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German Pages 805 [808] Year 2020
Ladislaus Ludescher Die Amerikanische Revolution und ihre deutsche Rezeption
Frühe Neuzeit
Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt
Band 232
Ladislaus Ludescher
Die Amerikanische Revolution und ihre deutsche Rezeption
Studien und Quellen zum Amerikabild in der deutschsprachigen Literatur des 18. Jahrhunderts
Zugleich Dissertation der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein
Der digitale Anhang ist verfügbar auf der beigelegten CD sowie über https://www.degruyter.com/view/supplement/9783110644739_Digitale_Anthologie.pdf
ISBN 978-3-11-061969-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-064473-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-064426-5 ISSN 0934-5531 Library of Congress Control Number: 2019956320 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen www.degruyter.com
Für meine Mutter Maria Ludescher (1953–2000), die mir gezeigt hat, was uneingeschränkte Liebe bedeutet.
Inhaltsverzeichnis Vorwort XIII I. Einleitung 1 „Schwimmt her! – Hier wohnt die Freyheit, hier! / Hier flammt ihr Altar!“ II. Christian Friedrich Daniel Schubarts (1739–1791) Gedicht Freyheitslied eines Kolonisten (1775) als prototypisches Beispiel der deutschen Begeisterung für die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung 24 III. „Sey mir willkommen! Land der Freyheit! Werdender Staat! O möchtest du dein Glück einsehen, und dich dessen bedienen!“ Der zeitgenössische Amerikadiskurs in David Christoph Seybolds (1747–1804) Briefroman Reizenstein. Die Geschichte eines deutschen Officiers (1778/79) 56 1. Reizenstein als ein Schlüsselwerk der europäischen deutschsprachigen Amerikarezeption im 18. Jahrhundert 56 2. Aufbau und Inhalt des Briefromans und die Verarbeitung von Historizität, Faktualität und Fiktionalität 58 3. „[G]ewiß, Freunde! Amerika wird zum zweytenmale eine grosse Revolution in Europa machen.“ Die politischen Kommentare in Reizenstein 63 4. „Wir sind ja alle zur Freude geschaffen.“ Glücks- und Naturstand in der an der Antike orientierten Arkadienfeier in Mainbernheim 66 5. „[E]s gefällt mir in Europa je länger, je weniger. Welch eine Verschlimmerung der Sitten seit den Zeiten meiner Jugend!“ Kritik an Dekadenz und Laster in Europa 69 6. „Nun, wers nicht glauben will, daß so genannte Feinheit gänzlich von der Natur entfernt, der gehe nur durch eine einzige Strasse von Paris!“ Frankreich als Symbol der europäischen Dekadenz 78 7. „Und was haben wir denn von eurer Religion gelernt? Das Gepimpel und Gepampel und das Ceremonienwerk; das Wesentliche wahrhaftig nicht[.]“ Kirchenkritik und religiöses Bekenntnis. Amerika als Ort des religiösen Pluralismus 86 8. „Diese Politik kann nichts anders hervorbringen, als ewige Kriege […].“ Kritik am Adel und den politischen Verhältnissen in Europa 93 9. „[W]enn Mitbürger das Schicksal der Negersklaven haben, und als Schlachtopfer in fremde Welten verschickt werden“. Die Rezeption der britisch-deutschen Subsidienverträge als „Menschenhandel“ in Seybolds Briefroman und in der deutschsprachigen Amerikaliteratur 97
VIII
Inhaltsverzeichnis
10.
„[D]amit ists aus, daß man sich als ein ehrlicher Mann in Europa fortbringen […] kann.“ Die Darstellung des europäischen Gesellschaftsmodells als oppressiv-restriktives Hindernis 136 „Ueberlegts aufs Beste, wie viel Ihr hier zu gewinnen, wie wenig dort zu verlieren habt, und thut, was gut ist!“ Die Auswanderung nach Amerika als alternative Lebensperspektive 139 „O fortunati, quorum iam moenia surgunt!“ Amerika als Aktualisierung der Antike 144 „[I]ch lebe in der herrlichsten Gegend der Welt, umringt von Freunden, die mich lieben – wir alle leben, wie eine Familie in dem goldenen Zeitalter!“ Barbingtonhouse in South Carolina als Verkörperung des arkadischen Ideals 156 „[I]ch bin ein Weib; sollte ich deswegen nichts kluges über den Zustand meines Vaterlandes denken und sagen können?“ Der weibliche Modellcharakter der amerikanischen Patriotin Auguste 167 „[U]nd dann muß ich ja auch Negers kaufen […].“ Die Antwort auf den Antagonismus von Freiheitskampf und Sklavenbesitz in Seybolds Briefroman 180 „So glücklich sollen, mit Gott! alle Kolonisten in Amerika werden!“ Die Auflösung des Kongresses und Reizensteins Gesellschaftsutopie in der Nachfolge von Johann Gottfried Schnabels (1692-ca. 1750) Insel Felsenburg/Wunderliche Fata (1731–1743) 197 „Ha laßt michs nur recht fühlen auf Amerikanischen Boden zu stehn, wo alles neu, alles bedeutend ist.“ Die apolitische Rezeption der Amerikanischen Revolution in Friedrich Maximilian Klingers (1752–1831) Schauspiel Sturm und Drang (1776 [ED. 1777]) 223 Ein Werk, das jeder kennt, aber niemand gelesen hat? Klinger und Sturm und Drang im Urteil der Forschung 223 „Ich will die Campagne in Amerika als Officier machen.“ Wild = Klinger? Der Einfluss der Biografie des Autors auf die Textgenese 228 „[U]nd dann hab ich ein Drama geschrieben das toll ist und dich amüsiren wird […]. […] [D]enn kannst du comisch und tragisch mit einer bittren Sauce zusammen verschlukken.“ Sturm und Drang als Tragikomödie mit einer undurchsichtigen Handlung 235 „Die Scene Amerika.“ Irgendwo am Rande der Welt – die Unbestimmtheit und Beliebigkeit des Handlungsortes 243
11.
12. 13.
14.
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16.
IV.
1. 2.
3.
4.
Inhaltsverzeichnis
5.
6. 7. V.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
VI.
1.
IX
„Wo Krieg ist bin ich!“ Patriot oder Royalist? Die Arbitrarität der politischen Zugehörigkeiten Klingers und seiner Figuren in Sturm und Drang 247 „[A]ch hier find ich was ich in der weiten Welt suchte.“ Amerika als Ort der Wiederbegegnung und des Endes einer Odyssee 260 Ein sanftherziger „Edler Wilde“ als stiller Held der Handlung? Der „junge Mohr“ als Schlüsselfigur für den positiven Ausgang 266 „[D]ie Teutschen wurden für Geld nach Amerika verkauft“ und „Das verheißene Paradies […] in den Wildnissen Amerika’s wiedersuchen“. Amerika und die Subsidienverträge in der Erinnerung zur Zeit der Französischen Revolution in Friedrich Maximilian Klingers Geschichte eines Teutschen der neusten Zeit (1798) und Der Weltmann und der Dichter (1798) 276 „Der Verfasser wagte hier, was, so viel ihm bekannt ist, kein Schriftsteller vor ihm gewagt hat“ Klingers Geschichte eines Teutschen und Der Weltmann und der Dichter als Teile eines Meta-Romans 276 Auf der Suche nach dem „Paradies der Unschuld, der Ruhe und des Glücks“. Rousseau, Natur und Natürlichkeit in Europa und Amerika 279 Das „schrecklichste[] Gebrause, das je die Kräfte und Leidenschaften der Menschen erregt hat“. Die Rezeption der französischen Terreur in der Geschichte eines Teutschen 287 „Ist der Teutsche dazu geboren? Seinem Fürsten von der Natur als eine Waare gegeben?“ Kritik an den Subsidienverträgen und die Suche nach dem rousseauistischen Naturzustand an der amerikanischen Frontier 294 „Das Böse wird uns leicht – das Gute schwer – sehr schwer gemacht“. Homo Politicus und Homo Poeticus in Klingers Dialogroman Der Weltmann und der Dichter 299 „Und die Menschheit […] war die nicht verletzt?“ Kritik an und Apologie der Subsidienverträge im Weltmann und Dichter vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Menschenrechtsdiskurses 303 „[W]ir müssen […] [den Krieg] nützen, wenn er da ist.“ Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg als soziale Aufstiegschance in der zeitgenössischen Amerikaliteratur und in Jakob Michael Reinhold Lenz’ (1751–1792) Wertheriade Der Waldbruder (1776 [ED. 1797]) 327 Rothe = Goethe und Herz = Lenz? Fiktionale Figuren und ihre historischen Vorlagen in Lenz’ Waldbruder 327
X 2.
3.
VII.
1.
2.
3.
4. 4.1
4.2
4.3
4.4
4.5
Inhaltsverzeichnis
Die „Himmelsleiter auf der ich alle meine Wünsche zu ersteigen hoffe.“ Der Unabhängigkeitskrieg als Mittel zum Zweck für den sozialen Aufstieg 332 „[I]ch gehe mit unsern Regimentern nach Amerika und zwar wider meine gute Freunde die Kolonisten.“ Heinrich Julius von Lindau (1754–1776) als historisches Vorbild für Lenz’ Waldbruder 345 „Freudig ruf ich: Deutsche Brüder! / Heil Amerika! lebe hoch! / Lauter Echo halle wieder: / Heil dem Land, das uns erzog!“ Die deutsch-amerikanische Lyrik im 18. Jahrhundert 356 „In Columbia’s Schoos gedeihet / Jede Kunst und Fertigkeit; / Deutscher Geist und Sprache freuet / Auch den Fremdling weit und breit.“ Zwischen Assimilation und Kulturtradition. Die zeitgenössische deutsch-amerikanische Identität 356 „[B]eyn Wilden trage ichs herum“. Die nordamerikanische Missionslyrik der Herrnhuter Brüdergemeine und die religiöse Dichtung der Ephrata Klostergemeinde am Beispiel der Kometenlyrik 363 Ein ausgeprägtes Publikationswesen mit Auflagenzahlen wie in Europa. Die Publizistik der bedeutendsten deutsch-amerikanischen Drucker (die Saur-Familie und Henrich Miller [1702–1782]) 380 Loyale Royalisten und Publizisten für die Patrioten. Deutsch- amerikanische Drucker und die Amerikanische Revolution 388 „Die Freyheit, meine werthe Lands-Leute! ist unser natürliches Recht.“ Selbstbewusst, königstreu und zutiefst religiös: Christoph Saur I. (1695–1758) 389 „Werft, durch und durch voll Schmerz, mit Augen voller Thränen, / Euch zu der Allmacht Füssen hin“. Der Sohn, der ganz in der Tradition seines Vaters steht: Christoph Saur II. (1721–1784) 397 „Auf! Auf! ihr Britten auf! Ihr Hessen frischen Muth! / Marschirt nur hurtig vor; des Königs Sach steht gut.“ Die dezidiert antirevolutionären Stimmen in der Familie: Christoph Saur III. (1754–1799) und Peter Saur (1759–1785) 403 „America! so blühe nun und ewig, / So lange Welten stehn: / America! sey frey und unabhängig / Bis Welten untergehn.“ Loyal gegenüber dem neuen Staat: Samuel Saur (1767–1820) 405 „Den HERREN lobt und benedeyt, / Der von der Stämpel-Act uns hat befreyt.“ Emphatischer Revolutionsanhänger der ersten Stunde und deutsch-amerikanischer Patriot: Henrich Miller und die prorevolutionäre Lyrik 411
Inhaltsverzeichnis
5.
VIII.
IX. 1.
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3.
4. 5. 6.
7.
8. X.
XI. XII.
XI
„Freut euch dem Tage / Der der 4te July heißt, / Frey aller Plage, / Tyranney zerreißt.“ Poetischer Ausdruck patriotischer Gefühle. Die deutsch-amerikanische Unabhängigkeitstagslyrik 432 „O! unsterblicher Washington! ruhmvollester Held, aller noch je gelebten Helden! Erlöser und Befreyer deiner Landsleute, dir gebühret, nächst Gott dem Allmächtigen, unsterblicher Dank und unverweßliche Ehre.“ Die zeitgenössische deutschsprachige Rezeption von George Washington (1732–1799; reg. 1789–1797) 441 „Christ Weiser Patriot“. Benjamin Franklin (1706–1790) in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur 464 „Das Licht, welches er verbreitete, blieb nicht in Einem Welttheil verschlossen“. Die transatlantische Bedeutung Benjamin Franklins 464 „Eine[r] meiner Lieblinge in unserm Jahrhundert“ und „der ehrwürdigste Name, den das achtzehnte Jahrhundert ausgesprochen hat“. Franklin in den Schriften von Johann Gottfried Herder (1744–1803) und Georg Forster (1754–1794) 473 „Mannichfaltige nützliche Erfindungen zum Besten der Gesellschaft“. Vom Blitzableiter bis zur Glasharmonika: Franklin als Erfinder 478 „Eripuit coelo fulmen, sceptrumque tyrannis.“ Franklin als Zweiter Prometheus und Homo Universalis 485 „Vater des amerikanischen Freistaats“. Franklin als politische Persönlichkeit 492 „Alles an ihm kündigte die Einfalt und Unschuld jener alten Sitten an, die uns die Philosophen so schön beschreiben, die man aber ausserdem so wenig antrifft.“ Franklin als Naturmensch 501 „Lehre du selbst die Völker durch dein großes, unvergeßliches Beispiel.“ Franklin als didaktischer Volksaufklärer und moralisches Vorbild 506 „Wen Gott frei macht / Ist ewig frei.“ Die Apotheose Franklins in Schubarts Hymne Grabschrift (1790) 520 Ein heute vergessener Amerikaner, den im 18. Jahrhundert jeder kannte? Der jüdische Zauberkünstler Jacob Philadelphia (eigentlich: Jacob Meyer; 1734?-ca. 1797) 541 Übersicht deutschsprachiger Frankliniana (bis 1850) 552 Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind und in denen Nordamerika thematisiert wird. Übersicht der im digitalen Anhang aufgenommen Texte 557
XII 1.
Inhaltsverzeichnis
Übersicht der deutsch-amerikanischen Periodika, die nach lyrischen Texten für die beigefügte Lyrikanthologie durchsucht wurden 557 Übersicht der chronologisch-thematischen Disposition der 2. beigefügten Lyrikanthologie 565 Übersicht der Gedichte der Lyrikanthologie 3. 566 XIII. Literaturverzeichnis 592 1. Primärliteratur 592 2. Sekundärliteratur 635 XIV. Personenregister 694 XV. Abbildungen 715
Vorwort Die vorliegende Studie wurde im Sommersemester 2017 unter dem Titel „,Sey mir willkommen! Land der Freyheit!‘ Amerika und die Amerikanische Revolution in der deutschsprachigen Literatur des 18. Jahrhunderts“ von der Neuphilologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Ich möchte mich herzlich bei Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann für die langjährige Betreuung der Arbeit sowie bei Prof. Dr. Dirk Werle für die Übernahme des Zweitgutachtens bedanken. Heidelberg, im Frühjahr 2020
Ladislaus Ludescher
Von Melchior Steiner und Carl Cist (= Charles Jacob Sigismund Thiel) in Philadelphia gedruckte Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika in deutscher Sprache. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:US-Unabhängigkeitserklärungdeutsch.jpg, 22. Januar 2020.]
I Einleitung Seit der (Wieder-)Entdeckung1 Amerikas durch Christoph Kolumbus (ca. 1451– 1506) beflügelte die Neue Welt die Imaginationskraft europäischer Beobachter.2 Auf den Vierten Kontinent wurden individuelle und kollektive Träume, Wünsche und Hoffnungen projiziert. Der sich in der Frühen Neuzeit auch in den deutschen Staaten ausbreitende „Mythos Amerika“ erlaubte es, das neue, größtenteils noch abstrakte und unentdeckte Land als Sehnsuchtsort3 und Traumland4 wahrzunehmen, das ideologisch nahezu nach Belieben besetzt werden konnte. Je nach persönlichen Vorstellungen und Wünschen wurde Amerika als Projektionsraum5 zum romantisierten Phantasieland, das z. B. Abenteurern und Konquistadoren als von Gold überquellendes El Dorado6 erschien und potentiellen Auswanderern als Schlaraffenland geschildert wurde.7 Amerika versprach all’ das, was man in seinem eigenen Land vermisste und wonach man sich sehnte. Schon in der Antike war der Glaube verbreitet, dass westlich der Säulen des Herkules, d. h. der Straße von Gibraltar, das Elysium und die Inseln der Seligen lägen.8 Ausdruck dieser Vorstellung war die geografische Lokalisierung des untergegangenen mythischen Inselreiches Atlantis im Atlantischen Ozean, in der Frühen Neuzeit in prominenter Form popularisiert beispielsweise durch eine entsprechende Karte in Athanasius Kirchers (1602–1680) Werk Mundus Subterraneus (1664).9 Francis Bacon (1561–1626) hatte in seiner 1627 postum erschienen
1 Bereits um das Jahr 1000 erreichten Wikinger Neufundland bzw. die Nordostküste Amerikas. 2 Zu den europäischen Amerikabildern allgemein siehe Boerner: Amerikabilder, S. [40]–50; Brednich: Amerika, S. 19–34; Durzak: Perspektiven, S. 297–310; Eggebrecht – Escherig – Fischer: Mythos Amerika, S. 78 f.; Honour: Golden Land; Kremp – Tönnesmann: Vorwort, S. [7]–14; LutzEsche: Bild, S. 1–13; Mesenhöller: Amerika, S. 9–17; Mühlen: Amerikabilder, S. 3–14; Osterle: Lost Utopia, S. 427–443; Ruland: America, bes. s. 3–38; Siebenmann: Zauber, S. 78–87; Wehe: Amerika-Erlebnis, S. 96. Zur Rezeption der Neuen Welt im 16. und 17. Jahrhundert siehe Desczyk: Amerika, S. 10–14; Goebel: Amerika in der deutschen Dichtung, S. 103; Jantz: Amerika, Sp. 314; Smith: beschreibung [sic], S. [1]–19; Schmitt: Herder und Amerika, S. [9]; Zimmermann: Deutsch in Amerika, S. [XV]f. 3 Als Land der Sehnsucht wird Amerika z. B. explizit in Karl Koestings (1842–1907) 1884 erschienenen epischen Dichtung Der Weg nach Eden bezeichnet. 4 Weber: America, S. 33. 5 Siehe Seidensticker: Erste Deutsche Einwanderung, S. 62; Wehe: Amerika-Erlebnis, S. 96. 6 Siehe hierzu Durzak: Perspektiven, S. 299; Pfister: Unabhängigkeits-Krieg, S. 255; Smith: beschreibung, S. [1]; Uhlendorf: German-American Poetry, S. 134; Wehe: Amerika-Erlebnis, S. 96 f. 7 Siehe hierzu Ludescher: Auswanderung, S. 809 ff. 8 Siehe hierzu auch Desczyk: Amerika, S. 10. 9 Siehe Wyss: Atlantis, S. 33–39. https://doi.org/10.1515/9783110644739-001
2
I Einleitung
Utopie Nova Atlantis das Neue Atlantis in Amerika erkannt. Die Entdeckung des Kontinents im Westen bzw. die Gründung der Vereinigten Staaten10 im 18. Jahrhundert wurde in die Vorstellung der Translatio Imperii, der Westwanderung der Kultur im Laufe der Menschheitsgeschichte, eingebettet.11 Die auf George Berkeley (1685–1753) zurückgehende prominente Losung „Westward the Course of Empire Takes Its Way“12 wurde in diesem Sinne ein Leitgedanke des amerikanischen Selbstverständnisses, insbesondere im 19. Jahrhundert, als sich die USA gemäß ihrer Vorstellung der Manifest Destiny, der offenkundigen Bestimmung, bis an den Pazifischen Ozean ausbreiteten. Für viele Beobachter entsprachen die Gründung und der Aufstieg der Vereinigten Staaten einer Restitution der als vorbildlich erachteten antiken Kulturen, die mit Griechenland und dem Römischen Reich in Verbindung gebracht wurden. Die USA wurden dieser Interpretation zufolge gleichsam zum Nova Troja bzw. Nova Roma, in der, einem triadischen Geschichtsmodell entsprechend, die untergegangene Glanzzeit der Menschheitsgeschichte als neues Arkadien wiedererstehen sollte.13 So wie in der Frühen Neuzeit allgemein die griechische Antike zum politischen und moralischen Goldenen Zeitalter stilisiert wurde, erkannten Intellektuelle in der vermeintlichen Unberührtheit und Unversehrtheit Amerikas den geografisch manifestierten Ort ihrer soziopolitischen und ethisch-moralischen Vorstellungen. Der auf Amerika applizierte Unberührtheits-Topos, wie er sich für viele Reisende in den „Wunder[n] einer neuen Welt“14, d. h. in der Flora und Fauna,15 zeigte, spielte insbesondere für Jean-Jacques Rousseaus (1712–1778) Konzept des sog. Edlen Wilden, der im 18. Jahrhundert den von zivilisatorischen Verirrungen nicht
10 In der Alltagssprache hat sich der Ausruck „Amerika“ zur Bezeichnung der USA eingebürgert. Diese Verwendung des Begriffes ist bereits für das 18. Jahrhundert nachzuweisen. So kann mit „Amerika“ der Kontinent, Nordamerika oder die Vereinigten Staaten von Amerika gemeint sein. Wenn in dieser Arbeit von der deutsch-amerikanischen Literatur die Rede ist, sind damit die literarischen Zeugnisse von deutschsprachigen Autoren gemeint, die sich in den Dreizehn Kolonien bzw. in den USA angesiedelt oder dort zumindest einen großen Teil ihres Lebens verbracht haben. 11 Siehe Jantz: Amerika, Sp. 316. 12 Siehe den Kommentar zu G297. Die Angabe verweist auf die Gedichtnummer digitalen Anthologie-Anhang (einsehbar auf der beigefügten CD sowie unter https://www.degruyter.com/view/ supplement/9783110644739_Digitale_Anthologie.pdf). 13 Siehe hierzu insbesondere Kapitel III.12. Siehe auch Hannemann: Klassische Antike sowie die Beiträge in dem von Ulrich Niggemann und Kai Ruffing herausgegebenen Sammelband Antike als Modell in Nordamerika? 14 Zachariae: Cortes. 3. Gesang, S. 75. 15 Literarische Zeugnisse davon sind z. B. physikotheologisch inspirierte Naturgedichte wie G37, G61, G62 und G64.
I Einleitung
3
korrumpierten ursprünglichen Naturmenschen darstellte, eine zentrale Rolle. Für Rousseaus Anhänger wurde der nordamerikanische Ureinwohner, der aus einem „vorzivilisatorische[n] Ursprungsland“16 stammte, als sog. Edler Wilder zur Verkörperung des antiken griechischen Ideals der Kalokagathie und damit gleichsam zum Novus Graecus.17 Der französische Reiseschriftsteller, Orientalist und Geschichtsphilosoph Constantin-François Volney (1757–1820) brachte genau diesen Gedanken zum Ausdruck, als er Anfang des 19. Jahrhundert zu der Ansicht gelangte: Je suis sur-tout frappé de l’analogie que je remarque, chaque jour, entre les Sauvages de l’Amérique du nord et les anciens peuples si vantés de la Grèce et de l’Italie. Je retrouve dans les Grecs d’Homère, sur-tout dans ceux de son Illiade, les usages, les discours, les moeurs des Iroquois, des Delaouares, des Miâmis. Les tragédies de Sophocle et d’Euripide me peignent presque littéralement les opinions des hommes-rouges, sur la nécessité, sur la fatalité, sur la misère de la condition humaine, et sur la dureté du destin aveugle.18
Als Ort eines „goldenen Primitivismus“, wo die Kinder der Natur vermeintlich rein und unbescholten existierten, sollte Amerika, dieser Konzeption gemäß, auch für Neuankömmlinge als moralische „Erholungs- oder Besserungsanstalt“19 fungieren. Die Vorstellung der ethisch-moralischen Unverdorbenheit der amerikanischen Indianer wurde daher teilweise auch auf alle Einwohner, d. h. auch auf die europastämmigen, in der Neuen Welt übertragen. In dem 1781 anonym erschienen Briefroman Die Freundschaft im Kloster oder der Amerikanische Flüchtling schreibt beispielsweise Miß Gerrard über Niobe/Arabella Smith an Miß Freeman: „Nach ihrer Erzählung sind, Sitten, Geschmack, Herzen, alles in Amerika unverdorben – und seine Einwohner wissen und befolgen was wahre Glückseligkeit, was wahre Vernunft ist.“20
16 Durzak: Perspektiven, S. 305. 17 Zur Indianerrezeption vom 16. bis 19. Jahrhundert siehe auch Wolf: Europäische Indianerbilder, S. 35–53 sowie Garber: Von der Natur- zur Aufklärungstopographie, S. 54 f. 18 „Ich bin vor allem von der Verwandtschaft betroffen, die ich jeden Tag zwischen den Wilden Nordamerikas und den so gepriesenen alten Völkern Griechenlands und Italiens bemerke. Ich finde bei Homers Griechen, vor allem in der Ilias, die Sitten, Gewohnheiten, Bräuche der Irokesen, der Delaware, der Miami wieder. Sophokles’ und Euripides’ Tragödien schildern mir fast wörtlich die Ansichten der Rothäute über die Notwendigkeit, das Verhängnis, das Elend der menschlichen Kondition und die Härte des blinden Geschicks.“ Volney: Tableau du climat et du sol des Etats-Unis d’Amerique, S. 502 (Übersetzung: Moravia/Piras: Beobachtende Vernunft, S. 141 f.). 19 Jantz: Amerika, Sp. 331. 20 Miß Gerrard an Miß Freeman. In: [Anonym]: Die Freundschaft im Kloster oder der Amerikanische Flüchtling. 4. Brief, S. 27.
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I Einleitung
Während die Neue Welt das geografische Koordinatensystem für utopische Gesellschaftsentwürfe bot,21 erschienen die Vereinigten Staaten nach ihrer Unabhängigkeit von Großbritannien als Prototyp einer als vorbildlich erachteten demokratischen Gesellschaftsordnung, wie sie Alexis de Tocqueville (1805–1859) in seiner weithin ausstrahlenden und für die zukünftige Amerikarezeption richtungweisenden Schrift De la Démocratie en Amérique (1835/1840) in den USA erkannte.22 Das große politische Experiment Amerika, das z. B. Johann Wilhelm von Archenholz (1743–1812) als „philosophische[s] El Dorado“23 und Dietrich Heinrich von Bülow (1757–1808) als „politische[s] Eldorado“24 bezeichneten, wurde in der europäischen Wahrnehmung zum vielgelobten „Land der Freiheit“, während der republikanische amerikanische Staat geradezu als wiedererstandene griechische Demokratie bzw. Römische Republik in ihren besten Zeiten gefeiert wurde. Auf europäische gesellschaftskritische Beobachter übte die Neue Welt damit eine große Faszinationskraft aus, denn politisch schien Amerika all’ das zu sein, was Europa nicht war. Die Amerika bzw. den Vereinigten Staaten zugeschriebene Vorbildfunktion wirkte umso eindeutiger und überzeugender, desto negativer und drückender die soziopolitischen Verhältnisse in Europa empfunden wurden. Es ist kein Zufall, dass das amerikanische Leuchtfeuer, das für die zeitgenössischen Beobachter von der Neuen Welt auszugehen schien, umso heller strahlte als die gesellschaftlichen Verhältnisse in den europäischen Staaten für sie in Dunkelheit zu versinken schienen. Der möglicherweise bekannteste poetische Ausdruck dieser Vorstellung in der deutschsprachigen Amerikaliteratur ist das berühmte, 1827 entstandene (ED. 1831), Den Vereinigten Staaten gewidmete Gedicht Amerika du hast es besser von Johann Wolfgang Goethe (1749–1832), der wie Friedrich Schiller (1759–1805) und Friedrich Maximilian Klinger (1752–1831) zeitweise mit dem Gedanken spielte, in die Neue Welt auszuwandern.25 Die vielzitierten Verse lauten: Den Vereinigten Staaten Amerika du hast es besser Als unser Continent das alte, Hast keine verfallene Schlösser
21 Siehe Kapitel III.16. Zur Wahrnehmung Amerikas als Utopie siehe Claeys: Ideale Welten, S. 99–111, bes. S. 104 f.; Eggebrecht – Escherig – Fischer: Mythos Amerika, S. 78. 22 Siehe hierzu auch Boerner: Amerikabilder, S. 46, 48. 23 Archenholz: Washington, S. 393. 24 Bülow: Briefe eines Deutschen aus America. 13. Brief, S. 416. 25 Siehe hierzu Kapitel IV.
I Einleitung
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Und keine Basalte. Dich stört nicht im Innern, Zu lebendiger Zeit, Unnützes Erinnern Und vergeblicher Streit. Benutzt die Gegenwart mit Glück! Und wenn nun eure Kinder dichten Bewahre sie ein gut Geschick Vor Ritter-, Räuber und Gespenstergeschichten.26
Goethes Gedicht, das u. a. als antiromantisches poetologisches Bekenntnis gelesen wurde, lässt Amerika als Negativ Europas erscheinen. Bei der Antagonisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse in Europa und der Neuen Welt handelt es sich um einen fest etablierten Topos der deutschsprachigen Amerikaliteratur, der beispielsweise in Christian Friedrich Daniel Schubarts (1739–1791) Freyheitslied eines Kolonisten (1775)27 und David Christoph Seybolds (1747–1804) Briefroman Reizenstein. Die Geschichte eines deutschen Officiers (1778/79) eine zentrale Rolle spielt.28 In Heinrich Zschokkes (1771–1848) Novelle Die Gründung von Maryland (1820) wird die Opposition beider Welten ebenfalls dezidiert und in sehr pointierter Form vor Augen geführt. So erklärt „der geistvolle Harford“29: Amerika oder Europa! Welcher Mann von Kraft und Lebenslust mag in der Wahl zwischen beiden schwanken? – Hier Zeuge sein des schweren Todeskampfs alter Formen, alter Ideen, alter Reiche; dort Stifter sein neuer Ordnungen, neuer Staaten. Hier die Zerrüttungen, die Religionskriege, die Bürgerkriege, die Revolutionen an Höfen und in Völkern; dort der Friede, der Pflug, die Wissenschaft, die Gründung neuer Städte und Gesetze. Hier unterm weltlichen und geistlichen Despotismus, Knechtschaft des Glaubens, Knechtschaft des Gedankens, Überhandnehmen orientalischer Tyrannei, orientalischen Kasten- und Ständewesens, orientalischer Geistessklaverei, orientalischer Kriegs- und Verwüstungslust, orientalischer Üppigkeit der Höfe, orientalischer Armut des großen Haufens; dort der Mensch in sein ewiges Recht eingesetzt, frei in Glauben und Meinung, ohne Herrn und ohne Knecht, so reich als sein Fleiß, so groß, als ihn sein Wert macht, Eroberer mit dem Spaten, Verbreiter göttlicher Gedanken unter Wilden, während in Europa die vornehmen Wilden die göttlichen Gedanken mit Kerker und Verbannungen strafen. Hier das mühselige, blutige, aber eitle Streben, Mißordnungen, Vorurteile, Ketten, Foltern und andere Erbstücke einer
26 Goethe: Den Vereinigten Staaten/Amerika du hast es besser, S. 13. Zu Goethes Rezeption Amerikas, etwa auch in Wilhelm Meisters Lehrjahren (1795/96), siehe Lange: Amerikabild, S. [63]–74; Seidlin: Goethe’s Vision, S. 73; Wadepuhl: Amerika, S. 186–191. 27 Siehe Kapitel II. 28 Siehe Kapitel III. 29 Heinrich Zschokke: Die Gründung von Maryland, S. 167.
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I Einleitung
rohen Vorzeit abzutun und den gesunden Menschenverstand gegen Unnatur in sein Recht einzusetzen; dort die schlichte Vernunft und Natur obenan, in ungehemmter Freiheit, von keinen Höfen, Ministern, Sternkammern, Priestern, Zensuren, Inquisitionen bedrängt, das Bessere bauend. – Wer mag da schwanken in der Wahl? Fort nach Amerika!30
Explizite Kritik an Europa vor der Folie der Neuen Welt findet sich bereits in Zschokkes 1804 erschienenem Briefroman Die Prinzessin von Wolfenbüttel. Darin teilt Chevalier d’Aubant seinem Briefpartner Laurent Bellisle von Europa enttäuscht mit: Europa gefällt mir nicht; ich suche mir einen neuen Welttheil zur Wohnung; auch wär’ es mir gleichgültig, wenn ich der neue Robinson eines unbewohnten Eilandes würde. Was ist am Ende daran gelegen, wohin mein Staub fällt! Ich lebe; und eine Zeit wird kommen, wo ich nicht mehr bin.31
Und er ergänzt: Mich ekelt Europa mit seiner halben Kultur an. Ich will unter Weisen oder einfältigen Kindern der Natur leben; beide sind gleich liebenswürdig, weil sie einfach, wahrhaft, ungeziert einhergehen. Die Völker unsers Welttheils stehen noch in den Knabenschuhen, und sind linkisch, widerspruchsvoll, und reich an unreifer Schulweisheit, wie Knaben. Jeder scheint, Niemand ist.32
Zum Ort des Neuanfangs sollte die Neue Welt auch für zahlreiche Auswanderer und gerade im 18. Jahrhundert für religiöse Flüchtlinge wie z. B. Quäker, Herrnhuter, Labadisten, Separatisten, Wiedertäufer, Mennoniten, Schwenckfelder werden,33 die in Amerika das Verheißene Land erkannten.34 Der spanische Geschichtsschreiber Antonio de León Pinelo (1589–1660) hatte den Vierten Kontinent bereits in seinem 1656 erschienenen Werk El Paraíso en el Nuevo Mundo mit dem biblischen Paradies identifiziert.35 Zum biblischen Gelobten Land wird Amerika in dem Gedicht Columbia (1890) des Deutsch-Amerikaners Henry Faust postfiguriert, wenn es in den ersten Versen heißt:
30 Ebd., S. 167 f. 31 Chevalier d’Aubant an Laurent Bellisle. In: Zschokke: Die Prinzessin von Wolfenbüttel. Brief vom 7. November 1715, S. 78. 32 Ebd. 33 Goebel: Amerika in der deutschen Dichtung, S. 103. 34 Siehe Kapitel VII. Siehe hierzu auch Desczyk: Amerika, S. 13; Zimmermann: Deutsch in Amerika, S. XVII. 35 Siehe hierzu auch Siebenmann: Zauber, S. 78 f. Zur Wahrnehmung Amerikas als Paradies siehe Sanford: Quest.
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Wie einst Moses schaute das heilige Land Nach beschwerlicher Fahrt durch die Wüste, So begrüßte Columbus den fremden Strand, Die im Morgenroth flammende Küste. –36
Als das Verheißene Land und dezidierte Gegenbild zu Europa erscheint Amerika ebenso in dem 1838 erschienenen Briefroman Die Europamüden von Ernst Willkomm (1810–1886). Darin wird die transatlantische Welt mit einer sakralen Aura aufgeladen und zur Zufluchtsstätte für Natürlichkeit, ethisch-moralische Reinheit und soziopolitische Ausgeglichenheit bzw. private Glückseligkeit, die in Europa verloren gegangen zu sein scheinen bzw. nicht mehr umgesetzt werden können. Voller Bewunderung und Überzeugung schreibt der Erzähler emphatisch an seinen Briefpartner Raimund: Drüben aber über den Wogen des atlantischen Oceans liegt das Land der Verheißung im heiligen Schatten des Urwalds gebettet, der es umfängt und mit den Locken der Hoffnung umschmeichelt, wie eine Mutter ihr lächelndes, kraftvolles Kind! Dorthin hat sich geflüchtet die Natur, als Europa sie vertrieb. In der durchsichtigen Fluth des Ohio bespiegelt sie sich, schuldlos, weil sie stark, und fromm, weil sie frei ist. Ueber ihr aber zittert das Auge Gottes, und Freudenthränen rollen als Welten über ihr hin, und Amerika’s Söhne blicken hinauf zu dem großen Tempel, den der freie Gott in ihnen gewölbt hat zur allgemeinen Verehrung. Und sie beten arbeitend und arbeiten betend, und es ist kein Elend unter ihnen, weil keine Armuth sie drückt. Sie sind froh, glücklich, fromm, gläubig, weil die Freiheit den Orden der Menschheit in sechs und zwanzig silbernen Sternen auf ihre Brust geheftet hat. Die Flagge ihrer Nation ist das Abbild des Himmels, und es muß sich schön und groß leben lassen in einem Erdtheile, wo der Himmel mild hinzieht über den Scheitel eines Jeden, und milder und sanfter noch sich wiederspiegelt in dem Herzen eines Jeden!37
Die auch in den Europamüden artikulierte landschaftliche Schönheit und vermeintliche Unberührtheit der Natur in Nordamerika hinterließen bei zahlreichen europäischen Reisenden einen großen Eindruck und vermittelten nicht Wenigen das Gefühl, im Paradies angekommen zu sein. Heinrich von Bardeleben, der als Offizier die hessischen Subsidientruppen begleitete, notierte am 2. September 1776 in einem Tagebucheintrag fasziniert die intensive Impression, die er von Governors Island bei New York gewonnen hatte, mit den Worten: „Die hiesige Gegend ist gar fürtrefflich und mannigfaltig. Die ganze Insel scheint ein Elysium zu sein.“38 Und in einem anonymen, 1790 im Journal von und für Deutschland ver-
36 Faust: Columbia. 1. Strophe. 1.–4. Vers, S. 166. 37 Willkomm: Die Europamüden. 1. Teil. 10. Kapitel, S. 353–355. 38 [Bardeleben]: Tagebuch. Eintrag 2. 9. 1776, S. 66.
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öffentlichten Schreiben eines Deutschen aus Neuyork vom 21ten Novemb[e]r 1789 an seinen Freund in Deutschland erklärte der Verfasser: „Ich bin nun in dem gelobten Lande, nach dem ich mich so lange sehnte[.]“39 Es wäre allerdings sehr einseitig, hinsichtlich der europäischen bzw. deutschsprachigen Amerikarezeption von ausschließlich positiv besetzten Bildern zu sprechen. In der Frühen Neuzeit gab es eine Reihe negativer Assoziationen, die auch in der fiktionalen Literatur tiefe Spuren hinterließen. Hierzu gehörten Vorstellungen, die Amerika in die Nähe eines Gruselkabinetts rückten. So glaubte man nicht nur an die Existenz von exotischen Fabeltieren, sondern ebenso, dass die Neue Welt von grausamen und unbarmherzigen „Menschenfressern“ bewohnt sei.40 Gewiss gab es indigene amerikanische Kulturen, die durch Endo- oder Exoanthropophagie geprägt waren, die neuere Forschung hat jedoch aufgezeigt, dass zahlreiche Berichte iberischer Amerikareisender offensichtlich übertrieben waren und nicht auf alle indigenen Gemeinschaften, deren Heterogenität immer wieder akzentuiert wird, übertragen werden dürfen. Die historischen blutigen Menschenopfer mesoamerikanischer Kulturen wie die der Azteken und die Vorstellung des „menschenfressenden“ Kannibalen, die auch auf nordamerikanischen Indianer übertragen wurde,41 stellen in der Amerikarezeption die Gegenseite zur Idee des sog. Edlen Wilden dar. Dass diese Vorstellung des sog. Bösen Wilden im 18. Jahrhundert auch im europäischen deutschsprachigen Raum verbreitet war, zeigt der entsprechende Eintrag unter dem Lemma „America“ in Zedlers Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Dort heißt es u. a.: Die Eingebohrnen Americaner sind überhaupt alle sehr tückisch, wild, grausam, und von recht böser Art. […] Vor Zeiten gab es auch Menschen-Fresser in America, sonderlich in denen Antillischen und Caribischen Eylanden, wie auch Canada und an dem Amazonen Flusse. Jedoch der bisherige Umgang mit den Europäern hat die Wildheit der Americaner um ein ziemliches gemindert, und sie viel leutseliger gemacht.42
Nicht selten stützten sich solche Beschreibungen auf die „pseudo-wissenschaftlichen Schlußfolgerungen“43 des französischen Naturforschers Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon (1707–1788) und des niederländischen Kulturphilosophen Cornelis de Pauw (1739–1799), die beide die Inferiorität der amerikanischen
39 [Anonym]: Schreiben eines Deutschen aus Neuyork vom 21ten Novemb[e]r 1789 an seinen Freund in Deutschland, S. 283. 40 Siehe Boerner: Amerikabilder, S. 43 f.; Smith: beschreibung [sic], S. 16. 41 Siehe hierzu auch Ludescher: Amerika und die Indianer, S. 179–221. 42 Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Bd. 1, Sp. 1723. 43 Jantz: Amerika, Sp. 333.
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Ureinwohner propagierten,44 da sie die Ansicht vertraten, dass sich die Indianer nicht voll entwickelt hätten und deswegen degeneriert seien. Eine negative Rezeption der Einwohner Amerikas war jedoch nicht ausschließlich auf die indigene Bevölkerung beschränkt. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts mehrten sich die kritischen Berichte, in denen von der Rauheit, Oberflächlichkeit und der materialistischen Orientierung der europastämmigen Amerikaner die Rede war. Immer wieder wurde auf eine Kulturlosigkeit und ethisch-moralische Verrohung infolge eines unersättlichen Strebens nach Geld und Reichtum verwiesen.45 Die Kritik an einem amerikanischen „Dollar-Fetischismus“ und der kapitalistischen Anbetung des Götzen Mammon im Zuge von Industrialisierung und Maschinisierung wurden auch in der deutschsprachigen Amerikaliteratur, insbesondere im 19. Jahrhundert, geradezu sprichwörtlich. Am deutlichsten tritt diese mit den USA in Verbindung gebrachte Vorwurf vielleicht in Ferdinand Kürnbergers (1821–1879) prominentem Roman Der Amerikamüde (1855) zutage,46 das von den enttäuschenden Erfahrungen Nikolaus Lenaus (1802–1850) während seines Aufenthaltes 1832/33 in den Vereinigten Staaten inspiriert wurde und gewissermaßen einen Gegenentwurf zu Die Europamüden (s. o.) darstellt.47 So heißt es beispielsweise im Amerikamüden, dass in der Neuen Welt eine Auffassung Verbreitung finde, die unter der Devise stehe: „[…] [D]er Mensch gilt nichts, die Ware alles […].“48 Als grobschlächtig, individualistisch und egoistisch wurden die Amerikaner bereits im 18. Jahrhunderts im oben zitierten Schreiben eines Deutschen aus Neuyork bezeichnet. Der anonyme Autor diagnostizierte voller Abscheu: „Die Landleute sind grob, unnachbarlich, eigennützig und mißtrauisch. Dieß sind Folgen des letzten Kriegs.“49 Äußerst interessant ist, dass die Ursache für die von dem Verfasser konstatierte ethischmoralische Dekadenz in den Auswirkungen des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges (1775–1783), d. h. in dem daraus folgenden politischen System, erkannt wird. Die negative Bewertung der Loslösung der (ehemaligen) Dreizehn Kolonien vom britischen Mutterland steht dabei im Gegensatz zur überwiegend positiven Rezeption der Amerikanischen Revolution in den deutschen Staaten. Wenn Amerika bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts vor allem als ökologisches und
44 Siehe hierzu Boerner: Amerikabilder, S. 43 f.; Gerbi: Dispute, S. 3–34, 52–79. 45 Siehe hierzu auch Durzak: Perspektiven, S. 304 ff; Wehe: Amerika-Erlebnis, S. 100. 46 Kürnberger: Der Amerikamüde. 7. Kapitel, S. 515. 47 Zur Amerikakritik in Die Europamüden siehe allerdings auch Steinlein: „Der Amerikamüde“, S. 156 f. 48 Siehe hierzu auch Steinlein: „Der Amerikamüde“, S. 163. 49 [Anonym]: Schreiben eines Deutschen aus Neuyork vom 21ten Novemb[e]r 1789 an seinen Freund in Deutschland, S. 283.
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kulturelles Traumland erschien, diente die Amerikanische Revolution, wie an Schubarts Freyheitslied eines nordamerikanischen Kolonisten sehr deutlich wird, für viele zeitgenössische Beobachter als politische Projektionsfläche für ihre in Europa enttäuschten soziopolitischen Hoffnungen und Wünsche. Allgemein kann in den deutschen Staaten für das 18. Jahrhundert, insbesondere im letzten Drittel, ein erhöhtes Interesse an den transatlantischen Verhältnissen konstatiert werden. Während 1510–1715 „85 Ausgaben von original in deutscher Sprache verfaßten Texten“50 über Amerika publiziert wurden, erschienen alleine 1770–1800 42 Reisebeschreibungen sowie 59 geografische und historische Werke über die Neue Welt.51 Eine Zäsur stellte freilich die Amerikanische Revolution52 dar, die von deutschsprachigen Intellektuellen intensiv rezipiert und als Epoche machendes Ereignis wahrgenommen wurde.53 Verschiedene Zeitungen und Journale wie das Deutsche Museum, August Ludwig Schlözer’s Briefwechsel meist historischen und politischen Inhalts, Gottlob Benedikt von Schirachs (1743–1804) Politisches Journal, Wilhelm Ludwig Wekhrlins (1739–1792) Felleisen und Chronologen sowie Schubarts Deutsche (Teutsche) Chronik thematisierten konsequent die politischen Auseinandersetzungen zwischen den Kolonien und Großbritannien sowie ihre Auswirkungen auf die deutschen Staaten. Zu den aufmerksamsten Beobachtern, zumindest in der Anfangsphase, gehörte Christoph Martin Wieland (1733–1813), der in seinem Journal Der Teutsche Merkur 1775/76 regelmäßig über den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg berichtete (Abb. 1).54 In der Ausgabe zum Oktober 1775 konnte man im Auszug politischer Neuigkeiten
50 Siebenmann: Zauber, S. 79. 51 Vgl. Wehe: Amerika-Erlebnis, S. 100. Siehe auch Jantz: Amerika, Sp. 309 f.; Schmitt: Herder und Amerika, S. [9]f., 25; Weber: America, S. 43. 52 Die Forschung hat sich mit der Frage beschäftigt, ob es sich bei den soziopolitischen Vorgängen in der Neuen Welt tatsächlich um eine einschneidende Revolution handelte. Siehe hierzu Dippel: Trägerschichten, S. 56 f.; Zinn: Geschichte, S. 81–104. Ebenso wurde die Frage gestellt, ob man im Zusammenhang mit dem amerikanischen Unabhängigkeitskampf nicht passenderweise von einem Bürgerkrieg sprechen sollte, da die Unabhängigkeitsbewegung keineswegs von allen Amerikanern und wohl nicht einmal von der Mehrheit der Bevölkerung aktiv getragen wurde. Siehe hierzu auch Adams: Zur Amerikanischen Revolution, S. 61. Marion Breunig gelangte in ihrer Dissertation, die sich mit diesem Thema beschäftigte, zu dem Schluss, dass sich der Unabhängigkeitskrieg und der Amerikanische Bürgerkrieg (1861–1865) „je nachdem, von welcher Seite man sie betrachtet“ (Breunig: Amerikanische Revolution, S. [1]) „sowohl als Unabhängigkeitskriege, als auch als Bürgerkriege interpretieren“ (ebd.) lassen. 53 Siehe hierzu Dippel: Deutschland; Lutz-Esche: Bild, S. 63, 146; Moes: Geistiger Aufbruch, S. [265]–289. 54 Zu Wielands Berichterstattung über die Amerikanische Revolution im Teutschen Merkur siehe auch Handke: Christoph Martin Wieland, S. 150–160.
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vom vorigen Monat über die Ereignisse in Nordamerika lesen: „Sie verdienen die ernsthafteste Aufmerksamkeit unsers Jahrhunderts, und bereiten uns zu den wichtigsten Begebenheiten vor.“55 In derselben Ausgabe erschien das anonym verfasste, proamerikanische Lied eines jungen Engländers in Amerika (G173)56 und Anfang 1777 druckte Wieland in seinem Journal einen Beitrag des Diplomaten und Historikers Christian Wilhelm von Dohm (1751–1820) ab, der tief bewegt erklärte: Das größte politische Eräugniß des siebenten Decenniums unsers Jahrhunderts (und vielleicht bey der Nachwelt des ganzen Sekulums) ist ohne Zweifel der noch immer fortdaurende Prozeß zwischen Mutter und Tochter, Großbritannien und seinen Kolonien; dessen Entscheidung vielleicht für einen großen Theil der Menschheit äußerst wichtig seyn kann.57
Für Dohm, wie für viele zahlreiche andere Zeitgenossen, versprachen die politischen Entwicklungen in Nordamerika, die von vergleichsweise progressiven Grundsätzen und Überzeugungen geleitet wurden,58 die Chance auf eine Realisierung theoretischer aufklärerischer Ideen und Vorstellungen. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte schien die Aufklärung mit der Amerikanischen Revolution eine reale politische Heimat gefunden zu haben, die Unabhängigkeitsbewegung schien selbst ein Teil der Aufklärung zu sein.59 Dohm führte aus: Dieser Ausgang kann der Handlung neue Wege bahnen, er kan neue Gattungen von Industrie hervorlocken, neue Verbindungen unter Nationen und Welttheilen knüpfen. Seine Folgen können noch weiter sich verbreiten. Es kann der Aufklärung größern Kreiß, der Denkart der Völker neue Kühnheit, neues Leben dem Freyheitsgeist geben.60
Schubart, der sich, wie sein Freyheitslied deutlich zeigt,61 bereits zu einem ausgesprochen frühen Zeitpunkt mit der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung identifizierte, schrieb sogar schon 1774 vorausdeutend über die Einwohner der Neuen Welt:
55 [Anonym]: Auszug politischer Neuigkeiten vom vorigen Monat, S. 89. 56 Wieland war außerdem, z. B. als Herausgeber, an der Publikation der Amerikagedichte G266, G292 und G366 beteiligt. 57 Dohm: Einige der neuesten politischen Gerüchte, S. 77 f. 58 Von den politischen Entwicklungen unberührt blieben z. B. die Sklaverei, das an Grundbesitz gebundene aktive und passive Wahlrecht sowie der generelle Ausschluss von Frauen und sozialen Minderheiten von der Wahl. Siehe hierzu auch Kapitel III.14 und III.15. 59 Siehe hierzu auch Douglass: Intellectuals, S. 201; Garber: Von der Natur- zur Aufklärungstopographie, S. 54–75. 60 Dohm: Einige der neuesten politischen Gerüchte, S. 78. 61 Siehe Kapitel II.
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Denn nach einer so langen Barbarei wird doch wenigstens die Reihe der Aufklärung auch an sie kommen. Sollten so viele Britten, Franzosen, Spanier, Portugiesen und Deutsche nicht einmal eine allgemeine Erschütterung verursachen, wodurch der träge Geist der Nationen auffahren, und der übrigen Welt zeigen könnte, daß er auch ein Hauch Gottes ist? – Die neuesten Nachrichten von daher weissagen schon die Morgenröthe eines sehr heitern Sommertages.62
Das Interesse in den deutschen Staaten an Amerika wurde selbst in der deutschamerikanischen Bevölkerung in der Neuen Welt wahrgenommen. Am 5. Januar 1779 erschien in Henrich Millers (1702–1782) Pennsylvanischem Staatsboten ein mit dem Titel Auszugsschreiben aus Deutschland, vom 10ten August 1775. versehener Beitrag, in dem berichtet wurde: Ganz Deutschland stehet in bewunderung und erstaunen über dem vesten entschlossenen und heldenmüthigen geist der tapfern Americaner, und es gefället uns überaus wohl ihr unerschrockener widerstand gegen die verschiedenen anfälle der furchtbaren macht von England, welche gebraucht wird, sie ihrer echten rechten und natürlichen freyheit zu berauben und nachher sie auf ewig in ketten der knechtschaft und unterwürfigkeit zu fesseln[.]63
In Millers Zeitung konnte man auch bereits in der Ausgabe vom 27. Juni 1775 lesen: Aus einem briefe von Deutschland ersehen wir, daß in den dortigen Protestantischen kirchen beständig für den glücklichen erfolg der Americaner in ihrem gegenwärtigen rechtmäßigen kampf mit dem Brittischen Ministerio gebete zum Himmel geschickt werden.64
In der Tat unterstützten die meisten deutschsprachigen Intellektuellen in Europa die Ziele der amerikanischen Patrioten. Allerdings ist in diesem Zusammenhang dezidiert darauf hinzuweisen, dass die Amerikanische Revolution kaum in ihren konkreten politischen Dimensionen erfasst wurde.65 Jörn Garber hat darauf aufmerksam gemacht, dass sich lediglich 2 % (!) der zeitgenössischen Americana mit politischen Themen beschäftigten.66
62 Schubart (Hg.): Deutsche Chronik (1774). 1. Vierteljahr. 11. Stück. 5. 5. 1774, S. [81]. 63 [Anonym]: [Auszugsschreiben aus Deutschland, vom 10. August 1775], S. [1]f. 64 [Anonym]: [Philadelphia, den 27(.) Juny.], S. [2]. Siehe hierzu auch Dapp: John Henry Miller, S. 271. 65 Siehe hierzu auch Adams: Zur Amerikanischen Revolution, S. 55; Fink: Revolution, S. 548, 566; Kriegleder: Revolution, S. 498. Eine hervorzuhebende Ausnahme stellt Johann Christian Schmohls (1756–1783) 1782 publizierte Schrift Ueber Nordamerika und Demokratie. Ein Brief aus England dar. 66 Siehe Garber: Von der Natur- zur Aufklärungstopographie, S. 59.
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Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg wurde vielmehr abstrakt als (allgemeiner) Freiheitskampf gegen die Unterdrückung wahrgenommen. Sicherlich hat hierbei die große geografische Distanz zu dem transatlantischen Schauplatz eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt. Die Revolution bot einerseits als zeitgeschichtliches Ereignis genügend Material, um eine politische Identifikation zu ermöglichen, sie war andererseits aber auch weit genug weg, um die Projektionen durch einen direkten Vergleich mit der Realität nicht unmittelbar zu gefährden.67 Eines der deutlichsten Beispiele für die nicht detaillierte Wahrnehmung der Revolution in den deutschen Staaten stellt die Rezeption der am 4. Juli 1776 verabschiedeten amerikanischen Unabhängigkeitserklärung dar, die in den USA als staatliches Gründungsdokument gilt, aber in Deutschland bis in das 20. Jahrhundert nahezu ganz unbekannt blieb.68 So stieß die im Jahr der Unabhängigkeitserklärung angefertigte und in Isaak Iselins (1728–1782) Ephemeriden der Menschheit vollständig abgedruckte deutsche Übersetzung des Dokuments „ganz offensichtlich […] auf kein sonderliches Interesse.“69 Freilich anders verhielt es sich mit der deutschsprachigen Bevölkerung in Amerika, die von den Auswirkungen der politischen Separation vom Mutterland unmittelbar betroffen war. Bereits zwischen dem 6. und 8. Juli wurde von Melchior Steiner (1757?-1807) und Carl Cist (= Charles Jacob Sigismund Thiel; 1738?-1805) in Philadelphia eine deutschsprachige Übersetzung der Unabhängigkeitserklärung als Flugblatt publiziert (Abb. S. XI). Am 9. Juli folgte ein Abdruck in Millers auflagenstarkem Staatsboten.70 In den deutschen Duodezstaaten wurden dagegen die konkreten politischen Fragen während des Unabhängigkeitskrieges wie später in der Konstitutionalisierungsphase der Vereinigten Staaten kaum wahrgenommen. Stattdessen interessierten sich die deutschen Berichterstatter vor allem für die Folgen für die deutschen Staaten, die sich in den britischen-deutsch Subsidienverträgen manifestierten.71 Es ist kein Zufall, dass die als sog. Soldaten- bzw. Menschenhandel bezeichnete Vermietung von ca. 30.000 Soldaten aus sechs deutschen Fürstentümern an Großbritannien für den Einsatz im Unabhängigkeitskrieg wohl das am
67 Siehe auch Biedermann: Revolution, S. 486. 68 Siehe Dippel: Unabhängigkeitserklärung, S. 62–72. 69 Ebd., S. 62. 70 Siehe hierzu auch Adams: Unabhängigkeitserklärung, S. 26–61; Kulturstiftung der Länder – Deutsches Historisches Museum (Hgg.): Unabhängigkeitserklärung. 71 Siehe Kapitel III.9 und V.6.
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intensivsten behandelte Thema der zeitgenössischen Amerikalyrik und allgemein der Amerikaliteratur war.72 Für die Kritiker des sog. Soldatenhandels erschien es leichter, im Konflikt zwischen den Kolonien und dem britischen Mutterland, das bereit war, die Subsidienverträge abzuschließen, die moralische Suprematie bei den Patrioten zu erkennen. Gewiss wurden Sympathiebekundungen und eine mögliche Identifikation dadurch erleichtert, dass es sich in ihren Augen bei der Loslösung von Großbritannien um eine, pointiert ausgedrückt, „gute Revolution“ handelte. Besonders drängte sich vielen Beobachtern dieser Eindruck Ende des 18. Jahrhunderts, im unmittelbaren Vergleich zur Französischen Revolution auf,73 die zunächst ebenfalls viele Intellektuelle begeistert hatte, nach ihrer Radikalisierung in der Terreur 1793/94 jedoch auf eine ebenso entschiedene Ablehnung stieß.74 Gerade in dieser Zeit entwickelte sich ein neues ausgeprägtes Interesse an der Amerikanischen Revolution,75 die man 1789 als Vorbild für den Aufstand gegen das Ancien Régime erkannte. So bezeichnete der Publizist und Pädagoge Gottlob Nathanael Fischer (1748–1800) in seiner 1790 erschienenen Franklin-Biografie die Revolution in Frankreich als „eine Tochter der Amerikanischen.“76 Nach der Zunahme der Gewalt im französischen Nachbarland akzentuierte man allerdings rasch auch die Unterschiede zwischen beiden Bewegungen. Man erinnerte sich, dass in Amerika im Gegensatz zu Frankreich keine Massenexekutionen von vermeintlichen und tatsächlichen politischen Opponenten stattgefunden hatten. Schon 1774 konstatiert Schubart in seiner Zeitung die Ordnung der amerikanischen Freiheitsbewegung mit den Worten: „Der Geist der Freyheit wird in diesen Gegenden immer lebendiger; aber nicht der ungestümme [sic] Geist, der in Zügellosigkeit ausartet, sondern ein Geist, der von Weisheit, Mäßi-
72 Siehe im Anhang D.8. Gonthier-Louis Fink gab an, dass in den von ihm „durchgesehenen deutschen Zeitschriften […] in Dreiviertel der Amerika gewidmeten Artikel von den deutschen Soldaten die Rede“ (Fink: Revolution, S. 541 [Anm. 4]) war. 73 Siehe hierzu auch [Anonym]: Anekdote, S. 10; Frenzel: Freier Boden. Bd. 3, S. 252; [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 210. Siehe auch Böttiger: Washington, Neu-Rom in Amerika, S. 219 f. 1795 und 1799 erschienen die beiden Bände der Untersuchung Frankreich und die Freistaaten von Nordamerika. Vergleichung beider Länder. Ein Versuch des Geografen und Naturforschers Eberhard August Wilhelm von Zimmermann (1743–1815). Siehe hierzu auch Weber: America, S. 19. 74 Siehe hierzu allgemein Breffka: Amerika, S. 6; Desczyk: Amerika, S. 46; Fink: Revolution, S. [540]–568; Jantz: Amerika, Sp. 332 f.; King: Echoes, S. 29 f.; Lutz-Esche: Bild, S. 137. Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang Hannah Arendts (1906–1975) vergleichende Untersuchung Über die Revolution (1963). 75 Siehe hierzu auch Fink: Revolution, S. 543. 76 Fischer: Benjamin Franklin, S. 7.
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gung und Standhaftigkeit gelenkt wird.“77 In direkter Opposition hierzu stand für viele Beobachter die Radikalität der jakobinischen Terrorherrschaft. Nach der Hinrichtung des französischen Königs Ludwig XVI. (1754–1793; reg. 1774–1792) am 21. Januar 1793 erreichten nahezu täglich weitere Nachrichten von neuen Grausamkeiten und unzähligen standgerichtlich ausgesprochenen Todesurteilen die deutschen Staaten, die in der Regel zu einer heftigen Abneigung der radikalen Revolution führten. Wie weit das Ansehen der Jakobinerherrschaft bei vielen Beobachtern in den deutschen Staaten gesunken war, verdeutlicht das folgende, 1795 publizierte Gedicht, das 1797 auch in Pennsylvania gedruckt wurde:78 Die Jacobiner. Nein, nimmermehr lass’ ich mich überreden, Daß Jacobiner Menschen sind: Denn würden sie wohl ihren König tödten, So fromm, so liebreich wie ein Kind? – Vielleicht daß sie zum Thiergeschlecht gehören, Zu Löwen, Tygern oder Bären – Zum Thiergeschlecht? Auch das will mir nicht ein; Dann würden gegen sich, sie selber Tyger seyn! Ih nun, so sind sie ohne Zweifel Vom Stammgeschlecht der Teufel.79
Der Autor eines Anfang 1794 in der Deutschen Monatsschrift veröffentlichten Beitrages mit dem Titel Untersuchung der Frage: Ob die Aufklärung Revolutionen befördere? erkannte eine direkte Opposition der zeitgenössisch aktuellen Ereignisse im Nachbarland zu denjenigen in Amerika zwanzig Jahre zuvor. Er erklärte: Man erinnere sich an die nordamerikanische Revolution, die noch in unser aller Andenken schwebt. Mit welcher Würde, mit welchem Edelmuth nahm sich dieß Volk? Man würde dieses Volk, wovon ein so großer Theil aus Abkömmlingen der Britten und Deutschen besteht, entehren, wenn man seine Revolution mit der französischen vergleichen wollte! Das hieße, Vernunft mit Raserey, Weisheit mit Unsinn, Moralität mit Thierheit, Vaterlandsliebe mit wildem Fanatismus, Heldenmuth mit Tollkühnheit, Würde mit Verworfenheit, Gemeingeist mit Beutelschneiderey, und großmüthige Aufopferung mit Mordlust zusammenzustellen. Davon bin ich weit entfernt. Ich erinnere hier nur an diese Revolution, um den Unterschied bemerklich zu machen, der sich zwischen eines erleuchteten und edlen
77 Schubart (Hg.): Deutsche Chronik (1774). 4. Vierteljahr. 59. Stück. 20. 10. 1774, S. [465] [Schubart: Werke, S. 10]. 78 Die Verse erschienen in der Ausgabe vom 3. Oktober 1797 in dem von Jacob Schneider herausgegebenen Unpartheyischen Readinger Adler. 79 Weiße: Die Jacobiner, S. 177.
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Volks, und zwischen der Revolution eines solchen Volks, wie das französische ist, findet; Licht und Finsterniß, Tag und Nacht können nicht mehr verschieden seyn, als diese beyden Revolutionen.80
Auch der Franklin-Biograf Christian Jakob Zahn (1765–1830) vertrat die Ansicht, „daß von allen Gräueln, welche die Geschichte des heutigen Tages uns in Europa zeigt,“81 in Amerika „keine[s] begangen wurde“82. In einem Brief vom 21. September 1793 an seine Frau Therese (1764–1829) musste schließlich der deutsche Jakobiner Georg Forster (1754–1794) ebenso bekennen: „[…] [G]egen die kaltblütigen Amerikaner sind wir Tollköpfe, und unsre Grundsätze sind in die Wurzel hinein verderbt.“83 Für die deutschsprachigen Anhänger eines republikanischen Staatssystems, die in Anbetracht der zunehmenden Gewalt im Nachbarland in Erklärungsnot geraten waren, bot die Amerikanische Revolution die Möglichkeit, auf eine ihrer Meinung nach geordnet verlaufene, von aufklärerischen Gedanken getragene, geglückte Revolution zu verweisen und an ihren politischen Idealen festzuhalten. Die „gute“ Amerikanische Revolution blieb in Anbetracht der Radikalisierung der „schlechten“ Französischen gewissermaßen der historische Rettungsanker republikanisch gesinnter Intellektueller. Die Antagonisierung der beiden Revolutionen ist dabei gerade auch in der fiktionalen Literatur direkt oder mittelbar umgesetzt worden.84 Die Frage, ob und wieweit fiktionale Darstellungen sich in den Augen des Verfassers oder in der Perspektive der Rezipienten mit den historischen Realitäten vereinbaren lassen, vereinbaren lassen sollen oder diese sogar abbilden, muss individuell von Fall zu Fall betrachtet und intepretiert werden. Dabei ist, wie nicht häufig genug unterstrichen werden kann, in jedem Fall zu berücksichtigen, dass die Autoren, die unterschiedliche Darstellungsinteressen verfolgten, ihre Texte mit einem sehr unterschiedlichen Realitätsanspruch verfasst haben. Nicht jeder Autor wird die aristotelische Position der scharfen Trennung von Dichter und Historiker vertreten haben. Dies gilt insbesondere für journalistische Autoren, die grundsätzlich poetische Elemente, wie z. B. Vers und Reim in der deutsch-amerikanischen tagespolitisch inspirierten Zeitungslyrik, nicht als Mittel zu Poetisie-
80 [Streithorst]: Untersuchung der Frage: Ob die Aufklärung Revolutionen befördere?, S. 30 f. Siehe hierzu auch Fink: Revolution, S. 559. 81 [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 226. 82 Ebd. 83 Georg Forster an Therese Forster. 21. 8. 1793. In: Forster: Briefe 1792 bis 1794 und Nachträge, S. 425. 84 Siehe hierzu auch Kapitel V.2–4.
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rung ihrer Texte, sondern als eine Art rhetorischer Stilmittel zu Pointierung eines politischen Aussagegehaltes, verwendeten.85 Diese Autoren, so scheint es zumindest, wollten ihre soziopolitischen Botschaften auf eine interessante, abwechslungsreiche und durch die Versifizierung schon im Schriftbild auffällige Art und Weise vermitteln, der literarische Anspruch und auch die poetische Qualität ihrer Texte waren für sie in der Regel von sekundärer Bedeutung. Am Anfang stand für sie die Absicht, etwas Politisches pointiert zu formulieren und nicht umgekehrt der Wunsch, ein Gedicht zu verfassen und dann dieses mit einem Thema zu füllen. Sicherlich gab es aber auf der anderen Seite auch Autoren, deren primäres Anliegen es war, Poesie zu verfassen und nicht Politik zu machen. Dass jedenfalls auch schon im 18. Jahrhundert ein Bewusstsein für die Frage nach dem Verhältnis von Fiktion und Realität in poetischen Texten herrschte, wird beispielsweise anhand eines Paratextes zu Johann Gottlieb Stephanies d. J. (1741–1800) Lustspiel Die Werber deutlich, in dem die gewaltsame Soldatenwerbung thematisiert wird.86 In der Vorrede gibt der Verfasser an, dass er ein Stück verfertigen wollte, „worinn ich die deutsche Werbung vollkommen – getreu, vielleicht nur allzu getreu, nach der Natur abzubilden suchte.“87 Ähnlich heißt es bereits in der Vorrede zu Stephanies d. J. Sämmtlichen Lustspielen 1771: „Ich habe […] alle […] Charaktere meiner Stücke nicht aus Büchern, ich habe sie nach der Natur geschildert.“88 Aus historischer Perspektive ist die Amerikanische Revolution, insbesondere in der amerikanischen Geschichtswissenschaft, ausgesprochen intensiv analysiert worden.89 Ebenso wurde mit der 1972 unter dem Titel Deutschland und die Amerikanische Revolution. Sozialgeschichtliche Untersuchung zum politischen Bewußtsein im ausgehenden 18. Jahrhundert90 erschienenen Dissertation von Horst Dippel eine von der Forschung immer wieder gewürdigte91 umfangreiche sozial-
85 Beispiele hierfür sind die im Anhang abgedruckten zahlreichen deutsch-amerikanischen Gedichte aus der Konstitutionalisierungsphase und der Herausbildung des ersten Zweiparteiensystems in der Frühen Republik. 86 Siehe Kapitel III.9. 87 Stephanie d. J.: Die Werber. Vorrede, S. [3]. 88 Ders.: Vorrede, S. [* 8r]. 89 Siehe z. B. Hochgeschwender: Amerikanische Revolution; Raeithel: Geschichte, S. 201–236; Wellenreuther: Chaos. 90 Horst Dippel: Deutschland und die Amerikanische Revolution. Sozialgeschichtliche Untersuchung zum politischen Bewußtsein im ausgehenden 18. Jahrhundert. Diss. Köln 1972. Die Studie erschien 1977 und 1978 auch in englischer Sprache. 91 Carolin Lutz-Esche bezeichnete sie als „vorbildlich“ (Lutz-Esche: Bild, S. 15) und Wynfried Kriegleder als „die bis heute maßgebliche Monografie zum Thema ‚Deutschland und die amerikanische Revolution‘“ (Kriegleder: Vorwärts in die Vergangenheit, S. 23). Außerdem ergänzte er:
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historische Untersuchung zur Wahrnehmung der Revolution in den deutschen Staaten vorgelegt, die bis heute als grundlegend gilt. Besonders hervorzuheben ist die der Dissertation beigefügte und 1976 auch als eigenständige Publikation veröffentlichte Bibliografie Americana Germanica, in der die deutschsprachige Amerikaliteratur 1770–1800 verzeichnet ist.92 Weitere hilfreiche Bibliografien, in denen die deutschsprachige Literatur von 1492 bzw. 1493 bis 1800 aufgeführt wird, stammen von Paul Ben Baginsky93 sowie Philip Motley Palmer94. Sehr nützlich für eine diachrone Beschäftigung mit der deutsch-amerikanischen Literatur ist die bereits 1893 publizierte Bibliografie von Oswald Seidensticker (1825–1894) The First Century of German Printing in America 1728–1830.95 Diese ist 1989 von GerdJosef Bötte und Werner Tannhof mit ihrer zweibändigen Bibliografie96 bedeutend erweitert worden.97 Dennoch bleibt Seidenstickers Werk weiterhin hilfreich, da er auch englischsprachige Titel der deutsch-amerikanischen Drucker auflistet, während in der neueren Bibliografie ausschließlich deutschsprachige Titel verzeichnet sind. Die hier erwähnten Bibliografien98 lassen erahnen, welches umfangreiche Textkorpus von deutsch-amerikanischen Dichtern99 im 18. Jahrhundert hinterlassen wurde. Gleichzeitig muss angemerkt werden, dass wohl ein nicht zu
„Als Historiker interessieren ihn literarische Texte zwar nur am Rande; mit seiner Rekonstruktion der Bedingungen, unter denen im deutschen Sprachraum die amerikanischen Ereignisse überhaupt rezipiert werden konnten, hat er aber einen Maßstab vorgelegt, dem sich auch künftige literaturwissenschaftliche Untersuchungen nicht verschließen können.“ Kriegleder: Vorwärts in die Vergangenheit, S. 23. Siehe auch ders.: Revolution, S. 498 f. 92 Horst Dippel: Americana Germanica. 1770–1800. Bibliographie deutscher Amerikaliteratur (Amerikastudien/American Studies. Eine Schriftenreihe. Bd. 42). Stuttgart 1976. Siehe hierzu auch Lutz-Esche: Bild, S. 24 f. Die Bibliografie weist in dieser Ausgabe 836 Einträge auf. 93 Paul Ben Baginsky: German Works Relating to America. 1493–1800. A List Compiled From the Collections of The New York Public Library. New York 1942. 94 Philip Motley Palmer: German Works on America 1492–1800 (University of California Publications in Modern Philology. Bd. 36). Berkeley – Los Angeles 1952, S. 271–412. 95 Oswald Seidensticker: The First Century of German Printing in America 1728–1830. Preceded by a Notice of the Literary Work of F[ranz] D[aniel] Pastorius. Philadelphia 1893, S. [6]–155. 96 Gerd-J[osef] Bötte – Werner Tannhof: The First Century of German Language Printing in the United States of America. A Bibliography Based on the Studies of Oswald Seidensticker and Wilbur H. Oda (Publications of the Pennsylvania German Society. Bd. 21). 2 Bde. Göttingen 1989. 97 So hat sich die Anzahl der angegebenen Titel nahezu verdoppelt. 98 Siehe hierzu auch Price: Reception, S. 189–231. 99 Ein sehr empfehlenswertes Lexikon Deutsch-Amerikanischer Dichter mit Biogrammen und Werkangaben hat Robert Elmer Ward 1985 vorgelegt: Robert E[lmer] Ward: A Bio-Bibliography of German-American Writers 1670–1970. White Plains/New York 1985.
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unterschätzender Teil der deutsch-amerikanischen Literatur im Laufe der Zeit irreversibel verloren gegangen ist.100 Obwohl die Auswirkungen der Amerikanischen Revolution auf die europäische deutschsprachige fiktionale Literatur besser als diejenigen auf die deutschamerikanische erforscht ist – so liegen eine Reihe von Einzeluntersuchungen vor101 – fehlte eine Gesamtdarstellung.102 Wynfried Kriegleders 1999 erschiene Habilitationsschrift Vorwärts in die Vergangenheit. Das Bild der USA im deutschsprachigen Roman von 1776 bis 1855103 weist ein exzellentes Kapitel zu David Christoph Seybolds Briefroman Reizenstein auf, behandelt allerdings nicht dezidiert die Amerikanische Revolution bzw. Amerika im 18. Jahrhundert und beschäftigt sich ausschließlich mit der Gattung Roman.104 Bereits 1995 legte Carolin Lutz-Esche eine Dissertation mit dem Titel Das Bild Amerikas in der deutschen Literatur von 1770–1800 vor.105 Die in keinem Verlag publizierte Untersuchung behandelte zwar die verschiedenen Gattungen der deutschen Amerikaliteratur, beschäftigte sich allerdings ebenfalls nicht dezidiert mit der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung. Sowohl Kriegleders Habilitationsschrift als auch Lutz-Esches Dissertation behandeln nicht die in der Neuen Welt publizierte deutschsprachige Amerikaliteratur bzw. die Rezeption der Amerikanischen Revolution durch die deutsch-amerikanischen Autoren. Gerade bei der deutsch-amerikanischen Literatur des 18. Jahrhunderts, der in dieser Arbeit, insbesondere in Kapitel VII und VIII, eine
100 Siehe hierzu auch Kriegleder: Vorwärts in die Vergangenheit, S. 23. 101 Siehe Hatfield – Hochbaum: Influence, S. 338–385; King: Echoes; Schmitt: Amerikabild, S. 397–423; Walz: American Revolution, Sp. 336–351, 411–418, 449–462; ders.: Three Swabian Journalists, 4,2 (1902), S. 95–129; 4,3/4 (1902), S. 219–291; N.S. 1,4 (1903), S. 209–224; N.S. 1,5 (1903), S. 257–274; N.S. 1,6 (1903), S. 347–356; N.S. 1,7 (1903), S. 406–419; N.S. 1,10 (1903), S. 593– 600; Wertheim: Unabhängigkeitskampf, S. 50–91. 102 Die wahrscheinlich bisher immer noch empfehlenswerteste Allgemeindarstellung der deutschsprachigen Amerikaliteratur hat Harold Jantz bereits vor mittlerweile 60 Jahren vorgelegt. Siehe Jantz: Amerika, Sp. 309–372. Siehe auch Goebel: Amerika, S. [102]–127; Desczyk: Amerika, S. 7–142; Schmitz: Nordamerikanisch-deutsche Literaturbeziehungen, S. 162–170; Oppel: Amerikanische Literatur, S. 47–60. 103 Wynfrid Kriegleder: Vorwärts in die Vergangenheit. Das Bild der USA im deutschsprachigen Roman von 1776 bis 1855 (Edition Orpheus. Beiträge zur deutschen und vergleichenden Literaturwissenschaft. Bd. 13). Habil. Schr. Tübingen 1999. 104 Zur Rezeption der der Amerikanischen Revolution im Drama liegt allerdings ein Aufsatz von Kriegleder vor: Wynfrid Kriegleder: Die amerikanische Revolution im zeitgenössischen deutschsprachigen Drama. In: Karlheinz F. Auckenthaler – Hans H. Rudnick – Klaus Weissenberger (Hgg.): Ein Leben für Dichtung und Freiheit. Festschrift zum 70. Geburtstag von Joseph P. Strelka (Stauffenburg-Festschriften. Bd. 3). Tübingen 1997, S. [497]–509. 105 Carolin Lutz-Esche: Das Bild Amerikas in der deutschen Literatur von 1770–1800. Diss. Hamburg 1995.
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bedeutende Rolle zufällt, handelt es sich um ein ausgesprochen vernachlässigtes Thema der neueren Germanistik.106 Bedauerlicherweise ist dies seit dem Rückzug der deutschen Sprache in Amerika infolge der beiden Weltkriege im vergangenen Jahrhundert, auch für die amerikanische Germanistik festzustellen.107 Im Zuge der Arbeit wurde eine kommentierte Lyrikanthologie der deutschsprachigen Nordamerikaliteratur des 18. Jahrhunderts erstellt (siehe den Digitalanhang),108 die sich insgesamt aus über 400 Titeln zusammensetzt und zu einem sehr großen Teil aus lyrischen Texten besteht, die in deutsch-amerikanischen Periodika publiziert wurden.109 Der bei Weitem größte Teil dieser Gedichte ist von der Forschung völlig unbeachtet geblieben. Es ist die dezidierte Hoffnung des Autors, dass die beigefügte Lyrikedition zu einer intensiveren Beschäftigung mit der überaus fruchtbaren deutsch-amerikanischen Literatur anregt,110 die aufschlussreiche Einblicke in die Herausbildung der deutschen Identität in der Neuen Welt gewährt.111 Unter einem imagologischen Paradigma wurden die vorliegenden Texte der europäischen und amerikanischen zeitgenössischen deutschsprachigen Amerikaliteratur untersucht. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Frage nach der Rezeption der Amerikanischen Revolution in poetischen Texten, dennoch werden hierbei aber selbstverständlich auch nichtfiktionale Schriften berücksichtigt, und es wird
106 So klagte auch schon 1928 Adolf Bartels: „Es ist sehr zu bedauern, daß man sich in Deutschland um die nordamerikanischen Dichter gar nicht kümmert.“ Bartels: Geschichte, S. 248. Siehe hierzu auch Peterson: Literatur, S. 117–134; Sollors: Texte, S. 135–148. 107 Brent O. Peterson konstatierte: „In der Praxis sind deutsch-amerikanische Texte kein legitimes Forschungsobjekt für amerikanische Germanisten. Sie sind nicht Teil der Lehrpläne der Universitäten […].“ Peterson: Literatur, S. 122. Und auch Werner Sollors bilanzierte: „Die gegenwärtige Germanistik […] scheint […] an deutsch-amerikanischer Literatur auch nicht mehr Gefallen zu finden als es die Amerikanistik tut.“ Sollors: Texte, S. 135. 108 Eine Auswahlbibliographie deutschsprachiger Lateinamerika-Literatur von 1700 bis 1900 findet sich in Susanne M. Zantop: Kolonialphantasien im vorkolonialen Deutschland (1770–1870) (Philologische Studien und Quellen. Bd. 15). Berlin 1999, S. 262–314. 109 Siehe hierzu auch Kapitel VII.3. Eine umfangreiche Übersicht deutschsprachiger Zeitungen in Amerika bis 1968 findet sich in: Karl J. R. Arndt – May E. Olson (Hgg.): Die deutschsprachige Presse der Amerikas/The German Language Press of the Americas. 3 Bde. Geschichte und Bibliographie 1732–1968. Vereinigte Staaten von Amerika. München – New York – London u. a. 1973– 1980. Empfehlenswert ist außerdem die von York-Gothart Mix in Zusammenarbeit mit Bianca Weyers und Gabriele Krieg 2012 herausgegebene zweibändige Bibliographie Deutsch-amerikanischer Kalender des 18. und 19. Jahrhunderts. 110 John Joseph Stoudt schätzte, dass es im 18. Jahrhundert in Amerika ca. 40 englischsprachige und rund 150 pennsylvania-deutsche Dichter gab. Siehe Stoudt: Pennsylvania German Poetry until 1816, S. 145. 111 Siehe hierzu insbesondere Kapitel VII.1 und VII.5.
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ein Blick auf die allgemeine Amerikarezeption im 18. Jahrhundert sowie, wo es sinnvoll erscheint, ein Ausblick auf das 19. und vereinzelt sogar 20. Jahrhundert geworfen. Bei der Auswahl des Textkorpus wurde darauf geachtet, dass alle drei sog. Hauptgattungen, d. h. Epik (Kapitel III, V, VI und teilweise IX) Dramatik (Kapitel IV) und Lyrik (Kapitel II, VII, teilweise VIII, teilweise IX und X) vertreten sind. Ebenso wurde berücksichtigt, dass sich sowohl die europäische (v. a. Kapitel I-VI und X sowie teilweise VIII und IX) als auch amerikanische Perspektive (v. a. Kapitel VII sowie teilweise VIII und IX) widerspiegeln. Schubarts in Kapitel II behandeltes Freyheitslied eines nordamerikanischen Kolonisten, mit dem die eigentliche Analyse in dieser Arbeit beginnt, wurde ausgewählt, weil es ein poetisch vielschichtiges Gedicht darstellt, das bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt den amerikanischen militärischen Widerstand thematisiert und damit einen Einblick in die positive Rezeption der Unabhängigkeitsbewegung noch vor der Unabhängigkeitserklärung selbst gewährt. Das Freyheitslied, das zahlreiche Motive der zeitgenössischen Amerikarezeption aufweist, verdeutlicht außerdem, dass die politischen Entwicklungen in der Neuen Welt in der Regel immer mit einem Blick auf die europäischen Verhältnisse wahrgenommen wurden. Dies gilt ebenso für Seybolds in zwei Bänden erschienenen Briefroman Reizenstein. Die Geschichte eines deutschen Officiers, der in Kapitel III vorgestellt wird und in keiner Untersuchung der Rezeption der Amerikanischen Revolution in der fiktionalen Literatur unerwähnt bleiben darf. Reizenstein thematisiert nicht nur den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, sondern wirft auch einen ausgesprochen kritischen Blick auf die zeitgenössisch als „Menschenhandel“ rezipierten Subsidienverträge zwischen Großbritannien und den deutschen Territorialfürsten (s. o.), die in der europäischen deutschsprachigen Literatur das wichtigste Thema im Zusammenhang mit der Amerikanischen Revolution darstellen. Darüber hinaus werden auch wichtige Fragen der Geschlechterrollen und der gesellschaftlichten Stellung sozialer Minderheiten, wie afroamerikanischer Sklaven, tangiert. Das in Seybolds Briefroman gegen Ende des zweiten Bandes entworfene utopische Zukunftsszenario, das von Johann Gottfried Schnabels (1692–ca. 1750) Insel Felsenburg/Wunderliche Fata (1731–1743; s. u.) beeinflusst wurde, bettet die Vereinigten Staaten in den zeitgenössisch populären Utopiediskurs ein. Mit den Subsidienverträgen setzt sich auch Klingers aus Dialogen bestehender Roman Der Weltmann und der Dichter (1798; Kapitel V) auseinander, der wie sein Briefroman Geschichte eines Teutschen der neusten Zeit (1798; Kapitel V) zu einem großem zusammengehörenden Romankorpus gehört. Hervorzuheben ist der Dialogroman, weil mit dem Weltmann einer Figur ein poetischer Raum eingeräumt wird, die eine apologetische Haltung zum sog. Soldatenhandel einnimmt. Die in dieser Form und in diesem Umfang artikulierte Relativierung der Subsidienver-
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träge durch den Weltmann, die allerdings erwartungsgemäß vom Dichter kritisiert wird, ist in der zeitgenössischen fiktionalen Literatur einzigartig. Von besonderer Bedeutung ist, dass Der Weltmann und der Dichter in der letzten Dekade des 18. Jahrhunderts verfasst und publiziert wurde und damit einen Einblick in die Rezeption der Amerikanischen Revolution aus der zeitlichen Distanz von etwa einer Generation ermöglicht. Der im gleichen Jahr publizierte Briefroman Geschichte eines Teutschen der neusten Zeit behandelt die Ereignisse in Amerika ebenfalls aus der Retrospektive und lässt durch die Verurteilung der ausführlich beschriebenen französischen Terreur die Neue Welt noch positiver erscheinen. Klingers der literarischen Strömung des Sturm und Drang namengebendes Drama (1776 [ED. 1777]), das in Kapitel IV untersucht wird, verdeutlicht die apolitische Dimension der Rezeption der Amerikanischen Revolution, die in dem Schauspiel höchst abstrakt bleibt und vermeintlich primär nur in ihrer Funktion als militärisches Betätigungsfeld wahrgenommen wird. Hierbei handelt es sich um ein Motiv, das auch von Jakob Michael Reinhold Lenz (1751–1792) in seiner fragmentarischen Wertheriade Der Waldbruder (1776 [ED. 1797]; Kapitel VI) aufgegriffen wird. Wie in Sturm und Drang ist es lediglich die militärische Seite der Amerikanischen Revolution in Form des Unabhängigkeitskrieges, die hier thematisiert wird. Im Gegensatz zu Klingers Figur Wild/Carl Bushy verkörpert der Krieg in Amerika für die Figuren, die im Waldbruder die transatlantische Reise antreten wollen, allerdings eine Möglichkeit zum gesellschaftlichen Aufstieg in Europa. Die oben erwähnte Relation von Fiktion und Wirklichkeit ist für Lenz’ Waldbruder von besonderer Bedeutung, da sich der Autor ganz offensichtlich an der Biografie seines Bekannten Heinrich Julius von Lindau (1754–1776) orientierte, der 1776 die hessischen Subsidientruppen nach Amerika begleitete, wo er im November des Jahres nach einem Angriff auf Fort Washington auf Manhattan verstarb (Kapitel VI.3). Kapitel VII rückt die deutsch-amerikanische Lyrik und allgemein Literatur in den Mittelpunkt. Nach einer Darstellung der insbesondere in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Nordamerika dominierenden religiösen Dichtung am Beispiel der Herrnhuter und der radikalpietistischen Tunker/Dunker, die in Ephrata in Pennsylvania eine äußerst produktive Druckerei betrieben, wird die säkulare deutsch-amerikanische Publizistik, die europäische Auflagenzahlen erreichte (Kapitel VII.3), exemplarisch anhand der beiden wichtigsten deutschsprachigen Druckereien in der Neuen Welt vorgestellt. Hierbei handelt es sich um die Druckerei der überwiegend revolutionskritischen Saur-Familie (Kapitel VII.4.1–4) und diejenige des deutsch-amerikanischen Patrioten Henrich Miller (Kapitel VII.4.5). Die folgenden Kapitel stellen die beiden in Europa bekanntesten Vertreter der Amerikanischen Revolution, George Washington (1732– 1799; reg. 1789–1797; Kapitel VIII) und Benjamin Franklin (1706–1790; Kapitel IX),
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in den Mittelpunkt. Während in der deutsch-amerikanischen Memoriallyrik Washington als Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee und erster Präsident der USA im Vergleich zu Franklin eindeutig eine Vorrangstellung einnimmt, fiel dem amerikanischen Homo Universalis in der europäischen deutschsprachigen Literatur eine größere Rolle zu. Obwohl häufig beide Amerikaner gemeinsam erwähnt werden und Washington auch in den deutschen Staaten eine intensive Würdigung erfuhr, war es doch Franklin, den Intellektuelle wie Immanuel Kant (1724–1804) bereits seit der Mitte des 18. Jahrhunderts aufgrund seiner Erfindung des Blitzableiters als „Franklin-Prometheus“ feierten (Kapitel IX.4). Der amerikanische Gelehrte hielt sich im Gegensatz zu Washington im Laufe seines Lebens mehr als zweieinhalb Jahrzehnte in Europa auf und besuchte 1766 z. B. auch die Göttinger Universität. Für Bewunderer wie Georg Forster, der Franklin in Paris persönlich begegnete, verkörperte der Amerikaner den von der europäischen Zivilisation nicht korrumpierten Naturmenschen und autodidaktischen Volksaufklärer. Seine Wahrnehmung als transatlantischer Gelehrter, Politiker, Aufklärer und nicht zuletzt als moralische Autorität spiegelt sich gerade auch in Schubarts Hymne Grabschrift wider, die der schwäbische Autor 1790, ein Jahr vor seinem eigenen Tod, zu Ehren des verstorbenen Amerikaners verfasste (Kapitel IX.8). Die beiden ausführlich behandelten Gedichte Schubarts, sein Freyheitslied und die Grabschrift, bilden damit gewissermaßen auch den Rahmen der vorliegenden Arbeit, die schließlich noch durch einen Exkurs auf die Biografie des heute nicht mehr bekannten jüdischen Zauberkünstlers Jacob Philadelphia (eigentlich: Jacob Meyer; 1734?-ca. 1797) ergänzt wird, der im 18. Jahrhundert für sich eine amerikanische Identität postulierte (Kapitel X). Philadelphia gehört damit wie z. B. August Lafontaine (1758–1831) zu den Persönlichkeiten der sog. Sattelzeit, die zeitgenössisch einen höchsten Bekanntheitsgrad aufwiesen, heute jedoch nahezu ganz vergessen sind.
II „Schwimmt her! – Hier wohnt die Freyheit, hier! / Hier flammt ihr Altar!“ Christian Friedrich Daniel Schubarts (1739–1791) Gedicht Freyheitslied eines Kolonisten (1775) als prototypisches Beispiel der deutschen Begeisterung für die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung Freyheitslied eines Kolonisten. Hinaus! Hinaus ins Ehrenfeld Mit blinkendem Gewehr! Columbus, deine ganze Welt Tritt muthig daher! Die Göttinn Freyheit mit der Fahn – (Der Sklave sah sie nie) Geht – Brüder sehts! sie geht voran! O blutet vor sie! Ha, Vater Putnam lenkt den Sturm, Und theilt mit uns Gefahr. Uns leuchtet wie ein Pharusturm Sein silbernes Haar! Du gierger Britte, sprichst uns Hohn? – Da nimm nur unser Gold! Es kämpft kein Bürger von Boston Um sklavischen Sold! Da seht Europens Sklaven an, In Ketten rasseln sie! – Sie braucht ein Treiber, ein Tyrann Für würgbares Vieh. Ihr reicht den feigen Nacken, ihr, Dem Tritt der Herrschsucht dar? – Schwimmt her! – hier wohnt die Freyheit, hier! Hier flammt ihr Altar!
https://doi.org/10.1515/9783110644739-002
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Doch winkt uns Vater Putnam nicht? Auf, Brüder, ins Gewehr! – Wer nicht für unsre Freyheit ficht; Den stürzet ins Meer! Herbey, Columbier, herbey! Im Antlitz sonnenroth! Hör, Britte, unser Feldgeschrey Ist’s Sieg oder Tod.1
Christian Friedrich Daniel Schubarts Freyheitslied eines Kolonisten (G172) verdeutlicht in exemplarischer Weise die kompromisslose literarische Behandlung eines politischen Themas durch den Autor und stellt ein erstaunlich frühes Zeugnis seiner intensiven Identifikation mit der Amerikanischen Revolution dar.2 Das isostrophisch aufgebaute Gedicht besteht aus acht Strophen mit jeweils vier Versen, die durch einen Kreuzreim verbunden sind und hat folgende metrische Struktur: xX / xX / xX / xX xX / xX / xX xX / xX / xX / xX xX / xxX
Jede Strophe weist in den ungeraden Versen eins und drei einen vierhebigen Jambus, im zweiten Vers einen dreihebigen Jambus sowie im letzten Vers einen Jambus verbunden mit einem Anapäst auf. Alle Verse haben eine akatalektische Kadenz und enden männlich betont. Die strophische Struktur mit dem Hebungsschema 4–3–4–2 erinnert an eine leicht abgewandelte klassische Chevy-ChaseStrophe (4–3–4–3), hat jedoch im vierten Vers lediglich zwei statt drei Hebungen. Das Gedicht wurde am 10. August 1775, also knapp zwei Jahre vor Schubarts Verhaftung (s. u.), in seiner semiwöchentlich erscheinender Zeitung Deutsche
1 Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten, S. 507 f. [G172]. Die mit dem Buchstaben „G“ versehenen Zahlen verweisen hier wie im Folgenden auf die entsprechende Nummerierung in der Lyrikanthologie im digitalen Anhang dieser Arbeit. 2 Ursula Wertheim und Hans Böhm notierten in diesem Zusammenhang: „Wir haben bei diesem Gedicht eines der frühesten Dokumente politischer Lyrik in der deutschen Literatur der neueren Zeit zu würdigen.“ Wertheim – Böhm: Einleitung, S. XVII. Und außerdem unterstrichen sie: „Es war keine Selbstverständlichkeit, im August 1775, also ein Jahr vor der Erklärung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, mit so viel sicherem politischem Instinkt für die ‚Kolonisten‘ einzutreten.“ Wertheim – Böhm: Einleitung, S. XVI.
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Chronik publiziert, die mit einem Publikum von ca. 20.000 Lesern rechnen konnte,3 und entstand vor dem Hintergrund der Schlacht von Bunker Hill, die sich am 17. Juni des Jahres während der Belagerung von Boston durch die Amerikaner ereignet hatte.4 Dabei gelang es den Briten, die heute zur Hauptstadt von Massachusetts gehörende Halbinsel Charlestown, auf der sich die Anhöhen Bunker und Breed’s Hill befinden,5 zu erobern. Die enormen Verluste auf der britischen Seite aufgrund des intensiven Engagements der Patrioten in der von Matthias Christian Sprengel (1746–1803) in seiner Geschichte der Revolution von Nord-Amerika (1785) als „erste förmliche Action zwischen den Americanern und Engländern“6 bezeichneten Schlacht, führten zur ihrer Wahrnehmung als Pyrrhussieg für die Briten und verdeutlichten den amerikanischen Durchhaltewillen.7 Sprengel gab an: Um sie zu vertreiben, wurden den 17[.] Junius zweytausend Englaender unter dem General Howe eingeschifft, und die Provinzialen von diesen, unter einem heftigen Kanonenfeuer, von den Schiffen angegriffen. Sie vertheidigten sich aber mit ungemeiner Tapferkeit und die brittischen Truppen wurden mit großem Verlust zurueck getrieben. Allein da immer frische Truppen den Angriff erneuerten, mußten sie ihren Posten verlassen.8
Und außerdem erklärte der Historiker: In eben diesem Jahr geriethen die eingeschlossene brittische Armee und ihre Belagerer noch einmal an einander, und die erstere erfuhr zu ihrem Nachtheil, was sie von zwar unerfahrner, aber fuer ihre Freyheit und ihren Grund und Boden fechtender Landmiliz fuer einen tapfern Widerstand zu erwarten hatte.9
3 Vgl. Hartkopf – Kühlmann: Schubart, S. 602. 4 Aufgrund der großen Distanz zwischen Nordamerika und Europa und des sich hierdurch ergebenden langen Transits von Informationen (siehe hierzu auch Kapitel V.4) lässt sich erschließen, dass Schubart sein Freyheitslied im engsten zeitlichen Umfeld, nachdem er die Nachricht von den Ereignissen in Boston erhielt, verfasst haben muss. 5 Obwohl die Schlacht nach dem Bunker Hill benannt wurde, fand der größte Teil der militärischen Auseinandersetzung auf dem benachbarten Breed’s Hill statt. Heute erinnert dort ein 1843 fertig gestellter Obelisk, das Bunker Hill Monument, an die historischen Ereignisse. 6 Sprengel: Historisch-genealogischer Calender, oder, Jahrbuch der merkwürdigsten neuen WeltBegebenheiten für 1784, S. [88b]. 7 Zu den historischen Umständen der Schlacht von Bunker Hill siehe insbesondere Philbrick: Bunker Hill. 8 Sprengel: Geschichte der Revolution von Nord-America, S. 136 f. 9 Ebd, S. 136.
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Schubarts Freyheitslied greift das militärische Sujet sowie den (volks)liedhaften Charakter, der auch im Titel anklingt, bereits in seiner Anlehnung an die „[v].a. in vaterländisch-soldatischen Dichtungskontexten […] bis ins 20. J[ahr]h[undert]“10 dominierende Chevy-Chase-Strophe auf, die, wie Horst Joachim Frank festhielt, „[a]ls eine flüssige und vielseitig verwendbare Liedstrophe […] seit der Mitte des 18. Jahrhunderts eine außerordentliche Beliebtheit erlangt[e]“11. Nachdem der „kriegerisch-heroisch[e]“12 Ton dieser Strophen von Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719–1803) in seinen Preußischen Kriegsliedern (1758) verwendet worden waren, gaben „[d]ie kriegerischen Ereignisse der Folgezeit […] immer wieder Anlässe zur Verwendung der ‚Grenadierliederstrophe‘.“13 Die Strophenform findet sich beispielsweise in dem anonym verfassten Soldatenlied Juchheisa nach Amerika (G120), das den Subsidienvertrag des hessischen Landgrafen mit Großbritannien thematisiert, in Karl Wilhelm Ramlers (1725–1798) Schlachtgesang (1778), Gottfried August Bürgers (1747–1794) Straflied (1792) und Ernst Moritz Arndts (1769–1860) Deutschem Kriegslied (1806).14 Obwohl Schubart, der in seinem 1790 entstandenen Preußenlied ebenfalls auf diese Strophenform zurückgriff, sie im Freyheitslied leicht abwandelte, trägt die strophische Gliederung, seine metrische Struktur sowie sein Reimschema doch dem mit heroisierendem Pathos beschriebenen militärischen Hintergrund Rechnung.15 So lässt sich die Isostrophie und regelmäßige metrische Struktur als Spiegelung der zeitgenössisch etablierten Kampfformation in Reih und Glied (Abb. 2) interpretieren. Die einzelnen Verse erscheinen in diesem Sinne wie marschierende Schlachtreihen gemäß der im 18. Jahrhundert verbreiteten Lineartaktik, und jeder Buchstabe entspricht einem Soldaten in der festen Ordnung der
10 Kühnel – Schlösser: Chevy-Chase-Strophe, S. 121. 11 Frank: Handbuch, S. 140. Zur Chevy-Chase-Strophe siehe allgemein ebd., S. 140–145; Kühnel – Schlösser: Chevy-Chase-Strophe, S. 121; Neureuter: Volksliedstrophe, S. 798. 12 Frank: Handbuch, S. 142. 13 Ebd. 14 Siehe ebd. Frank hat darauf hingewiesen, dass die Strophenform „[i]n den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts […] zwei charakteristische Erweiterungen ihrer Verwendung“ (ebd.) erfuhr. Zum einen trat sie als Balladenstrophe auf, und zum anderen hielt Frank fest: „Im Anklang an die Töne der geistlichen Lob- und Danklieder diente der Vierzeiler insbesondere bei den Dichtern des Göttinger Hains als Form solcher Lieder, in denen Fröhlichkeit, herzliche Zuneigung, heitere Geselligkeit, patriotischer Sinn und freiheitliche Gefühle Ausdruck fanden[.]“ Ebd. Insbesondere die beiden letztgenannten Aspekte können gerade auch für Schubarts Freyheitslied, das ja genau in der Mitte der 70er Jahre des 18. Jahrhunderts entstand, geltend gemacht werden. 15 Für das Freyheitslied hielt Bernd Jürgen Warneken fest: „Schubarts hoher Ton macht aus schlechtbewaffneten Kaufleuten, Bauern, Handwerkern antike Helden.“ Warneken: Schubart, S. 152.
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Phalanx. Der Kreuzreim unterstreicht die Zusammengehörigkeit der einzelnen militärischen Einheiten (Strophen) und lässt sich darüber hinaus auch als Prolepse der sich in einander verkeilenden beiden Heere, die aufeinandertreffen, lesen.16 Die Isometrie der metrischen Struktur über die einzelnen Strophen hinweg mit einem Jambus als Versfuß (die einzige Ausnahme bildet, wie bereits erwähnt, der jeweils letzte Vers jeder Strophe mit einem Jambus und Anapäst) erscheint wie das regelmäßige Marschieren der Soldaten, dessen Takt in dieser Zeit von Trommeln vorgegeben wurde. Die Hebungen der Jamben und die männlichen Kadenzen korrespondieren mit einem Schritt bzw. dem Trommelschlag. Das gesamte höchst pathetische und von Emphase geprägte Freyheitslied wird von einem stark appellativen Zug getragen, der den Leser bzw. Hörer mit sich reißt und ihm einen Einblick in den Gefühlshaushalt des Sprechers gewährt.17 Gleichzeitig sollen Unentschlossene und Andersdenkende durch den in den Versen zum Ausdruck gebrachten Aktionsdrang zur Partizipation angeregt werden. Hierzu trägt z. B. die wiederholte Verwendung von Adverbien wie „Hinaus“18 und „Herbey“19 in der ersten und letzten Strophe bei, die dem Gedicht gewissermaßen auch einen appellativen Rahmen verleihen. Dabei ist festzuhalten, dass die Bewegungsrichtungen der beiden Adverbien in einer gewissen Opposition zu einander stehen, da „hinaus“ nach außen und „herbei“ nach innen verweist. Es entsteht dadurch ein Transfergefühl, das den prozessualen Charakter der acht Strophen unterstreicht. Während sich in der ersten Strophe der Sprecher offensichtlich noch nicht direkt auf dem Schlachtfeld selbst befindet und er seinen Blick „hinaus“ auf dieses richtet, hat er es in der achten Strophe erreicht, d. h. er steht unmittelbar vor der militärischen Konfrontation, so dass ihn die Gegner bereits verstehen können („Hör, Britte, unser Feldgeschrey“20). Seine Aufmerksamkeit richtet sich auf die anderen Kämpfer, die er nun „herbei“ ruft und die seinem Beispiel folgen sollen.
16 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Aussprache englischer Wörter im deutschsprachigen Raum im 18. Jahrhundert offensichtlich an die deutsche Phonetik angepasst war und sich an den „traditionellen“ Verbindungen von typografischer Realisation und phonetischer Aussprache in der deutschen Sprache orientierte. Das Reimwort „Hohn“ im ersten Vers dieser Strophe legt die Vermutung nahe, dass der Name „Boston“ zumindest von Teilen der deutschsprachigen Rezipienten dieses Wortes nicht wie im Englischen üblich [ˈbɔstən], sondern [bɔsto:n] ausgesprochen wurde. Siehe hierzu auch die Anmerkung zum ersten Vers von G182. 17 Dass es sich um einen Sprecher handelt, wird durch den Titel deutlich. 18 Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 1. Strophe. 1. Vers, S. 507 [G172]. 19 Ebd. 8. Strophe. 1. Vers, S. 508 [G172]. 20 Ebd. 8. Strophe. 3. Vers, S. 508 [G172].
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Besonders auffällig sind in diesem Zusammenhang vor allem auch die zahlreichen Imperative (so etwa „blutet“21, „Schwimmt“22 und „stürzet“23) sowie insbesondere die ausgesprochen große Anzahl von insgesamt 17 (!) Ausrufezeichen in den 32 Versen. Diese verleihen den jeweils vorangehenden Sinneinheiten eine zusätzliche Emphase und vermitteln den Eindruck, dass die Mitteilungen nicht nur einfach ausgesprochen, sondern gleichsam gerufen bzw. geschrien erscheinen, was angesichts der geschilderten Situation (eine wahrscheinlich mit erheblichem Lärm verbundene militärische Auseinandersetzung oder genauer gesagt ein unmittelbar bevorstehender Kampf) konsequent erscheint. Dem Leser bzw. Hörer wird durch diese situative Inklusion der Eindruck vermittelt, bei dem Sprecher im Schlachtengetümmel zu stehen. Unterstützt wird die aufrüttelnde und anregende Wirkung durch eine Reihe von Lexemen, die auf intensive optische und akustische Stimulationen verweisen. Hierzu gehören Ausdrücke wie „blinkendem“24, „sehts!“25, „leuchtet“26, „seht“27, „flammt“28, „winkt“29, „rasseln“30, „Hör“31 und „Feldgeschrey“32. Die Einbettung dieser Ausdrücke in das regelmäßige metrische Netz und die über das gesamte Gedicht verteilte Verwendung von rhetorischen Stilmitteln wie Alliterationen („Hinaus! Hinaus“33, „sah sie“34, „sehts! sie“35, „sein silbernes“36, „nimm nur“37, „kämpft kein“38, „sklavischen Sold“39, „Freyheit ficht“40) und Wiederholungen bzw. Parallelisierungen („Hinaus! Hinaus“41,
21 Ebd. 2. Strophe. 4. Vers, S. 507 [G172]. 22 Ebd. 6. Strophe. 3. Vers, S. 508 [G172]. 23 Ebd. 7. Strophe. 4. Vers, S. 508 [G172]. 24 Ebd. 1. Strophe. 2. Vers, S. 507 [G172]. 25 Ebd. 2. Strophe. 3. Vers, S. 507 [G172]. 26 Ebd. 3. Strophe. 3. Vers, S. 507 [G172]. 27 Ebd. 5. Strophe. 1. Vers, S. 508 [G172]. 28 Ebd. 6. Strophe. 4. Vers, S. 508 [G172]. 29 Ebd. 7. Strophe. 1. Vers, S. 508 [G172]. 30 Ebd. 5. Strophe. 2. Vers, S. 508 [G172]. 31 Ebd. 8. Strophe. 3. Vers, S. 508 [G172]. 32 Ebd. 8. Strophe. 3. Vers, S. 508 [G172]. 33 Ebd. 1. Strophe. 1. Vers, S. 507 [G172]. 34 Ebd. 2. Strophe. 2. Vers, S. 507 [G172]. 35 Ebd. 2. Strophe. 3. Vers, S. 507 [G172]. 36 Ebd. 3. Strophe. 4. Vers, S. 507 [G172]. 37 Ebd. 4. Strophe. 2. Vers, S. 507 [G172]. 38 Ebd. 4. Strophe. 3. Vers, S. 507 [G172]. 39 Ebd. 4. Strophe. 4. Vers, S. 507 [G172]. 40 Ebd. 7. Strophe. 3. Vers, S. 508 [G172]. 41 Ebd. 1. Strophe. 1. Vers, S. 507 [G172].
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„Geht – Brüder sehts! sie geht“42, „ein Treiber, ein Tyrann“43, „Ihr reicht den feigen Nacken, ihr“44, „hier wohnt die Freyheit, hier“45 und „Herbey, Columbier, herbey!“46) unterstreichen zusätzlich den multisensualen Reiz und die mehrschichtige Klangfarbe des auditiv wie auch optisch intensiv stimulierenden Gedichtes. Die ungewöhnliche Interpunktion, zu der neben den zahlreichen Ausrufezeichen sieben Gedankenstriche gehören, die dem Gesagten bzw. Gerufenen einen fast stenografischen Charakter verleihen und so den Eindruck eines sich in rascher Folge abwechselnden Gedankenganges inmitten einer Krisensituation erwecken, deutet bereits die Tendenz des Gedichtes zu Superlativen und Hyperbeln an. Schon in der ersten Strophe ist von der „ganze[n] Welt“47 des Kolumbus, der unmittelbar apostrophiert wird, also von ganz Amerika, die Rede. In der finalen Strophe werden die „Columbier“48, womit wohl alle Amerikaner gemeint sind, herbeigerufen. Die beiden „columbianischen“ Ausdrücke zu Beginn und am Ende des Gedichtes wirken wie eine Klammer, welche die dazwischen liegenden Verse und Strophen umschließen und gleichzeitig an das Identifikationsvermögen und Kollektivitätsgefühl der Einwohner in der Neuen Welt appellieren. Damit wird implizit die militärische und politische Opposition zwischen Großbritannien und seinen Dreizehn Kolonien im Osten Nordamerikas universalisiert und auf den gesamten Kontinent ausgeweitet. Durch den geografischen Exkurs in der fünften und sechsten Strophe nach Europa erscheint die im Text thematisierte Auseinandersetzung allgemein als universeller Kampf zwischen Alter und Neuer Welt. Zugleich wird an dieser Stelle implizit negiert bzw. zumindest außer Acht gelassen, dass selbst in den aufständischen britischen Kolonien in Nordamerika nicht die gesamte Bevölkerung hinter der Unabhängigkeitsbewegung stand. Berühmt geworden ist die Einschätzung von John Adams (1735–1826; reg. 1797–1801), dass rund ein Drittel der amerikanischen Bevölkerung patriotisch, ein Drittel unentschlossen und ein Drittel loyalistisch gewesen sei.49 In der siebten Strophe wird schließlich doch noch erwähnt, wie mit Andersdenkenden zu verfahren sei. So ist dort zu lesen: „Wer nicht für unsre Freyheit ficht; / Den stürzet
42 Ebd. 2. Strophe. 3. Vers, S. 507 [G172]. 43 Ebd. 5. Strophe. 3. Vers, S. 508 [G172]. 44 Ebd. 6. Strophe. 1. Vers, S. 508 [G172]. 45 Ebd. 6. Strophe. 3. Vers, S. 508 [G172]. 46 Ebd. 8. Strophe. 1. Vers, S. 508 [G172]. 47 Ebd. 1. Strophe. 3. Vers, S. 507 [G172]. 48 Ebd. 8. Strophe. 1. Vers, S. 508 [G172]. 49 Vgl. hierzu auch die folgende Einschätzung in der Forschung: „About 20 percent of all whites either opposed the rebellion actively or refused to support the Confederation until threatened with fines or imprisonment.“ Boyer – Clark – Kett u. a.: Enduring Vision, S. 158.
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ins Meer!“50 Die hier formulierte Aufforderung bleibt polyvalent. Es ist nicht eindeutig zu klären, ob die Worte auf die Kombattanten anspielen, die aus der Perspektive des Sprechers auf der falschen (d. h. auf der britischen) Seite kämpfen, oder ob sie auf Kampfunwillige gemünzt sind, zu denen auch Pazifisten gehören könnten, die eine Partizipation an den militärischen Konflikten generell ablehnen und sich daher auch nicht am Kampf für die Freiheit beteiligen wollen.51 In jedem Fall erweckt der hinter der Formulierung stehende Grundgedanke, dass Nichtunterstützer wie Feinde behandelt werden sollten, Assoziationen zu einem festen literarischen und politischen Topos, wie er bereits seit der Antike zu fassen ist. So berichtet beispielsweise bereits das Matthäus-Evangelium von dem Jesuswort: „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich.“52 Auch in Ciceros (106–43 v. Chr.) 46 v. Chr. verfassten Verteidigungsrede für Quintus Ligarius (gest. ca. 42 v. Chr.) heißt es an Caesar (100–44 v. Chr.) gerichtet: „Te enim dicere audiebamus nos omnis adversarios putare, nisi qui nobiscum essent; te omnis qui contra te non essent tuos.“53 Die hier mitschwingende radikale Konzeption ist jedoch auch in der Gegenwart noch zu fassen. Große mediale Aufmerksamkeit fiel beispielsweise einer häufig kritisierten, von George W. Bush (geb. 1946; reg. 2001–2009) nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 in einer Ansprache vor dem Kongress formulierten Aussage zu, als er erklärte: „Every nation, in every region, now has a decision to make. Either you are with us, or you are with the terrorists.“54 Aber auch Hillary Clinton (geb. 1947) machte wenige Tage zuvor, in einem am 13. September 2001 geführten Interview deutlich: „Every nation has to either be with us, or against us.“55 Die in Schubarts Gedicht in der siebten Strophe zutage tretende Aversion gegenüber Nichtunterstützern, die einen generellen Ausschluss Andersdenkender oder sogar die Repression ihnen gegenüber impliziert, spiegelt die Einstellung
50 Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 7. Strophe. 3 f. Vers, S. 508 [G172]. 51 Siehe z. B. G30. 52 Mt 12,30. Siehe auch Lk 11,23. Siehe in diesem Zusammenhang außerdem Mk 9,40 und Lk 9,50. 53 „Wir hörten dich [= Caesar, Anm. L. L.] nämlich sagen, daß wir [= die Pompejaner, Anm. L. L.] alle für Gegner hielten, die nicht für uns, du jedoch alle für Freunde hieltest, die nicht gegen dich seien.“ Cicero: Pro Q[uinto] Ligario Oratio/Rede für Q[uintus] Ligarius, S. 708 (Übersetzung: Fuhrmann, S. 709). 54 George W. Bush in einer Ansprache vor dem Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika. 20. September 2001. Der Text der Rede ist durch das Internetangebot des Weißen Hauses einsehbar: http://georgewbush-whitehouse.archives.gov/news/releases/2001/09/20010920–8.html, 21. September 2015. 55 Hillary Clinton in einem Interview in den CBS Evening News. 13. September 2001. Eine Tonaufnahme ist auf der Internetplattform „YouTube“ verfügbar: https://www.youtube.com/ watch?v=DbYGYiGjpUs, 21. Juni 2015.
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radikaler Kräfte der Unabhängigkeitsbewegung wider. Die moderne Forschung hat wiederholt herausgearbeitet, dass z. B. Mitglieder der Söhne der Freiheit (Sons of Liberty) nicht nur Vertreter der Monarchie, wie Steuereintreiber und Amtspersonen, verfolgten und teilweise sogar teerten und federten, sondern auch massiven Druck auf Loyalisten und selbst Neutrale ausübten, um diese zur Unterstützung ihrer Interessen zu animieren. Die Enteignung Christoph Saurs II. (1721–1784) nach dem Einzug der Patrioten in Philadelphia 177856 steht dabei exemplarisch für die Anwendung dieser Restriktionspolitik auch gegenüber Deutsch-Amerikanern. Die dogmatische Exklusivität des in der siebten Strophe formulierten Gedankens korrespondiert mit der in den beiden finalen Versen zum Ausdruck gebrachten Einstellung. Die radikale Losung „Sieg oder Tod“, mit der Schubarts Freyheitslied endet, ist die Zuspitzung einer extremen, Zwischenstufen negierenden Konzeption, welche die eigene Entschlossenheit, ebenso aber auch eine unnachgiebige Kompromisslosigkeit und statische Adaptionsunfähigkeit erkennen lässt. Für den Sprecher kann die Auseinandersetzung nur mit einem Sieg oder mit dem Verlust des eigenen Lebens entschieden werden. Tatsächlich artikuliert das Gedicht damit auch hier eine immer wieder anzutreffende Formel der amerikanischen Freiheitskämpfer und verdeutlicht in pointierter Form eine ihrer zentralen Grundpositionen. So lautete beispielsweise die geheime Parole für den berüchtigten Überraschungsangriff George Washingtons am zweiten Weihnachtstag 1776 auf die in Trenton stationierten hessischen Subsidientruppen „Victory or Death“57. Die auf eine griffige Formel gebrachte Dialektik eines binär definierten Optionsszenarios nutzte Benjamin Franklin schon 1754 für seine berühmte „Join, or Die“-Darstellung (Abb. 3). Die Vorstellung des Todes oder des Sterbens als einzige verbliebene Alternative, die im Übrigen in nahezu allen Fällen im Oppositionsschema an zweiter Stelle erscheint und in der Regel wirkungsintensiv auch das Schlusswort der Losung bildet, stellt den Kulminationspunkt einer rhetorisch geschickt zum Ausdruck gebrachten Aussage bzw. Einstellung dar, die ihre ultimative Relevanz unterstreichen soll. So ruft auch der Sprecher in den Schlussversen eines am 18. Juli 1798 in der Readinger Zeitung veröffentlichten Gedichtes (G228), das in Anbetracht der Zuspitzung des Konfliktes zwischen den Vereinigten Staaten und Frankreich, die im Sommer des Jahres zum Ausbruch des sog. QuasiKrieges (1798–1800) führten,58 seinem Publikum zu:
56 Siehe hierzu Kapitel VIII. 57 Zu den historischen Umständen des Angriffs siehe Chernow: Washington, S. [269]–284. 58 Siehe hierzu die Kommentare zu G222 und G229.
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Die Palme blüht in Gottes Schoos; Auf! eilt sie zu erwerb’n! Auf! Brüder auf! denn unser Loos Ist Siegen oder Sterb’n.59
Und in einem von Ernst Anton Zündt (1819–1897) verfassten Kriegslied des deutschen Unionssoldaten, das den Amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) thematisiert, heißt es: „Sieg oder Tod, laßt, Brüder, uns / Auf unsre Fahnen schreiben.“60 Nicht zuletzt lautet bis heute das Motto des Bundesstaates New Hampshire „Live Free or Die“. Dabei handelt es sich um eine Formel, die allgemein auch auf Gedenkmünzen und Aufklebern mit der Amerikanischen Revolution in Verbindung gebracht wird. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die flammende Ansprache des aus Virginia stammenden Delegierten Patrick Henry (1736–1799) zu erwähnen, die er zugunsten der Unabhängigkeitsbewegung am 23. März 1775 in der St. John’sKirche in Richmond/Virginia hielt und mit den Worten beendete: „Give me liberty, or give me death!“61 Die Alternative Tod oder Freiheit gehört wohl zu den am häufigsten verwendeten zugespitzten Oppositionsbeschreibungen im Zusammenhang mit der Amerikanischen Revolution. So gelangt in Heinrich A. Bielfelds (1818–1882) im 19. Jahrhundert entstandener Centennial-Ode zur hundertjährigen Feier der Republik der Sprecher zu dem Schluss: „Entweder Freiheit oder Tod!“62 Und auch in dem in Nordamerika wahrscheinlich 1775, also dem Entstehungsjahr des Freyheitsliedes, anonym als Einblattdruck publizierten Trauer Lied der unterdrückten Freyheit (G100) verkündet das poetische Subjekt zum Schluss: „Diesen Wahl-Spruch will ich machen, / Tod oder frey, will ich seyn.“63 Das patriotische, aus neun Strophen bestehende Trauer Lied, das u. a. auch an
59 Germanus [= ?]: Zuruf An die Americaner. 7. Strophe, S. [3] [G228]. 60 Zündt: Kriegslied des deutschen Unionssoldaten. 2. Strophe. 7 f. Vers, S. 54. 61 Die Rede wurde 1817 zum ersten Mal gedruckt, und der letzte Absatz lautet vollständig: „The war is actually begun! The next gale that sweeps from the north, will bring to our ears the clash of resounding arms! Our brethren are already in the field! Why stand we here idle? What is it that gentlemen wish? What would they have? Is life so dear, or peace so sweet, as to be purchased at the price of chains, and slavery? Forbid it, Almighty God! – I know not what course others may take; but as for me, give me liberty, or give me death!“ Henry: [Give Me Liberty Or Give Me Death], S. 24. Siehe hierzu auch Cohen: The „Liberty or Death“ Speech, S. 702–717; Kidd: Patrick Henry, S. 91–107; Kukla – Kukla: Patrick Henry, S. 39–46; Olsen: Patrick Henry’s „Liberty or Death“ Speech, S. 19–66. 62 Bielfeld: Centennial-Ode zur hundertjährigen Feier der Republik. 5. Strophe. 8. Vers, S. 41. Siehe auch G389. 63 [Anonym]: Das Trauer Lied der unterdrückten Freyheit. 9. Strophe. 7 f. Vers, S. [1] [G100].
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die Ereignisse der Schlacht von Bunker Hill in Charlestown bei Boston erinnert („Dort ist schon das Blut geflossen, / Bey dem armen Carlestaun,“64), weist einige Gemeinsamkeiten mit Schubarts Gedicht auf. Hierzu gehören der Liedcharakter, die militärische Konnotation, die Personifikation der Freiheit, allgemein die klar verteilten Rollen zwischen Gut und Böse („Nein, das Blut daß wir vergiessen, / Um das liebe Vaterland, / Wird auf die Gewissen fliessen / Die den Greuel angespannt, / Recht ist unsre Sieges-Fahne, Recht ist unsre Sieges-Fahne, / Unschuld unser Feld-Panier“65), die Referenz auf eine transzendente Entität,66 das wiederholte Aufgreifen des Blut-Motivs67 sowie der explizite Appell, für die Freiheit zu kämpfen. So lauten die beiden letzten Strophen: Nur getrost ihr Freyheits Kinder, Unsere Hoffnung bleibet schon, Der Triumpf bleibt uns nicht minder, Als die Lorbern Sieges-Kron, Edelmüthig ausgehalten Auch im härtsten Wiederstand, Laßt die Tugend nicht erkalten, Streit vor euer Vaterland. Wann gleich die Cartaunen brüllen, Wann der Mars im Blut erscheint, Wann die Bomben gräulich wühlen, Dampf und Feuer sich vereint. Laß es donnern, laß es krachen, Laß die Wälle fallen ein, Diesen Wahl-Spruch will ich machen, Tod oder frey, will ich seyn.68
Die Freyheitslied-Losung „Sieg oder Tod“ verdeutlicht die eigene Aufopferungsbereitschaft, die auch im Trauer Lied der unterdrückten Freyheit anzutreffen ist und die Zeitgenossen z. B. in dem als exemplarischen Patrioten gefeierten Revolutionskämpfer Nathan Hale (1755–1776) ausmachten, der am 22. September 1776 in New York als Spion gehängt wurde und dessen letzte Worte „I only regret that I
64 Ebd. 5. Strophe. 1 f. Vers, S. [1] [G100]. 65 Ebd. 7. Strophe. 1.–6. Vers, S. [1] [G100]. Siehe auch ebd. 5. Strophe. 7 f. Vers, S. [1] [G100]. 66 Siehe z. B. ebd. 3. Strophe. 8. Vers; 5. Strophe. 1. Vers; 6. Strophe. 1. Vers und 9. Strophe. 2. Vers, S. [1] [G100]. 67 Siehe ebd. 1. Strophe. 1. Vers und 7. Strophe. 1. Vers, S. [1] [G100]. 68 Ebd. 8 f. Strophe, S. [1] [G100].
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have but one life to lose for my country“69 gelautet haben sollen. Die im Freyheitslied artikulierte Bereitschaft, das Leben zu lassen, führt auch die reale Bedrohung und die Ernsthaftigkeit der militärischen Auseinandersetzung vor Augen, die auf britischer Seite über 1.000 Opfer (darunter über 200 Tote) und unter den Patrioten ca. 450 Opfer mit über 100 Toten forderte. In der Memorialkultur wurde in diesem Zusammenhang insbesondere an den Tod von Joseph Warren (1741–1775) erinnert, der seinen Kampfeswillen und seine Entschlossenheit vor der Schlacht mit den Worten unterstrichen haben soll: „These fellows [= die Briten, Anm. L. L.] say we won’t fight! By Heaven, I hope I shall die up to my knees in [British] blood!“70 Das Blut-Motiv findet sich auch in Schubarts Gedicht71 und wird von dem DeutschAmerikaner Caspar Butz (1825–1885) ebenso mit der Schlacht von Bunker Hill in Verbindung gebracht, die Sprengel in seiner Darstellung als die „blutigste in dem ganzen Kriege“72 bezeichnete. In Butz’ Gedicht Fort Sumter heißt es: „So mahnt das Blut von Bunkerhill und Yorktowns Todte mahnen“73. Der Tod Warrens traf die Amerikaner tief, wie Sprengel zu berichten wusste: […] [A]ber von ihrem ganzen Verlust bedaureten sie den Tod des Doctor Warren am meisten, der, gleich vielen von seinen Landsleuten, mit Hinterlassung seiner Berufsgeschaefte, ins Feld geeilt war, und seinen weniger patriotischen Landsleuten ein Beyspiel gegeben hatte, fuer die gemeinschaftliche Sache der Freyheit alles zu wagen.74
Der patriotische Eifer, mit dem Warren, Sprengel zufolge, „ins Feld geeilt war“75, spiegelt sich im Freyheitslied in der Aufforderung des Sprechers, „Hinaus! Hinaus
69 Zu den in verschiedenen Formen überlieferten Schlussworten siehe Donnelly: Possible Source, S. [394]–396. Es ist die Vermutung geäußert worden, dass Hale seine Worte in Analogie zu Catos (95–46 v. Chr.) patriotischem Bekenntnis in Joseph Addisons (1672–1719) Drama Cato, A Tragedy (UA. 1713) gewählt haben könnte, das u. a. auch als Hauptvorlage für Johann Christoph Gottscheds (1700–1766) Bearbeitung Sterbender Cato (1732) diente. In Addisons Stück erklärt der titelgebende römische Staatsmann: „How beautiful is death, when earned by virtue! / Who would not be that youth? what pity is it / That we can die but once to serve our country!“ Addison: Cato, A Tragedy. 4. Akt. 4. Szene, S. 84. Zur Rezeption von Addisons Schauspiel im 18. Jahrhundert in Nordamerika siehe Litto: Addison’s Cato, S. [431]–449, insbesondere S. 445 f. 70 Zur zeitgenössischen Wahrnehmung von Warrens Tod und seiner Rezeption in der Memorialkultur siehe Forman: Dr. Joseph Warren, S. 307 ff. 71 Siehe Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 2. Strophe. 4. Vers, S. 507 [G172]. 72 Sprengel: Geschichte der Revolution von Nord-America, S. 137. 73 Butz: Fort Sumter. 32. Vers, S. 129. 74 Sprengel: Geschichte der Revolution von Nord-America, S. 137. 75 Ebd.
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ins Ehrenfeld“76 zu stürmen, wider. Fast hat man den Eindruck, es könnte Warren selbst der Kolonist sein, der im Freyheitslied spricht. Der amerikanische Mediziner war erst kurz zuvor 34 Jahre alt geworden und hatte wenige Tage vor der Schlacht die Ernennung zum Major General der Miliz erhalten, nahm jedoch als Private, d. h. als einfacher Soldat, am Kampf teil und ordnete sich freiwillig der Befehlsgewalt des dienstälteren und erfahreneren Generals Israel Putnam (1718–1790) unter. John Trumbull (1756–1843) widmete der Todesszene des als Helden gefeierten amerikanischen Patrioten das 1786 fertig gestellte Gemälde The Death of General Warren at the Battle of Bunker’s Hill, June 17, 1775 (Abb. 4), das in verschiedenen weiteren Versionen erhalten und auf dessen linkem Rand u. a. auch Israel Putnam mit grauen bzw. weißen Haaren sichtbar ist. Es zeigt Warren wie in einer Darstellung der Kreuzabnahme Jesu in der unteren linken Hälfte auf dem Boden liegend. Gestützt wird er von einem barfüßigen knieenden Mann, mit dem der Sterbende bzw. Tote eine Art Pietá bildet (vgl. Abb. 5 f.). Hinter ihnen ist ein weiterer Kämpfer zu sehen, dessen Körper eine leicht geneigte Horizontale bildet, die durch eine Muskete um eine Vertikale ergänzt wird und dadurch an ein Kreuz erinnert.77 Ergänzt wird die Postfiguration Christi durch einen britischen Soldaten, der mit seinem Bajonett Warrens Körper durchbohren will und damit ebenfalls Assoziationen zur Kreuzigungsszene erweckt.78 Gehindert wird der britische Soldat u. a. durch einen Offizier, der sich in der Mitte des Bildes befindet, gerade über einen Toten schreitet und von der Forschung als Major John Small (1726–1796) identifiziert wurde, der im French and Indian War (1754–1763) zusammen mit Putnam gedient hatte. Small, der, wie auch sein mitleidsvoller Gesichtsausdruck erkennen lässt, offensichtlich Sympathien für den Sterbenden bzw. Toten empfindet, erinnert wiederum an den römischen Hauptmann, der nach dem Tod Jesu seinen Respekt gegenüber dem Verstorbenen bekundet.79 Besonders auffällig ist, dass der Himmel fast vollständig von Wolken verhüllt und dadurch nahezu ganz verdunkelt ist, was wieder an den Tod Jesu erinnert.80
76 Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 1. Strophe. 1. Vers, S. 507 [G172]. Als Ehrenfeld, d. h. als Ort, wo man sich durch sein militärisches Engagement als ehrenhaft auszeichnen kann, wird das Schlachtfeld von Schubart auch in seinem Preußenlied (1. Strophe. 1. Vers) bezeichnet. Siehe auch Latzel: „Schlachtbank“, S. 76–92. 77 Akzentuiert wird die horizontale Stellung des Mannes durch die hinter ihm stehenden Kämpfer sowie die beiden im Wind flatternden Fahnen. 78 Siehe Joh 19,33 f. 79 Siehe z. B. Lk 23,47. 80 Siehe Mt 27,45, Mk 15,33 und Lk 23,44–45a.
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Den Gegensatz zu den überwiegend dunklen Farben des Himmels und der Umgebung bildet die Sterbestelle Warrens, der weiße Kleidung trägt und in schlaglichtartiges helles Licht getaucht ist, das seinen Körper wie ein Nimbus mit einer sakralen Aura zu umhüllen scheint. Dabei ist nicht festzustellen, woher das Licht stammt, da keine Quelle auszumachen ist. Es hat fast den Anschein, als ob die Stelle mit dem Leichnam bzw. dem Sterbenden aus sich selbst heraus leuchten und die Umgebung erhellen würde, so als würde hier eine metaphysische Lichtquelle wirken.81 Trumbulls Bild visualisiert inmitten der gewaltsamen Intensität und martialischen Dimension der Schlacht von Bunker Hill nicht nur den Gedanken des heldenhaften Opfertodes, wie er auch in Schubarts Text angedeutet wird, sondern verdeutlicht darüber hinaus auf eindringliche Weise, dass sich in der Memorialkultur unterschiedliche künstlerische Medien wie Malerei und Literatur derselben Methoden und kollektiven religiösen Topoi bedienen können, um ihre politischen und philosophischen Botschaften zum Ausdruck zu bringen und den Rezipienten zu stimulieren. Sowohl bei Trumbull als auch bei Schubart findet eine Heldenverehrung durch die Übernahme tradierter ikonografischer bzw. literarischer Darstellungsweisen sowie die Sakralisierung der Heldenfiguren durch eine Postfiguration Christi statt. Die ultimative Opferbereitschaft, die mit der Losung „Sieg oder Tod“ einhergeht, ist Ausdruck dieses mit traditionellen christlichen Werten kompatiblen Sakralisierungsprozesses des Gemäldes bzw. Gedichtes (vgl. das Jesuswort: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“82), der das visuell bzw. literarisch Dargestellte in ein höheres
81 Aus christlicher Sicht interpretiert könnte hiermit die Auferstehung und das Ewige Leben angedeutet sein. In ein ähnliches, „transzendentes“, Licht ist der sterbende General James Wolfe (1727–1759) in Trumbulls Gemälde Death of General Wolfe (Abb. 7) gehüllt, das zahlreiche Parallelen zum Death of General Warren aufweist und ebenfalls sehr stark an die Kreuzabnahmeszene erinnert. Eine postmortale Existenz erkennt dem amerikanischen Freiheitskämpfer auch der Mainzer Professor Franz Lehne (1771–1836) in seinem im Jahr 1800 zu Ehren des im Jahr zuvor verstorbenen ersten amerikanischen Präsidenten verfassten Gedicht Todesfeier Washington’s (G399) zu. In der neunten von insgesamt zwölf Strophen beschreibt der Sprecher, dass Washington, der eine Apotheose erfährt, bereits von Warren und Franklin im Jenseits erwartet wird. Er erklärt: Dein harret längstens schon von Lethe’s Strand Des kühnen Warren’s brüderlicher Schatten, Und Aller, die gekämpft für Freiheit hatten; – Dem guten Franklin gib zuerst die Hand! Lehne: Todesfeier Washington’s. 9. Strophe, S. 363 [G399]. 82 Joh 15,13.
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Geschehen einbettet und ihm damit einen geradezu metaphysischen Wirkungsgrad einräumt. Die Schlussformel des Freyheitsliedes enthält jedoch, wie das mutmaßliche Bekenntnis Warrens, auch eine Komponente, die sich wesentlich schwerer mit christlichen Überzeugungen vereinbaren lässt. Denn sie fordert nicht nur die Bereitschaft ein, den eigenen Tod, sondern auch denjenigen anderer in Kauf zu nehmen.83 In der Tat war unter den Patrioten die Meinung nicht unbekannt, dass die Aufrechterhaltung der Freiheitsrechte lediglich mit der Bereitschaft, einen Blutzoll zu leisten, erreicht werden könnte. 1787 schrieb Thomas Jefferson (1743– 1826; reg. 1801–1809) am Vorabend der Französischen Revolution aus Paris an William Stephens Smith (1755–1816): „The tree of liberty must be refreshed from time to time with the blood of patriots & tyrants. It is it’s natural manure.“84 Und tatsächlich findet sich auch in Johann Jacob Meyens (1731–1797) 1787 publizierten Epos Franklin der Philosoph und Staatsmann (s. u.) die Ansicht, dass „Freiheit ein Schatz ist, der wol mit Blute erkauft wird“85. Der Radikalität und den binären Konzeptionen in den finalen Versen der letzten beiden Strophen entspricht das allgemein propagierte manichäische Weltbild, welches das gesamte Gedicht durchzieht. Es wird ein dezidiertes Oppositionsverhältnis zwischen den im negativen Licht erscheinenden Briten und den Kolonisten aufgebaut, die für sich eine moralische Superiorität in Anspruch nehmen. Während die Patrioten als mutige Verfechter der Freiheit und authentische, von ihrer Ideologie überzeugte Kämpfer dargestellt werden, erscheinen die
83 So war während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges für die Angehörigen verschiedener christlichen Gemeinschaften wie die Quäker der Dienst an der Waffe mit ihrem christlichen Glauben unvereinbar. Vgl. hierzu auch folgendes Bibelwort bei der Beschreibung der Gefangennahme Jesu: „Doch einer von den Begleitern Jesu zog sein Schwert, schlug auf den Diener des Hohenpriesters ein und hieb ihm ein Ohr ab. Da sagte Jesus zu ihm: Steck dein Schwert in die Scheide; denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen.“ Mt 26,51 f. Siehe auch Lk 22,50 f.; Joh 18,10 f. Der christlich-religiös motivierte Pazifismus, wie er in prominenter Weise z. B. von Desmond Doss (1919–2006) verkörpert wurde, wurde im 18. Jahrhundert auch in der deutsch-amerikanischen Lyrik thematisiert (so z. B. in G30 und G92). 84 Thomas Jefferson an William Stephens Smith. 13. November 1787. In: Jefferson: The Papers. Bd. 12, S. 356. 85 Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 4. Gesang, S. 105. In diesem Zusammenhang kann allerdings auch festgehalten werden, dass in Gotthold Ephraim Lessings (1729–1781) fünftem Ernst und Falk-Gespräch (1778), das zu Beginn die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung tangiert, Ernst zu dem Schluss gelangt: „Was Blut kostet ist gewiß kein Blut wert.“ Lessing: Ernst und Falk. 5. Gespräch, S. 56. Arno Schilson und Axel Schmitt haben darauf hingewiesen, dass der Ausspruch laut Georg Forster von Benjamin Franklin formuliert wurde. Er ist bei ihm jedoch nicht nachzuweisen. Siehe Schilson – Schmitt: Kommentar, S. 779.
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Briten als eindimensionale, räuberische und lediglich an monetären Interessen orientierte Söldner ohne moralisches Rückgrat (4. Strophe). Auffällig ist, dass die Patrioten „Kolonisten“ genannt werden. Die in den deutschen Staaten am weitesten verbreiteten zeitgenössischen Bezeichnungen für die amerikanischen Freiheitskämpfer lauteten „Amerikaner“ oder „Provinziale“.86 In der Tat fällt der Ausdruck „Amerika“ bzw. „Amerikaner“ kein einziges Mal. Stattdessen wird Kolumbus apostrophiert,87 und die Einwohner der Neuen Welt werden in Analogie zu seinem Namen „Columbier“88 genannt. Die Bezeichnung „Kolonist“ unterstreicht den zivilen Hintergrund der Patrioten, die im Gegensatz zu den Briten nicht aus pekuniären Motiven zu den Waffen greifen, sondern um für ihre Freiheit zu kämpfen. Der Ausdruck „Kolonist“, den Adelungs Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart zur Erklärung des Lemmas „Anbauer“ anführt,89 akzentuiert außerdem den grundsätzlich schöpferischen bzw. kultivierenden sowie autonomen Pioniercharakter der Patrioten und steht im Gegensatz zu den Bezeichnungen „Soldat“ oder „Söldner“, die mit Destruktion und Unterdrückung in Verbindung gebracht wurden.90 Die Wortetymologie verweist, wie auch bereits Adelung angibt, auf den lateinischen Ursprung. In der Antike war eine Colonia eine Siedlung, deren Einwohner das Römische Bürgerrecht (Civitas Romana) besaßen, zu der in der Zeit der Republik allerdings auch, wie für die Interpretation nicht unwichtig sein dürfte, die Verpflichtung zum Kriegsdienst in Zeiten der Bedrohung gehörte. Die Bezeichnung „Kolonist“ nimmt damit schon im Titel die zentrale Bedeutung des Freiheitsbegriffes für den gesamten
86 Siehe hierzu Kapitel III.6. 87 Siehe Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 1. Strophe. 3. Vers, S. 507 [G172]. 88 Ebd. 8. Strophe. 1. Vers, S. 507 [G172]. Seit dem 18. Jahrhundert war die poetische Bezeichnung „Columbia“ für den Kontinent, für Nordamerika oder für die Dreizehn Kolonien bzw. Staaten beiderseits des Atlantiks verbreitet. Siehe z. B. G198, G209, G241, G246, G252, G262, G264, G269, G272, G305, G339, G389 und G391. Zum Toponym „Columbia“ siehe den Kommentar zu G358 sowie Schlereth: Columbia, S. 937–968. 89 So heißt es in der Definition: „Der Anbauer, […] derjenige, welcher eine bis dahin ungebauete Gegend anbauet; ein Colonist, und in manchen Fällen ein Pflanzer.“ Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 1, Sp. 268. Vgl. auch folgenden Eintrag: „Die Colonie, […] ein Ort, der von Ausländern angebauet worden; eine Pflanzstadt, Pflanzung, dergleichen die Engländischen Colonien in Amerika sind. Ingleichen diejenigen Einwohner, welche sich an einem fremden Orte niederlassen, als ein Ganzes betrachtet; das Pflanzvolk. Eine Colonie in ein Land schicken. Die Französische Colonie zu Leipzig, zu Berlin u. s. f. die Franzosen, welche sich an diesen Orten niederlassen haben. Daher der Colonist, […] das Mitglied einer Colonie, ein fremder Anbauer; im Oberdeutschen ein Ansiedler. Aus dem Latein. Colonia, welches anfänglich bloß eine Meierey, einen Bauerhof bedeutete.“ Ebd., Sp. 1341. 90 Siehe hierzu Kapitel III.9.
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Text vorweg, die ja auch bereits in dem Ausdruck „Freyheitslied“91 anklingt, und setzt sie in Opposition zum Sklavenbegriff, der in der zweiten Strophe evoziert wird. Auffällig ist dabei, dass die Parenthese „(Der Sklave sah sie nie)“92 typografisch nicht durch Kommata oder Gedankenstriche, sondern durch zwei Klammern angezeigt wird, was die Semantik des Begriffes, der auf das Unfreie bzw. Einsperrende verweist, auch optisch zum Ausdruck bringt. Wie zwei Gitterstäbe oder Mauern umschließen die Klammern die Worte des Verses, die in der Mitte über den Buchstaben „s“ durch eine Alliteration mit einander verbunden bzw. „aneinander gekettet“ sind. Der Binnenreim „sie nie“93 verbindet schließlich auch das vierte und fünfte Wort des Verses, der in die „sklavisch“ befolgte feste metrische Struktur eingebunden ist.94 Der dem Sklavenbegriff entgegengesetzte Ausdruck „Kolonist“ weist also auch eine antike Komponente auf und erinnert bis zu einem gewissen Grad an das Cincinnatus-Motiv, das in der deutschsprachigen Amerikaliteratur z. B. einen entscheidenden Aspekt der Washington-Rezeption darstellte.95 Wie Lucius Quinctius Cincinnatus (ca. 519–430 v. Chr.) bzw. wie Washington sind die Patrioten, die sich selbst als gleichgestellte Kolonisten begreifen, bereit, Haus und Hof zu verlassen, um in einer Zeit der Bedrohung ihre republikanischen Rechte zu verteidigen. Der Egalitätsgedanke der Amerikaner spiegelt sich in der Wortwahl ihrer gegenseitigen Anrede wider. Dem nicht näher personalisierten anonymen Gegner, der lediglich als „Britte“96 in der Singularform apostrophiert wird97 und nicht wie Kolumbus oder Putnam mit individuellem Namen in Erscheinung tritt, wird die durch tiefe geistige familiäre Relationen definierte Kollektivität der als „Columbier“98 bezeichneten amerikanischen Freiheitskämpfer gegenüberge-
91 Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. Titel, S. 507 [G172]. 92 Ebd. 2. Strophe. 2. Vers, S. 507 [G172]. 93 Ebd. 2. Strophe. 2. Vers, S. 507 [G172]. 94 Das gesamte Gedicht ist zwar durch ein grundsätzlich regelmäßiges Schema gekennzeichnet, allerdings weist der jeweils vierte Vers jeder Strophe, wie bereits erwähnt wurde, eine gewisse Variation bzw. Freiheit auf, da sich hier nicht, wie bei der klassischen Chevy-Chase-Strophenform zu erwarten wäre, drei Jamben finden, sondern ein Jambus mit einem Anapäst kombiniert wird. 95 Siehe Kapitel VIII.6. 96 Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 4. Strophe. 1. Vers, S. 507 und 8. Strophe. 3. Vers, S. 508 [G172]. 97 Siehe ebd. 4. Strophe. 1. Vers, S. 507 und 8. Strophe 3. Vers [G172]. 98 Ebd. 8. Strophe. 1. Vers, S. 508 [G172].
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stellt.99 Bei den Kolonisten handelt es sich um gleich zweimal als „Brüder“100 angerufene Kameraden, die von ihrem „Vater“101, Israel Putnam (Abb. 8 f.), angeführt werden.102 Der in der dritten Strophe zum ersten Mal erwähnte amerikanische General, dessen militärisches Engagement in der Schlacht von Bunker Hill von den zeitgenössischen Patrioten als heldenhaft gefeiert wurde, fungiert als bewunderns- und nacheifernswertes Muster sowie als unerschütterliche Richtgröße. Diese Darstellung korrespondiert mit der zeitgenössischen Rezeption Putnams in der deutschsprachigen Literatur, in der besonders seine imposante Erscheinung sowie außergewöhnliche körperliche Kraft akzentuiert wurden. In einem mit dem Titel Politisches Gespräch versehenen und in Schubarts Teutscher Chronik 1776 veröffentlichten fiktiven Gespräch, in dem Generäle der amerikanischen Kontinentalarmee vorgestellt werden, beschreibt einer der Gesprächsteilnehmer Putnam mit den Worten: „Man schildert uns die Amerikanische Generals folgender Gestalt: […] Putnam hat’s Zimmerhandwerk gelernt, versteht aber jezt die Kunst wohl, mit der Axt drein zu schlagen.“103 Wilhelm Ludwig Wekhrlin
99 Dies wird auch an der Verwendung von Kollektivpronomen wie „uns“ (ebd. 3. Strophe. 2. Vers, S. 507 [G172] und 7. Strophe. 1. Vers, S. 508 [G172]) sowie „unser“ (ebd. 4. Strophe. 2. Vers, S. 507 [G172] und 8. Strophe. 3. Vers, S. 508 [G172]) deutlich. 100 Ebd. 2. Strophe. 3. Vers, S. 507 sowie 7. Strophe. 2. Vers, S. 508 [G172]. 101 Ebd. 3. Strophe. 1. Vers, S. 507 sowie 7. Strophe. 1. Vers, S. 508 [G172]. 102 Die Beschreibung der Relationen unter den ausschließlich männlichen Patrioten im Freyheitslied mit familiären Begriffen (Vater, Bruder) erinnert an die Darstellung Großbritanniens in verschiedenen zeitgenössischen proamerikanischen Gedichten als ungerechte oder bösartige Mutter, die ihrer „Tochter“, d. h. den Kolonien in Nordamerika gegenüber nicht mütterlich auftritt. Im Trauer Lied der unterdrückten Freyheit wird die rhetorische Frage gestellt: Himmel wo ists je paßiret, Auf der gantzen weiten Erd, Daß ein Mutter massacriret Ihre Kinder mit dem Schwert. [Anonym]: Das Trauer Lied der unterdrückten Freyheit. 5. Strophe. 5.–8. Vers, S. [1] [G100]. Siehe hierzu auch G95, G138, G304 und insbesondere G93. 103 Schubart: Politisches Gespräch, S. 698. Eine kurze Erwähnung findet Putnam bei Schubart z. B. außerdem in der elften Strophe seines am 4. November 1776 in der Teutschen Chronik veröffentlichten Rollengedichtes Der Britte an Howe nach der Schlacht bey Flatland (G170), das einen britischen Sieg thematisiert und dabei den Bürgerkriegscharakter des Unabhängigkeitskampfes unterstreicht („Die Todte waren eure Brüder, / Wie ihr, voll Heldenmuth,“ [Schubart: Der Britte an Howe nach der Schlacht bey Flatland. 2. Strophe. 1 f. Vers, S. 703 (G170)]). Der Sprecher appelliert an General William Howe (1729–1814), den Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte in Nord-
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druckte in seiner Zeitschrift Chronologen eine Anekdote ab, in der Putnam als „[e] iner der nicht unberühmtesten amerikanischen Generale“104 bezeichnet wurde und als Bärentöter erschien. Präsentisch heißt es dort: Mit Einem Streich liegt der Bär todt zu seinen Füßen. Hierauf erwürgt er mit den Fäusten die zween Junge; und schleppt, troz der undurchdringlichen Finsterniß der Nacht, alle drey Raubthiere nach Hauß. […] In der Frühe wirds in der ganzen Kolonie bekannt. Die Gemeinde, welche bekanntlich aus Puritanern, das ist Erzschwärmern, besteht, beschließt daß diese That jene des Samsons und Davids noch übertreffe; und sie wird in den Akten des Staats aufgezeichnet.105
Im Freyheitslied fällt dem amerikanischen General eine herausragende Stellung zu. Er ist neben Kolumbus der einzige, der, gleich zweimal, namentlich genannt wird. Das bereits erwähnte Epitheton „Vater“ verweist auf die enge Bindung zu seinen Soldaten, mit denen er als Primus inter Pares alle Mühseligkeiten und Gefahren teilt (3. Strophe. 2. Vers).106 Er weist damit eine Charaktereigenschaft auf, die bereits in der Antike als prototypisch für eine Führungspersönlichkeit angesehen und in der deutschsprachigen Amerikaliteratur immer wieder, z. B. mit George Washington, in Verbindung gebracht wurde. So erinnert der Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee in Carl Wilhelm Theodor Frenzels (1827–1914) dreibändigen historischen Roman Freier Boden (1868; s. u.) seine Untergebenen folgendermaßen an die gemeinsame Militärzeit: „Ich habe die Gefahr der Schlachten und die Mühseligkeiten des Lagers mit Euch getheilt. Eure Siege wie Eure Leiden
amerika von 1775 bis 1778, sich wie König Georg III. (1738–1820; reg. 1760–1820) väterlich gegenüber den Besiegten zu erweisen und empfiehlt: Zerschlag die Ketten edler Bürger; Sey, wie dein König groß; Erretter ist er und nicht Würger Der Söhn’ in seinem Schooß. Ebd. 8. Strophe, S. 704 [G170]. 104 Wekhrlin (Hg.): Chronologen 10 (1781), S. 64. 105 Ebd., S. 65. Noch 1813 gedachte ein Beitrag, der in dem in Lancaster/Pennsylvania gedruckten deutsch-amerikanischen Periodikum Der Gemeinnützige Landwirthschafts Calender unter dem Titel Vortreffliche That des General Putnams erschien, des als Kriegshelden verehrten Generals. Siehe hierzu auch Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 2, S. 960. Zu Putnams Rezeption in der zeitgenössischen deutschsprachigen Lyrik siehe z. B. Gallinger: Haltung, S. 17. 106 Diese Darstellung erweckt Assoziationen zu Joseph Warrens Bereitschaft, die Truppen als einfacher Soldat zu unterstützen (s. o.).
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waren die meinigen.“107 Auch er beschwört ein familiäres Verhältnis, wenn er ergänzt: „Ihr seid meine Brüder, meine Freunde […].“108 In Schubarts Gedicht wird das Rechtsmotiv der Egalität und das der Natürlichkeit ergänzt. Im vierten Vers der dritten Strophe heißt es, dass das Haar Putnams silbern sei. Da der amerikanische General zum Zeitpunkt der Schlacht bereits 57 Jahre alt war, korrespondiert die Angabe mit dem ergrauten Haar eines Mannes in diesem Alter (siehe auch Abb. 8 f.). Die graue Farbe der Haare symbolisiert Ehrwürdigkeit,109 Altersweisheit und Erfahrungsschatz, auf die sich die Patrioten, bei denen es sich im Gegensatz zu den Briten, wie schon der Ausdruck „Kolonisten“ andeutet, um militärisch nicht professionell ausgebildete Milizen handelt, verlassen können.110 Dass die Haare Putnams silbern bzw. grau erscheinen, kann aber auch bedeuten, dass er nicht, wie im 18. Jahrhundert unter sozial höher gestellten Personen wie etwa Amtsinhabern üblich, eine Perücke trägt (in diesem Fall wäre es möglicherweise eine Perücke mit nicht ergrautem Haar), sondern dass es sich um seine eigenen, authentischen Haare handelt. In diesem Fall würde der General seine Natürlichkeit sowie seine, historisch überlieferte,111 Distanzierung vom hierarchisch definierten europäischen Standesdenken akzentuieren. In der deutsch-amerikanischen Literatur existieren verschiedene Beispiele, die deutlich machen, dass (gepuderte) Perücken als Symbol der Aristokratie gewertet werden konnten.112 In Schubarts Freyheitslied ist allerdings von „silberne[m]
107 Frenzel: Freier Boden. Bd. 3, S. 238. 108 Ebd. 109 Siehe hierzu auch Spr 16,31. 110 Die Kontinentalarmee war erst am 14. Juni, d. h. drei Tage vor der Schlacht, durch eine Resolution des Kontinentalkongresses offiziell ins Leben gerufen worden. 111 Siehe hierzu Boyer – Clark – Kett u. a.: Enduring Vison, S. 171. 112 Siehe z. B. G238, G239, G242 und G246. Zur kritischen Rezeption des Perückentragens vgl. auch folgenden antijesuitischen Beitrag, der 1788 in dem deutsch-amerikanischen Publikationsorgan Pensylvanische Zeitungen veröffentlicht wurde: „Cambridge, den 16. Jun[i]. Hier ist folgendes öffentlich bekannt gemacht worden: Dafern es den lieben Europäern noch fernerhin gefallen sollte, im Schweisse des Angesichts bey uns reich werden zu wollen; so werden wir zwar keinen Augenblick anstehen, ihnen allemal einen ansehnlichen Theil unsrer Ländereyen anzuweisen und auch für die Sicherheit ihrer Personen und erworbenen Güter gegen billige Abgaben, alle nur mögliche Sorgfalt zu tragen. Nachdem wir aber mit Entsetzen vernommen haben, daß fast alle Stände bey den Europäern von der Jesuiterey angesteckt, und um solches vor scharfsichtigen Augen zu verheelen, mit Perücken von verschiedner Form versehen seyn sollen, unter welchen sich das sichtbare Zeichen der Jesuiterey, die Tonsur, befindet, so haben wir uns aus nöthiger Vorsicht entschlossen, jedem Europäischen Emigranten, der Perücken trägt, den Eintritt in unsern freyen Staat zu versagen und alle diejenigen, welche sich des Verbots ungeacht eingeschlichen haben sollten, an die Wilden abzuliefern, die uns die fatale Tonsur höchst verhaßt gemacht und große Fertigkeit erworben haben, sie jemanden auch wider seinen Willen beyzubringen. Dank
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Haar“113 die Rede. Es handelt sich dabei einerseits um eine Farbangabe, die den hohen Wert seines Trägers verdeutlicht und andererseits auf den schimmernden Charakter verweist, der mit dem „Pharusturm“114-Vergleich im vorhergehenden Vers korrespondiert. Unter dem Lemma „Silbern“ ist in Adelungs Grammatischkritischem Wörterbuch u. a. zu lesen: „Silbern, […]. 2. Figürlich. […] (2) Versilbert, ingleichen der glänzenden Farbe des Silbers gleich; in der dichterischen Schreibart. Das kleine Fischchen spielt hier im silbernen Bach, Weiße. Silbern war sein Haar auf seiner Scheitel, Geßn.“115 Dem Eintrag zufolge kann das Adjektiv „in der dichterischen Schreibart“116 auch „[d]em hellen angenehmen Klange des Silbers ähnlich“117 bedeuten. Diese Lesart würde den synästhetischen Charakter des Reizes akzentuieren und auf die bereits erwähnte, über das gesamte Gedicht verteilte audiovisuelle Stimulation verweisen. Der Vergleich mit einem „Pharus-“, also (Hafen-)Leuchtturm,118 erweckt unmittelbare Assoziationen zum Leuchtturm von Alexandria, der sich im Hafeneingang in der Nähe der Insel Pharos befand.119 Das silberne Haar, das als pars pro toto für den amerikanischen General steht, erfüllt damit nicht nur die Funktion, während des Schlachtengetümmels wie ein Leuchtturm als fester Orientierungspunkt zu fungieren, sondern stellt Putnam in eine gewisse Relation zu einem der Sieben Weltwunder der Antike. Dem Leser bzw. Hörer begegnet hier durch die Parallelisierung von Pharosturm und Putnam eine bereits erwähnte Konzeption, der zufolge das in Europa untergegangene Ideal der Antike in Amerika restituiert ist bzw. werden kann.120 Der im Mittelalter durch Erdbeben zerstörte Pharosturm und die verlorene Welt, die er repräsentiert,
sey es übrigens der Aufklärung Europens, der wir schon vieles zu verdanken haben und die uns auch bey der gegenwärtigen Gefahr treflich zu statten kommt. Unser Poeta Laureatus hat sie in folgender Fabel besungen: Ein Affe steckt einst Carmels Hayn / Von Cedern, Nachts in Brand; / Da freut er sich, jauchzt ungemein / Als ers so helle fand. // ‚Kommt Brüder! seht was ich vermag! / Seht! Ich verwandle Nacht in Tag. // Die Brüder kamen groß und klein / Bewunderten den Glanz / Und alle fiengen an zu schreyn: / Hoch lebe Bruder Hannß. / Hoch ist er und des Preißes werth, / Er hat den Carmel aufgeklärt!“ [Anonym]: [Cambridge, den 16. Jun(i)], S. [2]f. 113 Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 3. Strophe. 4. Vers, S. 507 [G172]. 114 Ebd. 3. Strophe. 3. Vers, S. 507 [G172]. 115 Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 4, Sp. 98. 116 Ebd. 117 Ebd. 118 Vgl. folgenden Eintrag bei Adelung: „Die Hafenleuchte, […] eine große Leuchte oder ein brennendes Feuer auf einem erhabenen Orte, fremden Schiffen zur Nachtzeit den Weg in den Hafen zu zeigen; Pharus.“ Ebd. Bd. 2, Sp. 887. 119 Zur Geschichte des Pharos siehe Ekschmitt: Sieben Weltwunder, S. 184–197. 120 Siehe Kapitel III.12.
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erstehen in der Person des als heroisch, also überragend bzw. übermenschlich121 beschriebenen Generals Putnam, mit dem ihn nicht nur der gleiche Anfangsbuchstabe verbindet, wieder. Wie ein Leuchtturm, gewissermaßen auch als eine City upon a Hill (s. u.),122 scheint das Licht der Freiheit Amerikas als Exempel den unterdrückten Europäern und lädt sie ein, an ihr teilzuhaben. In der sechsten Strophe heißt: Ihr reicht den feigen Nacken, ihr, Dem Tritt der Herrschsucht dar? – Schwimmt her! – hier wohnt die Freyheit, hier! Hier flammt ihr Altar!123
Dieses Motiv wurde von Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803) auch in seiner 1790 anlässlich der Französischen Revolution entstandenen und 1798 publizierten Ode Sie, und nicht wir. An La Rochefoucauld (G302) aufgegriffen.124 Dort klagt der Sprecher in den letzten Versen über sein Vaterland: Denn du warest es nicht, das auch von dem Staube des Bürgers Freyheit erhob, Beyspiel strahlte den Völkern umher; Denen nicht nur, die Europa gebar. An Amerika’s Strömen Flamt schon eigenes Licht, leuchtet den Völkern umher. Hier auch winkte mir Trost, er war: In Amerika leuchten Deutsche zugleich umher! aber er tröstete nicht.125
Insbesondere aber im 19. Jahrhundert haben in der Erinnerungskultur verschiedene deutsch-amerikanische Memorialgedichte den besonderen Stellenwert der Schlacht von Bunker Hill als Symbol der Entschlossenheit und des Selbstbestimmungsrechts sowie ihre Funktion als transnationales Vorbild für einen ungebrochenen Freiheitswunsch akzentuiert und sich dabei des Leuchtturm-Motivs bedient. In der Jahrhundertmitte verfasste der 1845 in die Vereinigten Staaten ausgewanderte Rabbiner und Pädagoge Max Lilienthal (1815–1882) zu Ehren des 1843 fertig gestellten Bunker Hill Monuments ein Gedicht, in dem der Obelisk in der fünften Strophe mit folgenden Worten gerühmt wird:
121 Siehe hierzu auch Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 2, Sp. 1129. 122 Siehe hierzu auch den Kommentar zu G261. 123 Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 6. Strophe, S. 508 [G172]. 124 Siehe auch Kapitel V.6. 125 Klopstock: Sie, und nicht wir. 27.–32. Vers, S. 143 [G302].
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Steh’ als der Freiheit Leuchtthurm An sturmbewegter See, Daß Völker nicht verzweifeln In ihrem Freiheitsweh.126
Caspar Butz widmete der Erinnerung an den Durchhaltewillen der amerikanischen Freiheitskämpfer ebenso ein Gedicht, in dem Bunker Hill als „Ruhmesstelle“127 bezeichnet wird und die Patrioten in die Tradition der Pilgerväter von 1620/21 gestellt werden. In der vierten Strophe heißt es: Sie schlugen gut, sie fochten brav, Der Pilger Epigonen, Sie schlafen ihren Todesschlaf Im Land, wo Freie wohnen; Von ihrer Gruft winkt hochgethürmt Ihr Denkmal in die Weite, Das Denkmal, das sie sich erstürmt Im wilden Todesstreite.128
Bunker Hill erscheint bei Butz als Sinnbild des unermüdlichen Freiheitskampfes, der zwar in Amerika zur Unabhängigkeit und Selbstbestimmung geführt hat, für zahlreiche europäische Staaten aber noch allergrößte zeitgenössische politische Aktualität besitzt. Allgemein urteilt der Sprecher über die Welt: „Sie braucht ein neues Bunkerhill / Auf’s Neu sie frei zu schlagen.“129 In der folgenden Strophe benennt er konkrete geografische Räume in Europa (Ungarn, Polen, Italien und Frankreich), denen er mit folgenden Worten eine eigene „Bunker Hill-Erfahrung“ wünscht: Ein Bunkerhill, Dir, Magyar Auf der Karpathen Höhen, Auch Dir, o Polen auf der Bahr’, Zum zweiten Auferstehen. Und Dir, Italien, grabesstill, Dir, Frankreich, reich an Schande Doch Dir das rechte Bunkerhill, Dir, meinem Vaterlande!130
126 Lilienthal: Der Obelisk auf Bunkershill. 5. Strophe, S. 15. 127 Butz: Auf Bunkerhill. Abschnitt 1852. 2. Strophe. 8. Vers, S. 282. 128 Ebd. 4. Strophe, S. 282. 129 Ebd. 5. Strophe. 7 f. Vers, S. 282. 130 Ebd. 6. Strophe, S. 282.
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In Schubarts Freyheitlied verkörpert Israel Putnam den transnational gültigen unerschütterlichen Freiheitswunsch und -kampf, und in seiner Figur personalisiert sich gewissermaßen die transatlantische Ausstrahlungskraft der Bunker Hill-Symbolik, wie sie im 19. Jahrhundert später auch von Lilienthal und Butz beschrieben wurde. Putnam erscheint nicht nur wie ein idealer antiker Herrscher, wie etwa Augustus (63 v. Chr.-14 n. Chr.; reg. 27 v. Chr.-14 n. Chr.), als Pater Patriae und Primus inter Pares, sondern er erfährt zusätzlich eine Sakralisierung, die als christlich konnotiert interpretiert werden kann. Im ersten Vers der dritten Strophe ist zu lesen bzw. zu hören, dass Putnam den Sturm lenkt. Der Ausdruck „Sturm“ verweist zum einen auf den Angriff der Kämpfer, die der General in die militärische Auseinandersetzung anführt, und zum anderen auf die meteorologische Erscheinung, die mit dem „Pharusturm“ korrespondiert.131 Die Vorstellung, dass Putnam einen Sturm lenkt, erweckt jedoch auch Assoziationen zu der in der Bibel beschriebenen Kontrolle eines heraufgezogenen Sturmes durch Jesus.132 Ergänzt wird die Postfiguration bzw. Imitatio Christi dadurch, dass der amerikanische General bzw. sein Haar wie ein Leuchtturm, also eine feste Lichtquelle in der Dunkelheit und im Durcheinander des Sturmes erscheint. Dies wiederum erinnert an die Lumen Christi-Vorstellung, die zur Liturgie in der Osternacht gehört, und an Jesu Selbstzeugnis: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.“133 Dieser Lesart zufolge würde den Kolonisten die Rolle der Nachfolger Jesu bzw. seiner Jünger zufallen. Wie von Jesus wird auch in Schubarts Gedicht die geistige, nichtbiologische Verwandtschaft der als „Brüder“ apostrophierten Gefährten in den Vordergrund gerückt. Umgekehrt heißt es von den wahren Verwandten Jesu im Matthäusevangelium: „[…] [W]er den Willen meines himmlischen Vaters erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.134 Putnam erfüllt die Funktion einer festen Orientierungsgröße bzw. eines Idols, aber er beobachtet die Ereignisse nicht wie ein (europäischer) Feldherr in Sicherheit und ohne Teilnahme z. B. von einer Anhöhe aus der Distanz, sondern er setzt sich wie die einfachen Kolonisten den drohenden Gefahren aus und ist Teil ihres Wahrnehmungshorizontes. Auch in der Bibel wird die Inkarnation Jesu und seine
131 Dieser wiederum steht durch die Wasser-Motivik in einer gewissen Relation zu dem in der vorletzten Strophe erwähnten Meer (s. u.). 132 Siehe Mt 8,23–27; Mk 4,35–41; Lk 8,22–25. 133 Joh 8,12b. 134 Mt 12,50.
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Teilhabe an der Lebenswirklichkeit der nichtprivilegierten Bevölkerung hervorgehoben. Die Postfiguration Putnams nach dem Vorbild Christi stellt nahezu den größten vorstellbaren Antagonismus zu der Darstellung der in der fünften Strophe erwähnten europäischen Untertanen dar, da diese als „Sklaven“135 und sogar „würgbares Vieh“136 bezeichnet und dadurch nicht nur als unfrei beschrieben, sondern geradezu animalisiert bzw. deanthropomorphisiert werden. Wenn sie dazu aufgefordert werden, dem Beispiel der Amerikaner zu folgen, die sich in einem aktuellen Prozess der Befreiung befinden, dann wird Israel (!) Putnam zu einer Art zweiter Moses, der sein Volk in die Freiheit führt. Der „Treiber“137 bzw. „Tyrann“138, von dem in der fünften Strophe die Rede ist, erscheint in diesem Sinne als gnadenloser Pharao gemäß Ex 5,6–9 und 5,13 f. Die im dritten Vers der fünften Strophe gewählte Wortwahl und -kombination deutet bereits eine biblische Konnotation an. So heißt es bei Zedler unter dem Lemma „Treiber“: „Treiber werden in der Schrifft genennet die Tyrannen Jes. XIV,4; der Teuffel IX,4; und diejenigen welche durch Gewalt und Gesetze die Menschen fromm machen wollen in eigenen Wercken Psalm LIII,6.“139 Die unterdrückten europäischen Sklaven sind wie die Israeliten in Ägypten durch eine Wasserbarriere (Atlantischer Ozean-Schilfmeer/Rotes Meer) vom Ort der Freiheit und Selbstbestimmung getrennt, und Amerika wird damit zum neuzeitlichen Gelobten Land.140 In der deutschsprachigen Amerikalyrik handelt es sich auch hierbei um einen gängigen Topos, der insbesondere in der Auswanderungsliteratur des 19. Jahrhunderts häufig artikuliert wurde. Aber bereits Gottlieb Conrad Pfeffels (1736–1809) 1790 im zeitlichen Umfeld der Französischen Revolution publiziertes Gedicht Die drey Stände (G293) beginnt mit dem Vers „Die Freyheit kam aus Penns gelobtem Land,“141 und ein anonymes, Anfang des 19. Jahrhunderts entstandenes Gedicht (G315), das die Emigration der sog. Rappisten bzw. Harmonisten142 the-
135 Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 5. Strophe. 1. Vers, S. 508 [G172]. 136 Ebd. 5. Strophe. 4. Vers, S. 508 [G172]. 137 Ebd. 5. Strophe. 3. Vers, S. 508 [G172]. 138 Ebd. 139 Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Bd. 45, Sp. 350. 140 Zur Wahrnehmung der Neuen Welt bzw. der USA als Gelobtes bzw. Verheißenes Land siehe das Einleitungskapitel hier sowie G249, G261, G293, G313 und G315. 141 Pfeffel: Die drey Stände. 1. Vers, S. 160 [G293]. 142 Siehe hierzu den Kommentar zu G313.
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matisiert, wird mit den Versen eingeleitet: „Auf Brüder es ist da, die Zeit daß wir abreissen / nach Nord America, in das gelobte Land“143. In Schubarts Freyheitslied ist allgemein eine durch zahlreiche religiöse Anspielungen gespeiste Sakralisierungstendenz festzustellen, die das gesamte Gedicht durchzieht. Schon in der zweiten Strophe wird berichtet: „Die Göttin Freyheit mit der Fahn – / […] / Geht – Brüder sehts! sie geht voran!“144 Zum einen erinnert die „Göttin Freyheit“ an die antike römische Personifikation der Freiheit als Libertas, die in ihrer ursprünglichen oder leicht adaptierten Form, so etwa als Freiheitsstatue („Lady Liberty“; Abb. 10), bis heute auch in der Amerika-Ikonografie einen festen Platz einnimmt und z. B. auf Gedenkmünzen mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung bzw. Freiheit in Verbindung gebracht wurde (Abb. 11). Zum anderen erweckt das in dieser Strophe beschriebene Bild der mit einer Fahne voranschreitenden personifizierten Freiheit Assoziationen zu dem ikonischen, anlässlich der Julirevolution von 1830 in Frankreich entstandenen Gemälde Die Freiheit führt das Volk (La Liberté guidant le peuple; Abb. 12) von Eugène Delacroix (1798–1863). In jedem Fall trägt die Vergöttlichung der Freiheit zur religiösen Aufladung des Textes bei, die schließlich in einen christlichen Kontext eingebettet wird. Die hohe Bedeutung der Freiheit in der christlichen Theologie und ihre Affinität zum christlichen Erlösungsgedanken verdeutlicht das Paulus (gest. zw. 60 und 68) zugeschriebene Bibelwort im Galaterbrief: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!“145 Die emphatische Aufforderung „O blutet vor sie!“146 im vierten Vers der Strophe greift den Aufopferungsgedanken, wie er in der finalen Strophe erneut artikuliert wird, auf und erweckt vor dem Hintergrund des bereits erwähnten, in der dritten Strophe evozierten biblischen Szenarios, Assoziationen an den Märtyrergedanken (vgl. die seit der Frühen Neuzeit verbreitete deutsche Übersetzung von „Märtyrer“ als „Blutzeuge“147) und an den christlichen Opfertod in der Passionsgeschichte. Das Voranschreiten der Göttin Freiheit bzw. von Putnam-Christus
143 [Anonym]: [Auf Brüder es ist da, die Zeit daß wir abreissen]. 1. Strophe. 1 f. Vers, S. 448 [G315]. 144 Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 2. Strophe. 1. und 3. Vers, S. 507 [G172]. 145 Gal 5,1. 146 Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 2. Strophe. 4. Vers, S. 507 [G172]. 147 So bei Adelung: „Der Märterer, […]. 2) In gewöhnlicher und leidentlicher Bedeutung derjenige, welcher gemartert wird. Doch nur in engerm und mehr eigentlichem Verstande, derjenige, welcher um des Bekenntnisses der christlichen Religion willen hingerichtet, oder doch gemartert worden; ein Blutzeuge. Stephanus war der erste Märterer der christlichen Kirche.“ Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 3, Sp. 87.
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vor den Kolonisten, die der oben erwähnten Analogie zufolge den Jüngern bzw. Nachfolgern Jesu entsprechen, erinnert wiederum an die Botschaft des Engels im leeren Grab nach der Auferstehung Christi. Den Anhängern Jesu teilt dieser mit: „Nun aber geht und sagt seinen Jüngern, vor allem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“148 Auf die Freiheit verweist schließlich auch die sechste Strophe wieder, in der es über Amerika heißt: „Hier flammt ihr Altar!“149 Bei „Altar“ handelt es sich um einen schon per Definition sakral aufgeladenen Ausdruck. Der Eintrag unter dem entsprechenden Lemma bei Adelung150 erwähnt zwei Aspekte, die auch für das Freyheitslied von großer Bedeutung sind. Es handelt sich hierbei um den Opfergedanken sowie die Funktion des Altars für die Eucharistiefeier. Auf die vor allem in der finalen Strophe zum Ausdruck gebrachte Aufopferungsbereitschaft, die in der christlichen Tradition steht, ist bereits hingewiesen worden. Aber auch bei der Eucharistiefeier ist der Opfergedanke präsent, da in dieser der Sündenvergebung durch Jesu Opfertod gedacht wird.151 Die Feier des Letzten Abendmahles, an die bei jeder Eucharistiefeier erinnert wird, bedeutet aber zugleich auch die Aktualisierung des Bundes (als sog. Neuer Bund) zwischen Gott und den Menschen, der im Zusammenhang mit der Befreiung der Israeliten aus ihrer Knechtschaft und ihrem Auszug aus Ägypten geschlossen wurde.152 Die Verbindung des Ausdrucks „Altar“ mit dem Verb „flammen“ erinnert darüber hinaus an die Ankündigung der Geburt Simsons (auch Samson) im Buch der Richter. Dort heißt es: „Als die Flamme vom Altar zum Himmel aufstieg, stieg der Engel des Herrn in der Flamme des Altars mit empor.“153 Die Figur des „Löwentöters“154 Simson korrespondiert wiederum mit der Wahrnehmung des „Bärentöters“ Putnam. Insbesondere die Akzentuierung der Haare beider Figuren stellt ein
148 Mk 16,7. 149 Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 6. Strophe. 4. Vers, S. 508 [G172]. 150 Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 1, Sp. 235 f. 151 Siehe Lk 22,19–20; Mt 26,26–28; Mk 14,22 f. 152 Siehe Ex 19,1–6. Mit dem Ausdruck „Altar“ kann in diesem Zusammenhang aber auch der sog. Noachbund in Verbindung gebracht werden, d. h. der Bund, den Gott mit Noach nach dem Ende der Sintflut schließt (vgl. Gen 9,1–17), da dieser JHWH nach dem Landgang einen Altar baut und ein Opfer darbringt (siehe Gen 8,18–21). 153 Ri 13,20a. 154 Vgl. hierzu folgende Bibelstelle: „Simson ging [mit seinem Vater und seiner Mutter] nach Timna. Als sie bei den Weinbergen von Timna waren, kam ihm plötzlich ein brüllender junger Löwe entgegen. Da kam der Geist des Herrn über Simson und Simson zerriss den Löwen mit bloßen Händen, als würde er ein Böckchen zerreißen. Aber seinem Vater und seiner Mutter teilte er nicht mit, was er getan hatte.“ Ri 14,5 f.
