfiszierter christlicher Besitz restituiert wurde, erhält Gibbons Würdigung: »About five months after the conquest of Italy, the emperor made a solemn and authentic declaration of his sentiments, by the celebrated edict of Milan, which restored peace to the Catholic church.« 46 Ein definitives Urteil über Konstantins Religion zu diesem Zeitpunkt will Gibbon nicht abgeben. Stattdessen schlägt er drei mögliche Lesarten des Toleranzedikts vor, die keine abschließende Bestimmung von Konstantins Glaubensüberzeugung geben: »From these vague and indefinite expressions of piety, three suppositions may be deduced, of a different but not of an incompatible, nature.« 47 Konstantin könnte nach Gibbon ein Grenzgänger zwischen Heidentum und Christentum gewesen sein. Unter Rekurs auf Humes Gegenüberstellung monotheistischer und polytheistischer Religionen in der »Natural History« wäre auch vorstellbar, dass Konstantin aufgrund seiner polytheistischen Prägung den christlichen Gott als eine unter vielen Gottheiten anerkannt habe. Ein dritter Vorschlag lautet, Konstantin als Vertreter einer Art von pluralistischer Glaubensüberzeugung zu sehen, in der alle Religionen letztlich auf einen einzigen Gott bezogen waren. 48 Obwohl diese Deutungsangebote sich natürlich nicht mit der christlichen Sichtweise decken, schließen sie also eine religiöse Überzeugung des Kaisers nicht aus. Mosheims Untersuchung der religiösen Entwicklung Konstantins in »De rebus Christianorum«, die einen allmählichen Übergang zu einer christlichen Überzeugung beschreibt und dabei auch Unzulänglichkeiten von Konstantins Glauben nicht unterschlägt, liegt in diesem Fall nicht allzu weit von Gibbons Argumentation entfernt und wird in einer Anmerkung in eher positivem Sinn erwähnt. 49 Für entscheidender als religiöse Motive hält Gibbon dann aber die politischen Vorteile, die sich der Kaiser von einer Stärkung der Christen versprach: Das Christentum habe, auch durch seinen Bezug auf ein Leben nach dem Tod, die moralischen Sitten seiner Anhänger in einer Weise gestärkt, die Philosophie und
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DF, XX, Bd. 1, S. 729. Zur Mailänder Vereinbarung vgl. Piepenbrink, S. 44 f. DF, XX, Bd. 1, S. 730. 48 DF, XX, Bd. 1, S. 730: »The mind of Constantine might fluctuate between the Pagan and the Christian religions. According to the loose and complying notions of polytheism, he might acknowledge the God of the Christians as one of the many deities who composed the hierarchy of heaven. Or perhaps he might embrace the philosophic and pleasing idea, that, notwithstanding the variety of names, of rites, and of opinions, all the sects and all the nations of mankind are united in the worship of the common Father and Creator of the universe.«; Hume, Natural History, XII, S. 347 ff. 49 DF, XX, Bd. 1, S. 730, Anm. 16: »In explaining Constantine’s progress in the faith, Mosheim is ingenious, subtle, prolix.«; Mosheim, De rebus, IV, 7, Anm. 1, Bd. 2, S. 466: »For a considerable time, therefore, Constantine was (in modern phrase) a Deist; and one of the lowest and most ignoble class, worshipping a single God, of whom he had no determinate conceptions.« 47
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traditionelle Kulte nicht (mehr) leisten konnten. 50 Auf den ersten Blick scheint diese These in Widerspruch zu der Argumentation in Kapitel XV zu stehen, weil dort das Christentum aufgrund seines Jenseitsglaubens sowie der Verweigerung weltlicher und militärischer Pflichten als ausgesprochen schädlich für Gesellschaft und Staat dargestellt wurde. 51 Dieser scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn Gibbon auf einen zweiten Vorteil für christliche Herrscher eingeht, der die von den Christen für sich selbst reklamierte Tugend letztlich als Schwäche entlarvt. Das Herrschaftsverständnis der (katholischen) Christen forderte einen unbedingten Gehorsam der Gläubigen gegenüber dem von Gott eingesetzten Herrscher, schloss Widerstand grundsätzlich aus – und erscheint damit als nützliches Instrument der Machtausübung. »The passive and unresisting obedience, which bows under the yoke of authority, or even of oppression, must have appeared, in the eyes of an absolute monarch, the most conspicuous and useful of the evangelic virtues.« 52 Gibbon spart (zumal mit Blick auf das Beispiel Konstantins) nicht mit Kritik an dieser christlichen Idee einer göttlich legitimierten Herrschaft, die unabhängig von Willkürakten und Machtmissbrauch des Herrschers von den Menschen nicht in Frage gestellt werden kann: »The reigning emperor, though he had usurped the sceptre by treason and murder, immediately assumed the sacred character of vicegerent of the Deity. To the Deity alone he was accountable for the abuse of his power; and his subjects were indissolubly bound, by their oath of fidelity, to a tyrant who had violated every law of nature and society.« 53 In Anspielung auf ein bekanntes Bibelwort mokiert Gibbon sich über die apathische und unterwürfige Haltung der frühen Christen, die sich selbst als »Schafe unter Wölfen« verstanden hätten. 54 50
DF, XX, Bd. 1, S. 730 f.: »Philosophy still exercised her temperate sway over the human mind, but the cause of virtue derived very feeble support from the influence of the Pagan superstition. Under these discouraging circumstances, a prudent magistrate might observe with pleasure the progress of a religion which diffused among the people a pure, benevolent, and universal system of ethics, adapted to every duty and every condition of life; recommended as the will and reason of the Supreme Deity, and enforced by the sanction of eternal rewards or punishments.« 51 DF, XV, Bd. 1, S. 481 f. 52 DF, XX, Bd. 1, S. 731. 53 DF, XX, Bd. 1, S. 731. 54 DF, XX, Bd. 1, S. 731: »The humble Christians were sent into the world as sheep among wolves; and since they were not permitted to employ force, even in the defence of their religion, they should be still more criminal if they were tempted to shed the blood of their fellowcreatures, in disputing the vain privileges, or the sordid possessions, of this transitory life.« Gibbon spielt hier auf Matthäus 10, 16 an: »Hört mir zu: Ich schicke euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Seid klug wie Schlangen, aber ohne Verschlagenheit wie Tauben.« Als Quelle des christlichen Herrschaftsverständnisses nennt Gibbon den berühmten Römerbrief des Paulus (S. 731 f.). Die Stelle findet sich in Römer 13, 1 – 7: »Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist
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Besonders erbittert zeigt sich Gibbon darüber, dass in der Frühen Neuzeit Autoren wie Pierre Bayle auf das Vorbild der frühen Christen verwiesen, um den Widerstand der Protestanten und ihre Theorie eines Rechts auf Widerstand zu diskreditieren. »The protestants of France, of Germany, and of Britain, who asserted with such intrepid courage their civil and religious freedom, have been insulted by the invidious comparison between the conduct of the primitive and of the reformed Christians.« 55 Eine alternative Erklärung für die frühchristliche »Tugend« liest sich für die Kirche weitaus weniger schmeichelhaft, weil das friedfertige Verhalten der frühen Christen auf die innere Schwäche der Kirche zu diesem Zeitpunkt zurückgeführt wird. Gibbons Beschreibung evoziert hier eine abgekapselte Gruppe religiöser Sektierer mit niedrigem Sozial- und Bildungsstatus und diskreditiert die Kirche zusätzlich: »A sect of unwarlike plebeians, without leaders, without arms, without fortifications, must have encountered inevitable destruction in a rash and fruitless resistance to the master of the Roman legions.« 56 Die anschließende Analyse verdeutlicht, wie beide Seiten von dem Bündnis zwischen Kaiser und Christen profitierten: Neben dem Vorteil, vor Diskriminierung und Verfolgung geschützt zu sein, konnten christliche Apologeten wie Laktanz in Konstantin einen von Gott eingesetzten Herrscher sehen, der, in der Tradition biblischer Anführer wie Moses und David stehend, sein Volk in eine glorreiche Zukunft führen würde. »The same extraordinary providence, which was no longer confined to the Jewish people, might elect Constantine and his family as the protectors of the Christian world; and the devout Lactantius announces, in a prophetic tone, the future glories of his long and universal reign.« 57 Umgekehrt wurde Konstantins Stellung durch diese spirituelle Überhöhung, wie bereits angesprochen, unangreifbar. 58 Die Ausfälle seiner Rivalen Galerius, Maximin, Maxentius und Licinius durch Tod und militärische Niederlagen unterstützten nach Gibbon eine Betrachtungsweise, die Konstantin zu einem »zweiten David« von Gott angeordnet.« Zum Römerbrief des Paulus vgl. Horst Balz: »Römerbrief«, Theologische Realenzyklopädie, Bd. 29 (1998). 55 DF, XX, Bd. 1, S. 732. In der entsprechenden Fußnote (Anm. 20) verweist Gibbon auf Bossuet und Bayle. 56 DF, XX, Bd. 1, S. 732. 57 DF, XX, Bd. 1, S. 732 f. (Zitat S. 733). Zu Gibbons differenzierter Analyse der Christianisierung unter Konstantin vgl. Patrick Bahners: Die Religionspolitik ist das Schicksal. Diokletian und Konstantin bei Gibbon und Burckhardt, in: Cord-Friedrich Berghahn / Till Kinzel (Hgg.), Edward Gibbon im deutschen Sprachraum. Bausteine einer Rezeptionsgeschichte, Heidelberg 2015, 277 – 328, hier S. 318 ff. 58 DF, XX, Bd. 1, S. 733: »If the judges of Israel were occasional and temporary magistrates, the kings of Judah derived from the royal unction of their great ancestor, an hereditary and indefeasible right, which could not be forfeited by their own vices, nor recalled by the caprice of their subjects.«
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stilisierte: »The tragic deaths of Galerius and Maximin soon gratified the resentment, and fulfilled the sanguine expectations, of the Christians. The success of Constantine against Maxentius and Licinius, removed the two formidable competitors who still opposed the triumph of the second David, and his cause might seem to claim the peculiar interposition of Providence.« 59 Obwohl die Christen prozentual einen geringen Anteil der Gesamtbevölkerung des Reichs stellten, konnte die Loyalität dieser Randgruppe, so Gibbon, aufgrund ihrer Geschlossenheit und mentalen Überzeugung Konstantins Macht stärken, zumal sie bei der Besetzung administrativer und militärischer Posten bevorzugt wurden. »[. . . ] but among a degenerate people, who viewed the change of masters with the indifference of slaves, the spirit and union of a religious party might assist the popular leader, to whose service, from a principle of conscience, they had devoted their lives and fortunes.« 60 Immer wieder erscheinen die Christen im Text als »Schwärmer« im Hume’schen Sinn, die sich selbst als auserwählte Gruppe mit einer besonderen Verbindung zu Gott sehen. »[The Christians’] warm and active loyalty exhausted in his [Constantine’s] favour every resource of human industry; and they confidently expected that their strenuous efforts would be seconded by some divine and miraculous aid.« 61 Die negativen Seiten von Humes Begriff der Schwärmerei (Selbstüberschätzung, hohe Gewaltbereitschaft) treten in der Schilderung des fanatischen Kampfes der christlichen Legionen gegen Maxentius zutage: »The enthusiasm, which inspired the troops, and perhaps the emperor himself, had sharpened their swords while it satisfied their conscience. They marched to battle with the full assurance, that the same God, who had formerly opened a passage to the Isaraelites through the waters of Jordan, and had thrown down the walls of Jericho at the sound of the trumpets of Joshua, would display his visible majesty and power in the victory of Constantine.« 62 Wenn schließlich die kirchlichen Versammlungen in einer Art geistiger Kehrtwende der Kirche dazu genützt wurden, die christlichen Gläubigen (konträr zu den christlichen Grundwerten) zum Militäreinsatz zu verpflichten, klingt bei Gibbon lediglich verhaltene Ironie durch. »The habits of mankind, and the interest of religion, gradually abated the horror of war and bloodshed, which had so long prevailed among the Christians and in the councils which were assembled under the gracious protection of Constantine, the authority of the bishops was seasonably 59
DF, XX, Bd. 1, S. 733. DF, XX, Bd. 1, S. 734. 61 DF, XX, Bd. 1, S. 734. Hume, Of Superstition, S. 144 f. u. 148 f. 62 DF, XX, Bd. 1, S. 735; vgl. auch ebd., S. 737: »In the second civil war Licinius felt and dreaded the power of this consecrated banner, the sight of which, in the distress of battle, animated the soldiers of Constantine with an invincible enthusiasm, and scattered terror and dismay through the ranks of the adverse legions.« 60
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employed to ratify the obligation of the military oath, and to inflict the penalty of excommunication on those soldiers who threw away their arms during the peace of the church.« 63 Ein weiterer Vorteil lag nach Gibbon darin, dass Konstantin bis zu dem abschließenden Sieg über Licinius als Befreier derjenigen Christen auftreten konnte, die unter der Herrschaft anderer christenfeindlicher Regenten standen, und auf diese Weise eine religiöse Legitimation für die Kriege gegen seine Konkurrenten hatte. 64 Gibbons Darstellung nimmt das religiös fundierte Sendungsbewusstsein der Christen als Wirkfaktor bei Konstantins Triumph also durchaus ernst, während gleichzeitig nuanciert die Verflechtungen von spirituellen und politischen Motiven bei allen beteiligten Akteuren aufgezeigt werden. Die angesprochene schwärmerische Verfassung der Christen bereitet an dieser Stelle auch den Boden für die berühmte Vision Konstantins. Wie in Kapitel 4.2 ausführlich diskutiert wurde, soll Konstantin vor der Schlacht gegen Maxentius am Himmel ein Kreuzzeichen gesehen haben (nach einer anderen Überlieferung tauchte das Zeichen in einem Traum des Kaisers auf ), die Übernahme des Symbols als Feldzeichen erklärte in christlicher Sicht den Sieg über Maxentius, der als ein Triumph des Christentums interpretiert wurde. 65 In der Frage nach den Motiven für Konstantins Konversion grenzt sich Gibbon explizit von Autoren aus seiner eigenen Zeit ab und verwirft eine einseitig machtpolitisch begründete Bekehrung des Kaisers. »The Protestant and philosophic readers of the present age will incline to believe, that, in the account of his own conversion, Constantine attested a wilful falsehood by a solemn and deliberate perjury. They may not hesitate to pronounce, that, in the choice of a religion, his mind was determined only by a sense of interest; and that (according to the expression of a profane poet) he used the altars of the church as a convenient footstool to the throne of the empire.« 66 Der hier zitierte »profane poet« ist Voltaire; das von Gibbon verwendete Zitat, das in der Anmerkung ausführlich im Wortlaut aufgenommen ist, ohne dass sich eine direkte Quellenangabe findet (»The poem which contains these lines may be read with pleasure, but cannot be named with decency.«), stammt aus Voltaires anzüglichem Versepos »La Pucelle d’Orléans«. 67 Voltaire stellte Konstantin beispielsweise im »Essai« als machthungrigen Tyrann dar, der den Übertritt zum Christentum allein aus eigennützigen Motiven heraus vollzogen habe: »Comment démêler celui qu’un parti a peint comme le plus criminel des hommes, et un autre comme le plus vertueux? Si l’on pense qu’il fit 63
DF, XX, Bd. 1, S. 734 f. DF, XX, Bd. 1, S. 735. 65 DF, XX, Bd. 1, S. 735 ff. 66 DF, XX, Bd. 1, S. 742. 67 DF, XX, Bd. 1, S. 742, Anm. 54. Die Quellenangabe findet sich in der deutschen Übersetzung des »Decline and Fall«; VU, Bd. 3, S. 83 f., Anm. 54. 64
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tout servir à ce qu’il crut son intéret, on ne se trompera pas.« 68 Pauschal wird Konstantin von Voltaire hier auch für den Niedergang des Römischen Reichs verantwortlich gemacht: »Il paraît évident qu’il fit la décadence de Rome.« 69 Einer derartig eindimensionalen Sichtweise begegnet Gibbon mit einer vielschichtigen Darstellung, die eine Vermischung aus taktischen Motiven und authentischer Religiosität bei Konstantin für möglich hält, ohne in dieser Frage eine endgültige Festlegung treffen zu wollen. »A conclusion so harsh and so absolute is not, however, warranted by our knowledge of human nature, of Constantine, or of Christianity. In an age of religious fervour, the most artful statesmen are observed to feel some part of the enthusiasm which they inspire; and the most orthodox saints assume the dangerous privilege of defending the cause of truth by the arms of deceit and falsehood.« 70 Obwohl Konstantin in dem vorangegangenen Zitat wiederum mit Heuchelei in Verbindung gebracht wird, schließt Gibbon eine Komponente aufrichtigen Glaubens nicht aus und zeigt damit mehr Einfühlungsvermögen in die Mentalität einer von der eigenen Gegenwart abweichenden Epoche als viele Kritiker des Kaisers. 71 In einer psychologisch angelegten Erklärung wertet Gibbon Konstantins Annäherung an das Christentum als einen längerfristigen Prozess und nennt mehrere, parallel bestehende Motive für den Glaubenswechsel: »[Constantine’s] vanity was gratified by the flattering assurance, that he had been chosen by Heaven to reign over the earth; success had justified his divine title to the throne, and that title was founded on the truth of the Christian revelation. As real virtue is sometimes excited by undeserved applause, the specious piety of Constantine, if at first it was only specious, might gradually, by the influence of praise, of habit, and of example, be matured into serious faith and fervent devotion.« 72 Auch hier fallen die vorsichtigen, im Konjunktiv gehaltenen Formulierungen auf, die dem Leser eine Erklärung lediglich vorschlagen, und die Aufzählung unterschiedlicher denkbarer Einflussfaktoren. 73 Hinzu kam laut Gibbon der Einfluss christlicher Berater wie Eusebius und Laktanz auf den Kaiser: »Nor can it be deemed incredible, that the mind of an unlettered soldier should have yielded to the weight of evidence, which, in a more enlightened age, has satisfied or subdued the reason of a Grotius, a Pascal, or a Locke.« 74 Als Herrscher habe Konstantin während
68 69 70 71 72 73 74
Voltaire, Essai, X, Bd. 1, S. 298. Voltaire, Essai, X, Bd. 1, S. 299. DF, XX, Bd. 1, S. 742 f. Vgl. Straub, S. 169 f. Vgl. Nippel (2003), S. 66. DF, XX, Bd. 1, S. 743. Zu Gibbons Methodik vgl. Braudy, S. 216 f. DF, XX, Bd. 1, S. 743 f. (Zitat S. 744).
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seines Katechumenats zudem eine Vorzugsbehandlung genossen und aktiv an allen Aktivitäten der Kirche teilnehmen können. 75 Anders als viele kirchenkritische Autoren der Frühen Neuzeit verurteilt Gibbon auch Konstantins späte Taufe nicht pauschal, sondern stuft sie, innerhalb des historischen Kontexts betrachtet, als nicht ungewöhnlich ein. »The pride of Constantine, who refused the privileges of a catechumen, cannot easily be explained nor excused; but the delay of his baptism may be justified by the maxims and the practice of ecclesiastical antiquity.« 76 Durch die Taufe ließen sich im christlichen Verständnis alle Sünden eines Täuflings tilgen, unabhängig von ihrem früheren Lebenswandel galt die getaufte Person nach vollzogenem Ritus als sündenfrei. Die Praxis, sich erst kurz vor dem Lebensende taufen zu lassen, kritisiert Gibbon dann aber scharf: »Among the proselytes of Christianity, there were many who judged it imprudent to precipitate a salutary rite, which could not be repeated; to throw away an inestimable privilege, which could never be recovered. By the delay of their baptism, they could venture freely to indulge their passions in the enjoyment of this world, while they still retained in their own hands the means of a sure and easy absolution.« 77 In einer korrespondierenden Fußnote macht Gibbon noch deutlicher, was von dieser Vorgehensweise und der nachsichtigen Haltung der Kirche zu halten ist: »I believe that this delay of baptism, though attended with the most pernicious consequences, was never condemned by any general or provincial council, or by any public act or declaration of the church. The zeal of the bishops was easily kindled on much slighter occasions.« 78 Als besonders verwerflich erscheint dieses Verhalten im Falle Konstantins, der, wie Gibbon hervorhebt, allen Grund hatte, sich durch eine Taufe auf dem Sterbebett reinzuwaschen. 79 Wenngleich hier erneut Zosimus’ Behauptung verworfen wird, der Kaiser habe sich nach der Ermordung von Crispus für die Seite der Christen entschieden, weil die heidnischen Priester ihm die Absolution verwehrten, fällt Gibbons Urteil über Konstantins moralischen Status eindeutig aus, vor allem auch angesichts der Gefahr einer Nachahmung durch spätere Herrscher. »Future tyrants 75
DF, XX, Bd. 1, S. 745: »But the severe rules of discipline which the prudence of the bishops had instituted, were relaxed by the same prudence in favour of an Imperial proselyte, whom it was so important to allure, by every gentle condescension, into the pale of the church; and Constantine was permitted, at least by a tacit dispensation, to enjoy most of the privileges, before he had contracted any of the obligations, of a Christian.« 76 DF, XX, Bd. 1, S. 746. Vgl. Nippel (2003), S. 66. 77 DF, XX, Bd. 1, S. 746. 78 DF, XX, Bd. 1, S. 746, Anm. 68. 79 DF, XX, Bd. 1, S. 747: »As he [Constantine] gradually advanced in the knowledge of truth, he proportionably declined in the practice of virtue; and the same year of his reign in which he convened the council of Nice was polluted by the execution, or rather murder, of his eldest son.«
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were encouraged to believe, that the innocent blood which they might shed in a long reign would instantly be washed away in the waters of regeneration; and the abuse of religion dangerously undermined the foundations of moral virtue.« 80 Die Auswirkungen von Konstantins Herrschaft insgesamt werden von Gibbon negativ bewertet, die Politik des Kaisers beschleunigte nach seinem Urteil den Niedergang des Imperiums. Kritisiert werden in Kapitel XVII u. a. ein zunehmend despotisches Regierungssystem (aufgrund von Maßnahmen wie der Zerstörung eines erblichen Senatorenstandes); das von Konstantin etablierte Spitzelsystem und die Ausweitung der Folter auf die Klasse der freien Bürger; die Trennung von militärischer und ziviler Verwaltung; militärische Neuerungen wie die Benachteiligung der Grenztruppen und die Zunahme barbarischer Hilfstruppen im Heer; die Verschwendung enormer Ressourcen aus den Provinzen, um den Ausbau Konstantinopels zur neuen Hauptstadt zu finanzieren und stark ansteigende Steuerlasten für die Bürger. 81 Ähnlich negativ beurteilt Gibbon die Religionspolitik des Kaisers: Weil Christen bei der Besetzung von Ämtern in Verwaltung und Heer bevorzugt wurden, schaffte sie Anreize für weitere Konversionen und begünstigte eine Ausbreitung des Christentums (ein Umstand, der von den Christen selbst natürlich positiv bewertet wurde). 82 Gleichzeitig wurde die Kirche als neuer Machtfaktor im Staat installiert, dem sich letztendlich gegen ihren Willen auch die Herrscher beugen mussten. 83 Als verhängnisvoll erwies sich dabei nach Gibbon insbesondere die in den traditionellen Religionen unbekannte Trennung von weltlicher und geistlicher Herrschaft, da die Kirche so einen vom Staat abgekoppelten Machtbereich aufbauen konnte. 84 Mit diesem Gedankengang rekurriert Gibbon erneut auf Humes bereits früher angesprochenen Aufsatz »Of Parties in General«, in dem Hume untersucht hatte, wie sich die Entstehung abgetrennter Interessensgruppen auf die Stabilität eines Staates auswirkt (vgl. Kapitel 3.1). Diese Fragestellung spitzte 80
DF, XX, Bd. 1, S. 747. Zu Zosimus vgl. ebd., S. 726. DF, XVII, Bd. 1, S. 600 ff. Vgl. auch DF, XIV, Bd. 1, S. 445: »The successive steps of the elevation of Constantine, [. . . ] have been related with some minuteness and precision, not only as the events are in themselves both interesting and important, but still more, as they contributed to the decline of the empire by the expence of blood and treasure, and by the perpetual increase, as well of the taxes, as of the military establishment. The foundation of Constantinople, and the establishment of the Christian religion, were the immediate and memorable consequences of this revolution.« Vgl. Nippel (2003), S. 63 f. 82 DF, XX, Bd. 1, S. 747. 83 DF, XX, Bd. 1, S. 750: »Constantine and his successors could not easily persuade themselves that they had forfeited, by their conversion, any branch of the Imperial prerogatives, or that they were incapable of giving laws to a religion which they had protected and embraced.« 84 DF, XX, Bd. 1, S. 750: »But the distinction of the spiritual and temporal powers, which had never been imposed on the free spirit of Greece and Rome, was introduced and confirmed by the legal establishment of Christianity.« 81
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Hume zu einer speziell gegen die Kirche gerichteten Kritik zu: Da sich das frühe Christentum in Opposition zu dem bestehenden Herrschaftssystem entwickelte, kam es zu einer Machtkonzentration in den Händen der Priester, die diese für eigene Zwecke missbrauchten. Eine derartige Trennung von weltlicher und geistlicher Macht existierte nach Hume in den traditionellen Religionen nicht, weil der Herrscher dort gleichzeitig das Amt des Priesters wahrnahm, beide Ämter also von der gleichen Person ausgeübt wurden. 85 Diese religionssoziologische Kritik an der Herrschaft des Klerus benützt Gibbon in freier Weise, um den veränderten Status der Kirche unter Konstantin und seinen Nachfolgern kritisch zu beleuchten und die Machtusurpation der christlichen Bischöfe aufzudecken. »When Constantine embraced the faith of the Christians, he seemed to contract a perpetual alliance with a distinct and independent society; and the privileges granted or confirmed by that emperor, or by his successors, were accepted, not as the precarious favours of the court, but as the just and inalienable rights of the ecclesiastical order.« 86 Die Bischöfe, die für viele Christen direkte Nachfolger der Apostel sind und auf diese Weise eine herausgehobene Legitimation genießen, traten nach Gibbon als neuer Machtfaktor neben die staatlichen Instanzen: »A Christian diocese might be spread over a province, or reduced to a village, but all the bishops possessed an equal and indelible character: they all derived the same powers and privileges from the apostles, from the people, and from the laws. While the civil and military professions were separated by the policy of Constantine, a new and perpetual order of ecclesiastical ministers, always respectable, sometimes dangerous, was established in the church and state.« 87 Wie Gibbon vor Augen führt, ähnelte der bischöfliche Aufstieg dabei einer weltlichen Karriere, die Wahl der Bischöfe wurde häufig von egoistischen Emotionen und Antrieben bestimmt. Der Ablauf der Bischofswahlen erinnert bei Gibbon an die durch Wählerbestechungen und Gewaltanwendung geprägten Volkswahlen der späten römischen Republik, die von ihm sehr negativ beurteilt werden. »The interested views, the selfish and angry passions, the arts of perfidy and dissimulation, the secret corruption, the open and even bloody violence which had formerly disgraced the freedom of election in the commonwealths of Greece and Rome, too often influenced the choice of the successors of the apostles.« 88 Diese Anspielung 85
Hume, Of Parties, S. 131 f. DF, XX, Bd. 1, S. 752. Mit der Formulierung »inalienable rights« greift Gibbon einen Schlüsselbegriff der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 auf. Im Zusammenhang mit seiner Würdigung der protestantischen Theorie eines Rechts auf Widerstand spricht Gibbon von »inalienable rights of nature«, die auch von Religion nicht berührt werden dürfen; ebd., S. 732. In Bezug auf den Herrschaftsanspruch des Klerus erhält der eigentlich positive Begriff dann eine negative Bedeutung; vgl. Nippel (2013a), S. 80. 87 DF, XX, Bd. 1, S. 752. 88 DF, XX, Bd. 1, S. 753. 86
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auf die apostolische Sukzession der Bischöfe richtete sich auch gegen das System der anglikanischen Kirche. 89 Die Motive für den Antritt eines geistlichen Amts, darunter die Aussicht auf Befreiung von staatlichen Diensten und Steuern, muten nach Gibbon nicht weniger fragwürdig an. 90 Gibbons Missbilligung erregt außerdem, dass das neue Kirchensystem den Klerus von finanziellen und anderen Verpflichtungen gegenüber dem Staat befreite 91 und Konstantin die Kirche mit großen finanziellen Summen unterstützte – zu Lasten der steuerpflichtigen Bevölkerung. »An absolute monarch, who is rich without patrimony, may be charitable without merit; and Constantine too easily believed that he should purchase the favour of heaven, if he maintained the idle at the expence of the industrious; and distributed among the saints the wealth of the republic.« 92 Die Gegenüberstellung von untätigen Heiligen und fleißigen Bürgern illustriert hier die Kritik an einer Politik, die dem Staat Kapital und Menschen entzog, auch mit sprachlichen Mitteln. 93 Konstantins Motive für die Bevorzugung der Kirche weist Gibbon schließlich als ausgesprochen zweifelhaft aus: »The liberality of Constantine encreased in a just proportion to his faith, and to his vices.« 94 Ein Dorn im Auge ist Gibbon ferner die Einrichtung des »Bischofsgerichts«, dessen Geltung von Konstantin gestärkt wurde. »The Latin clergy, who erected their tribunal on the ruins of the civil and common law, have modestly accepted as the gift of Constantine, the independent jurisdiction which was the fruit of time, of accident, and of their own industry.« 95 Darüber hinaus bildete die Exkommunikation für die Bischöfe, wie Gibbon deutlich macht, ein wirkungsvolles Druckmittel gegenüber weltlichen Machtinstanzen. »Such principles and such examples insensibly prepared the triumph of the Roman pontiffs, who have trampled on the necks of kings,« 96 lautet sein Befund mit Blick auf die Konflikte zwischen Päpsten und Kaisern im Mittelalter. 89
Zur Bedeutung der apostolischen Sukzession in England vgl. Greenslade, S. 10; Bennett, S. 64 f. Vgl. Kapitel 3.1. 90 DF, XX, Bd. 1, S. 755: »But the Christian sanctuary was open to every ambitious candidate, who aspired to its heavenly promises, or temporal possessions. The office of priests, like that of soldiers or magistrates, was strenuously exercised by those men, whose temper and abilities had prompted them to embrace the ecclesiastical profession, or who had been selected by a discerning bishop, as the best qualified to promote the glory and interest of the church.« 91 DF, XX, Bd. 1, S. 755. Vgl. Hall, »Konstantin I.«. 92 DF, XX, Bd. 1, S. 757. 93 Vgl. Nippel (2003), S. 64. 94 DF, XX, Bd. 1, S. 757. 95 DF, XX, Bd. 1, S. 759. Diese »Bischofsgerichte« konnten in allen zivilrechtlichen Fällen aktiv werden, sie existierten bereits vor der Herrschaft Konstantins. Ein Gesetz von 318 (?) regelte ihre gleichberechtigte Zusammenarbeit mit den staatlichen Gerichten; Piepenbrink, S. 110 f. 96 DF, XX, Bd. 1, S. 760 ff. (Zitat S. 762).