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wichtiges gemeinsames Element dar. Laut dem Buch der Richter lag der Grund für Simsons übermenschliche Kraft, die ihn für die Philister unbesiegbar machte, in seinen Haaren. Delila, die ihn verführt hat, offenbart er schließlich: „Ein Schermesser ist mir noch nicht an die Haare gekommen; denn ich bin von Geburt an Gott als Nasiräer geweiht. Würden mir die Haare geschoren, dann würde meine Kraft mich verlassen; ich würde schwach und wäre wie jeder andere Mensch.“155 Erst das Scheren von Simsons Haaren durch Delila ermöglicht es, dass er von den Philistern besiegt und gefangen genommen werden kann. Das Nachwachsen der Haare führt allerdings wieder zur Regeneration seiner Kraft. Erscheint also Putnam gewissermaßen auch als Postfiguration Simsons und leuchtet sein Haar wie ein „Pharusturm“ silbern, dann kann dies möglicherweise als ein Symbol für die vollständig erhaltene Kraft des Anführers verstanden werden. So wie es Simson gelingt, einen bedrohlichen Löwen zu töten, wird es auch Putnam gelingen, den „britischen Löwen“ niederzuringen. Der Ausdruck „Altar“ eröffnet allerdings noch eine weitere Interpretationsmöglichkeit. Zedlers Universal-Lexicon bestätigt, dass der alttestamentarische Brandopferaltar „gegen Morgen“156 bzw. im Tempel „in Osten, aber doch etwas Mittag-werts“157 stand. Die Positionsangabe Osten bzw. Nordosten entspricht der geografischen Orientierung der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung an der Ostküste Nordamerikas bzw. im Nordosten in Neuengland (Boston) als ihrem Ursprungsgebiet. Außerdem unterstreicht die geografische Angabe die potentielle Wirkkraft des Altars auf Europa. Dem Eintrag bei Zedler zufolge musste „[a]uf dem Altar […] ein bestaendiges Feuer unterhalten werden“158. Der in der drittletzten Strophe evozierte Altarbegriff spiegelt damit gewissermaßen die transatlantische Ausstrahlungskraft des in der dritten Strophe erwähnten „Pharus-“ bzw. Leuchturmes von Alexandria wider, dessen Feuer ebenfalls Tag und Nacht brannte. Ebenso handelte es sich auch beim Pharosturm, mit dem das Haar Putnams verglichen wird, um ein zumindest sakralisiertes Bauwerk, da sich an dessen Spitze eine antike religiöse Figur, möglicherweise eine Poseidon- oder Zeus Soter-Statue befand.159
155 Ri 16,17b. 156 Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Bd. 1, Sp. 1527. 157 Ebd. 158 Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Bd. 1, Sp. 1529. 159 Siehe hierzu Thiersch: Pharos, S. 13. Vgl., dass das Epitheton „Soter“ (Retter, Heiland) auch mit Christus in Verbindung gebracht wurde.
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In jedem Fall erscheint der Altar als Ort einer metaphysischen Kontaktaufnahme mit einer transzendenten Entität. Seine Situierung in Amerika verdeutlicht aus europäischer Perspektive die transatlantische Präsenz der Libertas bzw. in christlicher Interpretation die Gegenwart Gottes in der Neuen Welt. Amerika erscheint damit nicht nur als Ort der Restitution der Antike, sondern erfährt eine Sakralisierung, die das Geschehen um die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung in das eschatologische Heilsgeschehen einbettet. Die manichäisch beschriebene Auseinandersetzung zwischen den an die „Göttin Freyheit“160 glaubenden Kolonisten, die als Söhne des Leuchtturms „Vater Putnam“161 auch als Kinder des Lichts bezeichnet werden könnten,162 und ihren Widersachern mutet dadurch gewissermaßen als Prolepse des apokalyptischen Endzeitkampfes zwischen Gut und Böse bzw. dem Licht und der Finsternis an. Auch das in der folgenden Strophe evozierte Motiv des Ins-Meer-Stürzens kann Assoziationen zur Bibel erwecken. So kommen die das auserwählte Volk Israel verfolgenden Ägypter auf Geheiß JHWHs im zurückflutenden Meer um.163 Im Matthäusevangelium wird beschrieben, wie Jesus Besessene von Dämonen heilt und diese in eine Schweineherde fahren lässt, die sich einen Abhang hinabstürzen und im Meer umkommen.164 In beiden Fällen sind die diejenigen, die durch das Meer vernichtet werden, wie im Freyheitslied negativ konnotiert. Schubarts Gedicht endet wie bereits erwähnt mit der Ankündigung der Alternative „Sieg oder Tod“165. Der Finalcharakter des Schlusswortes, dem aufgrund seiner besonderen Stellung in einem Gedicht immer eine exzeptionelle Rolle zufällt, da es den Schlussakzent des Gesamttextes markiert, mit dem der Leser bzw. Hörer entlassen wird (unterstrichen wird im Freyheitslied die exponierte Position durch die metrische Struktur, die an dieser Stelle eine Hebung aufweist), spiegelt sich in der Semantik des Wortes „Tod“ wieder und wird bereits zwei Verse zuvor in dem Ausdruck „sonnenroth“166 in gewisser Hinsicht vorweggenommen. Die
160 Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 2. Strophe. 1. Vers, S. 507 [G172]. 161 Ebd. 3. Strophe. 1. Vers, S. 507 [G172]. 162 Siehe hierzu auch Eph 5,8 und 1 Thess 5,5. 163 Siehe Ex 14,27 f. 164 Siehe Mt 8,28–32. Besonders deutlich ist die Parallele zur Wortwahl in Schubarts Gedicht in der Lutherübersetzung letzter Hand. Dort lauten die letzten zitierten Verse: „Vnd er sprach / faret hin. Da furen sie aus / vnd füren in die herd Sew / Vnd sihe / die gantze Herd sew störtzet sich mit einem sturm ins Meer / vnd ersoffen im wasser.“ Mt 8,32 [Lutherübersetzung 1545]. Siehe auch Mk 5,1–13; Lk 8,26–33. 165 Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 8. Strophe. 4. Vers, S. 508 [G172]. 166 Ebd. 8. Strophe. 2. Vers, S. 508 [G172].
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Farbangabe korrespondiert mit der Evokation des Imperativs „blutet“167 im vierten Vers der zweiten Strophe, das wie der finale Vers den Aufopferungsgedanken berührt und akzentuiert damit auch die Todes-Atmosphäre, die in der Schlussstrophe generiert wird. „Sonnenroth“ lässt einerseits an die untergehende bzw. untergegangene Sonne denken, die den Tagesabschluss ankündigt und damit zum Endcharakter der letzten Strophe beiträgt. Die Schlussformulierung „Sieg oder Tod“ enthält jedoch noch eine zweite Komponente, diejenige des Triumphes und des Lebens. In diesem Sinne kann das „sonnenroth“ auch als Indikator für die aufgehende Sonne verstanden werden, da den optischen Erscheinungen des Abendrots diejenigen der Morgenröte entsprechen. Gemeinsam ist beiden der Zäsurcharakter, der sich auch im Freyheitslied wiederfindet. Die Schlussstrophe könnte demnach nicht nur das Ende, den Tod, sondern auch einen Neuanfang, gewissermaßen den Sieg über den Tod, einleiten. Auf die Parallelen zur Passions- und Auferstehungsgeschichte ist bereits eingegangen worden, und so ist in diesem Zusammenhang auf eine Stelle im ersten Brief des Paulus an die Korinther hinzuweisen, wo die Bedeutung des christlichen Erlösungsgedankens folgendermaßen zum Ausdruck gebracht wird: „Wenn sich aber dieses Vergängliche mit Unvergänglichkeit bekleidet und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit, dann erfüllt sich das Wort der Schrift: Verschlungen ist der Tod vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“168 Die Tangierung des Resurrektionsgedankens in der finalen Strophe wird dadurch unterstrichen, dass das gesamte Gedicht aus acht Strophen besteht und die Zahl Acht in der christlichen Interpretation für die Auferstehung steht. So heißt es beispielsweise im sog. Barnabasbrief, der wahrscheinlich nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem (70 n. Chr.) und vor dem Bar-Kochba-Aufstand (132–135 n. Chr.) entstand: „Deshalb begehen wir auch den achten Tag uns zur Freude, an dem auch Jesus von den Toten auferstanden und, nachdem er erschienen war, in den Himmel aufgestiegen ist.“169 Die Resurrektionszahl Acht ist außerdem bereits indirekt durch den „Pharusturm“ aufgegriffen worden, da das zweite Geschoss des Leuchtturms von Alexandria wahrscheinlich ein Oktogon bildete, über dem sich ein Zylinder-Geschoss befand, in dem das Leuchtfeuer brannte (Abb. 13).170 Die Auferstehung der Toten beim Jüngsten Gericht deutet indirekt auch der Ausdruck „Feldgeschrey“171 im vorletzten Vers an. Bei Adelung ist unter dem
167 Ebd. 2. Strophe. 4. Vers, S. 507 [G172]. 168 1 Kor 15,54 f. 169 Barnabasbrief. 15. Kapitel, 9, S. 183 (Übersetzung: Wengst). 170 Vgl. Thiersch: Pharos, S. [84]f. 171 Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 8. Strophe. 3. Vers, S. 508 [G172].
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Eintrag „Das Feldgeschrey“ u. a. zu lesen: „In Hrn. Michaelis Übersetzung, ein Schlachtgeschrey, Kriegsgeschrey. Der Herr wird mit einem Feldgeschrey hernieder kommen, 1 Thess. 4, 16.“172 Und in der entsprechenden Bibelstelle heißt es in der Lutherübersetzung letzter Hand: Denn er selbs der HErr wird mit einem Feldgeschrey vnd stimme des Ertzengels / vnd mit der posaunen Gottes ernidder komen vom Himel / Vnd die Todten in Christo werden aufferstehen zu erst. Darnach wir / die wir leben vnd vberbleiben / werden zu gleich mit denselbigen hin gerückt werden in den wolcken / dem HErrn entgegen in der lufft / vnd werden also bey dem HErrn sein alle zeit.173
Der Sakralisierungsprozess, der als „Christianisierung“ des Textes durch die zahlreichen religiösen Anspielungen und Parallelisierungen mit der christlichen Eschatologie bezeichnet werden kann, führt dazu, dass der Freiheitskampf, also die Insurrektion gegen das Mutterland, als religiös sanktioniert und implizit sogar gottgewollt dargestellt wird. Vor diesem Hintergrund lässt sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sogar vermuten, dass es sich bei der aus einem eventuellen Sieg der Kolonisten hervorgehenden neuen amerikanischen Gesellschaftsordnung um eine Antizipation des Reiches Gottes, eine Art Abbild des Himmlischen Jerusalems, handeln würde. An diesem neuen eschatologischen Gemeinwesen sollen, wie der Sprecher, der sich, wie er selber explizit und stark appellativ akzentuiert, nicht nur an die anderen Kolonisten, sondern auch an die transatlantische Welt richtet (5 f. Strophe), auch die Europäer teilhaben. Durch die Folie des amerikanischen Unabhängigkeitskampfes gelingt es Schubart damit, auf der Metaebene eine heftige Kritik auch an den zeitgenössischen Zuständen in den Duodezstaaten zu artikulieren und sein europäisches deutschsprachiges Publikum, an das sich der politische Apell des hochpolitischen Freyheitsliedes wohl eigentlich richten sollte, zum entschlossenen Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse und zur Nachahmung des amerikanischen Vorbildes zu animieren. Dass das Gedicht aus deutscher Perspektive verfasst wurde, wird schließlich nicht nur an der wahrscheinlichen Aussprache von „Boston“ (s. o.), sondern auch daran deutlich, dass das poetische Subjekt den Ausdruck „Britte[n]“174 zur Bezeichnung der Gegner verwendet. Es ist aber in der Forschung wiederholt darauf aufmerksam gemacht worden, dass eine explizite Distinktion zwischen Briten der britischen Inseln einerseits und Nicht-Briten in den Dreizehn Kolonien
172 Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 2, Sp. 95. 173 1 Thess. 4,16 f. [Lutherübersetzung 1545]. 174 Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 4. Strophe. 1. Vers, S. 507 und 8. Strophe. 3. Vers, S. 508 [G172].
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andererseits (etwa als „Columbier“) nicht dem zeitgenössischen Selbstverständnis der Kolonisten in Nordamerika entsprach, da sich diese zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend selbst als Briten empfanden, die sich durch ihren König bzw. das Parlament ungerecht behandelt fühlten.175
175 Siehe hierzu auch Kapitel VIII.4.1. So hat aus diesem Grund die Forschung beispielsweise darauf hingewiesen, dass der berühmte Warnruf „The British are coming“, den Paul Revere (1735– 1818) auf seinem von Legenden umgebenen, von Henry Wadsworth Longfellow (1807–1882) 1860 in höchst prominenter Weise in einer Ballade literarisierten, Mitternachtsritt in den Siedlungen in Neuengland ausgerufen haben soll, um die ansässige Bevölkerung vor den heranrückenden königlichen Truppen zu warnen, für die Kolonisten widersinnig geklungen haben müsste und daher von Revere mit hoher Wahrscheinlichkeit nie wirklich artikuliert wurde. Zu den Mitternachtsritten der Patrioten in Neuengland siehe Tourtellot: Lexington and Concord, S. 81–117.
III „Sey mir willkommen! Land der Freyheit! Werdender Staat! O möchtest du dein Glück einsehen, und dich dessen bedienen!“ Der zeitgenössische Amerikadiskurs in David Christoph Seybolds (1747–1804) Briefroman Reizenstein. Die Geschichte eines deutschen Officiers (1778/79) 1 Reizenstein als ein Schlüsselwerk der europäischen deutschsprachigen Amerikarezeption im 18. Jahrhundert David Christoph Seybolds1 1778 und 1779 in zwei Teilen veröffentlichter Briefroman Reizenstein. Die Geschichte eines deutschen Officiers2 stellt einen der zentralen fiktionalen Texte in der deutschsprachigen Rezeptionsgeschichte der Amerikanischen Revolution dar. Wynfried Kriegleder, der 2003 einen Nachdruck
1 Seybold wurde im württembergischen Brackenheim geboren und erhielt in Blaubeuren, Bebenhausen und Tübingen eine theologische Ausbildung (Mag. art. 1767). Nach philologischen Studien in Halle ab 1769 und einer finanziell nicht entlohnten Professur für Klassische Philologie in Jena ab 1771 war der Autor ab 1774 als Rektor des Gymnasiums in Speyer, ab 1776 in Grünstadt i. d. Pfalz, ab 1779 in Buchsweiler i. Elsaß tätig. Im Umfeld der Französischen Revolution wurde Seybold 1793 mit dem Vorwurf antifranzösischer Aktivitäten konfrontiert und infolgedessen für vier Wochen in einem Straßburger Gefängnis eingesperrt. Ab 1796 bekleidete er bis zu seinem Tode die neu geschaffene Position eines Tübinger Professors für alte Sprachen und Literatur und setzte sich hier intensiv für die Förderung der Erhaltung der antiken Literatur ein. Zu seinen wichtigsten Werken neben Reizenstein gehören die Predigten des Magister Sebaldus Nothanker (1774–76), Hartmann, eine Wirtembergische Klostergeschichte (1778), Barbara Pfisterin. Ein Roman aus dem bürgerlichen Leben (1782) und das Fragment Amalia Welserin. Daneben betätigte sich Seybold u. a. als Übersetzer (z. B. Alceste ein Trauerspiel der Euripides [1774]), als Herausgeber des Magazins für Frauenzimmer (1782–1787; 1788–1791: Neues Magazin für Frauenzimmer) sowie mit Johann Friedrich Mieg (1744–1819) als Herausgeber des kurzlebigen Rheinischen Zuschauers (1778). Zur Biografie Seybolds siehe Angerbauer: Zabergäu, S. 47–49; DBE: Seybold, S. 296 f.; Holder: Brackenheimer Familie, S. 8–13; Kreut: Rheinische Zuschauer, S. 378 f.; Kriegleder: Nachwort, S. 401 f; Müller: Seybold, Sp. 533–535; Schön: Seybold, S. 79 f.; Stolte: Leiden, S. 172–176; Weber: Seybold, S. 776–778; Wippern: Zeit, S. 33–64. 2 David Christoph Seybold: Reizenstein. Die Geschichte eines deutschen Officiers. Theil 1. Leipzig 1778; David Christoph Seybold: Reizenstein. Die Geschichte eines deutschen Officiers. Theil 2. Leipzig 1779. https://doi.org/10.1515/9783110644739-003
1 Reizenstein als ein Schlüsselwerk der deutschsprachigen Amerikarezeption
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des Textes herausgab,3 bezeichnete Reizenstein als den „erste[n] Roman, der die amerikanische Revolution extensiv thematisiert“4 bzw. als „erste[n] deutschsprachige[n] USA-Roman von Gewicht“5. Dabei ist eine große Diskrepanz zwischen der Bedeutung des Romans als Text der deutschsprachigen Amerikaliteratur einerseits und seiner Stellung in der Forschungsgeschichte andererseits zu konstatieren.6 Bis auf das von Kriegleder verfasste Nachwort im Nachdruck7 und vereinzelten Erwähnungen in allgemeinen Übersichtswerken8 ist Reizenstein von der Forschung überwiegend unbeachtet geblieben.9 Der Roman stieß in zeitgenössischen Rezensionen auf ein geteiltes Echo.10 So sprach ein anonymer Rezensent des ersten Bandes in der Allgemeinen deutschen Bibliothek von „ganz unterhaltend geschriebene[n] Briefe[n]“11 und auch der aufklärerisch orientierte Märchendichter Johann Carl August Musäus (1735–1787)12 hielt in Bezug auf den zweiten Band fest: „Die Schreibart des Verf[assers] ist naturlich [sic] […].“13 Auf der anderen Seite kritisierte er die Verbindung fiktiver und realhistorischer Ereignisse und insbesondere auch den gegen Ende des Romans vom Protagonisten Reizenstein portraitierten utopischen amerikanischen Ideal-
3 David Christoph Seybold: Reizenstein. Die Geschichte eines deutschen Officiers (Sealsfield Bibliothek. Wiener Studien und Texte. Bd. 2). Hg. von Wynfrid Kriegleder. [Wien] 2003. 4 Kriegleder: Nachwort, S. 399; ders.: Seybolds „Reizenstein“, S. 310. 5 Ebd., S. 326. Siehe auch ders.: Vorwärts in die Vergangenheit, S. 19. 6 Siehe hierzu auch Jantz: Men, S. 76. 7 Wynfrid Kriegleder: Nachwort. In: David Christoph Seybold: Reizenstein. Die Geschichte eines deutschen Officiers (Sealsfield Bibliothek. Wiener Studien und Texte. Bd. 2). Hg. von Wynfrid Kriegleder. [Wien] 2003, S. 399–413. Kriegleder verfasste zu dem Text einen bereits 1996 publizierten Aufsatz: Wynfrid Kriegleder: David Christoph Seybolds „Reizenstein“. Der erste deutschsprachige Roman über die amerikanische Revolution. In: Monatshefte 88,3 (1996), S. 310–327. Siehe auch das entsprechende Kapitel in Kriegleders 1999 erschienener Habilitationsschrift Vorwärts in die Vergangenheit (S. 138–155). 8 So z. B. Jantz: Amerika, Sp. 331. Harold Jantz bezeichnete den Roman als „eine der besten und frühesten Behandlungen des Themas der nach Amerika verkauften deutschen Söldner“. Ebd. Dieser Aussage widersprach Kriegleder. Siehe Kriegleder: Nachwort, S. 399 [Anm. 3]. 9 Dieser Umstand zeigt sich auch darin, dass einge biografische Nachschlagewerke (ADB, DBE) wichtige Titel Seybolds wie die Predigten des Magister Sebaldus Nothanker und Hartmann, eine Wirtembergische Klostergeschichte, nicht jedoch Reizenstein erwähnen. 10 Zu den Reaktionen siehe auch Kriegleder: Nachwort, S. 399–401; ders.: Vorwärts in die Vergangenheit, S. 138 f. 11 Anonym: [Rezension von] Reizenstein. Die Geschichte eines deutschen Officiers, S. 178. 12 Zu Musäus, der während seiner Tätigkeit für die Allgemeine deutsche Bibliothek ca. 350 zeitgenössische belletristische Titel rezensierte, siehe Seifert: Musäus, S. 85–95; Timmermann – Red.: Musäus, S. 305–307. 13 [Musäus]: [Rezension von:] Reizenstein, die Geschichte eines deutschen Officiers, S. 99.
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
staat (s. u.). Mit einem Verweis auf Johann Gottfried Schnabels Insel Felsenburg/ Wunderliche Fata (1731–1743; s. u.) vertrat der Rezensent die Meinung: „Nach einer solchen Insel Felsenburg zu ziehen, die niemals existiren kann, wird keinen Vernünftigen gelüsten […].“14
2 Aufbau und Inhalt des Briefromans und die Verarbeitung von Historizität, Faktualität und Fiktionalität Der aus multiperspektivischer Sicht erzählte Briefroman15 schildert in 16216 auf die Jahre 1775–1780 datierten Briefen das Schicksal des titelgebenden Protagonisten und der zentralen Figuren seines sozialen Umfeldes im Raum Franken (Fürstentum Ansbach) und später in Nordamerika. Vor dem Hintergrund realer und teilweise erfundener Orte und Ereignisse im Rahmen der Subsidienverträge und der Amerikanischen Revolution verknüpft der Text die Beschreibung fiktiver privater zwischenmenschlicher Beziehungen mit realhistorischen gesellschaftspolitischen Ereignissen von staatstragender Bedeutung. Besonders hervorhebenswert ist dabei, dass Reizenstein eine Vielzahl von geografischen Referenzen ausweist, darunter auch zahlreiche explizite Verweise auf Orte in der Neuen Welt (Abb. 14). Hinzu kommen eine außergewöhnlich große Zahl von internationalen landeskundlichen Informationen sowie Verweise auf transepochale historische militärische, politische und intellektuelle Persönlichkeiten (Abb. 15). Ergänzt werden diese nicht zuletzt durch ein überaus weit verzweigtes und ungewöhnlich dicht ausgeprägtes intertextuelles Netz (Abb. 16), in das auch die Bibel eingebunden ist (Abb. 17). Der Roman konstituiert sich aus dem Briefdiskurs des Offiziers Reizenstein (Erlangen) und seines näheren sozialen Umfeldes in Franken und Nordamerika (Abb. 18 f.). Hierzu gehören u. a. der Offizier Schröder und seine Frau (Mainbernheim), der bürgerliche Arzt und enge Freund Müller und der integere adelige Baron
14 Ebd., S. 100. 15 Zur Brieftheorie und allgemein zu der im 18. Jahrhundert äußerst populären Gattung des Briefromans – so hat Eva D. Becker hat deutlich gemacht, dass „um 1780 noch ein Drittel aller Romane in Briefen abgefaßt wurde“ (Becker: Roman, S. 167) – siehe auch Helgason: Schriften, S. 37–86; Honnefelder: Brief, S. 4–14, 78–82; Moravetz: Formen, S. 9–49; Nörtemann: Brieftheoretische Konzepte, S. 211–224; Picard: Illusion, S. 9–14; ders.: Stellung, S. 6–46; Stiening – Vellusig: Poetik, S. 3–20; ders.: Gespräche. Siehe auch den von Angelika Ebrecht, Regina Nörtemann und Herta Schwarz und Mitarbeit von Gudrun Kohn-Waechter und Ute Pott 1990 herausgegebenen Sammelband Brieftheorie des 18. Jahrhunderts. 16 Die Nummerierung der Briefe reicht zwar bis 163, allerdings fehlt der 109. Brief.
2 Aufbau, Inhalt und die Verarbeitung von Historizität, Faktualität und Fiktionalität
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Roth (beide Speckfeld).17 Reizenstein macht die Bekanntschaft mit Sophia Wolf, die in den Briefen den Diminutiv-Kosenamen „Fiekchen“ erhält, und erlebt während einer Feier, an der fast alle seine nahen Bekannten teilnehmen, in der arkadischen Naturidylle in Mainbernheim einen kurzzeitigen Glückszustand. Die Anwerbung von Soldaten in den deutschen Territorialstaaten durch die britische Regierung für den Krieg in Amerika führt zur Rekrutierung des Protagonisten. Fiekchen stirbt infolge einer kurze Zeit später auftretenden Krankheit, und Reizenstein fällt einer Intrige zum Opfer, als ein anderer Offizier Briefe von ihm veröffentlicht, in denen er sich kritisch über den sog. Soldatenhandel geäußert hat. Nachdem er unehrenhaft aus der Armee entlassen wurde, findet Reizenstein nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Paris, wo es unter anderem zur Begegnung mit Benjamin Franklin kommt, eine neue Aufgabe im Kampf für die Kontinentalarmee. In Amerika (Germantown) lernt er im Lager der Revolutionäre den aus den Südstaaten stammenden Plantagenbesitzer Lord Barbington kennen, in dem er einen Geistesverwandten findet. Mittlerweile ist auch der Mediziner Müller, der im Zuge der Subsidienverträge Europa ebenfalls verlassen hat, wo die gesellschaftlichen Verhältnisse eine nicht standesgemäße Verbindung mit Wilhelmine, der adeligen Tochter Baron Roths verhindern, als Feldarzt im Dienste der Briten in Amerika (Philadelphia) angekommen. Auf dem idyllischen Gut Barbingtons (Barbingtonhouse) im ländlichen South Carolina findet Reizenstein die in Europa verloren gegangene Naturidylle wieder und verliebt sich in die politisch interessierte patriotische Schwester Barbingtons, Auguste. Aus dem transatlantischen Briefdiskurs gehen die sozialen und politischen Vorzüge Amerikas gegenüber den negativen europäischen Zuständen immer deutlicher hervor. Sukzessive finden zunächst Müller und anschließend die zunächst noch in Europa verbliebenen Bekannten in Barbingtonhouse eine neue Heimat. Nur Baron Roth stirbt infolge eines Unfalls. Nach dem Sieg der Revolutionstruppen und der errungenen Unabhängigkeit der Kolonien heiraten Auguste und Reizenstein sowie auch Müller und Wilhelmine. In einem Brief an einen der letzten
17 Bei der gesellschaftlichen hierarchischen Einordnung von Reizenstein und Schröder ist zu berücksichtigen, dass die Offiziersstellen im 18. Jahrhundert überwiegend Adeligen zufielen. Carla Stockmeyer betonte: „Eine Stellung für sich nahmen die Offiziere ein. Sie rekrutierten sich zum großen Teil aus dem Adel und besaßen alle seine Vorteile […].“ Stockmeyer: Soziale Probleme, S. 114. Ähnlich gab Friedrich Kapp (1824–1884) an: „Die Offiziersstellen wurden fast ausschließlich vom Adel bekleidet […].“ Kapp: Soldatenhandel, S. 11. Gewiss ist zu berücksichtigen, dass es in den deutschen Territorialstaaten auch geografische Unterschiede gab. Carl Preser (1828–1910) konstatierte: „[…] [I]n der hessischen Armee standen bei weitem mehr bürgerliche, als adelige Offiziere.“ Preser: Soldatenhandel, S. 95. Zu den Ausnahmefällen gehörten Beförderungen auf dem Schlachtfeld, in der Militärangehörige die traditionellen Standesschranken bis zu einem gewissen Grad überwinden konnten.
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
nahestehenden Bekannten in Europa schildert Reizenstein zum Schluss seine Vorstellungen eines Idealstaates, der nun in Amerika verwirklicht werden und in Barbingtonhouse seinen Ausgang nehmen soll. Einen besonderen Aspekt des Romans stellt der Umstand dar, dass die erzählte Zeit bis 1780 reicht, d. h. dass der Text proleptisch politische Ereignisse antizipiert und in einem fiktionalen Gewand die Nachkriegsordnung schildert.18 Die Geschichtswissenschaft setzt im Allgemeinen die entscheidende Zäsur für den Ausgang des Unabhängigkeitskrieges mit der Schlacht von Yorktown 1781 an, in der ein Großteil der britischen Truppen unter General Charles Cornwallis (1738– 1805) von der amerikanischen Kontinentalarmee mit Hilfe der französischen Marine besiegt wurde.19 1783 folgte mit dem Frieden von Paris das offizielle Ende der Auseinandersetzungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem britischen Mutterland. In der fiktiven Welt des Briefromans berichtet dagegen Reizenstein im zweiten Band, der 1779 erschien, d. h. zu einem Zeitpunkt, als der Ausgang des Konfliktes noch nicht entschieden war, in einer auf den 30. Mai desselben Jahres datierten Nachricht an Auguste von einem gegen die Briten errungenen Entscheidungssieg der Kolonisten.20 Bereits am 12. Oktober 1779 proklamiert er in einer weiteren Mitteilung den unterzeichneten Friedensvertrag: „Endlich hat England die Unmöglichkeit erkannt, uns zu bezwingen, und Friede gemacht! […] Also sind die Kolonien nun unabhängig – oder, um des stolzen Ausdrucks des Kongresses mich zu bedienen, souverain!“21 In Seybolds Briefroman ist die Vorwegnahme des Erfolges der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung notwendig, um die für die Handlung erforderliche Korrespondenz und Kongruenz von privaten und staatspolitischen Entwicklungen zu ermöglichen (s. u.). In den zwei Vorreden zu den beiden Bänden wendet sich der Erzähler in einer Herausgeberfiktion22 mit einer poetologischen Reflexion unmittelbar an
18 Dabei entfällt der bei Weitem größte Anteil der Briefe auf die Jahre 1776 und 1777 (Abb. 20 f.), d. h. aus der Perspektive des Verfassers auf die Vergangenheit. Das Verhältnis der beiden Bände zueinander ist ungefähr ausgewogen (Abb. 22 f.). 19 Siehe hierzu z. B. Boyer – Clark – Kett u. a.: Enduring Vison, S. 168–170; Emmerich: Geschichte, S. 40; Häberlein: Entstehung, S. 143; Heideking – Mauch: Geschichte, S. 47; Wellenreuther: Chaos, S. 228–231. 20 Reizenstein an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 153. Brief vom 30. 5. 1779, S. 337 f. [354 f.]. Die hier in den bibliografischen Nachweisen angegeben Seitenzahlen beziehen sich auf den Nachdruck von 2003, die Angaben in den rechteckigen Klammern verweisen auf die Seitenzahlen im Erstdruck. 21 Reizenstein an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 157. Brief vom 12. 10. 1779, S. 348 [380 f.]. 22 Zu der Herausgeberfiktion im Briefroman des 18. Jahrhunderts siehe auch Picard: Illusion, S. 15–28; ders.: Stellung, S. 47–80; Takeda: Erfindung, S. 11–49; Wirth: Geburt, S. 13–47.
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den Leser. Darin findet sich die Aussage, dass für den poetischen Text nicht der Anspruch erhoben wird, tatsächliche historische Ereignisse darzustellen, sondern über fiktive Geschehnisse, wie sie sich theoretisch hätten ereignen können, zu berichten. In der Vorrede zum ersten Band ist zu lesen: „Der Roman ist gleichsam der Bruder der Geschichte; er erzählt wahre Begebenheiten, aber freylich nur poetisch-wahre, d. i. solche, die unter den angegebenen Umständen, bey Personen von dem angenommenen Charakter sich ereignet haben, oder ereignen konnten.“23 Damit ist offenkundig ein Bezug zur Poetik des Aristoteles (384–322 v. Chr.) hergestellt. In der Vorrede des zweiten Bandes wird der poetisch-fiktionale Charakter des Textes erneut unterstrichen: Der zweyte Theil […] durchwebt […] das wirklich Historische mit vielen Erdichtungen; ja er thut sogar einen mächtigen Schritt vorwärts, und erzählt, was im künftigen Jahre oder Jahrhunderte geschehen sollte, könnte und möchte. Aber das alles kümmert den Verfasser nicht […]. [I]ch setze […] den Vorgrif in die Zeit auf Rechnung der dichterischen Freyheit des sogenannten Romanenschreibers; er dichtete, was nicht geschehen ist – nicht geschehen wird, es sey in vergangenen oder zukünftigen Zeiten.24
Gerade dieser Aspekt, die Mischung von historischen und fiktiven Elementen, ist in der Rezension von Musäus sehr negativ aufgenommen worden. Dort heißt es: Oeffentliche Begebenheiten umzuschmelzen, die jedem unsrer Zeitgenossen in so gar frischem Andenken schweben, das stöhrt alle Illusion, und wenn die wegfällt, was bleibt denn übrig den Leser bey Laune zu erhalten? Wer bekummert sich um die Ideale, die ein politischer Kopf in der Stube ausspinnt, wie die öffentlichen Welthandel seiner Meynung nach hätten laufen sollen? Lieber ganz Feenmährchen, als ein solches Gemengsel von Wahrheit und Erdichtung.25
Im Sinne der auf die Poetik des Horaz (65–8 v. Chr.) zurückgehenden Formel von „prodesse aut delectare“26 in Bezug auf die Funktion literarischer Texte, soll auch dieser von aufklärerischen poetologischen Ideen beeinflusste Roman den Rezipienten durch die Textlektüre sowohl unterhalten als auch zu seiner sittlich-
23 Seybold: Reizenstein. Bd. 1, S. 7 [(I)]. 24 Ebd. Bd. 2, S. 185 [(IIf.)]. 25 [Musäus]: [Rezension von:] Reizenstein, die Geschichte eines deutschen Officiers, S. 99 f. 26 Die Verse 333 f. von De arte poetica lauten: „aut prodesse volunt aut delectare poetae / aut simul et iucunda et idonea dicere vitae.“/„Helfen wollen die Dichter oder doch uns erfreuen / Oder beides: die Herzen erheitern und dienen dem Leben.“ Q[uintus] Horatius Flaccus: De arte poetica/Das Buch von der Dichtkunst. 333 f. Vers, S. 270 (Übersetzung: Herrmann, S. 271). Zur Poetik des Horaz siehe z. B. auch Fuhrmann: Dichtungstheorie, S. 111–144 [bes. s. 139 f.]; Zymner: Poetik, S. 593.
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moralischen Besserung beitragen. Der Herausgeber gibt an: „Mit der Erzählung dieser Begebenheiten verbindet er eine gewisse Absicht, seine Leser entweder zu vergnügen, oder zu bessern, oder vielmehr um beydes zugleich zu thun, miscet utile dulci, so viel nämlich sein Verfasser kann.“27 Diesem Anspruch, in einem literarischen Werk nur der poetischen Wahrheit verpflichtet zu sein, entspricht die im Text aufrecht erhaltene Herausgeberfiktion. So wird in einer Fußnote28 zum 17. Brief hervorgehoben: Wir müssens bemerken, weils vielleicht nicht jeder Leser thut, was für ein Beweis für die Originalität dieser Briefe in der angezeichneten Stelle liegt. Sie waren, wie daraus erhellt, nicht zum Drucke bestimmt. […] [Ich] laß […] sie lieber alle beysammen, wie sie in dem Paket vorgefunden wurden.29
Auch in einem späteren Kommentar wird der allerdings sogleich wieder relativierte Eindruck erweckt, dass noch weitere reale Briefe vorlägen, die lediglich aus Gründen der Leserkonvenienz zurückgehalten werden: „[Wir sind] so diskret […], unsere Leser nicht mit alle den Briefen heimzusuchen, welche die Personen unserer Geschichte schrieben, oder schreiben konnten. Der Herausgeber.“30 Bereits in einer Fußnote zu einem vorhergehenden Brief ist genau diese Überlegung ausführlich artikuliert worden: Wir haben zwar alle die Briefe, die in dieser Zeit zwischen Erlangen, Mainberheim, Speckfeld &c[etera] gewechselt worden sind, in den Händen, behalten sie aber zurück […]. Der Grund dieses Verfahrens ist kein anderer, als der, daß der Sammler [Hervorhebungen in der Textvorlage, Anm. L. L.] befürchtet, die Geschichte möchte in dieser Zeit zu wenig fortrücken, und mithin für den Leser hier und da langweilig werden, wenn sie ihm nicht genug Fakta enthielte. […] Der Herausgeber.31
27 Seybold: Reizenstein. Bd. 1, S. 7 [(I)]. Das in der Vorrede abgedruckte Horaz-Zitat „miscet utile dulci“ („omne tulit punctum, qui miscuit utile dulci / lectorem delectando pariterque monendo.“/„Beifall bei allen erringt, wer Nützliches mischt mit der Liebe, / Freude dem Leser bereitend und gleichermaßen ihn mahnend.“ Q[uintus] Horatius Flaccus: De arte poetica/Das Buch von der Dichtkunst. 343 f. Vers, S. 270 [Übersetzung: Herrmann, S. 271]) stellt eine direkte Verbindung zu seiner namentlich nicht explizit genannten Poetik her. 28 Zur Funktion und Bedeutung der Fußnote im Kontext der Herausgeberfiktion siehe auch Wirth: Geburt, S. 103–107. 29 Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 17. Brief vom 11. 2. 1776, S. 49 [85]. 30 Ebd. Bd. 2. 88. Brief vom 30. 7.(/2. 8.) 1777, S. 224 [76]. 31 Ebd. Bd. 1. 43. Brief vom 31. 12. 1776, S. 132 [285]. Das Fehlen eines 109. Briefes unterstreicht den Eindruck der Authentizität ebenso.
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An verschiedenen Stellen greift der Briefroman die Frage nach dem Verhältnis von Fiktion und Realität auf und entfaltet ein poetisches Spiel um diese Überlegungen. In diesem Sinne scheint ein Kommentar der Romanfigur Louise Schröder im 117. Brief auf der poetischen Metaebene eine autoreflexive Komponente zu besitzen, wenn sie erklärt: „Unser Schicksal kömmt mir izt vor, wie ein Roman, in dem sein melancholischer, schwarzblütiger Verfasser alles Unglück zusammenhäuft, das die menschliche Gesellschaft treffen kann.“32
3 „[G]ewiß, Freunde! Amerika wird zum zweytenmale eine grosse Revolution in Europa machen.“ Die politischen Kommentare in Reizenstein Die Beschreibung der zwischenmenschlichen Beziehungen unter den Romanfiguren wird immer wieder durch politische Kommentare in den Briefen ergänzt (Abb. 24). Ein Großteil dieser politischen Artikulation entfällt auf Amerika. Insbesondere im zweiten Band ist eine starke Zunahme der politischen Bemerkungen allgemeiner Art, aber auch speziell zu Aspekten der Amerikanischen Revolution festzustellen (Abb. 25). Die Vorrede zum zweiten Band greift diese Entwicklung explizit mit den Worten auf: „Der zweyte Theil wird einigen noch mehr, und anderen noch weniger behagen; er enthält theologische, politische, diätetische &c[etera] Kezereyen […].“33 Immer wieder äußern sich Figuren in Berichten, Beurteilungen und Schlussfolgerungen zu den zeitgenössischen Ereignissen in Amerika. So erwartet Reizenstein, der sich bereits vor seiner Überfahrt mit den Nachrichten aus der neuen Welt beschäftigt, die Herausbildung eines amerikanischen Freistaates, wie er ihn in Europa am Beispiel der Vereinigten Niederlande verwirklicht sieht. Er prognostiziert: „[S]o viel ich im Stande bin, einzusehen, werden wir wohl ein neues Holland in Amerika mit der Zeit erblicken.“34 Die Fähigkeit zur Selbstreflexion und die Bereitschaft, eine historisch-politisch distanziertere Perspektive einzunehmen, zeigen sich auch im Zusammenhang mit der Bewertung der Ereignisse, die in direkter oder indirekter Verbindung
32 Louise Schröder an Wilhelmine. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 117. Brief vom 17. 10. 1777, S. 271 [191]. Ähnlich kommentiert Schiffskapitain William die Ereignisse in Johann Friedrich Ernst Albrechts (1752–1814) Schauspiel Die Engländer in Amerika (1790), das vergleichbare Handlungs- und Personenkonstellationen wie Friedrich Maximilian Klingers Sturm und Drang (1776 [ED. 1777]) aufweist (s. u.), mit den Worten: „Fast klingts, wie in einem Roman.“ Albrecht: Die Engländer in Amerika. 4. Aufzug. 2. Auftritt, S. 52 [85]. 33 Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 64. Brief, S. 185 [(IIf.)]. 34 Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 47. Brief vom 20. 1. 1777, S. 148 [319].
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zur Revolution stehen. Der Arzt Müller wirft in einem Brief an Reizenstein einen kritischen Blick auf die Umstände und Folgen der Subsidienverträge und stellt proleptisch die Frage nach der Wahrnehmung und Rezeption der Geschehnisse durch zukünftige Historiker. Emphatisch erklärt er: Nun stehen wieder Menschen auf, um Menschen zu würgen! Nun soll wieder deutsches Blut strömen, um einem andern übermüthigen Volke die Oberherrschaft zu erwerben! Was werden die Geschichtsschreiber des neunzehnten, oder zwanzigsten Jahrhunderts von diesem Kriege sagen!35
Baron Roth ist sich des Revolutionen innewohnenden Gewaltpotentials ebenso bewusst, dennoch geht er, den Leitmotiven eines aufklärerischen Fortschrittsoptimismus entsprechend, von einem positiven Gesamtergebnis aus, wenn er konstatiert: „Immer hat bisher die Welt ihre neuen Einsichten und das Gute, das aus den Revolutionen entsteht, theuer genug bezahlt. Sie wird’s auch dießmal mit Menschenköpfen bezahlen. Aber am Ende wird’s doch noch gut gehen.“36 Auch Reizenstein erkennt die Bedeutung der Amerikanischen Revolution im größeren Zusammenhang. Er verweist auf die Vorbildfunktion der aktuellen Ereignisse für die anderen Kolonien in Amerika, die unter der Kontrolle europäischer Mächte stehen. Vor dem Hintergrund eines von ihm sehr negativ beurteilten möglichen Bündnisses zwischen Frankreich und den Freiheitskämpfern macht er seinen französischen Kontakten deutlich: Das Beyspiel der Englischen Kolonien kan für eure und die Spanischen und Portugisischen von übeln Folgen seyn – und wird’s seyn. Meynt ihr nicht, es könne einmal ein Unterkönig in Mexiko oder Lima so viel Ehrgeiz haben, daß er auch Anstalten zur Unabhängigkeit von Spanien macht […].37
35 Müller an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 134. Brief vom 26. 3. 1778, S. 297 [254 f.]. 36 Baron Roth an Baron Kaltenthal. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 33. Brief vom April 1776, S. 111 [237]. Es ist darauf hinzuweisen, dass der hier vor dem Hintergrund einer Revolution artikulierte aufklärerische Fortschrittsoptimismus in einer vergleichbaren Art auch bei Christoph Martin Wieland zu finden ist, allerdings in seinem Fall vor dem Hintergrund der Französischen Revolution. In einem Brief an Johann Wilhelm Ludwig Gleim gelangte Wieland zu der Ansicht: „Mein Trost bei allem diesem ist, daß das mannigfaltige Gute, das die französische Revolution mitten unter den gräßlichsten Ausbrüchen des aristokratischen und demokratischen Fanatismus und aller übeltätigen Leidenschaften in Bewegung gebracht hat, für die Menschheit nicht verlorengehen, sondern nach und nach, im stillen und ohne gewaltsame und erschütternde Bewegungen tausendfältige Früchte tragen wird. Denn nichts Gutes kann verlorengehen … [sic].“ Christoph Martin Wieland an Ludwig Gleim. 12. 4. 1793. In: Wieland: Briefwechsel, S. 395. 37 Reizenstein an Baron Roth. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 87. Brief vom 26. 5.(/6. 6.) 1777, S. 213 [48].
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Schließlich werden die politischen Folgen für die europäischen Staaten selbst angesprochen. Baron Roth sieht sogar eine zweite Revolution in Europa nach amerikanischem Muster voraus: „[G]ewiß, Freunde! Amerika wird zum zweytenmale eine grosse Revolution in Europa machen.“38 Aus der Perspektive einer historischen Rückschau überrascht hier möglicherweise die zu diesem Zeitpunkt bereits formulierte Antizipation einer politischen Umwälzung auf europäischem Boden, wie sie später tatsächlich in der Französischen Revolution erfolgte. Intensive transatlantische Auswirkungen waren nicht zuletzt möglich, weil es im 18. Jahrhundert zu einer zunehmenden Vernetzung der globalen ökonomischen und politischen Strömungen kam.39 Dieser Gedanke wird auch im Roman zum Ausdruck gebracht. Zwar akzentuiert Charlotte, die Schwester des Feldarztes Müller, in einem Brief an ihren Bruder die große geografische Distanz, wenn sie darauf verweist, dass „Amerika so weit entfernt ist, und die Briefe so lange Zeit brauchen, hin und her zu gehen“40, aber Baron Roth hält mit Blick auf Veränderungen der letzten Jahrhunderte fest: Wenn vor dreyhundert Jahren Krieg in Flandern war, wußte fast niemand in Sachsen etwas davon, noch viel weniger nahm der Czar in Rußland Theil daran. Aber itzt macht das Gleichgewicht von Europa, und die Verbindung mit andern Welttheilen, daß das Feuer sich plötzlich durch alle Staaten verbreitet. Schon vor zwanzig Jahren hat eine Pulvertonne, die an der Hudsonbay in die Luft flog, ganz Europa mit Dampf und Leichen erfüllt – und so wird der gegenwärtige Krieg in den Englischen Kolonien gewiß noch Deutschland und andere europäische Staaten in Feuer und Rauch einhüllen […].41
38 Baron Roth an Baron Kaltenthal. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 33. Brief vom April 1776, S. 111 [237]. 39 Vgl. Bagly: Globalisierung, S. 81–108; Fäßler: Globalisierung, S. 60–73; Meyer: Epoche, S. 86; O’brien: European Expansion, S. 41–51. Peter E. Fäßler bezeichnete die Zeit von 1500 bis 1840 als „Protoglobalisierung“ (Fäßler, Globalisierung, S. 60). Siehe auch Asbach: Globalisierung, S. 32 ff. 40 Charlotte Müller an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 88. Brief vom 30. 7.(/1. 8.) 1777, S. 221 [67]. Zur Wahrnehmung der Distanzen in Amerika sowie zwischen der Alten und Neuen Welt in der zeitgenössischen deutschsprachigen Amerikaliteratur siehe auch Kapitel V.4. 41 Baron Roth an Baron Kaltenthal. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 33. Brief vom April 1776, S. 111 [236]. Baron Roth spielt in seinem Kommentar auf den Ausbruch des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) an, der in Amerika als French and Indian War bezeichnet wird und bereits zwei Jahre vor den Auseinandersetzungen in Europa begann. Die Folgen dieser militärischen Auseinandersetzungen trugen signifikant zum Ausbruch der Revolution in Nordamerika bei. Siehe hierzu Boyer – Clark – Kett u. a.: Enduring Vision, S. 123–130; Häberlein: Britisch-Nordamerika, S. 97– 101; Heideking – Mauch: Geschichte, S. 24. Die Forschung hat den Siebenjährigen Krieg, dessen Schauplätze durch die europäischen Kolonien über die Welt verteilt waren, daher teilweise auch als „Weltkrieg“ bezeichnet. Siehe z. B. Asbach: Globalisierung, S. 32; Externbrink: Einleitung, S. 9–23; Füssel: Der Siebenjährige Krieg, S. 7–9, 109–116; Mann: Krieg, S. 99 f.
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4 „Wir sind ja alle zur Freude geschaffen.“ Glücks- und Naturstand in der an der Antike orientierten Arkadienfeier in Mainbernheim Seybolds Briefroman ist von zahlreichen Elementen der literarischen Empfindsamkeit, wie tragischen emotionalen Momenten infolge von Tod und Verlust, fatalen Unfällen und Intrigen, geprägt.42 Insbesondere der Protagonist wird im Laufe der Handlung bis zum positiven Ausgang mit verschiedenen schicksalhaften Wendungen konfrontiert, die aus der Retrospektive als Bewährungsproben erscheinen. Insgesamt präsentiert der Text ein aufklärerisches Gesamtbild, das von der prinzipiellen Realisierbarkeit des menschlichen Glückszustandes ausgeht. So konstatiert bereits Reizensteins Geliebte Fiekchen: „Wir sind ja alle zur Freude geschaffen.“43 Auch Baron Roth spricht von dem „Plane […] nach dem der Schöpfer seine Menschen führt, um sie endlich zur wahren bürgerlichen und politischen Glückseligkeit zu leiten […].“44 Eine erste reale Umsetzung dieser lebensbejahenden Einstellung wird in der in Mainbernheim im Frühling 1776 stattfindenden Arkadienfeier erreicht. Die an diesem Locus amoenus45 partizipierenden Romanfiguren geben sich Rollennamen und versetzen sich in die Welt eines idyllischen Schäferspiels.46 In einem Brief
42 So wird Reizenstein auch mit Schwärmertum in Verbindung gebracht. Auguste beschreibt ihn in einem Brief u. a. folgendermaßen: „Ich weiß nicht, wie dieser Mann seinen Ansatz von Schwärmerey mit so vieler Vernunft zu paaren weiß. Viele seiner Handlungen und Aufwallungen, besonders, wenn er auf die Materien von Freyheit, Patriotismus, Menschenglücke, Aufklärung &c[etera] zu reden kam, oder itzt, wenn er von seiner Liebe redet, haben etwas schwärmerisches, und in vielen anderen Dingen handelt er so gelassen und kalt, wie wenn es Eis wäre, was in seinen Adern fließt, und nicht warmes Blut.“ Auguste an Lady Palmer. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 128. Brief vom 14. 1. 1778, S. 287 [232]. Reizenstein selbst beschreibt seine „Schwärmerey“ als „unschädlich“ (Reizenstein an Baron Roth. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 83. Brief vom 20. 5. 1777, S. 207 [35]). Siehe hierzu auch Kluckhohn: Auffassung, S. 193. 43 Reizenstein an Fiekchen. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 44. Brief vom 31. 12. 1776, S. 133 [289]. 44 Baron Roth an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 100. Brief vom 7. 9. 1777, S. 245 [125 f.]. 45 Zum Topos des Locus amoenus in der Dichtung siehe Fuchs-Jolie: Locus amoenus, S. 459; Maisak: Arkadien, S. 17–27; Wilpert: Sachwörterbuch, S. 484 f. Zur Bedeutung und Funktion des Locus amoenus, besonders in der Literatur des 17. Jahrhunderts, siehe Garber: Locus Amoenus, S. 86–225. Zu den literarischen Konzeptionen arkadischer Dichtung und den poetischen Funktionen des Locus amoenus bzw. zu ihrer Bedeutung in der Literatur des 18. Jahrhunderts siehe Dedner: Schäferleben, S. 347–390; Effe: Genese, S. 5–31. 46 Im 18. Jahrhundert genoss die literarische Gattung der Idylle eine ausgesprochen große Popularität und entwickelte sich „(meist in Versform) zu einem der beliebtesten Genres der deutschsprachigen Literatur.“ Birgfeld: Marie, S. 144. Siehe auch ebd., S. 144–146. Zur Dichtung vor einem
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an Müller berichtet Reizenstein von einem Gespräch mit Fiekchen: „Wir sassen im Garten auf dem Grase, und kamen, ich weiß nicht wie, auf das Schäferleben zu reden, priesen seine Glückseligkeit, und sehnten uns nach Arkadien.“47 Fiekchen bringt mit Bedauern zum Ausdruck, dass die Sehnsucht nach solch einem Ort alleine keine Realität schaffen könne: „Das schlimme ist, sagte Fikchen, daß unser sich Sehnen nichts hilft.“48 Demgegenüber meint Reizenstein: Warum sollte es nichts helfen? Das Schäferleben besteht hauptsächlich in Unschuld und Reinigkeit der Sitten, in herzlichem Wohlwollen gegen alle Geschöpfe und in liebreicher Hülfe, die man dem erzeigt, ders bedarf. Wenn wir nun uns bemühen, unser Herz rein und unschuldig zu bewahren, mit allen Geschöpfen so herzlich es meynen, wie mit uns selbst, dem Nächsten helfen, wo wir können; sind wir denn nicht wahre arkadische Schäfer?49
Die Vorstellung eines arkadischen Lebens ist vor allem durch moralische Sittsamkeit geprägt. Tugendhaftigkeit und moralische Unversehrtheit erscheinen hier als zentrale Voraussetzungen für ein erfülltes, glückliches Leben. Daher ermahnt auch Baron Roth während der Feier: „Kinder! bleibt der Tugend und Unschuld immer getreu. Dann ist die Natur euch immer schön, dann könnt ihr immer heiter seyn […].“50 Die in Mainbernheim zelebrierte Naturidylle ist dabei mit einer Nivellierung der Standesunterschiede verbunden.51 Zu den Teilnehmern gehören Vertreter des Bürgertums und des Adels. Louise Schröder hält die Überwindung der gesellschaftlichen Hierarchien in einem späteren Brief fest: „Niemands Herr, und Niemands Knecht – gewiß gehört dieses zur arkadischen Glückseligkeit.“52
arkadischen Naturhintergrund (Bukolik, Schäferdichtung, Idylle, Pastorale) siehe Garber: Arkadien, S. 79–102; ders.: Bukolik, S. 287–291; Häntzschel: Idylle, S. 122–125; Hoheisel: Schäferdichtung, S. 680 f; Lohmeier: Beatus ille, S. 19–107, 405–432; Schäfer: Arkadische Poesie, S. 44 f.; Schneider: Idylle, S. 340 f.; Wilpert: Sachwörterbuch, S. 47, 365 f., 342 f., 597. Siehe außerdem Alpers: What Is Pastoral, S. 8 ff.; Brandt: Arkadien, S. 9 ff. Zur Umsetzung des arkadischen Gedankens in der Kunst des 18. Jahrhunderts siehe Burkart: Wohnen, S. 309–337; Maisak: Arkadien, S. 194–235. Zu Arkadien als Folie für eine Gesellschaftskritik siehe Mikitayeva: Wesen, S. 39–51. Zu Arkadien als Projektionsfläche allgemein siehe Hüttel: Arkadien, S. 11–17. 47 Reizenstein an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 32. Brief vom 8. 4. 1776, S. 95 [197]. 48 Ebd. 49 Ebd., S. 95 [197 f.]. 50 Baron Roth an Baron Kaltenthal. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 33. Brief vom April 1776, S. 110 [233]. 51 Siehe in diesem Zusammenhang auch Garber: Arkadien, S. 53–68. 52 Louise Schröder an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 40. Brief vom 8. 5. 1776, S. 126 [273].
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Aus den Beschreibungen der Feier wird außerdem ersichtlich, dass sich das darin zutage tretende Ideal insbesondere durch eine starke Affinität zur Natur auszeichnet, die im Handlungsverlauf immer wieder aufgerufen wird. So artikuliert beispielsweise Müller in einem im zweiten Band des Romans enthaltenen Brief an Reizenstein prägnant die rousseauistisch anmutende Forderung: „Lebt der Natur gemäß!“53 Dem Offizier gegenüber präsentiert er sogar seine von ihm selbst als eine „Grille“ relativierte Idee: Wäre es nicht vielleicht das souveränste Mittel, das für uns bestimmte hohe Alter wieder zu erreichen, wenn wir alles roh ässen, Milch, Wurzeln, Baumfrüchte? Kein Thier in der ganzen Natur hat nöthig, das, wovon es leben soll, erst zu kochen […]. [D]er Mensch kann von rohen Produkten leben, er hat viele Jahrhunderte davon gelebt, die Erzväter lebten davon, und erreichten das gehörige Alter, mithin sollte der Mensch davon leben!54
Gerade in Anbetracht der desolaten zeitgenössischen moralischen und ethischen gesellschaftlichen Lage gehen seine Überlegungen sogar soweit, den ursprünglichsten archaischen Naturzustand gegenüber späteren gesellschaftlichen Entwicklungen zu präferieren. Er führt aus: „[Mir scheint], daß die Menschen vor der Erfindung des Feuers sich besser befanden, als nachher.“55 Während der Arkadienfeier in Mainbernheim gelingt es zum ersten Mal, allerdings nur vorübergehend, diesen ahierarchischen Naturstand der moralischen Integrität und sittlichen Unschuld zu erreichen. Der lediglich kurzzeitig erfahrene
53 Müller an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 155. Brief vom 15. 7.(/16. 7.) 1779, S. 344 [372]. Ohne dass Jean-Jacques Rousseaus Name explizit genannt wird, ist hier doch die Anlehnung an die vielzitierte und in der Rezeptionsgeschichte mit seinem Namen in Verbindung gebrachte Formel von der „Retour à la nature“/„Rückkehr zur Natur“ zu spüren. Zu Rousseaus Gedankengut bezüglich des Naturzustandes und z. B. der Stadt-Land-Dichotomie siehe auch Fischer: Jean-Jacques Rousseau, S. 17–49; Forschner: Rousseau, S. 7–55; Landgrebe: Ich bin nicht käuflich, S. 116–125; Mensching: Rousseau, S. 31–55; Rang: Lehre, S. 113–146; Röhrs: Jean-Jacques Rousseau, S. 71, 87 f., 107; Spaemann: Rousseau, S. 57–77; Stackelberg: Jean-Jacques Rousseau, S. 11–47; Starobinski: Rousseau, S. 43–45; Sturma: Jean-Jacques Rousseau, S. 54 ff.; Taureck: Jean-Jacques Rousseau, S. 46–52. Zu der Formel „Zurück zur Natur!“, die nach Dieter Sturma „Die menschliche Natur schreitet niemals zurück“ (Sturma: Jean-Jacques Rousseau, S. 83) heißen müsste, siehe ebd., S. 83–87. Zum Zivilisationseskapismus in der Literatur des 18. Jahrhunderts siehe auch Koebner: Zurück zur Natur, S. 9–165. Die von Müller artikulierte Formel besitzt für das 18. Jahrhundert topischen Charakter und korrespondiert beispielsweise mit der zeitgenössischen Sturm und Drang-Ästhetik von Johann Wolfgang Goethe. In seiner Rede Zum Schäkespears Tag (1771) heißt es pointiert: „Und ich rufe Natur! Natur! nichts so Natur als Schäkespears Menschen.“ Goethe: Zum Schäkespears-Tag, S. 411. 54 Müller an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 155. Brief vom 15. 7.(/16. 7.) 1779, S. 345 [373]. 55 Ebd.[374].
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Glückszustand zerbricht aber an den korrupten gesellschaftlichen Zuständen, wie sie in den deutschen Staaten und in Europa allgemein vorzufinden sind.
5 „[E]s gefällt mir in Europa je länger, je weniger. Welch eine Verschlimmerung der Sitten seit den Zeiten meiner Jugend!“ Kritik an Dekadenz und Laster in Europa Eine große Gefahr für das harmonische und tugendhafte Gemeinschaftsleben, das in der Vorstellung Reizensteins in einer idealisierten antiken Vergangenheit56 noch erreicht und realisiert werden konnte, stellen die Wirkungen von Luxus und der daraus erfolgende Sittenverfall im Europa der Neuzeit, dar. In einem in Amerika verfassten Brief an Reizenstein bezeichnet Müller den Luxus als „Würgengel […], der die ganze Ordnung der Natur zerstört, und uns dadurch zugrunde richtet.“57 Insbesondere in den Großstädten Europas habe der Luxus zu einer „gänzlich zerrüttete[n] Naturordnung“58 geführt. Der Mediziner kritisiert: Der Luxus macht aus Nacht Tag, und aus Tag Nacht. In Paris und London steht man um zehn oder eilf Uhr auf, speist um vier Uhr zu Mittage, um zwölf Uhr zu Nacht, und geht nicht frühe schlafen, wenn es um drey Uhr geschieht; die Speisen, die die Natur um uns herum wachsen lässt, ekeln ihn an – denn sie sind zu gemein – Was auf den Tisch des Schwelgers kömmt, muß aus beyden Indien gebracht seyn. Einfache Kost, daß man sich an einer oder zweyen, wohl zubereiteten, Schüsseln recht herzlich satt ißt, ist ein Spott fast des Landmanns.59
56 Reizensteins tiefe Bewunderung für die Antike kommt nicht zuletzt in seiner Bereitschaft zum Ausdruck, als Erwachsener noch Griechisch zu lernen, um die antiken Autoren im Original zu lesen. Müller berichtet er von seinem Vorhaben: „Ihr neuliches ασβεςος, Freund, erregte damals meine alte Begierde, die griechische Literatur in ihrer Quelle kennen zu lernen, aufs neue, und die Anmerkung, die ich gestern selbst über den Homer gemacht habe, und Herwigs Aristophanische Wolken, von denen ich gestern Nacht einige Scenen noch im Bette las, bestätigten mich in meinem Entschlusse, das Griechische noch anzufangen. Warum fieng man nicht schon vor zwanzig Jahren an, das Griechische, gleich dem Französischen oder Englischen, als eine elegante Sprache zu lehren?“ Reizenstein an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 20. Brief vom 16.(/17.) 2. 1776, S. 60 f. [113]. Zu Seybolds Bewunderung der Antike siehe auch Angerbauer: Zabergäu, S. 47–49; Holder: Brackenheimer Familie, S. 20. Ulrich Stolte notierte bezüglich der Antikenaffinität des Autors pointiert: „Er wollte die Antike in Deutschland wiederbeleben.“ Stolte: Leiden, S. 171. 57 Müller an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 155. Brief vom 15. 7. 1779, S. 343 [369]. 58 Ebd. [370]. 59 Ebd. [369 f.].
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
Die hier erwähnten Hauptstädte Frankreichs und Großbritanniens verkörperten im 18. Jahrhundert nicht nur die beiden größten Metropolen Europas, sondern auch kulturelle Orientierungspunkte. Daneben standen sie bekanntermaßen aber auch für ein für breites Angebot an Unterhaltungs- und und Vergnügungsmöglichkeiten. So schwärmt Spiegelberg in Friedrich Schillers Räubern: „Da laß uns erst in die große Welt kommen. Paris und London!“60 Für Gesellschaftskritiker stellten London und insbesondere Paris jedoch auch die Zentren der sozialen Verrohung und Dekadenz dar. In Johann Gottlieb Stephanies d. J. Lustspiel Hannibal von Donnerberg empört sich der exzentrische Baron von Grillenheim über die britische Hauptstadt: „[H]a! ein vortrefflicher Ort das Blut in Wallung zu erhalten! Man darf nur über die Straße gehen, so hat man das Vergnügen bald rechts bald links gestoßen zu werden […].“61 In August Friedrich Ferdinand von Kotzebues (1761–1819) Lustpiel-Bearbeitung Die französischen Kleinstädter (1808; nach Louis-Benoït Picard [1769–1828]) weist der Pariser Desroches darauf hin, dass in seiner Heimatstadt „so viel Verderbniß, Intrigue und Lüge“62 vorherrschen und in einem im Göttinger Musenalmanach anonym unter dem Titel Ein Vater der sein einziges Kind nach Paris gesandt veröffentlichten Gedicht klagt der Sprecher: Warum opfert ich mein Glücke, Zügellose Hauptstadt dir! – Künftge Enkel raubst du mir; Giebst mir kaum den Sohn zurücke.63
In Seybolds Briefroman wird die Ansicht vertreten, dass Luxus und die dadurch verkehrte natürliche Ordnung den Menschen von seiner eigentlichen Rolle als in der Landwirtschaft tätigen Bestandteil der Schöpfung entfremden.64 Sie führen zu einer Degeneration seiner Möglichkeiten und berauben ihn der Freiheit. So erklärt Müller: „Endlich würgt der Luxus auch dadurch viele Tausende, daß er eine Menge der Menschen dem Ackerbau, d. i. dem eigentlichen Stande, in welchem der
60 Schiller: Die Räuber. 1. Akt. 2. Szene, S. 36 [erste Fassung 1781]. Siehe auch Kapitel IV.7. 61 Stephanie d. J.: Hannibal von Donnerberg. 1. Aufzug. 4. Auftritt, S. 15 f. Außerdem erklärt er: „[…] [I]ch habe die Schwachheit, die heitre Landluft in unserm lieben Deutschland dem Londner Kohlendampfe vorzuziehen.“ Stephanie d. J.: Hannibal von Donnerberg. 1. Aufzug. 4. Auftritt, S. 16. 62 Kotzebue: Die französischen Kleinstädter. 1. Akt. 1. Szene, S. 337. 63 Ws. [= ?]: Ein Vater der sein einziges Kind nach Paris gesandt. 1.–4. Vers, S. 180. 64 Zur zeitgenössischen Luxuskritik siehe auch das 1788 im Göttinger Musenalmanach veröffentlichte Gedicht Der Luxus von Gottlieb Conrad Pfeffel.
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Mensch gesund seyn kann, entzieht, und in düstere Werkstätten oder dumpfige Zimmer hinfesselt […].“65 Die Arbeit in Fabriken wird zum Symptom dieser Entfremdung, die den Menschen gefangen hält: „Unzähliche Hände, die sonsten den Karst geführt hätten, müssen itzt der Schwelgerey fröhnen. Eingekerkert sitzen diese Opfer in Fabrikhäusern […].“66 Müller kontrastiert schließlich die beiden Lebensformen, die einem Arbeitsleben auf dem Land bzw. dem in den Fabriken der Städte entsprechen, direkt: „Da stellt den frischen Bauernjungen neben dem lahmen Fabrikanten hin! wie alles an jenem strotzt, und an diesem welk ist!“67 Der sich hier offenbarende rousseauistische Stadt-Land-Gegensatz68 stellt einen immer wieder im 18. Jahrhundert und allgemein in der neueren Literatur artikulierten Topos dar.69 In Stephanies d. J. Hannibal von Donnerberg verweist Baron von Grillenheim auf „die Freuden des Landlebens der Gesundheit zehnmal zuträglicher sind“70 und in Karl Ludwig August Heino Freiherr von Münchhausens (1759–1836) Ländlichen Einsamkeit stellt das poetische Subjekt die rhetorische Frage: „Sagt an, was ist der Pomp der Städte, / Was Opernpracht und Hofbankete / Nur gegen dies, mein Morgenroth?“71 Ebenso ist in dem anonym im Göttinger Musenalmach publizierten Gedicht Die Rückkehr aus der Stadt auf das Land über die Metropolen zu lesen: Ach nein! man liebt dort nicht! Denn boshaft-schlau Quält alles sich, Und Mann und Frau Sehn fürchterlich Sich in Gesicht; Ach nein, man liebt dort nicht!72
In der ebenfalls im Musenalmanach veröffentlichten Einladung auf das Land fordert das poetische Subjekt dezidiert: „Laß die Stadt uns fliehen!“73 Und in der zweiten Strophe ergänzt es: „Komm mit mir zum stillen Bach, / unter hohen
65 Müller an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 155. Brief vom 15. 7. 1779, S. 344 [370]. 66 Ebd. 67 Ebd. [371]. Zur literarischen Verarbeitung des Topos der Stadt-Land-Dichotomie siehe Sengle: Wunschbild, S. 432–460 (in Bezug auf das 18. Jahrhundert siehe S. 439–441). 68 Zum Stadt-Land-Antagonismus bei Rousseau siehe Engels: Leben und Werk, S. 661 f. 69 So beispielsweise in Kotzebues „dramatischen Idylle“ Das liebe Dörfchen. 70 Stephanie d. J.: Hannibal von Donnerberg. 1. Aufzug. 4. Auftritt, S. 15. 71 Münchhausen: Ländliche Einsamkeit, S. 77. 72 v. R. [= ?]: Die Rückkehr aus der Stadt auf das Land. 1.–7. Vers, S. 154. 73 Salis[-]Se[e]wis: Einladung auf das Land. 5. Vers, S. 173.
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Buchen! / Städter mögen in Palästen, / und bey lauten Taumelfesten, / eitle Freuden suchen.“74 Eine neue Heimstätte und einen Ruhepol findet der Sprecher, der angibt, bei den „Kinder[n] der Natur“75 das anzutreffen, was er sucht, in einer an die sog. Urhütte76 erinnernde Behausung, über die es heißt: „In der Moosbewachsnen Hütte, / ist noch biedre Einfalt Sitte; / Tugend keine Schande.“77 Die in der Regel mit einer Abwertung des Stadtlebens verbundene Verklärung des Landlebens und der Agrikultur (Laus Ruris)78 war auch in der Neuen Welt verbreitet und korrespondiert beispielsweise mit Thomas Jeffersons Idealkonzept des Yeoman-Farmers.79 So postulierte der spätere dritte Präsident der Vereinigten Staaten in seinen Notes on the State of Virginia: „Those who labour in the earth are the chosen people of God, if ever he had a chosen people, whose breasts he has under his peculiar deposit for substantial and genuine virtue.“80 In Seybolds Briefroman stellt Reizenstein fest, dass zum Verlust des natürlichen Urstandes und dem gesellschaftlichen Verfall in Sittenlosigkeit besonders der in großem Maßstab betriebene Handel beigetragen habe. Er erkennt in diesem und den aus dem Warenverkehr erwachsenden materiellen Wünschen und Verlockungen einen entscheidenden Ursprung für die negativen Entwicklungen. Reizenstein spricht vom „schädliche[n] Einfluß des Handels auf die Sitten“81 und begründet dies affektpsychologisch-moralisch folgendermaßen: Der Handel macht Armut zur Schande, und den Reichen geehrt. Nun entspringen in dem Menschen tausend Begierden, nun hält er sich für unglücklich, wenn er nicht alles mitmachen kann, und, um dieses zu können, ist ihm nichts mehr schändlich; dies ist die eben so unselige, als überströmende Quelle von Millionen Verbrechen […].82
Der Handel akzentuiert und unterstreicht Reizenstein zufolge die ökonomischen Unterschiede in der Gesellschaft. Bei dem Versuch, die durch den Warenaus-
74 Ebd. 6.–10. Vers, S. 173. 75 Ebd. 41.–45. Vers, S. 175. 76 Zu den naturvebundenen Idealvorstellungen der Urhütte, etwa bei Vitruv (1. Jh. n. Chr.) und Marc-Antoine Laugier (1713–1769), siehe Rykwert: Adams Haus. 77 Salis[-]Se[e]wis: Einladung auf das Land. 23.–25. Vers, S. 174. 78 Zum Topos des Lobes des Landlebens, das mit Authentizität und Geselligkeit in Einvernehmen mit der Natur in Verbindung gebracht wurde, siehe insbesondere die Dissertation Beatus ille. Studien zum „Lob des Landlebens“ in der Literatur des absolutistischen Zeitalter von AnkeMarie Lohmeier. 79 Siehe hierzu auch G213 sowie Howard: Grundlegung, S. 330. 80 Jefferson: Notes on the State of Virginia. 19. Query, S. 274. 81 Reizenstein an Janson. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 161. Brief vom 16. 1. 1780, S. 357 [404]. 82 Ebd.
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tausch offenkundig werdende Diskrepanz zwischen arm und reich zu nivellieren, wird der Mensch dazu verleitet, durch sittenloses Verhalten seine ökonomische Lage zu verbessern, um im gesellschaftlichen Wettbewerb nicht zurückzustehen. Der Handel „erweckt […] Begierlichkeit“83, „bringt Leidenschaften der Menschen in […] Gährung“84 und führt zum „jammernswürdige[n] Umsturz des Menschenglücks“.85 Die politisch-ökonomisch motivierten expandierenden europäischen Handelsbestrebungen und die Realisierung eines privaten bescheidenen Glückszustandes erscheinen in diesem Zusammenhang unvereinbar. Europa wird damit zum Nährboden für die Ausprägung von Sittenlosigkeit und ermangelt nicht nur der wünschenswerten ethisch-moralischen Rahmenbedingungen, sondern raubt sogar aktiv den Menschen die Möglichkeit, ein natürliches, zufriedenes und glückliches Leben zu führen. Reizenstein gelangt in einem Brief an Janson zu dem Fazit: „Sagt immer in Europa von der Glückseligkeit eines ausgebreiteten Handels, was ihr wollt! er hat den Luxus gebrütet, er tödtet die Zufriedenheit der Menschen.“86 Ausdruck dieses maßlosen materiellen Interesses und der moralischen Verfehlung ist die martialische Ausbeutung der indigenen amerikanischen Kulturen durch die europäischen Konquistadoren. In einem von Reizenstein verfassten und in einen Brief einmontierten Totengespräch,87 in dem die beiden his-
83 Ebd., S. 358 [405]. 84 Ebd. 85 Ebd. 86 Ebd. 87 Zu der auf Lukian (2. Jh. n. Chr.) zurückgehenden literarischen Gattung der Totengespräche und ihrer Bedeutung als Ausruckmittel zeitgenössischer Gesellschaftskritik im 18. Jahrhundert siehe Baumbach: Lukian, S. 65–119; Bogner: Autor, S. 207–215; Dreyfürst: Stimmen; Fasbender: Totengespräch, S. 774 f.; Jaumann: Totengespräch, S. 652–655; Wilpert: Sachwörterbuch, S. 838. Siehe auch Flohr: English Dialogues. Seybold beschäftigte sich intensiv mit dieser literarischen Gattung, so etwa als Herausgeber der 1774 erschienenen Luciani Opuscula Selecta, die beispielsweise in Wielands Literaturperiodikum Der Teutsche Merkur sehr wohlwollend besprochen wurde. Der anonyme Rezensent lobte die Ausgabe als „neue[n] Beweiß von H[e]r[r]n Seybolds Kenntniß der alten und neuen Litteratur, wodurch andern, die sie noch nicht besitzen, viel Nutzen kann geschaft werden“ ([Anonym]: [Rezension von:] Luciani Opuscula selecta, edidit Dav. Christoph. Seybold, Prof. Ien. Gothae. sumtibus C. W. Ettingeri. 1774 […], S. 358) und verwies auf „den guten Geschmack des Herausgebers“ (ebd.). Im selben Band des Teutschen Merkur bezeichnete Wieland das Werk als „anpreißenswürdige Ausgabe“ (Wieland: Ueber eine Stelle in Lucians Hippias, S. 336). Siehe auch Wippern: Zeit, S. 42. Während der Französischen Revolution, die von Seybold kritisch verfolgt wurde (vgl. ebd., S. 47 f.), nutzte auch Wieland, dessen schriftstellerisches Schaffen in Reizenstein thematisiert wird, so z. B. in einem literarischen Exkurs Müllers (Müller an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1, 28. Brief vom 18. 3. 1776, S. 86 f. [176]), diese poetische Form in seinen „Göttergesprächen“, um sich mit den sozialpolitischen
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torischen Persönlichkeiten Montezuma (Moctezuma II.; ca. 1465–1520), der letzte Herrscher der Azteken, und Christoph Kolumbus aufeinandertreffen, heißt es: Montezuma: Was hast Du nun davon, daß du eine neue Welt entdeckt hast. Du selbst bist übel belohnt worden, und hast auch andere nur unglücklich gemacht. Kolum[bus]: Wen? Montezuma: Uns Amerikaner, und selbst deine Landsleute. Kolum[bus]: Meine Landsleute? sind ihnen nicht durch mich Ströme von Gold zugeflossen? Montezuma: Und die machten eben ihr Unglück; denn nun strömte alles nach diesem gelben Metall zu uns herüber. Spanien und auch andere Länder wurden entvölkert; eure Habsucht zeugte tausend Verbrechen, vor deren Erzählung schon die Menschheit erstickt.88
Die Unterdrückung der amerikanischen Ureinwohner durch die europäischen Conquistadoren in der Frühen Neuzeit hatte sich, nicht zuletzt durch die Berichte des spanischen Dominikaners Bartolomé de Las Casas (1484/1485–1566), tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben und wurde auch von deutschsprachigen Autoren im 18. Jahrhundert immer wieder mit der Neuen Welt in Zusammenhang gebracht.89 Während Wilhelm Ludwig Wekhrlin in seiner Zeitung 1787 „vom Drama der Eroberung Amerika’s durch Spanien“90 sprach, ist im Vorwort von Johann Samuel Siegfrieds (1775–1840) Siama und Galmory (1800)91 zu lesen: Die Geschichte stellt uns in dem Ablaufe des fünfzehnten und Anfange des sechzehnten Jahrhunderts das interessanteste Schauspiel der Entdeckung einer neuen Welt, aber auch in ihm die abschreckendsten Scenen barbarischer Unmenschlichkeit vor. Ehrgeitz, Gelddurst und Fanatismus als die Haupttriebfedern der Unternehmung verhärteten die Herzen der erobernden Spanier gegen alle Empfindungen des Mitleids, übertäubten ihre Ohren, dass sie die Stimme der Natur, und selbst die herzerschütternden Friedensworte eines Las-Casas nicht vernahmen, blendeten ihre Augen so, dass sie in den armen unterdrückten Indianern ihre Brüder nicht erkannten. Ihre fürchterliche Ueberlegenheit in der Kunst zu morden, zertrümmerte damahls das Glück und die Freyheit vieler Millionen schuldloser Menschen.92
Ereignissen auseinanderzusetzen. Siehe hierzu Hill: German Literature, S. 231–249; Jaumann: Lukian, S. 61–90. Zu Wielands Wahrnehmung als dem „deutschen Lukian“ siehe auch Baumbach: Lukian, S. 89–101. 1780 erschienen Seybolds in Reizenstein veröffentlichte Totengespräche außerdem auch als Neue Gespräche im Reich der Todten. Nach Lucianischem Geschmack. Zu der Beschäftigung des Autors mit dieser literarischen Gattung siehe vor allem Baumbach: Lukian, S. 114 f.; Rutledge: Dialogue, S. 74, 84–86. 88 Reizenstein an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 46. Brief vom 6. 1. 1777, S. 146 [313 f.]. 89 Siehe z. B. Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 2. Teil. 6. Buch. VI., S. 244. 90 Wekhrlin (Hg.): Das graue Ungeheur 12 (1787), S. 186. Siehe auch ders. (Hg.): Chronologen 2 (1779), S. 5. 91 Zu Siama und Galmory siehe Jantz: Amerika, S. 329 f. 92 Siegfried: Siama und Galmory. Vorerinnerung, S. [)(ijr]f.
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Zum Symbol der aus materiellen Interessen gespeisten Ausbeutung der amerikanischen Ureinwohner wurde die sog. Silberflotte (Flota de Indias), durch welche das in Amerika gewonnene Silber und Gold nach Europa gebracht wurden. Der aus Ansbach-Bayreuth stammende Subsidiensoldat Johann Conrad Döhla (1750– 1811)93 verwies 1777 in seinem Tagebuch, das u. a. seinen Aufenthalt in Nordamerika während des Unabhängigkeitskrieges dokumentiert, auf den Abtransport der Edelmetalle. Am 4. Juni notierte er: Die Spanier haben auch darauf manche Flotte mit Gold und Silber beladen geführt. Und noch geht alle Jahre eine starke Flotte, welche man die Silberflotte nennt, und sich bey Havanah auf der Insel Cuba versammlet, in Neu-Spanien aus, und läuft in Cadizer-Haven in Andalusien in Altspanien ein […].94
Und Döhla ergänzte: Wenn damals die Spanier bey ihrer Ankunft in Amerika mit den alten Einwohnern etwas freundlicher umgegangen wären, so würde der Reichthum an Gold und Silber unsäglich gewesen seyn, den sie daraus gesogen hätten, so aber, die sie so viele Millionen Menschen elender Weise massacrirt haben [Hervorhebung durch D.], so sind von den Einwohnern selbst viele Goldgruben u[nd] Silberbergwerke mit Fleiß verderbt u[nd] ruiniert worden.95
Unter den europäischen Kolonialmächten wurde insbesondere Spanien, etwa in der hispanophoben sog. Leyenda Negra,96 mit der gewaltsamen Behandlung der Ureinwohner in Verbindung gebracht. In diesem Zusammenhang wurde in der Regel auf Hernán Cortés (1485–1547),97 der die Azteken bezwang, und Francisco Pizarro (1476/78–1541),98 der das Inkareich eroberte, verwiesen. Im Vorwort von Siama und Galmory wird Pizarro als „ein im höchsten Grade beherzter, aber eben so arglistiger und grausamer Mann“99 beschrieben. Und im zweiten Gesang ist zu lesen: […] Pizarro! – Ein schreyender Misslaut Ist in der Saite des Sängers dein Nahme! Verflucht sey die Stäte Wo dein Gebein ruht! Welke du Blume! der kleidenden Distel, Blühe da nicht! Es dorre das Gras! […]100
93 Zu ihm siehe den Kommentar zu G179. 94 Döhla: Tagebuch. Eintrag 4. 6. 1777. Exkurs Amerika, S. 42. 95 Ebd., S. 43. 96 Siehe hierzu Becker-Cantarino: „Schwarze Legende“, S. [153]–173; Edelmayer: „Leyenda negra“. 97 Siehe hierzu z. B. auch G62, G87 und G356. 98 Siehe z. B. G87. 99 Siegfried: Siama und Galmory. Vorerinnerung, S. [)(iijr]. 100 Ebd. 2. Gesang, S. 66.
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In Paul Weidmanns (1746–1810) „Originaltrauerspiel“101 Pizarro, oder die Amerikaner (1772) fragt der Conquistador, der den anhaltenden Widerstand der Bevölkerung gegen die Spanier und seine Person nicht verstehen kann: Wie lang wird noch dein Volk zu trotzen sich erfrechen; Kann das vergossne Blut sie nicht Gehorsam lehren, Wann lernt dieß wilde Volk den Sieger zu verehren? – Vergessen sie, daß uns, die Welt, ihr Wohl ihr Leben Zum ewgen Eigenthum vom Himmel preiß gegeben? Wie lange muß ich noch die nakten Sklaven tödten; Wann kommt ihr unsern Gott, und auch uns anzubeten?102
Hierauf entgegnet Pagha, die Witwe des letzten Inkaherrschers: Sprich, stammst du wirklich ab vom menschlichen Geblüte? Kennst du den Namen nur von Sanftmuth, und von Güte? – Wohlan; so höre mich: Ich will dich siegen lehren; Sey erst ein Mensch, und dann wird man dich bey uns ehren! –103
Pagha wirft dem Eroberer vor, sich gegen die Natur gewandt sowie unmenschlich erwiesen zu haben („Von euch wird die Natur, die Menschlichkeit verlachet“104) und fragt nun ihrerseits herausfordernd: „Sprich, kann wohl ein Gefühl in euern Seelen wohnen? / Ihr würgt um einen Kloß so viele Millionen!“105 Im finalen Aufzug akzentuiert die Herrscherwitwe erneut die beispiellose Grausamkeit des Conquistadors, indem sie die rhetorische Frage stellt: „Pizarro der Tyrann, der Name ist ein Schrecken! / Kann sich ein Mensch so sehr mit Blut, und Greul beflecken? –“106 Cortés und Pizarro werden in Seybolds Briefroman zwar nicht namentlich erwähnt, dennoch wird die gewaltsame Christianisierung und materielle Ausbeutung der indigenen Bevölkerung explizit verurteilt. Das von pekuniärer Gier geleitete Verhalten der Eroberer hat auf beiden Seiten zu Unglück geführt. Für Reizenstein folgt hieraus die unbedingte Absage gegenüber einem exzessiv verfolgten Ökonomiestreben und dem damit verbundenen Luxusinteresse, das sich in Europa ausgebreitet hat und im Gegensatz zu einem ethisch-moralisch vorbild-
101 [Weidmann]: Pizarro, oder die Amerikaner, S. [Titelblatt]. 102 Ebd. 1. Aufzug. 3. Auftritt, S. 9. 103 Ebd. 104 Ebd., S. 10. 105 Ebd., S. 11. 106 Ebd. 5. Aufzug. 3. Auftritt, S. 55 f.
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lichen Leben steht. Lord Barbington schreibt diesbezüglich an seine Schwester Auguste über die sich aus antikem Gedankengut speisenden Ansichten Reizensteins: „[…] [E]r hat aus den Alten den Geist der Freyheit in sich gesogen, und findet Europa zu sehr in die Fesseln gelegt, die Luxus, Despotismus und Feinheit der Sitten diesem Welttheile angelegt haben.“107 Baron Roth bezieht in dieser Frage ebenfalls eine äußerst kritische Position und konstatiert gegenüber seiner Jugendzeit eine massive und stetig zunehmende moralische Dekadenz in Europa als Hort dieser gesellschaftlichen Fehlentwicklungen. Er konstatiert: „[…] [E]s gefällt mir in Europa je länger, je weniger. Welch eine Verschlimmerung der Sitten seit den Zeiten meiner Jugend! Wie hat alles im Kabinette, in dem Felde, in den Kollegien, in Bürgershäusern und in Hütte ein so ganz anderes Ansehen erhalten.“108 Der Baron benennt die Ursache für die moralisch-sittlichen Probleme und findet sie in der adeligen Regierungsgewalt. Er schreibt: „Denn das Verderbnis der Sitten und die Verbreitung des Luxus kömmt von oben herab […].“109 In einem Brief an den Standesgenossen Baron Kaltenthal wiederholt er einen persönlichen Sozialkommentar, den er während der Arkadienfeier in Mainbernheim an die übrigen Teilnehmer gerichtet hat. Er spricht eine negative Prognose aus, thematisiert den Sittenverfall infolge von Luxus und Geldgier und kritisiert folgendermaßen explizit den herrschenden Adel, der sich durch die negativen Zustände Vorteile verschafft und bereichert hat: Kinder! Gott gebe, daß ich falsch prophezeihe. Aber ich fürchte, ihr fallet in Schlimme Tage. Der Luxus untergräbt immer mehr die Glückseligkeit der Menschen. Er ist dem Fürsten einträglich, d. i. er bringt das Geld aus der Tasche der Unterthanen in den Beutel der Fürsten. Daher hegen sie ihn, und denken nicht daran, oder wollen nicht daran denken, daß er den häuslichen Wohlstand, die Gesundheit und jede Tugend tödtet. Durch ihn wachsen dem Despotismus, der dem Adel= und Bürgerstand das Gefühl von eigenem Werthe und die persönliche Freyheit nach und nach raubt, immer neue Kräfte.110
Europa als Ursprungsort sowie Zentrum der Dekadenz und des moralischen Verfalls bietet daher nicht länger die Möglichkeit, ein Leben jenseits der negativen Auswüchse von Sittenlosigkeit zu führen, so dass in dieser Situation einzig die Auswanderung als Ausweg aus diesem Dilemma erscheint. Enttäuscht schreibt
107 Barbington an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 94. Brief vom 24. 8. 1777, S. 234 [101]. 108 Baron Roth an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 100. Brief vom 7. 9. 1777, S. 244 [125]. 109 Ebd. 110 Baron Roth an Baron Kaltenthal. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 33. Brief vom April 1776, S. 110 [234 f.].
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
auch Janson über die europäischen Zustände an Charlotte Müller: „Mädchen! wir wollen auch fort! ich kann das Schlaraffenleben in Europa nicht länger ausstehen; man ist nichts, als ein Sklave von so genanntem Wohlstande, von der Mode, vom Luxus – andere Fesseln will ich nicht rechnen.“111
6 „Nun, wers nicht glauben will, daß so genannte Feinheit gänzlich von der Natur entfernt, der gehe nur durch eine einzige Strasse von Paris!“ Frankreich als Symbol der europäischen Dekadenz Die im Roman immer wieder in rousseauistischer Tradition artikulierte Zivilisations- und die mit ihr verbundene Luxuskritik bzw. die Kritik an der Entfernung der europäischen Gesellschaften von dem im Text höchst positiv besetzten natürlichen Urzustand des Menschen, findet ihre zentrale Manifestation und ihren Kulminationspunkt in der Darstellung der gesellschaftlichen und politischen Zustände in Frankreich. Verschiedene Figuren äußern sich ausgesprochen abwertend gegenüber der französischen Kultur und Politik. In einem Brief an Baron Roth formuliert Reizenstein während seines Zwischenhaltes in Paris auf der Reise nach Amerika Kritik an der Distanz zur ursprünglichen Natürlichkeit, die sich ihm zufolge insbesondere in der französischen Mode und Kleidung zeige.112 Er erklärt: „[…] [S]o ganz ist die natürliche Form durch die unnatürliche Tracht verunstaltet!“113 Und bereits kurz vorher heißt es: „Nun, wers nicht glauben will, daß so genannte Feinheit gänzlich von der Natur entfernt, der gehe nur durch eine einzige Strasse von Paris!“114 In dieser Hinsicht erscheint Frankreich als die Inkarnation einer frivolen Sittenlosigkeit, die sich auch auf die Nachbarterritorien überträgt. Baron Roth verweist in einem Brief an Reizenstein auf das „Böse, das […] [Frankreich] in Deutschland gestiftet hat, und durch seinen Geist der Frivolität noch täglich stiftet.“115
111 Janson an Charlotte. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 140. Brief vom 24. 6. 1778, S. 309 [286]. 112 Zur negativen Wahrnehmung der Mode bzw. Modeerscheinungen, die als unbeständig und oberflächlich beschrieben werden, in der deutschsprachigen Amerikalyrik siehe G233 und G322. Siehe auch G195. 113 Reizenstein an Baron Roth. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 86. Brief vom 23. 5. 1777, S. 211 [43]. 114 Ebd., S. 210 [42 f.]. 115 Baron Roth an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 100. Brief vom 7. 9. 1777, S. 245 [126]. Es dürfte gewiss nicht ohne Bedeutung sein, dass Markgraf Karl Alexander von AnsbachBayreuth (1736–1806; reg. 1757/1769–1791), in dessen Territorium der erste Teil der Romanhand-
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Der Unmut über die unnatürlichen Modeerscheinungen in der französischen Hauptstadt, die als sichtbarer Ausdruck der gesellschaftlichen ethisch-moralischen Korruption verstanden werden, geht in eine allgemeine, auch politisch definierte, Gallophobie über. Noch im ersten Band, während er von der arkadischen Feier in Mainbernheim berichtet, macht Baron Roth Frankreich den Vorwurf, zum Ausbruch von militärischen Konflikten in Europa beigetragen zu haben. Gegenüber Baron Kaltenthal verweist er metaphorisch auf „Flämmchen in Europa“116 und „besonders das Frankreich angezündet hat“117. In diesem Sinne erweckt insbesondere der Bündnisvertrag zwischen Frankreich und den Kolonisten, der eine tatsächliche historische Grundlage hat und unter dem Engagement von Benjamin Franklin, dem Gesandten der Vereinigten Staaten in Frankreich, 1778 geschlossen wurde,118 den Unmut Reizensteins.119 Während seines Aufenthaltes in Paris versucht er sogar die Gelegenheit zu nutzen, Franklin unmittelbar von den negativen Folgen eines solchen Bündnisvertrages zu überzeugen. Er berichtet: „Ich nahm mir bey den folgenden Besuchen die
lung situiert ist, eine starke Affinität zur französischen Kultur und Kunst aufwies. Vgl. Gier: Bedeutung, S. 25–37. 116 Baron Roth an Baron Kaltenthal. In: Seybold, Reizenstein. Bd. 1. 33. Brief vom April 1776, S. 111 [237]. 117 Ebd. 118 Zu den historischen Umständen des historischen Bündnisses (Treaty of Alliance und Treaty of Amity and Commerce) sowie den Motiven der Beteiligten siehe auch Boyer – Clark – Kett u. a.: Enduring Vision, S. 164 f.; Corwin: French Policy, S. 1–22, 149 ff.; Dull: Diplomatic History, S. 75–103; Häberlein: Entstehung, S. 142; Heideking – Mauch: Geschichte, S. 46; Herre: Amerikanische Revolution, S. 180 ff.; Jones: Crucible, S. 4–6; Krug: Amity, S. 36 f., Lerg: Amerikanische Revolution, S. 65 f.; Parry: Kolonialreiche, S. 273 f. Siehe hierzu auch die Kommentare zu G89, G101 und G393. 119 Die militärische Allianz war mit der Anerkennung der Vereinigten Staaten als souveräne Entität durch Frankreich und einem Freundschafts- und Handelsvertrag verbunden. Insbesondere die dadurch zu erwartende Expansion des Handels dürfte für zeitgenössische ökonomiekritische Beobachter, wie sie im Roman durch die Figur Reizenstein verkörpert werden, Abneigung hervorgerufen haben. Nach dem Abschluss des Vertrages sank das Handelsvolumen zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten allerdings zunächst um fast 40 % (1777 etwa 8,8 Mio. Livres, 1778 etwa 5,4 Mio. Livres), aufgrund einer stärkeren Seekontrolle durch die britische Flotte, bevor es sich ab 1781 stark ausweitete und bis dahin unbekannte Ausmaße erreichte (1781 etwa 14,5 Mio. Livres). Vgl. Wellenreuther: Chaos, S. 409, 703. Das Interesse an einer Politik des freien transatlantischen Handels ist vom Kontinentalkongress bereits zu einem frühen Zeitpunkt, etwa im sog. Model Treaty bzw. dem Treaty Plan of 1776 zum Ausdruck gebracht worden und stellte einen integralen Bestandteil der amerikanischen außenpolitischen Interessen dar. Vgl. Jones: Crucible, S. 7 f.; Krug: Amity, S. 33–36. Zur Bedeutung des Handels und der Ökonomie für die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung siehe Breen: Marketplace, S. 1 ff.
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Freyheit, ihm zu sagen: Vielleicht wäre es besser, wenn sich die Kolonien nicht so ganz an Frankreich angeschlossen hätten.“120 Als zunehmend evident wird, dass das Bündnis doch zustande kommt, reagiert Reizenstein enttäuscht und mit einer negativen Prognose: „[D]er Kongreß scheint Anstalten zu einem Bündnisse mit Frankreich zu machen, und wenn das geschieht, so ists mit allen meinen Projekten vorbey. Wie werden sie einander noch bezahlen!“121 Hauptkritikpunkt an der politischen Union ist eine drohende Abhängigkeit der ehemaligen Kolonien vom neuen Bündnispartner.122 Auguste befürchtet: „Denn wenn wir in Zukunft nicht thun, was sie verlangen, so werden sie uns Undankbarkeit vorrücken, drohen, unsern alten Herren uns Preis zu geben, und werden auf diese Art erhalten, was sie nur verlangen.“123 Diese von einer Amerikanerin artikulierte Kritik verdeutlicht die pannationale Frankreich-Feindlichkeit zu beiden Seiten des Atlantiks
120 Reizenstein an Baron Roth. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 86. Brief vom 23. 5. 1777, S. 211 [44]. 121 Reizenstein an Baron Roth. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 87. Brief vom 26. 5.(/6. 6.) 1777, S. 212 [47]. 122 Die Befürchtung, durch eine zu enge Bündnispolitik mit europäischen Mächten in ein negatives Abhängigkeitsverhältnis einzutreten, korrespondiert, freilich unter anderen Vorzeichen und Umständen, mit der berühmten historischen Warnung vor den sog. Entangling Alliances, die mit den Präsidenten George Washington und Thomas Jefferson in Verbindung gebracht wird. Beide Präsidenten mahnten, sich durch Verträge nicht zu nahe an das europäische Mächtesystem anzubinden, da die USA hierdurch in unnötige und kostspielige Konflikte hineingezogen werden könnten. Siehe hierzu den Kommentar zu G190. Siehe auch Heideking: George Washington, S. 62; ders. – Mauch: Geschichte, S. 71 f.; Wellenreuther: Chaos, S. 594. Dieser isolationistische Ansatz ist auch im poetischen Raum aufgegriffen worden. Im 1787 in der deutsch-amerikanischen Neuen Unpartheyischen Lancäster Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten publizierten Ermunterungs-Lied zur Eintracht (G190), das im Rahmen der Philadelphia Convention entstand, heißt es beispielsweise in der vierten Strophe: Wenn Europens Völker kriegen Singen wir von alten Siegen, Sehen im Gesicht der Ruh Ihren blutgefechten zu; Weiden selbst erzogne Heerden, Pflugen sicher eigne Erden, Essen froh, nach altem, Schrot, Mosch und Milch und Gerstenbrod. [Anonym]: Ermunterungs-Lied zur Eintracht. 4. Strophe, S. [3] [G190]. Siehe auch den Kommentar zu G190. 123 Auguste an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 137. Brief vom 20. 5. 1778, S. 304 [273].
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und hat ihre Grundlage in der Befürchtung, dass die alte Kolonialmacht Großbritannien durch eine neue ausgetauscht werden könnte. Auguste ergänzt: „Viele werden voraussehen, daß alsdann die Kolonien nur ihren Herrn änderten, und, statt unserer Blutsverwandten, Frankreich über uns herrschen würde.“124 Den Aspekt der kulturellen Verwandtschaft und geistigen Nähe zwischen den Kolonisten und Großbritannien125 thematisiert in diesem Zusammenhang Baron Roth in einem vorhergehenden Brief mit den Worten: Das glaube ich selbst, daß die Amerikaner sich mit den Franzosen nicht recht vertragen werden. In den Kolonisten wallt doch Englisches Blut, und dies wird, mit dem Französischen vermischt, allezeit eine Gährung hervorbringen; den Franzosen thut der in Amerika durch der Pariser Frieden erlittene Verlust immer wehe; sie werden sich izt von den Kolonien grosse Vortheile bedingen; diese werden in der Noth sie bewilligen. […] [D]ie Kolonisten werden mit der Zeit, früher oder später, einsehen, daß sie alsdann in den Händen der Franzosen sind, von diesen mehr zu befürchten haben, als von ihren Blutsverwandten in der alten Welt, und daß sie einen schlimmern Herrn mit besseren zu vertauschen in Gefahr sind.126
Reizensteins Beurteilung des Bündnisses ist von einem massiven Misstrauen gegenüber den tatsächlichen politischen Absichten Frankreichs als Akteur im europäischen Mächtesystem geprägt. Auguste gegenüber berichtet er von einem Gespräch mit amerikanischen Offizieren, in dem er sich selber folgendermaßen äußerte: Freunde, […] glaubt ihr denn, daß es jemalen den Franzosen ein wahrer Ernst seyn sollte, uns zu helfen? Daß sie Völker uns zu unterstützen wirklich abgeschickt, daß sie unsern Antrag zu einem Bündnisse begierig ergriffen haben, ist kein Wunder für den, der die europäische Politik kennt.127
Ein amerikanischer Hauptmann teilt Reizensteins Ansicht, dass die angebotene Unterstützung in Frankreichs Intention liege, dem politischen Gegner Großbritannien Schaden zuzufügen und dass der neue Bündnispartner bestrebt sein werde, weiteren Einfluss auf die nordamerikanischen Staaten auszuüben. Er prognostiziert: „[…] [E]s wird uns immer in einer gewissen Abhängigkeit zu erhalten
124 Ebd. 125 So hatte 1770 über die Hälfte der Bevölkerung in den nordamerikanischen Festlandskolonien Großbritanniens ihre Wurzeln in England oder Wales, während französische Kolonisten nur einen geringen Teil der Gesamtbevölkerung ausmachten (Abb. 26). 126 Baron Roth an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 100. Brief vom 7. 9. 1777, S. 245 [126 f.]. 127 Reizenstein an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 146. Brief vom 1. 10. 1778, S. 321 [314].
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suchen, um immer die Vortheile von uns ziehen zu können, die es seinen Nebenbulern misgönnt.“128 Auguste geht schließlich sogar so weit, den Kosten-Nutzen-Faktor des Bündnisses ganz in Frage zu stellen. Sie gelangt zu dem Schluss: „Je mehr ich die Sache überlege, desto mehr muß ich fast glauben, die Verbindung mit Frankreich wird England fast mehr nützen, als schaden […].“129 Ihre Befürchtung ist in der Erwartung fundiert, dass der Vertrag mit Frankreich die Auseinandersetzung der Kolonien mit dem britischen Mutterland zu einer Nationalfrage machen und den Aspekt der „nationalen Ehre“ als neues Kriegsmotiv einführen wird: „[D]ieser Schritt wird England so sehr auf uns erbittern, daß, im Falle es uns nicht bezwingen kan, wir itzt nicht mehr als irrende Brüder und Blutsverwandte, sondern als offenbare Feinde werden behandelt werden […].“130 Sie führt weiter aus: [S]ie wird den Nationalstolz der Altengländer erwecken, sie wird einen grossen Theil der Antiministerialpartey, die Kläffer ausgenommen, die nur zum Nachbellen gemacht sind, mit dem Hofe aussöhnen, sie wird die Nation bereitwilliger machen, Subsidien zu geben, den Soldaten, der bisher nur für Lord North zu fechten glaubte, zu streiten – denn er muß itzt für das Wohl des Vaterlandes, so wie vorher nur für die Herrschsucht, fechten […].131
Auguste verweist auf eine massive Gallophobie in den Kolonien132 und die daraus resultierende Gefahr, revolutionäre Staaten an die Loyalisten zu verlieren. Sie führt aus: [D]a gewiß die meisten Kolonisten die herrschsüchtigen Engländer nicht so sehr hassen, als ihnen der Charakter der französischen Nation zuwider ist, so wird das Bündniß wahrscheinlich einige unserer Provinzen geneigter machen, sich mit Altengland zu vereinigen und auszusöhnen, als sie es sonsten gewesen wären.133
128 Ebd. [315]. 129 Auguste an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 137. Brief vom 20. 5. 1778, S. 304 [272]. 130 Ebd., S. 303 [270]. 131 Ebd., S. 304 [272]. 132 Diese Antipathie zeigt sich auch in Augustes persönlicher Abneigung gegenüber Frankreich. In einem Brief an Reizenstein erwähnt Müller, dass sie die französische Sprache „um der Nation willen, nicht sehr gerne“ (Müller an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 144. Brief vom 4. 8.(/5. 8.) 1778, S. 315 [301]) spreche. Mit einem Vorurteil, allerdings einem positiven, reagiert sie auch in Bezug auf Reizenstein, als sie erfährt, das er aus den deutschen Staaten stammt. Ihrem Bruder schreibt sie: „Ein Deutscher ist er? Schon ein gutes Anzeichen! Aus der Brust des Deutschen kann doch Freyheitsliebe noch nicht ganz verdrängt seyn. Ist er für unsere gerechte Sache ganz eingenommen? Dann soll er mir doppelt willkommen seyn.“ Auguste an Lord Barbington. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 114. Brief vom 30. 9. 1777, S. 268 [183]. 133 Auguste an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 137. Brief vom 20. 5. 1778, S. 304 [272 f.].
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Die Südstaatlerin bezweifelt generell, dass man aus pragmatischen Gründen ein Bündnis mit dem „Nationalfeinde“134 der ehemaligen Kolonialmacht eingehen sollte. Sie macht deutlich: „Denn wenn gleich Großbritannien kein Recht hatte, uns als Unterthanen zu behandeln, so ist hingegen auch das nicht Recht, daß wir uns mit seinem Nationalfeinde vereinigen, um unserm Mutterlande mehr Schaden zu thun, als die abgesagtesten Feinde ihm gethan haben.“135 Die Abneigung gegenüber Frankreich als potentiellen Bündnispartner wiegt schwerer als die Gegnerschaft zu dem militärischen und politischen Feind Großbritannien. Selbst die spätere Freude über die errungene Unabhängigkeit der Revolutionsstaaten wird durch die politische Stimmung im Hinblick auf die französischen Truppen getrübt. In einem Brief an Auguste gibt Reizenstein an: „Was bey einer so freudigen Begebenheit das ärgerlichste ist, ist dieses, daß die Handvoll Franzosen, die bey uns sind, sich den größten Theil des guten Erfolgs selbst zuschreiben […]. Das wird noch Verdruß geben.“136 Interessant ist, dass die in Reizenstein beschriebene explizite amerikanische Antipathie gegenüber dem Bündnis mit Frankreich bzw. allgemein gegen die französische Nation und Kultur von der tatsächlichen historischen Rezeption des Vertrages und der Franzosen in Amerika abweicht. Während des Siebenjährigen Krieges (French and Indian War) vermischten sich zwar in den britischen Kolonien in Nordamerika tatsächlich antifranzösische Ressentiments mit einem ausgeprägten Antikatholizismus und blieben teilweise auch noch während der Amerikanischen Revolution bestehen. Dennoch rief das 1778 abgeschlossene Bündnis mit Frankreich keine Proteste hervor und wurde im Süden gleichermaßen wie im Norden begrüßt. William C. Stinchcombe hielt in diesem Zusammenhang fest: „Citizens in the South responded to news of the treaty as enthusiastically as had their compatriots in the North.“137 Der Kongress ratifizierte den Vertrag einstimmig ohne Widerstand der Presse, der klerikalen oder der wirtschaftlichen Elite. Dem durch die militärische Unterstützung Frankreichs errungenen Sieg von Yorktown folgten Festivitäten, in denen die Allianz und sogar die Geburt des französischen Dauphins Louis Joseph (1781–1789) gefeiert wurden.138 Die starken Ressentiments gegenüber Frankreich erreichen in Seybolds Briefroman in direktem Antagonismus hierzu ihren Kulminationspunkt in einer nach der gewonnenen
134 Ebd., S. 303 [270]. 135 Ebd. 136 Reizenstein an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 153. Brief vom 30. 5. 1778, S. 337 [354 f.]. 137 Stinchcombe: American Revolution, S. 16. 138 Vgl. ebd., S. 91–117; ders.: Americans, S. 40–56. Siehe auch Lutz-Esche: Bild, S. 76.
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Unabhängigkeit erfolgenden Staatsrevolte gegen den amerikanischen Kongress, an deren Durchführung auch Reizenstein beteiligt ist. Lord Barbington nennt die Gründe, die zu diesem Schritt geführt haben: Eben itzt sind wir von der Herrschsucht Englands befreyet worden. Allein die Schritte des Kongresses, der ein allzuvortheilhaftes Bündnis mit Frankreich eingehen will, um, wie es scheint, das Ruder in seinen Händen zu erhalten, drohen uns eine Sklaverey, eine Aristokratische Verfassung, Unterwürfigkeit unter Frankreich, die fürchterlicher ist, als der Tod. Wir alle schwörens […], daß wir lieber zur alten Verbindung mit England zurück kehren wollen, als von Frankreich abhangen […].139
Nach der Loslösung von Großbritannien befürchten ehemalige revolutionäre Kräfte infolge eines zwischen Frankreich und dem Kongress ausgehandelten aktualisierten Bündnisses, einem neuen Abhängigkeitsverhältnis ausgesetzt zu werden. Für den, ihrem Verständnis nach, allzu einseitigen Vertrag, wird der Kongress verantwortlich gemacht.140 Unter der Losung „Kein Kongreß! keine französische Tyranney!“141 gelingt es der vor allem von den südlichen der „dreyzehn Provinzen“142 getragenen Revolte, den Kongress zu entmachten und den neuen in
139 Reizenstein an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 160. Brief vom 1. 12. 1779, S. 355 [398]. 140 Siehe hierzu auch Reizenstein an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 146. Brief vom 1. 10. 1778, S. 321 [315 f.]. 141 Reizenstein an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 160. Brief vom 1. 12. 1779, S. 355 [397]. 142 Reizenstein nennt „Karolina, Virginien, Florida, Georgien“ (ebd. [398]) und „selbst […] Pennsylvanien“ (ebd.) als Hauptakteure. Obwohl Florida zu diesem Zeitpunkt noch unter spanischer Verwaltung stand und historisch erst 1819 infolge des Adams-Onís-Vertrages von den USA gekauft wurde, reiht Reizenstein es unter die anderen unabhängig gewordenen Kolonien ein. Zur historischen Eingliederung Floridas in die USA siehe Boyer – Clark – Kett u. a.: Enduring Vision, S. 245; Heideking – Mauch: Geschichte, S. 89; Wala: USA, S. 233. Auffällig ist, dass selbst nach der erreichten Unabhängigkeit die Gründerstaaten der USA als „Provinzen“ und nicht als „Staaten“ bzw. „Bundesstaaten“ bezeichnet werden. Der Ausdruck „Provinz“ ist in der zeitgenössischen Literatur in entsprechend adaptierter Form auch zur Bezeichnung der nordamerikanischen Kolonisten bzw. der Unabhängigkeitskämpfer verwendet worden. So werden z. B. in der dritten Fassung von Goethes Lustspiel Die Mitschuldigen (siehe G104) die amerikanischen Patrioten „Provinzialen“ (Goethe: Die Mitschuldigen. 1. Aufzug. 1. Auftritt, S. 323 [3. Fassung]) genannt. Die Bezeichnung wird auch in dem von Leopold Friedrich Günther von Goeckingk (1748–1828) verfassten, 1780 publizierten Kriegeslied eines Provinzialen (G178) verwendet. In Johann August Weppens (1741–1812) Lustspiel Der Hessische Officier in Amerika (1783) sprechen sowohl Eduard als auch Corporal Hut von den „Provincialen“ (Weppen: Der Hessische Officier in Amerika. 1. Aufzug. 7. Auftritt, S. 25; 3. Aufzug. 1. Auftritt, S. 55. Siehe auch ebd. 3. Aufzug. 3. Auftritt, S. 63; 3. Aufzug. 4. Auftritt, S. 66). Das Stück zeigt deutliche pro-hessissche Züge und nimmt implizit eine apologetische Haltung zu den Subsidienverträgen ein, die allerdings nicht dezidiert thematisiert
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Aussicht gestellten Vertrag mit Frankreich außer Kraft zu setzen. Reizenstein hält fest: „Er ist gefallen, er ist gefallen, der neue Souverain in Amerika! itzt erst hebt die wahre Freyheit ihr Haupt empor, seit dem die Kolonien nicht mehr in Gefahr sind, von dem bisherigen Kongresse, oder durch ihn von Frankreich beherrscht zu werden.“143 In einem späteren Brief konstatiert Reizenstein schließlich die Einkehr von Friede und Ruhe, nachdem auch die „französischen Götzen gestürzt sind“144. Besonders auffällig ist die Abweichung von den historischen Entwicklungen, da sich Seybold in seinem Roman im Allgemeinen besonders um geschichtliche Akkuranz bemüht hat. Die Modifikation der tatsächlichen Reaktionen ist wohl auf eine in großen Teilen der deutschsprachigen Bevölkerung im 18. Jahrhundert weit verbreitete latente oder auch offen zutage tretende Aversion gegen das Nachbarland zurückzuführen (siehe z. B. G122).145 In der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur finden sich zahlreiche Beispiele, die diesen Eindruck unterstreichen. So verkündet z. B. der deutlich erregte Sprecher in dem wahrscheinlich von Johann Tobias Dick verfassten Gedicht Lob der Deutschen, das zu den 1779 publizierten Heßischen Cadettenliedern gehört: Nicht einen Kreuzer gäb’ ich drum, Daß ich aus Frankreich wär’; Halt’s, wer da will, für einen Ruhm; Mir gilt mein Deutschland mehr.146
Franzosen verkörperten in zahlreichen poetischen Texten des 18. Jahrhunderts sexuell laszive und bzw. oder moralisch korrumpierte hinterhältige Verfführerfiguren, die kein Ehrgefühl besitzen. In Otto Heinrich Freiherr von Gemmingens (1755–1836) ebenfalls 1779 veröffentlichtem Schauspiel Die Erbschaft berichtet Madame Ronay ihrer Tochter Mina:
werden. So spricht z. B. Andres von „unserm gnädigsten Herrn Landgrafen in Cassel“ (ebd. 1. Aufzug. 1. Auftritt, S. 6). Siehe auch ebd. 1. Aufzug. 2. Auftritt, S. 8. 143 Reizenstein an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 160. Brief vom 1. 12. 1779, S. 354 [396]. 144 Reizenstein an Janson. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 161. Brief vom 16. 1. 1780, S. 357 [403]. 145 Zur zeitgenössischen Gallophobie siehe den von Jens Häseler und Albert Meier unter Mitarbeit von Olaf Koch 2005 herausgegebenen Sammelband Gallophobie im 18. Jahrhundert. Akten der Fachtagung vom 2./3. Mai 2002 am Forschungszentrum Europäische Aufklärung. Siehe hierzu außerdem Gaiser: Christian Friedrich Daniel Schubart, S. 141 f.; Wertheim – Böhm: Einleitung, S. XXIIIf. 146 [Dick?]: Lob der Deutschen. 2. Strophe, S. 28.
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Während des vorigen Kriegs war ich in Wesel – war bey meiner Mutter – hatte jugendliches Blut – unschuldig und desto unerfahrner – Ein französischer Offizier, der dort im Winterquartier lag, spielte unter der Larve des rechtschaffenen Mannes seine Comödie wie alle seine Landsleute – Erwußte mir zu gefallen; sagte mir tausend schöne Sachen vor – tausend Schwüre der Treue, der Liebe […] er verließ mich.147
Bezeichnend für die Frankreich-Rezeption ist auch ihre Ergänzung: „Der Bösewicht, er hatte alles für sich, der Blick eines redlichen Mannes, das Gesetzte eines Deutschen, sprach deutsch wie ein Eingebohrner – hatte alles, nur kein deutsches Herz.“148 Insbesondere im Zuge der Terreur während Französischen Revolution häuften sich unter den kritischen Stimmen negative Franzosen-Darstellungen. In Friedrich Gustav Hagemanns (1760-vor 1835) Einakter Die glückliche Werbung, oder: Liebe zum König (1794) entgegnet der Weinschenker Meyer, nachdem ihn Grenadiercorporal Brand französisch begrüßt hat: „Herr, wenn er mich lieb hat, so rede er nicht französisch. Da lese ich eben die Zeitungen, ich will gar nichts mehr hören was französisch klingt.“149 Therese hat bereits zuvor ihrem Vater verallgemeinernd geklagt: „Es kommt immer von den Franzosen her.“150
7 „Und was haben wir denn von eurer Religion gelernt? Das Gepimpel und Gepampel und das Ceremonienwerk; das Wesentliche wahrhaftig nicht[.]“ Kirchenkritik und religiöses Bekenntnis. Amerika als Ort des religiösen Pluralismus Eine kritische Position in Bezug auf den im Text evozierten Sitten- und Tugendideals ist in Reizenstein auch gegenüber der katholischen Kirche, die in ihrer Dimension als religiöse und administrative Institution wahrgenommen wird, zu spüren. Besonders der Protagonist äußert sich hierzu in verschiedenen Briefen negativ und verweist auf die Diskrepanz zwischen der Mittellosigkeit der einfachen Bevölkerung und dem finanziellen Wohlstand der Kirche. In einem Brief an Baron Roth berichtet Reizenstein:
147 [Gemmingen]: Die Erbschaft. 1. Aufzug. 5. Auftritt, S. 19. 148 Ebd., S. 20. 149 Hagemann: Die glückliche Werbung. 3. Auftritt, S. 13. Brand allerdings erwidert: „Die Nation ist braf [sic], aber vielleicht nicht in den besten Händen.“ Ebd. 150 Ebd. 2. Auftritt, S. 9 f.
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Heute habe ich einen kleinen Spaziergang nach dem benachbarten Würzburgischen Kloster, Komburg, gemacht. Es ist mir nur zu reich, und ich ärgerte mich allemal, wenn ich ein paar Duzend Leute in einem Wohlstande schwimmen sehe, deren Ueberfluß so mancher armen Familie, ganzen Flecken und Dörfern, aushelfen könnte; sie haben einen grossen Schaz von Kostbarkeiten.151
Eine Ursache für den materiellen Wohlstand der Kirche erkennt der Offizier in der Ausbeutung der „amerikanischen Bergwerke“152 in Südamerika, infolge der Eroberung dieser Gebiete durch die europäischen Mächte. An die historischen Entwicklungen erinnert er mit den Worten: Welche Massen von Silber und Gold haben sich in den römischkatholischen Klöstern und Kirchen, seit drey Jahrhunderten aufgehäuft, und liegen da nun todt und begraben. Denken Sie an die […] vielen reichen Klöster in […] Provinzen und Reichen, in welchen allen seit der Entdeckung von Amerika die Pracht erstaunend in die Höhe getrieben worden ist.153
In dem bereits erwähnten Totengespräch zwischen Kolumbus und Montezuma (s. o.), wird die mit Gewalt verbundene christliche Missionstätigkeit der europäischen Eroberer ebenfalls thematisiert und angeprangert.154 Während Kolumbus in der Christianisierung der Ureinwohner die Grundlage für die Teilhabe der indigenen Völker an der eschatologischen Heilserwartung zu erkennen glaubt, verweist Montezuma auf die martialische und intolerante Vorgehensweise der Eroberer. Dabei hebt er explizit den Antagonismus zwischen der Akzentuierung von liturgischen Äußerlichkeiten und der Vernachlässigung der im christlichen Glauben zentralen Forderung des Liebesgebotes hervor. Im Gespräch heißt es:
151 Reizenstein an Baron Roth. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 81. Brief vom 11.(/12.) 4. 1777, S. 203 [24 f.]. 152 Reizenstein an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 27. Brief vom 15. 3. 1776, S. 79 [156]. Zu den historischen amerikanischen Gold- und Silberlieferungen nach Spanien siehe auch Fäßler: Globalisierung, S. 66; Parry: Kolonialreiche, S. 47–49. 153 Reizenstein an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 27. Brief vom 15. 3. 1776, S. 79 [157 f.]. 154 Zur Missionstätigkeit, insbesondere des Jesuitenordens, infolge der Eroberung Amerikas durch die europäischen Mächte siehe z. B. Cushner: Why have you come here?, S. 49 ff.; Latourette: Three Centuries, S. 83–239; Prem: Azteken, S. 127–131. Zu Montezuma und der blutigen Eroberung des Aztekenreiches (1519–1521) durch Hernán Cortés und die indianischen Hilfstruppen der Spanier siehe Mondfeld: Blut, S. 87–160; Prem: Azteken, S. 101–115; Salentiny: Santiago!, S. 69–73, 120–136; Thomas: Eroberung, S. 399 ff.; Todorov: Eroberung, S. 80–151. Zur finanziellen, aber auch ideologischen Motivation der europäischen Eroberer siehe Mondfeld: Blut S. 332 f.; Salentiny: Santiago!, S. 20–24.
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
Kolom[bus]: Ihr Amerikaner solltet am ersten mir danken, daß ich euer Land entdeckt habe; ohne mich hättet ihr die christliche Religion nicht kennen gelernt. Montezuma: Ja, auch nicht die christliche Grausamkeit, und nicht den Grundsatz eurer Priester, daß man Gott gefällig wird, wenn man Millionen Menschen würgt, weil sie ihn nicht gerade so verehren, wie ihr […]. Und was haben wir denn von eurer Religion gelernt? Das Gepimpel und Gepampel und das Ceremonienwerk; das Wesentliche wahrhaftig nicht; denn ihr habt uns nicht gesagt: eure Religion lehre euch, uns lieben.155
Die hier artikulierte Kritik an der kirchlichen Sanktionierung der gewaltsamen Missionierung der indigenen Bevölkerung stellt einen Topos der Rezeption der europäischen Eroberung Amerikas in der Frühen Neuzeit dar. So erklärte Johann Gottfried Herder in seinen Briefen zur Beförderung der Humanität: „Papst Niklas der fünfte hat, (es ist schon lange) die unbekannte Welt verschenkt; den weißen und edleren Menschen hat er alle Ungläubige zu Sklaven zu machen, pontifikalisch erlaubet.“156 Und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) hielt in seiner Positivität der christlichen Religion fest: „Unter Vorangehung des Kreuzes haben die Spanier ganze Generationen in Amerika gemordet.“157 Schubart prangerte in seiner Zeitung ebenfalls die grausame Behandlung der amerikanischen Ureinwohner an und verwies dabei auf die Pervertierung des christlichen Gebots der Nächstenliebe im Zuge der Zwangschristianisierung. 1775 schrieb er: Die Spanier haben sich schon seit Jahrhunderten in fremden Welttheilen so unmenschlich aufgeführt, daß es kein Wunder ist, wenn zuweilen die göttliche Rache unter ihnen zu erwachen scheint. Der Indianer hört nicht ohne Schauder und Entsetzen das Wort Spanier. Man zehlt Millionen Wilde, die diese Unmenschen in einigen Jahren niederwürgten. Das schändlichste war, daß sie überall das Zeichen des Creutzes errichteten, und durch die teuflischen Grausamkeiten die Wilden zu einer Religion zwingen wollten, deren Stifter nichts als Liebe lehrt. Die schreckliche Geschichte der Spanischen Grausamkeit ist noch unter den Indianern durch die Ueberlieferung bekannt.158
In Reizenstein widerspricht das materialistische Streben der Institution Kirche und dessen Interesse an oberflächlichen Äußerlichkeiten dem Anspruch und der Forderung des Protagonisten nach einer einfachen und schlichten Natürlichkeit.
155 Siebentes Gespräch. Reizenstein an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 46. Brief vom 6. 1. 1777, S. 147 [315 f.]. 156 Herder (Hg.): Briefe zur Beförderung der Humanität. 10. Sammlung. 116. Brief, S. 698 [1991]. Siehe hierzu auch Schmitt: Herder und Amerika, S. [106]. 157 Hegel: Die Positivität der christlichen Religion [Neufassung des Anfangs, 1800], S. 218. 158 Schubart (Hg.): Deutsche Chronik (1775). 3. Vierteljahr. 65. Stück. 14. 8. 1775, S. 514 [Schubart: Werke, S. 59 f.].
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Die Kritik gegenüber der katholischen Kirche bedeutet allerdings keine prinzipielle Abkehr vom gottesfürchtigen Glauben. Als erstrebenswert werden eine natürliche Religion, die durch einen gottesfürchtigen Vernunftglauben definiert ist, vorgestellt. Baron Roth berichtet beispielsweise über den in äußerst negativen Licht erscheinenden Vater von Franz, der vom Baron in seinem Haushalt aufgenommen wird, um ihn aus dem destruktiven sozialen Einflussbereich seiner Familie zu befreien: „[Sein] Vater aber [ist] ein Abschaum des menschlichen Geschlechts, oder vielmehr gar kein Mensch […]. Denn er ist ein Gotteslästerer […].“159 Glauben und Gottesfurcht erscheinen hier als Voraussetzung einer erstrebenswerten und vorbildlichen menschlichen Existenz. In diesem Sinne artikuliert auch Jakob, der militärische Bedienstete Reizensteins, vor der Überfahrt nach Amerika in einem Brief an seine Geliebte Marie die Besorgnis, in der neuen Welt Religions- und Gottlosigkeit vorzufinden. Er schreibt: „[I]n der Neuen Weld wer weiß obs da auch ordentliche Kristliche Kirchhöffe gibt und ob die Leud in die Kirch gehen sie müßen sehr gottloß seyn weil sie wieder ihren König Rewelliren [sic] [.]“160 Der Widerstand der amerikanischen Kolonisten gegen die britische Krone stellt für ihn offensichtlich einen Verstoß gegen das Prinzip des Gottesgnadentums dar. Die Infragestellung der alten politischen Ordnung erweckt bei Jakob den Verdacht, jegliche Ordnung, d. h. auch die religiöse, in Zweifel zu ziehen. Auf das Gottensgnadentum referiert das revolutionsfeindliche Gedicht Ein schön neues Lied von dem weitentfernten Welttheil Amerika (G91), das als 1778 als Einzeldruck mit der fingierten Druckorangabe „Cypern“161 erschien und dessen fünfte Strophe folgendermaßen lautet: Der Herr des Himmels thut regieren, Er setzet die Gesalbten ein; Und warum wollt ihrs Ruder führen, Dem König nicht gehorsam seyn, Da er euch allzeit Gutes gönnt, Und ihr euch freye Staaten nennt.162
Die Frage nach der Beziehung der Bewohner der Neuen Welt zur Religion wurde in der deutschsprachigen Amerikaliteratur immer wieder thematisiert. So ist die
159 Baron Roth an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 39. Brief vom 10. 5. 1776 [TV.: 1778], S. 125 [270]. 160 Jakob an Marie. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 64. Brief vom 20. 3. 1777, S. 172 [374]. 161 Weinhard: Ein schön neues Lied von dem weitentfernten Welttheil Amerika, [Titelblatt] [G91]. 162 Ebd. 5. Strophe, S. [2] [G91].
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Wirtin Palmer in Johann Heinrich Bösenbergs (1745–1828) 1791 zum ersten Mal gedruckten Schauspiel Großmuth und Liebe ebenfalls an den Entwicklungen in den Vereinigten Staaten interessiert. Sie rezipiert die Unabhängigkeitsbewegung als Liberation von den bis dahin gültigen Gesetzen und fragt Bates, den Bedienten von Sir Manly, folgendermaßen nach den sittlichen Folgen der Independenz: „Sag’ Er mir doch, Bates, sind denn jetzt die Menschen in Amerika anders geworden, seit sie sich frei gemacht von allen Gesetzen?“163 Die Unsicherheit und die sich dahinter verbergende latente Angst Jakobs tangiert in der Tat einen zentralen Bereich der religiösen Vorstellungen des 18. Jahrhunderts. Religion hatte nicht nur eine spirituelle Komponente, sondern erfüllte auch in der Vorstellung vieler moderater Aufklärer durch ihre ethischmoralischen normativen Komponenten eine sittliche Funktion. Der gelehrte Frankfurter Staatsmann Johann Michael von Loёn (1694–1776)164 unterstrich die Bedeutung der Religion in seinem Entwurf einer Staats-Kunst (1747) mit den Worten: „Sie ist der Grund von aller Glückseligkeit des Menschen: ohne Religion ist kein ehrlicher Mann, keine Tugend, keine Weisheit, kein wahres Gut[.]“ 165 Dezidiert wandte sich Loёn gegen eine atheistische Einstellung und postulierte: „[…] [K]einer, der Vernunft hat, kan leugnen, daß ein GOTT sey.“166 Diese Konzeptionen sind auch in der fiktionalen Publizistik aufgegriffen worden. So ruft z. B. in dem 1798 anonym publizierten Roman Der Unglickliche [sic] Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka die Titelfigur: „O Religion! du erhabene Trösterinn der Unglücklichen, unter welchem wohlthuenden Bilde habe ich dich lieben gelernt!“167 Eine zentrale gesellschaftskonstituierende Funktion schrieb nicht zuletzt Schubart der Religion zu. In einem 1791 in seiner Chronik publizierten Beitrag konstatierte er für die Einwohner der Vereinigten Staaten einen offenkundigen metaphysischen Beistand und vertrat die Ansicht:
163 Bösenberg: Großmuth und Liebe. 4. Aufzug. 11. Auftritt, S. 290. 164 Zur Biografie von Loёn, einem Großonkel Goethes und zu seinen literarischen Werken wie seinem 1740 in Frankfurt anonym publizierten staatskritischen Roman Der Redliche Mann am Hofe. Oder die Begebenheiten des Grafen von Rivera, siehe Biesterfeld – Red.: Loen, S. 478–480. 165 Loёn: Entwurf einer Staats-Kunst, S. 232. Allerdings ergänzte er auch: „[U]nd gleichwohl solte man sagen, stiftet die Religion so viel böses.“ Der Autor führte aus: „[S]ie erreget Haß und Feindschaft; sie verursacht Krieg und Blutvergiesen; […] sie entfernet endlich GOTT von uns, und uns von GOTT. Es giebt also eine gute und auch eine böse Religion.“ Ebd. 166 Ebd. 167 [Anonym]: Der Unglickliche Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka, S. 153.
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Man sieht es augenscheinlich, daß Gott mit diesen Amerikanern ist. Das Land gedeiht allenthalben, die Handlung blüht in allen Zweigen, ihre See- und Landmacht ist auf dem ehrwürdigsten Fusse, alle Stände sind von Vaterlandsliebe begeistert, Religion wird als der Hauptgrundpfeiler des Staats angesehen – Religion diese Hüterin der Völker, die sie vor Lastern bewahrt, und bei einfältiger Sitte erhält.168
Zu den wiederkehrenden Motiven der zeitgenössischen Amerikarezeption gehört allgemein die Akzentuierung der religiösen Pluralität in der Neuen Welt. In der 1783 veröffentlichten Schrift Wahrheit und Guter Rath, an die Einwohner Deutschlands, besonders in Hessen (s. u.) postulierte der Autor für die Vereinigten Staaten: „Ein jeder hiesiger Einwohner mag treiben, handthieren, glauben, und dencken was er wil und wozu er Lust hat[.] […] Die Gewissens-Freyheit hat hier keine Grenzen.“169 Diese Behauptung wurde in zahlreichen Publikationen europäischer Reisender bestätigt, die ihre Erfahrungen und Beobachtungen schriftlich festhielten. Der aus Ansbach-Bayreuth stammende Subsidiensoldat Johann Conrad Döhla trug am 4. Juni 1777 in sein Tagebuch ein: Alle Religionen werden hier geduldet, und jederman kan u[nd] darf Gott nach seiner Neigung, Einsicht, Gutdüncken und Sprache frey und ungehindert dienen. Alle Secten, der englischen Kirche zugethane, Lutheraner, Reformirte, Quäcker, Chatolicken, Tuncker, Wiedertäufer, Herrnhuther, Manchisten und Juden, leben alle in großer Vertraulichkeit und Einigkeit miteinander.170
Und am 1. Januar 1778 notierte er, dass „in Philadelphia eine vollkommene Glaubens- und Gewissens-Freyheit“171 sei. 1787, im Umfeld der Philadelphia Convention,172 verdeutlichte Schubart den Lesern seiner Zeitung die Attraktivität der politischen und religiösen Toleranz in den Dreizehn Gründerstaaten für Verfolgte. Er konstatierte die Ablösung der traditionellen Zielorte für Flüchtlinge und hielt bezüglich der Migranten fest:
168 Schubart (Hg.): Chronik (1791). 1. Halbjahr. 21. Stück. 15. 3. 1791, S. 173. Die essentielle Rolle der Religion wird auch in Stephanies d. J. Lustspiel Das Loch in der Thüre (1781) durch den „verabschiedete[n] Freybeuter“ (Stephanies d. J.: Das Loch in der Thüre. Personenverzeichnis, S. [2]) Klings im Gespräch mit Metta, der Schwester von Kaufmann Bulling, akzentuiert. Er klagt: „Ach Mamsell, es ist erschrecklich. Die Welt ist voller Unglauben. Wer sich nur ein wenig klug dünkt, glaubt schon nichts mehr, was er nicht mit Augen sieht. Aber geben Sie nur Acht, sie geht auch gewiß bald unter.“ Ebd. 2. Aufzug. 3. Auftritt, S. 42. 169 [Karl Friedrich Führer]: Wahrheit und Guter Rath, an die Einwohner Deutschlands, besonders in Hessen, S. 19. 170 Döhla: Tagebuch. Eintrag 4. 6. 1777. Exkurs Amerika, S. 51. 171 Ebd. Eintrag 1. 1. 1778. Exkurs Philadelphia, S. 93. 172 Siehe hierzu auch G190, G193 und G198.
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[…] [D]iesen will es nicht nur die Erlaubniß ertheilen, Gott nach der Weise ihrer Väter zu dienen und sich von ihrem Fleisse zu nähren; – sondern auch die ursprünglichen Majestätsrechte der Menschen sollen sie haben – Antheil an der Gesezgebung und der Staatsverwaltung. Dreizehn goldne Pforten stehen in diesem Freistaate den Schlachtopfern der Intoleranz, und des Despotismus offen. Sonst flüchteten die Märtirer der geistlichen und weltlichen Tirannei nach Grosbritannien, Holland, die Schweiz.173
In der vierten Strophe des 1803 im deutsch-amerikanischen Readinger Adler publizierten Abschieds-Lieds, der nach America reisenden Landleute aus dem Canton Basel (G261), das den historischen Aufbruch religiöser Emigranten nach Nordamerika beschreibt, artikulieren die Auswanderer ihre Freude über die Reise in die Neue Welt, die mit Europa kontrastiert wird. Über die Verhältnisse in ihrer alten Heimat heißt es: Hier ist die Bevölk’rung größer, Als das Land sie nähren kann. Kömmt bald der Verdienst nicht beßer, Ist man schlimmer noch daran. – Die Religions-Verachtung Tritt mit hohem Haupt einher, Sie schmückt sich mit der Aufklärung Und droht immer schrecklicher.
Und auch Wilhelm Ludwig Wekhrlin, der 1780 in den Chronologen ebenfalls auf die religiöse Toleranz in der transatlantische Welt verwies, gab an: „[…] [I]n Pennsylvanien herrscht eine unbeschränkte Duldung der Religionen und der Meinungen.“174 In einer späteren im selben Jahr publizierten Ausgabe seines Journals druckte der Autor allerdings auch ein Gedicht mit dem Titel Ueber die Insurgenten (G92) ab, in dem das lyrische Ich eine kritische Haltung gegenüber den soziopolitischen Verhältnissen in Nordamerika einnimmt und seiner Enttäuschung lebhaft Ausdruck verleiht. In der zwölften Strophe artikuliert der Sprecher seine Skepsis gegenüber der religiösen Diversität, die er den Vereinigten Staaten attestiert, und gibt zu erkennen, dass er diese Pluralität nicht als Gewinn, sondern als Überforderung des Individuums wahrnimmt. Er fragt:
173 Schubart (Hg.): Vaterländische Chronik (1787). 1. Vierteljahr. 19. Stück. September 1787, S. 147 f. [Schubart: Werke, S. 119]. 174 Wekhrlin: Philadelphia, S. 132.
8 Kritik am Adel und den politischen Verhältnissen in Europa
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Ja, unter einem solchen Gemengsel Von Kirchen und Gottesdiensten, wie in Amerika, Wo soll der natürliche, der bescheidene Mensch Die Wahrheit erkennen und antreffen?175
Einen kritischen Blick warf schließlich auch Döhla auf die Religiosität der amerikanischen Bevölkerung. In seinem Tagebuch hielt er 1779 fest: „Ueberhaupt sind die Einwohner von Americka schlecht in ihrer Religion, und halten nicht viel auf Gottes Wort, halten und feyern auch die Sonn- und Festtage schlecht. Auch wenn sie zum Eßen gehen, vor und nach dem Tisch beten sie nicht.“176
8 „Diese Politik kann nichts anders hervorbringen, als ewige Kriege […].“ Kritik am Adel und den politischen Verhältnissen in Europa Die von Jakob vorgebrachte Befürchtung der Religionslosigkeit in Amerika findet ihr Pendant in einer von Baron Roth konstatierten mangelhaften Frömmigkeit unter Adeligen in den deutschen Staaten. In einem Brief an Charlotte zitiert Wilhelmine ihren Vater mit den Worten: […] [I]n vielen Schlössern [betet man] nicht mehr zu Tische […] – oder wenn dergleichen etwas geschieht, legt man einen Augenblick die Hände zusammen, gewiß aber weiß keines von der adelichen Gesellschaft, was es diese Minute gedacht hat. Beten, d. i. dem Schöpfer für erhaltene Wohlthaten danken, und ihn um neue anrufen, überläßt man dem Bürger und Bauer, und es scheint fast, unser guter Gott müsse sichs zur Ehre schäzen, wenn ein Adelicher noch ein Knie vor ihm beugt.177
Der Baron unterstreicht dabei den Standesunterschiede aufbrechenden Charakter einer authentischen Religiosität und bedauert den zunehmenden Verlust von Demut und Ehrerbietung unter Adeligen, wenn er zu bedenken gibt: „Ich
175 Wekhrlin: Ueber die Insurgenten. 12. Strophe, S. 29 [G92]. Einen Antagonismus zwischen den transatlantischen religiösen Zuständen erkannte Anfang des 19. Jahrhunderts Hegel. In seiner an verschiedenen Universitäten gehaltenen Vorlesung Geographische Grundlage der Weltgeschichte sprach er von „so viele[n] Sekten“ (Hegel: Geographische Grundlage der Weltgeschichte, S. 112) in den USA und vertrat die Meinung: „In Nordamerika herrscht die ungebändigste Wildheit aller Einbildungen, und es fehlt jene religiöse Einheit, die sich in den europäischen Staaten erhalten hat […].“ Hegel: Geographische Grundlage der Weltgeschichte, S. 113. 176 Döhla: Tagebuch. Eintrag 4. 1. 1779. Exkurs Quäcker, S. 134. 177 Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 98. Brief vom 31. 8. 1777, S. 242 [118 f.].
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begreife diese Gedankenlosigkeit nicht, und sehe keinen Unterschied zwischen dem betenden König und dem betenden Bettler, als etwa den, daß jener Gott mehr abzubitten hat. Beyde sind Staub, und beyde sollen vor ihren Schöpfer gleich demüthig treten.“178 Reizenstein beanstandet die persönliche finanzielle Bereicherung der Fürsten zum Nachteil von Sozialprojekten und schlägt vor: „Jedes Land sollte sein Findelhaus haben. Zur Erziehung der Kinder könnte man theils das Strafgeld von den Uebertretern anwenden, statt, daß es in die Kasse des Fürsten fließt […].“ 179 In Straßburg, noch vor der Abfahrt nach Amerika, tadelt er die prunkvolle Hofhaltung in den deutschen Duodezfürstenstaaten, welche die ökonomischen Verhältnisse überfordert und schreibt: Der kleine Deutsche Baron will im Aufwande einen Grafen vorstellen, der Graf eine fürstliche Hofhaltung haben, und der Fürst wetteifert mit den Königen. Diese unselige Sucht richtet die meisten kleinen Souveraine Deutschlands zu Grunde; sie beladen ihre Herrschaften mit Schulden […].180
Diese alle Maßen sprengende aufwendige elitäre Lebensführung wird zu einem wesentlichen Kritikpunkt Reizensteins, da er hierin eine grundlegende Bedrohung für die Existenz der einzelnen Staaten selbst erkennt. In einem Apell an die Adeligen proklamiert er daher: Aufs Münster will ich hinaufsteigen, so hoch ich kan, noch einmal nach Deutschland hinüber zurufen: „Lernt die Schranken kennen, in die euch der Umfang eures Gebiets und die Summe eurer Einnahme einschließt! Denkt, daß ihr die Freyheit eurer Nachkommen und die Besitzungen eurer Enkel in Gefahr sezt, wenn ihr mehr vorstellen wollt, als ihr seyd! […].“181
Zu Beginn erkennt Reizenstein zwar auch unter den deutschen Staaten noch Ausnahmeerscheinungen wie Baden, das von dem aufklärerisch orientierten Markgrafen Karl Friedrich (1728–1811; reg. 1738–1811)182 regiert wurde und Württem-
178 Ebd. 179 Reizenstein an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 34. Brief vom 23. 4. 1776, S. 118 [252]. 180 Reizenstein an Baron Roth. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 83. Brief vom 20. 5. 1777, S. 206 [33]. 181 Ebd., S. 207 [35]. 182 Zur Herrschaft von Karl Friedrich von Baden, den Herder als „Deutschlands besten Fürsten“ bezeichnete (vgl. Fiedler, Markgraf, S. 17) und zu seinen zahlreichen progressiven Vorstößen im sozialpolitischen Bereich siehe Borchardt-Wenzel: Karl Friedrich von Baden, S. 7–9, 121–126; Fiedler: Markgraf, S. 17–30; Landgraf: Moderate et prudenter, S. 39–60.
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berg, wo Herzog Carl Eugen (1728–1793; reg. 1737–1793)183 herrschte, dennoch fällt sein Gesamturteil über die deutschen Territorialstaaten negativ aus. In einem Brief an Baron Roth bilanziert er: Das muß ich Ihnen noch sagen, daß ich durch das Würtembergische und Badensche recht vergnügt greiset bin, d. i. so vergnügt, als ich seyn konnte. In jenem Land fand ich viele altdeutsche Redlichkeit und Offenherzigkeit, noch viele Freyheit und ziemlichen Wohlstand – in diesem einen Geist der Ordnung und der Regelmäßigkeit, der vom Hofe bis in die niedrigste Hütte sich verbreitet. Und hier konnte ich mich, wenn ich andere Fürstenstaaten verglich, des Gedankens nicht erwehren: möchten alle Stände des Deutschen Reichs so wirthschaften! Aber das ist ein vergeblicher Wunsch!184
Baron Roth stellt als Adeliger einen Sonderfall dar. Im Gegensatz zum elitären abgehobenen, religionsfernen und in Luxus und Sittenlosigkeit schwelgenden hohen Adel ist er ein Befürworter des Tugendadels und präferiert den Kontakt zu Bürgerlichen. So zitiert ihn seine Tochter in dem bereits erwähnten Brief an Charlotte mit den Worten: „[…] [W]ir haben freylich wenig Umgang mit andern von Adel.“185 Aber gerade sein offener Kontakt zur bürgerlichen Bevölkerung, wie etwa während seiner Teilnahme an der Arkadienfeier in Mainbernheim, sowie sein vorurteilsfreies Verhältnis gegenüber dem Arzt Müller und dessen Stand sind es, die in adeligen Kreisen Kritik hervorrufen. Nach einem Besuch des Herrn von Breitenthal bei Baron Roth wird die Diskrepanz zwischen den beiden Formen ihres adeligen Selbstverständnisses offenkundig. Charlotte gibt in einer Nachricht an ihren Bruder an, wie Breitenthal eine mögliche Mesalliance zwischen Wilhelmine und Müller negativ kommentierte und den aus seiner Sicht allzu offenen Umgang des Barons mit Bürgerlichen kritisierte. Breithentals Ansichten gibt sie mit den Worten wieder:
183 Zur Herrschaft Carl Eugens von Württemberg, dessen Regierungszeit zu einem großen Teil von traditionell absolutistischen Vorstellungen geprägt war, die sich beispielsweise in einer prunkvollen Zelebration der Herrschaftsgewalt zeigte, dessen zweite Regierungshälfte aber auch aufklärerisch orientierte Züge aufwies siehe Storz: Fürst, S. 11–13. Siehe außerdem Berger: Feste, S. 7–15; Egger: Landskinder, S. 219; Walter: Carl Eugen von Württemberg, S. 5 ff., Wagner: Herzog, S. 7 ff. 184 Reizenstein an Baron Roth. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 83. Brief vom 20. 5. 1777, S. 206 [32 f.]. 185 Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold, Reizenstein. Bd. 2. 98. Brief vom 31. 8. 1777, S. 242 [118]. Entsprechend positiv wird Baron Roth von Charlotte charakterisiert, die in einem Brief an ihre Mutter erklärt, dass er der „leutseligste Mann, der edelste Freund, der güthigste Vater, der wärmste Patriot […]“ (Charlotte Müller an Anna Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 102. Brief vom 11. 9. 1777, S. 248 [133]) sei.
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Ja, wenn ers nicht übel nehme, der Herr Baron selbst lasse sich zu sehr zu den Bürgerlichen herab, und habe immer so gemeine Leute aus dem Kulmbachischen, von Mainbernheim, Neustadt und andern Orten um sich. Was er gedacht habe, der Bedienten Canaille einmal einen Ball zu geben, und mit ihnen zu essen, zu trinken und zu tanzen! Er habe sich wirklich heute ein wenig geschämt, fast mit lauter Bürgerlichen zu speisen […].186
Die Reaktion Baron Roths auf diesen Vorwurf veranschaulicht seine exzeptionellen, Standesgrenzen überschreitenden, auf einen Tugendadel hin orientierten Vorstellungen und distanziert ihn deutlich von anderen Adeligen. Charlotte fährt fort: Was unser Baron antwortete, kanst Du dir selbst denken, da Du seine Denkungsart kennst. Allein alle die schönen Grundsäze von Menschengleichheit, von dem wahren Menschenadel durch das Herz, von dem falschen Glanze angeborner Würde, von dem Bettelstolze auf Verdienste der Voreltern &c[etera] glitschten an dem Herrn von Breitenthal ab, wie Wasser an der Felsenwand, und er schien mißvergnügt sich zu entfernen.187
Die Fehlentwicklung des Selbstverständnisses des hohen Adels zeigt sich für Baron Roth, der sich hier ein weiteres Mal als Anhänger aufklärerischer Sozialkonzeptionen erweist, in dem Bestreben der mächtigeren Territorialstaaten, die schwächeren politisch und ökonomisch zu unterdrücken. Charlotte berichtet: „Es fängt gar sehr an Mode zu werden, wie der Baron sagt, daß die grösseren Herren und Staaten Deutschlands die kleinern drücken, und einzuschränken suchen.“188 Die Politik der europäischen Fürsten, ihr stetig wachsendes Bedürfnis nach Luxus und Reichtum durch einen Handel auf globaler Ebene zu erweitern und ökonomische Hegemonialinteressen auf diese Weise durchzusetzen, ist mit Militarismus und gewaltsamen Auseinandersetzungen verbunden. Der Baron gelangt zu der
186 Charlotte Müller an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 88. Brief vom 30. 7.(/1. 8.) 1777, S. 219 [64]. Die Frage nach dem Umgang Adeliger mit Bürgerlichen wird in der Literatur des 18. Jahrhunderts aus verschiedenen Perspektiven thematisiert und bewertet. Eines der prominentesten Beispiele in diesem Zusammenhang dürfte Goethes monoperspektivischer Briefroman Die Leiden des jungen Werthers (1774) sein, in dem der Standesunterschied zum Ausschluss des Protagonisten aus dem adeligen Kreis einer Ballgesellschaft führt. Der Vorgang unterstreicht sehr eindringlich die zeitgenössische Diskrepanz zwischen den gesellschaftlichen Gruppen. Siehe Goethe: Die Leiden des jungen Werthers. 2. Buch. Brief vom 15. März 1772, S. 142 [Fassung B]. Siehe hierzu auch Martens: Minister, S. 273–277. 187 Charlotte Müller an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 88. Brief vom 30. 7.(/1. 8.) 1777, S. 220 [65]. 188 Ebd., S. 222 [70].
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Ansicht: „Diese Politik kann nichts anders hervorbringen, als ewige Kriege […].“189 Zwar erscheint Europa als Wiege und Heimat von Kunst, Kultur und Wissenschaft, aber diese positiven Seiten werden durch eine rücksichtslose und herrschsuchtorientierte Gewaltpolitik der europäischen Staaten überlagert. Während sich Reizenstein aufmacht, den Kontinent zu verlassen mahnt er daher: So nehme ich von einem nach dem andern Abschied! Erst von Franken, dann von Deutschland, itzt von ganz Europa. Nun so lebe wohl, Mutter der Wissenschaften und Künste, aber auch der Herrschsucht! die du nicht glaubst, glücklich seyn zu können, wenn du nicht über die übrige Welt herrscht, die du aber doch, früher oder später, dahin zurück kommen wirst, daß du deine Glückseligkeit in dir selbst suchst, ohne weder über den Ganges noch Lorenzfluß zu herrschen!190
Glück, Zufriedenheit und Erfüllung sind Reizenstein zufolge nicht in einer von Gewalttätigkeiten und Unterdrückung geprägten Weltpolitik, sondern in einer individuellen persönlichen Innerlichkeit zu finden.
9 „[W]enn Mitbürger das Schicksal der Negersklaven haben, und als Schlachtopfer in fremde Welten verschickt werden“. Die Rezeption der britisch-deutschen Subsidienverträge als „Menschenhandel“ in Seybolds Briefroman und der deutschsprachigen Amerikaliteratur Aktuellstes und sichtbarstes Zeichen der negativen mit Europa in Verbindung gebrachten martialischen Politik sind in Reizenstein die Subsidienverträge, die für die zeitgenössische Rezeption der Amerikanischen Revolution in den deutschen Staaten von größter Bedeutung waren.191 Eliott Wheelock Hoffman machte in diesem Zusammenhang pointiert deutlich: „[…] [U]ntil the selling of troops, Germans had shown little concern about the American rebellion.“192 Die zwischen Großbritannien und verschiedenen deutschen Territorialfürsten geschlossenen Vereinbarungen über die Vermietung von ca. 30.000 Soldaten für die Niederschlagung des Aufstandes in Nordamerika (Abb. 27) entfalteten eine große Wirkung auf
189 Baron Roth an Baron Kaltenthal. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 33. Brief vom April 1776, S. 111 [235]. 190 Reizenstein an Baron Roth. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 86. Brief vom 26. 5. 1777, S. 212 [45 f.]. 191 Siehe auch Kapitel V.6. 192 Hoffman: German Soldiers. Bd. 1, S. 64.
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die Wahrnehmung der in den deutschen Staaten bereits in den Jahrhunderten zuvor etablierten Praxis der Subsidienverträge.193 Zusammenfassend konstatierte Hoffman: In short, there had been no hostile comments in Germany about the selling of mercenaries prior to the outbreak of the War for American Independence when many thinkers felt that the German princes violated the ideas of the Enlightenment by combining the most tyrannous characteristics of seventeenth century despotism with the most backward aspects of feudalism.194
Für Seybolds Briefroman spielen die Subsidienverträge, die zeitgenössisch und später sogar auch von Teilen der Forschung als sog. Soldatenhandel bezeichnet wurden,195 eine zentrale Rolle, da zunächst der Protagonist und schließlich auch der Arzt Müller von diesen unmittelbar betroffen sind. In den historischen Subsidienverträgen stellte Ansbach-Bayreuth unter Markgraf Karl Alexander ein Gesamttruppenkontingent von 1.644 Soldaten,196 das durch Ergänzungen auf 2.353 Mann erweitert wurde.197 Früh erkennt Reizenstein die ökonomische
193 Hoffman machte deutlich: „The six treaties came out of hundreds of years of European history. The hiring of Germans, particulary Hessians, formed a cornerstone of British military practice, likewise, Germans had served as hired soldiers for hundreds of years.“ Hoffman: German Soldiers. Bd. 1, S. 86. Ähnlich erklärte Rodney Atwood: „By 1776 the hiring of military corps in return for subsidies, by one state from another, was accepted in international law as well as practice.“ Atwood: Hessians, S. 22. Siehe hierzu auch ebd., S. 29; Hoffman: German Soldiers. Bd. 1, S. 39 f.; Losch: Soldatenhandel, S. 25; Preser: Soldatenhandel, S. 7–15, 28. 194 Hoffman: German Soldiers. Bd. 1, S. 36–39, 64. 195 So sprach z. B. Heinrich Krohn von „verkauften Landeskinder[n]“ (Krohn: Deutschland, S. 49). 196 Vgl. Eelking: German Allied Troops, S. 257; ders.: Hülfstruppen. Bd. 2, S. 225; Wagner: Herzog, S. 275. Siehe außerdem Störkel: Christian Friedrich Carl Alexander, S. 170. Siehe allerdings auch Wellenreuther: Chaos, S. 171. 197 Vgl. Lowell: Hessen, S. 10; ders.: Hessians, S. 11. Siehe auch Keunecke: Markgraf, S. 41; Schuhmann: Markgrafen, S. 256. Die Einheiten aus Ansbach-Bayreuth wurden während des Unabhängigkeitskrieges von den Briten u. a. in New York und in der Schlacht von Yorktown eingesetzt. Vgl. Eelking: German Allied Troops, S. 105, 203, 209, 214; Lowell: Hessians, S. 277. Siehe auch Fischer: Subsidienveträge, S. 78. Edward J. Lowell gab an, dass Markgraf Karl Alexander, der mit Ansbach und Bayreuth zwei hoch verschuldete Fürstentümer übernommen hatte, für die Dienste der vermieteten Soldaten von Großbritannien mit 100.000 £ entschädigt wurde. Siehe Lowell: Hessen, S. 10; ders.: Hessians, S. 11 f. Hans-Otto Keunecke bezifferte die finanzielle Entschädigungsleistung Großbritanniens mit 11.000 £ jährlich. Siehe Keunecke: Markgraf, S. 42. Dieter Werzinger errechnete für den Zeitraum von 1777 bis 1785 als Gesamtsumme der britischen Subsidienzahlungen 158.660 £. Siehe Werzinger: Markgrafen, S. 132. Arno Störkel sprach von 45.000 Bancotalern bzw. 108.000 Gulden als jährlich erwartete Einnahmen. Siehe Störkel: Chris-
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Bedeutung des Krieges und notiert: „[D]er amerikanische Krieg eröffnet neue Geldquellen, und – hinc illae lacrimae!“198 Er stellt fest, dass „die Hessen und
tian Friedrich Carl Alexander, S. 170. Diese Summe (45.000 Bancotaler) nannte auch Georg Fischer. Siehe Fischer: Subsidienverträge, S. 74. Zu den historischen Umständen des Subsidienvertrages von Großbritannien mit Ansbach-Bayreuth siehe vor allem Städtler: Ansbach-Bayreuther Truppen, S. 7 ff. Siehe außerdem Bezzel: Ansbach-Bayreuther Miettruppen, S. 185–214, 377–424; Döllner: Erlebnisse; Kling, Ansbach-Bayreuther Truppen, S. 45–48. Zu den Reaktionen auf die unter dem Markgraf von Ansbach-Bayreuth geschlossenen Verträge mit Großbritannien in der zensierten Presse, die überwiegend für patriotische Zwecke eingespannt wurde, siehe Städtler: Ansbach-Bayreuther Truppen, S. 51–53. Siehe auch Heider: Entwicklung, S. 86 f. Zur Kriegsdichtung in Ansbach-Bayreuth bezüglich der Subsidienverträge siehe Neukam: Kriegsdichtung, S. 65 f. Keunecke bezeichnete den Markgrafen dennoch als „fortschrittlicher als die meisten kleineren Fürsten seiner Zeit“ (Keunecke: Markgraf, S. 42), weil er die hierdurch erwirkten Einnahmen nicht für Privatzwecke, sondern zur Sanierung der desolaten Staatsfinanzen nutzte. Zur Verwendung der Subsidien siehe auch Fischer: Subsidienverträge, S. 80 f.; Werzinger: Markgrafen, S. 131. Auf die finanzielle Versorgung der zurückgekehrten Kriegsinvaliden und der Hinterbliebenen wies Günther Schuhmann hin. Siehe Schuhmann: Markgrafen, S. 256. Siehe auch Städtler: Ansbach-Bayreuther Truppen, S. 77–87. Arno Störkel attestierte Karl Alexander trotz seiner Beteiligung an den Subsidienverträgen die Einleitung einer „überaus verantwortungsvolle[n] Reformpolitik“ (Störkel: Christian Friedrich Carl Alexander, S. 1). Auch Rudolf Endres sprach von einem „gebildeten, welterfahrenen und von den Ideen der Aufklärung beseelten Markgrafen“ (Endres: Staat, S. 768 [siehe auch ebd., S. 764 (Anm. 33)]). 1791 überließ Karl Alexander die Fürstentümer Ansbach und Bayreuth schließlich Preußen für eine jährliche Leibrente von 300.000 Gulden. Siehe Eelking: German Allied Troops, S. 101; Zu Markgraf Karl Alexander und seiner Regierung allgemein siehe ebd.; Schuhmann: Markgrafen, S. 251–318; Störkel: Christian Friedrich Carl Alexander, S. 106–255. 198 Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 41. Brief vom 26. 5. 1776, S. 129 [279]. Reizenstein evoziert hier das historisch tradierte Motiv der finanziellen Bereicherung durch einen Krieg, das in der deutschsprachigen Amerikaliteratur z. B. auch während des Ersten Weltkriegs intensiv artikuliert wurde, in dem von sog. Merchants of Death (Händlern des Todes) die Rede war. So bitten etwa die Sprecher in dem von dem Deutsch-Amerikaner Wilhelm Ludwig Rosenberg (1850–1934) verfassten Gebet der amerikanischen Weizenspekulanten: „Hör’ doch nicht auf, du lieber Krieg! / Fahr’ recht lang fort zu wüten!“ Rosenberg: Das Gebet der amerikanischen Weizenspekulanten. 1. Strophe. 1 f. Vers, S. 147. Und außerdem erklären die Spekulanten: O lieber Krieg, halt’ lange an, Voll sind all’ unsere Speicher, Wir leeren gern sie mit Profit, Machst du uns nur noch reicher. Ebd. 4. Strophe, S. 148. In Rosenbergs Gedicht Die neutrale Firma Uncle Sam & Co heißt es ebenso zynisch: „Krieg ist Geschäft. Wir fertigen Waren / Für alle kriegführenden Völkerscharen.“ Rosenberg: Die neutrale Firma Uncle Sam & Co. 1. Strophe. 1 f. Vers, S. 145.
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Braunschweiger, nach Amerika geschleudert werden“199 und erklärt mit Bedauern in einem Brief an Schröder: Ach! wie mancher schon mag durch den amerikanischen Krieg von seinem Mädchen in Deutschland getrennt worden seyn, das er in seinem Leben nicht mehr sieht. […] Was wir doch für eine gute, dienstwillige Nation sind! überall tragen wir unsere Haut hin, und bieten sie jedermann feil, der uns des Tages fünf Kreuzer dafür giebt. Wo ist ein Boden in der Welt, den nicht deutsches Blut schon fruchtbar gemacht hat.200
Und er ergänzt: Denn müssen sie nicht selbst uns verachten, diejenigen, die uns miethen, daß wir als Miethlinge jedermann zu Diensten stehen! Daß wir die Hände, die man zu unserm Feldbau braucht, nach Amerika schicken, um da einem mächtigen Volke die Herrschaft wieder zu erwerben […]?201
Die Kritik richtet sich allerdings nicht nur gegen die deutschen Territorialstaaten und Fürsten, die sich aus materialistischen Motiven bereit erklären, Großbritannien Untertanen zum Kriegsdienst zur Verfügung zu stellen, sondern auch gegen
199 Ebd., S. 127 [275]. Einem weiteren Brief Reizensteins an Schröder ist zu entnehmen, welchen vielschichtigen ethnischen Charakter das durch die Briten zusammengestellte Heer, aufweist. So spricht er von einer „Armee, die aus sechs oder mehreren Nationen, den Britten, Schotten, Hessen, Braunschweigern, Waldeckern, Hanauern, Anspachern, Beireuthern – und wer weis noch, auch Wirtembergern und Russen“ (Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 47. Brief vom 20. 1. 1777, S. 148 [318 f.]) besteht. Es ist auffällig, dass die Vertreter der einzelnen deutschen Territorialstaaten in der Aufzählung neben Briten, Schotten und Russen als eigenständige Gruppen genannt werden. Zum vielschichtigen und teilweise auch rückläufig verlaufenden Prozess der Herausbildung eines Bewusstseins von Nationalstaatlichkeit in den deutschen Territorialstaaten siehe u. a. Dann: Nation, S. 50 ff.; Schulze: Staat, S. 170–172. Reizensteins Erwähnung von Württembergern und Russen im Zusammenhang mit den angeworbenen Truppen hat eine historische Grundlage. Obwohl sich schließlich weder das Herzogtum Württemberg noch das Zarenreich Russland an den Subsidienverträgen beteiligten, bemühten sich die Briten, Einheiten aus beiden Staaten anzuwerben. Nach britischem Wunsch sollte Katharina II. (1729–1796; reg. 1762–1796) 20.000 Mann zur Verfügung stellen. Siehe hierzu Atwood: Hessians, S. 24; Auerbach: Hessen, S. 25–65. Siehe auch S. 66–90; Droysen: Truppen, S. [145]; Hoffman: German Soldiers. Bd. 1, S. 40 f.; Schröder: Amerikanische Revolution, S. 118. Die Haltung des Herzogs von Württemberg bezüglich der Subsidienverträge kommentierte Carla Stockmeyer folgendermaßen: „[…] Karl Eugen von Württemberg machte in seinem Tagebuch seiner moralischen Entrüstung über die hessischen Menschenverkäufe Luft, ließ aber selbst ein paar Jahre darauf Werbungen für den holländischen Kolonialdienst betreiben.“ Stockmeyer: Soziale Probleme, S. 115. 200 Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 41. Brief vom 26. 5. 1776, S. 127 f. [275 f.]. 201 Ebd., S. 128 [276].
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diejenigen, die den als „Menschenhandel“ (s. u.) wahrgenommenen Verträgen zustimmen. Reizenstein zieht eine Parallele zwischen dem schon lange etablierten Sklavenhandel, der aus historischer Perspektive in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts einen Höhepunkt erreichte202 und der Vermietung der männlichen deutschen Untertanen. Das von dem Offizier in diesem Zusammenhang im 41. Brief gebrauchte Schlagwort „Menschenhandel“ bezeichnet dabei einen zentralen Aspekt der zeitgenössischen Rezeption der Subsidienverträge. In zahlreichen poetischen und nichtfiktionalen Texten wurde der Ausdruck evoziert, um der Entrüstung über die damit verbundenen Zwangsrekrutierungen sowie der tiefen Enttäuschung über die als Perversion der landesherrschaftlichen Aufgaben und Pflichten wahrgenommenen Entscheidung der Fürsten, ihre „Landeskinder“ auf einem weit entfernten Kontinent in den Dienst einer ausländischen Macht zu stellen, einen pointierten Ausdruck zu verleihen und er blieb lange Zeit, insbesondere in der visuellen und literarischen Memorialkultur präsent. Empört äußert sich beispielsweise ein an die Briten vermieteter hessischer Kämpfer in Wilhelm Alpers (1851–1917) episierenden Heldenbraut (1876), die mit dem Untertitel Ein Gedicht aus dem Amerikanischen Befreiungs-Kriege versehen ist. Darin berichtet der Subsidiensoldat, der seinen Landesherrn einen „verworfene[n] Tyrann[en]“203 nennt: Von Weib und Kind, von Hof und Haus, Aus allen goldnen Jugendplänen Riß seine Habsucht uns heraus, Des Zornes spottend wie der Thränen. So wurden wir, die Söldnerschaaren, Verhandelt wie gemeine Waaren.204
Und er ergänzt: Und um die Schmach noch ganz zu krönen, So bietet für ein Sündengeld, Um seiner niedern Lust zu fröhnen, Der Fürst uns an der ganzen Welt. So kam auch ich hierher als Knecht. –205
202 So gab John K. Thornton die Gesamtzahl der aus den afrikanischen Regionen Senegambia, Sierra Leone, der Goldküste, der Bucht von Benin, der Bucht von Biafra und aus Angola verschleppten Sklaven für die Dekade der 1770er Jahre mit 717.000 an. Siehe Thornton: African Background, S. 83. Siehe auch Fäßler: Globalisierung, S. 64. 203 Alpers: Die Heldenbraut, S. 52. 204 Ebd. 205 Ebd., S. 53.
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Auffällig ist hier, dass dem Sprecher zufolge die Erlöse aus den Subsidienverträgen nicht etwa zur Förderung des Gemeinwohls eingesetzt werden, sondern lediglich zur Finanzierung der persönlichen Unterhaltung des Fürsten dienen. Noch Ende des 19. Jahrhunderts war in einem Beitrag, der im deutsch-amerikanischen Almanach Neuer Gemeinnütziger Pennsylvanischer Calender Auf das Jahr unseres Heilandes Jesu Christi 1897 unter der Überschrift Die Hessen in Virginien publiziert wurde, „[v]on den hessischen Soldaten, welche ihr Landgraf den Engländern zur Bekämpfung der amerikanischen Revolution verkauft hatte“206 die Rede. Persönlich zu Wort meldet sich der hessische Landgraf Friedrich II. (1720–1785; 1760–1785) in dem von dem 1887 nach Philadelphia ausgewanderten Deutsch-Amerikaner Karl Gundlach (1852-?) verfassten Gedicht Trenton, das den Sieg George Washingtons über die Hessen in der nach dem gleichnamigen Ort in New Jersey benannten Schlacht thematisiert. Darin verkündet der Fürst: Den Wein bezahlt mir England, Im Schatze häuft sich das Gold, Das Blutgeld meiner Truppen, Und für ihr Leben der Sold.207
Und in der dreizehnten Strophe heißt es: Und fern im Feld bei Trenton Schläft ein verkaufter Mann: Kein Kreuz, kein Stein, kein Hügel Das Grab dir zeigen an.208
In dem auf das Jahr 1847 datierten Gedicht Aus dem vorigen Jahrhundert des deutsch-amerikanischen Sozialisten Karl Peter (1822–1909) spricht ebenfalls unmittelbar Friedrich II., der unverblümt erklärt: Ich bin der Fürst von Hessen, Bestimmt, das Volk zu pressen: Führ’ ganz besondern Wandel Und treibe – Menschenhandel.209
206 [Anonym]: Die Hessen in Virginien, S. [20]. 207 Gundlach: Trenton. 9. Strophe, S. 62. 208 Ebd. 13. Strophe, S. 62. 209 Peter: Aus dem vorigen Jahrhundert. 1. Strophe, S. 9.
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In Stefan Zweigs (1881–1942) Theaterstück Das Haus am Meer (1912) erklärt der Lotse Gotthold Krüger, als es darum geht, einen Trupp angeworbener Rekruten zeitweise bei ihm unterzubringen: „Ich will kein Geld davon, wenn man die Menschen / Verkauft wie Vieh. Ich will kein Sündengeld.“210 Und er wiederholt: „Ich hab’ ein christlich Haus, / Und dies ist gegen Gottes Wort, daß man / Die Menschen kauft wie Vieh. In meine Hände / Kein Geld davon, es ist ein Sündengeld.“211 In der folgenden Szene gibt einer der Rekruten an: „Sie haben mich geraubt wie einen Hasen.“212 Und der unter Alkoholeinfluss dienstverpflichtete Seemann, der in Bezug auf die Anwerbung den Ausdruck „Menschenhändler“213 aufgreift, klagt, dass ihn „die Schurken […] / [w]ie Vieh nach Amerika“214 verkaufen. Die zwangsweise Rekrutierung von Untertanen wurde schon von zeitgenössischen Beobachtern äußerst kritisch wahrgenommen. In seiner semiwöchentlich erscheinenden Zeitung Teutsche Chronik berichtete Schubart in der Ausgabe vom 10. Juni 1776: „In Helmstädt war kürzlich ein Aufruhr gegen die Waldeckischen Werber, die manchen braven Handwerkspursch wegfischen, um ihn nach Amerika zu schleppen. Der Teutsche begreift sehr wohl den goldnen Spruch: Bleib’ im Lande, und nähre dich redlich.“215 In Johann Christoph Krausenecks (1738–1799)216 ländlichen Lustspiel Die Werbung für England (1776), das im unmittelbaren zeitlichen Umfeld der ausgehandelten Subsidienverträge entstand,217 ist es die Bauernfamilie Brawe, die direkt von den Werbungsmaßnahmen betroffen ist. Als der Vater der Familie mit Gewalt zum Soldatendienst in Amerika fortgeführt werden soll, versucht seine Ehefrau mit allen Mitteln den zuständigen Feldwebel zum Umdenken zu bewegen. Im Gegensatz zu ihrem Ehemann, der sich aus patriotischen Überlegungen vergleichsweise rasch in sein Schicksal ergibt, ist sie
210 Zweig: Das Haus am Meer. 1. Aufzug. 6. Szene, S. 242. 211 Ebd. 212 Ebd. 1. Aufzug. 7. Szene, S. 247. 213 Ebd. 2. Aufzug. 3. Szene, S. 277. 214 Ebd. 2. Aufzug. 6. Szene, S. 286. 215 Schubart (Hg.): Teutsche Chronik (1776). 2. Vierteljahr. 47. Stück. 10. 6. 1776, S. 372 [Schubart: Werke, S. 80]. 216 Zu Krauseneck siehe auch den Kommentar zu G137. 217 Unter dem Figurenverzeichnis findet sich die Angabe: „Die Scene ist nicht in Franken, die Werbung im März.“ Krauseneck: Die Werbung für England. Personenverzeichnis, S. [2]. Auffällig ist hier insbesondere die Handlungsortangabe ex negativo, welche die Zuschauer- bzw. Leseraufmerksamkeit gerade dadurch auf den fränkischen Raum, zu dem ja auch Ansbach-Bayreuth gehört, lenkt. Bezüglich der Zensursituation in diesem geografischen Umfeld notierte Elliott Wheelock Hoffman: „The rules responded with sanctioning numerous publications, sermons, and prayers for special occasions containing pro-English sentiments to combat the dissidents.“ Hoffman: German Soldiers. Bd. 1, S. 84 f.
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sehr darum bemüht, dies zu verhindern. Äußerst engagiert und höchst emotional verweist sie auf die psychologischen und ökonomischen Folgen für den Hof im Falle einer Rekrutierung des einzigen Mannes der Familie.218 Ihr Versuch, auf eine politische Entscheidung Einfluss zu nehmen, wird von dem unerbittlichen Unteroffizier und selbst von ihrem Ehemann als weibliche Hybris und Verstoß gegen die zeitgenössischen Geschlechterkonventionen gewertet. Deutlich wird dies im sechsten Auftritt, zu dem auch die folgende Konversation gehört: M[utter] Brawe. So hilft kein Bitten, kein Weinen? Feldwebel. Bey Gott ist Gnade, sagt unser Major. M[utter] Brawe. Und bey Fürsten nicht? Feldwebel. (mit wildem Auge.) Das Maul gehalten! – Der Schulmeister kann euch warnen. V[ater] Brawe. Schweige, Weib! Diese Herrn können das Weibergeschwätz nicht leiden.219
Mutter Brawe nimmt zwar im Gegensatz zu ihrem Mann die vom Fürsten angeordnete Rekrutierung nicht widerspruchslos und apathisch hin, dennoch wird ihr Versuch, die politische Entscheidung zu verändern, nicht von der Vorstellung eines grundsätzlichen Widerstandsrechts gegen die Obrigkeit getragen. Vielmehr
218 Das Motiv der männerlosen Bauernhöfe bzw. der nur von Frauen bearbeiteten Ackerfelder infolge von ausgehandelten Subsidienverträgen, findet sich auch in einem von Johann Jakob Mnioch (1765–1804) verfassten Gedicht, das 1786 im Deutschen Museum erschien. Dort ist u. a. zu lesen: Die Jagd ist da, die Peitsche knallt, Die Hörner schmettern, die Röhre donnern, Die Hunde bellen zusammen; Hussah! schreit der Fürst. So brausen die Jagden die Saaten hindurch! Steh, Ackrer, da und weine nicht! – Der Ackrer steht nicht da! Da stehn lauter Weiber! Die Männer hat der Fürst verkauft! Mnioch: 1786/[Sie stehn auf Leichen], S. 527 f. Siehe hierzu auch Losch: Soldatenhandel, S. 51. 219 Krauseneck: Die Werbung für England. 6. Auftritt, S. 36. Als Kritiker bzw. Warner vor Soldatenwerbern erscheint ein Schulmeister auch in Karl Philipp Moritz’ (1756–1793) psychologischen Roman Anton Reiser (1785–1790). Dort berichtet der Erzähler: „Als der Soldat hinausgegangen war, trat der Schulmeister wieder herein, der Reisern einen guten Morgen bot, und ihn heimlich warnte, sich vor dem Werber in Acht zu nehmen, ob er gleich selbst das Soldatenleben für so schlimm nicht hielte; denn sein Sohn sei auch zwei Jahr in Mainzischen Diensten gewesen […].“ Moritz: Anton Reiser, S. 302. Zu dem einer Frau gegenüber ausgesprochenen Schweigegebot durch Männer siehe Kapitel IV.8.
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versucht sie mit einem politisch systemkonformen Ansatz, der mit dem zeitgenössischen geschlechtlichen Rollenverständnis kompatibel ist, nämlich durch weibliche Appellation, d. h. durch Bitten und Weinen,220 die Gnade des Fürsten zu erreichen, wie aus einer Unterhaltung mit dem Nachbarn Knauf hervorgeht. Dieser stellt in Aussicht, sich während der Abwesenheit Brawes um seine Familie zu kümmern und ergänzt sein Versprechen um dem Zusatz: „Können wir doch nicht wider des Landesherrn Stachel lecken.“221 Hierauf erwidert Mutter Brawe: „Wider seine Gewalt nichts, nein! Aber um seine Gnade, sein Erbarmen, wer wehrt denn dieses?“222 Der Einakter nimmt schließlich durch die Intervention eines Hauptmanns, bei dem es sich um den Vorgesetzten des Feldwebels handelt, einen versöhnlichen und positiven Ausgang, dennoch verdeutlichen der rabiate Auftritt und die unnachgiebige Haltung des Unteroffiziers die mit Gewalt verbundenen negativen Seiten der zeitgenössischen Soldatenwerbung.223 Die Kritik des Dorfpfarrers an
220 In Klingers Sturm und Drang konstatiert Caroline ihre Ohnmacht angesichts der militärischen Auseinandersetzungen mit den Worten: „Krieg da! und meine Thränen und Bitten vermögen nichts.“ Klinger: Sturm und Drang. 1. Akt 2. Szene, S. 15 [19]. 221 Krauseneck: Die Werbung für England. 4. Auftritt, S. 27. 222 Ebd. 223 Die Werbepraxis des 18. Jahrhunderts hinterließ in der Memorialkultur einen intensiven und langanhaltenden Eindruck. Im vierten Band seiner Bilder aus der deutschen Vergangenheit erinnerte z. B. Gustav Freytag (1816–1895), der in diesem Zusammenhang von „Menschenjagd“ (Freytag: Bilder aus der deutschen Vergangenheit, S. 184) und „Sklavenjagd“ (ebd.) sprach, an die Rekrutierungspraxis des 18. Jahrhunderts mit den Worten: „Auch die Werbung wurde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts roher, als sie sonst gewesen war; die Landesherren waren weit gefährlichere Werber als die Hauptleute der alten Landsknechte.“ Ebd., S. 183. Außerdem machte er deutlich: „Zu roh und gewaltthätig war das Verhalten der Officiere, welche die junge Mannschaft auszuheben hatten, zu heftig Widerstand und Abneigung des Volkes.“ Ebd., S. 182. Und er wiederholte: „Schon die Werbungen im Inland wurden mit jeder Art von Gewaltthat geübt. Die Obersten und Werbeofficiere raubten und entführten einzige Söhne, welche frei sein sollten, Studenten von der Universität, ja ganze Colonien von unterthänigen Leuten […].“ Ebd., S. 183. Die mangelnde Integrität der Werber kommentierte Freytag folgendermaßen: „Die Werbeofficiere selbst waren oft unsichere, ja schlechte Menschen, deren Thätigkeit und Ausgaben nur ungenügend controlirt werden konnten.“ Ebd. Und er ergänzte: „Die Officiere wurden so sehr bei ihren gewaltthätigen Erpressungen geschützt, daß sie die gesetzlichen Beschränkungen offen verhöhnten.“ Ebd. Bezüglich der Subsidienverträge der deutschen Territorialfürsten mit Großbritannien notierte Freytag schließlich: „[…] [A]ls seit 1777 Braunschweig, Ansbach, Waldeck, Zerbst, vor andern Hessen-Cassel und Hanau, eine Anzahl Regimenter an England zum Dienst gegen die Amerikaner vermietheten, wurde der Unwille in Volke laut. Noch war es nicht mehr als eine lyrische Klage, aber sie schallte vom Rheine bis zur Weichsel; die Erinnerung daran ist noch jetzt sehr lebendig, noch heute hängt über einer der Regentenfamilien, die damals am frevelhaftesten das Leben ihrer Unterthanen verschacherte, diese Unthat wie ein Fluch.“ Ebd., S. 192.
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den Werbemaßnahmen beispielsweise kommentiert der Feldwebel folgendermaßen zornig: „Ey dem Pfarrer, wenn er wider die Werbung spricht! Da ist kein Ansehen der Person. Ewig auf den Festungsbau mit dem Verwegenen, der meinen gnädigsten Herrn korrigieren will.“224 Der ökonomische Aspekt des auch in Seybolds Briefroman verwendeten Ausdrucks „Menschenhandel“ zur Beschreibung der Subsidienverträge wurde von zahlreichen anderen zeitgenössischen Beobachtern ebenfalls akzentuiert. Schubart, der mit seinem 1787 publizierten Kaplied225 später die militärische Vermietung von Untertanen für den Einsatz in Afrika kritisierte, druckte bereits 1776 in seiner Zeitung eine Aufzählung der an die deutschen Fürsten für ihre bereitgestellten Truppen durch die britische Regierung ausgezahlten Entschädigungsleistungen ab und kommentierte diese folgendermaßen: „Ein fruchtbarer Text zum predigen für Patrioten, denen ’s Herz pocht, wenn Mitbürger das Schicksal der Negersklaven haben, und als Schlachtopfer in fremde Welten verschickt werden.“226 Das Tagebuch des hessischen Offiziers Heinrich von Bardeleben verwies im Eintrag zum 3. März 1776 auf „verkaufte Menschen“227 und auch Georg Forster vertrat in einem Brief an den Theologen Friedrich Adolf Vollpracht (1751–1802) die Ansicht, dass ein „solche[r] Sünder Wie der Landgraf von Hessen, ungerochen praßet und in Frankreich das Geld verzehrt, welches durch das Blut und die Wunden seiner Unterthanen theuer erkauft wird.“228 Caroline Michaelis (geb. Michaelis, verw. Böhmer, gesch. Schlegel, verh. Schelling; 1763–1809)229 berichtete am 16. April 1782 an Luise Gotter und Wilhelmine Bertuch über einen Besuch in der hessischen Hauptstadt: „Dir, liebe Luise, brauch ich nicht zu sagen, wie mir Caßel gefallen hat, nur machte mich der Gedanke unwillig, daß der Landgraf in Münden
224 Krauseneck: Die Werbung für England. 6. Auftritt, S. 33. 225 Siehe hierzu auch Stockmeyer: Soziale Probleme, S. 117. 226 Schubart (Hg.): Teutsche Chronik (1776). 1. Vierteljahr. 25. Stück. 25. 3. 1776, S. 194 [Schubart: Werke, S. 77]. Schubart verurteilte nach seinem Gefängnisaufenthalt auf dem Hohenasperg den von ihm auch in Russland konstatierten „Menschenhandel“. In seiner Chronik fragte er 1790 angesichts der schlechten Behandlung der russischen Bauern durch die Adligen: „Wie lange wird man noch Menschen verkaufen, Menschen verschenken, wie’s Vieh!?“ Schubart (Hg.): Chronik (1790). 2. Halbjahr. 63. Stück. 6. 8. 1790, S. 536 [Schubart: Werke, S. 213]. 227 [Bardeleben]: Tagebucheintrag zum 3. 3. 1776. In: Ders.: Tagebuch, S. 13. 228 Georg Forster an Friedrich Adolf Vollpracht. 31. 12. 1776. In: Forster: Briefe bis 1783, S. 79. 229 Caroline Michaelis wurde 1763 als Tochter von Johann David Michaelis (1717–1791) geboren und heiratete 1784 Johann Franz Wilhelm Böhmer (1753–1788). Nachdem Böhmer 1788 verstorben war, ehelichte sie als Witwe 1796 August Wilhelm Schlegel (1767–1845), von dem sie sich jedoch 1803 scheiden ließ, um im selben Jahr Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775–1854) zu heiraten.
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Menschen verkaufte, um in Caßel Palläste zu bauen.“230 Und während ein in der Berlinischen Monatsschrift 1784 abgedruckter Beitrag auf „unsere Brüder“231, die „auf die Schlachtbank nach Amerika hin verkauft werden“232 verwies, wurden die Leser des Teutschen Merkur in der von Johann Heinrich Merck (1741–1791) verfassten und 1781 in Wielands Zeitschrift publizierten „wahre[n] Geschichte“233 Herr Oheim der Jüngere mit der Frage konfrontiert, weswegen „Kinder nach Amerika verkauft“234 wurden. Die Subsidienverträge zwischen Großbritannien und den deutschen Staaten wurden nicht zuletzt auch über die deutschsprachigen Grenzen hinaus von zahlreichen ausländischen Beobachtern als sog. Soldatenhandel, bei dem Menschen ver- bzw. gekauft wurden, wahrgenommen. So teilte Benjamin Franklin 1777 in einem Brief aus Paris mit: „The Conduct of those Princes of Germany who have sold the Blood of their People, has subjected them to the Contempt and Odium of all Europe.“235 Tatsächlich verfasste der französische Politiker und Aufklärer Honoré Gabriel Victor de Riqueti, comte de Mirabeau (1749–1791) eine 1777 anonym unter dem Titel Avis aux Hessois. Et autres Peuples de L’Allemagne. Vendus par leurs Princes à l’Angleterre publizierte Schrift, in der die Deutschen folgendermaßen adressiert wurden: Intrépides Allemands! quelle flétrissure laissez vous imprimer sur vos fronts généreux! quoi! c’est à la fin du dix-huitième siècle, que les peuples du centre de l’Europe sont les satellites mercenaires d’un odieux Dèspotisme! quoi! ce sont ces valeureux Allemands, qui défendirent avec tant d’acharnement leur liberté contre les vainqueurs du monde, & braverent les armées Romaines, qui, semblables aux vils Africains, sont vendus, & courent verser leur sang dans la cause des tyrans!236
230 Caroline Michaelis an Luise Gotter und Wilhelmine Bertuch. 16. 4. 1782. In: Dies.: Briefe, S. 311. 231 Gedike – Biester (Hgg.): Ueber einen Aufsatz im deutschen Merkur und einen andern in Schlözers Staatsanzeigen, beide die Berlinische Monatsschrift betreffend, S. 576. 232 Ebd. Siehe hierzu auch Losch: Soldatenhandel, S. 47. 233 [Merck]: Herr Oheim der Jüngere, eine wahre Geschichte, S. 144. 234 Ebd, S. 205. Siehe hierzu auch Hatfield – Hochbaum: Influence, S. 374; Losch: Soldatenhandel, S. 47 f. 235 Benjamin Franklin an John Winthrop. 1. 5. 1777. In: Franklin: May 1 through September 30, 1777, S. 9. 236 [Mirabeau]: Avis aux Hessois, S. 59 f. In der deutschsprachigen Übersetzung heißt es entsprechend: „Tapfere Deutsche! Mit welchem Schandmal laßt Ihr Eure edle Stirn brandmarken! Wie! Am Ende des 18. Jahrhunderts ist das Volk Mitteleuropas Söldner und Trabant eines abscheulichen Despotismus! Was! Sind das die tapferen Deutschen, die ihre Freiheit mit so viel Leidenschaft gegen die Besieger der Welt verteidigten und den römischen Heeren trotzten, die
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Und außerdem hielt er fest: „[I]ls souffrent qu’on fasse chez eux LE COMMERCE DES HOMMES!“237 Der französische Publizist Simon Nicolas Henri Linguet (1736– 1794) vertrat 1780 in seinem Journal Annales Politiques, Civiles et Littéraires du Dix-huitième Siècle die Ansicht:238 Et observez qu’aujourd’hui même, où l’Allemagne semble jouir d’une paix profonde; où elle ne paroît se ressentir d’aucune des secousses qui épouvantent l’Océan, & ébranlent l’autre hémisphère, ses peuples cependant, je dis les peuples, sont forcés d’y prendre part, puisqu’on les décime pour aller ensanglanter un pays sur lequel leurs despotes ne prétendent aucun droit; puisqu’on les vend comme des troupeaux, pour aller égorger des Amériquains qui ne leur ont jamais fait aucun mal, ou être égorgés par eux; puisque le prix de leur sang n’est pas même adapté à leurs familles; mais entre exclusivement dans la caisse des marchands couronnés qui sont cet étrange trafic; puisque d’après des conventions publiques & solemnelles, chaque stipendiaire qui périt en Amérique sur ces rivages barbares, vaut un lucre sûr à son maître.239
nun wie Negersklaven verkauft werden und es hinnehmen, daß ihr Blut für die Sache der Tyrannen vergossen wird!“ [Mirabeau]: Aufruf an die Hessen, S. 75. 237 [Mirabeau]: Avis aux Hessois, S. 60. Die äquivalente Übersetzung lautet: „Sie dulden es, daß man bei ihnen Menschenhandel treibt!“ [Mirabeau]: Aufruf an die Hessen, S. 75. Zu Mirabeaus Ansichten bezüglich der Subsidienverträge siehe auch Auerbach: Hessen, S. 159; Biedermann: Deutschland. Bd. 1, S. 204 [Anm. *)]; Hoffman: German Soldiers. Bd. 1, S. 66. Eine kritische Haltung nahm ebenfalls der aufklärerisch orientierte Geistliche Guillaume-Thomas François Raynal (1713–1796) ein. Siehe hierzu Biedermann: Deutschland. Bd. 1, S. 204 [Anm. *]. 238 In Bezug auf Linguets Publikationsorgan und seiner Breitenwirkung gab Ernst Schulin an: „Linguet gab, zeitweise unter Mitwirkung von Brissot, die Zeitschrift ‚Annales politiques, civiles et littéraires‘ heraus, die 1777–92 über die revolutionären Ereignisse in Amerika und Europa berichtete und eine Riesenleserschaft hatte; Linguet selber wurde wegen dieser Zeitschrift oft verfolgt, war mal in Paris, mal in London oder in Brüssel, manchmal auch in der Bastille.“ Schulin: Französische Revolution, S. 190 f. 239 Linguet: Réponse, S. 431. Im selben Jahr druckte Wilhelm Ludwig Wekhrlin, der eigentlich zu der Minderheit der Intellektuellen gehörte, die bezüglich der Subsidienverträge eine apologetische Haltung einnahmen, in seinem Periodikum Chronologen eine deutschsprachige Übersetzung ab, die folgendermaßen lautet: „Alles diß bey Seit gesezt: bemerken Sie, wie heut zu Tag selbst, da Deutschland im süssesten Frieden zu schlummern schein[t], wo es im mindesten nichts von den Stössen, die sich jenseits des Oceans ereignen, und die dortige Halbkugel erschüttern, empfinden sollte; wie sein Volk – ich sage mit Fleiß Volk – gezwungen wird, daran Theil zu nehmen: indem man es auspreßet, um ein fremdes Land mit seinem Blut zu düngen, woran seine Despoten selbst kein Recht suchen: indem man es, Heerdenweis verkauft, um Menschen in Amerika zu erwürgen, die ihm niemals etwas Leid gethan, oder um von ihnen erwürgt zu werden: indem von dem Preise seines Bluts seine zu Hauß hinterbliebenen Familien zutheurst seinen Nuzen ziehen, als welcher gänzlich in die Kiste der gekrönten Mäkler fällt, die diesen außerordentlichen Handel treiben: indem, vermöge des Rechts der Subsidienverträge, jeder Miethling, der an den barbarischen Küsten von Amerika darauf gehet, für den Herrn der ihn gestellt hat, ein Gewinn wird.“ Linguet: [Antwortt (sic)], S. 117.
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Im 18. Jahrhundert setzten sich aufklärerische Beobachter immer wieder kritisch mit der unter Zwang durchgeführten Soldatenwerbung auseinander. So konstatierte z. B. der Pädagoge und Altphilologe Johann Valentin Embser (1749–1783)240, der u. a. in Kontakt mit Franklin stand,241 in seiner Gustav III. von Schweden (1746–1792; reg. 1771–1792) gewidmeten Hauptschrift Die Abgötterey unsers Jahrhunderts (1779):242 Unsere Armeen bestehen aus Miethlingen und Sklaven, die man entweder mit List und Gewalt wegnahm, oder die durch Mangel, Faulheit, Zügellosigkeit oder Ehrgeitz, da wo dieser Stand geehrt ist, und wo ist ers nicht? zu diesem Schritte getrieben wurden. Alle diese verschiedenen Triebe und Leidenschaften, die immer Folgen jenes Luxus sind, haben dieses Heer von Sklaven zusammengejagt, die unter der Peitsche eines kriegerischen Oberhaupts als Werkzeuge behandelt werden.243
240 Zu Embser, der nach seinem Studium in Halle und Göttingen als Französischlehrer in der Ritterakademie Reval tätig war und später als Gymnasialprofessor in Zweibrücken die Klassikeredition Editiones Bipontinae mitherausgab, siehe Bleeck, J. B. Basedows pädagogische Konzepte, S. 240–243; Hubert-Reichling – Red.: Embser, S. 265. Zu seinen Ansichten über den Krieg und das Militär siehe Bell: First Total War, S. 81; Bosse: Patriotismus, S. 85 f.; Butters: Bipontiner, passim; Hubert-Reichling – Red.: Embser, S. 265; Janssen: Johann Valentin Embser, S. 43–56; Kunisch: Bellona, S. 61; Planert: Nationalismus, S. 25 f. 241 Als Mitbegründer der zunächst in Zweibrücken, später in Straßburg beheimateten Societas Bipontina, die Werke griechischer und lateinischer Autoren der Antike verlegte, versandte Embser neu aufgelegte Titel auch an Franklin, nachdem dieser eine Bestellung aufgegeben hatte. Die 40 Bände umfassenden, den Briefverkehr des amerikanischen Staatsmannes dokumentierenden Papers of Benjamin Franklin enthalten drei in französischer Sprache verfasste Briefe von Embser an Franklin (Brief vom 6. 1. 1782. In: Franklin: Papers. Bd. 36, S. 387–389; Brief vom 9. 5. 1782. In: Franklin: Papers. Bd. 37, S. 347 f.; Brief vom 28. 2. 1783. In: Franklin: Papers. Bd. 39, S. 225 f.) sowie eine englische Mitteilung Franklins an Embser (Brief von 15. 1. 1782. In: Franklin: Papers. Bd. 36, S. 433). Aus dem Brief vom 28. 2. 1783, dem Jahr der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Paris, der die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten vom britischen Mutterland staatsrechtlich manifestierte und an dem auch Franklin mitgewirkt hatte, wird einmal mehr die extraordinäre Stellung des amerikanischen Diplomaten und Gelehrten deutlich. In diesem erklärte Embser gegenüber Franklin, den er als „Votre Excellence“ titulierte mit Bewunderung: „La paix glorieuse, que l’Amérique vient de conclurre, doit remplir de joye tout honnête homme, par la preuve éclatante, que par le courage & la fermeté, appuyés de la sagesse & de la prudence, la vertu triomphe des ennemis les plus puissans. Je joins mes voeux les plus ardens à ceux de l’Amerique pour les jours précieux de l’Illustre Franklin, dont le nom brillera dans les siècle les plus reculés, pour avoir crée une grande nation, & pour avoir rendu ses droits naturels à l’autre hémisphère […].“ Johann Valentin Embser an Benjamin Franklin. Brief vom 28. 2. 1783. In: Franklin: Papers. Bd. 39, S. 225 f. Zur Societas Bipontina und den Editiones Bipontinae siehe auch Schöndorf, Zweibrücker Buchdruck, S. 161–179, bes. 162 f., 174–179. Eine Bibliografie der Editiones Bipontinae ist einzusehen in Burkard: Bibliographie. 242 Siehe hierzu auch Blastenbrei, Literaten (Teil 2), S. 40. 243 Embser: Die Abgötterey unsers philosophischen Jahrhunderts, S. 190 f.
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Der ehemalige Militärangehörige August Wilhelm Leopold Rahmel (1749–1808) forderte in seiner 1783 zum ersten Mal publizierten Schrift Ueber den Dienst: „[…] [A]lle gewaltsame und durch Ränke ausgeführte Werbungen [sollten] bey gesitteten Völkern abgeschaft werden. Menschen stehlen, um sie mit Gewalt in die Sclaverey und zur Schlachtbank zu schicken, – das flucht! – das entehrt die Menschheit!“244 Ähnlich äußerte sich Johann Michael von Loёn in seinem Entwurf einer Staats-Kunst, wenn er deutlich machte: „Wo gewaltsame Werbungen in einem Lande üblich sind, und junge Leute gezwungen werden, die Waffen zu handthieren und Soldaten abzugeben, da ist keine Freyheit, sondern ein abscheulicher Despotismus.“245 Loёn, der den „Krieg als das größte Ubel“246 bezeichnete und die Ansicht vertrat, dass „der Krieg allzeit einem Land schädlich“247 sei, sprach sich nicht für eine generelle Abschaffung des Militärs aus,248 verurteilte jedoch Rekrutierungen, die der höfischen Prachtentfaltung oder finanziellen Bereicherung dienten. Er erklärte: Allein, Leute weg zu nehmen, ohne die geringste Gefahr, wenn alles im Lande ruhig ist, bloß zur Pracht und Kurzweil eines Fürsten: oder um solche an andere Potentaten, gegen ein Stück Geld zu überlassen, und wie die Ochsen und Pferde zu vermiethen, davon find ich in der ganzen Religion und Sitten-Lehre nicht die geringsten Spuren, um dergleichen Handlungen zu rechtfertigen.249
Loёns Verweis auf die Religion findet in der Frage nach der gewaltsamen Soldatenwerbung, die von Kritikern auch mit der Bezeichnung „Menschenraub“ in Verbindung gebracht wurde, eine biblische Äquivalenz. So heißt es im Buch Exodus: „Wer einen Menschen raubt, gleichgültig, ob er ihn verkauft hat oder ob man ihn noch in seiner Gewalt vorfindet, wird mit dem Tod bestraft.“250 Die Subsidienverträge zwischen Großbritannien und den deutschen Staaten wurden schließlich auch jenseits des Atlantiks kritisch rezipiert. Die maßgeblich
244 [Rahmel]: Ueber den Dienst, S. 14. Zu Rahmel siehe Sikora, Veredlung, S. 40 [Anm. 62]. 245 Loёn: Entwurf einer Staats-Kunst, S. 10. 246 Ebd., S. 67. 247 Ebd., S. 69. 248 So machte er deutlich: „Ich sage nicht, daß in gemeiner Noth, wann ein feindliches Heer die Gränzen überziehet, und alles drohet zu überwältigen, eine Obrigkeit nicht solte Macht haben die gesundeste und stärkste Mannschaft mit einiger Gewalt zur Ergreifung der Waffen zu nöthigen, und damit dem einbrechenden Feind zu begegnen.“ Loёn: Entwurf einer Staats-Kunst, S. 11. Außerdem vertrat er die Meinung: „Der Soldaten-Stand ist ein nöthiges Uebel. […] In einer so durchaus verdorbenen Welt […] kan man dieser Leute nicht entbehren.“ Ebd., S. 214. 249 Ebd., S. 11. 250 Ex 21,16. Siehe in diesem Zusammenhang auch Loen: Entwurf einer Saats-Kunst, S. 13.
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von Thomas Jefferson verfasste Unabhängigkeitserklärung enthält eine Passage, die auf die von Georg III. nach Nordamerika geschickten Truppen als Instrumente der Zerstörung referiert. Zu den dem König gemachten Vorwürfen gehört: He is at this time transporting large armies of foreign mercenearies to complete the works of death, desolation, and tyranny already begun with circumstances of cruelty an perfidy scarcely paralleld in the most barbarous ages, and totally unworthy the head of a civilized nation.251
Der Vorwurf des „Menschenhandels“ wurde von den revolutionären Kräften aufgegriffen, um die deutschsprachigen Subsidientruppen zu einer Reflexion ihrer politischen Situation und einer hieraus möglicherweise resultierenden Desertion zu bewegen. 1776 wurde ein laut Lyman H. Butterfield von Jefferson verfasstes und anschließend unter der Aufsicht von Franklin ins Deutsche übersetztes Flugblatt verteilt,252 das auf „fremde[] Fürsten“253 verwies, „deren Gewohnheit es ist das Blut ihres Volks um Geld zu verkaufen“254. Ausgiebig beschäftigte sich die bereits oben zitierte, nur mit der Verfasserangabe „Landsmann und bester Freund“255 versehene sechsunddreißigseitige Publikation mit dem Thema, die von Carl Cist (= Charles Jacob Sigismund Thiel) unter dem Titel Wahrheit und Guter Rath, an die Einwohner Deutschlands, besonders in Hessen 1783 in Philadelphia gedruckt wurde.256 Der Autor sprach darin im Zusammenhang mit den Subsidienverträgen
251 „Er schafft zum gegenwärtigen Zeitpunkt große Heere fremder Söldner heran, um das Werk des Todes, der Verwüstung und der Tyrannei zu vollenden, das er bereits mit solcher Grausamkeit und Heimtücke begonnen hat, wie sie in den barbarischsten Zeiten kaum ihresgleichen finden, und die des Oberhauptes einer zivilisierten Nation gänzlich unwürdig sind.“ In Congress, July 4, 1776. A Declaration by the Representatives of the United States of America, in General Congress Assembled, S. 147 (Übersetzung: Sautter, S. 150 f.). 252 Siehe Butterfield: Psychological Warfare, S. 239. 253 [Jefferson?]: Im Kongreß, den 14ten August, 1776. Übers., S. 239. 254 Ebd. 255 [Karl Friedrich Führer]: Wahrheit und Guter Rath, an die Einwohner Deutschlands, besonders in Hessen, S. 31. Christoph E. Schweitzer zufolge handelt es sich bei dem Autor der Schrift um Karl Friedrich Führer (1756–1794). Siehe hierzu Schweitzer: Preface/Commentary, S. 1–3, 61–76. 256 Es sollte berücksichtigt werden, dass die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten 1783 bereits beendet waren (s. o. sowie den Kommentar zu G93). Ein älterer Druck des Textes konnte nicht ermittelt werden. Vor diesem Hintergrund erscheint die Publikation als Immigrationswerbeschrift, die sich wohl an die deutschen Subsidientruppen richtete, die nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges zur Ansiedlung in den USA animiert werden sollten. Diese Vermutung stützt ein Hinweis am Ende des Drucks, der folgendermaßen lautet: „Zur Nachricht, Alle Hessen oder Deutsche, welche unter denen in dieser Schrift enthaltenen Bedingungen, Americanische Einwohner werden wollen, müssen sich nach
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von „Blutgeld“257 und „Sclaverey“258 sowie von „dem Menschen schimpflichen Sclaven-Dienst“259 bzw. den „[h]essischen elenden und sclavischen Zustand[]“260 und verglich das Schicksal der betroffenen Soldaten mit demjenigen der „Israelite[n] in Egypten“261. Er erklärte: Ich will mich daher erstlich an meine Landsleute wenden, welche, meiner Meinung nach, eines guten Raths, und der nöthigen Mittel, um sie aus ihrer sehr harten Sclaverey, (welche mit der Egyptischen Dienstbarkeit in allen Stücken zu vergleichen ist) zu retten, und sie zu glücklichen, freyen Menschen zu machen, am meisten benöthiget sind.262
In einem stark pointierten polemischen Gedankenspiel äußerte der Verfasser die metaphorische Vermutung, dass der hessische Landgraf aus pekuniärem Interesse sogar bereit sei, einen Subsidienvertrag mit dem Teufel abzuschließen und ihm für eine entsprechende finanzielle Entschädigung seine Untertanen zu überlassen. Er gab an: Ich glaube, wenn der Teufel aus der Hölle käme (ich rede gleichniß-weise) und wollte mit GOtt oder seinen Frommen Krieg führen, und verlangte dazu 12 oder 15000 Hessen, für einen guten Preiß, der Fürst würde ohne die mindeste Ueberlegung sie ihm verkaufen; und wenn auch der Teufel sie alle in die Hölle stürtzen wolte, so daß der Fürst keinen einzigen davon wieder zu sehen bekäme, so würde ihm das recht sehr lieb seyn, zumahlen wenn mit dem Teufel, wie anjetzo mit England, der Accord getroffen wäre, daß er jeden fehlenden Hessen nach Endigung des Subsidien Tractats mit 150 oder 200 Reichs Thaler bezahlen müsse.263
Der Autor richtete sich appellativ an sein Zielpublikum, akzentuierte den gemeinsamen ethnischen Hintergrund und postulierte den freiheitlichen Naturzustand des Menschen. Er forderte seine Leser auf, sich mit den als katastrophal beschriebenen soziopolitischen Zuständen in der alten Heimat nicht abzugeben und erinnerte dabei folgendermaßen an ihre Verantwortung für die Fürsorge ihrer potentiellen Nachkommen:
Sud-Carolina verfügen, wo eine Niederlassung zu ihrem Vortheil unternommen werden wird.“ [Führer]: Wahrheit und Guter Rath, an die Einwohner Deutschlands, besonders in Hessen, S. 35. 257 Ebd., S. 29 und 30. 258 Ebd., S. 9. 259 Ebd., S. 14. 260 Ebd., S. 22. 261 Ebd., S. 9. 262 Ebd., S. [5]. 263 Ebd., S. 28 f. Aufschlussreich ist, dass in der Analogie dem Teufel die Rolle Großbritanniens entspricht, während die Position Gottes den Vereinigten Staaten zufällt.
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O! meine theure Landsleute, und Soldaten! überlegt dieses alles recht genau, und reißt euch mit Gewalt aus einer solchen Sclaverey. Ihr habt es sogar zu verantworten in einem solchen Lande Kinder zu zeugen. Der Mensch ist und wird frey gebohren; aber in Deutschland nicht, wo sie von Geburt an Sclaven sind[.]264
Der Verfasser kontrastierte die als korrupt und dekadent beschriebenen Verhältnisse in den deutschen Duodezfürstentümern mit der gesellschaftlichen Situation in den Vereinigten Staaten, die seiner Ansicht nach von „stand- und tugendhafte Einwohner[n]“265 bewohnt seien und konstatierte: „America ist frey […].“266 Er führte aus: „Hier sind keine Tyrannen, keine Könige, oder Fürsten, [et cetera] die ihr in Pracht, Pomp, Hoffarth, Ueppigkeit und Schwelgerey zu erhalten habt. Hier findet man keine gebohrne Distinctionen, die Mißgeburten der Sclaverey […].“267 Der Autor wandte sich an den Widerstandswillen seiner Rezipienten und lud sie direkt dazu ein, sich in den USA anzusiedeln. Indem er sich erneut einer religiös gefärbten Sprache bediente, rief er sein Publikum auf: Ihr Hessen! schämt euch doch eures schändlichen, verächtlichen und dem Menschen höchst unanständigen Zustandes, und seyd nicht mehr die willkührliche Sclaven eines eurer Nebenmenschen, zerbrecht die Ketten der Sclaverey, reist euch aus der Finsterniß und Sclaverey in welche euch eure Voreltern, durch Zagheit und Furcht gestürtzt haben, kommt in das Land der Freyheit, wo ihr, wenn ihr auch nackend ankommt, in kurzer Zeit wieder Menschen, ja freye und glückliche Menschen werden könnt, und hier seyd fromm, tugendhaft, menschenfreundlich, und arbeitsam, so seyd ihr Mensch, wie ihn GOtt, nach seinem Ebenbild, frey und als keinen Knecht erschuf, ihr seyd Herr der Erde und der Schöpfung, und glücklich hier und dort ewig.268
Ergänzt wurde der Text durch einen aus 28 Strophen bestehenden Auszug eines Lieds, von einem Americanischen Grenadier, an die Hessen und andere (G154), der mit der Zeitangabe „Im Jahr 1777“269 versehen ist. Das Gedicht korrespondiert mit zahlreichen im vorhergehenden Haupttext artikulierten Gedanken und bringt sie in poetischer Form pointiert zum Ausdruck. So ist darin ernüchtert über die Nachkommen der Germanen, die „selbst der Römer Heer / [m]it Deutschem Arm
264 Ebd., S. 25. 265 Ebd., S. 15. 266 Ebd. 267 Ebd., S. 16. 268 Ebd., S. 29. 269 [Anonym]: Auszug eines Lieds, von einem Americanischen Grenadier, an die Hessen und andere. 19. Strophe, S. 31 [G154].
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und Muth“270 bekämpften und „ihren mächt’gen Speer, / Nur in Tyrannen Blut“271 tränkten, zu lesen: Und ihre Enkel schmachten nun In fremder Völker Dienst, Verkaufen sich, wie Sclaven thun, Dem Fürsten zum Gewinst.272
Auch hier wird das Zielpublikum direkt adressiert und mit der Aufforderung konfrontiert, sich von seinen deutschen Landesherren zu lösen und zu den Amerikanern überzutreten: Kommt zu uns, schüttelt ab sein Joch, Denn zeigt ihr grössern Muth; Kommt zu uns, er verkauft euch doch, Und schwelgt von eurem Blut:273
Die Subsidiensoldaten, an die sich das poetische Subjekt wendet, werden anschließend eingeladen, ihre negative politische Vergangenheit geografisch hinter sich zu lassen, ihr destruktives Verhältnis zu den Patrioten aufzugeben und sich gemeinschaftlich, friedfertig und kooperativ in der Neuen Welt anzusiedeln: Statt daß ihr uns zu morden sucht, Und unsere Saat verheert, Genießt dann selbst des Fleisses-Frucht, Die jetzt der Fürst verzehrt. O kommt, laßt Deutschland Deutschland seyn, Und gebt uns eure Hand, Schmied’t euer Schwerdt zu Sicheln ein, Und baut mit uns das Land[.]274
Der Übertritt von Subsidiensoldaten zu den Amerikanern wird in ähnlicher Weise von dem afrikanischen Sprecher in Gottlieb Conrad Pfeffels Lied eines Negerskla-
270 Ebd. 18. Strophe. 1 f. Vers, S. 34 [G154]. 271 Ebd. 18. Strophe. 3 f. Vers, S. 34 [G154]. 272 Ebd. 19. Strophe, S. 34 [G154]. 273 Ebd. 20. Strophe, S. 34 [G154]. 274 Ebd. 22 f. Strophe, S. 34 [G154]. Zur Anspielung auf das Bibelwort im dritten Vers der 23. Strophe siehe auch den Kommentar zum 41. Vers von G116.
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ven (1779; G141) artikuliert. In der sechsten Strophe konstatiert er, während er die zuvor als „deutsche[] Sklaven“275 bezeichneten Subsidientruppen adressiert: Doch ihr fühlts! Mit frommer Scheu Werfen halbe Legionen Ihre Waffen weg, um frei In Amerika zu wohnen.276
Bei der Wahrnehmung der Subsidienverträge während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges als „Menschenhandel“ handelt es sich um den wahrscheinlich am weitesten verbreiteten Amerika-Topos der zeitgenössischen europäischen deutschsprachigen politischen Amerikaliteratur. Eine höchst zugespitzte Form dieser Rezeption stellt gerade das eben zitierte Lied eines Negersklaven von Pfeffel dar, das eigentlich das Schicksal eines verschleppten afrikanischen Sklaven thematisiert, dabei aber wie bereits erwähnt auch auf den sog. Soldatenhandel verweist. Bereits in der ersten Strophe ruft das lyrische Ich: Wohl dir, liebes Afrika! Nun behältst du deine Kinder; Schon verkauft Germania Seine Helden, wie die Rinder!277
Und etwas später heißt es: Halb so theuer ist das Blut Eines Hessen angesezet, Als man im Konnektikut Meinen feilen Schweiß geschäzet.278
Die Parallelisierung der Subsidienverträge mit dem transatlantischen Sklavenhandel, wie sie in der Publizistik auch bei Schubart zu finden ist (s. o.), stellt den Versuch dar, der Entrüstung über die als höchstes Unrecht und Verrat an den landesherrschaftlichen Pflichten wahrgenommene Vermietung von Untertanen, der auch hier als Verkauf wahrgenommen wird, einen adäquaten Ausdruck zu verleihen. Schubart selbst hat seine politischen Ansichten bezüglich der zeitgenössischen Vorgänge in Nordamerika bereits zu einem äußerst frühen Zeitpunkt
275 Pfeffel: Lied eines Negersklaven. 3. Strophe. 2. Vers, S. 41 [G141]. 276 Ebd. 6. Strophe, S. 42 [G141]. 277 Ebd. 1. Strophe, S. 41 [G141]. 278 Ebd. 4. Strophe, S. 41 [G141].
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in seinem Freyheitslied eines Kolonisten (G172) in poetischer Form deutlich artikuliert (s. Kapitel I). In diesem verwendet der Sprecher, der als amerikanischer Freiheitskämpfer zu identifizieren ist, in der fünften Strophe ebenfalls das Bild der Sklaven und Schlachttiere, um das Verhältnis der Untertanen zu ihrem Herrscher zu charakterisieren. Er ruft: Da seht Europens Sklaven an, In Ketten rasseln sie! – Sie braucht ein Treiber, ein Tyrann Für würgbares Vieh.279
Das Bild des „Menschenhandels“ ist aber auch im Bereich der Epik immer wieder aufgegriffen worden. So ist beispielsweise in dem „vielfach nachgedruckt[en] und imitiert[en]“280 satirischen Roman Faustin oder das philosophische Jahrhundert (1783) des Aufklärers Johann Pezzl (1756–1823) von einem „unmenschlichen, schändlichen, verrätherischen Menschenverkauf“281 die Rede. Über den Protagonisten berichtet der Erzähler im Zusammenhang mit den Subsidienverträgen außerdem: Wie Faustin hörte, daß er gar nach Amerika sollt, ward er vollends untröstbar. Nach Amerika! rief er schluchzend, nach Amerika! Was geht uns Deutsche Englands Fehde mit seinen Kolonisten an? Finden Sie das unserm menschenfreundlichen, aufgeklärtem, philosophischen Jahrhundert angemessen, daß einige Landesväter ihren Bauern das Geld nehmen, mit eben diesem Gelde die Söhne derselben, den gesündesten nervigsten Kern der Nazion mondiren und armiren, und dann für einige lumpige Guineen an die Britten verkaufen? Ist das etwas anders, als Europäischer, noch ärger, etwas anders als deutscher Sklavenhandel?282
Und im Roman Der Unglickliche Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka erinnert sich die titelgebende Hauptfigur im Zuge seiner Rückkehr nach Europa: „Hier war es, wo ich vor zwanzig Jahren als ein Schlachtopfer der menschlichen Bosheit sinnlos fortgeschleppt wurde.“283 Neben dem Ausdruck „Menschenhandel“ finden sich in den Beschreibungen von Zwangswerbungen und Soldatenvermietungen Komplementärbegriffe wie
279 Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 5. Strophe, S. 508 [G172]. 280 Siegrist: Pezzl, S. 288. 281 [Pezzl]: Faustin oder das philosophische Jahrhundert, S. 244. 282 Ebd., S. 245. 283 [Anonym]: Der Unglickliche Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka, S. 180.
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„Seelenverkäufer“ bzw. „Seelenhändler“, die eine religiöse Konnotation aufweisen. In einer von August Wilhelm Leopold Rahmel (1749–1808) verfassten militärischen Schrift werden Werber allgemein „Seelenhändler“284 genannt und in dem vom Theaterautor Heinrich Gottlieb Schmieder (1763–1811) verfassten, 1784 unter dem Titel Die Seelenverkäufer publizierten Lustspiel, warnt z. B. der Bedienstete Franz: „[…] [W]ie gefährlich ’s ist in Amsterdam. Die Seelenverkäufer lauren da, wie die Krokodils, am Ufer.“285 Verschiedene Figuren des Dramas, das „in einer Grenzstadt bei Holland, dann in Holland selbst“286 situiert ist und exkursorisch auch auf Amerika als Ort eines möglichen Neuanfangs referiert,287 gebrauchen Begriffe, die eine Konnotation des Diabolischen aufweisen, um die Machenschaften der als hinterhältig und integritätslos wahrgenommenen Soldatenwerber zu bezeichnen. Die Figur Sanders spricht von „satanischen Betrüger[n]“288 und wundert sich: „Wie ists möglich, daß Menschen solche Teufel seyn können! Gott! deine Geschöpfe!“289 Außerdem bekundet er: „[…] [E]s müssen doch Teufelskerls seyn, die Seelenverkäufer!“290 Der „Seelenverkäufer“-Begriff fällt auch in Johann Gottlieb Stephanies d. J. Lustspiel Die Werber291 und das von dem Musiker, Librettisten, Schauspieler und Dramatiker Max Blumhofer (Maximilian Blaimhofer; 1759–1835) verfasste „komisch-satirische[] original Singspiel“292 Die Luftschiffer oder der Strafplanet der Erde (1787) referiert ebenfalls auf „[h]olländische Seelenverkäufer, amerikanische Sklavenhändler, und Menschenfischer irrdischer Majestäten und Durchlauchten.“293 In Zusammenhang mit den Subsidienverträgen vor
284 [Rahmel]: Ueber den Dienst, S. 15. 285 Schmieder: Die Seelenverkäufer. 2. Aufzug, S. 64. 286 Ebd. Personenverzeichnis, S. [2]. 287 So heißt es in einem Gespräch im vierten Akt: Comöd[iant:] […] Es ist nichts mehr für und in Europa zu machen. Wollen sehn, wie’s in den andern Weltteilen gehn wird. Kand[idat:] In America, hören Sie. Da ists etwas neues, könnten da Hofschauspiler werden bei den neuen 13 Staaten. Kaufm[ann:] Haben da ganz andre Schauspieler. Comöd[iant:] Der Teufel, ja! das gieng an. – Wenn man nur schon hin wär! Ebd. 4. Aufzug, S. 98. 288 Ebd. 4. Aufzug, S. 101. 289 Ebd. 4. Aufzug, S. 104. 290 Ebd. 5. Aufzug, S. 122. 291 Stephanie d. J.: Die Werber. 1. Aufzug. 12. Auftritt, S. 21. 292 Blumhofer: Die Luftschiffer oder der Strafplanet der Erde, Titelblatt. 293 Ebd. 2. Aufzug. 3. Auftritt, S. 64.
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dem Hintergrund des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges wurde der Begriff z. B. in der bereits zitierten Schrift Wahrheit und Guter Rath, an die Einwohner Deutschlands, besonders in Hessen evoziert. Der Autor gab an: Wenn diese Ueberlassung Hessischer Truppen in Englischen Sold, gegen Bezahlung einer solchen ungeheuren Summe Geldes, wovon das Korps nicht völlig die Hälfte zur Löhnung, Kleidung und andern Feld-Nothwendigkeiten erhält, nicht verkauft genennt werden kan, so weiß ich wahrlich keine schicklichere Benennung dafür, ich müste es denn Seelenverkauferey nennen, und dazu habe ich auch vieles Recht, weilen die Krone England jeden todgeschossenen oder an Blessur verstorbenen jeden Blessirten und Gefangenen, mit einer starken Summe, dem Landgrafen vergüten muß[.]294
In Seybolds Briefroman, den Harold Jantz als mutigsten literarischen Protest gegen die zeitgenössischen Subsidienverträge bezeichnete,295 zeigt sich gerade hier die Diskrepanz innerhalb der britischen Gesellschaft zwischen dem Anspruch, ein aufgeklärtes Menschenbild zu vertreten und den tatsächlichen politischen Zuständen. An Schröder schreibt Reizenstein: „Der stolze Britte, der die Würde der Menschheit so sehr an sich selbst schätzt, tritt sie am meisten mit Füssen, und treibt den Menschenhandel nicht mehr in Barbados allein – nein! auch in Deutschland! – und Fürsten schäzen das Leben eines Unterthanen nach ein paar Pfund Sterling?“296 Diese negative Sichtweise auf die britische Politik steht im
294 [Führer]: Wahrheit und Guter Rath, an die Einwohner Deutschlands, besonders in Hessen, S. 22. 295 Siehe Jantz: German Views, S. 14. 296 Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 41. Brief vom 26. 5. 1776, S. 128 [277 f.]. Die Hervorhebung von Barbados im Zusammenhang mit dem Sklavenhandel durch Reizenstein ist auch aus historischer Perspektive begründet, da 1750 die 63.410 auf der Insel lebenden Sklaven fast 79 % der Gesamtbevölkerung von Barbados ausmachten. Unter den britischen Kolonien in der Karibik hatte nur Jamaica mit 127.881 Sklaven, was 90 % der Gesamtbevölkerung entsprach, einen höheren Anteil. Vgl. Higman: Development, S. 302. Siehe auch Craton: Jamaican Slavery, S. 254, 284. Zur Bedeutung der Sklaverei in Barbados im 18. Jahrhundert siehe Beckles: History, S. 41–74. Philip D. Curtin errechnete für den Zeitraum 1761–1800, dass britische Schiffe an etwa 45 % des gesamten von Großbritannien, Frankreich, Portugal, den Niederlanden, Dänemark und den Vereinigten Staaten betriebenen Sklavenhandels, beteiligt waren. Siehe Curtin: Measuring, S. 109. Zum britischen, erst 1807 von der Regierung verbotenen transatlantischen Sklavenhandel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts siehe auch Anstey: Volume, S. 3–31. Zur Sklaverei in den britischen Kolonien der Karibik siehe Burnard: British West Indies, S. 134–153; Parry: Kolonialreiche, S. 90 f. Zur Beteiligung von Kaufleuten aus den deutschen Staaten (Familien Welser, Fugger, Bering, Schimmelmann, Romberg) am transatlantischen Sklavenhandel siehe Weber: Deutschland, S. 37–67. Zum transatlantischen Sklavenhandel allgemein siehe Behrendt: Transatlantic Slave Trade, S. 252–274; Burnard: Atlantic Slave Trade, S. 80–97; Stampp: Peculiar Institution, S. 17 f., 24 f., 271 f., 397. Trevor Burnard gab an, dass 1501–1866 insgesamt schätzungsweise
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Widerspruch zu der überwiegend positiven zeitgenössischen Rezeption der konstitutionellen Monarchie. Auf viele Beobachter dürfte es wohl paradox gewirkt haben, dass die Kolonisten in Nordamerika gegen ihr Mutterland rebellierten, das von dem größten Teil der Intellektuellen als Hort der freiheitlichen und parlamentarischen Gesinnung wahrgenommen wurde. Die zeitgenössische Wahrnehmung Englands fasste John A. Walz folgendermaßen passend zusammen: „England was admired as the land of liberty, as the home of great men.“297 Und er wiederholte: „England was justly an object of admiration on the part of many thoughtful Germans.“298 Ähnlich gab auch Guy Stanton Ford an: „England was the political ideal of the German liberals and nationalists in the eighteenth and in the first half of the nineteenth century.“299 Dieses Urteil spiegelt sich in der deutschsprachigen Literatur des 18. Jahrhunderts wieder. In Schillers bürgerlichen Trauerspiel Kabale und Liebe, in dem die Subsidienverträge zwischen Großbritannien und den deutschen Staaten ebenfalls verurteilt werden (s. Kapitel V.6), kritisiert Ferdinand Lady Milford und lässt dabei sein grundsätzlich positiv besetztes Bild, das er von den Briten hat, durchscheinen. Er erklärt: Sie nennen sich eine Brittin. Erlauben Sie mir – ich kann es nicht glauben, daß Sie eine Brittin sind. Die freigeborene Tochter des freiesten Volks unter dem Himmel – das auch zu stolz ist, fremder Tugend zu räuchern, – kann sich nimmermehr an fremdes Laster verdingen. Es ist nicht möglich, daß Sie eine Brittin sind, – oder das Herz dieser Brittin muß um so viel kleiner sein, als größer und kühner Britanniens Adern schlagen.300
Wilhelm Ludwig Wekhrlin behauptete in dem 1779 in seinem Journal Chronologen abgedruckten Aufsatz Reflexionen über die Rede des Lord Gordon bey Wiedereröfnung des Parlaments 1778 über „[d]ie brittische Staatsverfassung“301: „Sie ist unstreitig die vollkommenste Regierung, die Menschen sich Selbst geben konnten.“302 Zu den großen literarischen Unterstützern der amerikanischen Freiheitsbewegung gehörte, wie bereits erwähnt wurde, Schubart. Zahlreiche Beiträge in seiner Teutschen Chronik lassen seine Sympathien für die nordamerikanischen
12,5 Millionen Afrikaner auf den amerikanischen Kontinent verschleppt wurden. Siehe Burnard: Atlantic Slave Trade, S. 91. 297 Walz: Three Swabian Journalists [4,2 (1902)], S. 97. 298 Ebd. 299 Ford: Two German Publicists, S. 169. Siehe auch Weber: America, S. 9. 300 Schiller: Kabale und Liebe. 2. Akt. 3. Szene, S. 595 [Erstausgabe]. 301 Wekhrlin (Hg.): Chronologen 1 (1779), S. 320. 302 Ebd. Siehe hierzu auch Walz: Three Swabian Journalists [4,3/4 (1902)], S. 272. Wekhrlins Ansichten über England fasste Walz folgendermaßen pointiert zusammen: „England is Wekhrlin’s ideal state.“ Ebd. Siehe auch ebd., S. 267.
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Patrioten erkennen. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, bei verschiedenen Gelegenheiten seiner Bewunderung für das britische politische System Ausdruck zu verleihen. Herbert Percival Gallinger machte in diesem Zusammenhang deutlich: „[…] [S]ein Eifer für die Sache der Amerikaner wurde nur durch seine Liebe zu Altengland beschränkt.“303 Guy Stanton Ford, der Schubart als „England’s enthusiastic admirer“304 bezeichnete, gab in diesem Zusammenhang an: „[…] [He was] an advocate of the colonial cause, though frequent lapses into unstinted praise of England rob him of the right to be called a consistent supporter of the colonies.“305 Und Paul C. Weber notierte: „[…] [He] naturally sympathized with the colonists, although he had the exalted ideas of British liberalism.“306 Walz, der auf „Schubart’s continued love for England“307 verwies, konstatierte ebenfalls: „Schubart’s admiration for England appears all through the Deutsche Chronik.“308 Und er ergänzte sogar: „The Chronik of 1775 expresses great admiration for the Americans, but perhaps even greater admiration for the English.“309 Tatsächlich scheint die Begeisterung Schubarts für das britische Modell immer wieder in seinem publizistischen Schaffen durch. In der Ausgabe vom 2. Mai 1774 druckte der Autor in seiner Zeitung beispielsweise einen Beitrag ab, in dem die Ansicht vertreten wurde, dass England „[e]in Land [sei], das sich durch seine Staatsgrundsätze, seine Entschlossenheit, unerschöpfliche Reichthümer und in allen vier Welttheilen ausgebreitete Besitzungen ehrwürdig und furchtbar gemacht“310 habe. Außerdem war zu lesen, dass es ein Land sei, „wo der Patriot noch rufen“ dürfe:311 O Freiheit, Freiheit! Silberton dem Ohre! Licht dem Verstande! Dem Herzen groß Gefühl Und freier Flug zu denken!312
303 Gallinger: Haltung, S. [12]. 304 Ford: Two German Publicists, S. 169. Siehe auch ebd., S. 168. 305 Ebd. 306 Weber: America, S. 8. 307 Walz: Three Swabian Journalists, [N.S. 1,4 (1903)], S. 210. 308 Ebd., S. 209. 309 Ebd., S. 210. 310 Schubart (Hg.): Teutsche Chronik (1774). 1. Vierteljahr. 10. Stück. 2. 5. 1774, S. [73]. 311 Ebd. 312 Ebd. Ursula Wertheim und Hans Böhm wiesen allerdings darauf hin, dass sich bei Schubart auch England-kritische Passagen finden. Sie hielten fest: „Wenn auch die Bewunderung Englands als ökonomisch und politisch weit fortgeschrittenen Landes […] bei Schubart durchaus
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Die allgemeine England-Bewunderung zahlreicher deutschsprachiger Intellektueller wird in Reizenstein durch den Sklavenhandel, an dem die Briten beteiligt sind, und durch die von ihnen initiierten Subsidienverträge unterminiert. Dies schafft die Grundlage dafür, dass der Unabhängigkeitskampf der nordamerikanischen Patrioten gegen das Mutterland als moralisch legitim erscheint und die Paradoxie des Widerstandes gegen ein in der zeitgenössischen öffentlichen Wahrnehmung politisch nahezu als vorbildlich erachtetes Land, aufgelöst oder zumindest entschärft wird. Neben der Ablehnung der Subsidienverträge sind im Roman an einigen Stellen aber auch kritische Stimmen gegenüber dem Militär bzw. Soldatentum allgemeiner Art zu spüren. Reizenstein fällt einer Intrige durch den Militärangehörigen Jahn zum Opfer und wenn dieser auch auf seinem Totenbett geläutert wird,313 so sind es zuvor doch private eigennützige Motive gewesen, die ihn zu dieser Tat bewogen haben. Das Militär erscheint dadurch zumindest in den deutschen Staaten bzw. Europa als anfällig für die Intrigen korrupter Karrieristen. Eine kritische Rezeption des Soldatenwesens zeigt sich aber vor allem in einem Brief Reizensteins an den Mediziner Müller, in welchem sich der Offizier in die Rolle seines Briefpartners versetzt und folgende fiktive Kritik imaginiert: „So, mein Herr Soldat! […] Wir kommen doch, um das Elend von der Hütte des Landmanns zu entfernen, aber Sie, um es zu machen. Wir werden gerufen, um vom Tode zu retten, und Sie ruft man auf, um darein zu stürzen. Welcher Beruf ist menschenfeindlicher, oder macht mehr zu Menschenfeinden? Denn kommt mir nur nicht mit Euren Grillen, die Ihr aus Griechenland und Rom geschöpft habt – mit dem Sterben fürs Vaterland. Mit dem ists heut‘ zu Tage gröstentheils vorbey, und Ihr sterbt für den Ehrgeiz und die Vergrösserungssucht der Fürsten.[“]314
Und mit einem Blick auf die Zustände in Amerika führt er aus: [„]Selbst, wenn ein Amerikaner itzt in einem Treffen bleibt, ist es immer noch die Frage, ob er nicht mehr für Washington und Hankok, als für seine Freyheit stirbt? – Und dann seyd Ihr nicht die Werkzeuge der Unterdrückung? Werdet Ihr auch nicht wirklich dazu gebraucht, so
vorhanden ist wie bei den meisten Intellektuellen seiner Zeit, wenn er von den Parlamentsdebatten berichtet, die britische Preßfreiheit nicht laut genug zu rühmen weiß, so setzt doch, gefördert durch die reaktionäre Rolle Englands im amerikanischen Unabhängigkeitskampf, eine sehr starke England-Kritik und Polemik gegen die deutsche Anglomanie ein, die neben der längst vorhandenen Kritik der Gallomanie einhergeht.“ Wertheim – Böhm: Einleitung, S. XXIII. 313 Reizenstein zitiert ihn in einem Brief an Auguste folgendermaßen: „[…] [I]ch bin ein Bösewicht, ich habe ihn verrathen, ich habe seine Freunde ums Leben gebracht – ich Ungeheuer!“ Reizenstein an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 138. Brief vom 12. 6. 1778, S. 307 [280]. 314 Reizenstein an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 27. Brief vom 15. 3. 1776, S. 77 [153].
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seyd Ihr doch da, um im Fall es nöthig gefunden wird, dazu gebraucht zu werden? Denn mit der Vermehrung und dem immer erhöheten Ansehen Eures Standes hat der Despotismus immer neue Kräfte erhalten.“315
Damit wird auf die im Soldatenwesen innewohnende Gefahr als „Werkzeuge der Unterdrückung“316, d. h. als Instrument zur Konsolidierung der despotischen Macht, hingewiesen. Diese Darstellung des Militärs entspricht der zeitgenössisch weit verbreiteten und auf einer langen literarischen Tradition fußenden Wahrnehmung der Soldaten als Bedrohungsfaktor für die Sicherheit des Individuums wie der gesamten Gesellschaft. Militärangehörige erschienen häufig als verlängerter Arm der Obrigkeit und sie galten in Kriegs-, aber auch in Friedenszeiten als potentielle Plünderer und Bedrohung für die sexuelle Integrität von Frauen.317 Im
315 Ebd., S. 77 f. [153 f.]. 316 Ebd., S. 78 [153]. 317 Einen Überfall marodierender Soldaten auf einen Bauernhof beschreibt der Ich-Erzähler in Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausens (1621/22–1676) Roman Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch (1668; der Druck wurde auf 1669 vordatiert [vgl. Meid – Heßelmann: Grimmelshausen, S. 430]) beispielsweise folgendermaßen: […] [U]nser Magd ward im Stall dermassen tractirt / daß sie nicht mehr darauß gehen konte / welches zwar eine Schand ist zu melden! den Knecht legten sie gebunden auff die Erd / stecketen ihm ein Sperrholtz ins Maul / und schütteten ihm einen Melckkübel voll garstig Mistlachen-wasser in Leib / das nenneten sie ein Schwedischen Trunck / wordurch sie ihn zwungen / eine Parthey anderwerts zu führen / allda sie Menschen und Viehe hinweg namen / und in unsern Hof brachten […]. Grimmelshausen: Der abentheuerliche Simplicissimus Teutsch. 1. Buch. 4. Kapitel, S. 28. Und weiter berichtet er: Da fieng man erst an / die Stein von den Pistolen / und hingegen an deren statt der Bauren Daumen aufzuschrauben / und die arme Schelmen so zufoltern / als wann man hätt Hexen brennen wollen / massen sie auch einen von den gefangenen Bauren bereits in Bachofen steckten / und mit Feuer hinder ihm her warn / ohnangesehen er noch nichts bekennt hatte; einem andern machten sie ein Sail umb den Kopff / und raittelten es mit einem Bengel zusammen / daß ihm das Blut zu Mund / Nas und Ohren herauß sprang. Jn Summa / es hatte jeder sein eigene invention, die Bauren zu penigen […]. Ebd., S. 29. Siehe hierzu auch Kaudelka: Kriegsdarstellung, S. 78–86. Die Forschung hat sich wiederholt mit der Frage nach dem historischen Realitätsgehalt von Grimmelshausens Roman auseinandergesetzt. Es ist häufig die Ansicht vertreten worden, dass es sich bei den Beschreibungen durchaus um sehr realistische Darstellungen der zeitgenössischen Verhältnisse handele. So finden sich wichtige Elemente der eben zitierten Plünderungsszene auch in den historischen Quellen. Ein auf den 29. Mai 1626 datierter Beschwerdebrief aufständischer österreichischer Bauern berichtete, „[d]aß die Soldaten hin und wider auf dem Land auf die Pauren zu ihren Heusern gestraift, ihnen vill Gelt, und bei jedem Haus 1, 2 und bis in 4 und 5 Reichstaler abgenötigt; wann mans nicht zu geben gehabt, die Pauren und ire Leut geschlagen, inen eingebrochen, Truhen und Kästen aufgeschlagen und alles ausgeblündert, zu geschweigen des Viechs und andern Sachen, so mit Gwalt weggenohmen worden, und daß Burgen und Pauern auch vor den geringsten Soldaten keine Roß in den Ställen mehr sicher gewest.“ Beschwerdebrief aufständischer österrei-
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18. Jahrhundert wurde die Kritik an Militärangehörigen im bürgerlichen Trauerspiel und in den weit verbreiteten Soldatenstücken fortgesetzt, die sich häufig tradierter Rollenbilder bedienen und auf konventionelle Typen zurückgreifen. Clara Stockmeyer machte deutlich: „Der an schweren Schäden krankende Soldatenstand bot der sozialen Kritik eine Menge Stoff.“318 In zahlreichen Werken der Zeit treten Figuren auf, die als Verführer unbedachter junger Frauen erscheinen.319 Schwierigkeiten im Verhältnis zwischen der Bevölkerung und dem Militärwesen konstatierte für den fränkischen Raum, in dem vor allem die erste Hälfte von Seybolds Romanhandlung situiert ist, der preußische Staatsmann Karl August von Hardenberg (1750–1822) noch Ende des 18. Jahrhunderts. Er erinnerte an die von Großbritannien mit Karl Alexander ausgehandelten Subsidienverträge und schrieb: Die Abneigung gegen den Soldatenstand ist in den fränkischen Fürstenthümern noch sehr groß. Ehedem existirte bei der Aushebung kein Zwang. […] Im amerikanischen Kriege gab der Markgraf ein Infanterie-Regiment und ein Jäger-Bataillon in englischen Sold […]. Hierdurch wurde das Land an schönen und diensttauglichen Leuten sehr entblößt. Sonst konnte die Aushebung an sich für das wenige Militair nicht sehr bedrückend seyn.320
chischer Bauern vom 29. 5. 1626, S. 114. Zum Verhältnis zwischen Soldaten und Landbevölkerung siehe auch Hochedlinger: Rekrutierung, S. 327–375; Kaak: Soldaten. S. 297–326; Kroll: Militär, S. 275–295; Rathjen: Soldaten. 318 Stockmeyer: Soziale Probleme, S. 112. Die Funktion des Militärs als Stoffgeber für das Bühnengeschehen beschrieb Johann Gottlieb Stephanie d. J. in der Vorrede zu seinem Lustspiel Die Werber mit den Worten: „Ich habe Gelegenheit genug gehabt, die Welt von mehr als einer Seite kennen zu lernen, am sichersten von der Militairischen, ein ergiebiger Stof für das Theater.“ Stephanie d. J.: Die Werber. Vorrede, S. [3]. 319 So etwa in Jakob Michael Reinhold Lenz’ Die Soldaten (1776) und Heinrich Leopold Wagners (1747–1779) Trauerspiel Die Kindermörderin (1776). Aussagekräftig ist auch der folgende Kommentar Philippines, der Tochter des Stadtpflegers Herr von Rosenau über einen Militärangehörigen in den Werbern: „Er ist Soldat, wie viele Mädchen sind schon hintergangen worden!“ Stephanie d. J.: Die Werber. 2. Aufzug. 10. Auftritt, S. 43. In Krausenecks Werbung für England berichtet die minderjährige Tochter Röschen ihrer Mutter: „Ich sah das ganze Dorf zusammen laufen und lief eben auch mit. Als ich hinauf kam, so zogen Soldaten herein mit viel Männern und jungen Purschen, die haben alle grüne Zweige auf ihren Hüten und lärmen und schreyen. Gleich lief einer von den Soldaten auf mich zu und fieng mich und – wollte mich gar auf seinen Schoos setzen, der unverschämte Soldat!“ Krauseneck. Die Werbung für England. 5. Auftritt, S. 29. Und Friedrich Christian Laukhard (1757–1822), der selbst Soldat gewesen war, warnte in seiner Autobiografie: „[…] [W]er noch nicht ganz und gar des Teufels ist, hängt sich nicht an einen Soldaten.“ Laukhard: Magister F[riedrich] Ch[ristian] Laukhards Leben und Schicksale, S. 21. 320 Hardenberg: § 78, S. 61.
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Im poetischen Raum wurden jedoch häufig nicht nur die Aversionen der Zivilbevölkerung, allen voran der Bauern, gegenüber Soldaten beschrieben,321 sondern auch das harte Soldatenleben und die alltägliche Gewalt, die sich nicht selten auch gegen die eigenen Militärangehörigen richten konnte. Zu dieser im zeitgenössischen Militärwesen implementierten Autoagression gehörten ein unnachgiebig scharfer Drill und die Verfügung von drakonischen Strafmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Disziplin. In Krausenecks Werbung für England beschreibt der Feldwebel die Willkür bei der Verteilung von Prügel mit den Worten: „Die kriegt ein Soldat für ein krummes Gesicht.“322 Pfeffels 1781 entstandenes Gedicht Der Ableiter karikiert die zeitgenössische Bestrafungspraxis im Militärwesen in pointierter Weise. Die Verse muten humoristisch an, fußen jedoch auf einer ernsten historischen Grundlage: Zu einem Mann, der Wetterstangen Auf Häuser pflanzt, kam ein Rekrut, Mit blauem Wams und kleinem Hut, Pudriertem Haar und hohlen Wangen: Ableiter macht ihr für den Blitz? O Herr! mit dem hats gute Wege; Hier ist mein Handgelt, sagte Fritz, Macht mir nur einen für die Schläge.323
Und der Sprecher eines vielleicht um 1776 verfassten Soldatenliedes, das den Aufbruch der hessischen Subsidientruppen in die Neue Welt positiv und affirmativ thematisiert (G74), entwirft ein ähnliches Bestrafungsbild, wenn er in der zweiten Strophe ruft:
321 So stellt Corporal Körber in den Werbern fest: „[…] [E]s braucht Mühe einem Bauern die Furcht vor dem Soldatenleben zu benehmen.“ Stephanie d. J.: Die Werber. 3. Aufzug. 4. Auftritt, S. 50. Der evangelische Theologe Aegidius Henning (ca. 1630-ca. 1682) konstatierte allgemein über das gespannte Verhältnis zwischen der Landbevölkerung und Militärangehörigen: „Zwischen denen Bauren und Soldaten ist eine natürliche Feindschafft: Gleich wie zwischen Katzen und Mäusen / beyde diese Arten stehlen und naschen gerne / und wird eine von der andern verfolget / also / auch Soldaten können keine Bauren / das ist / die / wie sie Gäste seyn / leyden und dulden. Gleich wie die Soldaten denen Herren Bauren übel auffleuchten / wo sie ihrer mächtig werden: Also und gleicher gestalt / legen die Bauren manchen / der dahinden bleibet / schlaffen.“ Veroandro aus Wahrburg [= Aegidius Henning]: Was die Bauren vor Leute in und nach dem Krieg worden. Drey und zwanzigste Prob. In: Ders.: Des Neunhäutigen Und Haimbüchenen schlimmen Baurenstands und Wandels / Entdeckte Ubel-Sitten Und Lasterprob […], S. 110 f. 322 Krauseneck: Die Werbung für England. 6. Auftritt, S. 32. 323 Pfeffel: Der Ableiter, S. 72.
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Das Leben hätten wir hier satt, Wir wollen in das Feld, Weil man ja kaum zu fressen hat, Dazu so wenig Geld, Und einen Tag und alle Tag Dieselbe Plag, dieselbe Klag, Spießruthen, Spießruthen, Spießruthen, daß es kracht.324
Das lyrische Ich artikuliert emphatisch seine Begeisterung, bald nach Nordamerika zu gelangen. Es erwartet dort materielle Schätze vorzufinden und deutet auch die Möglichkeit zur Plünderung an. Die dritte Strophe des Liedes lautet: Adchö, mein Hessenland, Adchö! Jetzt kömmt Amerika, Und unser Glück geht in die Höh – Goldberge sind allda! Dazu, dazu in Feindesland, Was einem fehlt, das nimmt die Hand, Das ist ein, das ist ein, das ist ein andrer Stand!325
In Reizenstein offenbaren sich an Jakob die martialischen und schonungslosen Zustände im zeitgenössischen Militärwesen. Vor dem beschwerlichen und gefährlichen Transport nach Amerika326 möchte er desertieren, um mit Marie zusammen
324 [Mirbach?]: [Die Hessen nach Amerika]/[Frisch auf, ihr Brüder, in’s Gewehr]. 2. Strophe, S. 9 [G126]. 325 Ebd. 3. Strophe, S. 9 [G126]. 326 So schreibt bereits Fiekchen an Reizenstein über die zu erwartenden Gefahren der Überfahrt: „Sie gehen in ein Land, wo tausend Gefahren Ihnen drohen. Sie müssen über die weite See segeln, wo ein Sturm Sie befallen kann.“ Fiekchen an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 54. Brief vom 20. 2. 1777, S. 158 [343]. Und auch Reizenstein äußert gegenüber Schröder: „[E]ingepackt wie eine Tonne, gleich dem, der des Sonnenblicks nicht würdig ist, [werde ich] von den Meereswellen hin und her geworfen werden […].“ Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 50. Brief vom 1. 2. 1777, S. 153 [331]. Stürme gehörten in der Frühen Neuzeit bei den Reisenden zu den am bedrohlichsten wahrgenommenen Phänomenen einer Seefahrt, da sie bei den Betroffenen, wie auch Reizenstein andeutet, ein Gefühl von Ohnmacht bzw. Ausgeliefertsein auslösen konnten. Siehe hierzu auch Berry: Path, S. 197 ff. Friedrich Karl Heinrich von der Lith (1754–1806), der zu den deutschen Subsidientruppen gehörte, hielt in seinem Tagebuch die intensiven Eindrücke auf hoher See bei Sturm fest. Der Militärangehörige beschrieb die Naturszenerie, die Erhabenheit ausstrahlte, als zugleich faszinierend wie auch erschreckend und notierte: „Gewiß ist die [See im Sturme] einer der erhabensten du zugleich schauervollsten Anblicke in der Natur. Unzählige Reihen Wassergebirge treiben hintereinander her, erheben das Schiff bald bis zu den Wolken, und versenken es bald wieder bis zum Abgrunde. […] [A]lles dieses erzeugt eine Szene, die alle Beschreibung übertrifft. Fürchterlich ist sie sie am Tage,
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zu sein.327 Sein Versuch die Truppen zu verlassen misslingt jedoch und wird mit Spießrutenlaufen geahndet. Müller teilt Schröder mit, dass bei der Bestrafung sogar Reizenstein das Kommando führen musste. Er schreibt: Jakob ist ein Opfer der Liebe! er ist durch die Spießruthen gejagt worden. Er war wirklich durchgegangen. Die Husaren haben ihn bey Sankt Wedel eingeholt. Zwölfmal auf und zwölfmal ab! Reizenstein mußte dabey zum erstenmal, als Hauptmann kommandiren! […] Beym neunten Gange stürzte Jakob um, und man band ihn an einen Pfosten, und die Soldaten mußten vorbey marschiren.328
des Nachts ist sie grausend.“ Friedrich Karl Heinrich von der Lith: Tagebucheintrag. In: Justi: Friedrich Karl Heinrich von der Lith, S. 5. Zu Lith und seiner postmortalen Rezeption Anfang des 19. Jahrhunderts siehe die von Karl Wilhelm Justi (1767–1846) verfasste Biografie: Karl Wilhelm Justi: Friedrich Karl Heinrich von der Lith. Ein biografischer Versuch. Abgedruckt aus dem achtzehnten Bande der Strieder’schen Hessischen Gelehrten-Geschichte. Marburg 1818. Siehe auch Atwood: Hessians, S. 185. 327 In der Literatur, aber auch in zahlreichen historischen Quellen, ist immer wieder von Fahnenflucht die Rede, die durch die Liebesverbindung eines Soldaten mit einer Frau motiviert wird. Conrad Döhla trug am 29. Juni 1779 in sein Tagebuch ein: „Ist wieder Gemeiner vom Anspacher Regiment mit einer Weibsperson aus der Stadt Neuport deserdirt.“ Döhla: Tagebuch. Eintrag 29. 6. 1779, S. 142. In Stephanies d. J. Werbern verkündet der Stadtpfleger Herr von Rosenau bestimmend und misogyn: „Wenn ich General wäre, so müßte kein einziger Soldat mit einem Frauenzimmer umgehen. […] Wahrhaftig! das Frauenzimmer ist eine rechte Pest für die Soldaten.“ Stephanie d. J.: Die Werber. 2. Aufzug. 3. Auftritt, S. 34. Die Separation von Paaren durch das Militär thematisiert Johann Gottlieb Schildbachs (1765-nach 1820) Einakter Die Rekrutierung (1793). Im 5. Auftritt des auf dem Titelblatt mit der ungewöhnlichen Gattungsangabe „Menschenscene“ (Schildbach: Die Rekrutierung, [Titelblatt]) versehenen Theaterstücks gibt die junge Sophie an: „Itzt haben sie eben wieder eine Menge Rekruten ins Schloß geführt. Es sollen sogar schon verheirathete Männer dabey seyn. Mein Gott, das muß schwer seyn, so von den Seinigen weit weit wegzukommen. Ach, es ist doch etwas Schreckliches um den Krieg!“ Schildbach: Die Rekrutierung. 5. Auftritt, S. 15. Jakobs Desertionsversuch könnte auch durch den Umstand motiviert sein, dass Soldatenehen in der Frühen Neuzeit häufig nur mit Einverständnis der jeweiligen Vorgesetzten geschlossen werden konnten. Siehe Kipping: Truppen, S. 27; Stockmeyer: Soziale Probleme, S. 114, 119–132. In der Soldatenliteratur finden sich zahlreiche Beispiele für die zeitgenössischen Heiratsschranken bzw. das Eheverbot. In Otto Heinrich Freiherr von Gemmingens Schauspiel Die Erbschaft berichtet z. B. Hauptmann Braunau: „Ich habe da (er zieht ein Papier aus der Tasche) eine Bittschrift von einem Soldaten aus meiner Companie, der möchte gern heurathen – er liebt sehr sein Mädchen, und das Mädchen liebt ihn. Soll ich’s wohl ihm erlauben?“ [Gemmingen]: Die Erbschaft. 1. Aufzug. 4. Auftritt, S. 13. Zu Desertionen in der Frühen Neuzeit siehe auch Eichberg: Desertion, S. 229–247; Kammler: Deserteure, S. 5–17; Muth: Flucht; Scheurig: Desertion, S. 38–43; Salisch: Deserteure; Schnitter: Desertion, S. 54–60; Sikora: Das 18. Jahrhundert, S. 86–111. 328 Müller an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 69. Brief vom 22. 3. 1777, S. 175 [383]. Erhard Städtler wies darauf hin, dass ein in ansbach-bayreuthischen Diensten stehender Soldat in der Zeit der Amerikanischen Revolution seinen Regimentsführer fragen musste, wenn er heiraten wollte. Bei einer unerlaubt geschlossenen Ehe „drohte ihm ein 12 bis 24maliges Gassenlaufen
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Das Spießrutenlaufen war die Strafe, die immer wieder im Zusammenhang mit Desertionen gefällt wurde. Bestätigt wird dies durch zahlreiche zeitgenössische Angaben, zu der auch die 179 erschienene Autobiografie Ulrich Bräkers (1735– 1798) gehört. Dort ist z. B. zu lesen: Bald alle Wochen hörten wir nämlich neue ängstigende Geschichten von eingebrachten Deserteurs, die, wenn sie noch so viele List gebraucht, sich in Schiffer und andre Handwerksleuthe, oder gar in Weibsbilder verkleidt, in Tonen und Fässer versteckt, u. d. gl. dennoch ertappt wurden. Da mußten wir zusehen, wie man sie durch 200. Mann, achtmal die lange Gasse auf und ab Spißruthen laufen ließ, bis sie athemlos hinsanken – und des folgenden Tags aufs neue dran mußten; die Kleider ihnen vom zerhackten Rücken heruntergerissen, und wieder frisch drauf losgehauen wurde, bis Fetzen geronnenen Bluts ihnen über die Hosen hinabhingen.329
Die drakonischen Strafmaßnahmen im Militär haben immer wieder Eingang in die fiktionale Literatur gefunden. In dem Theaterstück Der Rekrut (1783) von dem Dramatiker und Schauspieler Friedrich Gustav Hagemann warnt beispielsweise ein Auditeur den als Soldaten angeworbenen Protagonisten Wilhelm Hofner: „Desertirt Er, so muß Er Gassen laufen; eben die Strafe bekömmt Er, wenn er eine Desertion nicht angiebt, und von derselben ist unterrichtet gewesen[.]“330 Mit der Beschreibung der Bestrafung für Jakobs Fahnenflucht orientiert sich Seybold also an den tatsächlichen historischen Verhältnissen. Und noch in einer anderen Weise tangiert sein Briefroman die zeitgenössischen historischen Ereignisse. Der Brief, in dem Müller an Schröder von Jakobs Desertion und Bestrafung berichtet, ist auf den 22. März 1777 datiert und trägt die Ortsangabe „Ochsenfurt“. Tatsächlich ereignete sich am 10. März des Jahres in der am Main gelegenen unterfränkischen Stadt Ochsenfurt eine Revolte.331 Als die von Markgraf Karl Alexander an Großbritannien vermieteten Subsidientruppen an Bord von Transportschiffen gehen sollten, um den Main hinunterzufahren, kam es zu Aufruhr unter den Soldaten. Conrad Döhla notierte in seinem Tagebuch, dass die Soldaten „mit Gewalt, und ohne Erlaubnis der Herrn Officiere aus den Schiffen [brachen], so, daß in
durch 200 Mann“ (Städtler: Ansbach-Bayreuther Truppen, S. 39). Zur Militärgerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert allgemein siehe Goldschmidt: Geschichte, S. 15–22. 329 Bräker: Lebensgeschichte des Armen Mannes. 48. Kapitel, S. 447 f. 330 Hagemann: Der Rekrut. 3. Aufzug. 1. Szene, S. 40. 331 Siehe hierzu insbesondere Högler: Revolte, S. 29–36. Siehe auch Döllner: Erlebnisse, S. 4–6; Hoffman: German Soldiers. Bd. 2, S. 420; Kapp: Soldatenhandel, S. 112–116; Kratzmann: Hessische Soldaten, S. 25; Lowell: Hessians, S. 48–50; Störkel: Christian Friedrich Carl Alexander, S. 170 f.
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
einer Stunde kein Soldat von den 2 Regimentern mehr in Schiffen anzutreffen“332 und dass „alles […] in der größten Furie aufgebracht“333 war. Der Aufstand führte dazu, dass sich Karl Alexander persönlich auf den Weg zum Ort des Geschehens machte. Döhla erinnerte sich: Dahero wurde auch sogleich ein Expresser nach Anspach abgeschickt, um von diesen Vorgegangenen allen Ihro Hochfürstlichen Durchlaucht zu rapportiren. Dieser, sobald er Nachricht bekam, machte sich sogleich mit einigen Begleitern zu Pferd, in der Nacht auf dem Wege und kam mit höchster Bestürzung ganz schleunig.334
Die unmittelbare Präsenz des Markgrafen, der die Truppen nun auf ihrer Reise ein Stück begleitete, führte schließlich zum Ende des Widerstandes. Döhla beschrieb das Auftreten Karl Alexanders, der offensichtlich eine Art „Zuckerbrot und Peitsche“-Politik verfolgte, folgendermaßen: In aller Frühe kam der Marggraf bey uns an; unsere zwey Regimenter wurden sogleich aufgestellt, und der Marggraf gieng Mann für Mann durch und fragte einen jeden, was seine Einwändungen wären, und versprach dabey alle Gnade und Fürstengunst, alle denen, die mit nach Amerika in englischen Solde gehen würden. Die so aber nicht wollten mit hinein, sollten heraustreten, und dagegen aber ihres Vermögens, samt ihren Vaterlande und aller Fürstlichen Gnade verlustiget seyen. Hierauf sind mir beyde Regimenter wieder eingeschiffet. Ihro Durchlaucht der Marggraf gieng auch zu Schiffe, und fuhr mit uns ab.335
Von der Ankunft des Markgrafen von Ansbach-Bayreuth in Ochsenfurt berichtet auch Müller in Seybolds Briefroman.336 Allerdings ist es nicht eine Rebellion der Truppen, sondern die Beförderung Reizensteins zum Hauptmann, die er Schröder meldet. Am 21. März 1777 berichtet er aus der Stadt: Ich muß es Ihnen nur geschwinde schreiben; denn ich selbst rührt sein Glück wenig. Gestern Mittag ist unser Marggraf angekommen, und hat eine Beförderung vorgenommen. Unser Freund ist Hauptmann. Der Fürst sagte ihm in den gnädigsten Ausdrücken: „er habe von einigen Professoren in Erlangen erfahren, daß Reizenstein sichs so sehr habe angelegen seyn lassen, gute Kenntnisse zu erlangen, und in Rücksicht auf seine rechtschaffene Aufführung erkläre er ihn zum Hauptmann.“337
332 Döhla: Tagebuch. Eintrag 10. 3. 1777, S. 16. Siehe auch ebd., S. 75. 333 Ebd., S. 16. 334 Ebd., S. 17. 335 Ebd. 336 Einen quantitativ umfangreichen poetischen Niederschlag fand der Vorfall in Ochsenfurt in dem 1940 erschienenen und zeitideologisch gefärbten Roman Revolte in Ochsenfurt. Deutsches Blut für englische Pfunde von Johannes Berbig (1884–?). 337 Müller an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 68. Brief vom 21. 3. 1777, S. 174 f. [381].
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Obwohl der Widerstand der Subsidientruppen in Ochsenfurt keine größere militärische Bedeutung hatte, wurde er doch weithin rezipiert. Friedrich Kapp machte deutlich: „Diese Meuterei, so unbedeutend sie an sich auch war, verursachte eine gewaltige Aufregung unter den kleinen deutschen Fürsten und im englischen Ministerium.“338 Ein Brief Benjamin Franklins an John Winthrop (1714–1779) dokumentiert, dass das Ereignis selbst auf amerikanischer Seite wahrgenommen wurde. In der auf den 1. Mai 1777 datierten Nachricht teilte der amerikanische Gesandte aus Paris mit: The Prince of Anspach, whose Recruits mutinied and refus’d to march, was oblig’d to disarm and fetter them and drive them to the Sea Side by the help of his Guards; himself attending in Person. In his Return he was publicly hooted by Mobs thro’ every Town he pass’d in Holland, with alls sorts of reproachful Epithets.339
Die in der Frühen Neuzeit sehr weit verbreitete Desertion340 wird in Texten, in denen das Soldatenwesen behandelt wird, immer wieder thematisiert. In Joseph
338 Kapp: Soldatenhandel, S. 115. 339 Benjamin Franklin an John Winthrop. 1. 5. 1777. In: Franklin: May 1 through September 30, 1777, S. 9. Das öffentliche Interesse an dem Transport von Subsidientruppen aus AnsbachBayreuth nach Nordamerika zeigt sich ebenso in der Publikation eines entsprechenden Beitrages am 16. März 1781 in den Nachrichten zum Nuzen und Vergnügen, die von Schiller redigiert wurden. In diesem wurde berichtet: „Am 4ten dieses sind zu Markstefft[?] die Hochfürstl[ichen] Anspachisch- nach Amerika bestimmte Rekruten gegen 300 Mann stark, alle an schöner und munterer Mannschaft, unter Anführung des Herrn Garde-Obristlieutenants und des Fränkischen General-Adjutanten, Freyherrn von Schlammersdorf, in bester Ordnung eingeschifft worden; sie paßiren dießmal auf dem Mayn nur bis Hanau, stossen allda zu dem von des Herrn Erbprinzen Durchlaucht zu gleichem Endzweck neu angeworbenen Bataillon, setzen mit diesem den weiten Marsch zu Lande durch Hessen nach Hannoverisch-Minden fort, und werden allda auf der Weser bis Bremerlehe abermals eingeschifft. Kurz vor dem Ausmarsch der Truppen von Anspach hatte diese Residen[z] das wonnevolle Entzücken, Ihren angebetenen Landes-Vater und Regenten im besten Wohlseyn von der Reise nach der Schweiz zurückkommen zu sehen.“ [Schiller] (Red.): Nachrichten zum Nuzen und Vergnügen. 16. 3. 1781, S. 87 f. Bezüglich der Autorfrage hielt William Herbert Carruth fest: „Minor believes that the […] passage from the Nachrichten zum Nuzen und Vergnügen, edited for a time in 1781 by Schiller, was written by the poet.“ Carruth: Schiller, S. 133. Auf die Schwierigkeit, den Modus des Tons dieser Mitteilung genau zu bestimmen, verwies bereits John A. Walz mit den Worten: „Whether the report about the Anspach contingent is intended to be ironical is not easy to say.“ Walz: Three Swabian Journalists [4,2 (1902)], S. 127. Henry Safford King vertrat allerdings die Meinung: „[…] [It] looks suspiciously like a cleverly disguised satire […].“ King: Echoes, S. 81. Siehe hierzu auch Goebel: Amerika in der deutschen Dichtung, S. 113. 340 So vertrat Elliott Wheelock Hoffman die Ansicht: „Desertion was the major problem of eighteenth century armies […].“ Hoffman: German Soldiers. Bd. 1, S. 62. Siehe auch Kapp: Soldatenhandel, S. 19. Siehe auch ebd., S. 165. Und Wolfgang Steinitz notierte: „Der Massencha-
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
Marius (Franz) Babos (1756–1822)341 am 20. April 1778 in Mannheim uraufgeführtem Lusstpiel Das Winterquartier in Amerika,342 das in der Neuen Welt verortet ist,343 hat der deutsche Kolonist und ehemalige Militärangehörige Frank wie Jakob die Truppen unerlaubterweise verlassen. Dem Hauptmann von Bernau, der zu den deutschen Subsidientruppen gehört und in Europa Franks Vorgesetzter war, legt er zu einem Zeitpunkt, als seine wahre Identität noch nicht aufgedeckt ist, seinen Werdegang dar. Zur Tarnung gibt er an, von einem benachbarten deutschen Siedler zu sprechen. Er berichtet: Vor zwey und zwanzig Jahren, da Sie noch Lieutenant waren, hat er unter Ihrer Kompagnie gedient, undankbar für die unzähligen Wohlthaten, die er von Ihnen empfing, verließ er aus Armuth den Dienst und sein Vaterland. Zwey Jahre irret er mit seinem Weibe in der Welt herum, endlich kam er hierhin. Der bittere Vorwurf undankbar und meineidig gewesen zu seyn, ist der einzige Kummer der ihn jetzt quält. Einen zweyjährigen Knaben mußte er hinterlassen […].344
rakter der Desertion zeigte sich klar bei der Zwangswerbung deutscher Söldner für ausländische Dienste, besonders im letzten Drittel des 18. Jh.“ Steinitz (Hg.): Deutsche Volkslieder, S. 463. Bezüglich der Desertionen unter den Subsidiensoldaten aus Ansbach-Bayreuth gab allerdings Julius Goebel zu bedenken: „Jedenfalls waren die Deserteure unter den ansbach-bayreuthischen Truppen seltener als unter den hessischen.“ [Goebel]: Vorbemerkung, S. 12. Zur Desertion infolge von Zwangsrekrutierungen siehe auch Egger: Landskinder, S. 219 341 Zu „dem heute gänzlich vergessenen Rheinpfälzer Joseph Marius Babo“ (Wimmer: Geschichtsdramen, S. 1), der „in früheren Jahren mit seinen eigenen Dramen beim Publikum recht beliebt war“ (Höyng: Sterne, S. 120) und seinem literarischen Schaffen siehe Haefs: Babo, S. 282– 284; Trappl: Joseph Marius Babo, S. 6–18; Wurst – Langheiter: Monachia, S. 163. Bezüglich der Biografie des Dramatikers und Theaterleiters stellte Peter Höyng fest: „Nur wenige biographische Daten lassen sich über Joseph Marius von Babo (1756–1822) finden, und die sind auch noch widersprüchlich.“ Höyng: Sterne, S. 118. Siehe auch Roidner: Fürst, S. 59 [Anm. 3]. Die Wahrnehmung Babos in der Literaturgeschichtsschreibung fasste Wilhelm Trappl folgendermaßen zusammen: „Die Literaturgeschichten tun den Dichter mit wenigen Worten ab: Er wird als Epigone und in der Nachfolge von Lessing, Goethe und Schiller gesehen, neben Joseph August von Törring, Stephanie dem Jüngeren gestellt, von August von Kotzebue, August Wilhelm Iffland und Friedrich Ludwig Schröder übertroffen. Sein Schaffen wird als Trivialdramatik oder Gebrauchsliteratur charakterisiert.“ Trappl: Joseph Marius Babo, S. 3. Siehe auch Roidner: Fürst, S. 30. Bezüglich der politischen Positionen in den Dramen Babos konstatierte Jan Roidner: „Joseph Marius Babo erweist sich in seinen Schauspielen als ein überzeugter Apologet des aufgeklärten Absolutismus.“ Roidner: Fürst, S. 58. Siehe hierzu auch Höyng: Sterne, S. 121. 342 Vgl. Roidner: Fürst, S. 60 [Anm. 11]. 343 Die entsprechende Angabe im Personenverzeichnis lautet: „Der Schauplatz ist zu Whern-yewill in Amerika, in Franks Hause.“ [Babo]: Das Winterquartier in Amerika. Personenverzeichnis, S. [2]. 344 Ebd. 10. Auftritt, S. 25.
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Für die betroffenen Soldaten stellte eine Fahnenflucht nicht nur die Gefahr eines Ehrverlustes dar, sondern war auch mit einer Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit verbunden. Gefangen genommene Deserteure wurden in der Regel, wie bereits erwähnt, mit einer harten körperlichen Züchtigung bestraft oder konnten, besonders in Kriegszeiten, als abschreckendes Exempel sogar exekutiert werden. Auch hierbei handelt es sich um einen Topos in der zeitgenössischen Soldatenliteratur. So lautet das im Göttinger Musenalmanach veröffentlichte „[w]ahrhafte[] Votum eines Fähndrichs, als Kriegsgericht über einen Delinquenten gehalten wurde“345: Ich bin der Meinung zugethan, Für ihn ist keine Gnade! – Den Kopf verlier’ er durch das Beil, Und dann zur Schau den andern Theil Zeitlebens, auf dem Rade.346
Ein nur unter der Chiffre „X.“, die von Henry Safford King als Heinrich Christian Boie (1744–1806) identifiziert wurde,347 in dem von Johann Heinrich Voß (1751–1826) und Leopold Friedrich Günther von Goe(c)kingk (1748–1828) herausgegebenen Musen Almanach für 1784 publiziertes Gedicht vereinigt das Motiv der Zwangswerbung mit dem der Desertion aus Liebe348 und endet ebenso mit der Hinrichtung des als Opfer reiner Willkürgewalt erscheinenden Rekruten. Die mit der Überschrift In des Königs Namen versehenen Verse lauten: Man warb ihn mit Gewalt, und riß ihn von Dem jungen Weib’ und lieben Sohn Zum blut- und thränenvollen Frohn. Man zwang ihn zur Kapitulation Auf sieben Jahr. Die hat er treu gedient, Und nicht zu mucksen sich erkühnt. Die Zeit war nun [um?, Anm. L. L.]. Nun wollt er von Dem blut- und thränenvollen Frohn Zum jungen Weib’ und lieben Sohn; Allein umsonst war sein Verlangen. Er bat, er weint’, und Prügel war sein Lohn.
345 Garrelmann: Wahrhaftes Votum eines Fähndrichs, als Kriegsgericht über einen Delinquenten gehalten wurde, S. 137. 346 Ebd. 347 Siehe King: Echoes, S. 43. 348 Siehe in diesem Zusammenhang Stephanies d. J. Lustspiel Der Deserteur aus Kindesliebe (1773), das auch unter dem Titel Der Deserteur aus kindlicher Liebe veröffentlicht wurde.
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
Was that er da? Er lief davon, Ward wieder gefangen, Und in des Königs Namen aufgehangen.349
In Reizenstein wird schließlich auch der Protagonist mit der Frage konfrontiert, ob er sein Offiziersamt angesichts des bevorstehenden Aufbruchs der Truppen nach Amerika aufgeben soll. Noch bevor die Intrige Jahns über das weitere Geschick Reizensteins entscheidet, gelangt er zu dem Schluss, dass ein Dienstrücktritt einen Ehrverlust bedeuten und ihn mit psychisch äußerst belastenden gesellschaftlichen Sanktionen infolge der Pflichtverletzung konfrontieren würde. Schröder teilt er seine Überlegungen folgendermaßen mit: Soll ich meinen Abschied verlangen? Izt? wie könnte ich noch jemals einem Soldaten, oder jedem Mann von Ehre, in die Augen sehen? Würden nicht die Gassenjungen mir nachzischen: „Seht, da geht er – oder nicht er, sie, die Memme, die ihren Abschied verlangte, zur Zeit, als sie in den Krieg gehen sollte.“ Also wird die Liebe ein Opfer auf dem Altar der Ehre werden […].350
Für die Romanfiguren stellt die Beteiligung der deutschen Soldaten im amerikanischen Unabhängigkeitskampf eine einschlägige Zäsur dar. Reizenstein beschreibt in einem Brief die Folgen der Ankunft des britischen Unterhändlers William Fawcett (1728–1804)351, der zur Anwerbung deutscher Soldaten erschienen ist:
349 X. [= Boie?]: In des Königs Namen, S. 43. 350 Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 51. Brief vom 2. 2. 1777, S. 155 [334]. Die hohe Bedeutung der Offiziers- bzw. Soldatenehre wird in Stephanies d. J. Lustspiel Hannibal von Donnerberg ebenfalls akzentuiert. Schrom, der sich von seinem Vorgesetzten von Donnerberg beleidigt fühlt und ankündigt, nach Amerika auszureisen, teilt dem Oberst mit: „Sie haben aber meine Ehre angegriffen, und das kann ich nicht ertragen. Denn ein Soldat ohne Ehre – –“ Stephanie d. J.: Hannibal von Donnerberg. 2. Aufzug. 8. Auftritt, S. 42. Ebenso gibt in Albrechts Schauspiel Die Engländer in Amerika Schiffskapitain William an: „[…] [W]enn man gefordert wird, muß man sich schlagen.“ Albrecht: Die Engländer in Amerika. 4. Aufzug. 2. Auftritt, S. 51 [83]. In Stephanies d. J. Lustspiel Das Loch in der Thüre mahnt Louise ihren Bruder, den verabschiedeten Major Boldenhock: „Du willst die geringste Beleidigung mit dem Degen rächen – geht das wohl an? Dieser Grundsatz hat dich aus deinem Vaterlande vertrieben, dich 20 Jahr elend gemacht […].“ Stephanie d. J.: Das Loch in der Thüre. 2. Aufzug. 5. Auftritt, S. 80. Siehe auch ebd. 3. Aufzug. 10. Auftritt, S. 123. 351 Zu Colonel William Fawcett, der später den Rang eines Generals erhielt und bereits während des Siebenjährigen Krieges in den deutschen Staaten gedient hatte (vgl. Hoffman: German Soldiers. Bd. 1, S. 69) sowie seiner Bedeutung für die Subsidienverträge siehe Atwood: Hessians, S. 10, 25 f.; Eelking: German Allied Troops, S. 16, 24, 88, 153, 238; Kipping: Truppen, S. 28, 42.
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Er ist da! Ja, denk’ nur, er ist da! und nun ists aus; alle Freuden meines Lebens hat er mir zerstört, der General Faucit; da reißt er mich weg aus dem Schooße meiner Freunde und Freundinnen, und wirft mich hinaus in eine Welt, die ich nicht so kennen zu lernen Lust hatte. Ha! herrliche Projekte, wie trefflich werdet ihr izt ausgeführt werden! Zertrümmert liegt ihr an den Klippen des amerikanischen Kriegs.352
Reizensteins Involvierung in den Krieg führt zu einer gewissen Entmündigung in Bezug auf die Lenkung und Bestimmung des eigenen Schicksals, das nun umso mehr von äußeren Umständen abhängig ist. Fiekchen bringt diesen Gedanken in zugespitzter Form folgendermaßen zum Ausdruck: „Ihr Leben gehört izt nicht mehr Ihnen, auch nicht mir.“353 In ihrer Person manifestieren sich das psychologische Leid und der Schmerz der zurückbleibenden Angehörigen. Sie verbindet das Empfinden dieser Trauer mit einer generellen Ablehnung militärischer Konflikte und klagt: „O ihr Menschen! wie könnt ihr alles Gefühl so ersticken, daß ihr euch in allen Welttheilen aufsucht, um einander zu morden! Wie manches Mädchen wird izt mit mir weinen, weil ihr Geliebter aus ihren Armen soll entrissen werden!“354 Nach der Einberufung Reizensteins zum Dienst für die britische Kolonialmacht und noch vor seiner Abreise aus dem fränkischen Raum, verstirbt Fiekchen im Zuge einer Krankheit, die wohl auf die zu erwartenden Trennung von Reizenstein zurückzuführen ist. Der in Mainbernheim kurzzeitig realisierte arkadische Glückszustand der Naturidylle ist nicht von Dauer und wird durch die Gefahren und Gewalttätigkeiten des militärischen Lebens abgelöst. Louise Schröder beschreibt in einem Brief an Reizenstein diesen Verlust eindringlich mit den Worten: O Jammer! so ist es denn gewiß, daß unsere Völker nach Amerika gehen – und Sie müssen auch mit, mein Theuerster? müssen fort aus unsern Armen, aus unserer Schäferwelt hinaus in die mordende? sollen helfen in Sklaverey stürzen? Armer Mann! – Doch was bedaure ich Sie, als ob Sie ganz allein litten? Ach! unser aller Herz blutet.355
Es ist hierbei allerdings anzumerken, dass der Perspektive, die deutschen Staaten im Zuge der Subsidienverträge zu verlassen und mit dem Schiffstransport nach Amerika zu reisen, auch positive Aspekte abgewonnen werden können. Seinem Korrespondenzpartner Schröder teilt Reizenstein mit, dass die Überfahrt in die
352 Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 50. Brief vom 1. 2. 1777, S. 153 [330 f.]. 353 Fiekchen an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 54. Brief vom 20. 2. 1777, S. 159 [345]. 354 Ebd. [343]. 355 Louise Schröder an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 52. Brief vom 8. 2. 1777, S. 156 [337].
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
Neue Welt zumindest seinen geografischen Horizont erweitern könnte: „Sollten wir nach Amerika wirklich gehen, so wäre mir das liebste der ganzen Sache, daß ich einmal aus unserm Franken hinauskäme […].“356 Dieser noch mit einer gewissen Zuversicht formulierte Gedanke ist von Reizenstein allerdings vor Fiekchens Tod artikuliert worden, in der Überzeugung, dass es sich bei dem Militärdienst für die britische Krone um eine zeitlich begrenzte Obligation handele. Die zeitliche Limitation der militärischen Verpflichtungen in Nordamerika akzentuiert auch Louise Schröder, wenn sie Reizenstein Mut zusprechend schreibt: „[L]änger als ein paar Jahre kanns nicht dauern, so sind die Amerikaner entweder frey, oder – gedemüthigt, und dann kommen Sie in beyden Fällen in die Arme der Liebe und Freundschaft zurücke.“357 Positive Aspekte der transatlantischen Unternehmung werden auch Müller, der Mediziner ist und das aus Ansbach stammende Amerikakontingent als Feldarzt begleiten soll, aufgezeigt. Der im Auftrag des Markgrafen handelnde Leibmedikus Höpfner versucht ihn mit folgenden Worten zu gewinnen: Euer &c[etera] &c[etera] wird es schon durch das Gerücht bekannt seyn, daß des Herrn Marggrafen Durchlaucht Ihre Völker in englischen Sold gegeben haben. Da nun Sr. Durchlaucht an der Erhaltung Ihrer Völker besonders viel gelegen ist, so haben Sie mir aufgetragen, einige medicinische Kandidaten zu Feldärzten zu bestellen. […] [I]ch mache Ihnen daher den Antrag, ob Sie nicht unser Korps als Feldarzt begleiten wollen?358
In seinem Brief an Müller hebt Höpfner die positiven Folgen einer solchen Verpflichtung hervor: Die Bedingungen sind so, daß ich nicht zweifle, Sie werden sich dazu entschliessen; denn Sie erhalten Hauptmannssold, und bekommen eben so viele Rationen. Vorzüglich aber dürfen diejenigen, die eine solche Stelle annehmen, der höchsten Gnade unsers Landesvaters versichert seyn, und sich bey ihrer Zurückkunft in einigen Jahren die besten Land= oder Stadtphysikate versprechen.359
Dass die hier geschilderte Briefkommunikation in Seybolds Roman erneut einen hohen Realitätsgrad aufweist, wird auch am Beispiel eines auf den 7. Oktober 1778 datierten Briefes von Caroline Michaelis an Luise Stieler (1760–1826) deutlich,
356 Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 47. Brief vom 20. 1. 1777, S. 148 [319 f.]. 357 Louise Schröder an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 52. Brief vom 8. 2. 1777, S. 157 [338 f.]. 358 Leibmedikus Höpfner an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 53. Brief vom 12. 2. 1777, S. 157 [339 f.]. 359 Ebd. [340].
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in dem sie über ihren Bruder berichtete: „Er geht nach America als Stabs-Medicus bei den Heßen, die Bedingungen sind sehr vorteilhaft, und wenn er wieder zurückkömt, so ist ihm eine Versorgung auf Lebenszeit gewiß.“360 Das von Ämterkauf und persönlicher Patronage bestimmte Gesellschaftssystem der Zeit ermöglichte Bürgerlichen nach dem geleisteten Dienst einen Karriereaufstieg.361 In Seybolds Briefroman appelliert der Leibmedikus außerdem an Müllers naturwissenschaftliches Interesse und macht deutlich, dass auf ihn in der Neuen Welt zahlreiche Entdeckungen warten. Er verweist auf die Pioniere Daniel Solander (1733–1782) und Georg Forster, die James Cook (1728–1779) auf dessen erster bzw. zweiter Weltumsegelung begeleiteten und unterstreicht: Für Euer &c[etera] wird diese Reise nach Amerika noch einen besonderen Vortheil haben: denn da Sie hauptsächlich Philosophie und Naturgeschichte lieben, so müssen Sie in einem Lande, wo noch nicht sehr viele philosophische Naturkündiger hingekommen sind, große Entdeckungen machen. Denken Sie nur, mit welchen Schäzen von Menschenkenntniß, mit welchen neuen Bemerkungen in der Botanik, Lithologie &c[etera] Sie wie ein Forster oder Solander, zurückkommen werden! Ich hoffe, diese Aussicht, auf Kosten der Engländer nach Amerika zu reisen, soll Sie nicht wenig reizen.362
360 Caroline Michaelis an Luise Stieler. 7. 10. 1778. In: Dies.: Briefe, S. 4. Siehe hierzu auch Walz: American Revolution, Sp. 416. 361 Siehe hierzu auch Kapitel VI.2. 362 Leibmedikus Höpfner an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 53. Brief vom 12. 2. 1777, S. 157 [340]. Das historische Äquivalent zu Müller stellt gewissermaßen der in Wunsiedel bei Bayreuth geborene Mediziner und Naturforscher Johann David Schoepf (1752–1800) dar. Im Zuge der Subsidienverträge zwischen Großbritannien und Ansbach-Bayreuth gehörte er als Militärarzt zu den Einheiten, die 1777 nach Nordamerika transportiert wurden. Nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges unternahm Schoepf 1783/84 aus wissenschaftlichem Interesse eine zoologische und botanische Forschungsreise durch den Osten Nordamerikas bis zu den Bahamas und publizierte 1788 seine in zwei Bänden erschienene Reise durch einige der mittlern und südlichen vereinigten nordamerikanischen Staaten nach Ost-Florida und den Bahama-Inseln, unternommen in den Jahren 1783 und 1784. Siehe hierzu Brandt: Altar, S. 349–354; Geus: Johann David Schoepf, S. 95–99; Kipping: Truppen, S. 52 f.; Kremers: Johann David Schöpf, S. [3]–6; Morrison: Doctor Johann David Schoepf, S. 255–264; Rosengarten: American History, S. 20; Seidensticker: Zeitungspresse, S. 579; Weber: America, S. 24 f. Bezüglich des Forschungsinteresses Schoepfs an der Neuen Welt stellte Alfred J. Morrison fest: „More than any other man at that time Dr. Schoepf seems to have made North America his study.“ Morrison: Doctor Johann David Schoepf, S. 256. Die schriftlich fixierten Ausführungen des Arztes über die nordamerikanischen Verhältnisse genossen ein hohes zeitegnössisches Ansehen. 1798 urteilte Dietrich Heinrich von Bülow über die Validität von Schoepfs Beobachtungen: „Doktor Schöpf hat, meiner Meinung nach, Nordamerika am richtigsten beschrieben.“ Bülow: Ueber Washington’s Briefe und N[ord] Amerika, S. 134.
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
Einmal mehr erscheint hier Amerika damit als der fremde, unbekannte Kontinent, auf das sich Wünsche, Phantasien und Hoffnungen, in diesem Fall naturwissenschaftlicher Art, projizieren lassen.363
10 „[D]amit ists aus, daß man sich als ein ehrlicher Mann in Europa fortbringen […] kann.“ Die Darstellung des europäischen Gesellschaftsmodells als oppressiv-restriktives Hindernis Die in dem Briefroman deutlich zu spürende Ablehnung der Subsidienverträge zwischen Großbritannien und den Territorialfürsten wird durch eine allgemeine Kritik an dem als dekadent beschriebenen zeitgenössischen politischen System in den deutschen Staaten ergänzt, das von Unterdrückung, Zensur, Korruption und Repressalien geprägt ist. Das Bekanntwerden eines privaten Briefes Reizensteins, in dem er sich missbilligend über den sog. Soldatenhandel geäußert hat, führt
363 Die Faszinationskraft unbekannter Regionen in der Neuen Welt beflügelte naturwissenschaftlich interessierte Entdecker immer wieder in der amerikanischen Geschichte. Zu den prominentesten Forschungsreisen gehört zweifelsohne die von Präsident Jefferson initiierte und nach ihren beiden Leitern benannten sog. Lewis und Clark-Expedition (1804–1806). Captain Meriwether Lewis (1774–1809) und William Clark (1770–1838) gelang es mit Hilfe der Indianerin Sacagawea (1788–1812), erstmalig den nordamerikanischen Kontinent bis zum Pazifik zu durchqueren und dabei zahlreiche neue geografische, ethnologische, geologische, zoologische und botanische Erkenntnisse zu gewinnen. Siehe Ambrose: Courage, S. 93 ff.; Boyer – Clark – Kett u. a.: Enduring Vision, S. 226–229; Heideking – Mauch: Geschichte, S. 80; Wala: USA, S. 206 f.; Wasser: Vision, S. 152–173. Landeskundliche Referenzen finden sich in Seybolds Roman in vergleichsweise großer Zahl. In zwei Briefen (118. Brief, S. 274 [2. Theil, S. 197] und 147. Brief, S. 325 [2. Theil, S. 323]) verweist der fiktive Herausgeber sogar explizit auf die Neue Erdbeschreibung von ganz Amerika, die ursprünglich von Daniel Fenning (1714/15–1767) und Joseph Collyer (1714–1776) stammt und in einer deutschsprachigen Übersetzung 1777 in zwei Teilen von August Ludwig von Schlözer (1735–1809) herausgegeben wurde: Daniel Fenning – Joseph Collyer: Neue Erdbeschreibung von ganz Amerika. Hg. von August Ludwig Schlözer. Übers v. Gottlieb Christian Heinrich List – Wilhelm Johann Konrad Hennemann. 2 Bde. Göttingen – Leipzig 1777. In Bern erschien der Titel in einer ebenfalls auf 1777 datierten vierbändigen Ausgabe bei Beat Ludwig Walthard (1743–1802). Zur Biografie und verlegerischen Arbeit Walthards siehe Walthard: Verleger, S. 1–16. In Verbindung mit einem direkten bibliografischen Verweis auf die von Schlözer publizierte Ausgabe (mit Angabe der Seitenzahl), wird im Herausgeberkommentar zum 147. Brief ein im Text als „Indische Feige“ bezeichneter Baum näher vorgestellt. 52 der insgesamt 72 in der Beschreibung im Briefroman verwendeten Lexeme finden in der entsprechenden Passage der Vorlage ein Gegenstück. Es ist anzunehmen, dass die Neue Erdbeschreibung von Amerika Seybold bei der Ausarbeitung seines Textes allgemein als landeskundliche Informationsgrundlage diente.
10 Die Darstellung des Gesellschaftsmodells als oppressiv-restriktives Hindernis
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zu seiner unehrenhaften Entlassung aus dem Militärdienst. Eine freie Meinungsäußerung ist in diesem Gesellschaftsmodell nicht vorgesehen, wie ein Vorgesetzter Reizenstein auf seinen Brief bezugnehmend erklärt: „Sie haben darinnen sehr frey von denjenigen Fürsten geschrieben, die ihre Völker nach Amerika schicken. […] Zu frey.“364 Aber auch in anderer Hinsicht erweist sich das soziopolitische System Europas bzw. der Duodezstaaten als Hindernis für die Realisierung der privaten Wünsche und Hoffnungen. So ist es der Standesunterschied zwischen Müller und Wilhelmine, der Tochter von Baron Roth, die eine Heirat auf europäischem Boden verhindert. Der bürgerliche Arzt Müller ist sich bewusst, dass eine solche Mesalliance für Wilhelmine eine gesellschaftliche Ächtung bedeuten würde und stellt daher ernüchtert fest: „[…] [W]enn sie gleich ihre Hand mir geben wolle, so könnte ich sie nicht auf Kosten ihres guten Namens annehmen, weil die Welt […] immer sagen würde: die Tochter mache durch ihre Misheirat ihrem Vater Schande unter dem Boden.“365 Wilhelmine, die sich wie ihr Vater als Vertreterin eines Tugendadels erweist und ihre charakterliche Integrität dadurch beweist, dass sie durchaus bereit wäre, über den Standesunterschied hinwegzugehen, ist sich des Opfers von Müller bewusst. An Charlotte, dessen Schwester, schreibt sie: „Um meinem guten Namen nicht zu schaden, um mich den hämischen Urtheilen des Publikums nicht auszusetzen, will er nicht mehr nach Europa, und entsagt freywillig meiner Hand.“366 Das Bewusstsein dieser Situation motiviert Müller, die Subsidientruppen als Wundarzt zu begleiten und Europa zu verlassen. Reizenstein gegenüber bekennt er: „So wissen Sie dann, daß Liebe mich nach Amerika trieb, und zwar Liebe zum Fräulein Wilhelmine.“367 Das Bedauern der Unmöglichkeit einer nicht standesgemäßen Ehe gipfelt in der Feststellung Müllers, dass es explizit die sozialen und politischen Verhältnisse in der europäischen Heimat waren, die eine Verbindung zwischen ihm und Wilhelmine verhinderten. In einem Brief an Charlotte zitiert Wilhelmine folgende Selbstaussage Müllers: „Wärst du in einem Lande gebohren, wo nur persönlicher Adel gilt, so könntest du glücklich seyn.“368 Auch Louise Schröder und ihr Mann sind in Europa mit problematischen soziopolitischen Umständen konfrontiert, da die Geburt eines Kindes nach vor-
364 Müller an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 73. Brief vom 24. 3. 1777, S. 180 [395]. 365 Müller an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 124. Brief vom 3. 12. 1777, S. 280 [214 f.]. 366 Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 132. Brief vom 1. 3. 1778, S. 294 f. [249]. 367 Müller an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 91. Brief vom 10. 8. 1777, S. 229 [89]. 368 Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 154. Brief vom 20. 6. 1779, S. 339 [359].
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
ehelicher Kopulation zu nachträglichen juristischen Sanktionen führt.369 Louise berichtet in einem Brief: Wir sind zu einer Geldbusse von tausend Thalern verdammt, ausser den Proceßkosten, die vermuthlich nicht geringe seyn werden […]! Der Grund der Strafe ist, weil ich meinen Schröder zu Bette nahm, ehe der Herr Pfarrer den Segen darüber gesprochen hatte, und das ist denn auch ganz billig.370
Schließlich misslingen nicht zuletzt die Bemühungen des Geistlichen Janson um eine Pfarrstelle aufgrund der korrupten Verhältnisse in Europa. An Reizenstein schreibt er: Mit der Pfarre ists nichts! […] Diesen Morgen erhielt ich einen Brief: „Wenn ich die hundert Dukaten, die der Baron geboten habe, selbst zahlen wollte, so sollte die Präsentation doch noch stattfinden.“ Hundert Dukaten! woher diese zusammenkratzen! und wenn ichs baar liegen hätte – einen Dienst, und besonders einen geistlichen erkaufen!371
Die verbreitete Praxis der Simonie bzw. des weltlichen Ämterkaufs372 verdeutlicht noch einmal die gesellschaftliche und moralische Dekadenz in den deutschen Staaten. Das Scheitern Jansons mündet in seine generelle Absage an die Möglichkeit, sich im europäischen Gesellschaftssystem auf redliche Weise zu verwirklichen: Eine Pfarre in Europa habe ich gänzlich aufgegeben. Da sitzt man, und wartet sich krumm und lahm, bis endlich unsern hohen Patronen beliebig ist, das Scepter gegen den armen Kandidaten zu neigen. […] Kurz, damit ists aus, daß man sich als ein ehrlicher Mann in Europa fortbringen, und für die Seinigen, wie unsere Väter, auch noch einige hundert Thälerchen an Kapitalien hinterlassen kann.373
369 Zur vorehelichen Sexualität in der Frühen Neuzeit siehe Breit: „Leichtfertigkeit“. 370 Louise Schröder an Wilhelmine. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 121. Brief vom 1. 12. 1777, S. 277 [206]. 371 Janson an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 152. Brief vom 2. 3. 1779, S. 337 [353]. 372 Zur Ämterkäuflichkeit im 17. und 18. Jahrhundert, die für politische Entitäten wie Württemberg, Brandenburg-Preußen und Hamburg gut nachweisbar ist, siehe Malettke: Ämterkauf, S. 3–7, 16–30; Möller: Ämterkäuflichkeit, S. 156–176; Schwarz: Ämterkäuflichkeit, S. 176–179. Zum weit verbreiteten Ämterkauf im 18. Jahrhundert am Beispiel Frankreichs siehe Doyle: Venality, S. 1–25, 113–195. 373 Janson an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 159. Brief vom 30. 10. 1779, S. 353 [394].
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Explizit wird der europäische Adel als soziales Problem benannt. Bereits in einem frühen Brief Charlottes an ihren Bruder, vertritt sie die Meinung, dass sich das Herrschaftssystem der Antike und auch das der außereuropäisch-orientalischen Welt durch einen Tugendadel ausgezeichnet habe bzw. von diesem immer noch geprägt sei. Sie gibt an: Diese Auftritte erinnerten mich an die Erzählung, die Du uns einmal von dem Türkischen, und überhaupt von dem Morgenländischen Adel machtest – und ich glaube fast, in Rom wars auch so, daß der Sohn eines grossen Mannes kein anderes Ansehen im Staate hatte, als das seine Talente ihm gaben. Würde sich nicht der Junker mehr um wahre Verdienste bewerben müssen, wenn ihm das Blut keine besondere Vorzüge gäbe?
Die Reaktion auf die demotivierenden gesellschaftlichen Rückschläge in dieser politisch korrupten Welt ist für den Geistlichen Janson daher die Auswanderung. Reizenstein, der sich bereits seit längerer Zeit in Amerika befindet und der ihm immer wieder von den positiven Seiten der Neuen Welt, gerade im Gegensatz zu den Verhältnissen in Europa, berichtet hat, teilt er daher mit: „[…] [I]ch [komme] zu Euch; ich mache keine Ansprüche mehr auf einen Dienst in Europa.“374
11 „Ueberlegts aufs Beste, wie viel Ihr hier zu gewinnen, wie wenig dort zu verlieren habt, und thut, was gut ist!“ Die Auswanderung nach Amerika als alternative Lebensperspektive Sukzessive ziehen die im Roman auftretenden Figuren eine transatlantische Auswanderung in Betracht, so dass schließlich alle lebenden Personen aus dem sozialen Kreis um Reizenstein Europa bereits verlassen oder sich zumindest zur Emigration in die Neue Welt entschlossen haben. Dabei sind es, wie bereits dargestellt, zunächst vor allem die europäischen soziopolitischen Verhältnisse, die den Wunsch hervorrufen, die alte Heimat zu verlassen. Deutlich wird dies schon zu Beginn beispielsweise in folgender Mitteilung Reizensteins an Müller: „[W]enn ichs überlege, und in die Zukunft blicke, ich hätte grosse Lust zu expatriieren, um den Jammer nicht ansehen zu müssen, der über kurz oder lang in unserm Vaterland sein Haupt emporheben wird.“375 Erst in einem zweiten Schritt richtet sich der Auswanderungswunsch der Figuren nach Amerika, das als Kontrastfolie zu
374 Janson an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 152. Brief vom 2. 3. 1779, S. 337 [353]. 375 Reizenstein an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 27. Brief vom 15. 3. 1776, S. 81 [162].
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
Europa erscheint.376 Schröder legt in einem Brief an Reizenstein seine primären Beweggründe für die Emigration folgendermaßen dar: Ja, ich komme! und war entschlossen, noch ehe Dein Brief Karolina’s Schönheit so reizend mir vormalte; denn es ist in Europa nicht mehr auszustehen, daß man das Spiel von der Intrigue eines jeden Schurken ist. Geht’s so fort, daß persönliche Freyheit immer mehr geschwächt, daß der Unterthan zu einer blossen Meuble herabgewürdigt wird, und daß man zuletzt fast Sonnenschein, Luft und Regen versteuern muß, so werdet ihr gewiß noch mehrere Deutsche Kolonisten erhalten, als Amerika schon hat.377
So geht Schröders Bereitschaft nach Amerika auszuwandern, die Ablehnung der europäischen Verhältnisse voraus. Enttäuscht gibt er an: „Ganz Europa ist mir itzt gleichgültig […].“378 In einem vorhergehenden Brief lässt Louise Schröder allerdings erkennen, dass das Verlassen der Heimat dennoch mit einem Trennungsschmerz verbunden ist. Sie verabschiedet sich mit den Worten: „[…] Lebe wohl, liebes Franken! Du theures, liebes Land!“379 Die Emigration nach Amerika erscheint auch deswegen möglich, weil die Familie Schröder Partizipatoren ihres bereits in Europa existenten sozialen Netzwerkes in der Neuen Welt erwarten und auffangen. Louise Schröder schreibt an Wilhelmine: […] [N]un ist […] weiter nichts übrig, als unser Gärtchen und Hüttchen zu verkaufen, und dann fort! Eingepackt, das übrige Geldchen vollends zusammengescharrt, und fort zu unsern Amerikanischen Freunden! Wollen Sie mit, Liebe! so fangen Sie auch an einzupacken.380
Auch im Falle Reizensteins ist festzuhalten, dass es zunächst nicht seinem primären Wunsch entspricht, nach Amerika auszuwandern. Er erlebt die Verpflichtung zum Militärdienst in Amerika sogar vielmehr als Hindernis auf dem Weg, Fiekchen zu ehelichen und ein Leben im Geiste der Arkadienfeier in Mainbernheim zu realisieren. Erst der Tod der Geliebten führt dazu, dass Reizenstein den Transport in die nordamerikanischen Kolonien begrüßt, weil er von der Hoffnung getragen wird, dort im Kriegsgeschehen umzukommen und auf diese Weise mit
376 Die Migrationswissenschaft verweist auf die sog. Push-Pull-Faktoren, die Auswanderer von einem Gesellschaftssystem forttreiben bzw. zu einem anderen hinziehen. Zum sog. Push-Pull-Migrationsmodell siehe Dorigo – Tobler: Push-Pull, S. 1–17; Kneer: Migration, S. 32–42. 377 Schröder an Reizenstein: In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 131. Brief vom 18. 2. 1778, S. 291 f. [242]. 378 Ebd., S. 292 [244]. 379 Louise Schröder an Wilhelmine. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 121. Brief vom 1. 12. 1777, S. 278 [207]. 380 Ebd.
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dem Schicksal Fiekchens verbunden zu werden. Er erklärt: „Izt gehe ich nach Amerika, und da werde ich so viel Elend sehen, daß ich in dem Getümmel des Kriegs bald meine Ruhe ganz finden werde – vielleicht eine Ruhe, wie Fiekchen izt ruht! – und dann ists gut!“381 Und in einem späteren Gespräch mit Auguste bekennt er: „[…] O Freundin! ich liebte ein gutes, gutes Kind, und sie starb. Der Unmuth machte mir die Fahrt nach Amerika willkommen; und ich hoffte hier, bald meinen Tod zu finden[.]“382 Ähnliche Überlegungen bewegen Müller, die Truppen aus Ansbach-Bayreuth zu begleiten. Amerika wird für ihn der Zielpunkt seines aus der unerfüllten Liebesbeziehung zu Wilhelmine erwachsenden Eskapismuswunsches. Er erkennt, dass sowohl Reizenstein als auch er selbst, freilich aus unterschiedlichen Gründen, in Europa ihr Glück nicht verwirklicht sehen können. In Amerika erwarten die europäischen Reisenden jenseits des besiedelten Raumes, Weltabgeschiedenheit und Wildnis anzutreffen. Die desolate psychologische und emotionale Verfassung der beiden soll in der rauen, abweisenden und gefährlichen Geographie der fremden Neuen Welt eine Entsprechung finden. Müller, für den, wie er selber erklärt, „Europa […] todt ist“383, formuliert in einem Brief an Reizenstein folgenden Vorschlag: Freund! wir sind izt beyde mit unserer Liebe in Europa unglücklich. Wir wollen uns hier zu Lande irgend eine Ecke aussuchen, in der wir unsern Schmerz begraben. Haben Sie vielleicht auf Ihrer Reise nach Karolina, oder im Lande da ein düsteres, durch überhangende Felse, heftige und reissende Waldströme, durch das Gebrülle von Löwen und Tygern fürchterliches Thal ausgefunden? Da wollen wir uns Einsiedlerhütten bauen, und unsern Verlust beklagen.384
Reizensteins Wunsch, sich in Amerika eine neue Existenz aufzubauen und die tatsächliche, aktiv verfolgte Umsetzung seiner vorerst nur geistigen Identifikation mit den politischen Anliegen der amerikanischen Freiheitskämpfer, entwickelt sich erst im Laufe der Zeit. In einem Brief an Baron Roth offenbart er, dass ihn nach der militärischen Verpflichtung durch Großbritannien einerseits die Separation von seinem vertrauten Umkreis, andererseits vor allem aber auch die Vorstellung, gegen die nach Freiheit und Selbstbestimmung strebenden Kolonisten kämpfen zu müssen, abgeschreckt hätten. Er bekennt: „Itzt kann ichs Ihnen entdecken –
381 Wilhelmine an Baron Roth. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 59. Brief vom 10. 3. 1777, S. 165 [359]. Zu dem wiederkehrenden Motiv des Wunsches, in den militärischen Auseinandersetzungen in Amerika den Tod zu finden, siehe auch Kapitel IV.6 und VI.3. 382 Auguste an Lady Palmer. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 128. Brief vom 14. 1. 1778, S. 286 [228 f.]. 383 Müller an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 119. Brief vom 1. 12. 1777, S. 276 [204]. 384 Ebd. [203 f.].
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
ausser der Trennung von meinen Freunden – war mir das unangenehmste bey dem Zuge dahin das, daß ich gegen die Freyheit fechten sollte, und ich danke also dem Geschicke, daß es mich mit so guter Manier davon befreyet hat.“385 Reizenstein zeigt damit zwar Sympathien für die Position der Kolonisten, aber er selbst ist von sich aus noch nicht in der Lage, seinen Idealen zu folgen, die Seiten zu wechseln und auch physisch für die Interessen der Amerikanischen Revolution einzutreten. Erst nachdem ihn die äußeren Umstände, die „Geschicke“ infolge der gegen ihn gerichteten Intrige, vor vollendete Tatsachen gestellt haben, verpflichtet er sich militärisch für die Patrioten. Und selbst noch zu diesem Zeitpunkt ist er nicht frei von Zweifeln. Während eines Zwischenaufenthaltes im spanischen Vigo lässt er in einem Brief an Baron Roth Bedenken an der moralischen Validität seiner Entscheidung erkennen. Er teilt mit: Seit einigen Tagen, oder vielmehr seit meinem Aufenthalte in Paris, quälen mich Bedenklichkeiten, ob ich denn hingehe, für eine gerechte Sache zu streiten? Gestern war ich wirklich im Begriff, mich von dem Schiffe zu entfernen, und zu Lande fort zu wandern: aber wohin? Dies hielt mich noch zurücke, weil kein Land in Europa ist, das ich mir zum Aufenthalte wünschte.386
Wieder sind es weniger die positiven in Amerika zu erwartenden gesellschaftlichen Zustände, die ihn anziehen, als vielmehr die negativen Verhältnisse in den europäischen Staaten, die ihn fortreiben. Reizensteins Flucht richtet sich primär nach Amerika, weil er die soziopolitische Lage in Europa als so abweisend erfährt und weil ihm das amerikanische Schlachtfeld nach Fiekchens Verscheiden die Möglichkeit bietet, einen in seinen Augen ehrenhaften Tod zu finden. Dennoch wird Amerika für Reizenstein im Laufe der Zeit zu einem Ort, der ihn aufgrund seiner eigenen Vorzüge zu binden vermag. Hier glaubt er eine Wiederherstellung des antiken Ideals und die Möglichkeit der Erneuerung des in Mainbernheim einst kurzzeitig realisierten arkadischen Glückszustandes vorzufinden. Die Wertschätzung des neuen Kontinentes bzw. der revoltierenden Kolonien erreicht einen Höhepunkt, als Reizenstein die Bekanntschaft mit dem als überaus ehrenhaft und integer beschriebenen Lord Barbington macht, der ebenfalls auf Seiten der Patrioten kämpft. Nachdem der Protagonist dessen Gut in South Carolina (im Text: „Südkarolina“), das sich durch eine große Nähe zur Natur auszeichnet, aufsucht und dort in Kontakt mit Miß Auguste, der Schwester des Lords, tritt,
385 Reizenstein an Baron Roth. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 75. Brief vom 25. 3. 1777, S. 196 [7]. 386 Reizenstein an Baron Roth. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 87. Brief vom 26. 5.(/12. 6.) 1777, S. 214 [51].
11 Die Auswanderung nach Amerika als alternative Lebensperspektive
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ist für ihn ein neuer arkadischer Glücksmoment erreicht. Von den Eindrücken überwältigt schreibt er an Schröder nach Europa: Und izt freut euch mit mir! ich habe einen Ort gefunden, wo ich meine Tage zu schliessen gedenke, und wenn die Leute Euch noch mehr Verdruß machen sollten, so packt nur alles zusammen, und laßt euch nach Amerika überfahren. Allenfalls ists auch nicht nöthig, daß Ihr darauf wartet, daß Euch die Leute erst Verdruß machen. Ihr könnt so kommen. Was macht Ihr auch in dem alten, schwermüthigen Europa, und vollends in dem kleinen Franken.387
Baron Roth, der in einen Rechtskonflikt mit dem Würzburger Adel gerät, hat bereits in einem vorhergehenden Brief an Reizenstein das Szenario eines naturverbundenen idyllischen Lebens in der Neuen Welt imaginiert. Nachdem er seinen Gedanken, eine Auswanderung nach Amerika in Betracht zu ziehen, Ausdruck verliehen hat, erklärt er: Da werden wir doch eine Ecke finden, die uns Ruhe verleiht, und dann wollen wir ein patriarchalisches Leben führen, wie die Leute des goldenen Zeitalters; ich sage Ihnen, dieser Gedanke ist nicht so vorübergehend, wie Sie vielleicht ihn ansehen; es giebt Stunden, in denen er mein ganzer Ernst ist.388
Das in Barbingtonhouse, dem Landgut von Lord Barbington, verkörperte naturverbundene amerikanische Idealmodell, erscheint in diesem Zusammenhang als genuiner Platz der Verwirklichung der in Europa nur als Momentaufnahme erfahrenen und schließlich verlorengegangenen arkadischen Utopie. Immer wieder wird in diesem Sinne die Neue Welt mit dem politischen, sozialen und schließlich auch moralischen Begriff der Freiheit in Verbindung gebracht, welche die dortigen Kolonisten zu erkämpfen bestrebt sind und die der despotischen Unterdrückung in den europäischen Fürstenstaaten gegenübersteht. Wilhelmine, die sich ebenfalls zur Auswanderung entschließt und schließlich Müller nachreist, schreibt im französischen Toulon vor der Atlantiküberquerung an Charlotte: „Die unruhige und stürmische See soll uns zu einem ruhigen und harmlosen Leben in den Ländern der Freyheit führen.“389 Aufgrund der zahlreichen Schilderungen der Vorzüge Amerikas in den Briefen Reizensteins an die noch in Europa verweilenden Bekannten, gewinnt die Neue
387 Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 118. Brief vom 20. 11. 1777, S. 272 [193 f.]. 388 Baron Roth an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 100. Brief vom 7. 9. 1777, S. 244 [124]. 389 Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 136. Brief vom 12. 5. 1778, S. 302 [267].
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
Welt ein eigenständiges, sehr positiv besetztes Profil. Dadurch wird sie nicht nur wegen der negativen, fortreibenden Faktoren Europas, sondern nun auch aufgrund der eigenen Vorzüge zum erstrebenswerten Auswanderungsziel. In einem Brief an Schröder, in dem Reizenstein zur Emigration nach Amerika aufruft, gibt er daher zu bedenken: Ihr und euer Nachkommen habt in dem alten Welttheile nichts, als immer neue Landplagen des Luxus und Despotismus zu erwarten. Hier ist das Land der Freyheit, hier lebt man ein patriarchalisches – oder, wenn Ihr lieber wollt, ein Arkadisches Leben; hier sitzt man der Ruhe und dem Ueberflusse leibhaftig im Schoosse. Also kommt!390
Und er ergänzt: „Ueberlegts aufs Beste, wie viel Ihr hier zu gewinnen, wie wenig dort zu verlieren habt, und thut, was gut ist!“391 In einer direkten Antagonisierung wird in einem Brief Schröders an Reizenstein die Differenz der beiden Systeme explizit zum Ausdruck gebracht. Schröder berichtet seinem Freund: „Du glaubsts nicht, wie selbst Louise sich freuet, aus Babel – so nennt sie itzt unser Franken – auszugehen, und nach Kanaan zu wandern!“392 Damit wird Amerika zum Gelobten Land, zur City upon a Hill (s. u.), in dem die Exilanten, Flüchtlinge und Auswanderer in einer nahezu heilsgeschichtlich-eschatologischen Äquivalenz eine neue und beständige Heimat finden.
12 „O fortunati, quorum iam moenia surgunt!“ Amerika als Aktualisierung der Antike Nachdem Reizenstein die im Text als gefährlich, unangenehm und tückisch beschriebene Atlantiküberquerung hinter sich gebracht und das neue Land erreicht hat, überzeugen ihn die positiven Impressionen. Die Ankunft auf dem nordamerikanischen Kontinent bewegt ihn zu der expressiven Exklamation: „Endlich Land! – Sey mir willkommen! Land der Freyheit! Werdender Staat! O möchtest du dein Glück einsehen, und dich dessen bedienen!“393 Für den Erzähler ist in der Entwicklung des Protagonisten dieser Schritt, der Zäsurcharakter
390 Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 118. Brief vom 20. 11. 1777, S. 272 [193 f.]. 391 Ebd. Brief vom 20. 11.(/21. 11.) 1777, S. 275 [201]. 392 Schröder an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 131. Brief vom 18. 2. 1778, S. 292 [243]. 393 Ebd., S. 215 [52]. Die emphatische Artikulation der Freude Reisender über ihre Ankunft am Zielort gehört zu den festen literarischen Topoi. In dem bereits zitierten Abschieds-Lied, der nach
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besitzt, ein Grund, der entsprechenden Briefpassage ein Zitat aus Vergils (70–19 v. Chr.) Aeneis (29–19 v. Chr.) voranzustellen, in dem der titelgebende Held die
America reisenden Landleute aus dem Canton Basel antizipieren die Schweizer Emigranten das Ende der anstrengenden Seefahrt und verkünden: Ist gleich unsre Reis’ beschwerlich Bis in Nord-America, So ist dessen End’ doch herrlich, Bald sind wir demselben nah. [Anonym]: Abschieds-Lied, der nach America reisenden Landleute aus dem Canton Basel. 3. Strophe. 1.–4. Vers, S. 3. Johann Gottfried Seume hielt in seiner autobiografischen Schrift Mein Leben ebenfalls die Freude über seine Ankunft in Neuschottland fest. Er erinnerte sich: „Endlich bekamen wir das Ufer von Akadien zu Gesichte und liefen unter allgemeinem Freudengeschrei in der Bucht von Hallifax ein.“ Seume: Mein Leben, S. 79. Ähnlich griffen zahlreiche deutschamerikanische Autoren des 19. Jahrhunderts, die die transatlantische Reise thematisierten, gerne das Motiv des Jubels über das Reiseende bzw. der freudigen Ankunft in der Neuen Welt auf. So lauten die entsprechenden Anfangsverse in dem von Friedrich Rösch verfassten Gedicht Amerika: Land! Land! erscholl’s aus allen Kehlen, Mit Hüteschwenken und Hurrah! Aus vollen freudetrunk’nen Seelen Braust’s mächtig: „Heil Amerika!“ Rösch: Amerika. 1.–4. Vers, S. [125]. In Hermann Glauchs (1855-?) Gedicht Land in Sicht beschreibt der Sprecher in der zweiten Strophe die Athmosphäre während der Ankunft von europäischen Auswanderern in Amerika mit folgenden Worten: Nach langer, banger Reisezeit, Nach Sturmesdroh’n und Trennungsleid Hell neuer Lebensmuth erwacht Durch jener Worte Zaubernacht: Land in Sicht! Glauch: Land in Sicht. 2. Strophe, S. 12. Über die Reaktionen der Reisenden berichtet der Sprecher: Zum Schiffsrand drängt sich Groß und Klein, Ein Jeder will der Erste sein, Und immer wieder klingt der Sang Durch Windesbrausen, Wogendrang: Land in Sicht! Ebd. 4. Strophe, S. 12. Außerdem heißt es in der folgenden Strophe:
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
Pracht Karthagos mit folgenden Worten bewundert: „O fortunati, quorum iam moenia surgunt!“394 Die Anspielung auf Aeneas, der von den Römern als Stammvater verehrt wurde, parallelisiert Reizenstein mit dem antiken mythologischen Helden. Das Aeneas-Motiv findet sich immer wieder in der deutschsprachigen Emigrationsliteratur, so auch in Henriette Frölichs (1768–1833) Briefroman Virginia, oder die Kolonie von Kentucky (1819). An ihren Briefpartner Adele schreibt die Protagonistin Virginia (!), die nach den Wirren der Französischen Revolution und Napoleonischen Herrschaft aus Frankreich in die Neue Welt geflohen ist, um dort am Aufbau einer neuen Idealgemeinschaft mitzuwirken: Wir haben erfahren, daß ein großer Theil unserer Landsleute nach diesem Welttheil sich gewendet hat, und daß Joseph Napoleon Willens ist, nahe bei Baltimore, eine Stadt zu gründen. Ja, ja, die Trojaner flohen aus ihre[n] brennenden Mauern, nach mehrern Gegenden hin, aber nur Aeneas rettete die Heiligthümer aus de[n] prasselnden Flammen und barg sie in Silvius dunklen, nächtlichen Hain. Laß mir den kühnen Gedanken: Mucius und seine Freunde sind jener Aeneas, mit seinen Gefährten, das Schicksal gefällt sich in solcher Wiederholung. Hierher, in die Wälder von Kentucky retteten wir unsere Götterbilder; werden sie einst, wie Troja’s Götter, ein großes, freies und hochherziges Volk verbinden?395
Die Rolle des Aeneas fällt dabei ihrem Geliebten Mucius zu, den Sie, von dem Virginia getrennt war und den sie erst in der Neuen Welt wieder trifft. Auch der deutsch-amerikanischen Autor Wilhelm Müller (1845–1931) griff in seinem Anfang des 20. Jahrhunderts publizierten patriotischen Gedicht Der deutsche Tag auf das
Vor diesem hehren Augenblick Sinkt jäh Gefahr und Noth zurück! Amerika, verheißen Land, Vieltausend Grüße Deinem Strand! Land in Sicht! Ebd. 5. Strophe, S. 13. 394 Reizenstein an Baron Roth. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2, 87. Brief vom 26. 5.(/20. 7.) 1777, S. 215 [52]. Das Zitat bezieht sich auf Vergil: Aen. 1,437: „O ihr Glücklichen, deren Mauern bereits sich erheben!“ Publius Vergilius Maro: Aeneis. 1. Buch. 437. Vers (Übersetzung: Holzberg, S. 69). Auch Seume verwies bei der Beschreibung seiner Ankunft in Nordamerika auf die Aeneis. In seinem Schreiben aus America nach Deutschland gab er an: „Wir langten endlich nach 17 Wochen Herumkutschen eben so jämmerlich, wie Aeneas in Lybien, in Halifax an; nur liefen uns nicht gleich die Hirsche in die Hände, wie ihm, und keine gastfreundliche Dido bemühete sich uns unsere ausgestandenen Gefahren und Mühseligkeiten vergessen zu machen.“ Seume: Schreiben aus America nach Deutschland, S. 371. 395 Frölich: Virginia, oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 2, S. 142. Siehe hierzu auch Kriegleder: Amerikabild, S. 106.
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Motiv zurück und applizierte das trojanische Vorbild auf die deutschen Einwanderer in den USA. In der dritten Strophe heißt es: Und wie Aeneas einst des Hauses Laren Von Troja trug in das lavin’sche Land, So brachten bald der deutschen Wand’rer Scharen Der Heimat Erbe an Columbiens Strand.396
In Seybolds Briefroman findet die Parallelisierung von Aeneas und Reizenstein eine umfangreiche Ausprägung, da es tatsächlich eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Reisenden gibt, die sich auf den Weg machen, um nach einer umfangreichen Seefahrt ein neues Leben zu beginnen. Beide verlassen fluchtartig ihre alte Heimat, wo ihre jeweiligen Partnerinnen gestorben sind (Krëusa – Fiekchen) und landen zunächst an einem Ort, an dem eine neue sozialpolitische Entität aufgebaut wird (Karthago – Germantown bzw. der namentlich nicht genannte Hafen, wo Reizenstein zum ersten Mal amerikanischen Boden betritt). Dennoch stellt die Ankunft in einer fremden Welt für beide nur eine Zwischenstation auf dem Weg zur endgültigen neuen Heimat dar (Latium – Barbingtonhouse), wo sie eine neue Liebesverbindung eingehen (Lavinia – Auguste) und im Zuge von militärischen Auseinandersetzungen (Turnus – Großbritannien) bei der Errichtung einer neuen politischen Ordnung beteiligt sind (Aeneas als Stammvater der Römer – Reizenstein als Partizipierender am neu etablierten Staat). Mit der Postfiguration Reizensteins nach dem Vorbild des Aeneas ergibt sich damit implizit auch eine Imitatio Romae für den neuen amerikanischen Staat. Der Vorstellung eines triadischen Geschichtsmodells entsprechend kommt es dadurch in der Neuen Welt gewissermaßen zu einer Wiedererrichtung des Natur- bzw. Idealzustandes, wie er dieser Konzeption gemäß in Europa in der Antike vorherrschte, allerdings zwischenzeitlich verloren gegangen ist. Damit tangiert der Briefroman indirekt einen Topos der insbesondere postrevolutionär etablierten transatlantischen Amerikarezeption, demzufolge in der Neuen Welt die Antike restituiert wird.397 Diese Überzeugung besitzt für das amerikanische Selbstverständnis einen gewissermaßen bis in die Gegenwart gültigen Charakter. Der Versuch an antike Traditionen und Muster anzuknüpfen, wird beispielsweise in der Ikonografie von Staatssymbolen offenkundig, die häufig mit einem in lateinischer Sprache verfassten Wahlspruch versehen sind (Abb. 28 f.) sowie insbesondere in der Architektur. Zahlreiche Staatsgebäude besitzen einen
396 Müller: Der deutsche Tag. 3. Strophe. 5.–8. Vers, S. 12. 397 Siehe hierzu auch King: Echoes, S. 96.
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
mit Säulen verzierten Portikus, sie weisen einen Dreiecksgiebel auf und sind offenkundig stark an die Form griechisch-römischer Tempel angelehnt (Abb. 30–33). Der Glaube an die Wiederbelebung des antiken Geistes in der Neuen Welt wurde zeitgenössisch aber auch in literarischer Form zum Ausdruck gebracht. Bereits 1775 schrieb der Historiker und spätere Staatsmann Johannes Müller (1752–1809) an seinen Bruder Johann Georg (1759–1819): Lies in der Zeitung die Artikel von Amerika; dis ist das merkwürdigste und bewundernswürdigste der heütigen Völker. Hier Freünd in disen Ländern werden die Jahrhunderte Roms und Athens wider entstehen; sie sind eben so südlich, lassen wie jene Sklaven arbeiten, sind aber so frei und haben vor jenen voraus – 2000 Jare mehr Erfarung aller Thorheiten und Feler unsers Hämisferiums. Auch schreiben Sie ihre Bücher mit vielem Feür und Leben.398
Der Pädagoge Johann Christian Schmohl (1756–1783) prognostizierte 1782, ein Jahr vor seinem Aufbruch in die Neue Welt, in seinem „Brief aus England“399 Ueber Nordamerika und Demokratie: „[…] [W]ie das von seinen Tyrannen befreyte kleine Athen, allen kleinen Staaten Griechenlands half ihre Tyrannen verjagen; so wird das von seinem Tyrannen befreyte grosse Nordamerika – doch, je wahrer ich das fühle, je heiliger ist mirs.“400 Und 1793 schrieb der Journalist, Pädagoge und Archäologe Karl August Böttiger (1760–1835) in Wielands Zeitschrift Der Neue Teutschen Merkur über die geplante neue Hauptstadt Washington, die er als „Vereinungspunkt aller Republikanischen Vollkommenheit“401 und „Neu-Rom in Amerika“402 bezeichnete: „So wirkt die Roma aeterna, nach einer schönern Wiedergeburt, in einer neuen Welt fort, wenn in der alten längst kein insulirter Pontifex mehr das Kapitolinum besteigt und von dem Balkon der Peterskirche keinen Transtiberinischen Pöbel mehr einseegnet.“403 Schubart vertrat sogar die Ansicht, dass der neu errichtete Staat die antiken Modelle noch übertreffen werde. In seiner Vaterlandschronik verlautete er über die Amerikaner: „Indem man glaubte, sie besässen nicht die gemeinsten Europäischen Kenntnisse; so sah
398 Johannes Müller an Johann Georg Müller. 11. 1. 1775. In: Dies.: Briefwechsel und Familienbriefe 1766–1789. Bd. 1, S. 396. Siehe hierzu auch King: Echoes, S. 162 f. 399 [Schmohl]: Ueber Nordamerika und Demokratie, [Titelblatt]. 400 Ebd., S. 190. Zum Amerikabild Schmohls, der auf der Atlantiküberfahrt ertrank, siehe auch Egger: Landskinder, S. 228 f. 401 Böttiger: Washington, Neu-Rom in Amerika, S. 221. 402 Ebd., S. 217. 403 Ebd., S. 231. Und vorher fragte er bereits: „Wie, wenn an die Stelle jener friedlichen Pferdemelker! und Milchesser, auf denen der Homerische Zevs seine Augen von der Anstrengung ausruhen läßt, die ihm der unverwandte Blick auf die blutgierigen Troer und Achiver gekostet hatte, bey uns die glücklichen Einwohner der Nordamerikanischen Freystaaten träten?“ Ebd., S. 219.
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man sie einen Gesezgeber-Plan bilden und ausführen, der Alles übertrifft, was das Alterthum ersann.“404 Es gab allerdings auch abweichende Stimmen, die sich in diesem Zusammenhang negativ äußerten. Der 1792 und 1795 nach Nordamerika gereiste Militärschriftsteller und Publizist Dietrich Heinrich von Bülow berichtete z. B. in einem seiner Briefe eines Deutschen aus America, die 1796 in dem von Johann Wilhelm von Archenholz herausgegebenen Journal Minerva erschienen, über die Feier des amerikanischen Unabhängigkeitstages: Das Fest zum Andenken der Independenz Erklärung ist am 4ten dieses gefeyert worden; das heißt man hat gefressen und gesoffen, viehische Lieder gebrüllt, und Toasts getrunken. Es war nicht das Fest der alten Griechen und der Insul Delos. Aber was für ein Abstand zwischen den Griechen und diesen Leuten.405
In seiner 1797 in zwei Bänden veröffentlichten landeskundlichen Schrift Der Freistaat von Nordamerika in seinem neuesten Zustande notierte er kritisch: „Die Griechen und Römer werden von den Amerikanern ausgelacht, weil sie sich nicht auf das Geldmachen so gut verstanden, wie sie.“406 Ludwig Wilhelm Wekhrlin, der konstatierte, dass die Griechen und Römer „zwo von uns so abgöttisch verehrte Nationen“407 seien, kritisierte bereits 1779 die von ihm beobachteten Bestrebungen, die Unabhängigkeit der nordamerikanischen Kolonisten mit exemplarischen antiken historischen Vorbilder zu parallisieren. In seinem Journal Chronologen erklärte er: Man spricht nie von der Empörung der Kolonien, ohne sich auf das Beyspiel der Karthaginenser, der Niederlande und anderer Pflanzstätte der Alten zu berufen. Hierdurch will man, ihr Interesse in ein glänzendes Licht sezen. – Ich glaube vielmehr, daß die Unternehmung der Kolonien in der Geschichte keine Aehnlichkeit hat.408
Mit einem spöttischen Unterton konstatierte er das Versagen der Kontinentalarmee im Gegensatz zu den militärischen Erfolgen Alexanders „des Großen“ (356– 323 v. Chr.) und schrieb:
404 Schubart (Hg.): Vaterlandschronik (1789). 1. Halbjahr. 21. Stück. 13. 3. 1789, S. 166. 405 Bülow: Briefe eines Deutschen aus America. 14. Brief, S. 421. 406 Ders.: Der Freistaat von Nordamerika in seinem neuesten Zustande. Bd. 2, S. 184. Die Position, die Bülow in Bezug auf die Vereinigten Staaten in dieser Publikation vertrat, fasste Paul C. Weber folgendermaßen zusammen: „Here for the first time a German author offers severe criticism of conditions in America and challenges current conceptions of our country as a sort of earthly paradise.“ Weber: America, S. 28. 407 Wekhrlin (Hg.): Chronologen 12 (1781), S. 37. 408 Ders. (Hg.): Chronologen 1 (1779), S. 164.
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Man mus gestehen, wann sich die Kolonien den Plan Alexanders vorgesezt haben: so haben sie eine sehr unglückliche Speculation gemacht. Alexander eroberte, wie ich glaube, in einigen Tagen drey unermeßliche Reiche: die Continentalarmee war binnen sechs Jahren noch nicht im Stand, den Plaz zu Charlestown zu behaubten, ungeachtet er nur sechs Meilen von der Küste entfernt liegt.409
Die unter den Intellektuellen dennoch bei Weitem dominierende Vorstellung der Wiederbelebung positiver antiker Elemente in Amerika zieht sich durch die gesamte deutschsprachige Amerikaliteratur. In dem bereits erwähnte, 1868 publizierten dreibändigen historischen Roman Freier Boden des Berliner Theaterkritikers und Romanautors Carl Frenzel berichtet beispielsweise der Erzähler über den Protagonisten Bertrand: „[…] [D]er Gedanke, für eine große Sache mit Rath und That einzustehen, an der Gründung einer Republik, der Nachahmerin Athens und Roms, theilzunehmen, begeisterte ihn.“410 Und im dritten Band vertritt Marquis von Thouars, der Washington im Kampf unterstützt hat und nach Kriegsende wieder nach Frankreich zurückkehrt, im Gespräch mit dem Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee die Ansicht: „Bürgertugend und Menschenwürde sind nicht mit Griechen und Römern aus unserer Welt verschwunden, herrlicher leben sie auf diesem Boden wieder auf. Dem Beispiele, das uns Amerika gegeben, sollen wir nacheifern.“411 In Marion Philadelphias (geb. 1960) 1999 erschienenen historischen Roman Der Gaukler der Könige, in dem das Schicksal des historischen Magiers Jacob/Philadelphus Philadelphia (eigentlich: Jacob Meyer)412 beschrieben wird, drückt dieser seine Gedanken über Amerika mit den Worten aus: „Dort war wenigstens ein Ansatz der demokratischen Idee der alten Griechen zu verspüren.“413 Für Reizenstein ist die Identifikation Amerikas mit der Antike das Ergebnis eines Prozesses, der mit der zunehmenden positiven Wahrnehmung der Revolutionäre verbunden ist. Die Bewunderung für die amerikanische Idee der Freiheit und Selbstbestimmung, wie sie in der Unabhängigkeitsbewegung verkörpert wird, zeigt sich gerade auch an der Wertschätzung ihrer herausragenden historischen Vertreter. Während sich der Deutsche in Paris aufhält, kommt es auch zu einem Treffen mit dem Gesandten der Revolutionsstaaten414 in Frankreich, Benja-
409 Ebd., S. 164 f. 410 Frenzel: Freier Boden. Bd. 2, S. 127. 411 Ebd. Bd. 3, S. 252. 412 Zu ihm siehe Kapitel X. 413 Philadelphia: Der Gaukler der Könige, S. 310. 414 Es ist auffällig, dass im gesamten Text der Ausdruck „Vereinigte Staaten“ bzw. „Vereinigte Staaten von Amerika“, wie er etwa in der Unabhängigkeitserklärung artikuliert worden ist, ver-
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min Franklin. In einem Brief an Baron Roth lobt ihn Reizenstein als Angehörigen eines Ehrentriumvirats, zu dem er auch die Schriftsteller Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais (1732–1799)415 und Guillaume-Thomas François Raynal416 zählt. Er berichtet: Mein erster Gang war zu Beaumarchais, der zweyte zu Fränklin, und der dritte zu Raynal. Beneiden Sie mich nicht, daß ich izt dieses würdige Kleeblatt kenne? Wie viele Verdienste haben alle drey als Schriftsteller! und wie viele Thätigkeit zum Besten ihrer Familie und ganzer Völker verbinden die beyden ersten mit ihren schriftstellerischen Verdiensten, als ob sie nicht schon durch ihre Feder unsterblich genug wären? Mit besonderer Ehrfurcht betrachtete ich die Silberhaare eines Fränklins, des Helden, der mit der einen Hand den Bliz leitet, und mit der anderen das Schicksal ungeheurer Länder abwiegt.417
Die Hochachtung Reizensteins vor Franklin, der hier erwartungsgemäß als Erfinder des Blitzableiters und als Homo Universalis erscheint,418 begründet sich in dessen schriftstellerischen, naturwissenschaftlichen und staatspolitischen Leistungen. Er ist es, der Reizenstein an die Revolutionstruppen vermittelt: „[…] Fränklin hat meinen Antrag, unter den Kolonisten zu dienen, wie es schien, mit Vergnügen angenommen, und will mir Briefe an den Kongreß mitgeben.“419 Erneut zeigt der Roman hier ein hohes Maß an historischen Anspielungen. Tatsächlich bemühten sich zahlreiche Freiwillige in Europa mit Franklin in Kontakt zu treten, um durch ihn die Vermittlung eines militärischen Postens in
mieden wird und stattdessen immer noch der Terminus „Kolonien“ verwendet wird. Erst nach dem Sieg über die britischen Truppen und der Unterzeichnung eines Friedensvertrages wird das hierdurch entstandene politische Gebilde als „neuer Staat“ bezeichnet. Die Vermeidung des Staatenbegriffes während des Unabhängigkeitskrieges könnte als mangelnde Anerkennung einer tatsächlichen Staatensouveränität der Dreizehn Gründerstaaten interpretiert werden. 415 Beaumarchais sprach sich bereits zu einem frühen Zeitpunkt stark für eine Intervention Frankreichs im Unabhängigkeitskrieg auf Seiten der Kolonisten aus. Zu seinem Engagement bei der Zurverfügungstellung von finanziellen Mitteln und militärischen Ressourcen während des Unabhängigkeitskrieges siehe vor allem Lever: Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, S. 137 ff.; Morton – Spinelli: Beaumarchais; Unger: Improbable Patriot. Siehe auch Flügge: Figaros Schicksal, S. 141–149; Gaines: Liberty, S. 39–55, 65, 72 f., 101–103, 109, 124 f., 258 f., 398, 404, 423 f.; Hazard: Beamarchais, S. 17–39; Rivers: Figaro, S. 214–225; Schiff: Improvisation, S. 11 f., 32, 68–71, 95, 128–130, 253–259; Whitridge: Beaumarchais, S. 98. Zur Rezeption der Schriften Beaumarchais’ in den deutschen Staaten siehe Latja-Fichtinger: Beginn, S. 291–342. 416 Zu Raynals Beschäftigung mit den Kolonien in Nordamerika siehe Rudolphi: Nord-Amerika. 417 Reizenstein an Baron Roth. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 86. Brief vom 23. 5. 1777, S. 211 [44]. 418 Siehe hierzu Kapitel IX. 419 Ebd. [45].
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der Kontinentalarmee zu erreichen.420 Hierzu gehörten etwa Gilbert du Motier, Marquis de La Fayette (1757–1834), Tadeusz Kościuszko (1746–1817), Kazimierz Pułaski (1745–1779) und im deutschsprachigen Raum, allerdings erfolgslos, Friedrich Maximilian Klinger421 und Heinrich Julius von Lindau.422 Der berühmteste aus den deutschen Staaten stammende Militärangehörige, der sich den USTruppen anschloss, dürfte allerdings der preußische Offizier Friedrich Wilhelm von Steuben (1730–1794) gewesen sein, dem 1778 im Lager von Valley Forge in einer Krisenzeit eine wichtige Funktion bei der Ausbildung und Disziplinierung der amerikanischen Soldaten zufiel.423 Vor seiner transatlantischen Reise traf er in Paris u. a. auf Franklin. Ein 1784 im Journal von und für Deutschland publizierter Beitrag behandelte den Werdegang Steubens. Darin berichtete der anonyme Autor: „Indessen ungewiß, wohin ihn noch das Schicksal führen würde, machte H[e]r[r] v[on] St[euben] im Badenschen mit einem Engländer von der OppositionsPartey, der sich da aufhielt, Bekanntschaft.“424 Und weiter heißt es: Der Engländer schrieb diesen Vortrag an H[er]rn. Beaumarchais, Dr. Franklin und Silas Deane nach Paris, und erhielt bald die Antwort: wenn der Officier, der sich dieser Eigenschaften rühmte, mit bewährten Zeugnissen versehen, selbst nach Paris kommen und persönliche Bekanntschaft mit ihnen machen würde, so würde man keinen Anstand finden, mit demselben in nähere Unterhandlung zu treten.425
Schließlich gab der Verfasser an: „In dieser Absicht reisete er abermals im September nach Paris, um sich allda mit den Bevollmächtigten der Amerikaner in neue Tractaten einzulassen. Diese kamen endlich für ihn zu einem glücklichen Schluß.“426 Die fiktive Figur Reizenstein tritt wie der historische Offizier Steuben immer wieder in unmittelbaren Kontakt mit Führungspersönlichkeiten der Amerikanischen Revolution und rückt rasch in ein entsprechendes Vertrauensverhältnis zu ihnen. Während er Benjamin Franklin in Europa begegnet, der ihm an den Kontinentalkongress adressierte Briefe anvertraut, trifft er in Amerika die zweite auch in den deutschen Staaten prominente Figur der Revolutionsbewegung, George Washington. Der unmittelbare Zugang zu den politischen und militäri-
420 Siehe hierzu Rosengarten: American History, S. 59. 421 Siehe Kapitel IV.2. 422 Siehe Kapitel VI.3. 423 In deutscher Sprache wurde dieser historische Stoff z. B. von dem Deutsch-Amerikaner Emil Doernenburg (1880–1935) in dem Sonett Steuben in Valley Forge poetisch bearbeitet. 424 [Anonym]: [III. Ein Mann, ein verdienstvoller Deutscher], S. 86. 425 Ebd. 426 Ebd., S. 87. Siehe hierzu auch King: Echoes, S. 141 f.
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schen Anführern der Kolonisten427 verdeutlicht die moralische Überlegenheit des von einer größeren Egalität geprägten republikanischen Gesellschaftsmodells der Patrioten gegenüber auf Absonderung und Distanz ausgerichteten Selbstverständnis des europäischen hohen Adels, mit des es direkt kontrastiert wird.428 Dem entspricht, dass es sich bei den amerikanischen Führungspersönlichkeiten im Gegensatz zu den deutschen um Idealfiguren handelt. In der Beschreibung Reizensteins erscheint Washington als prototypischer Anführer der Kontinentalarmee. Der Deutsche vergleicht den Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen, einem Topos der zeitgenössischen Washington-Rezeption gemäß, mit dem römischen Feldherrn Quintus Fabius Maximus Verrucosus (ca. 275–203 v. Chr.)429 und setzt die Aktivitäten der Kolonisten in die direkte Tradition antiker historischer Ereignisse. Einmal mehr werden die Patrioten zur Postfiguration der antiken Römer. Nachdem er in Germantown angekommen ist, berichtet Reizenstein über die politische Atmosphäre im Lager der Revolutionstruppen: In der That, viele Edle haben sich um den Amerikanischen Fabius versammelt: man glaubt fast in Rom zu seyn, zur Zeit, als die Tarquinier verjagt wurden; so eifrig redt alles für die Freyheit, und so sehr scheint jeder entschlossen, sein Blut für sie zu vergiessen. – Nun, so will ich dann auch für sie fechten.430 427 In einem direkten und ungehinderten Kontakt zu den amerikanischen Führungspersonen steht auch der deutsche Protagonist in dem anonym verfassten Roman Der Unglickliche Walter, nachdem er in der Neuen Welt angekommen ist. Dort berichtet er: „Franklin, Adams und Washington waren unsere Lehrer, und in ihrem Umgange, in dem Kreise unserer gutmüthigen Nachbarn, in williger, froher Thätigkeit verfloßen unsre Tage in ununterbrochener Glückseligkeit.“ [Anonym]: Der Unglickliche Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka, S. 176. Historisch gestützt wird die Rezeption Washingtons als zugängliche und aufgeschlossene Führungspersönlichkeit beispielsweise durch den Bericht des gefangen genommenen hessischen Subsidienoffiziers Andreas Wiederholdt (ca. 1752-ca. 1805). Zwei Tage nach der Schlacht von Trenton trug er am 28. Dezember 1776 in sein Tagebuch ein: „Speisete ich wie oben gesagt, mit noch mehreren Offic[ieren] bey dem Gen[eral] Washington; Er that mir die Ehre und unterhielt sich sehr viel mit mir […].“ Wiederholdt: Tagebuch. Eintrag 28. 12. 1776, S. 33. 428 Der grundsätzlich egalitär orientierten Grundeinstellung in Amerika zollt Wilhelmine Rechnung, wenn sie noch vor der Atlantiküberquerung ihren Adelstitel ablegt, da für diesen in der Neuen Welt kein Platz ist. Charlotte berichtet sie: „[…] [I]ch gefallen mir sehr wohl unter dem Titel, Mademoiselle Roth. Denn wissen Sie, daß ich mit dem ersten Tritt aus dem väterlichen Hause den Fräuleinsnamen ablegte, und daß ich den als meinen Feind erkläre, der mich je erinnert, daß ich von edlerem Blut entsprungen seyn soll.“ Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 136. Brief vom 12. 5. 1778, S. 300 [262]. Zu dem in den Dreizehn Staaten während der Amerikanischen Revolution weithin ausgeprägten Gedanken der politischen Gleichheit siehe Wood: Radicalism, S. 229–243. 429 Siehe hierzu auch Kapitel VIII.6. 430 Reizenstein an Baron Roth. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 87. Brief vom 26. 5.(/24. 7.) 1777, S. 215 [53]. Der Ausdruck „Amerikanischer Fabius“ bezieht sich auf Washington.
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Die Verbindung der zeitgenössischen Revolutionsereignisse mit der als vorbildlich erachteten, verloren gegangenen antiken Vergangenheit431 ist ein Ausdruck für Reizensteins Bereitschaft, das ideologische Programm der Amerikanischen Revolution als Identifikationsplattform für seine Wünsche und Vorstellungen anzunehmen.432 Daher dauert es auch nicht lange, bis die Erinnerungen an die europäische Vergangenheit anfangen, zunehmend in den Hintergrund zu rücken. Der Perspektivwechsel wird in einer Mitteilung Reizensteins an Müller, der sich im britischen Lager in Philadelphia aufhält,433 besonders deutlich. Er schreibt: „O
431 Die Vertreibung des Lucius Tarquinius Superbus (gest. ca. 495 v. Chr.), des letzten der etruskischen Könige in Rom, 510 v. Chr. gilt als Initiationsereignis für die Errichtung der römischen Republik. Siehe hierzu auch Aigner-Foresti: Etrusker, S. 129 f., 141 f.; Fündling: T[arquinius] Superbus, S. 34. Bezüglich der Affinität der Träger der Amerikanischen Revolution zur Antike und der Bedeutung der antiken Vorstellungswelt für ihr Selbstverständnis siehe Shalev: Rome Reborn, S. 1 ff. Zur Postfiguration Amerikas als Resurrektion der verloren geglaubten idealisierten Antike siehe auch Wild: Prometheus-Franklin, S. 36. 432 Eine Parallele zwischen Amerika und der Antike zieht bereits Müller in einem frühen Brief an Reizenstein, in dem der Gründer Pennsylvanias, William Penn (1644–1718), in einer Reihe mit Lykurg und Sokrates (469–399 v. Chr.) genannt wird. Siehe Müller an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 27. Brief vom 18. 3. 1776, S. 88 [181]. 433 Philadelphia befand sich im Zuge der Philadelphia-Kampagne (1777/78) von September 1777 bis Juni 1778 unter britischer Kontrolle. Seybold greift die historischen Umstände auf, weicht allerdings in einigen Punkten von den tatsächlichen Ereignissen ab. Müller, der auf Seiten der Briten als Feldarzt arbeitet, datiert seinen ersten in Philadelphia verfassten Brief auf den 10. August 1777, während sich die Stadt erst ab dem 26. September des Jahres in britischer Hand befand. Die Revolutionstruppen, zu der auch Reizenstein gehört, sind im Briefroman in der benachbarten Gemeinde Germantown stationiert (Reizenstein datiert Briefe von dort mit Unterbrechungen vom 24. Juli 177[7] [87. Brief] bis zum 15. Februar 1778 [130. Brief]). Germantown ist allerdings nach der Eroberung Philadelphias als militärischer Stützpunkt durch die Briten genutzt worden. Washington entschloss sich, am 4. Oktober 1777 einen Angriff auf die dort stationierten Einheiten im Battle of Germantown durchzuführen. Die Militäraktion, die erfolglos blieb, machte einen Rückzug der Kontinentalarmee erforderlich. Die Heftigkeit der Auseinandersetzungen führte allerdings u. a. zur Verlagerung der zuvor in Germantown stationierten britischen Einheiten nach Philadelphia. Ein von den Briten im gleichen Monat unternommener Versuch, die Seekontrolle über den Delaware-River zu gewinnen endete in der Zerstörung zweier britischer Kriegsschiffe, der Merlin und der mit 64 Kanonen bestückten Augusta [!], nachdem beide Schiffe in Feuer aufgegangen waren. Vgl Tinkcom: Revolutionary City, S. 137. In einem auf den 12. Juni 1778 datierten Brief an Auguste (138. Brief) berichtet Reizenstein von dem Abzug der britischen Truppen aus Philadelphia unter General William Howe, dem Oberkommandierenden der britischen Streitkräfte in Nordamerika. Die historischen britischen Einheiten verließen die Stadt unter dem seit Anfang 1778 zum neuen Oberkommandierenden ernannten General Henry Clinton (1730–1795) am 18. Juni 1778. Zu den historischen Ereignissen um die Besetzung Philadelphias durch die Briten siehe Conway: War, S. 91–94, 104; McGuire: Philadelphia Campaign. Bd. 1, 263–327; ebd. Bd. 2, S. 43–124; Taaffee: Philadelphia Campaign, S. 50–144; Tinkcom: Revolutionary City, S. 133–137. Siehe auch Kwasny:
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Freund! wissen Sie denn auch noch, daß Sie einmal in Europa gewesen sind? – Mir ists ein Traum. Oft nehme ich die Landcharte vor mich, sehe Deutschland und Franken mit starren Augen an, und sehe es an, wie ehemals Pennsylvanien.“434 Reizensteins Bild von Amerika als Ort der unveränderten, unmittelbaren Naturerfahrung, entspricht seiner Vorstellung der arkadischen Idylle, wie sie ansonsten nur die Antike hervorgebracht hat und wie sie zeitlich begrenzt in der Feier in Mainbernheim zu spüren war. Schröder gegenüber schwärmt Reizenstein emphatisch über die Naturerscheinung Amerikas: „[S]tellt euch den Anblick vor, den man auf den Anhöhen der Apalachen hat. Der erste Blick hinauswärts stellte mich hin versteinert, wie eine Niobe oder einen Atlas.“435 Der amerikanische Indianer als Bewohner und Teil der von europäischen Kolonisationskräften noch unberührten Natur verkörpert in dieser Denkungsart das Urideal einer natürlichen Lebensweise. Vor seiner Atlantiküberfahrt formuliert Reizenstein noch in Paris die Hoffnung, in der neuen Welt dieser Natur- und Ursprünglichkeit in Verbindung zu begegnen. An Baron Roth schreibt er: „Wie wird mirs wohl seyn, wenn ich einmal in den Ländern bin, wo auch noch etwas Wildheit, d. i. Natur zu finden ist! Tausendmal frage ich mich ob denn die hiesige Menschen zu eben der Gattung gehören, die am Silberflusse oder Orenoko wohnen?“436 Dabei schwankt die Wahrnehmung bzw. Imagination der nordamerikanischen Ureinwohner zwischen Verklärung im Sinne des Edlen Wilden437 auf der einen Seite und Schauervorstellungen auf der anderen Seite. Im Zuge eines Exkurses über Christian Fürchtegott Gellerts (1715–1769) Schriften gibt Reizenstein in einem Brief an Müller an: Schon in der Schwedischen Gräfin hat er ein Sibirisches Mädchen den Augenblick sich in einen Fremden verlieben lassen, da wir doch wissen, daß die amerikanischen Schönen, die nicht so strenge seyn sollen, oft mit eben so kaltem Blute skalpiren, als die Männer – und daß bey Wilden, ein Fremder seyn und für einen Feind angesehen werden […] fast noch zur Zeit des Trojanischen Kriegs, und noch heut zu Tage bey Irokesen, Eskimaux &c[etera] einerley ist[.]438
Partisan War, S. 196–200. Die teilweise marginalen Abweichungen Seybolds von den tatsächlichen historischen Ereignissen können als poetische Freiheiten oder als Indikator für die unzureichende bzw. verspätete Informationsversorgung interpretiert werden. 434 Reizenstein an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2, 90. Brief vom 6. 8. 1777, S. 228 [85]. 435 Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2, 118. Brief vom 20. 11.(/21. 11.) 1777, S. 274 [198]. 436 Reizenstein an Baron Roth. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2, 86. Brief vom 23. 5. 1777, S. 210 [43]. 437 Zu Rousseaus einflussreichen Konzeption des Edlen Wilden als Naturmenschen siehe Biesterfeld: Utopie, S. 58 f.; Billimgton: Land, S. 18–25; Parry: Kolonialreiche, S. 588 f.; Rang: Lehre, S. 113–115; Stackelberg: Jean-Jacques Rousseau, S. 43 f. Siehe auch G343. 438 Reizenstein an Müller. In: Seybold, Reizenstein. Bd. 1. 20. Brief vom 16. 2. 1776, S. 63 [119]. Reizenstein verbindet hier das Skalpieren mit den Ureinwohnern und artikuliert damit einen
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Auffällig ist, dass die nordamerikanischen Ureinwohner, selbst wenn sie als gewalttätige „Wilde“ wahrgenommen werden, durch den hier evozierten Verweis auf den Trojanischen Krieg mit der (griechischen) Antike in Verbindung gebracht werden und sich damit gewissermaßen ebenfalls in die Wahrnehmung Amerikas als wiedererstandene Antike einfügen.
13 „[I]ch lebe in der herrlichsten Gegend der Welt, umringt von Freunden, die mich lieben – wir alle leben, wie eine Familie in dem goldenen Zeitalter!“ Barbingtonhouse in South Carolina als Verkörperung des arkadischen Ideals Eine Realisation der erstrebten antiken Idylle, findet Reizenstein in dem Anwesen Barbingtonhouse. In einem emotionalen Brief an Schröder schreibt er ausdrucksstark: „Und izt freuet euch mit mir! ich habe einen Ort gefunden, wo ich meine Tage zu schliessen gedenke […].“439 Barbingtonhouse befindet sich „an dem nördlichen Ufer der Savannah“440 in South Carolina441 gegenüber der zu Georgia gehörenden Stadt Augusta442, die bis in die Revolutionszeit des 18. Jahrhunderts
weit verbreiteten Topos. Siehe hierzu z. B. den zweiten Vers von G333, die siebte Strophe von G337, die elfte Strophe von G345 und den vierten Vers der zweiten Strophe von G348. Dabei ist zu bedenken, dass die Aussetzung von Skalpprämien durch die europäischen Kolonialmächte zu einer starken Expansion dieser Praxis unter verschiedenen nordamerikanischen Indianern führte. Vgl. Schultz – Stolle: Skalps, S. 197 f. 439 Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 118. Brief vom 20. 11. 1777, S. 272 [193]. 440 Ebd. [194]. 441 Das Landgut liegt im sog. Backcountry von South Carolina, das sich im 18. Jahrhundert vom küstennahen, durch ökonomische Interessen, intensive Sklavenwirtschaft, eine gewisse Urbanisierung (Charles Town/Charleston) und durch die Konzentration der politischen Gewalt geprägte sog. Lowcountry unterschied. Die Bewohner des Backcountry standen im 18. Jahrhundert in einer gewissen Opposition zu der Politik der fernen Küstenregierung. Siehe hierzu Ryan: World, S. 85. Siehe auch Edelson: Plantation Enterprise, S. 136–141. 442 Die historische Stadt Augusta wurde 1735/36 gegründet und zu Ehren von Augusta von Sachsen-Gotha-Altenburg (1719–1772), der zukünftigen Schwiegertochter Georgs II. (1683–1760; reg. 1727–1760) und späteren Mutter Georgs III. benannt. Augusta ist heute die zweitälteste sowie mit etwa 195.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Georgias und galt in der Revolutionszeit als eine der westlichsten Siedlungen in den Dreizehn Kolonien. Im Unabhängigkeitskrieg wurde 1779 der Sitz der Regierung Georgias nach Augusta verlagert und die Stadt zweimal (Jan./Feb. 1779, Mai 1780-Juni 1781) von britischen Truppen besetzt. Diese historischen Ereignisse haben keinen Eingang in den Briefroman gefunden, was angesichts des Umstandes, dass die Vorrede des zweiten Bandes auf den 24. März 1779 datiert ist, nicht verwunderlich erscheint. Zur Geschichte der Stadt
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an der Frontier,443 d. h. an der Siedlungsrenze zwischen Zivilisation und Natur lag (Abb. 34).444 Das Gut ist agrarisch geprägt und liegt abseits der Städte der ohnehin nur gering urbanisierten Südstaaten.445 Reizenstein beschreibt die Region folgendermaßen:
im Unabhängigkeitskrieg und allgemein im 18. Jahrhundert siehe Billington: Expansion, S. 118; Coleman: Part Two, S. 81–85, 91; Conway: War, S. 108, 125; Jones, Jr. – Dutcher: Memorial History, S. 65–137; Spalding: Part One, S. 40–42, 51. Siehe auch Cashin: Augusta, S. 103–110; Lerg: Amerikanische Revolution, S. 68. Zu den sozioökonomischen Verhältnissen in Augusta während des 18. Jahrhunderts siehe Harris: Plain Folk, S. 11 ff. 443 1893 formulierte Frederick Jackson Turner (1861–1932) seine Frontier-These in seinem Aufsatz The Significance of the Frontier in American History, deren Validität zwar von der modernen Forschung äußerst kritisch beurteilt wird, die aber das amerikanische Selbstverständnis tief prägte. Turner ging davon aus, dass die Frontier das spezifische amerikanische Wesen hervorgebracht hätte. In der Begegnung der aus der Zivilisation angereisten Siedler mit der ursprünglichen elementaren Natur und in der Urbarmachung des ungeformten Naturzustandes habe sich im Gegensatz zu Europa der besondere demokratisch geprägte individuelle amerikanische Geist herausgebildet. Zur Rezeption der Frontier-Idee, zur sog. Frontier-Debatte und ihrer Bedeutung für das amerikanische Selbstverständnis siehe Billington: Expansion, S. 743–756; ders.: Frederick Jackson Turner, S. 124–132, 184–195, 281–283; ders.: Land, S. 312–317; Bogue: Frederick Jackson Turner, S. 91–99, 113–117, 418, 436, 441 f.; Boyer – Clark – Kett u. a.: Enduring Vision, S. 127–130, 272, 526 f.; Burkhart: Turner Thesis, S. 70–83; Faragher: Afterword, S. 225–241; ders.: Introduction, S. 1–10; Heideking – Mauch: Geschichte, S. 18, 157–159, 162, 167, 175; Hine – Faragher: American West, S. 9, 493 f.; Smith: Virgin Land, S. 250–260; Waechter: Erfindung, S. 77 ff.; Wala: USA, S. 315 f.; Wasser: Vision, S. 247–253. Siehe auch Coleman: Science, S. 22–49; Jensen: Modernizing, S. 307–320; Lamar (Hg.): Encyclopedia, S. 1131; Raeithel: Geschichte, S. 329–345. Zur Frontier während der Amerikanischen Revolution siehe Billington: Expansion, S. 174–195; Slotkin: Regeneration, S. 223–267. Seybolds Briefroman tangiert gewissermaßen den Kerngedanken der später als sog. Frontier-Mythos bekannten Vorstellung, da Reizenstein und sein aus Europa stammendes soziales Umfeld in Barbingtonhouse, d. h. an einem Ort des Übergangs zwischen ursprünglicher Natur (natürliche Landschaft) und zivilisatorischen Elementen (Herrenhaus, Bücher, Kultur), sich selbst entfalten bzw. verwirklichen können und damit auch ihren Glückszustand finden. 444 Es ist auffällig, dass die Namen der beiden wichtigsten Romanfiguren, mit denen Reizenstein in Amerika in Berührung kommt, ein geografisches Pendant haben (Lord Barbington – Barbingtonhouse, Miß Auguste – Augusta). Damit kommt es zur Überschneidung von geografischer Zugehörigkeit und persönlicher Identität. Der Name von Auguste kann auch als Referenz auf die in Amerika wiederbelebte Antike verstanden werden. 445 Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die Vereinigten Staaten zu diesem Zeitpunkt einen allgemein sehr niedrigen Urbanisierungsgrad aufwiesen. Der 1790 zum ersten Mal durchgeführte Census of the United States ergab, dass es in den gesamten Vereinigten Staaten lediglich 24 Orte mit mehr als 2.500 Einwohner gab und dass immer noch nahezu 95 % der Einwohner in ländlichen Gebieten lebten. Daten abgerufen vom Internetportal des „United States Census Bureau“ (www.census.gov): http://www.census.gov/population/www/censusdata/files/table-4.pdf, 28. Januar 2016.
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
Der Fluß an dem ich izt bin, macht die Gränzscheidung von Südkarolina und Georgien. Diesseits ist noch Karolina und jenseits Georgien. In beyden Ländern sind wenige Städte und Dörfer, die meisten an der Küste. Weiter herein ins Land wohnt man sporadisch, d. i. jeder Pflanzer hat sein Feld, seine Gärten, Negershütten, alles, was ihm gehört, um sich herum, und wo sein Gebiet aufhört, fängt ein anderes an, und so geht’s fort.446
Wilhelmine konstatiert in einem Brief an Charlotte ebenfalls die niedrige Urbanisierungsrate und gibt an: „[…] [I]n ganz Karolina [sind] wenige Städte […]; die Kolonisten wohnen gröstentheils zerstreut auf dem flachen Lande umher; nämlich jeder hat seine ganze Plantage um seine Wohnung herum; wo sein Gebiet aufhört, fängt des nächsten Pflanzers seines an, und so gehts fort.“447
Für Reizenstein stellt der ländliche Sitz eine Mischung aus Abgelegenheit und sozialem Zusammensein nach dem Vorbild des verlorenen Ideals der Vergangenheit dar. Er fragt: „Ist das nicht, wie die Patriarchen lebten? Vereinigt nicht diese Lebensart das schwärmische des Einsiedlerlebens mit dem gesellschaftlichen?“448 In Barbingtonhouse manifestiert sich die zur Realität gewordene arkadische Utopie. Zu den wichtigsten Vorzügen dieses Ortes gehört für den Deutschen die Absenz von Sitten- und Tugendlosigkeit und moralischer Korruption. Schröder berichtet er: Hier sind also Neid, Eifersucht, Kollision des Interesses, und die andern Uebel, die die menschliche Gesellschaft verderben, fast ganz verbannt, oder könnens wenigstens eher seyn, als in euern ummauerten Gefängnissen, in welche die Menschen bey euch eingekerkert werden, um einander Rippenstösse zu geben, um alle Augenblicke mit den Köpfen wider einander, wider eine Mauer zu rennen, und sich mit Füssen zu treten. Hier lebt man in Gottes freyer Luft, athmet sie, unverdorben von dem giftigen Hauche des Bösewichts, ein, und ist so frey, wie der Vogel, der sich in derselben auf und nieder schwingt. Ihr könnt mir ein Regiment anbieten, oder, was Ihr glaubt, das mich reizte, ich kehre nicht wieder in Eure Städte zurück.449
Barbingtonhouse bildet den sozialen und moralischen Kontrastpunkt zu den vom Geist der finanziellen Gier, des Handels und der Fabriken bestimmten Städten,
446 Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 118. Brief vom 20. 11. 1777, S. 273 [195]. 447 Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 154. Brief vom 20. 6. 1779, S. 340 [361]. 448 Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 118. Brief vom 20. 11. 1777, S. 273 [195]. 449 Ebd. [195 f.].