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Das zwiespältige Verhältnis des Kaisers zu den kirchlichen Amtsträgern illustriert ein Blick auf Konstantins Rolle beim Konzil von Nicäa: Ungeachtet seines Rechts, bei außergewöhnlichen Anlässen diese Versammlungen einzuberufen, nahm Konstantin nach Gibbon eine untergeordnete Stellung ein: »[. . . ] and while he [Constantine] influenced the debates, he humbly professed that he was the minister, not the judge, of the successors of the apostles, who had been established as priests and as gods upon earth.« 97 In einer ironischen Zuspitzung werden die Bischöfe hier nicht mehr nur als »successors of the apostles«, sondern auch als »gods upon earth« tituliert. Das in seinen Augen groteske Auftreten Konstantins vor dem Konzil von Nicäa veranschaulicht Gibbon wiederum durch einen Vergleich mit dem Verfassungssystem des Augustus, in dem zwar die Fassade einer republikanischen Verfassung bewahrt wurde, tatsächlich jedoch Augustus und seine Nachfolger als absolute Herrscher regierten. »Such profound reverence of an absolute monarch toward a feeble and unarmed assembly of his own subjects, can only be compared to the respect with which the senate had been treated by the Roman princes who adopted the policy of Augustus.« 98 Wenn Gibbon daraufhin einen zeitlichen Bogen von der Regentschaft des Kaisers Tacitus (275 – 276), der die Stellung des Senats wieder zu stärken versuchte, bis zu dem von Konstantin eingerichteten Kirchensystem schlägt, verstärkt sich die Analogie zwischen der Korruption der politischen Verfassung des Reichs und dem Aufstieg der Kirche. 99 97
DF, XX, Bd. 1, S. 765. Gibbon bezieht sich hier (Anm. 128) auf die Schilderung des Konzils in Eusebius’ »Vita Constantini«. 98 DF, XX, Bd. 1, S. 765. Zu Gibbons Bewertung der politischen Verfassung des Reichs unter Augustus und seinen Nachfolgern vgl. z. B. DF, III, Bd. 1, S. 93: »To resume in a few words, the system of the Imperial government, as it was instituted by Augustus, and maintained by those princes who understood their own interest and that of the people, it may be defined an absolute monarchy disguised by the forms of a commonwealth. The masters of the Roman world surrounded their throne with darkness, concealed their irresistible strength, and humbly professed themselves the accountable ministers of the senate, whose supreme decrees they dictated and obeyed.« Vgl. Nippel (2003), S. 43 ff. 99 DF, XX, Bd. 1, S. 765: »Within the space of fifty years, a philosophic spectator of the vicissitudes of human affaires might have contemplated Tacitus in the senate of Rome, and Constantine in the council of Nice. The fathers of the capitol and those of the church had alike degenerated from the virtues of their founders; but as the bishops were more deeply rooted in the public opinion, they sustained their dignity with more decent pride, and sometimes opposed, with a manly spirit, the wishes of their sovereign.« Nach der »Historia Augusta« soll Kaiser Tacitus angeblich die Stellung des Senats gegenüber dem Heer wieder gestärkt haben, die moderne Forschung teilt diese Meinung nicht; Raymond Davis: »Tacitus (Marcus Claudius Tacitus Augustus)«, The Encyclopedia of Ancient History, Bd. XI (2013). Eine Parallele zwischen politischem und kirchlichem System ergibt sich auch in Kapitel XV, wenn Gibbon die Ausbildung der Kirchenhierarchie während der ersten drei Jahrhunderte schildert, die dabei die Entwicklung der Verfassung des Reichs nachvollzieht; DF, XV, Bd. 1, S. 482 ff.; Nippel (2003), S. 53.
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Abschließend lässt es sich Gibbon nicht entgehen, in einem Seitenhieb darauf hinzuweisen, dass die Beschlüsse dieser Konzilien unter katholischen Christen nach wie vor als unfehlbar gelten. 100 Welche negativen Konsequenzen die Verstrickung Konstantins und seiner Nachfolger in den arianischen Streit für die politische Stabilität des Reichs hatte, wird in Kapitel XXI thematisiert. »The abuse of Christianity introduced into the Roman government new causes of tyranny and sedition; the bands of civil society were torn asunder by the fury of religious factions; and the obscure citizen, wo might calmly have surveyed the elevation and fall of successive emperors, imagined and experienced, that his own life and fortune were connected with the interests of a popular ecclesiastic.« 101 Konstantin erscheint hier in Gibbons Darstellung als theologisch unbedarft und stark beeinflussbar durch christliche Berater (vor allem Ossius von Cordoba), die beispielsweise seine Zustimmung zum Nizäum erwirkten, 102 obwohl der Kaiser kurz darauf erneut in Richtung Arianismus umschwenkte. 103 Gibbons Konstantin-Porträt zeigt sich insgesamt als weitaus vielschichtiger als die Darstellungen vieler Kritiker des Kaisers (darunter auch Voltaire): Häufig werden dem Leser mehrere Erklärungsmöglichkeiten und Deutungsangebote präsentiert, die Darstellung nimmt auch religiöse und spirituelle Motive als auslösende Faktoren durchaus ernst. An einzelnen Stellen rekurriert Gibbon auch in diesem Kontext auf religionssoziologische Ideen Humes wie die Untersuchung religiöser Splittergruppen in »Of Parties« oder verwertet Informationen aus Mosheims kirchengeschichtlicher Abhandlung »De rebus Christianorum«. Wenngleich nicht mit Kritik an der Herrschaft Konstantins und insbesondere den negativen Folgen des neuen Kirchensystems gespart wird, fallen doch Gibbons Interesse an den historischen Vorgängen und ein genauer Blick für Details auf, die wiederum die Überzeugungskraft der im Text vorgetragenen Kritik verstärken. Damit enttäuschte Gibbon auch die Erwartungen vieler zeitgenössischer Leser nach einer eindeutig negativ ausgerichteten Charakterisierung des christlichen Kaisers. 100
DF, XX, Bd. 1, S. 765: »The progress of time and superstition erazed the memory of the weakness, the passion, the ignorance, which disgraced these ecclesiastical synods; and the Catholic world has unanimously submitted to the infallible decrees of the general councils.« 101 DF, XXI, Bd. 1, S. 816. 102 DF, XXI, Bd. 1, S. 790: »But his [Constantine’s] ecclesiastical ministers soon contrived to seduce the impartiality of the magistrate, and to awaken the zeal of the proselyte.« 103 DF, XXI, Bd. 1, S. 792: »The ecclesiastical government of Constantin cannot be justified from the reproach of levity and weakness. But the credulous monarch, unskilled in the stratagems of theological warfare, might be deceived by the modest and specious professions of the heretics [the Arians], whose sentiments he never perfectly understood; and while he protected Arius, and persecuted Athanasius, he still considered the council of Nice as the bulwark of the Christian faith, and the peculiar glory of his own reign.«
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7.2 Julian Wie Konstantin war auch Kaiser Julian »Apostata« eine äußerst umstrittene Figur der Kirchengeschichte und spaltete die Meinungen, allerdings in umgekehrter Richtung als der christliche Kaiser. Gibbons Julian-Darstellung weckte deshalb (ähnlich wie sein Porträt Konstantins) Erwartungen in der zeitgenössischen Öffentlichkeit, Gibbon werde hier die Partei der kirchenkritischen Julian-Verteidiger ergreifen. 104 Julian, ein Enkel Constantius I. und Neffe Konstantins I., wurde 355 zum Caesar in Gallien ernannt und 360 in Paris von den Truppen zum Augustus erhoben. Der Zug gegen Constantius II. endete ohne direkte Konfrontation, weil der amtierende Augustus 361 verstarb. Julian war getaufter Christ, wendete sich jedoch einer neuplatonisch geprägten Form des Heidentums zu und unternahm während seiner kurzen Regierungszeit als Alleinherrscher (er starb 363 auf einem Feldzug gegen die Perser) große Anstrengungen, die traditionellen Kulte zu reorganisieren sowie durch verschiedene Maßnahmen und Gesetze den Einfluss des Christentums zu schwächen. 105 Wegen seiner Apostasie und der Bemühungen um eine Stärkung des Heidentums bekämpften ihn christliche Autoren seit der Antike (den Auftakt machte der Kirchenvater und Zeitgenosse Gregor von Nazianz) als Abtrünnigen und einen der größten Feinde der Christenheit. 106 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zog Julian, auch aufgrund der Wiederentdeckung des Geschichtswerks von Ammianus Marcellinus, ein verstärktes Interesse auf sich, u. a. Bodin und Michel de Montaigne widmeten sich einer Rehabilitierung des Kaisers. Sehr einflussreich auch in England war dabei Montaignes Urteil, der Julian in seinem Aufsatz »De la Liberté de Conscience« wegen seiner Apostasie als einen Vorkämpfer der Gewissensfreiheit und Prototyp eines toleranten Herrschers betrachtete. 107 In England wurde Julian im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts einerseits als Inbegriff des bösen Herrschers verstanden und mit dem Stuart-König Jakob II. gleichgesetzt, der zum Katholizismus konvertiert war und die Gesetze gegen 104
Vgl. Nippel (2003), S. 69. Lippold, »Iulianus I (Kaiser)«; Emil von Borries: »Iulianos (Apostata)«, Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, Bd. 10,1 (1917). 106 Lippold, »Iulianus I (Kaiser)«; Heinz-Günther Nesselrath: Zur Wiederentdeckung von Julian Apostata in der Renaissance: Lorenzo de Medici und Ammianus Marcellinus, Antike & Abendland 38 (1992), 133 – 144, hier S. 133; Kinzig, S. 325. 107 Nesselrath, S. 134; Jean-Paul Larthomas: Julien en Angleterre dans le milieu whig, Julien chez Gibbon, in: René Braun u. a. (Hgg.), L’empereur Julien, Bd. 2: De la légende au mythe (de Voltaire à nos jours), Paris 1981, 61 – 78, hier S. 65 f.; John S. Spink: The Reputation of Julian the ›Apostate‹ in the Enlightenment, Studies on Voltaire and the Eighteenth Century 57 (1967), 1399 – 1415, hier S. 1400 f. 105
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Katholiken und Dissenter suspendiert hatte, was die »Glorious Revolution« von 1688 auslöste. 108 Für die Partei der Whigs war Julian hingegen im Zusammenhang mit der »exclusion crisis« (der katholische Jakob II. sollte von der Thronfolge ausgeschlossen werden) eine Identifikationsfigur in ihrem Kampf gegen die Herrschaftsansprüche der Stuarts und eine befürchtete papistische Verschwörung. 109 Der dritte Earl of Shaftesbury, deistischer Vordenker und Publizist, stilisierte Julian dann u. a. in seinem »Letter of Enthusiasm« (1708) zum Modell eines vorbildlichen Herrschers, dessen tolerante Religionspolitik dem inhumanen Vorgehen orthodoxer Christen gegenübergestellt wurde. 110 Unter den »philosophes« trat Voltaire als der engagierteste Verteidiger Julians gegenüber seinen christlichen Gegnern hervor. 111 Seinem ausgeprägten antikirchlichen Impetus folgend pries er den Apostaten beispielsweise im »Essai« als wahrhaft philosophischen Herrscher und bedachte ihn uneingeschränkt mit Lob: »Nul empereur ne fut plus équitable et ne rendit la justice plus impartialement, non pas même Marc-Aurèle. Nul philosophe ne fut plus sobre et plus continent. Il régnait donc par les lois, par la valeur, et par l’exemple.« 112 Als einziger römischer Herrscher hätte Julian, so Voltaire, den Niedergang des Reichs aufhalten oder verzögern können. 113 In einem eigenen Artikel des »Dictionnaire philosophique« zu Julian (»Julien le philosophe«) wandte sich Voltaire vehement gegen die christliche Kritik, die ein verzerrtes Bild des Kaisers gezeichnet hätte, weil Julian kein Christ war. »Julien est sobre, chaste, désintéressé, valeureux, clément; mais il n’était pas chrétien, on l’a regardé longtemps comme un monstre.« 114 Voltaires Artikel war u. a. auch eine Abrechnung mit der Julian-Biographie des Abbé de la Bléterie, dem Voltaire religiöse Befangenheit vorwarf. 115 La Bléteries Arbeit zu Julian (»Vie de l’empereur Julien«, 1735) stellte wiederum eine wichtige Quelle für Gibbons Julian-Porträt dar. Der Oratorianer La Bléterie (1696 – 1772), der Mitglied der »Académie des Inscriptions et des Belles108
Edgar Wind: Julian the Apostate at Hampton Court, Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 3 (1939/40), 127 – 137, hier S. 131 ff.; Nippel (2013a), S. 83; Spink, S. 1404 ff. 109 Wind, S. 132 ff. 110 Ziegler, S. 137 f.; Wind, S. 134 f. 111 Ziegler, S. 140 f. 112 Voltaire, Essai, XI, Bd. 1, S. 303. In Voltaires Briefwechsel mit Friedrich dem Großen erscheint Julian als Vorbild aller Philosophenherrscher; Ziegler, S. 140. 113 Voltaire, Essai, XI, Bd. 1, S. 303: »Si quelqu’un avait pu raffermir l’empire, ou du moins retarder sa chute, c’était l’empereur Julien.« 114 Voltaire: »Julien le philosophe«, in: ders., Dictionnaire philosophique, hg. v. René Pomeau, Paris 1964, 249 – 252, hier S. 249. 115 Voltaire, »Julien«, S. 250 ff. »La Bletterie, après avoir rendu justice à quelques vertus de Julien, finit pourtant l’histoire de ce grand homme en disant que sa mort fut un effet ›de la vengeance divine‹. [. . . ] Je ne vois point la vengeance divine, et je ne vois plus dans La Bletterie qu’un déclamateur de mauvaise foi.« (Zitat S. 252). Vgl. Ziegler, S. 141.
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Lettres« war, verfasste außerdem eine »Histoire de l’empereur Jovien« (1748), die Übersetzungen einiger Werke und einer Auswahl von Briefen Julians enthielt. 116 Weil sein Buch über Julian positive und negative Charakterzüge des Kaisers ansprach und sich durch eine vergleichsweise ausgewogene Darstellung auszeichnete, hob es sich positiv von den stark parteilich motivierten Werken anderer Autoren ab. 117 Gibbon kannte und schätzte beide Arbeiten La Bléteries. 118 In »The Decline and Fall« rekurriert er häufiger auf La Bléterie, lobt zum Beispiel dessen »candour and ingenuity« 119 oder äußert sich anerkennend über die Entlarvung von Baronius’ bigotter Haltung. 120 Es finden sich jedoch auch vereinzelte kritische Anmerkungen, wenn Gibbon den Oratorianer ironisch als »the devout Abbé de la Bleterie« 121 bezeichnet oder ihm »superstitious complacency« 122 vorwirft. Gibbons Urteil über La Bléteries Jovian-Buch fällt charakteristisch ambivalent aus: »The Abbé de la Bleterie has composed an elaborate history of his short reign; a work remarkably distinguished by elegance of style, critical disquisition, and religious prejudice.« 123 Mit Julians Herrschaft beschäftigen sich ebenfalls mehrere Kapitel des »Decline and Fall«: In Kapitel XIX schildert Gibbon die Ereignisgeschichte vom Triumph Constantius II. bis zu Julians Herrschaft als Caesar in Gallien, hier findet sich auch eine Charakterisierung des jungen Julian. Kapitel XXII setzt, nach der Untersuchung von Konstantins Bekehrung und Kirchenpolitik (Kap. XX) und des arianischen Streits (Kap. XXI), die Ereignisgeschichte ab Julians Ausrufung zum Augustus durch das Heer (360) fort und erörtert sein Regierungssystem. Das wichtige Kapitel XXIII beschäftigt sich ausführlich mit der persönlichen Religion 116
Neveu, S. 93 u. 101 f. Eine zweite Auflage von La Bléteries Julian-Biographie erschien
1746. 117
Neveu, S. 102 u. 108; Womersley (1988a), S. 160 f.; Spink, S. 1410. In seinen »Memoirs« nennt Gibbon La Bléteries »Vie de l’empereur Julien« als eines von drei Werken, deren Lektüre in jungen Jahren seine Entwicklung als Historiker beeinflusste: »The life of Julian by the Abbé de la Bleterie, first introduced me to the man and the times: and I should be glad to recover my first essay on the truth of the miracle which stopped the rebuilding of the temple of Jerusalem.«; Memoirs, S. 79. Das Wunder im Zusammenhang mit dem Scheitern des Wiederaufbaus des jüdischen Tempels in Jerusalem bespricht Gibbon in Kapitel XXIII (vgl. Kapitel 5.2). Über La Bléteries »Histoire de l’empereur Jovien« notierte Gibbon am 25. Februar 1764 in sein Tagebuch: »Quelle litérature, quel goût, et quelle élégance! J’ajoute et quelle modération! Julien étoit payen et l’Abbé ne hait que les Jésuites.«; Le journal de Gibbon à Lausanne, hg. v. Georges A. Bonnard, Lausanne 1945, S. 224. Zu La Bléteries Bedeutung für Gibbon vgl. Pocock (2015), S. 161 ff. 119 DF, XXII, Bd. 1, S. 851 f., Anm. 50. 120 DF, XXIV, Bd. 1, S. 956, Anm. 129: »The Abbé de la Bleterie handsomely exposes the brutal bigotry of Baronius, who would have thrown Julian to the dogs [. . . ].« 121 DF, XXII, Bd. 1, S. 837, Anm. 12. 122 DF, XXIII, Bd. 1, S. 900, Anm. 115. 123 DF, XXIV, Bd. 1, S. 947, Anm. 103. 118
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des Apostaten und seiner Religionspolitik. In dem stark militärgeschichtlichen Kapitel XXIV behandelt Gibbon schließlich Julians Feldzug gegen die Perser, auf dem der Kaiser tödlich verwundet wurde. Julians Auftreten als Caesar in Gallien wird von Gibbon überwiegend positiv beurteilt. Mehrfach wird der »philosophische« Hintergrund des Herrschers gewürdigt, der sich nach Gibbon günstig auf die Herrschaftspraxis auswirkte: »[. . . ] but he [Julian] derived from his philosophic studies an inflexible regard for justice, tempered by a disposition to clemency; the knowledge of the general principles of equity and evidence, and the faculty of patiently investigating the most intricate and tedious questions which could be proposed for his discussion.« 124 Im Zusammenhang mit Julians Aufbauarbeiten in Gallien spricht Gibbon von einem »humane and philosophic temper«. 125 Anerkennend erwähnt wird auch der Mut des Herrschers als Feldherr in den Kämpfen mit Galliern und Germanen 126 und während des Zugs gegen Constantius II. 127 Allerdings wecken bereits in diesen Kapiteln einzelne Textstellen Zweifel an der Integrität von Julians Charakter. Über seine Zeit als Caesar in Gallien findet sich so, innerhalb einer an sich positiven Bewertung, die Bemerkung: »The precarious and dependent situation of Julian displayed his virtues, and concealed his defects.« 128 An einer anderen Stelle stellt Gibbon durch die Wahl seiner Formulierungen die aufrichtige Gesinnung des Herrschers in Frage: »A tender regard for the peace and happiness of his subjects, was the ruling principle which directed, or seemed to direct, the administration of Julian.« 129 Die Analyse von Julians Haltung, als ihn die Truppen zum Augustus ausrufen, bringt dann in einer für Gibbon charakteristischen Weise mehrere Blickwinkel ins Spiel: »[. . . ] it may seem ungenerous to distrust the honour of hero, and the truth 124
DF, XIX, Bd. 1, S. 712; vgl. auch DF, XXII, Bd. 1, S. 831 f.: »While Julian used the laborious hours of his winter-quaters at Paris in the administration of power, which, in his hands, was the exercise of virtue, he was surprised by the hasty arrival of a tribune and a notary [. . . ].« – Gibbons Darstellung in den Kapiteln XIX, XXII und XXIV basiert stark auf Ammianus Marcellinus; Bowersock (1977), S. 195 f.; Nippel (2003), S. 66. Bowersock (S. 197 ff.) argumentiert nicht ganz überzeugend, dass die positive Bewertung Julians in diesen Kapiteln im Vergleich zu dem sehr kritischen Kapitel XXIII daraus resultiert, dass Gibbon hier Ammians positives Julian-Bild übernimmt, während in Kapitel XXIII vor allem Texte von Libanius und Julian selbst herangezogen werden. Die religiöse Einfärbung der letztgenannten Quellen habe, so Bowersock, Gibbons Kritik hervorgerufen und sein eigentlich positives Julian-Bild getrübt. Diese Einschätzung berücksichtigt m. E. jedoch zu wenig Gibbons aufrichtige Abneigung gegenüber Julians neuplatonisch geprägter Religion. 125 DF, XIX, Bd. 1, S. 720. 126 DF, XIX, Bd. 1, S. 713 ff. 127 DF, XXII, Bd. 1, S. 843 ff. 128 DF, XIX, Bd. 1, S. 723. 129 DF, XIX, Bd. 1, S. 721 (meine Hervorhebung). Vgl. Brownley (1977), S. 654.