13 Barbingtonhouse in South Carolina als Verkörperung des arkadischen Ideals
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wie sie vor allem in Europa anzutreffen sind. Dabei ist es kein Zufall, dass das Anwesen, auf dem der erstrebenswerte Urzustand menschlicher Koexistenz restituiert werden kann, in den Südstaaten situiert ist, da der Norden mit den Mittelatlantikstaaten einen weitaus höheren Urbanisierungsgrad aufwies und in größerem Maße von einem merkantilen Selbstverständnis geprägt war.450 So lagen im 18. Jahrhundert mit Charles Town/Charleston und Savannah auch lediglich zwei der zwanzig größten Städte der Dreizehn Kolonien im tiefen Süden (Abb. 36 f.). Das Landgut erscheint als Gegenfolie zu den dekadenten Verhältnissen in den von Sittenverfall dominierten europäischen Städten wie insbesondere Paris, aber auch zu den amerikanischen Kriegsschauplätzen. Mit Bedauern vertraut Reizenstein Müller an: „In ungefähr vierzehn Tagen reisen wir von hier ab; es wird mir leid thun, diese ruhige Gegend zu verlassen, und wieder in das Kriegsgetümmel mich zu werfen […].“451 Die Distanz zwischen den Städten Europas und den agrarischen Gebieten Amerikas findet am Beispiel der Mode einen prägnanten Ausdruck.452 Wilhelmine hebt nach ihrer Ankunft auf dem südstaatlichen Anwesen die Ursprünglichkeit des Landlebens gegenüber der Künstlichkeit und Wechselhaftigkeit des Pariser Modebewusstseins hervor und berichtet Charlotte: [S]o leben wir im Lande der Amerikaner! schlecht und recht, heiter und frölich, natürlich und ungekünstelt! daß aber ja keine der Damen Europa’s etwas von unserer Rebellion gegen die hochgebietende Göttin Mode erfahre! – Dies erinnert mich an etwas, das ich ver-
450 Siehe hierzu u. a. Conforti: Saints, S. 163–199. In Philadelphia, der größten Stadt der Dreizehn Kolonien, arbeiteten 1774 etwa 85 % der Beschäftigten in den Bereichen Handel, Dienstleistung/Gewerbe sowie Manufaktur und Protoindustrie. Vgl. Wellenreuther: Chaos, S. 303, 701 f. Dennoch war die historische ökonomische Abhängigkeit des Südens vom Außenhandel gerade im Vergleich der jährlichen Exporte der einzelnen Regionen abzulesen (Abb. 35). 451 Reizenstein an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 126. Brief vom 25. 12. 1777, S. 283 [222]. Barbingtonhouse wird als Ruhepol abseits des Kriegsgeschehens beschrieben. Angaben Hermann Wellenreuthers ist allerdings zu entnehmen, dass South Carolina seit 1779 zu den am meisten durch die Kontinentalarmee frequentierten Staaten gehörte und eine sehr hohe Militärpräsenz aufwies. In diesem Zusammenhang ist auch auf die bereits erwähnte zweimalige Einnahme von Augusta durch die Briten hinzuweisen. Siehe Wellenreuther: Chaos, S. 267, 700 f. Zur Amerikanischen Revolution in den Gebieten South Carolinas siehe auch Buchanan: Road, S. 44 ff., 73 ff.; Edgar: South Carolina, S. 226–244; Fraser, Jr.: Patriots, S. 30 ff.; Gordon: South Carolina, S. 15 ff.; Weir: South Carolina, S. 321–340. 452 Die zeitgenössisch weit verbreitete allgemeine Modekritik tritt in der bereits zitierten Einladung auf das Land von Johann Gaudenz Freiherr von Salis-Seewis (1762–1834) exemplarisch zutage. In diesem Gedicht ruft der Sprecher mit folgenden Worten dazu auf, sich von den als artifiziell erlebten Modeerscheinungen zu distanzieren: „Laß uns fliehn den Modetanz, / und des Zwanges Bande!“ Salis[-]Se[e]wis: Einladung auf das Land. 21 f. Vers, S. 174.
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
gessen habe, an unsere Kleidung. Doch vielleicht versteht sich das von selbst, daß wir uns nicht von jedem Winde der Pariser Gottheit hin und her wiegen lassen.453
Die Unterschiede zeigen sich insbesondere in der Präferenz differenter Kleidungsstile. Während die vom französischen Geschmack geprägte europäische Modekultur artifiziell und extravagant erscheint, erinnert der in Amerika geschaffene, an die klimatischen lokalen Gegebenheiten und Bedürfnisse adäquat angepasste Kleidungstil an antike Vorbilder von Schlichtheit und Natürlichkeit. Wilhelmine macht deutlich: „Mein Ferdinand mußte eine Kleidung ausdenken, die dem Klima und der Gesundheit gemäß wäre, und er fand eine, die weder schwimmt noch preßt; sie mag wohl, so viel ich davon verstehe, der griechischen eben so sehr nahe kommen, als diese der Natur.“454 Die Neue Welt erscheint hier, einem zeitgenössisch weit verbreiteten Topos entsprechend,455 wiederholt als Hort von Natürlichkeit und Ursprünglichkeit. Das im Briefroman den amerikanischen Frauen attestierte Desinteresse an den Modeerscheinungen in Europa, respektive Frankreich bzw. Paris, wurde aus historischer Persepktive allerdings nicht universell geteilt, so dass hier wohl eine Stilisierung Seybolds zu berücksichtigen ist. Der Subsidiensoldat Johann Conrad Döhla hielt z. B. für die Frauen, denen er in Charles Town/Charleston in South Carolina begegnet war, fest: „Sämmtliche [sic] Frauenzimmer wenden alle mögliche Sorge auf ihren Putz und Anzug und scheuen keine Kosten, immer die neuesten Moden aus Europa zu erhalten. Putzmacherinnen und Friseurs befinden sich hier wohl und sammeln Reichthümer.“456 Freilich handelt es sich bei diesen Beob-
453 Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 154. Brief vom 20. 6. 1779, S. 341 [363]. 454 Ebd. Wilhelmines Beschreibung einer natürlichen und ungekünstelten Kleidung korrespondiert mit klimatheoretischen Überlegungen, entspricht vor allem aber auch Johann Joachim Winckelmanns (1717–1768) berühmten Formel „edle Einfalt, stille Größe“ (formuliert in seiner 1755 publizierten Schrift Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauer-Kunst), die er mit der griechischen Antike in Verbindung brachte und als erstrebenswertes Vorbild auch für die zeitgenössische Kunst forderte. Siehe hierzu auch Kapitel V.2. 455 Ebenso heißt es in der bereits erwähnten Schrift Wahrheit und Guter Rath, an die Einwohner Deutschlands, besonders in Hessen (s. o.), dass in Amerika „alles der Natur vollkommen gemäs“ ([Führer]: Wahrheit und Guter Rath, an die Einwohner Deutschlands, besonders in Hessen, S. 16) sei. Siehe auch Kapitel IX.6. 456 Döhla: Tagebuch. Eintrag 31. 5. 1780. Exkurs Charles-Town, S. 165. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Topos der oberflächlichen modeinteressierten Frau von dem deutsch-amerikanischen Musiklehrer und Autor Joseph Alexander Seebaum (1846–?) in seinem Lied von Amerika, bei dem es sich um eine Kontrafaktur von Schillers Lied von der Glocke handelt, auf die amerikanische Frau allgemein übertragen. Über diese ist zu lesen:
13 Barbingtonhouse in South Carolina als Verkörperung des arkadischen Ideals
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achtungen aber um keinen zwingenden Antagonismus zu den Darstellungen in Reizenstein, da in Seybolds Roman der Stadt-Land-Antagonismus immer wieder akzentuiert wird. Die Vorstellung, dass in der Neuen Welt im Gegensatz zu Europa Natürlichkeit und Authentizität vorherrschen, findet sich immer wieder in der europäischen deutschsprachigen Amerikaliteratur.457 In Babos Winterquartier in Amerika bekennt Hauptmann von Bernau seine Zuneigung gegenüber Wilhelmine, der Tochter des deutschen Kolonisten Frank, emphatisch mit den Worten: „O Wilhelmine! hätte ich so ein Mädchen in meinem Vaterlande gekannt! keine Nacht würde mich von ihrer Seite gerissen haben! – Willkommen schöne Natur! (er drückt ihre Hand fest auf seine Brust) willkommen!“458 Auch im vierten Auftritt akzentuiert er von seinen Eindrücken ganz und gar ergriffen: „Aber diese sanfte
Der Schminke Roth bedeckt die Wange, Gebiß und Haare, falsch sie sind; Oft wird es Manchem angst und bange, Ganz nachgeäfft ist’s süße Kind. Falsch ist der Körper, falsch die Seele, Nur daß zur Gattin man es wähle – Seebaum: Das Lied von Nordamerika, S. 5. Und über die Wahrnehmung des Gatten heißt es: „Er sieht, daß er statt eines Weibes / Nur eine Modepuppe hat, / Die Sklavin ihres eig’nen Leibes.“ Seebaum: Das Lied von Nordamerika, S. 6. Die zeitgenössische „Modesucht“ kritisierte im 19. Jahrhundert auch Franz Binhack mit folgendem Distichon: „Was auch die Mode befiehlt, das Verrückteste ahmt man in Hast nach. / Affengeschlecht, muß wahr scheinen nicht Vogt’s Theorie?“ Binhack: Modesucht, S. 37. Beispiele für eine allgemeine Modekritik finden sich auch in der Pennsylvania German-Literatur. So dichtete beispielsweise der deutsch-amerikanische Autor Thomas Jefferson Boyer Rhoads (1837–1919): En jedes Johr bringt immer bei En Sett ganz neue Mode, Un was des Johr die Fashion sei Wird nechtes Johr verbote. Rhoads: Neue Mode. 1. Strophe, S. 220. 457 Siehe hierzu auch Trappl: Joseph Marius Babo, S. 40–42. 458 [Babo]: Das Winterquartier in Amerika. 3. Auftritt, S. 9. Eine besondere Wertschätzung natürlicher Frauen wird ebenso in Johann Friedrich Ernst Albrechts Schauspiel Die Kolonie (1792) zum Ausdruck gebracht. Fritz, der Sohn von Schiffskapitän Robert, lobt seinen Adoptivbruder Franz, nachdem dieser auf die Inselbewohnerin Friederike gestoßen ist: „Bey meiner Seele, Franz, Du hast keinen übeln Fund gethan; daß ist ein allerliebstes Mädchen.“ Albrecht: Die Kolonie. 3. Aufzug. 6. Auftritt, S. 61. Daraufhin ergänzt der Steuermann Werner: „Und ein rechtes ächtes Kind der Natur.“ Ebd.
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
Macht der Unschuld! o Natur! unauslöslich drücken sich deine Reize in das Herz des Menschen, auch in das Herz eines Menschen, wie ich, der dich noch nie sahe! – – Werner was ist Schönheit?“459 In Reizenstein beschreibt Wilhelmine ihrer Freundin Charlotte das generell naturverbundene Landleben in Barbingtonhouse als von angenehmen individuellen, vor allem aber sozialen Aktivitäten, wie Spaziergängen, Spielen und Tanz geprägte Idylle: Ist das Wetter – wie gröstentheils schön, dann haben wir eine andere Beschäftigung; wir sind alsdann wahre und eigentliche Arkadier. […] Wir spielen Arkadische Spiele, wir spielen kleine Romane, und der Hirte buhlt um die Liebes seines Mädchens, wie wenn er sie nicht schon hätte, oder macht sie eifersüchtig durch Neckereyen mit einer andern; wir bereiten uns ein kleines mahl von Milch, Schröder spielt die Flöte, und die andern singen dazu […].460
Reizenstein selbst erlebt seinen Aufenthalt auf dem Landgut und den Kontakt zu Lord Barbington und seiner Schwester Auguste als Wiedergeburt des während
459 [Babo]: Das Winterquartier in Amerika. 4. Auftritt, S. 11. Die sittliche Entwicklung Wilhelmines bis zu ihrem gegenwärtigen Zustand wird von ihrem Vater folgendermaßen beschrieben: „Meine Umstände und mühesamen Geschäfte litten nicht, daß ich meiner Wilhelmine das, was man eine vornehme Erziehung nennt, geben konnte, aber die gründlichsten Begriffe von Rechtschaffenheit und Liebe zum Edeln suchte ich ihr einzuprägen. Die Natur gab ihr das beste Herz, die wahresten Empfindungen, und einen sehr richtigen Verstand.“ Ebd. 10. Auftritt, S. 22. Die charakterliche Integrität der jungen Deutsch-Amerikanerin komplettiert ein adäquates Äußeres, so dass sie schließlich dem Ideal der Kalokagathie entspricht. Ihr Vater ergänzt: „Alles entwickelte sich zu meinem Vergnügen, und ich gestehe es, meine Freude ward durch die Vervollkommnung ihrer Gestalt vermehrt.“ Ebd. Die moralische Reinheit Wilhelmines zeigt sich z. B. darin, dass sie in der Neuen Welt durch mangelnde Erfahrungen noch nicht mit menschlicher „Bösartigkeit“ in Kontakt geraten ist und aus diesem Grund von ihrem Vater hierüber aufgeklärt und gewarnt werden muss. Im Gespräch mit ihr erklärt er: „Höre mein Kind, es schmerzt mich, daß ich dir es sagen muß: Es giebt Menschen, die das Gepräge der Redlichkeit auf der Stirne und die thätigste Menschenliebe im Munde führen, und doch mit lächelnder Miene ihren Bruder ins Verderben stürzen. Es giebt Menschen, die nicht einen Schilling von ihrem Ueberfluß zum Troste eines Unglücklichen hergeben. Es giebt andre, die nur dann lachen, wenn sie ein unschuldiges Mädchen, wie Du, ewig unglücklich gemacht haben. Doch Du sollst nie solchen kennen. Komm mein Kind, wir wollen uns einschließen[.]“ Ebd. 12. Auftritt, S. 27. Auch der im negativen Licht erscheinende Kriegs-Kommissar Tunder, der „das sittenverdorbene Europa“ (Trappl: Joseph Marius Babo, S. 40) verkörpert, vermutet: „Das gute Mädchen kennt vielleicht den Werth des Geldes zu wenig […]!“ Ebd. 7. Auftritt, S. 16. 460 Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 154. Brief vom 20. 6. 1779, S. 339 [357 f.]. Ähnlich schreibt bereits zuvor Auguste an Reizenstein: „Nach unserer Tafel […] spielen wir entweder Billard oder den Federball, oder wippen uns, oder wir machen kleine Besuche in der Nachbarschaft.“ Auguste an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 145. Brief vom 30. 8. 1778, S. 318 [308].
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der arkadischen Feier in Mainbernheim realisierten antiken Geistes und Glückes. Bereits landschaftlich entspricht der Ort seinen idyllischen Idealvorstellungen. Müller teilt er in einem auf den ersten Weihnachtstag datierten Brief mit: „Das muß ich Ihnen indessen […] sagen, daß ich diese Gegend für eine der schönsten, vielleicht in der Welt, halte. O Freund! wenn das Schicksal dieses Plätzchen uns zum Wohnorte bestimmt hätte!“461 Die unverfälschte und ursprüngliche Schönheit des Anwesens stellt die visuell erfahrbare Entsprechung zu der geistigen und moralischen inneren Schönheit seiner Bewohner dar, wie sie von Lord Barbington und Auguste in vollkommenster Form verkörpert wird. Als „Mann von Ehre“462, der den Wert der Freiheit, für das er kämpft, höher schätzt als sein eigenes Leben,463 ist Barbington das amerikanische Pendant zu Reizenstein. In ihm erkennt er einen Vertrauten, Freund und geistigen Seelenverwandten. Auch Auguste, die in gewisser Hinsicht das amerikanische Gegenstück zu Fiekchen darstellt, zeichnet sich durch ihre Authentizität, Geradlinigkeit und charakterlichen Vorzüge aus: „[S]ie weiß Natürlichkeit mit Hoheit, Gefälligkeit mit Stolz, Sanftmuth mit Feuer so geschickt zu verbinden, daß Ihr jede Aeusserung ihres Charakters für die wahre und einzige haltet.“464 Damit verkörpert sie die in der Gesellschaft positiv konnotierten Seiten einer sog. Southern Lady bzw. Southern Belle465 wie Bildung, Tugendhaftigkeit, moralisch-sittliche Reinheit, Patriotismus und Leidenschaftlichkeit, wohingegen sie aber keine der negativen typischerweise mit dieser Figur assoziierten Charaktereigenschaften wie Arroganz, Überheblichkeit und Affektiertheit aufweist. In der deutschsprachigen Amerikaliteratur sind die exzeptionellen Charakteristika amerikanischer Frauen wiederholt postuliert worden. Neben der mora-
461 Reizenstein an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 126. Brief vom 25. 12. 1777, S. 283 [221]. 462 Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 118. Brief vom 20. 11.(/21. 11.) 1777, S. 274 [199]. Siehe hierzu auch Reizenstein an Müller. In: Seybold, Reizenstein. Bd. 2. 90. Brief vom 6. 8. 1777, S. 229 [87]. 463 Siehe Müller an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 95. Brief vom 25. 8. 1777, S. 237 [107]. 464 Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 118. Brief vom 20. 11.(/21. 11.) 1777, S. 275 [200]. 465 Das archetypische Bild der Southern Belle als poetische und soziokulturelle Konstruktion, ist kulturgeschichtlich im Antebellum und in der Memorialkultur seit dem 19. Jahrhundert in zahlreichen literarischen und kinematographischen Umsetzungen, wie beispielsweise in der Figur der Scarlett O’Hara in Margaret Mitchells (1900–1949) 1936 erschienenen und 1939 verfilmten Roman Gone with the Wind (Vom Winde verweht) aufgegriffen worden. Zur Figur der Southern Belle bzw. Southern Lady siehe Farnham: Education, S. 181–186; Lyons: Southern Woman, S. 12 ff.; Seidel: Southern Belle, S. 3–17. Siehe auch Berkin: Women’s Life, S. 1521; Clinton: Land, S. 1550 f. Zur Situation von Frauen auf südstaatlichen Plantagen im Antebellum siehe vor allem Fox-Genovese: Plantation, S. 37–99 sowie Weaks: Introduction, S. 7–16, bes. s. 8 f.
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lischen Integrität wurde in den zeitgenössischen Beschreibungen eine den Frauen zugeschriebene physische Attraktivität akzentuiert. In Bezug auf die Wahrnehmung der weiblichen amerikanischen Bevölkerung durch die nach Nordamerika vermieteten Soldaten aus den deutschen Staaten z. B. gab Rodney Atwood an: „The Hessians for their part thought American women very attractive. References to their good looks, fine hairstyles and clean clothes, as well as to the predominant role they played in American life, are legion in Hessian journals.“466 Bereits der Philosoph und Maler Joseph Friedrich Engelschall (1739–1797) notierte in seinem 1785 in den Ephemeriden über Aufklärung, Litteratur und Kunst publizierten Beitrag über den Feldzug der Hessen nach Amerika: „[…] [D]er reinliche und fast durchgängig vornehme Anzug des schönen Geschlechts war den Deutschen bei ihrer Ankunft sehr auffallend […].“467 Im Unglicklichen Walter ist von „reizenden Pensilvanierinnen“468 die Rede und in Carl Johann Albrecht Meyers (1755-?) Lustspiel Die Ankunft der Deutschen aus Amerika (1784) hebt der Subsidiensoldat Storr, der nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges nach Europa zurückgekehrt ist, die Vorzüge einer Frau, der er in Amerika begegnet ist, gegenüber der weiblichen Bevölkerung in seiner Heimat, mit den Worten hervor: „In Amerika kareßirte ich eine Bauernfrau – das sind aber keine solchen Trampelthiere als hier zu Lande[.]“469 In der von Johanna Elisabeth Wigand (1833–1894) verfassten und unter dem Pseudonym „H. Brand“ 1891 publizierten „historische[n] Erzählung aus dem 18. Jahrhundert“470 Vor der Fremdherrschaft heißt es über die Amerikanerinnen, dass nahezu alle „[f]leißig und tüchtig“471 und „feiner als die derben Schönheiten daheim“472 seien. Ferner wird berichtet: „[Sie sind f]ast alle schlank und geschmeidig von Wuchs und ihre Haut ist fast wie zarter Flaum.“473 Ohne die Erinnerung an Fiekchen zu verdrängen, der zu Ehren in Barbingtonhouse ein Kenotaph errichtet wird,474 findet Reizenstein in Auguste, die für ihn das weibliche Rollenideal verkörpert, das Ziel seiner emotionalen Wünsche. Müller gegenüber kann er offenbaren: „[…] [J]ene reizende Gegenden und der
466 Atwood: Hessians, S. 195. Siehe hierzu auch Beutler: Essays, S. 776; Ford: Two German Publicists, S. 159. 467 [Engelschall]: Feldzug der Hessen nach Amerika, S. 20. 468 [Anonym]: Der Unglickliche Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka, S. 142. 469 [Meyer]: Die Ankunft der Deutschen aus Amerika. 9. Auftritt, S. 38. 470 Brand [= Wigand]: Vor der Fremdherrschaft, [Titelblatt]. 471 Ebd., S. 57. 472 Ebd. 473 Ebd. 474 Auguste an Lady Palmer. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 128. Brief vom 14. 1. 1778, S. 287 [230].
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freundschaftliche Umgang des Bruders und der Schwester [machten] mir meine bisherige unglückliche Situation weit, weit erträglicher […], als ich je hoffen durfte:“475 Er ergänzt sogar: „[J]enes Paar hat mich mit der Welt ausgesöhnt […].“476 Reizensteins Odyssee nach Fiekchens Tod und seiner Separation von der Armee in Europa findet in Barbingtonhouse ihr Ende. Das südstaatliche Landgut wird zur Zufluchtsstätte gegenüber der sozial und politisch abweisenden alten Heimat. Müller gegenüber bekennt er: „Ja, Freund! ich hoffe, auf den Gütern des edlen Mannes für Sie und mich die Ruhe zu finden, die uns die übrige Welt nicht gönnt.“477 Amerika gewährt dabei ebenso dem von Selbstvorwürfen gequälten Franz, durch dessen unabsichtliches Verschulden Baron Roth in einem Unfall zu Tode gekommen ist, Obdach und einen gewissen Neuanfang: „Franz [ist] bei uns […]. […] [W]ir nahmen ihn auf, […] um ihn nicht dem Gedanken zu überlassen, als ob wir ihm nicht verziehen hätten.“478 Reizensteins Wunsch, in Barbingtonhouse zu verweilen, geht in Erfüllung. Sukzessive finden die Mitglieder des fränkischen Freundeskreises auf dem amerikanischen Landgut eine neue Heimstätte. Nachdem die Kolonien ihre Unabhängigkeit errungen und Auguste und Reizenstein geheiratet haben,479 kann dieser daher über sein nun erreichtes „Götterleben“480 resümieren:
475 Reizenstein an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 130. Brief vom 15. 2. 1778, S. 290 [237]. 476 Ebd. 477 Ebd. 478 Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 154. Brief vom 20. 6. 1779, S. 341 [363]. 479 Auch historisch kam es zu einer Reihe von (Ehe-)Verbindungen zwischen deutschen Soldaten und (Deutsch-)Amerikanerinnen im zeitlichen Umfeld des Unabhängigkeitskrieges. So gab Elliott Wheelock Hoffman an: „Still, many soldiers found wives among German-American girls. In the winter of 1777–1778, one German chaplain married a hundred girls to soldiers in Southwark, Pennylvania.“ Hoffman: German Soldiers. Bd. 2, S. 434. Siehe auch Atwood: Hessians, S. 196; Gerland: Tagebuch, S. 91. Und Johann Conrad Döhla trug am 17. Oktober 1782 in sein Tagebuch ein: „In der warmen Spring, 60 Meilen von hier, sollen sich auch einige Anspacher verheurathet haben.“ Döhla: Tagebuch. Eintrag 17. 10. 1782, S. 265. Bernhard Wilhelm Wiederhold (gest. 1810), der die hessischen Subsidientruppen nach Nordamerika begleitete, erinnerte sich 1793 ebenfalls: „Das Ende des amerikanischen Kriegs hätte der Anfang eines einträglichen Schicksals werden können; ich hatte mich mit einer jungen reichen Amerikanerin versprochen, deren Vater jedoch auf der Aufgebung meines Metiers bestand. Im Gefühl des Soldaten und Hessen, in der Hoffnung einer reichlichen Besorgung im Vaterlande, verschob ich das Anerbieten und beschloß, nach erlangter Versorgung, meine Verlobte, allenfalls auch gegen den väterlichen Willen, aus dem entfernten Welttheile abzuholen. Fehlgeschlagene Erwartungen verhinderten die Ausführung meines Vorhabens.“ Bernhard Wilhelm Wiederhold. 1793. In: [Strieder]: Wiederhold (Bernhard Wilhelm), S. 34 f. 480 Reizenstein an Janson. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 161. Brief vom 16. 1. 1780, S. 356 [402].
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[…] [I]ch lebe in der herrlichsten Gegend der Welt, umringt von Freunden, die mich lieben – wir alle leben, wie eine Familie in dem goldenen Zeitalter! – wir sehen nichts als heitere Gesichter um uns – ich sehe Amerika frey – ich bin so glücklich gewesen, etwas zum Glücke ungeheurer Länder beyzutragen!481
In Barbingtonhouse schließt sich der Kreis, der jenseits des Atlantiks, in Mainbernheim ihren Anfang genommen hat. Müller, der nach einer Niederlage seiner Einheit gefangen genommen und auf die Initiative Reizensteins hin, ebenfalls in Barbingtonhouse aufgenommen wird,482 berichtet in einem Brief an seinen Freund von der Wiederaufnahme der bereits in Europa veranstalteten Schäferspiele: „Es wird Sie freuen, wenn ich Ihnen sage, daß wir in dieser, und in andern Rücksichten, die Ihnen schon bekannt sind, das Schäferleben eingeführt haben von dem wir einst in Mainbernheim einen Vorschmack hatten.“483 Ebenso schreibt
481 Ebd. 482 Die Kontinentalarmee bemühte sich während des Unabhängigkeitskrieges offensichtlich darum, gegnerische Gefangene abzuwerben. Der von den Amerikanern gefangen genommene Subdisiensoldat Döhla hielt in einem auf September 1782 datierten Tagebucheintrag fest: „Auch gieng die Werbung von den americkanischen Continentals- oder regulirten-Trouppen hier in Friedenstaun an, und die Werber durften in unsere Barracken herein, anwerben und liesten, wem sie freywillig bekommen konnten […].“ Döhla: Tagebuch. Eintrag September 1782, S. 262. Dass sich Müller, der zu den Truppen aus Ansbach-Bayreuth gehört, schließlich wie Reizenstein in der Neuen Welt niederlässt, korrespondiert mit den historischen Entwicklungen, da sich zahlreiche Subsidiensoldaten nach dem Ende der militärischen Auseinandersetzungen in den Vereinigten Staaten ansiedelten. Erhart Städtler gab nach einer „vorsichtigen Schätzung“ (Städtler, Ansbach-Bayreuther Truppen, S. 76) von Lyman H. Butterfield an, dass von den etwa 30.000 im britischen Dienst stehenden Soldaten aus den deutschen Staaten ca. 5.000–6.000 Mann in Amerika blieben, von denen 707 aus Franken stammten. Siehe ebd. Siehe hierzu auch ebd., S. 65–75. So dokumentierte auch Döhla 1783 am Ende des Unabhängigkeitskrieges in seinem Tagebuch: „Wir ließen Leute hier, die freywillig zurückblieben um ihr Glück in diesen Welttheil weiter versuchen und probiren wollen [sic].“ Döhla: Tagebuch. Eintrag 13. 5. 1783, S. 279. Und in einem späteren Eintrag heißt es: „Haben der Feldscher Prechtel und Gemeiner Rahm von Eybs-Comp[anie] und Grenadier Pandasch von Molitor ihren Abschied hier bekommen. Sie gehen nach Philadelphia, und bleiben im Lande, um hier ihr Glück zu probiren. Es waren Capitulanten denen ihre Zeit verfloßen war.“ Döhla: Tagebuch. Eintrag 3. 7. 1783, S. 288. Bereits 1776 postulierte Schubart eine Präferenz Amerikas gegenüber den deutschen Staaten für potentielle Auswanderer. Er prognostizierte: „Sind die Provinzialen glücklich; so werden sich die meisten Teutschen in Amerika niederlassen, da ohnehin unter uns die Klage immer allgemeiner wird: Es ist nichts mehr in Teutschland zu machen.“ Schubart (Hg.): Teutsche Chronik (1776). 1. Vierteljahr. 32. Stück. 18. 4. 1776, S. [249] [Schubart: Werke, S. 78]. Zur historischen Rezeption der Ansiedlung hessischer Subsidiensoldaten aus deutsch-amerikanischer Perspektive Ende des 19. Jahrhunderts siehe [Anonym]: Die Hessen in Virginien, S. [20]. 483 Müller an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 155. Brief vom 15. 7./(16. 7.) 1779, S. 346 [375].
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Wilhelmine an Charlotte: „Ja, denken Sie, Liebe, das, was wir in Mainbernheim nur träumten […], ist erfüllt worden; wir sind alle Schäfer und Schäferinnen […].“484 Es ist bezeichnend, dass bei diesen in der Naturidylle des südstaatlichen Landgutes wieder aufgenommenen Rollenspielen, Auguste den Rollennamen der verstorbenen Geliebten Reizensteins, übernimmt. Wilhelmine teilt mit: „Wenn wir auf unserer Flur sind, nennen wir alle uns mit keinem andern, als Schäfernamen – Auguste hat Fiekchens Namen erhalten, und heißt Chloe […].“485 Damit wird Barbingtonhouse endgültig zu einem aktualisierten und nun beständigen Arkadien, das in Europa ein singulärer Fall bleiben musste. Bereits in einem unmittelbar nach der europäischen Arkadienfeier verfassten Brief an Baron Kaltenthal berichtete Baron Roth, gewissermaßen proleptisch, von der während des Festes artikulierten Idee, dass die Möglichkeit den arkadischen Gedanken zu verwirklichen, translokale Gültigkeit besäße, d. h. nicht an einen Ort gebunden sei, sondern vielmehr von der inneren Gesinnung der Personen, in denen sie sich manifestiere, abhänge. Im auf April 1766 datierten 33. Brief heißt es: Arkadien sey nicht gerade unter einen gewissen Grad der Länge und Breite hingebannt, sondern da, wo vergnügte und mit ihrem Zustande vergnügte Herzen sich finden, so, wie der Himmel nicht in einer gewissen Gegend, oder Stadt, sondern in der Brust desjenigen sey, der seine Wonne fühlen kann und darf.486
14 „[I]ch bin ein Weib; sollte ich deswegen nichts kluges über den Zustand meines Vaterlandes denken und sagen können?“ Der weibliche Modellcharakter der amerikanischen Patriotin Auguste Im Kommunikationsnetz der Romanfiguren fällt auf, dass ein großer Teil des politischen Diskurses von Frauen getragen wird (Abb. 38).487 Dies erscheint besonders signifikant, da der weiblichen Bevölkerung im 18. Jahrhundert eine aktive Partizipation an politischen Entscheidungsprozessen weitgehend verwehrt
484 Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 154. Brief vom 20. 6. 1779, S. 339 [358]. 485 Ebd., S. 340 [360]. 486 Baron Roth an Baron Kaltenthal. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 33. Brief vom April 1776, S. 97 [201]. 487 Zur weiblichen Briefkommunikation siehe auch den von Anita Runge und Lieselotte Steinbrügge 1991 herausgegebenen Sammelband Die Frau im Dialog.
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blieb.488 Louise Schröder, Wilhelmine, Charlotte und insbesondere Auguste beteiligen sich rege am Briefwechsel mit politischem Inhalt. Fiekchen dagegen zeichnet sich mehr durch ihre Zärtlichkeit und Empfindsamkeit als durch ihr politisches Interesse aus. Als sich Auguste nach ihr erkundigt, charakterisiert Reizenstein die Verstorbene mit folgenden Worten: „Gewiß [sie war] ein sehr gutes Kind, von dem besten, weichsten Herzen, einer feinen Empfindung, einer sanften Denkungsart.“489 Während Fiekchens „Herz zur Empfindung geschaffen ist“490, weist Auguste durchaus sensible Züge auf, aber auch Charaktereigenschaften, die traditionell überwiegend männlichen Rollenbildern zugeschrieben werden. Über sich selbst sagt sie: „[…] [I]ch bin etwas stürmischer.“491 Reizenstein beschreibt sie in einem Brief an Schröder zunächst folgendermaßen: Wandelt sie auf den Fluren, so reizt das kleinste Gräschen ihre Aufmerksamkeit so sehr, so unterhält sie sich mit den Negern so freundlich, tröstet und ermuntert sie, sucht ihnen ihr Schicksal zu erleichtern, daß man ihren Charakter für den weichsten und sanftesten halten sollte.492
Gleichzeitig hebt Reizenstein Augustes lebhaftes Interesse an Themenbereichen hervor, die ihre Freiheitsliebe und ihren Patriotismus493 tangieren und ergänzt: Auf der anderen Seite gleicht nichts dem Feuer, in das sie entbrennt, wenn sie von der Freyheit der Amerikaner redet, oder von den Thaten eines Offizirers hört, oder Entwürfe eines Patrioten liebt. – Seht, ich sage Euch nichts von ihrer Gestalt, die einer Königin Ehre machte – nur von ihrer Seele […].494
488 Zu den Frauen zugeschriebenen Gesellschaftsrollen im 18. Jahrhunderts siehe Burmeister: Olympe de Gouges, S. 11–21; van Dülmen (Hg.): Frauenleben, S. 29–34, 121–124, 207–212, 297–302, 389–391; Frindte – Westphal: Handlungsspielräume, S. 3–16; Opitz – Weckel: Einleitung, S. 7–21; Toppe: Polizey, S. 303–322. Zu den weiblichen Geschlechterkonventionen in Amerika während der Revolutionszeit siehe Berkin: Revolutionary Mothers, S. 3–11; De Pauw: Founding Mothers, S. 1–23, 45–69; Flexner – Fitzpatrick: Century, S. 3–21; Saxton: Being Good, S. 97–171. Siehe auch Morgan: Debate, S. 215–253. Zur Politisierung von Frauen während der Französischen Revolution siehe Opitz: Aufklärung, S. 133–191. 489 Auguste an Lady Palmer. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 128. Brief vom 14. 1. 1778, S. 286 [229]. 490 Müller an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 28. Brief vom 18. 3. 1776, S. 83 [167]. 491 Auguste an Lady Palmer. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 128. Brief vom 14. 1. 1778, S. 286 [229]. 492 Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 118. Brief vom 20. 11.(/21. 11.) 1777, S. 275 [200]. 493 Zur historischen gesellschaftlichen Bedeutung und Wahrnehmung des weiblichen Patriotismus während der Amerikanischen Revolution siehe vor allem Kerber: Women, S. 69–113. 494 Reizenstein an Schröder. In: Seybold, Reizenstein. Bd. 2. 118. Brief vom 20. 11.(/21. 11.) 1777, S. 275 [200].
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Bereits in einem vorhergehenden Brief Lord Barbingtons an Auguste attestiert dieser seiner Schwester ein „Spartanisches Herz“495 und hält fest: „[…] [I]n Deiner Brust schlägt Patriotismus […].“496 Diese Leidenschaft für ihre Heimat verbindet sich Reizenstein zufolge mit einer von ihm Frauen generell zugeschriebenen Sanftheit. Ihr gegenüber vertritt er die Ansicht: „Ja wenn Sie Patriotin sind; dann glüht Römergeist auf Ihren Wangen; aber sonsten haben Sie gewiß das Sanfte, das Ihrem Geschlechte so eigen ist.“497 Wiederholt wird Augustes politische Grundeinstellung mit Motiven aus der Antike in Verbindung gebracht. Reizenstein beschreibt Müller wie sie ihren Bruder und ihn vor der Rückkehr ins Kriegsgeschehen verabschiedete: Hier stund sie vor uns hin, und faßte unsere Hand; ihr Stand war der edle Stand einer Spartanerin, die ihre Söhne ins Treffen schickt, und ihr Auge sprach Römischen Patriotismus: „Schont eures Lebens, wenn eurer Tod dem Vaterlande nichts nützt; aber dann, wenn er ihm nützt, so gebt tausend Leben hin, um das Vaterland zu retten[.]498
Augustes ausgeprägter Patriotismus, der ihrer eigenen Angabe zufolge, schwärmerische Züge aufweist, gipfelt in ihrer von ihr als größtes Kompliment verstandenen Aussage gegenüber Reizenstein, dass ihre Liebe zu ihm nicht größer sei als die Liebe zu ihrer Heimat. Wilhelmine zitiert die folgenden an den Protagonisten gerichteten Worte Augustes: „[…] Sie wissen itzt, daß ich Sie liebe, aber kaum so sehr, als mein Vaterland. Diese Aeusserung kann Ihnen nicht unangenehm seyn; denn wie schwärmerisch ich dieses liebe, wissen Sie, und wenn ich Ihnen also sage: ich liebe Sie so sehr, als mein Vaterland, so kann ich mich nicht stärker ausdrücken.“499
Wilhelmine, die diese Zeilen an Charlotte richtet, welche sich noch in Europa befindet, ist sich bewusst, dass diese Art von amerikanischer Vaterlandsliebe in den deutschen Staaten auf Befremden stoßen muss. Sie schreibt:
495 Lord Barbington an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 94. Brief vom 24. 8. 1777, S. 234 [101]. 496 Lord Barbington an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 94. Brief vom 24. 8. 1777, S. 234 [101]. 497 Auguste an Lady Palmer. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 128. Brief vom 14. 1. 1778, S. 286 [229]. 498 Reizenstein an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 130. Brief vom 15. 2. 1778, S. 291 [240 f.]. 499 Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 146. Brief vom 22. 11. 1778, S. 325 [325].
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Dieser Patriotismus, liebe Schwester! wird euch Deutschen Frauenzimmern freylich etwas fremde seyn; denn bey euch fühlen kaum die Männer einigen Patriotismus, und es ist ihnen gleichgültig, in welchem Winkel der Erde sie Brod essen, wenn sie nur zu essen haben. Hier ists ganz anders! Der Name, Vaterland, ist jedem Kolonisten Silberton ins Ohr, vermuthlich ein von England mit herüber gebrachtes Gefühl, in welchem, wie mir mein Müller sagt, am meisten unter allen Europäischen Reichen Nationalstolz herrsche!500
Das Außergewöhnliche an den Verhältnissen in der Neuen Welt ist, dass auch Frauen in den politischen Diskurs eingebunden sind. Wilhelmine beobachtet: „In weiblichen Gesellschaften wird von den gegenwärtigen Angelegenheiten so gut, und so warm und eifrig gesprochen, als in den männlichen.“501 Daher kann Auguste, deren ausgeprägtes politisches Bewusstsein sich im Briefwechsel mit Reizenstein deutlich zeigt, selbstbewusst die gegen „despotische Männer“502 gerichtete Frage stellen: „[…] [I]ch bin ein Weib; sollte ich deswegen nichts kluges über den Zustand meines Vaterlandes denken und sagen können?“503 Sie nutzt die Gelegenheit, ihre politischen Ansichten auch gegenüber den neuen europäischen Einwanderern zu vertreten. Wilhelmine berichtet über Auguste: „Neulich überraschte sie uns ganz artig mit einer politischen Idylle über den gegenwärtigen Zustand der Kolonien […].“504 Die Südstaatlerin steht damit in der Tradition realer historischer Frauenfiguren der Revolutionszeit, die in die kollektive amerikanische Memorialkultur eingegangen sind, wie Sybil Ludington (1761–1839)505, Mercy Otis Warren (1728–1814), die sich schriftstellerisch für die Positionen der Patrioten einsetzte,506 Deborah Sampson (1760–1827), die sich als Mann verkleidete, um in die Kontinentalarmee eintreten zu können,507 Lydia Darragh (1728–1789), die durch die britischen Linien
500 Ebd. Die Formulierung „Silberton ins Ohr“ erinert an die Formulierung in Schubarts Teutscher Chronik 1774 (siehe Kapitel III.9). 501 Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 147. Brief vom 22. 11. 1778, S. 325 [325]. 502 Auguste an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 137. Brief vom 20. 5. 1778, S. 304 [273]. 503 Ebd. [274]. 504 Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 154. Brief vom 20. 6. 1779, S. 339 [359]. 505 Ähnlich wie Paul Revere (s. Kapitel II), unternahm Sybil Ludington in der Nacht des 26. April 1777 einen insgesamt über 60 km langen Ritt, um amerikanische Kolonisten vor dem Heranrücken britischer Einheiten zu warnen. Siehe hierzu Bohrer: Glory, S. 1–20. 506 Siehe ebd., S. 93–124; Davies: Catharine Macaulay, S. 1–33, 180–219, 248–303; Richards: Mercy Otis Warren: S. 11–18, 121–148. 507 Siehe Bohrer: Glory, S. 179–214; Young: Masquerade, S. 93–165.
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marschiert sein soll, um George Washington vor einem bevorstehenden Angriff zu warnen508 und selbstverständlich Abigail Adams (1744–1818), die ihren Mann John Adams, einen der bedeutendsten amerikanischen Gründerväter und späteren zweiten Präsidenten der USA, daran erinnerte, bei allen politischen Umwälzungen im Zuge der Erhebung gegen das Mutterland, die Frauen nicht zu vergessen, da sie andernfalls eine eigene Rebellion starten würden.509 Es war vor allem aber auch die Erinnerung an die von Legenden umgebene und unter dem Namen „Molly Pitcher“ bekannt gewordene Patriotin, die sich tief ins kollektive Gedächtnis einprägte. Die unter diesem Namen eigentlich historisch nicht greifbare Person wurde u. a. mit Margaret Corbin (1751–1800), die im November 1776 bei der Verteidigung von Fort Washington in Manhattan gegen die unter britischem Kommando stehenden Truppen aus den deutschen Staaten half oder mit der deutschstämmigen Patriotin Mary Ludwig Hays McCauley (1754–1832) identifiziert, die im Juni 1778 in der Schlacht von Monmouth die Kontinentalarmee unterstützte. Beide Frauen versorgten jeweils die amerikanischen Truppen mit Wasser und waren sogar an der Bedienung einer Kanone beteiligt, nachdem ihre Ehemänner gefallen bzw. nicht mehr einsatzfähig waren. Während des Unabhängigkeitskrieges wurde die Bezeichnung „Molly Pitcher“ allgemein
508 Siehe Bohrer: Glory, S. 125–154. 509 In einem vielzitierten Brief vom 31. März 1776 schrieb sie an ihren Mann: „[…] I desire you would remember the Ladies, and be more generous and favorable to them than your ancestors. Do not put such unlimited power into the hands of the Husbands. Remember, all Men would be tyrants if they could. If particular care and attention is not paid to the Laidies [sic], we are determined to foment a rebellion, and will not hold ourselves bound by any Laws in which we have no voice, or Representation.“ Abigail Adams an John Adams. 31. März 1776. In: Hogan – Taylor (Hgg.): My Dearest Friend, S. 110. Ebenfalls abgedruckt in Norton: Major Problems, S. 111. Zu Abigail Adams, ihrer Formulierung der Frauenrechte und ihrer vergleichsweise bedeutenden Stellung in der Erinnerungskultur siehe Akers: Abigail Adams, S. 34–52; Heideking – Mauch: Geschichte, S. 40, 85; Holton: Abigail Adams, S. 56–181; Kerber: Women, S. 35 f., 67; Lerg: Amerikanische Revolution, S. 96; Levin: Abigail Adams, S. 67 ff.; Sawyer: Abigail Adams, S. 24–51; Wala: USA, S. 250 f.; Withey: Dearest Friend, S. 39–136. Zur Wahrnehmung der Frauen während der Amerikanischen Revolution als sog. Daughters of Liberty und danach als tugendhafte Vertreterinnen einer „Republican Motherhood“ siehe auch Barker-Benfield: Abigail and John Adams, S. 188–190, 194 f., 238–273; Berkin: Revolutionary Mothers, S. Ix-xviii, 12–65, 135–161; Booth: Women, S. 5 ff.; Boyer – Clark – Kett u. a.: Enduring Vision, S. 172, 212–214; Cogliano: Revolutionary America, S. 200–215; Cometti: Women, S. 329–346; De Pauw: Founding Mothers, S. 150 ff.; Kerber: Mother, S. 119–127; Kerber: Revolution, S. 296–305; Kerber: Women, S. 36; Lerg: Amerikanische Revolution, S. 96–102; Lutz-Esche: Bild, S. 206–222; Norton: Liberty’s Daughters, S. 3 ff.; Raeithel: Geschichte, S. 158–162; Roberts: Founding Mothers, S. 54–208; Wellenreuther: Chaos, S. 322–330. Siehe auch Jones: Legacy, S. 129–133; Norton: Impact, S. 120–129.
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für Frauen verwendet, die durch ihren Einsatz während militärischer Auseinandersetzungen, die Revolutionstruppen unterstützten.510 Gerade in der deutsch-amerikanischen Dichtung blieb die Erinnerung an „Molly Pitcher“, die als Heldin gefeiert wurde,511 sehr präsent. Der unter dem Pseudonym „Kara Giorg“ (serb. für „schwarzer Georg“) schreibende deutsch-amerikanische Autor Gustav Brühl (1826–1903) widmete ihr ein Gedicht, in welchem der Sprecher verkündet: „,Hurrah!‘ – Ein deutsches Weib hat’s getan: / Die Schlacht von Monmouth gewonnen!“512 Zu dem gleichen pointierten Urteil gelangt auch der Sprecher in einem Gedicht des Deutsch-Amerikaners Emil Doernenburg, das den bezeichnenden Titel Die Heldin von Monmouth trägt. Dort ist in der achten Strophe zu lesen: „Geschlagen der Feind und gewonnen die Schlacht, / Durch deutschen Weibes heroischer Macht! –“513 Markant ist, dass sowohl Brühl als auch Doernenburg die deutsche Herkunft der heroischen Patriotin, die durch ihr Engagement zum Erfolg des neuen Staates beitrug, akzentuieren. Über die Identität und das Selbstverständnis der als „tapfer“514 bezeichneten Molly weiß der Sprecher bei Doernenburg zu berichten: „Sie liebt ihren Mann, doch die Heimat auch, / Die alte und die neue, wie’s deutscher Brauch.“515 Von einer deutschen Herkunft seiner Heldin spricht auch das poetische Subjekt in dem patriotischen Gedicht Das Mädchen von Fort Henry (1901). Dieses stammt von dem deutsch-amerikanischen Pädagogen Heinrich Hermann Fick (1849–1935) und ist Elisabeth („Betty“) Zane (ca. 1765–1823) gewidmet, die ebenfalls von verschiedenen Legenden umgeben ist. Zane versorgte 1782 die in Fort Henry am Ohio River im heutigen West Virginia stationierten amerikanischen Soldaten während eines Angriffs von Indianern, die auf Seiten der Briten kämpften, mit Schießpulver. Diese Leistung würdigt der Sprecher in der Schlussstrophe von Ficks Gedicht mit den Worten:
510 Zu „Molly Pitcher“ bzw. den legendenhaften Umformungen im kollektiven Gedächtnis siehe Bohrer: Glory, S. 155–178; Brandt: Altar, S. 333 f.; Dodge: Molly Pitcher, S. 112–114; Polt: Molly Pitcher, S. 19–21; Raphael: Founding Myths, S. 27–44. 511 Siehe z. B. Kiorg [= Brühl]: Moll Pitcher. 5. Strophe. 1. Vers, S. 10. 512 Kiorg [= Gustav Brühl]: Moll Pitcher. 7. Strophe. 5 f. Vers, S. 10. Auch in Brühls umfangreichen Lehrgedicht zur zweihundertjährigen Jubelfeier der Deutschen in Amerika heißt es in der 17. Strophe: „Ein Weib, ein deutsches, hat gewonnen / Bei Monmouth einst die blut’ge Schlacht […].“ Giorg [= Gustav Brühl]: Lehrgedicht zur zweihundertjährigen Jubelfeier der Deutschen in Amerika. 17. Strophe. 1 f. Vers, S. 228. Siehe auch Siehe Grebner (Hg.): Die Deutschen, S. 199. 513 Doernenburg: Die Heldin von Monmouth. 8. Strophe. 7 f. Vers, S. 144. 514 Ebd. 4. Strophe. 6. Vers, S. 144. 515 Ebd. 2. Strophe. 1 f. Vers, S. 143.
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Die Maid, sie war von deutschem Blut, Das wollen wir ermessen. Wohl opfern Männer Leib und Gut, Doch auch des Weibes Heldenmut Werd’ nimmermehr vergessen.516
Berichte über den patriotischen Eifer „amazonenhafter“ amerikanischer Frauen wurden bereits im 18. Jahrhundert ebenso jenseits des Atlantiks verbreitet. Schubart druckte in seiner Zeitung im August 1775 einen Beitrag ab, der mit der Angabe „Engelland. Hier ist ein Brief von meinem Freunde W*** in London vom 22ten Julii:“517 versehenen war und folgende Anekdote über eine junge Amerikanerin und General Israel Putnam518 wiedergab: „Rahel Adams, eine wahre amerikanische Venus von 16. Jahren, versprach dem 72. jährigen General Putnam ihre Person, wenn er den ersten Sieg über die Engländer davon tragen würde. Ein Siegspreis, der mir lieber, als ein Lorbeerzweig oder ein Eichenkranz wäre.“519 Und in einer Ausgabe, die zweieinhalb Wochen später erschien, war zu lesen: „Auch die Weiber in Nordamerika wandelt der Heroismus der alten Amazonen an. Sie entflammen die Jünglinge zum Streit, und drohen ihnen, sich ihren Umarmungen zu entziehen, wenn sie nicht muthig fechten würden.“520 Nach Schubarts Verhaftung berichtete die Teutsche Chronik im Dezember 1777 in einer Mitteilung über den „Amerikaner Krieg“521: Bey dieser Beschreibung der amerikanischen Tapferkeit mag auch die Nachricht stehen, von der Standhaftigkeit und Treue der amerikanischen Weiber. Burke sagte in seiner Rede im Parlament, die sehr beissend für den Lord North soll gewesen seyn: die amerikanischen Weiber in Jersey haben ihre lezten Hemden und Windeln ihrer Kinder, da sie vorher von den Engländern seyen ausgeplündert worden, ins amerikanische Lager geschickt, die Verwundeten damit zu verbinden. Wär wirklich groß, wenn’s wahr wäre! –522
Die in diesen Beispielen zum Ausdruck kommende Vorstellung der leidenschaftlichen patriotischen Amerikanerin, die sogar bereit ist, ihr Leben für die Sache
516 Fick: Das Mädchen von Fort Henry. 8. Strophe, S. 360. 517 Schubart (Hg.): Deutsche Chronik (1775). 3. Vierteljahr. 63. Stück. 7. 8. 1775, S. [497]. 518 Zu Israel Putnam und seiner Wahrnehmung in den deutschen Staaten siehe Kapitel II. 519 Schubart (Hg.): Deutsche Chronik (1775). 3. Vierteljahr. 63. Stück. 7. 8. 1775, S. 498. 520 Ebd. 3. Vierteljahr. 68. Stück. 24. 8. 1775, S. 540. 521 [?] (Hg.): Teutsche Chronik (1777). 4. Vierteljahr. 101. Stück. 22. 12. 1777, S. 802. 522 Ebd. Bezüglich der Frage wer das Periodikum zu diesem Zeitpunkt redigierte, hielt Hans Gerd Klein fest: „Das letzte Quartal der ‚Chronik‘ vom Jahre 1777 schreibt ein neuer Redakteur, dessen Name jedoch nicht mehr festzustellen ist.“ Klein: Deutsche Chronik, S. 108.
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des Vaterlandes aufzuopfern, hat immer wieder Eingang in die deutschsprachige Amerikaliteratur gefunden. In Wilhelm Alpers Heldenbraut warnt die Protagonistin Margarethe Fick die Revolutionssoldaten vor der militärischen Bedrohung durch die Briten mit appellativen Worten: „Auf,“ rief sie, „gebt das Feldsignal, Eh’ thatenlos die Zeit entflieht! Wißt ihr, daß durch das weite Thal Der Briten Schaar verheerend zieht?“523
Einer der Militärangehörigen würdigt die Hilfe Margarethes und entgegnet: „Hab’ Dank, mein wackres Kind, hab’ Dank,“ Sprach Bromann, „für die Heldenthat. Mir ist für unser Land nicht bang, So lang es solche Töchter hat.“524
Wie Auguste gibt Margarethe an, dass die patriotische Gesinnung nicht an ein Geschlecht gebunden sei. Sie macht deutlich: „Denn gleich den Männern bergen wir / Ein Herz, das für die Freiheit schlägt / Und lieber Tod als Schmach erträgt.“ 525 Im 18. Jahrhundert waren die politischen und militärischen Betätigungsmöglichkeiten für Frauen sehr begrenzt – bis auf wenige Ausnahmen blieben sie auf eine Tätigkeit im Sanitätsbereich beschränkt. Das Verlangen einer mit der Chiffre „Themire“ bezeichneten Frau, sich dem Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee anzuschließen, kommentiert der Sprecher in Heinrich Wagners pointierten Vierzeiler An Themire, als sie unter Washinton [sic] zu dienen wünschte (G383) folgendermaßen: Wie kann doch Washinton die jungen Schönen rühren! Geläng’s dir unter ihm die Waffen je zu führen, Wie traurig wäre dann nicht Albions Geschick, Entwaffnen würdest Du sein Heer mit einem Blick.526
Obwohl Frauen der Waffendienst verwehrt blieb, wurde ihnen zeitgenössisch eine indirekte Partizipationsmöglichkeit an den jeweiligen Auseinandersetzungen zugesprochen. Sie sollten, einem Topos der Geschlechtervorstellung ent-
523 Alpers: Die Heldenbraut, S. 21. 524 Ebd. 525 Ebd., S. 23. 526 Wagner: An Themire, als sie unter Washinton zu dienen wünschte, S. 28 [G383].
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sprechend, ihre geschlechtlichen Einflussmöglichkeiten nutzen, um die männliche Bevölkerung dazu zu animieren, sich militärisch zu engagieren und die „richtige“ Seite zu unterstützen. In der letzten Szene von Heinrich Ferdinand Möllers (1745–1798) Trauerspiel Der Graf von Walltron, oder die Subordination z. B. motiviert die Gräfin ihren Ehemann mit den Worten: „Kämpfe für dein Vaterland, und stirbst du, so sollen Thränen einer stolzen Gattinn sich mit deinem Heldenblute vermischen […].“527 Eine zögerliche Haltung sollte dieser Vorstellung gemäß umgekehrt mit Liebesentzug und weiblichen Spott sanktioniert werden.528 1779 wurde in der von dem Naturforscher Johann Friedrich Wilhelm Otto (1743–1814) herausgegebenen „gemeinnützige[n] Wochenschrift“ Neueste Mannigfaltigkeiten das Lied einer Amerikanerinn (G177) publiziert, in dem die Sprecherin ihren Widerstandswillen einem imaginierten Briten gegenüber folgendermaßen artikuliert: Denn sieh! ich schwaches Mädgen ich, Ich selbst ich trotze dir, Und achte nicht der Liebe Glück Bringt sie nicht Freyheit mir!529
Das lyrische Ich erinnert an ihr Versprechen, sich dem Werben zweier Liebeskandidaten so lange zu entziehen, bis sie sich im Kampf für ihr Vaterland bewährt haben: Zween ädle Männer liebten mich Nun schon ins dritte Jahr, Und brachten Herz und Hand und Guth Für meine Liebe dar. Da schwur ich: keinem geb, ich je Nicht Kuß, nicht Herz, nicht Hand, Hat nicht sein Arm zween Sommer lang Gekämpft fürs Vaterland,530
Die Patriotin gibt an, dass diese Grundeinstellung auch von anderen jungen Frauen vertreten worden sei und eine entsprechende Wirkung auf die Männer ausgeübt habe. Sie erklärt:
527 Möller: Der Graf von Walltron. 5. Aufzug. 5. Auftritt, S. 135 f. 528 [Otto] (Hg.): Neueste Mannigfaltigkeiten, [Titelblatt]. 529 [Anonym]: Lied einer Amerikanerinn. 4. Strophe, S. 347 [G177]. 530 Ebd. 5 f. Strophe, S. 347 [G177].
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Und sieh! was ich im hohen Sinn Zu meinen Freyern sprach, Das sprach, bis hin zum breiten Fluß, Bald jedes Mädgen nach. Nun gehn zehntausend Krieger fort, Zehntausend folgen drauf, Und Liebeswuth und Freyheitssinn Beflügeln ihren Lauf.531
Die Sprecherin stellt schließlich eine Eheverbindung mit demjenigen der beiden Werbenden in Aussicht, der sich durch den mutigsten Einsatz ausgezeichnet habe und verkündet: Dann sey, von jenem ädlen Paar Das ich zu Schlacht geschikt, Der tapferste Tyrannenfeind Durch meine Hand beglükt! Mit warmer Liebe will ich dann Ihm lohnen, was er that! Und küssen jede Wund, die ihm Sein Muth geschlagen hat!532
Die topische Vorstellung der indirekten politischen Einflussnahme durch die weibliche Attraktivität findet sich auch in der späteren deutschsprachigen Literatur in der Neuen Welt. Am 18. März 1800 erschien im deutsch-amerikanischen Readinger Adler ein laut einer vorangestellten Angabe „[a]uf Verlangen eingerückt[es]“533 Gedicht (G246), das vor dem Hintergrund des politischen Antagonismus zwischen der Democratic-Republican Party und den Federalists im ersten amerikanischen Parteiensystems zu sehen ist.534 Die Verse weisen einen hohen Grad an zeitgenössischer Aktualität auf, da sich 1799 der Kandidat der Jeffersonian Republicans, Thomas McKean (1734–1817), bei der Gouverneurswahl erfolgreich gegen den Föderalisten James Ross (1762–1847) durchsetzen konnte535 und auch das folgende politische Jahr, das zur sog. Revolution von 1800 führte,536 durch
531 Ebd. 7 f. Strophe, S. 347 [G177]. 532 Ebd. 12 f. Strophe, S. 347 [G177]. 533 [Anonym]: [Auf Verlangen eingerückt.], S. [1]. 534 Siehe hierzu die Kommentare zu G222, G224, G225, G234, G237 und G238. 535 Siehe auch G238, G239, G240 und G241. 536 Siehe hierzu die Kommentare zu G401 und G403.
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die bevorstehenden Kongresswahlen und insbesondere einen erbittert geführten Präsidentschaftswahlkampf geprägt wurde. Der Sprecher, der als Anhänger der Jeffersonian Republicans identifiziert werden kann, wendet sich in einem stark appellativen Ton an die „Schönen von Geschlecht“537, d. h. die weibliche Bevölkerung. Er beschwört die Erinnerung an das Exempel der biblischen Figur Judit(h), die als patriotische Orientierungsgröße fungiert: Ihr wißt was that ein kluges Weib Bey weiland Holofernus Zeit, Sie rettete ihr Vaterland Vom ganzen Holofernus-Stand. Und so könnt ihr anjezt auch thun, Ihr Jungfern euch bitt ich darum!538
Das poetische Subjekt konstatiert die Affinität von Freiheit und weiblicher Ästhetik und animiert seine Zuhörerinnen zu einer patriotischen Rettungstat. Es erklärt: Die Freyheit liebt ja immerdar Die liebe, holde, schöne Schaar, Drum rettet noch das Vaterland Von allem Sclavenhaften-Stand!
Anschließend appliziert der Sprecher seine Ausführungen auf die zeitgenössisch aktuelle politische Situation und ruft die Frauen dazu auf, vaterlandsliebend zu handeln, d. h. die Democratic-Republican Party mit den ihrem Geschlecht zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu unterstützen und die Anhänger des Föderalisten Ross abzuweisen. Er fordert: Und machet es zu eurer Pflicht! Heyrathet keinen Roßmann nicht; Gebt keinem weder Hand noch Mund, Und machet einen festen Bund, So rett ihr noch das Vaterland, Es ist für euch gewiß kein’ Schand, Auch sag ich euch noch weiter, Gebt jedem Feind die Schleuder, Der nicht nach Freyheit schmachtet […].539
537 Ein Warwicker [= ?]: [Ihr Schönen von Geschlecht!]. 1. Vers, S. [1] [G246]. 538 Ebd. 5.–10. Vers, S. [1] [G246]. 539 Ebd. 16.–24. Vers, S. [1] [G246].
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Das poetische Subjekt spricht den Frauen, die in den Vereinigten Staaten auf nationaler Ebene bis 1920 kein Wahlrecht besaßen, trotz ihrer begrenzten politischen Einflussmöglichkeiten, in Analogie zum biblischen Vorbild, also die Rolle der Vaterlandsretterinnen zu („Drum rettet noch das Vaterland“540 und „So rett ihr noch das Vaterland,“541) und fasst seine in dieser Hinsicht gynophile Einstellung in den letzten Versen in pointierter Form noch einmal emphatisch mit den Worten zusammen: „Glück auf es sollen leben, / Die Schönen von Columbia! / Victoria! Victoria!“542 Als Animierungsentitäten für potentielle männliche Kämpfer können, allerdings in vergleichsweise seltener Form, neben Geliebten auch in einem asexuellen Verhältnis zur männlichen Figur stehende weibliche Verwandte wie Schwestern, Töchter und auch Mütter fungieren.543 Das auf den Frühling 1849 datierte, von dem Deutsch-Amerikaner Martin Drescher (1863–1918?/20?) verfasste Gedicht Die Spartanerin beschreibt wie die Mutter von Carl Schurz (1829–1906) ihren Sohn während der militärischen Auseinandersetzungen im Zuge der Märzrevolution in den Kampf entlässt. In der letzten Strophe heißt es: Und ruhig gürtet um die schlanke Hüfte Marianne Schurz dem Sohn das alte Schwert. Der neigt das Haupt – es wehn die Frühlingslüfte, Wie Segen spendend, um des Hauses Herd. Die Mutter küßt ihr Kind auf Mund und Augen, Ein letzter Gruß – der Jüngling zieht dahin Und an des Freiheitskämpfers Schritte sangen Sich stolz die Blicke der Spartanerin.544
In der Literatur bei Weitem verbreiteter ist allerdings das Motiv der weiblichen Geliebten, die ihren (potentiellen) Partner zur soziopolitischen oder militärischen Aktivität animiert. Die Veränderung des männlichen Verhaltens durch die Gewährung oder das Versagen geschlechtlicher Zuwendung erinnert selbstverständlich immer auch an die Komödie Lysistrata (UA. 411 v. Chr.) des antiken griechischen Komödienschreibers Aristophanes (ca. Mitte 5. Jh.–380er Jahre v. Chr.). In dieser entziehen sich die Frauen Athens und Spartas ihren Männern, die sich im Krieg befinden, sexuell, um den Frieden zu erzwingen. 540 Ebd. 13 f. Vers, S. [1] [G246]. 541 Ebd. 20. Vers, S. [1] [G246]. 542 Ebd. 51.–53. Vers, S. [1] [G246]. 543 Das Motiv des Sohnes, der eine Bitte seiner Mutter nicht abschlagen kann, findet sich bereits in der biblischen Wundererzählung der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1–12). 544 Drescher: Die Spartanerin. 7. Strophe, S. 119.
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Auguste möchte dagegen gerade die Beteiligung Reizensteins an den militärischen Auseinandersetzungen auf Seiten der Revolutionäre unterstützen. Sie hat ein intensives romantisches Interesse an dem Offizier, lässt es sich aber auch nicht nehmen, eine eigene politische Meinung zu vertreten und ihre patriotische Einstellung selbst über eine potentielle Verbindung mit Reizenstein zu stellen. So manifestiert sich in ihrer Person die Vorstellung der selbstbewussten Patriotin, die Staatsliebe über Partnerliebe oder allgemein die Verpflichtung gegenüber ihrer Heimat über persönliche soziale Bindungen stellt. Sie verkörpert damit die antike Eigenschaft Virtus und ist gewissermaßen das weibliche Pendant zum Vorbild des Aeneas. Allgemein lässt sich allerdings festhalten, dass die in Seybolds Briefroman entworfenen Frauenbilder im traditionellen Rollenverständnis der Zeit verhaftet bleiben.545 Politische Artikulation durch Frauen findet zwar statt, aber
545 Ein stereotypes Rollenbild wird beispielsweise evoziert, wenn sich Schröder in einem Brief an Reizenstein über das Verhalten der Frauen während der Atlantiküberquerung folgendermaßen beschwert: „[…] Du [glaubst] nicht, wie froh ich bin, daß wenigstens der gröste Theil von der Seereise vollbracht ist. Was das für eine Noth mit den Weibsleuten war! wenn eine aufgehört hatte, den Kopf, den Hals &c[etera] zu klagen, fieng die andere an.“ Schröder an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 141. Brief vom 8. 7. 1778, S. 311 [289]. Allerdings ist Louise Schröder emanzipiert genug, diesen Vorwurf nicht auf sich sitzen zu lassen, indem sie entgegnet: „Die Mode, nun immer gegen die Weiber loszuziehen, hätte der Herr in Europa zurück lassen können!“ Louise Schröder an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 141. Brief vom 8. 7. 1778, S. 311 [290]. Der Topos, dass Frauen nicht zur Seefahrt geeignet seien, wird auch in Johann Friedrich Ernst Albrechts Drama Die Kolonie aufgegriffen. So klagt Capitain Robert bereits in der Eingangsszene: „Hätte ich die Weiber am Bord gehabt, da wäre des Lamentirens so viel geworden, daß unsere braven Leute den Muth verloren hätten […]. Jungen! sagt’ ich, wir sind keine Weiber […].“ Albrecht: Die Kolonie. 1. Aufzug. 1. Auftritt, S. 3. Tatsächlich verwiesen zahlreiche Amerikareisende von den Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten auf der transatlantischen Überfahrt. Siehe hierzu allgemein auch Losch: Soldatenhandel, S. 27. So berichtete Johann Gottfried Seume in seiner autobiografischen Schrift Mein Leben über seine Seefahrt in die Neue Welt: „In dem Schiffsbrote waren oft viele Würmer, die wir als Schmalz mitessen mußten, wenn wir nicht die schon kleine Portion noch mehr reduzieren wollten: dabei war es so hart, daß wir nicht selten Kanonenkugeln brauchten es nur aus dem gröbsten zu zerbrechen; und doch erlaubte uns der Hunger selten es einzuweichen; auch fehlte es oft an Wasser.“ Seume: Mein Leben, S. 74. Insbesondere das schlechte Wasser bereitete Probleme, wie Seume festhielt: „Das schwergeschwefelte Wasser lag in tiefer Verderbnis. Wenn ein Faß heraufgeschroten und aufgeschlagen wurde, roch es auf dem Verdeck wie Styx, Phlegethon und Kocytus zusammen: große fingerlange Fasern machten es fast konsistent; ohne es durch ein Tuch zu seigen war es nicht wohl trinkbar: und dann mußte man immer noch die Nase zuhalten, und dann schlug man sich doch noch, um nur die Jauche zu bekommen. An Filtrieren war für die Menge nicht zu denken. Guten ehrlichen Landmenschen kommt dieses ohne Zweifel schrecklich vor: aber wer Feldzüge und Seefahrten mitgemacht hat, findet darin nichts ungewöhnliches.“ Ebd., S. 74 f. Zu den Beschreibungen
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eine direkte politische Partizipation ist selbst für Auguste, die trotz ihres leidenschaftlichen Patriotismus vom unmittelbaren Kriegsgeschehen immer separiert bleibt, nicht möglich. Das in dem Briefroman beschriebene amerikanische Gesellschaftsmodell erscheint hinsichtlich seiner Geschlechterrollen daher traditionell und konservativ, da Frauen weder parlamentarisch-demokratische Funktionen wahrnehmen können, noch das aktive oder passive Wahlrecht besitzen, was auch durch keine der weiblichen Figuren ernsthaft eingefordert wird.546
15 „[U]nd dann muß ich ja auch Negers kaufen […].“ Die Antwort auf den Antagonismus von Freiheitskampf und Sklavenbesitz in Seybolds Briefroman Ein ebenfalls ambivalentes Verhältnis zeigt sich im Brieforman im Hinblick auf die Sklaverei.547 Da sich Barbingtonhouse im agrarisch-idyllischen Süden be-
Seumes siehe auch [Anonym]: Friedrich II[.], S. 64–66; Uhlendorf: Some unpublished Poems, S. 322. Ähnlich hielt der Offizier Heinrich Anton Heringen, der die hessischen Subsidientruppen begleitete, fest: „Wir litten endlich an den nothwendigsten Dingen Mangel, die Offiziers selbst, denn wir hatten uns auf ein so lange Reise nicht vorbereitet. […] [V]orzüglich litten wir an Wasser. Es war nicht nur stinkend geworden, sondern es hatte überhaupt einen häßlichen Geschmack […].“ [Heringen]: Schreiben eines Hessischen Officiers d. d. Long Island den 1. September 1776, S. 4854. Die schlechte Trinkwasserqualität beklagte ebenso Johann Conrad Döhla, der notierte: „Das Schlimmste war, daß auf den Schiffen kein gutes Trinkwaßer ist, sondern es wuchsen mehrerntheils kleine Würmer darinnen, weil es faul und stinckend ist.“ Döhla: Tagebuch. Eintrag 28. 3. 1777, S. 24. Und der hessische Offizier Heinrich von Bardeleben trug in sein Tagebuch ein, dass das „Wasser ganz stinkend und auch sehr wenig“ ([Bardeleben]: Tagebuch. Eintrag 11. 8. 1776, S. 56) gewesen sei. Er klagte: „Das ganze Essen hatte den widrigsten Geruch von dem Wasser, worinnen es gekocht worden, angenommen.“ Ebd. Eintrag 31. 5. 1776, S. 39 f. Zu den transatlantischen Überfahrten im 18. Jahrhundert siehe Berry: Path, bes. s. 50 ff.; Grabbe: Flut, S. 285–331, bes. S. 315 f. 546 So scheint es fragwürdig, ob z. B. jede der im Roman beschriebenen Frauenfiguren bereit wäre, progressive emanzipatorische Werte wie sie historisch wenige Jahre später etwa von Olymp de Gouges (1748–1793) während der Französischen Revolution formuliert wurden (Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne [1791]), zu unterstützen. Zu de Gouges, ihrem Frauenbild und der emanzipatorischen Bewegung während der Französischen Revolution siehe auch Blanc: Marie-Olympe de Gouges, S. 104–164; Burmeister: Olympe de Gouges, S. 39 ff.; Doormann: Feuer, S. 104–118; Kestenholz: Gleichheit, S. 11–60; Kruse: Französische Revolution, S. 134–148; Mousset: Women’s Rights, S. 1 ff.; Noack: Olympe de Gouges, S. 107–115; Proctor: Women, S. 110– 130; Schröder (Hg.): Olympe de Gouges, S. 7–9, 80–100; Scott: Woman, S. 102–120. 547 Bezüglich der Beschäftigung der zeitgenössischen fiktiven Literatur mit dem Thema Sklaverei hielt Harold Jantz fest: „[…] [D]as allgemeine Problem der Negersklaverei [wurde] viel öfter im Drama als im Roman der Zeit behandelt.“ Jantz: Amerika, Sp. 334.
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findet,548 stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Romanfiguren zum System der Sklaverei, welches stark in das Gesellschaftsmodell des Südens implementiert war.549 In den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts lebten bei einer Gesamteinwohnerzahl von etwa 2,2 Mio. Menschen550 schätzungsweise 460.000 Sklaven in den Dreizehn Kolonien, die im Süden einen großen Teil der Bevölkerung ausmachten.551 Gerade South Carolina, wo Barbingtonhouse lokalisiert ist, wies nach der bevölkerungsstärksten Kolonie Virginia die meisten Sklaven auf (Abb. 39). Gemessen an der Gesamtbevölkerung hatte South Carolina mit schätzungsweise 61 % sogar den bei Weitem größten Sklavenanteil unter den Dreizehn Kolonien (Abb. 40).552 Die in den Südstaaten euphemistisch als sog. Peculiar Institution553 bezeichnete Sklaverei stellte in der Revolutionszeit einen bedeutenden Teil der amerikanischen Realität dar. Obwohl persönliche Freiheitsrechte in politischen Dokumenten der Zeit, wie in der Virginia Declaration of Rights von 1776 und der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, unter den Schlagwörtern von „Life, Liberty and the pursuit of Happiness“554, als integrale Elemente der menschlichen Existenz mit
548 Barbingtonhouse ist im Backcountry angesiedelt, während sich die Sklaverei in South Carolina vor allem auf die Gebiete des Lowcountry konzentrierte, wo 1768 etwa 87 % aller Sklaven der Kolonie lebten. Vgl. Morgan: Black Society, S. 85. Der große Anteil von nichteuropäischstämmigen Einwohnern an der Gesamtbevölkerung in den südlichen Staaten fiel auch den deutschen Subsidiensoldaten auf. Am 31. Mai 1780 notierte Döhla über die damals größte Stadt im Süden der USA, Charles Town (Charleston), in der etwa die Hälfte der Einwohner Sklaven waren: „Charlestaun wimmelt von Negern, Mulatten und Mestizen, ihre Zahl übersteigt weit die der weißen Einwohner, sie werden aber unter scharfer Zucht und Ordnung gehalten, und die Polizey hat ein wachsames Auge über sie.“ Döhla: Tagebuch. Eintrag 31. 5. 1780. Exkurs Charles-Town, S. 167 f. Zur Sklaverei im Lowcountry während der amerikanischen Revolution siehe Olwell: Masters, S. 221–269. Zur Sklaverei in der Revolutionszeit in den Staaten des tiefen Südens (Georgia sowie North und South Carolina) siehe Egerton: Death, S. 148–168. 549 Zur Bedeutung der Sklaverei für den Süden allgemein siehe z. B. Stampp: Peculiar Institution, S. 3–33. Zur Sklaverei in den Kolonien während der Amerikanischen Revolution siehe Berlin: Generations, S. 99–157; Littlefield: United States, S. 201–226. 550 Vgl. Berlin: Generations, S. 272–274. Siehe auch Sautter: Die Vereinigten Staaten, S. 105 f. 551 In den 60er und 70er Jahren des 18. Jahrhunderts hatte der Anteil der Afroamerikaner mit etwa 21,4 % an der Gesamtbevölkerung seinen bis dahin größten Stand erreicht. Vgl. MacLeod: Slavery, S. 62, 203 f. Siehe auch Butler: Affirmative Action, S. 198. 552 Zum Umfang und zur Bedeutung der Sklaverei in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in South Carolina siehe Wood: Country, S. 131–171. Zur Sklaverei in Georgia und South Carolina während der Amerikanischen Revolution siehe Young: Domesticating, S. 57–90. 553 Siehe hierzu auch Boyer – Clark – Kett u. a.: Enduring Vision, S. 338 554 Siehe In Congress, July 4, 1776. A Declaration by the Representatives of the United States of America, in General Congress Assembled, S. [145].
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Nachdruck postuliert wurden, waren afroamerikanische Sklaven hiervon ausgenommen. Diese Situation führte zu einer populärwissenschaftlich pointiert als „schizophren“ bezeichneten Gesellschaftsordnung.555 Zahlreiche Gründerväter wie George Washington auf seinem Landsitz Mount Vernon in Virginia556 und Thomas Jefferson, der ebenfalls aus Virginia stammte und nach dem Tod seiner Frau Martha (geb. Wayles; 1748–1782) sogar eine Liebesbeziehung zu einer seiner Sklavinnen, Sally Hemings (ca. 1773–1835), unterhielt und wie eine 1998 durchgeführte DNAAnalyse ergab,557 auch Kinder mit ihr zeugte,558 waren Sklavenbesitzer.559 Dieser paradox anmutende Antagonismus von Freiheitskampf gegen die als Oppressoren wahrgenommenen Briten auf der einen und Unterdrückung der versklavten schwarzen Bevölkerung auf der anderen Seite wurde auch von der zeitgenössischen europäischen Beobachtern konstatiert. So schrieb ein anonymer Autor eines 1793 in der Berlinischen Monatsschrift abgedruckten Beitrages: Freiheit! allgemeine Freiheit! … Sonderbar fallen doch diese Worte auf, wenn man sie von Amerika hört. Dieser Welttheil sah den hartnäckigsten und glücklichsten Kampf um dies gepriesene Gut; und sieht zugleich das Gegentheil desselben in weit empörenderer Gestalt, als wir es in Europa kennen. Während man dort die geringste Beeinträchtigung für tyrannischen Hochverrath gegen die Menschheit hielt, zu dessen Abwendung man kein Blut scheuen müsse; konnte man Menschen wie Thiere kaufen, verkaufen, und behandeln. Der Held der Freiheit, der edle Republikaner, Washington, hat einen sehr zahlreichen Haufen von Negersklaven … So inkonsequent ist der Mensch!560
555 Siehe hierzu auch Losch: Soldatenhandel, S. 27. 556 Der kinderlos verbliebene spätere erste amerikanische Präsident verfügte allerdings, dass nach seinem Ableben und dem Tod seiner Frau, alle Sklaven, die sich in seinem Besitz befanden, in die Freiheit entlassen werden sollten. Vgl. Heideking: George Washington, S. 63 f. 557 Siehe Foster – Jobling – Taylor u. a.: Jefferson, S. 27 f. 558 Siehe hierzu Gordon-Reed: Hemingses, S. 586 ff. Jefferson, dessen Schriften durch aufklärerisches Gedankengut gekennzeichnet sind, war ein prinzipieller Gegner der Sklaverei, obwohl er bei seinem Tod etwa 200 Afroamerikaner auf seinem berühmten Gut Monticello besaß, von denen er nur wenige in die Freiheit entließ. Vgl. Mosley: Family, S. 141; Wasser: Herrenrecht, S. 185; Wasser: Vision, S. 77 f. Siehe auch Cogliano – Phimister (Hgg.): Revolutionary America, S. 122. Eine von ihm in einem ersten Entwurf der Unabhängigkeitserklärung eingebrachte Passage, die den Sklavenhandel verurteilte, wurde auf Initiative der Verfechter der Sklaverei aus dem Dokument gestrichen. Vgl. Adams: Thomas Jefferson, S. 76; Cogliano – Phimister (Hgg.): Revolutionary America, S. 122 f.; Davis: Problem, S. 24, 176; Lerg: Amerikanische Revolution, S. 90 f.; Maier: American Scripture, S. 146 f.; Overhoff: Friedrich der Große, S. 294 f. Zu Sally Hemings siehe Kukla: Women, S. 115–141. 559 Zu der Spannung von Freiheitspostulat und gleichzeitigem Sklavenbesitz am Beispiel Jeffersons siehe auch Wasser: Herrenrecht, S. 173–201. 560 [Anonym]: Ueber Imlay’s Beschreibung von Kentucky, S. 408 f. Siehe hierzu auch Fink: Revolution, S. 549.
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In Gottlieb Conrad Pfeffels Lied eines Negersklaven konfrontiert der afrikanische Sprecher den Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee mit dem Vorwurf der Bigotterie. Pointiert fragt er in der achten Strophe: Trozig wirft das Sklavenjoch Washinton vom Löwennacken. Und der Heuchler hält sich doch Tausend Sklaven, die ihm hacken?561
Das lyrische Ich macht in diesem Gedicht auf die vergebene Chance der Sklavenemanzipation aufmerksam, die auch den Patrioten genutzt hätte, da diese mit Unterstützung der befreiten Schwarzen bereits die Truppen der britischen Generäle William Howe und Hugh Percy (1742–1817) besiegt hätten: Kühne Pflanzer, hättet ihr Uns mit euch für frei erkläret; Howe trozte nicht mehr hier, Percy wäre heimgekehret.562
Gerade deutschsprachige Beobachter nahmen überwiegend eine ablehnende Haltung gegenüber der Sklaverei ein.563 In Europa gehörte Schubart zu den 561 Pfeffel: Lied eines Negersklaven. 8. Strophe, S. 42 [G141]. Äußerst negativ betrachtete auch Carl Andreas Kier(r)ulf (gest. 1838) Washingtons Rolle als Sklavenbesitzer. In seinen allgemein sehr kritischen Bemerkungen über die berühmtesten Männer des Freistaats in Nordamerika, die im Jahre 1800 in der von dem Historiker Karl Ludwig (von) Woltmann (1770–1817) herausgegebenen Zeitschrift Geschichte und Politik erschienen, bezeichnete er den amerikanischen Staatsmann als geizig (siehe Kierrulf: Bemerkungen über die berühmtesten Männer des Freistaats in Nordamerika, S. 117) und „despotisch“ (ebd., S. 119). Außerdem behauptete er: „Auf seinen Gütern ist er von den unglücklichsten Sklaven umringt: fast nackt unter einem kalten Himmel, und durch die übrige grausame Behandlung, welche sie leiden, sind seine Negern die bedauernswürdigsten in Virginien; und das sagt ungeheuer viel!“ Kierrulf: Bemerkungen über die berühmtesten Männer des Freistaats in Nordamerika, S. 117. Zur zeitgenössischen Rezeption Washingtons als Sklavenbesitzer siehe auch Graf von Burkhausen: [Washington], S. 401. Zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Frage des Verhältnisses von Washington zur Sklaverei siehe Herre: Amerikanische Revolution, S. 130. 562 Pfeffel: Lied eines Negersklaven. 9. Strophe, S. 42 [G141]. 563 Dies korrespondiert mit der zeitgenössisch verbreiteten Selbstwahrnehmung. In Friedrich Leopold Graf zu Stolberg[-Stolbergs] (1750–1819) Ode Mein Vaterland (G83) behauptet das lyrische Ich in der neunten Strophe: Nach fernem Golde dürstete nie Der Deutsche, Sklaven fesselt’ er nie; Immer ein Schild des Verfolgten, Und des Drängenden Untergang! Stolberg[-Stolberg]: Mein Vaterland, an Klopstock. 9. Strophe, S. 102 [G83].
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schärfsten und öffentlichkeitswirksamsten Kritikern.564 In seiner Zeitung machte er in emphatischer und unverblümter Sprache 1776 auf das „unmenschliche[] Betragen[]“565 der „barbarischen vom Teufel der Gewinnsucht besessenen Europäer“566 aufmerksam. Und auch nach seiner Haftentlassung fragte er in der Ausgabe vom 8. Mai 1789 seiner Vaterlandschronik: „Wie viele 1000 schwarze Männer und Weiber und Kinder ächzen noch unter der tirannischen Geisel der sogenannten Christen aus Europa!“567 Seinen tief empfundenen Wunsch nach einer Emanzipation aller unterdrückter und unfreier Menschen brachte er mit folgenden expressiven Worten deutlich zum Ausdruck: „O möchten die Tage einmal erscheinen, wo eine Stimme aus dem Himmel dem ganzen menschlichen Geschlechte zuriefe: Du bist frei!“568 Wilhelm Ludwig Wekhrlin, der in Bezug auf den Kauf und Verkauf von Schwarzen von „diese[m] unseeligen Handel[]“569 sprach, verurteilte diesen ebenfalls deutlich. In seinem Journal Das graue Ungeheuer bekannte er 1784: „Die Frage ist nicht mehr von der Moral des Negerhandels. Es ist ausgemacht, daß er einer der abscheulichsten und verhaßtesten Zweige der europäischen Industrie ist: ein Handel, der die Natur entehrt, und der von der Religion, so wie von der Politik, verflucht seyn sollte.“570 Immer wieder wurde in poetischen Texten auf die mit der Sklaverei verbundenen Grausamkeiten hingewiesen. Im 1784 publizierten Lied eines Negersklaven in Amerika (G354) von Anselm Elwert (1761–1825) z. B. ruft das lyrische Ich, ein aus Afrika entführter Schwarzer, in ausdrucksstarken Bildern: Lasten zum Erdrücken, Sind mir aufgelegt. Blut färbt meinen Rücken, Wenn die Geißel schlägt.571
Ähnlich heißt es in Pfeffels Der Herr und der Sklave (1796) über die Behandlung eines wie ein Zugtier für einen Wagen eingespannten Sklaven durch seinen Besitzer:
564 Siehe hierzu auch Wertheim – Böhm: Einleitung, S. XXIII. 565 Schubart (Hg.): Teutsche Chronik (1776). 3. Vierteljahr. 57. Stück. 15. 7. 1776, S. [449] [Schubart: Werke, S. 90]. 566 Ebd. [Schubart: Werke, S. 91]. 567 Schubart (Hg.): Vaterlandschronik (1789). 1. Halbjahr. 37. Stück. 8. 5. 1789, S. 310. 568 Ebd., S. 311. 569 Wekhrlin (Hg.): Das graue Ungeheuer 1 (1784), S. 253. 570 Ebd., S. 251. Zu Wekhrlins mehrschichtigen Haltung bezüglich der Sklaverei siehe allerdings auch Walz: Three Swabian Journalists [4,3/4 (1902)], S. 289. 571 E[lwert]: Lied eines Negersklaven in Amerika. 4. Strophe, S. 89 [G354].
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Bald jagt des Treibers Stimme Und Arm mit gleichem Grimme Den Sklaven wie das Roß. Umsonst war Flehn und Klagen, Er hört nicht auf zu schlagen, Bis ihm das Blut vom Nacken floß.572
Johann Christoph Krausenecks Gedicht Zween Neger (1778; G353) wird sogar mit der tödlich endenden Mißhandlung eines schwarzen Sklaven durch seinen Besitzer eingeleitet. Die ersten Verse lauten: Ein Neger, dessen Fleiß dem Geize nicht entsprach, Ward einst von seinem Herrn, bis daß er starb, geschlagen; Da half kein Winseln, half kein Ach Des Freunds, der gleiche Last mit ihm getragen.573
Einen Höhepunkt erreicht die Beschreibung der an Sklaven verübten Gewalttätigkeiten in Faustin oder das philosophische Jahrhundert von Johann Pezzl. Darin ist über das Schicksal von versklavten Kindern, die von den Händlern nicht verkauft werden können, zu lesen: Die Sklavenhändler boten ihm auch die Kinder an; aber er wollte sie nicht, und so wurden die unglüklichen Geschöpfchen – abscheuliche Grausamkeit!!! – ohne weiters auf den glühenden Sand hingeworfen, wo sie sich eine Weile wie zertrettne Würmchen krümmten, und bald vor unausstehlicher Sonnenhitze verschmachteten. Durch ihr Geschrei wurden ein paar hungrige Tiger herbeigelokt, und diese frassen sie in wenig Minuten vor den Augen ihrer Väter und Mütter auf. Faustin wußte sich beinahe nicht mehr zu fassen. Er zitterte so sehr, als ob er selbst verkauft werden sollte.574
Fiktionale Darstellungen der amerikanischen Sklaverei konnten sich auf Berichte von Reisenden berufen, in denen die grausamen Auswirkungen des Menschenhandels und -besitzes eindringlich festgehalten wurden. Michel Guillaume Jean de Crèvecoeur (1735–1813), der einen großen Teil seines Lebens in Nordamerika verbrachte, wo er den Namen John Hector St. John annahm,575 beschrieb in seinen Letters from an American Farmer (1782), die einen großen Einfluss auf die zeitgenössische Rezeption der Neuen Welt in Europa ausübten und unter dem Titel Briefe
572 Pfeffel: Der Herr und der Sklave. 4. Strophe, S. 120 f. 573 Krauseneck: Zween Neger, S. 266. 574 [Pezzl]: Faustin oder das philosophische Jahrhundert, S. 267 f. 575 Zu De Crèvecoeur/St. John siehe auch den Kommentar zu G347.
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eines Amerikanischen Landmannes (1788/89) in einer deutschsprachigen Übersetzung erschienen, u. a. auch die unmenschliche Behandlung eines afroamerikanischen Sklaven in South Carolina.576 In der Übersetzung heißt es: „Die folgende Szene, davon ich ein Augenzeuge gewesen bin, hat mich dergestalt erschüttert, daß sie die vielleicht zu finstern und melancholischen Betrachtungen, die ich darüber anstelle, desto eher entschuldigen werden.“577 Der Autor erinnerte sich: Bey meiner letzten Reise nach Südkarolina wurde ich von einem Pflanzer, der sieben Meilen von der Stadt *** wohnte, zur Mahlzeit gebeten. […] In einer Entfernung von ungefähr vier Ruthen ward ich eine Art von Käfig gewahr, der an einem Zweige aufgehängt zu seyn schien, und ganz mit Raubvögeln bedeckt war. […] Die Vögel flogen mit einem gräßlichen Geschrey nicht weit weg. – Und ich! denken Sie sich mein Entsetzen – Am ganzen Körper zittre ich noch, wenn ichs wiederhole. – Was meynen Sie, was ich in dem Käfig sahe? Einen Neger, der hier aufgehenkt, und verurtheilt war, darinn zu verhungern. Die Vögel hatten ihm schon die Augen ausgehackt, und das Fleisch von den Kinnbacken gerissen. Arme und Beine auch schon halb zerfleischt. Der Körper fast eine Wunde, und unter dem Käfig hatte das Blut, das langsam aus seinen Wunden floß, die Erde gefärbt.578
Seine Reaktion auf das Gesehene gab de Crèvecoeur/St. John mit den Worten wider: „Ich stand vor Schreck und Erstaunen wie versteinert. Meine Sinne starrten; meine Glieder zitterten; meine Nerven bebten. So stand ich, und betrachtete das entsetzliche Schicksal dieses Menschen in seiner ganzen Abscheulichkeit.“ 579 De Crèvecoeur/St. John erkundigte sich nach den Gründen für die über den afroamerikanischen Gefangenen verhängte grausame Strafe und notierte: Man sagte mir ganz gelassen: dieser Neger hätte den Aufseher der Plantage, worauf er gearbeitet hätte, getödtet, und was ich gesehen, wäre dafür die gewöhnliche Strafe. Da ich nach den Ursachen fragte, welche ihn zu diesem Mord bewegt hätten; so hieß es: die Eifersucht. […] Der Intendant hatte ihm seine Geliebte entführt.580
576 Der hier widergegebene Auszug aus de Crèvecoeurs/St. Johns Briefen wurde u. a. in Schubarts Vaterlandschronik (Schubart (Hg.): Vaterlandschronik (1788). 2. Halbjahr. 91. Stück. 11. 11. 1788, S. 741–744) sowie in dem von Johann Wilhelm von Archenholz herausgegebenen Journal Neue Litteratur und Völkerkunde (J[ohann] W[ilhelm] v[on] Archenholz (Hg.): Neue Litteratur und Völkerkunde 2 (1788). 2. Band, S. 214–217) abgedruckt. 577 [de Crèvecoeur/St. John]: Briefe eines Amerikanischen Landmanns an den Ritter W[illiam] S[eton]. Bd. 2, S. 428. 578 Ebd., S. 430. 579 Ebd., S. 431. 580 Ebd., S. 433 f.
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Pezzl, dem der Bericht von Crèvecoeur/St. John bekannt gewesen sein könnte, lässt in seinem Roman, in dem die Sklaverei als „himmelschreiende Schandthat!!!“581 und „satanische Greuelthat!!!“582 gebrandmarkt wird, den Erzähler eine religiös fundierte Ablehnung der Sklaverei artikulieren. So werden die „Sklavenhändler und Konsorten“583 als „die wahren, die einzigen Atheisten“584 bezeichnet. Damit greift der Text einen fundamentalen Aspekt der zeitgenössischen abolitionistischen Argumentation auf. Viele Sklavereigegner beriefen sich auf die christliche Ethik und Moral, um den Handel mit Menschen als Unrecht und Sünde zu verurteilen (s. o.). Unter den religiösen Aktivisten in Nordamerika wurden besonders die Quäker als dezidierte Sklavereigegner bekannt. 1780 wurde in Philadelphia eine kompilierte Beschreibung der religiösen Gemeinschaft mit dem Titel Short Account of the People Called Quakers publiziert, die von dem aus einer französischen Hugenottenfamilie stammenden und in die Neue Welt ausgewanderten Abolitionisten und Pädagogen Anthony Benezet (eigentlich: Antoine Bénézet; 1713–1784) stammte. In der drei Jahre später erschienenen deutschsprachigen Übersetzung585 konnte man dort in Bezug auf die Sklaverei lesen: Die Sclaverey, so schon seith vielen Jahren her in America eingeführt,und durch einen greulichen und strafbaren Handel aus Europa und America mit vestgesetztem Vorhaben die Neger aus Africa einzuhandeln und zur ewigen Sclaverey zu verkaufen oder zu halten, fortgesetzt worden, ist eine der allergrößten Uebelthaten, die sich unter denen sogenannten Christen befindet.586
581 [Pezzl]: Faustin oder das philosophische Jahrhundert, S. 270. 582 Ebd. 583 Ebd., S. 279. 584 Ebd. 585 Anton [Anthony] Benezet: Kurzer Bericht von den Leuten, die man Quäker nennet; Ihrem Ursprung, ihren Religionsgründen, und von ihrer Niederlassung in America. Meistentheils aus verschiedenen Autores zusammen gezogen, zum Unterricht aller aufrichtigen Nachforscher, und insonderheit für Ausländer. Philadelphia/Pennsylvania 1783. 586 Ebd., S. 37. 1763 wurde bereits in der Ephrata-Gemeinde in Pennsylvania eine deutschsprachige Übersetzung einer Schrift Benezets gedruckt, die schon in der Überschrift die positive Haltung des Autors Schwarzen gegenüber erkennen lässt und folgendermaßen lautet: Eine kurtze vorstellung des theils von Africa, welches bewohnt wird von Negroes, darinnen beschrieben wird die fruchtbarkeit desselben Landes, die gutartigkeit dessen einwohner und wie man daselbst den sclavenhandel treibt. Zweymal in Engländischer sprache und nun zum drittenmal, und das der Hoch-teutschen Nation zur mitleidendlichen betrachtung des Zustandes ihrer armen mit-geschöpfen in ihrer Sprache heraus gegeben. Ephrata Druck der Societät auf Kosten etlicher freunden. Siehe hierzu auch Seidensticker: The First Century, S. 61.
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Der Autor akzentuierte die mit außergewöhnlichem Engagagement verfolgte Intention der Quäker, sich gegen die Sklaverei zu stellen und betonte: „Diese gottselige Gesellschaft der Quäker hat sich dieser armen Sclaven ganz besonders angenommen, sie hat ihre Mitglieder dazu bewogen, daß sie sich nicht mit diesem infamen Handel einlassen, auch denselben nicht billigen sollen[.]“587 Und weiter gab Benezet an: „[S]ie haben auch ihren Mitgliedern, die einige von diesen unterdrückten Leute halten, anbefohlen, sie unverzüglich auf freyen Fuß zu setzen, mit dem Bedeuten, daß wer sich nicht dazu verstehen will, der soll aus der Gemeine gestossen werden.“588 Das abolitionistische Engagement der amerikanischen Quäker wurde noch im deutschsprachigen Raum in Europa wahrgenommen. So schrieb z. B. Herder im 115. seiner Briefe zur Beförderung der Humanität: Die Quacker […] bringen von Penn an, eine Reihe der Verdienstvollesten Männer in Erinnerung, die zum Besten unsres Geschlechts mehr getan haben, als tausend Helden und pomphafte Weltverbesserer. Die tätigsten Bemühungen zu Abschaffung des schändlichen Negerhandels und Sklavendienstes sind ihr Werk[.]589
Im Folgenden griff der Geistliche den Aspekt der Menschlichkeit auf und erklärte in einer religiösen Sprache: Eine Geschichte des aufgehobenen Negerhandels und der abgestellten Sklaverei in allen Weltteilen wird einst ein schönes Denkmal im Vorhofe des Tempels allgemeiner Menschlichkeit sein, dessen Ban [sic] künftigen Zeiten bevorstehet; mehrere Quacker-Namen werden an den Pfeilern dieses Vorhofes mit stillem Ruhm glänzen.590
Unter diesem Vorzeichen verfasste Herder eine 1797 in seinen Briefen publizierte Ballade mit dem Titel Der Geburtstag (G355). In dieser schenkt ein Warner Mifflin (1745–1798) nachempfundener Quäker einem schwarzen Sklaven die Freiheit und erkklärt dabei: […] Die Freiheit ist Das höchste Gut. Gott ist der Menschen, nicht Allein der Weißen Vater. Gäb’ er doch In aller meiner Brüder Sinn und Herz, Nach Afrika zu handeln, nicht daraus
587 Benezet (Übers.): Kurzer Bericht von den Leuten, die man Quäker nennet, S. 37 f. 588 Ebd., S. 38. 589 Herder: Briefe zur Beförderung der Humanität. 10. Sammlung. 115. Brief, S. 695. 590 Ebd., S. 696.
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Euch zu entwenden, Euch zu kaufen und Zu quälen! […]591
Die pazifistische und abolitionische Grundhaltung der Quäker wird auch von Pfeffel in seinem Lied eines Negersklaven (s. o.) thematisiert. In der zwölften Strophe singt das lyrische Ich: Dann schließt einen ehrnen Kreis Um des Quakers fette Saaten, Welcher nichts von Sclaven weiß, Nichts von Pfaffen und Soldaten!592
Viele Deutsche vertraten nicht nur eine generell abolitionische Grundeinstellung, in Nordamerika waren von Anfang an insbesondere deutschsprachige Siedler in Pennsylvania an der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei aktiv beteiligt.593 1688 initiierte Franz Daniel Pastorius (1651–1719/20), der fünf Jahre zuvor mit Germantown die älteste deutsche Siedlung in Nordamerika gegründet hatte,594 in Verbund mit drei Quäkern die in englischer Sprache verfasste sog. Germantown Quaker Petition Against Slavery. In der Schrift, die als ältester öffentlicher Protest gegen die Sklaverei in Nordamerika gilt,595 heißt es:
591 Herder: Der Geburtstag. 34.–40. Vers, S. 36 [G355]. Mit der Sklaverei beschäftigen sich auch Herders Gedichte Die Brüder und Die rechte Hand, in dem z. B. von einem „edle[n] Neger“ (Herder: Die rechte Hand, S. 676) die Rede ist. Siehe hierzu auch Löchte: Johann Gottfried Herder, S. 106. 592 Pfeffel: Lied eines Negersklaven. 12. Strophe, S. 43 [G141]. 593 Siehe hierzu Brandt: Altar, S. 97–100. Dennoch ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass in zeitgenössischen deutsch-amerikanischen periodisch publizierten Publikationsorganen regelmäßig Anzeigen erschienen, in denen Sklaven zum Verkauf angeboten wurden. In Henrich Millers Der Wöchentliche Philadelphische Staatsbote z. B. wurde am 13. Juni 1763 unter dem Titel „Eine Negerin zu Verkaufen“ ([Anonym]: Eine Negerin zu Verkaufen, S. [3]) folgende Bekanntmachung publiziert: „Es ist eine artige Negerin zu Verkaufen, von etwa zwanzig Jahren, welche die Purpeln und Masern gehabt hat, und keines Fehlers wegen verkauft wird. Sie ist geschickt Stadt- oder Land-Arbeit zu thun; und kan besonders gut Kochen und Waschen. Man kan sich wegen ihrer erkundigen bey William Carson, Perückenmacher, im zweyten Hause oberhalb der Castanien- oder Chestnut-strasse, in der Front-strasse, zu Philadelphia.“ Ebd. Siehe auch die Anzeige „Verkaufung einer jungen Negerin.“ ([Anonym]: Verkaufung einer jungen Negerin, S. [3]) am 1. Oktober 1764 in Millers Zeitung sowie „Neger- [et cetera] Versteigerung“ (Tea – Tea: Neger[et cetera] Versteigerung, S. [4]) am 18. März 1765. 594 Zu Pastorius und der Gründung von Germantown siehe den Kommentar zu G350. Siehe außerdem Learned: Life; Seidensticker: Bilder, S. 34–58, 72–81. 595 Siehe hierzu Carey: Peace, S. 70 ff.; Seidensticker: Bilder, S. 67–71; Seidensticker: Erste Deutsche Einwanderung, S. 80–84.
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Now tho’ they are Black; we can not conceive, there is more Liberty to have them slaves, as it is to have other white ones. There is a saying, that we shall doe to all men, licke as we will be done our selves; macking no difference of what generation, descent or Colour they are. and [sic] those who steal or robb men, and those who buy or purchase them, are they not a licke? Here is liberty of Conscience, w[i]ch is right & reasonable; here ought to be lickewise liberty of ye body, except of evildoers, w[i]ch is an other case. But to bring men hither, or to robb and sell them against their will, we stand against.596
Die Petition verglich die Situation der Schwarzen in Pennsylvania mit derjenigen unterdrückter Weißer in Europa: „In Europe there are many oppressed for Conscience sacke; and here there are those oppresse, w[hi]ch are of black colour.“597 Pastorius, der mehrere Sprachen beherrschte und ausgesprochen gebildet war,598 verlieh seinen abolitionistischen Überlegungen mit folgendem vielzitierten deutschen Gedicht auch in lyrischer Form Ausdruck: Allermaßen ungebührlich Ist der Handel dieser Zeit, Daß ein Mensch so unnatürlich Andre drückt mit Dienstbarkeit. Ich möcht einen solchen fragen, Ob er wohl ein Sklav möcht sein? Ohne Zweifel wird er sagen: Ach bewahr mich Gott! Nein, Nein!599
Auf Englisch verfasste Pastorius die Verse: If in Christ’s doctrine we abide, Then God is surely on our side, But if we Christs’s precepts transgress, Negroes by slavery oppress, (Two evils which to Heaven cry) And White ones grieve by usury, We’ve neither God nor Christ his son, But straightways travel hellwards on.600
596 [Germantown Quaker Petition Against Slavery], S. 74. 597 Ebd. 598 Alexander Waldenrath notierte in diesem Zusammenhang: „[…] [Pastorius] is considered by many to have been the most educated man in Pennsylvania in his day […].“ Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 52. 599 Pastorius: [Allermaßen ungebührlich], S. 101 [G350]. 600 Ders.: [If in Christ’s doctrine we abide], S. 101. Siehe hierzu auch Uhlendorf: German-American Poetry, S. 130.
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Deutlich zeigt sich hier die feste Überzeugung, dass die Sklaverei im Widerspruch zur christlichen Lehre steht und in diesem Sinne einen Verstoß gegen den göttlichen Willen darstellt. Durch einen intensiven religiösen Bezug ist ebenfalls Matthias Claudius’ (1740–1815) 1773 publiziertes Gedicht Der Schwarze in der ZuckerPlantage gekennzeichnet, das Gerhard Desczyk als „rührendes Klagelied“601 bezeichnete. In diesem klagt das poetische Subjekt, das schließlich um metaphysischen Beistand bittet: Weit von meinem Vaterlande Muß ich hier verschmachten und vergehn, Ohne Trost, in Müh’ und Schande – Ohhh die weissen Männer, klug und schön! – – Und ich hab den Männern ohn’ Erbarmen Nichts gethan – Du im Himmel! hilf mir armen Schwarzen Mann.602
Und in Elwerts Lied eines Negersklaven in Amerika ermahnt der Sprecher, der seinen menschlichen Status und seine Würde akzentuiert („Bin ein Mensch, wie Weiße,“603) die Sklavenbesitzer, die sich auf ihre religiösen Vorstellungen berufen, authentisch und konsequent zu sein. Er fordert: Weiß’, ihr fleht zu Gotte: Daß er günstig sey. Thut ihr’s nicht zum Spotte: Weiße! gebt mich frey.604
Sympathien für die Schwarzen bekundeten ebenso die Herrnhuter, die sich im 18. Jahrhundert insbesondere in der Indianermission in Nordamerika betätigten. Im Christlichen Gesang-Buch der Evangelischen Brüder-Gemeinen ist ein von Niko-
601 Desczyk: Amerika, S. 26. 602 Claudius: Der Schwarze in der Zucker-Plantage, S. 4 [G352]. 603 E[lwert]: Lied eines Negersklaven in Amerika. 3. Strophe. 1. Vers, S. 88 [G354]. Außerdem ist in der Strophe zu lesen: „Habe nichts gethan; / Plagen mich mit Fleiße, / Sehn als Thier mich an.“ Ebd. 3. Strophe. 2.–4. Vers, S. 88 [G354]. Die Wahrnehmung bzw. Behandlung von Sklaven durch Weiße als Tiere findet sich schon in Johann Jacob Bodmers (1698–1783) 1756 erschienener Erzählung Inkel und Yariko. In dieser berichtet der Erzähler über den Skavenmarkt von Barbados: „[…] Der Markt war stark, man verkaufte / Menschen mit Kaltsinn vvie Thier’, und kaufte die Ochsen vvie Menschen;“ [Bodmer]: Inkel und Yariko, S. [4]. 604 E[lwert]: Lied eines Negersklaven in Amerika. 9. Strophe, S. 89 [G354].
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laus Ludwig von Zinzendorf (1700–1760) verfasstes Lied überliefert, in dem das lyrische Ich in der ersten Strophe bekennt: MEin Erlöser kennt mein herze, wies die lieben Negros liebt, und bey allem neben-schmerze, frölich weiß, was er euch giebt.605
Auch auf zahlreiche deutsche Militärangehörige, die durch ihren Dienst in der Neuen Welt teilweise selbst in direkten Kontakt mit Sklaven gekommen waren, übten die Lebensverhältnisse der afroamerikanischen Bevölkerung einen großen Eindruck aus.606 Der deutsche Subsidiensoldat Philipp Gottfried Ludwig Wilhelm Waldeck hielt seine dramatischen Begegnungen mit dem Sklavenhandel in Kingston auf Jamaika in seinem Tagebuch fest. Für den 8. Januar 1778 trug er ein: Den 8ten sahe ich eine Begebenheit, die mein ganzes Mitleiden erregte, ja ich würde mich selbst vor einen Unmenschen gehalten haben, wenn ich ohne Rührung dabey geblieben wäre. Ein erbeutetes französisches Schiff mit 550 Mohren Sclaven an Bord, die von Guinea der afrikanischen Küste war eingelaufen. […] Zur bestimmten Zeit versamelten [sic] sich die Sclaven Käufer auf dem Markte. Nun wurden diese elende, Manns und Weibsleute, nakt und bloss ohne die geringste Bedekkung, wie das Vieh vorgetrieben. Ein jeder und jede hatten ihre Nummer am Halse hängen. Darauf wurde besichtigt, geboten, gehandelt. Die Käufer hatten ihre Negertreiber (ich nennte sie lieber Schinder-Knechte, (und thäte ihnen im Grunde, damit eine Ehre an, denn das sind doch noch ganz andere Leute) bey sich. […] Ich konnte den Handel nicht lange ansehen. Ihre Unterhaltung auf den Schiffen, ist alles was man Elend nennen kann.607
In Bezug auf die Disziplinierungsmaßnahmen gab Waldeck an: „[…] [D]er geringste Fehler wird mit fürchterlichen Peitschen-Hieben bestraft.“608 Ergriffen verwies er auf die gnadenlose Behandlung der Sklaven, die sich u. a. in der aus ökonomischen Interessen motivierten Separation der Kinder von ihren Eltern zeigte. Waldeck hielt fest: „Man verkauft den Eltern ihre Kinder, und den Kindern ihre Eltern und denkt nicht an Menschlichkeit.“609 Das Auseinanderreißen familiärer Verbindungen wird explizit auch in Elwerts Lied eines Negersklaven in
605 [Zinzendorf]: [Mein Erlöser kennt mein herze]. 1. Strophe, S. 2013 [G351]. 606 Zur Rezeption der Sklaverei durch die deutschen Subsidientruppen siehe auch Atwood: Hessians, S. 165 f.; Ford: Two German Publicists, S. 160; Ingrao: Hessian Mercenary State, S. 154. 607 Waldeck: Tagebuch. Eintrag 8. 1. 1778, S. 62 f. 608 Ebd., S. 64. 609 Ebd.
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Amerika thematisiert. Der Sprecher beklagt in der siebten Strophe die Trennung von seiner Frau mit den Worten: Weib, von Dir gerissen, Dir geraubt bin ich! Mußt den Garten missen, Härmst dich ab um mich.610
Anschließend artikuliert er die Sorgen um das Schicksal seiner Kinder, infolge der Absenz ihres Vaters: Ach! und meiner Kleinen, Meiner Kinder Noth! Hungern jetzt und weinen, Sind vielleicht schon todt.611
In seinem Tagebuch äußerte Waldeck allerdings auch die Meinung, dass die Lebensbedingungen der Sklaven auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten am günstigsten seien. Er gab an: „Am besten werden sie in America gehalten. Da werden sie ihre Sclaverey nicht gewahr.“612 Der Subsidiensoldat postulierte sogar, dass die Sklaven Nordamerikas eine bessere Behandlung erführen als die sozial niedrig gestellten Diener in seiner Heimat: „In den meisten Gegenden, die ich gesehen, wurden sie besser, als bey uns das Gesinde gehalten.“613 Für Waldeck begründete sich diese Ansicht in seiner historisch unzutreffenden Beobachtung, dass es in den Dreizehn Staaten keinen Sklavenhandel gäbe. Er behauptete: „Auch werden sie da nicht verkauft, welches für Härte gehalten wird.“614 Mit einem kritischeren Blick notierte Döhla seine Eindrücke in Nordamerika. Am 5. Juni 1777 hielt er in seinem Tagebuch über die Sklaven fest: Diese müssen nun den Einwohnern ihre Güter u[nd] Felder, und das ganze Jahr alle andern Arbeiten thun u[nd] verrichten, denn der weiße Bewohner von Amerika ist gewohnt nicht viel zu arbeiten, sondern stellt nur seine Schwarzen dazu an, diese bekommen aber nichts, denn rauhe Kost u[nd] schlechte Kleidung, von groben leinenen, zwillenen u[nd] wollenen Zeuge, u[nd] Schläge mit Stockknütteln, ja gar mit eisernen Stäben genug.615
610 E[lwert]: Lied eines Negersklaven in Amerika. 7. Strophe, S. 89 [G354]. 611 Ebd. 8. Strophe, S. 89 [G354]. 612 Waldeck: Tagebuch. Eintrag 8. 1. 1778, S. 64. 613 Ebd. 614 Ebd. 615 Döhla: Tagebuch. Eintrag 5. 6. 1777, S. 59.
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Die erbarmungs- und gefühllose Behandlung der versklavten Bevölkerung durch ihre Besitzer verurteilte ebenso Andreas Wiederholdt, der als Offizier mit den Subsidientruppen in die Neue Welt gereist war. Am 21. Juni 1777 notierte er über die Sklaven in seinem Tagebuch: „Eine Schande ist es für das gantze menschliche Geschlecht, wie barbarisch einige mit ihnen umgehen, und ein Schauder überfällt einen, wenn mann [sic] es ansiehet; der Americaner, ob er gleich delicat und gastfrey seyn will, empfindet nichts davon.“616 Die historische Ambivalenz von Freiheitsstreben und gleichzeitiger Unterdrückung spiegelt sich in dem von Seybold verfassten Briefroman wieder. Einerseits wird immer wieder eine deutliche Ablehnung der Sklaverei postuliert, denn auch die als „Soldatenhandel“ bezeichneten Subsidienverträge werden als solche rezipiert,617 auf der anderen Seite sind die aus Europa stammenden Einwanderer zunächst bereit, sich mit den existenten Verhältnissen in den Südstaaten abzufinden. Bereits vor der Ankunft in der neuen Heimat macht sich Schröder Gedanken über die Notwendigkeit von Sklavenarbeitern für das zukünftige Leben auf den Plantagen. An Reizenstein schreibt er: „[…] [U]nd dann muß ich ja auch Negers kaufen […].“618 In Barbingtonhouse wird Schröder sogar „zum Oberaufseher über das Bauwesen und die Arbeit der Negers“619 und Jakob „zu seinem Unterbeamten“620. Das Arrangement mit dem südstaatlichen Gesellschaftsmodell wird für die Einwanderer möglich, weil die Plantagenbesitzer in Barbingtonhouse und der Umgebung ein paternalistisches Verhältnis zu ihren Sklaven621 pflegen und diese in ihren Augen human behandeln. Wilhelmine schreibt an Charlotte: „Ueberhaupt muß ich dir sagen, daß diese unglücklichen Geschöpfe wenigstens von den benachbarten Pflanzern, die wir kennen, menschlicher behandelt werden, als anderswo, und dieß ist grosser Trost für mich: denn ich könnte sonsten ihren
616 Wiederholdt: Tagebuch. Eintrag 21. 6. 1777, S. 50. 617 Siehe hierzu Reizenstein an Schröder. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 41. Brief vom 26. 5. 1776, S. 128 [277 f.]. Siehe auch Reizenstein an Müller, in: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 20. Brief vom 16. 2. 1776, S. 64 [121] sowie Lord Barbington an Auguste. In: Seybold. Reizenstein. Bd. 2. 94. Brief vom 24. 8. 1777, S. 234 [100]. 618 Schröder an Reizenstein. In: Seybold. Reizenstein. Bd. 2, 141. Brief vom 8. 7. 1778, S. 310 [289]. 619 Auguste an Reizenstein. In: Seybold. Reizenstein. Bd. 2. 145. Brief vom 30. 8. 1778, S. 318 [307]. 620 Auguste an Reizenstein. In: Seybold. Reizenstein. Bd. 2. 145. Brief vom 30. 8. 1778, S. 318 [307]. Siehe auch Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold. Reizenstein. Bd. 2. 154. Brief vom 20. 6. 1779, S. 338 [356 f.]. 621 Zu den paternalistischen Gedankengängen von Sklavenbesitzern siehe auch Stampp: Peculiar Institution, S. 162 f., 228–231, 322–330; Young: Ideology, S. 408–416.
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Anblick nicht aushalten.“622 Gerade Lord Barbington erweist sich in den Augen Wilhelmines als fürsorglicher und seiner Verantwortung bewusster Sklavenbesitzer. Sie führt aus: „Von unserm Lord Barbington verstehts sich ohnehin, daß er sie als Menschen ehrt, daß er ihnen nicht zu viele Arbeit aufladen läßt, daß er ihnen zuwielen einen fröhlichen Tag macht, und die verliebten Paare, sobald sie ihre Neigung erfährt, miteinander verbindet.“623 Das paternalistisch motivierte Entgegenkommen Barbingtons wird von den Sklaven, die sich in dieses Modell einfügen, mit Devotion und Aufopferungsbereitschaft erwidert. Über Barbingtons Sklaven gibt Wilhelmine an: „Die unsrigen [Sklaven] sind jeden Augenblick bereit, das Leben für ihre Herrschaft aufzuopfern. Jeden derselben hat der Lord ein Handwerk lernen lassen […].“624 Ein ähnliches enges Vertrauensverhältnis zwischen Sklaven und Sklavenhaltern beschrieb Joachim Nettelbeck (1738–1824), der selber eine Zeit lang als Sklavenhändler tätig gewesen war, in seiner Autobiografie bei der Schilderung des Abschiedes eines Sklavenbesitzers, der seine Plantage verließ. Dort heißt es: Nie sah ich einen rührendern Anblick, als wie ich ihn von dort in unsrer Schaluppe an Bord abholte. Alle Sklaven der Pflanzung, 400 Männer, Weiber und Kinder an der Zahl, hatten sich versammelt, um ihrem alten gütigen Herrn das Lebewohl zu sagen. Sie fielen rings um ihn nieder, weinten, umfaßten seinen Leib, als wollten und könnten sie ihn nimmer von sich lassen.625
Und Nettelbeck ergänzte:
622 Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 147. Brief vom 22. 11. 1778, S. 327 [328]. 623 Ebd. [328 f.]. Die Bereitschaft Lord Barbingtons, Liebesehen unter den afroamerikanischen Sklaven zu gestatten und sie sogar zu fördern, überrascht aus historischer Perspektive und weicht von der Norm zeitgenössischer Sklavenverbindungen in den Südstaaten ab. So hatten Ehen unter Sklaven in der Regel keine juristische Gültigkeit und wurden nicht selten nach biologischen und finanziellen Gesichtspunkten im Auftrag der Besitzer geschlossen. Siehe hierzu Stampp: Peculiar Institution, S. 198. Zu Sklavenehen während des Antebellum in South Carolina siehe West: Chains, S. 19 ff. Auch das Auseinanderreißen von Familien infolge von Verkäufen auf dem Sklavenmarkt stellte eine reale und ernst zunehmende Bedrohung im Leben eines Sklaven dar. 624 Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 147. Brief vom 22. 11. 1778, S. 327 [329]. Die Erlaubnis Barbingtons, seinen Sklaven das Erlernen eines Handwerks zu gestatten, überrascht einmal mehr. Laut Philip D. Morgan waren in South Carolina in den 1770er Jahren etwa nur 18,3 % der männlichen und lediglich 5 % der weiblichen erfassten erwachsenen Sklaven gelernt. Vgl. Morgan: Black Society, S. 99. 625 Nettelbeck: Lebensbeschreibung des Seefahrers, Patrioten und Sklavenhändlers Joachim Nettelbeck, S. 77.
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Dürfte man voraussetzen, daß das Schicksal allen Neger-Sklaven in den Colonien einen so menschlich-denkenden Gebieter zutheilte, so würde das so laut erhobene Geschrei über die himmelschreiende Ungerechtigkeit des mit ihnen betriebenen Handels viel von seinem Nachdruck verlieren.626
Es ist hervorzuheben, dass unter den europäischen Einwanderern Wilhelmine ein von aufklärerischem Gedankengut geprägtes Bewusstsein in Bezug auf die sog. Nature-Nurture-Debatte627 aufweist, da sie in ihren Mitteilungen die Frage tangiert, ob die äußeren sozialen Umstände oder die inneren biologischen Gegebenheiten über den Charakter und das Verhalten eines Menschen entscheiden. Gerade dieser Streitpunkt wurde im Diskurs über die Sklaverei in den Vereinigten Staaten intensiv behandelt. Während zahlreiche historische Apologeten der Sklaverei von einer gottgegebenen, natürlichen Inferiorität, moralischer Dekadenz und teilweise sogar Bösartigkeit von Schwarzen ausgingen, verweist Wilhelmine auf die schlechten äußeren sozialen Rahmenbedingungen. Die gute Behandlung der Sklaven in Barbingtonhouse bringe ihrer Meinung nach im Gegensatz zu anderen Plantagen moralisch integere Menschen hervor. Sie erklärt: Aber eben daher scheinen sie das Tückische und Boßhafte, das man ihnen sonsten zuschreibt, wie abgelegt zu haben; oder vielmehr, ich kann es, dem Schöpfer zu Liebe nicht glauben, daß die Natur sie so heimtückisch gebildet hat, sondern die Boßheit, die sie in andern Pflanzungen zeigen, wird durch die Härte und Unmenschlichkeit ihrer Herren, oder eigentlich ihrer Tyrannen ausgepreßt.628
Aus einer ähnlichen Perspektive beurteilte Schubart das Potential von Schwarzen bzw. Sklaven. In einem 1776 in seiner Zeitung publizierten Beitrag unterstrich er einem aufklärerischen Ansatz entsprechend die Bedeutung der „Nurture“-Faktoren und vertrat die Ansicht: Wenn die Menschen die Wohlthaten nicht so bald vergäßen; so würde man staunen, so viel Herzhaftigkeit, Größe der Seele und Heldenmuth bey Sklaven anzutreffen. Sie sind auch nicht so dumm, wie man sichs vorstellt; sie lernen die Handwerker sehr leicht, die man sie lehrt; sind geschickte Nachahmer, und wenn sie nichts erfinden; so ist Sklaverey Schuld dran, die die Fähigkeit der Seele hemmt und stumpf macht.629 626 Ebd. 627 Zur sog. Nature-Nurture-Debatte wie sie im 18. Jahrhundert geführt wurde siehe Davidson: Breeding, S. 39–41, 192, 205. Zu den wissenschaftlichen Positionen heute siehe Bensel: AnlageUmwelt-Diskussion, S. 347 f.; Fröhlich: Wörterbuch, S. 129; Gruber – Prenzel – Schiefele: Spielräume, S. 99–136, bes. 105–114; Myers: Psychologie, S. 102–147. 628 Wilhelmine an Charlotte Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 147. Brief vom 22. 11. 1778, S. 327 [329]. 629 Schubart (Hg.): Teutsche Chronik (1776). 3. Vierteljahr. 57. Stück. 15. 7. 1776, S. 450 [Schubart: Werke, S. 91 f.].
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Der Autor verwies auf die Gleichwertigkeit von Weißen und Schwarzen im Naturzustand, die sich lediglich durch die negativen Auswirkungen des Sklavenstatus unterschieden. Schubart führte aus: Gegen die Gefährten ihres Elends sind sie mitleidig und freygebig; kurz, man bemerkt bey den Negern, daß sie alle menschliche Anlagen haben, und daß sie nur der Sklavenstand, den sie so schrecklich dulten müssen, unter uns herab setze. – Wehe dem, von dessen Geissel das Blut dieser Unglücklichen trof!630
Andreas Wiederholdt gelangte aufgrund seiner Erfahrungen in den nordamerikanischen Sklavenstaaaten zu einer vergleichbaren aufklärerischen Überzeugung. Er attestierte Afroamerikanern ein hohes kognitives Leistungsvermögen und akzentuierte die Relevanz einer adäquaten Förderung. Am 21. Juni 1777 formulierte er in seinem Tagebuch die Überzeugung: „Würden die Schwartzen zu Wiszenschaften angehalten, so würden sie es manchem weisen zuvorthun, denn sie sind nicht allein lehrbegierig, sondern haben auch Genie.“631 In Reizenstein führt die Unvereinbarkeit von Sklaverei und freiheitlichem Denken schließlich dazu, dass die paternalistische Fürsorgepflicht gegenüber den Sklaven, wie sie von Lord Barbington und den europäischen Einwanderern befürwortet wird, nur als Zwischenlösung auf dem Weg zur völligen Emanzipation der afroamerikanischen Bevölkerung angesehen werden kann. Das Problem der Sklaverei soll in dem nach der errungenen Unabhängigkeit der Kolonien neu geformten Gesellschaftsmodell aufgegriffen und schließlich ultimativ gelöst werden.
16 „So glücklich sollen, mit Gott! alle Kolonisten in Amerika werden!“ Die Auflösung des Kongresses und Reizensteins Gesellschaftsutopie in der Nachfolge von Johann Gottfried Schnabels (1692-ca. 1750) Insel Felsenburg/Wunderliche Fata (1731–1743) Wie bereits hervorgehoben umfasst die erzählte Zeit des 1778 und 1779 erschienen Romans die Jahre 1775 bis 1780. Damit antizipiert der Text zukünftige Ereignisse und Entwicklungen in Nordamerika. In den entsprechenden vordatierten Briefen wird z. B. der Sieg der Kolonisten über die Briten verkündet und die anschließende offizielle Anerkennung der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten. Janson
630 Ebd. [Schubart: Werke, S. 92]. 631 Wiederholdt: Tagebuch. Eintrag 21. 6. 1777, S. 51.
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
gratuliert Reizenstein hierzu folgendermaßen: „So habt Ihr denn das güldene Kleinod der Freyheit erkämpft! Glück zu! Wie freue ich mich, und wie stolz bin ich darauf, daß der Name meines Freundes einst in den Annalen von Amerika prangen wird!“632 Reizenstein selbst erkennt im Ausgang der Geschehnisse in Amerika die göttliche Providenz. Er greift damit einen für das amerikanische Selbstverständnis zentralen historischen Gedanken auf, der seinen Ursprung in dem eschatologischen Glauben an die Vorherbestimmung der Entwicklungen in der Neuen Welt hat. Bereits die ersten Siedler in Neuengland waren im 17. Jahrhundert von dem Gedanken überzeugt, von der Vorhersehung geleitet zu sein. Der puritanische Geistliche John Winthrop (1588–1649) prägte 1630 in einer Predigt die später von zahlreichen Politikern der Vereinigten Staaten in Reden aufgegriffene Metapher der sog. City upon a Hill, um den exzeptionellen Vorbildcharakter des „heiligen Experiments“ Amerika und die Überzeugung von höherer Macht auserwählt zu sein, zu betonen.633 Im 19. Jahrhundert fand diese Vorstellung in dem von dem Journalisten John L. O’Sullivan (1813–1895) 1845 in einem Aufsatz formulierten Schlagwort der Manifest Destiny eine ihrer pointiertesten und wirkmächtigsten Ausprägungen.634 Im 18. Jahrhundert war der Glaube an die Vorherbestimmung weltgeschichtlicher Ereignisse und Entwicklungen zu beiden Seiten des Atlantiks weit verbreitet und tief verwurzelt.635 So dichtete z. B. Abraham Gotthelf Kästner (1719–1800) in einem mit dem Titel Auf einen Läugner der Providenz versehenen und 1777 im Göttinger Musen-Almanach veröffentlichten Epigramm: Daß wie sonst wohl der Christenpöbel denkt, Gott, jedes Menschen Thun, mit weiser Güthe lenkt; Das, Mendax läugnest du, und wirst dich nicht betrügen, Denn deine Thaten lenkt der Vater giftger Lügen.636
Der Glaube an die Providenz wurde in der deutschsprachigen Literatur in adaptierter Form auch mit der Neuen Welt verknüpft. In dem bereits zitierten Roman Der Unglickliche Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka
632 Janson an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 159. Brief vom 30. 10. 1779, S. 353 [393]. 633 Siehe hierzu auch den Kommentar zu G261. Siehe auch G313. 634 Siehe hierzu den Kommentar zu G297, in dem auch die entsprechende Passage zitiert wird. 635 Zum Glauben an eine höhere Providenz während der Amerikanischen Revolution siehe Gragg: Hand, S. 5 ff. Zur Bedeutung von Religion und Glauben in der Revolutionszeit siehe auch Johnson: History, S. 41 ff., 204–210; McLoughlin: Role, S. 334–340. 636 Kästner: Auf einen Läugner der Providenz, S. 174.
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ist von der „weise[n]“637 bzw. „ewige[n] Vorsehung“638 die Rede. In Jakob Michael Reinhold Lenz’ Fragment gebliebenen und erst 1797 postum publizierten Briefroman Der Waldbruder (s. u.) schreibt Herz, der die Absicht fasst, sich an den militärischen Auseinandersetzungen in Nordamerika zu beteiligen, an seinen Freund Rothe: „O die großen Akkorde des Schicksals, des göttlichgütigen Schicksals, dem wir in den umwölkten Stunden durch unsere Verwünschungen soviel Unrecht tun.“639 In einem späteren Brief gibt er außerdem an: „Ich eile ihm immer näher, dem Ort meiner Bestimmung […].“640 Der Gedanke der Providenz ist ebenso in Babos Winterquartier in Amerika präsent. So gehört folgende Ankündigung von Bernaus zu den Schlussworten des versöhnlich endenden Lustspiels: „Wir wollen ruhig unsre Tage hinleben. Unsre einzige Beschäftigung sey Dank für die Güte der Vorsicht!“641 Die Überzeugung, dass das Schicksal, gerade auch das der Bewohner Amerikas, von höherer Macht gesteuert sei, findet sich nicht zuletzt in der nichtfiktionalen Literatur. In Schubarts Vaterlandschronik war 1789 beispielsweise zu lesen: „Amerika darf die Hand der Vorsehung küssen […].“642 Reizenstein ist gemäß seiner Zeit völlig von den ordnenden Wirkkräften der Vorsehung überzeugt, die seiner Ansicht nach zur Etablierung des neuen Staates in Amerika geführt haben. Vor dem Hintergrund der langen blutigen Vergangenheit des Kontinents infolge der Ausbeutung der Ureinwohner durch religiöse und militärische Eroberer aus Europa hofft er, dass nun eine eudämonistisch orientierte Gesellschaftsordnung errichtet werden kann. Auguste teilt Reizenstein seine Überzeugung mit den Worten mit: Gewiß der Schöpfer liebt Amerika, und wills für die unendlichen Drangsalen belohnen, die es seit seiner Entdeckung von den Europäern erlitten hat. Amerika, der bisherige Schauplatz der Priester- und Soldatenwuth, die Mördergrube seiner Ingebohrnen soll noch Sitz der irdischen und bürgerlichen Glückseligkeit werden!643
637 [Anonym]: Der Unglickliche Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka, S. 29. 638 Ebd., S. 182. 639 Herz an Rothe. 2. Teil. 8. Brief. In: Lenz: Der Waldbruder, S. 311 f. 640 Ebd., S. 325. 641 [Babo]: Das Winterquartier in Amerika. 17. Auftritt, S. 35. 642 Schubart (Hg.): Vaterlandschronik (1789). 1. Halbjahr. 21. Stück. 13. 3. 1789, S. 166. 643 Reizenstein an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2, 157. Brief vom 12. 10. 1779, S. 349 [384].
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Reizenstein zufolge sollen auch die aus den deutschen Territorien stammenden Soldaten in das neue Staatssystem eingebunden werden. In demselben Brief gibt er zu bedenken: Ihres Bruders und des General Arnolds Regiment bestünden gröstentheils aus Deutschen. Eintliesse man sie itzt gleich, so würden die meisten nach Hause zurücke gehen. Behielte man sie aber noch eine Zeitlang im Solde, und verspräche ihnen unter der Hand liegende Güter in Amerika, so würden, wo nicht alle doch gewiß sehr viele im Lande bleiben, und der Staat also gewinnen. […] Es geschah!644
Nach der errungenen Unabhängigkeit stellt sich die Frage, welches soziopolitische Gesellschaftssystem für den neuen Staat zum Vorbild genommen werden soll. Schnell ist man sich einig, dass sich dieses Muster nicht in den Konstitutionen der zeitgenössischen europäischen Staaten finden lässt, da sie von militärischem Expansionsdrang, Gewalt und oberflächlichem Prunk geprägt sind, während sie die Förderung innerer moralischer Tugendhaftigkeit vernachlässigen. Reizenstein stellt in einem Brief an Janson, der sich noch in Europa aufhält, die von ihm antizipierte neue Staatsverfassung folgendermaßen vor: Freylich werden wir dazu das Modell von keiner der Europäischen Verfassungen nehmen. Wir werden keinen Plan machen, wie wir unsere Gränzen erweitern, ein Heer von hundert tausend Mann auf den Beinen halten, und die Handlung nach allen Welttheilen an uns ziehen können. Die Geschichte aller bisherigen Staaten der Welt soll uns warnen, kein System zu errichten, das zwar dem Ganzen einen äusserlichen Glanz giebt, aber die Privatglückseligkeit über den Haufen wirft, oder stört.645
Reizenstein wiederholt die Forderung nach einem Gesellschaftsmodell, das es ermöglichen soll, privates Glück zu finden. Er führt aus: „[M]eine Kolonisten
644 Ebd. [383 f.]. Reizenstein spricht hier von den deutschen Soldaten, die auf amerikanischer Seite unter dem Kommando von Lord Barbington und General Arnold standen. Zu dem Schicksal der deutschen Subsidiensoldaten nach dem Ende des Krieges siehe die entsprechende Anmerkung oben. Die Erwähnung des historischen Benedict Arnold (1741–1801) unterstreicht aus heutiger Perspektive den zeitspezifischen Charakter und fiktiven Gehalt des Textes. Der der historische Arnold wechselte 1780 die Seiten und lief zu den Briten über, weshalb sein Name bis heute im us-amerikanischen Kulturkreis sprichwörtlich für Verrat, Treuebruch und Hinterhältigkeit steht. Siehe hierzu z. B. Carso Jr.: Whom Can We Trust Now, S. 129–180; Palmer: George Washington, S. 329–368. Der Übertritt Arnolds zu den Briten wurde auch in der transatlantischen Welt rezipiert. In den deutschen Staaten berichtete z. B. Wekhrlin in einerm unter dem Titel Ueber die neueste Kriegsbegebenheit. (Wekhrlin [Hg.]: Chronologen 6 [1780], S. 159) publizierten Beitrag über den „Abfall des amerikanischen Anführers, Benedict Arnold“ (ebd., S. 159). 645 Reizenstein an Janson. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 161. Brief vom 16. 1. 1780, S. 357 [403].
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sollen eine solche Einrichtung erhalten, daß sie des Lebens froh, und eine vergnügte Nation von Menschen werden.“646 Aus diesem Grund folgt für die siegreichen Freiheitskämpfer, zu denen Reizenstein und Barbington gehören, eine Absage an alle bisherigen politischen Systeme. In einem Brief an seine mittlerweile angetraute Frau Auguste bilanziert Reizenstein: „Alle diese Regierungsformen […] taugen nichts.“647 Damit bezieht er sich auf das monarchische, aristokratische aber auch auf das (indirekte) demokratische Modell. Nachdem bekannt wird, dass der Kongress im Begriff ist, einen neuen, aus Reizensteins Perspektive für die unabhängig gewordenen Kolonien extrem nachteilhaften, Vertrag mit Frankreich abzuschließen, regt sich in den ehemaligen Kolonien Widerstand gegen das Vorhaben, für das die politische Volksvertretung selbst verantwortlich gemacht wird. Kongressfeindliche Stimmen sind im Briefroman immer wieder zu hören. So hat sich Auguste bereits während des ersten mit Frankreich geschlossenen militärischen Bündnisses von der ihrer Meinung nach allzu gallophilen Außenpolitik der Volksvertretung folgendermaßen kritisch distanziert: „Aber wir waren genöthigt, uns um Hilfe umzusehen!“ – Dies ist ein Punkt, von dem mich der Kongreß niemalen wird überzeugen können. Ein Volk, das seine Freyheit einem andern Volke danken soll; das nicht selbst seine Freyheit erkämpft, und wenn es noch so schwach wäre, verdient es nicht!648
Der in zahlreichen Briefen artikulierte Kongressskeptizismus, der auf dem Vorwurf der Regierungsunfähigkeit und der Furcht beruht, durch eine dem Parlament unterstellte Frankreich-Affinität in ein neuerliches Abhängigkeitsverhältnis zu geraten, stellt einen zeitgenössisch weit verbreiteten Topos dar, der in Europa wie in Amerika Verbreitung fand. Selbst unter den revolutionären Kräften gab es Vertreter, die bezweifelten, dass der von heterogenen Interessen und Vorstellungen geleitete Kontinentalkongress als legislatives Entscheidungsgremium effektiv die Geschicke der Vereinigten Staaten lenken könnte und sich daher stattdessen für eine monosonare Zentralgewalt, verkörpert in einer starken Führungspersönlichkeit mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen, aussprachen. In Europa argumentierte Ende des 18. Jahrhunderts der preußische Militärschriftsteller Dietrich Heinrich von Bülow, dass der Unabhängigkeitskrieg für die Amerikaner wahrscheinlich nicht erfolgreich ausgegangen wäre, wenn Washington,
646 Ebd., S. 358 f. [407]. 647 Reizenstein an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 162. Brief vom 16. 1. 1780, S. 365 [425]. 648 Auguste an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 137. Brief vom 20. 5. 1778, S. 303 [270].
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den er bereits in seinen Briefen eines Deutschen aus America als „Erhalter der americanischen Republick“649 bezeichnet hatte, in seiner Funktion als durchsetzungsstarke Führungspersönlichkeit nicht die Fehlentscheidungen, die seiner Meinung nach der Kongress getroffen hatte, korrigiert hätte. 1797 postulierte er: Indeß wäre die Sache der Amerikaner, ohne Washington, dennoch wahrscheinlich mißglückt, wenn dieser scharfsinnige Mann nicht unablässig den Kongreß geleitet hätte. Dieser Kongreß machte unufhörlich die größten Fehler; Washington war sodann genöthigt, in seinen Briefen diesen Senatoren den rechten Weg zu zeigen.650
Insbesondere zeitgenössische revolutionskritische Intellektuelle artikulierten in den deutschen Staaten die Ansicht, dass sich der Kongress selbst im Wege stehe. 1779 war in Wekhrlins Chronologen zu lesen: „[…] [Es] herrscht ein Dämon der Uneinigkeit im Congresse, der seine Wirkungen lähmt.“651 Und sogar in der nach Schubarts Verhaftung von Johann Martin Miller (1750–1814) fortgeführten Teutschen Chronik, in der unter Schubarts Redaktion in der Regel amerikafreundliche Beiträge erschienen waren, hieß es: „Der Congreß ist […] ein Körper ohne Haupt.“652 Skeptiker vertraten die Ansicht, dass in Nordamerika keine tatsächliche Revolution stattfinden und sich die Situation des Volkes faktisch nicht verbessern würde. Die Chronik fragte: „Was gewinnen also die Amerikaner durch ihren Krieg? – Nichts! denn es ist wohl gleich viel, ob sie Sklaven des Englischen oder des Amerikanischen Parlaments sind.“653 Die Vorstellung, dass die rebellierenden Amerikaner nicht der Souverän, sondern die Untertanen ihrer vermeintlichen Delegierten seien, ist insbesondere von Revolutionsgegnern aufgegriffen und auch in poetischer Form zum Ausdruck gebracht worden. In dem zunächst am 6. Mai 1778 in der deutsch-amerikanischen Zeitung Der Pennsylvanische Staats-Courier sowie im gleichen Jahr von August Ludwig Schlözer in seinem Briefwechsel ebenfalls publizierten und damit auch einem europäischen deutschsprachigen Publikum zugänglich gemachten Gedicht Gespräch zweyer Bauern in Tolpehacken, des Abends bey einem Glaß Wisky und gutem Hickory Feuer am 1ten May, 1778 vertritt einer der Sprecher die Ansicht, dass es sich bei den Patrioten um „Congreß Sclaven“654 handele. Ähnlich ist in dem bereits zitierten, in Wekhrlins 649 Bülow: Briefe eines Deutschen aus America. 12. Brief, S. 403. Siehe hierzu auch ebd. 11. Brief, S. 396. 650 Ders.: Der Freistaat von Nordamerika in seinem neuesten Zustande. Bd. 1, S. 64. 651 Wekhrlin (Hg.): Chronologen 2 (1779), S. 34. 652 [Miller] (Hg.): Teutsche Chronik (1777). 1. Vierteljahr. 11. Stück. 6. 2. 1777, S. 83. 653 Ebd. 2. Vierteljahr. 29. Stück. 10. 4. 1777, S. 229. 654 [Anonym]: Gespräch zweyer Bauern in Tolpehacken, des Abends bey einem Glaß Wisky und gutem Hickory Feuer am 1ten May, 1778. 4. Strophe. 2. Vers, S. 263 [G89]. Zu dem Gedicht siehe auch Kapitel VIII.4.3.
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Journal Chronologen abgedruckten Gedicht Ueber die Insurgenten von „Congreßsöldner[n]“655 die Rede. In Seybolds Briefroman erreichen die Nachrichten über innere Unruhen in Amerika und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung schließlich ebenfalls Europa. Janson berichtet Reizenstein: „[…] [D]ie Zeitungen reden so vieles von innern Gährungen unter den Kolonien, von Misvergnügen über den Kongreß, von Revolutionen, die sich noch ereignen können &c[etera]“656 In der Tat kommt es zu einer erneuten, kurzen Rebellion, an der auch Lord Barbington und Reizenstein beteiligt sind und infolgedessen der Kongress abgeschafft wird. Dieses von Seybold in seinem Werk proleptisch entworfene Szenario eines Staatsstreiches findet mit der sog. Newburgh Conspiracy (Newburgh-Verschwörung) ein gewisses historisches Äquivalent in der amerikanischen Geschichte.657 Im März 1783 sorgte ein anonym verfasster Brief, dessen Autor wahrscheinlich John Armstrong (1758– 1843) war, im Lager der Kontinentalarmee in Newburgh/New York für Aufsehen. In diesem wurde u. a. aufgrund des schon lange Zeit ausstehenden Soldes ein Vorgehen gegen den Kongress als notwendig erachtet. George Washington unterlief die im Militärlager kursierenden Forderungen, zu denen u. a. gehörte, dass er zum Monarchen bzw. Alleinherrscher ausgerufen werden sollte, mit einer Ansprache, in der er die Suprematie der politischen Regierungsgewalt gegenüber dem Militär deutlich machte.658 Emphatisch erklärte er am 15. März: [T]his dreadful alternative, of either deserting our Country in the extremest hour of her distress, or turning our Arms against it, (which is the apparent object, unless Congress can be compelled into instant compliance) has something so shocking in it, that humanity revolts at the idea. My God! what can this writer have in view, by recommending such measures? Can he be a friend to the Army? Can he be a friend to his Country? Rather, is he not an insidious Foe?659
Das dramatische Potential einer möglichen Staatsrevolte durch Offiziere der Kontinentalarmee wurde im 19. Jahrhundert von Carl Frenzel erkannt und poetisch verarbeitet. In seinem historischen Roman Freier Boden, der u. a. schildert, wie ein ehemaliger hessischer Offizier die Patrioten unterstützt, wird die Möglichkeit des Staatsstreiches ebenfalls thematisiert. Im zweiten Band wird die Antipathie
655 Wekhrlin: Ueber die Insurgenten. 17. Strophe. 3. Vers, S. 30 [G92]. 656 Janson an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 159. Brief vom 30. 10. 1779, S. 353 [393]. 657 Siehe hierzu Kohn: Inside History, S. 187–220; Nelson: Horatio Gates, S. 143–158; Skeen – Kohn: The Newburgh Conspiracy, S. 273–298. 658 Siehe auch Kapitel VIII. 659 Washington: To the Officers of the Army, S. 224 f.
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des Militärs gegenüber dem Kongress folgendermaßen festgehalten: „In einem Punkte nur stimmten sie und alle fremden Officiere überein: in der Verachtung des Congresses und in der Verehrung Washington’s.“660 Diese kongressfeindliche Stimmung in der Kontinentalarmee beschreibt auch der Deutsch-Amerikaner Berthold Kalfus in seinem Gedicht Washington in Newburgh (1900). Dort ist in der dritten Strophe über die Antipathien des Heeres gegenüber den Delegierten zu lesen: Tief dem Kongreß war es abgeneigt, Der immer in Reden sich reicht gezeigt, Doch mit kargender Hand nur den Sold ihm gereicht, Verdient durch Strapazen und Narben.661
Über die Unzufriedenheit unter den Soldaten nach dem errungenen Sieg über die Briten und ihre Absicht, mit militärischer Macht ihren Willen durchzusetzen, berichtet der Sprecher: Der Friede winkte nach langem Krieg, Kanonen verstummten, die Trommel schwieg, Im Heer begann es zu gären: „Uns, die wir Schwert und Macht in der Hand, Gehorchen nach Willen muß jetzt das Land! Mit den Schwätzern hinweg und dem Schreiberverstand, Die schlecht sich als Herrscher bewähren!662
Die Kongresskritiker gelangen zu der Ansicht, dass es am besten sei, Washington als ideale Führungspersönlichkeit zum König auszurufen. Sie verkünden daher: Zum Herrscheramt taugt ein Held allein, Ein Held der Tat, ein Soldat muß es sein, Den Zungenhelden zum Hohne! Nur dem, der siegreich den Degen führt, Sein friedlich Sinnbild, das Szepter, gebürt, Es sei Washington darum zum König erkürt, Den Würdigsten schmücke die Krone!663
660 Frenzel: Freier Boden. Bd. 2, S. 127 f. 661 Kalfus: Washington in Newburgh. 3. Strophe. 4.–7. Vers, S. 21. 662 Ebd. 4. Strophe, S. 21. 663 Ebd. 5. Strophe, S. 21.
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Der militärische Oberbefehlshaber jedoch wehrt, historisch konform, den Vorschlag unverzögerlich als illegitim ab und entgegnet zornig: Hat arglos das Land euch sein Schwert vertraut, Es kalt ins Herz ihm zu graben? Und denkt das Heer von mir so gering, Daß dreist mich’s zu kirren sich unterfing Mit solch unächt legirtem und gleißendem Ding, Bestechend nur diebische Raben?664
In Frenzels historischem Roman intensivieren sich die Spannungen ebenfalls zunehemend, bis der amerikanische Oberst Nicola665 selbstbewusst warnt: „Wenn unsere erneuerte Forderung vom Congresse verworfen wird, dann schlagt, wie Armstrong es gerathen, ernsthaft an Euer Schwert. Laßt Euch nicht von dem Namen der Republik und der Volksvertretung einschüchtern!“666 Die Situation spitzt sich schließlich weiter zu und der Erzähler berichtet: Abenteuerliche Gerüchte waren in den Dörfern und selbst in Neu-York ausgesprengt: Zwischen dem Heere und dem Congresse werde es in den nächsten Tage zum Bruche kommen; die Miliz von Philadelphia würde einen Befehl erhalten, von wem, verschwieg das Gerücht, und alle Congreßmitglieder, die längst durch Unfähigkeit und Unthätigkeit ihr Ansehen bei dem Volke verscherzt hätten, verhaften.667
Auch das von Frenzel entworfene Washington-Bild entspricht dem historischen Vorbild, wenn der Oberbefehlshaber die erhitzten Gemüter beruhigt und wie bei Kalfus seinen Offizieren rät: „Verhandelt weiter mit dem Congreß, er ist die höchste Behörde der Vereinigten Staaten.“668 Eine weitere historische Parallele zu den in Reizenstein dargestellten Vorgängen findet sich in der unter der Bezeichnung „Shays’ Rebellion“ bekannt gewordenen Widerstandbewegung gegen die staatliche Autorität. Nach einer wirtschaftlichen Rezession 1784, einer hohen Inflationsrate und Steuererhöhungen, die zur Rückzahlung der Schulden aufgewendet werden sollten, sahen sich zahl-
664 Ebd. 6. Strophe. 2.–7. Vers, S. 21 f. 665 Oberst Lewis Nicola (1717–1807) gehörte seit Beginn des Unabhängigkeitskrieges der Kontinentalarmee an. Er verfasste 1782 den sog. Newburgh Letter, in dem er sich dafür aussprach, dass Washington König der Vereinigten Staaten werden sollte. Zur Wahrnehmung Washingtons als zweiter Cincinnatus, der die ihm anvertrauten Befugnisse nach Beendigung der militärischen Auseinandersetzungen freiwillig wieder abgibt, siehe auch Kapitel VIII.6. 666 Frenzel: Freier Boden. Bd. 3, S. 141 f. 667 Ebd., S. 186. Siehe hierzu auch ebd., S. 34. 668 Ebd., S. 238.
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reiche Kleinfarmerfamilien im agrarisch geprägten Westen von Massachusetts in Bedrängnis gebracht und fürchteten drohende Zwangsversteigerungen. Unter dem Kriegsveteranen des Unabhängigkeitskrieges Daniel Shays (ca. 1741–1825) formierte sich 1786 Widerstand gegen die Beschlüsse des Staatenparlaments. Der Aufstand Shays’ und seiner zunächst etwa 800 bewaffneten Unterstützer, von denen ebenfalls viele in der Kontinentalarmee gedient hatten, wurde erst im folgenden Jahr durch Milizen aus dem Osten von Massachusetts beendet.669 Wie in Seybolds Briefroman handelte es sich bei den aufständischen Kräften, die nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges gegen die staatlichen Repräsentationsorgane rebellieren, um enttäuschte agrarisch orientierte Kriegsveteranen. Nach der von Großbritannien erfolgreich erlangten Unabhängigkeit gehörte es in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts zu den brisantesten ungeklärten Fragen, wie der neu etablierte Staat politisch konstituiert sein und vor allem welche Befugnisse von den Einzelstaaten an die Union abgetreten werden sollten.670 In Reizenstein fällt der Frage nach der Neugestaltung des Landes nach dem Sieg über die Kolonialmacht und dem darauf folgenden Staatsstreich, der mit der Abschaffung des Kongresses verbunden ist, eine besondere Bedeutung zu. Die politische Ersatzkonstitution soll Reizenstein zufolge „kein gekünsteltes System, keine von tausend durcheinander laufenden Rädern zusammengesetzte Maschine seyn, sondern sie wird sich der Natur so sehr nähern, als möglich!“671 Er fordert eine Ursprünglichkeit und Natürlichkeit wie sie bisher nur die Antike hervorgebracht hätte. In einem früheren Brief lobte bereits Baron Roth den Vorbildcharakter der antiken politischen Modelle, wie sie seiner Meinung nach in Rom und Sparta existiert hätten. In einem auf den 7. September 1777 datierten Brief an Reizenstein teilt er mit: „[…] [I]ch bins zum Voraus mit Ihnen überzeugt, daß Rom und Sparta viel Gutes in ihrer Einrichtung hatten, auf das man, von
669 Zu Shays’ Aufstand siehe Boyer – Clark – Kett u. a.: Enduring Vision, S. 182; Brooke: Massachusetts, S. 381–387; Gross: Debt, S. 81–118, 161–182; Heideking – Mauch: Geschichte, S. 55 f.; Lerg: Amerikanische Revolution, S. 77; Richards: Shays’s Rebellion, S. 4–164; Starkey: Rebellion, S. 3 ff.; Szatmary: Shays’ Rebellion, S. 37 ff.; Zinn: Geschichte, S. 96–98. 670 Zu der bereits während der Revolution in Amerika und insbesondere im Zuge des Verfassungskonventes in Philadelphia (1787) sehr intensiv diskutierten Frage nach dem föderativen Zustand der Vereinigten Staaten im Spektrum zwischen einem konföderierten Staatenbund und einem aus Bundesstaaten bestehenden Gesamtstaat, sowie zu der entscheidenden Frage nach der Souveränität der Einzelstaaten im Sinne der sog. States’ Rights siehe Lerg: Amerikanische Revolution, S. 75. Siehe auch Boyer – Clark – Kett u. a.: Enduring Vision, S. 177 f.; Heideking – Mauch: Geschichte, S. 52–63. 671 Reizenstein an Janson. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 161. Brief vom 16. 1. 1780, S. 358 [405].
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der heutigen Politik irre geführt, zu wenig Rücksicht nimmt.“672 Die Sympathie und Bewunderung für antike Staatssysteme ist von Reizenstein schon zu Beginn der Romanhandlung formuliert worden. Im zweiten, am 7. September 1775 verfassten Brief gab er an: „Hätte ich einen Staat einzurichten, so nähme ich mir das Muster vom Spartanischen und Römischen, so wie dieser letzere hundert Jahre vor dem Sylla und Marius eingerichtet war, wo das Gleichgewicht noch nicht so sehr auf Eine Seite sich neigte.“673 Außerdem vertritt Reizenstein in ebendiesem Brief die Meinung, dass die politischen Zustände in England und in den Republiken Venedig und Genua seinen Vorstellungen am nächsten kämen. Er schreibt: „Mehrere oder wenigere Aehnlichkeit mit meinem Ideale […] haben England, Venedig, und Genua, nur daß in den letztern, so viel ich weiß, das Volk zu wenig Antheil an der Regierung hat.“674 Es ist ausgesprochen interessant, dass Reizenstein in seinem Brief die spartanische und römische Antike parallelisiert, da es sich bei dem spartanischen Regierungssystem, das Elemente einer aristokratischen Oligarchie aufwies, nicht um eine Republik handelte. Obwohl Reizenstein aus der griechischen Geschichte das Beispiel Athens wählen könnte,675 entscheidet er sich für Sparta und akzentuiert damit indirekt die Bedeutung der militärischen Komponente für das Staatsystem. Das Militär ist auch für Nordamerika von entscheidender Bedeutung, denn es gewinnt nicht nur den Unabhängigkeitskrieg, sondern führt ebenso die Erhebung und Abschaffung des Kongresses durch. Trotz der Orientierung an historischen Vorbildern, erfährt der neugegründete Staat nach der durch den militärischen Sieg über Großbritannien geglückten Revolution und der erfolgreichen Rebellion gegen den Kongress, eine eigene Prägung, wie sie bisher noch in keinem politischen System umgesetzt wurde. Im 161. Brief schildert Reizenstein in der Nachfolge wirkungsmächtiger Staatsphilosophen wie Platon (428/427–348/347 v. Chr.) in seiner Politeia (ca. 370 v. Chr.), Augustinus (354–430) in De Civitate Dei (423–426), Thomas Morus (1478–1535) in Utopia (1516), Johann Valentin Andreae (1586–1654) in Christianopolis (1619), Tomasso Campanella (1568–1639) in La Città del Sole (ED. 1623) und Francis Bacon in Nova Atlantis seinem Korrespondenzpartner Janson, der sich noch in Europa aufhält, in Form eines fiktiven Dialogs die Konzeptionen seines Idealstaates, wie er ihn sich für die Neue Welt wünscht.
672 Baron Roth an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 100. Brief vom 7. 9. 1777, S. 245 [126]. 673 Reizenstein an Müller. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 1. 2. Brief vom 2. 9. 1775, S. 16 [6]. 674 Ebd. 675 Zu der unterschiedlichen Beurteilung Spartas und Athens in der deutschen Literatur im 18. und frühen 19. Jahrhundert siehe Bauer: Gegensatz, S. 41–94.
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
Reizenstein geht in seiner Utopie676 zunächst davon aus, dass die neue Verfassung den Einwohnern die Möglichkeit bieten soll, ihr persönliches Glück zu verwirklichen. Dieser Glückszustand könne ihm zufolge nur in einer einfachen Lebensführung und ursprünglichen, landwirtschaftlich ausgerichteten Ordnung erreicht werden. In einem Brief an Auguste erklärt er: [W]ir können nicht anders glücklich seyn, als wenn wir alle Entwürfe von politischer Macht, ausgebreiteter Handlung, glänzendem Wohlstande &c[etera] aufgeben, und in den Schooß der Natur zurückekehren. Damals waren die Menschen am glücklichsten, damals war die goldene Zeit der Welt, als jeder zufrieden in seiner Hütte wohnte […]. Laßt uns also wohnen, Ihr Brüder, wie die Patriarchen, und wir werden so glücklich leben, wie sie!677
Und auch gegenüber Janson unterstreicht Reizenstein die Vorzüge einer natürlichen, an der Agrikultur orientierten Lebenseinstellung für den Menschen, wenn er schreibt: […] [W]enn er sein Gütchen in Ruhe bauen, und die Früchte seines Schweisses vergnügt verzehren kann, wenn er seines Daseyns sich freuen darf, und die Schönheiten der Schöpfung genießt – ist er dann nicht glücklich? So glücklich sollen, mit Gott! alle Kolonisten in Amerika werden!678
676 Gerade das 18. Jahrhundert hat eine ganze Reihe vielschichtiger utopischer Texte (etwa in Verbindung mit oder in Form der Robinsonade) hervorgebracht, in denen aufklärerisch orientierte Gesellschafskonzepte literarisch umgesetzt werden konnten. Die Utopie fand insbesondere bei den Autoren der französischen Aufklärung regen Anklang (in dem von Wolfgang Biesterfeld zusammengestellten „Verzeichnis der wichtigsten Utopien des 18. Jahrhunderts“ sind 51 französische, 20 englische und 18 deutschsprachige Titel enthalten. Biesterfeld: Utopie, S. 48– 51). Hierzu gehören Voltaires (1694–1778) Micromégas (1752) und Candide ou l’optimisme [1759]) sowie Motensquieus (1689–1755) Lettres Persannes (1721). Insbesondere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nutzten zahlreiche prominente deutschsprachige Autoren wie Wieland (Der Goldne Spiegel [1772]), Klopstock (Die deutsche Gelehrtenrepublik [1774]) und Lessing (Ernst und Falk. Gespräche für Freimaurer [1778]) Elemente der Utopie, um die in ihren Texten portraitierten Gesellschaftsentwürfe zu popularisieren. Zur Form und Bedeutung der literarischen Utopien des 18. Jahrhunderts siehe Biesterfeld: Utopie, S. 48–64; Müller: Gegenwelten, S. 71–138; Stockinger: Ficta Respublica, S. 100–112, 185 ff. Zur Utopie als literarische Form allgemein siehe Friedrich: Utopie, S. 739–743; Gnüg: Roman, S. 7–18, 112–121; dies.: Utopie, S. 7–19, 127–136; Innerhofer: Utopie, S. 795 f; ders.: Utopischer Roman, S. 796 f.; Kuon: Entwurf, S. 1–54; Müller: Gegenwelten, S. 1–46; Seeber – Berghahn: Einleitung, S. 7–23; Stockinger: Ficta Respublica, S. 1–4, 15–99; Sudhof: Nachwort, S. [I]–XXVIII; Wilpert: Utopie, S. 865–868. Zur soziologischen Dimension von Utopien siehe Horkheimer: Utopie, S. 178–192; Mannheim: Bewußtsein, S. 265–285; Mannheim: Utopie, S. 115–119. Zur politischen Utopie als Möglichkeit der Gesellschaftskritik siehe Saage: Utopien, S. 77 f.; Waschkuhn: Utopien, S. 1–177. 677 Reizenstein an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 162. Brief vom 6. 3. 1780, S. 366 [427]. 678 Reizenstein an Janson. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 161. Brief vom 16. 1. 1780, S. 358 [406].
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Jeder familiären Einheit steht in diesem politischen System die Menge an landwirtschaftlichen Gütern zur Verfügung, die sie zum Leben braucht und bearbeiten kann. Aus diesem Grund gibt es auch keine Notwendigkeit mehr für urbane Zentren, die sogar zerstört werden sollen. Reizenstein führt aus: Um jede Hütte liegt so viel Feld, als ungefähr die Familie zu bauen im Stande ist. Wir haben keine Städte, keine Dörfer – „Wie, kein Philadelphia? kein Boston mehr? jene herrlichen Städte, die über manche Europäische das Haupt erhuben, sind – „Nicht mehr! wir haben sie bis auf den Grund abgetragen […].“679
Erneut ist hier die städtekritische Grundeinstellung, die sich bereits in vorhergehenden Briefen gezeigt hat (s. o.), deutlich zu spüren. Gegenüber Auguste spricht Reizenstein von dem „moralischen Schaden grosser und kleiner Städte“680, „die die Mördergruben der Menschen sind!“681 Und Janson teilt er mit: „[…] [J]e größer die Stadt ist, desto grösserer Sammelplatz der Laster ist sie.“682 Um den „Verführungen der Tugend“683 und den „Entwürfe[n] des Ehrgeizes oder der Habsucht“684 vorzubeugen, ruft Reizenstein zu einer universellen landwirtschaftskonformen Lebensweise auf und fordert: „Laßt uns hinausgehen aufs Land, Brüder, laßt uns alle Ackerleute werden!“685 Davon verspricht er sich die „Glückseligkeit des Hausstandes und der Ehen“686. Mit dieser Erwartungshaltung prophezeit er: „[…] [W]ir werden uns ein Paradies schaffen, Wohnungen des Friedens und der Zufriedenheit […].“687 Die Forderung nach einem naturverbundenen Leben geht sogar soweit, die vollkommene Ausrichtung aller gesellschaftlichen Schichten auf die Landwirtschaft zu verlangen, was mit der Zurücknahme der beruflichen Professionalisierung einhergeht. Reizenstein gibt an: „Unsere ganze Nation sind Ackerleute, und wir haben sonst weder Künstler noch Professionisten. Wir brauchen nichts, als Korn, Wolle und Felle, und das haben wir.“688 Die Einwohner sollen nicht einer speziellen Profession nachgehen, sondern alle sollen gleicherweise fähig sein, die verbliebenen Aufgaben zu bewältigen. Reizenstein unterstreicht diesen Aspekt, indem er auf das Fehlen von Gelehrten hinweist: „[…] [D]er Gelehrte macht bey
679 Ebd., S. 359 [408]. 680 Reizenstein an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 162. Brief vom 6. 3. 1780, S. 365 [423]. 681 Ebd. [424]. 682 Reizenstein an Janson. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 161. Brief vom 16. 1. 1780, S. 359 [409]. 683 Ebd. 684 Ebd. 685 Reizenstein an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 162. Brief vom 6. 3. 1780, S. 365 [424]. 686 Ebd. 687 Ebd. 688 Reizenstein an Janson. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 161. Brief vom 16. 1. 1780, S. 359 [408].
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
uns keinen besonderen Stand aus. Wir haben nur Dilettanten […].“689 Dementsprechend gibt es in diesem Gesellschaftssystem auch „keine Juristen“690 und „keine Aerzte“691. Für Reizenstein sind medizinische Fachkräfte nicht notwendig, weil das Landleben im Gegensatz zu den seiner Meinung nach krankmachenden Städten, das Wohlergehen der Menschen garantiere. In Bezug auf das Lebens auf dem Land verkündet er: „Da athmet man nur die reine Himmelsluft, da blüht nur die Gesundheit!“692 Reizenstein postuliert sogar: „Arbeitsamkeit und Bewegung schützen uns vor Krankheiten, und die Paar sichern Regeln der Diätetik sind jedem Hausvater bekannt […].“693 Das gesamte Leben dieser Gesellschaft findet in den Kommunitäten auf dem Land statt. Die Familien leben autark und können sich selbst versorgen: „[…] [J]ede Hausmutter webt die Kleidung auf dem Stuhle, der in jedes Haus angeschaft ist. […] Eben so weiß jede Hausmutter ihr Brod zu backen.“694 Da in Reizensteins Augen die unkontrollierbaren Auswüchse des Handels den Sitten- und Moralverfall befördern, gibt es „weder Marktplätze noch Seehäfen“ 695, „keine Goldschmiede, keine Fabrikanten und andere Diener des Luxus“696 und auch „alle Bergwerke, bis auf einige, die das nöthige Eisen […] liefern, [sind] verschüttet“697. Die Ablehnung von Handelsgeschäften und eines überregionalen Warenaustausches ist mit dem Verzicht auf monetäre Zahlungsmittel verbunden: „Wir haben nichts zu verkaufen, und kaufen nichts ein. Daher haben wir kein Geld.“698 So wie sich sämtliche Ländereien in kollektivem Staatsbesitz befinden („Alles Land gehört dem Staate“699), gibt es auch kein Bedürfnis nach Privateigentum. Im fiktiven Gespräch heißt es: „So hat denn also niemand kein Eigenthum!“ Keins! wozu brauchte er was eigenes, da ihm alles aus dem gemeinschaftlichen Vorrath gereicht wird?“700
689 Ebd., S. 362 [415 f.]. 690 Ebd. [416]. 691 Ebd. 692 Reizenstein an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 162. Brief vom 6. 3. 1780, S. 365 [424]. 693 Reizenstein an Janson. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 161. Brief vom 16. 1.(/18. 1.) 1780, S. 362 [416]. 694 Ebd., S. 360 [411]. 695 Ebd., S. 359 [408]. 696 Ebd., S. 360 [411]. 697 Ebd. 698 Ebd. [410 f.]. 699 Ebd., S. 359 [409]. 700 Ebd., S. 360 [410].
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Dieser Überzeugung entspricht das Fehlen aller privilegierten Gesellschaftsgruppen, wie sie noch in Europa vorzufinden sind. Ein Vorzug wird lediglich dem Alter eingeräumt: Edelmann? Edelfrau? Was sind das für Dinge? bey uns kennt man sie nicht. Hier ist kein Unterschied der Stände, kein Rang, ausser der nach dem Alter; jeder jüngere hat Ehrfurcht vor einem älteren, und vor einem Greisen steht alles auf, küßt ihm die zitternde Hand, und gehorcht ihm.701
Um die Idee der egalitären klassenlosen Gesellschaft nicht ad absurdum zu führen, wird die vollständige Sklavenemanzipation proklamiert: „Aber ich sehe ja keine Negers mehr, die man ehemals für unentbehrlich in euren Pflanzungen hielt!“ Die sind entweder wieder in ihrem Vaterlande – oder, wer unter uns wohnen wollte, blieb da, und erhielt ein Stück Feld zum Anbau. Wir ehren die Menschen zu sehr, als daß ein Mensch der Sklave eines andern bey uns seyn dürfte. Schande für Europa, daß eure policiertesten Nationen Menschenhandel treiben!702
701 Ebd. [412]. 702 Ebd., S. 364 [421]. Die hier artikulierte Idee, die befreiten Sklaven, die nicht in Amerika bleiben wollen, nach Afrika zu schicken, ist von abolitionistischen Gruppierungen, insbesondere im 19. Jahrhundert, tatsächlich historisch gefordert worden. Die 1816 gegründete American Colonization Society machte es sich zur Aufgabe, freie Afroamerikaner oder auf eigene Kosten freigekaufte Sklaven nach Afrika zu überführen, um ihnen dort den Aufbau eines eigenen Staates zu ermöglichen, der 1824 den Namen Liberia erhielt und dessen Hauptstadt zu Ehren des fünften amerikanischen Präsidenten James Monroe (1758–1831; reg. 1817–1825) Monrovia getauft wurde. Die von zahlreichen Politikern wie dem berühmten Senator, Kongressabgeordneten und Außenminister Henry Clay (1777–1852) unterstützte Repatriierung schwarzer Bevölkerungsgruppen ist schon unter zeitgenössischen Abolitionisten umstritten gewesen, weil viele Vertreter dieser Idee die Unvereinbarkeit des Zusammenlebens Weißer und Afroamerikaner postulierten. Bereits in der Revolutionszeit hatte Jefferson, der von der Inferiorität von Afroamerikanern ausging und nicht glaubte, dass Weiße und Schwarze auf Dauer zusammenleben könnten, in seinen Notes on the State of Virginia erklärt: „Among the Romans emancipation required but one effort, The slave, when made free, might mix with, without staining the blood of his master. But with us a second is necessary, unknown to history. When freed, he is to be removed beyond the reach of mixture.“ Jefferson: Notes on the State of Virginia. 14. Query. In: Cogliano – Phimister (Hgg.): Revolutionary America, S. 126. Siehe hierzu auch Boyer – Clark – Kett u. a.: Enduring Vision, S. 223; Brogan: Thomas Jefferson, S. 137. Aufgrund der hohen finanziellen Kosten ist die Wirkung der American Colonization Society begrenzt gewesen. Insgesamt wurden durch die Organisation zwischen 1820 und 1830 schätzungsweise 1.400 Afroamerikaner nach Liberia gebracht. Zur American Colonization Society und den Motiven ihrer Mitglieder siehe Beyan: Settlements, S. 26–84; Boyer – Clark – Kett u. a.: Enduring Vision, S. 223, 301; Burin: Slavery, S. 6–56, 141–159; Cassell: Liberia, S. 13 ff.; Clegg: Price, S. 4 f, 31–34; Davis: Problem, S. 33–35, 199 f., 335 [Anm. 82]; Heideking – Mauch: Geschichte, S. 86, 92, 107; Yarema: American Colonization Society, S. 35–52. 1775
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Reizenstein berichtet außerdem von der Gewährung der Religionsfreiheit, die allerdings durch eine monotheistische bzw. antiatheistische Komponente relativiert wird. Er erklärt: „Hier ist vollkommene Religionsfreyheit, nur dieß einzige ausgenommen, daß jeder, der unter uns wohnen will, einen Gott glauben muß.“703 Juden wird ebenfalls die Möglichkeit eingeräumt, am neuen Staat zu partizipieren, allerdings sieht das von Reizenstein beschriebene Gesellschaftsmodell nur ihre partielle Integration in die Gesamtgesellschaft vor, da sie auf abgesonderte Gebiete in der Nähe der Berge – möglicherweise sind mit diesen die Appalachen gemeint – verwiesen werden: Selbst den Juden sind gewisse Distrikte nach den Gebirgen hin angewiesen, wo sie bloß Ackerbau eben so treiben, wie wir. Denn wir glauben, daß die Neigung zu Betrügereyen, die ihnen in Europa Schuld gegeben wird, nur allein daher kömmt, weil man sie mit einer grössern Last von Abgaben belegt, und auf der andern Seite ihnen doch keine andere Mittel, sich ehrlich zu nähren, übrig läßt, als den Handel. Gesetzt auch, es wäre wahr, daß ihre Hauptabsicht nur sey, die Christen zu betrügen, seyd Ihr Europäer nicht selbst Schuld daran, da Ihr sie von Professionen, vom Besitze liegender Güter und andern Gewerben ausschließt? […] Verfahrt mit ihnen menschenfreundlicher, und der Charakter der Nation wird eine andere Wendung erhalten!704
Damit tangiert der Roman eine Vorstellung, die wenige Jahre später auch historisch formuliert wurde. 1783 erschien im Deutschen Museum das neunseitige Schreiben eines deutschen Juden, an den Präsidenten des Kongresses der vereinig-
waren allein in South Carolina fast 33.000 erwachsene Sklaven und damit etwa 49 % der erwachsenen Sklavenbevölkerung, in Afrika geboren worden. Vgl. Morgan: Black Society, S. 92. Aus Reizensteins Beschreibung der Sklavenemanzipation ist zu entnehmen, dass den befreiten Afroamerikanern die Rückkehr nach Afrika oder der Aufenthalt im neuen Staat in Amerika freigestellt ist. Sie erhalten zur Selbstversorgung ein Stück Land zugewiesen, aber es wird nicht deutlich, ob sie wie die jüdischen Einwohner (s. u.) geografisch separiert von den übrigen Kolonisten oder in direkter Gemeinschaft mit ihnen zusammen leben können. Zur Frage, ob bzw. unter welchen Umständen die Sklaverei im Zuge der Amerikanischen Revolution hätte abgeschafft werden können bzw. inwieweit es sich hierbei um eine utopische Hoffnung handelte, siehe aus historischer Perspektive Nash: Forgotten Fith, S. 69–122. So ist zu bedenken, dass Philip D. Morgan für die vier Dekaden von 1750 bis 1790 für South Carolina insgesamt lediglich 394 Freilassungen von Sklaven zählte. Vgl. Morgan: Black Society, S. 116. Während des Unabhängigkeitskrieges hatte die britische Armee rekrutierten Sklaven die Emanzipation nach dem Ende der militärischen Auseinandersetzungen in Aussicht gestellt. Siehe hierzu Heideking – Mauch: Geschichte, S. 46; Wellenreuther: Chaos, S. 313 f. Zu der Rolle von Afroamerikanern während des Unabhängigkeitskrieges siehe auch Egerton: Death, S. 65–92. 703 Reizenstein an Janson. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 161. Brief vom 16. 1.(/19. 1.) 1780, S. 362 [417]. 704 Ebd., S. 362 f. [417 f.].
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ten Staaten von Amerika,705 das vor dem Hintergrund der 1781 zum ersten Mal veröffentlichten Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Juden von Christian Konrad Wilhelm von Dohm zu sehen ist, die 1783 in der zweiten Auflage erschien. Der Verfasser des Briefes, der fälschlicherweise mit Moses Mendelssohn (1729– 1786) identifiziert wurde,706 dürfte, wie Christoph E. Schweitzer aufgezeigt hat,707 der preußische Aufklärer und Nationalökonom Leopold Friedrich Günther von Goeckingk gewesen sein, der in einem mit seinem Namen unterzeichneten, dem Brief vorangestellten Vorwort behauptete, dass ihm der Text „kürzlich von einem Juden zugeschickt“708 worden sei, den er auf seinen Reisen kennengelernt habe. Der Verfasser des Schreibens brachte zunächst seinen Respekt vor dem namentlich nicht genannten Adressaten sowie das Interesse an den Ereignissen in Nordamerika zum Ausdruck und verwies auf die infolge des Vertrages von Paris 1783 an die Vereinigten Staaten gefallenen westlichen Territorien bis zum Mississippi. Er erklärte: „Mit großer Theilnehmung haben viele von uns aus dem von den hochmögenden amerikanischen Staaten mit England geschlossenen Frieden ersehen, dass ihnen darin große Strecken Landes eingeräumt worden, die so gut als gar nicht bewohnt sind.“709 Anschließend artikulierte er den Wunsch der Juden, sich in den seiner Meinung nahezu ganz unbewohnten neuen Territorien anzusiedeln: „Sollen nun jene Strecken […] wüste liegen, oder ein zu großes Jagdrevier für wenige herum streifende Wilde bleiben? Ihre Religion kan Ihnen nicht verbieten, uns diese Wüsten zum Anbau zu überlassen; auch dulden Sie ja schon Juden unter sich.“710 Der Autor machte deutlich, dass die Ansiedlung von Juden mit keinen Nachteilen für die amerikanische Bevölkerung verbunden wäre, da diese nicht nur keine finanziellen Aufwendungen verursachen würden, sondern auch bereit seien, eine doppelte Steuerlast zu tragen: […] [W]ir verlangen weiter nichts, als Unterthanen der 13 Provinzen zu werden, die gern zwiefache Steuern für das Beste dieser Provinzen beitragen wollen, wenn sie nur die
705 Zum Schreiben siehe auch Eliassof: German-American Jews, S. 328; Kayserling: Memorial, S. 5–8; Kohler: German-Jewish Migration, S. 93 f.; Lutz-Esche: Bild, S. 183 f.; Zeydel: Letter, S. 185– 188. 706 Zu diesem Eindruck beigetragen haben dürfte, dass der Text 1787 unter dem leicht abgewandelten Titel Schreiben eines deutschen Juden an den amerikanischen Präsidenten O* * als eigenständiger Druck mit der Herausgeberangabe „Moses Mendelssohn“ erneut erschien. 707 Siehe Schweitzer: Goeckingk, S. 185–192. 708 [Goeckingk]: Schreiben eines deutschen Juden, an den Präsidenten des Kongresses der vereinigten Staaten von Amerika. Vorwort, S. 566. 709 Ebd. 710 Ebd. Auffällig ist hier der pejorative Verweis auf die Ureinwohner, deren primäres Siedlungsrecht vom Verfasser negiert wird.