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of a philosopher. Yet the superstitious confidence that Constantius was the enemy, and that he himself was the favourite, of the gods, might prompt him [Julian] do desire, to solicit, and even to hasten the auspicious moment of his reign, which was predestined to restore the ancient religion of mankind.« 130 Die Vorbehalte gegenüber Julians Integrität sind hier in einer Weise formuliert, die lediglich andeutet, dass Julian dieser Umsturz nicht ungelegen kam. Gibbons Spott trifft in diesem Zusammenhang den Abbé de la Bléterie, der davon ausgegangen war, dass der Kaiser tatsächlich von der Aktion seiner Soldaten überrascht wurde. 131 Die differenzierte Bewertung von Julians Alleinherrschaft ab 361 kombiniert wiederum unterschiedliche Motivstränge, wie beispielsweise die folgende Charakterisierung des Kaisers zeigt. »The throne of Julian, which the death of Constantius fixed on an independent basis, was the seat of reason, of virtue, and perhaps of vanity. He despised the honours, renounced the pleasures, and discharged with incessant diligence the duties, of his exalted station [. . . ].« 132 Obwohl Julians Bescheidenheit und Fleiß anerkennend registriert werden, weckt die nicht nur hier zur Sprache gebrachte Eitelkeit Skepsis gegenüber dem Bild des vorbildlichen Herrschers. 133 Julians geistige Fähigkeiten, seine Umtriebigkeit, Entschlusskraft und unermüdliche Pflichterfüllung erhalten dann wieder Gibbons Lob. 134 Dass der neue Augustus aufgrund seiner Wertschätzung einer enthaltsamen Lebensweise mit der pompösen und kostenaufwändigen Hofhaltung seiner Vorgänger 130
DF, XXII, Bd. 1, S. 837. DF, XXII, Bd. 1, S. 837, Anm. 12: »The devout Abbé de la Bleterie is almost inclined to respect the devout protestations of a Pagan.«; La Bléterie, Life of the Emperor Julian, II, S. 101: »[Julian] stood out the siege all night, the soldiers still persisting in their entreaties. In the morning they broke open the gates, and forced him to appear. When they saw him, they cried out more vehemently than before: JULIAN AUGUSTUS. This prince withstood them all in general, and each in particular, caressing, menacing, expressing his indignation, and conjuring them not to wither all their laurels by an imprudent step, which must be attended by a civil war.« 132 DF, XXII, Bd. 1, S. 851. Zur Komplexität von Gibbons Julian-Porträt vgl. Braudy S. 232 ff.; Roman Lach: »Was seine Schritte vorwärts lenkte oder drängte« – Das Rätsel Julian Apostata bei Edward Gibbon und Felix Dahn, in: Cord-Friedrich Berghahn / Till Kinzel (Hgg.), Edward Gibbon im deutschen Sprachraum. Bausteine einer Rezeptionsgeschichte, Heidelberg 2015, 343 – 358, hier S. 348 f. 133 Vgl. auch Gibbons Resümee bei der Schilderung von Julians Begräbnis: »The purity of his [Julian’s] virtue was sullied by excessive vanity; his superstition disturbed the peace and endangered the safety, of a mighty empire; and his irregular sallies were the less intitled to indulgence, as they appeared to be the laborious efforts of art, of even of affectation.«; DF, XXIV, Bd. 1, S. 958; vgl. Womersley (2002), S. 137. Auch La Bléterie machte Eitelkeit als Julians Hauptantrieb aus: »We see in it [Julian’s character] a composition defective and ill sorted, though formed from an assemblage of the most eminent qualities, because it is not reason and religion, but vanity alone that rules and directs them [. . . ].«; La Bléterie, Life of the Emperor Julian, The French Preface, S. VII. 134 DF, XXII, Bd. 1, S. 851 f. 131
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brach und rigoros Entlassungen vornahm, beurteilt Gibbon als zu drastische Maßnahme. 135 Julians Abrechnung mit den Günstlingen des alten Regiments lief nach Gibbon, abgesehen von einzelnen Ausnahmen, fair ab. 136 In der Auflösung des von seinem Vorgänger unterhaltenen Spitzelsystems (anders als Constantius II. fühlte sich Julian nicht durch Verschwörungen und Angriffe gegen seine Person bedroht) macht Gibbon erneut persönliche Eitelkeit als eine von mehreren Triebfedern aus: »Julian was slow in his suspicions, and gentle in his punishments; and his contempt of treason was the result of judgment, of vanity, and of courage. [. . . ] The philosopher could excuse the hasty sallies of discontent; and the hero could despise the ambitious projects, which surpassed the fortune or the abilities of the rash conspirators.« 137 Der Wesenszug der Eitelkeit, der hier als eine von mehreren Eigenschaften genannt wird, wirft einen Schatten auf eine eigentlich positive Maßnahme des neuen Herrschers und unterminiert das Image des über Palastintrigen und Verschwörungen erhabenen Philosophen und Helden. 138 Julians Abscheu, die eigene Macht zur Schau zu stellen und (wie seine Vorgänger Diokletian und Konstantin) als Despot aufzutreten, stößt auf ein zwiespältiges Echo: Eine aufrichtige Verbundenheit des Herrschers mit den Werten der Republik 139 wird in Gibbons Darstellung überlagert von öffentlichen Auftritten, bei denen Julian demonstrativ den Consuln seine Ehrerbietung bezeugte und damit eine untergeordnete Stellung des Kaisers inszenierte, die in der politischen Realität nicht mehr bestand. 140 In einer Art von Quintessenz am Ende von Kapitel XXII gesteht Gibbon dem Kaiser persönliche Qualitäten zu, die bei einer anderen Herkunft auch eine Karriere als Feldherr, Politiker oder Gelehrter ermöglicht hätten. 141 Allerdings 135
DF, XXII, Bd. 1, S. 854: »But in the execution of this salutary work, Julian is accused of proceeding with too much haste and inconsiderate severity. [. . . ] Such indeed was the temper of Julian, who seldom recollected the fundamental maxim of Aristotle, that true virtue is placed at an equal distance between the opposite vices.« 136 DF, XXII, Bd. 1, S. 855 ff. 137 DF, XXII, Bd. 1, S. 857 f. 138 Zur Ambivalenz von Gibbons Charakterzeichnung vgl. auch Larthomas, S. 71 ff. 139 DF, XXII, Bd. 1, S. 859: »[Julian] sincerely abhorred the system of Oriental despotism, which Diocletian, Constantine, and the patient habits of fourscore years, had established in the empire.« 140 DF, XXII, Bd. 1, S. 859: »The emperor, on foot, marched before their [the magistrates’] litters; and the gazing multitude admired the image of ancient times, or secretly blamed a conduct, which, in their eyes, degraded the majesty of the purple.« 141 DF, XXII, Bd. 1, S. 863: »But the personal merit of Julian was, in some measure, independent of his fortune. Whatever had been his choice of life; by the force of intrepid courage, lively wit, and intense application, he would have obtained, or at least he would have deserved, the highest honours of his profession; and Julian might have raised himself to the rank of minister, or general, of the state in which he was born a private citizen.«
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verwehrt er Julian den Status einer überragenden Herrscherpersönlichkeit, was durch einen Vergleich mit einigen von Julians berühmten Vorgängern veranschaulicht wird. »When we inspect, with minute, or perhaps malevolent attention, the portrait of Julian, something seems wanting to the grace and perfection of the whole figure. His genius was less powerful and sublime than that of Cæsar; nor did he possess the consummate prudence of Augustus. The virtues of Trajan appear more steady and natural, and the philosophy of Marcus is more simple and consistent.« 142 Die Julian zugebilligten Vorzüge (Gleichmut gegenüber den Wechselfällen des Lebens; Pflichtbewusstsein; Sorge für seine Untertanen; Vereinigung von Autorität und Verdienst, Glück und Tugend) lesen sich dann relativ beliebig. 143 Ein besonderer Stellenwert kommt Julians in einem eigenen Kapitel behandelter Religionspolitik zu. Gleich zu Beginn von Kapitel XXIII grenzt Gibbon sich, ähnlich wie bei Konstantin, explizit von den Charakterbildern zeitgenössischer Kirchenkritiker wie Voltaire ab, die den Apostaten zum Ideal des toleranten und philosophischen Herrschers stilisiert hatten. »The character of Apostate has injured the reputation of Julian; and the enthusiasm which clouded his virtues, has exaggerated the real and apparent magnitude of his faults. Our partial ignorance may represent him as a philosophic monarch, who studied to protect, with an equal hand, the religious factions of the empire; and to allay the theological fever which had inflamed the minds of the people, from the edicts of Diocletian to the exile of Athanasius. A more accurate view of the character and conduct of Julian, will remove this favourable prepossession for a prince who did not escape the general contagion of the times« 144 »General contagion of the times« meint hier die religiöse Besessenheit, die Julian mit seiner eigenen Epoche teilte, denn wie Gibbons nachfolgende Darlegung deutlich macht, unterlief sein fanatischer Glaube an die heidnische Mythologie 142
DF, XXII, Bd. 1, S. 863. Gibbon spielt hier vielleicht auf eine Stelle aus Voltaires JulianArtikel im »Dictionnaire philosophique« an. Voltaire hatte Julians Qualitäten durch einen Vergleich mit berühmten römischen Staatsmännern herausgestrichen und kam zu dem Ergebnis, dass der Apostat allen großen Vorgängern (mit Ausnahme Mark Aurels) überlegen war: »Enfin, en discutant les faits, on a été obligé de convenir que Julien avait toutes les qualités de Trajan, hors le goût si longtemps pardonné aux Grecs et aux Romains; toutes les vertus de Caton, mais non pas son opiniâtreté et sa mauvaise humeur; tout ce qu’on admira dans Jules César, et aucun de ses vices; il eut la continence de Scipion. Enfin il fut en tout égal à Marc-Aurèle, le premier des hommes.«; Voltaire, »Julien«, S. 249 f. Vgl. Spink, S. 1413. 143 DF, XXII, Bd. 1, S. 863: »Yet Julian sustained adversity with firmness, and prosperity with moderation. After an interval of one hundred and twenty years from the death of Alexander Severus, the Romans beheld an emperor who made no distinction between his duties and his pleasures; who labored to relieve the distress, and to revive the spirit, of his subjects; and who endeavoured always to connect authority with merit, and happiness with virtue.« 144 DF, XXIII, Bd. 1, S. 864.
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die geistigen Fähigkeiten des Kaisers und hatte einen negativen Einfluss auf seine Regierung. »A devout and sincere attachment for the gods of Athens and Rome, constituted the ruling passion of Julian; the powers of an enlightened understanding were betrayed and corrupted by the influence of superstitious prejudice; and the phantoms which existed only in the mind of the emperor, had a real and pernicious effect on the government of the empire.« 145 Die Quellenlage für die Beurteilung von Julians Religion charakterisiert Gibbon als gut, Zeugnisse von Verteidigern und Widersachern des Kaisers ergänzten einander, 146 was Gibbons eigener Methodik entgegenkommt, Quellen mit gegenläufiger Tendenz einander gegenüberzustellen. Als besonders wertvoll schätzt Gibbon dabei den schon häufiger positiv erwähnten Ammianus Marcellinus ein (»a judicious and candid historian, the impartial spectator of his [Julian’s] life and death« 147), zu den Aussagen heidnischer und christlicher Gewährsleute kommen eigene Texte des Kaisers. Auf Distanz geht Gibbon nicht nur zu den idealisierten Julian-Darstellungen der »philosophes« und anderer kirchenkritischer Autoren, sondern auch zu den christlichen Invektiven (angefangen mit Gregor von Nazianz), in denen Julian als Erzfeind aller Christen geschmäht wurde. »The triumph of the party, which he deserted and opposed, has fixed a stain of infamy on the name of Julian; and the unsuccessful apostate has been overwhelmed with a torrent of pious invectives, of which the signal was given by the sonorous trumpet of Gregory Nazianzen.« 148 Eine detaillierte Untersuchung von Julians religiösem »Werdegang« schließt sich an: Julian erhielt im Kindesalter die Taufe und wurde umfassend christlich erzogen, was Gibbon zu der spöttischen Bemerkung veranlasst, er wäre nur knapp einem Leben als Bischof (oder Heiliger) entgangen. 149 Dem christlichen Glauben zuerst nicht abgeneigt stießen den Heranwachsenden, so Gibbon, die spirituelle Dominanz der Geistlichen und der geforderte Glaubensgehorsam ab, verschärft
145
DF, XXIII, Bd. 1, S. 864. Gibbon knüpft damit auch an das Urteil von Richard Bentley an, der, gegen die »freethinker« gerichtet, die Irrationalität von Julians Glauben kritisiert hatte; Womersley (2002), S. 128 u.139. 146 DF, XXIII, Bd. 1, S. 864: »We enjoy the singular advantage of comparing the pictures which have been delineated by his fondest admirers, and his implacable enemies.« 147 DF, XXIII, Bd. 1, S. 864. 148 DF, XXIII, Bd. 1, S. 865 mit Anm. 2 u. 3 zu Gregor von Nazianz. Vgl. auch ebd., S. 908, Anm. 140: »Gregory charges the Apostate with secret sacrifices of boys and girls; and positively affirms, that the dead bodies were thrown into the Orontes. [. . . ] Yet contemporary malice could not impute to Julian the troops of martyrs, more especially in the West, which Baronius so greedily swallows, and Tillemont so faintly rejects.« 149 DF, XXIII, Bd. 1, S. 865 ff. mit Anm. 7: »[Julian] escaped very narrowly from being a bishop, and perhaps a saint.«
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durch die theologischen Querelen des arianischen Streits. 150 Erneut rekurriert Gibbon hier auf verschiedene religionssoziologische Ideen Humes aus der »Natural History«, um die Ausbildung von Julians Glauben erklären zu können. Die Inhalte polytheistischer Glaubensformen zeigten sich, anders als bei monotheistischen Religionen, als locker strukturiert und unzusammenhängend, ihre Anhänger genossen eine größere Glaubensfreiheit, erläutert Gibbon im Anschluss an Hume. 151 Julians Glauben charakterisiert Gibbon dann, mit einem zusätzlichen Seitenhieb gegen das Christentum, als weit gefasst und widervernünftig: »The creed which Julian adopted for his own use, was of the largest dimensions; and, by a strange contradiction, he disdained the salutary yoke of the Gospel, whilst he made a voluntary offering of his reason on the altars of Jupiter and Apollo.« 152 Bei dieser zwar irrationalen, an sich aber toleranten (und damit ungefährlichen) Form der Religion blieb der »philosophische« Herrscher jedoch nicht stehen, wie die weitere Analyse deutlich macht. »But the devout philosopher, who sincerely embraced, and warmly encouraged, the superstition of the people, reserved for himself the privilege of a liberal interpretation; and silently withdrew from the foot of the altars into the sanctuary of the temple.« 153 Eine gefährliche Wendung nimmt Julians religiöse Entwicklung nach Gibbon dadurch, dass Julian sich neuplatonischen Lehrern in der Tradition von Plotin, Porphyrius und Iamblichos von Chalkis anschloss, die eine allegorische Auslegung der griechischen Mythologie betrieben und damit philosophische Ansätze in die eigentlich philosophiefreie Mythologie einführten. 154 Unter Rückgriff auf eine weitere Theorie Humes aus der »Natural History«, die schädlichen Auswirkungen einer Vermischung von Religion und Philosophie, kann Gibbon damit erklären, warum Julian als Glaubensfanatiker auftrat, wogegen das traditionelle Heidentum in Gibbons
150
DF, XXIII, Bd. 1, S. 866 f.: »But the independent spirit of Julian refused to yield the passive and unresisting obedience which was required, in the name of religion, by the haughty ministers of the church.« (Zitat S. 866). 151 DF, XXIII, Bd. 1, S. 867 f.: »The weakness of polytheism was, in some measure, excused by the moderation of its claims; and the devotion of the Pagans was not incompatible with the most licentious scepticism. Instead of an indivisible and regular system, which occupies the whole extent of the believing mind, the mythology of the Greeks was composed of a thousand loose and flexible parts, and the servant of the gods was at liberty to define the degree and measure of his religious faith.«; Hume, Natural History, XII, S. 347 ff. In einer Fußnote (Anm. 12) würdigt Gibbon hier explizit Humes Untersuchung: »A modern philosopher has ingeniously compared the different operation of theism and polytheism, with regard to the doubt or conviction, which they produce in the human mind.« 152 DF, XXIII, Bd. 1, S. 868. 153 DF, XXIII, Bd. 1, S. 868. 154 DF, XXIII, Bd. 1, S. 868 f. Vgl. Womersley (2002), S. 138 f.
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bisheriger, an Hume angelehnter Darstellung als grundsätzlich tolerant charakterisiert wurde. 155 Aus seiner Abneigung gegenüber der in seinen Augen obskuren und anmaßenden neuplatonischen Lehre macht Gibbon keinen Hehl: »This freedom of interpretation, which might gratify the pride of the Platonists, exposed the vanity of their art. Without a tedious detail, the modern reader could not form a just idea of the strange allusions, the forced etymologies, the solemn trifling, and the impenetrable obscurity of these sages, who professed to reveal the system of the universe.« 156 Mit der Feststellung, dass Julians Religion zu Unrecht als eine Form der in der Aufklärung prominenten »natürlichen« Religion eingestuft wurde und stattdessen alle Kennzeichen des Aberglaubens trug, wendet sich Gibbon gegen eine Vereinnahmung des Apostaten für die Sache der frühneuzeitlichen Kirchenkritik. »The theological system of Julian appears to have contained the sublime and important principles of natural religion. But as the faith, which is not founded on revelation, must remain destitute of any firm assurance, the disciple of Plato imprudently relapsed into the habits of vulgar superstition; and the popular and philosophic notion of the Deity seems to have been confounded in the practice, the writings, and even in the mind of Julian.« 157 Die neuplatonische Praxis der Theurgie, in der die Eingeweihten angeblich direkt auf die Götter einwirken und mit ihnen in Kontakt treten konnten, verurteilt Gibbon mit zwei Schlagworten der Aufklärung als »Schwärmerei« und »Betrug«: »In every age, the absence of genuine inspiration is supplied by the strong illusions of enthusiasm, and the mimic arts of imposture.« 158 Mit dem Begriff des »Betrügers« bringt Gibbon hier einen Terminus ein, der innerhalb der frühneuzeitlichen Klerus- und Religionskritik virulent war und beispielsweise in den Schriften der englischen Deisten dazu verwendet wurde, die Korruption einer ursprünglichen »natürlichen« Religion durch betrügerische Machenschaften der Priester zu erklären. 159 Besonders kritisch liest sich in diesem Zusammen155
Vgl. z. B. DF, II, Bd. 1, S. 56 f.: »The superstition of the people was not embittered by any mixture of theological rancor; nor was it confined by the chains of an speculative system. The devout polytheist, though fondly attached to his national rites, admitted with implicit faith the different religions of the earth.« (mit Anm. 3 zu Hume); Hume, Natural History, XI, S. 341 f. 156 DF, XXIII, Bd. 1, S. 869. Zu Gibbons Abneigung gegenüber dem Neuplatonismus vgl. Pocock (1990), S. 338 f. 157 DF, XXIII, Bd. 1, S. 870. Zur Idee der »natürlichen« Religion vgl. Harrison (1990), S. 73. 158 DF, XXIII, Bd. 1, S. 871. Der Begriff Theurgie geht vermutlich auf den »Chaldäer« Julianos (den Jüngeren) zur Zeit Mark Aurels zurück und wurde durch Iamblichos in den Neuplatonismus übernommen; Karl Hoheisel: »Theurgie«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 9 (2000). 159 Zur Verwendung des Begriffs im englischen Deismus vgl. Harrison (1990), S. 73 ff. Der Begriff verweist auch auf das anonym veröffentlichte Werk »Traité des trois imposteurs«, das Auszüge aus verschiedenen religionskritischen Texten des 17. Jahrhunderts versammelt
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hang, dass die Riten der Theurgie nicht von (heidnischen) Priestern, sondern von Philosophen praktiziert wurden. 160 Julians Einführung in die Theurgie ironisiert Gibbon mit erzählerischen Mitteln, indem er vorgeblich davon abrückt, die realen oder eingebildeten Erfahrungen des Kaisers schildern zu wollen (weil die fraglichen Mysterien ja nur Eingeweihten zugänglich waren). »As these ceremonies were performed in the depth of caverns, and in the silence of the night; and as the inviolable secret of the mysteries was preserved by the discretion of the initiated, I shall not presume to describe the horrid sounds, and fiery apparitions, which were presented to the senses, or the imagination, of the credulous aspirant, till the visions of comfort and knowledge broke upon him in a blaze of celestial light.« 161 Wie alle religiösen »Schwärmer« offenbart Julian in Gibbons Analyse auch eine heuchlerische Seite: »In the caverns of Ephesus and Eleusis, the mind of Julian was penetrated with sincere, deep, and unalterable enthusiasm; though he might sometimes exhibit the vicissitudes of pious fraud and hypocrisy, which may be observed, or at least suspected, in the characters of the most conscientious fanatics.« 162 Dass der Kaiser seine religiösen Überzeugungen lange Zeit, außer gegenüber den Anhängern der heidnischen Kulte, geheim hielt und in der Öffentlichkeit als Christ auftrat, wird von Gibbon als Verstellung kritisiert. 163 Der heidnischen Kritik anschließen kann sich Gibbon im Fall von Julians Auftreten als oberstem Priester. Nachdem im Jahr 361 die heidnischen Tempel wieder geöffnet worden waren, übte der Kaiser das Amt des obersten Priesters aus und ging in seinem Glaubenseifer so weit, eigenhändig die Opferhandlungen und in dem Moses, Jesus und Mohammed als Betrüger dargestellt werden; Nippel (2013a), S. 66 f.; Berti, S. 561; zur komplexen Entstehungs- und Publikationsgeschichte des »Traité« vgl. ausführlich Winfried Schröder: Einleitung, in: Anonymus, Traktat über die drei Betrüger, hg. u. übers. v. Winfried Schröder, Hamburg 1992, VII – LII, hier S. XIV ff. Gibbon besaß eine Manuskriptfassung dieses Werks; David Womersley: Gibbon’s Religious Characters, in: Stefan Collini u. a. (Hgg.), History, Religion, and Culture. British Intellectual History 1750 – 1950, Cambridge 2000, 69 – 88, hier S. 71. 160 DF, XXIII, Bd. 1, S. 871: »But it may appear a subject of surprise and scandal, that the philosophers themselves should have contributed to abuse the superstitious credulity of mankind, and that the Grecian mysteries should have been supported by the magic or theurgy of the modern Platonists. They arrogantly pretended to controul the order of nature, to explore the secrets of futurity, to command the service of the inferior dæmons, to enjoy the view and conversation of the superior gods, and, by disengaging the soul from her material bands, to reunite that immortal particle with the Infinite and Divine Spirit.« 161 DF, XXIII, Bd. 1, S. 872 162 DF, XXIII, Bd. 1, S. 872. 163 DF, XXIII, Bd. 1, S. 873 ff.: »But the young prince, who aspired to the glory of a hero rather than of a martyr, consulted his safety by dissembling his religion; and the easy temper of polytheism permitted him to join in the public worship of a sect which he inwardly despised.« (Zitat S. 874).
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zu vollziehen. »The wisest of the pagans censured this extravagant superstition, which affected to despise the restraints of prudence and decency.« 164 Mit Spott bedacht wird auch der enorme Verbrauch an Opfertieren, der einem sparsamen Staatshaushalt zuwider lief. 165 Nur angedeutet werden kann hier, wie es Gibbon offensichtlich Vergnügen bereitet, die unterschiedlich parteiliche Einfärbung seiner Quellen vorzuführen, was zugleich für die eigene Darstellung ein hohes Maß an Unparteilichkeit suggeriert. »The restoration of the Pagan worship is described by Julian, Libanius, Ammianus, and Gregory Nazianzen. These writers agree in the essential, and even minute, facts: but the different lights in which they view the extreme devotion of Julian, are expressive of the gradations of selfapplause, passionate admiration, mild reproof, and partial invective.« 166 Gibbons eigene Schilderung der Opferungen lässt sich wohl am ehesten in der Nähe von Ammianus Marcellinus verorten. Wiederholt wird Julian von Gibbon mit (häufig negativ konnotierten) Kennzeichnungen und Rollen aus dem Bereich der Kirche bedacht, sein religionspolitisches Agieren auf diese Weise mit dem Auftreten christlicher Amtsträger gleichgesetzt. Die Visionen des Kaisers rückt Gibbon so in die Nähe des Aberglaubens ägyptischer Mönche: »These sleeping or waking visions, the ordinary effects of abstinence and fanaticism, would almost degrade the emperor to the level of an Egyptian monk. But the useless lives of Antony or Pachomius were consumed in these vain occupations. Julian could break from the dream of superstition to 164
DF, XXIII, Bd. 1, S. 878. Gibbons Quelle ist Ammianus Marcellinus (vgl. unten, Anm. 936). Mit einem »Restitutionsedikt« (361) verfügte Julian die Wiedereröffnung der heidnischen Tempel, eine erneute Ausübung der dort praktizierten Kulte sowie den Wiederaufbau zerstörter Heiligtümer und die Restitution eingezogener Gelder und Besitztümer; Lippold, »Iulianus I (Kaiser)«. 165 DF, XXIII, Bd. 1, S. 878. Dieser Vorwurf stammt ebenfalls aus Ammianus Marcellinus (vgl. Kapitel 7.2, Anm. 166). 166 DF, XXIII, Bd. 1, S. 878 f., Anm. 36. Julian, Misopogon 15; Libanius, Oration 12: An Address to the Emperor Julian as Consul, 81: »And best of all, he [Julian] is not enthroned on high or fenced around with golden shields, worshipping the gods by means of another’s hands. He performs the sacrifice in person [. . . ]«; Ammianus Marcellinus 22, 12: »Mit Strömen vom Blut der Opfertiere übergoß er die Altäre nur allzu häufig und opferte bisweilen hundert Stiere und zahllose Herden von verschiedenem Kleinvieh, dazu weiße Vögel, die zu Wasser und zu Lande aufgebracht wurden. [. . . ] Die Riten der Zeremonien nahmen ein unbeschreibliches Ausmaß an, und die Kosten stiegen in einer bis dahin ungewöhnlichen und drückenden Weise.«; Gregor von Nazianz, Reden 4, 52: »Wie diejenigen, welche stolz auf sein unsagbares Beginnen sind, berichten, war der Anfang seiner Vermessenheit: Mit unheiligem Blute – gezwungen erzähle ich es – wäscht er seine Taufe ab, unseren Weihen setzt er abscheuliche Weihungen entgegen, ein Schwein, das sich im Schmutze wälzte, wie das Sprichwort sagt. Seine Hände entweiht er und »reinigt« er von dem unblutigen Opfer, durch welches wir an Christus, seinen Leiden und seiner Gottheit Anteil haben. Unter Opfern geschlachteter Tiere errichtet er seine Herrschaft, auf schlimme Ratgeber seines schlimmen Reiches horchend.«
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arm himself for battle [. . . ].« 167 In seinen Schriften gegen das Christentum, in denen er eine philosophische Rechtfertigung seiner Apostasie vornahm, erweist Julian sich nach Gibbon als Missionar (»Imperial missionary«) und polemischer Geistlicher. 168 Auch Julians Versuche, die heidnischen Kulte neu zu organisieren, und seine Briefe an die Priester unterschiedlicher Städte werden von Gibbon in einer kirchlichen Terminologie beschrieben: »Julian named for his vicars, in the several provinces, the priests and philosophers, whom he esteemed the best qualified to cooperate in the execution of his great design; and his pastoral letters, if we may use that name, still represent a very curious sketch of his wishes and intentions.« 169 Ausgehend von diesen »Hirtenbriefen« entwirft Gibbon das Bild eines Glaubenseiferers, der mit dem Geschick eines Jesuiten theologische Rechtfertigungen entwarf 170 und eine Art Index oder Schwarze Liste für die eigenen Anhänger aufstellte, die eine Reihe von philosophischen Schriften von der Lektüre ausschloss. »The exultation of Julian, that these impious sects, and even their writings, are extinguished, may be consistent enough with the sacerdotal character: but it is unworthy of a philosopher to wish that any opinions and arguments the most repugnant to his own should be concealed from the knowledge of mankind.« 171 Die Gegenüberstellung der beiden Rollen des »sacerdotal character« und des »philosopher« an dieser Stelle entlarvt zusätzlich Julians Befangenheit und verkehrt das Bild eines philosophischen Herrschers in sein Gegenteil. Im Zuge seiner Reorganisation des Heidentums kopierte Julian außerdem bestimmte Einrichtungen der christlichen Gemeinden (so die Unterhaltung von Hospitälern), was den Spott des Kirchenvaters Gregor von Nazianz auf sich zog, dem Gibbon sich in diesem Zusammenhang ausnahmsweise anschließen kann. »Gregory Nazianzen is facetious, ingenious, and argumentative. He ridicules the folly of
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DF, XXIII, Bd. 1, S. 873. Zu Gibbons Kritik an der geistigen Verfassung der Mönche vgl. z. B. DF, XXXVII, Bd. 2, S. 425: »[The monks’] visions, before they attained that extreme and acknowledged term of frenzy, have afforded ample materials of supernatural history, It was their firm persuasion, that the air, which they breathed was peopled with invisible enemies; with innumerable dæmons, who watched every occasion, and assumed every form, to terrify, and above all to tempt, their unguarded virtue.« 168 DF, XXIII, Bd. 1, S. 875: »The minds of the faithful were either seduced, or scandalized, or alarmed; and the pagans, who sometimes presumed to engage in the unequal dispute, derived, from the popular work of their Imperial missionary, an inexhaustible supply of fallacious objections. But in the assiduous prosecution of these theological studies, the emperor of the Romans imbibed the illiberal prejudices and passions of a polemic divine.« 169 DF, XXIII, Bd. 1, S. 879. 170 DF, XXIII, Bd. 1, S. 879, Anm. 37. 171 DF, XXIII, Bd. 1, S. 880, Anm. 38.
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such vain imitation; and amuses himself with inquiring, what lessons, moral or theological, could be extracted from the Grecian fables.« 172 Die Personen, die Julian als Anhänger der Theurgie an seinen Hof zog, werden von Gibbon als Betrüger (»impostors«) charakterisiert, also ebenfalls mit einem Begriff der frühneuzeitlichen Kleruskritik etikettiert: »[. . . ] he [Julian] chose his favourites among the sages, who were deeply skilled in the occult sciences of magic and divination; and every impostor, who pretended to reveal the secrets of futurity, was assured of enjoying the present hour in honour and affluence.« 173 Die Vermischung von philosophischem Anspruch und abergläubischen Zügen in der Religion Julians kann Gibbon hier durch einen ironischen Verweis auf Tillemont illustrieren, denn bereits der jansenistische Theologe kritisierte in seiner »Histoire des Empereurs« das bedenkliche Umfeld des Apostaten. »It is strange that we should not be able to contradict the title of one of Tillemont’s chapters ›La Cour de Julien est pleine de philosophes et de gens perdûs‹.« 174 Eine Selbstdarstellung des Kaisers nützt Gibbon, um Julian zudem als fanatischen Missionar auszuweisen. »The acquisition of new proselytes gratified the ruling passions of his [Julian’s] soul, superstition and vanity; and he was heard to declare, with the enthusiasm of a missionary, that if he could render each individual richer than Midas, and every city greater than Babylon, he should not esteem himself the benefactor of mankind, unless, at the same time, he could reclaim his subjects from their impious revolt against the immortal gods.« 175 In einer Anmerkung macht Gibbon hier eine (vielleicht auch gegen Voltaire gerichtete) zeitgenössische Querverbindung zur Verfolgung der französischen Hugenotten unter Ludwig XIV. auf und äußert die Hoffnung, England möge von derartigen
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DF, XXIII, Bd. 1, S. 880, Anm. 40; Gregor von Nazianz, Reden 4, 112: »Es hätte sich zeigen können, was Original und was Nachäfferei ist. Affen sollen nämlich menschliche Handlungen nachahmen, wenn man so schlau ist, ihnen schmackhafte Brocken vorzuwerfen. Durch diese lassen sie sich gewinnen; unsere Weisheit aber können sie trotz ihrer Nachahmungskunst nicht erreichen. Thessalische Pferde, lacedämonische Frauen und aus der Arethusaquelle trinkende Männer – ich meine, dem Orakel folgend, die Sizilianer –, sind in ihrer Art nicht besser, als es in ihrer Art die erwähnten Bräuche und Gesetze sind, welche vor allem für die Christen passen und von keinem, die uns nachgehen wollen, nachgemacht worden sind; denn sie verdanken nicht so sehr menschlichen Erwägungen, als vielmehr göttlicher Kraft und dem Konservatismus ihren Sieg.« Gibbon verweist auf Gregor von Nazianz, Reden 3. 173 DF, XXIII, Bd. 1, S. 881; Ammianus Marcellinus 22, 12: »Da es uneingeschränkt erlaubt war, wurden alle, die vorgaben, Kenntnis im Weissagen zu besitzen, ob unerfahren oder gelehrt, ohne Einschränkung und vorherbestimmte Regeln zugelassen, Orakel sowie Eingeweideschau zu befragen, die bisweilen die Zukunft eröffnen [. . . ].« 174 DF, XXIII, Bd. 1, S. 882, Anm. 48. 175 DF, XXIII, Bd. 1, S. 883. Das von Gibbon wiedergegebene Zitat Julians stammt aus Libanius (Anm. 50).
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Phänomenen verschont bleiben. 176 Julians missionarisches Engagement zeigte sich, so Gibbon, auch gegenüber den Truppen, denn die Soldaten wurden an öffentlichen Festtagen, eingeschüchtert durch die Gegenwart des Kaisers, zum Vollzug der heidnischen Opfer genötigt. 177 An einer anderen Stelle bezeichnet Gibbon Julian schließlich als bigott, weil der Kaiser in einem seiner Briefe ein Zitat aus der Odyssee in verdrehter Form wiedergegeben hätte. 178 Immer wieder wird Julian in Kapitel XXIII also mit Kennzeichnungen aus dem kirchlichen Bereich bedacht, der Kaiser nimmt u. a. die Rollen eines ägyptischen Mönchs, polemischen Geistlichen oder passionierten Missionars ein. Auf diese Weise entsteht das Bild eines Glaubensfanatikers, der den christlichen Eiferern in nichts nachsteht, denen er von Autoren wie Voltaire als leuchtendes Vorbild der Toleranz entgegengestellt wurde. Wie die bisher zitierten Beispiele gezeigt haben, bringt Gibbon zudem an zahlreichen Stellen die an Hume erinnernden Begriffe der Schwärmerei und des Aberglaubens in seine Charakterisierung Julians ein. 179 In Bezug auf Julian spricht Gibbon u. a. von »superstitious prejudice« und »the phantoms which existed only in the mind of the emperor« 180, »the most fervent and enthusiastic devotion« 181, »sincere, deep, and unalterable enthusiasm« 182 und »this extravagant superstition« 183, um nur einige Stellen anzuführen. Ohne dass Gibbon diese bei Hume eigentlich gegensätzlichen Begriffe trennscharf und mit ihrem vollständigen Bedeutungsgehalt anwenden würde, wird Julians Glaube durch die wiederholten Anspielungen auf zwei Formen einer degenerierten Religion mit Charakteristika wie zu Gewalt neigender Selbstüberschätzung (Schwärmerei) oder Irrationalität (Aberglaube) in Verbindung gebracht und in ein sehr schlechtes Licht gerückt. Angesichts dieser kritischen Kennzeichnungen überrascht es nicht, dass sich auch Gibbons Bewertung der Christenpolitik Julians von vielen Kirchenkritikern unterscheidet, die den Kaiser als ein Vorbild religiöser Toleranz gelobt hatten. 176
DF, XXIII, Bd. 1, S. 883, Anm. 49: »Under the reign of Lewis XIV. his subjects of every rank aspired to the glorious title of Convertisseur, expressive of their zeal and success in making proselytes. The word and the idea are growing obsolete in France; may they never be introduced into England!« 177 DF, XXIII, Bd. 1, S. 883 f. 178 DF, XXIII, Bd. 1, S. 892, Anm. 87: »These two lines, which Julian has changed and perverted in the true spirit of a bigot, are taken from the speech of Æolus [. . . ].« 179 Hume, Of Superstition, passim. Zu Gibbons Verwendung dieser Begriffe vgl. Pocock (1982), S. 83. Pocock geht in seinem Aufsatz (S. 87) allerdings davon aus, dass Gibbon Julians Religion (im Anschluss an Hume) eindeutig als »Schwärmerei« charakterisiert. 180 DF, XXIII, Bd. 1, S. 864. 181 DF, XXIII, Bd. 1, S. 869, Anm. 17. 182 DF, XXIII, Bd. 1, S. 872. 183 DF, XXIII, Bd. 1, S. 878.
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Gibbon würdigt zwar ein im Jahr 361 oder 362 erlassenes Edikt Julians, das eine allgemeine Glaubensfreiheit proklamierte: »But the hopes, as well as the fears, of the religious factions were apparently disappointed, by the prudent humanity of a prince, who was careful of his own fame, of the public peace, and of the rights of mankind. [. . . ] Actuated by these motives, and apprehensive of disturbing the repose of an unsettled reign, Julian surprised the world by an edict, which was not unworthy of a statesman, or a philosopher.« 184 Die darin zum Ausdruck kommende tolerante Gesinnung konterkariert Gibbon jedoch gleich wieder, indem er eine von Ammian überlieferte Anekdote über Julian und die Christen einbringt. In dessen »Römischer Geschichte« findet sich der Bericht, dass der Kaiser die Anführer aller christlichen Glaubensrichtungen in Konstantinopel versammelte, nachdem er das Exil derjenigen Christen aufgehoben hatte, die unter seinen arianischen Vorgängern verbannt worden waren. Mit diesem Schritt habe er jedoch keine ausgleichenden Absichten verfolgt, sondern sich an den innerchristlichen Kontroversen erfreuen und Unfrieden in der Kirche stiften wollen. 185 Die scharfe Verurteilung von Julians Annäherung an das jüdische Volk, die in dem Plan gipfelte, den zerstörten Tempel von Jerusalem wiederaufzubauen (vgl. Kapitel 5.2), ist geprägt von Gibbons Ablehnung des Judentums: »The blind superstition, and abject slavery, of those unfortunate exiles, must excite the contempt of a philosophic emperor; but they deserved the friendship of Julian, by their implacable hatred of the Christian name.« 186 Julians antichristliche Maßnahmen werden von Gibbon mit deutlichen Worten kritisiert: Die finanzielle Benachteiligung der christlichen Gemeinden, weil ihnen früher gewährte Mittel nicht mehr zukamen, charakterisiert er als »insidious policy« und »a principle, pregnant with mischief and oppression« 187; das Verbot für christliche Lehrer, in Schulen Rhetorik- und Grammatikunterricht zu erteilen (was indirekt auch christliche Schüler vom Unterricht ausschloss und die Kirche langfristig von der kulturellen Entwicklung abgekoppelt hätte) geißelt er als »partial and oppressive measure«, die auch Ammianus Marcellinus kritisierte 188; 184
DF, XXIII, Bd. 1, S. 876. Dieser Toleranzerlass sah auch vor, dass alle Personen, die unter Julians Vorgängern wegen ihres Glaubens verbannt worden waren, in ihre Heimat zurückkehrten; Lippold, »Iulianus I (Kaiser)«. 185 DF, XXIII, Bd. 1, S. 877: »The impartial Ammianus has ascribed this affected clemency to the desire of fomenting the intestine divisions of the church; and the insidious design of undermining the foundations of Christianity, was inseparably connected with the zeal, which Julian professed, to restore the ancient religion of the empire.«; Ammianus Marcellinus 22, 5. 186 DF, XXIII, Bd. 1, S. 884 f. Die Vorgänge rund um den Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels schildert Gibbon ebd., S. 888 ff. 187 DF, XXIII, Bd. 1, S. 892. 188 DF, XXIII, Bd. 1, S. 892 ff. (Zitat S. 892); Ammianus Marcellinus 22, 10: »Unvereinbar mit seiner [Julians] Milde war jedoch die Verfügung, die man mit ewigem Schweigen bedecken
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die Entlassung eines großen Teils der in staatlichen und militärischen Stellungen tätigen Christen wird als »injustice« bezeichnet. 189 Gibbon kommt zu dem Schluss, dass Julian (um nicht als Verfolgungskaiser zu gelten) keine offizielle Christenverfolgung anordnete, antichristliche Maßnahmen der Provinzstatthalter jedoch stillschweigend tolerierte, da sie seinen eigentlichen Intentionen entsprachen. 190 Die Befangenheit christlicher Berichte über die diskriminierenden Maßnahmen gegen Christen will Gibbon zwar berücksichtigen, setzt sie in einer versteckten Spitze jedoch mit Julians eigener Parteilichkeit gleich, so dass die feindlichen Absichten des Kaisers doch wieder in den Blick rücken. »Some drawback may however be allowed for the violence of their [Gregory of Nazianzus, Socrates, Theodoret] zeal, not less partial than the zeal of Julian.« 191 Besonders drastische Folgen hatte für Gibbon ein kaiserliches Gesetz, das die Christen verpflichtete, die durch sie zerstörten heidnischen Tempel wiederaufzubauen (häufig mussten auch an diesen Orten errichtete Kirchen abgerissen werden) und den Heiden materielle Wiedergutmachung zu leisten. 192 Am Beispiel des Bischofs von Arethusa, der von heidnischen Magistraten gequält wurde, veranschaulicht Gibbon, welche Exzesse dieses Gesetz nach sich zog. 193 Dass Julians Verhalten auf eine versteckte Form der Christenverfolgung hinauslief, kann Gibbon am Beispiel Antiochias demonstrieren: Auf Befehl des Kaisers mussten im Winter 362 im Apollon-Heiligtum in Daphne in der Nähe Antiochias alle sterblichen Überreste der dort begrabenen Christen (darunter die Reliquien von St. Babylas) entfernt werden. Christen zerstörten daraufhin den Tempel, Julian ordnete Maßnahmen gegen die christlichen Einwohner von Antiochia an, die in Ausschreitungen mündeten. 194 Von diesen ostentativen Grausamkeiten distanzierte sich Julian wiederum, um nicht in den Ruf eines Christenverfolgers
sollte, nach der den Lehrern der Rhetorik und Grammatik, soweit sie sich zum christlichen Glauben bekannten, die Lehrtätigkeit verboten wurde.« 189 DF, XXIII, Bd. 1, S. 894. 190 DF, XXIII, Bd. 1, S. 894: »In the exercise of arbitrary power, they [the provincial ministers] consulted the wishes, rather than the commands of their sovereign; and ventured to exercise a secret and vexatious tyranny against the sectaries, on whom they were not permitted to confer the honours of martyrdom.« 191 DF, XXIII, Bd. 1, S. 895, Anm. 96. 192 DF, XXIII, Bd. 1, S. 895: »But the whole empire, and particularly the East, was thrown into confusion by the rash edicts of Julian [. . . ].« Zu Julians »Restitutionsedikt« vgl. Lippold, »Iulianus I (Kaiser)«. 193 DF, XXIII, Bd. 1, S. 896. Diesen Vorfall bezeugt neben Gregor von Nazianz auch der heidnische Autor und Julian-Vertraute Libanius, den Gibbon als »unexceptionable and reluctant evidence« bezeichnet (Anm. 100). 194 DF, XXIII, Bd. 1, S. 898 ff. Zu den Ereignissen in Antiochia vgl. von Borries. »Iulianos (Apostata)«.
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zu kommen. 195 Obwohl La Bléterie für diese Vorgänge eine wichtige Quelle ist, bemängelt Gibbon in einer Anmerkung dessen allzu religiös gefärbte Darstellung. »This interdiction was performed with some circumstances of indignity and profanation: and the seasonable death of the principle actor, Julian’s uncle, is related with much superstitious complacency by the Abbé de la Bleterie.« 196 Berichte über die grausame Verfolgung der Christen in verschiedenen Städten werden von Gibbon als glaubwürdig eingeschätzt, weil sich in einer Rede Julians die Klage findet, dass die Bewohner der fraglichen Städte zu hart gegen die Christen vorgegangen seien. »This imperfect and reluctant confession may appear to confirm the ecclesiastical narratives; that in the cities of Gaza, Ascalon, Cæsarea, Heliopolis, &c. the Pagans abused, without prudence or remorse, the moment of their prosperity.« 197 Trotz der zurückhaltenden Formulierung scheint Gibbon in der sich anschließenden Aufzählung der heidnischen Grausamkeiten seine übliche Distanz zu den Kirchenvätern als Quelle etwas zu verlieren. 198 Als abschließendes Beispiel folgt in Kapitel XXIII die Tötung Georgs von Kappadokien, des Erzbischofs von Alexandria, durch einen heidnischen Mob im Jahr 361, die im Unterschied zu anderen Gräueltaten durch das Zeugnis von Ammianus Marcellinus belegt ist. 199 Noch glaubwürdiger wird Gibbons Kritik, weil er sich in diesem Beispiel auch von der christlichen Lesart distanziert und nachdrücklich den korrumpierten Charakter Georgs ausmalt. »The Catholics of Alexandria and 195
DF, XXIII, Bd. 1, S. 900: »But this hasty act was blamed by the emperor; who lamented, with real or affected concern, that the imprudent zeal of his ministers would tarnish his reign with the disgrace of persecution.« Gibbon nennt keine Quelle für diese Aussage Julians, vielleicht übernahm er sie direkt aus La Bléterie, wo Julian ausführlich zitiert wird; La Bléterie, Life of the Emperor Julian, V, S. 234. 196 DF, XXIII, Bd. 1, S. 900, Anm. 115; La Bléterie, Life of the Emperor Julian, V, S. 234 ff. La Bléterie schilderte drastisch, wie der Onkel Julians, ein Feind der Christen, nach seinen Vergehen an den Christen von Gewissensbissen geplagt wurde und schließlich einer ominösen Krankheit erlag. Er wertete dieses Schicksal als göttliche Bestrafung: »All the city of Antioch regarded this death as a visible punishment.« (S. 236). 197 DF, XXIII, Bd. 1, S. 900; Julian, Misopogon 33: »Dabei weiß ich genau, daß jene [die Nachbarstädte von Antiochia] mich mehr als ihre eigenen Kinder lieben; sie haben ja auch einerseits sofort die Göttertempel wiedererrichtet und andererseits die Gräber der Gottlosen beseitigt aufgrund des Signals, das zuvor von mir gegeben worden war; und sie waren so ermutigt und im Geiste gestärkt, daß sie mehr, als mir lieb war, gegen die Frevler an den Göttern vorgingen.« 198 DF, XXIII, Bd. 1, S. 900: »Such scenes of religious madness exhibit the most contemptible and odious picture of human nature [. . . ].« 199 DF, XXIII, Bd. 1, S. 901 ff. In der entsprechenden Fußnote (Anm. 119) macht Gibbon ironisch auf die unterschiedliche Überzeugungskraft der relevanten Quellen aufmerksam: »The invectives of the two saints [Gregory of Nazianzus, Epiphanius] might not deserve much credit, unless they were confirmed by the testimony of the cool and impartial infidel [Ammianus Marcellinus].«; Ammianus Marcellinus 22, 11: »Jetzt aber, als plötzlich die erfreuliche Nachricht eintraf, die besagte, daß Artemius ausgelöscht war, gab die unverhoffte Freude der ganzen Plebs Auftrieb, und sie stürzte sich, unter schrecklichen Rufen tobend, auf Georgios.«
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Egypt were abandoned to a tyrant, qualified, by nature and education, to exercise the office of persecution; but he oppressed with an impartial hand the various inhabitants of his extensive diocese.« 200 Kritisiert wird in diesem Zusammenhang auch die katholische Kirche: Ungeachtet seines Lebenswandels ernannte sie Georg von Kappadokien später zum Märtyrer und Heiligen, einer Überlieferungstradition zufolge wurde er als heiliger Georg seit dem 13. Jahrhundert sogar offizieller Schutzpatron Englands. »The odious stranger, disguising every circumstance of time and place, assumed the mask of a martyr, a saint, and a Christian hero; and the infamous George of Cappadocia has been transformed into the renowned St. George of England, the patron of arms, of chivalry, and of the garter.« 201 Mit den Vorgängen in Alexandria kann Gibbon zudem ein eindringliches Beispiel für die parteiliche Regierung Julians liefern, denn während der Kaiser bei den zeitgleichen innerchristlichen Auseinandersetzungen in Edessa den Einzug des Vermögens der Kirche anordnete, tadelte er die antichristlichen Ausschreitungen in Alexandria nur verhalten. 202 Als Tyrann erwies sich Julian auch gegenüber dem alexandrinischen Bischof Athanasius, den er 362 seines Amtes entheben ließ und zur Flucht zwang, was Gibbon, der in Athanasius einen Verteidiger ziviler Freiheiten sah (vgl. Kapitel 6.2), zusätzlich verärgert haben dürfte. 203 Wie die vorangegangenen Beispiele gezeigt haben, bewertet Gibbon, in direktem Gegensatz beispielsweise zu Voltaire, Julians Politik gegenüber den Christen als eine Form der verdeckten Verfolgung: »I have endeavoured faithfully to represent the artful system by which Julian proposed to obtain the effects, without incurring the guilt, or reproach, of persecution.« 204 Eine Mitschuld schreibt Gibbon jedoch auch der Seite der Christen zu, weil sie (anders als frühere Glaubensgenossen) als Fanatiker auftraten und beispielsweise heidnische Kultplätze zerstörten. 205 Zusätzlich hätten den Kaiser die Verleumdungen zeitgenössischer 200
DF, XXIII, Bd. 1, S. 901. DF, XXIII, Bd. 1, S. 902 f. Zur Georgslegende vgl. Wolfgang Haubrichs: »Georg, Heiliger«, Theologische Realenzyklopädie, Bd. 12 (1984); Bernhard Kötting: »Georg, hl.«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 4 (1995); Nippel (2013a), S. 82. 202 DF, XXIII, Bd. 1, S. 903 f.: »The tumults of Alexandria were doubtless of a more bloody and dangerous nature: but a Christian bishop had fallen by the hands of the Pagans; and the public epistle of Julian affords a very lively proof of the partial spirit of his administration.« (Zitat S. 903); Julian, Briefe 59 (Julianus an die Bürger von Edessa) u. 53 (Imperator Caesar Julianus Maximus Augustus an die Bürger von Alexandria): »Ich aber wende bei euch aus den eben erwähnten Gründen nur das mildeste Heilmittel an, Zurechtweisung und Mahnungen [. . . ].« Vgl. Nippel (2013a), S. 82. 203 DF, XXIII, Bd. 1, S. 905: »Julian, who despised the Christians, honoured Athanasius with his sincere and peculiar hatred.« 204 DF, XXIII, Bd. 1, S. 906. Im »Dictionnaire philosophique« schrieb Voltaire über Julians Verhältnis zu den Christen: »[. . . ] il ne les persécuta jamais [. . . ].«; Voltaire, »Julien«, S. 249. 205 DF, XXIII, Bd. 1, S. 906 f. 201
Julian
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christlicher Autoren wie Gregor von Nazianz gereizt, in denen er als Monster dargestellt wurde. 206 Die Langzeitfolgen von Julians Herrschaft beurteilt Gibbon negativ: Die Versuche des Kaisers, republikanische Formen und Rituale wiederzubeleben, erscheinen ihm als rein äußerliche und zudem anachronistische Inszenierungen, welche die Autorität des Herrschers in Frage stellten. 207 Als problematisch für die Stabilität des Reichs wertet er auch, dass Julian keinen Nachfolger bestimmt hatte. 208 Obwohl Julian keine offizielle Christenverfolgung anordnete, schürten seine antichristlichen Maßnahmen, wie Gibbon an vielen Beispielen veranschaulichen kann, gewalttätige Konflikte zwischen Heiden und Christen. 209 Zudem war die Christianisierung des Reichs zum Zeitpunkt von Julians Regierung so weit fortgeschritten, dass sie in Gibbons Augen kaum noch rückgängig gemacht werden konnte. Eine vollständige Rückkehr zu den heidnischen Kulten wäre, angesichts der Stärke der Kirche, wohl nur um den Preis eines Bürgerkriegs möglich gewesen, befürchtet Gibbon – und hat hier vermutlich auch die gewaltsame Rekatholisierung Englands durch Königin Maria im 16. Jahrhundert vor Augen. 210 Julians Religionspolitik habe das Reich, so Gibbon, nach dem frühen Tod des Kaisers 363 in einem Zustand des Aufruhrs und der Instabilität zurückgelassen: »The Christians had forgotten the spirit of the Gospel; and the Pagans had imbibed the spirit of the church. In private families, the sentiments of nature were extinguished by the blind fury of zeal and revenge: the majesty of the laws was violated or abused; the cities of the East were stained with blood; and the most implacable enemies of the Romans were in the bosom of their country.« 211 Durch den Zerfall der äußeren Macht war Julians Nachfolger Jovian außerdem dazu gezwungen, einen für die Römer schmählichen Frieden abzuschließen. 212 Gibbons Julian ist also alles andere als ein philosophischer Herrscher: Sein neuplatonisch inspiriertes Heidentum mutet abergläubisch an; das Auftreten als 206
DF, XXIII, Bd. 1, S. 908: »Every calumny that could wound the reputation of the Apostate, was credulously embraced by the fears and hatred of his adversaries; and their indiscreet clamours provoked the temper of a sovereign, whom it was their duty to respect, and their interest to flatter.« 207 Vgl. Nippel (2013a), S. 81 f. 208 DF, XXIV, Bd. 1, S. 946: »His unexpected death left the empire without a master, and without an heir, in a state of perplexity and danger, which in the space of fourscore years, had never been experienced, since the election of Diocletian.« Vgl. Nippel (2003), S. 66 f. 209 Vgl. Nippel (2003), S. 67 f. 210 DF, XXIII, Bd. 1, S. 908: »It is impossible to determine how far the zeal of Julian would have prevailed over his good sense and humanity: but, if we seriously reflect on the strength and spirit of the church, we shall be convinced, that, before the emperor could have extinguished the religion of Christ, he must have involved his country in the horrors of a civil war.« 211 DF, XXV, Bd. 1, S. 959. 212 DF, XXV, Bd. 1, S. 959.