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
Erlaubniß erhalten, auf ihre Kosten Kolonien anzulegen, Ackerbau, Handel, Künste und Wissenschaften treiben zu dürfen. Glauben wir nicht an denselbigen Gott, an welchen die Quäker glauben? Kan unsre Aufnahme gefährlicher oder bedenklicher sein, als dieser ihre? Gesezt, dass 2000 Familien von uns, sich in einer Wüste von Amerika niederliessen, und sie zu einem fruchtbaren Lande machten: Würden die alten Einwohner der Provinzen darunter leiden?711
In Seybolds Briefroman wird ebendiese von aufklärerischen Überzeugungen motivierte Erlaubnis zur Besiedlung gewährt. Hinter der Aussage Reizensteins verbirgt sich derselbe Gedankengang, der bereits Wilhelmine, in ihrem Fall in Bezug auf die afroamerikanischen Sklaven, motivierte, die Bedeutung sozialer Umstände für die Ausbildung des menschlichen Charakters, zu akzentuieren (s. o. III.15). Die Haltung Reizensteins bzw. Wilhelmines erweist sich bei näherer Betrachtung allerdings als ambivalent. Einerseits handelt es sich bei ihren Kommentaren um eindeutig aufklärerische und vergleichsweise liberale Verteidigungen sozial benachteiligter Minderheiten. Auf der anderen Seite muss allerdings auch darauf hingewiesen werden, dass die diesen Gruppen gegenüber vorgebrachten, von Vorurteilen geprägten Anschuldigungen (Afroamerikaner-Boshaftigkeit; JudenGeldgier) nicht widersprochen wird. Reizenstein und Wilhelmine sind nicht der Meinung, dass die Kritiken prinzipiell falsch seien, sie vertreten lediglich die Ansicht, dass äußere Umstände die Gruppen dazu gebracht hätten, die ihnen zugeschriebenen negativen Charakteristika auszubilden. Hinsichtlich der eben erwähnten Religionsfreiheit ist zu erwähnen, dass diese durch eine Absage an dogmatische Zwischeninstanzen bei der Spende von Sakramenten, wie Taufe und Eucharistie, ergänzt wird. Die Hausväter bzw. Ältesten jeder Gemeinschaft können die bisher von Pfarrern wahrgenommenen Funktionen übernehmen: „Also habt Ihr keine Pfarrer!“ Sagen Sie mir erst, wozu? Buß- und Strafpredigten brauchen wir nicht […] die Aufsicht über die Sitten liegt zunächst jedem Hausvater an, und dann dem Aeltesten. Taufen kann und darf auch jeder Hausvater, und das Liebesmahl zum Andenken des Erlösers halten wir, wie die ersten Christen, so, daß wir es einander selbst reichen.712
711 Ebd. 712 Reizenstein an Janson. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 161. Brief vom 16. 1.(/19. 1.) 1780, S. 363 [419]. Zur Rückbesinnung auf ursprüngliche und authentische religiöse Konzeptionen gehört, dass das Sakrament der Ehe, nur aus Liebesverbindungen hervorgehen und nicht aus opportunistischen und pragmatischen Gründen geschlossen werden soll: „[…] [S]o schließt nur Liebe unsere Ehen, und daher sind sie das, was sie seyn sollen. Von allen dergleichen Albernheiten, durch eine Frau in eine vornehme Familie zu kommen, und zu Ehren hinanzusteigen, Reichthümer durch sie zu erhalten &c[etera] wissen wir nichts […].“ Ebd., S. 364 [420 f.].
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Auch wenn es nicht explizit ausgesprochen wird, ist es evident, dass sich hier eine kritische Position zur römisch-katholischen Kirche zeigt, die, konform zur Haltung zahlreicher zeitgenössischer protestantischer religiöser Gemeinschaften in Nordamerika, mit einer starken Ablehnung hierarchischer Strukturen verbunden ist. An die Stelle von auf Vermittlungspersonen angewiesenen Riten sollen der urchristliche Gemeinschaftsgeist und eine unmittelbare Religionspraxis ohne Zwischeninstanzen treten. So sollen die religiösen Versammlungen am Sonntag, außer im Winter, wenn man auf Bethäuser ausweicht, naturnah unter freiem Himmel stattfinden.713 Gelehrte, die sich mit theologischen oder religiösen Büchern beschäftigen, „halten kleine Reden zur Ermunterung zum Lobes des Schöpfers, besonders durch Erklärung der Wunder der Natur“714, allerdings, wie unterstrichen wird, „ohne deßwegen eine Profession daraus zu machen, oder Fakultisten zu seyn […].“715 In diesen von deistischen Vorstellungen geprägten Worten manifestiert sich ein antiakademischer aufklärerischer Vernunftglaube. Der Nachhall von Alexander Popes (1688–1744) im 18. Jahrhundert höchst populärer Formel von der „Vast Chain of Being“716, welche die Verbundenheit aller Bestandteile der Schöpfung vom Größten bis zum Kleinsten akzentuiert und der physikotheologische Einfluss der Zeit, wie sie in poetischer Form etwa von Barthold H(e)inrich Brockes in seiner Gedichtsammlung Irdisches Vergnügen in Gott popularisiert wurde,717 sind zu spüren, wenn Reizenstein weiter ausführt: Sie werden die Aufmerksamkeit sehen, und sich der Andacht freuen, wenn Sie einst sehen, wie unsere Naturforscher bald eine Pflanze, bald ein Insekt in die Versammlung bringen,
713 Das biblische Vorbild dürfte hier die sog. Berg- bzw. Feldpredigt bei Matthäus bzw. Lukas sein (Mt 5–7; Lk 6,17–49). 714 Reizenstein an Janson. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 161. Brief vom 16. 1. 1780, S. 363 [418]. 715 Ebd. 716 Alexander Pope: Essay on Man. Epistle I, V. 237 [siehe auch V. 33]. In: Pope: Menschen, S. 32 f. Zu Popes Schrift An Essay on Man (1733/34) siehe Breidert: Einleitung, S. VII-XXV; Meyer Spacks: Argument, S. 41–83; Rogers: Alexander Pope Encyclopedia, S. 118 f.; ders.: Cambridge Companion, S. 47, 231 f. Zur Vorstellung der sog. Great Chain of Being im 18. Jahrhundert siehe Hintikka – Kannisto: Kant, S. 287–307; Lovejoy: Chain, S. 183–241, bes. s. 192–199. An Essay on Man erschien 1740 in einer ersten deutschen Übersetzung von Barthold H(e)inrich Brockes (1680–1747). Zu Popes deutschsprachigen Übersetzungen und Rezeption im 18. Jahrhundert siehe Baasner: An essay on man, S. 189–216. 717 Siehe Guntermann: Barthold Heinrich Brockes, S. 13–20; Ketelsen: Naturpoesie, S. 25–42; Kimber: Barthold Heinrich Brockes, S. 45–70. Zur Physikotheologie in Brockes Gedichtsammlung und seiner Wirkung auf die Literatur des 18. Jahrhunderts siehe Kleßmann: Barthold Hinrich Brockes, S. 33–46; Peters: Kunst, S. 54–104.
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den anwesenden Familien die Eigenschaften derselben entwickeln, und die Grösse, Weisheit und Güte Gottes, im Grossen, wie im Kleinen, sinnlich darstellen!718
Der klar dezentralistisch orientierte Leitgedanke des von Reizenstein propagierten Gesellschaftsmodells spiegelt sich auch im politisch-administrativen Bereich seines Staatssystems wider, der auf der administrativen Ebene nahezu nicht fassbar ist. Die über das Land verteilten, nach dem Herrschaftsprinzip einer patriarchalischen Gerontokratie organisierten Kommunitäten sind primär familiär gegliedert, während jeder lokalen Gemeinschaft ein Ältester vorsteht, der eine gewisse Amtsfunktion wahrnimmt: „Zu jedem Bezirke von zwey Stunden gehört ein Aeltester, und dieser ist die ordentliche Obrigkeit, oder vielmehr der allgemeine Vater des Bezirks.“719 Die Ältesten vertreten ihre Körperschaft in überlokalen Zusammenkünften und haben vor allem die Aufgabe, über die Einhaltung der Tugendhaftigkeit durch die Einwohner zu wachen: „Alle Jahre mit angehendem Frühjahre hält man Provinzialversammlungen. Indessen haben die Aeltesten von Zeit zu Zeit die Familien ihres Bezirks besucht, sie haben jede häusliche Tugend beobachtet, und bestimmen nun, wer öffentliche Lobsprüche verdient hat.“720 Konventionelle juristische Verordnungen bzw. eine Jurisdiktion im traditionellen Sinne erscheinen obsolet, da sich alle Bewohner an die Sitten halten: „[]Aber Gesetze habt Ihr doch? Nein! Freund! wir haben dafür etwas weit besseres – Sitten. […] Unsere Sitten sind uns heilig. Niemand würde es wagen, ihnen entgegen zu handeln […].“721 Um das in dem neuen Idealstaat erreichte Lebensprinzip vor den korrupten Verhältnissen in der übrigen Welt, vor allem in Europa, zu bewahren, wird eine nahezu hermetische Abschottung von der Außenwelt verfolgt. Die „Häfen sind verschüttet“722, die Seeküste ist durch eine aus „Bambus, Dorngesträuchen und andern Bäumen“723 bestehende Barriere blockiert, während den Landzugang von Kanada bis Louisiana ein vier Meilen breites, zusätzlich mit Wassergräben versehenes Dickicht verwehrt. Reizenstein zufolge ist das Land außerdem durch den Mangel an materiellem Wohlstand und wertvollen Rohstoffen vor dem Einfall neuer europäischer Kolonialmächte geschützt. Er schlussfolgert: „[…] [U]nsere Armuth [macht] uns sicher. Was soll den Eroberer reiten? Gold und Silber haben
718 Reizenstein an Janson. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 161. Brief vom 16. 1. 1780, S. 363 [418 f.]. 719 Ebd., S. 359 [409]. 720 Ebd., S. 361 [412 f.]. 721 Ebd., S. 362 [416 f.]. 722 Ebd., S. 361 [414]. 723 Ebd.
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wir nicht […].“724 In dem von Reizenstein verfassten fiktiven Dialog kann daher festgehalten werden: „[]So seyd Ihr dann von der ganzen übrigen Welt abgeschnitten, wißt nichts von ihr, und sie nichts von Euch!“725 Nur ein einziger Hafen wird in Betrieb gelassen, um einen kontrollierten und destillierten Kontakt mit Europa aufrecht zu erhalten. Der amerikanische Idealstaat steht europäischen Immigranten offen, die mit dem einmal im Jahr in diesem Hafen ankernden Schiff einreisen können. Bevor die Einwanderer allerdings eine permanente Aufenthaltsgenehmigung erhalten, müssen sie durch eine einjährige „moralische Quarantäne“726, in der sie die „Gierde nach Ehre und Reichthum, Projektsucht, Schwelgerey &c[etera]“727 hinter sich lassen sollen, weil sie andernfalls zurückgeschickt werden. In den europäischen Staaten stationierte Agenten, die die dortigen Zustände, Ereignisse und Entwicklungen observieren sollen, „sammeln, was in diesen Ländern Gutes erscheint“728 und leiten es nach Amerika weiter. So wird auch der einzige verbliebene Hafen genutzt, um einige als intellektuell wertvoll erachtete Bücher, die in Europa erscheinen, gegen die in der Neuen Welt angebauten Produkte wie Tabak einzutauschen. Das Interesse der Bewohner des neuen Gesellschaftssystems ist allerdings auf ausgewählte Titel beschränkt. Reizenstein erklärt: „Juristische, systematischtheologische, numisamtische und dergleichen Werke verlangen wir nicht […].“729 Vielmehr sollen „jährlich sechs gute Bücher aus dem Felde der Philosophie, Geschichte &c[etera], hauptsächlich aber der Naturgeschichte“730 eingeführt werden. In Reizensteins Imagination seiner Idealgesellschaft werden Parallelen zu Johann Gottfried Schnabels731 Robinsonade und Sozialutopie732 Wunderliche Fata einiger See-Fahrer, die als Insel Felsenburg 1828 von Ludwig Tieck (1773–1853) in einer gekürzten Form neu herausgegeben wurde, offenkundig.733 Bei dem vier-
724 Ebd. [413]. 725 Ebd. [414]. 726 Ebd., S. 364 [422]. 727 Ebd. 728 Ebd., S. 361 [415]. 729 Ebd., S. 362 [415]. 730 Ebd. 731 Zu Schnabel, dessen Lebensende dokumentarisch nicht greifbar ist siehe Weber: Schnabel, S. 476–480. 732 Zum Verhältnis von Robinsonade und Utopie siehe auch Naumann: Politik, S. [91]–96. 733 Zu Schnabels Roman siehe Biesterfeld: Utopie, S. 56–58; Bojarzin: Individualität, S. [39]– [64]; Fischer: Naturzustand, S. 79; Heyder: Robinsonade, S. [71]–82; Kühlmann: Literarische Miniaturen, S. [21]–24; Naumann: Politik, S. 97–109; Recker: Johann Gottfried Schnabel, S. [78]–111; Saage: Insel Felsenburg, S. [179]–188; Voßkamp: Paradies, S. 95–104.
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
teiligen „monumentalen Leseklassiker[]“734, der fast 2.500 Druckseiten umfasst, handelt es sich um ein „Schlüsselwerk der deutschen Frühaufklärung“735, das im 18. Jahrhundert zu einem der erfolgreichsten Titel wurde.736 Der erste Teil erreichte acht Auflagen (1731, 1732, 1736, 1740, 1744, 1749, 1751, 1768), der zweite sieben (1732, 1733, 1737, 1746, 1752, 1763, 1772), der dritte Teil sechs (1736, 1739, 1744, 1748, 1751, 1767) und der vierte Teil fünf Auflagen (1743, 1746, 1751, 1761, 1769).737 Infolge seiner außergewöhnlichen Popularität kam es zu einer großen Zahl an Nachdichtungen und Parodien. So zählte Uli Wunderlich im Zeitraum 1736–1876 über 20 „Felsenburgiaden“.738 Die Insel, die geografisch im Südatlantik verortet wurde,739 wird zur idyllischen Heimstätte für gestrandete Europäer, die dort ihren idealen utopischen Staat etablieren können. Dieser ist, wie in Reizenstein, in kleine Gemeinschaften aufgeteilt, dem patriarchalische „Alt-Väter“ voranstehen. Eine weitere Gemeinsamkeit zu Seybolds Briefroman stellt die aufrecht erhaltene Herausgeberfiktion in Schnables Wunderliche Fata dar, durch welche die Authentizität des publizierten Textes zum Ausdruck gebracht werden soll. Wie für Reizenstein und seinen Freundeskreis in Amerika ist der Aufenhalt der Einwohner der Gestrandeten auf ihrer Insel im Gegensatz zur klassischen Robinsonade nicht durch einen vorübergehenden, sondern durch einen endgültigen Zustand gekennzeichnet. Und so wie Reizenstein von der Naturästhetik Nordamerikas ergriffen wird (s. o.), sind auch die Neuankömmlinge auf der Insel Felsenburg von der landschaftlichen Schönheit, die an den Garten Eden erinnert, beeindruckt. Der Erzähler erinnert sich z. B. im ersten Buch: „Ich erstaunete, so bald ich mich mitten in diesem Paradiese befand, noch mehr, da ich das Wildpret, als Hirsche, Rehe, Affen, Ziegen und andere mir unbekandte Thiere, weit zahmer befand, als bey uns in Europa fast das andere Vieh zu seyn pflegt.“740 Ein weiterer Gestrandeter fragt ebenso staunend und voller Bewunderung:
734 Kühlmann: Literarische Miniaturen, S. 22. 735 Ebd., S. 24. 736 Uli Wunderlich bezeichnete ihn sogar als den „erfolgreichste[n] deutsche[n] Roman der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts“ Wunderlich: Felsenburgiaden, S. [149]. Siehe auch Gugisch: Nachwort, S. 515; Weber: Schnabel, S. 476. 737 Siehe Heyder: Robinsonade, S. 77; Roidner: Verschwinden, S. 179; Saage: Insel Felsenburg, S. [179]; Wunderlich: Felsenburgiaden, S. 150. 738 Siehe ebd. Zu den Nachdichtungen siehe ebd., S. [149]–163. 739 Siehe hierzu auch Roidner: Verschwinden, S. 177. 740 Schnabel: Insel Felsenburg/Wunderliche Fata einiger Seefahrer. 1. Buch, S. 182 [1731: S. 157]. Siehe hierzu auch Duesberg: Idylle, S. 116–120; Fischer: Naturzustand, S. 71 f.; Wimmer: Paradies, S. [333]–349.
16 Die Auflösung des Kongresses und Reizensteins Gesellschaftsutopie
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O du gütiger Himmel, welch ein schönes Paradieß ist dieses? saget uns doch, o ihr glückseeligen Einwohner desselben, ob wir uns unter Engeln oder sterblichen Menschen befinden? denn wir können biß diese Stunde unsere Sinnen noch nicht überzeugen, ob wir noch auf der vorigen Welt leben; Oder durch den zeitlichen Tod in eine andere Welt versetzt sind?741
So wie in Reizenstein die europäischen Kulturen, allen voran Frankreich, als Zentren der ethisch-moralischen Dekadenz erscheinen, wird in der Wunderlichen Fata ein dezidierter Antagonismus zwischen den korrupten Verhältnissen auf dem europäischen Kontinent, der von Kriegen und Not zersetzt wird und der von Religiosität und integren Grundsätzen geleiteten Inselgemeinschaft etabliert. Wie in Reizensteins Utopie wird auf der Insel Felsenburg der Gleichheitsgedanke akzentuiert und nur ein Mindestkontakt zu den europäischen Monarchien aufrechterhalten, durch den u. a. einige ausgewählte Bücher Eingang in die abgeschottete Gemeinschaft finden sollen. Statt Handel und Warenaustausch mit Europa wird das Ziel einer landwirtschaftlich geprägten Autarkie, die Geld obsolet macht, verfolgt.742 Der Erzähler gibt an: […] [W]ir baueten uns mehrere und beqvemliche Wohungen, bestelleten mehr Felder, Gärten und Weinberge, brachten verschiedene Werckstädten zur Holtz-Stein-Metall- [sic] und Saltz-Zurichtung in behörige Ordnung, trieben aber damit nicht den geringsten Wucher, und hatten solchergestalt gar keines Geldes von nöthen, weil ein jeder mit demjenigen, was er hatte, seinen Nächsten umsonst, und mit Lust zu dienen geflissen war.743
Parallelen der in Seybolds Briefroman entworfenen Utopie finden sich allerdings nicht nur zu Schnabels Insel Felsenburg, die wohl als eine unmittelbare Inspirationsquelle gedient haben dürfte, sondern auch zu der von Friedrich Leopold Graf zu Stolberg[-Stolberg] verfassten Gesellschaftsutopie Die Insel, die erst nach der Veröffentlichung von Reizenstein verfasst und 1788 publiziert wurde. Sophron, ein „Liebling der Natur“744 und wie Reizenstein ein „Bewunderer und Freund der Alten“745, stellt darin einer Gruppe von Kindern, die seinen Ausführungen wie denen eines Lehrers folgen, sie allerdings auch um eigene Ansichten und Kommentare ergänzen, seine auf einer Binneninsel verorteten Idealgemeinschaft vor. Diese ist u. a. durch die Egalität seiner Bewohner („Unser Inselbewohner lebt
741 Schnabel: Insel Felsenburg/Wunderliche Fata einiger Seefahrer. 1. Buch, S. 323 [1731: S. 292 f.]. 742 Siehe hierzu auch Duesberg: Idylle, S. 112–116. 743 Schnabel: Insel Felsenburg/Wunderliche Fata einiger Seefahrer. 1. Buch, S. 406 [1731: S. 372]. 744 Stolberg[-Stolberg]: Die Insel. 1. Buch. 1. Kapitel, S. 11. 745 Ebd.
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
ein Gleicher unter Gleichen.“746), eine gerontokratisch orientierte Ordnung,747 eine durch Natürlichkeit und Einfachheit definierte Lebensweise, die auch in der Kleidung zum Ausdruck kommt („Die Kleidung der Weiber ist einfältig und dem Auge gefallend.“748), durch die Wertschätzung von Arbeit und Selbstversorgung („Mangel an Arbeit macht einen Theil der Menschen zu elenden Weichlingen“749), eine ausgeprägte Naturverbundenheit, die eine sakrale Konnotation erhält750 sowie durch eine ausgeprägte Stadtfeindlichkeit geprägt. So diskutieren die Kinder: Kophos. Wird in der ganzen Insel keine Stadt sein? Hilaros. Etwa eine Residenzstadt, Kophos? La Riviere. Wem es um Städte zu thun ist, der bleibe ja in Europa!751
Und Sophron, der eine Urbanitätsgrenze von maximal 50 Familien pro Dorfgemeinschaft festsetzt, führt aus: „Unschuld der Sitte, Freiheit, Naturgefühl, das ganze Chor reiner Tugenden, und ihr Gegenchor reiner Freuden, werden schüchtern beim bloßen Gedanken einer Stadt.“752 Wie in der Wunderlichen Fata und in Reizenstein gibt es eine Literaturrestriktion bzw. -zensur, die vor einer reinen Akademisierung schützen soll: „Statt aller moralischen Bücher, wollen wir uns mit Reinheit der Sitten behelfen; und gesunde Vernunft allen Kompendien der Logik und Metaphysik vorziehen.“753 Und auch etwas später erklärt Sophron: „Wir wollen weder eine allgemeine Akademie von Gelehrten, noch drückende Ungleichheit. Einfalt, Unschuld, Glückseligkeit und Freiheit, sind unsre Schuzgöttinnen, welche Opfer erfordern, die uns nicht zu theuer scheinen müssen. Sonst blieben wir lieber hier.“754 Von dieser Literaturphobie sind ultimativ nur einige religiöse Schriften, allen voran die Bibel, ausgenommen: „Jedes Dörfchen hat ein Exemplar unsrer heiligen Schriften. Jeder Hausvater kann lesen, und hat
746 Ebd. 1. Buch. 4. Kapitel, S. 49. 747 Im sechsten Kapitel erklärt Sophron: „[…] [D]er älteste Greis […] ist Verwahrer der heiligen Schriften. Die Hausväter sind Richter, immer je vier und vier das Jahr, nach dem Alter. […] Jede Gemeine wählet jährlich unter den Männern, die zwischen vierzig und sechzig Jahr alt sind, einen Oberrichter.“ Ebd. 1. Buch. 6. Kapitel, S. 72. 748 Ebd. 1. Buch. 8. Kapitel, S. 95. 749 Ebd. 1. Buch. 4. Kapitel, S. 49. 750 Siehe ebd. 1. Buch. 7. Kapitel, S. 81. 751 Ebd. 1. Buch. 6. Kapitel, S. 50. 752 Ebd., S. 51. 753 Ebd. 1. Buch. 4. Kapitel, S. 50. 754 Ebd. 1. Buch. 6. Kapitel, S. 78.
16 Die Auflösung des Kongresses und Reizensteins Gesellschaftsutopie
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das erste Buch Mose und die Evangelien zum häuslichen Gebrauch. Sie sind die Penaten einer jeden Hütte.“755 Es ist frappierend, wie viele Überschneidungen und Gemeinsamkeiten die drei hier skizzierten Sozialutopien aufweisen. Das Besondere an dem von Seybold in seinem Briefroman vorgestellten Idealstaat ist jedoch, dass er zwar zeitlich etwas in die Zukunft datiert, geografisch jedoch konkret in Nordamerika lokalisiert und politisch mit dem neu sich konstituierenden Staat verbunden wird. Sicherlich erscheint das von Reizenstein portraitierte protokommunistische Gesellschaftsmodell, so wie die Insel Felsenburg und die von Sophron entworfene Insel-Utopie, in seiner reinsten theoretischen Ausprägung, ohne den Anspruch auf eine experimentell geprüfte Validität stellen zu können. Es ließe sich gewiss in Frage stellen, ob alle Einwohner des neu gegründeten Staates in Nordamerika daran interessiert wären, an diesem System zu partizipieren. Historische soziopolitische Hürden zur Etablierung des von Reizenstein als Ideal beschriebenen Gemeinwesens werden von ihm negiert bzw. gänzlich ignoriert. Gemessen an den tatsächlichen historischen Zuständen könnte es beispielsweise schon sehr zweifelhaft erscheinen, dass von rassistischem Gedankengut geprägte aristokratische Sklavenbesitzer in den Südstaaten bereit wären, ihren Sklaven ohne Kompensationsleistung die Emanzipation zu gewähren oder ihre weiträumigen Plantagen in den gemeinschaftlichen Besitz übergehen zu lassen, was zum Problem der Zwangskollektivierung führen würde.756 Hierbei ist allerdings anzumerken, dass die Frage nach der historischen Adäquatheit nicht von primärer Bedeutung ist, denn in Seybolds Briefroman wird die Verwirklichung dieser Utopie lediglich in einem poetischen Raum, der keinen Anspruch auf Realitätskonformität stellen muss, in Aussicht gestellt. Reizenstein ist sich allerdings der Problemhaftigkeit der von ihm entworfenen Utopie durchaus bewusst. Er spricht die Möglichkeit einer prozesshaften Annäherung an das Ideal an und betont die Bedeutung seiner neuen Heimat South Carolina als zur Nachahmung motivierendes Vorbild: „Gelingts uns nicht mit allen [Provinzen] auf einmal, so machen wir den Anfang mit unserm Karolina, und dann wird das Beyspiel unsers Glücks die andern gewiß
755 Ebd., S. 71. 756 Das zentrale Interesse der Südstaatenaristokraten an der Aufrechterhaltung der Sklaverei wird beispielsweise in Carl Frenzels historischem Roman Freier Boden artikuliert. Vor dem Hintergrund der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung wird dort deutlich gemacht, dass „[d]ie mächtigen Pflanzer in Virginien und Carolina […] keinen Deut für die Freiheitsulme bei Boston [gäben], wenn die Republik zuletzt auch noch die Neger zu freien Leuten machte.“ Frenzel: Freier Boden. Bd. 3, S. 45. Und ergänzend heißt es: „Auf Sklavenarbeit beruht der Reichthum des Südens, ein König oder ein Protector wird ihn am sichersten schützen.“ Frenzel: Freier Boden. Bd. 3, S. 45.
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III Der zeitgenössische Amerikadiskurs in Seybolds Briefroman Reizenstein
nach und nach zur Nachahmung reizen.“757 In diesem Sinne sieht sich Reizenstein daher schon nahe am Ziel einer unter der Providenz stehenden Gesamtentwicklung. In seinem letzten, an seine Frau Auguste verfassten Brief konstatiert er zum Schluss: „Also ist nun das grosse Werk, das wir unternahmen, seiner Vollendung nahe gebracht! Das übrige überlassen wir der Vorhersehung!“758 Im insgesamt finalen Brief des Romans berichtet schließlich Janson, der Charlotte noch in Europa geheiratet hat, Reizenstein von ihrer Absicht, nach Amerika überzusiedeln, um an dortigen Entwicklungen teilzunehmen. Damit wird das Ende eines transatlantischen Prozesses eingeläutet, der seinen Ausgang auf dem Kontinent Europa genommen hat, der für eine reaktionäre rückwärtsgewandte Vergangenheit steht und seinen Abschluss in der Neuen Welt findet, die ihrerseits komplementär mit der Gegenwart und Zukunft verbunden ist. Janson beendet den Roman mit den zukunftsweisenden Worten: „Wir kommen! alle kommen! Malchen, der Junker, selbst unsere alte Mutter wagts! Lotte ist mir seit gestern angetraut; – Eia! wären wir nur schon, da! Doch bald – in zwey drey Monaten!“759
757 Reizenstein an Auguste. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2, 162. Brief vom 6. 3. 1780, S. 367 [429]. 758 Ebd. 759 Janson an Reizenstein. In: Seybold: Reizenstein. Bd. 2. 163. Brief vom 26. 4. 1780, S. 367 [429 f.].
IV „Ha laßt michs nur recht fühlen auf Amerikanischen Boden zu stehn, wo alles neu, alles bedeutend ist.“ Die apolitische Rezeption der Amerikanischen Revolution in Friedrich Maximilian Klingers (1752–1831) Schauspiel Sturm und Drang (1776 [ED. 1777]) 1 Ein Werk, das jeder kennt, aber niemand gelesen hat? Klinger und Sturm und Drang im Urteil der Forschung Die Rolle Friedrich Maximilian Klingers1 als Verfasser von Dramen und Romanen und die Bedeutung seiner Werke wie Sturm und Drang wurde von der Literaturgeschichtsschreibung immer wieder unterschiedlich bewertet. Bereits 1924 konstatierte Otto Alfred Palitzsch: „Die in der literarhistorischen Forschung über F. M. Klingers dramatische Jugendwerke gefällten Urteile sind im Laufe der letzten fünfzig Jahre erheblichen Wandlungen unterworfen gewesen.“2 Für Franz Hedicke stand schon Anfang des 20. Jahrhunderts fest, dass Klinger als Schriftsteller „zweifellos zu den bedeutendsten seiner Zeit gehört“3. Sein Einfluss auf die Literatur des 18. Jahrhunderts wurde auch von Edward P. Harris hervorgehoben, der deutlich machte: „Certainly Klinger’s long and productive life, his openness to ideas, and his personal magnetism place him among the most influential literary figures of the late eighteenth century.“4 Paul Reimann unterstrich die Singularität des Autors zusammenfassend mit den Worten: „In der deutschen Dichtung steht Klinger ganz vereinzelt da.“5
1 Zur Biografie und dem literarischen Werk Klingers siehe auch Harris: Friedrich Maximilian Klinger, S. 121–129; Harris – Poeplau: Klinger, S. 485–487; Poeplau: Selbstbehauptung, S. 17–34, 167–183. Zur Rolle und Bedeutung Klingers als Reformer des Edukationssystems im Baltikum siehe insbesondere Salumets: Außenseiter, S. 430 f. 2 Palitzsch: Erlebnisgehalt, S. VII. 3 Hedicke: Technik, S. 7. 4 Harris: Friedrich Maximilian Klinger, S. 129. 5 Reimann: Kunstauffassung, S. 224. Ähnlich heißt es außerdem bei Reimann: „Der Fall Klingers ist wohl ein einzigartiges Phänomen der Literaturgeschichte.“ Reimann: Kunstauffassung, S. 222. Siehe auch Wyneken: Rousseaus Einfluss, S. 1. https://doi.org/10.1515/9783110644739-004
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IV Die apolitische Rezeption der Amerikanischen Revolution
In Opposition zu dieser Wertschätzung des Autors steht die Tatsache, dass das literarische Werk Klingers in der öffentlichen Aufmerksamkeit aber auch in der Literaturwissenschaft lange Zeit in einen peripheren Bereich abgedrängt wurde. Untersuchungen, die sich mit Klinger beschäftigten, haben wiederholt darauf hingewiesen, dass er zu den vergessenen Autoren gehört. So notierte Paul Reimann pointiert: „Die deutsche Wissenschaft glaubt Klinger begraben.“6 Reimann betonte wiederholt die Diskrepanz zwischen der Bedeutung und Würdigung von Klingers Werk und erklärte: Hier hat sich die Tatsache vollzogen, daß eine ganze Nation von einem ihrer größten Schriftsteller überhaupt nicht Kenntnis nahm und daß nur eine kleine Schicht von Gelehrten, nur Leute, die von der Kunst und Literatur leben, von seinen Werken mehr wissen als gerade die Titel […].7
Im Laufe der Zeit gab es allerdings auch immer wieder heftige Plädoyers für eine Würdigung Klingers und seines literarischen Schaffens. Zu einer Wiederbeschäftigung mit Klinger rief beispielsweise Arno Schmidt (1914–1979) entschieden auf. In Lore oder das spielende Licht, dem zweiten Teil seines Romans Brand’s Haide (1951) heißt es unmissverständlich appellativ: „Unerbittlich wie die Inquisition: lesen Sie Maximilian Klinger[.]“8 Klinger wird in der literaturwissenschaftlichen Erinnerungskultur in der Regel mit der spezifisch deutschen Strömung des Sturm und Drang in Verbindung gebracht. Dabei handelt es sich bei dem Autor auch um einen internationalen Vertreter der Aufklärung, der sich ab 1780 in Russland aufhielt, wo er schließlich in die Position eines Generalleutnants aufstieg und beim Aufbau bzw. der Reform des Elementarschulwesens im baltischen Raum entscheidend mitwirkte. Obwohl Klinger während seiner Zeit in Russland, die mit über 50 Jahren fast zwei Drittel seines gesamten Lebens ausmachte,9 zahlreiche Romane verfasste (s. u.),10 haben ihn große Teile der älteren Literaturgeschichtsschreibung zum Dramenautor des Sturm und Drang reduziert. Klinger verfasste nicht nur das Werk, das später Namenspate für diese gesamte literarische Strömung werden sollte, sondern übte auch durch seine anderen Schauspiele maßgeblichen Einfluss auf
6 Reimann: Kunstauffassung, S. 223. 7 Ebd., S. 222. 8 Schmidt: Brand’s Haide, S. 147. 9 Zu Klingers Biografie im Russischen Reich siehe Smoljan: Friedrich Maximilian Klinger 89–142. 10 Bruce Duncan zählte neben den 23 Dramen Klingers 14 Romane in seinem dichterischen Gesamtwerk. Siehe Duncan: Lovers, S. 170. Siehe auch Martini: Friedrich Maximilian Klinger, S. 816.
1 Ein Werk, das jeder kennt, aber niemand gelesen hat?
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seine Dichtergeneration aus, was von der Forschung trotz seiner ambivalenten Rezeption frühzeitig erkannt wurde. Konsens in der Forschung besteht darin, dass das Phänomen des häufig nur dem Namen nach bekannten Autors bzw. seiner vergessenen literarischen Werke11 auch in Bezug auf Klingers Schauspiel Sturm und Drang12 zu beobachten ist, das 1776 verfasst wurde, 1777 als Druck erschien13 und bei dem es sich um kein Soldatenstück im eigentliche Sinne, sondern ein Drama vor dem Hintergrund militärischer Ereignisse handelt. Thomas Salumets machte deutlich: „Zwar ist er als Stürmer und Dränger sicherlich keine Randfigur, aber selbst sein Jugenddrama Sturm und Drang wird, trotz des epochemachenden Titels, als ‚weithin unbekanntes Stück‘ bezeichnet.“14 Obwohl es wohl „das bekannteste Drama Klingers“15 sein dürfte, wird es „selten gelesen und nie gespielt“16. Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung gelangte auch Wolfgang Stellmacher mit den Worten: „Friedrich Maximilian Klingers Drama Sturm und Drang ist ein weithin unbekanntes Stück, obwohl es einen sehr bekannten Titel hat.“17 Mit Bedauern sprach ebenso Gerhard Kaiser von einem Drama, „das von der Forschung vernachlässigt worden ist, obwohl dieses Werk der ganzen Epoche seinen Namen gegeben hat.“18
11 So wählte Michael W. Jennings für einen 1985 veröffentlichten Aufsatz über die Dramen Klingers aus seiner Sturm und Drang-Zeit den Titel „Vergessen von aller Welt“. Siehe Jennings: „Vergessen von aller Welt“, S. 494. 12 Friedrich Maximilian Klinger: Sturm und Drang. Ein Schauspiel. [Berlin] 1776 [i. e. 1777]. Im Folgenden zitiert nach der Ausgabe Friedrich Maximilian Klinger: Sturm und Drang. Ein Schauspiel (Reclams Universal-Bibliothek. Bd. 248). Hg. von Jörg-Ulrich Fechner. Bibl. erg. Ausg. Stuttgart 2008. Die hier in den bibliografischen Nachweisen gemachten Angaben in den rechteckigen Klammern verweisen auf die Seitenzahlen im Erstdruck. 13 Das Titelblatt des Erstdrucks gibt als Erscheinungsjahr 1776 an. Zu dieser Rückdatierung siehe auch Fechner: Nachwort, S. 156; Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 90; Kließ: Sturm und Drang, S. 94; Luserke-Jaqui: Sturm und Drang, S. 199; Rieger: Klinger, S. 200; Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 57; Schweikert: Anmerkungen, S. 1875; Stellmacher: Klingers „Sturm und Drang“, S. 157. 14 Salumets: Außenseiter, S. 435. 15 Smoljan: Friedrich Maximilian Klinger, S. 27. 16 Fechner: Nachwort, S. 160. 17 Stellmacher: Klingers „Sturm und Drang“, S. 140. 18 Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 317. Siehe hierzu dagegen auch Poeplau: Selbstbehauptung, S. 9. Für Wolfgang Stellmacher war die literarhistorische Vernachlässigung des Dramas nicht mit einem Appell zur Wiederaufnahme der Beschäftigung mit dem Stück verbunden. Er vertrat die Ansicht, dass es „gänzlich unangebracht wäre, jetzt etwa den Versuch einer Reaktivierung der Rezeption dieses Dramas zu unternehmen.“ Stellmacher: Klingers „Sturm und Drang“, S. 158.
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IV Die apolitische Rezeption der Amerikanischen Revolution
In der Forschung selbst wurde immer wieder die zwiespältige Haltung gegenüber der Qualität des Dramas artikuliert. Eine Tendenz zur kritischen bis negativen Beurteilung19 ist bereits für die ältere Forschungsliteratur zu konstatieren, die teilweise durch Aussagen wie „‚Sturm und Drang‘ ist kein bedeutendes Werk“20 geprägt ist und von folgenden Generationen tradiert wurde. Dagegen gab es aber auch viele Stimmen, die den hohen Rang und die Bedeutung des Stückes hervorhoben. Der besondere Charakter des Dramas wurde von Christoph Hering mit den Worten beschrieben: „Es ist eines der merkwürdigsten Werke der Weltliteratur […].“21 In Sturm und Drang, wie allgemein im Œuvre Klingers, sind vorausweisende Züge erkannt worden. So konnte man in der Forschung lesen, dass man das Drama „wie andere Werke der siebzehnhundertsiebziger Jahre, als einen Vorboten der Romantik sehen“22 dürfe. Eine Verbindung von Sturm und Drang zu Georg Büchners (1813–1837) Lustspiel Leonce und Lena (1836) zeigte Bruce Duncan auf.23 Gerhard Kaiser war der Meinung, dass Klinger „deutlich auf Büchner und Grabbe“24 vorausweise und Fritz Martini, der einen literaturgeschichtlichen Bogen bis ins 20. Jahrhundert spannte, vertrat die Ansicht, dass von Klinger „der Weg über G. Büchner bis zu B. Brecht“25 führe. Die Forschung hat nicht zuletzt darauf hingewiesen, dass das Drama für Klinger, zumindest in der Zeit seiner Niederschrift, zu seinen Lieblingsstücken gehörte.26 In einem im Oktober 1776 verfassten Brief an seinen Jugendfreund Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher (1755–1844) bezeichnete er Sturm und Drang als „[d]as liebste und wunderbarste was aus meinem Herzen geflossen ist.“27 Ein halbes Jahr später wiederholte er:
Stattdessen kam er zu dem Fazit: „Für uns kann Sturm und Drang nur von historischem Interesse sein.“ Ebd. 19 Rita Morrien sprach von „Klingers in der Forschung vergleichsweise geringgeschätzte[m] Schauspiel“ Morrien: Wunder, S. 95. Bereits Werner Kurz schrieb: „Friedrich Maximilian Klinger würde mit der Beurteilung, die sein Drama ‚Sturm und Drang‘ in der Literaturgeschichte erfahren hat nicht zufrieden sein.“ Kurz: Klingers „Sturm und Drang“, S. 1. 20 Freye: Einleitung, S. LXXIV. Freye meinte, dass das Drama „in der Tat nicht viel mehr als eine wilde Phrase“ (ebd., S. LX) sei. 21 Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 90. 22 Karthaus – Manß (Mitarb.): Sturm und Drang, S. 113. 23 Duncan: Lovers, S. 182. Siehe auch Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 337 [Anm. 25]; Morrien: Wunder, S. 95 f. 24 Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 336. 25 Martini: Friedrich Maximilian Klinger, S. 816. 26 Siehe hierzu auch Kaiser: Aufklärung, S. 224; ders.: Klingers Schauspiel, S. 317; Smoljan: Friedrich Maximilian Klinger, S. 77. 27 Friedrich Maximilian Klinger an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. Oktober 1776. In: Rieger: Klinger, S. 404.
1 Ein Werk, das jeder kennt, aber niemand gelesen hat?
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„Es ist meine Lieblings Arbeit[.]“28 Wie in der Literaturgeschichtsschreibung fiel dagegen auch das Urteil der zeitgenössischen Rezensenten gespalten aus. Anna Poeplau wies darauf hin, dass „das Stück beim zeitgenössischen Publikum wie auch in der germanistischen Forschung auf erhebliche Rezeptionsschwierigkeiten stieß.“29 Rudolf von Gottschall (1823–1909) machte deutlich: „‚Sturm und Drang‘ mißfiel in Leipzig und fiel in seiner Vaterstadt Frankfurt gänzlich durch.“30 Und Helmut Scheuer konstatierte: „Klingers Sturm und Drang hat Theaterkritiker und Buchrezensenten zu bissigen Kommentaren angeregt.“31 In der Tat werden solche Urteile durch die zeitgenössischen Rezensionen gestützt. So sprach der Literat Albrecht Wittenberg (1728–1807) in einem im April 1778 veröffentlichten „Beytrag zum Reichs-Postreuter“ von der „abscheulichen Misgeburt, Sturm und Drang, eines Schauspiels von Klinger“32. Auf den Spielplänen der Theaterbühnen wurde das Drama anscheinend rasch in einen Randbereich gedrängt und zu einem „nach der Uraufführung kaum mehr gespielten“33 Stück, das „bald vergessen“34 wurde.35 Im Spektrum der Meinungen zu dem polarisierenden Schauspiel erschienen aber auch wohlwollende Rezensionen. Der Literaturhistoriker Johann Joachim Eschenburg (1743–1820) war der Meinung, dass das Drama „[d]as beste Schauspiel von diesem Verfasser“36 sei. In jedem Fall ist dem Drama ein Platz in jeder ausführlicheren Literaturgeschichtsschreibung sicher, da es bekanntermaßen dem Sturm und Drang seinen Namen verlieh. Diskutiert wurde dabei in der Forschung, inwieweit das Stück als repräsentativ für die literarische Strömung gelten könne. Hans Berendt vertrat in
28 Friedrich Maximilian Klinger an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. 3. 4. 1776 [1777]. In: Rieger: Klinger, S. 407. 29 Poeplau: Selbstbehauptung, S. 126. 30 Gottschall: Einleitung, S. 13. 31 Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 59. 32 Albrecht Wittenberg: [Rezension]. In: Beytrag zum Reichs-Postreuter. 26. Stück. 2. 4. 1778. Abgedruckt in: Fechner: Dokumente, S. 104 f., hier S. 104. 33 Morrien: Wunder, S. 84. 34 Stellmacher: Klingers „Sturm und Drang“, S. 158. 35 Jörg-Ulrich Fechner bilanzierte ebenso: „Es scheint, daß Sturm und Drang außerhalb der Seylerschen Truppe nirgends gespielt wurde.“ Fechner: Nachwort, S. 158. Zu den Rezensionen und der Rezeption des Dramas siehe allgemein Stellmacher: Klingers „Sturm und Drang“, S. 157. 36 Johann Joachim Eschenburg: [Rezension]. In: Anhang zu dem fünf und zwanzigsten bis sechs und dreyßigsten Bande der allgemeinen deutschen Bibliothek. Zweyte Abtheilung. [Berlin – Stettin] [1780], S. 760. Abgedruckt in: Fechner: Dokumente, S. 110; Rieger: Klinger, S. 203. Die ebenfalls positive Aufnahme des Stückes durch den Sturm und Drang-Autor Heinrich Leopold Wagner relativierte Matthias Luserke-Jaqui mit den Worten: „Die begeisterte Zustimmung Wagners blieb die Ausnahme […].“ Luserke-Jaqui: Sturm und Drang, S. 210.
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diesem Zusammenhang die Meinung: „[…] Klingers Sturm und Drang [ist] die konkrete Verkörperung all der verschwommenen Ideale, der verstiegenen wie auch der fruchtbaren neuen Gedanken, die jene junge Generation bewegten.“37 Gert Ueding verwies auf den ursprünglich von Klinger für das Werk vorgesehenen Namen „Wirrwarr“38 (s. u.) und machte deutlich: „Wirrwarr ist alles in diesem Stück und eben deshalb zeigt es auf geradezu vollkommene Weise ein Bild der inneren Verhältnisse dieser Generation und ihr ganzes modisches, kulturelles Gepräge.“39 Auf der anderen Seite formierte sich in der Forschung auch eine ablehnende Position, die bisweilen sogar mit großer Vehemenz vorgetragen wurde. Olga Smoljan beispielsweise drückte ihre Bedenken mit den Worten aus: „Nach einem Vorurteil, das sich in der deutschen Literaturwissenschaft festgesetzt hat, ist das Drama ‚Sturm und Drang‘, das dieser Bewegung den Namen gegeben hat, der Gipfel der frühen Dramatik Klingers, das charakteristischste Stück des Sturm und Drang.“40 Karl Freye, der Klinger als echten Stürmer und Dränger bezeichnete, machte dagegen auf die Äquivalenz von Autor und Werk zum Zeitpunkt der Textgenese aufmerksam,41 indem er festhielt: „Ein solcher ist Klinger in seiner ersten Epoche im eigentlichsten Sinn; Sturm und Drang erfüllen ihn.“42
2 „Ich will die Campagne in Amerika als Officier machen.“ Wild = Klinger? Der Einfluss der Biografie des Autors auf die Textgenese Auf die Titeländerung des Dramas von dem ursprünglich von Klinger vorgesehenen Namen „Wirrwarr“ zu „Sturm und Drang“ infolge der Einwirkung durch den als „‚Kurpfuscher‘“43 und „Scharlatan“44 bezeichneten „Genieapostel“45
37 Berendt: Einleitung, S. XLVI. 38 Der Ausdruck „Wirrwarr“ fällt im Text einmal, gleich zu Beginn in der ersten verbalen Artikulation von Wild/Carl Bushy, für den der Begriff positiv konnotiert ist. Die Ankunft in der Neuen Welt kommentiert er emphatisch mit den Worten: „Tolles Herz! du sollst mirs danken! Ha! tobe und spanne dich dann aus, labe dich im Wirrwarr!“ Klinger: Sturm und Drang. 1. Akt. 1. Szene, S. [5] [(3)]. 39 Ueding: Einleitung, S. 10; ders.: Göttersohn, S. 64; 40 Smoljan: Friedrich Maximilian Klinger, S. 72. 41 Siehe hierzu auch Kapitel IV.2. 42 Freye: Einleitung, S. LIX. 43 Deichsel: Sturm und Drang, S. 91. 44 Ueding: Göttersohn, S. 65. 45 Ebd.
2 Wild = Klinger? Der Einfluss der Biografie des Autors auf die Textgenese
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Christoph Kaufmann (1753–1795) hat die Forschung immer wieder aufmerksam gemacht.46 Bruce Duncan konstatierte treffend: „Discussions of Sturm und Drang traditionally begin by pointing out that the play was originally entitled Wirrwarr („Confusion“), and that Christoph Kaufmann suggested the change.“47 Klinger verfasste das Stück während seines Weimar-Aufenthaltes im Herbst 1776.48 Die Literaturgeschichtsschreibung hat die Parallelen zwischen den Figuren des Werkes und der Biografie des Autors erkannt und akzentuiert.49 Eine Untersuchung der Korrespondenz Klingers in dieser Zeit macht einige Parallelen zwischen seinem soziopsychologischen Zustand und den im Drama behandelten Themen und Motiven deutlich, die sich bis auf der Ebene der Lexik zeigt. So schrieb der Autor in einem Brief an Schleiermacher im Januar 1777: „Mit Feuer Ströhmen braußt mein Genius in Sturm und Drang.“50 Einige Monate später wiederholte er: „Ich lebe so hin, bald in Drang und Sturm, bald im gelinden Säußlen […].“51 Hans Berendt gelangte daher in diesem Sinne zu der Schlussfolgerung: „Ja, die ganze tolle Unruhe des Stückes mag autobiographisch bedingt sein […].“52 Einen literarischen Niederschlag scheinen z. B. auch die Kontakte des Autors zu der Schwester seines Jugendfreundes aus Darmstadt, Johannette Philippine Schleiermacher, die „Jenny“ genannt wurde sowie die biografische Verbindung zu einer Weimarer Bekannten, die Klinger in einem Schreiben an Schlei-
46 Siehe z. B. Borries – Borries: Aufklärung, S. 263; Brüggemann: Klingers Sturm und Drang, S. 203; Buschmeier – Kauffmann: Einführung, S. 7; Deichsel: Sturm und Drang, S. 91; Fechner: Nachwort, S. 153, 161 f.; Guthke: Literarisches Leben, S. 283; Harris: Friedrich Maximilian Klinger, S. 124, 126; Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 90; Karthaus – Manß (Mitarb.): Sturm und Drang, S. 107; Kließ: Sturm und Drang, S. 94; Morrien: Wunder, S. 85; Nicolai: Nachwort, S. 1728; Osterwalder: Überwindung, S. 49; Poeplau: Selbstbehauptung, S. 25 [Anm. 52], 123; Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 59; Schweikert: Anmerkungen, S. 1875; Smoljan: Friedrich Maximilian Klinger, S. 73; Ueding: Einleitung, S. 10 f.; ders.: Friedrich Maximilian Klinger, S. 202; ders.: Göttersohn, S. 65. 47 Duncan: Lovers, S. 178. 48 Siehe hierzu Waidson: Goethe and Klinger, S. 100. 49 Siehe hierzu z. B. Fechner: Nachwort, S. 159; Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 90; Poeplau: Selbstbehauptung, S. 135; Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 63; Smoljan: Friedrich Maximilian Klinger, S. 27; Steinberg: Studien, S. 35. In Bezug auf das Verhältnis der Sturm und Drang-Autoren zu der Gattung Drama hob Gerhard Kaiser hervor: „Für die Sturm-und-DrangGenies aber ist das Drama in erster Linie Ausdruck einer eigenen Lebensproblematik und -stimmung.“ Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 315. 50 Friedrich Maximilian Klinger an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. Januar 1777. In: Rieger: Klinger, S. 405. 51 Friedrich Maximilian Klinger an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. 3. 4. 1777. In: Rieger: Klinger, S. 407. 52 Berendt: Einleitung, S. XLVII.
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ermacher als „Carolinchen“ bezeichnete, gefunden zu haben.53 Die Vornamen dieser beiden Frauen, an denen Klinger offenbar ein romantisches Interesse hatte, sind wohl in die Benennung der Figur Jenny Caroline Berkley eingeflossen. Als biografische Inspiration wurde außerdem das Zerwürfnis mit Goethe gewertet, zu dem es während Klingers Aufenthalt in Weimar und seiner Arbeit an dem Drama kam.54 Fritz Osterwalder hob hervor, dass „die Niederschrift des Stückes genau in die Zeit von Goethes Bruch mit Klinger fällt, ja als dessen Folge und Reflexion betrachtet werden kann.“55 Auch Werner Kurz erkannte in den Auseinandersetzungen zwischen den Figuren Wild/Carl Bushy und Kapitän Boyet/Harry Berkley eine literarische Parallele zu der biografischen „Entfremdung Klingers von Goethe zur Zeit der Abfassung des Dramas“56. Für Max Rieger (1828–1909) erschien die Figur Wild/Carl Bushy als „der Repräsentant des Verfassers“57 und war „ganz deutlich die Maske des Autors selbst“58. Er führte aus: „Es werden dieser Person Worte in den Mund gelegt, die ganz eigentlich Klingers Stimmungen in der letzten Weimarer Zeit ausdrücken[.]“59 Wie Rieger vertrat Rudolf von Gottschall die Meinung, dass „Wild, der Stürmer und Dränger, das Ebenbild Klingers“60 sei. Ebenso erklärte Henry Safford King: „In this play, the character ‚Wild‘ is Klinger himself.“61 Darüber hinaus verkörperten für Rieger neben Wild/Carl Bushy die Begleiter Blasius und La Feu, mit diesem eine Art literarisches Triumvirat bildend,
53 Vgl. Berendt: Einleitung, S. XLVII; Schweikert: Anmerkungen, S. 1875. 54 Zum Zerwürfnis siehe z. B. Buschmeier – Kauffmann: Einführung, S. 24; Deichsel: Sturm und Drang, S. 91; Freye: Einleitung, S. LXIII; Hill: Brunnen, S. 1–36; Kließ: Sturm und Drang, S. 76; Poeplau: Selbstbehauptung, S. 26; Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 58; Ueding: Göttersohn, S. 66. Zur mutmaßlichen Rolle Christian Kauffmanns bei der Entfremdung Goethes von Klinger siehe Martini: Friedrich Maximilian Klinger, S. 829; Poeplau: Selbstbehauptung, S. 26. Allgemein zum Verhältnis zwischen Goethe und dem Autor von Sturm und Drang siehe Deichsel: Sturm und Drang, S. 93; Düntzer: Goethes Unterstützung, S. 53–76; Freye: Einleitung, S. LXI; Geerdts: Romane, S. 457; Gottschall: Einleitung, S. 5; Neubürger: Goethes Jugendfreund, passim; Waidson: Goethe and Klinger, S. 97–120. Für die Zeit bis zum Bruch verwies Herbert Morgan Waidson auf „Klinger’s youthfully enthusiastic affection for Goethe“ (Waidson: Goethe and Klinger, S. 98) und „Klinger’s dependence on Goethe in the early Sturm und Drang years“ (ebd., S. 97). Waidson bezeichnete die Verbindung zwischen den beiden als unausgeglichen und machte deutlich: „From the start their relationship was onesided, and Klinger always remained conscious of his inferiority to his more distinguished fellow-townsman.“ ebd. 55 Osterwalder: Überwindung, S. 49. Siehe hierzu auch Hillach: Klingers Sturm und Drang, S. 34. 56 Kurz: Klingers „Sturm und Drang“, S. 4. 57 Rieger: Klinger, S. 191. 58 Ebd., S. 197. 59 Ebd., S. 191. 60 Gottschall: Einleitung, S. 12. 61 King: Echoes, S. 63.
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Aspekte der Persönlichkeitsstruktur Klingers. Er erklärte: „Bei nähren Zusehen überzeugt man sich, daß nicht Wild allein, sondern alle drei Masken des Autors sind.“62 Für Rieger gab es keinen Zweifel, „daß des Dichters eignes Herz auch durch den Mund des Blasius spricht […].“63 Die spätere Forschung hat auf diese Beobachtungen und Thesen heterogen reagiert. Die Einheit der Figuren Wild/ Carl Bushy, Blasius und La Feu, die als unterschiedliche Facetten einer Person gesehen werden können, wurde als überzeugend gewertet.64 Das spezielle Zusammengehörigkeitsgefühl der drei Figuren wird besonders spürbar, wenn Wild/Carl Bushy seinen beiden Reisegefährten gegenüber bekennt: „[…] Ich brauch und lieb euch, und ihr mich vielleicht auch. Der Teufel konnte keine größre Narren und Unglücks-Vögel zusammen führen, als uns.“65 Der Versuch, Gemeinsamkeiten zwischen der literarischen Figur Wild/Carl Bushy und Klinger zu erkennen, wurde allerdings teilweise kritisch kommentiert. Fritz Brüggemann bestätigte noch zustimmend: „Rieger hat mit Recht darauf hingewiesen, daß nicht nur Wild, sondern auch Blasius und La Feu den Dichter selber widergeben.“66 Helmut Scheuer relativierte diese Ansicht schon etwas skeptischer mit den Worten: Es lag nahe, Wild mit Klinger gleichzusetzen, aber schon [Hans] Berendt hat mit guten Gründen festgestellt, daß den Dramen oft das ‚Selbsterlebte‘ fehle. Hering hat dann in seiner Monographie auf das Disparate in den Briefen, auf das Schwanken zwischen wilden Ausbrüchen und vernünftiger Lebensplanung hingewiesen.67
Zusammenfassend hielt Scheuer fest: Die ältere Forschung hat in Wild, Blasius und La Feu jeweils ‚Masken des Autors‘ gesehen. Auch wenn man solche direkten autobiographischen Zusammenhänge nicht gelten lassen will, so ist doch richtig, daß diese drei Figuren aufs engste verwandt sind, ja Segmente einer einzigen Person sein könnten […].68
62 Rieger: Klinger, S. 197. 63 Ebd., S. 198. 64 Siehe z. B. Duncan: Lovers, S. 183; Schmidt: Language, S. 182; Smoljan: Friedrich Maximilian Klinger, S. 75. Helmut Scheuer hat aber darauf aufmerksam gemacht, dass auch Caroline und Wild/Carl Bushy als „die zwei Hälften eines Ganzen“ gesehen werden können, was sich schon in der phonetischen Entsprechung ihrer Namen zeigt. Siehe Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 82. 65 Klinger: Sturm und Drang. 1. Akt. 1. Szene, S. 8 [8]. 66 Brüggemann: Klingers Sturm und Drang, S. 207. 67 Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 62 f. 68 Ebd., S. 74.
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Blickt man auf die Biografie Klingers, sind Parallelen zwischen Werk und Wirklichkeit bis zu einem gewissen Maß tatsächlich zu konstatieren.69 Die Handlung des Dramas ist in Amerika während des Unabhängigkeitskrieges situiert, der 1776, als Klinger das Drama verfasste, in den deutschsprachigen Staaten einen ersten Rezeptionshöhepunkt erreichte.70 Wolfgang Stellmacher wies auf die zeitgenössische Aktualität des Stückes mit den Worten hin: „Handlungs- und Entstehungszeit des Stückes sind […] völlig identisch.“71 Wie Goethe (1775), Kaufmann (1777)72 und später Schiller (1783) zog es in dieser Zeit auch Klinger in Betracht, nach Amerika auszuwandern.73 In der Tat war er zu dem Zeitpunkt, als sein weiterer biografischer Werdegang nach dem Abbruch seines Jurastudiums keineswegs gesichert schien, intensiv bestrebt, einen militärischen Posten im Unabhängigkeitskrieg zu erhalten.74 Olga Smoljan notierte, dass ihn „der Wunsch, nach Amerika zu gehen, […] nicht verließ, solange der Krieg dauerte.“75 Am 19. August 1776 schrieb Klinger in einem von Aufbruchsstimmung geprägten Ton an Schleiermacher: Ein herrliches Project ist auf dem Weg und da gebe der Zufall gedeyen! Ich will die Campagne in Amerika als Officier machen. Es wird geschrieben werden und bey der ersten Recroutirung gieng ich mit. Stell dir vor Junge, welch eine Welt! welch eine neue große Welt! Auf Amerikanischen Boden zu stehen mit dem Muth, dem Blik, der Zuverlässigkeit!76
Auch Friedrich Nicolai (1733–1811) war über den Wunsch Klingers, als Soldat nach Amerika zu reisen, informiert. In einem auf den 12. Oktober 1776 datierten Brief an Ludwig Julius Friedrich Höpfner (1743–1797) berichtete er: „Hr. Klinger ist hier. Erst wollte er in Geschwindigkeit die Artillerie lernen, um nach Amerika zu gehen und da mit Thatkraft die Freiheit zu verfechten. Er ändert aber kurz
69 Siehe hierzu auch Desczyk: Amerika, S. 119 [Anm. 28]. 70 Siehe Gallinger: Haltung, S. 28. 71 Stellmacher: Klingers „Sturm und Drang“, S. 142. 72 Vgl. Walz: American Revolution, Sp. 458. 73 Desczyk: Amerika, S. 42, 120 [Anm. 35]. Siehe hierzu auch King: Echoes, S. 163; Wehe: Amerika-Erlebnis, S. 99. 74 Siehe hierzu Borries – Borries: Aufklärung, S. 262; Deichsel: Sturm und Drang, S. 92; Erdmann: F. M. Klinger’s dramatische Dichtungen, S. 25; Freye: Einleitung, S. LXXIV; Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 318; Lamport: Shakespeare, S. 134; Rieger: Klinger, S. 262, 266, 268; Schmidt: Language, S. 180 f.; Smoljan: Friedrich Maximilian Klinger, S. 73; Stellmacher: Klingers „Sturm und Drang“, S. 145; Ueding: Göttersohn, S. 66 f. 75 Smoljan: Friedrich Maximilian Klinger, S. 27. 76 Friedrich Maximilian Klinger an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. 19. 8. 1776. In: Rieger: Klinger, S. 398.
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seinen Entschluß, bleibt bei Seilern und macht Trauerspiele oder Mordspiele si Diis placet.“77 Allerdings bewarb sich Klinger zunächst nicht, wie der Brief Nicolais vielleicht nahelegen könnte, um einen Posten bei der Kontinentalarmee, sondern um eine Offiziersstelle auf der britischen Seite bei den im Rahmen der Subsidienverträge von den deutschen Territorialfürsten vermieteten Einheiten.78 Klinger hatte die Hoffnung, dass ihm Herzogin Anna Amalia (1739–1807; reg. 1758–1775), die Mutter von Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (1757–1828; reg. 1758/1775– 1828), einen Posten in der preußischen Armee oder aber bei den für die Kämpfe in den amerikanischen Kolonien bestimmten deutschen Subsidientruppen vermitteln könnte.79 Noch 1814 wies Klinger in einem Brief an Goethe auf seine frühere Absicht hin, nach Amerika zu reisen. Er schrieb: „Das Letztemal, da ich Sie sah, war in Weimar, während des ersten Sommers Ihres dortigen Aufenthalts; zu jener Zeit, als ich hoffte, durch Vermittlung der unvergeßlichen Herzogin Amalie, in Amerika, meine militairische Laufbahn anzutreten.“80 Klinger erinnerte dabei auch an die Arbeit an dem von ihm zeitgleich verfassten Drama: Ich schrieb damals im Drange nach Thätigkeit, ein neues Schauspiel, dem der von Lavater (er ruhe sanft) zur Bekehrung der Welt abgesandte Gesalbte oder Apostel, mit Gewalt: den Titel: Sturm und Drang, aufdrang, an dem später mancher Halbkopf sich ergötzte.81
Nachdem sich diese Hoffnungen jedoch zerschlagen hatten und seine Absicht, in militärische Dienste auf der britischen Seite einzutreten, gescheitert war,82 bemühte sich Klinger bis 1780 konsequent um einen Posten bei den aufstän-
77 Friedrich Nicolai an Ludwig Julius Friedrich Höpfner. 12. 10. 1776. In: Briefe aus dem Freundeskreise, S. 143; Rieger: Klinger, S. 176 f. Nicolai nahm Klinger gegenüber eine kritische bis stark ablehnende Haltung ein. An Höpfner schrieb er: „Klinger scheint mir ein sehr mittelmäßiger Bursche zu sein, der nur die Manier aufschnappt und selbst nicht viel in sich hat.“ Friedrich Nicolai an Ludwig Julius Friedrich Höpfner. 23. 4. 1776. Zitiert nach Sommerfeld: Friedrich Nicolai, S. 279. Sommerfeld selbst zitierte eine Handschrift, die sich seinen Angaben zufolge im Hochstift Frankfurt befindet. Zum Bild Nicolais von Klinger siehe auch ebd., S. 276. Zur generell kritischen Position Nicolais gegenüber den Vertretern des Sturm und Drang siehe Ammon: Kampfplätze, S. 39–41. 78 Siehe hierzu Kapitel III.9. 79 Vgl. Berendt: Einleitung, S. XLVII; Breffka: Amerika, S. 4; Damm: Anmerkungen, S. 872; Goebel: Amerika in der deutschen Dichtung, S. 107; Waidson: Goethe and Klinger, S. 99. 80 Friedrich Maximilian Klinger an Johann Wolfgang Goethe. 26. 5. 1814. In: Klinger: Briefbuch, S. 164. 81 Ebd. 82 Vgl. Fechner: Nachwort, S. 152. Siehe auch Ueding: Friedrich Maximilian Klinger, S. 202.
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dischen Kolonisten.83 Ab März 1778 versuchte er durch die Vermittlung von Gottlieb Conrad Pfeffel und Johann Georg Schlosser (1739–1799), dem Schwager von Goethe, mit Benjamin Franklin, der in dieser Zeit als amerikanischer Gesandter in Paris wirkte, in Kontakt zu treten, um doch noch eine Offiziersstelle, diesmal auf Seiten der Vereinigten Staaten, zu erhalten.84 Der Historiker und Diplomat Christian Friedrich Pfeffel (1726–1807), Bruder des elsässischen Dichters und Pädagogen, wirkte als Rechtsanwalt in der Funktion eines Jurisconsulte du Roi am französischen Königshof und sollte eine Verbindung zu Franklin herstellen.85 In einen auf den 29. April 1778 datierten Brief an den Seidenfabrikanten und Mäzen Jakob Sarasin (1742–1802) berichtete Pfeffel: „Mit Klingern dürfte ich ohnehin viel zu schwatzen bekommen, weil ich ihm, unter uns gesagt, durch Franklin eine Kriegstelle in amerikanischen Diensten verschaffen soll und bereits darum geschrieben habe.“86 Der Autor von Sturm und Drang hinterließ offensichtlich bei dem elsässischen Aufklärer allerdings keinen positiven Eindruck,87 wie aus einem Brief Pfeffels an Sarasin und seine Ehefrau hervorgeht, in dem er einen Besuch von Schlosser und Klinger folgendermaßen reflektierte: „Gestern, liebste Freunde! ist Schlosser und sein Schildknappe wieder abgereist. Wär’ er doch allein gekommen! Alle unsre Augenblicke wären selig gewesen! Der brave Mann entwürdigt sich in solcher Gesellschaft, ich hab es gesehen, daß er sich entwürdigt.“88 Klingers Shakespeare (1564–1616)-Affinität (s. u.) kommentierte Pfeffel mit den expliziten Worten: „[E]s ist Folter, einen Buben, der eine Handvoll Shakespears-Excrementen gefressen hat, ehrliche Leute, die nicht nach ShakespeareExcrementen stinken und doch ehrliche Leute sind, verachten und beschimpfen
83 Siehe hierzu auch Horner (Hg.): Untergang, S. 248; King: Echoes, S. 62 f.; Losch: Soldatenhandel, S. 43. 84 Vgl. Goebel: Amerika in der deutschen Dichtung, S. 107; Walz: American Revolution, Sp. 345 f. Tatsächlich scheinen in dieser Zeit zahlreiche Ersuche von europäischen Freiwilligen, in die Kontinentalarmee einzutreten, bei Franklin eingegangen zu sein. So hielt John A. Walz fest: „Franklin repeatedly complains in his letters about the numerous applications for appointments in the American army which he receives from all parts of Europe and which he cannot possibly endorse.“ Walz: American Revolution, Sp. 345. 85 Zu den Bemühungen Klingers, mit der amerikanischen Seite Kontakt aufzunehmen und sie im Unabhängigkeitskrieg zu unterstützen siehe Fechner: Nachwort, S. 165; Harris: Friedrich Maximilian Klinger, S. 125; Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 17; Karthaus – Manß (Mitarb.): Sturm und Drang, S. 107; Kließ: Sturm und Drang, S. 77; Martini: Friedrich Maximilian Klinger, S. 823; Rieger: Klinger, S. 262; Smoljan: Friedrich Maximilian Klinger, S. 29 f.; Ueding: Einleitung, S. 11 f. 86 Gottlieb Conrad Pfeffel an Jakob Sarasin. 29. 4. 1778. In: Rieger: Klinger, S. 265 f. 87 Siehe hierzu auch Gottschall: Einleitung, S. 5. 88 Gottlieb Conrad Pfeffel an Jakob Sarasin und seine Ehefrau. 24. 4. 1778. In: Rieger: Klinger, S. 265 f.
3 Sturm und Drang als Tragikomödie mit einer undurchsichtigen Handlung
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sehen.“89 Klingers Wunsch nach einer militärischen Laufbahn in Amerika erfüllte sich trotz seiner Bemühungen nicht. 1778/79 nahm er, durch die Vermittlung Schlossers, in kaiserlichen Diensten stehend am Bayerischen Erbfolgekrieg (1778/89) teil. 1780 berief ihn schließlich der russische Großfürst und Thronfolger Paul, der spätere Paul I. (1754–1801; reg. 1796–1801), nachdem Schlosser erneut vermittelnd fungiert hatte, als Ordonnanzoffizier nach St. Petersburg. Nach einem bis dahin in vielerlei Hinsicht unsteten Lebensweg, gewährte ihm erst diese Stelle die gewünschte soziale Absicherung.
3 „[U]nd dann hab ich ein Drama geschrieben das toll ist und dich amüsiren wird […]. […] [D]enn kannst du comisch und tragisch mit einer bittren Sauce zusammen verschlukken.“ Sturm und Drang als Tragikomödie mit einer undurchsichtigen Handlung Obwohl Klingers Drama die neutrale Gattungsbezeichnung „Schauspiel“ trägt, weist es auch deutliche Elemente eines Lustspiels bzw. einer Komödie auf.90 Sprechende Namen wie „Wild“, „Blasius“ (blass –> der Blasierte) und „La Feu“ (das Feuer –> der sich im Feuer seiner Leidenschaft für französische Feenmärchen Verzehrende) rücken das Drama in die Nähe der Typenkomödie.91 Helmut Scheuer hat deutlich gemacht, dass Wild/Carl Bushy und Kapitän Boyet/Harry Berkley in ihrem Verhalten zu großen Teilen den bramabasierenden Miles Gloriosus-Figuren entsprechen.92 Klinger selbst bezeichnete das Werk in seiner Brief-
89 Gottlieb Conrad Pfeffel an Jakob Sarasin. 24. April 1778. In: Rieger: Klinger, S. 263. In einem weiteren Brief an Sarasin bekannte Pfeffel: „[…] [I]ch wiederhole es, daß ich um Schlossers willen seinen Klinger sehr gerne dulden will […].“ Gottlieb Conrad Pfeffel an Jakob Sarasin. 29. April 1778. In: Rieger: Klinger, S. 265. Zu Pfeffels Beziehungen zu den Vertretern des Sturm und Drang siehe Schäfer: Ehrliche Leute, S. 77–100. Zu Pfeffels Ansichten von Klinger siehe ebd., S. 82–85. 90 Siehe hierzu Fechner: Nachwort, S. 169; Poeplau: Selbstbehauptung, S. 123; Smoljan: Friedrich Maximilian Klinger, S. 75–77; Steinberg: Studien, S. 35; Ueding: Einleitung, S. 10 f.; ders.: Friedrich Maximilian Klinger, S. 200. 91 Siehe hierzu auch Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 318; Poeplau: Selbstbehauptung, S. 124; Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 75, 86; Schweikert: Anmerkungen, S. 1875. 92 Siehe Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 75. Die Figur des Seemanns ist in der Literatur allgemein häufig mit Grobschlächtigkeit und rauen Sitten in Verbindung gebracht worden. In Johann Friedrich Ernst Albrechts Schauspiel Die Kolonie wird diese Außenwirkung von einem Seefahrer selbst bestätigt. Capitain Midschen ermahnt Capitain Robert mit folgenden Worten zu einem gesitteten Verhalten: „Bruder, laß den Seeton weg; wir sind jetzt auf dem Lande, da muß
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korrespondenz als Komödie.93 Während er an Sturm und Drang arbeitete, teilte er beispielsweise Schleiermacher mit: „Ich schreibe eine Comoedie der Wirrwarr die bald zu End ist […]. Und das tiefste tragische Gefühl wechselt immer mit Lachen und Wiehern.“94 Die Zuordnung des Stückes zu einer bestimmten Dramengattung wirft Probleme auf, denn mit der Feststellung, dass der Text komische Elemente aufweist, ist die Gattungsfrage keinesfalls hinreichend behandelt. Bereits Helmut Scheuer wies darauf hin, dass sich „[d]ieses Drama […] bewußt einer raschen Klassifikation“95 verweigert. Die Forschung hat sich wiederholt damit beschäftigt, dass in Sturm und Drang eine „enge Verknüpfung und wechselseitige Durchdringung von komischen und tragischen Elementen“96 zu beobachten ist.
man hübsch manierlich seyn.“ Albrecht: Die Kolonie. 3. Aufzug. 3. Auftritt, S. 56. Zur poetischen Rezeption des Seemannes in der deutschsprachigen Amerikaliteratur siehe auch das in Wilhelm Ludwig Wekhrlins Zeitschrift Das graue Ungeheur 1784 abgedruckte Gedicht Auf den Kupferstich des Paul Jones (G181). Die dem „Father of the US-Navy“ („Vater der US-Navy“) John Paul Jones (1747–1792) gewidmeten Verse lauten lapidar: „Paul Jones ganze Geschichte! / Er hat / in der That / ein wildes Matrosengesichte.“ [Wekhrlin?]: Auf den Kupferstich des Paul Jones, S. 270. Und in seiner Autobiografie erinnerte sich der preußische Seefahrer Joachim Nettelbeck (1738– 1824): „Freilich stieß mein Auge oft genug auf Rohheit und Härte; aber die […] waren mir, leider, überall, wohin der Beruf des Seemanns mich führte, und nicht bloß auf der Sklaven-Küste, ein nur zu gewohnter Anblick […].“ Nettelbeck: Lebensbeschreibung des Seefahrers, Patrioten und Sklavenhändlers Joachim Nettelbeck, S. 183 f. Als grobschlächtig und raubeinig wird auch Oberst Falkenklau in Johann Gottlieb Stephanie d. J. Lustspiel So muß man Füchse fangen beschrieben, der sich im Unabhängigkeitskrieg ebenfalls als Freibeuter betätigt hat. Herr Christmann berichtet über ihn: „Ein Mann höchstes vierzig Jahr, sieht nicht übel aus, war in Amerika Oberster, und hat erstaunend viel Geld. – Es ist freylich ein roher wilder Seehund […].“ Stephanie d. J. So muß man Füchse fangen. 3. Aufzug. 10. Auftritt, S. 57. Falkenklau, der sich als „Herkules des achtzehnten Jahrhunderts“ (ebd. 3. Aufzug. 13. Auftritt, S. 62) und „Schrecken Amerikas“ (ebd.) bezeichnet, stellt sich selbst bramarbasierend folgendermaßen vor: „Ich bin Alexander Falkenklau; ein Name, der in Nordamerika so bekannt ist, wie der Nord – Nord – Wind. Ich bin dort zahmen und wilden Bewohnern gleich schreckbar geworden. Denn Untergang ging vor mir her, und Verwüstung folgte mir auf der Ferse. Kein Feind konnte vor mir bestehen, so wenig als vor dem Blick eines Basilisken. Man zittert itzt noch wenn man mich dort nur nennt. Und bin ich hier noch, nicht so bekannt, fehlt es, bey meiner Tapferkeit! nur an Gelegenheit mit bekannt zu machen. Dieß mußt’ ich vorläufig von mir sagen, damit man weiß mit wem man zu thun hat, denn ich habe ein Geschäft vor, daß mir so wichtig ist, als in Amerika das Todtschlagen.“ Ebd. 3. Aufzug. 8. Auftritt, S. 52. 93 Siehe hierzu auch Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 336. 94 Friedrich Maximilian Klinger an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. 4. 9. 1776. In: Rieger: Klinger, S. 398. 95 Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 60. 96 Poeplau: Selbstbehauptung, S. 127. Poeplau sprach außerdem von der „komisch-tragische[n] Mischform“ (ebd., S. 25 f.) des Stückes.
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Heinz Steinberg vertrat die Ansicht, dass das Drama „überhaupt am ehesten als groteske Tragikomödie“97 zu bezeichnen sei. Klinger schien sich des ambivalenten Charakters seines Werkes voll bewusst zu sein, denn in einem Brief an Schleiermacher gab er an: „[…] [U]nd dann hab ich ein Drama geschrieben das toll ist und dich amüsiren wird […]. […] [D]enn kannst du comisch und tragisch mit einer bittren Sauce zusammen verschlukken.“98 Die Überschreitung der Gattungsgrenzen und Verbindung des Erheiternd-Komischen mit dem Ernst-Tragischen, wie sie z. B. auch in den Werken von Lenz auftritt, entspricht den poetologischen Konzeptionen des Sturm und Drang, denen zufolge die klassischen Gattungseinteilungen aufgebrochen werden sollten.99 Neben den komischen und tragischen Bestandteilen enthält das Stück eine Reihe offensichtlich auf die emotionale Rührung des Textrezipienten abzielende Elemente, weswegen es die Forschung auch mit dem familiären Rührstück in Verbindung gebracht hat.100 Zu den Schwierigkeiten bei der Gattungsbestimmung trägt gewiss die unübersichtliche und teilweise chaotische Handlung bei, die von der Literaturgeschichte immer wieder mit dem Hinweis, dass der ursprünglich von Klinger vorgesehene Titel „Wirrwarr“ adäquater gewesen wäre, kommentiert wurde.101 In der Tat riefen die verschlungene Handlung und die schwer einzuordnenden leidenschaftlichen emotionalen Ausbrüche der Figuren starkes Befremden hervor und trugen zu einem negativen Widerhall in den zeitgenössischen Rezensionen bei. Ein anonymer Kritiker urteilte 1777 im Berlinischen Litterarischen Wochenblatt: „Was auch in dem Schreckenstücke spricht und handelt, scheint dem Tollhause entsprungen zu seyn […].“102 Die ältere Forschung hat die Wortwahl solcher Rezensionen teilweise aufgegriffen. So schrieb etwa Rudolf von Gottschall 1896: „Das ganze Drama ist so hyperbolisch in allen seinen Voraussetzungen, in der Charakteristik, im Stil, daß man oft glaubt in ein Irrenhaus geraten zu sein, wo die
97 Steinberg: Studien, S. 35. Ebenfalls abgedruckt in Fechner: Dokumente, S. 124. Siehe auch Freye: Einleitung, S. LXXV. 98 Friedrich Maximilian Klinger an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. 12. 9. 1776. In: Rieger: Klinger, S. 399. 99 Siehe hierzu Karthaus – Manß (Mitarb.): Sturm und Drang, S. 112; Poeplau: Selbstbehauptung, S. 123; Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 75 f., 90; Stellmacher: Herders Shakespeare-Bild, S. 239. 100 Siehe Kaiser: Aufklärung, S. 224; ders.: Klingers Schauspiel, S. 317. 101 Siehe hierzu z. B. Berendt: Einleitung, S. XLVI; Deichsel: Sturm und Drang, S. 91; Jürgensen – Irsigler: Sturm und Drang, S. 11; Karthaus – Manß (Mitarb.): Sturm und Drang, S. 107; Martini: Friedrich Maximilian Klinger, S. 817; Ueding: Einleitung, S. 11; ders.: Göttersohn, S. 65. 102 [Anonym]: [Rezension Sturm und Drang], S. 661. Ebenfalls abgedruckt in Fechner: Dokumente, S. 99. Siehe hierzu auch ders.: Nachwort, S. 158.
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IV Die apolitische Rezeption der Amerikanischen Revolution
Tobsüchtigen und andere Narren einander ablösen.“103 Die klassischen, sog. Drei Aristotelischen Einheiten der Zeit, des Raumes und der Handlung werden zwar im Gegensatz zu zahlreichen anderen Werken des Sturm und Drang eingehalten104 und in diesem Sinne erscheint das Drama auch konventionell und regelmäßig aufgebaut,105 aber ins Extrem gesteigerte Persönlichkeitsmerkmale von Dramenfiguren mit stark auf Pointierungen ausgerichteten Entwicklungen und die trotz zahlreicher Aufdeckungen insgesamt nebulös bleibende Handlung, vor allem aber die ungeordneten und kausal unzureichend motivierten Wendungen tragen zur Verwirrung des Lesers bzw. Zuschauers bei und erwecken bisweilen den Eindruck von literarischer Künstlichkeit.106 Die an zahlreichen Stellen fehlenden Kausalverknüpfungen zwischen den Handlungsereignissen und den Aktionen der auftretenden Personen ist von der Forschung ausgesprochen intensiv thematisiert und zum Gegenstand umfangreicher Untersuchungen gemacht worden.107 So gelangte beispielsweise Hans Berendt zu dem Schluss: „Es läßt sich kaum ein tolleres Durcheinander, eine verrücktere Anhäufung von absurden Motiven, Unwahrscheinlichkeiten, ja Unmöglichkeiten denken, als dies sogenannte Drama.“108 Zu diesem Eindruck trägt bei, dass es in Amerika zu einer ungewöhnlich großen Anzahl an Wiedererkennungsszenen unter den auftretenden Personen kommt (zu den Personenkonstellationen siehe Abb. 41).109 Diese überraschend vielen Anagnorisis-Momente und ein aus einem Deus-ex-Machina bestehender Schluss des Dramas,110 das für Klinger ungewöhnlich versöhnlich
103 Gottschall: Einleitung, S. 12. Allgemein schrieb Clara Stockmeyer über Klinger: „Er gebärdet sich sogar als der Tollste unter den Tollen; keiner läßt seine Helden mit so maßloser Leidenschaftlichkeit hassen und lieben, so fürchterlich rasen und toben wie er.“ Stockmeyer: Soziale Probleme, S. 189. 104 Helmut Schmiedt äußerte die Vermutung, dass sich die Handlung „über ganz wenige Tage“ (Schmiedt: Drama, S. 56) erstrecke. 105 Siehe hierzu Salumets: „Normendestruktion“, S. 82. 106 Siehe hierzu auch Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 336; Luserke-Jaqui: Sturm und Drang, S. 208; Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 84. 107 Siehe z. B. Duncan: Lovers, S. 64, 181; Harris: Friedrich Maximilian Klinger, S. 124; Hart: Family, S. 125; Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 319 f.; Karthaus – Manß (Mitarb.): Sturm und Drang, S. 111; Poeplau: Selbstbehauptung, S. 26; Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 86. 108 Berendt: Einleitung, S. XLVII. 109 Gerhard Kaiser verwies ebenfalls auf die „Vielzahl der Erkennungsszenen“ (Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 321) und hielt dabei fest: „Trotz dieses Aufbaus auf Erkennungsszenen aber fehlen ‚Sturm und Drang‘ alle Merkmale des analytischen Dramas, wie es etwa im ‚Ödipus‘ oder im ‚Zerbrochenen Krug‘ vorliegt […].“, S. 320. 110 Siehe auch Duncan: Lovers, S. 185; Morrien: Wunder, S. 86, 94; Osterwalder: Überwindung, S. 50; Poeplau: Selbstbehauptung, S. 133; Stellmacher: Klingers „Sturm und Drang“, S. 154.
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endet,111 tragen weiter zum Eindruck der literarischen Konstruktion bei. Im Text selbst artikuliert Kapitän Boyet/Harry Berkley in einem Ausruf, der als autoreferenzieller Kommentar gelesen werden könnte, seinen Unmut über den einträchtigen Ausgang mit den Worten mit: „Es ist schändlich, sich vertragen wie Weibsleute am Ende.“112 Bis zu diesem überraschenden Schluss bleiben Unklarheiten, die sich im Laufe des Handlungsgeschehens ergeben haben, bestehen und werden nicht aufgelöst. Gerhard Kaiser verwies auf die „komplizierte[] Vorgeschichte“113 und bemerkte: „Man erfährt nichts über die Gründe und Möglichkeiten einer derartig mittelalterlich anmutenden Familienfehde im 18. Jahrhundert, nichts über die Ursachen der Verbannung der beiden Väter, fast nichts über die wahren Zusammenhänge der einstigen Mordbrennerei.“114 Die Unklarheiten innerhalb der Handlung, die sich auch in den Namensvarianten der Figuren zeigt (Wild = Carl Bushy; Kapitän Boyet = Harry Berkley), finden ihre Entsprechung in einer variantenreichen Typographie Klingers. Die Tochter Lord Berkleys, die von ihrem Vater und auch von Wild/Carl Bushy „Jenny“115 genannt wird, erscheint im Text in der Schreibvariante „Caroline“116 und „Karoline“117,118 ihre Tante wird als „Lady Katharine“119, „Lady Kathrin“120, „L. Kathrin“121 „Kathrine“122 und „Kathrin“123 bezeichnet. Der Vorname von Wild/Carl Bushy erscheint in den typographischen Varianten „Carl“124 und „Karl“125, Kapitän Boyet/Harry Berkley als
111 Siehe hierzu Freye: Einleitung, S. LXXIV; Salumets: „Normendestruktion“, S. 82; Smoljan: Friedrich Maximilian Klinger, S. 73, 78; Steinberg: Studien, S. 35. 112 Klinger: Sturm und Drang. 5. Akt. 12. Szene, S. 73 [113]. 113 Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 319. 114 Ebd., S. 319 f. Auch Helmut Stellmacher notierte hinsichtlich der Familienfehde: „Warum die verhängnisvolle Feindschaft zwischen den Familien Berkley und Bushy entstanden ist, bleibt weitgehend dunkel […].“ Stellmacher: Klingers „Sturm und Drang“, S. 150. Siehe auch ebd., S. 153. Siehe hierzu außerdem Rieger: Klinger, S. 190. 115 Klinger: Sturm und Drang. 1. Akt. 2. Szene, S. 12 [14] bzw. 2. Akt. 4. Szene, S. 26 [37]. 116 Ebd. 1. Akt. 2. Szene, S. 10 [11]. 117 Ebd. 4. Akt. 5. Szene, S. 53 [80]. 118 Auf S. 79 f. im Originaldruck von 1777 [ND. 2008: S. 53] erscheinen beide grafische Varianten sogar innerhalb derselben Szene (IV,5). 119 Ebd. Personenverzeichnis, S. [4] [(2)]. 120 Ebd. 5. Akt. 3. Szene, S. 61 [93]. 121 Ebd. 5. Akt. 5. Szene, S. 63 [96]. 122 Ebd. 2. Akt. 2. Szene, S. 24 [33]. 123 Ebd., S. 22 [30]. 124 Ebd. 2. Akt. 4. Szene, S. 26 [37]. 125 Ebd. 5. Akt. 9. Szene, S. 66 [101]. Siehe hierzu auch Luserke-Jaqui: Sturm und Drang, S. 202.
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IV Die apolitische Rezeption der Amerikanischen Revolution
„Schiffscapitain“126, „See-Kapitain“127, bzw. „Capitan“128 und „Kapitain“129. Auch die Schreibweisen der geografischen Bezeichnungen divergieren. So finden sich im Text die Varianten „England“130 und „Engelland“131 sowie „Yorckshire“132 und „Yorkshire“133. Daher ist festzuhalten, „daß Sturm und Drang der unzuverlässigste Erstdruck Klingers ist“134. Die Sprache des Dramas ist gekennzeichnet von Interjektionen,135 Wortwiederholungen,136 Verbauslassungen137 und Inversionen.138 Insgesamt erweist sich somit die Sprache und Handlung in Sturm und Drang als konsequent inkonsequent. Kompliziert wird die schwer zu verfolgende Handlung schließlich auch durch eine Reihe von intertextuellen Bezügen,139 die allgemein in großer Zahl in Klingers poetischen Werken nachzuweisen sind.140 So wurden Verbindungen u. a. zu den Werken von Herder, Goethe, Gellert, Lenz, Lessing, Wieland, Friedrich
126 Klinger: Sturm und Drang. Personenverzeichnis, S. [4] [(2)]. 127 Ebd. 3. Akt. 3. Szene, S. 36 [54]. 128 Ebd. 5. Akt. 6. Szene, S. 64 [97]. 129 Z. B. ebd. 3. Akt. 3. Szene, S. 36 [54]. Ähnlich wird Blasius’ ehemalige spanische Geliebte zunächst „Isabella“ (ebd. 1. Akt. 1. Szene, S. 7 [6], 8 [7]), zwischenzeitlich „Isebella“ und schließlich wieder„Isabella“ (ebd. 3. Akt. 1. Szene, S. 36 [52]) genannt. 130 Ebd. 2. Akt. 5. Szene, S. 30 [44]. 131 Ebd. 1. Akt. 1. Szene, S. 9 [10]. 132 Z. B. ebd. 2. Akt. 4. Szene, S. 26 [35]. 133 Z. B. ebd. 1. Akt. 2. Szene, S. 12 [14]. 134 Fechner: Nachwort, S. 157. 135 Siehe hierzu auch Luserke-Jaqui: Sturm und Drang, S. 201. 136 Claus Reschke hat darauf Aufmerksam gemacht, dass Klinger diese rhetorische Figur in seinen Sturm und Drang-Dramen allgemein regelmäßig nutzte. Reschke zählte die Wortwiederholungstechnik mindestens 30 Mal in Klingers Trauerspiel Otto (1775), 24 Mal in den Zwillingen (1776), 35 mal in Die Neue Arria (1776), überraschenderweise aber nur 12 Mal in Sturm und Drang. Reschke: Stylistic Patterns, S. 43. Auch Gerhard Kaiser hielt fest, dass die Dramensprache Klingers „durch häufige Wiederholung und Wiederaufnahme von Wörtern besonders ausgezeichnet ist“. Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 324. Zu den Wortwiederholungen in den Jugenddramen Klingers siehe auch Beißner: Studien, S. 420 f.; Poeplau: Selbstbehauptung, S. 126; Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 81. 137 Reschke zählte mindestens 95 Verbauslassungen in Otto, mindestens 50 in den Zwillingen, 62 in Die Neue Arria und 35 in Sturm und Drang. Reschke: Stylistic Patterns, S. 45. 138 Siehe Poeplau: Selbstbehauptung, S. 126. Siehe auch Berendt: Einleitung, S. XLIX. Zur Sprache Klingers, die Edward P. Harris als „rhapsodic“ (Harris: Friedrich Maximilian Klinger, S. 125) bezeichnete und die sich laut Helmut Scheuer „immer an den Abgründen“ (Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 64) bewegt siehe Beißner: Studien, S. 417–429; May: Beitrag, S. 268; Reschke: Stylistic Patterns, S. 40–49; Zeindler: Held, S. 18–20. 139 Zur Intertextualität siehe Ullrich: Wilhelm Raabe, S. 7–11. 140 Siehe hierzu z. B. Jennings: Vergessen, S. 496, 504.
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Nicolai, Francesco Petrarca (1304–1374), Samuel Richardson (1689–1761), William Shakespeare und Jean-Jacque Rousseau aufgezeigt.141 Unter diesen nehmen die beiden Letztgenannten hinsichtlich ihres Echos im literarischen Gesamtwerk Klingers einen außergewöhnlichen Rang ein.142 Für Klingers Drama Sturm und Drang, das zahlreiche Anspielungen auf die griechisch-römische Antike aufweist (Abb. 42), ist insbesondere der Einfluss Shakespeares hervorzuheben. Die äußerst weitreichende Bedeutung des englischsprachigen Autors für den Sturm und Drang143 und allgemein für die deutschsprachige Literatur des 18. Jahrhunderts144 kann nur schwer in ihrer ganzen Dimension erfasst werden und wurde von der Forschung, die sich mit diesem Thema in intensiver Weise beschäftigt hat, hinreichend akzentuiert.145 Die hohe Wertschätzung Shakespeares durch Klinger ist bereits in seinem 1774 entstandenen Drama Das leidende Weib zu fassen.146 In der dritten Szene des zweiten Aktes verkündet die Figur Franz paradigmatisch: „Laßt mir meinen Shakespeare und meinen Homer. Wir bleiben zusammen bis in den Tod!“147 Die „Shakespearomanie“148 des Sturm und Drang-Autors wurde
141 Siehe hierzu Harris: Friedrich Maximilian Klinger, S. 124; ders.: Traum, S. 16; Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 61, 74. 142 Siehe Geerdts: Romane, S. 457. 143 Zur Bedeutung Shakespeares für den Sturm und Drang siehe z. B. Häublein: Entdeckung, S. 27–37; Kob: Wielands Shakespeare-Übersetzung, passim; Lamport: Shakespeare, S. 117–137; Martini: Poetik, S. 126 f., 136–138; Stellmacher: Herders Shakespeare-Bild, S. 198 ff.; Wolffheim: Entdeckung, S. 40–85. 144 Zur deutschsprachigen Rezeption Shakespeares im 18. Jahrhundert allgemein siehe z. B. Brunkhorst: Shakespeares „Coriolanus“, S. 17–67; Jelenski: Kritik, S. 56–58; Salumets: „Normendestruktion“, S. 73; Schmidt: Geschichte, S. 150–178; Steimer: Der Mensch, S. 86–103; Stellmacher: Herders Shakespeare-Bild, S. 5 ff.; Wolffheim: Entdeckung, S. 11–88. Häufig wurde innerhalb der Forschung auf Friedrich Gundolfs (1880–1931) Untersuchung von 1911 Bezug genommen: Friedrich Gundolf: Shakespeare und der deutsche Geist. Berlin 1911. Zur Auseinandersetzung der neueren Forschung mit der Analyse Gundolfs siehe Inbar: Shakespeare, S. 3–6. Eva Maria Inbar gab zu bedenken: „Die Zeitbedingtheit von Gundolfs Urteil ist heute unschwer zu erkennen […].“ Inbar: Shakespeare, S. 6. 145 Carolin Steimer relativierte zwar Goethes „in Dichtung und Wahrheit behauptete Ausschließlichkeit der deutschen Shakespeare-Rezeption“ (Steimer: Der Mensch, S. 7), erklärte allerdings: „[…] [D]as Problem ‚Shakespeare in Deutschland‘ [bezeichnet] gewiss die längste und am gründlichsten untersuchte Episode in den literarischen Beziehungen zwischen England und Deutschland.“ Ebd. 146 Friedrich Maximilian Klinger: Das leidende Weib. Ein Trauerspiel. Leipzig 1775. Hier zitiert nach der Ausgabe Friedrich Maximilian Klinger: Das leidende Weib. Ein Trauerspiel. In: Heinz Nicolai (Hg.): Sturm und Drang. Dichtungen und theoretische Texte. Bd. 2. München 1971, S. 889–939. 147 Klinger: Das leidende Weib. 2. Akt. 3. Szene, S. 915 [1775: S. 60]. Siehe hierzu auch Jaco bowski: Klinger, S. 9. 148 Ebd., S. 55.
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bereits von den Zeitgenossen wahrgenommen und artikuliert. Auf die kritische Rezeption von Klingers Shakespeare-Begeisterung durch Pfeffel ist bereits hingewiesen worden. Schubart dagegen reagierte positiver und nannte Klinger in einem Brief vom 17. November 1775 an seinen Bruder Conrad „unser Shakespeare“149. In Sturm und Drang zeigen sich eine Reihe direkter und indirekter Bezüge zum literarischen Werk des britischen Vorbilds.150 Bereits der ursprünglich vorgesehene Titel Wirrwarr kann als Anlehnung an Shakespeares 1594 uraufgeführte The Comedy of Errors (Komödie der Irrungen) gelesen werden.151 Vor allem aber die Benennung der Dramenfiguren kann als Shakespeare-Reminiszenz Klingers gewertet werden. Die Namen Lord Berkley und Lord Bushy verweisen auf King Richard the Second (1597), La Feu auf All’s Well That Ends Well (Ende gut, alles gut).152 Parallelen finden sich auch zu The Merchant of Venice (Der Kaufmann von Venedig; 1600),153 zu Love’s Labour’s Lost (Verlorene Liebesmüh; 1598)154 und King Lear (1608).155 Der markanteste Shakespeare-Bezug dürfte aber das Aufgreifen des Romeo und Julia-Motivs in Form der sich liebenden Kinder zweier verfeindeter Häuser sein.156
149 Christian Friedrich Daniel Schubart an Conrad Schubart. 17. 11. 1775. In: Schubart: Briefe, S. 152. Siehe hierzu auch Berendt: Einleitung, S. XLVII; Gottschall: Einleitung, S. 6; Jacobowski: Klinger, S. 55; Rieger: Klinger, S. 205 f. Zur Wahrnehmung Klingers als „deutschsprachigen Shakespeare“ siehe auch Kurz: Klingers „Sturm und Drang“, S. 1. 150 Francis Lamport vertrat die Ansicht, dass Klingers Vermischung der Gattungen durch die Konvergenz von komischen und tragischen Elementen (s. o.) ebenfalls in der Tradition von Shakespeare steht und sich aus der Beeinflussung durch Lenz speist: „The mixture of comedy, tragedy, and melodrama is no doubt intended to be seen as Shakespearean and is directly inspired by Lenz […].“ Lamport: Shakespeare, S. 134. 151 Ulrich Karthaus gab auch für den Titel Sturm und Drang an: „[Jörg-Ulrich] Fechner führt ihn auf eine Stelle bei Shakespeare zurück, wo Hamlet von ‚the very torrent, tempest, and – as I may say – whirlwind of your passion‘ (III, 2) spricht.“ Karthaus – Manß (Mitarb.): Sturm und Drang, S. 107. 152 Siehe hierzu Duncan: Lovers, S. 182; Fechner: Nachwort, S. 168; Jacobowski: Klinger, S. 54; Karthaus – Manß (Mitarb.): Sturm und Drang, S. 107; Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 318 [Anm. 12]; Luserke-Jaqui: Sturm und Drang, S. 205; Rieger: Klinger, S. 189, 195; Stellmacher: Klingers „Sturm und Drang“, S. 155; Poeplau: Selbstbehauptung, S. 124; Schweikert: Anmerkungen, S. 1875. 153 Siehe Duncan: Lovers, S. 182; Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 61. Diesbezüglich notierte z. B. Werner Kließ: „Louise, die Gesellschafterin von Berkleys Tochter Caroline, läßt ihre Freier Revue passieren wie Porzia im ‚Kaufmann von Venedig‘, Berkleys Gespräch mit Wild ist Shylocks Befragung des Tubal nachgebildet (Gundolf wies auf diese Stellen hin) […].“ Kließ: Sturm und Drang, S. 95. 154 Siehe Lamport: Shakespeare, S. 134. 155 Siehe Kließ: Sturm und Drang, S. 95. 156 Klinger griff das Motiv außerdem in den Trauerspielen Das leidenden Weib und Stilpo und seine Kinder (1780) (siehe Berendt: Einleitung, S. LII; Jacobowski: Klinger, S. 30–33) auf. In Das
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4 „Die Scene Amerika.“ Irgendwo am Rande der Welt. Die Unbestimmtheit und Beliebigkeit des Handlungsortes Klingers Schauspiel Sturm und Drang ist in einem Gasthof in Amerika verortet,157 deren genaue Lage aber nicht näher bestimmt wird.158 Die Ortsangabe unter dem Personenverzeichnis lautet lediglich: „Die Scene Amerika.“159 Klingers Wahl von Amerika als Schauplatz für das Drama fiel auf den zeitgenössischen Bühnen gewiss „[a]us dem Rahmen des Gewohnten“160. Die Neue Welt erfüllt die Funktion eines exotischen Hintergrundes bzw. der „etwas romantische[n] Ferne“161,
leidende Weib findet sich auch eine direkte Referenz auf Shakespeares Romeo und Julia. In einem Gespräch zwischen den Dramenfiguren Julie und Franz heißt es: Julie. […] Hast du die Szene übersetzt vom Romeo? Franz. Ich konnte nicht; sah meine Liebe; vergaß Romeos seine. Julie. Gut, daß die Nacht meine Scham verbirgt. Romeo, ich lieb zum erstenmal, du könntest mich in andre Welten ziehen […]. Klinger: Das leidende Weib. 3. Akt. 5. Szene, S. 924. Siehe hierzu auch Gottschall: Einleitung, S. 6; Salumets: „Normendestruktion“, S. 71. Es hier allerdings festzuhalten, dass dieses Motiv aufgrund des versöhnlichen Schlusses in Sturm und Drang unter „umgekehrten Vorzeichen“ (ebd., S. 81; siehe hierzu auch Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 73, 82) eingesetzt wird. Zur „Fensterszene“ mit Wild/Carl Bushy und Caroline in III,8 siehe Duncan: Lovers, S. 182; Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 93. Erst eine Dekade zuvor, 1767, erschien Christian Felix Weißes (1726–1804) Trauerspiel und Shakespeare-Adaption Romeo und Julie, die zu einer weiteren Verbreitung und Bekanntheit des Motivs beitrug. Siehe hierzu Häublein: Entdeckung, S. 40–55. Zum Romeo und Julia-Motiv im Drama Sturm und Drang allgemein siehe auch Borries – Borries: Aufklärung, S. 263; Duncan: Lovers, S. 184; Gottschall: Einleitung, S. 12; Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 93; Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 317; Karthaus – Manß (Mitarb.): Sturm und Drang, S. 107; Morrien: Wunder, S. 86, 93; Nicolai: Nachwort, S. 1728; Poeplau: Selbstbehauptung, S. 26, 124; Rieger: Klinger, S. 197; Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 61, 72 f.; Stellmacher: Klingers „Sturm und Drang“, S. 150, 155. 157 Bezüglich der Bedeutung und Funktion von Gasthöfen in Theaterstücken hielten Ulrich Karthaus und Tanja Manß fest: „Gasthöfe sind auf der Bühne ideale Stätten des Irrtums und der Intrige, der Begegnung und des Abschieds […].“ Karthaus – Manß (Mitarb.): Sturm und Drang, S. 109. Siehe hierzu auch Schmiedt: Drama, S. 56. 158 Bruce Duncan merkte diesbezüglich an: „The inn in which the action takes place could be anywhere.“ Duncan: Lovers, S. 181. 159 Klinger: Sturm und Drang. Personenverzeichnis und Ortsangabe, S. [4] [(2)]. Ähnlich vage bleibt auch die Angabe „Die Scene ist in einer Stadt in Nord-Amerika, auf der Gasse, vor einem großen Hause.“ (Weppen: Der Hessische Officier in Amerika. 1. Aufzug. 1. Auftritt, S. [3]) in Johann August Weppens Lustspiel Der Hessische Officier in Amerika. 160 Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 318. 161 Freye: Einleitung, S. LXXIV.
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die aufgrund ihrer nur schemenhaften Konturen nach den poetischen Notwendigkeiten mit Handlungselementen aufgeladen werden kann. Die Entscheidung des Autors in Bezug auf die Lokalisation des Handlungsgeschehens, die Gerhard Kaiser zufolge „mit größter Nachlässigkeit behandelt“162 wurde, führte laut Rita Morrien zu einer „Beliebigkeit des Ortes“163. Gerhard Kaiser sprach in diesem Zusammenhang ebenfalls von einem „beliebige[n] Hintergrund“164 und führte aus: „Wirtshaus und Garten, wo das Stück spielt, sind handlungsneutral und könnten überall und nirgends gedacht werden.“165 Kaiser zufolge hat das Stück daher gar „keinen wirklichen Schauplatz“166, sondern „spielt im Genie“167. Demgegenüber muss allerdings festgehalten werden, dass Sturm und Drang nicht in einem geografisch vollständig abstrahierten Koordinatensystem situiert ist. Das Drama, in dem das Motiv des Reisens eine zentrale Stellung einnimmt, weist eine ganze Reihe von geografischen Angaben auf (Abb. 43). In dem Stück selbst sind es verschiedene Figuren, die einen geografischen Transfer erlebt haben. Lord Berkley und seine Tochter Caroline sind vor den Wirren und Folgen einer gegen ihre Familie gerichteten Verschwörung aus ihrer Heimat England nach Amerika geflohen. Die Biografie von Kapitän Boyet/Harry Bushy ist ebenfalls von zahlreichen Reisen und mehreren Begegnungen mit seinem aus unbekannten Gründen zum persönlichen Inimicus gewordenen Gegenstück Wild/Carl Bushy gekennzeichnet. Dieser wiederum verkörpert mit seinen beiden Kompagnons Blasius und La Feu den rastlosen Reisenden schlechthin, wie er der Sturm und Drang-Mentalität entspricht. Die geistige und emotionale Ruhelosigkeit von Wild/ Carl Bushy, die ihre Ursache in vergangenen familiären Ereignissen hat, findet ihr Pendant in seinem weitreichenden Itinerar, das ihn und seine Gefährten u. a. über Russland und Spanien nach Amerika geführt hat. Die von „wilden“ verbalen Artikulationen geprägte Eingangsszene, die offensichtlich bei einem großen Teil des zeitgenössischen Publikums auf erhebliche Ablehnung stieß (s. o.), weist als Exposition auf das psychische Kernproblem von Wild/Carl Bushy hin, das sich in seinem Bedürfnis nach einer physischen Veränderung ausdrückt und seine hieraus folgenden rastlosen Reisen motiviert hat. Bereits in der ersten Szene beklagt er: „Nirgends Ruh, nirgends Rast. Die Edelsten aus Engelland irren verlohren in der
162 Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 319. 163 Morrien: Wunder, S. 90. 164 Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 319. 165 Ebd. Siehe auch Morrien: Wunder, S. 85. 166 Kaiser: Aufklärung, S. 224. 167 Ebd.; ders.: Klingers Schauspiel, S. 330. Zur Lokalisierung der Szenerie siehe auch Carruth: Schiller, S. 140.
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Welt.“168 Etwas später wiederholt er, während er über sich selbst spricht: „[Bushys Sohn] [= Wild/Carl Bushy, Anm. L. L.] [z]ieht in der Welt herum ohne Ruhe. Elend durch sich, elend durch das Schicksal seines Vaters.“169 Wilds/Carl Bushys durch ein Defizit an sinnstiftenden Elementen geprägter, unausgeglichener Emotionshaushalt und seine psychische Ruhelosigkeit werden mit einer geografischen Rastlosigkeit verknüpft und sein Reisen damit ein Ausdruck und äußeres Zeichen seiner inneren Gespanntheit. Seine Aussage „Ich habe gelitten in der Welt […].“170 kann dementsprechend im sensus literalis als während seiner Reisen erfahrenes Leid oder aber im metaphorischen Sinn als das ihm durch die Gesellschaft zugefügte Leid, das zum Niedergang seiner Familie und zur Trennung von seiner Geliebten Caroline geführt hat, verstanden werden. Als Begleiter von Wild/Carl Bushy partizipiert Blasius an dessen Unternehmungen und ist bereit, ihm nachzufolgen. Auf der anderen Seite äußert er aber in Amerika angekommen auch Kritik, indem er ihm die rhetorische Frage stellt: „[…] Geht Freundschaft so weit, daß du in deinen Rasereyen einen durch die Welt schleppst wie Kuppelhunde?“171 Für La Feu führt das Reisen, das von Teilen der Forschung als Eskapismus und Realitätsflucht interpretiert wurde,172 zu einer geografischen Desorientierung, die mit Wilds emotionaler Orientierungslosigkeit korrespondiert. Nach der Ankunft in Amerika fordert er Wild auf, ihm ihren aktuellen Aufenthaltsort mitzuteilen: „[…] Aber sag’ mir nun auch einmal, wo sind wir in der würklichen Welt jetzt.“173 Durch die Nennung von realen Namen urbaner Kommunitäten (London, Madrid), von Regionen und Landschaften (Yorkshire, Friesland), Ländern (England, Schottland, Spanien, Russland, Holland) und transnationalen Gebirgen (Pyrenäen, Alpen) als geografische Richtungsgrößen und Bezugspunkte, ergibt sich
168 Klinger: Sturm und Drang. 1. Akt. 1. Szene, S. 9 [9 f.]. 169 Ebd. 2. Akt. 5. Szene, S. 32 [46]. Die in dem Schauspiel artikulierte Reisebereitschaft und Unrast Wilds/Carl Bushys findet in der Biografie Klingers eine Entsprechung. In einem Brief an die Mutter und an seine Schwestern bekannte er im Herbst 1776, während er noch an Sturm und Drang arbeitete: „In Weimar kann ich auf keine Weise mehr bleiben. Goethes Liebe ist groß, aber die Umstände sind gegen uns. […] In der weiten, entfernten Welt allein findt sich Arbeit und Fortkommen.“ Friedrich Maximilian Klinger an seine Mutter Cornelia Margareta Dorothea Klinger (geb. Fuchs; 1727–1800) und seine Schwestern. 25. 9. 1776. In: Rieger: Klinger, S. 400. Klinger unterstrich die Notwendigkeit, Weimar zu verlassen: „Es ist überhaupt nothwendig daß ich hier weg geh […].“ Friedrich Maximilian Klinger an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. 25. 9. 1776. In: Rieger: Klinger, S. 401. 170 Klinger: Sturm und Drang. 2. Akt. 5. Szene, S. 29 [41]. 171 Ebd. 1. Akt. 1. Szene, S. 7 [7]. 172 Siehe z. B. Luserke-Jaqui: Sturm und Drang, S. 202 f.; Poeplau: Selbstbehauptung, S. 26, 130; Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 80; Zeindler: Held, S. 21 f. 173 Klinger: Sturm und Drang. 1. Akt. 1. Szene, S. 6 [5].
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IV Die apolitische Rezeption der Amerikanischen Revolution
„eine bunt zusammengewürfelte, phantastisch verwirrende Geographie“174, zu deren Koordinatensystem aus europäischer Perspektive auch Amerika als exotischer Ort am Rande der bekannten Welt gehört. Dennoch muss festgehalten werden, dass die eben beschriebene Nennung des Schauplatzes unter dem Personenverzeichnis, die im Text durch weitere Bezeichnungen wie „neue[s] Vaterland[]“175, „Colonien“176 oder die Wiederholung von „Amerika“177 ergänzt wird, für das gesamte Handlungsgeschehen nur eine untergeordnete Rolle spielt. Sie ist weniger handlungskonstitutiv als -affirmativ. Im Gegensatz hierzu sind die geografischen Räume der Vergangenheit vor allem für Lord Berkley, Wild/Carl Bushy und Blasius, die immer wieder ihre Erinnerungen reflektieren, von weit größerer Bedeutung. Im Falle von Lord Berkley scheint der Überfall, den seine Familie in England erlitten hat, eine traumatisierende Wirkung auf seine Psyche entfaltet zu haben und bestimmt maßgeblich die Rezeption seines Umfeldes und seine hieraus resultierende Realitätskonstruktion (siehe I,2). Die in Amerika situierte Gegenwartshandlung wird geografisch gelöst und durch die beständig wiedererweckten Erinnerungsmomente in die Vergangenheit und somit auch in die mit ihr verbundene europäische Geografie transponiert. Vor diesem Hintergrund entsteht sogar der Eindruck, dass die Dramatis Personae, deren Denken und Handeln wesentlich von vergangenen Ereignissen und den Erinnerungen an diese konstituiert wird, geistig und emotional immer noch in Europa verortet sind. Großbritannien als der wichtigste Ort des Handlungsgeschehens der Vergangenheit bildet daher das eigentliche Zentrum der geografischen Lokalisation des Dramas. Dies zeigt sich nicht zuletzt in einer Analyse des quantitativen Umfangs der im Drama artikulierten geografischen Angaben. Der eurozentrischen bzw. auf Großbritannien fixierten Ausrichtung des Stückes steht die vermeintliche Marginalisierung Amerikas als weitgehend nicht definierter und nur schemenhaft erscheinender Kontinent, ohne besondere geografische oder kulturspezifische Charakteristika, gegenüber.
174 Fechner: Nachwort, S. 165. Zu Bedeutung von Raum und Geografie für Sturm und Drang siehe auch Kurz: Klingers „Sturm und Drang“, S. 12; Zeindler: Held, S. 10, 15–17. 175 Klinger: Sturm und Drang. 2. Akt. 4. Szene, S. 27 [39]. 176 Ebd. 5. Akt. 5. Szene, S. 64 [98]. 177 Ebd. 1. Akt. 1. Szene, S. 7 [6] und 2. Akt. 4. Szene, S. 28 [40].
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5 „Wo Krieg ist bin ich!“ Patriot oder Royalist? Die Unbestimmtheit der politischen Zugehörigkeiten Klingers und seiner Figuren in Sturm und Drang Wenn also die Ortsangabe „Amerika“ nur eine untergeordnete Rolle spielt, stellt sich die Frage, welche Funktion die Lokalisation des Handlungsgeschehens in der Neuen Welt für das Drama einnimmt. Wie bereits erwähnt wurde Sturm und Drang in einer Zeit verfasst, in der weitreichende politische Entscheidungen und heftige militärische Auseinandersetzungen die Situation in Nordamerika bestimmten.178 Als Schauspiel, das dem Sturm und Drang zugehörig ist, wären politisch aufgeladene, gesellschaftskritische Kommentare nicht außergewöhnlich. Stattdessen überrascht die apolitische Haltung, die von der Forschung immer wieder explizit konstatiert wurde. So erklärte etwa Christoph Hering: „Von den Ideen des Freiheitskampfes hören wir nichts, überhaupt könnte das Drama in jedem anderen Wirtshaus spielen, solange ein Baum vor dem Fenster der Geliebten steht.“179 Auch Francis Lamport betonte: „Lenz, Wagner, and Schiller thus made serious attempts to use the drama to adress some of the specific problems of contemporary society. This is hardly the case with Klinger’s Sturm und Drang […].“180 Und Helmut Scheuer warnte: „Wir dürfen uns von der vorangestellten Anmerkung, ‚Die Scene Amerika‘, nicht verleiten lassen, auf eine explizite politische Dimension des Stückes zu schließen.“181 Scheuer wies darauf hin, „daß die sozialen und politischen Bezüge in diesem Stück fehlen“182. Vor diesem Hintergrund scheint eine Analyse der politischen Haltungen in dem vorliegenden Stück von besonderer Bedeutung zu sein. Die Forschung hat allerdings in großem Umfang darauf hingewiesen, dass Klinger die Gelegenheit, sich in seinem Drama Sturm und Drang politisch eindeutig zu positionieren, auslässt. Das Schauspiel ist kein Soldatenstück, dennoch fällt dem Militär bzw. dem im Hintergrund des eigentlichen Handlungsgeschehens geführten Krieg, der nur aus dem Kontext als der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg zu identifizieren
178 Siehe hierzu auch Guthke: Literarisches Leben, S. 296; Luserke-Jaqui: Sturm und Drang, S. 201. 179 Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 96. 180 Lamport: Shakespeare, S. 134. 181 Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 87. Ähnlich gab Ulrich Karthaus diesbezüglich zu bedenken: „‚Die Scene ist Amerika.‘ Die Angabe ist insofern irreführend, als nicht das Amerika der Unabhängigkeitskämpfe oder der ‚edlen Wilden‘ gezeigt wird, sondern ein Gasthof, der auch in einem anderen Erdteil stehen könnte, wo zufällig Krieg geführt wird […].“ Karthaus – Manß (Mitarb.): Sturm und Drang, S. 109. 182 Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 92. Siehe auch Stellmacher: Klingers „Sturm und Drang“, S. 157.
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IV Die apolitische Rezeption der Amerikanischen Revolution
ist, eine gewisse Bedeutung zu. Die Möglichkeit, die gerade in der Entstehungszeit des Dramas verhandelten Subsidienverträge, den sog. Soldatenhandel, zwischen Großbritannien und den deutschen Territorialfürsten zu kommentieren, wird von Klinger nicht wahrgenommen, da die deutsche Beteiligung an der Amerikanischen Revolution generell nicht thematisiert wird. Keine der Dramenfiguren, deren nationale Ursprünge geografisch Großbritannien zuzuordnen sind, entstammt einem der deutschen Staaten. Es fehlen allgemein Referenzen auf den deutschsprachigen Raum, was angesichts der zuvor geschilderten hohen Bedeutung der umfangreichen Reisen besonders auffällig ist. Dennoch könnte sich auch gerade hier eine dezidierte politische Aussage verbergen. Fast wirkt es so, als würde der deutschsprachige Raum mit Absicht ausgespart werden. Klinger schien bei der Konzeption des Dramas Wert darauf zu legen, deutlich zu machen, dass der Entschluss Wilds/Carl Bushys mit seinen Begleitern nach Amerika zu reisen und an den dortigen militärischen Auseinandersetzungen zu partizipieren, freiwillig erfolgte. Wild/Carl Bushy erklärt, dass er „als Volontair“183 unterwegs ist und auch später ist explizit von „seinen Freiwilligen“184 die Rede. Diese freie Entscheidung von Wild/Carl Bushy und seinen Begleitern hätte auf den deutschen Bühnen bei einer entsprechenden Akzentuierung leicht als Kontrastfolie zu den zeitgenössischen Soldatenwerbungen für den Militärdienst in Amerika erkannt werden können, die von vielen Beobachtern als Zwangsrekrutierungen zu einem Sklavendienst wahrgenommen wurden.185 Eine direkte Kontrastierung von freier Willensentscheidung und aufgezwungenem Soldatendienst findet in Klingers Werk zwar nicht statt, es sollte allerdings berücksichtigt werden, dass trotz der fehlenden expliziten Kritik an den Subsidienverträgen, wachsame und über die zeitgenössisch aktuellen tagespolitischen Geschehnisse informierten Zuschauer bzw. Leser die Hinweise auf Wilds/Carl Bushys freien Entschluss, nach Amerika zu reisen und dort am Unabhängigkeitskrieg teilzunehmen, als implizite Kritik an einem erzwungenen Soldatendienst rezipieren konnten. Gleichzeitig ist aber auch die Frage zu stellen, ob Klinger überhaupt tatsächlich Kritik am sog. Soldatenhandel üben wollte, da er sich ja selbst zunächst um eine militärische Tätigkeit bei den Truppen auf der britischen Seite bewarb und sich dezidiert mit dem Soldatenstand identifizierte (s. u.). Vielleicht erschienen dem Autor des Dramas die politischen Vorgänge in Nordamerika und ihr transatlantischer Widerhall vor dem Hintergrund seiner eigenen biografischen Situation aber nicht als wichtig oder interessant genug, um diese in extenso aufzugreifen. Weiterhin ist zu berück-
183 Klinger: Sturm und Drang. 1. Akt. 1. Szene, S. 9 [10]; ebd. 2. Akt. 5. Szene, S. 30 [43]. 184 ebd. 5. Akt. 6. Szene, S. 64 [99]. 185 Siehe Kapitel III.9.
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sichtigen, dass der Mangel an eindeutigen politischen Signalen und Stellungsnahmen in dem Bewusstsein Klingers um die Zensur der Zeit oder möglicherweise auch in seiner Befürchtung begründet liegen könnte, sich durch einen eindeutigen politischen Kommentar in Form eines agitatorischen Stückes, etwa mit einem dezidierten republikanischen Bekenntnis, vor den aristokratischen Trägern der politischen Entscheidungsgewalt in Europa zu diskreditieren und dadurch die Chancen, einen militärischen Posten zugesprochen zu bekommen, um den er sich in dieser Zeit bemühte, zu verspielen. Als exemplarisch für die fehlende politische Positionierung gegenüber den zeitgenössischen Ereignissen wurde von der Forschung die Schwierigkeit gewertet, die Dramenfiguren bestimmten politischen Lagern zuzuordnen.186 Helmut Schmiedt beispielsweise hob hervor, dass „nur der sehr aufmerksame Leser […] überhaupt mitbekommen [wird], auf welcher Seite des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges die Reisenden kämpfen.“187 Auch Gail K. Hart wies auf „Klinger’s famous omission of the presumably important information about who is fighting on which side of the American Revolutionary War“188 hin. Diese Bemerkungen spiegeln die Beobachtung einer Rezension von 1778 wider, in der es heißt: „Es wird eine Bataille geliefert; Lord Berkley, sein Sohn der Seekapitain, und Wild gehen hinein, und kommen wieder. Gegen wen aber und von wem, wo, wie und warum diese Schlacht geliefert wird, davon bekommt man nichts zu wissen.“189 Infolge dieser Unklarheiten hat die Forschung unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen. Laut Gerhard Kaiser leistet Lord Berkley „als Offizier im Heer der amerikanischen Aufständischen Dienst“190. Auch für Werner Kurz stand fest: „Berkley kämpft auf Seiten der Kolonie […].“191 Und Max Rieger konstatierte: „Berkley hat sich den Verteidigern seines neuen Vaterlandes angeschlossen.“192 Demgegenüber vertrat Friedrich A. Wyneken die Meinung, dass Lord Berkley als „Führer der englischen Truppen gegen ein für seine Freiheit kämpfendes Volk“193 eintrete. Dem Text selbst ist von Lord Berkley, der England verlassen und in Amerika eine neue Heimat gefunden hat, kein eindeutiges politisches Bekenntnis zu entnehmen. Im Gespräch mit seiner Tochter erwähnt er Feinde, ohne aller-
186 Siehe hierzu auch King: Echoes, S. 64. 187 Schmiedt: Drama, S. 56. 188 Hart: Family, S. 124. Siehe auch Fechner: Nachwort, S. 165; Osterwalder: Überwindung, S. 50. 189 [Anonym]: [Rezension Sturm und Drang], S. 128. Abgedruckt in Fechner: Dokumente, S. 106. 190 Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 319. 191 Kurz: Klingers „Sturm und Drang“, S. 52. 192 Rieger: Klinger, S. 190. 193 Wyneken: Rousseaus Einfluss, S. 19. Siehe zu dieser Frage auch Brüggemann: Klingers Sturm und Drang, S. 210.
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dings diese näher zu spezifizieren bzw. seine eigene Position darzustellen. Er erklärt lediglich: „Ich denk der Feind soll in einigen Tagen angreifen, und dann rücken wir aus.“194 Auch der Bericht der Dienerin Betty über den Verlauf einer in der Nähe des Gasthofes stattfindenden Schlacht ergibt keinen Aufschluss über die politische Zugehörigkeit der Familie Berkley. Gegenüber der besorgten Caroline schildert sie die allgemeinen Grausamkeiten des Krieges ohne dabei die Antagonisten oder überhaupt eine am Kampfgeschehen beteiligte Seite genauer zu benennen. Sie berichtet: „Man hört immer noch schießen. Aber so stark nicht mehr. Sie meynen, wir siegten. O, Gott! es kommen so viele Verwundete! gar schöne Leute, Miß! da war eben einer mit einem halben Kopf. Das Herz möchte einem brechen.“195 In der fünften Szene des zweiten Aktes lobt Lord Berkley zwar in einer emphatischen Exklamation den König mit den Worten „Gesegnet sey der König!“196, dies ist allerdings weniger als royalistisches Bekenntnis, denn als Freude über die Nachricht zu werten, dass sein vermeintlicher Widersacher Lord Bushy vor dem König in Ungnade gefallen ist und infolgedessen einen gesellschaftlichen Niedergang erfahren hat. Fast hat man den Eindruck als hätte es Klinger mit Absicht und größter Vorsicht vermieden, politische Bekenntnisse der Figuren durchscheinen zu lassen. Einigkeit besteht in der Forschung aber zumindest darin, dass Kapitän Boyet/ Harry Berkley auf Seiten der Kolonien steht, da er „[e]in reiches Englisches [sic] Schiff“197 aufgebracht hat.198 Nach der Aufdeckung der wahren Personeniden-
194 Klinger: Sturm und Drang. 1. Akt. 2. Szene, S. 14 [17 f.]. 195 Ebd. 5. Akt. 1. Szene, S. 58 [89]. Ein Gefecht, das in der Nähe der Szenerie geführt wird, über das aber ebenfalls nur in einer Teichoskopie berichtet wird, findet auch in Weppens Lustspiel Der Hessische Officier in Amerika statt. Dort fragt Miss Betty ihren Bruder Eduard: „Nun, worinn besteht die gute Nachricht, sind die Hessen geschlagen?“ Weppen: Der Hessische Officier in Amerika. 3. Aufzug. 3. Auftritt, S. 64. Daraufhin erwidert Eduard: „Warum nicht gar! wäre denn das eine gute Nachricht? Ich meines Theils bin ziemlich neutral – Ja ich würde es ganz mit dem Mutterlande halten, und den Siegern ihren Sieg gönnen, wäre mein Freund Didier nicht – Dieser ist vermuthlich mit dabey gewesen. Genug die Provincialen sind geschlagen, und ein großer Theil ist, wie ich deutlich vom Thurme bemerken konnte, gefangen.“ Ebd. 196 Klinger: Sturm und Drang. 2. Akt. 5. Szene, S. 33 [49]. 197 Ebd. 4. Akt. 2. Szene, S. 48 [72]. Siehe hierzu auch Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 96. 198 Es wäre aber auch denkbar, dass sich der Kapitän zu diesem Zeitpunkt keinem politischen Lager zugehörig fühlt und als apolitischer Freibeuter an allen potentiellen Kaperzielen interessiert ist. Die Assoziation Amerikas mit der Freibeuterei, die in Sturm und Drang durch den Kapitän verkörpert wird, zeigt sich in der europäischen Rezeption der Neuen Welt in verschiedenen zeitgenössischen Werken. 1742–1745 erschien in vier Teilen eine deutschsprachige Übersetzung von Robert Pierots (Pseudonym) „Lebens-Geschichte“ unter dem Titel Der Americanische Freybeuter. Siehe hierzu Jantz: Amerika, Sp. 325. In Johann Gottlieb Stephanie d. J. Lustspiel So muß man
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titäten richtet er außerdem folgenden Appell an seinen Vater: „Vater! geht mit auf mein Schiff, wir wollen für die Colonien capern.“199 Die Erörterung der Frage nach der politischen Affiliation von Wild/Carl Bushy dagegen ist in der Forschung erneut von kontroversen Meinungen gekennzeichnet. Laut Olga Smoljan unter-
Füchse fangen (1786) gibt Herr Christmann an, dass Oberst Falkenklau – laut Personenverzeichnis „ein amerikanischer Partheygänger“ (Stephanie d. J.: So muß man Füchse fangen. Personenverzeichnis, S. [2]) – „im amerikanischen Kriege Kaperey getrieben“ (ebd. 3. Aufzug. 5. Auftritt, S. 47) habe. Auch in Heinrich Ferdinand Möllers (1745–1798) 1779 publizierten Schauspiel Wilkinson und Wandrop, das laut Erich Schmidt „mit Klinger’schen Sprachpröbchen“ (Schmidt: Möller, S. 142) versehen ist, wird „von einem amerikanischen Kaper“ (Möller: Wikinson und Wandrop. 1. Aufzug. 9. Auftritt, S. 19) berichtet. Siehe hierzu auch Walz: American Revolution, Sp. 458. Tatsächlich berichtete die Presse immer wieder über amerikanische Freibeuter. Schubart notierte in seiner Teutschen Chronik 1776: „Die Amerikanischen Kaper streifen mit Muth und Glück auf dem Meere.“ Schubart (Hg.): Teutsche Chronik (1776). 4. Vierteljahr. 85. Stück. 21. 10. 1776, S. 667 [Schubart: Werke, S. 88]. Nach Schubarts Inhaftierung informierte die Teutsche Chronik unter dem neuen Herausgeber Johann Martin Miller: „Eine andre Bill berechtigt den König, alle Amerikanische Kapers des Hochverraths schuldig zu erklären.“ [Miller] (Hg.): Teutsche Chronik (1777). 1. Vierteljahr. 17. Stück. 27. 2. 1777, S. 131. Und in einer Meldung vom 14. August 1777 konnte man lesen: „Die Kühnheit der ungezogenen Amerikanischen Freybeuter könnte auch sonst noch ein artiges Kapitelchen abgeben; ihre Streifereyen an den Schottischen Küsten, im Kanal, in den portugiesischen Gewässern, um die britischen Inseln, bey Neufaundland [sic], und vor Norwegen gäben die Grundlage dazu. Man würde sodann finden, daß ihre Kühnheit dem Feuer eines raschen Jünglings gleichet, der ein Wagehals ist, und lange, oft immer, die kalte Klugheit eines Alten verlachet und übertrift.“ Ebd. 3. Vierteljahr. 65. Stück. 14. 8. 1777, S. 514 f. In einer Rezension zu Milons Franklin-Biografie 1793 hieß es über den amerikanischen Erfinder und Staatsmann: „Er ließ in den französischen Häfen verschiedene Kaper ausrücken, die den englischen Kaufleuten grossen Schaden thaten.“ H.: [Rezension] Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins von C. Milon, S. 102. Bereits die zeitgenössische Historiographie verwies auf die Bedeutung der Freibeuterei im Unabhängigkeitskrieg. In der 1794 erschienenen deutschsprachigen Übersetzung von David Ramsays (1749–1815) History of the American Revolution (1789) war zu lesen: „Die Amerikaner legten sich so fort auf das Kapern, und waren sehr glücklich.“ Ramsay: Geschichte der Amerikanischen Revolution aus den Acten des Congresses der vereinigten Staaten, S. 247. Den für die Briten entstanden Schaden quantifizierte Ramsay folgendermaßen: „Die Partikularien lassen sich nicht aufzählen, aber sichre Zeugen haben berechnet, daß neun Monate nachher, als der Congreß das Kapern erlaubte, der Verlust der Engländer, die Transport- und Munitionsschiffe abgerechnet, sich über eine Milliarde Pfund Sterling belief.“ Ebd. Der Geograph und Polyhistor Matthias Christian Sprengel gab bereits in seiner Geschichte der Revolution von Nord-Amerika an, dass die amerikanischen Freibeuter „1776 dem brittischen Handel über sechs Millionen Reichsthaler Schaden“ (Sprengel: Geschichte der Revolution von Nord-Amerika, S. 136) zugefügt hätten. Zum Umfang und zu den Aktivitäten der Kaperschiffe während des Unabhängigkeitskrieges aus historischer bzw. militärhistorischer Perspektive siehe Coggins: Ships; Fowler, Jr.: Rebels. 199 Klinger: Sturm und Drang. 5. Akt. 4. Szene, S. 64 [98].
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stützt er mit Lord Berkley die Revolutionäre.200 „[A]uf der Seite der Kolonien“201 bzw. „auf der Seite der Freiheitssucher“202 ordneten ihn auch Gerhard Kaiser und Friedrich A. Wyneken ein. Folgt man dagegen Bruce Duncan, so unterstützt Wild/ Carl Bushy die Briten. Duncan schlussfolgerte dies aus dem Antagonismus von Wild/Carl Bushy und seinem Widersacher Kapitän Boyet/Harry Berkley, der seiner Meinung nach als Freibeuter für die Kolonisten kapert (IV,2). Duncan führte aus: „In the play, only two oblique references to Boyet’s privateering allow us to conclude that the sea captain, despite the emphasis on his Englishness, is fighting for the Americans; hence Carl is on the British side […].“203 Helmut Stellmacher kam hinsichtlich der politischen Einordnung von Wild/Carl Bushy unter Vorbehalt zu dem gleichen Ergebnis, begründete dies allerdings mit seiner nationalen Zugehörigkeit. Er erklärte: „Da er Engländer ist und mit anderen Engländern zusammen in die Schlacht zieht, kann man vermuten, daß er gegen die Amerikaner kämpft […].“204 Ähnlich vorsichtig ordnete Francis Lamport das Sturm und DrangPersonal auf der britischen Seite ein. Er vermutete: „[…] [I]t appears – though it is not made very clear and, correspondingly, does not seem very important – that the characters are fighting for the English against the rebellious colonists, as, indeed, Klinger himself planned to do […].“205 Dennoch erscheint es wahrscheinlicher, dass Wild/Carl Bushy die Seite der amerikanischen Patrioten unterstützt. Gegenüber Caroline bekundet er mit folgenden Worten seine Bereitschaft, dem Feind, der ihre neue Heimat bedroht und den er mit seinem Gegner gleichsetzt, entgegenzutreten: „Hier warte ich den Feind deines neuen Vaterlandes ab, warte
200 Sie schrieb: „Der greise Berkley und Karl kämpfen in den Reihen der amerikanischen Truppen gegen die Söldner des englischen Königs.“ Smoljan: Friedrich Maximilian Klinger, S. 74. 201 Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 318. 202 Wyneken: Rousseaus Einfluss, S. 19. 203 Duncan: Lovers, S. 189 [Anm. 25]. Zu der Bedeutung Kapitän Boyets/Harry Berkleys für die politische Zugehörigkeit Wilds/Carl Bushys siehe auch Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 88. 204 Stellmacher: Klingers „Sturm und Drang“, S. 144. Er gab allerdings auch unmittelbar zu bedenken: „[…] [S]icher läßt sich diese Frage aber vom Text her nicht entscheiden.“ Ebd. Stellmacher machte außerdem deutlich: „Im weiteren Verlauf des Stückes wird folgerichtig nicht der geringste Wert darauf gelegt zu klären, auf welcher Seite Wild am amerikanischen Krieg teilnimmt.“ Ebd. In der vierten Szene des vierten Aktes bezeichnet Kapitän Boyet seinen Gegenspieler Wild zwar vier Mal als „Schottländer“, aber Lady Kath(a)rin(e) nennt die drei Reisenden in einem Gespräch mit Louise und Caroline „Engelländer“ (I,4). Wild/Carl Bushy selbst bezeichnet sich Caroline gegenüber folgendermaßen: „Ja Mylady, ich bin ein Engelländer […].“ Klinger: Sturm und Drang. 2. Akt. 4. Szene, S. 25 [35]. 205 Lamport: Shakespeare, S. 134.
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meinen Feind ab.“206 Identifiziert man das „neue Vaterland“ Carolines (und ihres Vaters) mit den sich im Zustand der Rebellion befindlichen Kolonien in Nordamerika, so folgt daraus, dass Wild ihre Gegner, d. h. die Briten, auch für seine Feinde hält. Da Caroline und Lord Berkley eine familiäre Einheit bilden und es im Text keinen Hinweis darauf gibt, dass sie politisch unterschiedliche Positionen einnehmen, könnten sich in diesem Fall die von Lord Berkley in I,2 erwähnten Feinde (s. o.) möglicherweise ebenfalls als Briten identifizieren lassen. Demnach würden Wild, Kapitän Boyet sowie Lord Berkley und seine Tochter Caroline politisch auf derselben, d. h. der amerikanischen Seite stehen.207 Trotzdem scheint ein dezidiertes politisches Bekenntnis, wie bereits erwähnt, für keine der Figuren von elementarer Bedeutung zu sein. Dies trifft insbesondere auf Wild/Carl Bushy zu. Es entsteht sehr stark der Eindruck, dass er lediglich bereit ist nach Amerika zu reisen und an den militärischen Auseinandersetzungen teilzunehmen, weil dort gerade ein Krieg stattfindet. Dass es um den Unabhängigkeitskrieg einer rebellierenden sozialen Entität geht, ist, wenn überhaupt, von sekundärer Bedeutung. Die Forschung teilt zumindest diese Ansicht fast ausnahmslos.208 Der geografische Ort Amerika erscheint damit als politisch nicht aufgeladenes Betätigungsfeld für eine psychologisch-emotional unausgeglichene Sturm und Drang-Figur, der Europa keine weiteren Aktionsmöglichkeiten mehr bieten kann. Für Wild, der von Rastlosigkeit und innerer Unruhe geprägt ist, eröffnet die militärische Auseinandersetzung, die er in der Neuen Welt gesucht hat und auch tatsächlich vorfindet, anscheinend die einzige Möglichkeit, einen psychischen Ausgleichszustand herzustellen. Bereits zu Beginn teilt er seinen Begleitern mit:
206 Klinger: Sturm und Drang. 2. Akt. 4. Szene, S. 27 [39]. 207 Dass die politischen Konzeptionen von Wild/Carl Bushy und Lord Berkley kongruent sind, zeigt sich bereits während der ersten Begegnung der beiden, wo es u. a. heißt: Wild. […]. Könnten Sie einem Menschen der mir gleich sieht, erlauben, als Volontair die Campagne gegen Ihre Feinde mitzumachen? Berkley. Von Herzen gerne. Seyn Sie willkommen! Ich will gleich zum General gehen. Kommen Sie doch mit! Wild. Ich bin deswegen gekommen, und je eher, je besser. Berkley. O Mylord! auf so einen Tag hab ich lang geharret. Ebd. 2. Akt. 5. Szene, S. 30 [43 f.]. 208 Siehe z. B. Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 97; Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 319; Karthaus – Manß (Mitarb.): Sturm und Drang, S. 109; Schmidt: Language, S. 181; Stellmacher: Klingers „Sturm und Drang“, S. 144, 149. Bruce Duncan hielt allerdings auch fest: „Some critics have made much of the play’s setting in revolutionary North America.“ Duncan: Lovers, S. 181. Siehe auch Stellmacher: Klingers „Sturm und Drang“, S. 149.
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„Wir sind nun mitten im Krieg hier, die einzige Glückseligkeit die ich kenne, im Krieg zu seyn.“209 Wie bereits angedeutet korrespondiert diese militärische Sehnsucht Wilds/Carl Bushys stark mit der Biografie des Autors (s. o.). Klinger, der Sohn eines Frankfurter Stadtsoldaten,210 plante bereits in seiner Jugend, eine militärische Laufbahn einzuschlagen.211 In seiner Weimarer Zeit scheint ihm sein soziales Umfeld die Umsetzung dieser Absichten ebenfalls nahegelegt zu haben. Im Juni 1776 berichtete er Schleiermacher von einem Ratschlag, dem ihm Wieland gegeben hatte mit den Worten: „Militair wär seine Idee. Er meint ich sollte Lieutenant unter den Preußen werden.“212 Tatsächlich identifizierte sich Klinger ausgesprochen intensiv mit dem militärischen Leben. In einem für Erbprinz Ludwig von Hessen-Darmstadt (1753–1830; reg. 1790–1830) bestimmten Anhang zu einem Brief an Schleiermacher erinnerte er sich 1780: „Nur im Soldaten Stand hab ich mich glücklich, hab ich meine Bestimmung gefühlt.“213 Zwei Jahre zuvor hatte er bereits bekannt: „Ich bin ganz Soldat, denke und empfinde nichts andres.“214 1779 wiederholte er in einem Brief, diesmal an den Musikpädagogen und Komponisten Philipp Christoph Kayser (1755–1823) gerichtet: „Indessen ist und bleibt meine Bestimmung Soldat! Wer diese dem Ehrgeiz schmeichelnde Sclaverey einmal in all ihrer Härte und Anmuth gefühlt hat, spielt in jedem andern Stand eine beschwerliche Rolle.“215 Auch aus Klingers 1803–1805 erschienenen Betrachtungen und Gedanken über verschiedene Gegenstände der Welt und der Litteratur ist eine deutliche Bewunderung für den Soldatenberuf herauszuhören. Dort heißt es u. a.:
209 Klinger: Sturm und Drang. 1. Akt. 1. Szene, S. 8 [8]. 210 Vgl. Fechner: Nachwort, S. 149. 211 Zum Wunsch Klingers, einen militärischen Posten zu übernehmen, siehe auch Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 18 f.; Pascal: German Sturm und Drang, S. 36. 212 Friedrich Maximilian Klinger an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. 16. 6. 1776. In: Rieger: Klinger, S. 389. Eine positive, von Bewunderung geprägte Einstellung Klingers gegenüber dem preußischen Militär kann einem späteren Brief an Schleiermacher entnommen werden. Dort erklärte er: „Vorige Woche half ich eine Comoedie aufführen wo ich einen Major machte. Du glaubst nicht wie mir in der preußischen Uniform war und wie gut sie mir stunde.“ Friedrich Maximilian Klinger an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. 4. 9. 1776. In: Rieger: Klinger, S. 398. 213 Friedrich Maximilian Klinger an den Erbprinzen Ludwig von Hessen-Darmstadt. Anlage zu dem Brief Klingers an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. 21. 2. 1780. In: Rieger: Klinger, S. 426. 214 Friedrich Maximilian Klinger an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. 29. 7. 1778. In: Rieger: Klinger, S. 420. 215 Friedrich Maximilian Klinger an Philipp Christoph Kayser. 23. 4. 1779. In: Rieger: Klinger, S. 422 f. Kayser selbst empfand eine starke Neigung zum Militär. In einem Brief an Schleiermacher machte er deutlich, dass er „von Jugend auf dem Militair anhing“ (Philipp Christoph Kayser an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. 10. 8. 1776. In: Rieger: Klinger, S. 434).
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Ich halte dafür, daß in der jetzigen bürgerlichen Verfassung der freieste Stand – der nämlich, in welchem man seinen natürlichen Charakter und eine bestimmte Denkungsart am meisten beibehalten, folglich von Seiten des Geistes am unabhängigsten leben kann, der Soldatenstand ist.216
Die Gründe für Klingers lebenslange Affinität zum Militär dürften sicherlich auch darin zu finden sein, dass er eine militärische Karriere als soziale Aufstiegschance wahrnahm, wie aus einem im Sommer 1776 verfassten Brief hervorgeht, als er sich um eine Beteiligung im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg bemühte. Darin erklärte er: Ich geh unter Soldaten es wird gearbeitet für mich, und wird mir eine große Bahn eröffnen, Ich fühlte längst daß dies der einzige Stand in unsern Zeiten ist, für einen Menschen der Herz und Kopf hat. Hier allein ist Zwek, und großer Zwek Fortun [sic] zu machen oder des Lebens Ende auf herrliche Weise. Ich fühl daß ich dazu gemacht bin mit diesem Herzen, diesem Körper.217
Für Klinger verband sich, wie für Wild/Carl Bushy in Sturm und Drang, die Aktivität im militärischen Bereich mit einem anregenden Vitalismus. Im Juli 1778, während seiner Teilnahme als Offizier am Bayerischen Erbfolgekrieg offenbarte er Schleiermacher: „Alle meine Geister sind lebendig.“218 Dabei schien Klinger nicht nur für den Soldatenstand allgemein einzutreten, sondern die militärischen Auseinandersetzungen selbst zu befürworten. In demselben Brief teilte er mit: „Ich wache und bin für Kayser, für Krieg und Streit.“219 Sein Interesse am Krieg äußerte er auch gegenüber Kayser, an den er pointiert schrieb: „Wo Krieg ist bin ich!“220 Euphemistisch sprach er in einem im November des folgenden Jahres verfassten Brief in diesem Sinne von einer „sehr lustigen Campagne in Böhmen“221. Klingers Identifikation mit dem Militär und den im Kampf freigesetzten Kräften reichte sogar soweit, sich den Krieg, zumindest verbal, herbeizuwünschen. Im Dezember 1777 schrieb er an Johann Jakob Wilhelm Heinse (1746–1803), der sich positiv über Sturm und Drang geäußert hatte: „Ich hatte längst Lust den Krieg anzufangen
216 Klinger: Betrachtungen und Gedanken. Erster Theil. Nr. 105, S. 76. 217 Friedrich Maximilian Klinger an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. [30.] 6. 1776. In: Rieger: Klinger, S. 393. 218 Friedrich Maximilian Klinger an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. 29. 7. 1778. In: Rieger: Klinger, S. 420. 219 Ebd. 220 Friedrich Maximilian Klinger an Philipp Christoph Kayser. 23. 4. 1779. In: Rieger: Klinger, S. 423. 221 Friedrich Maximilian Klinger an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. 28. 11. 1779. In: Rieger: Klinger, S. 423.
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IV Die apolitische Rezeption der Amerikanischen Revolution
haben aber noch keinen gefunden ders auf Leben und Tod angehn kann.“222 Die Affinität des Soldaten und Autors Klinger gegenüber dem Militärwesen und seine hier artikulierte Kriegsbegeisterung sind keineswegs singuläre Erscheinungen, sondern entsprechen einer zeitgenössisch weit verbreiteten, nahezu topischen Einstellung. Am 11. November 1769 teilte z. B. Alexander Hamilton (1755/57–1804), der zu einem der bedeutendsten Gründerväter der Vereinigten Staaten werden sollte,223 in einem Brief an seinen Jugendfreund Edward Stevens (ca. 1755–1834) seine biografischen Ambitionen mit und beendete diesen mit den Worten: „[…] I shall Conclude saying I wish there was a War.“224 Wie für den deutschen Autor stellte auch für Hamilton die Teilnahme an militärischen Auseinandersetzungen die Möglichkeit dar, rasch und vermeintlich durch das eigene Können bedingt, eine soziale Sicherung bzw. sogar einen Aufstieg zu erreichen. Die Worte Klingers erwecken natürlich aber auch diachrone Assoziationen zu Vertretern des literarischen Expressionismus Anfang des 20. Jahrhunderts.225 So ist der oben zitierte offensichtliche Wunsch nach einem Krieg in prominenter Weise ebenfalls in den vielzitierten Tagebucheinträgen von Georg Heym (1887– 1912) vorzufinden. In der Notiz zum 15. September 1911 ist dort beispielsweise zu lesen: „Ich hoffte jetzt wenigstens auf einen Krieg.“226 Und bereits im Juni 1910 notierte Heym: Geschähe doch einmal etwas. Würden einmal wieder Barrikaden gebaut. Ich wäre der erste, der sich darauf stellte, ich wollte noch mit der Kugel im Herzen den Rausch der Begeisterung spüren. Oder sei es auch nur, daß man einen Krieg begänne, er kann ungerecht sein. Dieser Frieden ist so faul ölig und schmierig wie eine Leimpolitur auf alten Möbeln.227
Für Heym versprach ein Krieg, dessen politische Dimensionen für ihn, wie aus seinen Worten hervorgeht, nicht von großer Bedeutung waren, die Aussicht, dem als eng, bedrückend und dumpf empfundenen Alltagsleben zu entfliehen und eine emotionale Rekonvaleszenz zu erleben. Insbesondere die Hoffnung auf einen
222 Friedrich Maximilian Klinger an Johann Jakob Wilhelm Heinse. Dezember 1777. In: Rieger: Klinger, S. 416. 223 Zu seiner poetischen Rezeption siehe auch G251. 224 Alexander Hamilton an Edward Stevens. 11. November 1769. In: Hamilton: The Papers, S. 4. 225 Fritz Martini hat darauf aufmerksam gemacht, dass der Expressionismus die geistige Verwandtschaft zu Klingers Jugendwerk durchaus erkannt hat. Siehe Martini: Friedrich Maximilian Klinger, S. 816. 226 Georg Heym: Tagebucheintrag zum 15. 9. 1911. In: Ders.: Tagebücher, Träume, Briefe, S. 165. 227 Georg Heym: Tagebucheintrag zum 6. 7. 1910. In: Ders.: Tagebücher, Träume, Briefe, S. 139.
5 Patriot oder Royalist? Die Unbestimmtheit der politischen Zugehörigkeiten
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durch den militärischen Konflikt freigesetzten Vitalismus,228 wie sie in den Tagebucheinträgen Heyms immer wieder zu spüren ist,229 kann für Wild/Carly Bushy in Sturm und Drang und auch für dessen Autor geltend gemacht werden. Klinger erkannte aber darüber hinaus, wie Hamilton und wie auch Herz in Lenz’ Waldbruder230, seinen Eintritt in das Militär als Gelegenheit, gesellschaftlich aufzusteigen. In Sturm und Drang verkörpert Wilds/Carl Bushys Teilnahme am Unabhängigkeitskrieg seinen Wunsch nach einer Lösung oder zumindest Linderung der psychischen Symptome seines seelischen Dilemmas. Ihm erscheint auch der Tod in der Neuen Welt akzeptabel oder sogar wünschenswert,231 um sich aus seiner emotionalen Unruhe zu befreien. Bereits in der ersten Szene gewährt er einen Einblick in seine
228 Die Frage nach der Bedeutung des Kriegs für expressionistische Autoren, ist in der Forschung sehr intensiv, aber auch kontrovers behandelt worden. Hermann Korte warnte davor, die Expressionisten nur als Kriegsenthusiasten oder als Warnende zu sehen und vertrat die Ansicht, dass sie „[w]eder Kriegssehnsucht noch visionäre Kriegsprophetie“ (Korte: Krieg, S. 19) kennzeichnete. Er verwies in diesem Zusammenhang auf „[z]wei rezeptionsgeschichtliche Klischees“ (ebd.). Gewiss übte der Krieg auf viele expressionistische Lyriker, wie auch auf Vertreter des Futurismus, eine Faszinationskraft aus. Korte warnte allerdings vor einer Pauschalisierung und machte auf die Kriegskritik z. B. im Werk Albert Ehrensteins (1886–1950) aufmerksam. Siehe ebd., S. 210–217. Siehe hierzu auch Anz: Literatur, S. 132–141; Krause: Literarischer Expressionismus, S. 103–107; Paulsen: Literatur, S. 40; Wandrey: Motiv, S. 190–257, bes. S. 190–196. 229 Heym formulierte in seinen Tagebucheinträgen wiederholt Kritik an der Monotonie des Alltags, die er als einengend empfand. Am 17. Juni 1910 hielt er fest: „Mein Unglück ruht vielmehr zur Zeit in der ganzen Ereignißlosigkeit des Lebens.“ Georg Heym: Tagebucheintrag zum 17. 6. 1910. In: Ders.: Tagebücher, Träume, Briefe, S. 135. Und im Eintrag zum 6. Juli desselben Jahres heißt es u. a.: „Ach, es ist furchtbar. […] Es ist immer das gleiche, so langweilig, langweilig, langweilig. Es geschieht nichts, nichts, nichts. Wenn doch einmal etwas geschehen wollte, was nicht diesen faden Geschmack von Alltäglichkeit hinterläßt. Wenn ich mich frage, warum ich bis jetzt gelebt habe. Ich wüßte keine Antwort.“ Georg Heym: Tagebucheintrag zum 6. 7. 1910. In: Ders.: Tagebücher, Träume, Briefe, S. 138. Auch 1911 wiederholte er: „Mein Gott – ich ersticke noch mit meinem brachliegenden Entousiasmus [sic] in dieser banalen Zeit. Denn ich bedarf gewaltiger äußerer Emotionen, um glücklich zu sein.“ Georg Heym: Tagebucheintrag zum 15. 9. 1911. In: Ders.: Tagebücher, Träume, Briefe, S. 165. Für Heym führte diese Situation zu dem Wunsch nach einem intensiven eruptiven Ereignis, das er und viele seiner Zeitgenossen in einer militärischen Auseinandersetzung zu erkennen meinten, die diese psychologische Starre der Gleichförmigkeit und Langeweile durchbrechen sollte. So fragte Heym: „Warum macht man keine Revolution? Der Hunger nach einer Tat ist der Inhalt der Phase, die ich jetzt durchwandere.“ Georg Heym: Tagebucheintrag zum 17. 6. 1910. In: Ders.: Tagebücher, Träume, Briefe, S. 135. Einige Monate später gab er seinem Bedauern, in einer falschen Zeit geboren zu sein, mit folgenden Worten Ausdruck: „Mein Gott, wäre ich in der französischen Revolution geboren, ich hätte wenigstens gewußt, wo ich mit Anstand hätte mein Leben lassen können […].“ Georg Heym: Tagebucheintrag zum 15. 9. 1911. In: Ders.: Tagebücher, Träume, Briefe, S. 165. 230 Siehe Kapitel VII.2. 231 Siehe hierzu auch Poeplau: Selbstbehauptung, S. 130.
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IV Die apolitische Rezeption der Amerikanischen Revolution
Motive, indem er verkündet: „Ich will die Kampagne hier mit machen, als Volontair, da kann sich meine Seele ausrecken, und thun sie mir den Dienst, und schießen mich nieder; gut dann!“232 Gegenüber Caroline bekennt Wild/Carl Bushy ebenfalls, dass er in Amerika „den Tod suchte“233 und erklärt: „Ich reise hierher um mich in der nächsten Bataille todtschießen zu lassen – und – und – will mich totdschießen lassen.“234 Etwas später heißt es außerdem: „Ich habe mich abgearbeitet, ich wollte mich zu Grunde richten.“235 Die Hoffnungen und Erwartungen Wilds/Carl Bushys, die auf Amerika bzw. den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg appliziert werden, erweisen sich allerdings als Projektionen und erst die wiedergefundene Gemeinschaft mit seiner Geliebten (Caroline) und seinem Vater (Lord Bushy) führen zur Lösung seines tatsächlich inneren Konfliktes.236 Die oben beschriebene Problematik, die Dramenfiguren den zeitgenössischen politischen Ideen und Lagern im Unabhängigkeitskrieg zuzuordnen, spiegelt sich in der mutmaßlichen politischen Indifferenz Klingers während seiner Zeit, in der er sich auf beiden Seiten um eine Offiziersstelle im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg bemühte (s. o.), wider. Die Forschung hat davor gewarnt, sein Interesse an den Auseinandersetzungen politisch zu interpretieren und stattdessen darauf hingewiesen, dass Klinger bereit
232 Klinger: Sturm und Drang. 1. Akt. 1. Szene, S. 9 [10]. 233 Ebd. 2. Akt. 4. Szene, S. 28 [40]. 234 Ebd. 2. Akt. 4. Szene, S. 26 [36]. 235 Ebd. 2. Akt. 4. Szene, S. 27 [39]. Zum wiederkehrenden Motiv der Sehnsucht, im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg umzukommen, siehe auch Kapitel II.11 sowie VII.3. 236 Auf den „innern Krieg“ (ebd., S. 28 [40]), der in ihm stattgefunden hat, verweist Wild/Carl Bushy selbst im Gespräch mit Caroline. Dort bezeichnet er seinen Körper als „Maschine“ (ebd.), was auch als Anspielung auf die Gedankengänge des von vielen deutschsprachigen Aufklärern verfemten, philosophisch am deterministischen bzw. mechanistischen Materialismus orientierten französischen Arztes Julien Offray de La Mettrie (1709–1751) gelesen werden kann, dessen 1747 anonym veröffentlichte Schrift L’Homme Machine (Der Mensch eine Maschine) eine vergleichsweise breite Rezeption erfuhr, bei zahlreichen Kritikern aber auch auf großen Widerstand stieß. Wild/Carl Bushy zufolge habe „nur die Liebe […] diese Maschine zusammen gehalten“. Klinger: Sturm und Drang. 2. Akt 4. Szene, S. 28 [40]. Zu La Mettrie und seinem Einfluss auf das Denken des 18. Jahrhunderts siehe auch Jauch: Maschine, passim; Laska: La Mettrie, S. 98–103; Wellman: La Mettrie, bes. S. 272–285. Eine prominente literarische Umsetzung der Vorstellung des Menschen als Maschine findet sich in Schillers Sturm und Drang-Drama Die Räuber. Dort reflektiert Franz Moor in einem Monolog: „Philosophen und Mediziner lehren mich, wie treffend die Stimmungen des Geists mit den Bewegungen der Maschine zusammen lauten.“ Schiller: Die Räuber. 2. Akt. 1. Szene, S. 53 [erste Fassung 1781]. Dabei ist zu bedenken, dass Franz im Trauerspiel als moralisch höchst korrumpierte Figur auftritt und von Pastor Moser z. B. mit Nero (37–68; reg. 54–68) und dem spanischen Konquistador Francisco Pizarro verglichen wird. Während eines Gespräches mit Franz äußert er die Meinung: „Euch fehlt zu einem Nero nur das römische Reich, und nur Peru zu einem Pizarro.“ Ebd. 5. Akt. 1. Szene, S. 147 [erste Fassung 1781].
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war, an diesem Krieg „gleich auf welcher Seite“237 teilzunehmen. Bruce Duncan konstatierte in diesem Zusammenhang: „Klinger apparently considered the sides in the War of Independence to be interchangeable.“238 Klinger interessierte allein die Möglichkeit, sich als Soldat zu betätigen, die näheren Modalitäten wie die politische Affiliation und der genauere Einsatzort bzw. im Falle Amerikas die Frage nach den tieferliegenden soziopolitischen Ursachen für den Konflikt der Kolonien mit dem Mutterland, schienen für ihn, zumindest in seiner Sturm und Drang-Zeit, wohl von sekundärer Bedeutung gewesen zu sein, wie auch aus seiner Briefkorrespondenz hervorgeht. Im Januar 1780 bat er Schleiermacher: „Wenn es möglich wäre, daß du den Erb Prinzen an mich erinnertest, vielleicht könnte mir dieser in Diensten nach Amerika, oder wo es sey helfen.“239 Einen Monat später wandte er sich selbst an den Erbprinzen von Darmstadt mit der Bitte um eine Empfehlung für den Soldatendienst und machte deutlich: „Jeder Welttheil, jedes Reich ist mir gleich, sobald ich dienen, und den für mich ganz glücklichen Weg wieder betretten kann, wozu mir Ihre Vorsprache allein helfen kann.“240 Entscheidend für Klingers Schauspiel sind dementsprechend nicht die soziopolitischen Umstände des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges und die Beweggründe der beteiligten Parteien, sondern dass er überhaupt geführt wird. Der Krieg erfüllt im Drama eine poetische Funktion und spiegelt auf einer äußeren Ebene die innere, emotionale Situation der beiden verfeindeten Familien Bushy und Berkley wider, deren männliche Vertreter als Antagonisten auftreten und deren Argumente im Grunde austauschbar sind. Vor allem entspricht den militärischen Auseinandersetzungen, auf die Sturm und Drang referiert und die im Hintergrund der Haupthandlung ausgetragen werden, die im Text nur unzureichend begründete persönliche Feindschaft von Schiffskapitän Boyet/Harry Berkley und Wild/Carl Bushy.
237 Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 96. Siehe hierzu auch Jelenski: Kritik, S. 25 f.; Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 88. 238 Duncan: Lovers, S. 189 [Anm. 25]. Siehe auch Harris: Friedrich Maximilian Klinger, S. 125; Pascal: German Sturm und Drang, S. 50. 239 Friedrich Maximilian Klinger an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. 10. 1. 1779 [i. e. 1780]. In: Rieger: Klinger, S. 424. 240 Friedrich Maximilian Klinger an den Erbprinzen Ludwig von Hessen-Darmstadt. Anlage zu dem Brief Klingers an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. 21. 2. 1780. In: Rieger: Klinger, S. 426. Siehe hierzu auch Stellmacher: Klingers „Sturm und Drang“, S. 145.
260
IV Die apolitische Rezeption der Amerikanischen Revolution
6 „[A]ch hier find ich was ich in der weiten Welt suchte.“ Amerika als Ort der Wiederbegegnung und des Endes einer Odyssee Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg und die ihm zugrunde liegenden soziopolitischen Ursachen scheinen in Sturm und Drang für Wild/Carly Bushy von keiner besonderen Bedeutung zu sein. Seine transatlantische Reise und Partizipation an den zeitgenössisch aktuellen Ereignissen in Nordamerika ist nicht politisch motiviert, sondern durch seinen unausgeglichenen psychologischen Zustand, der von persönlichen biografischen Faktoren bestimmt wird. Amerika als fremdartiger Ort am äußersten Rand seines geografischen Koordinatensystems erscheint ihm in der Funktion eines Kriegsschauplatzes interessant, der ihm die Gelegenheit bietet, seinen rastlosen Geist durch „vergessende[s] Lermen“241 zu beschäftigen, sich im Kampfgeschehen zu bewähren242 oder darin auch den Tod zu finden. Die von Wild/Carl Bushy begrüßte Möglichkeit, im Unabhängigkeitskrieg ums Leben zu kommen, scheint allerdings nicht auf einer von Anfang an existenten dezidierten Todessehnsucht zu beruhen. Seine Ankunft in Amerika ist von einer hohen Erwartungshaltung gegenüber der Fremd- und Andersartigkeit der Neuen Welt geprägt und scheint sich für ihn mit der Hoffnung auf Wiederbelebung und Erneuerung zu verbinden. Seinen beiden Begleitern Blasius und La Feu teilt er bereits in der Eingangsszene mit: „Ha laßt michs nur recht fühlen auf Amerikanischen Boden zu stehn, wo alles neu, alles bedeutend ist.“243 Dass sich diese mit dem geografischen Wechsel verbundenen Vorstellungen für Wild/Carl Bushy nicht erfüllen, geht aus einer Aussage zu Beginn des zweiten Aktes hervor, wo er feststellt: „[I]ch glaubte in diesem andern Welttheil zu finden, was dort nicht war. Aber hier ists, wie dort, und dort wie hier. Gott sey Dank! daß die Ein-
241 Klinger: Sturm und Drang. 1. Akt. 1. Szene, S. [5] [(3)]. 242 Dieses Motiv spielt auch in der sog. Fensterszene (III,8) eine Rolle. Angesichts der anstehenden Schlacht stellt Caroline, die um das Wohl Wilds besorgt ist, die Frage: „Warum eilst du in Tod und mußt nicht?“ Ebd. 3. Akt 8. Szene, S. 46 [69]. Dieser antwortet: „Dich zu verdienen. Laß diesen Rock! es ist mir so wohl drinnen worden. Laß! und auch diesen Wunsch befriedigt.“ Ebd. 243 Ebd. 1. Akt. 1. Szene, S. 7 [6]. Die engen Bezüge des Dramas zu der Biografie seines Autors, auf die bereits hingewiesen wurde (s. o.), werden auch durch einen im Sommer 1776 verfassten Brief an Schleiermacher deutlich, wo Klinger eine ähnliche Formulierung wie in seinem Drama verwendete: „Sieh Bruder wie herrlich das nun all wäre und das romantische poetische, wie’s der Krieg überhaupt ist – und so fern, wo alles so neu, so bedeutend – und ich ahnde ich komme wieder.“ Friedrich Maximilian Klinger an Ernst Christian Friedrich Adam Schleiermacher. 19. 8. 1776. In: Rieger: Klinger, S. 398. Es ist auffällig, dass sich vor dem Hintergrund dieser Parallelisierung die Themen Amerika (im Drama) und Krieg (im Brief) entsprechen.
6 Amerika als Ort der Wiederbegegnung und des Endes einer Odyssee
261
bildung die Ferne so herrlich sieht […].“244 Der Wunsch, in Amerika die Lösung für sein Dilemma zu finden, erfüllt sich, zumindest vorläufig, nicht, denn es ist nicht ein revolutionierendes politisches Gegenmodell zu den Verhältnissen in Europa, dass die Lösung für Wilds inneren Konflikt sein könnte, sondern die Restauration eines verloren gegangenen Glückszustandes, der mit der Präsenz seiner Geliebten Caroline und seines Vaters Lord Bushy verbunden ist.245 Für Lady Kath(a)rin(e) und Louise, deren Verhalten hyperbolisch bin ins Exzentrische gesteigert wird und im Text gerade dadurch ironisch gebrochen und karikiert erscheint, ist das Leben bzw. der Aufenthalt in der Neuen Welt sogar negativ besetzt. Louise, die einen großen Wert auf ihre äußere Erscheinung legt und mit dieser kokettiert, ist besorgt, dass ihre Schönheit, die sie sich selbst attestiert, und ihre Fähigkeiten beim Aufbau zwischengeschlechtlicher Beziehungen in Amerika nicht gewürdigt und daher verschwendet werden könnten. Für sie scheidet der fernab der europäischen Zivilisation und aktueller Modeerscheinungen liegende Kontinent Amerika als biografisches Aktionsfeld aus und bildet einen Gegenpol zu der von ihr favorisierten Stadt London als ein Zentrum des visuellen Reizes und der Opulenz. Gegenüber ihrer Tante klagt sie: Wenn wir nur aus diesem abscheulichen Lande wären. Nach London Bäschen! nach London! da ist der Ort des Glanzes und der Herrlichkeit. (sieht in Spiegel) Für was bin ich schön hier? Für was dieses blaue, spielende Auge? Ganz Londen würde davon reden. Was nützen mir meine Talente, meine Lektüre, mein Französisch und Italienisch? Herzen zu fangen, das mein ich, wär unser Wesen. Hier! o ich vergehe. Glaub mir, ich laß mich vom ersten Engelländer entführen, der mir gefällt.246
Louise verkörpert zwar eine Frau, die Bildung genossen hat, so spricht sie von ihrer „Lektüre“247 und verweist auf Französisch- und Italienisch-Kenntnisse,
244 Klinger: Sturm und Drang. 2. Akt. 1. Szene, S. 20 [26]. Die Vorstellung, dass die Novität und Andersartigkeit der Neuen Welt gegenüber der Alten keine tatsächliche ist, stellt einen Topos dar, der in der Fiktionalität auch außerhalb der Literatur umgesetzt wurde. In dem im Jahr 2000 unter der Regie Roland Emmerichs (geb. 1955) erschienenen Film The Patriot, dessen Handlung überwiegend in South Carolina zur Zeit des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges angesiedelt ist, erklärt die Figur Gabriel Edward Martin, der ein Mitglied der Kontinentalarmee ist, einem Afroamerikaner: „They call this the New World. It’s not, it’s the same as the Old.“ Gabriel Edward Martin. In: Emmerich (Reg.): The Patriot, Min. 68. Er ergänzt allerdings auch unmittelbar: „But we’ll have a chance to build a new World.“ Ebd. 245 Auch Bruce Duncan vertrat die Ansicht: „[…] [T]he New World is here just one more setting in which the characters struggle with the demons that they brought with them from the Old.“ Duncan: Lovers, S. 181. 246 Klinger: Sturm und Drang. 1. Akt. 3. Szene, S. 16 [20 f.]. 247 Ebd.
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IV Die apolitische Rezeption der Amerikanischen Revolution
doch speist sich ihre Beschäftigung mit Bildung und Kultur nicht aus einem sich selbst genügenden intrinsischen Interesse an der Materie, sondern aus der Absicht, „Herzen zu fangen“248. Sie verkörpert nicht wie Auguste in Reizenstein249 die in der deutschsprachigen Amerikaliteratur topische starke autarke weibliche Persönlichkeit, die Probleme und Herausforderungen eines zivilisationsfernen Lebens an der Frontier, also der Grenze zur Wildnis, zu meistern versteht und an diesen wächst, sondern erweist sich als Vertreterin einer europaorientierten Galanterie, die außerhalb der ihr bekannten und von ihr favorisierten Lebensbedingungen deplatziert und verloren scheint. Ohne selbst eine Zustandsbesserung ihrer aktuellen Lage erwirken zu können, wäre sie, wie ein in diesem Sinne passiv agierendes Hoffräulein bereit, sich „vom ersten Engelländer“250 entführen und fortbringen zu lassen. Ihr aktiver Part würde sich ihrer Geschlechterkonzeption gemäß darauf beschränken, das „Herz“ des Entführers „zu fangen“251, d. h. sein romantisches Interesse auf sich zu lenken. Auch Lady Kath(a)rin(e), von anhaltendem Schnupfen und Husten geplagt und hierdurch ebenfalls humoristisch ironisiert, äußert abfällige Kritik gegenüber der Neuen Welt. Sie erklärt: „Die Luft in diesem Lande ist mein Tod.“252 Im Gespräch mit La Feu und seinen Kameraden verweist sie außerdem „coquetirend“253 auf „das traurige Leben hier“254. La Feu dagegen bietet die Reise nach Amerika, in ihrer geografischen Unbestimmtheit, eine Projektionsplattform für seine Phantasien. Er tritt in ein romantisches Verhältnis zu Lady Kath(a)rin(e), die er in der Neuen Welt kennengelernt hat und mit der er „das Leben wegphantasieren“255 will und konstruiert sich einen nur poetisch existenten, realitätsfernen geistigen Ort, der seinen Vorstellungen eines natürlichen arkadischen Glückszustandes entspricht. Gegenüber Lady Kath(a)rin(e) offenbart er in der dritten Szene des fünften Aktes, während laut Regieanweisung „[b]eyde auf phantastische Art mit Blumen geschmückt“256 sind: „[M]ein ganzes künftiges Leben, möcht ich so eben, fern von allen Menschen, in einen poetischen, arcadischen Traum verwandeln.“257 Lady Kath(a)rin(e) wird durch La Feu in seine spielerischen Phantasien der von ihm evozierten Schäferidylle eingebun-
248 Ebd. [21]. 249 Siehe Kapitel III.14. 250 Klinger: Sturm und Drang. 1. Akt. 3. Szene, S. 16 [21]. 251 Ebd. 252 Ebd. 1. Akt 4. Szene, S. 18 [23 f.]. 253 Ebd. 2. Akt 1. Szene, S. 21 [29]. 254 Ebd. 255 Ebd. 5. Akt. 3. Szene, S. 61 [94]. 256 Ebd., S. 60 [92]. 257 Ebd., S. 60 f. [92].
6 Amerika als Ort der Wiederbegegnung und des Endes einer Odyssee
263
den und partizipiert aktiv affirmativ an diesen,258 auch wenn sie seinen teilweise sehr subjektiven und assoziativen Ausführungen nicht immer folgen kann.259 Als sie das Gespräch pragmatisch auf eine Ebene mit stärkerem Wirklichkeitsbezug zu bringen versucht, indem sie die Idee einer Heirat anspricht, unterminiert La Feu diese Absicht sofort und entgegnet: „Behüte! ganz geistig, ganz phantastisch. Das ist der Reiz davon.“ Dennoch geht auch sie in der Konstruktion des bukolischen Ideals auf. Louise gegenüber gibt sie im letzten Akt an: „Hör, wir wollen ein Schäferleben führen. La Feu ein Schäfer, und ich eine Schäferin.“260 Blasius, dessen Auftreten vor allem durch seinen Phlegmatismus und den bei ihm zu diagnostizierenden Dauerzustand von Schläfrigkeit und Trägheit definiert ist und der sich dadurch als Komplementärfigur zum schwärmerischen La Feu erweist, möchte als Einsiedler in einer für seine Absichten geeigneten Höhle leben, auf die er in Amerika gestoßen ist, um dadurch an eine in der Vergangenheit liegende Existenz auf den Alpen anzuschließen. Er schlägt damit einen transatlantischen Bogen und verkündet: „Nun wohl, und ich will Eremit werden. Ich hab eine schöne buschichte Höhle ausgespührt, da will ich mich mit meinem noch übrigen Gefühl hinein verschliessen, und das Leben von neuem anfangen, das wir auf den Alpen verlassen haben.“261 Die Neue Welt erscheint darüber hinaus als ein Ort des Abschlusses, der Aussöhnung und der Vollendung wie anhand der Familienzusammenführung der Familien Bushy und Berkley deutlich wird. Dieser Prozess der familiären Gemeinschaftsbildung, der von zahlreichen Anagnorisis-Momenten begleitet wird (s. o.), vollzieht sich in mehreren Phasen, erstreckt sich nahezu über das gesamte Stück und findet erst in der letzten Szene seine Vollendung durch Lord Berkleys angedeutete Bereitschaft zur Überwindung seines unnachgiebigen Grolls gegenüber Lord Bushy. Seine Dialogbereitschaft signalisiert Berkley mit den Worten: „Komm, Bushy, die Allee hinab, ich will versuchen, ob ich mich mit Dir vertragen kann. Ich kann Dir noch über keine meiner Empfindungen Wort geben, haß Dich noch, und – es fällt mir so vieles ein – Komm nur!“262 Damit wird die Neue Welt für diese Figuren zu einem Ort der Erfüllung alter Hoffnungen, Sehnsüchte und Wünsche. Bereits zuvor hat Lord Bushy seine friedfertigen Absichten, die ihn bis nach Nordamerika geführt haben, erläutert. Seinem ehemaligen Widersacher
258 So reagiert Lady Kath(a)rin(e) auf La Feus Ausführungen mit den Worten: „Sie entzücken mich!“ Ebd., S. 61. [93]. 259 Sie selbst teilt La Feu nach dessen längerem Bekenntnis mit: „Ich versteh noch nicht genug.“ Ebd. 260 Ebd. 5. Akt. 5. Szene, S. 63 [96]. 261 Ebd. 262 Ebd. 5. Akt. 12. Szene, S. 73 f. [115].
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IV Die apolitische Rezeption der Amerikanischen Revolution
macht er deutlich: „Mylord! ich hab alle Sünden auf mich genommen, hab eine Pilgrimschaft vollendet hier, voll Kummer und Leiden, laß mich hier die Fahne der Ruhe aufstecken!“263 Den vorläufigen Abschluss einer Reise bildet der Aufenthalt in Amerika auch für den Schiffskapitän, der hier seinem Vater nach seiner transatlantischen und sogar globalen Suche wiederbegegnet. Emphatisch verkündet er: „O mein Vater! hab die Welt umfahren nach Ihnen, alle Inseln durchkrochen.“264 Ein umfangreicher Teil der Dramenhandlung in Sturm und Drang konzentriert sich auf die Beziehung von Wild/Carl Bushy und Caroline Berkley, bei denen es sich um Schlüsselfiguren des Dramas handelt. Auf ihre in Europa fundierte und nun in Amerika wieder aufgenommene Liebesverbindung und die mit ihren biografischen Odysseen verbundenen Gefühlskomplikationen wird immer wieder die emotionale Aufmerksamkeit des Rezipienten gelenkt. Umso bedeutender erscheint es, dass auch für sie ein positiver Schluss gefunden wird und Wild/Carl Bushy seine geografische und emotionale Wanderschaft durch die Zusammenführung mit seiner Geliebten in der Neuen Welt beenden kann. In ihrer Wiedererkennungsszene hält er, indem er negative Erwartung und positives Resultat pointiert antagonisiert, ergriffen fest: „Ich fand dich, fand dich in Amerika, wo ich den Tod suchte, finde Ruhe und Seligkeit in diesen süßen Augen.“265 Und bereits kurz zuvor, zu einem Zeitpunkt, als er über Carolines tatsächliche Identität noch nicht unterrichtet ist, erklärt er emotional überwältigt: „[…] [A]ch hier find ich was ich in der weiten Welt suchte. (ihre Hand faßend.) Sie sind ein Engel Mylady, ein herrlich, gefühlvoll Geschöpf. (zum Himmel sehend.) Hast du mir noch solch einen Augenblick aufbewahrt!“266 In Sturm und Drang sind es daher verloren geglaubte Menschen, die in der Neuen Welt wiedergefunden und aufgelöste Beziehungen, die hier wieder aktualisiert werden. Im Falle Wilds/Carl Bushys ist es die Erlösung aus seinen seelischen Leiden, die er in Amerika findet. Der Grund hierfür liegt allerdings nicht etwa in einem hier von ihm vorgefundenen, von den europäischen Zuständen differierenden politischen System und der Realisation einer neuen, revolutionären Gesellschaftsordnung, wie sie sich in Europa nicht hat bilden können, sondern in der Erfüllung privater emotionaler Wünsche und latent bewahrter Hoffnungen. Dies wird ebenso an der sofortigen Bereitschaft Wild/Carl Bushys deutlich, mit Caroline Amerika zu verlassen, als die zwischen den Familien noch existente Familienfehde ihre Beziehung zu gefährden droht. Während er sie umarmt schlägt vor: „[J]a Jenny du fliehst weg mit mir, verläs-
263 Ebd., S. 71 [110]. 264 Ebd. 4. Akt. 2. Szene, S. 49 [73]. 265 Ebd. 2. Akt. 4. Szene, S. 28 [40]. 266 Ebd., S. 26 [36].
6 Amerika als Ort der Wiederbegegnung und des Endes einer Odyssee
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sest dieses Land mit mir!“267 Für Wild/Carl Bushy, aber ebenso für die anderen Dramenfiguren gilt, dass es allgemein immer wieder psychologische und nicht sozialpolitische Argumente sind, die ihre Entscheidungen und Handlungsweisen motivieren. Amerika ist für die Dramenfiguren ein Ort der Erfüllung, bzw. genauer gesagt, die geografische Kulisse für eine im psychologischen Raum vollzogene Redemption und fungiert als Plattform für die zahlreichen Anagnorisis-Momente, die vor dem Hintergrund der großen zurückgelegten geografischen und emotionalen Distanzen umso intensiver erscheinen. Personen, deren Lebenswege sich in Europa trennten, finden sich in einer vom Ausgangsort weit entfernten und abgelegenen Welt wieder. Was innerhalb der familiären Konstellation in Europa nicht möglich schien, kann im unerwarteten Zusammentreffen in Amerika, das einen Anknüpfungspunkt und Neuanfang ermöglicht, geografisch und nicht zuletzt auch temporal von den negativ konnotierten Orten und Ereignissen der Vergangenheit distanziert, realisiert werden. Dabei bleibt die Beschreibung Amerikas in Sturm und Drang weitgehend unbestimmt und vage, wie auch in den anderen Jugendwerken Klingers. In Klingers Die neue Arria (1776)268 ist Amerika Bestandteil einer Aufzählung geografischer Destinationspunkte durch Graf Drullo, um seine zahlreichen Reisen bzw. seinen umfangreichen Erfahrungsschatz zu verdeutlichen. Er erklärt: „Ich war in Spanien, Portugal und Amerika, trieb Sachen durch, die keiner begreifen konnte, wie sie möglich zu machen wären.“269 Im späteren Verlauf der Handlung wird die Neue Welt ohne nähere Ausführungen als Fluchtort präsentiert. Der Graf berichtet Prinz Galbino lediglich: „Ich hab Nachricht von einem Schiff das bald nach Amerika auslauft. Anders kann ich Ihnen nicht helfen.“270
267 Ebd., S. 28 [39]. 268 Friedrich Maximilian Klinger: Die neue Arria. Ein Schauspiel. Berlin 1776. Hier zitiert nach der Ausgabe Friedrich Maximilian Klinger: Die neue Arria. Ein Schauspiel. In: Sturm und Drang. Dichtungen und theoretische Texte. Bd. 2. Hg. von Heinz Nicolai. München 1971, S. 993–1063. 269 Ebd. 2. Akt. 5. Szene, S. 1028. 270 Ebd. 5. Akt. 1. Szene, S. 1057. Weitere, allerdings nur marginale Hinweise auf Amerika in diesem Stück finden sich in IV,2 und V,2. Siehe hierzu auch Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 88. Innerhalb Klingers Dramenproduktion wird Amerika bzw. indirekt der Unabhängigkeitskrieg noch in seinem Lustspiel Die falschen Spieler (1780) erwähnt. Dort konstatiert Baron Dorvall im Gespräch mit Graf Balluzzo en passant: „In Amerika giebt’s nichts Neues.“ Klinger: Die falschen Spieler. 2. Aufzug. 2. Auftritt, S. 115.
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IV Die apolitische Rezeption der Amerikanischen Revolution
7 Ein sanftherziger „Edler Wilde“ als stiller Held der Handlung? Der „junge Mohr“ als Schlüsselfigur für den positiven Ausgang Zu den Dramatis Personae von Sturm und Drang gehört eine als „junger Mohr“ bezeichnete Figur, die indirekt auf eine sozialpolitisch benachteiligte Minderheitengruppe in Nordamerika verweist. Wie bereits in Kapitel III. 15 erwähnt, bestand 1776, im Jahr der Unabhängigkeitserklärung und der Niederschrift des Theaterstückes, ein großer Teil der Bevölkerung der Dreizehn Staaten aus Afroamerikanern, die überwiegend als Arbeitssklaven im Süden lebten. Der „junge Mohr“, der an den Eingeborenen Freitag in Daniel Defoes (1660–1731) Roman Robinson Crusoe (1719) erinnert, tritt gegenüber dem Schiffskapitän als Diener, etwa in der Funktion eines Kabinenjungens auf, er scheint ihn allerdings auf freiwilliger Basis zu begleiten, vielleicht auch aus einem Gefühl der Verpflichtung, da der Kapitän seinen Vater befreit hat. „[S]ich um ihn schlingend“271 erinnert er sich teilnahmsvoll: „Hast meinem Vater das Leben und Freyheit gegeben […].“272 Das diskrepante Verhältnis des raubeinigen Kapitäns zum feinfühligen „jungen Mohren“ hat ambivalente Züge, die auch innerhalb der Fachliteratur als rätselhaft beschrieben wurden.273 Obwohl der Kapitän seinen Begleiter „kneipt“274, „tritt“275 und als „Affe“276 bezeichnet, versichert er ihm auch wiederholt seine emotionale Sympathie, indem er ihn z. B. „süßer Knabe“277 nennt und versichert: „Hab dich lieb.“278 So scheint der Kabinenjunge, der seinen Herren duzt, trotz der körperlichen und verbalen Aversionen, die er durch ihn erleidet und die er zwar kritisch kommentiert, aber nie erwidert, an der Seite des Kapitäns bleiben zu wollen. Er erklärt: „Ich wollte gerne bey dir seyn.“279 Tatsächlich scheint der „junge Mohr“ in vielerlei Hinsicht als Gegenentwurf zur rauen Persönlichkeit des Schiffskapitäns angelegt zu sein. Er wirkt emotional
271 Klinger: Sturm und Drang. 3. Akt. 3. Szene, S. 37 [54]. 272 Ebd. 273 Siehe z. B. Duncan: Lovers, S. 185. 274 Klinger: Sturm und Drang. 3. Akt. 3. Szene, S. 37 [54]. 275 Ebd. 4. Akt. 5. Szene, S. 55 [83]. Bereits zuvor hat der „junge Mohr“ den Kapitän auf dessen aggressives und raues Verhalten mit den Worten aufmerksam zu machen versucht: „Du hast mir aber weh gethan! Bey den Göttern! Du bist manchmal so toll wie der Tyger, du Seekrebs! – Sieh, auf meinem Rücken liegen Beulen wie meine Faust, harter Lord!“ Ebd. 3. Akt. 5. Szene, S. 37 [54]. 276 Ebd. 3. Akt. 3. Szene, S. 37 [54]. 277 Ebd. 278 Ebd. [55]. 279 Ebd., S. 38 [55].
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sensibel,280 gutherzig sowie teilnehmend und weist eine weit ausgeprägte Fähigkeit zur Empathie auf, die sich nicht zuletzt in seiner Bereitschaft zeigt, den ursprünglichen Befehl des Kapitäns zu missachten, Lord Bushy und seinen Begleiter auf hoher See in einem Boot auszusetzen und sie ihrem Schicksal zu überlassen. Wild/ Carl Bushy und Caroline gegenüber offenbart er: „Ach! der Schiffslieutenant, ein guter Mann, nahm sich ihrer an. Ich bettelte so lange zu seinen Füssen, bis er einwilligte. Wir belogen den Kapitain, als wären sie in die Barke gesetzt, und die Barke schwamm doch leer weg.“281 Und er ergänzt: „Wir versteckten die Alten in einen kleinen, kleinen Winkel, und ich stahl ihnen Zwiback und Wasser satt.“282 Die vor dem Liebespaar formulierte Bitte des „jungen Mohren“, die neu enthüllte Information dem Schiffskapitän nicht mitzuteilen, begründet sich in seiner Angst vor schwerwiegenden Konsequenzen, die sich seinen Angaben zufolge auch in einer körperlichen Strafe zeigen könnte. So fleht er: „Aber nur verrath dem Kapitain nichts, und du auch nicht, Miß! er würde mich fortjagen, oder todt peitschen.“ Auch wenn sich diese Befürchtung nicht bewahrheitet, verdeutlicht seine Aussage einmal mehr die große Diskrepanz zwischen den beiden Persönlichkeiten. Mehrfach wird auf die Grobschlächtigkeit des Kapitäns hingewiesen. Auf eine Gewaltandrohung seines Kontrahenten entgegnet Wild/Carl Bushy: „Du weißst [sic] Kapitain, daß Du grob und beleidigend bist […].“283 Blasius bringt ihn mit dem Teufel in Verbindung und macht deutlich: „Der Hund! Wie führt den der Satan her? Es ist der Schiffskapitän oder der Teufel.“284 Der „junge Mohr“ versucht Boyet/Harry Berkley auf die negativen Folgen seines Verhaltens hinzuweisen. Im Gespräch mit ihm formuliert er den durch einen Anakoluth unterbrochenen rhetorischen Nebensatz: „Wenn die Mütter und Väter alle kämen, die du kinderlos gemacht hast. –“285 Der Schiffskapitän, der in seiner emotionalen Unausgeglichenheit als Komplementärfigur und mehr noch, in dieser Hinsicht sogar als Potenz von Wild/Carl Bushy erscheint, fällt, offensichtlich allein von seinen Affekten und aufbrausenden Gefühlen geleitet286 – und hierin der Konzeption einer typischen
280 Der Schiffskapitän kommentiert diese Seite seines Dieners mit den Worten: „Sanfter Junge! Du taugst für die See nicht.“ Ebd. [56]. 281 Ebd., S. 68 [105]. 282 Ebd. 283 Ebd. 3. Akt. 4. Szene, S. 40 [59]. 284 Ebd. 3. Akt. 3. Szene, S. 39 [58]. 285 Ebd., S. 38 [56]. 286 Eine Folge dieses Verhaltens ist der bis zum Schluss nicht aufgeklärte, bis zum Hass reichende, aus Europa in die Neue Welt getragene Groll, den der Kapitän gegenüber Wild/Carl Bushy entwickelt hat. Während seiner ersten Begegnung mit ihm in Amerika, bekennt er, ohne die wahre Identität seines Gegenübers zu kennen: „Ich hab vom ersten Blick einen solchen Haß
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IV Die apolitische Rezeption der Amerikanischen Revolution
Sturm und Drang-Figur entsprechend – mit richterlicher Gewalt unbarmherzige Entscheidungen, während der „junge Mohr“ diese moralischen Verirrungen im Rahmen der Möglichkeiten seines sozialen Status’ in der Schiffshierarchie still und im Verborgenen zu korrigieren sucht.287 Die Persönlichkeit des Kabinenjungen ist gemessen an seiner ethisch-moralischen Integrität sehr positiv konnotiert, seine Handlungen erweisen sich als von altruistischen Motiven geprägt. Der „junge Mohr“ weist Charakterzüge auf, die dem devoten und in der Regel afrikanischen Diener entsprechen, der seine untergeordnete Stellung im sozialen System bereitwillig akzeptiert, die von Europäern bzw. europastämmigen Führungsfiguren dominierte Sozialhierarchie nicht hinterfragt und stets um das Wohl und Glück seiner emotionalen und sozialen Bezugspersonen besorgt ist. Als Vertreter einer exoeuropäischen Ethnie vertritt er im Spektrum der Rezeption zeitgenössischer fremder Kulturen, das vom Ideal des sog. Edlen Wilden288 auf der einen Seite bis zur Vorstellung des unbarmherzigen, von Anthropophagie geprägten „wilden Biests“ auf der anderen Seite reichte, den positiv besetzten, ursprünglichen, von der Zivilisation nicht korrumpierten Naturmenschen. Die Forschungsliteratur hat dies bei mehreren Gelegenheiten zur Kenntnis genommen und darauf aufmerksam gemacht. Ulrich Karthaus vertrat die Ansicht, dass er „ein lebendiges RousseauZitat“289 und „von Natur gut“290 sei. Rita Morrien bezeichnete ihn als „kindlichen Repräsentanten des edlen Wilden“291 und auch Werner Kurz stellte fest: „[E]r ist von Natur gut und edel. Keinerlei Einflüsse der Erziehung oder der Kultur haben den Mohrenknaben verdorben. In ihm hat darum die reine Natur sich entfalten können, und diese reine Natur ist sympathetisches Gefühl, Gefühl als Liebe.“292
auf Dich geworfen, daß meine Faust nach Degen und Pistol greift, wenn ich Dich von weitem erblick.“ Ebd., 3. Akt. 4. Szene, S. 40 [59]. 287 Dabei zeigt sich in dem Verhalten des Kapitäns und seines Dieners aber auch durchaus eine Parallele, da beide Figuren als Retter auftreten können. Schiffskapitän Boyet/Harry Berkley befreit den offensichtlich zuvor versklavten Vater des „jungen Mohren“, während dieser dem Vater Wilds/Carl Bushys, also Lord Bushy, und seinem Begleiter hilft. Freilich endet die Entsprechung darin, dass es die als unbarmherzig beschriebene Entscheidung des Kapitäns ist, Bushy auszusetzen, die einen Eingriff des Kabinenjungen notwendig macht. 288 Siehe hierzu den Kommentar zu G343. 289 Karthaus – Manß (Mitarb.): Sturm und Drang, S. 111. 290 Ebd. 291 Morrien: Wunder, S. 94. 292 Kurz: Klingers „Sturm und Drang“, S. 34. Zur Darstellungen des „jungen Mohren“ in Sturm und Drang allgemein siehe auch Karthaus – Manß (Mitarb.): Sturm und Drang, S. 111; Kurz: Klingers „Sturm und Drang“, S. 34–38; Scheuer: Friedrich Maximilian Klinger, S. 83.
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Gerhard Kaiser, der in ihm ein „besseres Ich“293 des Kapitäns erkannte, machte deutlich: „Der kleine Mohr ist als guter Wilder die reine Natur […].“294 Der zeitgenössische Rezipient des Theaterstückes erwartete unter den ursprünglich aus Europa stammenden Dramenfiguren aller Wahrscheinlichkeit nach eine überwiegend christlich sozialisierte Gruppe, deren Wertvorstellungen mit seinen eigenen korrespondierte. Unter den auftretenden Figuren ist es allerdings der religiös indefinit bleibende, möglicherweise einem polytheistischen Glauben zugehörige „junge Mohr“,295 dessen Handlungen den Konzeptionen der christlichen Caritas am stärksten entsprechen. Damit erfüllt er die Voraussetzungen einer für das Publikum sympathisch wirkenden Figur, mit dem es sich auf der ethisch-moralischen Ebene gut identifizieren konnte. Die zeitgenössische Kritik scheint das Auftreten des Kabinenjungen, der für viele Zuschauer sicherlich eine fremdartige, exotische und dadurch auch faszinierende Kultur vertrat, zumindest positiv aufgenommen zu haben. Eine anonym erschienene Rezension im TheaterJournal für Deutschland resümierte: „[…] [D]er Mohrenjunge und der wahnwitzige Lord sind herrliche Karaktere.“296 Dass die Figur des „Mohrenjungen“ insbesondere durch das aufgeklärte Publikum und die Zuschauer, die vor allem an den Rührelementen des Dramas interessiert waren, positiv bewertet wurde, darf vermutet werden. Als Retter Lord Bushys und seines Begleiters wird ihm auch textimmanent von verschiedenen Dramenfiguren eine entsprechende Wertschätzung entgegengebracht.297 Caroline ruft ihn „Guter Junge!“298 und Wild/Carl Bushy, der in ihm den Retter seines Vaters preist, tituliert ihn „Herrlicher“299 bzw. „Göttlicher Junge!“300. Lord Bushy, der seiner Intervention sein Leben zu verdanken hat, drückt seine Dankbarkeit mit den Worten aus: „Und Dank dir schwarzer, guter
293 Kaiser: Klingers Schauspiel, S. 331. 294 Ebd. 295 Auf eine polytheistische religiöse Konzeption deutet eine Exklamation in der zehnten Szene des fünften Aktes hin, wo er ausruft: „[B]ey allen Göttern!“ Klinger: Sturm und Drang. 5. Akt. 10. Szene, S. 68 [104]. 296 [Anonym]: [Rezension Sturm und Drang]. In: Theater-Journal für Deutschland. Gotha [1777], S. 166 f., hier S. 167. Abgedruckt in Fechner: Dokumente, S. 77. 297 Bei der Frage nach der Motivation des „jungen Mohrs“ für sein zwischenmenschliches Engagement ist die Unterstützung und Pflege, die er während einer Krankheit von Lord Bushy erfahren hat, zu berücksichtigen. Dessen Sohn berichtet er: „Ich war krank und acht Tage hielt er mich in seinen Schooß, und drückte meinen heißen Kopf, labte mich bis der Kapitain ihn fand.“ Klinger: Sturm und Drang. 4. Akt. 5. Szene, S. 55 [83]. 298 Ebd. 5. Akt. 2. Szene, S. 59 [90]. 299 Ebd. 5. Akt. 10. Szene, S. 68 [105]. 300 Ebd.
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Junge, daß du mich dieser Stunde aufbehalten hast! Weißt du Karl, was du dem Knaben schuldig bist!“301 Die Forschung hat die ethisch-moralische Funktion und Bedeutung des „jungen Mohren“ für das Drama erkannt. Olga Smoljan fasste treffend zusammen: „Der Mohr Klingers ist der Vertreter eines wahrhaft humanistischen Prinzips.“302 Damit wird die zeitgenössisch verbreitete Konzeption des sog. Black Beast, des unzivilisierten, nur nach der Erfüllung sinnlicher Bedürfnisse agierenden Wilden, konterkariert und die gleichsam verbreitete Vorstellung des charakterlich nicht korrumpierten außereuropäischen Naturmenschen bestätigt. Während die Handlungen des Schiffskapitäns fast ausschließlich von seinem negativen Gefühlshaushalt bestimmt werden, der sich zu einem elementaren Teil aus persönlichen Aversionen konstituiert, verkörpert und personifiziert der „junge Mohr“, dessen Wertekodex sich aus empfindsam-humanistischen Elementen speist, das positiv besetzte Gewissen der interagierenden Figuren des Dramas.303 Mit der von Europäern auf fremde indigene Kulturen übertragenen Vorstellung der Anthropophagie wird sogar unter umgekehrten Vorzeichen ironisch gespielt, wenn Wild/Carl Bushy auf Lord Berkleys Einladung, „zu Tisch [zu] bleiben“304, erwidert: „Canibalisch allenfalls, Mylord! des Kapitains Fleisch gelüstet mich.“305 Das Auftreten bzw. die Darstellung des dunkelhäutigen Kabinenjungen verbindet sich mit der Frage, ob bzw. in welchem Maße das gesellschaftlich insbesondere in den amerikanischen Südstaaten nahezu omnipräsente Phänomen der Sklaverei in dem Schauspiel artikuliert wird. Olga Smoljan hielt in Bezug auf die politische Geisteshaltung Klingers in diesem Punkt fest: „Im westlichen Europa war Klinger einer der wenigen Dichter, die in dem afrikanischen Sklaven einen
301 Ebd. 5. Akt. 11. Szene, S. 69 f. [107]. 302 Smoljan: Friedrich Maximilian Klinger, S. 76. Siehe auch ebd., S. 74 f. 303 Als Hinweis auf sein Gewissen bzw. auf innere emotionale Vorgänge kann in diesem Sinne auch die in IV,5 beschriebene Geste des „jungen Mohren“ gelesen werden, wo er Wild/Carl Bushy in einem vertraulichen Ton Andeutungen auf weiterführende Informationen macht und die Notwendigkeit einer zusätzlichen Kommunikation anspricht. Im Text heißt es: Mohr. (heimlich.) Hab Dir noch mehr zu sagen. Kapitain. Knabe! was machst du? Mohr. (zu seinen Füßen.) Hier! (die Hände auf die Brust legend.) ich muß! Klinger: Sturm und Drang. 4. Akt. 5. Szene, S. 55 [84]. 304 Ebd., S. 56 [85]. 305 Ebd.
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Menschen zu erblicken vermochten.“306 In der Tat findet sich im Text aber nur eine kurze Aussage, die zwar nicht als explizit ausgesprochene Kritik an der Sklaverei, aber doch als deutlicher allgemeiner Vorwurf an der Behandlung Schwarzer durch die Weißen gewertet werden kann. Caroline gegenüber klagt der „junge Mohr“ im fünften Akt: „[A]ch ich habe oft zu weinen! wir Schwarzen lernen weinen gar früh von Euch, aber ihr lacht dann!“307 Die Tochter Lord Berkleys reagiert verständnisvoll und versichert: „Du sollst nicht weinen, Knabe, bey mir.“308 Die Worte Carolines verdeutlichen ihre Empathiefähigkeit, wie sie der öffentlichen weiblichen Konzeption der Zeit entsprach und gewähren dem Zuschauer einen Einblick in ihre von emotionaler Sensibilität geprägte innere psychologische Konstitution. Die Aussage kann allerdings auch als an das Publikum adressierter appellativer Kommentar verstanden werden, da der Kabinenjunge zu diesem Zeitpunkt bereits abgegangen ist und sich Caroline alleine auf der Bühne befindet. Auch Lord Bushy, der sich, wie bereits erwähnt, laut dem Kabinenjungen, in einer Krankheitsphase um ihn gekümmert hat, begegnet ihm offen und wertschätzend. Werner Kurz konstatierte daher für den „jungen Mohren“ zusammenfassend: „Er wird von allen als gleichberechtigt, rein als Mensch behandelt […].“309 Hiervon ausgenommen ist jedoch gerade seine unter den auftretenden Personen engste Bezugsperson, der Schiffskapitän. Dessen letzte Aussage im Drama richtet sich an seinen Diener und lautet: „Komm mit, und mach mir Spaß!“310 Hinter der vermeintlich rauen Formulierung des Satzes, der den Kabinenjungen zum „Spaßmacher“ im Sinne eines Hofnarren oder Harlekins degradiert, könnte aber auch eine andere Intention des Kapitäns liegen. Er kann offensichtlich mit seinen Gefühlen nur schwer umgehen bzw. diese nicht sozialkonform verarbeiten und ist ganz besonders im Moment der Familienversöhnung kaum in der Lage, die damit verbundenen emotionalen Auswirkungen einzuordnen bzw. zu verarbeiten. Von der Situation offensichtlich psychisch-emotional überfordert erklärt er folgerichtig: „Ich muß erst einig mit mir werden, eh’ ichs mit andern werden kann.“311 Der Schiffskapitän, der den Vater des „jungen Mohren“ aus der Sklaverei gerettet hat, behandelt seinen Diener körperlich und verbal grob, so dass dieser in Gesprächen mit Wild/Carl Bushy und Caroline angibt, sich vor Strafsanktionen durch ihn zu fürchten (s. o.). Dennoch scheint die äußerst schroffe Behandlung,
306 Smoljan: Friedrich Maximilian Klinger, S. 77. Siehe hierzu auch Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 97; Osterwalder: Überwindung, S. 50. 307 Klinger: Sturm und Drang. 5. Akt. 3. Szene, S. 60 [91 f.]. 308 Ebd. 309 Kurz: Klingers „Sturm und Drang“, S. 38. 310 Klinger: Sturm und Drang. 5. Akt. 12. Szene, S. 73 [114]. 311 Ebd.
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IV Die apolitische Rezeption der Amerikanischen Revolution
die Kapitän Boyet/Harry Berkley ihm gegenüber erweist, nicht in einer dezidiert rassistischen Ideologie, sondern, wie an seinem Auftreten gegenüber Wild/Carl Bushy besonders deutlich wird, in seiner allgemein raubeinigen, misanthropen Persönlichkeit begründet zu liegen. Der Schiffskapitän tritt vor seinem gesamten Umfeld höchst barsch, missmutig und sogar gewaltbereit auf. Obwohl er Wilds/ Carl Bushys wahre Identität nicht kennt, ist er ihm offensichtlich ohne nachvollziehbaren Grund, nur aus einem persönlichen Gefühl der Aversion, höchst feindlich gesinnt und trachtet ihm sogar nach dem Leben. Selbst seiner Schwester, der er erst vor Kurzem wiederbegegnet ist, verbietet er derb den Mund. Als sie Wilds/ Carl Bushys militärische Standhaftigkeit lobt, entgegnet er nur grobschlächtig: „Ach halts Maul!“312 Die von ihm vor den versöhnten Familien Berkley und Bushy formulierte, an den „jungen Mohren“ gerichtete Schlussaufforderung, ihn zu begleiten zeigt allerdings, dass er seinen Kabinenjungen als ihm zugehörig betrachtet und zum Bestandteil seines engsten Sozialnetzwerks zählt. Der „junge Mohr“ erfüllt die Rolle des exotisch-außereuropäischen, kindlichnaiven und damit aber auch authentisch-integeren „Edlen Wilden“, wie sie in zahlreichen zeitgenössischen Werken vorzufinden ist. In August von Kotzebues313 1800 uraufgeführten und im folgenden Jahr als Erstdruck erschienenen Lustspiel Der Besuch oder die Sucht zu glänzen steht ein aus Surinam stammender junger Schwarzer namens Cottica, dessen Vater von Weißen getötet wurde, ebenfalls in den Diensten eines Seemanns, der ihm nach seiner familiären Tragödie geholfen hat. Das enge Verhältnis dieser beiden Figuren wird in einem Gespräch Cotticas mit Oberforstmeister von Arlstein deutlich. Dieser fragt ihn: „Wer ist dein Herr?“314 Daraufhin antwortet Cottica, der sich in syntaktisch unvollständigen Sätzen ausdrückt: „Mein Vater, mein Bruder, nicht schwarz, weiß, wie du, sehr gut, an mir viel Wohlthäter.“315 Von großer Bedeutung für die Darstellung, Funk-
312 Ebd. 5. Akt. 6. Szene, S. 65 [99]. Siehe diesbezüglich im fünften Akt auch die zweite und achte Szene. Das teilweise sehr derb formulierte, von einem Mann einer Frau gegenüber verordnete Schweigegebot entspricht einem in der zeitgenössischen Literatur sehr häufig artikulierten Topos und findet sich auch innerhalb der deutschsprachigen Amerikaliteratur in einer hohen Quantität. Siehe z. B. [Meyer]: Die Ankunft der Deutschen aus Amerika. 9. Auftritt, S. 38; Stephanie d. J.: Hannibal von Donnerberg. 2. Aufzug. 6. Auftritt, S. 37; ebd. 4. Aufzug. 1. Auftritt, S. 82; ebd., S. 83; ebd. 4. Aufzug. 1. Auftritt, S. 81; ders.: Das Loch in der Thüre. 2. Aufzug. 5. Auftritt, S. 76; ders.: Die Wildschützen. 3. Aufzug. 3. Auftritt, S. 83; 3. Aufzug. 6. Auftritt, S. 87. 313 Zum Leben und literarischen Schaffen Kotzebues, dessen Gesamtproduktion „mit ca. 250– 260 Titeln“ (Birgfeld – Bohnengel – Košenina: Vorwort, S. IX) zu beziffern ist und der einer der erfolgreichsten Autoren seiner Zeit war, siehe Lorenz – Zanucchi: Kotzebue, S. 662–664. 314 Kotzebue: Der Besuch oder die Sucht zu glänzen. 1. Aufzug. 6. Auftritt, S. 13. 315 Ebd. Siehe hierzu auch Riesche: Schöne Mohrinnen, S. 148–151. Eine ethnisch einer außereuropäischen Gemeinschaft zugehörige Figur, die einen Weißen in der Funktion des Dieners be-
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tion und Stellung des dunkelhäutigen, in der Dienerrolle erscheinenden „Mohrenjungen“ in einem im zeitgenössischen Amerika lokalisierten Drama, ist neben der Frage wie er von den anderen, ausschließlich weißen, Personen behandelt wird, auch sein eigenes Auftreten und Verhalten gegenüber diesen. In diesem Zusammenhang kann festgestellt werden, dass Klinger die Persönlichkeit des „jungen Mohren“ ausgesprochen devot angelegt hat,316 da er in extensivem Maße bereit ist, sich unterzuordnen. Dem Kapitän gegenüber erklärt er unter der völligen Zurückstellung der eigenen Wünsche: „Schinde mich! zieh mir die Haut übern Kopf, wilder Lord! bin dein Junge, bin dein Affe, dein Soley, dein Hund.“317 Auch Fremden gegenüber ist er ohne Zögern bereit, persönliche Interessen aufzugeben und seine eigene soziale Position hierarchisch mit derjenigen eines Sklaven gleichzusetzen. Indem er sich Lord Berkley und seiner Tochter geradezu mit einer Proskynese unterwirft, verkündet er: „Alter Mann, ich bin dein Sclav! Gute Miß, bin dein Sclav!“318 Im Gegensatz zum Kapitän, der die Unterordnung des „jungen Mohren“ akzeptiert, wird diese Art der Subordination von den beiden aber sofort nihiliert. Die Selbsterniedrigung des Kabinenjungen wird von ihnen umgehend mit Anerkennung beantwortet,319 die explizit verbal artikuliert und für Theaterzuschauer auch visuell rezipierbar wird. Lord Berkley fordert den „jungen Mohren“ auf: „Steh auf Schwarzer! gieb mir deine Patsche!“ 320 Innerhalb der Literatur-, Kunst- und Kulturgeschichte fällt der Vorstellung des gutherzigen, treuen und um das Wohlergehen seiner weißen sozialen Bezugspersonen besorgten Schwarzen, eine lange Tradition zu.321 Kritiker haben diese Rollenzuweisung allerdings auch mit der literarischen Figur des immer duldsamen und
gleitet, findet sich bei Kotzebue auch in seinem Schauspiel Das Strandrecht. Dort ist es Paul, „ein junger Indianer“ der Herr von Saldern folgt. Siehe hierzu auch Birgfeld: Strandrecht, S. 206 f. 316 Siehe hierzu auch Morrien: Wunder, S. 86. 317 Klinger: Sturm und Drang. 3. Akt. 3. Szene, S. 37 [54]. 318 Ebd., S. 50 [75]. 319 Das von Bescheidenheit geprägte Verhalten des „Mohrenjungen“ entspricht der christlichen Forderung nach Modestia und erweckt Assoziationen zum Jesuswort: „Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht.“ Mt 23,12. Siehe auch Lk 14,11 und 18,14. 320 Klinger: Sturm und Drang. 4. Akt. 3. Szene, S. 50 [75]. 321 Eines der prominentesten Beispiele für diese Figur ist die mütterlich und selbstlos, allerdings auch durchaus sehr resolut agierende Sklavin Mammy in Margaret Mitchells Gone with the Wind (Vom Winde verweht). Die Darstellung der Figur durch Hattie McDaniel (1895–1952), die für ihre Verkörperung 1940 als erste Afroamerikanerin mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, in der Verfilmung von 1939 wurde weithin rezipiert und ist im amerikanischen kollektiven Gedächtnis bis in die Gegenwart präsent. Historisch entspricht die Figur in der Memorialkultur dem afroamerikanischen Sklaven William Lee (1750–1828), den George Washington 1768 gekauft hatte und der
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friedfertigen Uncle Tom in Harriet Beecher Stowes (1811–1896) einflussreichen322 abolitionistischen „Bestseller-Erfolg“323 Uncle Tom’s Cabin (1852) in Verbindung gebracht.324 Sicherlich kann festgehalten werden, dass auch der „junge Mohr“ Eigenschaften einer „Uncle Tom-Figur“ aufweist. Insofern unterscheidet er sich von den klassischen Vorstellungen des „Edlen Wilden“, wie beispielsweise Karl Mays (1842–1912) selbstbewussten Winnetou oder Chingachgook und Hawk-eye in James Fenimore Coopers (1789–1851) The Last of the Mohicans (1826). Dass es sich beim „jungen Mohren“ dennoch um eine charakterlich im ethisch-moralischen Sinne gefestigte literarische Person handelt, zeigt seine konsequent umgesetzte Bereitschaft, mithilfe des Schiffsleutnants, den er für sein Vorhaben gewinnen kann, das Leben Lord Berkleys und seines Begleiters zu retten. Obwohl er um die drohenden Konsequenzen und Sanktionen durch den Kapitän weiß, bringt er die charakterliche Stärke auf, heimlich gegen dessen standgerichtliche inhumane Bestimmung zu opponieren und seinem Entscheidungs- und Gewaltmonopol den eigenen moralischen Wertekodex entgegenzustellen. Insofern konnte die Darstellung des „jungen Mohren“ im 18. Jahrhundert, im Gegensatz zu anderen Dramenfiguren, respektive dem Schiffskapitän, dem an traditionellen christlichen Werten orientierten Rezipienten des Theaterstücks Gelegenheit bieten, Sympathie für diese Figur zu entwickeln und sich vielleicht sogar auf ethisch-moralischer Ebene mit ihr zu identifizieren. Trotzdem sollte die Bedeutung des stark positiv konnotierten „Mohrenjungen“ hinsichtlich der Amerikareferenzen des Stückes nicht überbewertet werden. Das für die zeitgenössische soziopolitische amerikanische Situation so wichtige Thema der Sklaverei selbst wird, wie bereits erwähnt, in Sturm und Drang nur marginal behandelt. So
seinen Besitzer als persönlicher treuer und ergebener Diener auch während des Unabhängigkeitskrieges begleitete (siehe Abb. 44 f.). 322 Hubert Zapf konstatierte in der von ihm herausgegebenen Amerikanischen Literaturgeschichte: „Der erfolgreichste Roman im gesamten 19. Jh. war Harriet Beecher Stowes Uncle Tom’s Cabin (1851).“ Zapf: Romantik, S. 128. Präsident Abraham Lincoln (1809–1865; reg. 1861–1865) soll die Autorin bei einem Besuch im Weißen Haus mit den Worten begrüßt haben: „So you are the little woman who wrote the book that started this great war.“ („Sie sind also die kleine Frau, die das Buch geschrieben hat, das diesen großen Krieg verursacht hat.“) 323 Heideking: Geschichte, S. 128. 324 Beobachter und Kritiker gebrauchen die Bezeichnung „Onkel Tom-Phänomen“ bzw. „Uncle Tom-Syndrom“, um damit Personen zu beschreiben, die sich bezüglich ihrer eigenen ethnischen Identität sehr unsicher fühlen und durch eine forcierte Assimilation bzw. Akkulturation den Anschluss an eine andere, in der Regel die Mehrheitsethnie, suchen. Kritisch gegenüber der Bezeichnung „Uncle Tom“ äußerten sich verschiedene Vertreter der Bürgerrechtsbewegung wie Malcom X (eigentlich: Malcolm Little; nach 1964: El Hajj Malik el-Shabazz; 1925–1965) und in der neueren afroamerikanischen Kulturgeschichte verschiedene Künstler wie beispielsweise Will Smith (geb. 1968).
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darf auch hier, wie im Allgemeinen für das gesamte Drama, festgehalten werden, dass die Option, sich in einem in Amerika verorteten Theaterstück politisch eindeutig zu positionieren, von Klinger nicht wahrgenommen wurde und dass lediglich Andeutungen zu einer weiterführenden politischen Auseinandersetzung anregen. Die primäre Intention des Stückes ist nicht die Darstellung eines bestimmten politischen Standpunktes oder der Versuch, einen kritischen objektiven staatstheoretischen Diskurs in Gang zu setzen, sondern das Bestreben – und das den meisten poetologischen Konzeptionen in der Sturm und Drang-Zeit entsprechend – an die sensualistische Seite des Rezipienten zu appellieren, ihn emotional anzuregen und die Empfindung von intensiven Gefühlen zu generieren.
V „[D]ie Teutschen wurden für Geld nach Amerika verkauft“ und „Das verheißene Paradies […] in den Wildnissen Amerika’s wiedersuchen“. Amerika und die Subsidienverträge in der Erinnerung zur Zeit der Französischen Revolution in Friedrich Maximilian Klingers Geschichte eines Teutschen der neusten Zeit (1798) und Der Weltmann und der Dichter (1798) 1 „Der Verfasser wagte hier, was, so viel ihm bekannt ist, kein Schriftsteller vor ihm gewagt hat“ Klingers Geschichte eines Teutschen und Der Weltmann und der Dichter als Teile eines Meta-Romans Klingers Drama Sturm und Drang, wie allgemein sein literarisches Schaffen in der Sturm und Drang Zeit, spiegeln, wie bereits erwähnt, nur einen Teil seiner gesamten poetischen Produktion wider. Weniger bekannt ist, dass der Autor eine Reihe von Romanen verfasst hat, die zwar „keine großen Publikumserfolge“ 1 wurden, sich aber durch eine besondere Interdependenz2 im Rahmen eines groß angelegten Zyklus auszeichnen.3 Die zu dieser Gruppe gehörenden Romane, die seit 1791 erschienen,4 sind durch verschiedene intertextuelle Referenzen unter-
1 Gilman – Hartmann – Salumets: Einleitung, S. XIII. 2 Siehe hierzu auch Salumets: Außenseiter, S. 424. 3 Hier wird ein deutlicher Unterschied von Klingers späterer literarischer Produktionsweise zu seiner Sturm und Drang-Zeit deutlich. Hans Heinrich Borcherdt wies darauf hin, dass die vorbereitende Konzeptionierung eines Zyklus „in vollem Gegensatz zu der Erlebniskunst des Sturm und Drang“ (Borcherdt: Roman, S. 76) steht. Siehe auch ebd., S. 89. 4 Der zum Zyklus gehörende Roman Das frühe Erwachen des Genius der Menschheit wurde allerdings nur als Fragment veröffentlicht. Siehe hierzu auch Salumets: Außenseiter, S. 424 f.; Segeberg: Klingers Romandichtung, S. 183. Siehe allgemein auch Gilman – Hartmann – Salumets: Einleitung, S. VIIf. https://doi.org/10.1515/9783110644739-005
1 Klingers Geschichte eines Teutschen und Der Weltmann und der Dichter
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einander verbunden und bilden damit ein Metakorpus,5 das Wolfgang Deichsel „ein großes Romanwerk“6 nannte. In einem vorangestellten Paratext zur 1798 erschienenen Geschichte eines Teutschen der neusten Zeit7 wird in einer „Nachricht an das Publikum“8 auf den Präzedenzcharakter des Vorhabens hingewiesen und die Zusammengehörigkeit der einzelnen Titel unterstrichen. Dort heißt es: Der Verfasser wagte hier, was, so viel ihm bekannt ist, kein Schriftsteller vor ihm gewagt hat; über die Ausführung des Wagstückes müssen die Verständigen und die Zeit entscheiden. Er faßte den wenigstens kühnen Entschluß, auf einmal den Plan zu zehn ganz verschiedenen Werken zu entwerfen, und zwar so, daß jedes derselben ein für sich bestehendes Ganze ausmachte, und am Ende doch alle sich zu einem Hauptzwecke vereinigten.9
Die Forschung hat die Bereitschaft Klingers, ein poetisches Werk von diesem Umfang zu konzipieren, gewürdigt. So vertrat Gert Ueding z. B. die Meinung: „Klingers Romanwerk ist, in Anlage und Ausführung, ein ganz singuläres Ereignis in der deutschen Literatur […].“10 Innerhalb der Serie wurde den beiden Titeln, die zahlreiche Amerikabezüge aufweisen, d. h. den Romanen Geschichte eines Teutschen und Der Weltmann und der Dichter, in der Literaturwissenschaft eine besondere Bedeutung zugespro-
5 Die Teile des Zyklus sind Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt in fünf Büchern (1791), Geschichte Giafars des Barmeciden. Ein Seitenstück zu Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt (1792–94), Geschichte Raphaels de Aquillas in fünf Büchern. Ein Seitenstück zu Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt (1793), Reisen vor der Sündfluth (1795), Der Faust der Morgenländer, oder Wanderungen Ben Hafis, Erzählers der Reisen vor der Sündfluth (1797), Sahir, Eva’s Erstgeborener im Paradiese. Ein Beytrag zur Geschichte der Europäischen Kultur und Humanität (1798), Geschichte eines Teutschen der neuesten Zeit (1798), Der Weltmann und der Dichter (1798) sowie der Fragment gebliebene Roman Das frühe Erwachen des Genius der Menschheit (1803). Thomas Salumets zählte allerdings die Betrachtungen nicht zu der Reihe und gab an: „Den zehnten Roman hat Klinger vermutlich nie geschrieben.“ Salumets: Außenseiter, S. 424. Siehe allgemein auch Gilman – Hartmann – Salumets: Einleitung, S. VIIf.; Titzmann: Klingers Romane, S. 248 f. 6 Deichsel: Sturm und Drang, S. 93. 7 Friedrich Maximilian Klinger: Geschichte eines Teutschen der neusten Zeit. Leipzig 1798. Im Folgenden zitiert nach der Ausgabe Friedrich Maximilian Klinger: Geschichte eines Teutschen der neusten Zeit (Friedrich Maximilian Klinger. Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Bd. 16). Hg. von Sander L. Gilman – Karl-Heinz Hartmann – Thomas Salumets. Tübingen 2007. Die hier in den bibliografischen Nachweisen gemachten Angaben in den rechteckigen Klammern verweisen auf die Seitenzahlen im Erstdruck. 8 Klinger: Geschichte eines Teutschen. Nachricht an das Publikum, S. [3] [I]. 9 Ebd. [If.]. 10 Ueding: Göttersohn, S. 75. Siehe auch Salumets: Außenseiter, S. 423; Titzmann: Klingers Romane, S. 247.
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chen.11 Christoph Hering die Geschichte eines Teutschen sogar als den „erste[n] bedeutende[n] Zeitroman der modernen deutschen Literatur.“12 Als besondere Aspekte der beiden Romane wurden die zahlreichen gegenwartsbezogenen Anmerkungen und Exkurse auf zeitgenössische Ereignisse sowie die umfangreichen philosophischen und politischen Kommentare geltend gemacht, die durch eine Vielzahl von intertextuellen Referenzen und historischen Bezügen ergänzt werden (Abb. 46 f.).13 Klinger beschäftigte sich insbesondere in seiner Zeit in Russland mit politischen Themen. Der ehemalige Stürmer und Dränger erkannte nach seinem Umzug ins Russische Reich soziale Missstände über nationale Grenzen hinweg und warb für ein Eingreifen und die Verbesserung der Zustände, allerdings plädierte er für soziale Reformmaßnahmen innerhalb der bestehenden politischen Ordnung. Radikale, systemexterne, mit anarchischer Gewalt verbundene Aktionen, wie etwa während der Terreur in Frankreich,14 stießen auf seine Ablehnung. Diese Haltung zeigt sich gerade an zahlreichen mit politischen Kommentaren versehenen Stellen in der Geschichte eines Teutschen, in denen sich die Autormeinung widerzuspiegeln scheint. Dass Klinger unter konservativen bis reaktionären politischen Bedingungen aus Russland für ein deutschsprachiges Publikum schrieb, wird daran deutlich, dass seine Romane überwiegend anonym und mit fingierten Druckorten (St. Petersburg = Leipzig, Bagdad = Riga, Tiflis = Riga)15 versehen wurden. In der Tat wurde die anonym publizierte Geschichte eines Teutschen von der russischen Zensur erfasst.16 Die exzeptionelle Stellung der beiden Romane mit Amerikabezügen in dem von Klinger konzipierten Zyklus zeigt sich nicht zuletzt auch darin, dass die Geschichte eines Teutschen zwar anonym,17 aber mit der richtigen Druck-
11 Siehe z. B. Waidson: Goethe and Klinger, S. 120. 12 Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 324. 13 Michael Titzmann hob hervor, dass in dem zehnteiligen Romanzyklus nur die Geschichte eines Teutschen, Der Weltmann und der Dichter und Das frühe Erwachen des Genius der Menschheit, der allerdings in Frankreich lokalisiert ist, einen Gegenwartsbezug aufweisen. Siehe Titzmann: Klingers Romane, S. 251. Siehe auch Hill: Klinger’s Novels, S. 135. Demgegenüber erklärte allerdings Ewald Volhard: „[…] [D]ie Geschichte eines Deutschen [sic] ist der einzige von allen Romanen Klingers, der in der Gegenwart spielt.“ Volhard: Klingers philosophische Romane, S. 76. Zur Rezeption von Klingers Geschichte eines Teutschen und Der Weltmann und der Dichter als „Zeitromane“ siehe auch Gilman – Hartmann – Salumets: Einleitung, S. VIII, XIII. 14 Segeberg verwies in diesem Zusammenhang auf die von Klinger „leidenschaftlich gehaßten Jakobiner“ (Segeberg: Klingers Romandichtung, S. 187). 15 Siehe hierzu Titzmann: Klingers Romane, S. 248 f. 16 Vgl. Salumets: Außenseiter, S. 428 f. 17 Siehe hierzu auch Gilman – Hartmann – Salumets: Einleitung, S. X.
2 Rousseau, Natur und Natürlichkeit in Europa und Amerika
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ortangabe (Leipzig) und Der Weltmann und der Dichter sogar zusätzlich als einzige Publikation der Reihe mit der Nennung des Autornamens erschienen.
2 Auf der Suche nach dem „Paradies der Unschuld, der Ruhe und des Glücks“. Rousseau, Natur und Natürlichkeit in Europa und Amerika Die philosophischen und politischen Ansichten Klingers speisen sich aus verschiedenen Quellen, unter denen den Schriften der antiken Denker und JeanJacques Rousseaus eine besondere Rolle zufällt. Seine Affinität gegenüber der Antike bzw. besser gesagt gegenüber dem in der Neuzeit rezipierten Bild der Antike, zeigt sich in zahlreichen, teilweise sehr ausgedehnten, Verweisen auf mythologische und historische Personen und Ereignisse in nahezu allen seinen literarischen Werken. Während Klinger gerne einen antiken Hintergrund für seine Dramen wählte,18 übte unter den Philosophen der Neuzeit insbesondere Rousseau einen großen Einfluss auf den Autor aus. Die Geschichte eines Teutschen weist eine ganze von Reihe Rousseau-Referenzen und intertextuellen Anspielungen auf. So würdigt ein Erzählerkommentar im zweiten Buch das scharfe und durchdringende gesellschaftliche Verständnis des Philosophen mit den Worten: „[S]o tief wie er, sah Keiner die Gebrechen der Gesellschaft.“19 In einem Brief an seinen ehemaligen Lehrer und großen Rousseau-Anhänger Hadem bringt Ernst seine tiefe Wertschätzung gegenüber dem französischsprachigen Philosophen zum Ausdruck. Nach einem Besuch an dessen Memorialstätte schreibt er: „Hier, an seinem Grabe, schwor ich, seiner Lehre treu zu bleiben […].“20 Ernst ist sogar bereit, mit Renot, der ihm nach Hadems Abreise von seinem Onkel als Nachfolgelehrer zugewiesen wird, zu kooperieren, um die französische Sprache zu erlernen und in der Lage zu sein, Rousseau im Original und möglichst ohne Sinnveränderung zu lesen. Renot gegenüber erklärt er: ‚Mein Oheim hat mir Ihre Stärke in der Französischen Sprache gerühmt. Ich freue mich sehr darüber, und Sie können auf meinen Dank rechnen – Sie können mich sehr glücklich machen, wenn Sie mich den kürzesten, leichtesten Weg zur Kenntniß dieser Sprache führen. Aber ich muß sie in ihrem ganzen Umfange kennen lernen – Sie müssen mir die ganze Stärke ihrer Ausdrücke, alle ihre Eigenheiten und Wendungen, recht deutlich machen. Ich bedarf es, den Werth, die Kraft der Worte so kennen zu lernen, daß ich mich in keinem irre,
18 Siehe hierzu Harris: Friedrich Maximilian Klinger, S. 127. 19 Klinger: Geschichte eines Teutschen. 2. Buch. 2. Kapitel, S. 81 [147]. 20 Ebd., S. 125 [235].
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daß ich ja den Sinn eines jeden recht fasse – keines zu mißdeuten Gefahr laufe. Dieses halte ich für das Allerschlimmste – für das Allerschwerste.‘21
Es ist Rousseaus 1762 erschienener Erziehungsroman Émile ou De l’education (Emile oder über die Erziehung), den Hadem seinem Schüler Ernst noch nach seiner Abreise zukommen lässt und mit dem sich dieser dann auseinandersetzen möchte, in der Hoffnung darin die Geisteshaltung vorzufinden, der seinen Lehrer Hadem elementar geprägt hat. Gegenüber Ferdinand bekennt Ernst hoffnungsvoll: „‚In diesem Buche muß sein Geist leben, und er wird zu mir reden, ich werde ihn wieder hören.‘“22 Der Erzähler selbst kommentiert das Werk mit den Worten: Es war das erste Buch unsers Jahrhunderts, das erste Buch der neuern Zeit. Der Mann, der es schrieb, faßte den erhabenen Gedanken, die durch Üppigkeit, Selbstigkeit, Witz, überfeinerte Ausbildung, durch eine Philosophie voller Sophismen, eine alles zerstörende, sich selbst dadurch endlich auflösende Regierung, erwürgte moralische Kraft in seinen Zeitgenossen wieder aufzuwecken.23
Die herausragende Rolle Rousseaus für den Roman wird schließlich auch daran deutlich, dass die letzten Worte des gesamten Textes ihm gewidmet sind. Hadem, der aus Amerika wieder zurückgekehrt ist, artikuliert seinen Namen emphatisch in der Höhle, die schon zu Beginn des Romans eine besondere Rolle spielte. Der hierauf folgende Schlusssatz lautet: „Rousseau! antwortete Ernst – und aus den labyrinthischen Felsengängen der Höhle hallte es zurück, als antwortete die Ewigkeit.“24 In der Geschichte eines Teutschen wird der Antagonismus zwischen den Vorstellungen Rousseaus und Claude Adrien Helvétius’ (1715–1771), dessen philosophisches Denken vom Sensualismus und Materialismus der Zeit geprägt wurde, aufgegriffen und auf die poetischen Figuren übertragen. Er manifestiert sich in den Lehrern von Ernst, denn während Hadem nach der Umsetzung der Ideen des Genfer Philosophen strebt, spricht sich Renot für Helvétius aus.25 In der Forschung ist allerdings wiederholt die Meinung vertreten worden, dass Klinger die Ansichten und ideologischen Konzeptionen der beiden Denker bzw. ihre philosophischen Publikationen unzureichend bzw. nur modifiziert widergegeben habe.
21 Ebd. 2. Buch. 4. Kapitel, S. 91 [167]. 22 Ebd. 2. Buch. 2. Kapitel, S. 81 [146]. 23 Ebd. [146 f.]. 24 Ebd. 5. Buch. 8. Kapitel, S. 290 [568]. Zum Ende des Romans siehe auch Hill: Klinger’s Novels, S. 143. 25 Siehe hierzu auch ebd., S. 136.
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So konstatierte etwa Segeberg: „Die ‚sensualistisch fundierte Individualpsychologie‘ des Helvétius wird in der negativen Darstellung Klingers […] nur verzerrt wiedergegeben.“26 Die Sympathien des Erzählers liegen eindeutig bei Hadem und damit auch bei Rousseau. Das zwischenzeitlich vorgestellte „System der Sinnlichkeit“27, das auch als „System des Eigennutzes und der Sinnlichkeit“28 bezeichnet und mit Helvétius in Verbindung gebracht wird, ist stark negativ konnotiert und seine potentiellen Auswirkungen werden kritisch antizipiert. Über Ferdinand, der sich auf die von Renot vermittelter Philosophie einlässt, berichtet Hadem in einem Brief an Ernst: „Sein Verstand ist der Sklav seiner Sinne, und sein Herz ist zu leicht für den Sturm der kühnen Leidenschaften, die in seinen Adern toben[.]“29 Mit den Warnungen vor einem sensualistischen Übergewicht ist allerdings keineswegs eine generelle Abkehr vom emotionalen Moment verbunden. Im Gegenteil, es finden sich im Roman eine ganze Reihe von Indikatoren, auch hierin in Konformität mit der Position Rousseaus, die als Aufwertung bzw. Sympathiebekundung gegenüber dem sensualistischen Element verstanden werden können. Zahlreiche aus dem sprachlichen Lexikon der literarischen Empfindsamkeit entlehnte Ausdrücke und Handlungsbeschreibungen kennzeichnen die Sprache des Textes.30 So ist etwa von „leise[n] Thränen“31, „sanftem Entzücken“32, „Zärtlichkeit“33, „feine[r] Sinnlichkeit“34, „feinsten Empfindungen“35, „zartesten Bilder[n]“36, „zartesten Herzen“37, „der zärtlichsten Hingebung“, von einer „Ergießung des Herzens“38, „innigen Zärtlichkeit“39 und „rührendsten
26 Segeberg: Klingers Romandichtung, S. 172. Für die Romane Klingers hielt Michael Titzmann allgemein fest, dass „weder Rousseau noch Kant unkritisch und untransformiert übernommen“ (Titzmann: Klingers Romane, S. 262) werden. 27 Klinger: Geschichte eines Teutschen. 2. Buch. 7. Kapitel, S. 103 [193]. 28 Ebd., S. 104 [196]. 29 Ebd. 3. Buch. 12. Kapitel, S. 178 [345]. 30 Wolf Kaiser wies darauf hin, dass die Geschichte eines Teutschen „dem Muster des empfindsam-didaktischen Prüfungsromans“ (Kaiser: Epochenwende, S. 50) folgt. Er hob allerdings auch hervor: „Indem Klinger ein politisches Geschehen in den Mittelpunkt seines Romans stellt, durchbricht er die Schranke vor der die Empfindsamkeit haltgemacht hat.“ Kaiser: Epochenwende, S. 53. 31 Klinger: Geschichte eines Teutschen. 4. Buch. 2. Kapitel, S. 189 [364]. 32 Ebd. [365]. 33 Ebd., S. 190 [366]. 34 Ebd. 4. Buch. 6. Kapitel, S. 213 [415]. 35 Ebd. 36 Ebd. 37 Ebd. 4. Buch. 2. Kapitel, S. 189 [365]. 38 Ebd. 39 Ebd.
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Beweise[n]“40 die Rede. Außerdem wird von Ernsts „Wärme […], wie sie aus seinen Blicken sprach“41 und schließlich auch „Hadems rührende Geschichte in Amerika“42 gesprochen. Der Artifizialität der höfischen bzw. adeligen Welt, wie sie Ernsts Onkel verkörpert, wird die Forderung Rousseaus nach einer ursprünglichen Natürlichkeit im Sinne der vielzierten und in der Memorialkultur mit seinem Namen in Verbindung gebrachten Formel „Retour à la Nature“ entgegengesetzt. Das Lexem „Natur“ (im Text insgesamt 49 Nennungen) bzw. das dazugehörige Lexem „natürlich“ (insgesamt 25 Nennungen als Adjektiv und als Adverb) artikulieren einen für den Roman zentralen philosophischen Gedanken Rousseaus (Abb. 48). Bereits zu Beginn der Geschichte eines Teutschen findet der Wunsch nach einer nicht korrumpierten Gesellschaftsordnung, deren Realisierung in Europa an der Terreur scheitert und sich hier nur in begrenztem Rahmen, nämlich in der natürlichen und authentischen persönlichen Freundschaftsverbindung zwischen Ernst und Hadem, verwirklichen lässt, seinen Ausdruck in der künstlichen Genese einer nationalorientierten Geschichtsschreibung einer idealisierten, scheinbar unverdorbenen, anachronistisch als „teutsch“/„deutsch“ etikettierten Vergangenheit. Die Sehnsucht nach dem verlorenen natürlichen positiv besetzten Urzustand des Menschen wird in dem bereits erwähnten Brief von Ernst an Hadem, in dem er ihm über seinen Besuch am Grabe von Rousseau berichtet, besonders deutlich. Dort heißt es: „‚Die Natur machte den Menschen gut; in dem Augenblick, da er sie verließ, hörte er auf, es zu seyn.‘“43 Kurz zuvor ist bereits der Gedanke formuliert worden, dass „alles Verzerrte, Verstümmelte, Mißgestaltete und Ungeheure, das in der Gesellschaft ohne Unterbrechen hervorschießt“44 entstanden sei, weil der „Mensch, dieses so vorzüglich geliebte, so glücklich ausgestattete Lieblingskind der Natur, seine Mutter verließ.“45 Ernst gelingt es jedoch zunächst, nicht zuletzt durch die Lektüre von Rousseaus Schrift, dieses verlorene „Paradies der Unschuld, der Ruhe und des Glücks“46 wiederzufinden. Die Natur wird mit einem arkadischen Glückszustand gleichgesetzt, mit sakralen Elementen aufgeladen und auf eine geradezu religiöse Ebene gehoben. Verschiedene aus der pantheistischen Gedankenwelt entlehnte Ausdrücke und
40 Ebd., S. 190 [366]. 41 Ebd. 42 Ebd. 5. Buch. 5. Kapitel, S. 281 [550]. 43 Ebd. 3. Buch. 2. Kapitel, S. 125 [235]. 44 Ebd. 3. Buch. 1. Kapitel, S. 118 [219]. 45 Ebd. [220]. 46 Ebd. 2. Buch. 7. Kapitel, S. 102 [190].
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Begriffe werden als Attribute zur näheren Beschreibung der Natur verwendet und verleihen ihr eine religiöse Aura. Die „blühende und wolthätige Natur“47 wird dementsprechend als „heilige Natur!“48 tituliert, in dem sich „Priester der Natur“49 mit dem „Tempel der Natur“50 beschäftigen und diesen kultivieren. In diesem SInne äußert Ernst in einem Brief an Hadem den Wunsch: „Mitten in dem blühenden Schooße der Natur wollen wir einen Tempel bauen, dessen Grund ich an Ihrer Seite mit zarter Hand anlegte.“51 Im dritten Buch wird Rousseau als „verfolgte[r] Priester[] der Natur und der Wahrheit“52 und als ihr „Lieblingssohn[]“53 bezeichnet.54 Tatsächlich erscheint Hadem damit als literarische Postfiguration von Rousseau. In ihm erfüllt sich die Forderung nach einer Rückkehr zu einem natürlichen Menschen, der sich selbst und seinem Potenzial nicht durch die ethisch-moralischen Verirrungen der zivilisatorischen Entwicklungen
47 Ebd., S. 101 [189]. 48 Ebd. 2. Buch. 2. Kapitel, S. 83 [152]. 49 Ebd., S. 84 [153]. 50 Ebd., S. 82 [150]; 2. Buch. 6. Kapitel, S. 99 [185]; 3. Buch. 12. Kapitel, S. 176 [341]. Ähnlich wird im letzten Buch auf den „Tempel der Natur, der Wahrheit, der Tugend“ (ebd. 5. Buch. 4. Kapitel, S. 276 [541]) verwiesen, die damit eine sakralisierte Trias bilden. 51 Ebd. 3. Buch. 2. Kapitel, S. 126 [237 f.]. 52 Ebd., S. 125 [234]. 53 Ebd. 54 Die Sakralisierung der Natur entspricht einem weit verbreiteten zeitgenössischen Topos. In Ludwig Gotthard Kosegartens (1758–1818) Hymne an die Natur beispielsweise apostrophiert der Sprecher die anthropomorphisierte Natur im ersten Vers mit den Worten: „O Natur, allwirkende Göttin, allsäugende Mutter,“. Kosegarten: Hymne an die Natur. 1. Vers, S. 107. In dem 1792 veröffentlichten Roman Der Naturmensch von August Heinrich Julius Lafontaine berichtet der Erzähler: „Nein, heilige Natur! rief Lord Hillnet, und hob die Augen gen Himmel: nein, heilige Natur, hier in deinem schönsten Tempel soll die täuschende Kunst keinen deiner einfachen reizenden Züge verstellen: und wenn auf der ganzen Erde Niemand dir einen Altar weihet, so weihe ich dir hier, hier in meiner Einöde den einzigen! Hier will ich an deinem Busen wohnen, unbekannt den Ungeheuern, die sich Menschen nennen!“ Lafontaine: Der Naturmensch, S. [9]. Und etwas später heißt es: „Natur! so rief er jeden Morgen sich selbst zu, du sollst allein die Göttin seyn, die ich ehre! So rief er, um sich fest bei dem Entschlusse zu erhalten, jede Kunst aus dem kleinen Gebiete zu entfernen, das er bewohnte.“ Ebd., S. 16. Auch in Karl Ludwig August Heino Freiherr von Münchhausens Gedicht Ländliche Einsamkeit ist vom „großen Tempel der Natur“ (Münchhausen: Ländliche Einsamkeit. 23. Strophe. 6. Vers, S. 64) sowie von „heiligen Altären“ (Münchhausen: Ländliche Einsamkeit. 77. Strophe. 5. Vers, S. 82) die Rede. Münchhausen war als Offizier der hessischen Subsidientruppen während des Unabhängigkeitskrieges nach Neuschottland in Nordamerika gereist, wo er die Bekanntschaft mit Johann Gottfried Seume machte. Siehe hierzu den Kommentar zu G165. Das Gedicht erschien 1797, mit der Angabe „Meinem biedern Seume gewidmet. Am 25[.], des Herbstmonds 1795“ (ebd., S. [55]) versehen, in den von Seume und Münchhausen gemeinsam publizierten Rückerinnerungen.
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entfremdet ist. Im fünften und letzten Buch des Romans wird die Begegnung von Ernst und Hadem beschrieben, nachdem dieser aus Amerika zurückgekehrt ist, wo er u. a. in einer Gemeinschaft von Indianern gelebt hat, die für eine natürliche und unverfälschte Lebensweise stehen.55 Der Erzähler beschreibt die Wahrnehmung von Ernst, als dieser seinen ehemaligen Lehrer erblickt, mit den Worten: „Er sah Hadem die Wiese heraufwandeln, wie den Priester des erhabenen Tempels, den die Natur um ihn her aufgebaut hatte.“56 Die hier zwar nicht explizit ausgesprochene, aber doch evidente Identifikation und Parallelisierung Hadems mit Rousseau durch Ernst fußt auf einer Reihe von Exkursen, Zitaten und Referenzen, deren Kulminationspunkt dieser Moment der Wiederbegegnung und vor allem die dem Genfer Philosophen gewidmeten Schlussworte des Romans (s.o) darstellen. Die im Text an verschiedenen Stellen akzentuierte hohe Würde Hadems wird nicht zuletzt durch das ihm zugeschriebene Attribut „edel“ unterstrichen, das Assoziationen zu Rousseaus Vorstellung des sog. Edlen Wilden57 und natürlich auch zu der vielzitierten, auf Johann Joachim Winckelmann zurückgehenden Formel „edle Einfalt, stille Größe“ erweckt.58 Nach der Abreise Hadems urteilt
55 Die Verbindung der Germanen mit einer natürlichen Lebensweise findet ihr Pendant in der Vorstellung, dass die amerikanischen Ureinwohner durch einen naturkonformen Lebensstil gekennzeichnet seien. Die hierdurch generierte diachrone transatlantische Parallele entspricht damit einer Entwicklung, die sich in verschiedenen Werken der zeitgenössischen deutschsprachigen Amerikaliteratur findet. Bereits Harold Jantz machte deutlich: „Seit ungefähr der Jahrhundertmitte, vielleicht schon früher, hatten deutsche Schriftsteller allgemeine und besondere Vergleiche zwischen amerikanischen Indianern und alten Germanen gezogen […].“ Jantz: Amerika, Sp. 323. 56 Klinger: Geschichte eines Teutschen. 5. Buch. 5. Kapitel, S. 279 f. [548]. 57 Zum Konzept des „Edlen Wilden“ siehe auch den Kommentar zu G343. 58 In seinen 1755 erschienenen Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauer-Kunst schrieb Winckelmann: „Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der Griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Grösse, sowohl in der Stellung als im Ausdruck.“ Winckelmann: Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst, S. 27 [1755: S. 19]. In Bezug auf das Verhältnis von Bildendender Kunst und Literatur zu dieser Formel hielt er fest: „Die edle Einfalt und stille Grösse der Griechischen Statuen ist zugleich das wahre Kennzeichen der Griechischen Schriften aus den besten Zeiten[.]“ Ebd., S. 30 [1755: S. 21]. Zu Winckelmanns Gedanken und der Rezeption der Schrift siehe Forssman: Edle Einfalt, S. 31–103. Siehe hierzu auch Atherton: Edle Einfalt, S. 5–20; Böschenstein: Apoll, S. 327–340; Brandt: Einfalt, S. 41–53; Curtius: Johann Joachim Winckelmann, S. 8–19; Hübener: Schönheitsideal, S. 18–42; Leppmann: Winckelmann, S. 107–124. Zur unmittelbaren literarischen Wahrnehmung von Winckelmanns Formel am Beispiel Wielands siehe Kunze: Mine, S. 65–75. Zur Rezeption Winckelmanns durch Goethe, der ihn mit Kolumbus verglich, siehe Osterkamp: Falten, S. 265–288. Zur Bedeutung des Gedankens von Klassizismus und Republikanismus in Bezug auf Winckelmanns Schriften und zu ihrer Rezeption außerhalb
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Ernsts Vater: „Er war ein edler Mann […].“59 Sein Sohn stimmt zu, korrigiert allerdings die von seinem Vater verwendete Präteritalform mit den Worten: „O, das war er, mein Vater, das ist er noch […]. O, er ist ein edler Mann!“60 Der Ausdruck „edel“ wird in der Geschichte eines Teutschen zum Signum für besonders positiv konnotierte literarische und auch historische Personen. Von Rousseau selbst wird als von „dem Edlen“61 bzw. „diesem Edlen“62 gesprochen und auch Ernst wird mit dem Attribut in Verbindung gebracht. Amalie charakterisiert ihn ihrem Vater, dem Minister, gegenüber mit den Worten: „Er ist der edelste Mann, den ihre Tochter je gesehen hat.“63 Nicht zuletzt gehört auch Benjamin Franklin als Vertreter der Neuen Welt zum Kreis der charakterlich besonders hervorgehobenen Personen, deren ethisch-moralische Integrität unterstrichen wird. Hadem spricht in einem Brief an Ernst vom „edlen Franklin“64 und dieser bezeichnet den amerikanischen Gesandten in Paris in einem Schreiben an seinen ehemaligen Lehrer, welchen er ihm mit Hilfe von Franklin selbst zukommen lassen möchte, ebenfalls als „den edelsten Mann des Landes, in welchen Sie nun leben“65. Die Tätigkeit Hadems als ehemaliger Feldprediger66 und später als Geistlicher in einer „Kolonie Teutscher an den Gränzen der Wilden“67 in Amerika
der deutschsprachigen Territorialstaaten siehe Baeumer: Klassizität, S. 195–219 [bes. S. 199 f.]. So inspirierte Winckelmanns Schrift Geschichte der Kunst des Alterthums (1764) auch die Pläne für das amerikanische Kapitol und weitere amerikanische, an der Antike orientierte Staatsgebäude. Vgl. Baeumer: Klassizität, S. 197. 59 Klinger: Geschichte eines Teutschen. 2. Buch. 5. Kapitel, S. 97 [180]. Siehe auch ebd. 5. Buch. 5. Kapitel, S. 280 [548]. 60 Ebd. 2. Buch. 5. Kapitel, S. 97 [180]. 61 Ebd. 3. Buch. 2. Kapitel, S. 125 [235]. 62 Ebd. Siehe auch ebd. 5. Buch. 6. Kapitel, S. 283 [555]. Die Verbindung von Rousseaus Namen mit der Vokabel „edel“ wird auch in Joseph Franz Ratschkys (1757–1810) lyrischen Grabschrift Rousseau’s des Philosophen (1780) hergestellt. Diese setzt folgendermaßen an: „Hier liegt ein guter edler Mann, / Dem, als er lebte, Neid und Wahn / Verfolgt, geschmäht, des Lands verjaget.“ Ratschky: Grabschrift Rousseau’s des Philosophen. 1.–3. Vers, S. 182. 63 Klinger: Geschichte eines Teutschen. 3. Buch. 11. Kapitel, S. 174 [338]. Siehe auch ebd. 5. Buch. 6. Kapitel, S. 286 f. [561, 563]. 64 Ebd. 3. Buch. 12. Kapitel, S. 179 [347 f.]. 65 Ebd. 3. Buch. 2. Kapitel, S. 120 [224]. 66 Siehe ebd. 1. Buch. 2. Kapitel, S. 16 [14]. 67 Ebd. 3. Buch. 12. Kapitel, S. 178 [346]. Das Motiv des im Zuge der Subsidienverträge nach Nordamerika gereisten Deutschen, der in der Neuen Welt ausgewanderten Landsmännern begegnet, findet sich immer wieder in der zeitgenössischen fiktionalen Literatur. In Joseph Marius (Franz) Babos (zu ihm siehe Kapitel III.8) Lustspiel Das Winterquartier in Amerika beispielsweise trifft Hauptmann von Bernau auf den „deutsche[n] Kolonist[en]“ ([Babo]: Das Winterquartier in Amerika. Personenverzeichnis, S. [2]) Frank, mit dem er sich folgendermaßen austauscht:
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verleihen seinen philosophischen Ansichten eine religiöse Konnotation. Dies verdeutlicht auch sein direktes Bekenntnis zu der Trias der christlichen Tugenden. Auf der vorletzten Seite des Romans offenbart er seinem ehemaligen Schüler: „[…] [M]ich leiteten Glaube, Liebe und Hoffnung.“68 Hadem, der in Amerika dem rousseauistischen Ideal am nächsten kommt, erweist sich für Ernst als letzter Rettungsanker aus seiner emotionalen Verzweiflung und geistigen Orientierungslosigkeit. Nachdem sich der Adel gegen seine liberalen soziopolitischen Pläne gestellt und er seinen verstorbenen Sohn zu Grabe getragen hat, ruft Ernst am Ende des vierten Buches verzweifelt: „‚Zu ihm! zu ihm! Nur Hadem kann mich von dem bösen Dämon erretten, den jene mir nachgesandt haben.‘“69 Die Hoffnung, in der Lehre und im emotionalen Beistand Hadems einen Ausweg aus seinem desolaten Zustand finden zu können, motiviert ihn schließlich, nach Frankreich zu reisen, um ihn dort nach seiner Rückkehr aus Amerika ausfindig zu machen bzw. auf ihn zu warten. Der Erzähler gibt an: „‚Ja, in Frankreich!‘ rief Ernst: ‚dort will ich ihn suchen, und erwarten, wenn er nicht angekommen ist.‘“70 Seine geistige und seelische Odyssee führt ihn in das von den Wirren der Französischen Revolution bestimmte jakobinische Paris, wo er seine angestrengte Suche fortsetzt: Wie der vor Durst verschmachtende Wanderer eine erquickende Quelle sucht, so suchte er Hadem. In allen Wirthshäusern, an allen öffentlichen Orten, bey allen Banquiers, bey jedem, der jemals in Amerika gewesen war, oder dort die entfernteste Verbindung hatte, erkundigte er sich nach ihm.71
v[on] Bernau. […] Sie sind kein Engelländer, so viel ich aus der Sprache schließe. Frank. Nein, Herr. v[on] Bernau. Ein Landsmann vielleicht? Frank. So, in etwas – Ein Pfälzer. v[on] Bernau. Schon lange hier? Frank. Zwanzig Jahre. [Babo]: Das Winterquartier in Amerika. 2. Auftritt, S. 6. In historischen Reiseberichten werden ebenfalls Kontakte von Ausgewanderten und Neuankömmlingen erwähnt. Der hessische Feldprediger Henrich Kümmel (1753–1830) notierte 1776 nach der Ankunft in New York über die weitgehend verlassene Stadt: „Ein einziger Wirth Namens Grimm, ein geborener Pfälzer, war noch im Stande, Jemanden zu bewirthen.“ Heinrich Kümmel. In: Gerland: Tagebuch, S. 76. 68 Klinger: Geschichte eines Teutschen. 5. Buch. 8. Kapitel, S. 289 [567]. Siehe hierzu auch 1 Kor 13,13. 69 Klinger: Geschichte eines Teutschen. 4. Buch. 19. Kapitel, S. 262 [516]. 70 Ebd., S. 263 [517]. 71 Ebd. 5. Buch. 2. Kapitel, S. 269 [526].
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3 Das „schrecklichste[] Gebrause, das je die Kräfte und Leidenschaften der Menschen erregt hat“. Die Rezeption der französischen Terreur in der Geschichte eines Teutschen Bei der Geschichte eines Teutschen der neusten Zeit handelt es sich um einen Text mit zahlreichen politischen Anspielungen, Anmerkungen und Kommentaren. So ist in dem Werk beispielsweise der Einfluss von Anthony Ashley-Cooper, Third Earl of Shaftesbury (1671–1713) und seiner kritischer Haltung gegenüber jeglichem statischen Systemdenken zu spüren, wenn der Kammerpräsident seinem Neffen das zeitgenössische politische System erklärt und dieser sich davon erbittert distanziert. Der Präsident entwirft folgende staatsphilosophische Konzeption: Jeder Staat, er sey groß oder klein, besteht durch ein Ding, an das alles gefesselt ist und gefesselt bleiben muß, das alles durch feste, unabänderliche Ordnung in Abhängigkeit von sich hält. Dieses Ding, Ernst, heißt System; und nach ihm muß sich ein jeder von uns bequemen, er sey und heiße wie er wolle. Es ist unser Aller gewaltiger Herr und Herrscher. Der Fürst selbst muß sich ihm unterwerfen […].72
Diese Zustandsbeschreibung der zeitgenössischen politischen Staatsverfassung, so wie sie sein Onkel versteht, stößt Ernst ab. Im Gespräch mit Ferdinand berichtet er von seiner Unterhaltung mit dem Präsidenten und hält hierbei emotional erregt fest: Er nannte das kalte, ungeheure Ding: System; und mich überläuft ein frostiger Schauder, wenn ich das Wort ihm nachspreche. Ach, ich sehe es wohl, eben dieses furchtbare Wesen hat den guten Kammerrath zermalmet; und herrscht wirklich ein solches Ungeheuer überall, so fürcht‘ ich, Ferdinand, es wird auch mich zermalmen.73
Ernst nimmt hier eine kritische Grundhaltung ein, wie sie Shaftesbury bereits Anfang des 18. Jahrhunderts formuliert hatte. In seiner Schrift Soliloquy, or Advice to an Author vertrat er die These: „The most ingenious way of becoming foolish is by a system.“74 Dem Konzept eines festgefahrenen unnachgiebigen System-
72 Ebd. 1. Buch. 6. Kapitel, S. 45 [75]. 73 Ebd. 1. Buch. 7. Kapitel, S. 50 [85]. 74 Shaftesbury: Soliloquy, or Advice to an Author, S. 130. Warnungen vor einem allzu starren Systemdenken finden sich in der fiktionalen Literatur z. B. auch in August von Kotzebues 1806 erschienenen Lustspiel Die Organe des Gehirns (1. Akt. 2. Szene, S. 9; 1. Akt. 9. Szene, S. 42; 2. Akt. 9. Szene, 83; 3. Akt. 9. Szene, S. 134). Und in Schillers Räubern bezeichnet Pastor Moser die Gedankengänge von Franz als „Spinnweben von Systemen“ (Schiller: Die Räuber. 5. Akt. 1. Szene, S. 146 [erste Fassung 1781]). Zur Rezeption Shaftesburys bei Schiller siehe Carter: Schiller, S. 203–228.
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denkens setzte er eine anpassungsfähige selbstironische Autoreflexion auf der Metaebene entgegen. Prominent geworden ist diese Grundeinstellung durch die pointierte, auch unter zahlreichen zeitgenössischen deutschsprachigen Intellektuellen intensiv rezipierte Formel des sog. Test of/by Ridicule. In A Letter Concerning Enthusiasm to My Lord ***** heißt es: „Now what rule or measure is there in the world, except in the considering of the real temper of things, to find which are truly serious and which ridiculous? And how can this be done unless by applying the ridicule to see whether it will bear?“75 In der Geschichte eines Teutschen ist es insbesondere Frankreich bzw. die Französische Revolution, auf die sich ein großer Teil des politischen philosophischen Diskurses konzentriert.76 Entgegen der in zeitgenössischen Publikationen weitverbreiteten Gallophobie wird in Klingers Roman ein vergleichsweise differenziertes Bild der französischen Kultur entworfen. So konstatiert Ernst bei seinem ersten Aufenthalt in Paris, zwar wie Seybolds Reizenstein,77 mit dem er eine Städtefeindlichkeit teilt, einen sittlich-moralischen Verfall, allerdings verbindet er zu diesem Zeitpunkt auch noch positive Aspekte mit der französischen Hauptstadt: In Paris machte er sehr viele und angenehme Bekanntschaften mit Gelehrten, Bürgern und Staatsleuten; und auch er fand, was so Viele beobachtet hatten, daß, trotz der Verderbniß der Sitten, in keiner Stadt Europas mehr Kenntnisse, Annehmlichkeiten des Umgangs, und gesellschaftliche Tugenden zu finden wären, als eben in dieser verderbten Stadt.78
Ernst übergibt Franklin, der sich „um diese Zeit in Paris“79 aufhält, einen Brief an Hadem, in dem er über seinen Besuch der französischen Hauptstadt und von Versailles berichtet. Er schreibt: „Ich durchreiste verschiedene Provinzen von Frankreich, bevor ich mich nach Paris begab. Da nun, und in Versailles, entdeckte ich freylich sehr geschwind die Quellen des Elends, von dem dieses gutmüthige, muntre, geistreiche und freundliche Volk so vielfach leidet.“80 Die Beschreibung der Franzosen im Text als gutmütig und freundlich zeigt, dass die französische Kultur, im Gegensatz zum Urteil vieler damaliger deutschsprachiger Autoren, für den Erzähler und die Figuren des Romans keineswegs generell negativ besetzt ist und unter einem Pauschalverdacht der sittlichen Verkommenheit steht. Stattdes-
75 Shaftesbury: A Letter Concerning Enthusiasm to My Lord *****, S. 8. 76 Siehe hierzu auch Salumets: Außenseiter, S. 423; Segeberg: Klingers Romandichtung, S. 174. 77 Siehe Kapitel III.6. 78 Klinger: Geschichte eines Teutschen. 3. Buch. 2. Kapitel, S. 119 [222]. 79 Ebd. [223]. Franklin befand sich 1776–1785 als Gesandter der USA in Frankreich. 80 Klinger: Geschichte eines Teutschen. 3. Buch. 2. Kapitel, S. 124 [233].
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sen entsteht der Eindruck, dass das französische Volk, das Ernst als leichtsinnig bezeichnet,81 durch die ethisch-moralische Korruption bzw. spätere Radikalität ihrer Führungspersönlichkeiten und extremen Gruppierungen wie die der im Text explizit nicht namentlich genannten Jakobiner, auf die Bahn der Tugendlosigkeit geführt wird. Eine vollständige Ablehnung allerdings erfährt die Radikalisierung der Französischen Revolution in Form der Terreur, mit der Ernst bei seiner späteren Rückkehr nach Frankreich unmittelbar konfrontiert wird. So ist in diesem Zusammenhang von „Schreckens-Scenen“82 und dem „schrecklichsten Gebrause, das je die Kräfte und Leidenschaften der Menschen erregt hat“83 die Rede. Der Erzähler selbst verweist auf die „Ereignisse, die jetzt so plötzlich unsern Welttheil erschütterten“84 und Ernst erwähnt im Gespräch mit Ferdinand, dass „bald unsern ganzen Welttheil grimmige Mordgeister erfüllten“85 sowie dass „ein Menschenopfer dem andern auf dem Schlachtfelde folgte, und immer eine schreckliche Nachricht von dort her durch eine noch schrecklichere verdrängt ward“86. Die negativen Auswirkungen der Revolution zeigen sich für Ernst insbesondere in der französischen Hauptstadt, die aufgrund ihres urbanen Charakters schon während seines ersten Frankreichaufenthaltes teilweise sein Missfallen erregt hatte. So schrieb er bereits damals an Hadem: „Ich fliehe oft den Tumult dieser großen Stadt […].“87 Bei seiner Rückkehr nach Paris, die zeitlich in die Wirren der Terreur fällt, wird Ernst klar, dass sich die Metropole durch die Radikalisierung der Revolutionsbewegung von ihrem ehemaligen Erscheinungsbild und damit von ihrem früheren Selbstverständnis weit entfernt hat. Der Erzähler gibt an: Ernst erkannte Paris nicht mehr. Die gänzliche Veränderung alles Alten; der herrschende, wilde, leidenschaftliche Ton; die Scenen des Mordens; das Geräusch der Waffen und des Aufstandes; das Siegergeschrey über errungene Vortheile; die Ermordung oder die Flucht aller seiner Bekannten, nach denen er fragte – vermehrten die Dunkelheit seines Geistes, die Angst seines Herzens.88
81 Siehe ebd., S. 121 [227]. 82 Ebd. 4. Buch. 7. Kapitel, S. 219 [426]. 83 Ebd. 5. Buch. 2. Kapitel, S. 269 [525]. 84 Ebd. 4. Buch. 3. Kapitel, S. 191 [369]. 85 Ebd. 4. Buch. 7. Kapitel, S. 218 [424]. 86 Ebd. 87 Ebd. 3. Buch. 2. Kapitel, S. 124 f. [233]. 88 Ebd. 5. Buch. 2. Kapitel, S. 269 [525].
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Die Ablehnung von Extremen und radikalen Elementen, denen die Jakobiner erliegen, wird von Hadem formuliert, der als Verkörperung des emotional reifen und ausgeglichenen selbstreflektierten Gemäßigten erscheint. In einem Brief an Ernst teilt er seinen Widerwillen gegenüber plötzlichen eruptiven Handlungen, wie sie sich in der Radikalisierung der Französischen Revolution zeigen, mit. Er schreibt: Eine zu rasch, zu schonungslos betriebene That, bringt uns leicht um die vielen Früchte, die uns die Zukunft noch aufspart. Wir leben nicht mehr in den Zeiten großer, kühner Thaten, wo ein Tag, eine Stunde, über den ganzen Werth des Lebens entscheiden kann, wo wir in einem Tage den Kranz des Ruhms erwerben.89
Stattdessen plädiert er für ein weniger von Affekten geprägtes Verhalten, das sich an einer konsequent verfolgten Tugendhaftigkeit orientiert, um in den Besitz dieses „Kranzes des Ruhms“90 zu gelangen. Er ergänzt: Wir müssen ihn nun unbemerkt, aus stillen, prunk- und geräuschlosen Thaten bilden, und ihn im Innern unsers Herzens der Tugend weihen, um durch unsern Schmuck das Auge der Menschen nicht zu reitzen. Und lieben Sie nicht die stille Tugend?91
An dem Anspruch der Tugendhaftigkeit scheitert in den Augen von Ernst allerdings auch England. Hadem berichtet er über seine Reise dorthin: „In England forschte ich vergebens nach jenen Tugenden, mit deren Geräusche dieses, nach allen Theilen der Welt handelnde Volk seine verblendeten Bewunderer so lange täuschte. Längst hat die Goldgierde sie verschlungen.“92 Ernst verbindet mit den Engländern eine pekuniär-materialistische Einstellung, die sich als Motivationsgrundlage einer moralisch zweifelhaften globalen Handelspolitik erweist: Ich sehe sie alle Meere durchfahren, alle Küsten der cultivirten und wilden Völker vesuchen, überall handeln, tauschen, Gewaltthätigkeiten und Raub ausüben, und selbst hier in der Hauptstadt, für den Glanz des Goldes, den Schatten ihrer noch übrigen Freyheit verkaufen.93
89 Ebd. 3. Buch. 12. Kapitel, S. 177 [344]. 90 Ebd. 91 Ebd. [344 f.]. 92 Ebd. 3. Buch. 2. Kapitel, S. 123 [231]. 93 Ebd. [231 f.]. Die Wahrnehmung Großbritanniens als herrschende Seemacht ist ein Topos der zeitgenössischen fiktionalen Literatur. Beispielsweise ist in einem im Göttinger Musenalmanach auf das Jahr 1785 publizierten, anlässlich der Heißluftballonexperimente der Brüder Montgolfier (Joseph Michel Montgolfier [1740–1810] und Jacques Étienne Montgolfier [1745–1799]) „nach dem Französischen“ verfassten Gedicht zu lesen: „Der Britte, stolz und schwer, / Beherrscht das Meer; / Der Franzmann, leicht wie Duft, / Die Luft.“ G. C. L.: Auf die Montgolfieren. 1.–4. Vers, S. 112.
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Er führt aus: „Hadem, und doch treibt dieses durch seine Reichthümer aufgeblähete Volk seinen mißverstandenen Stolz so weit, daß es alle Völker der Erde verachtet, ob es gleich bey ihnen seine Tugenden für Gold umsetzt.“94 Ernst verweist auf die Zusammenhänge zwischen finanziellem Reichtum und moralischer Armut und macht auf die unausgeglichene Verteilung des materiellen Wohlstandes und die sich hierdurch ergebenden Folgen aufmerksam. So fragt er: „Und wenn die Engländer nun alles Gold der Erde zusammengehäuft haben, werden sie nicht ärmer durch ihren Reichtum seyn? Wird das Elend bey dem größten Theile des Volkes nicht in eben dem Maße steigen, wie der Reichthum des kleinern?“95 Ernst warnt vor einer Apotheose des Geldes, die zu trügerischen Vorstellungen und Hoffnungen führen kann: Welches bloß kaufmännische Volk der alten und der neuen Welt rief nicht in der Zeit der Noth seinen Götzen vergebens um Hülfe an! O, es ist ein trugvoller Götze, Hadem; und die Zeit wird einst gewiß die gemißhandelten Völker der Erde an seinen feurigen Anbetern rächen!96
Diese nur am finanziellen Profitstreben orientierte moralische Dekadenz zeigt sich für Ernst insbesondere im exzessiv betriebenen transatlantischen Sklavenhandel. In einem weiteren Brief an Hadem formuliert schreibt er: Wie ich jetzt hier herumwandere, denke ich mir den von der Habsucht und dem Geitz an die Europäer verkauften Neger, der nun zum letztenmal an dem Gestade seiner Heimath traurig umher geht, und bebend über das Meer nach dem fernen Lande hinblickt, wo er weiß, daß ihn harte, ewige Sklaverey erwartet.97
Auch später, vor der zusammengetretenen Adelsversammlung,98 der Ernst seine reformerischen Ideen vorstellt, verweist er auf die Sklaven, die Englands Gold an der brennenden Küste von Afrika kauft, in Ketten schlägt, und nach andern Welten schickt, um dort, unter dem Drucke des Elends, den qualvollen
94 Klinger: Geschichte eines Teutschen. 3. Buch. 2. Kapitel, S. 124 [232]. 95 Ebd. 96 Ebd. 97 Ebd. 3. Buch. 5. Kapitel, S. 135 [256]. 98 Die Vertreter des Adels erscheinen im Roman als elitär und reaktionär beschrieben, da sie die progressiven Ideen von Ernst ablehnen. Im Roman heißt es: „[…] [I]hr Spruch war: der Bauer muß immer fühlen, daß er nur Bauer ist.“ Ebd. 4. Buch. 1. Kapitel, S. 185 [356]. Der Erzähler berichtet außerdem: „Ernst wurde bald als ein Feind des Adels und der alten guten Ordnung angesehen.“ Ebd.
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Strafen, das Gold zu erwerben, wofür ihr Herr ihre zurückgelaßnen Brüder kaufen kann, wenn sie selbst entkräftet niedersinken.99
Dem einseitig finanziell orientierten britischen und dem moralisch durch die Radikalisierung der Revolution verdorbenen französischen Staatsmodell wird die artifizielle Konstruktion und Konzeption eines zwar noch von einem dekadenten Adel beherrschten, aber dennoch im Kern und in seiner Bevölkerungsmehrheit sozial und ethisch integeren „Teutschland“ mit „ruhigen, friedlichen, treuen Bürger[n]“100 gegenübergestellt. In dem bereits zitierten Brief an Hadem konstatiert Ernst einen Antagonismus zwischen den durch die soziopolitischen Entwicklungen korrumpierten Zuständen in Frankreich und den seiner Meinung nach noch ursprünglich gebliebenen deutschen Staaten: Ich werde in Kurzem Frankreich verlassen; denn ich sehne mich nach meinem Vaterlande, wo die goldne Mittelstraße noch betreten wird, wo Üppigkeit, und ihre Quelle, der Reichthum, noch nicht alle Tugenden verschlungen haben, wo noch Einfalt, Zutrauen und inniges Verhältniß unter den Bürger herrschen. Möchte es in diesem Zustande verbleiben!101
Ernst bringt erstrebenswerte und positive Charakteristika mit den „Teutschen“ in Verbindung. An Hadem schreibt er: „[…] [W]as sind seine ihm eignen Sitten und Tugenden? Ist nicht Treue, Aufrichtigkeit und Tapferkeit sein unterscheidendes Merkzeichen? Und den Boden, der diese Tugenden nährt, auf welchem sie gedeihen, sollen wir nicht unser Vaterland nennen?“102 Auch in anderen Werken Klingers finden sich eine idealisierte Vorstellung bzw. eine teilweise Verklärung der deutschen Gesellschaft. In seinen Betrachtungen und Gedanken über verschiedene Gegenstände der Welt und der Litteratur (2 Bde., 1803 und 1805) ist von der „seltnen Gutmüthigkeit“103 der „Teutschen“ die Rede. Außerdem vertrat er die Ansicht: „Von keinem Volke läßt sich im Ganzen mehr Gutes sagen, als von den Deutschen, von keinem spricht man weniger und keinem läßt man weniger
99 Ebd. 4. Buch. 10. Kapitel, S. 232 [454 f.]. Der atlantische Sklavenhandel wird von Klinger außerdem im achten Kapitel des dritten Buches seiner 1793 veröffentlichten Geschichte Raphaels de Aquillas in fünf Büchern. Ein Seitenstück zu Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt angesprochen. Siehe Klinger: Geschichte Raphaels de Aquillas. 3. Buch. 8. Kapitel, S. 274 f. Die negativen Einflüsse der europäischen Kultur auf indigene Völker thematisiert Klinger in Sahir, Eva’s Erstgeborener im Paradiese. Ein Beytrag zur Geschichte der Europäischen Kultur und Humanität. Siehe hierzu auch Reimann: Kunstauffassung, S. 229. 100 Klinger: Geschichte eines Teutschen. 4. Buch. 3. Kapitel, S. 192 [370]. 101 Ebd. 3. Buch. 2. Kapitel, S. 126 [236]. 102 Ebd., S. 123 [230]. 103 Klinger: Betrachtungen und Gedanken. Zweiter Theil. Nr. 437, S. 41.
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Gerechtigkeit wiederfahren, wenn man von ihm spricht.“104 Klinger hob die Friedfertigkeit der Deutschen gegenüber allen anderen Völkern hervor und unterstrich ihre Assimilationsbereitschaft und Integrationsfähigkeit mit den Worten: Die Deutschen hassen kein Volk der Erde, selbst über die Franzosen, die sie am meisten geplagt haben, lachen sie nur. Sie vertragen sich mit den Europäern, Asiaten, Afrikanern und Amerikanern, finden überall als Weltbürger ihr Vaterland, geben auch wohl ihre Landessitten und ihre Muttersprache nach und nach hin, um denen zu gefallen, bei denen sie Schutz und Sicherheit gefunden haben.105
Interessant ist, dass Klingers Darstellung der Deutschen als friedliebendes Volk im Widerspruch zu ihrer zeitgenössisch nicht unbekannten Rezeption als martialisch und kriegsaffin steht. Friedrich Karl Heinrich von der Lith, der die deutschen Subsidientruppen nach Nordamerika begleitete, behauptete in seinem Aufsatz Feldzug der Hessen nach Amerika, der 1785 in den von Joseph Friedrich Engelschall herausgegebenen Ephemeriden der Aufklärung, Litteratur und Kunst publiziert wurde: „Die Geschichtsschreiber aller Zeiten und aller Völker vereinigen sich in dem Punkte, daß sie die Deutschen als eine sehr streitbare und den Krieg liebende Nation schildern.“106 Und er ergänzte: „Dieser kriegerische Geist herscht noch bis aus den heutigen Tag bei der Nation; er ist das unterscheidendste Merkmal ihres Karakters […].“107 Dass die Bemerkungen Klingers auch in Bezug auf die deutschen Migranten in Amerika nicht von allen Beobachtern geteilt wurden, zeigen die kritischen Ansichten des vom ihm hoch gelobten und bewunderten Aufklärers, Publizisten und Politikers Benjamin Franklin über die deutschsprachigen Einwanderer in Pennsylvania.108 Klingers insbesondere in seiner Geschichte eines Teutschen ausführlich artikulierten patriotischen Bekenntnisse dehnen den Begriff des Patriotismus und sind von der Forschung sogar als überzogener Nationalismus ausgelegt worden. Segeberg verwies in diesem Zusammenhang auf eine „übersteigerte patriotische, ja nationalistische Grundhaltung des Autors“109.
104 Ebd., S. 40. 105 Ebd., S. 41. 106 [Lith]: Feldzug der Hessen nach Amerika, S. 4. 107 Ebd. 108 Siehe hierzu Kapitel VII.1 sowie den Kommentar zu G272. 109 Segeberg: Klingers Romandichtung, S. 174. Siehe auch ebd., S. 180 sowie Hill: Klinger’s Novels, S. 151.
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4 „Ist der Teutsche dazu geboren? Seinem Fürsten von der Natur als eine Waare gegeben?“ Kritik an den Subsidienverträgen und die Suche nach dem rousseauistischen Naturzustand an der amerikanischen Frontier Klingers Briefroman weist eine Reihe geografischer Referenzen auf, die auf Amerika verweisen (Abb. 49). Eine unmittelbare Bedeutung für eine der Figuren erhält die Neue Welt im Zusammenhang mit den Subsidienverträgen bzw. dem sog. Soldatenhandel.110 Nachdem Hadem, der sich, wie bereits erwähnt, intensiv mit den Ideen Rousseaus identifiziert, als Lehrer von Ernst und Ferdinand durch Renot, der den Überlegungen Helvétius’ nahe steht (s.o), ersetzt wurde, schließt er sich den deutschen Subsidientruppen an. Ernsts Vater berichtet seinem Sohn: Er schrieb mir in einigen Zeilen den Abschied von dir, und meldete mir zugleich, er würde, mit einem Regiment an England verkaufter Teutscher, nach Amerika gehen; und aus den Zeitungen erfahre ich, daß sein Regiment sich schon einschifft.111
Es sind die Subsidienverträge der deutschen Territorialfürsten mit Großbritannien, die in Klingers Roman wie in Reizenstein dezidiert kritisiert werden. In dem bereits erwähnten Brief an Hadem, den dieser mit der Hilfe Franklins erhalten soll, verweist Ernst auf das Schicksal der nach Amerika gesandten Soldaten, die „die Goldsucht ihrer Fürsten von dem väterlichen Boden vertrieb“112 und in ein Land führte, „dessen Erde schon den größten Theil ihrer Brüder, in Wildnissen deckt“113. Ernst hebt die ethnische Zugehörigkeit der durch die Subsidienverträge Betroffenen hervor und bezeichnet im Folgenden unvermittelt und in aller Dramatik die rekrutierten Untertanen als Handelsgut. Während er auf den ökonomischen Charakter der Verträge verweist, fragt er: Ist der Teutsche dazu geboren? Seinem Fürsten von der Natur als eine Waare gegeben? Was hofft dieser von den zurückgebliebenen Waisen, wenn die Zeit kommt, da das Vaterland seiner Söhne bedarf? Wird er mit seinem aufgehäuften Golde nun auch fremde Vertheidiger erkaufen? oder wird er dem Feinde die Summe entgegen tragen, die er für das Blut seiner Kinder erhalten hat, und damit Schonung erkaufen? Ich darf diese Gedanken nicht weiter verfolgen. Kein Volk der Erde verdient mehr Achtung und Schonung von seinen Fürsten, als das Teutsche; und dieses Volk wird von ihnen verkauft!114
110 Siehe hierzu Kapitel III.9. 111 Klinger: Geschichte eines Teutschen. 2. Buch. 5. Kapitel, S. 96 [179]. 112 Ebd. 3. Buch. 2. Kapitel, S. 122 [229]. 113 Ebd. 114 Ebd., S. 122 f. [229].
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Hadem greift in einem Brief an Ernst die Kritik seines ehemaligen Schülers auf. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf das Leiden der vermieteten Truppen, die von ihren Angehörigen gewaltsam getrennt wurden: Und liegt nicht schon alles in dem Gedanken begriffen: die Teutschen wurden für Geld nach Amerika verkauft? Ihre Verkäufer hätten sie sehen sollen, verschmachtend, den Blick nach ihrem Vaterlande, ihren Eltern, Weibern, Kindern, dann zum Himmel, dann auf die fremde Erde richtend, die sich ihnen zum Grabe öffnete!115
Für Ernst sind die Subsidienverträge zwischen Großbritannien und den deutschen Staaten mit dem globalen Phänomen des Sklavenhandels verknüpft, in den die Briten involviert sind. In einer Art „atlantischer Dreieckshandel“ werden Sklaven aus ihrer Heimat in die Kolonien gebracht, um unter erzwungenen Bedingungen zu arbeiten, während die Produkte dieser Tätigkeiten auch in den deutschen Staaten verkauft werden. Die hierdurch eingenommenen finanziellen Mittel werden Ernst zufolge von Großbritannien wiederum eingesetzt, um in den deutschen Staaten Mietstruppen anzuwerben. An Hadem schreibt er daher kritisch: Mich überfiel ein Schauder bey dem Gedanken, daß dieses von politischer Freyheit träumende Volk, welches gleichwohl allen wirklichen Werth nur in Gewinn setzt, die unschuldigsten und ältesten Bewohner der Erde in der scheußlichsten Sklaverey hält, und uns ihre unter der Gewalt erzwungenen Erzeugnisse zuführt, um für das uns abgenommene Gold Teutschlands blühende Söhne von unsern Fürsten zu kaufen!116
Um das Selbstwertgefühl der deutschsprachigen Bevölkerung gegenüber einer solchen Vorgehensweise zu stärken, beschwört Ernst das nationalstaatliche Denken und appelliert an den Nationalstolz. Er fordert: „Weg mit dem elenden Gedanken, der Teutsche habe kein Vaterland! – Er hat ein Vaterland; ich habe ein Vaterland, ich fühle es, und fühlte es schon, als ich das erste lebendige Rauschen in meinem Eichenwalde vernahm.“117 Und warnend prognostiziert er: „Die Zeit kann kommen, wo sich dieser Gedanke, der Teutsche habe kein Vaterland, grausam an denen rächen wird, die ihn erzeugten und unterhielten. Der Teutsche hat kein Vaterland – was hat er denn Hadem?“118 Die Auswirkungen des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges werden dementsprechend aus europäischer bzw. deutscher Perspektive betrachtet und entfalten nur vor dem Hintergrund der Subsidienverträge für das Handlungsgeschehen eine Bedeutung.
115 Ebd. 3. Buch. 12. Kapitel, S. 178 [346]. Siehe hierzu auch Desczyk: Amerika, S. 45. 116 Klinger: Geschichte eines Teutschen. 3. Buch. 2. Kapitel, S. 123 [231]. 117 Ebd. [229 f.]. 118 Ebd. [230].
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Hadem schildert die Folgen der militärischen Auseinandersetzungen für die Truppen und erinnert sich: „[…] [D]er kleine Überrest des Regiments, bey dem ich angestellt war, [gerieth] in Gefangenschaft […]. Ich wurde mit fortgeführt, ohne den Sterbenden den letzten Dienst leisten zu können. Was für Elend, was für Jammer habe ich erlebt und angesehen!“119 Konkrete soziopolitischen Ziele oder philosophische Konzeptionen der Revolutionäre bzw. der Gegenseite werden weder artikuliert noch diskutiert. Unter den politischen Führungspersönlichkeiten der amerikanischen Freiheitskämpfer wird lediglich Benjamin Franklin erwähnt. Sein ethisch-moralischer Rang wird allerdings wiederholt hervorgehoben und wie Rousseau, Hadem und Ernst ist sein Name mit dem Attribut „edel“ konnotiert (s. o.). Der Erzähler gibt an, dass Ernst, der den amerikanischen Gesandten als den „erste[n] Mann seines Volkes“120 bezeichnet, das Glück gehabt habe, „diesem seltnen Manne zu gefallen und von ihm geachtet zu werden“121. Wie in Reizenstein gelingt es auch hier dem Protagonisten in unmittelbaren Kontakt zu Franklin zu treten, der zur Personifikation der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung in Frankreich bzw. Europa wird. Franklin fungiert als Bindeglied zwischen der Alten und Neuen Welt und vermittelt ein Kontaktnetzwerk zur Etablierung einer Kommunikationsverbindung beider durch den Atlantischen Ozean separierten Welten. In der Geschichte eines Teutschen bittet „Ernst ihn um die Bestellung eines Briefes an Hadem“122 und der Erzähler gibt an: „Franklin versprach ihm, wenn Hadem in dem ungeheuren Bezirke von Amerika lebte, so sollte er diesen Brief gewiß bekommen.“123 Von Franklin erfährt Ernst daher auch, dass das britisch-deutsche Regiment mit Hadem von den Revolutionstruppen besiegt und die Überlebenden „als Kriegsgefangene in das Innere des Landes geführt“124 wurden. Amerika wird auch in der Geschichte eines Teutschen als geografisch entfernter Raum mit kaum zu erfassenden Dimensionen wahrgenommen. Die Neue Welt ist von „ungeheuren Bezirke[n]“125 geprägt und die räumliche Distanz zwischen Hadem in Amerika und Ernst in Europa wird wiederholt akzentuiert. Dieser erklärt, dass man „die weite Entfernung nicht mehr messen kann!“126 und
119 Ebd. 3. Buch. 12. Kapitel, S. 178 [346]. 120 Ebd. 3. Buch. 2. Kapitel, S. 120 [225]. 121 Ebd., S. 119 [223]. 122 Ebd. 123 Ebd. 3. Buch. 1. Kapitel, S. 119 f. [223]. Zum Briefüberbringer wird Franklin auch im zwölften Kapitel des dritten Buches. Siehe ebd. 3. Buch. 12. Kapitel, S. 175 [339 f.]. 124 Ebd. 3. Buch. 2. Kapitel, S. 120 [223]. 125 Ebd. 126 Ebd. 2. Buch. 5. Kapitel, S. 96 f. [179].
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hält in seinem Brief an Hadem fest: „So bin ich, durch unermeßliche Entfernung getrennt […].“127 An der Frontier, d. h. an der Grenze zwischen Zivilisation und Natur, erreicht Hadem als Gefangener eine Siedlung mit deutschsprachigen Auswanderern, die ihn zu ihrem Geistlichen machen. In seinem Brief an Ernst erinnert er sich später: Ich ward von den Gefangenen getrennt; eine Kolonie Teutscher an den Gränzen der Wilden bemächtigte sich meiner. Seit Jahren hatten sich diese Leute, weil ihnen ein Prediger fehlte, nicht zum Gottesdienste versammeln können. Sie trugen mir dies feyerliche Geschäft auf, und es ward mir leicht, ihr Zutrauen, ihre Liebe, in dieser Wildniß zu erlangen.128
In diesem abgelegenen Teil Amerikas, das aus einer eurozentrischen Perspektive bereits selbst als randständig wahrgenommen wird, weitab von den Hauptsiedlungsgebieten an der Ostküste des Kontinents, kann Hadem damit an einem Ort, der im Geiste Rousseaus natürlich und nicht von den negativen Auswüchsen menschlicher Kultur und Zivilisation korrumpiert erscheint, seinen ursprünglichen Beruf als Geistlicher ausüben. Durch seine theologische Tätigkeit als Seelsorger ohne Zwischeninstanzen wird die ungeformte rohe Wildnis dadurch aber zugleich mit einer elementaren sakralen Würde aufgeladen. Die Verbindung zu der von Rousseau abgeleiteten Vorstellung der „heiligen Natur“, wie sie zuvor von Ernst formuliert wurde und wie es in Europa durch die Wirren der Terreur bedroht ist (s. o.), wird von Hadem durch seine Beschreibung des amerikanischen Grenzgebietes am Ohio River hergestellt. Er konstatiert eine direkte Opposition
127 Ebd. 3. Buch. 2. Kapitel, S. 126 [238]. Die Artikulation und Akzentuierung der geografischen Weite des nordamerikanischen Kontinents bzw. der großen geografischen transatlantischen Distanz gehört zu den festen Elementen der deutschsprachigen Amerikaliteratur. In Johann Heinrich Bösenbergs Schauspiel Großmuth und Liebe, das in London verortet ist, sagt Lady Nevil zu Oberst Kampli, der in Amerika gedient hat: „O mein Vater, hätte ich denken können, daß aus so entfernten Welttheilen der Himmel meine Retter senden würde!“ Bösenberg: Großmuth und Liebe. 5. Aufzug. 3. Auftritt, S. 303. In Johann August Weppens Lustspiel Der Hessische Officier in Amerika zeigt die Amerikanerin Miss Betty empathisch Verständnis für die emotionale Lage von Leutnant Feldberg, der als Offizier die hessischen Subsidientruppen in die Neue Welt begleitet hat und von seinen Angehörigen getrennt ist. Sie erklärt: „Ich kann mir vorstellen, wie angenehm das seyn muß, von einem so weit entfernten Freunde, so weit übers Meer, von Zeit zu Zeit Nachricht zu erhalten.“ Weppen: Der Hessische Officier in Amerika. 3. Aufzug. 5. Auftritt, S. 75. Und in Carl Johann Albrecht Meyers Einakter Die Ankunft der Deutschen aus Amerika verweist der „Inzipient“ Christian auf die Soldaten, die „auf unermeßlichen Meeren schwimmen“ ([Meyer]: Die Ankunft der Deutschen aus Amerika. 1. Auftritt, S. 4.) müssen. Siehe hierzu auch Kapitel III.3. 128 Klinger: Geschichte eines Teutschen. 3. Buch. 12. Kapitel, S. 178 [346].
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zwischen den zwar hohen aber innerlich hohlen Ansprüchen in Europa und den authentischen, tatsächlich realisierten Konzepten in Amerika. Die Darstellung der Frontier-Region als Ort der Natürlichkeit und Selbstverwirklichung korrespondiert mit dem Topos der zeitgenössischen Wahrnehmung der Einwohner Amerikas als ursprünglich und natürlich. So beschrieb Friedrich Karl Heinrich von der Lith in seinem bereits zitierten Aufsatz das amerikanische Wesen mit den Worten: „Überhaupt ist der Karakter der Amerikaner, eine wunderbare Vermischung der europäischen Ueppigkeit mit der Unschuld des unverdorbenen Naturmenschen.“129 Klingers Geschichte eines Teutschen greift diesen Gedanken auf und verbindet ihn geografisch dezidiert mit dem Ohio River, d. h. einem Siedlungsgebiet nordamerikanischer Ureinwohner. Im letzten Buch des Briefromans heißt es in Bezug auf den Plan, den Hadem seinem ehemaligen Schüler offenbart und der daraus besteht, Europa nach seiner erst vor kurzem erfolgten Rückkehr bereits wieder zu verlassen: Das verheißene Paradies hier, habe wirklich abgeblüht; er wolle es nun am Ohio-Strom, in den Wildnissen Amerika’s wiedersuchen […]. Auch habe er mehr Zutrauen, mehr Liebe, Sicherheit und Tugend unter den dortigen Wilden gefunden, als in dem aufgeklärten Europa. Hier spräche man von der Tugend, wie von einem Thema der Redekunst; und wenn es zur Probe komme, zeige es sich, daß der Europäer nur schon davon zu reden verstehe. Die Wilden thäten, wovon man hier spräche; und dieses ergötze sein altes Herz, und mache es wieder jung; er sey nun aller Europäischen Schwäche, Gleisnerey und Plage herlich satt.130
Ernst reagiert auf diese Mitteilung mit der Bitte, seinen als Vater apostrophierten Mentor nach Amerika begleiten zu dürfen. Der Erzähler berichtet: „Ernst eilte zu ihm, umfaßte seine Knie: ‚O, mein Vater! mein Lehrer! nehmen Sie mich mit an den Ohio-Fluß, zu Ihren Wilden!‘“131 Die von Hadem wiederholt formulierte Absicht „so gehe ich, so fliehe ich zu den Wilden, um mir dort noch einen Freund zu suchen“132 wird obsolet, da die bei den Indianern in Amerika gesuchte Ursprünglichkeit und natürliche Existenz auch in der authentischen Freundschaft zwischen Hadem und Ernst gefunden werden kann. Das natürliche Leben in der Nähe
129 [Lith]: Feldzug der Hessen nach Amerika, S. 4. 130 Klinger: Geschichte eines Teutschen. 5. Buch. 5. Kapitel, S. 282 [553]. 131 Ebd. [554]. 132 Ebd., S. 283 [555]. Das Motiv der Flucht eines von den Verhältnissen in Europa Enttäuschten zu exoeuropäischen Ureinwohnern wird auch in Friedrich Gustav Hagemanns Schauspiel Der Rekrut artikuliert. In der Eingangsszene hält dort die Zentralfigur, Wilhelm Hofner, einen von innerer Unruhe geprägten Monolog und gibt u. a. an: „Und nun nimmermehr Menschenhülfe suchen, oder ich will in einen andern Erdtheil, zu den Wilden will ich fliehen, die sich noch nie mit Europäischem Blut vermischten.“ Hagemann: Der Rekrut. 1. Aufzug. 1. Szene, S. 17.
5 Homo Politicus und Homo Poeticus in Klingers Dialogroman
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oder auch in der Gemeinschaft der „Edlen Wilden“ an der Frontier in Amerika und die unverfälschte Freundschaft zwischen Hadem und Ernst zu Beginn und schließlich auch wieder am Ende der Handlung in Europa erweisen sich damit als die physische Realisierungen der philosophischen Konzeptionen Rousseaus und bilden die beiden geografischen Pole der Umsetzung seiner Forderung nach einer natürlichen Lebensführung im Sinne der prägnanten Formel „Retour à la Nature“.
5 „Das Böse wird uns leicht – das Gute schwer – sehr schwer gemacht.“ Homo Politicus und Homo Poeticus in Klingers Dialogroman Der Weltmann und der Dichter 1798, im Erscheinungsjahr der Geschichte eines Teutschen, veröffentlichte Klinger den ebenfalls zu seinem zehnteiligen Zyklus (s. o.) gehörenden Dialogroman Der Weltmann und der Dichter133, in dem die Amerikathematik erneut aufgegriffen wird. Die Klinger-Forschung hat auch bei diesem Werk dessen Bedeutung in der Literaturgeschichte hervorgehoben134 und gleichzeitig festgehalten, dass die öffentliche Wahrnehmung dem keine Rechnung trägt. Es wurde sogar darauf hingewiesen, dass Klinger den Roman „selbst hoch einschätzte, wenn nicht sogar für sein bestes Werk hielt“135. Parallelen zur Geschichte eines Teutschen – und bis zu einem gewissen Grad zu Sturm und Drang – ergeben sich u. a. durch die umfangreichen zeitgeschichtlichen Bezüge und Verweise auf eine Reihe literarischer, mythologischer und historischer Figuren, Orte und Ereignisse der Antike und der Neuzeit (s. o.). Der geistesgeschichtliche Einfluss der historischen und mythologischen antiken Welt auf Klingers literarische Produktion tritt auch in diesem Werk zutage. 136 So verweist der Weltmann etwa auf „den göttlichen […] Plato“137 und erklärt: „Sokrates war ein kluger Mann […].“138 Ebenso spricht der Dichter von „der
133 Friedrich Maximilian Klinger: Der Weltmann und der Dichter. Leipzig 1798. Im Folgenden zitiert nach der Ausgabe Friedrich Maximilian Klinger: Der Weltmann und der Dichter (Friedrich Maximilian Klinger. Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Bd. 18). Hg. von Thomas Salumets – Sander L. Gilman. Tübingen 1985. Die hier in den bibliografischen Nachweisen gemachten Angaben in den rechteckigen Klammern verweisen auf die Seitenzahlen im Erstdruck. 134 Siehe z. B. Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 332; Salumets – Gilman: Einleitung, S. VII. 135 Salumets: Dialoge, S. 158. 136 Siehe hierzu auch Salumets – Gilman: Einleitung, S. IX-XI. 137 Klinger: Der Weltmann und der Dichter. 2. Unterhaltung, S. 33 [68]. 138 Ebd., S. 28 [57].
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schönen Griechischen Zeit“139. In diesem Sinne ist die Wahl der Form für den Roman zu werten, der „in der Tradition des platonischen Dialogs“140 steht und für die Textrezeption von elementarer Bedeutung ist.141 Der Dialog erlebte im 18. Jahrhundert insbesondere in zahlreichen aufklärerischen Schriften eine „Wiederentdeckung und Blüte“142, war in der Romanform in der letzten Dekade des Jahrhunderts allerdings eine „Ausnahme“143. Der Diaolog ist „als das formal markanteste Kennzeichen der gesamten Prosaproduktion“144 Klingers bezeichnet worden, außergewöhnlich erscheint allerdings die konsequente Umsetzung der Dialogform im gesamten Roman.145 Durch das konsequente Fehlen eines zwischengeschalteten Erzählers werden die Positionen der beiden Dialogpartner vermeintlich völlig unvermittelt präsentiert und dem Leser die unmittelbare Partizipation an einem nicht zensierten kognitiven Austausch suggeriert.146 Das Fehlen von Erzählerkommentaren rückt den Roman in die Nähe des Dramas147 und verbindet sich dabei gewissermaßen mit einem Appell an den Textrezipienten, auf einer metatextuellen Ebene eigene Kommentare zu formulieren und auf diese Weise gewissermaßen diesen Aspekt der Erzählerfunktion selber zu übernehmen. In der Forschung ist darauf hingewiesen worden, dass Klinger im Weltmann und Dichter, wie bereits in anderen von ihm verfassten Werken (s. o.), eigene biografische Erfahrungen bzw. politische und philosophische Ansichten poetisch eingearbeitet und mit den im Text artikulierten Positionen seiner literarischen
139 Ebd. 7. Unterhaltung, S. 116 [273]. 140 Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 333. 141 So unterstrich auch David Hill: „[…] [I]t is of Klinger’s novels probably the one in which the formal elements are most deeply integrated into the substance of the novel […].“ Hill: Klinger’s Novels, S. 172. Siehe hierzu auch Salumets: Dialoge, S. 154 f.; ders. – Gilman: Einleitung, S. IX. Zur Geschichte und Gattung des Dialogs bzw. Dialogromans in der deutschsprachigen Literatur siehe z. B. Fries – Weimar: Dialog2, S. 354–356; Häsner: Dialog, S. 121–126; Hess-Lüttich: Dialog1, S. 350–353; Salumets: Dialoge, S. 156; Singh: Dialogroman, S. 153; Winter: Dialog, S. 25–198. Zur Funktion und Bedeutung des Dialogs im Weltmann und Dichter siehe Salumets: Dialoge, S. 158–170. 142 Ebd., S. 154. Als mögliche Vorbilder für Klingers Weltmann und Dichter nannten Salumets und Gilman daher Wieland, Voltaire und Denis Diderot (1713–1784). Siehe Salumets – Gilman: Einleitung, S. XI. 143 Salumets: Dialoge, S. 154. 144 Ebd. Siehe auch ders. – Gilman: Einleitung, S. VIII. 145 Siehe hierzu auch Salumets: Dialoge, S. 154; ders. – Gilman: Einleitung, S. IX; Segeberg: Klingers Romandichtung, S. 195. 146 Siehe hierzu Segeberg: Klingers Romandichtung, S. 196. 147 Siehe hierzu Sing: Dialogroman, S. 153.
5 Homo Politicus und Homo Poeticus in Klingers Dialogroman
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Figuren verwoben hat. Dabei spiegeln offensichtlich beide Figuren Aspekte von Klingers Denken wider.148 Der im Austausch der Dialogpartner, die in ihren Bezeichnungen „Weltmann“ bzw. „Dichter“ typenhaft durch ihre Berufszugehörigkeit bzw. Geisteshaltung definiert sind,149 zutage tretende dialektische Dualismus, ist von der Forschung als „Antonio-Tasso-Motiv“ identifiziert worden.150 Wie in Goethes 1790 erschienenem Schauspiel Torquato Tasso kommt es auch im Weltmann und Dichter zu einem Aufeinandertreffen zweier Vertreter unterschiedlicher philosophischer Einstellungen und Wertvorstellungen. Rudolf von Gottschall bezeichnete Klingers Werk daher bereits 1896 als „Dialog, in welchem er die zwei Seelen seines eigenen Wesens zu versöhnen, Tasso und Antonio gleichsam zu einem Menschen zu verschmelzen sucht.“151 Der Weltmann erscheint im Text als Anhänger einer pragmatischen und realistischen philosophischen Orientierung. Dem Dichter gegenüber erklärt er in der siebten Unterhaltung: „Ich halte mich an die Dinge, wie sie sind, nicht, wie sie seyn sollen; denn wie es seyn soll, weiß ich so genau, als hätt’ ich selbst den erhabensten Roman zur Staats- und Menschen-Verbesserung geschrieben.“152 Der Weltmann spricht sich für eine emotional distanzierte, vermeintlich objektive geistige Grundhaltung aus und fordert vom Dichter: „Unterwirf Deine Einbildungskraft nur einen Augenblick der kalten Vernunft.“153 Auf die Gefahren des Missbrauchs bzw. der Relativierung ethisch-moralischer Werte, infolge eines aus-
148 Siehe auch Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 334; Hill: Klinger’s Novels, S. 158; King: Echoes, S. 66. 149 Salumets zog hieraus folgende Konsequenz: „Schnell werden so Weltmann und Dichter zu eindimensionalen Repräsentanten von Ideal und Wirklichkeit.“ Salumets: Dialoge, S. 159. 150 Siehe z. B. Hering: Friedrich Maximilian Klinger, S. 333; Salumets – Gilman: Einleitung, S. VII. 151 Gottschall: Einleitung, S. 29. 152 Klinger: Der Weltmann und der Dichter. 7. Unterhaltung, S. 124 [292]. In dem de- statt präskriptiven Ansatz des Weltmanns wird vor dem Hintergrund des Vergleichs mit Goethes Drama, zumindest in diesem Punkt, eine gewisse Parallele zum Lebensprinzip Tassos deutlich, wenn er auf die vielzierte Formel „erlaubt ist was gefällt“ (Goethe: Torquato Tasso. 2. Aufzug. 1. Auftritt, S. 761) verweist. Die Schwester des Herzogs modifiziert Tassos liberales Bekenntnis, das in Gefahr steht, als moralisch-sittliche Restriktionslosigkeit mit Anarchiepotenzial ausgelegt zu werden, im Folgenden zu dem stärker einschränkenden Ausspruch „erlaubt ist was sich ziemt“ (ebd., S. 762). Die Parallelen zwischen dem Weltmann und Tasso enden diesbezüglich freilich in Tassos stärker von Emotionalität geprägter Grundeinstellung und in seinem Antipragmatismus. Während des Dialogs mit der Prinzessin klagt er etwa: „O wenn aus guten edlen Menschen nur / Ein allgemein Gericht bestellt entschiede / Was sich denn ziemt? Anstatt daß jeder glaubt / Es sei auch schicklich was ihm nützlich ist.“ Ebd. 153 Klinger: Der Weltmann und der Dichter. 7. Unterhaltung, S. 124 [292].
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schließlich auf Pragmatismus beruhenden Verhaltens, weist dagegen der Dichter hin. Im Gespräch zwischen den beiden heißt es über den manichäischen Antagonismus von Gut und Böse: Der Weltmann. […] Das Böse wird uns leicht – das Gute schwer – sehr schwer gemacht. – Der Dichter. Wo steht dieser Spruch? Der Weltmann. […] Er steht im großen Buch des menschlichen Lebens […]. Der Dichter. […] Welche gefährliche Waffen übergibt ein solcher Spruch Euren Händen!154
Der Dichter verleiht ethisch-moralischen Fragen eine religiöse Konnotation und dem tugendhaften Verhalten eine sakrale Würde. Während er einen Besuch der Töchter des Weltmanns in Erinnerung ruft, erklärt der Dichter: „[…] [D]as Gute ist ja immer göttlich – schöner, wahrer kann es der Mensch doch nicht nennen, als nach seinem Urheber.“155 Der Dichter hebt die Freude der Töchter am „Einfachen und Natürlichen“156 hervor und ergänzt sein Lob der Natur bzw. Natürlichkeit in der neunten Unterhaltung mit den Worten: „Auch ich lebe mit Menschen, aber nur mit solchen, die der Natur am nächsten, am treusten sind[.]“157 Seine Forderung nach Authentizität hat der Dichter bereits in der fünften Unterhaltung artikuliert, wo er emphatisch verkündet: „Freyheit und Gesang! Wir wollen nur Wahrheit singen.“158 Der Wunsch nach Freiheit und dichterischer Produktionsmöglichkeit in Form des Gesanges, der historisch als eine der ältesten oder vielleicht sogar als die älteste mediale Form der literarischen Produktion angesehen werden kann, wird vom Dichter schließlich in der neunten Unterhaltung wieder aufgegriffen, wenn er artikuliert: „Freyheit, Unabhängigkeit, Gesang – das ist mein Spruch.“159 Die zahlreichen dezidierten Bekenntnisse des Dichters zu gefestigten ethischen Werten und sein Appell, diese auch in Notzeiten nicht auszuhöhlen und sich nicht korrumpieren zu lassen, bedeuten aber nicht das Festhalten an einem weltfernen, nur auf der Geistesebene realisierten Idealismus, der die Bedürfnisse und Einflüsse materieller Umstände verleugnet, sondern erweisen sich gerade als handlungsorientiert. Gegenüber dem Weltmann gibt der Dichter zu bedenken: „[S]agen und reden und jammern und anklagen haben bisher noch nicht ein einziges der Übel geheilt, werden es auch wohl nie thun, bis Euer goldenes Zeitalter, das so manchem von Euch den Sinn verrückt, allen Übeln und Klagen ein Ende machen wird.“160
154 Ebd., S. 132 [313]. 155 Ebd., S. 116 [273]. 156 Ebd. [274]. 157 Ebd. 9. Unterhaltung, S. 159 [380]. 158 Ebd. 5. Unterhaltung, S. 88 [203]. 159 Ebd. 9. Unterhaltung, S. 157 [375]. 160 Ebd. 7. Unterhaltung, S. 127 [300].
6 Kritik an und Apologie der Subsidienverträge
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6 „Und die Menschheit […] war die nicht verletzt?“ Kritik an und Apologie der Subsidienverträge im Weltmann und Dichter vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Menschenrechtsdiskurses Klinger nutzte die sich in einem Dialogroman in pointierter Form bietende Gelegenheit, in seinen poetischen Figuren philosophische und politische Bekenntnisse zu formulieren bzw. Kritik an soziopolitischen Systemen und Konzeptionen zu artikulieren. Neben kritischen Reflexionen zu den von Korruption und Dekadenz dominierten Höfen der europäischen Adelsherrschaft,161 findet sich in der siebten Unterhaltung eine intensiv ausgetragene Debatte um die ethisch-moralischen Aspekte der Subsidienverträge und ihre soziopolitische Bedeutung. 162 Vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse, auf die der fiktionale Text referiert, artikuliert der Dichter tiefe Bedenken am sog. Soldatenhandel, während der Weltmann auf die Vielschichtigkeit der Umstände aufmerksam machen und ein differenziertes Bild der Entwicklungen aufzeigen will, um dadurch Argumente für eine Legitimation der Soldatenvermietung zu finden. Damit spricht sich dieser für eine Position aus, die nur von wenigen zeitgenössischen Beobachtern vertreten wurde. Zu den Apologeten der zwischenstaatlichen Subsidienverträge gehörte der Göttinger Historiker und Statistiker August Ludwig Schlözer. In einem mit der Überschrift An die Herrn Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift versehenen Beitrag, der 1784 in seinen Stats-Anzeigen erschien, vertrat Schlözer die relativierende Meinung: „Das Verkaufen unsrer Brüder auf die SchlachtBank nach Amerika, ist so arg nicht, wie sichs manche vorstellen.“163 Ähnlich publizierte Wilhelm Ludwig Wekhrlin 1781 in seinem Journal Chronologen einen Aufsatz mit dem Titel Anti-Deklamation. Oder Ueber das Truppen-Versendungs-Wesen der Deutschen. In diesem wurde enerviert die Frage gestellt: „Wird man niemals müde werden, den Deutschen ihre Subsidien-Verträge vorzuwerfen?“164 Der Verfasser verwies darauf, dass bereits in der Antike Soldaten vermietet worden seien165 und konstatierte bei den negativen Beurteilungen eine Bigotterie der Kritiker. Er gab an:
161 Siehe hierzu z. B. auch Salumets: Dialoge, S. 172 f. 162 Siehe hierzu auch Kapitel III.9. Zu Klingers persönlicher Einstellung zu den Subsidienverträgen siehe auch King: Echoes, S. 85. 163 Schlözer: An die H[e]r[rn] Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift (Jun[ius] 1784, S. 574 folgg.), S. 515. 164 Wekhrlin (Hg.): Chronologen 12 (1781), S. 36. 165 Ebd., S. 37 f.
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V Amerika und die Subsidienverträge in der Erinnerung
Wenn der geringste Gemeinplaz im Gebiete der Schule angegriffen wird: so wühren sich sogleich tausend Federn, eine Myriade Scribler geräth in Empörung. Aber wenn man Deutschlands Souverains ein Recht streitig machen will, welches zur Natur ihrer Throne gehört: so schweigt die ganze Welt. Nichts ist seltsamer als die Moral der Autoren.166
Der Autor war der Ansicht, dass die finanziellen Erträge aus den Verträgen eine positive soziale Wirkung auf die beteiligten Staaten entfalten würden und führte aus: Die Subsidienverträge der Häußer Hessencassel, Anspach [et cetera] [et cetera] mit Brittanien haben den offenbarsten und heilsamsten Staatsnuzen für diese Länder nach sich gezogen. Wir haben die Nachrichten gelesen, auf welche löbliche Art das Marggrafthum Anspach seine öfentlichen Schulden vermindert, und den Landswohlstand vermehrt. Von Cassel wissen wir, daß seit dem Abmarsch der Truppen nach Amerika die Landssteur vermindert, öfentliche Anstalten, z. E. Findelhäußer, Hospitäler [et cetera] [et cetera] gestiftet, die Städte verschönert, und der Ackerbau erleichtert wurden.167
Hinsichtlich der Subsidienpraxis wurde sogar der Wunsch nach einem Dauerzustand artikuliert, da der Einsatz der Truppen in außereuropäischen Gebieten den Frieden auf dem Kontinent befördern würde: „Wollten die Götter, alle europäischen Heere stünden immerfort in Subsidien außerhalb diesem Welttheile: so hätte man vielleicht zu hoffen, daß innerhalb demselben ein ewiger Friede herrschen möchte!!!“168 Auf der anderen Seite erschien allerdings zehn Jahre später in Wekhrlins Zeitschrift Paragrafen ein Beitrag, der sich der Ausdrucksweise der Subsidien-Kritiker bediente, beispielsweise von „Menschenhandel“169 sprach und diesen mit Sklaverei verglich. Der Autor erklärte: Ah! Der Weltbürger und Menschenfreund wird hierunter für seinen der geringsten zählen, daß der infame Menschenhandel abnimmt. Von nun an, meine werthen Nachbarn, habt ihr nimmer zu fürchten, daß man euch nach Amerika oder Sibirien verkauft, um euch für Händel zu verbluthen, die euch so wenig angehn als den Mann im Monde. Man wird euch nicht mehr ausheben, auspressen, notzüchtigen, um, wie Marktvieh, für baares Geld verkauft zu werden. Ihr werdet die Negern in Guinea nicht mehr um ihr Schicksal beneiden dörfen, mit deren Freiheit zwar die Barbarn, ihre Landesherrn, spielen, aber mit deren Leben doch nicht.170
166 Ebd., S. 36. 167 Ebd., S. 50. 168 Ebd., S. 51. 169 Ders. (Hg.): Paragrafen 2 (1791), S. 155. 170 Ebd., S. 155 f. Siehe hierzu auch Walz: Three Swabian Journalists [4,3/4 (1902)], S. 291.
6 Kritik an und Apologie der Subsidienverträge
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Die Forschung hat die Thematisierung der von Klinger in seinem Dialogroman „scharf verurteilten“171 Subsidienverträge in der siebten Unterhaltung zur Kenntnis genommen und die „Schärfe der Kritik, welche in der damaligen Periode der deutschen Literatur ihresgleichen sucht“172 unterstrichen. Die im Roman artikulierte kritische Haltung des Dichters zeigt sich bereits in der Lexik und kommt in der Verwendung eines drastischen und bildhaften Vokabulars zum Ausdruck. Zum sprachlichen Lexikon der Unterhaltung gehört beispielsweise der Ausdruck „Bluthandel“173, der von beiden Dialogpartnern verwendet wird und das Lexem „Waare“174, um den ökonomischen Charakter der Subsidienverträge zu betonen. Außergewöhnlich an Klingers Text ist, dass dem Leser mit dem Weltmann eine poetische Figur präsentiert wird, die unmittelbar in den sog. Soldatenhandel involviert ist, da er selbst „in London den Bluthandel unterzeichnet“175 hat. Dem Dichter eröffnet er, dass die finanzielle Situation des nicht näher bestimmten Fürstentums eine entsprechende Entscheidung in dieser Frage notwendig machte und dass er es war, der dem Landesherrn den Vorschlag der Truppenvermietung unterbreitet hat. Er offenbart: „[…] [S]o schlug ich insgeheim dem Fürsten vor, – zweytausend Mann oder darüber in Englischen Sold zu geben.“176 Hierauf reagiert der Dichter höchst verwundert und fassungslos. Die in seiner verbalen Reaktion zum Ausdruck kommende Wortwahl tangiert erneut den Bereich der Ökonomie und greift wieder die Metonymie des Blutes als Bezeichnung für die betroffenen Untertanen auf. Ungläubig fragt er: „Also Sie? Sie verkauften das Teutsche Blut?“177 Anstatt hier eine möglicherweise zu erwartende unmittelbar folgende pointierte Pauschalverurteilung der Entscheidung des Weltmanns anschließen zu lassen, wird ihm jedoch in umfangreichen Maße ein breiter literarischer Raum eröffnet, um seine Gedanken und Motive, die zu diesem Verhalten geführt haben, darzulegen. Eine Zensur der Darlegung seiner Ansichten und Beweggründe findet
171 Salumets: Dialoge, S. 172. 172 Geerdts: Romane, S. 469. Siehe auch King: Echoes, S. 179. 173 Klinger: Der Weltmann und der Dichter. 7. Unterhaltung, S. 129 [307], 131 [311]. 174 Ebd., S. 127 [300]. 175 Ebd., S. 131 [311]. 176 Ebd., S. 122 [289]. 177 Ebd., S. 123 [289]. Die deutlich artikulierte Verwunderung des Dichters über die Beteiligung des Weltmanns an den Subsidienverträgen könnte beim Leser etwas Erstaunen hervorrufen, da es sich bei seinem Bekenntnis eigentlich um eine für den Dichter redundante Information handeln muss. Bereits in der ersten Unterhaltung berichtet dieser über den gemeinsamen ehemaligen Schulkameraden „Karl von F***“: „Man hat ihn hier zum Fähnrich, und endlich zum Kapitain gemacht. Darauf habt Ihr ihn für eine gute Summe Geldes, deren Ihr vermuthlich sehr benöthigt waret, mit seinem Regiment an die Engländer verkauft.“ Ebd. 1. Unterhaltung, S. 10 f. [15].
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V Amerika und die Subsidienverträge in der Erinnerung
nicht statt. Das eindringliche Vokabular des Dichters aufgreifend, gibt der Weltmann an, den Handel für das Gemeinschaftswohl und zur Verhinderung eines noch größeren Schadens befürwortet zu haben. Er erklärt: „Ich! Ich verkaufte das Teutsche Blut, einen Theil des Teutschen Bluts, daß hier den übrigen Teutschen die Quelle des Blutes nicht gänzlich austrocknen sollte; daß die Zurückgebliebenen mit den Verkauften nicht ganz zu Bettlern würden.“178 Um seine Position und die hieraus resultierende Entscheidung moralisch zu legitimieren, konfrontiert der Weltmann den Dichter mit der Alternative und fragt: „Wär’ es besser gewesen, das ganze Land mit neuen schweren Auflagen zu drücken?“179 Der Weltmann ist sich der (negativen) Konsequenzen der Subsidienverträge bewusst, die Argumentation seiner relationistischen Apologie der Geschehnisse stützt sich dabei aber insbesondere auf die Notwendigkeit der finanziellen Konsolidierung des desolaten Fürstenhaushaltes und auf die Vorstellung, ein noch größeres Übel verhindert zu haben. Der Weltmann relativiert seine Beteiligung an den negativen Konsequenzen der erfolgten Maßnahmen durch den Vergleich mit einem potenziell noch schwerer wiegenden Beschluss eines anderen politischen Akteurs an seiner Stelle. Er fragt: „[…] Hätte ein Anderer nicht vielleicht recht tief geschnitten? noch tiefer?“180 Und er ergänzt: „Genug wenn es unser einer so macht, daß man durch das Schlimme aus dem Schlimmern kommt; und dieses hier gethan zu haben, schmeichle ich mir, Dir ganz klar und deutlich zu beweisen – wenn es nicht schon bewiesen ist.“181 Der pragmatische, auf Relationismus und hieraus resultierenden Relativismus setzende Grundtenor seiner Haltung wird erneut deutlich, wenn der Weltmann erklärt: „[…] Die Nothwendigkeit ist unsere eisern Göttin […].“182 Der Dichter dagegen kritisiert generell die Vorstellung, einen Missstand durch ein im Vergleich hierzu noch negativeres Szenario aufwerten bzw. rechtfertigen zu können und fragt seinerseits: „Heißt dieß etwas anders, als ein Übel durch ein anderes entschuldigen, das wir selbst veranlaßt haben?“183 Bereits in der dritten Unterhaltung hat er auf ein mögliches Rezidiv hingewiesen und die Singularität der Ereignisse als exzeptionelle Maßnahmen angezweifelt, indem er zu bedenken gab: „Später oder früher braucht Ihr doch wieder Gold – und kaufen Euch die Engländer alsdann wieder einige Tausende ab […].“184 Für den Dichter handelt es sich bei den Subsidienverträgel um ein derart schwerwiegendes Unrecht, dass
178 Ebd. 7. Unterhaltung, S. 123 [289]. 179 Ebd., S. 131 [311]. 180 Ebd., S. 124 [291 f.]. 181 Ebd. [292]. 182 Ebd., S. 131 [311]. 183 Ebd., S. 126 [299]. 184 Ebd. 3. Unterhaltung, S. 39 [84].
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es durch kein noch so lobens- und anerkennenswertes ethisches Verhalten als moralisches Gegengewicht ausgeglichen werden kann. Er gibt zu bedenken, dass selbst der als Idealpolitiker rezipierte Maximilien de Béthune, duc de Sully (1560– 1641)185 sich durch ein solches Verhalten nicht mehr vom Makel der Schande hätte befreien können. Der Dichter erklärt: „Diese That – diese einzige That würde das Leben eines Sülly geschändet haben.“186 Der Weltmann wiederum erwidert, dass er sich mit einer politischen Persönlichkeit wie Sully nicht vergleichen möchte („Ich bin kein Sülly.“187), macht aber auch deutlich, dass er der Ansicht ist, dass dieser an seiner Stelle zu den gleichen Schlussfolgerungen gekommen wäre und ebenso gehandelt hätte. Er fügt daher hinzu: „Und ob ich gleich kein Sülly bin, so fühl’ ich mich doch ganz überzeugt, daß Sülly an meiner Stelle eben das gethan hätte. Ich sagte Dir ja, warum ich das Teutsche Blut verkaufte.“188 Der Dichter setzt seine Argumentation auf ethisch-moralischer Ebene fort und bezeichnet den „Soldatenhandel“ als Missachtung der Menschheit. Er stellt die rhetorische Frage: „Und die Menschheit – um sie noch einmal in diesem prächtigen Zimmer laut zu nennen – war die nicht verletzt?“189 Den Gedanken der „Rechte der Menschheit“ im Zusammenhang mit den Subsidienverträgen griff auch der als Kanzler in Hessen-Darmstadt tätige württembergische Staatsmann Friedrich Carl von Moser (1723–1798) in seiner anonym publizierten Schrift Ueber den Diensthandel deutscher Fürsten (1786) auf. Darin verwies der Autor u. a. auf den „immer allgemeiner werdenden Menschenhandel“190, den er als „schändlichen Handel“191
185 David Buisseret notierte hinsichtlich der Rezeption Sullys in der Memorialkultur des 18. Jahrhunderts: „From the middle of the century onwards, ministers were regulary hailed as the new Sully, come to support the regularly reincarnate king.“ Buisseret: Sully, S. 192. 1783 erschien in Zürich eine siebenbändige Übersetzung seiner Erinnerungen: Maximilien de Béthune Sully: Denkwürdigkeiten Maximilian von Bethüne Herzogs von Sülly. Nach der neuesten und vollständigsten Französischen Ausgabe übersetzt. 7 Bde. Übers. Zürich 1783–1786. Siehe hierzu auch Avezou: Sully, S. 204 [Anm. 8]. Zur Wahrnehmung Sullys im 18. Jahrhundert siehe auch Avezou: Sully, S. 201–333, bes. S. 253–289; Buisseret: Sully, S. 189–192; Barbiche – Barbiche: Sully, S. 512–517. Zum Leben und Werk Sullys siehe Buisseret: Sully, S. 38–188; Hartmann: Rêveurs de paix?, S. 31–33. Zur poetischen Rezeption Sullys allgemein siehe Gunnemann: Heinrich Mann’s Novels, S. 181–192; Roberts: Artistic Consciousness, S. 190–242. 186 Klinger: Der Weltmann und der Dichter. 7. Unterhaltung, S. 123 [290]. 187 Ebd. 188 Ebd. [291]. 189 Ebd., S. 126 [297]. Zur Bedeutung des Ausdruckes „Menschheit“ vor dem Hintergrund von Ethik und Moral siehe Stoellger: Menschheit, S. 173–175. Zur Verwendung des Begriffes im 18. Jahrhundert, etwa bei Herder siehe ebd., S. 174. 190 [Moser]: Ueber den Diensthandel deutscher Fürsten, S. 4. 191 Ebd., S. 93.
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bezeichnete und auf das in diesem Zuge erworbene „Blutgeld“192 der „Seelenkäufer“193. Er sprach von einem „Werk der Finsterniß“194 und gab an: „Unsere Fürsten sind Kaufleute geworden. Alles ist ihnen feil, wenns nur was einträgt[.]“195 Einen „Verstoß gegen die Menschheit“ erkannte vor dem Hintergrund der Amerikanischen Revolution der Buchhändler, Musiker und Politiker Christian Jakob Zahn auch in den Restriktionsmaßnahmen des britischen Mutterlandes gegenüber den nordamerikanischen Kolonien, die ihr Potential unterminierten. In seiner 1795 publizierten Biografie über Benjamin Franklin hielt er fest: „Die Einschränkungen des emporstrebenden amerikanischen Kunstfleisses, die Hemmung alles Handels zwischen den einzelnen Colonien waren unverantwortlich, denn sie verlezten Rechte, die nie verlezt werden dürfen, sie hielten gewaltsam ein ganzes Volk im Fortschritt seiner Cultur zurük; und dies ist Verbrechen gegen die Menschheit.“196 Der Weltmann widerspricht dem Vorwurf des Dichters, das Menschenrecht verletzt zu haben, nicht, greift zur Rechtfertigung aber wieder den Topos der Notwendigkeit auf: „Nenne sie nur recht laut – sie ward recht sehr verletzt, wird beynahe mehr oder weniger durch alles verletzt, was in der Gesellschaft geschieht – geschehen muß.“197 Er führt aus: „Ich achte sie recht sehr, die Menschheit, halte sie für ein gar schönes Wort, und preise den höchst glücklich, der etwas zur Bekräftigung dieses schönen Wortes ausrichten kann. Ich selbst strebe darnach […].“198 Den Vorwurf des Verstoßes gegen die Menschheit bzw. gegen die mit ihr assoziierten ethisch-moralischen Werte verkehrt der Weltmann in die seiner Ansicht nach häufig nicht sogleich evidente Erfüllung ebenderselben. Er verleiht dem verbal artikulierten Angriff des Dichters einen ethischmoralischen Vorzeichenwechsel und tadelt im Gegenzug eine oberflächliche Verurteilung durch außenstehende, nicht handlungstragende Beobachter wie den Dichter: „[…] [N]ur gar zu oft sitzt eben da die Menschlichkeit oder Menschheit zu Gerichte, wo ihr nur die Unmenschlichkeit zu sehen glaubt.“199 Die in Klingers Dialogroman artikulierte Diskussion um die Frage nach der Verletzung der Menschheit durch den sog. Soldatenhandel ist implizit mit der Frage nach dem Konzept der Menschenrechte verbunden, die gerade im
192 Ebd. 193 Ebd., S. 19. 194 Ebd., S. 24. 195 Ebd., S. [3]. 196 [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 225. 197 Klinger: Der Weltmann und der Dichter. 7. Unterhaltung, S. 126 [297]. 198 Ebd. 199 Ebd. [297 f.].
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Umfeld der Französischen Revolution wieder allergrößte Aktualität besaß.200 Wolfgang Schmale wies darauf hin, dass der Begriff „Menschenrecht“ „in den letzten beiden Jahrzehnten [des 18. Jahrhunderts] […] die Rolle eines Schlüsselbegriffs“201 einnahm. Er konstatierte sogar eine „‚Inflation‘ der zustimmenden Verwendung des Begriffs Menschenrechte“202. In der Forschung ist die Verbindung zwischen den zeitgenössischen politischen Forderungen nach einer Fixierung von Menschenrechten und den Entwicklungen der Aufklärung immer wieder formuliert und hervorgehoben worden.203 Karl Peter Fritzsche fasste diesbezüglich zusammen: „Moderne Menschenrechte sind Ergebnisse der Aufklärung […].“204 Der hohe Stellenwert der Menschenrechte für die Intellektuellen der Spätaufklärung kommt beispielsweise in Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784–1791) zum Ausdruck.205 Im 15. Buch des dritten Teils hält er unter der Überschrift „Humanität ist der Zweck der Menschennatur, und Gott hat unserm Geschlecht mit diesem Zweck sein eigenes Schicksal in die Hände gegeben“206 fest: „Die ganze Geschichte der Völker wird uns in diesem Betracht eine Schule des Wettlaufs zu Erreichung des schönsten Kranzes der Humanität und Menschenwürde.“207 Von besonderer Brisanz erscheint der im Weltmann und Dichter entfaltete Diskurs um die Verletzung der Menschheit infolge der Aushandlung der Subsidienverträge vor dem Hintergrund der geradezu revolutionären 208 Proklamation von Menschenrechten im Zuge der Amerikanischen Revolution (in Virginia, Pennsylvania und Maryland jeweils 1776, in Vermont 1777, in Massachusetts 1780).209
200 Siehe hierzu auch Schmale: 18. Jahrhundert, S. 72–83. Siehe außerdem z. B. Haratsch: Geschichte, S. 33–37, 43–52; Hartung: Entwicklung, S. 13–21; Hoffmann: Einführung, S. 10–14; Volkmann-Schluck: Freiheit, S. 177–187. 201 Schmale: 18. Jahrhundert, S. 72. 202 Ebd., S. 76. 203 Siehe z. B. Oestreich: Geschichte, S. 54–56; Punt: Idee der Menschenrechte, S. 94–124. 204 Fritzsche: Menschenrechte, S. 20. 205 Zu dieser Schrift siehe auch Irmscher: Johann Gottfried Herder, S. 123–141. Zum Verhältnis Herders zu der Vorstellung der Menschenrechte siehe insbesondere auch Schmitt: Herder und Amerika, S. 92–105. 206 Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 3. Teil. 15. Buch, S. 214. 207 Ebd., S. 218. 208 Zahlreiche Historiker sprachen sich in diesem Zusammenhang für eine Sensibilisierung der retrospektiven Wahrnehmung natürlich und selbstverständlich erscheinender historischer Ereignisse und Entwicklungen aus. Jozef Punt machte beispielsweise deutlich: „Auch wenn dies aus heutiger Perspektive einfach und naheliegend scheint, so war doch dieses Vorgehen epochal.“ Punt: Idee der Menschenrechte, S. 126. 209 Siehe hierzu ebd., S. 135 [Anm. 44]; Rohls: Geschichte, S. 405–407.
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Die 1776 noch vor der Unabhängigkeitserklärung verabschiedete Virginia Declaration of Rights verkündete als „Maßstäbe setzende[r] Rechtekatalog“210 im ersten Artikel: That all men are by nature equally free and independent, and have certain inherent rights, of which, when they enter into a state of society; namely, the enjoyment of life and liberty, with the means of acquiring and possessing property, and pursuing and obtaining happiness and safety.211
Im 19. Jahrhundert brachte der Deutsch-Amerikaner Ernst Anton Zündt die maßgeblich von Thomas Jefferson verfasste Unabhängigkeitserklärung schließlich explizit mit den Menschenrechten in Verbindung. In der achten Strophe von Zündts anlässlich der Hundertjahrfeier der Unabhängigkeitserklärung verfassten Gedicht Amerika heißt es: „Was Jefferson’s Erklärung uns verheißen – / Der Menschheit Recht – heut’ flammt’s in jeder Brust[.]“212 Deutschsprachige Intellektuelle feierten jedoch nicht nur Jefferson, sondern bereits im 18. Jahrhundert insbesondere auch Benjamin Franklin als Vertreter der Freiheits- und Menschenrechte. Der Bibliothekar und Altertumsforscher Friedrich Schlichtegroll (1765–1822) führte Franklin und Joseph II. (1741–1790; 1765–1790) als exemplarische Verteidiger der Menschheitsrechte an, wobei er dem Amerikaner aufgrund seines Erfolges gewissermaßen den Vorzug gab. In einem 1791 publizierten Nekrolog auf Franklin erklärte er: Beyde; Joseph und Franklin, ehrten die Menschheit, und waren eifrige Vertheidiger ihrer Rechte, obgleich auf ganz verschiedenen Wegen, und mit ganz verschiedene, Erfolge. Denn dem mächtigsten aller Monarchen gelang sein Unternehmen nicht; dem Buchdrucker aber gelang es.213
Dass der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg als Kampf um Menschenrechte wahrgenommen wurde, geht auch aus einer kurzen Passage in Otto Heinrich Freiherr von Gemmingens Schauspiel Die Erbschaft hervor. In diesem erklärt Hauptmann Braunau in einer Situation, in der er emotional überfordert ist:
210 Wolgast: Geschichte, S. 38. Siehe auch ebd., S. 38–40. 211 The Virginia Bill of Rights. 12. 6. 1776, S. 149. Zur Bedeutung der Virginia Declaration of Rights im rechthistorischen Kontext siehe auch Brunkhorst: Amerikanische Unabhängigkeitserklärung, S. 91; Haratsch: Geschichte, S. 43; Sandkühler: Recht, S. 427. 212 Zündt: Amerika. 8. Strophe. 1 f. Vers, S. 251. 213 Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 311.
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Ich gehe zum Oberst, gehe zum Minister, […] bitte um die Erlaubniß, meine Kompagnie zu verkaufen, zahle meine Schuldner, und dann – dann nach Amerika; dort wenn’s nicht anderst seyn kann, als gemeiner Soldat gedient, und schlechtes Stück Brod mit ruhigem Gewissen verzehrt, für die Rechte der Menschheit gestritten […].214
Der Pioniercharakter und die besondere Bedeutung der in der Neuen Welt im 18. Jahrhundert errungenen Freiheiten und Menschenrechte ist auch von dem aus der Schweiz stammenden Historiker und Staatsmann Johannes (von) Müller (1752–1809) artikuliert worden.215 In seiner postum gedruckten „Ausarbeitung seiner weltgeschichtlichen Vorlesungen“216 (Vier und zwanzig Bücher Allgemeiner Geschichten besonders der europäischen Menschheit) lobte er: Von der andern Seite des Weltmeers leuchtete eine reizende Flamme der Freiheit mit elektrischer Kraft für die Westeuropäer, mit anziehender Wirkung für die empor, welche ihrer Nachkommenschaft Genuß der Menschenrechte und sichern Wohlstand verschaffen wollten.217
Und in einem mit dem Titel Vaterlandslied versehenen siebzehnstrophigen Gedicht, das im Jahre 1800 in einer in Lancaster/Pennsylvania gedruckten Schrift publiziert wurde, die den verstorbenen ehemaligen Oberbefehlshaber und Präsidenten George Washington würdigte, lobt der patriotische Sprecher seine Heimat mit den Worten: Regierung und Gesetze sind Gleich weise abgefaßt Die Freiheit herrschet unumschränkt, Duld’t nicht was Menschenrechte kränkt, Und jeden Druck sie haßt.218
214 [Gemmingen]: Die Erbschaft. 2. Aufzug. 3. Auftritt, S. 45. Die Ausführungen Braunaus kommentiert der Regimentsquartiermeister Meinhard allerdings mit den Worten: „Sie schwärmen, Freund!“ Ebd. 215 Zu Müller siehe Pape: Müller, S. 315–318. 216 Pape: Müller, S. 316. 217 Müller: Vier und zwanzig Bücher Allgemeiner Geschichten besonders der europäischen Menschheit. 23. Buch. 15. Kapitel, S. 450. Siehe hierzu auch King: Echoes, S. 171. Das Motiv der in der transatlantischen Welt verwirklichten Freiheit, das mit einer Licht- bzw. Flammenmetapher zum Ausdruck gebracht wird, findet sich ebenso Schubarts Freyheitslied eines Kolonisten und Klopstocks Ode Sie, und nicht wir (G302). Siehe Kapitel II. 218 [Anonym]: Vaterlandslied. 12. Strophe, S. 32 f. [G243].
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Im Nachspiel des aus drei Gesängen bestehenden „Romantische[n] Gedicht[es]“219 Cristoforo Colombo (1836) von Ludwig August Frankl (1810–1894) wird mit folgenden Worten ein Ausblick auf die Zukunft Amerikas geworfen: Und grosse Geister werden einst hier walten Und herrschen wird das Recht, es herrscht der Weise, Das Menschenrecht wird steigen hoch im Preise! Der Ruhm, den sie dir neidend vorenthalten, Er wird in später Zeit dir leuchtend werden: Columbia preist ewig dich auf Erden.220
Die auch im Weltmann und Dichter angedeutete zwangsweise Rekrutierung und Vermietung der eigenen Untertanen als Soldaten an die Briten während des Unabhängigkeitskrieges bildete für viele Beobachter einen direkten Antagonismus zu den von den Patrioten in Nordamerika verfochtenen Menschenrechten.221 Die Amerikanische Revolution postulierte ein natürliches Widerstandsrecht,222 wie auch aus der Unabhängigkeitserklärung hervorgeht. Dort heißt es: But when a long train of abuses and usurpations, pursuing invariably the same object, evinces a design to reduce them under absolute despotism, it is their right, it is their duty, to throw off such government, and to provide new guards for their future security.223
219 Frankl: Christoforo Colombo, S. [Titelblatt]. 220 Ebd., S. 85. Siehe hierzu auch Weber: America, S. 99 f. 221 Eine apologetische Position nahm dagegen Wekhrlin ein, der in seiner Zeitschrift Chronologen die Ansicht vertrat, dass viele Kritiker die zeitgenössischen politischen Vorgänge mit zweierlei Maß bewerten würden. Er verglich die Ereignisse um die Subsidientruppen mit den Kreuzzügen und kam zu dem Ergebnis: „Als sich Legionen Europäer von einem Pfaffen und einigen Edelleuten geduldig nach Asien treiben ließen, um ein eben so lächerliches als grausames Kriegsspiel für eine eingebildete Reliquie auszuführen: wo war das Menschrecht? Unterdeß beschwert sich die Geschichte über diesen Fall, gegen welchem der Kreuzzug der Deutschen nach Amerika, in Vergleichung gestellt, noch in unendlich vortheilhafterm Licht erscheint, nirgends.“ Wekhrlin (Hg.): Chronologen 12 (1781), S. 43. 222 Das Verhältnis von Menschen- und Widerstandsrecht kommentierte Christoph Enders folgendermaßen: „Fragt man nach der Möglichkeit einer unmittelbar-eigenständigen, vor-positiven Begründung des Rechts der Menschen, einer Begründung also, die nicht an historisch vorgegebene und zufällige Fakten wie Rechtsgebräuche oder zeitlich-willkürliche Festlegung anknüpft, stößt man unweigerlich auf das Widerstandsrecht.“ Enders: Menschenrecht, S. 9. Zum Widerstandsrecht siehe auch ebd., S. 9–11. 223 „Aber wenn eine lange Reihe von Mißbräuchen und Übergriffen, die ausnahmslos das gleiche Ziel verfolgen, die Absicht deutlich werden läßt, das Volk unumschränktem Despotismus zu unterwerfen, so ist es sein Recht wie auch seine Pflicht, eine solche Regierung zu beseitigen und durch neue schützende Einrichtungen für seine künftige Sicherheit Vorsorge zu treffen.“ In
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Die Unabhängigkeitserklärung brachte das Widerstandsrecht mit dem Naturrecht in Verbindung und berief sich auf „the laws of nature and of nature’s God“224. In der Forschung hielt Justus Hashagen diesbezüglich fest: Die naturrechtlich begründete Lehre von den Menschenrechten war ebenso einfach wie massiv. […] So formulierten die Revolutionäre ihre Rechte nicht nur als englische oder amerikanische Volksrechte, sondern mit Hilfe des Naturrechts ganz allgemein als Menschenrechte.225
Ein Selbstverteidigungsrecht in Verbindung mit dem Naturrecht ist in Europa von dem Rechtsgelehrten und Kameralisten Johann Heinrich Gottlob von Justi (1717/20–1771)226 in seiner 1760 zum ersten Mal publizierten Schrift Natur und Wesen des Staaten als die Quelle aller Regierungswissenschaften und Gesezze formuliert und mit dem „Menschheitsrecht“ in Verbindung gebracht worden. In dem dritten, „Von denen natürlichen Gesetzen“ titulierten Abschnitt des 8. Hauptstückes vertrat er die Position: Die Vertheidigung sein selbst ist demnach die unmittelbarste Folge aus diesem ersten und höchsten Gesetz des natürlichen Rechts: und kein Gesetzgeber in der Welt ist befugt, dieselben zu verbieten, oder zum Verbrechen zu rechnen; ohne wider die Natur des Menschen und die unstreitigen Rechte der Menschheit sich zum grausamen Tyrannen aufzuwerfen.227
Justi spannte den historischen Bogen bis in die griechische Vergangenheit und kontrastierte die Zustände der Antike mit dem Naturrecht:228
Congress, July 4, 1776. A Declaration by the Representatives of the United States of America, in General Congress Assembled, S. 146 (Übersetzung: Sautter, S. 149). Siehe hierzu auch Brunkhorst: Amerikanische Unabhängigkeitserklärung, S. 94. 224 In Congress, July 4, 1776. A Declaration by the Representatives of the United States of America, in General Congress Assembled, S. [145]. Siehe hierzu auch Brunkhorst: Amerikanische Unabhängigkeitserklärung, S. 92 f. Auch in dem bereits zitierten ersten Artikel der Virginia Declaration of Rights wird auf die Natur als die Quelle für die Legitimation der darin postulierten Rechte verwiesen: „[…] [A]ll men are by nature equally free and independent […].“ The Virginia Bill of Rights. 12. 6. 1776, S. 149. 225 Hashagen: Entstehungsgeschichte, S. 152. Siehe auch ebd., S. 152–158. 226 Zur Biografie und zum Werk Justis siehe Biesterfeld: Justi, S. 222; Dittrich: Justi, S. 707–709; Reinert: Johann Heinrich Gottlob von Justi, S. 33–74. 227 Justi: Natur und Wesen der Staaten. 8. Hauptstück. 3. Abschnitt. § 192, S. 425. Siehe hierzu auch Schmale: 18. Jahrhundert, S. 76; Schmidt am Busch: Kameralistik, S. 20–22. 228 Bezüglich der Verbindung von Menschen- und Naturrecht hat Christoph Good darauf hingewiesen, dass der Ausdruck „Menschenrechte“ im 18. Jahrhundert häufig synonym zu „natürliche Rechte“ verwendet wurde. Siehe Good: Menschenrechte, S. 18. Ähnlich notierte
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Die meisten Gesetzgeber der alten griechischen Republiken müssen demnach von der Natur des Menschen und dem Rechte der Natur einen überaus schlechten Begriff gehabt haben, da sie den Sklaven unter denen erschrecklichen Strafen verboten, sich gegen einen Bürger zu vertheidigen.229
Dem Vorwurf des Dichters, der seine Forderung nach Authentizität und Natürlichkeit deutlich zum Ausdruck bringt (s. o.) und der Ansicht ist, dass der Weltmann durch die Zwangsvermietung von Untertanen an die britische Regierung gegen die Menschheit verstoßen hat, was dieser gar nicht in Abrede stellt, begegnet er seinerseits mit dem Vorwurf der Scheinheiligkeit. Er konfrontiert den Dichter mit der Beobachtung, dass dieser und seine Gleichgesinnten die Methoden der ökonomischen Akteure zwar verurteilten,230 aber doch die von ihnen gehandelten Produkte konsumierten und von dem von ihnen missbilligten Verhalten profitierten. So gibt er zu bedenken:„Indessen genießt Ihr doch, was Euch die Kaufleute zuführen, genießt es durch unsere Vorsorge.“231 Der Weltmann postuliert für seine Entscheidungen den Topos des „notwendigen Übels“ (Malum Necessarium), demnach moralisch eventuell fragwürdige Entscheidungen einer Gruppe von Entscheidungsträgern erforderlich sind, um das Allgemeinwohl der Gesellschaft zu befördern. Er tadelt außerdem die Doppelzüngigkeit der Kritiker, die seiner Meinung nach zwar die Subsidienverträge, nicht aber die tägliche dubiose Anwerbung von Auswanderern als Arbeitskräfte beanstanden. In diesem sog. Redemptionssystem232 konnten sich potentielle Emigranten ihre Überfahrt nach
Wolfgang Schmale: „Die ersten historiographischen Skizzen im ausgehenden 18. Jahrhundert zur Geschichte der Menschenrechte bezogen sich immer wieder auf das Naturrecht.“ Schmale: 18. Jahrhundert, S. 83. Christoph Menke und Arnd Pollmann konstatierten sogar: „Tatsächlich sind die Menschenrechte von Philosophen, Juristen und Theologen bereits seit dem späten 17. Jahrhundert als Kern eines genuin neuzeitlichen ‚Naturrechts‘ formuliert und von den bürgerlichen Revolutionen, des späten 18. Jahrhunderts feierlich proklamiert worden.“ Menke – Pollmann: Philosophie, S. 12. Siehe auch Gallinger: Haltung, S. 10. 229 Justi: Natur und Wesen der Staaten. 8. Hauptstück. 3. Abschnitt. § 192, S. 425. Siehe hierzu auch Schmale: 18. Jahrhundert, S. 76. 230 Das Verhältnis zwischen einem Kaufmann und seinem Gewissen beschreibt der Weltmann mit den Worten: „Ja das Gewissen – das ist das Ding, welches den Kaufmann plagt!“ Klinger: Der Weltmann und der Dichter. 7. Unterhaltung, S. 128 [305]. 231 Ebd., S. 129 [305]. 232 Das Redemptionssystem war etwa seit den 1720er Jahren bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts verbreitet und stellte eine Art Nachfolgemodell der im 16. und 17. Jahrhundert weithin praktizierten Indentur dar, in der sich Kontraktarbeiter zur Finanzierung ihrer Auswanderung und transatlantischen Überfahrt als sog. Indentured Servants betätigten. Den Angaben von Jürgen Charnitzky und Kathleen Neils Conzen zufolge erreichten möglicherweise die Hälfte bis zwei Drittel aller Auswanderer aus dem deutschsprachigen Raum die Neue Welt durch das Redempti-
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Amerika durch eine mehrjährige Arbeitsverpflichtung in der Neuen Welt unter bereits in der zeitgenössischen Rezeption als ausbeuterisch beschriebenen Konditionen, die Assoziationen zur Sklaverei erweckten,233 verdienen. Gottlieb Mittelberger (1714–1758), der 1750 Heilbronn verlassen hatte, um den Transport einer Orgel nach Philadelphia zu begleiten und 1754 von den in Amerika vorgefundenen Zuständen enttäuscht in seine Heimat zurückgekehrt war, beschrieb den „Redemptionsmarkt“ in der größten nordamerikanischen Stadt folgendermaßen: Der Menschen-Handel auf dem Schiff-Markt geschiehet also: Alle Tage kommen Engelländer, Holländer, und hochteutsche Leute aus der Stadt Philadelphia, und sonsten aller Orten zum Theil sehr weit her […] und gehen auf das neu angekommene Schiff, welches Menschen aus Europa gebracht und fail hat, und suchen sich unter den gesunden Personen die zu ihren Geschäften anständige heraus, und handlen mit denenselben, wie lange sie vor ihre auf sich habende See-Fracht, welche sie gemeiniglich noch ganz schuldig sind, dienen wollen. Wann man nun des Handels eins geworden, so geschiehet es, daß erwachsene Personen für diese Summe nach Beschaffenheit ihrer Stärke und Alter 3. 4. 5. bis 6. Jahre zu dienen sich schriftlich verbinden.234
Pointiert hielt Mittelberger außerdem fest: „Viele Eltern müssen ihre Kinder selbst verhandeln und verkauffen wie das Vieh […].“235
onssystem. Siehe Charnitzky: [Einleitung], S. 28; Conzen: Germans, S. 407. Siehe auch Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 1, S. 31 f. In zeitgenössischen deutsch-amerikanischen Zeitungen wurden immer wieder Anzeigen veröffentlicht, in denen die Dienste von Redemptionisten angeboten wurden. 1762 gab beispielsweise eine Anzeige im Philadelphischen Staatsboten bekannt: „Zu Verkaufen / Eine Deutsche verbundene Dienstmagd, welche auf ihren Dienstbrief noch 3 Jahr und 3 Monat zu dienen hat. Sie hält sich jetzo im Philadelphischen Zuchthaus auf. Sie soll aber mit meinem Wissen und Willen an niemand der in oder nahe bey der Stadt wohnt verkauft werden […]. Wer Lust hat die Magd zu kaufen, kan sich befragen bey dem Aufseher im Zuchthaus oder [bey] mir Ludwig Weiß.“ [Anonym]: Zu Verkaufen, S. [3]. Und in einer weiteren, 1764 abgedruckten Werbung konnte man lesen: „Es ist zu Verkaufen Eines Verbundenen Mädgens Dienstzeit. Selbiges ist erst mit einem der letztern Schiffe herein gekommen; ist zwölf und ein halb Jahr alt, und hat sechs Jahre zu stehen. Man kann sich deßwegen bey dem Verleger dieser Zeitung melden.“ [Anonym]: Es ist zu Verkaufen Eines Verbundenen Mädgens Dienstzeit, S. [3]. Zum Redemptionssystem siehe Ludescher: Auswanderung, S. 823 f. (dort auch eine Zusammenstellung weiterführender Literatur). Siehe hierzu außerdem Grabbe: Flut, S. 333–364; Klepp – Grubb – Pfaelzer de Ortiz: General Introduction, S. 13–19 und den vierten Vers der neunten Strophe von G92. 233 Zur Frage der Validität von Mittelbergers „Anti-Emigrationsschrift“ ist auf den entsprechenden Kommentar von Andreas Brinck hinzuweisen, der zu der Ansicht gelangte: „Mittelberger war kein objektiver, durch persönliche Integrität ausgezeichneter Chronist.“ Brinck: Auswanderungswelle, S. 96. Siehe hierzu auch Ludescher: Auswanderung, S. 813 [Anm. 102]. 234 Mittelberger: Reise nach Pennsylvanien im Jahr 1750, S. 82. 235 Ebd., S. 84.
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Auf die negativen Auswüchse des Redemptionssystems weist der Weltmann hin, wenn er kritisiert: Es ist wahr, unser Adel geht rechts und links, bald in Östreichische, bald in Preußische, bald in Französische Dienste; unser Volk läßt sich rechts und links anwerben, geht nach Amerika, – arbeitet dort als selbst verkaufter Sklav, und stirbt gewöhnlich unter der harten Arbeit, bevor es die Ketten bricht, in die sein Herr es für die Auslage eingeschmiedet hat; und da schweigt Ihr alle. Hat doch jeder seinen Willen!236
Die Bezeichnung der Redemption als eine Form von Sklaverei, entspricht der zeitgenössischen Rezeption. So wurde die Redemption teilweise „weiße Sklaverei“ bzw. im englischsprachigen Bereich „white slavery/servitude“ genannt. In Johann Pezzls Roman Faustin oder das philosophische Jahrhundert berichtet der Erzähler über die Ankunft des titelgebenden Protagonisten in New York: Das Schiff gieng erst noch nach Neuyork. Indeß daß alles nöthige eingeschifft ward, sah sich Faustin etwas in der Stadt um, und hörte unvermuthet auf einem Platz ausrufen: ‚Wer Neu angekommene Deutsche kaufen wollen, sollt’ an den Bord des Triston kommen.‘237
Die Reaktionen von Faustin, der selbst im Zuge der Subsidienverträge zwangsrekrutiert worden war, werden folgendermaßen beschrieben: Dieser publizirte Deutschenkauf erwekte in Faustinen auf einmal die Begriffe von Allgier und Guinea wieder, und machte in ihm das Besorgniß rege, ob er nicht etwa selbst mit unter den neu angekommenen Deutschen verstanden sey. Aber seine Guineen flößten ihm bald wieder das Zutrauen und zugleich den Gedanken ein, er könnte wohl selbst ein paar seiner Landsleute kaufen, und die himmlische Wonne schmeken, einen Elenden aus dem Elend gerissen zu haben. Auf dem Weg nach dem Hafen bedacht er sich nochmal ernstlich, ob er nicht etwa unrecht verstanden hätte. Schon der noch immer übliche Sklavenkauf hatte ihm ein ganz abscheulicher Schandflek unsers erleuchteten menschenfreundlichen Jahrhunderts geschienen; auch daß er selbst von einer schelmischen Tochter der Freude, unter dem Pretext eine Kontroverspredigt anzuhören, an die Hessen war verhandelt worden, ärgerte ihn: Aber daß man öffentlich Deutsche verkaufe, dieß konnt’ er mit dem allgemeinen Sieg der Menschheit platterdings nicht kombiniren.238
Der Erzähler greift das Motiv der „verletzten Menschheit“ auf und darüber hinaus auch den Topos, dass irreführende manipulative Berichte potentielle Auswanderer dazu animiert hätten, ihr Glück in der vermeintlich besseren Neuen Welt zu
236 Klinger: Der Weltmann und der Dichter. 7. Unterhaltung, S. 126 [298 f.]. 237 [Pezzl]: Faustin oder das philosophische Jahrhundert, S. 281. 238 Ebd., S. 282.
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suchen. Im Text heißt es: „Durch Vorspiegelungen von einem Schlaraffenlande geäffet, hatten sie sich nach Pensylvanien eingeschifft, konnten die Frachttaxen nicht bezahlen, und mußten sich jezt an den nächsten beßten Herrn verkaufen lassen, der für sie das schuldige Geld auszahlen würde.“239 Von der älteren Forschung ist diese äußerst dramatisch zum Ausdruck gebrachte Wahrnehmung des Redemptionssystems teilweise ungefiltert übernommen worden.240 Die neuere Forschung hat allerdings auf Ambiguitäten aufmerksam gemacht und sich für eine differenziertere Bewertung ausgesprochen. Andreas Brinck gab zu bedenken: „Der Begriff vermittelt […] ein verzerrtes Bild. […] Im Gegensatz zum Sklaven verdingte sich der Redemptioner aus freien Stücken.“241 Helmut Schmahl vertrat sogar die Ansicht: „Die verkauften Einwanderer wurden meist recht gut behandelt […].“242 Der Weltmann bemängelt die stillschweigende Akzeptanz des Redemptionssystems durch die Kritiker der Subsidienverträge. Während er auf das Problem der Überbevölkerung hinweist, hält er fest: Aber sobald man einige Tausende zu einem Zwecke dahin sendet, so jammert Ihr, als bestände alles Heil nur darin, die Menschen hier zusammen zu häufen, und sollten sie sich am Ende auch selbst verzehren, um nur die Überzahl ins Gleichgewicht zu bringen.243
Damit greift der Weltmann in Klingers Roman auch weit verbreitete demografische Vorstellungen auf, wie sie Ende des 18. Jahrhunderts etwa in der einflussreichen Schrift An Essay on the Principle of Population as it affects the Future Improvement of Society (1798) des britischen Ökonomen Thomas Robert Malthus (1766–1834) formuliert wurden, der vor den Gefahren einer Überbevölkerung warnte (sog. Bevölkerungsfalle bzw. Malthusianische Katastrophe).244 Insbesondere aber findet sich in der Aussage des Weltmanns indirekt auch bereits ein entscheiden-
239 Ebd., S. 283. Siehe auch die neunte Strophe von G92. 240 Philipp Losch verwies auf einen „weiße[n] Menschenhandel“ (Losch: Soldatenhandel, S. 27) und Julius Goebel vertrat die Ansicht, dass der Dienst „nicht selten an tatsächliche Sklaverei“ ([Goebel]: Vorbemerkung, S. 13) grenzte. Noch Inge Auerbach sprach von „auf Zeit in die Sklaverei verkauft[en]“ (Auerbach: Hessen, S. 23) Emigranten. 241 Brinck: Auswanderungswelle, S. 243. 242 Schmahl: Nordamerikaauswanderung, S. 15. 243 Klinger: Der Weltmann und der Dichter. 7. Unterhaltung, S. 126 [299]. 244 Zu der vom Merkantilismus geprägten Bevölkerungspolitik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts siehe Fuhrmann: Volksvermehrung, S. 23–71. Zum Bevölkerungsgesetz von Malthus siehe ebd., S. 284–303; Hollander: Economics, S. 13–69; James: Population, S. 61–78; Petersen: Malthus, S. 38–57. Zur Rezeption der demografischen Konzeptionen von Malthus in den deutschen Staaten siehe Fuhrmann: Volksvermehrung, S. 303 ff. Zu Malthus’ Position gegenüber
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des Element der später in der us-amerikanischen Geschichtswissenschaft durch Frederick Jackson Turner popularisierten sog. Sicherheitsventil-These. Turner hatte die in der Forschung höchst umstrittene Behauptung aufgestellt,245 dass durch Überbevölkerung angestauter gesellschaftlicher Druck in den dichter besiedelten östlichen Teilen der USA durch die Westwanderung aufgefangen werden konnte und auf diese Weise in der Geschichte der Vereinigten Staaten soziale Spannungen vermieden hatte.246 In seinem 1893 zum ersten Mal publizierten Aufsatz The Significance of the Frontier in American History postulierte er: „So long as free land exists, the opportunity for a competency exists, and economic power secures political power.“247 W. Stull Holt hat darauf aufmerksam gemacht, dass diese Vorstellung auch bereits Hegels Verständnis von Amerika prägte.248 Er betonte: „[…] Hegel’s description of the empty agricultural frontier as a safety valve in America is one of the earliest statements of that theory and deserves to be noted as such.“249 Hegels Geographische Grundlage der Weltgeschichte in seinen zwischen dem Wintersemester 1822/23 und dem Wintersemester 1830/31 fünf Mal250 gehaltenen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte tangiert auch die sozioökonomischen Zustände in den Vereinigten Staaten.251 Darin gelangte er zu der Ansicht: „In Nordamerika sehen wir das Gedeihen, sowohl durch ein Zunehmen von Industrie und Bevölkerung, durch bürgerliche Ordnung und eine
der Bevölkerungsentwicklung in den Vereinigten Staaten, die sich in dieser Zeit etwa alle 25 Jahre verdoppelte, siehe Hollingsworth: Influence, S. 214; Stapleton: Malthus, S. 24. 245 George R. Woolfolk konstatierte diesbezüglich: The ‚Safety-Valve‘ theory has been, and continues to be, one of the most controversial aspects of the Turner Thesis.“ Woolfolk: Turner’s Safety-Valve, S. 185. 246 Zur Vorstellung der Westwanderung bzw. der Ausbreitung der Vereinigten Staaten über den nordamerikanischen Kontinent siehe insbesondere auch den Kommentar zu G297. 247 Turner: The Significance of the Frontier in American History, S. 32. Zu Turners „Sicherheitsventil-“ bzw. „Safety Valve-These“ siehe insbesondere von Nardroff: American Frontier, S. 123–142. Siehe außerdem auch Ford, Jr.: Frontier Democracy, S. 148, 154–162; Woolfolk: Turner’s Safety-Valve, S. 185–197, bes. S. 185–187; 248 Siehe Holt: Hegel, S. 175 f. Zu Hegels Rezeption und Verständnis von Amerika allgemein siehe Avineri: Hegel’s Theory, S. 7, 43 [Anm. 27], 135 [Anm. 6], 236 f.; Bosteels: Hegel in America, S. 68–71; Gollwitzer: Europabild, S. 212–214; Kelly: Hegel’s America, S. 3–36, bes. S. 6 ff.; Seelmann: Weltgeschichte, S. 91. 249 Holt: Hegel, S. 175. 250 Vgl. Grossmann: Hegel, S. 51; Hoffmeister: Vorbemerkungen, S. VII. 251 Zu Hegels Geschichtsverständnis siehe auch Bautz: Hegels Lehre, passim; Köhler: Geschichtsbegriff, S. 35–47; Lasson: Hegel, S. 28 ff.; Löwith: Hegel, S. 44 ff.; Maier: Gestalt, S. 15–33; Renggli: Philosophie, S. 40–63; Seelmann: Weltgeschichte, S. 6 ff.