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oberster Priester des Reichs erinnert an einen Fanatiker; die gegen die Christen eingeleiteten Maßnahmen, die Gibbon als versteckte Verfolgung wertet, führen zu gewalttätigen Konflikten und einem hohen Maß an Instabilität. Wenngleich Gibbons Porträt des Apostaten virtuos verschiedene Wesensfacetten und Triebfedern miteinander verknüpft und auf diese Weise häufig die Ambivalenz und Widersprüchlichkeit von Julians Persönlichkeit hervortreten lässt, ist das von vielen Aufklärern gezeichnete Bild des vorbildlichen und toleranten Philosophenkaisers auf diese Weise doch zerstört. 213 Zur Aufdeckung von Julians religiösem Fanatismus nützt Gibbon eine Reihe von darstellerischen und sprachlichen Mitteln: Er kennzeichnet die Glaubensgenossen des Kaisers mit einem Begriff der frühneuzeitlichen Kleruskritik als »Betrüger«, belegt Julian selbst mit verschiedenen (häufig negativ konnotierten) Bezeichnungen aus dem kirchlichen Bereich und überträgt Humes Termini der Schwärmerei und des Aberglaubens auch auf Julian. Noch stärker als im Beispiel Konstantins enttäuschte Gibbon damit Annahmen, er werde sich in seinen Charakterzeichnungen der beiden Kaiser der antichristlichen Tradition anschließen. Bei der Gestaltung der Kapitel über Konstantin und Julian mögen Gibbon zum Teil taktische Motive und die Furcht vor neuen polemischen Angriffen beeinflusst haben. Wichtiger zu sein scheint aber, dass Gibbon besonders im Fall Julians eine aufrichtige Abneigung gegenüber dessen als irrational und gefährlich empfundener Religion hegte und die zerstörerischen Folgen eines religiösen Umbruchs sah. 214
213
Auch Gibbon selbst zeigte sich in den »Memoirs« mit seiner Julian-Darstellung zufrieden: »[. . . ] my impartial balance of the virtues and vices of Julian was generally praised.«; Memoirs, S. 162. William Robertson schrieb Gibbon nach der Lektüre von Band 2 und 3 des »Decline and Fall«, kein Geschichtswerk habe ihm bis jetzt so viel Lesevergnügen und Belehrung verschafft. Besonders Gibbons vielschichtige Julian-Darstellung wertete er als Meisterstück: »I am highly pleased with the reign of Julian. I was a little afraid that you might lean with some partiality towards him; but even bigots, I should think, must allow, that you have delineated his most singular character with a more masterly hand than ever touched it before. You set me a reading his works, with which I was very slenderly acquainted; and I am much struck with the felicity wherewith you have described that odd infusion of Heathen fanaticism and philosophical coxcombry, which mingled with the great qualities of a hero, and a genius.«; Brief an Gibbon vom 12. Mai 1781; Edward Gibbon: The Miscellaneous Works of Edward Gibbon, Esq., hg. v. John Holroyd Sheffield, London 1814, Bd. 2, S. 249 f. 214 Vgl. Nippel (2013a), S. 83. Womersley betont den Einfluss zeitgenössischer Kritiker auf Gibbons Darstellung nach dem Erscheinen des ersten, sehr kontrovers aufgenommenen Bandes des »Decline and Fall«; Womersley (2002), S. 141 u. 143 ff.
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Abschließend soll in kursorischer Form der Frage nachgegangen werden, wie Gibbons Geschichtswerk von zeitgenössischen und späteren Kritikern, insbesondere von Historikern, aufgenommen wurde. Im Anschluss an die Betrachtung einiger Reaktionen aus Großbritannien von 1776 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts möchte sich die Untersuchung auf die sehr gut erforschte Gibbon-Rezeption im deutschen Sprachraum konzentrieren. 1 In diesem Zusammenhang soll der Frage nachgegangen werden, wie Gibbons historiographische Leistung beurteilt wurde, welche Aspekte ggf. positiv oder negativ vermerkt wurden und wie die Reaktionen auf die kirchengeschichtlichen Partien des Werks (nach der Kontroverse um die umstrittenen Kapitel XV und XVI) ausfielen. Ein weiteres Interesse richtet sich darauf, inwiefern Gibbons »handwerkliche« Arbeitsweise und Rezeptionstechnik in diesen Besprechungen Erwähnung fanden. Wie in der Einleitung geschildert wurde, sorgte die Veröffentlichung des ersten Bandes des »Decline and Fall« im Februar 1776 für einen publizistischen Aufruhr in England. Die kritische Abhandlung der Geschichte des frühen Christentums und der Christenverfolgungen durch die römischen Herrscher in Kapitel XV und XVI des Werks provozierte zahlreiche, teilweise sehr polemische Repliken von Theologen unterschiedlicher Richtungen. 2 Weil die beiden umstrittenen Kapitel den Abschluss des ersten Bandes bildeten, zogen sie zudem eine verstärkte Aufmerksamkeit auf sich und konnten leicht als eine Art Fazit Gibbons missverstanden werden, mit dem er (im Anschluss an eine These von Voltaire) die negative Rolle der Kirche beim Niedergang des Römischen Reiches hervorheben wollte. Damit beeinflussten diese Kapitel auch wesentlich die Reaktionen auf die kirchengeschichtliche Darstellung in den Bänden zwei bis sechs des Werks. 3 Bereits zeitgenössische Rezensenten hatten Gibbons Anschluss an Voltaire kritisiert. 4 Auch die darstellerische und stilistische Brillanz seines Geschichtswerks 1
Zu nennen sind hier vor allem der von Cord-Friedrich Berghahn und Till Kinzel herausgegebene Sammelband Edward Gibbon im deutschen Sprachraum. Bausteine einer Rezeptionsgeschichte (Heidelberg 2015) und die verschiedenen Beiträge von Wilfried Nippel. Zur GibbonRezeption in Großbritannien gibt es meines Wissens bisher keine eigene Untersuchung. 2 Aston, S. 256 ff.;. Nippel (2007), S. 254 f. Vgl. hierzu und zum Folgenden Kapitel 1.1. 3 Nippel (2003), S. 49; Nippel (2007), S. 242 f. Zu Voltaire vgl. Kapitel 2.1. 4 So beispielsweise James Boswell in einem Zitat von 1781: »He is a disagreeable dog, this Gibbon. Mrs. Thrale said, ›He squeaks like Punch. I imagine he’ll squeak indeed before he dies, as he had a religious education.‹ ›Yes,‹ said I ludicrously, ›he is an infidel puppet: le marionet
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Die Gibbon-Rezeption in Großbritannien und im deutschen Sprachraum
wurde vermerkt, was in Kombination mit der kritischen Bewertung des Christentums als ein Mittel zur Verschleierung heterodoxer Absichten wahrgenommen werden konnte. 5 Im Zusammenhang mit der Französischen Revolution verfestigte sich dann eine sachlich nicht gerechtfertigte Wahrnehmung, die Gibbon als den englischen Voltaire und als Kirchenfeind mit jakobinischen Sympathien abstempelte und leider häufig eine eher stereotype Beurteilung seiner kirchengeschichtlichen Darstellung nach sich zog 6, ungeachtet der Tatsache, dass Gibbons Werk im England des 19. Jahrhunderts bald den Status eines »Klassikers« der Geschichtsschreibung einnahm. Auf eine ausgesprochen positive Resonanz stieß »The Decline and Fall« – sehr zu Gibbons Freude – bei den zur damaligen Zeit führenden Historikern Großbritanniens Hume und Robertson. Gibbon empfand dies als Anerkennung der wissenschaftlichen Qualitäten seines Werks: Die Schotten Hume und Robertson (die Gibbon einmal als »le Tacite et le Tite Live de l’Ecosse« 7 bezeichnete) zählten für ihn zum Kreis der herausragenden Historiker, weil ihre historischen Werke einerseits den Anspruch auf eine unparteiliche und quellenbasierte Darstellung verfolgten, andererseits aber auch ein hohes Maß an »philosophischer« Reflexivität boten und in einer kurzweilig zu lesenden Form verfasst waren. 8 Hume sprach Gibbon kurz vor seinem Tod im August 1776 ein umfassendes Lob für den ersten Band aus und würdigte dessen stilistische, inhaltliche und gelehrte Qualitäten: »Whether I consider the dignity of your style, the depth of your matter, or the extensiveness of your learning, I must regard the work as equally the object of esteem; and I own that if I had not previously had the happiness of your personal acquaintance, such a performance from an Englishman in our age would have given me some surprise.« 9 Die Darstellung in den umstrittenen Kapiteln XV und XVI hielt Hume für angemessen, wenngleich er entrüstete Reaktionen infidel.‹«; James Boswell: Laird of Auchinleck 1778 – 1782, hg. v. Joseph W. Reed u. Frederick A. Pottle, New York u. a. 1977, S. 298. Weitere Beispiele bei McCloy, S. 148, 183 u. 213. 5 Hugh R. Trevor-Roper: Gibbon and the Publication of The Decline and Fall of the Roman Empire 1776 – 1976, in: ders., History and the Enlightenment, New Haven u. a. 2010, 144 – 160, im Folgenden zitiert als Trevor-Roper (2010b), hier S. 145. 6 Turnbull (1997), S. 279 f. u. 292 ff. Turnbull führt verschiedene Gründe für diese Entwicklung an: U.a. wurde erst durch die posthume Veröffentlichung von Gibbons »Memoirs« (1796) bekannt, dass Gibbon und Voltaire sich persönlich begegnet waren. Zudem zogen Theologen wie Richard Hurd, mit denen Gibbon zu Lebzeiten Kontroversen ausgetragen hatte, nach seinem Tod gegen ihn ins Feld. 7 Brief an Georges Deyverdun vom 7. Mai 1776, Letters, Bd. II, S. 107. 8 Nippel (2003), S. 34 f.; Foster, S. 18; Trevor-Roper (2010b), S. 147. Zu Hume vgl. Kapitel 2.2. Zu Gibbons Freude über die Glückwünsche von Hume und Robertson zur Publikation des ersten Bandes vgl. Memoirs, S. 158 (das vollständige Zitat findet sich in Kapitel 2.2, Anm. 67). 9 Brief von Hume an Gibbon vom 18. März 1776, abgedruckt in Gibbons »Memoirs«, S. 167.
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voraussah. 10 Hume machte dem Verleger William Strahan auch den Vorschlag, die Anmerkungen künftig als Fußnoten zu drucken und nicht mehr an das Ende eines Bandes zu stellen, was ab der dritten Auflage des ersten Bandes realisiert wurde. 11 Robertson hob in einem Brief an Strahan vom März 1776 die exakte Quellenarbeit in Band 1 des »Decline and Fall« hervor (allerdings zu einem Zeitpunkt, als er Kapitel XV und XV noch nicht gelesen hatte). 12 Auch im Vorwort zu Robertsons »History of America« (1777) werden Gibbons Qualitäten als Historiker gelobt und der wissenschaftliche Apparat seines Werks als vorbildlich für die eigene Arbeit gewürdigt. 13 Das begeisterte Urteil des schottischen Historikers über die Bände 2 und 3 des »Decline and Fall« und insbesondere über Gibbons nuancierte und ausgewogene Julian-Darstellung wurde bereits angesprochen (vgl. Kapitel 7.2, Anm. 213). 14 Die in der vorliegenden Arbeit nur auszugsweise berücksichtigten Bände 4 – 6 hielt Robertson sogar für noch gelungener als die drei vorangegangenen, er bewunderte den umfassenden Fokus der Untersuchung, die enorme Rechercheleistung und den hohen Informationsgehalt dieser Bände. 15 Robertson hatte offensichtlich eine hohe Affinität zu Gibbons quellengebundener und wissenschaftlich akkurater Vorgehensweise, wie sie nicht nur die kirchengeschichtlichen Kapitel auszeichnet. Gibbons vielschichtige und beziehungsreiche Rezeption bei der Darstellung der Kirchengeschichte lag jedoch außerhalb seines Blickfelds. 10
Brief von Hume an Gibbon vom 18. März 1776, Memoirs, S. 168: »I think you have observed a very prudent temperament; but it was impossible to treat the subject so as not to give grounds of suspicion against you, and you may expect that a clamour will arise.« 11 Brief von Hume an William Strahan vom 8. April 1776; Miscellaneous Works, Bd. 2, S. 159 f.; Nippel (2003), S. 81. 12 Brief von Robertson an William Strahan vom 15. März 1776; Miscellaneous Works, Bd. 2, S. 159 f.: »I have traced him [Gibon] in many of his quotations, (for experience has taught me to suspect the accuracy of my brother penmen) and I find he refers to no passage but what he has seen with his own eyes.« 13 William Robertson: The History of America, London 1777, Bd. 1, S. XVf.: »He [the historian] who delineates the transactions of a remote period, has no title to claim assent, unless he produces evidence in proof of his assertions. Without this, he may write an amusing tale, but cannot be said to have composed an authentic history. In those sentiments I have been confirmed by the opinion of an author [Gibbon], whom his industry, erudition, and discernment, have deservedly placed in a high rank among the most eminent historians of the age. Emboldened by a hint from him, I have published a catalogue of the Spanish books which I have consulted.« Vgl. Nippel (2003), S. 81. 14 Brief von Robertson an Gibbon vom 12. Mai 1781; Miscellaneous Works, Bd. 2, S. 249 f. 15 Brief von Robertson an Gibbon vom 30. Juli 1788; Miscellaneous Works, Bd. 2, S. 424: »I ventured to predict the superior excellence of the volumes lately published, and I have not been a false prophet. Indeed, when I consider the extent of your undertaking, and the immense labour of historical and philosophic research requisite towards executing every part of it, I am astonished that all this should have been accomplished by one man. I know no example, in any age or nation, of such a vast body of valuable and elegant information communicated by any individual.«
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Im 19. Jahrhundert war »The Decline and Fall« unter britischen Historikern als epochales Geschichtswerk präsent, wenngleich sich in diese Bewunderung in unterschiedlichem Maß religiöse und moralische Vorbehalte mischten. Thomas Carlyle, der aus einer Familie schottischer calvinistischer Dissenter stammte und dessen stark religiös geprägtes Weltbild durch die Lektüre des »Decline and Fall« erschüttert wurde, formulierte in Briefen an verschiedene Empfänger, darunter seine spätere Frau Jane Welsh, seine zwiespältigen Eindrücke. Stark ablehnend reagierte Carlyle, als er im Alter von zweiundzwanzig Jahren zum ersten Mal Gibbons Geschichtswerk las: »I have read but a volume of Gibbon – and I do not like him – his style is flowery – his sarcasms wicked – his notes oppressive, often beastly.« 16 Spätere Urteile Carlyles über »The Decline and Fall« fallen häufig gemischt aus: In einem Brief von 1818 würdigte er es als »a work of immense research and splendid execution« und bewunderte seine universalgeschichtliche Anlage und die Fülle des bewältigten Stoffes. 17 Gibbon gelinge es, so Carlye in einem Brief an Jane Welsh von 1823, eine Verbindung zwischen der Antike und der eigenen Gegenwart herzustellen: »[. . . ] there is no other tolerable history of those times and nations, within the reach of such readers as we are; it is a kind of bridge that connects the antique with the modern ages. And how gorgeously does it swing across the gloomy and tumultuous chasm of those barbarous centuries!« Das Studium von Gibbons Werk bildete nach Carlyle »an epoch in the history of one’s mind.« 18 Gibbons Abhandlung des Christentums wird im gleichen Brief als eine veraltete und tendenziöse Form der Kirchenkritik eingestuft: »To the Christians he [Gibbon] is frequently very unfair: if he had lived now, he would have written differently on those points.« 19 Dass Gibbon seine Kritik am Christentum im Allgemeinen an den christlichen oder heidnischen Quellen festmachte, wird hier von Carlyle nicht beachtet, für den in seinen eigenen historischen Arbeiten Quellennachweise und das Prinzip wissenschaftlicher Genauigkeit keine Rolle spielten. 20 16
Brief von Carlyle an James Johnston vom 20. November 1817; The Collected Letters of Thomas and Jane Welsh Carlyle, hg. v. Charles Richard Sanders, Durham 1970, Bd. 1, S. 115. Vgl. Trevor-Roper (2010b), S. 159 f.; Turnbull (1997), S. 304. 17 Brief von Carlyle an Robert Mitchell vom 16. Februar 1818, Letters of Carlyle, Bd. 1, S. 120. Vgl. hierzu und zum Folgenden Mark Cumming: Gibbon, Edward, in: The Carlyle Encyclopedia, hg. v. Mark Cumming, Madison 2004, 191 – 193, passim. 18 Brief von Carlyle an Jane Baillie Welsh vom 26. März 1823, Letters of Carlyle, Bd. 2., S. 314. 19 Brief von Carlyle an Jane Baillie Welsh vom 26. März 1823, Letters of Carlyle, Bd. 2., S. 314. 20 Vgl. einführend zu Carlyles historiographischer Methode David R. Sorensen: The French Revolution, in: The Carlyle Encyclopedia, hg. v. Mark Cumming, Madison 2004, 177 – 179, hier S. 179.
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Carlyles Einwände gegenüber »The Decline and Fall« waren vor allem psychologischer und moralischer Natur, nicht anders als Hume und Robertson fiel Gibbon für ihn unter die Beschränkungen einer moralisch defizitären Aufklärungshistoriographie: »The whole historical triumvirate [Gibbon, Hume, Robertson] are abundantly destitute of virtuous feeling – or indeed of any feeling at all. I wonder what benefit is derived from reading all this stuff. « 21 Weitere Kritikpunkte betreffen den anzüglichen und ironischen Stil des »Decline and Fall« und die als unmoralisch empfundenen Fußnoten. 22 In seinen »Reminiscences« (1866) vergegenwärtigte sich Carlyle dann noch einmal die ambivalente Wirkung, die Gibbons Darstellungskunst und »The Decline and Fall« insgesamt seit seiner ersten Lektüre auf ihn ausübten. 23 Auch Thomas Babington Macaulay vermerkte (eventuell nach der Lektüre von Kapitel XVI des »Decline and Fall«) in einem Tagebuch-Eintrag von 1838 Gibbons voreingenommene Darstellung des Christentums: »I read a good deal of Gibbon. He is grossly partial to the Pagan persecutors – quite offensively so. His opinion of the Christian fathers is very little removed from mine. But his excuses for the tyranny of their oppressors give to his book the character which Porson describes. He writes like a man who had received some personal injury from Christianity and wished to be revenged on it and on all its professors.« 24 Der Gräzist Richard Porson, an den Macaulay hier anschloß, hatte 1790 in seinen »Letters to Mr Archdeacon Travis, in answer to his Defence of the Three Heavenly Witnesses« Gibbons Beurteilung des »Comma Johanneum« gegen die Kritik von George Travis verteidigt (vgl. Kapitel 6.2) und gab in diesem Zusammenhang eine insgesamt sehr positive Besprechung des »Decline and Fall«, in der er allerdings die antichristliche Ausrichtung des Werks und dessen anstößigen Stil kriti-
21
Brief von Carlyle an Robert Mitchell vom 16. Februar 1818, Letters of Carlyle, Bd. 1,
S. 121. 22
Z. B. Brief von Carlyle an Robert Mitchell vom 16. Februar 1818, Letters of Carlyle, Bd. 1, S. 120. 23 Thomas Carlyle: Reminiscences, hg. v. James A. Froude, London 1881, Bd. 1, S. 102: »It was, of all the books, perhaps the most impressive on me in my then stage of investigation and state of mind. I by no means completely admired Gibbon, perhaps not more than I now do; but his winged sarcasms, so quiet and yet so conclusively transpiercing and killing dead, were often admirable potent and illuminative to me. Nor did I fail to recognise his grand power of investigating, ascertaining, of grouping, and narrating; though the latter had always, then as now, something of a Drury Lane character, the colours strong but coarse, and set off by lights from the side scenes.« 24 Tagebuch-Eintrag vom 22. Dezember 1838; The Journals of Thomas Babington Macaulay, hg. v. William Thomas, London 2008, Bd. 1, S. 113. Vgl. McCloy, S. 255 f.; Turnbull (1997), S. 304 f.