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feste Freiheit […].“252 Hegel bezeichnete Amerika als „das Land ohne Vergangenheit“253 bzw. in der später vielzitierten Wendung als „das Land der Zukunft“254 und verwies auf „die Träume, die sich an sie knüpfen können“255. Der besondere Rang der Neuen Welt innerhalb Hegels Geschichtsmodell wird im Kontext noch deutlicher hervorgehoben: „Amerika ist somit das Land der Zukunft, in welchem sich in vor uns liegenden Zeiten […] die weltgeschichtliche Wichtigkeit offenbaren soll; es ist ein Land der Sehnsucht für alle die, welche die historische Rüstkammer des alten Europa langweilt.“256 Der Philosoph konstatierte die politischen Unterschiede beiderseits des Atlantiks und schlussfolgerte: „Vergleichen wir Nordamerika noch mit Europa, so finden wir dort das perennierende Beispiel einer republikanischen Verfassung.“257 Hegel ging erneut auch auf die Migration ein und macht deutlich, dass sich engagierten und motivierten europäischen Auswanderern, die im soziopolitischen System Europas keine Verwirklichungsform finden konnten, die Neue Welt als eine sinnvolle Alternative präsentierte: „[…] [F] ür die, welche anstrengend arbeiten wollen und in Europa die Quellen dazu nicht fanden, ist in Amerika allerdings ein Schauplatz eröffnet.“258 Analog zu Turners späterer „Sicherheitsventil-These“ und gewissermaßen auch zum Weltmann artikulierte Hegel die Möglichkeit der Westwanderung, um einen durch Überbevölkerung hervorgerufenen Druck sozialer Spannungen abzubauen: 252 Hegel: Geographische Grundlage der Weltgeschichte, S. 109. Siehe auch ebd., S. 111.Demgegenüber wies Thomas Albert Howard darauf hin, dass sich Hegel zu den gesellschaftlichen Zuständen in Amerika teilweise auch kritisch äußerte. Howard gelangte sogar zu dem Schluss: „[…] [M]ost of his remarks on the actual state of American society were highly derisive and critical.“ Howard: God and the Atlantic, S. 103. Die demografische Expansion der transatlantischen Welt prognostizierte bereits Wekhrlin 1781 in seinem „periodischen Werk“ Chronologen. In Bezug auf Amerika heißt es dort u. a.: „Im Besitz einer unermeßlichen, von der Natur begünstigten Erdfläche wird dieser Welttheil ohne Mühe seine Bevölkerung ausdehnen.“ Wekhrlin (Hg.): Chronologen 11 (1781), S. 31. 253 Hegel: Geographische Grundlage der Weltgeschichte, S. 144. Siehe hierzu auch Punt: Idee der Menschenrechte, S. 125. 254 Hegel: Geographische Grundlage der Weltgeschichte, S. 114. Siehe auch Avineri: Hegel’s Theory, S. 236; Grossmann: Hegel, S. 67. Siehe außerdem Kelly: Hegel’s America, S. 3; Ottmann: Individuum, S. 293. Bruno Bosteels unterstrich, dass Hegels Kennzeichnung Amerikas als das Land der Zukunft u. a. vom spanischen Philosophen José Ortega y Gasset (1883–1955) aufgegriffen und tradiert wurde. Siehe Bosteels: Hegel in America, S. 68. 255 Hegel: Geographische Grundlage der Weltgeschichte, S. 115. 256 Ebd., S. 114. Hegel brachte zuvor bereits den Topos der Novität mit den vergleichsweise erst spät entdeckten „neuen“ Kontinenten Amerika und Australien in Verbindung und vertrat die Ansicht: „[…] [D]iese Weltteile sind nicht nur relativ neu, sondern überhaupt neu, in Ansehung ihrer ganzen physischen und geistigen Beschaffenheit.“ Ebd., S. 107. 257 Ebd., S. 112. 258 Ebd., S. 109.
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[…] Amerika […] hat unaufhörlich den Ausweg der Kolonisation in hohem Grade offen, und es strömen beständig eine Menge Menschen in die Ebenen des Mississippi. Durch dieses Mittel ist die Hauptquelle der Unzufriedenheit geschwunden, und das Fortbestehen des jetzigen bürgerlichen Zustandes wird verbürgt.259
Die Option der Westbewegung kennzeichnete daher auch für Hegel einen spezifisch amerikanischen Wesenszug, der an die besondere geografische Situation der Vereinigten Staaten gebunden und nicht auf Europa übertragbar war. Aus diesem Grund erübrigte sich, wie er feststellte, eine Komparation der Verhältnisse in der Alten und Neuen Welt: „Eine Vergleichung der nordamerikanischen Freistaaten mit europäischen Ländern ist daher unmöglich, denn in Europa ist ein solcher natürlicher Abfluß der Bevölkerung, trotz aller Auswanderungen, nicht vorhanden[.]“260 Der Philosoph ging sogar so weit zu behaupten, dass die Französische Revolution hätte verhindert werden können, wenn die Möglichkeit der Auswanderung nach Osten zum Abbau des sozialen Druckes und des Revolutionspotenzials in Frankreich gegeben gewesen wäre. Er erklärte: „[…] [H]ätten die Wälder Germaniens noch existiert, so wäre freilich die Französische Revolution nicht ins Leben getreten.“261 Hegel akzentuierte daher noch einmal den Unterschied zwischen beiden geografischen Räumen, der sich für ihn insbesondere in der scheinbar grenzenlosen Weite Amerikas zeigte und gelangte zu dem Schluss: Mit Europa könnte Nordamerika erst verglichen werden, wenn der unermeßliche Raum, den dieser Staat darbietet, ausgefüllt und die bürgerliche Gesellschaft in sich zurückgedrängt wäre. Nordamerika ist noch auf dem Standpunkt, das Land anzubauen.262
Solche Überlegungen zu einer möglichen Überbevölkerung und sich hieraus ergebender sozialer Spannungen und Probleme scheinen auch hinter den Motiven des Weltmanns zu stehen, wenn er angibt, dass ohne den Abschluss der Verträge über die Bereitstellung von 2.000 Untertanen „einige tausend Müßiggänger hier umsonst ernährt“263 werden müssten. Dennoch weist der Weltmann die Verantwortung für die Ereignisse nicht ganz von sich und erläutert seine Rolle beim Zustandekommen der Verträge, das auf ökonomische Grundlagen zurückzuführen ist, folgendermaßen:
259 Ebd., S. 113. 260 Ebd. 261 Ebd. 262 Ebd., S. 113 f. 263 Klinger: Der Weltmann und der Dichter. 7. Unterhaltung, S. 126 [298].
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An allem diesen bin nur ich Schuld; denn hätte ich eine gewisse Ehe nicht gestiftet, so würde eine geistreiche, muntere Prinzessin unsern Hof nicht über die Gebühr belebt haben – Die Lücke wäre wahrscheinlich in der Kasse nicht entstanden – Wir hätten die zweytausend Mann an die Engländer nicht verkauft, Dein Freund wäre am Ohiostrom nicht skalpirt worden […].264
In Klingers Dialogroman wird damit das verbreitete Motiv des seine Landeskinder verkaufenden Landesherren aufgegriffen, der den finanziellen Ertrag seiner Subsidienverträge einer Vertreterin des fürstlichen Hofes zugutekommen lässt. Es handelt sich hierbei um ein Motiv, das in prominentester Weise wohl in Schillers bürgerlichen Trauerspiel Kabale und Liebe265 (1784) aufgegriffen wurde. In der sog. Kammerdienerszene (II,2)266 heißt es über die Finanzierung des Schmuckes, den der Herzog Lady Milford schenkt: Kammerdiener. Seine Durchlaucht der Herzog empfehlen Sich Milady zu Gnaden, und schicken Ihnen diese Brillanten zur Hochzeit. Sie kommen so eben erst aus Venedig. Lady. hat das Kästgen geöffnet und fährt erschrocken zurück: Mensch! was bezahlt dein Herzog für diese Steine? Kammerdiener. mit finsterem Gesicht: Sie kosten ihn keinen Heller. Lady. Was? Bist du rasend? Nichts. – und indem sie einen Schritt von ihm weg tritt du wirfst mir ja einen Blick zu, als wenn du mich durchbohren wolltest – Nichts kosten ihn diese unermeßlich kostbaren Steine? Kammerdiener. Gestern sind siebentausend Landskinder nach Amerika fort – Die zahlen alles.267
264 Ebd., S. 124 [294]. 265 Zu Schillers Beschäftigung mit Amerika in poetischer Form siehe auch G88, G345, G364, G365 und insbesondere den Kommentar zu G87. 266 Peter Lahnstein kommentierte die Wirkungsintensität der Szene mit den Worten: „Die zweite Szene des zweiten Aktes ist vielleicht die stärkste in unserem Trauerspiel.“ Lahnstein: Bürger und Poet, S. 76. Auch Henry Safford King meinte: „The sharpest expression of revolt against the bartering of soldiers is probably to be found in Schiller’s intense scene in Kabale und Liebe[.]“ King: Echoes, S. 179. Und Irmgard Egger vertrat die Meinung, dass Schillers „Kammerdienerszene“ „wohl einer seiner revolutionärsten Texte überhaupt“ (Egger: Landskinder, S. 223) sei. Zu der Szene und der Anspielung auf die Subsidienverträge siehe auch Atwood: Hessians, S. 229; Auerbach: Hessen, S. 12; Biedermann: Deutschland. Bd. 1, S. 200 f.; Breffka: Amerika, S. 6; Bretting: Bibel, Pflug und Büchse, S. 147; Carruth: Schiller, S. 133; Desczyk: Amerika, S. 34; Eberhardt: Seume und Münchhausen, S. 17; Florer: Schiller’s Conception, S. 104; Goebel: Amerika in der deutschen Dichtung, S. 113; Hatfield – Hochbaum: Influence, S. 374; Herre: Amerikanische Revolution, S. 172; Herz: USA, S. 47; Horner (Hg.): Untergang, S. 248; Kapp: Soldatenhandel, S. 200; King: Echoes, S. 82–84; Reinhart: Kommentar, S. 647; Rosengarten: American History, S. 59. Siehe auch G120 und den Kommentar zu G87. 267 Schiller: Kabale und Liebe. 2. Akt. 2. Szene, S. 590 [Erstausgabe]. Die wichtigste Veränderung innerhalb des eben zitierten Auszuges, die Schiller in der Bühnenfassung gegenüber der
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Der Vorwurf, dass der finanzielle Ertrag aus den Subsidienverträgen zur Aufrechterhaltung des hedonistischen luxuriösen höfischen Lebens verwendet wird, stellte einen Topos dar und erscheint auch in der 1783 anonym von Carl Cist (= Charles Jacob Sigismund Thiel) in Philadelphia gedruckten prorevolutionären Schrift, in der die aus den deutschen Staaten stammenden Subsidientruppen zur Desertation aufgerufen wurden.268 Unter Verwendung des Bildes der „verkauften Landeskinder“ heißt es dort u. a.: Verlaßt ein solches Scheusal, das sich Vater seines Volks nennet, und in dem Augenblick, wenn ihm jemand 100 oder 150 Thaler gibt, seinem Kinde die Hände bindet, es selbst zur Schlachtbank führet, und ruhiglich zusiehet, daß ihm die Gurgel abgeschnitten wird, und welcher noch über das mit dem Blute von mehr dann 5000 unschuldiger Landes-Kinder, auf seiner Seele haftend, ruhig schlafen, und mit diesem höllischen Blutgeld, nebst seinem Hof- und andern Creaturen in allen teufelischen Wollüsten schwelgen kan.269
Im Weltmann und der Dichter ist es auffällig, dass die ethisch-moralische Verantwortung für den sog. Soldatenhandel beiden an den Subsidienverträgen partizipierenden Parteien zugesprochen wird und nicht alleine die deutschen Territorialfürsten, die sich zur militärischen Bereitstellung ihrer Untertanen verpflichtet haben, für ihr Fehlverhalten kritisiert werden. Die moralische Integrität der Briten, die Truppen in den deutschsprachigen Staaten anwerben wollen, wird ebenso infrage gestellt.270 Der Dichter tadelt: „[…] [T]heuer bezahlt der Engländer Teutsches Blut – je schwerer das Gold ist, das er gibt, desto leichter fühlt er sein Gewissen.“271 Dieser Aussage entspricht eine Anglophobie, die bereits in der Geschichte eines Teutschen latent spürbar ist und im Weltmann und Dichter sogar explizit zum Ausdruck gebracht wird. Selbst der Weltmann, der die Verträge mit
Erstausgabe vorgenommen hat, ist die Streichung des zweimal realisierten Lexems „Herzog“ zugunsten hierarchisch weniger exakter Bezeichnungen. In der Bühnenfassung sprechen der Kammerdiener und Lady Milford vom Souverän als „Durchlaucht“ bzw. „dein Fürst“. Siehe zum Vergleich Schiller: Kabale und Liebe. 2. Akt. 2. Szene, S. 707 [Bühnenfassung]. Die Frage nach dem Verhältnis von Realität und Fiktion in Schillers Darstellung der Dekadenz des höfischen Lebens beantworte Ulrich Karthaus mit den Worten: „Schillers Darstellung in Kabale und Liebe übertreibt mit keinem Wort, sie bleibt eher hinter der Wirklichkeit zurück.“ Karthaus: Nachwort, S. 176. Zum Quellenwert des Dramas siehe auch Kuby: Die Deutschen, S. 57. Zu Schillers Positionierung gegenüber den Subsidienverträgen siehe [Goebel]: Vorbemerkung, S. 10. 268 [Karl Friedrich Führer]: Wahrheit und Guter Rath, an die Einwohner Deutschlands, besonders in Hessen. Philadelphia 1783. Zu der Schrift siehe Kapitel III.9. Siehe auch G154. 269 [Führer]: Wahrheit und Guter Rath, an die Einwohner Deutschlands, besonders in Hessen, S. 30. 270 Siehe hierzu auch Geerdts: Romane, S. 469. 271 Klinger: Der Weltmann und der Dichter. 7. Unterhaltung, S. 128 [304 f.].
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den Briten ausgehandelt hat, bekennt: „Die Engländer – die gefielen mir nicht.“272 Der Dichter lässt sich sogar zu der Aussage hinreißen: „Ich hasse sie.“273 Wie bereits in Klingers vorhergehenden Roman wird Amerika im Weltmann und Dichter nur am Rande zum Gegenstand der Handlung bzw. der Dialoge. Die Bedeutung der Neuen Welt erschöpft sich hier in seiner historischen Rolle im Zusammenhang mit den Subsidienverträgen. Indirekte Verbindungen zu den geschichtlichen Vorgängen werden in Klingers Dialogroman allerdings durch die gemeinsame Erwähnung der im 17. bzw. 18. Jahrhundert breit rezipierten Philosophen James Harrington (1611–1677), Algernon Sidney (1623–1683), John Locke (1632–1704) und Montesquieu274 hergestellt, deren staatstheoretische Schriften einen zentralen Einfluss auf das politische Selbstverständnis und die Legitimation der Unabhängigkeitsbestrebungen der Kolonien vom britischen Mutterland ausübten.275 Die Bedeutung Harringtons etwa für die politischen Ideen der Amerikanische Revolution kommentierte Hugh Francis Russell Smith mit den Worten: „As one of the small band of liberal und republican authors, whom the Americans studied, he helped produce the atmosphere of republicanism, in which independence was declared.“276 Diese Bewertung stützt sich nicht zuletzt darauf, dass sich führende intellektuelle Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung immer wieder auf den englischen Philosophen beriefen. Im ersten seiner zwölf sog. Novanglus-Aufsätze machte beispielsweise John Adams deutlich: „These are what we are called revolution principles. They are the principles of Aristotle and Plato, of Livy and Cicero, and Sydney, Harrington and Locke. The principles of nature and eternal reason.“277 In einem im Mai 1776 an den späteren Gouverneur von Massachusetts, James Sullivan (1744–1808), verfassten Brief berief sich Adams in der Frage nach dem Verhältnis von Macht und Eigentum erneut auf den eng-
272 Ebd. [303]. 273 Ebd. In der achten Unterhaltung spricht der Weltmann gegenüber dem Dichter von den „Engländern, die Du hassest, und die ich nicht zu lieben Ursache finde“ (Ebd. 8. Unterhaltung, S. 135 [318]). 274 Ebd. 2. Unterhaltung, S. 32 f. [68]. Das Verhältnis des Einflusses der englischen Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts auf Amerika beschrieb Bernard Bailyn folgendermaßen: „The colonies identified themselves with these seventeenth-century heroes of liberty: but they felt closer to the early eighteenth-century writers who modified and enlarged this earlier body of ideas, fused it into a whole with other, contemporary strains of thought, and above all, applied it to the problems of eighteenth-century English politics.“ Bailyn: Ideological Origins, S. 35. Siehe auch Rohls: Geschichte, S. 405; Wellenreuther: Ausbildung, S. 576, 602. 275 Siehe hierzu z. B. Wellenreuther: Chaos, S. 128, 370. 276 Smith: Harrington, S. 189. Gleichzeitig machte Smith aber deutlich: „His influence on American institutions is, however, also definite.“ Smith: Harrington, S. 189. 277 John Adams: Novanglus. Nr. 1. 23. 1. 1775. In: Jensen: Tracts, S. 301.
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lischen Philosophen: „Harrington has shown that power always follows property. This I believe to be as infallible a maxim in politics, as that action and reaction are equal, is in mechanics.“278 Auch der aus Pennsylvania stammende Mediziner, einflussreiche Gelehrte und Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung Benjamin Rush (1746–1813) führte in seiner 1777 anonym erschienenen Schrift Observations Upon the Present Government of Pennsylvania eine Reihe bedeutender Philosophen, darunter Harrington, als wichtige Autoritäten an. In dem Text heißt es: […] Montesquieu---Harrington---Milton---Addison---Price---Bolingbroke, and others, the wisest statesmen, and the greatest friends to Liberty in the world, have left testimonies upon record of the extreme folly and danger of a people’s being governed by a single legislature.279
Algernon Sidneys philosophische Texte fanden in der Neuen Welt ebenfalls einen breiten Widerhall, wie Bailyn hervorhob. Unter Verweis auf Caroline Robbins bezeichnete er Sidneys 1698 gedruckte Discourses Concerning Government als „a ‚textbook of revolution ‘“280. 1825 hob bereits Thomas Jefferson die Bedeutung der Werke von Locke und Sidney in einem Beschluss der University of Virginia mit den Worten hervor: Resolved, that it is the opinion of this Board that as to the general principles of liberty and the rights of man, in nature and in society, the doctrines of Locke, in his „Essay concerning the true original extent and end of civil government,“ and of Sidney in his „Discourses on government,“ may be considered as those generally approved by our fellow citizens of this, and the United States […].281
Erst 1793, und damit nur wenige Jahre vor der Veröffentlichung von Klingers Weltmann und Dichter war eine aktuelle, von Christian Daniel Erhard (1759–1813)282 herausgegebene Übersetzung von Sidneys Discourses Concerning Government
278 John Adams an James Sullivan. 26. 5. 1776. In: Adams: Works, S. 376. Siehe hierzu auch Adams: Republikanische Verfassung, S. 216; Smith: Harrington, S. 186–199; Wellenreuther: Chaos, S. 563. 279 [Rush]: Observations Upon the Present Government of Pennsylvania. Letter 2, S. 6. Außerdem bemerkte Rush: „Mr. Locke is an oracle as to the principles, Harrington and Montesquieu are oracles as to the forms of government.“ [Rush]: Observations Upon the Present Government of Pennsylvania. Letter 3, S. 20. Siehe hierzu auch Adams: Republikanische Verfassung, S. 113. Zum Einfluss Harringtons auf die britischen Kolonien in Nordamerika siehe auch Adams: Republikanische Verfassung, S. 215 f., 221, 255; Smith: Harrington, S. 185–200. 280 Bailyn: Ideological Origins, S. 35. 281 Jefferson: From the Minutes of the Board of Visitors, University of Virginia, 1822–1825. 4. 3. 1825, S. 479. 282 Zur Biografie Erhards siehe Steffenhagen: Erhard, S. 177.
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mit dem Titel Betrachtungen über die Regierungsformen in Leipzig, dem späteren Druckort von Klingers Dialogroman, erschienen.283 Neben Harrington und Sidney ist es vor allem aber John Locke gewesen, der eine kaum zu überschätzende Wirkung auf die theoretische politische Fundierung der Amerikanischen Revolution ausübte. In einer kaum zu erfassenden Fülle hat die Forschung den Zusammenhang zwischen seinen philosophischen Schriften und den politischen Entwicklungen in den Kolonien emphatisch unterstrichen. So erklärte z. B. Carl Lotus Becker: „Most Americans had absorbed Locke’s works as a kind of political gospel; and the Declaration, in its form, its phraseology, follows closely certain sentences in Locke’s second treatise on government.“284 Mit Montesquieu hat Klinger schließlich den Namen eines weiteren wichtigen Vertreters staatstheoretischer Schriften, die einen starken Einfluss auf die Führungspersönlichkeiten der Amerikanischen Revolution ausübten, evoziert. Im Zusammenhang mit der Stellung Lockes in Amerika fasste Smith zusammen: „With the constructive part of the revolution the name of Locke gave way to that of Montesquieu.“285 Im Weltmann und Dichter werden die Namen wichtiger geistiger Vordenker der Aufklärung artikuliert, deren Schriften die ideologischen Grundlagen der Amerikanischen Revolution bildeten.286 Dennoch bleibt der Dialogroman in der geografischen Bestimmung des nordamerikanischen Kontinents, wie bereits in der Geschichte eines Teutschen, sehr vage. Lediglich durch die Nennung des Ohio River, an dem die amerikanischen Ureinwohner, die als „Wilde“287 bezeichnet werden, verortet sind, wird die Neue Welt geografisch konkret fassbar (Abb. 50). Im Gegensatz zu Klingers vorhergehenden Roman (s. o.) manifestiert sich in den nur peripher tangierten Indianern im Weltmann und Dichter nicht die positiv besetzte Vorstellung der „Edlen Wilden“, sondern das gegenteilige Konzept der
283 Algernon Sidney: Betrachtungen über die Regierungsformen. Hg. von Christian Daniel Erhard. 2 Bde. Übers. Leipzig 1793. Erhard bezeichnete den englischen Philosophen in der Vorrede als „edlen Vertheidiger[] der Brittischen Freyheit“. Erhard: Vorrede zur deutschen Ausgabe, S. XI. 284 Becker: Declaration of Independence, S. 27. Siehe z. B. Oestreich: Geschichte, S. 62; Smith: Harrington, S. 185 f.; Wolgast: Geschichte, S. 35. 285 Smith: Harrington, S. 189. 286 Zu den ideologischen Ursprüngen der Revolution in Amerika im Allgemeinen siehe insbesondere die grundlegende Arbeit von Bernard Bailyn. Bailyn: Ideological Origins, S. 22–54. Siehe außerdem auch Howard: Grundlegung, S. 123 ff.; Kramnick: Ideological background, S. 88–93; Morgan: Debate, S. 132 ff. Zur Bedeutung aufklärerischer Gedanken für die sich infolge der Amerikanischen Revolution herausbildenden Verfassungsstrukturen siehe auch Berman: Impact, S. 321–334. 287 Siehe Klinger: Der Weltmann und der Dichter. 1. Unterhaltung, S. 11 [15].
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grausamen unbarmherzigen Kämpfer, die ihre Feinde skalpieren. So berichtet der Dichter über das Schicksal des gemeinsamen Schulfreundes „Karl von F***“, der im Zuge der Subsidienverträge nach Amerika reiste: „Er ward am Ohio-Strom von den Wilden skalpirt.“288 Der Dichter ist von diesem Ereignis besonders intensiv betroffen, da er sich im Folgenden um das zurückgebliebene Waisenkind seines Freundes gekümmert hat. In der siebten Unterhaltung wiederholt er daher mit Bedauern: „Ach, meiner Waysen Vater, mein Freund, war dort skalpirt!“289 Auch der Weltmann ergänzt mit Anteilnahme, die den Leser möglicherweise überrascht: „Leider ward er es […].“290 Dennoch erkennt er in den negativen Ereignissen einen positiven Aspekt, da ansonsten die Tochter des Ermordeten, seiner Meinung nach den Dichter nicht zu seiner literarischen Produktion inspiriert hätte. Er erklärt: […] [S]eine Tochter hätte Dich nicht begeistert – das Publikum hätte von Dir Werke von ganz anderm Schlage gelesen – was noch mehr ist, Du wärst vielleicht ein ganz anderer Mann – Deine erhabene Theorie der Dichtkunst wäre später, vielleicht nie, in Dir erwacht – Entsprang sie nicht unter den Sorgen, die dem Genius die Waysen machten?291
Der Weltmann prononciert die Ironie der Ereignisse sowie seine Rolle bei der Entfaltung der literarischen Qualitäten des Dichters und gelangt konsekutiv zu dem Schluss: „So wäre also ich die entfernte Ursache dieser Theorie gewesen, und der Dichter wäre dem Weltmann gar das schönste Kleinod seines Lebens schuldig […].“292
288 Ebd., S. 10 f. [15]. 289 Ebd. 7. Unterhaltung, S. 124 [293]. 290 Ebd. 291 Ebd., S. 124 f. [294]. 292 Ebd. [294 f.].
VI „[W]ir müssen […] [den Krieg] nützen, wenn er da ist.“ Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg als soziale Aufstiegschance in der zeitgenössischen Amerikaliteratur und in Jakob Michael Reinhold Lenz’ (1751–1792) Wertheriade Der Waldbruder (1776 [ED. 1797]) 1 Rothe = Goethe und Herz = Lenz? Fiktionale Figuren und ihre historischen Vorlagen in Lenz’ Waldbruder Wie bei Friedrich Maximilian Klinger ist auch bei Jakob Michael Reinhold Lenz1 hervorgehoben worden, dass persönliche Erfahrungen und Erlebnisse immer wieder einen literarischen Niederschlag in seinen fiktionalen Werken gefunden haben. Die Forschung hat zahlreiche Parallelen zwischen der Biografie des Autors und dem in seinen poetischen Texten beschriebenen Werdegang seiner fiktiven Figuren konstatiert.2 Die Validität dieser Beobachtung ist gerade auch für den 1776 von Lenz verfassten, aber erst 1797 postum unter dem Titel Der Waldbruder, ein Pendant zu Werthers Leiden3 in Schillers Zeitschrift Die Horen publizierten Briefroman4
1 Zu der Biografie und den literarischen Werken von Lenz siehe Winter: Lenz, S. 336–340. 2 Siehe Karthaus – Manß (Mitarb.): Sturm und Drang, S. 110. 3 Jakob Michael Reinhold Lenz: Der Waldbruder, ein Pendant zu Werthers Leiden. In: Friedrich Schiller (Hg.): Die Horen 3 (1797). 10. Band. 4. Stück, S. 85–102; 5. Stück, S. 1–30. Im Folgenden zitiert nach der Ausgabe [Jakob Michael Reinhold] Lenz: Der Waldbruder, ein Pendant zu Werthers Leiden. In: Ders.: Werke (Reclams Universal-Bibliothek. Bd. 8755). Hg. von Friedrich Voit. Stuttgart 1992, S. 293–330. 4 Damit erschien der Text zu einem Zeitpunkt, als das Bewusstsein um das poetische Schaffen von Lenz bereits weitgehend aus dem kollektiven literarischen Gedächtnis getreten war. Zur Bedeutung von Briefen im literarischen Werk von Lenz, wie beispielsweise in seinen Dramen Die Soldaten (1776) und Der Hofmeister (1776) siehe Heine: Waldbruder, S. 184. Im Waldbruder findet sich ein Briefkommentar, der möglicherweise auch autoreferentiell poetologisch gelesen werden kann. So teilt Honesta in einer Nachricht an Pfarrer Claudius mit: „Sie wollen das Schicksal des armen Herz wissen und was ihn zu einem so schleunigen und seltsamen Entschluß als der ist nach Amerika zu gehen, hat bewegen können. Lieber Pfarrer, um das zu beantworten muß ich wieder zurückgehn und eine ziemlich weitläuftige Erzählung anfangen die mir, da ich so gern Briefe schreibe, ein sehr angenehmer Zeitvertreib ist.“ Honesta an Pfarrer Claudius. 3. Teil. 1. Brief. In: Lenz: Der Waldbruder, S. 316. https://doi.org/10.1515/9783110644739-006
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VI Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg als soziale Aufstiegschance
geltend gemacht worden,5 der als die „reifste unter Lenzens Prosadichtungen“6 bezeichnet wurde. Die Einarbeitung biografischer Elemente in den poetischen Text wird insbesondere daran deutlich, dass viele fiktionale Figuren im Waldbruder historische Vorbilder haben, die zum sozialen Umfeld von Lenz gehörten (Abb. 51).7 Das Modell für Rothe ist in Goethe,8 das Muster für die vom „Waldbruder“ Herz angebetete Gräfin Stella in der elsässischen Landadeligen Henriette Waldner von Freundstein (Henriette von Oberkirch; 1754–1803) erkannt worden.9 Ihr gegenüber verspürte Lenz eine intensive emotionale Zuneigung romantischer Natur,10 die wie im Waldbruder ebenfalls nur auf der brieflichen Ebene realisiert wurde.11
5 Siehe z. B. Borcherdt: Roman, S. 42; Demuth: Realität, S. 223; Engel: Werther, S. 181; Kaminski: Herzbruder, S. 47; Laroche: Bild, S. 171 f.; Meinzer: Irrgärten, S. 173; Spiewok: Waldbruder, S. 257; Titel – Haug: Anmerkungen, S. 640; Waldberg: Einleitung, S. 1; Wurst: Überlegungen, S. 71; Zumbusch: Erhabenen, S. 51 [Anm. 26]. 6 Titel – Haug: Anmerkungen, S. 640. 7 Siehe hierzu auch Waldberg: Einleitung, S. 11; Zumbusch: Erhabenen, S. 51. 8 Siehe z. B. King: Echoes, S. [57]f. 9 Der Name der Gräfin Stella kann darüber hinaus auch als Referenz auf Goethes gleichnamiges, in der Erstfassung 1775 niedergeschriebenes Drama verstanden werden, das seine Uraufführung 1776, im Entstehungsjahr des Waldbruder erlebte. Zur Entstehung des Stückes von Goethe, das den Untertitel Ein Schauspiel für Liebende in fünf Akten trägt siehe Helbling: Stella, S. 467–469; Schulz: Stella, S. 123 f.; Wilpert: Goethe-Lexikon, S. 1019 f. 10 Bernd Laroche hat außerdem auf den Einfluss dieser unerwiderten Liebe auf Die Soldaten (1776) von Lenz aufmerksam gemacht: „Diese Liebe hat den Dichter Lenz lange Zeit beschäftigt und seinen thematischen Niederschlag auch in seinem Drama ‚Die Soldaten‘ gefunden.“ Laroche: Bild, S. 172. 11 Elke Meinzer hob hervor: „Lenz lernt Henriette von Waldner durch deren Briefwechsel mit seiner Zimmerwirtin Luise König in Straßburg kennen. Er selbst begegnet dieser Frau nie persönlich. Aufgrund der Briefe, die ihm zugänglich sind, verfällt er in einen Zustand uneingeschränkter Bewunderung und Idealisierung dieser Frau.“ Meinzer: Irrgärten, S. 703. Siehe hierzu außerdem Titel – Haug: Anmerkungen, S. 640. Das im Waldbruder beschriebene Motiv des zurückverlangten Bildes der Angebeteten korrespondiert mit einem biografischen Vorbild, da auch Lenz um die Rückgabe eines an den reformierten Schweizer Geistlichen Caspar Lavater (1741–1801) für seine Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe (1775– 1778) ausgeliehenen Portraits bat, das Henriette von Waldner zeigte. Vgl. Laroche: Bild, S. 172; Meinzer: Irrgärten, S. 703 f. Im Waldbruder artikuliert Herz die mit starken emotionalen Begleiterscheinungen verbundenen Folgen des Verlustes des Bildes von Gräfin Stella folgendermaßen: „Welch ein schreckliches Ungewitter hat diesen himmlischen Sonnenschein abgelöst! Rothe, ich weiß nicht, ob ich noch lebe, ob ich noch da bin oder ob alles dies nur ein beängstigender Traum ist.“ Herz an Rothe. In: Lenz: Der Waldbruder. 2. Teil. 11. Brief, S. 313. Herz formuliert nachfolgend sehr expressiv den Wunsch, wieder in den Besitz des Bildes zu gelangen: „Schick mir das Bild zurück, oder ich endige schrecklich.“ Ebd. Und er wiederholt: „[…] [I]ch will das Bild wieder haben, oder ich bringe mich um.“ Ebd., S. 314. Auch im letzten Teil des Briefes heißt es: „Rothe
1 Rothe = Goethe und Herz = Lenz? Fiktionale Figuren und ihre historischen Vorlagen
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Fräulein Schatouilleuse wurde mit dem Weimarer Hoffräulein Luise von Göchhausen (1752–1807), Honesta mit Charlotte von Stein (1742–1827) und die Witwe Hohl mit der Straßburger Wirtin Luise König in Verbindung gebracht.12 Die Zentralfigur des Romans schließlich, Herz, der sich in ein selbst gewähltes soziales Exil begibt und damit gegen geltende zeitgenössische gesellschaftliche Konventionen verstößt, ist mit Lenz selbst13 oder seinem Freund und Briefpartner Heinrich Julius von Lindau (s. u.), bzw. als die Mischung beider Vorbilder, identifiziert worden. Im Sommer 1776, in der Zeit der Niederschrift des Fragments, hatte sich auch Lenz in eine selbstgewählte Isolation begeben, nachdem er Weimar verlassen und das nahegelegene Dorf Berka aufgesucht hatte.14 Thomas Heine hat die intensive Beschäftigung der Forschung mit der Frage nach den realen Vorlagen für das Figurennetzwerk, das im Waldbruder entworfen wird, ebenfalls wahrgenommen, aber gleichzeitig vor einer Vernachlässigung anderer Perspektiven gewarnt.15 Der biografische Interpretationsansatz hat vor allem durch psychoanalytisch fundierte Untersuchungen zahlreiche Impulse erhalten,16 ist allerdings nicht unumstritten geblieben. Kritik gegenüber einer arbiträren Vereinnahmung ist von Seiten der Psychoanalyse selbst artikuliert worden. Elke Meinzer hat in diesem Zusammenhang auf neue Zugänge und Paradigmen hingewiesen und sich für eine Aktualisierung bzw. Überprüfung topisch tradierter Vorstellungen und Konzepte ausgesprochen. In Bezug auf Lenz, dessen später deutlich zutage
das Bild wieder, oder den Tod!“ Ebd., S. 315. Bereits zuvor hat Herz seine Absicht offen gelegt, das Bild der von ihm verehrten Frau nach Amerika mitzunehmen, um damit in der Neuen Welt den militärischen Gefahren entgegenzutreten: „[…] [I]hr Bild nehme ich mit. Mit diesem Talisman in tausend bloße Bajonetter zu stürzen – Ha Rothe, daß Du fühlen könntest, wie mir das Herz schlägt!“ Ebd. 2. Teil. 8. Brief, S. 311. Es wird deutlich, dass Herz zwar ein gewisses Bewusstsein für die potenziellen Gefahren der zu erwartenden militärischen Auseinandersetzungen zum Ausdruck bringt, diese anscheinend aber auch stark marginalisiert. Es ist die physische Absenz und die geografische Trennung von der Gräfin bzw. ihrem Abbild, die ihn vor eine emotionale Herausforderung stellt. Rothe gegenüber bekennt er: „Es ist so schrecklich, so unmenschlich grausam. Bedenke wo ich hin soll – und ohne sie!“ Ebd. 4. Teil. 2. Brief, S. 325. Zur Bedeutung des Abbildes der Angebeteten siehe auch Demuth: Realität, S. 229; Laroche: Bild, S. 172–178. 12 Siehe hierzu Demuth: Realität, S. 223; Disselkamp: Narr, S. 171; Heine: Waldbruder, S. 183; Kaminski: Herzbruder, S. 51; Laroche: Bild, S. 171 f.; Meinzer: Irrgärten, S. 711; Titel – Haug: Anmerkungen, S. 640 f.; Wilpert: Goethe-Lexikon, S. 622. 13 Siehe z. B. Borcherdt: Roman, S. 43; Heine: Waldbruder, S. 183. 14 Vgl. Meinzer: Irrgärten, S. 708. Siehe auch Titel – Haug: Anmerkungen, S. 641. Zur Entstehung des im Frühjahr 1776 in Straßburg entworfenen und im Sommer in Berka ausgeführten Textes siehe vor allem Weiß: „Waldbruder“-Fragmente, S. 87, 92–94. Siehe außerdem Borcherdt: Roman, S. 41; Kaminski: Herzbruder, S. 49. 15 Siehe Heine: Waldbruder, S. 183. 16 Siehe allerdings auch Meinzer: Irrgärten, S. 694.
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VI Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg als soziale Aufstiegschance
tretende geistige Umnachtung von der Forschung in umfangreichem Maße kommentiert wurde und zu zahlreichen Spekulationen Anlass gegeben hat, führte sie aus: Laut bisheriger Lehrmeinung […] erkrankte Lenz im Alter von 26 Jahren an einer katatonen Schizophrenie. Neuere und neuste Ergebnisse der Schizophrenie- und Psychoseforschung lassen jedoch starke Zweifel an dieser „Fern“-Diagnose und an der Beurteilung des Krankheitsverlaufes bei Lenz aufkommen.17
Wiederholt hat Meinzer ihre Intention dargelegt, nicht die Parallelen „zwischen Biographie und Phantasie“18 aufzeigen zu wollen, sondern „die Wirkung, die die spezifische Persönlichkeitsstruktur Lenz’ auf seinen Phantasieprozeß hat.“19 Das Bewusstsein um die Differenz und Parallele von biografischen und poetischen Elementen und Systemen, bzw. um die Mechanismen ihrer Korrelationen, kann in dieser Hinsicht eine Grundlage für das Verständnis eines poetischen Schaffensprozesses darstellen. Gerade im Waldbruder wird der ambivalente biografische Einfluss Goethes auf seinen zeitweiligen Weggefährten Lenz deutlich. Meinzer zeigte: In keinem anderen Werk der Weimarer Zeit kulminieren die […] psychischen und sozialen Probleme Lenz’ so deutlich wie im Waldbruder. In diesem Prosatext wird der biographische Aspekt des Konflikts mit Goethe in den zwei unterschiedlichen Lebenskonzeptionen der Figuren „Herz“ und „Rothe“ reflektiert.20
Die Frage nach dem Einfluss Goethes auf das literarische Schaffen und die postume Rezeption des Dichters wurde in Bezug auf den Waldbruder dezidiert mit Frage nach einer möglichen redaktionellen Bearbeitung des handschriftlichen Manuskriptes vor der Erstveröffentlichung in Schillers Horen verbunden und von der Forschung unterschiedlich beantwortet.21 Goethes Einfluss auf das Werk zeigt sich in jedem Fall in den zahlreichen direkten und vermittelten Ver-
17 Meinzer: Irrgärten, S. 695 f. Ulrich Kaufmann hat vor dem Hintergrund der Absorption des Forschungsinteresses durch die psychologische Erkrankung von Lenz postuliert, dass „dieser Dichter weit mehr über seine tragische Biographie als über sein Werk wahrgenommen wurde.“ Kaufmann: Vorwort, S. 9. 18 Meinzer: Irrgärten, S. 699. 19 Ebd. 20 Ebd., S. 711. Siehe auch Frantzke: Goethes Schauspiele, S. 138; Komfort-Hein: Medialität, S. 31; Spiewok: Waldbruder, S. 257. 21 Sieh z. B. Borcherdt: Roman, S. 44; Laroche: Bild, S. 171; Titel – Haug: Anmerkungen, S. 642; Waldberg: Einleitung, S. 3 f., 10; Weiß: „Waldbruder“-Fragmente, S. 91.
1 Rothe = Goethe und Herz = Lenz? Fiktionale Figuren und ihre historischen Vorlagen
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weisen und Anspielungen auf die 1774 in der Erstauflage erschienenen Leiden des jungen Werthers.22 So wurde „eine Wesensverwandtschaft von Werther und Waldbruder“23 konstatiert. Als wichtige Gemeinsamkeit beider Briefromane ist sicherlich die Prägung im Geiste der Empfindsamkeit zu nennen, die sich auch in Seybolds Reizenstein zeigt (s. o.).24 Die intertextuellen Bezüge des Waldbruders zum Werther, explizit artikuliert etwa im Untertitel des Fragments, sind umfangreich, aber die Forschung hat dennoch stets den spezifisch eigenständigen Charakter des Waldbruder akzentuiert.25 Als einer der markantesten Unterschiede zwischen beiden Briefromanen erweist sich die in Lenz’ Text durch insgesamt sieben Briefeschreiber26 umgesetzte Multiperspektivität, die einen starken formalen Kontrast gegenüber den monoperspektivischen Beschreibungen Werthers bildet. Vor dem Hintergrund der konsequenten Absenz einer vermittelnden Erzählerinstanz im narratologischen System des Briefromans haben die variierenden Perspektiven multipler Kommunikationspartizipierender weitreichende epistemologische Konsequenzen für das Erschließen des Handlungsgeschehens durch den Textrezipienten, da sie es ihm ermöglichen, monosonare subjektive Beschreibungen und Kommentare der Briefskribenten intersubjektiv abzugleichen.27
22 Darüber hinaus verweist der Briefroman aber trotz des vergleichsweise geringen quantitativen Umfangs auch auf zahlreiche andere literarische Werke sowie historische und mythologische Personen (Abb. 52). 23 Engel: Werther, S. 181. Siehe auch Borcherdt: Roman, S. 41; Engel: Werther, S. 181; KomfortHein: Medialität, S. 32; Titel – Haug: Anmerkungen, S. 640; Waldberg: Einleitung, S. 7, 31 ff.; Wurst: Poetik, S. 198–219; Zumbusch: Erhabenen, S. 51 f. 24 Siehe hierzu auch Demuth: Realität, S. 223, 228; Disselkamp: Narr, S. 171. 25 Siehe z. B. Borcherdt: Roman, S. 43; Laroche: Bild, S. 171. Siehe auch S. 175 f. 26 Zwei Personen, Pfarrer Claudius und Fernand, sind lediglich als Adressaten fassbar und erscheinen daher nur als passive Kommunikationspartner. Es ist zwar vorstellbar, dass sie bei einer Beendigung des Romans selbst auch als aktive Briefskribenten aufgetreten wären, diese Überlegung bleibt jedoch spekulativ. Innerhalb des erhaltenen Fragments fungieren diese beiden Adressaten jedenfalls lediglich als Kommunikationsfolie für die Briefeschreiber, die in ihren Mitteilungen einen Einblick in ihre kognitiven Vorgänge und ihren Emotionshaushalt gewähren. 27 Siehe hierzu auch Borcherdt: Roman, S. 43; Demuth: Realität, S. 228; Disselkamp: Narr, S. 161; Kaminski: Herzbruder, S. 52; Komfort-Hein: Medialität, S. 44; Laroche: Bild, S. 171.
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2 Die „Himmelsleiter auf der ich alle meine Wünsche zu ersteigen hoffe.“ Der Unabhängigkeitskrieg als Mittel zum Zweck für den sozialen Aufstieg Mit Herz hat Lenz eine poetische Figur geschaffen, die wie sein literarisches Pendant Werther an den gesellschaftlichen Zuständen seiner Zeit und an der Inkompatibilität seines psychologischen Systems und sozialen Umfeldes zu scheitern droht. Herz ist nicht imstande, seine Wünsche und Vorstellungen mit dem in Einklang zu bringen, was von der Gesellschaft als tatsächlich umsetzbar erachtet und ethisch-moralisch akzeptiert wird. Seine Psyche erschöpft sich an der Aporie des geistig Vorstellbaren einerseits sowie des real Möglichen andererseits und vermag nicht, sich in das Kollektiv der bestehenden Sozialordnung zu integrieren. Ähnlich der Biografie Werthers28 und in diesem Punkt auch der Wilds in Klingers Sturm und Drang (s. o.), ist der Werdegang von Herz durch emotionale und geografische Rastlosigkeit gekennzeichnet,29 die ihren vorläufigen Endpunkt in seinem selbstgewählten Exil abseits der gesellschaftlichen Ordnung, geografisch im Odenwald verortet,30 findet. Über die Unmöglichkeit Herz’ sein Glück in der Welt zu finden und die hieraus folgende im Grundtenor suizidale Färbung seiner Psyche berichtet Rothe Oberst von Plettenberg: Das Leben ward ihm zur Last, er zog in der Welt herum von einem Ort zum andern nimmer mehr ruhig und hätte seine Existenz gar zu gern mit eigner Hand verkürzt, wenn er nicht den Selbstmord, ohne dringende Not, nach seinem Glaubenssystem für Sünde gehalten hätte.31
Seinen Freiheitsdrang und Autonomiewunsch auf der emotionalen Ebene hat Herz bereits selbst im ersten Teil des Briefromans formuliert: „Nur Freiheit will
28 Im Brief vom „16. Junius“ im zweiten Buch schreibt Werther: „Ja wohl bin ich nur ein Wandrer, ein Waller auf der Erde!“ Goethe: Die Leiden des jungen Werthers. 2. Buch. Brief vom 16. Juni, S. 157 [Fassung B]. Und auch in seinem Brief vom „12. Dec[ember]“ heißt es: „Lieber Wilhelm, ich bin in einem Zustande, in dem jene Unglücklichen gewesen seyn müssen, von denen man glaubte sie würden von einem bösen Geiste umher getrieben. Manchmal ergreift mich’s; es ist nicht Angst, nicht Begier – es ist ein inneres, unbekanntes Toben, das meine Brust zu zerreissen droht, das mir die Gurgel zupreßt! Wehe! wehe! und dann schweife ich umher in den furchtbaren nächtlichen Scenen dieser menschenfeindlichen Jahrszeit.“ Ebd. 2. Buch. Brief vom 12. Dezember, S. 213 [Fassung B]. Siehe hierzu auch Forster: Männlichkeit, S. 343; Wallbruch: Todessehnsucht, S. 85. 29 In einer Mitteilung an Oberst von Plettenberg verweist Rothe daher auch auf „die wunderbare Landkarte seiner Schicksale“ (Rothe an Oberst von Plettenberg. In: Lenz: Der Waldbruder. 4. Teil. 1. Brief, S. 325). 30 Zu den Ortsangaben siehe auch Engel: Werther, S. 182. 31 Rothe an Oberst von Plettenberg. In: Lenz: Der Waldbruder. 4. Teil. 3. Brief, S. 328.
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ich haben, zu lieben was ich will und so stark und dauerhaft, als es mir gefällt.“32 Unter Verwendung eines Vergleichs beschreibt Rothe in einem Brief an den Oberst diesen Charakterzug seines Freundes: „[…] [E]r ist wie ein wilder mutiger Hengst, den man gespornt hat, der Zaum und Zügel verachtet.“33 Die Diskrepanz zwischen den Erwartungen und Regeln der Gesellschaft und den Idealen und Ansichten von Herz zeigt sich auch darin, dass Lenz’ Protagonist als dezidierter Antimaterialist im ökonomischen Sinne beschrieben wird. In einem Brief rekapituliert er: „[…] [M]ein letztes Geld, das ich aus der Stadt mitgenommen, [ist] mir von einem schelmischen Bauren gestohlen worden […].“34 Er relativiert die Bedeutung des Diebstahls allerdings sogleich mit den Worten: „Aber wozu sollte mir auch das Geld?“35 Die Ablehnung monetärer Transaktionsmittel und das Desinteresse an finanzieller Betriebsamkeit durch Herz findet ihre Entsprechung in seinem Rückzug in die für ihn sehr positiv besetzte Natur, in deren Umfeld pekuniär orientierte Aktivitäten obsolet erscheinen. Der Briefroman setzt medias in res ein mit Herz’ pittoresken Schilderung seiner von Selbstgenügsamkeit geprägten Lebenssituation in der Natur. In seinem Brief an Rothe teilt er mit: Ich schreibe Dir dieses aus meiner völlig eingerichteten Hütte, zwar nur mit Moos und Baumblättern bedeckt, aber doch für Wind und Regen gesichert. Ich hätte mir nie vorgestellt, daß dies Klima auch im Winter so mild sein könnte. Übrigens ist die Gegend, in der ich mich hingebaut, sehr malerisch. Grotesk übereinander gewälzte Berge, die sich mit ihren schwarzen Büschen dem herunterdrückenden Himmel entgegen zu stemmen scheinen, tief unten ein breites Tal, wo an einem kleinen hellen Fluß die Häuser eines armen aber glücklichen Dorf zerstreut liegen.36
Herz bezeichnet die Dorfbewohner im Folgenden als „Adamskinder“37 und greift damit den Gedanken der unverfälschten, natürlichen Lebensweise in bzw. in der Nähe der Natur auf.38 Sein Einsiedlerdasein und seine antimaterialistischen
32 Herz an Rothe. In: Lenz: Der Waldbruder. 1. Teil. 8. Brief, S. 302. 33 Rothe an Oberst von Plettenberg. In: Lenz: Der Waldbruder. 4. Teil. 1. Brief, S. 323. 34 Herz an Rothe. In: Lenz: Der Waldbruder. 1. Teil. 3. Brief, S. 295. Zum Stadt-Land-Antagonismus in Lenz’ Romanfragment siehe Wurst: Überlegungen, S. 72–74. 35 Herz an Rothe. In: Lenz: Der Waldbruder. 1. Teil. 3. Brief, S. 295. 36 Ebd. 1. Teil. 1. Brief, S. 293. 37 Ebd. 38 Zum Einfluss der Ideen Rousseaus auf den Waldbruder siehe Demuth: Realität, S. 224. Zu der deutlich von dem französischen Aufklärer beeinflussten Konzeption, dass in der Neuen Welt im Gegensatz zu dem durch Dekadenz und Korruption definierten Kontinent Europa eine natürlich Lebensweise (verkörpert insbesondere in der Vorstellung des sog. Edlen Wilden) möglich sei, siehe Kapitel V.2 und V.4.
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Ansichten werden von seinem ehemaligen sozialen Bezugssystem als geistige Verirrungen bzw. „Schwärmereien“39 abgetan. So bezeichnet Honesta Herz als „neuen Werther“40 bzw. „Idris“41 und spricht von ihm als jemandem, „dessen ganzes Glück in Träumen besteht und der das, was man solid nennt, mit Füßen tritt.“42 Rothe, der Herz „mein menschenliebiger Don Quischotte!“43 nennt, macht deutlich, welche Wirkung seine Mitteilungen auf andere Menschen haben könnten: „Dein Brief trägt die offenbaren Zeichen des Wahnsinns, würde ein andrer sagen, mir aber, der ich Dir ein für allemal durch die Finger sehe, ist er unendlich lieb. Du bist einmal zum Narren geboren […].“44 Er ergänzt allerdings besorgt: „Du schritts […] hinaus in das furchtbare Schlaraffenland verwilderter Ideen!“45 Herz selbst scheint sich seiner Befremden erweckenden Wirkung auf seine Umwelt bewusst zu sein, denn in seiner Antwort an den Freund bittet er: „[…] [L]aß mir meine Hirngespinste.“46 Aufgrund seines fortgesetzten unkonventionellen Verhaltens wiederholt Rothe in einer Mitteilung an Oberst von Plettenberg seine Einschätzung: „Er lebt und webt in lauter Phantasieen und kann nichts, auch manchmal nicht die unerheblichste Kleinigkeit aus der wirklichen Welt an ihren rechten Ort legen.“47 Für die am Schicksal von Herz interessierten Briefeschreiber zeigt sich seine vermeintliche Realitätsferne in dem Bestreben, die ständehierarchisch über ihm stehende Gräfin Stella als potenzielle Partnerin für sich zu gewinnen. Seine Bewunderung und emotionale Zuneigung für die „arme liebenswürdige Gräfin“48, die er zum „Engel“49 stilisiert, bleibt jedoch auf eine platonische, geistig-immaterielle Ebene beschränkt und kann unter den bestehenden Umständen physisch nicht realisiert werden. Herz’ „Anspruch absoluter Freiheit“50 und seine
39 Rothe an Herz. In: Lenz: Der Waldbruder. 1. Teil. 5. Brief, S. 298. Siehe auch Honesta an Pfarrer Claudius. In: Lenz: Der Waldbruder. 3. Teil. 3. Brief, S. 322. 40 Ebd., S. 303. 41 Ebd., S. 323. Zu Wielands Idris und Zenide (erschienen zum ersten Mal 1768 als Idris, ein komisches Gedicht in der Deutschen Bibliothek der schönen Wissenschaften) siehe auch Nowitzki: Märchen, S. 213–217. Die ambivalente Wirkung in Versen verfassten Märchens beschrieb HansPeter Nowitzki mit den Worten: „Der Idris erregte ungeheures Aufsehen: Während ihn die einen enthusiastisch feierten, verteufelten ihn die anderen.“ Nowitzki: Märchen, S. 216. 42 Honesta an Pfarrer Claudius. In: Lenz: Der Waldbruder. 3. Teil. 3. Brief, S. 323. 43 Rothe an Herz. In: Lenz: Der Waldbruder. 1. Teil. 7. Brief, S. 300. 44 Ebd. 45 Ebd., S. 301. 46 Ebd. 1. Teil. 8. Brief, S. 302. 47 Rothe an Oberst von Plettenberg. In: Lenz: Der Waldbruder. 4. Teil. 3. Brief, S. 326. 48 Honesta an Pfarrer Claudius. In: Lenz: Der Waldbruder. 3. Teil. 3. Brief, S. 322. 49 Ebd. 3. Teil. 2. Brief, S. 318. 50 Komfort-Hein: Medialität, S. 45.
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„unbedingte[] Freiheitssehnsucht“51 finden in Europa keine Entfaltungsmöglichkeit. In der zweiten Hälfte des Romanfragments wird dagegen die Neue Welt als mögliches geografisches und sozialpolitisches Aktionsfeld aufgerufen (Abb. 53 f.). Um die gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine Verbindung mit der Gräfin zu erfüllen,52 möchte Herz nach Amerika reisen und durch die militärische Bewährung auf den Schlachtfeldern des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges einen sozialen Aufstieg erreichen.53 Rothe berichtet er von der Möglichkeit einer Überfahrt in die Neue Welt im Gefolge der von den Briten angeworbenen deutschen Subsidientruppen: „Eben erhalte ich einen wunderbaren Brief von einem Obristen in hessischen Diensten, der ehemals mit mir in Leipzig zusammen studiert hat, und mir die Stelle als Adjutant bei ihm anträgt, wenn ich ihn nach Amerika begleiten will.“54 Herz legt im Folgenden seine mit dieser Entscheidung verbundenen Hoffnungen dar: „Wie Rothe! dieser Sprung aus dem Schulmeisterleben auf die erste Staffel der Leiter der Ehre und des Glücks, der Himmelsleiter auf der ich alle meine Wünsche zu ersteigen hoffe.“55 Auch Honesta verweist in einem Brief an Pfarrer Claudius auf die Herz sich eröffnende Möglichkeit, sich den Subsidientruppen anzuschließen und berichtet, dass er diese „mit beiden Händen annahm, weil er glaubte, dies sei die Laufbahn an deren Ziel Stella mit Rosen umkränzt ihm den Lorbeer um seine Schläfe winden würde.“56 Sie bewertet die Folgen dieses „schleunigen und seltsamen“57 Entschlusses allerdings weitaus skeptischer: […] [S]o wie ich höre soll Herz wirklich gestern abends zu den hessischen Truppen abgegangen sein die nach Amerika eingeschifft werden. Er schwimmt jetzt in lauter seligen Träumen von Liebe und Ehre, ich fürchte, das Aufwachen wird schrecklich sein.58
Wie in Klingers Sturm und Drang ist allerdings auch hier der politische Hintergrund einer militärischen Beteiligung im Unabhängigkeitskrieg nicht von entscheidender Bedeutung. Das ausschlaggebende Moment seines Interesses an
51 Ebd., S. 46. 52 Herz ist laut Rothe zwar ebenfalls adeliger Abstammung, dies allerdings als „der unechte Sohn einer verstorbenen großen Dame, die vor einigen zwanzig Jahren noch die halbe Welt regierte. Er war die Frucht ihrer letzten Liebe […].“ Rothe an Oberst von Plettenberg. In: Lenz: Der Waldbruder. 4. Teil. 1. Brief, S. 323 f. 53 Zu diesem Motiv siehe auch Hatfield – Hochbaum: Influence, S. 343; Spiewok: Waldbruder, S. 258. 54 Herz an Rothe. In: Lenz: Der Waldbruder. 2. Teil. 8. Brief, S. 311. 55 Ebd. 56 Honesta an Pfarrer Claudius. In: Lenz: Der Waldbruder. 3. Teil. 3. Brief, S. 322. 57 Ebd. 3. Teil. 1. Brief, S. 316. 58 Ebd. 3. Teil. 3. Brief, S. 323.
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den politischen Zielen der Amerikanischen Revolution, die im gesamten Textfragment an keiner Stelle explizit erwähnt werden, ist für Herz die Gelegenheit, allgemein an dem in der Neuen Welt ausgetragenen Krieg zu partizipieren und sich im Kampfgeschehen auszuzeichnen. Nur en passant erwähnt Honesta die militärischen Antagonisten des Oberst und Herz’, ohne näher auf die politischen Dimensionen der Auseinandersetzungen einzugehen. In ihrem Brief heißt es lediglich: „Plettenberg schlug vor, ihn nach Amerika mitzunehmen, um gegen die Kolonisten zu dienen.“59 Auch Oberst Plettenberg verfolgt mit seiner Amerikareise zunächst primär ähnlich motivierte Ziele wie sein zukünftiger Adjutant.60 In einem vorhergehenden Brief an Pfarrer Claudius hat Honesta darauf aufmerksam gemacht, dass die Gräfin Stella seit fünf Jahren schon eine Braut mit […] Obersten Plettenberg ist, der schon eine Campagne wider die Kolonisten in Amerika mitgemacht hat, bloß damit er Gelegenheit habe, sich bis zum General oder Generallieutnant zu bringen, weil er sonst nicht wagen darf, bei dem Vater der Gräfin um sie anzuhalten.61
Amerika erweist sich damit als nur namentlich erwähntes und nicht näher soziopolitisch attribuiertes militärisches Aktionsfeld, das dazu dient, beiden männlichen Werbenden die Möglichkeit einer Steigerung ihres Sozialstatus in Aussicht zu stellen, um in diesem Falle die in Europa herrschenden standesgesellschaftlichen Kriterien für eine standesgemäße Ehe zu erfüllen.62 Bei diesem Motiv handelt es sich um einen Topos, der dem Leser in zahlreichen zeitgenössischen literarischen Werken, so etwa auch in Benedikte (Christiane) Nauberts (1752/56– 1819)63 Familienroman Die Amtmannin von Hohenweiler (1788) begegnet. Dort berichtet Oberst von Wilteck von seinem Neffen, der die deutschen Truppen nach Nordamerika begleitet. Im 37. Kapitel heißt es: Fast ohne alle Veranlassung, ohne allen Eingang, brachte er das Gespräch auf seinen Neffen, den Lieutenant Wilteck, sagte viel zu seinem Lobe, wobey er Hannchen unabläßig ansah, und schloß endlich mit der Nachricht, er sey unter die – schen Truppen gegangen, und werde mit denselben nächster Tage sich nach Amerika einschiffen. Schon jetzt hat er den Charakter als Hauptmann, sagte er, und wie hoch kann er sich in den vier oder fünf Jahren bis zu seiner Rückkunft schwingen? er ist in aller Absicht ein hofnungsvoller junger Mensch, der seiner Familie Ehre machen wird, und Amerika ist recht der Ort, wo er etwas
59 Ebd., S. 321. 60 Zu Plettenberg siehe auch Waldberg: Einleitung, S. 28, 41. 61 Honesta an Pfarrer Claudius. In: Lenz: Der Waldbruder. 3. Teil. 1. Brief, S. 316. 62 Zum Motiv der Mesalliance siehe auch Stockmeyer: Soziale Probleme, S. 133–151. 63 Zu ihrem Leben und literarischen Werk siehe Heiderich – Brown: Naubert, S. 505 f.
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versuchen, und sich mit Reichthümern beladen kann, um in seinem Vaterlande glänzen, und nach der Hand des schönsten und vornehmsten Fräuleins streben zu können.64
Die Neue Welt wird auch später als Alternative65 für diejenigen geschildert, die an den Zuständen in Europa scheitern. Samuel, der sich auf die Suche nach seinem Bruder Albert gemacht hat, schreibt seiner Mutter: „Da fand ich in einem Städtchen von ihrer Nachbarschaft, meinen Bruder, meinen Albert – Himmel, in einer elenden Rekrutenkleidung, im Begrif aus Verzweiflung nach Amerika zu gehen.“66 Und er ergänzt: „Mein Bruder geht nach Amerika, ich will ihm folgen. Was verliere ich denn auch endlich in Europa? schwache weitaussehende Hofnungen? Hirngespinste von wiederkehrender Ruhe? Nein, ich kann unter diesem Himmel nicht ruhig werden.“67 Die Mutter selbst gibt an: „[I]ch habe meinen Sohn vor seiner Abreise nicht gesehen, nur einen Brief erhielt ich von ihm, in welchem er mir entdeckte, daß er nach Amerika gehe, weil unter dem europäischen Himmel kein Glück für ihn vorhanden sey.“68 In Johann Gottlieb Stephanies d. J. Lustspiel Das Loch in der Thüre erklärt Klings, „ein verabschiedeter Freybeuter“69 im Gespräch mit dem Kaufmann Bulling: […] [D]en Rock kann ich einmal nicht mehr ausziehn, der muß nun schon in der Welt, entweder mein Glück, oder mein Unglück machen. Wo ist das aber zur Stunde thunlicher, als dort, wo man eben Leute braucht, die sich allenfalls wollen totschlagen lassen. Ich will nach Amerika.70
64 [Naubert]: Die Amtmannin von Hohenweiler. Bd. 1, S. 245. 65 Während des Unabhängigkeitskrieges erschienen die militärischen Auseinandersetzungen in der Neuen Welt verschiedenen jungen zeitgenössischen Beobachtern als Alternative zu den teilweise als beschränkt und einengend empfundenen Verhältnissen in Europa. So erinnerte sich beispielsweise Bernhard Wilhelm Wiederhold, der sich 1771 am Collegio Carolino in Kassel immatrikuliert hatte und drei Jahre später als Skribent an der „Kriegs- und Domänen-Kammer“ angenommen worden war 1793: „Die Laufbahn, die ich angetreten hatte, schien mir meinen Studien nicht ganz anzupassen. Ich suchte Gelegenheit, ihnen eine bessere Richtung zu geben, und fand sie im Ausbruch des Amerikanischen Kriegs. Da ich nicht zweifeln konnte, mir in der Folge desselben, durch Anwendung meiner Studien und Geschäftskenntnisse, mehr Thätigkeit zu bereiten, und neben dieser Befriedigung meiner Wünsche auf eine so wohlfeile Weise, ausser der Kriegs-Erfahrung, Länder- Völker- und Welt-Kenntnisse zu erwerben hoffte; so vertauschte ich plötzlich die Feder gegen den Degen, und wurde im J[ahr] 1776 Fähnrich bei’m Hessischen LeibRegiment.“ Bernhard Wilhelm Wiederhold: 1793. In: [Strieder]: Wiederhold (Bernhard Wilhelm), S. 33. Siehe hierzu auch Atwood: Hessians, S. 48. 66 [Naubert]: Die Amtmannin von Hohenweiler. Bd. 2, S. 41 f. 67 Ebd., S. 42. 68 Ebd., S. 102. 69 Stephanie d. J.: Das Loch in der Thüre. Personenverzeichnis, S. [2]. 70 Ebd. 1. Aufzug. 7. Auftritt, S. 20.
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Klings akzentuiert die Bedeutung des Krieges für ihn als Bewährungsprobe und Selbstverwirklichungsmöglichkeit und verweist auf die Notwendigkeit seiner Präsenz bei den militärischen Auseinandersetzungen in der Neuen Welt. Er ergänzt: Denn der Bürger, der Bauer ist doch immer etwas, ich bin aber mit meinem von eigentlich nichts, bis ich gebraucht werde […]. Der beste Weg hiezu aber ist der Krieg, Herr, und wer sich da nicht in der Jugend hervor thut, bleibt im Alter hucken. […] [W]ir müssen […] [den Krieg] nützen, wenn er da ist. Mithin Freund, ich muß das Schicksal von Amerika entscheiden helfen, sonst steh’ ich da, wie eine Nulle allein auf dem Papier zum Durchstreichen.71
Die hier artikulierte Kriegssehnsucht konterkariert den allgemeinen Wunsch nach Frieden, wenn Klings erklärt: „Aber auf Gerathewohl so die Zeit versitzen, ist nicht rathsam, denn die Leutchen in Amerika könnten den lieben Frieden erbeten, dann säße Herr von Klings ganz auf dem Trocknen.“72 Die Vorstellung, dass in der transatlantischen Welt ein sozialer Aufstieg ermöglicht wird und dass dort gewissermaßen der Tüchtige der Schmid seines eigenen Glückes ist, findet sich ebenso in Johann August Weppens Lustspiel Der Hessische Officier in Amerika.73 In den aufständischen Kolonien berichtet Eduard dem hessischen Leutnant Feldberg über den aus Europa stammenden Doktor Stambold: In Europa ist er Bartpuzer gewesen; nicht einmal wahrer Wundarzt – Er hat so ein wenig gepfuschert, einige Recepte erhaschet, einige Bücher gelesen, ist dabey unternehmend und ein paarmal glücklich gewesen, und dadurch ist er in den Ruf gekommen und zu einem ansehnlichen Vermögen von einigen tausend Pfunden gelangt.74
Eduard macht deutlich, dass es sich beim Werdegang des Doktors um kein singuläres exzeptionelles Beispiel handelt. Er fügt hinzu: […] [D]as ist in diesen [sic] Theile der Welt nichts neues – Wir haben hier Damen in der Provinz, die sich aufs vortheilhafteste verheyrathet und in Europa in einem – ich mag nicht sagen, wo gewesen – Wir haben Geistliche, die in jenem Welttheile die größten Ausschweifungen in allen Arten des Vergnügens begangen, und hier für recht ehrwürdige Männer
71 Ebd., S. 21 f. 72 Ebd., S. 22. 73 Siehe auch Stephanie d. J.: Hannibal von Donnerberg. 1. Aufzug. 1. Auftritt, S. 5; 2. Aufzug. 5. Auftritt, S. 34. 74 Weppen: Der Hessische Officier in Amerika. 2. Aufzug. 5. Auftritt, S. 42.
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gelten – Wir haben Staats- und andere Officiere, die in Europa Ladendiener, Handwerksbursche, Lakaien gewesen – Ueberhaupt haben viele Taugenichtse hier ihr Glück gefunden.75
Die in Amerika erfolgte Verbesserung der sozialen Lage von randständigen bzw. verfemten Europäern könnte zu der Schlussfolgerung führen, dass in der Neuen Welt die Ansprüche und Erwartungen soweit gesenkt seien, dass es dort selbst korrumpierte Gestalten zu Ansehen und Respekt bringen können und dass das amerikanische Gesellschaftssystem durch ein geringes Maß an ethisch-moralischer Integrität geprägt sei. Diese Annahme wird beispielsweise vom Hofrat in Gustav Friedrich Wilhelm Großmanns (1743–1796)76 Drama Nicht mehr als sechs Schüsseln (1780) explizit ausgesprochen. Im dritten Akt heißt es im Gespräch zwischen dem Hofrat und seinem Sohn Fritz, der sich emanzipieren möchte: Hofr[ath]. Und wohin willst du? Was willst du? Fritz. Nach Amerika will ich. Hofr[ath]. Wo der Auswurf der Europäer hingehört. Fritz. Es gehen ehrliche, brave Kerls dahin. Hofr[ath]. Die ihr Beruf dahin bringt. Welchen hast du? Fritz. Den, daß ich hier nicht versauern will. Ich habe Mark in den Knochen, Schwingkraft in Nerven, und Hirn im Kopf – ich wills hier nicht allgemach aufzehren lassen. Mit einemmal aus, oder ein gemachter Kerl.77
Die durch den Hofrat vulgär zum Ausdruck gebrachte pejorative Konnotation der nach Amerika Reisenden bzw. die Aussage, dass die Neue Welt in Europa insbesondere Personen von zweifelhafter Integrität anziehe und ihnen als Aktionsfläche diene, findet sich auch in einem Beitrag, den Schubart, der ja in der Regel sehr positiv über die Neue Welt berichtete, in seiner Teutschen Chronik veröffentlichte. Dort konnte man in einem mit der Angabe „London“ versehenen Bericht lesen: Hier trift man jetzt beynahe die Exkremente aller Nationen an, die in Amerika ihr Glück machen wollen. Sonderlich ist die Anzahl der Teutschen hier so groß, daß alle Gassen und Straßen, Bierschenken und Kaffeehäuser von ihnen wimmeln. Verbrecher, Aushauser, Ebentheurer, junge feurige Waghälse, die ihr Vaterland wie Unrath auswarf, strömen daher,
75 Ebd., S. 42 f. 76 Zur Biografie und dem literarischen Schaffen Großmanns siehe Rector – Red.: Großmann, S. 453 f. 77 Großmann: Nicht mehr als sechs Schüsseln. 3. Akt. 17. Auftritt, S. 110. Etwas später fasst Fritz seine Absichten folgendermaßen pointiert zusammen: „Kurz also, nach Amerika, oder hier Soldat.“ Ebd., S. 111. Siehe auch Desczyk: Amerika, S. 42, 47.
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VI Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg als soziale Aufstiegschance
und suchen Dienste bey der Krone. Von diesen Leuten, die meist die Verzweiflung zusammenpeitschte, verspricht man sich sonderlich große Dienste.78
Auch der als Teil der deutschen Subsidientruppen nach Amerika gereiste hessische Offizier Andreas Wiederholdt notierte über die aus den deutschen Staaten in die Neue Welt Ausgewanderten, denen er begegnet war: Die meisten Inwohner von Deutschen aber sind von der geringsten Sorte und ein Abschaum derselben Nation, sie wollen die Gast Freyheit und offenhertzigkeit der andern und engl[ischen] Einwohner zwar imitiren, sind und bleiben aber rohe und ungeschliffene deutsche Bauren; Sie haben den americanischen Liberty Geist eingesogen, wiszen aber nichts davon zu sagen, als dasz sie es nur dem Worte nach kennen und sind derowegen aus Dummheit viel schlimmer denn alle andere Americaner und fast unausstehlich; Es finden sich dennoch hin und wieder einzelne rechtschaffene und redliche Deutsche.79
In Weppens Lustspiel wird der Gedanke, dass es sich bei der amerikanischen Bevölkerung um den „Auswurf der Europäer“80 handele, durch die Ausführungen Eduards nullifiziert. Auf die Frage Feldbergs „Aber wie führen sich diese Champignons auf?“81 entgegnet er, während er Elemente aufgreift, die Assoziationen zu der für das amerikanische Selbstverständnis bis heute elementaren Vorstellung des Landes als Melting Pot (Schmelztiegel) erwecken: Gut, meistentheils gut zur Verwunderung. – Aus dem Zusammenfluß verschiedener Menschen fast aus allen Ländern, aus Bigotten, Schwärmern, Schwermüthigen, Taugenichte, Windbeuteln, ist nachdem sie hieher über Meer gekommen, nachdem sie in Verbindung mit guten Menschen getreten, nachdem die Noth sie zur Industrie und Frugalität ermuntert hat, eine so recht gute Mischung entstanden, besser als man vermuthet hätte.82
Während Eduard die Möglichkeit für einen Sozialaufstieg in Amerika postuliert, wird in Carl Johann Albrecht Meyers Lustspiel Die Ankunft der Deutschen aus Amerika, das 1784, d. h. ein Jahr nach der offiziellen Beendigung des Unabhängig-
78 Schubart (Hg.): Teutsche Chronik (1776). 1. Vierteljahr. 32. Stück. 18. 4. 1776, S. [249] [Schubart: Werke, S. 78]. 79 Wiederholdt: Tagebuch. Eintrag 13. 2. 1777, S. 37. In Bezug auf den Tagebuchcharakter von Wiederholdts Schrift, in der sich der eben zitierte Kommentar findet, gab allerdings David Hackett Fischer zu bedenken: „Wiederholdt compiled a record that he called a Tagebuch, or journal, but internal evidence suggests that much of it was a memoir.“ Fischer: Washington’s Crossing, S. 470. Siehe auch den Kommentar zu G272. 80 Großmann: Nicht mehr als sechs Schüsseln. 3. Akt. 17. Auftritt, S. 110. 81 Weppen: Der Hessische Officier in Amerika. 2. Aufzug. 5. Auftritt, S. 43. 82 Ebd.
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keitskrieges veröffentlicht wurde, die Überzeugung vertreten, dass ein Aufenthalt als Teil der deutschen Subsidientruppen in der Neuen Welt nach der Rückkehr zu einer Statuserhöhung in Europa führen könne. Wiederholt bringen Figuren des Einakters, das den „[h]ochlöbl[ichen] Anspach- und Bayreuthischen Infanterie-Regimentern gewidmet“83 ist, den Gedanken zum Ausdruck, dass den Subsidiensoldaten Respekt und Wertschätzung entgegenzubringen sei. Emphatisch ruft beispielsweise der Schulmeister: „Es leben die Deutschen aus Amerika.“84 Daraufhin entgegnen der Amtmann und der Bader Fix einvernehmlich: „Sie leben.“85 Der Amtmann verkündet an anderer Stelle ebenso entschieden: „Einer der in Amerika war, verdient Hochachtung […].“86 Und im zwölften Auftritt wiederholt der Schulmeister: „Es leben alle brave Landsleute aus Amerika[.]“87 Zuvor schon hat er seine Vorstellungen dargelegt, wie die Truppen, die „gehörig empfangen“88 werden sollen, von ihrer Heimatgemeinde geehrt werden könnten: Die vornehmsten Personen vom Orte müßten so Paar und Paarweise hintendrein ziehen, und wenn wir sie antreffen, so könnten immer zwey Mann einen Amerikaner in die Mitte nehmen, und sie so in Proceßion in das Dorf für das Amtshaus führen, hier wollte ich eine kleine Rede halten, und mich bey ihnen im Namen der ganzen Gemeinde für ihre treue Dienste bedanken. Dann giengen wir ins Wirtshaus, und essen und trinken was uns der liebe Gott beschehrt – nota bene, die Gemeinde müßte alles bezahlen.89
83 [Meyer]: Die Ankunft der Deutschen aus Amerika, S. [1]. 84 Ebd. 4. Auftritt, S. 26. 85 Ebd. 86 Ebd. 7. Auftritt, S. 33. 87 Ebd. 12. Auftritt, S. 44. 88 Ebd. 4. Auftritt, S. 24. 89 Ebd., S. 25. Die Atmosphäre bei der Ankunft deutscher Subsidientruppen in ihrer Heimat nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges, wurde auch von Johann Conrad Döhla (zu ihm siehe G179), der zu den Einheiten aus Ansbach-Bayreuth gehörte, in seinem Tagebuch festgehalten. In einem Eintrag zum 20. November 1784 notierte er: „[…] [M]it Frohlocken und jauchzendem Freudengeschrey des vielen uns entgegenkommenden Volckes und einer Menge Einwohner […] [sind wir] in unsern geliebten Bayreuth angekommen.“ Döhla: Tagebuch. Eintrag 20. 11. 1783, S. 327. Bei der Willkommenszeremonie wurde offensichtlich auch ein „Dank-Gebeth“ ([Ein DanckGebeth], S. 340) verlesen, das u. a. folgendermaßen lautete: „Du hast die Söhne dieses Landes, die dein Gesalbter zum Streite in einen andern Welttheil abgeschickt hatte, auf unser andächtiges Gebet, so wir in deiner Gemeinde, demüthig vor dich brachten, größtentheils unversehrt in die Gränzen unseres Vaterlands, mit allmächtiger Hand zurückgeführt. Du hast, o höchster Vater, über alles was da Kinder heißet, im Himmel und auf Erden, das Wünschen unseres theuersten Landesvaters, das Flehen so mancher besorgten Väter, Mütter und Anverwandten in Gnaden angesehen und das Gebet zur rechten Zeit erhöret. Gelobt sey deine Barmherzigkeit, gepriesen sey dein herrlicher Name. […] Verlängere die kostbaren Tage deines Gesalbten, unseres geliebtesten und theuersten Landesregenten und laß ihm noch lange über das unter seiner weisen Regierung
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VI Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg als soziale Aufstiegschance
Die Amts- und Würdenträger der Gemeinde vertreten also die Ansicht, dass die Rückkehrer mit dem höchsten Maß an symbolischen Respektserweisungen geehrt werden müssten. Daneben wird aber auch die Erwartung artikuliert, dass Soldaten, die ihren Dienst im Auftrag des Fürsten in Amerika versehen haben, mit einer entsprechenden Kompensationsleistung durch den Souverän rechnen könnten.90 Sophie, die Frau eines Jägers, macht Julie, der Tochter des Amtmanns Hoffnungen, dass der ehemalige Schreiber Kaufmann, der die Truppen auf die transatlantische Reise begleitet hat, bei seiner Wiederkehr eine Beförderung erwarten könne. Sie verspricht: „Ist er in Amerika gewesen, und kommt wieder zurück, ich stehe ihnen dafür, der Fürst wird ihm die Adjunktur nicht abschlagen.“91 Julie vertritt ebendiese Überzeugung ihrer Mutter gegenüber mit den Worten: „[…] [W]enn er glücklich zurückkommt, so versorgt ihn der Fürst gewiß.“92 Tatsächlich hat Kaufmann, der seine Heimatgemeinde wieder aufsucht, bereits in Amerika Karriere gemacht und ist „ein rechtschaffener Officier“93 geworden. Die Frau des Amtmanns kommentiert diese Entwicklung mit den Worten: „Ein Officier? du lieber Gott! wer soll das denken, vor fünf Jahren waren sie ja nur Scribent.“94 Kaufmann selbst beschreibt seinen sozialen Aufstieg mit den Worten: Durch die Gnade meines Fürsten bin ich Lieutenant, und durch das Glück ein Mann von Vermögen. Ich traf in Amerika den Bruder meines Vaters als begüterten Kaufmann an. Kurz vor unserer Abreise starb er, nachdem er mich zum Erben alles seines Vermögens ernennte.95
Im Waldbruder verbirgt sich hinter der Einladung Plettenbergs, Herz als Adjutanten nach Amerika mitzunehmen, eine verdeckte persönliche Agenda. Er verfolgt im Geheimen den Plan, eine räumliche Trennung zwischen Stella und ihrem zweiten Verehrer, Herz, zu etablieren, damit zwischenzeitlich die Eheschließung zwischen der Gräfin und dem Oberst, „der schon fünf Jahre her die redendsten Proben seiner Treue gegeben hat“96, erfolgen kann. Honesta erklärt: „Unterdessen sollte Plettenberg aus Amerika zurückkommen, und in Abwesenheit unsers Ritters [Herz] die Hochzeit vollziehen, den er denn so lange von Europa entfernt
aufblühende Wohl des Volckes sich erfreuen.“ Ebd., S. 341 f. Zu der Rückkehr der deutschen Soldaten aus Amerika siehe auch Bretting: Bibel, S. 148; Herz: USA, S. 47; Kipping: Truppen, S. 15; Döllner: Erlebnisse, S. 21–23. 90 Siehe hierzu auch Kapitel III.9. 91 [Meyer]: Die Ankunft der Deutschen aus Amerika. 5. Auftritt, S. 29 f. 92 Ebd. 6. Auftritt, S. 32. 93 Ebd. 12. Auftritt, S. 45. 94 Ebd. 95 Ebd. 96 Honesta an Pfarrer Claudius. In: Lenz: Der Waldbruder. 3. Teil. 3. Brief, S. 322.
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halten konnte als es ihm gelegen war.“97 Sie kommentiert das Vorhaben mit den Worten: „Dieser Plan ist grausam genug, indessen ist er doch der einzig erträgliche für einen so gespannten Menschen als Herz ist.“98 Das Motiv des nach Amerika zum Schauplatz des Unabhängigkeitskrieges reisenden unglücklich Liebenden, der in der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung Europas vorläufig oder auch endgültig keine Realisierung des Glückszustandes mehr erwartet und sich in der Neuen Welt seinem Schicksal mit anscheinend indefinitem Ausgang übergeben möchte, ist in der zeitgenössischen deutschsprachigen Amerikaliteratur ein fester Topos. In Seybolds Reizenstein sind es der aufgrund seiner bürgerlichen Herkunft gesellschaftshierarchisch unter seiner Angebeteten Wilhelmine stehende Arzt Müller und der aufgrund des unerwarteten Todes seiner Verlobten desillusionierte Offizier Reizenstein, die, zeitlich versetzt und unter unterschiedlichen Vorzeichen, die transatlantische Reise antreten (s. o.). Klingers Wild ist ebenso ein rastloser Reisender, aber auch ein sich selbst verzehrender Liebender (s. o.). Bei Lenz begegnet dem Leser dieses Motiv außer in seinem Briefroman auch noch in dem gleichfalls nur fragmentarisch erhaltenen in zwei Bearbeitungen vorliegenden Drama Henriette von Waldeck [oder] Die Laube,99 welches der Autor in Weimar und Berka und damit etwa zeitgleich wie den Waldbruder verfasste.100 In dieser ebenso biografisch inspirierten101 „empfindsamen Liebesgeschichte“102, soll der von den Hessen im Zuge der Subsidienverträge angeworbene Militärangehörige Constantin, der in die titelgebende adelige Figur Henriette von Waldeck103 verliebt ist, auf Seiten der Briten am Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg teilnehmen.104 Um Constantin von diesem Vorhaben abzubringen, kommt es wie im 97 Ebd. 98 Ebd. 99 Im Folgenden zitiert nach der Ausgabe Jakob Michael Reinhold Lenz: Henriette von Waldeck [oder] Die Laube. In: Ders.: Werke und Briefe in drei Bänden. Bd. 1. Hg. von Sigrid Damm. München – Wien 1987, S. 527–548. Zu dem Text siehe allgemein auch Weinhold: Henriette von Waldeck, S. 106–112. 100 Vgl. Weinhold: Henriette von Waldeck, S. 107. Die biografische Zusammengehörigkeit beider Texte von Lenz wird auch daran deutlich, dass er offensichtlich in der zweiten Bearbeitung den Namen der Figur „Gangolf“ durch „Rothe“ ersetzte. 101 Karl Weinhold hat darauf hingewiesen, dass sich hinter den Figuren Gangolf und Constantin Goethe und Lenz verbergen könnten. Siehe ebd., S. 109. 102 Ebd., S. 107. 103 Phonetisch erweckt den Name Assoziationen zu der bereits erwähnten elsässischen Landadeligen Henriette Waldner von Freundstein (Henriette von Oberkirch), die Lenz’ romantisches Interesse geweckt hatte und als wahrscheinliche Vorlage für Gräfin Stella im Waldbruder gilt (s. o.). 104 So berichtet Henriette ihrer Cousine Antoinette, dass Constantin „unter die Hessen gegangen“ (Lenz: Henriette von Waldeck oder die Laube. 1. Szene, S. 531 [Erste Bearbeitung]) sei, woraufhin diese ergänzt: „Um nach Amerika zu ziehen, schrieb Rehfeld.“ Ebd.
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Waldbruder, zu einer Intrige, die hier durch positive Intentionen motiviert ist.105 Constantin wird in einem Brief darüber informiert, dass Gangolf, dem er sich eigentlich freundschaftlich verbunden fühlt, mit Henriette den Bund der Ehe eingegangen sei. Obwohl Gangolf tatsächlich mit Antoinette verheiratet ist, soll diese Fehlinformation Constantin dazu bewegen, von seiner Absicht abzurücken, die Reise nach Amerika anzutreten.106 Henriettes Vater, Baron von Waldeck, erläutert ihm schließlich die Hintergründe der Ereignisse und hebt die positiven Motive des Freundes hervor. Er erklärt: […] Du hast nie einen würdigern Freund gehabt als diesen. Antoinette war es, mit der er sich verheurathet hatte, und er suchte durch diese falsche Nachricht nur dich hierher zu ziehen, damit deine Gegenwart verhindern sollte, daß ich meine Tochter nicht einem andern gäbe.107
Sowohl Henriette von Waldeck als auch der Waldbruder sind, wie bereits erwähnt, unvollendet geblieben und lassen breiten Raum für Spekulationen. Im Falle von Lenz’ Waldbruder hat die Forschung allerdings auch auf Inkonsequenzen in der Anlage der in der Briefkommunikation sich zeigenden Figureneigenschaften und auf Irregularitäten im teilweise verschlungenen Handlungsgeschehen hingewiesen.108 Martin Disselkamp sprach in diesem Zusammenhang von einem „Befund der Undurchschaubarkeit im ‚Waldbruder‘, der der Forschung vertraut ist“109. Er führte aus: „Über die Romanfiguren und ihre Absichten erhält der Leser verwirrende, teils auch bruchstückhafte oder gar keine Informationen.“110 Der fragmentarische Charakter des Briefromans111 hat in der Forschung zu unterschiedlichen Bewertungen des vorhandenen Textmaterials und zu teil-
105 Allerdings stehen die Irreführungen in beiden Texten unter antagonistischen geografischen Vorzeichen. Während im Waldbruder Herz nach Amerika reisen soll, damit die Hochzeit zwischen Plettenberg und der Gräfin ungestört stattfinden kann, bemüht sich das soziale Umfeld von Constantin, ihn dazu zu bewegen, in Europa zu bleiben. 106 Siehe hierzu auch Weinhold: Henriette von Waldeck, S. 110 f. 107 Lenz: Henriette von Waldeck oder die Laube. 2. Szene, S. 537 [Erste Bearbeitung]. 108 Siehe hierzu auch Stehpan: Scheitern, S. 275. Die Handlung in Henriette von Waldeck dagegen kommentierte Weinhold mit den Worten: „Die Anlage des kleinen Stückes ist sehr einfach.“ Weinhold: Henriette von Waldeck, S. 110. 109 Disselkamp: Narr, S. 164. 110 Ebd. Siehe auch Heine: Waldbruder, S. 186. 111 In Anbetracht der Spekulationen um weitere Textpassagen, die einer redaktionellen Bearbeitung zum Opfer gefallen sein könnten, hielten Britta Titel und Hellmuth Haug fest, dass der Roman „zweifellos unvollendet hinterlassen[.]“ (Titel – Haug: Anmerkungen, S. 642) wurde. Sie ergänzten: „[D]er angeblich von Goethe und Schiller unterdrückte fünfte Teil […] ist Falcksche Fabelei.“ Ebd.
3 Heinrich Julius von Lindau als historisches Vorbild für Lenz’ Waldbruder
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weise stark divergierenden prognostischen Extrapolationen geführt.112 Hans Heinrich Borcherdt war sich sicher, dass die Geschichte „zweifellos tragisch enden sollte.“113 Bernd Laroche dagegen unterstrich Herz’ Wunsch, das Bild der Gräfin in die Neue Welt mitzunehmen und extrapolierte einen „versöhnlichen Ausgang“114.
3 „[I]ch gehe mit unsern Regimentern nach Amerika und zwar wider meine gute Freunde die Kolonisten.“ Heinrich Julius von Lindau (1754–1776) als historisches Vorbild für Lenz’ Waldbruder Wie bereits erwähnt (s. o.), wurden von der Forschung die historischen Vorbilder für die literarischen Figuren Herz und Constantin im Waldbruder bzw. in Henriette von Waldeck überwiegend in Lenz selbst erkannt. Darüber hinaus ist aber auch eine Identifikation dieser poetischen Gestalten mit Heinrich Julius von Lindau möglich, einem Weggefährten Goethes und Lenz’ aus der Straßburger Zeit,115 mit dem dieser auch nach der physischen Separation noch in brieflichem Kontakt stand.116 Lindau, „eine echte Erscheinung“117 des Sturm und Drang, erhielt Anfang des Jahres 1776 eine Stelle als Leutnant bei den von Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel für den militärischen Einsatz in Amerika vorhergesehenen Truppen, nachdem er freiwillig um ein Offizierskommando in dem im Jahr zuvor ausgebrochenen Unabhängigkeitskrieg ersucht hatte.118
112 Siehe hierzu Waldberg: Einleitung, S. 39 f.; Zumbusch: Erhabenen, S. 56. Da sich bezüglich Lenz’ Konzeption des weiteren Handlungsverlaufs im Waldbruder offensichtlich keine aufschlussreichen Hinweise und Notizen erhalten haben, bleiben Vermutungen um das narratologische Entwicklungsstadium der vom Autor konzipierten Geschichte spekulativ. 113 Borcherdt: Roman, S. 42. Siehe auch Heine: Waldbruder, S. 188. 114 Laroche: Bild, S. 177. Siehe auch Titel – Haug: Anmerkungen, S. 642. Zu den Spekulationen um den Ausgang des Romans siehe außerdem Weiß: „Waldbruder“-Fragmente, S. 91 f. 115 Hierzu merkte Ernst Beutler an: „So wenig wir von Heinrich v. Lindau wissen, sein Name steht hoch oben im Straßburger Münsterturm auf der gleichen steinernen Tafel, die die Namen Goethes und der Grafen v. Stolberg und Lenzens enthält.“ Beutler: Peter im Baumgarten, S. 447. 116 Siehe hierzu auch King: Echoes, S. 58–61. 117 Beutler: Peter im Baumgarten, S. 447. 118 Vgl. Ernst: Goethes Freundeskreis, S. 25; Titel – Haug: Anmerkungen, S. 644; Weinhold: Henriette von Waldeck, S. 111.
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VI Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg als soziale Aufstiegschance
Wie aus seinen Briefen hervorgeht, zeigte Lenz ein großes Interesse und tiefe Anteilnahme am Schicksal des Straßburger Freundes.119 In einem im Januar 1776 verfassten Brief schrieb er an Lindau: „Ihr geht also sicher nach Amerika. Auch darüber hätt ich viel mit Euch zu reden.“120 Einige Wochen später betonte er: „[…] [N]ach Europa sollt und müßt Ihr wieder zurückkehren mein lieber lieber Lindau.“121 Und an anderer Stelle heißt es in der vertrauten pronominalen Anredeform: „Mach nur daß Du bald wieder nach Europa kommst. Sei brav aber nicht zu verwegen. Vor allen Dingen behalte kaltes Blut u[nd] Augenmaß die Grenzen der Gefahr abzumessen und dann ihrer zu lachen.“122 Lenz gab dabei Lindau eine Reihe militärischer Ratschläge, die er für nützlich erachtete.123 In den Briefen scheinen auch Aspekte von Lenz’ persönlichen politischen Ansichten zur den Ereignissen in Nordamerika durch. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass die folgenden Aussagen von Lenz nicht zwangsläufig seine eigentliche Meinung widerspiegeln müssen, da sie z. B. auch als Ratschläge zur psychologisch-propagandistischen Kriegsführung gegen die Kontinentaltruppen aufgefasst werden können, um Lindau in den zu erwartenden militärischen Auseinandersetzungen einen Überlebensvorteil zu verschaffen. Denkbar wäre auch, dass Lenz angesichts der bereits getroffenen und kaum mehr umkehrbaren Entscheidung Lindaus, sich auf der britischen Seite zu engagieren, seinem Freund eine affirmative und motivierende moralisch-ideologische Unterstützung zuteilwerden lassen wollte. In dem bereits zitierten Brief an Lindau empfahl er, Revolutionären gegenüber die Legitimität ihrer Argumente in Abrede zu stellen.124 Lenz vertrat eine
119 Die Frage, ob Lenz plante, Lindau zu begleiten und selber nach Amerika zu reisen, hat schon die ältere Forschung beschäftigt. Karl Weinhold gab an, „daß Lenz selbst bei seiner verzweifelten Straßburger Lage für den Vorschlag seines Freundes, den ihm dieser am 9. Febr[uar] 1776 ohnehin machte, mit ihm nach Amerika zu gehn, Lust empfand. Er schrieb damals an Frau Sophie von La Roche über diese Absicht. Freilich war im März nicht mehr die Rede davon.“ Weinhold: Henriette von Waldeck, S. 111. Dieser Schlussfolgerung haben allerdings Britta Titel und Hellmuth Haug widersprochen: „[…] [D]aß Lenz, darin das Original seines Herz, zeitweise daran gedacht habe, ihn [Lindau] zu begleiten, erschließt Weinhold, Nachlaß 111 irrtümlich aus B 107.“ Titel – Haug: Anmerkungen, S. 644. 120 Jakob Michael Reinhold Lenz an Heinrich Julius von Lindau. Januar 1776. In: Lenz: Werke und Briefe, S. 372. 121 Ebd. Anfang März 1776. In: Lenz: Werke und Briefe, S. 404 f. 122 Ebd., S. 404. 123 In Bezug auf Lenz’ Selbsteinschätzung seines Militärverständnisses notierte Karl Weinhold: „Lenz hielt sich ja sein Leben lang für ein militärisches Genie.“ Weinhold: Henriette von Waldeck, S. 111. 124 Zu Lenz’ Einstellung zur Amerikanischen Revolution gab Henry Safford King allgemein an: „It does not appear that Lenz had any personal sympathy for the American cause, but in his
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Position, welche die Möglichkeiten der politischen Partizipation des britischen Unterhauses diminuierte. Er erklärte: Und seht Ihr die Kolonisten einmal so sagt ihnen daß sie Narren sind daß sie für eine Freiheit fechten die in der Natur der englischen Verfassung nicht liegt die nur ein eingeschlichener Mißbrauch ist. Das Unterhaus hat nie Stimme im Parlament gehabt als da die Könige Geld von ihnen brauchten und den Adel scheren wollten. Sie hatte nie ein anderes Recht als zu bitten Suppliken einzureichen und das behalten sie ja noch. Wenn der König sie nötig hat und sie ihm Geld stoßen wird er ihnen schon mehr bewilligen.125
Lenz berührte in seiner Mitteilung eine zeitgenössische politische Schlüsselfrage der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung. Während des Separationsprozesses der Patrioten vom britischen Mutterland war der Wunsch der Kolonisten nach einer direkten Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen von hoher Bedeutung und Brisanz. Im öffentlichen Diskurs mündeten die Forderungen der Kolonisten nach einer parlamentarischen Mitbestimmung in der berühmten Formel „No Taxation without Representation“126. In seinem Brief an Lindau verwies Lenz auf die Magna Charta von 1215, der in der englischen Verfassungsgeschichte eine zentrale Rolle zugeschrieben wurde und auch auf zahlreiche amerikanische Gründerväter wie Thomas Jefferson einen großen Einfluss ausübte.127 Das Rechtsdokument diente Lenz allerdings überraschenderweise als weiteres Beispiel, um den politischen Einfluss des Unterhauses zu relativieren. Er postulierte: „In der Magna charta von England steht kein Wort vom Unterhause. Nur durch das Geld das sie dem König Eduard stießen brachten sie es bei ihm dahin.“128 Um seinen
published writings he made use of the motif of the German soldiers fighting in America.“ King: Echoes, S. [57]. Ähnlich erklärte John A. Walz: „Lenz’s sympathies, if we may draw a conclusion from his works, seem to have been anything but American.“ Walz: American Revolution, Sp. 415. Und er ergänzte: „It is not an unfair inference, therefore, to say that Lenz, the Stürmer und Dränger, looked upon the American struggle for freedom with the utmost indifference, and he may actually have thought of enlisting with the Hessians.“ Ebd. 125 Jakob Michael Reinhold Lenz an Heinrich Julius von Lindau. Anfang März 1776. In: Lenz: Werke und Briefe, S. 404 f. 126 Die Parole wurde von dem unitaristischen geistlichen Jonathan Mayhew (1720–1766) bereits 1750 in einer Predigt in Boston formuliert. Als Begründer der zeitgenössisch ebenfalls weit verbreiteten Losung „Taxation without Representation is Tyranny“ gilt der ebenfalls aus Massachusetts stammende Politiker James Otis (1725–1783). Siehe hierzu Burns: Taxation, S. 108 f. Siehe auch Beneke: Critical Turn, S. 23–48. 127 Zur Bedeutung der Magna Charta für die Vereinigten Staaten siehe z. B. Stimson: Law, S. 36 f., 75–89. 128 Jakob Michael Reinhold Lenz an Heinrich Julius von Lindau. Anfang März 1776. In: Lenz: Werke und Briefe, S. 405.
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VI Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg als soziale Aufstiegschance
Briefpartner zu motivieren oder aus tatsächlicher politischer Überzeugung, vertrat Lenz außerdem die Ansicht, dass es sich bei dem Konflikt auf dem nordamerikanischen Kontinent, aufgrund der begrenzten finanziellen Ressourcen der Aufständischen, um keine langdauernde Auseinandersetzung handeln würde. Er behauptete: „Auch werden es die Kolonisten nicht lange machen alles rüstet sich wider sie und das Geld wird ihnen in die Länge auch schon fehlen.“129 Schon am 29. Januar verabschiedete sich Lindau in Weimar von Goethe,130 der nach dem Tod des Jugendfreundes die materielle Versorgung seines Pflegekin-
129 Ebd. 130 Vgl. Damm: Anmerkungen, S. 851; Freye – Stammler: Anmerkungen, S. 312 f. Lindaus Lebensweg hat offensichtlich auch in Goethes schriftstellerischem Werk seine Spuren hinterlassen. In seinem 1808 als Zusatz zum Werther veröffentlichten Briefe aus der Schweiz. Erste Abteilung heißt es: „Soll ich dir’s gestehen, ich konnte mich eben so wenig in den herrlichen Körper finden, da die letzte Hülle herab fiel, als vielleicht Freund L. sich in seinen Zustand finden wird, wenn ihn der Himmel zum Anführer der Mohawks machen sollte.“ Goethe: Briefe aus der Schweiz, S. 643. Die in der zitierten Passage verwendete Abkürzung „L.“ wurde von der Forschung als „Lindau“ aufgelöst. Siehe Beutler: Peter im Baumgarten, S. 447 f.; Ernst: Goethes Freundeskreis, S. 30 f. Die Evokation der Mohawk, eines zu der Irokesenliga (sog. Fünf, bzw. später Sechs Nationen) gehörenden indianischen Stammes, dessen Hauptsiedlungsgebiet im nördlichen Teil des heutigen Bundestaates New York lag, unterstützt diese Identifikation. Zu den Mohawk im 18. und 19. Jahrhundert siehe Fenton – Tooker: Mohawk, S. 473–476; Görres: Mohawk, S. 48 f.; Snow: Iroquois, S. 131–157; Wallace: Conrad Weiser, S. 3 ff. Zu einer Begegnung zwischen den Mohawk und Siedlern aus den deutschen Staaten kam es, als sich sog. Palatines, die allerdings nicht vollständig aus den Territorien der Kurpfalz stammten, insbesondere im Zuge der Massenauswanderung von 1709, im New Yorker Mohawk-Tal niederließen. Siehe hierzu Ludescher: Auswanderung, S. 818 (dort auch weitere Angaben zur Forschungsliteratur). Das Motiv des weißen Europäers, der in der Neuen Welt Anführer einer indigenen sozialen Entität wird, wurde in der deutschsprachigen Amerikaliteratur von verschiedenen Autoren aufgegriffen, so etwa von dem Deutsch-Amerikaner Konstantin Grebner (1830–1907) in seiner Ballade Die Brüder (der Text ist in der von Gotthold August Neeff [1869–?] herausgegebenen Anthologie Vom Lande des Sternenbanners. Eine Blumenlese deutscher Dichtungen aus Amerika [Heidelberg – Ellenville/New York 1905] abgedruckt [S. 57 f.]). In seinem 1789 erschienenen „fingierte[n]“ (Füssel: Studien, S. 219) Schreiben aus America nach Deutschland berichtete auch Johann Gottfried Seume über die indianischen Gemeinschaften, denen er in der Neuen Welt begegnet war. Darin heißt es: „Jede ihrer kleinen Republiken hat gewöhnlich ihren Vorsteher und Obersten, dem sie sehr pünktlich gehorchen. Ein berliner Tuchmachergeselle bekleidet den Posten einer solchen kleinen Majestät nicht weit von hier schon seit 18 Jahren, ist ganz unter ihnen nationalisiert, und soll in großem Ansehn unter den übrigen Horden stehen.“ Seume: Schreiben aus America nach Deutschland, S. 377. 1901 gab der Deutsch-Amerikaner Karl Dilg ebenfalls an, dass ein Holsteiner namens Eckhoff „in der Umgegend von Chicago“ (Dilg: Indianer-Häuptlinge, S. 61) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Häuptling eines Indianerstammes geworden sein soll. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts behauptete auch Karl May bei zahlreichen öffentlichen Auftritten, angeblich nicht nur der wahre Old Shatterhand zu sein, sondern zudem den Befehl über 35.000 Apachen inne zu haben. Vgl. Roxin: Karl May, S. 43.
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des, Peter im Baumgarten (1766?–1793/99?), sicherstellte.131 Lenz war auch nach der Abreise Lindaus sehr um die Aufrechterhaltung eines Kontaktes bemüht. Am 2. April 1776 bat er Heinrich Christian Boie (1744–1806): „Sagen Sie mir doch auch wenn Sie es wissen bei welcher Division hessischer Truppen Lindau engagiert ist und wenn’s sein kann den Namen des Regiments. Auch wohin man sich zu wenden hätte, wenn man ihm etwa einen Brief nach Amerika zuschicken wollte.“132 Dem Antwortbrief Boies konnte Lenz einige Tage später entnehmen: Lindau ist Lieutenant im Wutgenauischen Regiment, das, so viel ich weiß, noch nicht in Marsch ist. Ein Brief, an seinen Vetter Lindau, Lieutenant in der Garde zu Kassel adressiert, kömmt gewiß in seine Hände. Künftig, wenn er in Amerika, können Sie […] durch mich so oft schreiben, als Sie wollen, ohne daß […] Ihnen was kostet.133
Das historische Pendant zu den fiktionalen weißen Indianerhäuptlingen stellt die Biografie des Deutsch-Amerikaners Herman Lehmann (1859–1932) dar. Lehmann wurde 1870 in Texas bei einem Indianerüberfall von Apachen entführt und von ihrem Stamm assimiliert. Es gelang ihm, im Laufe der Zeit in eine Führungsposition aufzusteigen. Infolge verschiedener Entwicklungen, zu denen auch gewaltsame Auseinandersetzungen gehörten, die ihn zu einem Mitglied der Comanchen werden ließen, wurde er 1878 mit seiner weißen Familie wiedervereint, blieb jedoch zeitlebens mit seiner indianischen Identität untrennbar verbunden. 131 Lindau hatte seinen Ziehsohn Peter in der Schweiz als zehnjähriges Findelkind aufgenommen und ihn nach dessen Fundort Baumgarten benannt. Ursprünglich wollte Lindau offensichtlich Peter nach Amerika mitnehmen. Siehe Ernst: Goethes Freundeskreis, S. 27. Nachdem er aber doch in Europa zurückgeblieben und sein Ziehvater gestorben war, wurde er von Goethe nach Kochberg gebracht, wo er mit Dorfkindern zusammen aufwuchs. Einige Jahre später trat er in Ilmenau als Jäger in Erscheinung. Ernst Beutler, der darauf hinwies, dass Lindaus Pflegesohn ein „abenteuerliches Leben“ (Beutler: Peter im Baumgarten, S. 452) führte, hat die Vermutung geäußert, dass er selbst später ebenfalls nach Amerika gereist sein könnte, nachdem 1793 in Weimar ein amerikanischer Werbeoffizier namens Colonel Pearce erschienen war. Beutler gab an, dass die letzten Spuren von Peter im Baumgarten, der eine Frau und sechs Kinder zurückließ, nach Hamburg führen, von wo er möglicherweise in die Vereinigten Staaten weitergereist sein könnte. In Bezug auf eine mögliche amerikanische Biografie von Peter im Baumarten schrieb Beutler: „Hat nun Peter im Baumgarten unter dem Sternenbanner Waffen getragen? Hat er etwa als ausgedienter Soldat ein Dasein als ‚Frontier‘ geführt, als Jäger oder Siedler? Oder hat er sein Können als Kupferstecher unter den deutschen Kolonisten etwa in Germantown, Philadelphia oder Reading in einem friedlich bürgerlichen Beruf verwertet? Ist er in Trunk und Spiel untergegangen? Wir wissen es nicht.“ Beutler: Peter im Baumgarten, S. 451. Zu der Biografie des Ziehsohnes von Lindau, die von zahlreichen, teilweise ausgesprochen spekulativen Legenden umgeben ist, wie beispielsweise dass Anna Amalia die Mutter oder Goethe der Vater des Kindes gewesen sein könnten, siehe auch Beutler: Peter im Baumgarten, S. 444–458; Boyle: Goethe, S. 340 f.; Damm: Anmerkungen, S. 851, 853; Ernst: Goethes Freundeskreis, S. 33–58; Freye – Stammler: Anmerkungen, S. 312; Jantz: Men, S. 79–82. 132 Jakob Michael Reinhold Lenz an Heinrich Christian Boie. 2. 4. 1776. In: Lenz: Werke und Briefe, S. 421. 133 Heinrich Christian Boie an Jakob Michael Reinhold Lenz. 11. 4. 1776. In: Lenz: Werke und Briefe, S. 426.
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VI Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg als soziale Aufstiegschance
In einem im August desselben Jahres verfassten Brief erkundigte sich Lenz erneut bei Boie nach den Möglichkeiten einer Kontaktaufnahme: „Wissen Sie mir nicht zu sagen, wohin man Briefe an H[err]n v[on] Lindau adressiert und wenn wieder ein Schiff abgeht auch ob stark geworben wird.“134 Den Wunsch Lindaus am Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zu partizipieren hat die Forschung überwiegend auf persönliche psychologische Motive zurückgeführt. Laut Fritz Ernst „war für Lindau der Freiheitskrieg der andern nun sein Erlösungskrieg.“135 Und auch Ernst Beutler vertrat die Ansicht: „Er bot seinen Degen dem Landgrafen von Hessen an, nicht Kriegsruhmes halber, sondern – ein anderer Werther – den Tod zu suchen.“136 Bereits Lindaus jüngere Schwester, Marie Ulrike von Düring (geb. von Lindau; 1761–1832), hatte in ihren Erinnerungen erklärt: Aus Verzweiflung – ohne den Zuspruch oder Rat wirklicher Freunde – nahm Heinrich Dienst in den hessischen Truppen, welche der Landgraf Friedrich II., wie es in damaliger Zeit bei vielen deutschen Fürsten üblich war, an England verkauft hatte, um für dieses ihr Leben in Amerika zu opfern.137
Das soziale Umfeld von Lindau reagierte auf seine Absicht, als Offizier nach Amerika zu reisen, überwiegend verwundert. Am 8. März teilte Boie z. B. Lenz mit: „Gestern hat mich Lindau sehr unerwartet überrascht. Er geht, wie Sie vielleicht wissen als hessischer Lieutenant, mit nach Amerika. Sonderbar und unbegreiflich!“138 Seine Bekannten führten Lindaus Entscheidung auf höchst extravagante auf überspannte Vorstellungen und einen geradezu pathologischen psychologischen Zustand zurück. Lindau hatte sich in dieser Zeit zunächst in die Hamburger Kaufmannstochter Magdalena Pauli (geb. Poel; 1757–1825) und später in die Frankfurter Bankierstochter Charlotte von Barckhaus-Wiesenhütten (1756–1823) verliebt.139 Nachdem es beide Male nicht zu einer Heirat gekommen war, soll der Werbende von einer Todessehnsucht ergriffen worden sein, die in seinem Entschluss, am Krieg in Nordamerika teilzunehmen, zum Ausdruck kam. Für Lenz war der
134 Jakob Michael Reinhold Lenz an Heinrich Christian Boie. August 1776. In: Lenz: Werke und Briefe, S. 490. 135 Ernst: Goethes Freundeskreis, S. 26. 136 Beutler: Peter im Baumgarten, S. 447. 137 Düring: Lebensbilder und Lebenserinnerungen, S. 53. 138 Heinrich Christian Boie an Jakob Michael Reinhold Lenz. 8. 3. 1776. In: Lenz: Werke und Briefe, S. 396. 139 Vgl. Breymayer: Goethe, S. 13 f. Siehe hierzu auch Breymayer: Goethe, S. 13 f., 53–57, 81; Damm: Anmerkungen, S. 859.
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gemeinsame Freund, wie er Johann Georg Zimmermann (1728–1795) gegenüber erwähnte, „unser kranker liebenswürdiger Lindau“140. Zimmermann selbst gelangte in einem Brief an Lavater zu der Ansicht: „Dieser Mensch hat ein Übermaß von Kraft und Schwachheit, beides in gleichem Grade. Das Resultat ist eine Phantasterei, die oft nahe an den Wahnwitz zu grenzen scheint.“141 Lenz wandte sich direkt an Lindau, um seine Kritik zu äußern. Anfang April fragte er: „Wie Lindau Ihr wollt in den Lehrjahren Eures Lebens da Ihr auf alles das was groß und edel ist Ansprüche habt Euch hinlegen u[nd] sterben? Warum nicht lieber ausschlafen? Pfui schämt Euch solchen Entschluß weise zu nennen.“142 Und er ergänzte: „Wer hat Euch das Recht gegeben zu sterben da Ihr noch nicht gelebt habt.“143 Vorwurfsvoll erklärte Lenz: „Euch ermorden aus langer Weile wie der Engländer der sich vor den Kopf Schoß weil er nichts Neues in der Zeitung fand. So schlägt man Flöhe tot aber keine Menschen.“144 In der Tat scheinen politische Gründe für Lindaus Bestreben nach Amerika zu reisen, nur eine marginale Rolle gespielt zu haben. Die Entscheidung, die deutschen Subsidientruppen zu begleiten und damit im Unabhängigkeitskrieg auf der britischen Seite einzugreifen, stand sogar mutmaßlich im Gegensatz zu seinen persönlichen politischen Überzeugungen. Ein umfangreiches dezidiertes politisches Bekenntnis hat sich wohl nicht erhalten, Lindau scheint aber offensichtlich noch vor seiner Abreise aus Europa ein Gedicht verfasst zu haben,145 in dem er den amerikanischen Freiheitskampf in poetischer Form mit einem möglicherweise persönlichen prorevolutionären Bekenntnis thematisierte. Lenz erhielt anscheinend eine Abschrift des Textes, denn Ende Mai 1776 schrieb er an Boie: „Empfehlen Sie mich doch Zimmermann bestens und geben ihm unbeschwert doch gegenwärtiges Gedicht von Lindau, das ich aber sonst sehr geheim zu halten bitte.“146 Ebenfalls Ende Mai teilte Lenz Zimmermann persönlich in schriftlicher Form mit: „Hier mein trefflicher Freund und Gönner die gedruckte Kopei [sic] eines Gedichts das der von Seiten seines Herzens wahrhaftig
140 Jakob Michael Reinhold Lenz an Johann Georg Zimmermann. Juli 1776. In: Lenz: Werke und Briefe, S. 484 f. 141 Johann Georg Zimmermann an Johann Caspar Lavater. 15. 3. 1776. In: Ernst: Goethes Freundeskreis, S. 96. 142 Jakob Michael Reinhold Lenz an Heinrich Julius von Lindau. Anfang April 1776. In: Lenz: Werke und Briefe, S. 423. 143 Ebd., S. 424. 144 Ebd. 145 Siehe hierzu auch Jantz: Men, S. 81–84; King: Echoes, S. 62. Ein entsprechendes Gedicht konnte allerdings trotz intensiver Recherchen nicht gefunden werden. 146 Jakob Michael Reinhold Lenz an Heinrich Christian Boie. Ende Mai 1776. In: Lenz: Werke und Briefe, S. 458.
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liebenswürdige Lindau kurz vor seinem Abmarsch nach Amerika (der nun würklich erfolgt ist) gemacht hat.“147 Im Folgenden artikulierte Lenz die Bitte Lindaus, die Verse der amerikanischen Seite vorzulegen und gab an: Er äußerte in seinem letzten Briefe den Wunsch oder vielmehr er beschwur uns, wenn wir mittelbar oder unmittelbar einigen Zusammenhang mit Amerika hätten, es dahin an den D[r]. Franklin oder General Washington kommen zu lassen und ihnen zugleich einige Personalien von dem Verfasser zu melden.148
Offensichtlich hatte Lindau zu diesem Zeitpunkt, wie Reizenstein in Seybolds gleichnamigem Briefroman,149 noch die Absicht verfolgt, durch das Gedicht einen Kontakt zu Führungspersönlichkeiten der Patrioten herzustellen, um ihnen möglicherweise seine militärischen Dienste anzubieten. Obwohl der konkrete Inhalt des Gedichtes, dessen Existenz wie bereits erwähnt wurde, nicht mehr nachzuweisen ist, ungeklärt bleibt, wird die Vermutung, dass darin Sympathien für die Amerikanische Revolution zum Ausdruck gebracht worden sein könnten,150 durch eine Aussage von Lenz, gestützt. In dem eben zitierten Brief an Zimmermann schrieb er: Wir wissen uns (Wieland, Goethe und ich) bei dieser Foderung an niemand zu wenden, als an Sie mein Teurester und da Sie die Sache der Freiheit auch unter allen Verhältnissen lieben, so glaube ich wenn Sie es füglich tun können, werden Sie auch diesen letzten Willen des trefflichsten aller Don Quichotte vollziehen helfen, da in der Tat wie ich glaube den Kolonien eine Erscheinung dieser Art nicht anders als willkommen und aufmunternd sein kann.151
147 Jakob Michael Reinhold Lenz an Johann Georg Zimmermann. Ende Mai 1776. In: Lenz: Werke und Briefe, S. 458. 148 Ebd., S. 458 f. Fritz Ernst kommentierte die Bitte mit den Worten: „Die Zumutung ist kaum in die Wirklichkeit umgesetzt worden.“ Ernst: Goethes Freundeskreis, S. 27. 149 Siehe Kapitel III.3. 150 Siehe hierzu auch Ernst: Goethes Freundeskreis, S. 27. 151 Jakob Michael Reinhold Lenz an Johann Georg Zimmermann. Ende Mai 1776. In: Lenz: Werke und Briefe, S. 459. Hermann Bräuning-Oktavio bzw. Karl Freye und Wolfgang Stammler wiesen auf ein Konzept dieses Briefes in Riga hin, auf dem neben einem Textstück zur Catharina von Siena u. a. zu lesen ist: „Hier ist Lindaus Schwanengesang, den er sehr gern an Washington oder D[r]. Franklin möchte gelangen lassen. Wie ist mir selber unbegreiflich. Vielleicht wissen Sie Auswege. Den Colonisten kann ein solch Produkt nicht anders als lieb seyn. Und Sie, mein Freund, sind Freund der Freyheit, nur daß er [der Schwanengesang] nicht in unrechte Hände falle.“ Bräuning-Oktavio: Ungedrucktes, S. 24; Freye – Stammler: Anmerkungen, S. 329.
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Das Gedicht könnte demzufolge durch einen brisanten Inhalt geprägt gewesen sein. Boie, der aufgrund der zu erwartenden negativen sozialen Sanktionen Bedenken an einer Veröffentlichung artikulierte, riet Lenz in einer nur fragmentarisch erhaltenen Mitteilung: „[…] Sie [(sol?)ten] doch Lindaus unbesonnenes Blatt nicht drucken lassen! Es kann ihm so leicht schaden, wenn’s bekannt wird.“152 Einen Einblick in Lindaus tatsächliche politische Ansichten gewährt ein kurzer Kommentar in einem Brief, den er im Januar 1776 an Lavater schrieb. Darin bekannte er: „[…] [I]ch gehe mit unsern Regimentern nach Amerika und zwar wider meine gute Freunde die Kolonisten.“153 Der Entschluss Lindaus, sich, offensichtlich im Widerspruch zu seiner eigenen politischen Haltung, den Subsidientruppen anzuschließen und dadurch die Briten im Kampf gegen die Kontinentalarmee zu unterstützen, führte in seinem sozialen Umfeld, soweit dies über die Briefkontakte zu erschließen ist, offensichtlich zu negativen Reaktionen. 154 Lavater verband seine Besorgnis um das Wohl des Freundes mit politischen Bedenken: „Du in Amerika? Du wider die ehrlichen Kolonisten? Du so ferne, ach! ein unglücklicher Gang[.]“155 Der Geistliche Johann Gottfried Röderer (1749–1815) formulierte die Diskrepanz zwischen seiner freundschaftlichen Verbundenheit zu Lindau und den eigenen politischen Präferenzen. In einem Brief an Lenz erklärte er: Für Lindau will ich auch beten aber nicht für die Briten, ich kann nicht glauben, daß sie recht haben und einem andern das nehmen wollen worüber mir’s so wohl ist daß ichs auch habe! – nun ich bin nicht Politiker aber Gott erhalte und segne Lindau und geb Sieg den Gerechten!156
Obwohl Lindau anscheinend Sympathien für die Revolutionäre hegte, drückte er doch auch seine Bereitschaft aus, sie mit Gewalt zu bekämpfen. In einem Brief, den er an Bord der Concordia verfasste, des Schiffes, das ihn über den Atlantik beför-
152 Heinrich Christian Boie an Jakob Michael Reinhold Lenz. 17. 6. 1776. In: Lenz: Werke und Briefe, S. 465. 153 Heinrich Julius von Lindau an Johann Caspar Lavater. 31. 1. 1776. In: Ernst: Goethes Freundeskreis, S. 89. Siehe hierzu auch Breymayer: Goethe, S. 82. 154 Fritz Ernst vertrat sogar pointiert die Meinung: „Nicht nur sein Freundeskreis war auf Lindaus Kriegseintritt gegen die Kolonisten nicht gefaßt, sondern nicht einmal er selber.“ Ernst: Goethes Freundeskreis, S. 26. 155 Johann Caspar Lavater an Heinrich Julius von Lindau. 14. 2. 1776. In: Ernst: Goethes Freundeskreis, S. 90. 156 Johann Gottfried Röderer an Jakob Michael Reinhold Lenz. Ende Juni 1776. In: Lenz: Werke und Briefe, S. 469.
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derte,157 stellte er Lavater die rhetorische Frage: „Was für ein ander Mittel bleibt sie zu bekehren übrig, als Mahomets verheerendes, vertilgendes Schwert?“158 Wie für Klinger ging es Lindau offensichtlich nicht darum, die seiner Ansicht nach ideologisch überlegene Seite zu unterstützen, d. h. auf der „richtigen“ Seite zu stehen, sondern sich überhaupt am Kriegsgeschehen zu beteiligen. Hier zeigt sich eine Parallele zu Klinger159 und gewissermaßen auch zu den Motiven von Wild in Sturm und Drang.160 Die politischen Beweggründe treten für die männlichen Figuren gegenüber der Möglichkeit, an einem Krieg teilzuhaben, in den Hintergrund. Als männlich konnotiertes Betätigungsfeld erscheint der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg auch in Heinrich Leopold Wagners (1747–1779)161 1776 publizierten Trauerspiel Die Kindermörderin. Evchen Humbrecht, die durch eine ungewollte voreheliche Schwangerschaft in Bedrängnis geraten ist, artikuliert ihrer Mutter gegenüber, zu einem Zeitpunkt, als sie die drohenden negativen gesellschaftlichen Sanktionen bereits antizipieren kann, den wohl weniger aus politischem Interesse als aus eskapistischen Intentionen gespeisten Wunsch, sich militärisch für die Patrioten zu engagieren. Im vierten Akt heißt es: Evchen. O wenn ich ein Mann wäre! Fr[au] Humbrecht. Was wärs? Evchen. Noch heute macht ich mich auf den Weg nach Amerika, und hälf für die Freyheit streiten.162
Reizenstein und Wild verbindet aber nicht nur der Wunsch, sich ihrem Geschlechterrollenverständnis gemäß an militärischen Auseinandersetzungen zu beteiligen, sondern auch eine explizite oder latente Todessehnsucht bzw. die Bereitschaft, auf dem Schlachtfeld das Leben zu lassen, wie sie auch Lindau von seinem sozialen Umfeld zugeschrieben wurde. Lenz lehnte die Amerikapläne seines Freundes ab, gleichwohl präferierte er wohl die Entscheidung, sich den zu erwartenden militärischen Gefahren auszusetzen gegenüber dem direkten Suizid. An das Ehrgefühl Lindaus appellierend teilte er ihm mit: „Wollt Ihr Euch totschießen lassen oder juckt Euch die Haut so das Leben zu verlieren so geht nach Amerika
157 Vgl. Ernst: Goethes Freundeskreis, S. 28. 158 Heinrich Julius von Lindau an Johann Caspar Lavater. 21. 8. bzw. 1. 9. bzw. 11. 9. 1776. In: Ernst: Goethes Freundeskreis, S. 101. 159 Siehe Kapitel IV.2. 160 Siehe Kapitel IV.5. 161 Zu Wagners Leben und literarischem Werk siehe Fechner: Wagner, S. 74–76. 162 Wagner: Die Kindermörderin. 4. Akt, S. 46. Siehe hierzu auch Desczyk: Amerika, S. 42; Hatfield – Hochbaum: Influence, S. 366.
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und verliert es auf eine edle Art.“163 Und er wiederholte: „Sterbt aber sterbt als Mann.“164 Tatsächlich endete Lindaus Amerikaaufenthalt tödlich. Nachdem er am 16. November 1776 infolge eines Angriffs auf Fort Washington auf Manhattan von einer Kanonenkugel getroffen worden war, verstarb er an den Folgen der Verletzungen.165 Am 10. Februar 1777 berichtete Zimmermann Lavater: Ich wußte schon, daß Herr von Lindau bei dem Sturme des Forts Washington war verwundet worden, und ich hoffte, daß die Seereise und diese Wunde (deren Beschaffenheit mir unbekannt gewesen) seinen Kopf heilen, und seine Seele auf die ebenen Wege der Vernunft zurückführen würden. Den 30. Januar des Abends fand ich bei einem Kranken, dem Hessischen Kammerherrn und Major bei den Gens d’armes Herrn von Canitz, einen von allen Amerikanischen Begebenheiten sehr wohl unterrichteten und also unglücklicherweise glaubwürdigen Mann. Dieser sagte mir: Lindau sei tot; eine Canonenkugel aus dem Fort Washington habe ihn gestreift und diese Wunde sei tödlich geworden.166
Im Gegensatz zu der poetischen Welt, in der Figuren wie Reizenstein und Wild durch die Macht des Erzählers bzw. Autors nach langer Rastlosigkeit doch noch das Erreichen eines persönlichen Glückszustandes beschieden ist, wurde die Hoffnung auf pesönliches Glück für Lindau an der Realität gebrochen.
163 Jakob Michael Reinhold Lenz an Heinrich Julius von Lindau. Anfang April 1776. In: Lenz: Werke und Briefe, S. 423. 164 Ebd., S. 425. 165 Vgl. Beutler: Peter im Baumgarten, S. 447; Breymayer: Goethe, S. 14, 82; Düring: Lebensbilder, S. 53; Ernst: Goethes Freundeskreis, S. 29. 166 Johann Georg Zimmermann an Johann Caspar Lavater. 10. 2. 1777. In: Ernst: Goethes Freundeskreis, S. 103.
VII „Freudig ruf ich: Deutsche Brüder! / Heil Amerika! lebe hoch! / Lauter Echo halle wieder: / Heil dem Land, das uns erzog!“ Die deutsch-amerikanische Lyrik im 18. Jahrhundert 1 „In Columbia’s Schoos gedeihet / Jede Kunst und Fertigkeit; / Deutscher Geist und Sprache freuet / Auch den Fremdling weit und breit.“ Zwischen Assimilation und Kulturtradition. Die zeitgenössische deutsch-amerikanische Identität Im 18. Jahrhundert emigrierten schätzungsweise 100.000 Menschen aus den deutschen Staaten nach Nordamerika.1 Zu den wichtigsten Zielorten der Auswanderer gehörte die Kolonie bzw. später der Staat Pennsylvania, der, wie bereits zeitgenössisch wahrgenommen wurde,2 ein starkes Bevölkerungswachstum verzeichnete. In zahlreichen Schriften wurde die religiöse, kulturelle und intellektuelle Vorreiterrolle der von William Penn gegründeten Kolonie unter den nordamerikanischen Siedlungsgebieten akzentuiert. So notierte 1796 beispielsweise Johann Jacob Carl Timaeus’ (1763–1809) Nordamerikanischer Staats-Kalender: „Pennsylvanien zeichnet sich durch vorzügliche wissenschaftliche und literarische Institute aus; und eine Menge von öffentlichen und Privatanstalten beweiset, dass dieser Geist sehr herrschend ist.“3 Wekhrlin hatte diesseits des Atlantiks bereits 1780 in seinem Journal das „reizende[] Pensylvanien“4 in einem rousseauistisch anmutenden Panegyrikus als utopische Idylle apostrophiert: Eine holde und sanfte Sonne lächelt dich an. Eine ewige Blüthe bedeckt deine Felder. Das gröste unter allen menschlichen Gütern, der Friede, beherrscht deine Gränzen ununter-
1 Vgl. Moltmann: 300 Years, S. 9. Zum quantitativen Umfang der Migration siehe auch mit weiterführender Literatur Ludescher: Auswanderung, S. 821 [Anm. 143]. 2 Wilhelm Ludwig Wekhrlins Journal Chronologen schrieb 1780: „Man braucht mehr nicht anzuführen, um den Wohlstand der Provinz Pensylvanien zu zeichnen, als ihr schnelles Wachsthum in der Bevölkerung.“ Wekhrlin (Hg.): Chronologen 5 (1780), S. 131. 3 Timaeus: Nordamerikanischer Staats-Kalender, oder Statistisches Hand- und Adressbuch der Vereinigten Staaten von Nordamerika, S. 406. 4 Wekhrlin (Hg.): Chronologen 5 (1780), S. 133. https://doi.org/10.1515/9783110644739-007
1 Zwischen Assimilation und Kulturtradition
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brochen. Deine Einwohner leben, von allen Gütern der Natur und des Lebens umringt, im Ueberflusse. Eintracht, Sitten und Duldung sind deine vornehmsten Kennzüge. In dir kennt man weder Steuern, noch Frohnen, noch eine Einquartirung, noch Kommissare, noch Henker. – Beneidenswürdiges Land! zu diesen Vorzügen zählst du ehrliche Männer und schöne Weiber.5
Besonders lobenswert erschienen dem Publizisten die Leistungen des Koloniegründers, des „edlen Pen“6, den er als „vortrefliche[n] Erdensohn“7 bezeichnete und der Wekhrlins Ansicht nach die Kolonie „zur blühendsten und glücklichsten Provinz in Amerika gemacht“8 hatte. Noch enthusiastischer äußerte sich der Historiker und Staatsmann Johannes Müller, der die nach ihrem Gründer benannte Kolonie sogar zum Idealstaat auf der ganzen Welt erklärte. In einem Brief an seinen jüngeren Bruder Johann Georg (1759–1819) schrieb er im Juni 1774: „[…] 1680 [sic!] [gründete] Wilhelm Penn der Quäker in Pensilvanien den unstreitig schönsten und vollkomensten [sic] kleinen Staat, der noch zur Zeit auf Erden erschienen.“9 Pennsylvania sollte als Zufluchtsstätte für die Quäker zum sog. Holy Experiment werden.10 Beobachter assoziierten die Kolonie infolge der vergleichsweise liberalen Gesetzgebung mit umfassenden Freiheitsrechten und insbesondere mit der von vielen zeitgenössischen Aufklärern geforderten religiösen Toleranz. Der französischstämmige Pädagoge und Aufklärer Anthony Benezet (eigentlich: Antoine Bénézet) konstatierte in einer von ihm verfassten Schrift, die sich mit den Quäkern beschäftigte: „Es wurde eine […] Toleranz und Gewissensfreyheit in Pennsylvanien erichtet […].“11 Und in Christian Jakob Zahns Biografie
5 Ebd., S. 133 f. Siehe hierzu auch Walz: Three Swabian Journalists [4,3/4 (1902)], S. 276 f. Wekhrlin, der während der Auseinandersetzungen zwischen Großbritannien und den USA eine revolutionskritische Position einnahm (s. o.), bemerkte allerdings vor dem Hintergrund des Unabhängigkeitskrieges: „Also hat sich das Schicksal der Provinz Pensylvanien völlig geändert? Aus der unabhängigen und ruhigen Republik einer Familie Liebesbrüder ist sie zur unterwürfigen Herrschaft eines kriegerischen Freystaats worden.“ Wekhrlin (Hg.): Chronologen 5 (1780), S. 129. 6 Ebd., S. 133. 7 Ebd., S. 131. Zu den Bewunderern Penns gehörte auch Schubart, der ihn in seiner Zeitung u. a. in einer Reihe mit William Shakespeare, John Milton (1608–1674) und Isaac Newton (1643–1727) nannte. Siehe Schubart (Hg.): Deutsche Chronik (1775). 4. Vierteljahr. 103. Stück. 25. 12. 1775, S. [817] [Schubart: Werke, S. 52]. 8 Wekhrlin (Hg.): Chronologen 5 (1780), S. 131. 9 Johannes Müller an Johann Georg Müller. Juni 1774. In: Müller – Müller: Briefwechsel und Familienbriefe 1766–1789. Bd. 1, S. 360. Penn erhielt den Charterbrief für seine Kolonie von König Karl II. (1630–1685; reg. 1660–1685) allerdings erst 1681. Vgl. Heideking: Geschichte, S. 15. 10 Siehe hierzu Foner: Give Me Liberty, S. 92. 11 Benezet (Übers.): Kurzer Bericht von den Leuten, die man Quäker nennet, S. 9.
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VII Die deutsch-amerikanische Lyrik im 18. Jahrhundert
über Benjamin Franklin konnte man über William Penn und die von ihm gegründete Kolonie lesen: […] [Er] schuf es zu einem Zufluchtsort für seine damals in Großbrittanien verfolgte Glaubensgenossen um, Zugleich nahm er alle christliche Sekten ohne Unterschied auf, machte sichs zur Hauptmaxime, mit den angränzenden Wilden Frieden zu halten, und brachte so diese Provinz frühe in Flor.12
Ähnlich hieß es bereits in Wekhrlins Journal: „[…] [I]n Pensylvanien herrscht eine unbeschränkte Duldung der Religionen und der Meinungen.“13 Für den gesellschaftskritischen Autor nahm die Kolonie eine exemplarische Vorreiterrolle ein, deren Muster europäische Staaten zur Nachfolge animieren konnte. Wekhrlin prognostizierte: „Die Provinz wird noch lang ein Beyspiel der menschlichen Aufklärung in der Geschichte seyn.“14 Innerhalb des Staates fiel Philadelphia, der „Stadt der brüderlichen Liebe“, die 1770 ca. 25.000 Einwohner zählte und erst in den folgenden Jahren von New York als größte Metropole Nordamerikas abgelöst wurde, wie auch in Europa akzentuiert wurde, eine exzeptionelle Stellung zu. Wekhrlin lobte 1780 in den Chronologen: Philadelphia [ist] zum bewundernswürdigsten Aufenthalt von der Welt gemacht; welche das Land mit blühenden Fluren und Städten, und mit tugendhaften Menschen bereichert; welche mit einem Wort der Stadt den Nahmen Philadelphia […] mit Recht erworben haben.15
Und in dem bereits zitierten Brief Johannes Müllers heißt es: „Daselbst in Philadelphien und anderswo fangen die Wissenschaften bereits zu blühen an, bereits werden Bücher herausgegeben und Bibliotheken gestiftet.“16 Die Hauptstadt Pennsylvanias entwickelte sich in der Kolonial- und Revolutionszeit zu einem ökonomischen, demografischen und kulturellen Knotenpunkt17 und stellte für die meisten deutschsprachigen Einwanderer, die zu einem großen Teil aus der Kurpfalz oder allgemein aus dem Südwesten des deutschsprachigen Raumes stammten, das Tor nach Nordamerika und in das Hinterland Pennsylvanias
12 [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 144. 13 Wekhrlin (Hg.): Chronologen 5 (1780), S. 132. 14 Ebd., S. 133. 15 Ebd., S. 132. 16 Johannes Müller an Johann Georg Müller. Juni 1774. In: Müller – Müller: Briefwechsel und Familienbriefe 1766–1789. Bd. 1, S. 360. 17 Siehe hierzu auch Stoudt (Hg.): Pennsylvania German Poetry, S. xxvii.
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dar,18 wo im 18. Jahrhundert schätzungsweise ein Drittel der Bevölkerung einen deutschen Migrationshintergrund aufwies.19 Die aus religiösen, politischen und ökonomischen Motiven aufgebrochenen Auswanderer transponierten ihre sozialen Relationen sowie ihre Sprache und Kultur in die Neue Welt. Dieser Translationsprozess führte zur Herausbildung einer individuellen kollektiven Identität und mit ihr verbunden, zur Entstehung einer eigenständigen deutsch-amerikanischen Literatur. Die konsequente Einwanderung großer Bevölkerungsgruppen aus den deutschen Staaten und ihr Festhalten an ihren traditionellen kulturellen Bräuchen sowie insbesondere an ihrer Sprache wurden von einem großen Teil der ansässigen, überwiegend englischsprachigen Bevölkerung jedoch sehr kritisch verfolgt.20 Berühmt geworden sind in diesem Zusammenhang die teilweise sehr polemischen xenophoben Beobachtungen und Kommentare Benjamin Franklins, der den deutschsprachigen Einwanderern gegenüber zunächst eine kritische Haltung einnahm.21 So fragte er 1751:
18 York-Gothart Mix, Bianca Weyers und Gabriele Krieg quantifizierten den Umfang der Immigration folgendermaßen: „Zwischen 1727 und 1775 werden 68.886 deutschsprachige Einwanderer im Hafen von Philadelphia registriert […].“ Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 1, S. 31. 19 Siehe hierzu Atwood: Hessians, S. 32; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutschamerikanische Kalender. Bd. 1, S. [19]. 1709 verließen aufgrund ungünstiger sozioökonomischer Bedingungen und eines strengen Winters ca. 13.000–15.000 Menschen den deutschen Südwesten zunächst in Richtung Großbritannien. Ein Teil dieser sog. Palatines, bei denen es sich allerdings auch um Bevölkerungsgruppen handelte, die aus Gebieten außerhalb der Kurpfalz stammten, siedelte sich in Nordamerika (v. a. in Pennsylvania sowie am Hudson- und Mohawk-River in der Kolonie New York) an. Siehe hierzu Ludescher: Auswanderung, S. 802–819. Die Auswanderungsbereitschaft der Pfälzer galt bereits unter zeitgenössischen Beobachtern als Topos. Der Göttinger Gelehrte August Ludwig Schlözer z. B. hielt in seinen Kritischen Sammlungen zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen über die nach Osten aufgebrochenen deutschsprachigen Migranten fest, „daß ihr Name, wie der der Pfälzer in Amerika zu unsern Zeiten, beinahe ein nomen appellatiuum für Colonist und Auswanderer geworden ist.“ Schlözer: Kritische Sammlungen zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen, S. 284. Die transatlantische pfälzische Auswanderung fand schließlich auch in die fiktionale Literatur Eingang. So verweist beispielsweise Johann Pezzls 1783 erschienener Roman Faustin oder das philosophische Jahrhundert auf die pfälzischen Siedler in Nordamerika ([Pezzl]: Faustin oder das philosophische Jahrhundert, S. 199). Zur Auswanderung aus der Pfalz nach Nordamerika im 18. Jahrhundert allgemein siehe Ludescher: Auswanderung, S. 793–829. Siehe auch Klepp – Grubb – Pfaelzer de Ortiz: General Introduction, S. 1–24. 20 Siehe hierzu auch Kapitel VII.4.1. 21 Siehe hierzu Frantz: Franklin, S. 21–34; Ludescher: Auswanderung, S. 826 f.; Schrader: Germans, S. 83; Weaver: Benjamin Franklin, S. [536]–559.
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[W]hy should the Palatine Boors be suffered to swarm into our Settlements, and by herding together establish their Language and Manners to the Exclusion of ours? Why should Pennsylvania, founded by the English, become a Colony of Aliens, who will shortly be so numerous as to Germanize us instead of our Anglifying them, and will never adopt our Language or Customs, any more than they can acquire our Complexion.22
Ähnlich besorgt formulierte Franklin im selben Jahr gegenüber James Parker (1714–1770): The Observations concerning the Importation of Germans in too great numbers into Pennsylvania, is, I believe, a very just one. This will in a few Years become a German Colony: Instead of their Learning our Language, we must learn their’s, or live as in a foreign Country.23
In einem zwei Jahre später an den Londoner Kaufmann Peter Collinson (1694–1768) verfassten Brief stellte der amerikanische Gelehrte die Intelligenz der deutschen Migranten in Frage und vertrat die Ansicht, dass diese mit den in Pennsylvania etablierten Freiheitsrechten nicht umzugehen verstünden. Franklin schrieb: [G]reat disorders and inconveniences may one day arise among us; Those [sic] [Germans] who come hither are generally of the most ignorant Stupid Sort of their own Nation […]. Not being used to Liberty, they know not how to make a modest use of it […][.]24
Zu seinen Hauptkritikpunkten gehörte, dass die deutsch-amerikanische Bevölkerung seiner Meinung nach nur mangelnde Englischkenntnisse besaß und beharrlich an der eigenen Sprache festhielt.25 Die folgende Beobachtung Franklins, der
22 Franklin: Observations Concerning the Increase of Mankind, S. 71. Siehe hierzu auch Doerries: The Americanizing, S. [51]; Verhoeven: Colony, S. 79–81. 23 Benjamin Franklin an James Parker. 20. 5. 1751. In: Franklin: July 1, 1750, through June 30, 1753, S. 120. 24 Benjamin Franklin an Peter Collinson. 9. 5. 1753. In: Franklin: Poverty and the Effects of German Immigrations to Pennsylvania, S. 77 f. 25 Im Zusammenhang mit der Angst vor einer sprachlichen Überfremdung bzw. der Frage nach dem Einfluss der deutschen Sprache in Amerika wurde in der Memorialkultur häufig auf die sog. Mühlenberg-Legende verwiesen, der zufolge das Bestreben Ende des 18. Jahrhunderts, Deutsch zur Amtssprache in den Vereinigten Staaten zu erheben, lediglich an der Stimme des deutschamerikanischen Politikers Friedrich August Conrad Mühlenberg (1750–1801) gescheitert sein soll. Aus historischer Perspektive ist festzuhalten, dass 1828 eine, schließlich gescheiterte, Gesetzesinitiative eingebracht wurde, die beabsichtigte, Deutsch als Landessprache in Pennsylvania einzuführen. Vgl. Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 1, S. 21. Im Zuge der beiden Weltkriege wurde die deutsche Sprache in den Vereinigten Staaten
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selber eine Druckerpresse in Philadelphia unterhielt, könnte auch durch seine Sorge als Unternehmer, in der deutschsprachigen Publizistik in Nordamerika einem möglichen Konkurrenten zu begegnen (s. u.), motiviert gewesen sein. Er behauptete: Few of their children in the Country learn English; they import many books from Germany; and of the six printing houses in the Province, two are entirely German, two half German half English, and but two entirely English; They have one German News-paper, and one half German. Advertisements intended to be general are now printed in Dutch and English; the Signs in our Streets have inscriptions in both languages, and in some places only German: […] In short unless the stream of their importation could be turned from this to other Colonies […] they will soon so out number us, that all the advantages we have will not […] be able to preserve our language, and even our Government will become precarious.26
Die Frage nach dem Verhältnis der deutschen Einwanderer zu ihrer alten und neuen Heimat bzw. nach ihrer Akkulturation und Assimilation in die amerikanische Gesellschaft ist, allerdings mit unterschiedlichem Vorzeichen, auf deutscher Seite ebenso thematisiert worden. Friedrich Karl Heinrich von der Lith, der die deutschen Subsidientruppen nach Nordamerika begleitete, hielt über die deutsch-amerikanische Bevölkerung in der Neuen Welt fest: „[D]ie Kinder der deutschen Eingebohrnen schämen sich, deutsch zu sprechen, und suchten ihre deutsche Abkunft zu verheimlichen.“27 Wie Franklin gelangte allerdings auch Lith zu der Ansicht, dass die Deutschen mit dem amerikanischen Freiheitskonzept nicht vertraut seien. Er ergänzte: „Ich schreibe die Ursache hiervon vorzüglich dem Charakter der Deutschen und ihrem Mangel an bürgerlicher Freiheit zu.“28 Und er wiederholte: „[…] [V]on bürgerlicher Freiheit hat der Deutsche kaum einen Begriff.“29 In diesem Sinne konstatierte der Offizier die mangelnde Partizipation der deutschen Bevölkerung in Amerika an politischen Entscheidungsprozessen bzw. ihre politische Unterrepräsentation, die wie die Forschung herausgearbeitet hat, mit den tatsächlichen historischen Verhältnissen korres-
immer weiter zurückgedrängt, existiert aber in gewisser Weise bis heute noch im sog. Pennsylvania Dutch weiter, also im Pennsylvania German, das aktuell von ca. 300.000 Menschen in den USA gesprochen wird. Siehe hierzu Ludescher: Auswanderung, S. 828; Stoudt (Hg.): Pennsylvania German Poetry, S. xxi. 26 Benjamin Franklin an Peter Collinson. 9. 5. 1753. In: Franklin: Poverty and the Effects of German Immigrations to Pennsylvania, S. 77 f. 27 Friedrich Karl Heinrich von der Lith. In: Justi: Friedrich Karl Heinrich von der Lith, S. 9. 28 Ebd. 29 Ebd.
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VII Die deutsch-amerikanische Lyrik im 18. Jahrhundert
pondiert.30 Er erklärte: „Durch unermüdeten Fleiß und schwere Arbeit zeichnet sich der Deutsche auch in Amerika aus, übrigens aber spielt er eine subalterne Rolle, und hat wenig Antheil an den öffentlichen Verhandlungen.“31 In der fiktionalen Literatur gibt es Zeugnisse für den Versuch der deutschamerikanischen Bevölkerung, die eigene Identität in der neuen Heimat in Korrespondenz mit ihrer Herkunft zu definieren und dabei ein an die amerikanischen Verhältnisse adaptiertes Gemeinschaftsbewusstsein zu generieren. 1804 erschien in der von Henrich (1777?–1814) und Benjamin Grimler (1778?–1832) in Lancaster/ Pennsylvania gedruckten Zeitung Der Wahre Amerikaner ein sechsstrophiges Gedicht mit dem Titel Der hiesige Deutsche (G272), bei dem es sich um ein in einer emphatischen Sprache artikuliertes dezidiertes politisches Bekenntnis zu den Vereinigten Staaten handelt.32 Der Sprecher, der seine Zuhörer als „[d]eutsche Brüder“33 apostrophiert, akzentuiert die charakterlichen Vorzüge seiner Landsleute, zu der ihre moralische Integrität gehört („Krönte schon vor alten Zeiten / Deutsche Redlichkeit und Ruhm; / Tapferkeit und treue Leuten / War stets unser Eigenthum.“34) und feiert die deutsch-amerikanische Kultur („Deutscher Geist und Sprache freuet / Auch den Fremdling weit und breit.“35). Dabei erweist das poetische Subjekt der neuen Heimat seine Reverenz („Freudig ruf ich: Deutsche Brüder! / Heil Amerika! lebe hoch! / Lauter Echo halle wieder: / Heil dem Land, das uns erzog!“36) und lobt die ein kulturelles Prosperieren ermöglichenden optimalen Rahmenbedingungen in der neuen Welt („In Columbia’s Schoos gedeihet / Jede Kunst und Fertigkeit;“37) sowie die stimulierenden politischen Verhältnisse („Da wo milde Väter thronen, / Blüht das Land, ist Zwietracht fern.“38). Der hiesige Deutsche ist damit repräsentativ für eine Reihe von Gedichten, die gerade im 19. Jahrhundert in großem Umfang erschienen und das Verhältnis der deutschsprachigen Amerikaner zu ihrer neuen Heimat thematisieren und in Einklang mit den tradierten Vorstellungen zu bringen versuchen.
30 Siehe hierzu Longenecker: The Christopher Sauers, S. 65; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 1, S. 32. 31 Friedrich Karl Heinrich von der Lith. In: Justi: Friedrich Karl Heinrich von der Lith, S. 10. 32 Zu den zeitgenössischen in poetischer Form artikulierten patriotischen Bekenntnissen der Deutsch-Amerikaner siehe auch Wittke: German-Language Press, S. 28. 33 [Anonym]: Der hiesige Deutsche. 1. Strophe. 1. Vers. und 6. Strophe. 1. Vers, S. [4] [G272]. 34 Ebd. 2. Strophe, S. [4] [G272]. 35 Ebd. 3. Strophe. 3 f. Vers, S. [4] [G272]. 36 Ebd. 1. Strophe, S. [4] [G272]. 37 Ebd. 3. Strophe. 1 f. Vers, S. [4] [G272]. 38 Ebd. 4. Strophe. 1 f. Vers, S. [4] [G272].
2 Die nordamerikanische Missionslyrik und die religiöse Dichtung
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2 „[B]eyn Wilden trage ichs herum“. Die nordamerikanische Missionslyrik der Herrnhuter Brüdergemeine und die religiöse Dichtung der Ephrata Klostergemeinde am Beispiel der Kometenlyrik Das oben zitierte Gedicht verdeutlicht, dass es in der deutschsprachigen Bevölkerung in den Vereinigten Staaten um die Wende zum 19. Jahrhundert Bemühungen gab, die eigene kulturelle Herkunft zu bewahren ohne dadurch in Opposition zur neuen Heimat zu geraten. Zeugnis dieser kulturellen Identität und Identifikation mit der transatlantischen Welt ist die vergleichsweise umfangreiche zeitgenössische deutschsprachige Literatur in Nordamerika, die einen bedeutenden Teil der Gesamtpublikationen in der Kolonialzeit ausmachte.39 Obwohl es sich bei vielen Drucken um Kontrafakturen oder epigonenhafte Kompilationen von bereits in Europa veröffentlichten Schriften handelte,40 existierte doch auch eine spezifisch deutsch-amerikanische Literatur, deren poetisches Spektrum bis zu einem gewissen Grad an die geografischen, soziokulturellen und politischen Verhältnisse in der Neuen Welt angepasst war und sich mit fortschreitender Zeit individualisierte.41
39 Siehe hierzu auch Wittke: German-Language Press, S. 12; Wroth: Colonial Printer, S. 261 f. Demgegenüber konstatierte John Joseph Stoudt für die englischsprachige Literatur 1700–1760: „[…] English poetry in the American colonies was almost non-existent […].“ Stoudt (Hg.): Pennsylvania German Poetry, S. xxi. Zur englischsprachigen Literatur in Amerika während der Revolutionszeit siehe Botein: Printers, S. 11–57. Zur zeitgenössischen deutsch-amerikanischen Literatur allgemein siehe Bittinger: Germans, S. 152–167; Earnest – Earnest – Rosenberry: Flying Leaves; Pennypacker: Early Literature, S. 33–46; McMurtrie: History, S. [68]–83; Spuler: Schrifttum, S. 17–24; Stoudt (Hg.): Pennsylvania German Poetry, S. xxii; Wilsdorf: Imprints, S. 1–123; Wittke: German-Language Press, S. 12 f. Stoudt quantifizierte die Zahl der Autoren in Amerika, die in deutscher Sprache schrieben mit ca. 350. Siehe Stoudt (Hg.): Pennsylvania German Poetry, S. xxxi. Siehe demgegenüber allerdings auch Rattermann: Deutsch-Amerikanische Dichter, S. 93. Eine Übersicht über deutsch-amerikanische Autoren und ihre Schriften von 1670 bis 1970 bietet Ward: Bio-Bibliography. 40 Während in Amerika „Lessing, Goethe und Schiller […] selbst in den neunziger Jahren […] so gut wie unbekannt, oder wenigstens ungenannt geblieben zu sein“ (Seidensticker: Zeitungspresse, S. 579) schienen, gehörten unter den Texten deutschsprachiger Autoren die Schriften von Klopstock, Gellert, Johann Peter Uz (1720–1796), Gottlieb Conrad Pfeffel, Salomon Gessner (1730–1788), Friedrich von Hagedorn (1708–1754), Albrecht von Haller (1708–1777) und Friedrich Leopold Graf zu Stolberg-Stolberg zu den beliebtesten Publikationen in der Neuen Welt. Vgl. Seidensticker: Zeitungspresse, S. 580. Siehe auch Kleemeier: Literatur, S. 243 f. 41 Siehe hierzu auch Adams: Press, S. 217.
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VII Die deutsch-amerikanische Lyrik im 18. Jahrhundert
Die Auswertung einer von dem in Göttingen geborenen und 1846 in die Neue Welt ausgewanderten Literaturhistoriker Oswald Seidensticker42 Ende des 19. Jahrhunderts zusammengestellten Übersicht der Publikationen deutsch-amerikanischer Drucker von 1728 bis 183043 zeigt, dass es sich bei den in Nordamerika erschienenen Druckerzeugnissen insbesondere in den ersten beiden Dritteln des im 18. Jahrhunderts überwiegend um religiöse Schriften handelte (Abb. 55). Die Tendenz der Ergebnisse wird durch die 1989 von Gerd-Josef Bötte und Werner Tannhof veröffentlichte und sich auf die Studien von Seidensticker und Wilbur H. Oda stützende Bibliografie deutschsprachiger Publikationen in Nordamerika bestätigt (Abb. 56).44 Laut den Daten von Seidensticker wiesen ca. 38 % der im 18. Jahrhundert in Nordamerika von Deutsch-Amerikanern gedruckten Schriften einen religiösen Hintergrund auf (Abb. 57). Der Bibliografie von Bötte und Tannhof zufolge, die allerdings nur deutschsprachige Texte erfasst,45 hatten sogar etwa 55 % der Publikationen einen überwiegend religiösen Bezug (Abb. 60).46 Religiöse Motive spielten insbesondere während der ersten Emigrationsbewegungen aus Europa nach Nordamerika eine besondere Rolle. 1683 hatten 13 ausgewanderte Krefelder Quäker- und Mennonitenfamilien unter der Leitung
42 Zur akademischen Würdigung Seidenstickers siehe auch Bittinger: Germans, S. 153. 43 Oswald Seidensticker: The First Century of German Printing in America 1728–1830. Preceded by a Notice of the Literary Work of F[ranz] D[aniel] Pastorius. Philadelphia 1893, S. [6]–155. 44 Gerd-J[osef] Bötte – Werner Tannhof: The First Century of German Language Printing in the United States of America. A Bibliography Based on the Studies of Oswald Seidensticker and Wilbur H. Oda (Publications of the Pennsylvania German Society. Bd. 21). 2 Bde. Göttingen 1989. Eine Anthologie deutschsprachiger Dichtung in Amerika im 17. und 18. Jahrhundert stellte Heinrich Armin(ius) Rattermann (1832–1923) 1914 zusammen: Deutsch-Amerikanische Dichter und Dichtungen des 17ten und 18ten Jahrhunderts. (Eine Anthologie.) In: Deutsch-Amerikanische Geschichtsblätter/German-American Historical Review 14 (1914), S. 84–316. Zur Bedeutung Rattermanns für die Forschung siehe Spuler: Schrifttum, S. 17. Deutschsprachige Drucke in Pennsylvania in der Zeit bis 1784 sind teilweise auch verzeichnet in: Charles R. Hildeburn: A Century of Printing the Issues of the Press in Pennsylvania 1685–1784 (Burt Franklin. Bibliography and Reference Series. Bd. 211). 2 Bde. Philadelphia/Pennsylvania 1836. ND. New York/New York 1968. 45 Seidensticker verzeichnete alle zeitgenössischen Publikationen der deutsch-amerikanischen Drucker, d. h. auch diejenigen, die in einer anderen Sprache als Deutsch erfolgten. Die Auswertung einer entsprechenden Analyse zeigt, dass ca. 89 % der Druckerzeugnisse auf Deutsch erschienen (Abb. 58). Englischsprachige Texte wurden insbesondere zwischen 1750 und 1785 gedruckt (Abb. 59). 46 Siehe hierzu auch Bittinger: Germans, S. 156 f.; Kleemeier: Literatur, S. 244 f. Daneben fanden auch Titel mit (volks)medizinischen Inhalten einen vergleichsweise hohen Absatz. Siehe Rampelmann: Vernunft, S. 128.
2 Die nordamerikanische Missionslyrik und die religiöse Dichtung
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von Franz Daniel Pastorius47 die Siedlung Germantown gegründet, die im 19. Jahrhundert in Philadelphia eingemeindet wurde. In Pennsylvania ließen sich neben den erwähnten Quäkern und Mennoniten aber auch Lutheraner, Reformierte, Pietisten,48 Amish, Schwenkfelder, Täufer (Dunker/Tunker), Waldenser, Katholiken, Juden und zahlreiche weitere religiöse Gemeinschaften und Splittergruppen nieder,49 die zum größten Teil entweder traditionell kirchlich organisiert waren oder sich aber in Opposition hierzu als radikalpietistische Separatisten verstanden.50 Unter diesen befanden sich der in Schäßburg in Siebenbürgen geborene Pietist Johann(es) Kelpius (1673–1708) und der aus Eberbach in der Kurpfalz stammende Mystiker und Separatist Johann Conrad Beissel (1691–1768),51 der 1732 in Pennsylvania das Ephrata Cloister gründete52 und dessen radikalpietistische Mitglieder (Siebentägner-Tunker) dort eine Klosterdruckerei unterhielten, in denen sie bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eine große Zahl von Glaubensschriften, darunter eine lange Reihe religiöser Lieder, publizierten.53
47 Zu Pastorius, dessen Hauptwerk, seine handschriftlich überlieferte, ca. 1.000 Seiten zählende sog. Bee-Hive, Marion Dexter Learned als „Magna Charta“ (Rattermann: Deutsch-Amerikanische Dichter, S. 93) der deutschen Kultur im kolonialen Amerika bezeichnete, siehe auch Jantz: Barockdichtung, S. 325; Zimmermann: Deutsch in Amerika, S. [3]f. sowie die Kommentare zu G1 und G350. Zu der mennonitischen Amerikaliteratur siehe die Bibliografie Bender: Centuries. 48 Zur kontroversen Semantik des theologischen Begriffs „Pietismus“ mit bibliografischen Angaben siehe auch Kühlmann: Frühaufklärung, S. 179 [Anm. 1]. 49 Siehe Earnest – Earnest: Fraktur, S. 36–39; Gilgenast (Hg.): Pennsylvania German Broadsides, S. [7]; Verhoeven: Colony, S. 78. 50 Siehe hierzu Bittinger: Germans, S. 157; Stoudt: German Press, S. 74 f. 51 Zu Beissel, der laut John Joseph Stoudt über 25.000 Verse bzw. mindestens 800 Gedichte verfasste (vgl. Stoudt [Hg.]: Pennsylvania German Poetry, S. xxix) und den Harold Jantz als den „[w]ohl […] talentierteste[n] und produktivste[n] deutsche[n] Barockdichter von Pennsylvanien“ (Jantz: Barockdichtung, S. 327) bezeichnete siehe Bittinger: Germans, S. 153; Wilsdorf: Imprints, S. 73. Als weitere von einem radikalen Pietismus beeinflusste deutschsprachige Autoren in Amerika wären Heinrich Bernhard Köster, Johann Gottfried Seelig, Justus Falckner, Christopher Dock und Johann Adam zu nennen. Siehe Gruber Stoudt (Hg.): Pennsylvania German Poetry, S. xxix. 52 Auf Ephrata, das laut der zeitgenössischen Angabe des Herrnhuter Missionars Johann Heckewälder (Heckewelder; 1743–1823) Ende des 18. Jahrhundert ca. 600 Einwohner zählte (siehe Heckewälder: Reise von Betlehem [sic] in Pennsylvanien bis zum Wabashfluß im nordwestlichen Gebiet der vereinigten Staaten von Nordamerika, S. 4 [Anm. *)]), verweist noch Thomas Manns (1875–1955) 1943 begonnener und 1947 veröffentlichter Roman Doktor Faustus, in dem auch die Lieder des Klostergründers Beissel erwähnt werden. Siehe hierzu auch Jantz: Barockdichtung, S. 328. Zu dem von Hellmuth Erbe als „kommunistische Herrnhuter Kolonie“ bezeichneten Kloster siehe Erbe: Bethlehem, Pa. 53 Von 1745 bis 1792 wurden dort mindestens 68 verschiedene Buchtitel gedruckt. Die in Ephrata publizierte Dichtung Beissels orientierte sich stark an barocken europäischen Vorbildern wie den Schriften von Angelus Silesius (1624–1677), Jakob Böhme (1575–1624), Daniel Sudermann
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VII Die deutsch-amerikanische Lyrik im 18. Jahrhundert
Zu den bedeutendsten Erzeugnissen der deutsch-amerikanischen Literatur des 18. Jahrhunderts gehören der von Christoph Saur I. (1695–1758; s. u.) in einer Auflage von 1.500 Exemplaren54 1739 in Germantown für die Ephrata-Gemeinde gedruckte Zionitische Weyrauchs-Hügel55 sowie das 1766, bzw. in einer kürzeren Version bereits 1754, in der Klosterdruckerei selbst erschienene Paradisische Wunder-Spiel56, bei denen es sich um umfangreiche Anthologien (792 bzw. 472 paginierte Seiten) deutschsprachiger religiöser Lieder handelt.57 Insbesondere aber auch die Mitglieder der Herrnhuter Brüdergemeine, die in den 30er und 40er Jahren des 18. Jahrhunderts zahlreiche Missionsstationen in Europa und Amerika etabliert hatte (Abb. 61),58 hinterließen eine beachtliche Zahl
(1550–1631), Paul Gerhardt (1607–1676) und Gottfried Arnold (1666–1714). Siehe hierzu Stoudt (Hg.): Pennsylvania German Poetry, S. xliii. Die Bedeutung der zeitgenössischen religiösen Dichtung in Pennsylvania kommentierte der deutsch-amerikanische Historiker und Autor Heinrich A. Rattermann Anfang des 20. Jahrhunderts mit den Worten: „Die Texte der Lieder sind so eigenartig in ihrer frommen Naivität, daß sie in der deutschen Litteraturgeschichte [sic] einzig dastehen und deshalb wohl heute noch zum erneuerten Studium anregen sollten.“ Rattermann: DeutschAmerikanische Dichter, S. 242. Und Julius Goebel, Herausgeber der Deutsch-Amerikanischen Geschichtsblätter/German-American Historical Review, ergänzte sogar: „Hier regt sich zuerst auf religiösem Gebiete, was dann in der Poesie Klopstocks und in der Genieperiode gewaltig hervorbrechen und das deutsche Geistesleben umgestalten sollte.“ [Julius Goebel]: [Anmerkung]. In: Rattermann: Deutsch-Amerikanische Dichter, S. 242. Zum Kloster Ephrata und der dortigen Druckerei siehe Diffenderffer: Printers, S. 55–57; Earnest – Earnest: Fraktur, S. 36; McMurtrie: History, S. 76–78; Seidensticker: Bilder, S. 167–250; Stoudt (Hg.): Pennsylvania German Poetry, S. lxvii; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 55; Wilsdorf: Imprints, S. 71–123; Zimmermann: Deutsch in Amerika, S. XIXf. 54 Vgl. Wilsdorf: Imprints, S. 46 f. 55 Zionitischer Weyrauchs-Hügel Oder: Myrrhenberg, Worinnen allerley liebliches und wohl riechendes nach Apotheker-Kunst zubereitetes Rauch-Werck zu finden. Bestehend in allerley Liebes-Würckungen der in GOTT geheiligten Seelen, welche sich in vielen und mancherley geistlichen und lieblichen Liedern aus gebildet. Als darinnen der letzte Ruff zu dem Abendmahl des grossen Gottes auf unterschiedliche Weise trefflich aus gedrucket ist; Zum Dienst der in dem Abend-Ländischen Welt-Theil als bey dem Untergang der Sonnen erweckten Kirche Gottes, und in ihrer Ermunterung auf die Mitternächtige Zukunfft des Bräutigams ans Licht gegeben. Germantown/Pennsylvania 1739. Siehe hierzu auch McMurtrie: History, S. 70. 56 Paradisisches Wunder-Spiel, welches sich in diesen letzten Zeiten und Tagen in denen Abendländischen Welt-Theilen, als ein Vorspiel der neuen Welt hervorgethan: Bestehend in einer neuen Sammlung andächtiger und zum Lob des grosen Gottes eingerichteter geistlicher und ehedessen zum Theil publicirter Lieder. Ephrata/Pennsylvania 1766. 57 Siehe hierzu Rattermann: Deutsch-Amerikanische Dichter, S. 125; ders.: The First Century, S. 11; 58 Zu den Herrnhutern allgemein und ihrer Übersee-Mission, auch in Nordamerika, siehe Atwood: Moravians, S. 1427–1432.
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von überwiegend in ihrem Gesangbuch überlieferten Liedern, in denen sich nicht nur theoretische religiöse Glaubenskonzepte, sondern auch direkte Verweise auf ihre Tätigkeit in der Neuen Welt finden lassen.59 Zu den produktivsten Autoren gehörte der Gründer der Glaubensgemeinschaft, Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, der seinen Aufenthalt in Nordamerika 1741–1743 auch in lyrischer Form dokumentierte (siehe G7–G16, G42 f., G46–G48, G53–G56, G59 f., G319, G322–G326 und G351).60 Obwohl der bei Weitem größte Teil der Herrnhuter immer noch in Europa beheimatet war, wuchsen die Gemeinen in Nordamerika – und hier vor allem in Pennsylvania – doch auf eine beachtliche Größe an (Abb. 62). Die Amerikagedichte der religiösen Gemeinschaft greifen immer wieder verschiedene topische Elemente der Herrnhuter Glaubensvorstellungen, wie z. B. das Blut- und das Agnus Dei-Motiv, auf (z. B. „Wir sind in den wilden wüsten, / wo die bösen thiere nisten, / haben doch auch Lämmleins blut.“61) und thematisieren daneben häufig die Reisen, beispielsweise in Abschiedsgedichten (z. B. G15 und G51) sowie die nordamerikanische Indianermission (G319 f., G322–G326).62 Die panethnische und -nationale Christianisierung fremder Völker, die sich auf das Missionsgebot des laut biblischer Überlieferung auferstandenen Christus stützte,63 stellt ein zentrales Element des Selbstverständnisses der Glaubensgemeinschaft dar und wurde immer wieder in literarischer oder visualisierter Form zum Ausdruck gebracht. Das in der Missionslyrik der Herrnhuter entworfene Bild der amerikanischen Ureinwohner unterscheidet sich insofern von den in dieser Zeit verbreiteten säkularen Indianervorstellungen, als es der Vorstellung entspringt, dass alle Menschen am eschatologischen Heilsplan partizipieren können, insofern sie sich zum christlichen Glauben bekennen. Diese Überzeugung geht beispielsweise aus einem Gedicht (G320) hervor, das von Zinzendorfs ältester Tochter Henrietta Benigna
59 John Joseph Stoudt schätzte den Umfang der Herrnhuter Dichtung in Amerika bis 1770 auf ca. 100.000 Verse. Siehe Stoudt (Hg.): Pennsylvania German Poetry, S. xxx. Zur Herrnhuter Dichtung in Nordamerika allgemein siehe ebd., S. lxxi–lxxix. 60 Stoudt gab an, dass Zinzendorf während seines Aufenthaltes in Amerika mehr als 40.000 Verse bzw. über 1.000 Gedichte schrieb (siehe ebd., S. xxx). In Bezug auf die Bedeutung und den Einflusses von Zinzendorf konstatierte Stoudt: „Zinzendorf was himself the chief Moravian poet in Pennsylvania, but he also inspired more than half a hundred American poets.“ Ebd., S. lxxv. 61 [Nitschmann]: [Inniglich geliebte]. 2. Strophe. 6.–8. Vers, S. 1390 [G3]. Zum Motiv des heilspendenden Blutes Christi, das, wie zahlreiche Herrnhuter Visualisierungen plastisch verdeutlichen, sich symbolisch über die Gemeinschaft der Gläubigen ergießen soll, siehe hierzu insbesondere Atwood: Community, S. 144–146, [203]–221. 62 Zum Verhältnis der Herrnhuter zu den amerikanischen Ureinwohnern siehe Brandt: Altar, S. 133–137. 63 Siehe Mt 28,19 f. und Mk 16,15.
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Justina (1725–1789) verfasst wurde, die ihren Vater während seiner Missionsreise in Pennsylvania begleitete und darüber hinaus noch zweimal (1748 und 1784) Nordamerika aufsuchte. Die Verse werden von einem von Demut beherrschten panethnischen christlichen Verständnis getragen, das Europäer wie amerikanische Ureinwohner als potentielle Glaubensbrüder begreift. Die vierte Strophe lautet: Du würmlein das am creutze starb, und mir die seligkeit erwarb, doch nicht alleine mir: beyn Wilden trage ichs herum; sie sind so gut dein eigenthum, als wie ich* teutsches thier.64
Die in den finalen Versen formulierte Konzeption der Indianer als Eigentum Christi entspricht einer topischen Devotheitsformel und ist an eine eindeutige Unterordnung gekoppelt, bedeutet in dieser Formulierung aber ebenso eine Gleichsetzung mit Europäern und vor dem Hintergrund der traditionellen zeitgenössischen ethnischen europäischen Hierarchisierungsmodelle eine mit einer Elevation der amerikanischen Ureinwohner verbundene Egalisierung.65 Die poetischen Erzeugnisse der Herrnhuter dokumentieren aber auch ihr Bestreben, inmitten des religiösen Pluralismus in der Neuen Welt und speziell in Pennsylvania den Einheitsgeist der christlichen Gemeinschaften zu beschwören.66 Bereits kurze Zeit nach seiner Ankunft veranlasste Zinzendorf eine Reihe von synodalen Treffen, zu der die Vertreter der zahlreichen religiösen Gruppen in Pennsylvania eingeladen waren. Ein Ende Dezember von dem reformierten Laienprediger Heinrich Antes (1701–1755) in Absprache mit Zinzendorf als Zirkular-
64 [Zinzendorf]: [Verwundtes Lamm, mein Herr und Gott!]. 4. Strophe, S. 1747 [G320]. 65 Diese Konzeption korrespondiert mit der Biografie der Autorin, die sich als Lehrerin dezidiert für die Unterrichtung von europäischstämmigen wie auch indianischen Kindern aussprach und 1742 in Germantown/Pennsylvania eine später nach Bethlehem/Pennsylvania transferierte Mädchenschule eröffnete, die als erste weibliche Unterrichtsanstalt in Nordamerika gilt und auch Kinder von amerikanischen Ureinwohnern aufnahm. Es ist allerdings wichtig, an dieser Stelle festzuhalten, dass für die Herrnhuter der von ihnen biblisch legitimierte Besitz von Sklaven, mit ihrem christlichen Selbstverständnis kompatibel war. Jan Hüsgen hat in seiner 2016 publizierten Dissertation Mission und Sklaverei aufgezeigt, dass die Brüdergemeine in Dänisch-Westindien bis 1843 Sklaven besaß (Ende der 1830er Jahre noch ca. 220) und diese „in erster Linie als Betriebsmittel betrachtet[e]“ (Hüsgen: Mission, S. 58). 66 Peter Vogt beschrieb die zeitgenössischen kirchlichen Zustände mit den Worten: „Das kirchliche Leben in Pennsylvanien um 1740 war in der Tat alles andere als wohlgeordnet.“ Vogt: Zinzendorf, S. 11. Außerdem hielt er fest: „Bis zur Organisation der Gemeinde in Bethlehem im Juli 1742 bestand […] keine eigentliche brüderische Ansiedlung in Pennsylvanien.“ Vogt: Zinzendorf, S. 18.