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sierte. 25 Wie Porson missbilligte auch Macaulay an anderer Stelle Gibbons Vorliebe für zweideutige Wendungen und anzügliche Anekdoten: »I have always thought the indelicacy of Gibbon’s great work a more serious blemish than even his uncandid hostility to the Christian Religion.« 26 Trotz derartiger Einwände beurteilte Macaulay in einem Tagebuch-Eintrag von 1850 Gibbons Werk als einen »Klassiker« von bleibendem Wert: »[. . . ] and still the book, with all its great faults of substance and style, retains and will retain its place in our literature; and this though it is offensive to the religious feeling of the country, and really most unfair where religion is concerned.« 27 Lediglich eingeschränkte Aussagekraft hat wohl ein Urteil Macaulays über »The Decline and Fall« in einem Beitrag für den »Edinburgh Review« von 1828, in dem Macaulay seine Vorstellung einer »idealen« Historiographie darlegte und einen kursorischen Überblick über die Geschichtsschreibung seit der Antike gab. Gibbon wird hier nur kurz erwähnt, ohne dass auf Einzelheiten seiner historiographischen Praxis eingegangen würde. Den »modernen« Historikern insgesamt (namentlich genannt sind Hume, Gibbon und William Mitford 28) warf Macaulay vor, in ihren Arbeiten häufig allgemeine Schlüsse aus den historischen Fakten abzuleiten und überlieferte Tatsachen (zumindest teilweise) in verfälschter Form wiederzugeben, um sie an vorgefasste Theorien anzupassen. 29 Diese Form der 25
Richard Porson: Letters to Mr Archdeacon Travis, in Answer to his Defence of the Three Heavenly Witnesses, London 1790, Preface, S. XXVIIIff. Zur Kontroverse um das »Comma Johanneum« vgl. Nippel (2013), S. 86 f.; Levine (1999), S. 188 ff. u. 210 ff. 26 Brief von Macaulay an unbekannten Empfänger vom 31. März 1849; The Letters of Thomas Babington Macaulay, hg. v. Thomas Pinney, London u. a. 1981, Bd. 5, S. 42. Vgl. John Clive: Amusement and Instruction. Gibbon and Macaulay, Proceedings of the Massachusetts Historical Society, Third Series, 87 (1975), 45 – 56, S. 46 f. Dieser von vielen Seiten erhobene Vorwurf fand 1826 seinen Niederschlag in einer »bereinigten« Version des »Decline and Fall« durch den anglikanischen Geistlichen Thomas Bowdler, die sich an Familien und Jugendliche richtete und in der als religiös oder sittlich anstößig empfundene Textabschnitte fehlten. »To bowdlerize« meint seitdem als feststehender Begriff das Zensieren von »unsittlichen« Stellen; Nippel (2003), S. 88 mit Anm. 412. 27 Tagebuch-Eintrag vom 9. Oktober 1850, Journals of Macaulay, Bd. 3, S. 20. Zu Macaulays komplexem Verhältnis zur Aufklärungshistoriographie vgl. Peter R. Ghosh: Macaulay and the Heritage of the Enlightenment, English Historical Review, CXII, 446 (1997), 358 – 395, besonders S. 374 f. 28 Henry Neele [=Thomas Babington Macaulay]: The Romance of History, The Edinburgh Review or Critical Journal, 47 (Mai 1828), 331 – 367, hier S. 360: »Gibbon, in particular, deserves very severe censure.« Der englische Historiker William Mitford (1744 – 1827) verfasste eine »History of Greece«, die eine antidemokratische Argumentationslinie verfolgte und heute weitgehend vergessen ist; Warwick Wroth: »Mitford, William«, Dictionary of National Biography, hg. v. Sidney Lee, London 1894, Bd. 38. 29 Neele, Romance of History, S. 359: »The best historians of later times have been seduced from truth, not by their imagination, but by their reason. They far excel their predecessors in the art of deducing general principles from facts. But unhappily they have fallen into the error
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»misrepresentation« führe, so Macaulay, auch in der Charakterisierung historischer Persönlichkeiten zu einseitigen verzerrten Urteilen und könne aus einem Bischof Laud einen Heiligen, aus Heinrich IV. hingegen einen Tyrannen machen. 30 Diese pauschale Abqualifizierung als »Thesenhistoriker«, in der Gibbon, Hume und Mitford undifferenziert gleichgesetzt werden, wird den Qualitäten von Gibbons Geschichtswerk natürlich bei weitem nicht gerecht. Explizite Anerkennung als Kirchenhistoriker erhielt Gibbon hingegen von theologischer Seite: Der zum Katholizismus konvertierte anglikanische Geistliche und spätere Kardinal John Henry Newman würdigte, etwa in einer Besprechung von Henry Hart Milmans »History of Latin Christianity« 1841, zu Recht Gibbons Pionierleistung auf dem Gebiet der Kirchenhistoriographie in England. »It is notorious that the English Church is destitute of an Ecclesiastical History; Gibbon is almost our sole authority for subjects, as near the heart of a Christian as any can well be.« 31 Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts war »The Decline and Fall« ein fester Bestandteil des viktorianischen Lektürekanons und galt als ein Meisterwerk der Geschichtsschreibung. 32 Der agnostische Historiker Leslie Stephen kam in seiner »History of English Thought in the Eighteenth Century« (1876) zu dem Schluss, dass Gibbons Geschichtswerk (anders als die historischen Arbeiten der Zeitgenossen Hume und Robertson) nicht nur nach wie vor wertvoll sei, sondern bis dato von keinem nachfolgenden Werk übertroffen wurde. 33 Ohne auf Einzelheiten of distorting facts to suit general principles. They arrive at a theory from looking at some of the phenomena, and the remaining phenomena they strain or curtail to suit the theory.«; Vgl. Turnbull (1997), S. 305; Clive (1975), S. 50. 30 Neele, Romance of History, S. 359: »In every human character and transaction there is a mixture of good and evil: a little exaggeration, a little suppression, a judicious use of epithets, a watchful and searching scepticism with respect to the evidence on one side, a convenient credulity with respect to every report or tradition on the other, may easily make a saint of a Laud, or a tyrant of Henry the Fourth.« – William Laud (1573 – 1645), Erzbischof von Canterbury und Berater des englischen Königs Karl I., kämpfte mit rigiden Mitteln für eine Stärkung des Episkopats, einen einheitlichen Kirchenritus und gegen die Bewegung der Puritaner; Günther Lottes: »Laud, William«, Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 4 (1992). Mit dem französischen König Heinrich IV. (1553 – 1610) verbindet sich die Erinnerung an die Durchsetzung des Edikts von Nantes und die innere Befriedung Frankreichs nach den Religionskriegen des 16. Jahrhunderts; Klaus Malettke: »Heinrich, französische Könige: H. IV.«, Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 4 (1995). 31 John Henry Newman: Milman’s view of Christianity, in: ders., Essays Critical and Historical, London 1871, Bd. 2, 186 – 248, hier S. 186. Vgl. Brian W. Young: The Victorian Eighteenth Century. An Intellectual History, Oxford 2007, S. 72 ff. 32 Brian Croke: Mommsen on Gibbon, Quaderni di Storia 32 (1990), 47 – 59, hier S. 50; Rosamond McKitterick / Roland Quinault: Introduction, in: dies. (Hgg.), Edward Gibbon and Empire, Cambridge 1997, 1 – 11, hier S. 9. 33 Leslie Stephen: History of English Thought in the Eighteenth Century, London 1876, Bd. 1, S. 446.
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der Literaturverarbeitung oder Rezeptionstechnik näher einzugehen, sah Stephen den Verdienst des Werks in seiner allgemeinen Herangehensweise an das Thema Kirchengeschichte: »Gibbon’s great book, whatever its faults, remains as the first great triumph of a genuine historical method.« 34 Gemeint ist hier der methodische Ansatz, sich bei der Untersuchung der Kirchengeschichte auf rational erfassbare Faktoren (Gibbons »natürliche« Ursachen) zu konzentrieren (vgl. Kapitel 2.1). Diese Methode hielt Stephen für innovativ, ohne das Vorbild »philosophischer« Historiker wie Voltaire oder Hume anzusprechen – und für so effektiv, dass sich herkömmliche Strategien christlicher Apologeten mit dem Erscheinen von Gibbons Werk als obsolet erwiesen. 35 Kritisch vermerkt wird von Stephen u. a. ein Mangel an emotionaler Durchdringung des historischen Stoffs, der Gibbon lediglich eine rationale äußere Erfassung des Phänomens Religion erlaubte. 36 Anlässlich von Gibbons 100. Todestag fand am 15. November 1894 in London eine von der Royal Historical Society geförderte Festveranstaltung statt, zu der eine Reihe bekannter Historiker (darunter auch Theodor Mommsen) eingeladen waren; im British Museum wurde gleichzeitig eine Ausstellung mit Memorabilien und Manuskripten aus Gibbons Nachlass gezeigt. Hintergrund war auch, dass die Bekanntheit des »Decline and Fall« und seines Verfassers in der breiten englischen Öffentlichkeit nachgelassen hatte. 37 Der Hauptredner der Gedenkfeier, der Historiker und Positivist Frederic Harrison, bedachte Gibbon mit den bei einem derartigen Anlass zu erwartenden Lobesworten. Ungeachtet einiger kritischer Vorbehalte Harrisons wurde Gibbon u. a. als berühmtester Verfasser eines Geschichtswerks in englischer Sprache apostrophiert; sein monumentales Werk, das historische Forschung mit künstlerischer Fantasie verbinde, als einzigartig gewürdigt. 38 Auffallend ist jedoch, dass sowohl Harrison als auch der Präsident der 34
Stephen, Bd. 1, S. 446; vgl. auch ebd., S. 450. Stephen, Bd. 1, S. 453. 36 Stephen, Bd. 1, S. 447: »[Gibbon] has given an admirable summary of the bare facts of history, but he is everywhere conspicuously deficient in that sympathetic power which enables an imaginative writer to breathe life into the dead bones of the past. He regards all creeds, political and religious, from the outside. He examines the evidence for facts with judicial severity, but is quite incapable of sharing or appreciating the passions of which the facts are the outward symbols.« 37 Zu den Jubiläumsfeierlichkeiten zu Gibbons 100. Todestag vgl. Croke, S. 51 ff.; McKitterick / Quinault, S. 8 ff. 38 Frederic Harrison: Address, in: Royal Historical Society (Hg.), Proceedings of the Gibbon Commemoration 1794 – 1894, London 1895, 18 – 35, hier S. 33: »[Gibbon’s] monumental work still stands alone, in the colossal range of its proportions, and in the artistic symmetry of its execution. It has its blemishes, its limitations, we venture to add its misconceptions; it is not always sound in philosophy; it is sometimes ungenerous and cynical. But withal it is beyond question the greatest monument of historical research united to imaginative art, of any age in any language.« 35
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Royal Historical Society Mountstuart Grant Duff in ihren Festbeiträgen zu einem eher reservierten Urteil über die kirchengeschichtliche Abhandlung des »Decline and Fall« kamen: Gibbons Behandlung der Kirchengeschichte sei überholt und spiegele die Kirchenkritik des 18. Jahrhunderts wider. 39 Zur Kenntnis genommen wurde hier wohl vor allem die polemisch zugespitzte Darstellung der Kapitel XV und XVI, die stärker vielschichtige Abhandlung kirchengeschichtlicher Themen in den Bänden 2 – 6 blieb dagegen ohne Beachtung. Auch John B. Bury, der zwischen 1896 und 1900 die bis Ende des 20. Jahrhunderts maßgebliche Ausgabe des »Decline and Fall« herausgab, bezeichnete Gibbons Werk in seinem Vorwort zu dieser Ausgabe als unübertroffen und nach wie vor unverzichtbar für das Studium der darin behandelten Gegenstände. 40 Positiv hervorgehoben werden von Bury u. a. Aufbau und Komposition des Werks, die Wiedergabe wichtiger Entwicklungslinien und Ergebnisse in konziser Form sowie die exakte und jederzeit nachvollziehbare Quellenarbeit. 41 Gewisse Einschränkungen finden sich auch bei Bury hinsichtlich Gibbons Unparteilichkeit in Fragen der Kirchengeschichte, betont wird aber, dass Gibbon in seiner Darstellung keine Fakten verdreht oder unterdrückt habe und der Leser sich in der Regel, aufgrund der genauen Quellennachweise, ein eigenes Urteil bilden könne. Zudem sei Gibbons Parteilichkeit in diesem Bereich nicht gravierender als die Tendenz apologetischer christlicher Schriften. 42 Mit Burys Ausgabe begann eine Entwicklung, Gibbon in
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Mountstuart E. Grant Duff: Introductory Speech, in: Royal Historical Society (Hg.), Proceedings of the Gibbon Commemoration 1794 – 1894, London 1895, 13 – 17, hier S. 15 f.: »Undoubtedly his [Gibbon’s] attitude to Christianity is the feature in his great work which has done most to diminish its influence, and all educated men, to whatever school they belong, would now admit [. . . ], that this is a most serious blemish.«; »[. . . ] and most assuredly if Gibbon had died in 1894 instead of 1794, although his conclusions as to many things might have been precisely the same, his tone would have been absolutely different. He belonged to a time on whose shoulders was laid the burden of a tremendous work of destruction, of destruction which had to be done before even Christianity itself had a fair chance.«; Harrison, S. 22. Vgl. Young (2007), S. 71 f. 40 John B. Bury: Preface by the Editor, in: Edward Gibbon, The History of the Decline and Fall of the Roman Empire, hg. v. John B. Bury, London 1896, Bd. 1, III – XI, hier S. III: »[. . . ] all these high qualifications have secured, and seem likely to secure, its permanent place in historic literature.« 41 Bury, S. IVff. 42 Bury, S. VIII: »Gibbon [. . . ] is rarely chargeable even with the suppression of any material fact, which bears upon individual character; he may, with apparently invidious hostility, enhance the errors and crimes, and disparage the virtues of certain persons; yet in general he leaves us the materials for forming a fairer judgment; and if he is not exempt from his own prejudices, perhaps we might write passions, yet it must be candidly acknowledged that his philosophical bigotry is not more unjust than the theological partialities of those ecclesiastical writers who were before in undisputed possession of this province of history.«
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historischen Detailfragen zu korrigieren, in denen die spätere Forschung zu neuen Erkenntnissen gelangt war. 43 Die vorangegangene Betrachtung einiger Reaktionen aus Großbritannien machte deutlich, dass »The Decline and Fall« im 19. Jahrhundert bald als ein zumal in literarischer Hinsicht eindrucksvolles Meisterwerk und »Klassiker« der Geschichtsschreibung galt, ohne dass in den hier herangezogenen Rezensionen tatsächlich eine Auseinandersetzung mit Gibbons historiographischer Praxis stattgefunden hätte. An der kirchengeschichtlichen Darstellung wurde hingegen bis Ende des 19. Jahrhunderts in unterschiedlicher Akzentuierung immer wieder ihre antichristliche Tendenz, polemische Ausgestaltung und eine nicht mehr aktuelle Form der Kirchenkritik bemängelt wie sie als charakteristisch für das 18. Jahrhundert angesehen wurde. Ein Grund für diese einseitige Bewertung liegt vermutlich darin, dass hier immer noch die Kontroverse um Gibbons berüchtigte Kapitel XV und XVI nachwirkte, die einen unvoreingenommenen Blick auf spätere Kapitel zur Kirchengeschichte verstellte. Auch in Deutschland wurde Gibbons Werk bald nach der Veröffentlichung gelesen und diskutiert: Namhafte Rezensenten besprachen bei ihrem Erscheinen jeweils die einzelnen Teile des »Decline and Fall«, es erschienen Übersetzungen und Teilübersetzungen des Werks – und über Gibbons Person und Leben sowie die englische Kontroverse wurde ebenfalls berichtet. 44 Die kritische Abhandlung des Christentums in Kapitel XV und XVI stieß auch unter deutschen Lesern auf Widerspruch, wenngleich die Reaktionen hier gemäßigter und weniger polemisch ausfielen als in England. 45 So urteilte etwa der Göttinger Theologe Christian Walch, der 1781 eine umfangreiche Besprechung der beiden umstrittenen Kapitel, der englischen Repliken und von Gibbons Rechtfertigung in der »Vindication« verfasste, über den antichristlichen Gehalt von Gibbons Darstellung des frühen Christentums: »[. . . ] sein Buch ist allerdings der Ehre des Christenthums nachtheilig, und verbreitet ein feines Gift, durch welches die tröstlichsten Lehren des Christenthums verspottet, und endlich der vollkommene Unglaube geprediget
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Bury, S. X; Nippel (2003), S. 101. Hans Erich Bödeker: Formen der Aneignung von Edward Gibbons Decline and Fall of the Roman Empire in den zeitgenössischen deutschen Zeitschriften, in: Cord-Friedrich Berghahn / Till Kinzel (Hgg.), Edward Gibbon im deutschen Sprachraum. Bausteine einer Rezeptionsgeschichte, Heidelberg 2015, 33 – 64, hier S. 33 ff. Bereits zwischen 1788 und 1792 erschien die erste deutsche Gesamtübersetzung des »Decline and Fall« von Christoph Wilhelm von Riemberg. Johann Sporschill legte 1837 eine für lange Zeit maßgebliche Übersetzung von Gibbons Text vor; Walter Kumpmann: Gibbon-Übersetzungen ins Deutsche, in: Cord-Friedrich Berghahn / Till Kinzel (Hgg.), Edward Gibbon im deutschen Sprachraum. Bausteine einer Rezeptionsgeschichte, Heidelberg 2015, 23 – 32, hier S. 26 ff. 45 Bödeker, S. 51 ff. 44
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wird.« 46 Walch attestierte Gibbon, über gute Quellen- und Literaturkenntnisse zu verfügen und zumeist genaue Nachweise der verwendeten Quellen zu liefern 47, somit »ein lehrreiches und brauchbares Buch« geschrieben zu haben, allerdings eines mit »unleugbaren Fehlern«. 48 Zu diesen rechnete Walch u. a. Gibbons fehlende Deutschkenntnisse, die damit verbundene Unkenntnis thematisch relevanter Werke in deutscher Sprache, Ungenauigkeiten in historischen Details und eine unzureichend durchgeführte Quellenkritik. 49 Wo Gibbons Lektüredefizite im Einzelnen liegen oder an welchen Punkten sich der Vorwurf methodischer Unzulänglichkeit festmachen lässt, führte Walch in diesem Zusammenhang jedoch nicht näher aus. 50 Gewisse Einschränkungen machte Walch auch mit Blick auf Originalität und Erkenntnisgewinn von Gibbons Untersuchung der frühen Kirchengeschichte: »Das ist aber immer noch klar, daß noch keiner die Kirchenhistorie der drey ersten Jahrhunderte so vorgetragen, daß die unangenehmsten und der Ehre der christlichen Religion nachtheiligsten Schlüsse daraus gefolgert werden können, wie Gibbon: Beobachtungen und Folgerungen, von denen freylich ein großer Theil nicht neu ist, aber durch die Verbindung mit andern Umständen neu zu werden scheinet, ein anderer aber wol ohne Widerspruch für neu geachtet werden kann.« 51 Der Hinweis auf eine methodische Überlegenheit der deutschen Historiographie wiederholte sich in den Besprechungen anderer deutscher Rezensenten: Während wie in England die literarische Ausgestaltung seines Werks häufig Bewunderung erregte, wurde Gibbons Beitrag zur Forschung geringer eingeschätzt. 52 In den »Göttingischen Anzeigen von Gelehrten Sachen« erschien Ende 1788, nachdem dort bereits die ersten drei Bände des »Decline and Fall« inhaltlich besprochen worden waren, eine kritische Rezension der Bände 4 – 6 durch den Göttinger (Kirchen-)Historiker Ludwig Timotheus Spittler, in der einige später wieder
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Christian W. F. Walch: Nachricht von der zwischen Eduard Gibbon und seinen Gegnern geführten Streitigkeit über die Ausbreitung und den Zustand der christlichen Religion in den ersten drey Jahrhunderten, Neueste Religionsgeschichte, Bd. VIII (1781), 91 – 172, hier S. 171. Vgl. hierzu und zum Folgenden Nippel (2015), S. 89 f.; Bödeker, S. 45 u. 51 f. Bei Nippel (2015) und Bödeker finden sich zahlreiche weitere Reaktionen auf Gibbons Werk. 47 Walch, S. 98 f. 48 Walch, S. 94. 49 Walch, S. 99 u. 128 f. 50 Nippel (2015), S. 90 ff. Die Schriften des Göttinger Kirchenhistorikers Mosheim, insbesondere die Abhandlung »De rebus Christianorum« und die »Allgemeine Kirchengeschichte«, berücksichtigte Gibbon ausführlich (zu Mosheims Bedeutung als Kirchenhistoriker vgl. Kapitel 3.1.). Nicht zugänglich war ihm die auf Deutsch verfasste Ketzergeschichte Gottfried Arnolds. 51 Walch, S. 92. 52 Bödeker, S. 56 f.; Nippel (2015), S. 92.
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aufgenommene Aspekte der deutschen Gibbon-Kritik auftauchen. 53 Gewürdigt werden vor allem die herausragenden literarischen Qualitäten von Gibbons Werk, das für Spittler »von Seiten der Kunst betrachtet, eines der größten historischen Meisterstücke« darstellt, auch wenn ihn »wenigstens auf jedem Bogen ein paarmal, das Flache, das Unvollständige, das Halbwahre, das Schiefe seiner ganzen Darstellung fast empört« habe. 54 Den Nutzen des Werks sah Spittler dementsprechend weniger in der Vermittlung neuer Erkenntnisse als in der unterhaltsamen Unterweisung: »Zum eigentlichen Studium ist nemlich dieses ganze Werk überhaupt nicht gemacht, aber zur bildenden, lehrreichen Beschauung.« 55 Zwar attestierte Spittler Gibbon ein Bemühen um Unparteilichkeit, vermisste jedoch gleichzeitig die methodischen Fähigkeiten der professionell ausgebildeten deutschen Historiker. 56 Dennoch wurde Gibbon zugestanden, »daß seine Gelehrsamkeit und sein kritischer Forschungsgeist weit über den leichten Ritterspott erhaben sind, womit man sich manchmal an Werken des feinern historischen Geschmacks in einem gewissen, oft überdies noch höchst täuschenden, Selbstgefühl deutscher Solidität zu rächen sucht.« 57 Allerdings mangele es Gibbon als Autodidakt an historischem Urteilsvermögen, er zeige, »besonders wo Tillemont ihm nicht aushalf«, Schwächen in der Erläuterung und Bewertung historischer Ereignisse. 58 Belege für diese kritische Einschätzung lieferte Spittler in seiner Besprechung kaum. 59 Auch der Historiker Johann Georg Meusel konstatierte, wie viele spätere Kritiker, in der »Bibliotheca Historica« (1789) inhaltliche Schwächen von Gibbons Werk, wo Tillemonts Regesten nicht mehr als Grundlage benutzt werden konnten. Gibbon freute sich allerdings über diese kurze Besprechung (die in den »Memoirs« zitiert wird), denn Meusel (»a learned and laborious German«) wertete »The Decline and Fall« als den historischen Arbeiten von Hume und Robertson ebenbürtig. 60 53
Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen (1788), 205. Stück, 2049 – 2056. Vgl. hierzu und zum Folgenden Nippel (2015), S. 90 ff.; Bödeker, S. 55 ff. Zur Identifizierung des Verfassers der anonymen Rezension siehe Oscar Fambach: Die Mitarbeiter der Göttingischen Gelehrten Anzeigen 1769 – 1836. Nach dem Exemplar der Universitätsbibliothek Tübingen, Tübingen 1976, S. 151. 54 Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen (1788), S. 2049; vgl. auch ebd., S. 2053. 55 Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen (1788), S. 2050. 56 Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen (1788), S. 2050 f. 57 Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen (1788), S. 2051. 58 Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen (1788), S. 2051. 59 Nippel (2015), S. 91; Bödeker, S. 56. Als Beleg führte Spittler an, dass Gibbons Darstellung der Forschungsgeschichte zum Streit über das Trishagion ungenügend sei; Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen (1788), S. 2052. Das Trishagion, ein Hymnus zur Anrufung Gottes, wurde von Orthodoxen und Katholiken unterschiedlich ausgelegt, was im 6. Jahrhundert zu erbitterten Streitigkeiten führte; Andrew Louth: »Trishagion«, Theologische Realenzyklopädie, Bd. 34 (2002). Diese Kontroverse bespricht Gibbon in DF, XLVII, Bd. 2, S. 965 ff. 60 Memoirs, S. 186 f. Vgl. Nippel (2003), S. 94 f.
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Auf die deutsche Altertumswissenschaft des 19. Jahrhunderts übte Gibbons Werk, auch wegen seiner darstellerischen Qualitäten, einerseits eine starke Wirkung aus. Andererseits findet sich unter deutschen Historikern zunehmend eine Tendenz, es einer noch vorwissenschaftlich arbeitenden Aufklärungshistoriographie zuzurechnen und Gibbons Beitrag zur Erforschung der Geschichte des Römischen Reiches geringer einzuschätzen. Barthold Georg Niebuhr nahm in seiner Vorrede zum ersten Band der »Römischen Geschichte« (1811) davon Abstand, mit einer eigenen Untersuchung in Konkurrenz zu Gibbons Darstellung zu treten. Während seine Vorlesungen den gesamten Zeitraum bis zum Ende der Antike abdecken sollten, wollte Niebuhr ihre Ausarbeitung zum Geschichtswerk nur bis zu dem Zeitpunkt fortsetzen, an dem »The Decline and Fall« einsetzt, das »eine neue Bearbeitung zuverlässig sehr entbehrlich und verwegen macht.« Eventuelle inhaltliche Defizite von Gibbon könnten, so Niebuhr, »ohne die Anmaßung eines Wetteifers, Abhandlungen über Verfassung, Verwaltung und ähnliche Gegenstände ersetzen.« 61 In der Vorrede zur zweiten Auflage der »Römischen Geschichte« von 1826 bemerkte Niebuhr dann, Gibbons Werk sei »auch für den Philologen ein herrliches Meisterwerk«. 62 In eine ähnliche Richtung weist ein Zitat Niebuhrs aus den Bonner »Vorträgen über Römische Geschichte«: In der Darstellung der Regierungszeit Aurelians habe Gibbon uneinholbare Maßstäbe gesetzt. 63 Weitere Einzelheiten zu den Qualitäten von Gibbons Werk oder zu Aspekten seiner Arbeitsweise erfährt man an dieser Stelle nicht. Niebuhr wurde von späteren deutschen (Alt-)Historikern als »Gründungsvater« ihres Faches gefeiert, weil seine Form der Quellenkritik, in der die Quellen hinter den überlieferten Quellen eruiert wurden, als Begründung einer Historiographie auf wissenschaftlicher Grundlage galt (siehe unten). Eine literarisch geglückte Umsetzung seiner Forschungsergebnisse gelang ihm allerdings Zeit seines Lebens nicht. 64 Niebuhrs Technik der Quellenkritik war Gibbon noch nicht bekannt: Er nahm demgegenüber eine Befragung der Quellen nach den Kriterien des forensischen Zeugenverhörs vor, in der die Plausibilität der überlieferten Aus-
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Barthold Georg Niebuhr: Römische Geschichte, Berlin 1811, Bd. 1, S. VIII. Vgl. hierzu und zum Folgenden Nippel (2015), S. 93 f. 62 Barthold Georg Niebuhr: Römische Geschichte, 2. Aufl., Berlin 1827, Bd. 1, S. IX. 63 Barthold Georg Niebuhr: Vorträge über römische Geschichte, hg. v. M[eyer] Isler, Berlin 1848, Bd. III, S. 284: »Die Nachrichten über Aurelian lassen sich wohl aneinanderreihen, bilden aber keine Geschichte: die sicheren Denkmäler in dieser Zeit bilden die Münzen, mit diesen sind aber die Angaben in unseren elenden Historikern nicht zu vereinigen. Gibbon hat geleistet was möglich war, sein Werk wird nie übertroffen werden.« 64 Wilfried Nippel: Niebuhr – ein schwieriger Gründervater, in: ders., Klio dichtet nicht. Studien zur Wissenschaftsgeschichte der Althistorie, Frankfurt am Main u. a. 2013, 93 – 133, hier S. 122 ff. u. 114 ff.
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sagen sowie Reputation und politischer oder religiöser Standpunkt der Zeugen berücksichtigt wurden. 65 Eine gewisse Skepsis, gegenüber dem hohen darstellerischen Niveau des »Decline and Fall« nicht bestehen zu können, beeinflusste auch die Ausgestaltung von Theodor Mommsens »Römischer Geschichte« (1854 – 1885). Ein geplanter vierter Band, in dem die Kaiserzeit dargestellt werden sollte, erschien u. a. wohl deshalb nicht, weil Mommsen davor zurück scheute, einen bereits von Gibbon untersuchten Abschnitt der römischen Geschichte neu zu bearbeiten. 66 Entsprechende Bedenken formulierte Mommsen, während der dritte Band der »Römischen Geschichte« gerade im Druck war, in einem Brief an Wilhelm Henzen von Januar 1856, in dem er äußerte, Gibbon nur durch die Wahl einer völlig anderen Herangehensweise gewachsen zu sein. »Warum sind Sie denn aber gerade auf die Kaiserzeit so neugierig? Ihr habt ja Mosen und die Propheten – Gibbon meine ich, der denn doch ein ganz anderer Historiker war als Herr Niebuhr, das kosmopolitische Wunderkind, und mit dem ich mir nicht getraue anders zu rivalisieren als durch eine total verschiedene Methode.« 67 Eine Parallele zu Gibbon zog auch der Gräzist Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, als er in einem Brief von Ende 1883 seinen Schwiegervater Mommsen dazu ermutigen wollte, den noch ausstehenden vierten Band der »Römischen Geschichte« anzugehen. »Du wirst des Mondscheins und der Verwüstung nicht als Reizmittel zu einer neuen history of the fall and decline [sic!] of the Roman empire bedürfen: aber auch ohne Sentimentalität würde Rom der beste Ort sein, um mit Gibbon die Konkurrenz zu wagen.« 68 Gemeint ist hier Gibbons (vermutlich literarisierte) Erinnerung in den »Memoirs«, wie er im Oktober 1764 inmitten der Ruinen des antiken Roms zu einem Thema für sein Werk inspiriert wurde. 69 In seiner Einleitung zum abschließenden Band der »Römischen Geschichte« bemerkte Mommsen selbst 65
Nippel (2003), S. 74 f. Vgl. hierzu und zum Folgenden besonders Nippel (2015), S. 94 ff; ders.: Gibbon and German Historiography, in: Benedikt Stuchtey / Peter Wende (Hgg.), British and German Historiography 1750 – 1950, Oxford 2000, 67 – 81, hier S. 70 ff. Zwischen 1854 und 1856 erschienen die ersten drei Bände von Mommsens »Römischer Geschichte«, mit denen die Zeit bis zur Alleinherrschaft Caesars abgedeckt wurde. Einen geplanten vierten Band zur Kaiserzeit schrieb Mommsen nicht. Der abschließend publizierte Band von 1885 wurde dann als fünfter Band gezählt, er behandelte die Geschichte der römischen Provinzen in der Zeit von Caesar bis Diokletian; Lothar Wickert: Theodor Mommsen. Eine Biographie, Bd. III: Wanderjahre. Leipzig – Zürich – Breslau – Berlin, Frankfurt am Main 1969, S. 399. 67 Brief von Mommsen an Wilhelm Henzen vom 25. Januar 1856; zitiert bei Wickert, S. 633. 68 Brief von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff an Mommsen vom 27. Oktober 1883; zitiert bei Wickert, S. 661. Ähnlich auch in einem Brief von ca. September 1884; zitiert bei Wickert, S. 666. 69 Memoirs, S. 136 f. 66
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dann, dass die Darstellung der Epoche nach Diokletian »eine besondere Erzählung und einen anderen Weltrahmen, ein bei schärferem Verständnis des Einzelnen in dem großen Sinn und mit dem weiten Blick Gibbons durchgeführtes selbständiges Geschichtswerk« verlange. 70 In Hörermitschriften von Mommsens Vorlesungen zur Kaiserzeit ist eine vergleichsweise triviale und wenig reflektierte Einschätzung von Gibbons Darstellung der Kirchengeschichte überliefert: Mommsen charakterisierte Tillemont hier als »das eigentliche Grundbuch« zur Kirchengeschichte, dieser sei »vor allem Kirchenhistoriker, fanatisch katholisch, aber ein guter Sammler.« Gibbon wurde hingegen als »noch das bedeutendste Werk, das je über die römische Geschichte geschrieben wurde«, eingestuft. Es biete »eine gute Zusammenfassung und treffende Charakteristiken«, werde allerdings »in gelehrter Beziehung« überschätzt und zeige sich außerdem, so Mommsen, als »parteiisch, entgegengesetzt zu Tillemont, da Gibbon Atheist ist.« 71 Eine Teilnahme an der bereits angesprochenen Londoner Gedenkfeier zum 100. Todestag lehnte Mommsen brieflich mit der Begründung ab, Gibbons Fähigkeiten auf dem Gebiet der Quellenforschung entsprächen in seinen Augen nicht den Qualitäten des großartigen Geschichtsschreibers, derartige kritische Töne seien in einem Jubiläumsbeitrag aber fehl am Platz. Wie Mommsen bemängelte, habe Gibbon sich in seiner Darstellung zu häufig auf die Werke anderer Historiker gestützt. »But his [Gibbon’s] researches are not equal to his great views; he has read up more than a historian should. A first rate writer, he is not a plodder.« 72 Zutreffend ist natürlich, dass Gibbon sich (anders als Mommsen) nicht der Sammlung und Verfügbarmachung bislang unerschlossener historischer Quellen verschrieben hatte oder eigene Quellenstudien im Archiv betrieb, sondern im Bereich der Kirchengeschichte auf die umfangreichen Vorarbeiten theologischer Vorgänger wie Baronius, Tillemont und anderen zu den für ihn relevanten Fragen zurückgriff. Die Qualitäten seines Werks deswegen auf eine literarisch herausragende Geschichtsschreibung zu beschränken, in Verbindung mit dem nicht nur 70
Theodor Mommsen: Römische Geschichte. Neuausgabe, München 1976, Bd. VI, Einleitung, S. 15. 71 Theodor Mommsen: Römische Kaisergeschichte. Nach den Vorlesungsmitschriften von Sebastian und Paul Hensel 1882/86, hg. v. Barbara u. Alexander Demandt, München 1992, S. 430. 72 Undatierter Brief von Mommsen an Henry Pelham, zitiert bei Croke, S. 56; Nippel (2015), S. 95 f. Der Begriff des Kärners (»plodder«) bezeichnet bei Mommsen jemanden, der sich der Erschließung historischer Quellen widmet und auf diese Weise Material für die Geschichtsforschung verfügbar macht. – Bowersocks Argumentation, der sich in diesem Kontext dem Urteil Mommsens anschließt, Gibbons Beitrag zur Forschung erreiche nicht das Niveau seiner einzigartigen Geschichtsschreibung, ist m. E. wenig überzeugend; Glen W. Bowersock: From Gibbon to Auden. Essays on the Classical Tradition, Oxford 2009, S. 18 f.
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von Mommsen geäußerten Vorwurf, Gibbon habe zu häufig aus zweiter Hand gearbeitet, greift jedoch zu kurz. Übersehen wird hier, wie komplex sich gerade bei der Abhandlung der Kirchengeschichte Gibbons Rezeption unterschiedlicher Autoritäten in der Regel gestaltete, so dass das Resultat viel mehr als eine bloße Übernahme und hervorragend gestaltete Zusammenschau fremden Gedankenguts darstellt. Im späteren 19. Jahrhundert verfestigte sich unter deutschen Historikern zunehmend eine Wahrnehmung, die Gibbon als charakteristischen Vertreter einer noch vorwissenschaftlich arbeitenden Aufklärungshistoriographie und / oder Parteigänger Voltaires einstufte. In die Tradition der kirchenfeindlichen französischen Aufklärer vom Schlage Voltaires wurde Gibbon so auch von Wilhelm Dilthey in einem stärker biographisch angelegten Beitrag in »Westermanns Monatsheften« (1866/67) gestellt 73, der gleichwohl zu einem vergleichsweise freundlichen Urteil über den Historiker Gibbon kam. Dilthey würdigte die enorme Stofffülle und die meisterliche Ausarbeitung des »Decline and Fall« und hielt es, zumal in bestimmten Partien wie der Julian-Darstellung, für unübertrefflich. 74 Dass Gibbon die frühneuzeitliche gelehrte Literatur zur Kirchengeschichte wertschätzte und intensiv benützte (immerhin ein zentraler Unterschied zu den »philosophes«), wurde von Dilthey kurz erwähnt. 75 Mit Bedauern vermerkte er, dass Gibbon seine ursprüngliche Absicht, »eine Kritik der Quellenschriftsteller seines Werks« zu verfassen, nicht ausgeführt habe. Dieser Kommentar würde sich, so Dilthey, »dem was Ranke später in so genialer Weise leistete, mehr genähert haben, als
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Wilhelm Hoffner [= Wilhelm Dilthey]: Eduard Gibbon, Westermann’s Jahrbuch der Illustrirten Deutschen Monatshefte 21 (1866/67), 135 – 149, hier S. 144: »Nun war aber Gibbon von da ab unter den überwältigenden Einfluß der Zeitphilosophie gerathen, wie sie sich in Paris ausbildete. In die historische Bewegung mischte sich, das darf nicht geleugnet werden, der leidenschaftliche julianische Haß gegen das Christenthum, welchen diese Zeitphilosophie athmet. [. . . ] Die Ideen, denen er hier begegnete, welche die hier entstandene Literatur beherrschten, durchdrangen ihn ganz. So erst erklärt sich die merkwürdige Stellung, welche er in der großen Frage vom Christenthum einnahm.« 74 Hoffner, S. 149: »Kein Geschichtswerk großen Stils von ähnlichen Dimensionen ist vorhanden. Als ein Ganzes ist daher dies grandiose Werk noch heute unerreicht.«; »Johannes Müller, Niebuhr sind veraltet, auch Schlosser in allen Arbeiten welche sich nicht auf das 18. Jahrhundert beziehen [. . . ]. Spittler, Möser sind desgleichen veraltet. Von Gibbon darf das niemand sagen. Ein so tiefer Weltverstand spricht aus seinem Werke, daß, wie sich auch Quellen und kritisches Studium mehren mögen, sie Darstellungen wie die des römischen Kaisers Julian des Abtrünnigen nie verdeutlichen werden.« 75 Hoffner, S. 143. Vgl. Maria Behre / Michael Szczekalla: Zwischen Historismus und Hermeneutik: Gibbon-Rezeption bei Wilhelm Dilthey, in: Cord-Friedrich Berghahn / Till Kinzel (Hgg.), Edward Gibbon im deutschen Sprachraum. Bausteine einer Rezeptionsgeschichte, Heidelberg 2015, 381 – 396, hier S. 387.
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irgend eine andre verwandte Arbeit.« 76 Weitere Bemerkungen zur methodischhandwerklichen Seite des »Decline and Fall« finden sich bei ihm nicht. Jacob Burckhardt, der in »Die Zeit Constantins des Großen« (1853) zu einer weitaus einseitigeren Bewertung des christlichen Kaisers kam als Gibbon, begegnete Gibbons Werk eher geringschätzig. 77 In der Vorrede zur ersten Auflage seiner Studie über Konstantin wurde zwar neben einigen anderen Historikern auch Gibbon als Vorläufer der Untersuchung genannt. 78 Burckhardts KonstantinInterpretation unterscheidet sich dann aber deutlich von derjenigen Gibbons: Der Darstellung Voltaires und anderer Aufklärer vergleichbar wurde Konstantin von Burckhardt als genialer und skrupelloser Machmensch präsentiert, dessen Übertritt zum Christentum sich ausschließlich machtpolitischen Motiven verdankte. 79 Im Vergleich zu Gibbons differenzierter Erklärung möglicher psychologischer, religiöser und politischer Faktoren bei Konstantins Konversion zum Christentum (vgl. Kapitel 7.1) wirkt diese eindimensionale Analyse unhistorisch. 80 Der Altphilologe Jacob Bernays stellte bereits in den 1870er-Jahren ein mangelndes Interesse der deutschen Geschichtswissenschaft an Gibbons universalgeschichtlichem Werk fest. In einer unvollendeten Studie unternahm Bernays demgegenüber den Versuch, die wissenschaftliche Bedeutung und Originalität des »Decline and Fall« zu würdigen. 81 Für Bernays war Gibbons Geschichtswerk »das erste bedeutende Werk über alte Geschichte, welches die moderne Litteratur hervorgebracht hat« 82, als dessen Verdienste nannte er u. a. die Schaffung einer Synthese von Profan- und Kirchengeschichte und die gründliche Berücksichtigung frühneuzeitlicher Werke der antiquarischen Gelehrsamkeit – im Unterschied zu den »philosophischen« Historikern des 18. Jahrhunderts. 83 Außerdem sei »The Decline and Fall«, so Bernays, das bis zu diesem Zeitpunkt einzige gelehrte und 76
Hoffner, S. 149. Bahners, S. 280 f. 78 Jacob Burckhardt: Die Zeit Constantins des Großen, München 1982, S. VIII. Vgl. Bahners, S. 277. 79 Bahners, S. 312 f. 80 Bahners, S. 319 u. 328. 81 Diese Studie wurde posthum in Bernays »Gesammelten Abhandlungen« (1885) herausgegeben; Jacob Bernays: Edward Gibbon’s Geschichtswerk. Ein Versuch zu seiner Würdigung, in: ders., Gesammelte Abhandlungen, hg. v. Hermann Usener, Bd. II (Berlin 1885), Nachdruck Hildesheim u. a. 1971, 206 – 254, hier S. 210 f. Ein Teilabdruck findet sich auch in VU, Bd. 6, 115 – 130. Vgl. hierzu und zum Folgenden Nippel (2000), S. 72 ff.; ders. (2015), S. 97 f. Vgl. zu Jacob Bernays Gibbon-Rezeption auch Till Kinzel: Edward Gibbon in der deutschen Literaturund Philosophiegeschichtsschreibung, in: Cord-Friedrich Berghahn / Till Kinzel (Hgg.), Edward Gibbon im deutschen Sprachraum. Bausteine einer Rezeptionsgeschichte, Heidelberg 2015, 135 – 158, hier S. 141 f. 82 Bernays, S. 241 f. 83 Bernays, S. 211, 240, 231. 77
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literarisch überzeugende Geschichtswerk, das von seinem Verfasser abgeschlossen werden konnte. 84 Mit Gibbons Anmerkungsapparat beschäftigte sich Jacob Bernays Bruder, der Literaturhistoriker Michael Bernays, in einer posthum veröffentlichten Studie »Zur Lehre von den Citaten und Noten« (1899): Er würdigte den eigenständigen Charakter der Anmerkungen und arbeitete die diffizilen Beziehungen zwischen Fußnoten und Haupttext des »Decline and Fall« heraus. 85 Bedauerlicherweise blieb Jacob Bernays’ Versuch einer Rehabilitierung von Gibbons Werk ohne Resonanz. Wie Wilfried Nippel gezeigt hat, erschien Gibbon regelmäßig als wichtiger Vertreter einer noch vorwissenschaftlich arbeitenden Aufklärungshistoriographie, wenn sich deutsche Althistoriker im Zuge der Professionalisierung der Alten Geschichte ab dem Ende des 19. Jahrhunderts mit der Geschichte der eigenen Fachdisziplin beschäftigten, Die wissenschaftliche Epoche der Althistorie begann hier erst mit Niebuhr und der von ihm entwickelten Form der Quellenkritik. 86 In Curt Wachsmuths »Einleitung in das Studium der Alten Geschichte« (1895) wurde Gibbons Werk etwa zur »Aufklärungsphilosophie« gerechnet und »durch die nachdrückliche Betonung der eigenen freigeistigen Anschauungen« als parteilich befangen eingestuft. 87 Karl Johannes Neumann wertete in einer Rede von 1909/10 »The Decline and Fall« zwar als »das erste umfassende bedeutende Werk der Neuzeit über alte Geschichte« 88, nannte als ihren eigentlichen Gründungsvater aber Niebuhr. 89 Einen möglichen Grund für diese wissenschaftliche Geringschätzung von Gibbons Werk durch deutsche Historiker sieht Nippel darin, dass sich bis Ende des 19. Jahrhunderts eine Sichtweise etabliert hatte, in der Friedrich August Wolf und Niebuhr als Begründer der modernen Wissenschaft bzw. Althistorie angesehen wurden – eine Art von »Gründungslegende«, die für längere Zeit nicht mehr hinterfragt wurde. 90 In anderen historiographiegeschichtlichen Beiträgen deutscher Historiker setzten sich stereotype Einschätzungen dieser Art fort und führten zu manchmal kaum noch nachvollziehbaren Urteilen. Moriz Ritter würdigte zwar die Bandbreite der behandelten Gegenstände und die Komposition von Gibbons Werk sowie die hohe Gelehrsamkeit des Verfassers, verkannte jedoch sowohl die über weite Strecken 84
Bernays, S. 246. Michael Bernays: Zur Lehre von den Citaten und Noten, in: ders., Zur neueren und neuesten Litteraturgeschichte (Schriften zu Kritik und Litteraturgeschichte 4), hg. v. Georg Witkowski, Berlin 1899, 255 – 347, hier S. 306 ff.; vgl. Kinzel, S. 142 ff. 86 Vgl. hierzu und zum Folgenden Nippel (2000), S. 79 ff.; Nippel (2015), S. 96 f. 87 Curt Wachsmuth: Einleitung in das Studium der Alten Geschichte, Leipzig 1895, S. 20. 88 Karl Johannes Neumann: Entwicklung und Aufgaben der Alten Geschichte. Rede [. . . ] am Stiftungsfest der Kaiser Wilhelms-Universität am 1. Mai 1909, Straßburg 1910, S. 6 f. 89 Neumann, S. 37: »Trotz seiner großen Bedeutung ist nicht er [Gibbon] der Begründer unserer heutigen Geschichtswissenschaft, sondern Niebuhr.« 90 Nippel (2015), S. 99 f.; ders. (2000), S. 80 f. 85
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vorhandene Vielschichtigkeit und Differenziertheit der kirchengeschichtlichen Darstellung 91 als auch die originelle und nuancierte Form der Quellenauswertung. 92 Durchgängig negativ fiel das Urteil Eduard Fueters aus, der »The Decline and Fall« als eine reine Nachahmung von Voltaires historischen Arbeiten wertete, die allerdings in methodischer und kritischer Hinsicht nicht das Niveau des französischen Vorbildes erreicht habe. 93 Auch Friedrich Meinecke bewertete Gibbon in seiner Studie »Die Entstehung des Historismus« (1936) als typischen Vertreter der Aufklärungshistoriographie, die von Meinecke lediglich als eine unvollständige Vorstufe zur voll entwickelten Geschichtswissenschaft des deutschen Historismus im 19. Jahrhundert angesehen wurde. 94
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Moriz Ritter: Studien über die Entwicklung der Geschichtswissenschaft. IV: Das 18. Jahrhundert, Historische Zeitschrift 112 (1914), 29 – 131, hier S. 129 ff.: »Hier [bei Gibbon] haben wir wieder, wie bei Voltaire, die Unterordnung der geschichtlichen Vorgänge unter das rasch fertige und leidenschaftlich, bald mit Pathos, bald mit schneidender Ironie ausgesprochene Werturteil.« (Zitat S. 129). 92 Ritter, S. 131. 93 Eduard Fueter: Geschichte der neueren Historiographie, 2. Aufl., München u. a. 1925, S. 370 f. 94 Friedrich Meinecke: Die Entstehung des Historismus, Bd. 1: Vorstufen und Aufklärungshistorie, München u. a. 1936, S. 247 f. Meinecke fiel hier immerhin auf, dass Gibbons Abhandlung kirchengeschichtlicher Themen ungleich detaillierter ausfiel als diejenige Voltaires, ohne dass sich weitergehende Bemerkungen zur jeweiligen Arbeitsweise beider Historiker finden würden; ebd., S. 252.
9 F
Die Geschichte des Christentums aus einer kritischen Perspektive heraus abzuhandeln war zu Gibbons Zeit nach wie vor ein heikles Vorhaben für einen Historiker – wie nicht zuletzt die große englische Kontroverse um Kapitel XV und XVI des »Decline and Fall« zeigte. Angesichts des ausgeprägten Konfliktpotentials der Kirchengeschichte war es für eine Untersuchung von Gibbons Arbeitsweise als Kirchenhistoriker unverzichtbar, jeweils die kritischen Implikationen einzelner kirchengeschichtlicher Themen und ihren Stellenwert in den theologisch-konfessionellen, kirchen- und religionskritischen Diskursen des 18. Jahrhunderts im Blick zu behalten. Die vorliegende Untersuchung machte deutlich, dass Gibbon ein Meister des kreativen Umgangs mit Ideen, Begrifflichkeiten und argumentativen Strategien der zeitgenössischen Kirchen- und Religionskritik war. Vorgefundene Bedeutungsgehalte wurden von ihm modifiziert, erweitert oder auf neue Sachverhalte übertragen, die Zielrichtung kritischer Argumentationsmuster abgewandelt und Gedankengut unterschiedlicher Provenienz miteinander kombiniert. Gleichzeitig verfasste Gibbon jedoch auch eine fundierte und detailgenaue Geschichte der Kirche, in der stets auf die relevanten christlichen und heidnischen Quellen zurückgegangen wird und umfassend die Ergebnisse der theologischen, insbesondere der protestantischen Kirchengeschichtsschreibung verarbeitet sind. Von ihm herangezogene Quellen und Sekundärliteratur dokumentierte Gibbon in einem sehr umfangreichen Anmerkungsapparat von ca. 8.000 Fußnoten. Ungeachtet eines teilweise indirekten Rekurses für manche Autoren (hinter der nicht explizit gemachten Voltaire-Rezeption lassen sich beispielsweise taktische Gründe vermuten) fällt doch eine hohe wissenschaftliche Genauigkeit auf. In einer methodisch originellen Form der Rezeption verknüpfte Gibbon Argumentationslinien unterschiedlicher, auch gegenläufiger kritischer Konnotation miteinander und schlug gerade aus einem kombinierten Rekurs auf mehrere Autoritäten unterschiedlichen religiösen Standpunkts an vielen Stellen argumentatives Kapital. Exemplarisch zeigte dies die Diskussion der frühen Kirchenverfassung in Kapitel XV: Seine Erörterung, wie sich in der Kirche während der ersten drei Jahrhunderte zunehmend hierarchische Strukturen ausbildeten (eine der zentralen Streitfragen zwischen katholischen und protestantischen Autoren), lehnte Gibbon eng an die antikatholisch motivierte Darlegung aus Mosheims Schrift »De rebus Christianorum« an. In freier Weise fließen in die Darstellung zusätzlich verschiedene religionssoziologische Ideen Humes ein wie der Begriff der religiösen
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Fazit
»Schwärmer« oder die Kennzeichnung der frühen Kirche als »Sekte« im Sinn von Humes Aufsatz »Of Parties«. Durch diese verschränkte Rezeption ergibt sich eine Darstellung der Kirchenorganisation, die neben der (durch Mosheims theologische Autorität gedeckten) Kritik an der katholischen Legitimation der Papstkirche unterschwellig auch einen tiefergehenden kritischen Impetus gegen das frühe Christentum insgesamt transportiert und in einer Art von Subtext dessen für Gesellschaft und Staat des Römischen Reichs bedrohliche Aspekte herausstellte. Gibbons »mehrdimensionale« und beziehungsreiche Darstellungsform, die von der Geschichtswissenschaft lange Zeit nicht gewürdigt wurde und erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts in das Blickfeld der Forschung rückte, zieht zu Recht bis heute ein intensives Interesse von Historikern unterschiedlicher Fachgebiete, aber auch von Literaturwissenschaftlern auf sich. Unter Verwendung einer Reihe von Ideen der aufklärerischen Kirchen- und Religionskritik entwarf Gibbon in Kapitel XV ein Bild der frühen Christen, das diese als eine abgeschottete, moralisch fragwürdige und von der heidnischen Umwelt als bedrohlich wahrgenommene Religionsgemeinschaft präsentierte und den apologetischen Topos eines vorbildlichen »Urchristentums« in sein Gegenteil verkehrte. Damit legte Gibbon auch den Grundstein für eine skeptische Neubewertung der Christenverfolgungen im Römischen Reich (Kap. XVI): Die antichristlichen Maßnahmen wurden von ihm auf politisch-pragmatische (und nicht religiöse) Motive der römischen Herrscher zurückgeführt, Ausmaß und Intensität der Verfolgungen reduziert und zudem die Beweggründe der christlichen Märtyrer sehr kritisch beleuchtet. Auch wenn die Frage nach der inneren Entwicklung des »Decline and Fall« in dieser Arbeit nicht im Vordergrund stand, zeigten sich im Verlauf der Untersuchung doch Unterschiede zwischen den beiden kirchengeschichtlichen Kapiteln des ersten Bandes und späteren Kapiteln. In Kapitel XV und XVI fallen eine polemisch zugespitzte Form der Argumentation und häufige despektierliche Pointen gegen die Kirche auf, hier finden sich zahlreiche den christlichen Leser brüskierende Passagen wie die skeptische Unterminierung der Sonnenfinsternis während Jesu Passion (Abschluss von Kapitel XV). Auch in diesen Kapiteln stützte Gibbon seine Darstellung auf die relevanten Quellen und zog zahlreiche Titel der kirchengeschichtlichen und anderer Sekundärliteratur heran. Dennoch kennzeichnet diese Kapitel ein stärkerer Einsatz taktisch-polemischer Mittel, mit denen es Gibbon öfters gelingt, keine ausdrücklich skeptische Position zu beziehen, sondern Kritik an der Kirche auf indirektem Weg zu übermitteln. Theologen reagierten verständlicherweise erbost auf diese ausweichende Form der Argumentation, erschwerte sie doch wesentlich eine Identifikation Gibbons mit einem eindeutig heterodoxen Standpunkt. Die kirchengeschichtliche Erörterung in den Bänden 2 – 6 zeichnet dann eine differenziertere Form der Darstellung aus, die dem
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Leser häufig ein Bündel möglicher Wirkfaktoren und Motivationen zur Erklärung eines Sachverhalts anbietet und zu überraschend vielschichtigen Bewertungen von Personen und Glaubensgruppen kommt. Es fiel auf, dass Gibbons Haltung gegenüber dem Klerus nicht pauschal festgelegt ist und einzelnen Kirchenherrschern, abhängig auch von ihrer politischen Wirkung, durchaus eine positive Rolle zugestanden wird. Während ein frühchristlicher Bischof wie Cyprian von Karthago weitgehend negativ bewertet und dessen stark machtpolitisch geprägtes Agieren als potentiell gefährlich für den Fortbestand der politischen Ordnung verurteilt wurde, würdigte Gibbon beispielsweise das Engagement Papst Gregors II. im Bilderstreit des achten Jahrhunderts, da der päpstliche Widerstand gegenüber den byzantinischen Herrschern längerfristig zu einer Umgestaltung des Mächtegleichgewichts und einer Wiederherstellung des Römischen Reichs in veränderter Form führte. In der Darstellung des arianischen Streits im vierten Jahrhundert (Kapitel XXI) schlug Gibbon sich nicht – wie viele kirchenkritische Autoren seiner Zeit – auf die Seite der historischen Arianer als der letztlich unterlegenen Glaubensgruppe. Vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Konflikts zwischen anglikanischer Kirche und Unitariern, die auf einen Umsturz der bestehenden Staats- und Kirchenordnung zielten, unterstrich er vielmehr immer wieder das destabilisierende Potential des Arianismus und die destabilisierenden Auswirkungen theologischer Kontroversen insgesamt. Auch die besonders lesenswerten Porträts der Kaiser Konstantin I. und Julian »Apostata«, zweier Symbolfiguren der Kirchengeschichte, enttäuschen etwaige Erwartungen an eine eindeutig antikirchliche Positionierung Gibbons. Der Leser findet vielmehr eine virtuose Nachzeichnung verschiedener, auch ambivalenter Charakterzüge der beiden Herrscher und eine genaue Analyse vorstellbarer Motivationen ihrer jeweiligen Religionspolitik. Der zum Christentum konvertierte Kaiser Konstantin I. wird von Gibbon (im Unterschied zu vielen kirchenkritischen Autoren wie Voltaire oder Jacob Burckhardt) nicht ausschließlich als heuchlerischer Machtmensch und inhumaner Tyrann präsentiert. Vielmehr nimmt die facettenreiche Darstellung auch religiöse und spirituelle Motive Konstantins durchaus ernst, wenngleich nicht mit Kritik an seiner Herrschaft und insbesondere den negativen Folgen des unter ihm etablierten Kirchensystems gespart wird. Julian wiederum ist bei Gibbon nicht der vorbildliche tolerante Philosophenkaiser, zu dem ihn viele Aufklärer (darunter auch Voltaire) stilisiert hatten. Kritisch vermerkt werden der fanatische Glaube des Apostaten an ein neuplatonisch inspiriertes Heidentum und eine Religionspolitik, deren antichristliche Maßnahmen Gibbon als eine versteckte Verfolgung und als zerstörerisch für den politischen und sozialen Zusammenhalt des Reichs wertete. Die in der vorliegenden Arbeit näher betrachteten Referenzautoren erwiesen sich in unterschiedlicher Hinsicht als bedeutsam für Gibbons Geschichte des
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Christentums. Aus Voltaires stark antikkirchlich ausgerichtetem »Essai sur les mœurs« bezog Gibbon immer wieder wichtige Anregungen für seine kritische Geschichte der Kirche: So erinnern die Konzentration auf die »natürlichen« Ursachen der Kirchengeschichte, der Einsatz von (indirekt auch die Kirche diffamierenden) antijüdischen Argumentationsstrategien oder die Umwertung der Christenverfolgungen im Römischen Reich deutlich an Voltaires Vorgehensweise. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde Gibbon deshalb zu Unrecht in die Tradition des französischen »philosophe« und seiner einseitig motivierten Kirchenkritik gestellt. Denn Gibbon ging weit über den »Essai« hinaus, indem er seine Anleihen bei Voltaire mit anderen kritischen Ansätzen (etwa Ideen aus Humes Religionssoziologie) kombinierte, durch eigene Spekulationen ergänzte und sie insbesondere mit einer genauen Berücksichtigung der relevanten Quellen verband. In der Abhandlung der Christenverfolgungen der römischen Herrscher bis Diokletian (Kapitel XVI) nützte Gibbon beispielsweise verschiedene Ideen und Strategien aus dem »Essai«, um Umfang und Intensität der antichristlichen Maßnahmen zu reduzieren. Gleichzeitig bietet dieses Kapitel jedoch auf fast 70 Seiten einen ausführlichen chronologischen Durchgang durch die Reihe der römischen Herrscher, bei dem anhand der Quellen detailliert die Einstellung einzelner Kaiser zu den Christen betrachtet und, wo Maßnahmen gegen die Christen eindeutig belegt sind, deren Hintergründe kritisch beleuchtet werden. Im Unterschied zu Voltaires »Essai«, der nicht das Ziel einer authentischen und detailgetreuen Darstellung der antiken Kirchengeschichte verfolgte, erweist sich Gibbons Kritik an der Kirche deshalb stets als fachlich versiert, was ihre Überzeugungskraft noch verstärkt. Ideen aus Humes religionssoziologischen Schriften bilden einen wiederkehrenden Bestandteil der kirchengeschichtlichen Abschnitte des »Decline and Fall«. Kennzeichnend für Gibbons Hume-Rekurs ist eine flexible und kreative Anwendung einzelner Begriffe und Theorien, ohne dass deren jeweiliger Bedeutungsgehalt vollständig übernommen oder an das übergreifende philosophische Gedankengerüst Humes angeschlossen werden würde. Beispielsweise werden Humes Kategorien der »Schwärmerei« und des »Aberglaubens«, die ursprünglich zwei voneinander abgegrenzte, eindeutig definierte Formen (korrumpierter) Religionsausübung beschrieben, in freier Weise zur Charakterisierung unterschiedlichster historischer Glaubensgruppen und Persönlichkeiten (Juden, frühe Christen, Polytheisten, Kaiser Julian »Apostata«) verwendet und die negativen Konnotationen dieser Termini spielerisch zu einer kritischen Erhellung religiöser Verhaltensmuster und Einstellungen verwandt. In vergleichbarer Weise nimmt sich Gibbon die Freiheit heraus, Humes wunderkritische Argumente aus dem Aufsatz »Of Miracles« durch eigene Überlegungen zu erweitern, wenn ein aus der Geschichte des Christentums überliefertes Wunder so überzeugend belegt zu sein scheint, dass Humes theoretisches Instrumentarium an seine Grenzen stößt.
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Für die Rezeption von Middletons äußerst kontrovers diskutierte »Free Inquiry« in Kapitel XV ließ sich feststellen, dass Gibbon eine direkte Identifizierung (auch aus naheliegenden taktischen Gründen) vermied, gleichzeitig jedoch gezielt eine argumentative Schwäche der »Free Inquiry« ausnützte, um in versteckter Form auch die Glaubwürdigkeit der von Middleton verteidigten neutestamentarischen Wunder in Frage zu stellen. Ein unentbehrlicher Bestandteil von Gibbons Geschichte der Kirche waren die kirchenhistorischen Werke protestantischer Theologen. Dieser zuverlässigen Informationsquelle ließen sich Details der Kirchengeschichte entnehmen, Gibbon konnte hier relevante Stellen in den Texten der Kirchenväter und anderen Quellen identifizieren und deren Auslegungstradition klären. Insbesondere der lutheranische Kirchenhistoriker Mosheim war aufgrund seiner vergleichsweise sachlichen und an Regeln orientierten Darstellung ein bevorzugter Autor Gibbons für Themen der Kirchengeschichte wie die Entwicklung der Kirchenverfassung, die christlichen Häresien und anderes. Beausobres »Histoire critique de Manichée et du Manichéisme« nützte Gibbon in geringerem Umfang innerhalb seiner Besprechung der gnostischen Sekten, die Julian-Biographie des Oratorianers La Bléterie (»Vie de l’empereur Julien«) rezipierte er in seiner Darstellung des Kaisers Julian »Apostata«. Wenn die konfessionelle Auslegung einer kirchengeschichtlichen Streitfrage sich als passend für die eigenen argumentativen Absichten erwies, nützte Gibbon auch diesen kritischen Impetus für seine Darstellung, etwa bei der bereits angesprochenen Erörterung der frühen Kirchenverfassung oder in der Diskussion der gnostischen Häresien (Kapitel XV, XXI, XLVII), in der Gibbon abwechselnd auf die Untersuchungen von Beausobre und Mosheim rekurrierte, ohne sich dabei der prognostischen Darlegung Beausobres oder der gegen die Gnostiker gerichteten Argumentation Mosheims anzuschließen. Die eigene Abhängigkeit von den gelehrten Arbeiten theologischer Provenienz machte Gibbon in der Regel explizit. Besonders in den beiden stärker taktisch motivierten Kapiteln XV und XVI diente ihm der Rekurs auf diese Schriften zu einer gezielten Verstärkung und Absicherung der eigenen kritischen Argumentation. Ziel der vorliegenden Arbeit war es, Gibbons »handwerkliche« Arbeitsweise am Beispiel einer Reihe von ausgewählten kirchengeschichtlichen Themen zu rekonstruieren, wobei der Schwerpunkt auf seiner Verarbeitung von Gedankengut der Kirchenkritik und Kirchengeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts lag. Zusätzliche Aufschlüsse über den Kirchenhistoriker Gibbon würde eine nähere Betrachtung der Vorgehensweise in den hier nur vereinzelt herangezogenen kirchengeschichtlichen Abschnitten der Bände 3 – 6 versprechen, womit Aspekte der mittelalterlichen Kirchengeschichte wie die Kreuzzüge oder das Große Schisma in den Fokus rücken würden.
Q- L
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D
Die vorliegende Arbeit ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im November 2016 an der Humboldt-Universität zu Berlin verteidigt wurde. Danken möchte ich besonders meinem Doktorvater Prof. Dr. Wilfried Nippel, der eine Beschäftigung mit Edward Gibbons historiographischer Arbeitsweise angeregt und das Arbeitsvorhaben über viele Jahre mit unvermindertem Interesse, zahlreichen hilfreichen Hinweisen und stets konstruktiver Kritik begleitet hat. Im Althistorischen Kolloquium der Humboldt-Universität zu Berlin hatte ich außerdem die Möglichkeit, das Projekt in einer frühen Phase vorzustellen und aus der Diskussion wesentliche Anstöße für seine nähere Ausgestaltung zu beziehen. Prof. Dr. Peter Burschel möchte ich für die Übernahme des zweiten Gutachtens danken wie auch für seine wertvollen Anregungen hinsichtlich der inneren Weiterentwicklung und Zielsetzung der Arbeit. Ferner gebührt mein Dank Prof. Dr. Martin Mulsow, der sich freundlicherweise bereit erklärte, als Drittgutachter zu fungieren. Dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts danke ich sehr für die Aufnahme der Monographie in die Reihe »Studien zum achtzehnten Jahrhundert«, die Gutachter des Manuskripts lieferten einen wichtigen ergänzenden Hinweis. Gedankt sei schließlich den Mitarbeitern des Felix Meiner Verlags, die die Drucklegung der Arbeit vom Manuskript bis zum fertigen Band umsichtig und hilfsbereit betreut haben. Nadine Wendland
P
Kursive Seitenzahlen verweisen auf Fußnoten.
a) Personen der Antike Aeneas von Gaza 145 Ambrosius von Mailand 142 Ammianus Marcellinus 39, 142 – 144, 181, 184 f., 208, 211, 215, 219, 223, 225 Antoninus Pius (römischer Kaiser) 87 f. Apostolische Väter 122, 127 – 129 Appian (Appianus von Alexandria) 137 Aristoteles 213 Arius 172, 207 Cn. Arrius Antoninus (Prokonsul der Provinz Asia) 104 Athanasius von Alexandria 176, 178, 182 – 185, 207, 214, 226 Athenagoras von Athen 124 Augustinus von Hippo 159, 161, 163, 165, 168, 178 Augustus (römischer Kaiser) 81, 191, 206, 214 Aurelian (römischer Kaiser) 109, 241 Caesar (C. Iulius Caesar) 136 f., 140, 214, 242 Caracalla (römischer Kaiser) 108 Cassius Dio (L. Cassius Dio Cocceianus) 35, 87, 98, 137 Cato der Jüngere (M. Porcius Cato) 214 Celsus (Kelsos) 52, 55, 86, 88 – 90 Cicero (M. Tullius Cicero) 47, 124, 140 Clemens von Alexandria 156 Clemens I. (Bischof von Rom) 122, 128 Commodus (römischer Kaiser) 108 Constantius I. (römischer Kaiser) 208 Constantius II. (römischer Kaiser) 181, 183, 189, 208, 210 – 213 Crispus (Sohn Konstantins I.) 188 f., 192, 202
Cyprian von Karthago 17, 51, 67 f., 70 – 77, 81, 83, 101 – 103, 105, 122, 251 David (König von Israel) 99, 198 f. Decius (römischer Kaiser) 72, 101 f., 108 f. Diodor von Agyrion (Diodorus Siculus) 35 Diokletian (römischer Kaiser) 106 f., 110 – 112, 213 f., 227, 242 f., 252 Domitian (römischer Kaiser) 97 – 99 Epiphanius von Salamis 156, 158, 166, 225 Eucherios von Lyon 112 Euripides 51 Eusebius von Caesarea 25, 69 f., 83, 98 f., 109 – 111, 113 – 115, 138 – 143, 154 – 156, 158, 187, 190 – 194, 201, 206 Fausta (Gemahlin Konstantins I.) 188 f., 192 Faustus von Mileve 159, 161 Felicissimus (Widersacher Cyprians von Karthago) 75 Flavius Josephus 162 Florus (L. Annaeus Florus) 140 Galerius (römischer Kaiser) 198 f. Georg von Kappadokien 225 f. Gregor von Nazianz 142 f., 184 f., 208, 215, 219 – 221, 224 f., 227 Hadrian (römischer Kaiser) 96, 100, 106, 154 – 156 Hannibal (karthagischer Feldherr) 76 Hegesippus 25, 70, 98 f., 156 Herodot 35
278 Hieronymus 144, 157 f., 174 Hunerich (König der Vandalen)
Personenregister
144
Iamblichos von Chalkis 216 f. Ignatius von Antiochien 64 f., 100, 122, 128 Irenäus von Lyon 49, 70, 103, 121 – 123, 127, 156 C. Iulius Caesar siehe Caesar Jesus Christus 17, 27, 38, 49, 64, 70, 89 f., 97 – 99, 118, 129, 133 – 135, 137 f., 147, 152 f., 158, 162, 166 – 172, 178, 218, 250 Johannes (Evangelist) 174 Johannes Chrysostomus 142 Jovian (römischer Kaiser) 210, 227 Judas der Galiläer 96 f. Judas Thaddäus (Apostel) 98 f. Julian (»Apostata«, römischer Kaiser) 14, 16 – 18, 21, 24, 52 f., 103, 133 f., 142, 182 f., 185, 187, 190, 208 – 228, 231, 244, 251 – 253 Julius Obsequens 137 Justin der Märtyrer 35, 46, 91, 103, 121, 124, 127, 158
Matthäus (Evangelist) 70, 134, 170 Maxentius (römischer Kaiser) 138 f., 190 f., 193, 198 – 200 Maximian (römischer Kaiser) 93, 190, 198 f. Maximinus Thrax (römischer Kaiser) 108 Minucius Felix 88 – 91 Mohammed 31, 180, 218 Mose (Prophet) 31, 33, 35, 49, 117, 155, 158, 160 f., 165, 218, 242 Nazarius (spätantiker Redner) 138 – 140 Nero (römischer Kaiser) 87, 94 – 97, 107, 192 Nerva (römischer Kaiser) 106 Novatus (Widersacher Cyprians von Karthago) 75 Numa Pompilius (König von Rom) 31 Obadja (Abdias) 70 Origenes 52, 55, 86, 88, 90, 159, 163 Orosius 95, 109 Ossius von Cordoba 207 Ovid (P. Ovidius Naso) 137
Laktanz (Lactantius) 46, 109, 111, 138, 193, 198, 201 Libanius 211, 219, 221, 224 Licinius (römischer Kaiser) 187, 189, 191 f., 194 f., 198 – 200 Livius (Titus Livius) 230 Lukan (M. Annaeus Lucanus) 137 Lukas (Evangelist) 134
Papias von Hierapolis 103 Paulus (Apostel) 69 f., 154, 197 Paulus von Samosata 109 f. Petrus (Apostel) 69 f. Philon von Alexandria 174 Platon 174 f., 177, 217 Plinius der Ältere (C. Plinius Secundus Maior) 136 f. Plinius der Jüngere (C. Plinius Caecilius Secundus) 99 Plotin 216 Plutarch 137 Polykarp von Smyrna 83 Pontius (Diakon in Karthago) 101 f. Porphyrius 52, 216
Makedonios (Bischof von Konstantinopel) 181 Mani (Stifter des Manichäismus) 159 Marcellinus Comes 146 Marcus Antonius (römischer Kaiser) 137 Marcus Aurelius (römischer Kaiser) 107, 209, 214, 217 Markus (Evangelist) 134
Scipio Africanus (P. Cornelius Scipio Africanus) 214 Seneca (L. Annaeus Seneca) 136 Septimius Severus (römischer Kaiser) 108 Severus Alexander (römischer Kaiser) 107 f. Sidonius Apollinaris 192
Kelsos siehe Celsus Konstantin I. (römischer Kaiser) 14 – 17, 23, 30, 58, 61, 70, 83, 93 f., 103, 118, 121, 133 f., 138 – 141, 143, 172 f., 182 f., 187 – 208, 210, 214, 228, 245, 251
94,
Personen des Mittelalters und der Neuzeit Silvester I. (Papst) 188, 194 f. Sokrates Scholasticus 224 Stephan I. (Bischof von Rom) 72, 75 Sueton (C. Suetonius Tranquillus) 96 f. Sulpicius Severus 95, 154, 156 Tacitus (P. Cornelius Tacitus) 35 f., 56, 87, 95 – 97, 162, 230 Tacitus (römischer Kaiser) 206 Tertullian 45, 50 f., 70, 91 f., 99, 104 f., 124, 164, 175, 177 Theodoret von Kyros 167, 224 Theophilus von Antiochia 125 Tiberius (römischer Kaiser) 135 Tibull (Albius Tibullus) 137 Titus (römischer Kaiser) 106, 154
279
Trajan (römischer Kaiser) 64, 87, 93, 95, 99 f., 106, 214 M. Tullius Cicero siehe Cicero Valerian (römischer Kaiser) 73, 101 f., 108 Valerius Licinianus Licinius (Sohn des Kaisers Licinius) 192 Valerius Maximus 140 Vergil (P. Vergilius Maro) 137 Vespasian (römischer Kaiser) 87, 106 Victor von Vita 145 Zarathustra (Zoroaster) 31 Zosimus (spätantiker Geschichtsschreiber) 188, 190, 193 f., 202
b) Personen des Mittelalters und der Neuzeit Annet, Peter 118 Arnaud, Antoine 131 Arnold, Gottfried 26, 151, 188, 240 Barbeyrac, Jean 53, 125 Baronius, Cesare 19, 57, 78, 120, 188, 194, 210, 215, 243 Basnage, Jacques 18, 37, 78 Baur, Ferdinand Christian 152 Bayle, Pierre 47, 150, 159, 177, 188, 198 Beausobre, Isaac de 18, 21 f., 24, 54 f., 150, 159, 160 – 165, 167 – 170, 174 f., 186, 253 Beda Venerabilis 127 Bellarmin, Robert 78 Bentley, Richard 215 Bernays, Jacob 245 f. Bernays, Michael 246 Bernhard von Clairvaux 127 Bingham, Joseph 194 Blount, Charles 118 Bodin, Jean 188, 208 Bolingbroke, Henry St. John, 1. Viscount 41 Bossuet, Jacques-Bénigne 23, 30, 42 f., 119, 150, 159, 198 Boswell, James 229 Bowdler, Thomas 234
Boyle, Robert 118 Brucker, Johann Jakob 175 Bull, George 167 Burckhardt, Jacob 189, 245, 251 Bury, John B. 237 Calvin, Johannes 180 Carlyle, Thomas 232 f. Chelsum, James 8, 51, 114, 125 Chubb, Thomas 118 Clarke, Samuel 172 Correggio, Antonio da 128 Daillé, Jean 176 f. Davis, Henry Edwards 7 f., 125 Dilthey, Wilhelm 244 Disney, William 9 f. Dodwell, Henry 84, 103 f., 109, 113 f. Erasmus von Rotterdam
179 f.
Fell, John 74 Flacius, Matthias 57 Fueter, Eduard 247 Grant Duff, Mountstuart E. 237 Gregor I. (Papst) 146 Gregor II. (Papst) 17, 72, 77 – 81
280 Gregor VII. (Papst) 184 Grotius, Hugo (Huig de Groot) 201
Personenregister
38, 115,
Harrison, Frederic 236 Heinrich IV. (Kaiser des Heiligen Römischen Reiches) 184 Heinrich IV. (König von Frankreich) 235 Hume, David 10, 12 f., 18, 20 – 23, 28, 39 – 48, 54, 56, 61 – 63, 65 f., 68, 71 f., 75, 80, 85 f., 89 f., 93, 104 f., 111, 116, 118 f., 122, 131 – 133, 135 – 140, 142, 144, 146 f., 164, 176 f., 184, 196, 199, 203 f., 207, 216 f., 222, 228, 230 f., 233 – 236, 240, 249 f., 252 Jakob II. (König von England) 208 f. Justinian I. (oströmischer Kaiser) 146 Karl V. (Kaiser des Heiligen Römischen Reiches) 115 La Bléterie, Jean Philippe René de 21 f., 24, 209 f., 212, 225, 253 Lardner, Nathaniel 18 Laud, William 235 Le Clerc, Jean (Johann Clericus) 18, 58, 65, 71, 96, 101, 151, 155, 158, 164, 166, 169, 176 Lenfant, Jacques 160 Leon III. (byzantinischer Kaiser) 77, 80 Limborch, Philipp van 37 f. Locke, John 201 Ludwig XIV. (König von Frankreich) 30 f., 137, 221 f. Luther, Martin 180 Mabillon, Jean 19, 112 f. Macaulay, Thomas Babington 233 – 235 Magdeburger Zenturiatoren 57 f. Maimbourg, Louis 30 Meinecke, Friedrich 247 Meusel, Johann Georg 240 Middleton, Conyers 18, 20 – 24, 80, 103 – 105, 119 – 130, 134, 142, 253 Mitford, William 234 f. Möser, Justus 244 Mommsen, Theodor 242 – 244 Montaigne, Michel de 208
Montfaucon, Bernard de 19 Morgan, Thomas 118 Mosheim, Johann Lorenz 18, 20, 22 f., 26, 58 – 61, 63 – 71, 73 – 75, 78, 94 – 96, 107, 126, 151, 153 – 158, 162 – 167, 169, 175, 186, 194, 196, 239, 249 f., 253 Müller, Johannes 244 Neumann, Karl Johannes 246 Newman, John Henry 235 Newton, Isaac 118 Nicole, Pierre 131 Niebuhr, Barthold Georg 241 f., 244 Orobio de Castro, Isaak
37 – 39
Pagi, Antonius 19 Pascal, Blaise 201 Pearson, John 74 Périer, Marguerite (Nichte von Blaise Pascal) 137 Pétau, Denis (Petavius) 167, 169, 175 Peter I. (russischer Zar) 31 Porson, Richard 179, 233 f. Priestley, Joseph 9, 179 f., 186 Racine, Jean 137 Raffael (Raffaello Santi) 128 Riemberg, Christoph Wilhelm von 238 Ritter, Moriz 246 f. Robertson, William 40, 228, 230 f., 233, 235, 240 Ruinart, Thierry 19, 84, 112 f. Sarpi, Paolo 39, 115 Schlosser, Friedrich Christoph 244 Shaftesbury (Anthony Ashley Cooper, 3. Earl of Shaftesbury) 209 Spanheim, Ezechiel 69 Spanheim, Friedrich (der Jüngere) 78 Spittler, Ludwig Timotheus 239 f., 244 Sporschill, Johann 238 Stephen, Leslie 235 f. Strahan, William 231 Thou, Jacques-Auguste de (Thuanus) 39 Tillemont, Sébastien Le Nain de 18 f., 101 f., 194, 215, 221, 240, 243
Personen des Mittelalters und der Neuzeit Toland, John 27, 34, 61, 149 f., 153, 157 f., 166 Travis, George 7, 179, 233 Ussher, James
65
Valla, Lorenzo 188 Valois, Henri de (Valesius) 194 Voltaire (François Marie Arouet) 9, 13, 20 – 22, 28 – 36, 53, 56, 69 f., 84 – 87, 93 – 95, 97 – 99, 106 f., 110, 112 – 114, 116, 137, 159, 162, 180, 188, 191 f., 200 f.,
281
207, 209, 214, 221 f., 226, 229 f., 236, 244 f., 247 Wachsmuth, Curth 246 Walch, Christian Wilhelm Franz 238 f. Warburton, William 41, 49, 142 Whiston, William 172 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 242 Wilkins, John 118 Wolf, Friedrich August 246 Woolston, Thomas 118