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schreiben verfasster Aufruf, sich im folgenden Monat zu einem Treffen in Germantown zu versammeln, fand „eine beträchtliche Resonanz“67. Die Bedeutung der gut dokumentierten,68 insgesamt sieben, von Januar bis Juni 1742 in Pennsylvania tagenden Synoden69 hob Peter Vogt folgendermaßen hervor: Die pennsylvanischen Synoden […] stellen nicht nur in der Biographie des Grafen von Zinzendorf (1700–1760), sondern auch in der Kirchengeschichte Pennsylvaniens und in der Geschichte der ökumenischen Bewegung ein einzigartiges und herausragendes Ereignis dar.70
Den Erfolg der Treffen bewerte Vogt allerdings kritisch mit den Worten: Das Ziel, alle deutschen Religionsgemeinschaften an den Konferenzen zu beteiligen, wurde zwar insofern erreicht, als daß Mitglieder einer jeden Gruppierung auf der ersten Synode anwesend waren; in den wenigsten Fällen handelte es sich jedoch um wirklich bevollmächtigte Vertreter.71
Der Universalitätsanspruch der Veranstaltungen sowie die Absicht, allgemeingültige Beschlüsse zu fassen, litten insbesondere darunter, dass bereits seit der sechsten Konferenz „die meisten Religionsgruppen […] nicht mehr vertreten waren“72. Aufgrund zahlreicher divergierender, sich teilweise antagonistisch
67 Ebd., S. 28. Siehe auch ebd., S. 33. 68 Hinsichtlich der Frage nach der Rekonstruktion der historischen Entwicklungen stellte Vogt fest: „[…] [D]ie Fülle der Dokumente macht es […] möglich, einen guten Einblick in den Ablauf der Ereignisse und in die inhaltlichen Auseinandersetzungen zu gewinnen.“ Ebd., S. 9. Mit den Authentischen Relationen erschien 1742 ein 120seitiges Protokoll der sieben Konferenzen. Siehe hierzu vor allem Vogt: Einleitung/Introduction, S. vii–lxi; Vogt: Zinzendorf, S. 9. 69 Die Termine und Versammlungsorte der Synoden waren: 1. Synode am 11. und 12. Januar in Germantown 2. Synode am 25. und 26. Januar in Falckner’s Swamp 3. Synode vom 21. bis 23. Februar in Oley 4. Synode vom 21. bis 23. März in Germantown 5. Synode vom 18. bis 20. April in Germantown 6. Synode vom 16. bis 18. Mai in Germantown 7. Synode am 13. und 14. Juni in Philadelphia. Zu den einzelnen Konferenzen und ihrem jeweiligen Ablauf siehe insbesondere den maßgeblichen Aufsatz von Peter Vogt (ebd., S. 5–62, bes. S. 27–42) sowie auch Lewis: Zinzendorf, S. 143– 146; Weigelt: Schlesien, S. 209 f.; Weigelt: Zinzendorf, S. 89–93. 70 Vogt: Einleitung/Introduction, S. vii. Siehe auch Vogt: Zinzendorf, S. 5. 71 Ebd., S. 33. 72 Ebd., S. 39.
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zueinander verhaltender theologischer Konzepte und der hieraus resultierenden religiösen Konflikte und Spannungen, schien es nicht mehr möglich, den noch zu Beginn der Zusammenkünfte spürbaren interkonfessionellen Gemeinschaftssinn weiter aufrechtzuerhalten. Vogt hielt fest: „Allein für die erste Hälfte des Jahres 1742 läßt sich nachweisen, daß Zinzendorf mit jeder deutschen Religionsgruppe außer den Lutheranern in Konflikt geriet.“73 Die Auseinandersetzungen waren dabei nicht nur durch theologische Kontroversen geprägt, sondern hatten aufgrund von Zinzendorfs Charakter im negativen Sinne auch eine persönliche menschliche Dimension angenommen und auf Seiten der anderen Glaubensvertreter zu entschiedenem Widerstand geführt.74 Vogt bilanzierte über Zinzendorfs Verhalten und Außenwirkung: „Sein dominantes Auftreten verleitete viele zu der Ansicht, daß ihm die pennsylvanischen Synoden nur als Vorwand dienten, die verschiedenen Gruppierungen unter seine Kontrolle zu bringen.“75 Die synodalen Versammlungen in Pennsylvania wurden zwar bis 1748 fortgesetzt, doch bereits 1742 hatte sich abgezeichnet, dass die Treffen fast ausschließlich von Herrnhutern besucht und bestimmt wurden,76 so dass „[a]uch nach dem Abschluß der siebten Synode und der Abreise Zinzendorfs […] die Spannungen keineswegs“77 nachließen. In poetischer Form festgehalten wurde der Geist der synodalen Treffen aus Herrnhuter Perspektive von Zinzendorf in einem aus acht Strophen78 bestehenden Gedicht (Also Sang Ihrem Gotte aufm Throne […]; G7), das 1742 in zwei Versionen
73 Ebd., S. 51. 74 Zu den heftigsten Kritikern der Konferenzen und Zinzendorfs gehörte Christoph Saur I., der eine deutsch-amerikanische Druckerpresse in Germantown betrieb und mit seinen Publikationen die religiösen Entwicklungen in Pennsylvania immer wieder kritisch reflektierte und kommentierte (s. u.). Siehe ebd., S. 35, 38, 56. Die Aversionen des Separatisten Saur gegenüber religiösen Führungspersönlichkeiten zeigten sich auch in zeitgenössisch artikulierten, zahlenmystisch inspirierten Interpretationen ihrer Namen, die, wie Peter Vogt vermutete, wahrscheinlich auf den deutsch-amerikanischen Drucker zurückgehen. So wurde Zinzendorfs Vorname „Ludwig“ beispielsweise mit dem biblischen Tier der Apokalypse und der Unheilszahl in Verbindung gebracht (LVDoVICVs = 666). Siehe Ebd., S. 56. Vogt wies darauf hin, dass Saur bereits zuvor den Namen des Mystikers Johann Conrad Beissel nach ähnlichem Muster deutete (CVnraDVs BeIsseLVs = 666). Siehe ebd. [Anm. 159]. 75 Ebd., S. 50. Außerdem erklärte Vogt: „Binnen kurzem entwickelte sich Zinzendorf zur Hauptperson der pennsylvanischen Synoden, und die Synoden wurden mehr und mehr zu einem Werkzeug des Grafen.“ Ebd., S. 43. 76 So konstatierte Arthur James Lewis: „The Pennsylvania Synods had virtually become Moravian Synods […].“ Lewis: Zinzendorf, S. 146. 77 Vogt: Zinzendorf, S. 57. 78 Vgl., dass die Zahl Acht in der christlichen Zahlensymbolik und Mystik eine besondere Bedeutung hat und für die Auferstehung und den Neubeginn steht. Siehe Kapitel II.
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in Philadelphia und im folgenden Jahr in Europa in der Büdingischen Sammlung Einiger In die Kirchen-Historie Einschlagender Sonderlich neuerer Schrifften erschien sowie kurze Zeit später auch im Gesangbuch der Brüdergemeine abgedruckt wurde. Der mit zahlreichen religiösen Motiven aufgeladene lyrische Text wurde zum Abschluss der siebten Synode am Abend des 14. Juni von Zinzendorf vorgelesen, nachdem sich die Teilnehmer in der lutherischen Kirche in Philadelphia versammelt hatten.79 Der Sprecher referiert unter der Evokation verschiedener geografischer Bezeichnungen explizit auf die Neue Welt („Pens Gebiet“80 bzw. „Pens Gebüsch“81 sowie „America!“82 und „Philadelphia“83), appelliert metonymisch an das religiöse Kollektivitätsbewusstsein der Amerikaner und ruft sie dazu auf, sich an den Ergebnissen in Philadelphia zu orientieren bzw. sich mit dieser durch eine Partizipation zu assoziieren. So heißt es in der fünften Strophe: Setz dich mit dran, Und schliess dich an, America! An Philadelphia.84
Das poetische Subjekt schlägt einen transatlantischen und metaepochalen Bogen von den zeitgenössisch aktuellen Entwicklungen in Nordamerika zu den aus seiner Perspektive zwanzig Jahre in der Vergangenheit liegenden Ursprüngen der Herrnhuter Bewegung in Europa. Der Sprecher stellt dabei die aktuellen Ereignisse durch einen Verweis auf eine entsprechende Stelle in der Apostelgeschichte in einen heilsgeschichtlichen Kontext und lässt die synodalen Treffen in Nordamerika als Postfiguration der Versammlungen der christlichen Urgemeinde in Jerusalem erscheinen.85
79 Vgl. ebd., S. 41. Ein lyrischer Text wurde bereits während des zweiten Treffens vorgetragen. Dieses 1741 von Johann Adam Gruber (1693–1763) verfasste, mit dem Titel Einfältige Warnungsund Wächter-Stimme An die gerufenen Seelen dieser Zeit versehene Gedicht wurde als Flugblatt wohl in Germantown gedruckt und kann über das Online-Angebot der „American Historical Imprints“ eingesehen werden. Zu Gruber siehe Durnbaugh: Johann Adam Gruber, S. 382–408. 80 [Zinzendorf]: Also Sang Ihrem Gotte aufm Throne […]. 2. Strophe. 5. Vers, S. 3 [G7]. 81 Ebd. 5. Strophe. 3. Vers, S. 4 [G7]. 82 Ebd. 5. Strophe. 9. Vers, S. 4 [G7]. 83 Ebd. 5. Strophe. 10. Vers, S. 4 [G7]. 84 Ebd. 5. Strophe. 7.–10. Vers, S. 4 [G7]. 85 Am Ende der dritten Strophe findet sich ein Hinweis auf den 15. Vers des ersten Kapitels der Apostelgeschichte. Die entsprechende Bibelstelle lautet: „Und in den Tagen trat Petrus auf unter den Brüdern – es war aber eine Menge beisammen von etwa hundertzwanzig – und sprach: […].“
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Einen weiteren Ausdruck in poetischer Form fand das Treffen in einem ebenfalls von Zinzendorf „1742 beim ersten Abendmahl zum Synodus in Germantown“86 verfassten Gedicht, in dem in der zweiten Strophe berichtet wird: Hier ist ein volk vorhanden, das du aus allen landen zusammen sammlen woll’n; und ihnen deine kräfte und göttliches geschäfte des Geistes nicht verwegern soll’n.87
Ein Großteil der in der Neuen Welt entstandenen deutschsprachigen Amerikalyrik des 18. Jahrhunderts, die sich John Joseph Stoudt zufolge aus fast 10.000 Gedichten konstituiert,88 behandelte wie die Herrnhuter Lieder fast ausschließlich sakrale Themen. Die religiöse Dichtung durchdrang die gesamte deutschamerikanische Lyrik. Eine religiöse Interpretation der Welt ist symptomatisch für das 18. Jahrhundert beiderseits des Atlantiks und wurde nicht selten gesellschaftskritisch überformt – so beispielsweise auch in einem ca. 1780 wahrscheinlich im Ephrata Cloister als Flugblatt gedruckten zwölfstrophigen Gedicht mit dem Titel Von dem grosen Cometen, welcher 1769. über America gestanden (G77), das wohl von dem 1753 nach Pennsylvania ausgewanderten Deutsch-Amerikaner Johann Henrich Otto (1733–1799) verfasst wurde.89 Das 1815 und wahrscheinlich 1824 in adaptierter Form nachgedruckte Gedicht, in dem sog. Schweifsterne als „traurige [P]ropheten“90 bezeichnet werden, bezieht sich auf das Auftauchen eines Kometen 1769, das als physisches Zeichen einer metaphysischen Botschaft gedeutet wird. Bereits in der ersten Strophe fragt das poetische Subjekt nach dem tieferen Sinn der Himmelserscheinung („Was soll uns armen Leuthen / Der neue stern bedeuten.“91) und konnotiert diese negativ („Von was vor neuen plagen /
Apg 1,15. Vgl., dass die erste der sieben Pennsylvanischen Synoden 1742 von mehr als 100 Teilnehmern besucht wurde. 86 Meyer-Hickel: Verfasser, S. 217. 87 [Zinzendorf]: [Lamm Gottes abgeschlachtet]. 2. Strophe, S. 1765. 88 Siehe Stoudt (Hg.): Pennsylvania German Poetry, S. xxv. Siehe auch ders.: Pennsylvania German Poetry until 1816, S. 145. 89 Vgl. Earnest – Earnest – Rosenberry: Flying Leaves, S. 182. Zu Otto siehe auch G70. In späteren Abdrucken des Textes wird ein nicht näher fassbarer Johannes Krauß (bzw. Krauss) als Autor genannt. Siehe hierzu auch Yoder (Hg.): Pennsylvania German Broadside, S. 39. 90 [Anonym]: Von dem grosen Cometen, welcher 1769. über America gestanden. 2. Strophe. 6. Vers, S. [1] [G77]. 91 Ebd. 1. Strophe. 5 f. Vers, S. [1] [G77].
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Soll uns der himmel sagen?“92). Der Sprecher hält auch im Folgenden an dieser Interpretation fest („Die zeichen in der höh / Erwecken ach und weh, / Das wird in nächsten jahren / America erfahren:“93) und begründet sie in der religiösen Korruption der aus seiner Sicht vom wahren Glauben abgefallenen Menschen („Kein mensche hört fast mehr, / Was Gottes Geist uns lehr / In seinen heilgen Worten:“94 und „Die welt hält keine zucht, / Der glaub ist in der flucht,“95) sowie in einer von ihm diagnostizierten allgemeinen ethisch-moralischen Dekadenz („Die warheit ist verschwunden, / Barmhertzigkeit und lieben / Das sieht man selten üben.“96). Das poetische Subjekt konstatiert die kollektive Furcht vor dem Himmelszeichen („Sein strahl ist breit und lang, / Und macht uns angst und bang.“97), artikuliert eine christlich orientierte Bitte um metaphysische Unterstützung („Ach JEsu! hilf uns allen,“98) und seine Hoffnung auf eine Abwendung der aufgrund des menschlichen Fehlverhaltens drohenden Strafe. Der Sprecher bittet dabei um Milde und Nachsicht („Gedenck an deine güt, / Und laß doch dein gemüth / Erweichen von uns Armen, / Regier uns mit Erbarmen:“99) und ersucht Gott um seine Unterstützung und seinen Segen (11. Strophe). Don Yoder erinnerte daran, dass bereits John Joseph Stoudt auf eine Beeinflussung des nordamerikanischen Kometengedichtes durch ein Lied Paul Gerhardts aufmerksam gemacht hat.100 Obwohl Yoder den Titel nicht namentlich nannte, ist stark zu vermuten, dass es sich um das Lied Die Zeit ist nunmehr nah handelt, das durch eine Kometenerscheinung von 1652 veranlasst und mit der gleichen Melodie wie das vorliegende Gedicht versehen wurde (Auf meinen lieben Gott). Die erste der insgesamt 18 Strophen lautet: Die Zeit ist nunmehr nah, Herr Jesu, du bist da. Die Wunder, die den Leuten Dein Ankunft sollen deuten, Die sind, wie wir gesehen, In großer Zahl geschehen.101
92 Ebd. 1. Strophe. 3 f. Vers, S. [1] [G77]. 93 Ebd. 2. Strophe. 1.–4. Vers, S. [1] [G77]. 94 Ebd. 4. Strophe. 1.–3. Vers, S. [1] [G77]. 95 Ebd. 5. Strophe. 1 f. Vers, S. [1] [G77]. 96 Ebd. 5. Strophe. 4.–6. Vers, S. [1] [G77]. 97 Ebd. 9. Strophe. 1 f. Vers, S. [1] [G77]. 98 Ebd. 9. Strophe. 3. Vers, S. [1] [G77]. 99 Ebd. 12. Strophe. 1.–4. Vers, S. [1] [G77]. 100 Siehe Yoder (Hg.): Pennsylvania German Broadside, S. 39. 101 Gerhadt: Die Zeit ist nunmehr nah. 1. Strophe, S. 195.
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Das um 1780 in Nordamerika gedruckte Gedicht referiert auf den von Charles Messier (1730–1817) entdeckten Kometen C/1769 P1 (Messier), der von August bis Dezember 1769 mit bloßem Auge gesehen werden konnte und bei den Beobachtern einen tiefen Eindruck hinterließ. Ebenfalls in poetischer Form setzte sich in Europa beispielsweise der pietistische Theologe Samuel Gotthold Lange (1711– 1781) mit dem astronomischen Phänomen auseinander.102 Unter der Widmung, die auf den Philosophen Georg Friedrich Meier (1718–1777) verweist, heißt es in seinem Gedicht: Du Lehrer des Zusammenhangs der Dinge, Du Philosoph und Menschenfreund, Vernimm, was ich von dem Cometen singe, Der drohend jetzt am Himmel scheint. Du Lehrer in dem weisen Scherzen, Nimmt mancher Dichter dies zu Herzen, So oft er den Cometen sieht: So segnest du mein Abschiedslied. Dann ruft der Leser künftger Lieder: O käme der Comet doch wieder!103
Die Rezeption von Himmelserscheinungen wie Kometen, Sonnen- und Mondfinsternissen sowie Supernovae als optisch erfassbare Zeugnisse eines göttlichen Willens fußt auf einer historisch weit zurückreichenden, transepochal und metakulturell gültigen Tradition, in der Naturphänomene allgemein als nonverbale Kommunikationsformen metaphysischer Mächte interpretiert wurden.104 Bereits in der Antike war die Vorstellung weit verbreitet, dass Kometen in der Regel mit zukünftigem Unheil in Verbindung zu bringen seien.105 So ist im zweiten Buch der Naturalis Historia von Plinius d. Ä. (23/24–79 n. Chr.) etwa zu lesen: [S]ed cometes numquam in occasura parte caeli est; terrificum magna ex parte sidus atque non leviter piatum, ut civili motu Octavio consule iterumque Pompei et Caesaris bello, in
102 Samuel Gotthold Lange: Der Comet, mein letztes Gedichte, an den Herrn Prof. Meier. Halle a. d. S. 1769. 103 Ebd. 1.–10. Vers, S. [2]. 104 Die Vorstellung, dass die Schöpfung Aufschluss über den Schöpfer geben kann, ist bereits in der von dem christlichen Kirchenvater Augustinus formulierten Metapher vom Buch der Natur (Liber Naturae) erkennbar und fand im 18. Jahrhundert in der sog. Physikotheologie eine wirkmächtige philosophische und literarische Ausdrucksform (siehe hierzu auch G37, G61 f. und G64). 105 Siehe hierzu Gross: Naturales Quaestiones, S. 276.
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nostro vero aevo circa veneficium, quo Claudius Caesar Imperium reliquit Domitio Neroni, ac deinde principatu eius adsiduum prope ac saevum.106
Wie aus dem entsprechenden Eintrag in Johann Christoph Adelungs (1732–1806) Wörterbuch der hochdeutschen Mundart hervorgeht, wurden Kometen noch im 18. Jahrhundert von einem großen Teil der Bevölkerung als bevorstehende Unglücksfälle ankündigende Himmelszeichen wahrgenommen.107 Der Beitrag konstatierte: Der Komet, […] aus dem Griech[ischen] und Lat[einischen] Cometa, eine Art Irrsterne, welche weit längere und engere Laufbahnen haben als die Planeten, und uns daher nur zuweilen sichtbar werden. […] Ehedem nannte man sie auch Nothsterne, weil der große Haufe in ihnen noch jetzt nichts als Vorbothen großer Plagen erblicket.108
Auch Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste verwies unter dem entsprechenden Lemma auf diese Vorstellung, notierte dabei allerdings, dass „sich kein Astronomus mehr entsetzt, wenn ein dergleichen sonst so genannter Unglücks-Stern am Himmel erscheinet“109. Der umfangreiche Artikel rekapitulierte zahlreiche Schriften, die sich mit der astronomischen Erscheinung auseinandergesetzt hatten und sprach sich in diesem Zusammenhang für eine dezidiert aufklärerische Sichtweise aus. Der Beitrag machte deutlich: „Die Meinung, daß die Cometen Zeichen und Vorboten des Unglücks wären, ist vollends ungegründet.110 Der Autor des Beitrags plädierte für eine empirische-
106 „Niemals aber erscheint ein Komet am westlichen Teile des Himmels; meistens ist ein solcher Stern ein schreckenerregendes Ereignis und seine Vorbedeutung ist nicht leicht abzuwenden, wie beim Bürgerkrieg unter dem Konsul Octavius [87 v. Chr.], dann wieder beim Krieg zwischen Pompeius und Caesar [48 v. Chr.], in unserer Zeit aber bei der Vergiftung des Kaisers Claudius [54 n. Chr.], als das Reich an Domitius Nero überging, und dann während dessen Regierung, als die Erscheinung fast beständig und gräßlich war.“ [Gaius] Plinius Secundus: Naturkunde/Naturalis Historia. 2. Buch, 92, S. 74 (Übersetzung: Winkler – König, S. 75). Plinius wies allerdings auch auf eine positive Interpretation der Himmelserscheinung hin: Siehe [Gaius] Plinius Secundus: Naturkunde/Naturalis Historia. 2. Buch, 93 f., S. 76. Zur Rezeption von Kometen als Unglücksboten siehe auch Cicero: Vom Wesen der Götter [De Natura Deorum]. 2. Buch, 14, S. 108; Seneca: Naturwissenschaftliche Untersuchungen/Naturales Quaestiones. 7. Buch, 1,5, S. 416. Siehe hierzu auch Gauly: Naturales Quaestiones, S. 143. 107 Zur Rezeption von Kometen in der Frühen Neuzeit siehe Gindhart: Kometenjahr; Kühlmann: Wissen, S. 144; Martin: Kometen, S. 425–444; Zeller: Wunderzeichen, S. 95–132; Zimmermann: Cometen, S. 321–344. 108 Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 2, Sp. 1695. 109 Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Bd. 6, Sp. 793. 110 Ebd., Sp. 812.
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naturwissenschaftliche Methodik bei der Beurteilung des Phänomens und unterstrich die Notwendigkeit, Schlussfolgerungen aus den astronomischen Beobachtungen nicht aufgrund von arbiträren astrologischen Überlegungen zu ziehen. Die Notwendigkeit, wiederholt mit Nachdruck und in ausführlicher Form auf die Irrationalität der Ängste einzugehen, verdeutlicht, welchen Grad der Verbreitung die Vorstellung von Kometen als unheilvollen Vorzeichen in der zeitgenössischen Bevölkerung noch hatte. Visuell eindrucksvolle Kometen erschienen 1743/44, 1769, 1811 sowie 1824 am Himmel und hinterließen auch in der religiös geprägten deutsch-amerikanischen Publizistik ihre Spuren. So wurde 1745 in Ephrata eine anonyme Schrift mit dem Titel Ernstliche Erweckungs-Stimm In ein Lied verfasset Ueber den so lang gestandenen und grosen Cometen Welcher sich im X[.] Monat des Jahrs 1743 das erste mal sehen ließ, und 10 Wochen lang gestanden. Von einem Freund zugesandt, Und, auf dessen Begehren, Zum Druck befördert111 veröffentlicht. Ein Jahr später erschien in Germantown/Pennsylvania die Gründliche und
111 Der Titel konnte trotz ausführlicher Recherche nicht gefunden und eingesehen werden. Zur Frage der Existenz der Schrift notierte Everett Gordon Alderfer: „The Comet Book, Ernstliche Erweckungs-Stimm in ein Lied verfasst (Earnest Awakening Voice Composed in a Song), if it survives at all, must be in private hands. Sachse […] reports that the only copy known in 1900, dated 1745, was then in Pennypecker’s collection.“ Alderfer: Ephrata Commune, S. 232 [Anm. 2]. Siehe hierzu auch Sachse: German Sectarians, S. 89–94. Sachse druckte eine offensichtlich von Reverend J. Max Hark angefertigte, 1890 in der in Lancaster/Pennsylvania publizierten religiösen Zeitschrift Christian Culture veröffentlichte englische Übersetzung zweier Strophen des Gedichtes ab. Diese lauten: The Lord his signs makes to appear, To call us to repentance: A monstrous comet standeth there That we our sins should flee from, Bu we, alas! scarce give it a thought, For each one thinks it cometh not, The punishment and danger. Comets (believe’t) are not for naught, In heavens thus appearing; A judgement surely shall be wrought, Such mighty signs succeeding. O, be not scornfully inclined, Nor treat it with a careless mind, Lest you too soon forget it. J. Max Hark: [The Lord his signs makes to appear] (Übers.). In: Sachse: German Sectarians, S. 90 f. Siehe hierzu auch Ward: Bio-Bibliography, S. l; Wilsdorf: Imprints, S. 106.
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natur-gemässe Verhandelung von den Cometen und deren Erscheinung, eine von dem deutsch-amerikanischen Mystiker Johannes Hildebrand (1679–1765) 112 verfasste und von Christoph Saur I. gedruckte schriftliche Auseinandersetzung,113 die sich mit der Frage beschäftigte, inwiefern Kometen als Ausdrucksformen eines göttlichen Willens interpretiert werden könnten. Hildebrand, der intensiv von den Schriften Jacob Böhmes beeinflusst worden war, eine Zeit lang in Ephrata lebte114 und vom bevorstehenden Weltentende ausging,115 vertrat die Ansicht, dass die Himmelserscheinungen als mahnende religiöse Botschaften zu verstehen seien. Er führte aus:
112 Hildebrand war zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt aus den deutschen Staaten ausgewandert und hatte sich zunächst in Germantown angesiedelt, wo er sich als Weißgerber betätigte. 1743 unterstützte er Christoph Saur I. beim Druck der ersten in einer europäischen Sprache verfassten Bibel in Nordamerika (s. u.). Zu Hildebrand siehe Bach: Voices, S. 49–67; Flory: Activity, S. 220–228. 113 Die Vorrede Christoph Saurs I., der zuvor bereits andere Werke Hildebrands gedruckt hatte, erinnerte mit folgenden Worten auf die ein Jahr zuvor veröffentlichte Ernstliche ErweckungsStimm: „Damit dem geneigten Leser die Ursache der nachfolgenden Schrifft etwas leichter ins Gemüth falle, so wird berichtet, daß im vorigen Jahr 1745 dem Drucker hiervon ein Lied gesandt worden zu drucken, darinnen jemand seine Gedancken über den letzten Comet-Stern in Reimen gebracht hat; man war aber damahls so beschäfftiget, daß man keine Zeit dazu hatte; Es wurde aber hernach in Ephrata gedruckt, davon hat Johannes Hildebrand dem Drucker hiervon ein gedrucktes Stück gesand als ein Liebes-Zeichen oder Freundes-Andenken.“ Saur I.: Vorbericht, S. [3]. 114 Die Forschung hat allerdings auch darauf hingewiesen, dass es schließlich zum Zerwürfnis zwischen Hildebrand und Beissel, dem Superintendenten des Klosters, kam. 115 Siehe Bach: Voice, S. 60. Vgl., dass das bevorstehende Weltende in der Bibel durch astronomische Zeichen angekündigt wird. So heißt es etwa im Matthäusevangelium: „Sogleich aber nach der Bedrängnis jener Zeit wird die Sonne sich verfinstern und der Mond seinen Schein verlieren, und die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen. Und dann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohns am Himmel. Und dann werden wehklagen alle Geschlechter auf Erden und werden sehen den Menschensohn kommen auf den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit.“ Mt 24,29 f. Siehe auch Mk 13,24–26 und Lk 21,25–27. Vgl. hierzu allerdings auch folgenden Eintrag bei Zedler: „Zeichen des Jüngsten Tages […] [.] Was ferner die Cometen und neuen Sterne anlanget: so wollen wir anjetzo nicht davon reden, ob sie ihre natürlichen Ursachen haben, oder ob sie übernatürlich von Gott an das Firmament des Himmels, zukünfftige grosse Veränderungen und Begebenheiten anzudeuten, und die Menschen zu warnen, daß sie Busse thun, und der bevorstehenden Straffe Gottes entgehen sollen, gesetzet werden. Dieses ist aber gewiß, daß ebenfalls in den alten Zeiten und vor vielen Jahrhunderten Cometen und andere neue Sterne sind beobachtet worden, darum können sie überhaupt und insgemein nicht Zeichen des jüngsten Tages seyn, oder desselbe Einbrechung ankündigen. Doch wissen wir auch nicht, ob nicht Gott den jüngsten Tag noch zuletzt durch einen oder etliche besondere Cometen, oder andere ausserordentliche Sterne, die Menschen zu warnen, erscheinen lassen werde.“ Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Bd. 61, Sp. 619.
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Eben auf eine solche Weise schaffet Gott an der Vese des obern Sternen-Firmaments auch noch, so offt er will, solche Cometen in eine sichtbare leibliche Form vor unsern Augen, je nach dem er ein Gerichte vor hat über diese Welt zu führen, den Armen blinden Menschen zur Warnung, durch seine mitleidente Liebe gegen dieselbe, ob einige sich möchten lassen dardurch warnen und sich bekehren, damit sie nicht durch solche Zorn und Straff-Gerichte müssen hingerissen werden in die ewige Gefängnisse zum ewigen Gericht sie zu behalten. Daher sendet GOtt zu solcher Zeit einen Diener als einen Botten und Herolden den Menschen dieses anzukündigen[.]116
Und an anderer Stelle wiederholte er: „[…] [D]ahero bezeuget man hiermit, daß die Cometen Buß-Botten sind, um sich zu GOtt zu kehren“117 In seinem Fazit gab der Autor seine Meinung mit folgenden Worten erneut zum Ausdruck: Aus allen gemelten Beweißgründen ist Sonnen klar, das [sic] die Cometen Gerichts-Botten sind, die GOtt am Firmament wie vornen gemeldet jedermann zum Zeichen seiner zukünfftigen Straff-Gerichte offenbarlich als himmlische Herolden sendet, die Menschen zur Buße zu bewegen, damit sie sich möchten bekehren.118
Hildebrand wandte sich in seiner Schrift nicht zuletzt auch gegen die lauter werdenden Stimmen und Kräfte, die sich dafür aussprachen, astronomische Phänomene losgelöst von einer religiösen Metabotschaft ausschließlich im naturwissenschaftlichen Sinne zu verstehen. Der Autor griff ein biblisches Bild auf und verglich die Kritiker mit falschen Propheten,119 die seiner Meinung nach versuchten, die Menschen vom wahren Weg abzubringen. Er erklärte: Wer nun die Menschen sucht abwendig zu machen, daß sie diesen von GOtt gesandten BußPredigern nicht solten glauben, der macht es eben wie es die falschen Propheten gemacht hatten unter Israel, wann GOtt wahre Propheten sandte, und denselben Buße predigten, so stunden sie gegen den Propheten die GOttes Befehl ausrichteten, und machten das Volck irre und abwendig von Buß[.]120
116 Hildebrand: Gründliche und Natur-gemässe Verhandelung von den Cometen und deren Erscheinung, S. 6. 117 Ebd., S. 9. 118 Ebd., S. 13. Auf den warnenden Charakter von Kometen verwies zuvor bereits auch die folgende Stelle: „Nun sagen wir, daß dieser Stern ein Botte Gottes zur Warnung seye gesand worden […].“ Ebd., S. 7. 119 Falsche Propheten werden im Neuen Testament insbesondere auch mit der Endzeit in Verbindung gebracht. Siehe hierzu beispielsweise Mt 7,15 und 24,11; Mk 13,22 f.; 2 Petr 2,1; 1 Joh 1,1. Siehe auch G207. 120 Hildebrand: Gründliche und Natur-gemässe Verhandelung von den Cometen und deren Erscheinung, S. 13.
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Es folgte die Warnung vor einer Bestrafung bei der Fortsetzung des bisherigen Verhaltens: [W]ie aber das Volck durch den Unglauben sich verführen liese und in den Gerichten umkam, also kamen auch solche falsche Propheten mit ihnen um, eben also wird es auch solchen Ateistischen Astronomen ergehen in den zukünfftigen durch den Cometen angedroheten Zorn-Gerichten.121
Hildebrand verband seine Ausführungen abschließend mit dem Wunsch nach einer religiösen Besinnung und Umkehr der seiner Meinung nach irrenden bzw. fehlgeleiteten und sich dadurch versündigenden Menschen. Im Text heißt es: Möchten sich doch diese und alle andere sichere und um ihrer seelen Heil sorglosse und unbekümmerte durch diesen Gerichts-Botten und andere Wahrheits-Stimmen von aussen und innen zur Sinnes-Aenderung und Hertzens-Reue bewegen lassen, es würde ihnen ein anderer Stern im Inwendigen erscheinen, der sie führen würde und zeigen wie und wo Christus gebohren und gefunden wird, in welchem alle Schätze der Weißheit und Erkantnuß zu finden sind; sie würden sehen wie die gantze Natur und Creatur ihren Schöpffer verherrlichet und preisset[.]122
Die Textpassagen verdeutlichen wie das in Ephrata gedruckte Gedicht, dass die Interpretation eines astronomischen Phänomens als theologisch aufgeladenes Signum mit einer religiösen Metabotschaft auch unter pietistisch geprägten deutsch-amerikanischen Separatisten und Millenialisten in Pennsylvania Anhänger fand und wie die deutsch-amerikanische Literatur zeigt, zu beiden Seiten des Atlantiks noch eine lange Zeit gleichermaßen Gültigkeit besaß. So verfasste Johann Straubenmüller (1814–1897), der 1852 nach Baltimore emigriert war, im 19. Jahrhundert ein Gedicht, in dessen zweiten Strophe der Sprecher die Himmelserscheinung ehrfurchtsvoll als göttliche „Rachegeißel“123 interpretiert. Die zweite Strophe lautet: Er kommt! er naht! Welch’ Funkeln, welch’ ein Glühen! Ein grimmes Fackelschwert in Gottes Hand! Sieh’ seinen Schlund von tausend Höllen sprühen, Wer hält vor Gottes Rachegeißel Stand?124
Reinhard Erbschloes (gest. 1884) in St. Louis publiziertes Gedicht Der Komet von 1861, dessen Entstehung durch das Auftauchen des überaus hellen Großen
121 Ebd. 122 Ebd., S. 15 f. 123 Straubenmüller: Der Komet. 2. Strophe. 4. Vers, S. 26. 124 Ebd. 2. Strophe, S. 26.
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Kometen C/1861 J1 inspiriert wurde, thematisiert ebenfalls die Wahrnehmung des Himmelsobjektes als metaphysisches Zeichen, weist allerdings auch eine mit einem Fortschrittsoptimismus verbundene positive Lesart auf. In der dritten und vierten Strophe fragt der Sprecher: Bist du’s, der einen Kaiser schon, Vom Throne hat gejagt? Den man, der Wissenschaft zum Hohn, Als Furchtgespenst verklagt? Bist du’s, der Pestilenz und Krieg Den blöden Thoren bringt, Der über Bosheit, wie im Sieg, Die Geißel Gottes schwingt?125
In den folgenden beiden Strophen hält das poetische Subjekt jedoch fest: Du bist nicht heute, was du warst Vor dreimal hundert Jahr, Als du zum letzten Mal gebarst Erstaunen und Gefahr. Ein Zeugniß reiner Gotteskraft Erscheinest du dem Blick, Und alles, was dieselbe schafft, Ist uns kein bös Geschick.126
3 Ein ausgeprägtes Publikationswesen mit Auflagenzahlen wie in Europa. Die Publizistik der bedeutendsten deutschamerikanischen Drucker (die Saur-Familie und Henrich Miller [1702–1782]) Die dominierende Stellung religiöser Themen in der deutsch-amerikanischen Lyrik wurde im Laufe des 18. Jahrhundert durch eine expandierende säkulare Dichtung zunehmend streitig gemacht. Diese säkulare und häufig politische Lyrik wurde, etwa während der Revolutionszeit, auf Flugschriften verbreitet (z. B. G25,
125 Erbschloe: Der Komet von 1861. 3 f. Strophe, S. 24 f. 126 Ebd. 5 f. Strophe, S. 25.
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G70, G97, G99, G101, G103 und G239)127 und insbesondere in periodisch erscheinenden Publikationen, wie Zeitungen, Journalen, Kalendern und Almanachen, veröffentlicht.128 Die hier im Anhang abgedruckte Anthologie deutsch-amerikanischer Lyrik ist das Ergebnis einer Recherche in bedeutenden deutsch-amerikanischen Periodika des 18. Jahrhunderts, die zu einem großen Teil über das weitreichende Internetangebot der America’s Historical Imprints129 und America’s Historical Newspapers130 eingesehen werden konnten. Insgesamt wurden über vierzig unterschiedliche Titel, soweit diese verfügbar waren,131 und mehrere tausend Druckseiten systematisch nach lyrischen Texten durchsucht (siehe Kapitel XII.1).132 Wie allgemein für die deutsch-amerikanische Einwanderung fiel Pennsylvania auch in Bezug auf die literarische Produktion eine Vorreiterrolle zu.133 In der
127 Zu den deutsch-amerikanischen Flugschriften siehe Yoder (Hg.): Pennsylvania German Broadside, S. 9–22. Zur Funktion von Flugschriften um 1700 an den Beispielen Köln, Hamburg und dem Kurfürstentum Sachsen siehe Bellingradt: Flugpublizistik und Öffentlichkeit; ders.: Quellen, S. 77–95. Zur Funktion von Flugblättern als Nachrichtenmedium, Werbeträger und Mittel der Politik in der Frühen Neuzeit siehe auch Bellingradt: Quellen, S. 77–95; Bellingradt – Schilling: Flugpublizistik, S. [273]–289; Harms – Schilling: Flugblatt; de Heesen: Flugblatt. Schilling: Bildpublizistik. 128 Zur deutsch-amerikanischen Presse des 18. Jahrhunderts siehe Seidensticker: Zeitungspresse, S. 276–289, 405–434, 568–587; Thomas: The History of Printing in America, S. 442–448; [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 27 f. Siehe auch Häberlein: Printing, S. 905–909. Eine allgemeine Übersicht historischer deutschsprachiger Zeitungen in Nordamerika ist zu finden in Arndt – Olson (Hgg.): Presse. Siehe auch Cronau: Achievements, S. 151–[154]; Stapleton: Researches, S. 82–89. 129 Im Internet zu finden unter http://www.readex.com/content/americas-historical-imprints, 15. Juli 2016. 130 Im Internet zu finden unter http://www.readex.com/content/americas-historical-newspapers, 15. Juli 2016. 131 Allgemein ist zu berücksichtigen, dass sich viele Periodika nur unvollständig oder gar nicht erhalten haben. Hierzu zählt z. B. die von Matthias Bärtgis (1759–1825) in Friederichstown (Frederick [Town])/Maryland herausgegebene Virginische Zeitung (siehe Dolmetsch: German Press, S. 33; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 55; Wroth: Maryland Press, S. 61, 170; Wust: Newspapers, S. 17) sowie Der Pennsylvanische Staats-Courier oder einlaufende Wöchentliche Nachrichten (siehe Baginsky: Scherzgedicht, S. 376). Siehe auch Minick: History, S. 99 f., 158 f. 132 Als terminus ante quem für die Aufnahme von Gedichten wurde das Jahr 1806 gewählt, d. h. Periodika wurden, soweit zugänglich, bis einschließlich des Jahres 1805 durchsucht. Es wurden außerdem nur diejenigen Texte in die Anthologie aufgenommen, die mindestens eine explizite Referenz auf Nordamerika aufweisen. 133 Siehe auch Stapleton: Researches, S. 81.
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Kolonie bzw. dem Staat befanden sich die meisten Papiermühlen (Abb. 63)134 und waren die meisten deutsch-amerikanischen Drucker tätig (Abb. 64). Hier erschien der bei Weitem größte Teil der deutsch-amerikanischen Periodika (Abb. 65)135 wie Zeitungen (Abb. 66).136 Allgemein waren deutsch-amerikanische Drucker fast ausschließlich in Pennsylvania (insbesondere in Philadelphia und Germantown) tätig (Abb. 67 f.).137 Pennsylvania hatte die größte deutsch-amerikanische Bevölkerung und war damit der wichtigste Absatzmarkt,138 war darüber hinaus aber auch durch eine liberale Publikationspolitik gekennzeichnet, die im Vergleich zu den anderen Kolonien vergleichsweise wenige Restriktionen aufwies.139
134 Es kam ausgesprochen selten vor, dass sich eine Druckerei, wie die der berühmten Saur-Familie (s. u.), im Besitz einer eigenen Papiermühle befand (siehe Adams: Press, S. 172; Nichols: Justus Fox, S. 59; Wittke: German-Language Press, S. 18), die eine Grundlage für eine unabhängige literarische Produktion schaffte. Zur zeitgenössischen Papierherstellung in den Kolonien siehe Münch: German-Language Almanacs, S. 59; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 51 f. Lange Zeit waren Drucker in Nordamerika auf Importe von Tinte und Lettern aus Europa angewiesen. Siehe Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 50. 135 Die zeitgenössische Verbreitung von Almanachen, die u. a. medizinische Ratschläge, astronomische und astrologische Angaben, meteorologische Hinweise, agrikulturelle und hauswirtschaftliche Informationen und daneben auch Anekdoten, Geschichten und Gedichte enthielten, beschrieb Philipp Münch pointiert mit den Worten: „[…] [A]lmanacs were the primary reading matter of the average man in early America.“ Münch: German-Language Almanacs, S. 58. Siehe auch Pennypacker: Early Literature, S. 40. Eine zweibändige Übersicht von deutsch-amerikanischen Kalendern des 18. und 19. Jahrhunderts hat York-Gothart Mix unter der Mitarbeit von Bianca Weyers und Gabriele Krieg herausgegeben: Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. 136 Siehe auch ebd. Bd. 1, S. [19]; Münch: German-Language Almanacs, S. 59. 137 Eine Übersicht der Publikationsorte deutsch-amerikanischer Periodika, die zwischen 1732 und 1968 erschienen (Abb. 69), zeigt, dass Pennsylvania nach dem 18. Jahrhundert neben New York immer noch eine exzeptionelle Bedeutung für die deutschsprachige Publizistik in Nordamerika zufiel. Daneben waren es insbesondere die Staaten des Mittleren Westens, der zu den Hauptsiedlungsgebieten der deutschen Einwanderer im 19. Jahrhundert gehörte, in denen sich ein deutschsprachiges Pressewesen entwickeln konnte. 138 In Bezug auf die deutsch-amerikanischen Publikationen ist zu berücksichtigen, dass sich die Leserschaft in der Neuen Welt vom deutschsprachigen Publikum in Europa unterschied. W. M. Verhoeven machte zwar deutlich, dass die deutschen Kolonisten in Nordamerika zum großen Teil literat waren (siehe Verhoeven: Colony, S. 81 f.), allerdings gab Katja Rampelmann, die in diesem Zusammenhang von einem „Volkscharakter“ (Rampelmann: Vernunft, S. 127) sprach, zu bedenken: „Einem deutsch-amerikanischen Musenalmanach hätten nicht nur die Leser, sondern auch die Produzenten gefehlt.“ Rampelmann: Vernunft, S. 127. 139 Siehe hierzu Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 49.
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Seit 1739 erschien mit der von Christoph Saur I.140 unter dem Titel Der HochDeutsch Pensylvanische Geschicht-Schreiber, Oder: Sammlung Wichtiger Nachrichten, aus dem Natur- und Kirchen-Reich in Germantown gedruckten Zeitung zunächst monatlich, später semimonatlich ein regelmäßig erscheinendes, höchst einflussreiches141 deutschsprachiges Presseblatt,142 das von seinem Sohn Christoph Saur II. (1721–1784)143 fortgesetzt wurde und unter unterschiedlichen Titeln
140 Saur, den Carl Wittke als „a man of almost universal talents“ (Wittke: German-Language Press, S. 15. Siehe hierzu auch Fischbach: Christoph Sauer, S. 66; Gilgenast [Hg.]: Pennsylvania German Broadsides, S. 10; Rampelmann: Vernunft, S. 125; Wilsdorf: Imprints, S. 42) bezeichnete, wurde 1695 in Ladenburg bei Heidelberg geboren. 1724 wanderte der religiöse Separatist nach Amerika aus und ließ sich zunächst nahe des radikalpietistischen Ephrata Klosters in Lancaster County nieder, bis er 1731 nach Germantown übersiedelte. Zur Biografie und zum Werk Saurs siehe Häberlein: Sauer, S. 453 f. (dort auch mit weiterführenden bibliografischen Angaben). Siehe außerdem Bittinger: Germans, S. 153–160; Durnbaugh: Christopher Sauer, S. [123]–149; ders.: Sauer Family, S. 32 f.; Fischbach: Christoph Sauer, S. 61–66; Frantz: Religious Teachings, S. 1–14; Hocker: Sower Printing House, S. [1]–44; Mori: Buchdrucker, S. 225–230; Münch: German-Language Almanacs, S. 58; Reichmann: Christopher Sower Sr., S. 1 ff.; Seidensticker: Bilder, S. 105; Steckel: Pietist, bes. S. 18–34; Thomas: The History of Printing in America, S. 405–408; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 53; Wilsdorf: Imprints, S. 40–43; Wittke: German-Language Press, S. 15–19. 141 Während z. B. Alexander Waldenrath in diesem Zusammenhang von einer „supremacy of the Saur newspress in the German community“ (Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 61) sprach, erklärte John Joseph Stoudt: „This paper was undoubtedly the most influential German journal of the early Colonial period.“ Stoudt: German Press, S. 76. Ähnlich gab auch Stephen L. Longenecker an: „The Sauer press, especially the widely-read newspaper, was one of the most potent political weapons in the colony, and the Sauers are credited with having much influence over the sizeable German vote.“ Longenecker: The Christopher Sauers, S. 65. 142 Vor Saur hatte Benjamin Franklin bereits 1732 die erste Zeitung in deutscher Sprache auf amerikanischem Boden gedruckt. Die Philadelphische Zeitung hatte jedoch keinen Bestand und kam nicht über zwei Ausgaben hinaus. Siehe hierzu Adams: Press, S. 154; Gilgenast (Hg.): Pennsylvania German Broadsides, S. 9; McMurtrie: History, S. [68]; Münch: German-Language Almanacs, S. 58; Rosengarten: American History, S. 63; Seidensticker: Zeitungspresse, S. 276–278, 406; Starnes: Periodical Archives, S. 85; Stoudt: German Press, S. 80; Verhoeven: Colony, S. 79; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 53. Zu den deutschsprachigen Drucken Franklins, die Heinz G. F. Wilsdorf zufolge in den Jahren 1730–1756 aus 34 Titeln bestand (siehe Wilsdorf: Imprints, S. 22), siehe Stoudt (Hg.): Pennsylvania German Poetry, S. lxv; Wittke: German-Language Press, S. 13 f.; Zimmermann: Deutsch in Amerika, S. XXf. Zu Franklin als Drucker allgemein siehe McMurtrie: History, S. [25]–54; Wilsdorf: Imprints, S. 21–39. 143 Zu Christoph Saur II., der die Geschäfte seines Vaters übernahm und den Isaiah Thomas als sehr gewissenhaften Drucker bezeichnete (siehe Thomas: The History of Printing in America, S. 416), siehe Bittinger: Germans, S. 160–162; Durnbaugh: Sauer Family, S. 34 f.; Frantz: Religious Teachings, S. 15–19; Friedrich: Anecdotes, S. 33–35; Hocker: Sower Printing House, S. 66–75; Seidensticker: Bilder, S. 151–157; Thomas: The History of Printing in America, S. 408–417.
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bis in die Revolutionszeit publiziert wurde.144 Die Druckerfamilie Saur (Sauer, Sower, Sowr), die sich über mehrere Generationen erstreckte (Abb. 70),145 bediente im 18. Jahrhundert die wichtigste deutsch-amerikanische Druckerpresse,146 was sich auch in der Anzahl der von ihr gedruckten Titel zeigte (Abb. 71). Die Familie veröffentlichte zahlreiche auflagenstarke Titel,147 deren Herzstück die erste auf amerikanischen Boden in einer europäischen Sprache gedruckte Bibelausgabe (die sog. Saur-Bibel) darstellte.148 Diese fast 1.300 Seiten umfassende LutherÜbersetzung erschien 1743 im Quarto-Format erstmals in einer Auflage von 1.200 Exemplaren und wurde, nachdem sie sich zunächst nur schleppend verkaufte,149 1763 (mit 2.000 Exemplaren) sowie 1776 (mit 3.000 Exemplaren) nachgedruckt.150
144 Siehe hierzu Adams: Press, S. 157, 218; Wilsdorf: Imprints, S. 43. Der 1796 gegründete, zunächst von Jacob Schneider und Georg Gerrisch ebenfalls in Pennsylvania herausgegebene Readinger Adler wurde sogar bis 1913 gedruckt. Siehe auch McMurtrie: History, S. 82. Zu den unterschiedlichen Namen der sog. Saur-Zeitung siehe die Anmerkung 2 zu Abb. 70. 145 Zur Saur-Druckerfamilie siehe Brandt: Altar, S. 157–175; Durnbaugh: Sauer Family, S. 31–38; Longenecker: Christopher Sauers (siehe bes. auch die entsprechende Bibliografie auf S. [183]–[189]); Rampelmann: Vernunft, S. 125 f.; Wilsdorf: Imprints, S. 39–71. Zu den Namensvarianten siehe Adams: Press, S. 154; Longenecker: The Christopher Sauers, S. [9]; McMurtrie: History, S. [68]; Wilsdorf: Imprints, S. 40; Wittke: German-Language Press, S. 12. 146 Zu der von der Forschung immer wieder akzentuierten Bedeutung insbesondere von Christoph Saur I. und II., die Clair Gordon Frantz als „undoubtly the most influential Germans in the colonies“ (Frantz: Religious Teachings, S. [Vorwort]) bezeichnete, für die deutsch-amerikanische Publizistik siehe Fischbach: Christoph Sauer, S. 66; Longenecker: The Christopher Sauers, S. [9]; Minick: History, S. 100, 109; Wittke: German-Language Press, S. 15. 147 Willi Paul Adams zufolge erschienen von 1738 bis 1758 in der Druckerei 151 verschiedene Titel, davon 18 englischsprachige. Siehe Adams: Press, S. 156. Siehe auch Fischbach: Christoph Sauer, S. 65; Seidensticker: Bilder, S. 120; Verhoeven: Colony, S. 78. Zur Saur-Druckerei siehe insbesondere Hocker: Sower Printing House. Siehe auch Adams: Press, S. 154–160; Pennypacker: Early Literature, S. 39; Seidensticker: Bilder, S. 120–128; Zimmermann: Deutsch in Amerika, S. XXIff. 148 Die erste englischsprachige Bibel in Amerika wurde erst 1782 von Robert Aitken, der 1769 aus Schottland in die Neue Welt ausgewandert war, in Philadelphia gedruckt. Vgl. Wilsdorf: Imprints, S. 60. Die Bedeutung der „Saur-Bibel“ kommentierte Felix Reichmann mit den Worten: „The German Bible printed in Germantown by Christopher Sower in 1743 is one of the great monuments of American printing.“ Reichmann: Christopher Sower, S. 8. Und er ergänzte: „Because it illustrates the growth of American intellectual independence, Sower’s Bible can be considered as an achievement of nation-wide importance.“ Reichmann: Christopher Sower, S. 8. 149 Reichmann notierte: „It is a great monument, but commercially it was a failure.“ Reichmann: Christopher Sower Sr., S. 6. 150 Zur „Saur-Bibel“ siehe auch Adams: Press, S. 156 f.; Arndt: Deutsch-Amerikanische Flugblätter, S. 45; Bittinger: Germans, S. 156; Durnbaugh: Sauer Family, S. 32 f.; Fischbach: Christoph Sauer, S. 65; Hocker: Sower Printing House, S. 37–43, 72; Longenecker: The Christopher Sauers, S. 51; McMurtrie: History, S. 70; Mori: Buchdrucker, S. 228; Reichmann: Christopher Sower Sr., S. 6; Seidensticker: Bilder, S. 116–120; Steckel: Pietist, S. 67 f.; Verhoeven: Colony, S. 78, 95; Wal-
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In der Vorrede zur zweiten Auflage 1763 ließ Christoph Saur II. seinen Stolz auf die Pionierleistung erkennen, indem er seinen unmittelbar apostrophierten Adressaten deutlich machte: Geneigter Leser! Es erscheinet nun zum Zweytenmal in diesem Americanischen Welttheil die Heilige Schrifft, die Bibel genannt, in Hochteutscher Sprache in öffentlichem Druck; zum Ruhm der Teutschen Nation, indem keine andere Nation wird aufzeugen können, daß die Bibel in diesem Welttheil in ihrer Sprach sey gedruckt worden.151
Neben der „Saur-Bibel“ und der Zeitung, die unterschiedlichen Schätzungen zufolge 4.000–10.000 Leser zählte,152 gehörte der seit 1739 jährlich erscheinende Hochdeutsch-Americanische Calender mit einer Auflage von etwa 10.000 Exemplaren153 zu den wichtigsten Erzeugnissen der Druckerei und bildete dessen „finanzielle[s] Rückgrat“154. Damit bewegten sich die Auflagenzahlen der Periodika der Saurschen Druckerei auf der Höhe, die den Spitzenwerten der deutschsprachigen Presse in Europa entsprachen.155 Während Schubarts semiwöchentlich erschei-
denrath: Pennsylvania-Germans, S. 54; Wilsdorf: Imprints, S. 50–54; Wittke: German-Language Press, S. 12. 151 Christoph Saur II.: Vorrede, S. [nicht paginiert]. Siehe hierzu auch Verhoeven: Colony, S. 78. 152 Siehe Adams: Press, S. 166; Dapp: John Henry Miller, S. 241; McMurtrie: History, S. 70; Mori: Buchdrucker, S. 227; Reichmann: Christopher Sower Sr., S. 3; Roeber: Staatsbote, S. 59; Seidensticker: Bilder, S. 116; Seidensticker: Zeitungspresse, S. 279; Studer: Christopher Dock, S. 158; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 53; Zimmermann: Deutsch in Amerika, S. XXIV. Siehe auch Eck: Buchdruck, S. 12. 153 Vgl. Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 1, S. 27; Rampelmann: Vernunft, S. 130, 132; Reichmann: Christopher Sower Sr., S. 3, 9. Zu den Auflagenzahlen siehe auch Münch: German-Language Almanacs, S. 59. Daneben druckte Christoph Saur II. das kostenlos distribuierte, unregelmäßig erscheinende religiöse Journal Ein Geistliches Magazien, dessen Auflage auf 5.000 Stück geschätzt wurde. Siehe Adams: Press, S. 173; Studer: Christopher Dock, S. 159. Zum Geistlichen Magazien siehe auch Bittinger: Germans, S. 161; Wilsdorf: Imprints, S. 61. 154 Mori: Buchdrucker, S. 227. Siehe auch Reichmann: Christopher Sower, S. 9. Zum Erfolg des Hochdeutsch-Americanischen Calenders, der bis 1833 in Germantown bzw. später in Philadelphia gedruckt wurde und anderen Almanachen als Vorbild diente, siehe Durnbaugh: Sauer Family, S. 32; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 1, S. [19]; Rampelmann: Vernunft, S. 125. 155 Die Auflage deutsch-amerikanischer Zeitungen übertraf wohl diejenige der englischsprachigen in Nordamerika, deren Auflagenstärke laut Willi Paul Adams Mitte des 18. Jahrhunderts bei schätzungsweise 600 Stück lag. Siehe Adams: Press, S. 166. Selbst die bedeutende Pennsylvania Gazette dürfte um 1760 pro Ausgabe ca. 2.500–3.000 Exemplare erreicht haben. Siehe Adams: Press, S. 167. Siehe auch Langston: Tyrant and Oppressor, S. 1 [Anm. 3]. Zu den Auflagenzahlen der deutsch-amerikanischen Presse in Nordamerika siehe Verhoeven: Colony, S. 79.
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nende Teutsche Chronik wie bereits erwähnt (s. o.) etwa 20.000 Leser fand, zählte Wielands 1773 gegründeter Teutscher Merkur, bei dem es sich um eines der erfolgreichsten und langlebigsten Journale seiner Zeit handelte, anfangs ca. 2.000 Subskribenten.156 Das dichte Subskriptionsnetz für den Hochdeutsch-Americanischen Calender in Pennsylvania wurde um Orte in den benachbarten Kolonien ergänzt und reichte, wie die Subskriptionsortangaben der Ausgaben für die Jahre 1791–1807 dokumentieren, zeitweise sogar von Charleston in South Carolina bis nach Albany in New York (Abb. 72).157 Eine geografisch noch umfangreichere Distribution erreichte laut den Subskriptionsangaben der Philadelphische bzw. Pennsylvanische Staatsbote158 von Saurs größtem deutschsprachigen Konkurrenten, He(i)nrich (Henry) Miller,159 der Verbindungen zu Agenten von Georgia bis nach Neuschottland unterhielt (Abb. 73).160 Die Auflagenstärke von Millers zunächst wöchentlich, ab Mai 1775 schließlich zweimal pro Woche erscheinenden Staatsboten, der ins-
156 Vgl. Jørgensen – Bohnen – Øhrgaard: Aufklärung, S. 96. 157 Der „Saur-Kalender“ wurde in diesen Jahren von Samuel Saur (1767–1820) in Chestnut Hill, das heute ein Stadtteil von Philadelphia ist und in Baltimore gedruckt. Siehe auch Wittke: German-Language Press, S. 20. 158 1762–1767 hieß die Zeitung Der Wöchentliche Philadelphische Staatsbote, 1768–1775 Der Wöchentliche pennsylvanische Staatsbote und 1775–1779 Henrich Millers Pennsylvanischer Staatsbote. Zum Staatsboten siehe auch Roeber: Staatsbote, S. 57–73; Seidensticker: Zeitungspresse, S. 415–434. 159 Miller wurde in Rhoden in Waldeck geboren und siedelte mit seiner Familie 1715 in die Schweizer Heimat seines Vaters über. In Basel erhielt er eine Druckerausbildung und reiste anschließend durch verschiedene europäische Städte bis er 1741 Zinzendorf auf dessen Reise nach Nordamerika begleitete. Nachdem er zeitweilig in der Druckerei von Benjamin Franklin in Philadelphia eine Beschäftigung fand, trat er im folgenden Jahr der Brüdergemeine in Bethlehem bei. 1742 kehrte er nach Europa zurück und gelangte nach seiner zweiten Amerikareise, die von 1751 bis 1754 dauerte, 1760 ein drittes und letztes Mal in die Neue Welt, wo er 1762 mit dem Staatsboten eine der bedeutendsten zeitgenössischen deutsch-amerikanischen Zeitungen gründete. Zu Millers Biografie siehe Bittinger: Germans, S. 165; Dapp: John Henry Miller, S. 232–296, bes. 291– 294; Lerg: Lerg: Herrnhuter Wanderdrucker, S. [151]–176; ders.: Miller, S. 523 f.; Münch: GermanLanguage Almanacs, S. 58; Pencak: Appendix, S. 371; Roeber: Staatsbote, S. 57–63; Seidensticker: Zeitungspresse, S. 416 ff.; Stoudt: German Press, S. 80 f.; Thomas: The History of Printing in America, S. 387–389; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 56 f. Zum publizistischen Wettstreit zwischen Miller und Christoph Saur II., den Carl Wittke als „unusually bitter“ (Wittke: GermanLanguage Press, S. 21) bezeichnete, siehe Adams: Press, S. 161; Münch: German-Language Almanacs, S. 58; Roeber: Staatsbote, S. 58, 63 f.; Seidensticker: Zeitungspresse, S. 420; Stoudt: German Press, S. 80; Verhoeven: Colony, S. 78; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 57. In einem Konkurrenzverhältnis standen auch die Saur-Druckerei und Franklin. Siehe hierzu Steckel: Pietist, S. 163; Verhoeven: Colony, S. 79. Siehe auch Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 51. 160 Siehe hierzu auch Adams: Press, S. 167 f.
3 Die Publizistik der bedeutendsten deutsch-amerikanischen Drucker
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gesamt von 1762 bis 1779 gedruckt wurde, dürfte sich Schätzungen zufolge zu den besten Zeiten auf der Ebene der „Saur-Zeitung“ bewegt haben.161 Ähnlich erfolgreich war lediglich noch die von Melchior Steiner162 seit 1781 in Philadelphia herausgegebene Gemeinnützige Philadelphische Correspondenz, die Oswald Seidensticker als „den Glanzpunkt der deutsch-amerikanischen Presse“163 des 18. Jahrhunderts bezeichnete.164 Die deutschsprachigen Drucker wie die Mitglieder der Saur-Familie, Henrich Miller, Melchior Steiner oder auch Frantz (Francis) Bailey (1735?-1815),165 Matthias Bartgis (Bärtgis/Bärtges),166 Jacob D. Dietrich (1778–1838),167 Carl Cist (= Charles Jacob Sigismund Thiel),168 Ant(h)on(y) Armbrüster (Armbruster; 1717?1796),169 Jacob Schneider, Georg Gerrisch,170 Anton Stiemer, Johann Albrecht (John Albright; 1745–1806), Jacob Lahn,171 Michael Billmeyer (1752–1837), Peter Leibert (1727–1812),172 Gottlob Jungmann (1757?-1833) und Johann Ritter (1779– 1851),173 waren durch ihre publizistische Tätigkeit entscheidend an der Genese und Tradierung einer kollektiven deutsch-amerikanischen Identität und Kultur beteiligt.
161 John Joseph Stoudt vermutete in diesem Zusammenhang: „The list of subscribers to the paper is no longer available, but its circulation may be conservatively estimated at 6500.“ Stoudt: German Press, S. 86 f. Siehe auch Dapp: John Henry Miller, S. 241; Roeber: Staatsbote, S. 63. 162 Steiner, der aus der Schweiz stammte, war bei Miller in Philadelphia in die Lehre gegangen. Zu ihm siehe Earnest – Earnest – Rosenberry: Flying Leaves, S. 138; Wellenreuther: Citizens, S. 19. 163 Seidensticker: Zeitungspresse, S. 573. Siehe auch ebd., S. 575–585. 164 Bedauerlicherweise konnten trotz intensiver Bemühungen keine Ausgaben dieser bedeutenden deutsch-amerikanischen Zeitung eingesehen werden. 165 Zu Bailey siehe Diffenderffer: Printers, S. 61–66; McMurtrie: History, S. 80; Münch: GermanLanguage Almanacs, S. 62 f.; Thomas: The History of Printing in America, S. 423. 166 Zu ihm siehe Diffenderffer: Printers, S. 66; Dolmetsch: German Press, S. 2–4, 33–38; McMurtrie: History, S. 79 f.; Minick: History, S. 158–164; Münch: German-Language Almanacs, S. 63; Wroth: Maryland Press, S. 57–64; Wust: Newspapers, S. 16–18. 167 Zu Dietrich siehe Dolmetsch: German Press, S. 5–9. 168 Zu Carl Cist (= Charles Jacob Sigismund Thiel), der 1738 in St. Petersburg geboren wurde und 1769 nach Pennsylvania auswanderte, siehe Arndt: First German Broadside, S. 99; Earnest – Earnest – Rosenberry: Flying Leaves, S. 138; Münch: German-Language Almanacs, S. 66 f.; Thomas: The History of Printing in America, S. 404 f. 169 Zu Armbrüster siehe Earnest – Earnest – Rosenberry: Flying Leaves, S. 134; Thomas: The History of Printing in America, S. 380–384. 170 Zu Schneider und Gerrisch siehe McMurtrie: History, S. 82. 171 Zu Stiemer, Albrecht und Lahn siehe ebd., S. 80. 172 Zu Billmeyer und Leibert siehe ebd., S. 76. 173 Zu den deutsch-amerikanischen Druckern siehe auch Verhoeven: Colony, S. 94 f.; Wellenreuther: Citizens, S. 15–17; Wilsdorf: Imprints, S. 126 ff.
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4 Loyale Royalisten und Publizisten für die Patrioten. Deutsch-amerikanische Drucker und die Amerikanische Revolution Angesichts der Bedeutung der deutschsprachigen Bevölkerung in der amerikanischen Gesellschaft während der Kolonial- und Revolutionszeit, ist die Frage nach ihrer Haltung zu den zeitgenössischen politischen Entwicklungen, die zur Separation der Kolonien vom Mutterland führten, von besonderer Bedeutung.174 Die Forschung hat auf die Bemühungen der Patrioten aufmerksam gemacht, die Deutsch-Amerikaner in ihre Unabhängigkeitsbestrebungen einzubeziehen. So gab z. B. Karl J. R. Arndt an: „The American revolutionary forces were always eager to publish official pronouncements in German as quickly as possible to reach the German speaking American public.“175 Einerseits wurde in der Memorialkultur der deutsche Beitrag in der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung zwar immer wieder akzentuiert,176 auf der anderen Seite wurde allerdings von der Forschung eine vergleichsweise apolitische Grundeinstellung sowie eine gewisse Teilnahmslosigkeit gegenüber den zeitgenössischen politischen Ereignissen postuliert. So erklärte z. B. Rodney Atwood, der hierfür religiöse Gründe anführte: „In the event the German-Americans were not activists in the revolution; probably because of their pietist background they made small contribution in proportion to their numbers.“177 Mit der Diskussion um den Grad der Involvierung der deutschsprachigen Einwohner in die Amerikanische Revolution ist auch die Frage nach der Haltung der auf die politischen Ereignisse reagierenden deutsch-amerikanischen Publizistik verbunden. Exemplarisch kann an den Publikationen der beiden zeitgenössisch einflussreichsten und wirkungsmächtigsten deutsch-amerikanischen Druckereien, derjenigen der Saur-Familie und derjenigen von Henrich Miller, ein Ein-
174 Siehe hierzu allgemein auch Schrader: Germans, S. 99–141. 175 Arndt: First German Broadside, S. 100. Arndt hob hervor, dass diese Aktionen nicht auf die Dreizehn Kolonien beschränkt waren. Er ergänzte: „They even sent a German appeal to German groups in Quebec inviting them to send delegates to the Continental Congress.“ Ebd. 176 Zwar wurden die (europäischen) Deutschen im Zuge der Subsidienverträge (siehe Kapitel III.9) v. a. als von ihren Fürsten an die britische Monarchie vermietete Söldner wahrgenommen, doch gab es mit Friedrich Wilhelm von Steuben eine aus Preußen stammende und im Dienste Washingtons stehende militärische Figur, der die Memorialkultur bis heute ihre Referenz erweist. Zu den Unterstützern der Revolution unter den Deutsch-Amerikanern siehe auch Münch: German-Language Almanacs, S. 57. 177 Atwood: Hessians, S. 32. Siehe auch Münch: German-Language Almanacs, S. 58.
4 Deutsch-amerikanische Drucker und die Amerikanische Revolution
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blick in das Spektrum der Reaktionen der deutschsprachigen Publizistik auf die Unabhängigkeitsbewegung in Amerika gewährt werden.
4.1 „Die Freyheit, meine werthe Lands-Leute! ist unser natürliches Recht.“ Selbstbewusst, königstreu und zutiefst religiös: Christoph Saur I. (1695–1758) Obwohl Christoph Saur I. bereits am 25. September 1758 in Germantown starb und daher die endgültigen Separationsbestrebungen der amerikanischen Patrioten nicht mehr miterlebte, ist eine Betrachtung seiner politischen Positionen für das Verständnis der deutsch-amerikanischen Haltung zur Revolution sehr aufschlussreich. Von größter Bedeutung für die Ansichten des pietistischen Separatisten war seine intensive religiöse Prägung,178 die sich auch darin zeigte, dass der bei Weitem umfangreichste Teil seiner Druckererzeugnisse einen religiösen Hintergrund aufwies.179 Saurs aus seinen Glaubensüberzeugungen abgeleitete Ethik und Moralvorstellungen führten dazu, dass er sich als dezidierter Gegner der Sklaverei180 sowie auch als Pazifist bekannte, der die Anwendung von Gewalt generell ablehnte.181 Gleichzeitig garantierten Stephen L. Longenecker zufolge die freien Entfaltungsmöglichkeiten und die religiöse Toleranz in Pennsylvania die Loyalität der Mitglieder der Saur-Familie zum englischen König.182 Diese royalistische Grundeinstellung bedeutete für den Drucker jedoch keineswegs die Aufgabe der in der Kolonie etablierten Freiheitsrechte und eigenen deutschen kulturellen und sprachlichen Identität zugunsten der britischen Interessen in Pennsylvania. Dies wird insbesondere auf einem von Saur 1755 gedruckten Flugblatt
178 Siehe hierzu auch Durnbaugh: Christopher Sauer, S. 383–391; Frantz: Religious Teachings; McMurtrie: History, S. 72; Steckel: Pietist, S. 35 ff.; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 54; Wilsdorf: Imprints, S. 47; Wittke: German-Language Press, S. 16. Für eine Überprüfung dieses Bildes sprach sich allerdings Willi Paul Adams aus. Siehe Adams: Press, S. 155. 179 Siehe Reichmann: Christopher Sower, 9. 180 Siehe Adams: Press, S. 157; Fischbach: Christoph Sauer, S. 64. 181 Durnbaugh sprach in diesem Zusammenhang sogar von einem „militant pacifism“ (Durnbaugh: Sauer Family, S. 38). Siehe hierzu auch Arndt: Deutsch-Amerikanische Flugblätter, S. 45; Bittinger: Germans, S. 155; Durnbaugh: Sauer Family, S. 33; Rampelmann: Vernunft, S. 126; Roeber: Staatsbote, S. 58; Seidensticker: Bilder, S. 123; ders.: Zeitungspresse, S. 571; Steckel: Pietist, S. 136–167; Tully: Englishmen, S. 242; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 54; Wittke: GermanLanguage Press, S. 16. 182 Longenecker schrieb: „The Sauers were loyal to the English Crown mainly because the English kings had extended religious toleration and protection to them and the various sects of Pennsylvania.“ Longenecker: The Christopher Sauers, S. 65 f.
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deutlich, das die zeitgenössischen Bestrebungen in Pennsylvania thematisiert, den politischen Einfluss der nichtenglischsprachigen Bevölkerung, respektive der Deutsch-Amerikaner, zu beschränken. In der unter dem Titel Eine Zu dieser Zeit hochstnöthige Warnung und Erinnerung an die freye Einwohner der Provintz Pensylvanien von Einem, dem die Wohlfahrt des Landes angelegen und darauf bedacht ist publizierten Schrift wandte sich der Autor an die als „Freunde / Brüder und Lands-Leuthe!“183 sowie „Brüder und Mitt-Unterthanen“184 adressierten Rezipienten und artikulierte seine Besorgnis um die aktuellen politischen Entwicklungen in der Kolonie. Er erklärte: Ich bin lange ein sorglich bekümmerter Zuschauer der offentlichen Unternehmungen hier im Lande gewesen, und habe mit Erstaunen die täglich anwachsende Anmasung [sic] der Ober-Macht und die offenbahre Bestürmungen, welche gegen unsere wohlgegründete Rechten sind gemacht worden[.]185
Saur nahm dabei Bezug auf eine Reihe von germanophoben Publikationen und notierte: […] [Es] sind lauter Englische Schrifften im Druck, wodurch die gemeine Einwohner, ansonderlich die Teutsche bey den Grosen hier und draussen in Engelland verdächtig gemacht werden, und dadurch Anschläge an die Hand gegeben werden, wie das gemeine Volck mit ihrer Freyheit in Sclaverey und unters Joch zu bringen sey.186
Eindeutig negativ fiel sein Urteil über die Verantwortlichen aus, die er mit folgenden Worten der Manipulation und Irreführung beschuldigte: Die Urheber dieser Schriften [welche sie ausgebrüthet,] können billig einer solchen Art Dieben oder Räubern verglichen werden, welche euch erst Staub in die Augen werffen, und ein lüderlich Gesindel anhetzen, euch zu plagen, und Verdruß zu machen, und mittlerweile da ihr eure Augen wieder wischen und ausklären wollet und euch vor dem Anfall zu defendieren suchet, so berauben sie euren Beutel von dem wichtigsten Schatz oder Kleinod so ihr drinnen habt.187
183 Saur I.: Eine Zu dieser Zeit hochstnöthige Warnung und Erinnerung an die freye Einwohner der Provintz Pensylvanien von Einem, dem die Wohlfahrt des Landes angelegen und darauf bedacht ist, S. [1]. 184 Ebd., S. [2]. 185 Ebd., S. [1]. 186 Ebd. 187 Ebd.
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Insbesondere der Angriff auf die Freiheit, die Saur gefährdet sah, erregte die Kritik des Deutsch-Amerikaners. Besorgt erklärte er: Diß Volck aber suchet das gantze Land ihrer Freyheiten und Privilegien zu berauben, welche unschätzbare Freyheiten so sie einmal verlohren sind, durch keine Mühe und Arbeit wieder erobert werden können, und sind mit keinem Geld wieder zu erkauffen.188
Saur bezeichnete die Bedrohung der Freiheitsrechte als einen dezidiert gegen die deutschstämmige Bevölkerung gerichteten Vorstoß, befürchtete die politische Entmündigung dieser Bevölkerungsgruppe und verknüpfte die zukünftigen Bedingungen zur politischen Partizipation mit einer Korruption und Dekadenz der ethisch-moralischen Werte. Er führte aus: Zweytens, haben die Patronen unserer Freyheit (wie sie sich nennen) noch einen andern listigen Anschlag, nehmlich; daß die Teutschen künfftig keine Freyheit mehr haben sollen ihre Stimmen zu geben bey der Wahl einer Assamble, (welche doch nach ihrem eigenen Bericht die hälffte des Landes ausmachen) so lange, biß sie genugsamer Verstand haben von unserm Zustand: Das ist, biß sie lernen so geschmeidig zu werden, daß sie sich lencken, biegen und führen lassen, wie ihre Anführer und Creaturen sich haben lencken lassen: Biß sie dencken, wie sie dencken, und thun wie sie trotziglich befehlen werden […].189
Als eine Beschränkung elementarer Rechte der Selbstbestimmung nahm Saur auch die Absicht wahr, den Sheriff und Coroner als Vertreter der staatlichen Verwaltung, nicht mehr direkt vom Volk wählen zu lassen. Besorgt gab er an: „Viertens, ist ihr Vorschlag daß die Scheriff und Coroner, an welcher treuen Bedienung doch sehr vieles gelegen ist, sollen auch nicht mehr von dem Volck des Landes gewählet, sondern von ohnen vorgeschlagen werden[.]“190 Saur, der seine Opponenten als „Werkzeuge der Tyranney“191 bezeichnete, beobachtete in den aktuellen Entwicklungen eine Gefahr für die ausgewogene politische Ordnung im Staat (Balanced Government), die er in ihrer unversehrten Form als zwischen den Befugnissen der Regierung und den Rechten der Bevölkerung austariert begriff. Er prognostizierte: „Unsere vermengte Art der Regierung, da die Macht der Regenten und Derer die regiert werden ein ander so weißlich die Wage halten, würde verlohren und endlich aller Schein und Gebrauch der Freyheit völlig ausgereutet werden.“192 Besonders beeindruckend erscheint vor dem Hintergrund der histori-
188 Ebd. 189 Ebd. 190 Ebd., S. [2]. 191 Ebd. 192 Ebd.
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schen Entwicklungen, mit welcher Entschlossenheit sich Saur für die Rechte und Freiheiten der Bevölkerung in Pennsylvania einsetzte und dass er sich bei seinen politischen Ausführungen mehr als zwei Dekaden vor der 1776 verfassten amerikanischen Unabhängigkeitserklärung auf das Naturrecht berief. Der DeutschAmerikaner akzentuierte die Bedeutung der Freiheit, deren Verteidigung er als göttlichen Willen interpretierte. Selbstbewusst machte er seinen Lesern deutlich: Die Freyheit, meine werthe Lands-Leute! ist unser natürliches Recht. Ein Recht, welches zu behaupten, der GOTT der Natur und Tugend euch auffordert, und wird euch auch unterstützen, daß ihr solche erhalten und behalten könnet. Eure Regenten haben die Gewalt bekommen euch zu beschützen, und nicht euch zu unterdrücken.193
Auch an anderer Stelle tritt Saurs panethnisch und metareligiös orientiertes politisches Konzept, das kollektiv an alle Bewohner des Staates gerichtet ist und die Gleichberechtigung der englischen wie nichtenglischen Bevölkerung postuliert, hervor. Mit eindringlichen, appellativen Worten hielt er fest: Letztens, ihr möget seyn Englische, Teutsche, Nieder-Teutsche oder Schweden: Ihr möget seyn von der Hoch-Kirch, Presbyterianer, Quacker oder von einiger anderer ReligionsBenennung, so seyd ihr durch eurer Wohnen allhier, und durch die Landes-Gesetze, freye Leuthe, und keine Sclaven: Ihr habt das Recht zu allen Freyheiten eines Englisch-Gebohrnen, und habt das [sic] Antheil an den Grund Gesetzen des Landes, Ihr seyd Menschen, die Verstand haben; Lasset mich euch nochmalen ermahnen, daß ihr euren guten Verstand auch gebrauchet, euch ermuntert, und eure Freyheit behauptet[.]194
Als Instrument des Widerstandes und Mittel zur politischen Aktivität, verwies Saur auf die Wahl. Er machte deutlich, dass es möglich sei, „diesen unaussprechlichen U[e]beln und Unglücken zu entkommen“195, wenn die Deutsch-Amerikaner „bey der nechsten Wahl (Election.)“196 „ein wenig Sorgfalt, Muth und Resolution beweise[n]“197 würden. Das Flugblatt Saurs stellt damit ein bedeutendes Zeugnis des politischen Selbstverständnisses der deutschsprachigen Bevölkerung in der Kolonialzeit dar, das auf der politische Sonderrolle der britischen Kolonien in Nordamerika beruhte, die seit dem 17. Jahrhundert von einem vergleichsweise hohen Grad an Selbstverwaltung bzw. Nichteinmischung durch das Mutterland
193 Ebd. 194 Ebd. 195 Ebd. 196 Ebd. 197 Ebd.
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(Salutary Neglect) geprägt worden war.198 Ergänzt wird das Flugblatt durch sechs dem Text vorangestellte Verse (G25), die in Anführungszeichen gesetzt sind und folgendermaßen lauten: „EIN unverschämte Schaar, unnütz / witzlos, nicht wehrt Der Britten Nam: Ein Schmach der die da sind Gelehrt Aus schnödem Selbst-Gesuch, sich darstellt in die Reih, Die kein Gewissen hat, auch keine Menschen-Scheu, Will unumschränckte Macht, einführen in diß Land, Führt Freyheit in dem Mund, und schmiedet Sclaven-Band’.“199
Die Verse verweisen in poetischer Form pointiert auf die eben beschriebenen zeitgenössischen politischen Entwicklungen. Der Sprecher bezeichnet die Agitatoren als „unverschämte Schaar“200 und spricht ihnen die Bezeichnung „Britten“201 ab, die hier, wie hervorzuheben ist, positiv konnotiert ist. Er stellt die Authentizität und moralische Integrität seiner Opponenten in Frage („Aus schnödem SelbstGesuch, sich darstellt in die Reih, / Die kein Gewissen hat, auch keine MenschenScheu,“202) und akzentuiert den Antagonismus zwischen ihrer Rhetorik und ihren wahren Intentionen („Führt Freyheit in dem Mund, und schmiedet SclavenBand’.[]“203). Tatsächlich erschien in dieser Zeit, wie bereits oben erwähnt, eine Reihe von xeno- und speziell germanophoben Schriften. Neben Benjamin Franklin äußerte sich z. B. auch William Smith (1727–1803)204 teilweise ausgesprochen verhalten über die deutsche Einwanderung in Pennsylvania. 1755 wurde in London ein von ihm verfasstes Pamphlet (A Brief State of the Province of Pennsylvania) publiziert,205 auf das auch Saurs Flugblatt verweist. In diesem gab der Autor aus
198 Siehe hierzu Heideking: Geschichte, S. 21. 199 Saur I.: [Ein unverschämte Schaar, unnütz / witzlos, nicht wehrt], S. [1] [G25]. Die An- und Abführungszeichen finden sich in der Vorlage. 200 Ebd. 1. Vers, S. [1] [G25]. 201 Ebd. 2. Vers, S. [1] [G25]. 202 Ebd. 3 f. Vers, S. [1] [G25]. 203 Ebd. 6. Vers, S. [1] [G25]. 204 William Smith stammte aus Aberdeen in Schottland, besuchte die dortige Universität und war als anglikanischer Kirchenmann und Pädagoge tätig. 1751 reiste er nach Nordamerika, trat später mit Franklin in Kontakt und wurde der Leiter von dessen 1740 gegründeten Philadelphia Academy, die 1755 zum College of Philadelphia umstrukturiert wurde und aus dem schließlich die heutige University of Pennsylvania hervorging. Sein Missfallen erregte insbesondere die pazifistische Haltung der Quäker, die er als Bedrohung für die Verteidigung der Kolonien gegen Frankreich erkannte. Zu Smith allgemein siehe Jones: Pair. 205 [William Smith]: A Brief State of the Province of Pennsylvania, in which The Conduct of their Assemblies for several Years past is impartially examined, and the true Cause of the continual
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einer sehr kritischen Perspektive eine Zustandsbeschreibung der Kolonie Pennsylvania ab und bezog sich dabei auch auf die deutschsprachige Bevölkerung. Nachdem er zunächst das grundsätzliche Potenzial der Kolonie akzentuierte,206 konstatierte Smith eine Bedrohung des Erfolgs durch die deutschen Einwohner, die seinen Angaben zufolge nahezu die Hälfte der Bewohner von Pennsylvania ausmachten. Er notierte: „The Inhabitants are computed at about Two hundred and twenty thousand, of whom, it is thought near one half are Germans.“207 In Anbetracht der zahlenmäßig großen Einwanderung der Deutschen befürchtete der Autor eine kulturelle Überfremdung und die politische Übernahme der Kolonie. Er erklärte: They give out that they are a Majority, and strong enough to make the Country their own; and indeed, as they are poured in upon us in such Numbers (upwards of 5000 being imported this last Year) I know nothing that will hinder them, either from soon being able to give us Law and Language, or else, by joining with the French, to eject all the English Inhabitants.208
Für Smith schien es evident, dass die Loyalität der Deutschen in Nordamerika stark in Zweifel gezogen werden konnte. Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen militärischen Auseinandersetzungen in der Grenzregion zu den Kolonien der Franzosen, die in den French and Indian War, dem nordamerikanischen Äquivalent zum Siebenjährigen Krieg, mündeten,209 warnte er vor französischen jesuitischen Missionaren, die seiner Ansicht nach die Absicht verfolgten, die Deutschen in Pennsylvania abzuwerben. Der Autor schrieb: „[…] [I]ndeed, it is clear that the French have turned their Hopes upon this great Body of Germans.“210 Und über die Jesuiten führte er aus: They know our Germans are extremely ignorant, and think a large Farm the greatest Blessing in Life. Therefore, by sending their Jesuitical Emissaries among them, to persuade them
Encroachments of the French displayed, more especially the secret Design of their late unwarrantable Invasion and Settlement upon the River Ohio. To which is annexed, An easy Plan for restoring Quiet in the public Measures of that Province, and defeating the ambitious Views of the French in time to come. In a Letter from a Gentleman who has resided many Years in Pennsylvania to his Friend in London. London 1755. 206 Siehe ebd., S. 4. Der Autor vertrat die Ansicht: „Pensylvania [sic] is the most flourishing [colony].“ Ebd. 207 Ebd. 208 Ebd., S. 29. 209 In diesem Zusammenhang bezog sich Smith auch auf die Niederlage Washingtons gegen die Franzosen in der Schlacht von Fort Necessity am 3. Juli 1754. Siehe ebd., S. 20. 210 Ebd., S. 30.
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over to the Popish Religion, they will draw them from the English, in Multitudes, or perhaps lead them in a Body against us.211
Smith sprach von „Horrors of Popish Slavery“212 und gab an, dass zahlreiche Deutsche in Europa unter Herrschern gelebt hätten, die unter dem Einfluss des Papstes gestanden hätten („many of them, lived under Popish Rulers“213) sowie dass fast ein Viertel von ihnen Katholiken seien.214 Bestätigt fand sich der Autor aufgrund seiner Beobachtung, dass die Deutschen, auch in Anbetracht der militärischen Bedrohung an der Frontier, durch die pazifistischen Quäker dazu verleitet worden seien, keinen Widerstand gegen die Franzosen zu leisten.215 Er konstatierte: „[…] [T]hey refused, almost to a Man, to bear Arms in the Time of the late War.“216 Smith forderte aus diesen Gründen ein Ende der deutschen Einwanderung nach Pennsylvania und die Verteilung der Immigranten auf die anderen britischen Kolonien in Nordamerika, indem er vorschlug: This supposes also that a Stop be put to the Importation of Germans into this Province, and that the Migration be turned from us; for if new Hands are continually brought in, and the old Families go back to other Colonies, as they do at present, whenever they begin to get a little Money, and know something of our Language, we shall never make Englishmen of them.217
Schließlich bat er auch um die Verabschiedung verschiedener Gesetze durch das britische Parlament, um die politische Integrität Pennsylvanias zu erhalten. Er sprach sich für „Oaths of Allegiance to his Majesty“218 aus und empfahl eine Kopplung des Wahlrechts an die Kenntnisse der englischen Sprache und an die Verfassung. In der Schrift heißt es unter dem zweiten Punkt seiner politischen Forderungen: „2. To suspend the Right of Voting for Members of Assembly, from
211 Ebd. 212 Ebd., S. 32. 213 Ebd., S. 29. 214 Ebd., S. 35. 215 Ebd., S. 27 f. 216 Ebd., S. 29. Die intensiven Ressentiments Smiths gegenüber den Quäkern sind in seiner Schrift immer wieder zu spüren. So spricht er etwa vom „evil Genius of the Quakers“ (ebd., S. 32) und unterstellt ihnen, die ahnungslosen Deutschen, denen er nur begrenzte kognitive Fähigkeiten zuschreibt, für ihre politischen Zwecke verführt zu haben (siehe z. B. ebd., S. 38). 217 Ebd., S. 32 [Anm. †]. 218 Ebd., S. 39.
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the Germans, till they have a sufficient Knowledge of our Language and Constitution.“219 Rhetorisch stellte Smith die Frage: What can be more absurd and impolitic, than to see a Body of ignorant, proud, stubborn Clowns (who are unacquainted with our Language, our Manners, our Laws, and our Interests) indulged with the Privilege of Returning almost every Member of Assembly?220
Der Autor akzentuierte wiederholt die hohe Bedeutung der englischen Sprachkenntnisse und befürwortete einen Erlass, der das Englische als Schriftsprache für Rechtsdokumente obligatorisch machen sollte, indem er postulierte: […] [I]n order the more effectually to induce the Germans to learn English, [it is necessary] not only to suspend for a Time their Right of Voting for Assembly-men, as by the second Article, but also to make all Bonds, Contracts, Wills, and other legal Writings void, unless in the English Tongue.221
Und unter dem sich auf das Pressewesen beziehenden Punkt Fünf der politischen Forderungen heißt es: That no News-Papers, Almanacks, or any other periodical Paper, by whatever Name it may be called, be printed or circulated in a foreign Language. Or, should this be deemed too severe (which I think it cannot reasonably be) then it may be provided, that no such Publication or Circulation be made, unless there be a just and fair English Version of such a foreign Language, printed in one Column of the same Page or Pages, along with the said foreign Language.222
Smith verwies wiederholt auf die seiner Meinung nach desaströse Lage, in der sich Pennsylvania befand: „I have said enough to show that never was any Country in a more distressed Condition than this[.]“223 Der Autor erneuerte seine Bitte um politische Unterstützung aus dem Mutterland und prognostizierte im Falle einer Ablehnung, den Niedergang und Verlust der Kolonie. Er erklärte: „We must look to our Mother-Country for Succour, and if it is not speedily granted, this noble Province seems irrecoverably lost.“224 Das von Saur gedruckte Flugblatt ist als unmittelbare Reaktion auf die politisch angespannte Situation in
219 Ebd., S. 40. 220 Ebd. 221 Ebd., S. 41 f. 222 Ebd., S. 42. 223 Ebd., S. 36. 224 Ebd., S. 38.
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Pennsylvania und dezidiert auf Smiths Schrift zu sehen, die sich auch explizit und ausgesprochen negativ auf Saur selbst bezog.225 Smith brachte den in seiner Beschreibung namentlich genannten deutsch-amerikanischen Drucker226 mit den Franzosen und dem Papst in Verbindung und berichtete: „[There is] a German Printer, who was once one of the French Prophets in Germany, and is shrewdly suspected to be a Popish Emissary, who now prints a News-Paper entirely in the German Language, which is universally read and believed by the Germans of this Province.“227 Saur negierte die von Smith und seinen Gleichgesinnten postulierten Thesen, wandte sich dezidiert gegen seine Opponenten und trat publizistisch ebenso entschieden für das Recht der Bewahrung der eigenen kulturellen Identität ein, die sich seiner Meinung nach gerade in dem Privileg zeigte, Schriften in deutscher Sprache zu publizieren. Gerade auch die auf dem Flugblatt mit abgedruckten Verse machen deutlich, dass Saur gleichzeitig die xenophoben Kritiker, denen er die Bezeichnung „Britten“ absprach, als schlechte sowie nicht repräsentative Elemente der Gesellschaft wahrnahm und legen den Schluss nahe, dass sich der deutsch-amerikanische Drucker selbst als loyalen Untertan des britischen Empire begriff.
4.2 „Werft, durch und durch voll Schmerz, mit Augen voller Thränen, / Euch zu der Allmacht Füssen hin“. Der Sohn, der ganz in der Tradition seines Vaters steht: Christoph Saur II. (1721–1784) Christoph Saur II. unterstützte seinen Vater bereits früh in der Familiendruckerei und führte sie auch nach dessen Tod ganz im Sinne seines Vaters fort. Der deutsch-amerikanische Drucker, der in Germantown das Amt eines pietistischen Dunker-Bischofs ausübte228 und den Karl J. R. Arndt als „Biblical Fundamentalist“229 bezeichnete, war ebenfalls zutiefst religiös und leitete hieraus ebenso eine entschieden abolitionistische und pazifistische Grundhaltung ab.230 Die tief verwurzelten religiösen Überzeugungen Christoph Saurs II. kommen auch in einem
225 Zum Verhältnis von Smith und Saur siehe auch Jones: Pair, S. 14. 226 Der Verfasser der Schrift gab an, dass der Name des Druckers „Saüer“ ([Smith]: A Brief State of the Province of Pennsylvania, S. 26 f.) sei. 227 Ebd., S. 26. 228 Vgl. Häberlein: Sauer, S. 453; McMurtrie: History, S. 75. 229 Arndt: First German Broadside, S. 100. 230 Siehe hierzu auch Bittinger: Germans, S. 161 f.; Seidensticker: Bilder, S. 158; Verhoeven: Colony, S. 79; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 58 f.
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wahrscheinlich 1781 anlässlich seines 60. Geburtstages als Akrostichon verfassten dreizehnstrophigen Gedicht zum Ausdruck (G185). In diesem akzentuiert der Sprecher den Antagonismus zwischen der irdischen und postmortal-metaphysischen Existenz und verweist in Analogie zu den biblischen Seligpreisungen auf das den himmlischen Freuden gegenübergestellte Leiden in der diesseitigen Welt („Solche die hier viel geweynet, / Werden dort mit GOtt vereinet“231), das jedoch in einen notwendigen Heilsprozess eingebunden wird („Wer bey Christo hofft zu seyn, / Mache sich durchs Creutz gemein; / Die Er dorten will belohnen, / Tragen hier auch Dornen-Krohnen.“232). Das poetische Subjekt verweist auf seine Orientierung an Gott, auf den es seine Hoffnungen richtet und von dem es sich in Anbetracht des Leidens Trost verspricht („Rufen, Schreyen, Seufzen Bäten, / Bahnen uns den Weg zu GOtt, / Ihn anflehn in allen Nöthen, / Trösten uns in aller Noth; / Niemals hats an Trost gefehlt, / Der auf Ihn sein Hoffnung stellt;“233). Es formuliert sein uneingeschränktes Vertrauen in die Unterstützung durch den christlichen Erlöser und unterstreicht seine Vorbildfunktion („Nun trau Ich der Hirten-Pflege, / Meines Führers gantz und gar,“234). Anlässlich seines vollendeten sechzigsten Lebensjahres („SECHZIG Jahr sind nun verflossen, / Meiner kurtzen Lebens-Zeit;“235) reflektiert der Sprecher schließlich aus einer religiösen Perspektive kritisch seine eigenen Handlungsweisen (11. Strophe) und nutzt die Gelegenheit, um seine Dankbarkeit für den trotz seines Fehlverhaltens gewährten Beistand Gottes zu artikulieren („Rühme! meine Seele Preise! / GOttes Langmuth und Gedult, / Der auf manche Wunder-weiße, / Dir erwiesen seine Huld.“236). Von der Forschung wurde die Frage nach der Loyalität des bis ins hohe Alter religiös geprägten deutsch-amerikanischen Druckers während der Unabhängigkeitsbewegung unterschiedlich beantwortet.237 So ist, insbesondere in der älteren Literatur, die Meinung vertreten worden, dass es sich bei Christoph Saur II. um einen entschiedenen Parteigänger der königstreuen Fraktion gehandelt habe. Charles Frederick Dapp z. B. sprach von „Saur’s Tory inclination“238, während Carl Wittke erklärte: „[…] [D]uring the American Revolution he and his
231 Saur II.: Ein Einfältiges Reim-Gedichte, welches Christoph Saur gemacht hat auf seinen Namen und Geburts-Tag, als er sechzig Jahr alt war den 26sten September, 1781. 2. Strophe. 7 f. Vers, S. [1] [G185]. 232 Ebd. 1. Strophe. 5.–8. Vers, S. [1] [G185]. 233 Ebd. 3. Strophe. 1.–6. Vers., S. [1] [G185]. 234 Ebd. 4. Strophe. 3 f. Vers, S. 2 [G185]. 235 Ebd. 10. Strophe. 1 f. Vers, S. 3 [G185]. 236 Ebd. 13. Strophe. 1.–4. Vers, S. 4 [G185]. 237 Siehe auch McMurtrie: History, S. 75; Seidensticker: Bilder, S. 158–166. 238 Dapp: John Henry Miller, S. 253.
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sons were loyalists who never wavered in their allegiance to King George […].“239 Und Philipp Münch gab an: „Saur II’s Der Hoch-deutsch-americanische Calender was the only German-language almanac that appeared to be pro-British.“240 Die Ansicht, dass Saur definitiv kein Unterstützer der Revolution war, wird in der Sekundärliteratur einhellig geteilt,241 allerdings spricht sich gerade auch die neuere Forschung für ein differenzierteres Gesamturteil aus. Bereits John Joseph Stoudt gab zu bedenken: „It is difficult to determine the exact attitude of Christopher Saur II. with regard to the American Revolution.“242 Und er ergänzte: „From the newspaper of Christopher Saur we cannot find adequate proof that he either favored or opposed the War for Independence.“243 Diese Meinung vertrat auch Donald F. Durnbaugh, der erklärte: „Sauer attempted a neutral position in the conflict[.]“244 Ebenso gab Waldenrath an: „Christoph Saur II was not a Tory in the War of Independence.“245 Obwohl es Saur also offensichtlich bereits aus religiösen Gründen vermied, sich dezidiert einem der verfeindeten politischen Lager anzuschließen, wurde er von den Patrioten, sicher auch aufgrund der loyalistischen publizistischen Aktivitäten seiner Söhne Christoph (III.; 1754–1799) und Peter (1759–1785; s. u.), als Parteigänger der Royalisten wahrgenommen,246 was dazu führte, dass die Druckerei nach der Aufgabe Philadelphias durch die britischen Streitkräfte und die Einnahme der Stadt durch die Kontinentalarmee im Juni 1778 beschlagnahmt und der Besitz der Familie konfisziert wurde.247 Auch wenn Christoph Saur II. eine direkte Beteiligung an den politischen und erst Recht an den militärischen Auseinandersetzungen ablehnte, dürfte er sich wohl doch wie sein Vater als loyaler Bürger der britischen Monarchie emp-
239 Wittke: German-Language Press, S. 19. 240 Münch: German-Language Almanacs, S. 60. Die Sonderstellung Saurs zeigte sich auch in seiner Reaktion auf die Boston Tea Party (16. Dezember 1773), die von den anderen, regierungskritischeren, deutsch-amerikanischen Zeitungsherausgebern abwich. Siehe hierzu Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 59. 241 Siehe beispielsweise auch Adams: Press, S. 219; Zimmermann: Deutsch in Amerika, S. XXV. 242 Stoudt: German Press, S. 78. 243 Ebd., S. 76. 244 Durnbaugh: Sauer Family, S. 35. 245 Ebd. Siehe hierzu auch Seidensticker: Bilder, S. 158; ders.: Die Deutschen von Philadelphia, S. 16. 246 Siehe Stoudt: German Press, S. 78. Siehe auch Durnbaugh: Sauer Family, S. 35. 247 Siehe hierzu Bittinger: Germans, S. 162; Durnbaugh: Sauer Family, S. 34 f.; Münch: GermanLanguage Almanacs, S. 60 f.; Seidensticker: Zeitungspresse, S. 277 ff.; Stoudt: German Press, S. 77; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 60; Wilsdorf: Imprints, S. 60, 63 f.; Wittke: GermanLanguage Press, S. 20. Siehe auch Thomas: The History of Printing in America, S. 413.
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funden haben.248 In jedem Fall kann festgehalten werden, dass unter seinen Druckschriften Texte publiziert wurden, aus denen eine monarchietreue Haltung hervorgeht. Im Hoch-Deutsch Americanischen Calender auf das Jahr 1761 erschien beispielsweise ein in panegyrischen Tönen, John Joseph Stoudt zufolge von Saur selbst verfasstes Gedicht (G27), das dem britischen General James Wolfe gewidmet war, der am 13. September 1759 bei der Eroberung Québecs in der Schlacht auf der Abraham-Ebene während des French and Indian War gestorben war.249 In diesem lobt der Sprecher den außergewöhnlichen Mut des Verstorbenen, der direkt apostrophiert wird („Wer kan wohl besser, als du gethan, / Dran wagen Muth, Blut, Leib und Leben?“250) und hebt insbesondere auch seine Königstreue mit folgenden Worten hervor: „O Wolff du warst ein getreuer Mann, / Dem König, der dir Sold gegeben:“251 Das poetische Subjekt, das den Primat der postmortalen gegenüber der irdischen Existenz postuliert („Wer irrdisch [sic] kriegt, des Lob währt nur eine kurtze Zeit; / Wer um den Himmel kämpft, wird gerühmt in Ewigkeit.“252), repetiert seine Überzeugung, dass das Verhalten des Verstorbenen, das als exzeptionell propagiert wird, sich durch eine exemplarische Loyalität zur Monarchie ausgezeichnet habe. Der Sprecher, der sich implizit als Untertan des britischen Königs zu erkennen gibt, bekennt: Ach möcht ich und alle Christen frey An dir auch ein Beyspiel nehmen, Und unserm König nur so getreu Als du, zum Ritter-Kampff bequemen.253
Der deutsch-amerikanische Drucker ging aber noch einen Schritt weiter. In dem von ihm und seinem Sohn Peter gedruckten Hoch-Deutsch Americanischen Calender auf das Jahr 1778 erschien ein mit dem Titel Anrede eines nachdenkenden Americaners, an seine Mit Bürger (G115) versehenes gesellschaftskritisches Gedicht, das Philipp Münch als Saurs „only account of the Revolution“254 bezeichnete. Die Publikation des Gedichtes erfolgte in Germantown, während der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg tobte und fiel in die Zeit, in der Philadelphia und die Umgebung der Stadt vom Herbst 1777 bis zum Sommer 1778 unter der Kontrolle der 248 Siehe hierzu auch Arndt – Olson (Hgg.): Presse. Bd. 1, S. [4]; Verhoeven: Colony, S. 86. 249 Siehe Stoudt (Hg.): Pennsylvania German Poetry, S. 272. An die Schlacht auf der Abraham Ebene erinnerte auch der 1856 in die Vereinigten Staaten ausgewanderte Deutsch-Amerikaner Johann Heinrich Stepler (1841–1928) in seinem Gedicht Wolfe und Montcalm. 250 [Saur II.?]: Gedancken über den General Wolff. 3 f. Vers, S. [41] [G27]. 251 Ebd. 1 f. Vers, S. [41] [G27]. 252 Ebd. 21 f. Vers, S. [41] [G27]. 253 Ebd. 11.–14. Vers, S. [41] [G27]. 254 Münch: German-Language Almanacs, S. 61.
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britischen Truppen stand. Das poetische Subjekt artikuliert eine intensive Zeitkritik, die sich jedoch stärker auf eine ethisch-moralische als auf eine politische Argumentationsbasis stützt. Der Sprecher akzentuiert zunächst die natürlichen Vorteile und die von Gott erwiesenen Benediktionen des Landes („Du sonst so glücklich Land, das unzählbaren Seegen / Von GOtt und der Natur empfieng“255) und die besonderen sozialen und ökonomischen Vorzüge in der Neuen Welt, die allerdings in der Gegenwart verloren gegangen seien. Reflektierend heißt es: Was Prinzen anderwärts mit schweeren Kosten haben, Verzehrte hier der Arbeits Mann; Der Bürger konnte sich mit teuren Speisen laben Und zog die feinste Kleidung an; Der Fluhren Fruchtbarkeit gab hunderfach zurükke, Was man, an Saamen, ausgestreut; In allen Häusern war Gedeihen, Heil und Glükke[.]256
Den nicht länger existenten positiven Zuständen in der Vergangenheit wird die aktuelle desaströse, durch sittliche Dekadenz geprägte gesellschaftliche Lage gegenübergestellt. Mit tiefem Bedauern äußert der Sprecher: O Land! Was bist du nun? Ein Schauplatz voller Klagen, Ein recht bedauernswürdig Land! Gedrückt von Mord und Raub und tausend andern Plagen, Die niemand hier vorher gekannt.257
Das poetische Subjekt verweist im Folgenden auch auf die militärischen Devastationen, die als Anspielung auf die Zerstörungen infolge des Krieges verstanden werden können. Es konstatiert: Der Akker lieget wüst, die Felder unbebauet; Der Landmann trägt aus Zwang das Schwerdt, Und stürzt in Krieg und Schlacht, und, was das Auge schauet, Ist alles bittre Thränen wehrt[.]258
255 [Anonym]: Anrede eines nachdenkenden Americaners, an seine Mit Bürger. 1. Strophe. 1 f. Vers, S. [24] [G115]. Zum Gedanken der besonderen Stellung Amerikas in der Schöpfung und seiner mannigfaltigen Segnungen durch die Gnade Gottes siehe auch die ersten beiden Strophen von G91. 256 [Anonym]: Anrede eines nachdenkenden Americaners, an seine Mit Bürger. 1. Strophe. 17.–23. Vers, S. [24] [G115]. 257 Ebd. 1. Strophe. 5.–8. Vers, S. [24] [G115]. 258 Ebd. 1. Strophe. 49.–52. Vers, S. [24] [G115].
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Schließlich verweist der Sprecher auch auf religiöse Verirrungen, die als „Unsinn und Sectirerei“259 bezeichnet werden. Die sich hinter diesen Äußerungen verbergende Ideologie und Philosophie zur Erklärung der im Text konstatierten gesellschaftlichen sittlichen Dekadenz ist tief in theologischen Konzeptionen verwurzelt und entspricht einem triadischen Geschichtsmodell. Dem lobenswerten, aber verloren gegangenen (vorrevolutionären) Zustand in der Vergangenheit werden die beklagenswerte ethisch-moralische Korruption und der Verfall bzw. Verlust der Werte in der Gegenwart gegenübergestellt. Gleichzeitig wird aber auch eine religiös definierte Alternative präsentiert, die einen Ausweg aus der aktuellen Lage verspricht. Appellativ wendet sich der Sprecher an seine Leser und ruft diese mit den Worten zur Besinnung und Umkehr auf: Werft, durch und durch voll Schmerz, mit Augen voller Thränen, Euch zu der Allmacht Füssen hin; Versprecht Gehorsam, Treu, mit kummer voller Thränen, Euch zu der Allmacht Füssen hin; Versprecht Gehorsam, Treu, mit kummer vollem Sehnen; Dämpft euren alten Adams Sinn.260
Das Gedicht endet mit der Hoffnung auf Errettung, Frieden und das Ende des Notstands, die in Anbetracht von aufrichtig empfundener Buße und Reue sowie der Bereitschaft, sich dem Willen und der Ordnung Gottes zu unterwerfen, in Aussicht gestellt werden. Die letzten Verse lauten dieser religiösen und moralischen Botschaft entsprechend folgerichtig: Dann könnt, ihr, hofnungs voll, euch Hülf und Trost versprechen; Dann wird euch bald der Fried erfreun; Dann wird GOtt bald das Joch, das euch jetzt drükt, zerbrechen Und alle Noht geendigt sein.261
259 Ebd. 1. Strophe. 73. Vers, S. [24] [G115]. 260 Ebd. 2. Strophe. 21.–26. Vers, S. [25] [G115]. 261 Ebd. 2. Strophe. 27.–30. Vers, S. [25] [G115].
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4.3 „Auf! Auf! ihr Britten auf! Ihr Hessen frischen Muth! / Marschirt nur hurtig vor; des Königs Sach steht gut.“ Die dezidiert antirevolutionären Stimmen in der Familie: Christoph Saur III. (1754–1799) und Peter Saur (1759–1785) Während sich Christoph Saur II. im Unabhängigkeitskrieg vor allem durch eine friedensorientierte Haltung auszeichnete, bezogen seine Söhne Christoph262 und Peter263 publizistisch eine eindeutige Stellung zur Unabhängigkeitsbewegung, da sie sich entschieden gegen diese stellten.264 Die beiden gaben mit dem während der britischen Besetzung in Philadelphia265 gedruckten Pennsylvanischen StaatsCourier, eine der wenigen deutschsprachigen loyalistischen Zeitungen heraus (Abb. 74), die Oswald Seidensticker zufolge „ohne allen Vorbehalt für die Sache der Engländer eintrat[,] […] gegen die ‚Rebellen‘ trutzig vom Leder zog“266 und sein Publikum offensichtlich unter den in britischen Diensten stehenden deutschsprachigen Subsidientruppen finden sollte.267 Im Staats-Courier wurde am 6. Mai 1778 ein mit der Überschrift Gespräch zweyer Bauern in Tolpehacken, des Abends bey einem Glaß Wisky und gutem Hickory Feuer am 1ten May, 1778 (G89) versehenes Gedicht publiziert, das Seidensticker als „die Perle der loyalen Herzensergießungen“268 bezeichnete. Die Verse erschienen im zeitlichen Umfeld des 1778 geschlossenen Bündnisses zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten. Am 6. Februar wurden in Paris der Treaty of Alliance und der Treaty of Amity und Commerce269 von den französischen Bevollmächtigten und den amerikanischen Gesandten, zu denen auch Benjamin Franklin gehörte, unterzeichnet. Beide Verträge ratifizierte der Kongress am 4. Mai, d. h. zwei Tage vor der Publikation des Textes in der 745. Nummer der Zeitung, die noch im selben Jahr in August Ludwig Schlözers Briefwechsel meist historischen und politischen Inhalts abgedruckt und
262 Zu Christoph Saur III. siehe Brandt: Altar, S. 173–175; Durnbaugh: Sauer Family, S. 35 f.; Hocker: Sower Printing House, S. 110–114; Thomas: The History of Printing in America, S. 417–421. 263 Zu Peter Saur siehe Hocker: Sower Printing House, S. 115. 264 Siehe hierzu Adams: Press, S. 160, 214–219; Durnbaugh: Sauer Family, S. 35 f.; McMurtrie: History, S. 75; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 60; Wilsdorf: Imprints, S. 67; Wittke: German-Language Press, S. 19. 265 Mit dem Abzug der Briten flohen die Brüder schließlich in das loyalistische St. Johns in New Brunswick. 266 Seidensticker: Zeitungspresse, S. 568. John Joseph Stoudt nannte das Periodikum ebenfalls ein „rabid and coarse Tory paper“ (Stoudt: German Press, S. 77). Siehe hierzu auch Verhoeven: Colony, S. 86. 267 Siehe Seidensticker: Zeitungspresse, S. 569; Stoudt: German Press, S. 77. 268 Seidensticker: Zeitungspresse, S. 569. 269 Zur zeitgenössischen Rezeption dieses Bündnisses in der deutschsprachigen Literatur siehe auch Kapitel III.6.
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damit auch einem deutschsprachigen Publikum in Europa zugänglich gemacht wurde. In den insgesamt fünf Strophen werfen zwei loyalistische Vertreter des einfachen Volkes, die sich in „Tolpehacken“270 treffen, einen kritischen Blick auf die Patrioten, die pejorativ mit Ausdrücken wie „Rebellen“271, „schnöde Rott“272 und „Spiesgesellen“273 bezeichnet werden. Sie verurteilen eine den britischen König diskreditierende Visualisierung, die „[v]on einem Bösewicht in Lancäster“274 angefertigt wurde und in einer Verkehrung der tradierten und konventionellen Ordnung, das Staatsoberhaupt vor dem Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee, George Washington, kniend zeigt. Das Motiv der verkehrten Welt wird erneut aufgegriffen, wenn anschließend der von den Anhängern der Unabhängigkeitsbewegung postulierte Freiheitsgedanke in der vierten Strophe ins Gegenteil verkehrt wird, indem die Patrioten, einem zeitgenössischen Topos entsprechend, als Sklaven des Kongresses bezeichnet werden („Ist das nicht unverschämt? den Frevel muß man strafen. / Heißt das ein freyes Volk? Nein – Sie sind Congreß Sclaven.“275). Die beiden letzten Verse der Strophe sind schließlich direkt und stark appellativ an die Briten und hessischen Subsidientruppen gerichtet, die dazu aufgerufen werden, den Kampf gegen ihre Opponenten unermüdlich und entschlossen fortzusetzen. Gleichzeitig wird, möglicherweise um der entmutigende Wirkung infolge des französisch-amerikanischen Bündnisses zu begegnen, zur Motivation der eigenen Truppen die günstige militärische Lage affirmativ bestätigt und damit implizit auch der bevorstehende Sieg in Aussicht gestellt. Im Gedicht heißt es: „Auf! Auf! ihr Britten auf! Ihr Hessen frischen Muth! / Marschirt nur hurtig vor; des Königs Sach steht gut.“276
270 Tulpehocken Township liegt im Südosten Pennsylvanias, der im 18. Jahrhundert von zahlreichen deutschsprachigen Kolonisten besiedelt wurde. 271 [Anonym]: Gespräch zweyer Bauern in Tolpehacken, des Abends bey einem Glaß Wisky und gutem Hickory Feuer am 1ten May, 1778. 1. Strophe. 1. Vers, S. 263 [G89]. 272 Ebd. 1. Strophe. 2. Vers, S. 263 [G89]. 273 Ebd. 274 Ebd. 2. Strophe. 1. Vers, S. 263 [G89]. 275 Ebd. 4. Strophe. 1 f. Vers, S. 263 [G89]. Siehe hierzu Kapitel III.16. 276 [Anonym]: Gespräch zweyer Bauern in Tolpehacken, des Abends bey einem Glaß Wisky und gutem Hickory Feuer am 1ten May, 1778. 4. Strophe. 3 f. Vers, S. 264 [G89]. Die beiden Saur-Brüder druckten 1778 eine Gedicht- und Liederanthologie, die u. a. auch ein von dem 1770 nach Amerika ausgewanderten Pastor und Missionar Johann Christoph Kunze (1744–1807) verfasstes Gedicht (G90) enthält, das ebenfalls verschiedene probritische Elemente aufweist.
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4.4 „America! so blühe nun und ewig, / So lange Welten stehn: / America! sey frey und unabhängig / Bis Welten untergehn.“ Loyal gegenüber dem neuen Staat: Samuel Saur (1767–1820) In Anbetracht der oben angeführten Beispiele könnte der Eindruck entstehen, dass die gesamte Saur-Druckerfamilie eine probritische bis dezidiert antirevolutionäre Haltung eingenommen habe. An dieser Stelle muss jedoch angemerkt werden, dass mit dem jüngsten Sohn Christoph Saurs II., Samuel,277 ein Vertreter der Familie höchst patriotisch Texte publizierte. Samuel Saur (1767–1820), dessen Druckerei sich in der Zeit der Frühen Republik in Chestnut Hill bei Philadelphia und später in Baltimore befand, wurde 1767 geboren und war damit etwa eine Dekade jünger als seine beiden loyalistischen Brüder. Seine gesellschaftliche und politische Sozialisation fiel daher zu einem großen Teil in eine Zeit, in der sich die Vereinigten Staaten aktiv als unabhängige politische Entität etablierten. Von 1790 bis 1793 gab der jüngste der Saur-Brüder die Chestnuthiller Wochenschrift heraus, von 1795 bis 1798 die deutsch-amerikanische Zeitung Der Neue Unpartheyische Baltimore Bote und Marylander Staats-Register. Den jährlich erscheinenden „Saur-Almanach“ hatte er außerdem als Der Neue Hoch Deutsche Americanische Calender neu begründet. In diesem wurden verschiedene patriotische poetische Texte publiziert, die als entschlossene Bekenntnisse zu den Vereinigten Staaten zu verstehen sind. Im 1794 gedruckten Calender, Auf das Jahr 1795 erschien eine Ode über die Americanische Revolution (G215), dessen metrisches Schema der durch einen Kreuzreim verbundenen Vierzeiler folgendermaßen lautet: xX / xX / xX / xX / xX / x xX / xX / xX xX / xX / xX / xX / xX / x xX / xX / xX
Die fünfhebig jambischen ungeraden Verse mit weiblicher hyperkatalektischer Kadenz werden durch einen dreihebigen Jambus in den geraden Versen, die männlich enden, ergänzt. Es ergibt sich dadurch eine Strophenform, „dessen Reiz in der wiederholten Abfolge von langsam ansteigenden und schnell abfallenden Versen liegt.“278
277 Zu Samuel Saur siehe Durnbaugh: Sauer Family, S. 36; Hocker: Sower Printing House, S. 120–123; Minick: History, S. 99 f. Siehe auch Thomas: The History of Printing in America, S. 421 f. 278 Frank: Handbuch, S. 252. Zu der historischen Verbreitung dieser Strophenform notierte Horst Joachim Frank in seinem Handbuch der deutschen Strophenformen: „Von älteren Ausnahmen wie der Verwendung der Strophe in der Hohelied-Bearbeitung von Opitz (3. Lied ‚Nachdem
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Die dreizehn Strophen des emphatischen, als „Ode“ bezeichneten Gedich279 tes, die auf die Dreizehn Gründerstaaten verweisen,280 sind durch das in jeder Strophe mit einem Ausrufezeichen versehene gleichlautende Anfangswort „America“ verbunden und werden durch die erste und letzte Strophe, deren Wortlaut identisch ist, gerahmt, was dem Gesamttext eine aufeinander abgestimmte und in sich geschlossene Wirkung verleiht. Neben dem Ausdruck „America“, das insgesamt 18 Mal evoziert wird, fällt dem Lexem „Frey(heit)“, das in seinen unterschiedlichen Formen („Freyheit“ und „frey“ mit verschiedenen Flexionsendungen) 13 Mal realisiert wird, was erneut als Referenz auf die Gründerstaaten verstanden werden kann, eine Schlüsselrolle zu. Auf diese Weise kommt es zu einer engen Verbindung des Freiheitsbegriffes mit Amerika, das als „das Land der Freyheit“281 bezeichnet wird und als Heimstätte von Unabhängigkeit und Selbstbestimmung erscheint. Diese Eindruck der Kongruenz wird in der achten Strophe erweckt, wenn es dort heißt: America! hat auch Beweis gegeben, Daß der, der Freyheit liebt: Zur Zeit der Noth, freiwillig Haab und Leben Für seine Freyheit giebt.282
Die mit den Vereinigten Staaten verbundene politische Freiheitsparole wird durch die vom Sprecher dreimal artikulierte Invokation des Segens Gottes („Dich segne Jehova“283 in der ersten und letzten Strophe sowie „Und Jehova laß alles wohlgerathen / Bis zur entferntsten Zeit.“284 in der elften Strophe), die der Trinitätszahl entspricht, zudem um eine sakrale Komponente ergänzt.
ich lag in meinem öden Bette‘, 1625) abgesehen, begann die Geltung der Form erst – aber dann mit raschem Aufschwung – in den 1770er Jahren im Umkreis der Empfindsamkeit[.]“ Ebd. 279 Zum Verständnis des Odenbegriffs im 18. Jahrhundert vgl. die Defintion bei Zedler: „Ode, Lat[einisch] Oda, Gr[iechisch] [griechisch], Frantz[ösisch] Ode, war bey den Griechen und Römern der allgemeine Name aller Lieder, und begreifft vielerley Gattungen unter sich […]. In heutiger Poesie ein Gedicht, welches mit etlichen Absätzen, die alle ein gleiches Zeilen- und Reimenmaaß halten, durchgeführet wird: Ein Lied. Sie werden gemeiniglich zu Lobgesängen gebraucht, und wollen mit hohen Worten und scharfsinnigen Gedancken ausgearbeitet seyn.“ Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Bd. 25, Sp. 446. 280 Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Ode waren die USA mit Vermont (1791) und Kentucky (1792) bereits auf 15 Mitgliedsstaaten angewachsen. 281 [Anonym]: Ode über die Americanische Revolution. 2. Strophe. 1. Vers, S. [29] [G215]. 282 Ebd. 8. Strophe, S. [29] [G215]. 283 Ebd. 1. Strophe. 4. Vers und 13. Strophe. 4. Vers, S. [29] [G215]. 284 Ebd. 11. Strophe. 3 f. Vers, S. [29] [G215].
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Bei der Ode über die Americanische Revolution handelt es sich vorrangig um eine Rekapitulation der historischen Ereignisse aus amerikanischer Perspektive. Das poetische Subjekt erinnert zunächst an die Rolle der nordamerikanischen Kolonien während des French and Indian War in der prärevolutionären Zeit und akzentuiert ihr Engagement für die Interessen des britischen Mutterlandes, das diese seiner Meinung nach nicht angemessen würdigte. Die dritte Strophe lautet: America! war einst der Britten Zierde Es focht für diese Kron. Zur See und Land mit Ruhm und Ehrbegierde Doch, Undank war ihr Lohn.285
Anschließend verweist der Sprecher auf die von der britischen Regierung nach dem Krieg verabschiedeten Gesetze, wie den Stamp Act (1765; s. u.), die zur Restauration der Staatsfinanzen infolge der hohen Kriegsausgaben beitragen sollten. Er berichtet: America! das solte – zum Exempel, Millionen Pfunde Thee: Verzollen, und nebst den Papiernen Stempel Bezahlen, nach Persee.286
Die folgenden Strophen thematisieren die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung und lassen die Briten als ungerechte und überhebliche Unterdrücker erscheinen. So ist vom „Joch“287 der „stolzen Britten“288 und ihrem „Hohn und Spotte“289 die Rede. Der Sprecher hebt den Triumph der Patrioten im Unabhängigkeitskrieg („America! ward von den stolzen Britten / Zur See und Land bekriegt: / America! hat tapfrer noch gestritten, / und Freyheit sich ersiegt.“290) hervor und lässt dabei George Washington eine besondere Ehrerweisung entgegenkommen: America! Verehre deinen Krieger, Den großen Waschington: America! Verew’ge diesen Sieger Durch eine Siegeskron.291
285 Ebd. 3. Strophe, S. [29] [G215]. 286 Ebd. 4. Strophe, S. [29] [G215]. 287 Ebd. 5. Strophe. 1. Vers und 6. Strophe. 3. Vers, S. [29] [G215]. 288 Ebd. 7. Strophe. 1. Vers, S. [29] [G215]. 289 Ebd. 6. Strophe. 3. Vers, S. [29] [G215]. 290 Ebd. 7. Strophe, S. [29] [G215]. 291 Ebd. 9. Strophe, S. [29] [G215].
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Die panegyrische Wertschätzung des Oberbefehlshabers der Kontinentalarmee wird schließlich auf alle Veteranen des Krieges, die sich durch ihre Aufopferungsbereitschaft für die Freiheit ihrer Heimat ausgezeichnet haben, ausgeweitet: America! verehre jeden Helde, Der edel für dich litt Der von dem Feind durchs Schwerdt auf blut’gen Felde, Die Freyheit dir erstritt.292
In den letzten Strophen wiederholt der Sprecher seine Bitte um den Segen für Amerika, beschwört die Friedfertigkeit und den Einheitsgeist („America! verew’ge deine Thaten, / Durch Fried und Einigkeit:“293), was historisch vor dem Hintergrund der Differenzen zwischen den beiden verfeindeten Lagern während der Herausbildung des ersten Zweiparteiensystems (Federalists und Anti-Federalists bzw. Democratic-Republicans) in den USA zu sehen ist294 und artikuliert seinen Wunsch nach der Bewahrung der Unabhängigkeit bis zum Weltende („America! so blühe nun und ewig, / So lange Welten stehn: / America! sey frey und unabhängig / Bis Welten untergehn.“295). Auf der diesen Versen folgenden Seite druckte Saur in seinem Calender ein weiteres Gedicht ab, das den Titel Freyheits-Ode trägt und zahlreiche Motive der vorangestellten Verse aufgreift. Die insgesamt acht vierhebigen jambischen Vierzeiler, die in den geraden Versen durch eine Katalexe gekennzeichnet sind, weisen ebenfalls einen Kreuzreim sowie einen Wechsel von männlichen weiblichen Kadenzen auf. Wie bereits der Titel andeutet, fällt dem Freiheitsbegriff auch hier eine entscheidende Bedeutung zu. Der Ausdruck „Freyheit“ wird 13 Mal artikuliert, was erneut als Referenz auf die Gründerstaaten verstanden werden kann, das Adjektiv „frey“ erscheint der Trinitätszahl gemäß drei Mal. In der FreyheitsOde fällt den religiösen Elementen ebenfalls eine wichtige Rolle zu. In der dritten Strophe wird der Freiheit eine metaphysische Komponente verliehen. Sie wird in eine sakrale Sphäre gehoben und durch das biblische Motiv der Gottesebenbildlichkeit auf die Menschen übertragen.296 Der Sprecher erklärt: GOtt ist frey und n[a]ch[?] dem Bilde, Dieses Urbilds sind auch wir
292 Ebd. 10. Strophe, S. [29] [G215]. 293 [Anonym]: Ode über die Americanische Revolution. 11. Strophe. 1 f. Vers, S. [29] [G215]. 294 Siehe hierzu auch G222, G224, G234, G237 f., G246. 295 [Anonym]: Ode über die Americanische Revolution. 12. Strophe, S. [29] [G215]. 296 Zur Gottesebenbildlichkeit des Menschen siehe z. B. Gen 1,26 f.; 5,1; 9,6.
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Frey erschaffen nach der Milde Unsers Gottes: frey sind wir.297
Damit erscheint der Freiheitszustand selbst als integratives Element der göttlichen Schöpfung und eine Einschränkung dieser implizit als Zuwiderhandlung gegen die göttliche Ordnung. Wie in der Ode über die Americanische Revolution erinnert der Sprecher auch hier an die Leistungen der Gründerväter („O! so blühe edle Freyheit / Unsrer Väter-Thaten-Ruhms:“298) bzw. Veteranen und ruft zu Respektserweisungen auf: Opfert Dank und Liebes-Garben Singet Ihnen Gloria. Die die Freyheit uns erwarben Freyheit für America.299
Schließlich wird ebenso das Weltende-Motiv artikuliert und in diesem Fall mit dem Freiheitswunsch verbunden. In der sechsten Strophe heißt es: Freyheit! herrsche in dem Schooße, Columbinens Theil der Welt: Bis die Welt einst[?] in[?] dem Klose[?] Ihres ersten Nichts zerfällt.300
Um einen Panegyrikos auf die Freiheit handelt es sich schließlich auch bei dem von Saur in seinem Calender auf das Jahr 1804 abgedruckten Freyheits Lied (G264), das am 7. Dezember 1804 ebenso in der von Henrich und Benjamin Grimmler in Lancaster herausgegebenen deutsch-amerikanischen Wochenzeitung Der Wahre Amerikaner publiziert wurde. Die patriotischen Verse stellen ein emphatisches Lob der Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der USA dar und erweisen sich als dezidiertes Bekenntnis zu den Vereinigten Staaten. Dabei erscheint die vom Sprecher apostrophierte, personifizierte Freiheit, die egalitär definiert ist („Sie giebt uns allen gleiches Recht / auf Schutz und Sicherheit; / reich oder arm, Herr oder Knecht, / da gilt kein Unterscheid.“301) maternalistisch anthropomorphisiert (2. Strophe). Sie wird in ein familiäres Beziehungsverhältnis, eine Mutter-KindVerbindung, eingebunden („Wir halten theuer sie und werth, / die mütterlich uns
297 [Anonym]: Freyheits-Ode. 3. Strophe, S. [30] [G216]. 298 Ebd. 4. Strophe. 1 f. Vers, S. [30] [G216]. 299 Ebd. 5. Strophe, S. [30] [G216]. 300 Ebd. 6. Strophe, S. [30] [G216]. Die Textvorlage ist im dritten Vers der Strophe sehr undeutlich. 301 [Anonym]: Freyheits Lied. 2. Strophe. 5.–8. Vers, S. [27] [G264].
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hegt,“302) und mit durchgehend positiven Komponenten, die dem amerikanischen Demokratieverständnis entsprechen, in Verbindung gebracht. Der Sprecher legt großen Wert darauf, zu akzentuieren, dass das in den Vereinigten Staaten etablierte gesellschaftliche System durch eine gemäßigte politische Ordnung geprägt ist, die jede Form von Arbitrarität und gewalttätiger Radikalität ablehnt. Offensichtlich nicht ohne einen gewissen Stolz postuliert er: „Bey uns ist Freyheit, nicht Geschrey, / tobt und rumoret nicht.“303 Und in der dritten Strophe ist zu lesen: Bey uns herrscht das Gesetz allein, wir kennen Willkühr nicht; und dem Gesetze treu zu seyn, ist Bürgereid und Pflicht.304
Dieses Bekenntnis unterminiert den von antirevolutionären Kräften, gerade auch in Europa, vorgebrachten Vorwurf, dass eine Insurrektion gegen die bestehende Staatsmacht und das politische System, wie sie in der Unabhängigkeitsbewegung erfolgte, zur Aufhebung der gesellschaftlichen Ordnung, d. h. zu Anarchie führen könnte.305 Gleichzeitig lässt der Sprecher das Bewusstsein um die Limitation seines Wissens erkennen und gibt an, die eigene politische Ordnung nicht im missionarischen Eifer anderen Völkern und Gemeinschaften als überlegen vorstellen zu wollen. Er konstatiert: Wir glauben nicht, daß wir allein klug sind und Götter schier, und laden nicht die Völker ein so klug zu seyn, wie wir.306
Der Text negiert bescheiden die Ausschließlichkeit und Alleingültigkeit der eigenen Konzeptionen („Wir glauben nicht, daß unser Licht / allein das wahre sey:“307), artikuliert ein universelles religiöses und ethnisches Toleranzkonzept („So nehm’ an unsrer Freude Theil, / wes Glaubens, Volks er sey!“308) und tritt
302 Ebd. 2. Strophe. 1 f. Vers, S. [27] [G264]. 303 Ebd. 1. Strophe. 7 f. Vers, S. [27] [G264]. 304 Ebd. 3. Strophe. 5.–8. Vers, S. [27] [G264]. 305 Siehe hierzu Kapitel III.7. 306 [Anonym]: Freyheits Lied. 4. Strophe. 1.–4. Vers, S. [27] [G264]. 307 Ebd. 4. Strophe. 5 f. Vers, S. [27] [G264]. 308 Ebd. 6. Strophe. 5 f. Vers, S. [27] [G264].
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selbst abweichenden politischen Gesellschaftsmodellen wie der Monarchie ohne Gewaltbereitschaft entgegen („Drum schreyn wir auch nicht gegen Kron / und Zepter wüthend an.“309), da es die Überzeugung vertritt, dass einem tyrannischen System bereits ein autodestruktiver Mechanismus innewohnt („Es wankt von selbst der gold’ne Thron, / entweiht ihn ein Tyrann.“310). Die Präferenz einer klar strukturierten, aber maßvollen politischen Ordnung und die dezidierte Ablehnung anarchistischer Ideen und radikaler Elemente, zu denen sich der Sprecher selbstbewusst bekennt, stellen bis heute konstituierende Bestandteile des amerikanischen Selbstverständnisses dar. In Bezug auf die vorliegenden Verse sind sie insbesondere vor dem Hintergrund der soziopolitischen Entwicklungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts, respektive der gewaltsamen Ereignisse während der Franzöischen Revolution zu sehen, die in ihrer radikalisierten Form (Grand Terreur) auch zahlreiche transatlantische Zeitgenossen abschreckte und in der politischen Memorialkultur noch lange präsent blieben. Mit dem Abdruck dieser Gedichte erwies sich Samuel Saur im Gegensatz zu seinem Vater und seinen Brüdern Christoph und Peter als Verfechter der soziopolitischen Leitideen der Vereinigten Staaten, auf der anderen Seite allerdings, gewissermaßen in Korrespondenz zu ihnen, gleichzeitig auch als Anhänger des etablierten politischen Systems. Die Aversionen gegenüber Elementen der Anarchie sowie die Loyalitätsbekundungen gegenüber der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung stellen damit eine Konstante der politischen Botschaften in der Saur’schen Publizistik dar.
4.5 „Den HERREN lobt und benedeyt, / Der von der Stämpel-Act uns hat befreyt.“ Emphatischer Revolutionsanhänger der ersten Stunde und deutsch-amerikanischer Patriot: Henrich Miller und die prorevolutionäre Lyrik Während Samuel Saur vor allem in der Zeit der Frühen Republik patriotische Texte publizierte, gehörte Henrich Miller bereits seit der Anfangsphase der Unabhängigkeitsbewegung zu ihren entschiedensten Unterstützern.311 Der Deutsch-
309 Ebd. 5. Strophe. 1 f. Vers, S. [27] [G264]. 310 Ebd. 5. Strophe. 3 f. Vers, S. [27] [G264]. 311 Siehe hierzu auch Adams: Press, S. 162, 219; Dapp: John Henry Miller, S. 232, 262; Münch: German-Language Almanacs, S. 62; Pencak: Appendix, S. 371; Seidensticker: Zeitungspresse, S. 422; Stoudt: German Press, S. 81; Verhoeven: Colony, S. 89; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 56 f., 61, 67; Wittke: German-Language Press, S. 21.
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Amerikaner unterhielt Kontakte zu Benjamin Franklin312 und verfolgte die zeitgenössischen politischen Themen mit großem Interesse. Am 5. Juli 1776 berichtete er in dem von ihm herausgegebenen Pennsylvanischen Staatsboten von der tags zuvor erfolgten Unterzeichnung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und druckte in der Ausgabe vom 9. Juli eine deutschsprachige Übersetzung auf der Titelseite ab.313 Millers prorevolutionäre Publizistik führte nicht zuletzt dazu, dass er Philadelphia im Herbst 1777, als die britischen Streitkräfte die Stadt eroberten, fluchtartig verlassen musste und erst nach ihrem Abzug zurückkehren konnte.314 Der deutsch-amerikanische Drucker mit kosmopolitischer Gesinnung315 zeigte frühauf großes Interesse an den politischen Entwicklungen in seiner neuen Heimat. So hatte er beispielsweise bereits die Ereignisse um die sog. Paxton Boys (1763/64) kritisch kommentiert.316 Aber insbesondere der vom britischen Par-
312 John Joseph Stoudt bezeichnete Franklin als „spiritual father“ (Stoudt: German Press, S. 81) von Millers Zeitung. Siehe auch Adams: Press, S. 163; Wittke: German-Language Press, S. 21. 313 Siehe Adams: Press, S. 152, 212; Arndt: First German Broadside, S. 98–107; Arndt: Translation, S. 138–141; Arndt – Olson (Hgg.): Presse. Bd. 1, S. [4], 570 f.; Dapp: John Henry Miller, S. 278 f.; Münch: German-Language Almanacs, S. [56], 61; Roeber: Staatsbote, S. 57; Schrader: Germans, S. 117; Seidensticker: Zeitungspresse, S. 424; Stoudt: German Press, S. 84; Verhoeven: Colony, S. 77, 89; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 71; Wittke: German-Language Press, S. 22. Als Übersetzer scheint sich Miller auch bei der Publikation eines im Original englischsprachigen Lobgedichtes auf George Washington (G382) betätigt zu haben. 314 Siehe Arndt – Olson (Hgg.): Presse. Bd. 1, S. [4]; Münch: German-Language Almanacs, S. 61; Roeber: Staatsbote, S. 70; Seidensticker: Die Deutschen von Philadelphia, S. 11 f.; ders.: Zeitungspresse, S. 424 f., 568; Stoudt: German Press, S. 85; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 57. 315 Siehe hierzu auch ebd., S. 62. 316 Überfälle durch Indianer an der Siedlungsgrenze (Frontier) in Lancaster County am Susquehanna River in Pennsylvania führten 1763 zur Bildung einer Bürgerwehr mit den Namen „Paxton Boys“, die nach dem Ort Paxtang benannt wurden und sich vor allem aus presbyterianischen irisch- und schottischstämmigen Siedlern konstituierten. Die Situation eskalierte, als die Gruppe am 14. Dezember eine christianisierte indianische Siedlung überfiel und im Massaker von Conestoga sechs Indianer tötete. Überlebende Conestoga-Indianer (Susquehannock) flohen nach Lancaster/Pennsylvania und wurden dort zu ihrem Schutz im Gefängnis der Stadt untergebracht, das jedoch am 27. Dezember von aufgebrachten Siedlern gestürmt wurde, die 14 Indianer, darunter auch Kinder, töteten. Im Januar 1764 schließlich bewegte sich eine ca. 250 Mann starke Gruppe von „Paxton Boys“ auf Philadelphia zu, um ihrer Verärgerung über die aus ihrer Sicht verfehlte Indianerpolitik der Regierung Ausdruck zu verleihen. In der Stadt waren Vorbereitungen zur Verteidigung getroffen worden, selbst pazifistische Quäker bewaffneten sich, in der Absicht, Indianer, die sich in der Stadt aufhielten, zu beschützen. Die Lage entspannte sich, als ein diplomatisches Treffen in Germantown vereinbart wurde, bei dem es einer Gruppe von Vertretern der Stadt, zu der u. a. auch Franklin gehörte, gelang, die „Paxton Boys“ zur Aufgabe ihrer gewaltsamen Absichten zu bewegen. Die Vorfälle an der Frontier in Pennsylvania sind im Zusammenhang mit den politischen Entwicklungen der Zeit zu sehen. So war 1763 der
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lament verabschiedete Stamp Act, der eine Besteuerung von Urkunden, Druckerzeugnissen und selbst von Spielkarten und Würfeln vorsah, erregte Millers Missfallen. Am 2. September 1765 druckte er in seiner Zeitung die wahrscheinlich von ihm selbst angefertigte Übersetzung317 eines englischen Zweizeilers ab (G94), der die tiefen Aversionen in der Bevölkerung gegenüber dem unpopulären Gesetz dokumentierte. Die deutschsprachige Version lautet: „Was ist wol schöners anzuschau’n / Als wenn ein Stämpler hängt am baum.“318 Ein den Versen vorangestellter Bericht gab folgendermaßen Aufschluss über die Umstände einer gegen das Stempelsteuergesetz gerichteten Protestaktion, zu der auch der Zweizeiler gehörte, der mehr auf eine politische als eine poetische Wirkung abzielte: Newport, (in Rhode-Eyland) den 19[.] August. Auszug eines briefs von Boston, vom 15[.] August. Gestern fand man Herrn O – s bildniß an einem von den bäumen am sud ende der Stadt hängen, mit einem stück papier vor demselben, auf welchem etwas mit grossen buchstaben geschrieben war, folgenden inhalts:
French and Indian War, an dem verschiedene indianische Stämme auf Seiten der Briten bzw. Amerikaner, andere auf Seiten der Franzosen teilgenommen hatten, zu Ende gegangen und im Gebiet südlich der Großen Seen begann in diesem Jahr der Pontiac-Aufstand (1763–1766). Eine in literarischer Form artikulierte Auseinandersetzung mit den „Paxton Boys“ erfolgte auch in englischer Sprache. 1764 erschien in Philadelphia unter dem Titel The Paxtoniade bereits die zweite Auflage eines von Christopher Gymnast verfassten Gedichtes, das die Ereignisse rekapitulierte und folgendermaßen ansetzt: „When Peace with the Indians was almost concluded, / And the life-mowing Sword, which was very much blooded, / Tir’d out with hard Labor, and hewing down men, / Was like to be put in ist Scabard again[.]“ Gymnast: The Paxtoniade. 1.–4. Vers, S. 4. Zum Widerhall der „Paxton Boys“ in der zeitgenössischen englischsprachigen Poesie siehe auch Graeff: Relations, S. 200 f. Zu den „Paxton Boys“ allgemein siehe Graeff: Relations, S. [189]–205; Longenecker: The Christopher Sauers, S. 86–88; Seidensticker: The First Century, S. 64 f. In der Ausgabe vom Juli 1764 druckte das Hamburgische Journal die Übersetzung eines aus dem Gentleman’s Magazine entnommenen Auszugs aus des berühmten Engländers in Pensilvanien Herrn B. Franklins rührenden Nachricht und Anmerkungen betreffend die zu Ende des letztabgewichenen Jahres von einigen Engländern verübte grausame Ermordung einer ganzen Indianischen Familie ab und machte damit das Wissen um die Ereignisse in Pennsylvania auch einem deutschsprachigen Lesepublikum zugänglich. Darin heißt es über den Angriff der Weißen auf die Conestoga-Indianer (Susquehannock): „Die 57 Meuchelmörder schlugen die 6 Cunnestogen todt, und zerstreuten ihre Glieder. Den guten Schehac hieben sie in seinem Bette in Stücken, so wie sie auch die beyden Weiber und den jungen Knaben verstümmelten. Hierauf steckten sie den ganzen Weiler in Brand, und nachdem sie ihn in wenig Augenblicken von den Flammen verzehrt gesehen, begaben sie sich auf verschiednen Wegen wieder zurück.“ Franklin: Auszug aus des berühmten Engländers in Pensilvanien Herrn B. Franklins rührenden Nachricht und Anmerkungen betreffend die zu Ende des letztabgewichenen Jahres von einigen Engländern verübte grausame Ermordung einer ganzen Indianischen Familie, S. 648. 317 Siehe hierzu Dapp: John Henry Miller, S. 247. 318 [Anonym]: [Was ist wol schöners anzuschau’n], S. [2] [G94].
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‚Der schönen Freyheit herrliche Sache hab ich niederträchtig verlassen, ————— Schändlichen gewinns halben; Aber, ach leider! der Teufel ist witziger gewesen als ich, Und an statt andere zu stämpfeln hab ich mich selbst gehenkt. Nachschr[ift:] Wer dis abnimmt, der ist ein Feind seines Vaterlandes.‘ Auf dem rechten arm stunden die buchstaben A. O. Auf dem linken: [Es folgen die beiden Verse, Anm. L. L.].319
Zum Jahreswechsel 1765/66 druckte Miller ein an die Leser seiner Zeitung gerichtetes Neujahrsgedicht ab (G95), in dem der Sprecher eine kritische Bilanz zieht und seine Hoffnung auf eine Aufhebung des Stempelsteuergesetzes artikuliert. Dort heißt es: Nur du, America, weiß’st von gar keinen Freuden; In dir ist nichts als Noth, in dir ist lauter Leiden! Möcht’ deine Mutter sich doch ihres Kinds erbarmen, Und es im Neuen Jahr mit neuer Lieb umarmen; Ach! machte Sie dis Jahr dich aller Stämpeley, Und mit derselbigen auch aller Unruh frey! Was könte Sie an dir für Freud und Trost erleben, Da Sie jetzt deinethalb nur muß in Furchten schweben.320
Die tatsächliche Zurücknahme des Stamp Act im März 1766 kommentierte Miller dementsprechend im Staatsboten mit dem in großen Lettern abgedruckten Zweizeiler: „Den HERREN lobt und benedeyt, / Der von der Stämpel-Act uns hat befreyt.“321 Den Versen folgte eine auf den 19. Mai datierte Nachricht, welche die lange Reisedauer zeitgenössischer transatlantischer Mitteilungen verdeutlicht. Miller berichtete: Philadelphia, den 19[.] May, 1766. / Heute Morgen langte der Capitain Wise, in einer Brigantine in acht Wochen von Pool (in England) hier an, welcher uns die freudenreichste Zeitung bringt von der Widerrufung der Stämpel-Acte, Wie selbige durch den König, die Lords und Gemeinen ist genehmiget worden. Diese Widerrufungs-Acte empfing die Königliche Zustimmung (oder Royal Assent) den 18[.] März. Man wünscht unsern Lesern von Herzen Glück dazu!322
319 [Anonym]: [Newport, (in Rhode-Eyland) den 19(.) August.], S. [2]. 320 [Miller?]: Des Herumträgers des Staatsboten Neujahrs-Verse, bey seinen resp[ectablen] Geehrten Kundleuten abgelegt den 6ten Jenner, 1766. 2. Strophe, S. [1] [G95]. 321 [Miller?]: [Den Herren lobt und benedeyt], S. [1] [G96]. 322 Ebd.
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Millers Kommentar war typisch für die Reaktion der meisten deutsch-amerikanischen Publizisten auf die Aufhebung des Gesetzes, da diese durch die doppelte Besteuerung nichtenglischsprachiger Drucke in besonderem Maße betroffen waren. Denn in dem vom britischen Parlament verabschiedeten Beschluss heißt es: Resolved, That it is the Opinion of this Committee, That every Skin, or Piece of Vellum or Parchment, or Sheet or Piece of Paper, on which any instrument, Proceeding, or other Thing aforesaid, shall be engrossed, written, or printed within the said Colonies and Plantations, in any other than the English Language be charged with a Stamp Duty of Double the Amount of the respective Duties before mentioned to be charged thereon.323
Die gemeinsame Ablehnung des Stamp Act einte in gewisser Weise die Drucker, die ansonsten in der Regel in einem Konkurrenzverhältnis zueinander standen. Benedikt Kaukler verwies in diesem Zusammenhang auf den zeitgenössisch omnipräsenten publizistischen Widerstand, der unisono erfolgte und hielt fest: „Sogar die Separatisten bekämpften diese Steuer.“324 Die Rücknahme des missliebigen Steuergesetzes wurde von den deutschamerikanischen Druckern dementsprechend emphatisch begrüßt. 1766 druckte Anton Armbrüster in Philadelphia ein Flugblatt, das die feierliche Stimmung in Anbetracht der Nachricht über die Rücknahme des Gesetzes folgendermaßen beschrieb: Philadelphia den 19ten May 1766. / HEute Morgen wurden wir durch ein Freuden-Geläut der hiesigen Glocken aufmercksam gemacht, und da ich zum Caffee-Hause kam, sahe ich endlich mit Augen die so lang erwünschte und erwartete Parlaments-Acte, wodurch die wohl bekante Stämp-Acte gäntzlich Widerrufen und abgeschaft wird.325
Über den Zeilen findet sich ein Gedicht (G97), in dem der Sprecher seinem Dank über die Restitution der alten Ordnung mit den Worten Ausdruck verleiht:
323 Commons Proceedings. 7. 2. 1765. In: Simmons – Thomas (Hgg.): Proceedings and Debates of the British Parliaments Respecting North America 1754–1783, S. 23. Siehe hierzu auch Earnest – Earnest – Rosenberry: Flying Leaves, S. 136; Kaukler: Auswanderer, S. 97 f.; Münch: GermanLanguage Almanacs, S. 72 [Anm. 34]; Roeber: Staatsbote, S. 63; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 68. 324 Kaukler: Auswanderer, S. 98. 325 [Anonym]: Philadelphia den 19ten May 1766, S. [(1)]. Der Einblattdruck dokumentiert damit auch die großen geografischen Distanzen und die zeitlich aufwendigen Kommunikationswege zwischen Europa und Amerika, denn obwohl die politische Entscheidung, das unpopuläre Gesetz aufzuheben, in London bereits im März 1766 gefallen war, erfolgte die Bekanntgabe und Publikation dieser Information in Philadelphia erst im Mai des Jahres. Siehe hierzu auch Kapitel V.4.
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WO des Verächters Netz uns Weg und Pfad bestrickte, Die wehen Knorr’n am Fuß, die uns der Stiefel drückte, Wo G----s Zauber Buch den Tag zur Nacht gemacht, Ist alles GOTT sey Danck, in vor’gen Stand gebracht.326
Das poetische Subjekt konstatiert einen intensiven Stimmungsumschlag vom Negativen ins Positive und bedient sich einer topischen Wettermetaphorik, um diesen emphatisch zu beschreiben: Wie wenn ein schwartz Gewölck gantz Abend Land bedecket, Und jeder Blitz und Schlag die Teutschen doppelt schrecket; Wie wenn der Oelbaum noch als dürres Reißig steht, Die Freyheit auf den Tod verklagt, zum Sarge geht, Und Mensch und Vieh und zahm und wild Gefieder Kaum nach dem Wetter guckt, und gleich versteckt sichs wieder, So blickt der Himmel uns auf einmal gnädig an, Dann Mennsch vergiß nicht mehr, was GOtt dir Guts gethan.327
Der Sprecher führt die Naturanalogie weiter aus und beschwört das Erblühen von Flora und Fauna im Zuge des Lebenskraft verleihenden Sonnenlichtes, das durch die sich klärenden Wolken hindurchscheint und damit an die meteorologische Etymologie des Ausdrucks „Aufklärung“ erinnert: Hier weht ein Frühlings-Wind, die Wolcken theilen sich, Die Sonne dringet durch, das Land wird fruchtbarlich, Ihr Licht bestrahlt den Sarg, die Freyheit richt sich auf, Und mit erhabnem Haupt vollfahret ihren Lauf; Die Blumen thun sich auf mit ihrer schönen Pracht; Der freyen Vögel Schaar erhebet sich mit Macht, Und zeigt gantz Freuden voll den schönen Frühling an; Der Oelbaum hat nun auch die Blätter freudig aufgetha[n] Nun wird America durch das Licht beschienen So wird die Handlung dann auch aufgelebet grünen […].328
Über den Versen druckte Armbrüster eine allegorische Abbildung (Abb. 75) ab, welche die entscheidenden Motive des Gedichtes aufgreift und grafisch visualisiert. So ist auf dem Stich, der symmetrisch angeordnet ist, in der Mitte
326 [Anonym]: [Wo des Verächters Netz uns Weg und Pfad bestrickte]. 1.–4. Vers, S. [1] [G97]. 327 Ebd. 5.–12. Vers, S. [1] [G97]. 328 Ebd. 13.–22. Vers, S. [1] [G97].
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eine anthropomorphisierte Sonnendarstellung zu erkennen, die zwischen den sich lichtenden Wolken hindurchscheint und mit ihren Strahlen auf der einen Seite einen erblühenden (Öl)baum und eine Blüte einer Blume, die sich nach ihr zu richten scheint, tangiert sowie auf der anderen Seite einen offenen Sarg bescheint, in dem eine aufgerichtete Person zu erkennen ist, die in der linken Hand einen Ölbaumzweig hält und durch den über ihr angebrachten Schriftzug als Personifikation der Freiheit identifiziert werden kann. Während die beiden Seiten der Abbildung von sich erhebenden Vogelschwärmen flankiert werden, ist in der Mitte unter der Sonne ein Globus zu sehen, auf dem spiegelverkehrt der amerikanische Kontinent und der Schriftzug „America“ zu erkennen sind. Von besonderem Interesse ist, dass am unteren Ende des Flugblattes die Ankündigung eines Feuerwerks anlässlich des politischen Erfolgs, allerdings auch ein typografisch in großen Lettern ausgesprochener Segenswunsch für den britischen König Georg III. zu finden ist. Die Mitteilung lautet: „Auf Morgen Abend sind Iluminationen in Philadelphia angeordnet. GOTT segne unsern gnädigen König GEORG.“329 Die sich auf eine topische Demutsformel stützende und den Gerechtigkeitssinn des Monarchen suggerierende Referenz gegenüber dem Landesherren, die durch die in dem Abschnitt ansonsten nur für die Schreibung Gottes verwendete Majuskelschreibung akzentuiert wird, verdeutlicht, dass die Freude über die Aufhebung der als ungerecht empfundenen Besteuerung mit großer Emphase zum Ausdruck gebracht wurde, dass diese Artikulation jedoch, zumindest offiziell, nicht in Opposition zur, sondern in Konformität mit dem Legitimitätsanspruch des Königs erfolgte. Eine Zwischenstellung in Bezug auf die Frage, ob die Lösung der politischen Differenzen in Kooperation mit dem britischen Monarchen oder durch einen offenen Bruch mit dem Staatsoberhaupt erfolgen sollte, nimmt auch ein 1774 oder 1775 in Lancaster/Pennsylvania als Einblattdruck unter dem Titel Ein Lied von dem gegenwärtigen Zustand in America (G99) veröffentlichtes Gedicht ein, das die politische Situation in den nordamerikanischen Kolonien im Zuge des 1774 vom britischen Parlament verabschiedeten Quebec Act thematisiert. Dieses Gesetz stärkte u. a. die Rechte der französischsprachigen katholischen Bevölkerung in Kanada sowie der nordamerikanischen Ureinwohner und wurde in den Dreizehn Kolonien von einem publizistisch aktiven Teil der Bevölkerung, der in der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung eine entscheidende Rolle spielen sollte, abgelehnt.330 Die 14 Strophen des auf dem Einblattdruck publizierten Gedichtes
329 [Anonym]: Philadelphia den 19ten May 1766, S. [1]. 330 Siehe hierzu Coupland: Quebec Act; Creviston: King, S. 463–479; Langston: Tyrant and Oppressor, S. 1–17; Neatby: Quebec Act.
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sind ein in poetischer Form artikuliertes Zeugnis dieser kritischen Rezeption und stellen damit auch ein Beispiel der von Ressentiments und religiöser Xenophobie bestimmten antikatholischen Stimmung in den überwiegend von protestantischen christlichen Religionsgemeinschaften geprägten Kolonien dar.331 So artikuliert das poetische Subjekt seine Furcht vor einer zunehmenden päpstlichen Einflussnahme und einer sich hieraus ergebenden Persekution bzw. radikalen Exklusion nichtkatholischer Elemente, wenn es behauptet: Der Pabst hat nun ein grosses Recht Wir müssen werden seine Knecht, Der Rosen-Krantz wird uns gezeigt Wer sich nicht willig darzu neigt Soll sein verjagt, wie man nun sagt.332
Der Ablehnung der katholischen Kirche, die mit „Götzen-Dienst“333 identifiziert wird, schließt sich die Angst vor einer Herrschaft durch tatsächliche oder potentielle Kolonialmächte an (11. Strophe), die sich infolge der Differenzen zwischen dem Mutterland und den Kolonien, aufgrund des aus kolonialer Perspektive als restriktiv und destruktiv rezipierten neuen Gesetzes, ergeben könnten. Der Sprecher konstatiert das transatlantische territoriale Interesse der europäischen Fürsten und ihre Absicht, Amerika unter sich aufzuteilen (10.–12. Strophe). Er formuliert seine Hoffnung auf eine Einflussnahme durch den König in den politischen Entscheidungsprozess, der das drohende Zerwürfnis obsolet machen könnte und gibt an: [„]Wolt nun der König hören Und seinen Knechten wehren In seinem hohen Parlament, So würd des streitens bald ein End:“334
Allerdings hat das poetische Subjekt zuvor auch auf die Möglichkeit eines offenen Widerstandes gegen den Monarchen hingewiesen, zu dem sich die Kolonien gezwungen sehen könnten. Die achte Strophe lautet:
331 Rainald Becker hat darauf hingewiesen, dass es 1757 etwa 1.300 Katholiken in Pennsylvania gab, die damit lediglich ca. 1 % der Gesamtbevölkerung ausmachten. Siehe Becker: Nordamerika, S. 205. 332 [Anonym]: Ein Lied von dem gegenwärtigen Zustand in America. 5. Strophe. 3.–7. Vers, S. [1] [G99]. 333 Ebd. 4. Strophe. 6. Vers, S. [1] [G99]. 334 Ebd. 13. Strophe. 1.–4. Vers, S. [1] [G99].
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Jedoch will man uns zwingen, Für unser Recht zu ringen, So müssen wir auch gehen an Und auch darstellen auf den Plan Den uns der König zubereit, Und stehen gegen Ihm in Streit In dem Gefecht, wie Herr so Knecht.335
Der Sprecher verweist dabei aus einer ethisch-politischen Perspektive auf das staatsrechtliche Dilemma, das sich durch die Verpflichtung der Untertanen zum Gehorsam gegenüber ihrem König auf der einen Seite und dem Widerstands- und Selbstverteidigungsrecht auf der anderen Seite ergibt. Er beantwortet jedoch die Frage nach der moralischen Superiorität ex negativo eindeutig zugunsten der Kolonisten („Wird es uns dann gelingen, / Daß wir den König zwingen, / Auf welche Seit fällt dann die Schand / America oder Engelland? / Gewiß sie fällt den letzten zu,“336) und verbindet die den amerikanischen Interessen entgegensetzten Kräfte sogar mit dem ethisch und politisch stark aufgeladenen Begriff der Tyrannei („America bekommet Ruh / Vor Tiranney, und bleibet frey.“337). Für die Interpretation aufschlussreich ist nicht zuletzt eine den von Francis Bailey gedruckten Versen beigefügte Abbildung (Abb. 76), die eine männliche Person zeigt, welche militärische Kleidung trägt und als der schottische Adlige und Befehlshaber der britischen Truppen, John Campbell, Second Duke of Argyll (1680–1743) identifiziert werden kann.338 Die Illustration korrespondiert mit dem semantischen Gehalt des Gedichtes, da die Figur Campbells in diesem Kontext den politischen Widerstandswillen gegenüber einer hierarchisch höher gestellten Person symbolisieren soll. Die Abbildung findet sich auch in dem ebenfalls von Bailey gedruckten Lancaster Almanack, for the Year of our Lord, 1775 (Abb. 77) und wird dort durch folgenden Bericht ergänzt, der einerseits Campbells militärisches Engagement akzentuiert, gleichzeitig aber auch auf seine Weigerung verweist, die Waffen gegenüber anderen Engländern zu erheben: In the year 1734, an act of excise was planned, which met with the resentment of the populace. The King insisted on having it executed, and sent for John, Duke of Argyle, and asked in what condition the army was? The answer was in a very good one[.] Can you depend
335 Ebd. 8. Strophe, S. [1] [G99]. 336 Ebd. 9. Strophe. 1.–5. Vers, S. [1] [G99]. 337 Ebd. 9. Strophe. 6 f. Vers, S. [1] [G99]. 338 Siehe hierzu auch Arndt: Deutsch-Amerikanische Flugblätter, S. 54. Campbell hatte u. a. während des Jakobitischen Aufstandes von 1715 die britischen Truppen befehligt. Zu Campbell siehe Heathcote: British Field Marshals, S. 73 f.
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on them? I will be answerable for every one of them to a man. Then it shall pass, said his Majesty: The Duke desired to know what was to pass; and on being inform’d, answered, May it please your Majesty, whenever you turn your arms against your enemies, I will pledge myself for their loyalty; but if you turn English arms against English arms, I will not be responsible for them. Nobly said, even to Majesty! But now we are so bashful, that we dare not say as much to a tyrant Minister.339
Das Gedicht zeichnet sich durch eine politische Konzeption aus, die mit dem Antagonismus von Drohung und Anreiz operiert und damit Elemente enthält, die in pointierter Form mit einer sog. Zuckerbrot und Peitsche-Politik in Verbindung gebracht werden können. Im Falle der Aufrechterhaltung der bisherigen politischen Entscheidungen des Parlaments wird die teilweise in einer martialischen Sprache zum Ausdruck gebrachte Resistenzbereitschaft der Kolonisten vor Augen geführt (8. Strophe), die damit offensichtlich deutlich machen soll, dass die Differenzen auch militärische Dimensionen annehmen könnten (so ist in den Versen z. B. von „exercieren“340, „Gefecht“341 und „Krieges-Ruth“342 die Rede). Umgekehrt wird bei einer Alteration des politischen Kurses das für beide Seiten vorteilhafte ökonomische Prosperieren der Kolonien in Aussicht gestellt. Der Sprecher prognostiziert: Wolt nun der König hören Und seinen Knechten wehren In seinem hohen Parlament, So würd des streitens bald ein End: Wir blieben all in Fried und Ruh Sein Einkünfften die nehmen zu Auch ohn Gefecht, wir seine Knecht.343
Das poetische Subjekt schließt mit der topischen Bitte um eine metaphysische Intervention bzw. mit der damit verbundenen Hoffnung auf eine Restitution des verloren gegangen Glückszustandes („Der Himmel wolte schencken, / Den
339 [Anonym]: Anecdote [1775], S. [3]. Zur Datierungsfrage des Einblattdruckes hielt Karl J. R. Arndt fest: „The figure is that of John, Duke of Argyle and is taken from the Lancaster Almanack for 1775, printed by Baily in Lancaster, hence this broadside was probably printed by him in the same year.“ Ebd. 340 [Anonym]: Ein Lied von dem gegenwärtigen Zustand in America. 6. Strophe. 6. Vers, S. [1] [G99]. 341 Ebd. 8. Strophe. 7. Vers, S. [1] und 13. Strophe. 7. Vers, S. [1] [G99]. 342 Ebd. 14. Strophe. 4. Vers, S. [1] [G99]. 343 Ebd. 13. Strophe, S. [1] [G99].
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König so zu lencken; / So würde alles wieder gut“344) und vermeidet auf diese Weise einen irreversiblen Bruch zwischen den Kolonien und dem Mutterland, da die Stellung des Königs im zeitgenössischen politischen System im Gegensatz zu zahlreichen späteren in Amerika veröffentlichten Texten nicht prinzipiell in Zweifel gestellt wird. Eine ähnliche Haltung nimmt der Sprecher in einem anlässlich des Jahreswechsels 1768/69 in dem von Henrich Miller herausgegebenen Pennsylvanischen Staatsboten veröffentlichten Gedicht (G112) ein, das wichtige politische und gesellschaftliche Ereignisse des vergangenen Jahres Revue passieren lässt und dabei kommentiert. Das poetische Subjekt hofft auf eine milde Regierung und schließt in seine Neujahrswünsche einen Segen für Georg III. ein, auf dessen nicht unempfindliches „Vater-herz“345 es seine Hoffnungen richtet. In der dritten Strophe heißt es: Mit Segen über das Gekrönte Haupt, Das vor acht Jahr’n den Britt’schen Thron bestiegen, Von dem sein Reichs-volk zuversichtlich glaubt Er werde unser Freyheits-recht nicht biegen; Wenn unsre Noth sein Vater-herz berührt, Und sein hold Augen-paar die Bitten wird beleuchten, Die Ihm sein hiesig Volk vertraulich intimirt, Die aber Ihn ohnlängst, wies hieß, noch nicht erreichten.346
Das Gedicht wird von der in diesen Versen zum Ausdruck gebrachten Überzeugung getragen, dass die Freiheitsrechte der Kolonisten gewahrt bleiben und sich in der britischen Regierung die Einsicht verbreitet, dass eine Steuerentlastung der Kolonien auch für das Mutterland von Vorteil wäre, da sich die Interessen beider Seiten überschneiden und kongruent bzw. sogar komplementär sind. Das poetische Subjekt ergänzt: GOTT lenke nur des Hohen Reichs-Raths Herzen, Daß unser Drangsal sie auch möge schmerzen, Und sie der übermachten Lasten uns befrey’n, Indem ja unser Wohl das ihrige wird seyn.347
344 Ebd. 14. Strophe. 1.–3. Vers, S. [1] [G99]. 345 [Miller?]: Des Herumträgers des Staatsboten Neujahrs-Wunsch, bey seinen resp[ectablen] Geehrten Kundleuten abgelegt den 3ten Jenner, 1769. 3. Strophe. 5. Vers, S. [1] [G112]. 346 Ebd. 3. Strophe. 1.–8. Vers, S. [1] [G112]. 347 Ebd. 3. Strophe. 9.–12. Vers, S. [1] [G112].
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Der Sprecher greift in der folgenden Strophe erneut das Bild des Vater- bzw. ElternKind-Verhältnisses zwischen der Regierung und den Untertanen auf, wiederholt die Segensbitte für die Obrigkeit sowie seinen Wunsch nach einer gerechten und friedfertigen Gesellschaftsordnung, die das Prosperieren der Einwohner ermöglichen soll. Er erklärt: GOTT segne unsre Landes-Oberkeit Mit Weisheit, ein frey Volk so zu regieren, Daß zwischen ihm und ihr Einträchtigkeit, Zu beyder Ruhm und Nutzen mag floriren; Daß sich Gerechtigkeit und Friede küssen mag; Daß sie, nach ihren elterlichen Pflichten, Ihr Auge mag auf unser Wohlseyn richten, Und wir auch, kindlichen Gebühren nach, Ja, unseres selbsteignen Vortheils wegen, Die Regiments-last ihr erleichtern mögen, Und für ihr hohes Wohlergehn Inbrünstiglich zum Höchsten flehn.348
Die hier noch erkennbare obrigkeitskompatible Haltung hinderte Miller allerdings nicht daran, bereits zuvor in seinem Americanischen Calender Auf das 1767ste Jahr Christi zum Monat Januar ein Kalendergedicht abzudrucken, in dem das 1766 abgeschaffte Stempelsteuergesetz mit dem Bösen in Verbindung gebracht wird. Der Sprecher artikuliert seine Hoffnung auf die Liberation von allem Maliziösen wie vom Stamp Act und gibt an: Glück zu zum Neun Gnaden-Jahr, American’sche Christen-Schaar! GOTT mach’, wie von der Stämpeley, Uns von all anderm Bösen frey; Und herzlich dankbar für die Gaben, Die wir bisher empfangen haben; Mit Bitte, daß der liebe HERR, Uns künftighin noch mehr bescher’.349
In Anbetracht der Zuspitzung des Konfliktpotentials zwischen der britischen Regierung und den nordamerikanischen Kolonien zeigte sich mit fortschreitender Zeit allerdings immer häufiger die Diskrepanz zwischen den beiden Lagern und die Verhärtung der eigenen Positionen, die schließlich zum offenen Bruch
348 Ebd. 4. Strophe, S. [1] [G112]. 349 [Anonym]: [Glück zu zum Neuen Gnaden-Jahr], S. [3] [G98].
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mit dem König führten. Diese Entwicklung ist auch in den von Miller in seinen Periodika angedruckten Gedichten und Artikeln nachzuverfolgen. Während des Unabhängigkeitskrieges publizierte der Deutsch-Amerikaner immer wieder Texte, die seine offene Unterstützung der Patrioten erkennen ließen. Bereits zu Beginn der militärischen Auseinandersetzungen350 druckte er auf einem Flugblatt ein aus 21 Strophen bestehendes Gedicht mit dem Titel Ein Lied gegen das unrechte Verfahren des Königs, gegen America (G103), das mit großer Wahrscheinlichkeit von ihm selbst verfasst wurde.351 Das die Kollektivform verwendende poetische Subjekt reflektiert darin die historischen Ereignisse, die zur aktuellen Situation geführt haben und wendet sich direkt an den britischen König, der unmittelbar in der zweiten Person apostrophiert wird (z. B. „ACH König was thust dencken,“352, „Nun König du wirst sehen,“353 und „Nun König was thust sagen,“354). Der Sprecher thematisiert die Frage nach der rechtlichen Fundierung der als Unterdrückung wahrgenommen monarchischen Regierung („Woher hast du ein solches recht, / Zu unterdrucken deine Knecht, / Die doch sind frey, / Von der Untreu.“355). Er weist eine Verantwortung des Volkes für die aktuelle negative Lage von sich („Wir haben es doch nicht verschuld,“356) und erinnert an die Kooperationsbereitschaft der Kolonisten zur Erhaltung des Friedenszustandes nach der Stationierung von Truppen in Nordamerika („Dein Kriegs-Volk ist gekommen, / Man hat es aufgenommen / Mit aller Unterthänigkeit, / Weil man verl[a]ngt mit dir kein Streit,“357). Gleichzeitig verweist das kollektive poetische Subjekt auf die Existenz einer eigenen umfangreichen militärischen Streitmacht sowie ihre Bereitschaft zum legitimen gewaltsamen Protest, die sich infolge der ungerechten Behandlung durch den Monarchen ergibt („Nun König was thust sagen, / Wilt du es mit uns wagen, / Hat dann die Ungerechtigkeit / Bis hieher dich noch nicht gereut“358). Und in der 13. Strophe ist zu lesen:
350 Zur Frage nach der Datierung des Gedichtes gab William Pencak an: „The song undoubtedly dates to sometime between the Battle of Bunker Hill in Boston (June 1775) and March 1776, when Gage was cooped up there by patriot forces.“ Pencak: Appendix, S. 371. 351 So vermutete auch Pencak: „Miller was […] the publisher, if not the author, of the song […].“ Pencak: Appendix, S. 370. 352 [Miller?]: Ein Lied gegen das unrechte Verfahren des Königs, gegen America. 1. Strophe. 1. Vers, S. [1] [G103]. 353 Ebd. 8. Strophe. 1. Vers, S. [1] [G103]. 354 Ebd. 18. Strophe. 1. Vers, S. [2] [G103]. 355 Ebd. 1. Strophe. 5.–8. Vers, S. [1] [G103]. 356 Ebd. 3. Strophe. 5. Vers, S. [1] [G103]. 357 Ebd. 4. Strophe. 1.–4. Vers, S. [1] [G103]. 358 Ebd. 18. Strophe. 1.–4. Vers, S. [2] [G103].
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Wir haben schon viel tausend Mann, Die fertig sind zu gehen an Mit allem Recht, Zu dem Gefecht.359
Der Sprecher bittet um die Intervention Gottes, die bei den Widersachern zur Einsicht in das eigene Fehlverhalten und schließlich zu einer Änderung ihrer Politik führen soll („Der Herr geb das Gedeyen / Daß doch bald möge reuen / Den König und das Parlament, / Das Unrecht das sie zuerkannt,“360). Er wiederholt sein Festhalten am Widerstandsrecht, das seiner Ansicht nach auch eine gewaltsame Komponente aufweisen darf und dessen Ausübung in Anbetracht der jüngsten Entwicklungen als den Kolonisten aufgezwungene, gerechtfertigte Selbstverteidigung dargestellt wird („Ob es uns zwar von Hertzen leyd, / So müssen wir doch nun zum Streit, / Zu bleiben frey, / Von Sclaverey.“361 und „Weil man uns doch thut zwingen, / Vor unser Recht zu ringen,“362). Das poetische Subjekt versucht einen Keil in die geschlossene Front seiner Opponenten zu treiben, wenn es dem König zum Vorwurf macht, sich durch das britische Parlament blenden zu lassen und diesem damit die Hauptlast der politischen Verfehlungen zuschreibt. In der zweiten Strophe behauptet es: Wie läßt du dich doch blenden, Durchs Parlamentes Gründen, Die doch fürwahr dich immerdar Nur setzen in sehr grosse Gefahr; Sie setzen das Recht ausser Acht, Damit wirst du in Schand gebracht, Hier in der Zeit Und Ewigkeit.363
Im Gegensatz hierzu akzentuiert das Gedicht die Einheit der amerikanischen Freiheits- bzw. Widerstandsbewegung („Das gantze Land ist schon bereit / Zu ziehen gegen dich in Streit,“364 und „Der Freyheits Geist ist gantz verpicht, / Nichts mehr ist das ihn unterbricht“365) und postuliert zur Unterstreichung dieser Aussage eine Unterstützung sogar durch die Anhänger von eigentlich pazifistischen religiösen
359 Ebd. 13. Strophe. 5.–8. Vers, S. [2] [G103]. 360 Ebd. 21. Strophe. 1.–4. Vers, S. [2] [G103]. 361 Ebd. 7. Strophe. 5.–8. Vers, S. [1] [G103]. 362 Ebd. 13. Strophe. 1 f. Vers, S. [2] [G103]. 363 Ebd. 2. Strophe, S. [1] [G103]. 364 Ebd. 8. Strophe. 5 f. Vers, S. [1] [G103]. 365 Ebd. 9. Strophe. 5 f. Vers, S. [1] [G103].
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Gruppen wie den Quäkern und Mennoniten („Die Quäcker und Mänisten, / Die thun sich auch nun rüsten, / Die niemahl nicht gedacht daran, / Die legen nun die Waffen an:“366). Der Sprecher konstatiert nicht zuletzt die Entschlossenheit und Unerschütterlichkeit der Kolonisten sowie ihre bis zur ultimativen Konsequenz reichende Bereitschaft zum Kampf („Wir werden wohl vor unser Recht / Nicht lassen nach in dem Gefecht, / So lang ein Mann / Noch fechten kann.“367). In den letzten Strophen findet die bereits zuvor artikulierte metaphysische Referenz und Anrufung Gottes („O grosse Noth, / Hilff lieber Gott.“368) schließlich eine finale Ausdrucksform in der Prolepse eines Gottesurteils, das dem Geschehen und respektive dem amerikanischen Widerstand eine sakrale Komponente zuschreibt („Der Himmel wird es zeigen / Daß doch zuletzt must schweigen.“369 und „Es wird der Richter aller Welt, / [Auf den wir unsre Sach gestellt] / Es zeigen an, / Wer recht gethan.“370). Die Konnotation der politischen Aussagen mit religiösen Elementen stellt einen wiederkehrenden Aspekt in der zeitgenössischen deutsch-amerikanischen politischen Dichtung dar. Einen konstitutiven Charakter besitzt die religiöse Prägung in dem ebenfalls als Flugblatt publizierten Christlichen Buß-Lied, gestellt auf den […] 20ten Julius 1775 (G102). Das anonym371 verfasste Buß-Lied entstand 1775 und thematisiert den vom Zweiten Kontinentalkongress auf den 20. Juli des Jahres terminierten Buß- und Fastentag in den Dreizehn Kolonien. Im Zuge der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung hatte es bereits in den Jahren zuvor regional begrenzte Fastentage gegeben, die häufig mit einem Protest gegen die zeitgenössische britische Kolonialpolitik verbunden waren und von der Hoffnung auf eine göttliche Intervention im Sinne der Patrioten getragen wurden. Der seit dem 10. Mai 1775 in Philadelphia tagende Zweite Kontinentalkongress beschloss am 12. Juni, einen für alle britischen Kolonien in Nordamerika gültigen Fastentag abzuhalten. In der entsprechenden, von John Witherspoon (1723–1794) verfassten und dem Präsidenten des Kontinentalkongresses, John Hancock (1737–1793), unterzeichneten Beschluss heißt es: As the great Governor of the world, by his supreme and universal providence, not only conducts the course of nature with unerring wisdom and rectitude, but frequently influences
366 Ebd. 9. Strophe. 1.–4. Vers, S. [1] [G103]. 367 Ebd. 19. Strophe. 5.–8. Vers, S. [2] [G103]. 368 Ebd. 5. Strophe. 7 f. Vers, S. [1] [G103]. 369 Ebd. 20. Strophe. 1 f. Vers, S. [2] [G103]. 370 Ebd. 20. Strophe. 5.–8. Vers, S. [2] [G103]. 371 In der Frage nach dem Autor des Textes vermute Don Yoder: „The hymn […] [was] evidently composed by one of Philadelphia’s German clergymen […].“ Yoder (Hg.): Pennsylvania German Broadside, S. 94.
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the minds of men to serve the wise and gracious purposes of his providential government; and it being, at all times, our indespensable duty devoutly to acknowledge his superintending providence, especially in times of impending danger and publick calamity, to reverence and adore his immutable Justice as well as to implore his merciful interposition for our deliverance: This Congress, therefore, considering the present critical, alarming, and calamitous state of these Colonies, do earnestly recommend that, Thursday, the twentieth day of July next, be observed by the inhabitants of all the English Colonies on this Continent, as a day of publick humiliation, fasting and prayer; that we may, with united hearts and voices, unfeignedly confess and deplore our many sins, and offer up our joint supplications to the allwise, omnipotent, and merciful Disposer of all events; humbly beseeching him to forgive our iniquities, to remove our present calamities, to avert those desolating judgements with which we are threatened, and to bless our rightful Sovereign, King George the Third, and inspire him with wisdom to discern and pursue the true interest of all his subjects, that a speedy end may be put to the civil discord between Great Britain and the American Colonies, without further effusion of blood; and that the British Nation may be influenced to regard the things that belong to her peace, before they are hid from her eyes; that these Colonies may be ever under the care and protection of a kind Providence, and be prospered in all their interests; Representatives of the people in the several Assemblies and Conventions, that they may be directed to wise and effectual measures for preserving the union, and securing the just rights and privileges of the Colonies; that virtue and true religion may revive and flourish throughout our land; and that America may soon behold a gracious inter position of her invaded rights, a reconciliation with the Parent state on terms constitutional and honourable to both; and that her civil and religious privileges may be secured to the latest posterity. And it is recommended to Christians of all denominations, to assemble for publick worship, and to abstain from servile labour and recreation on said day.372
In diesem Zusammenhang hob Derek H. Davis exemplarisch die Reaktionen von John Adams auf den geplanten Fastentag hervor. In einem Brief an seine Frau Abigail teilte er mit: „We have appointed a continental Fast. Millions will be upon their Knees at once before their great Creator, imploring his Forgiveness and Blessing, his Smiles on American Councils and Arms.“373 Und am 23. Juli berichtete Adams, der aus Massachusetts in Neuengland stammte: The Fast was observed here with a Decorum and solemnity, never before seen ever on a Sabbath. The Clergy of all Denominations, here preach […] in a manner that I have never heard in N[ew] England. They are a Flame of Fire. It is astonishing to me, that the People are so cool here. Such sermons in our Country would have a much greater Effect.374
372 Zitiert nach Davis: Religion, S. 85. Zum Fastentag allgemein siehe insbesondere Davis: Religion, S. 84–86. 373 John Adams an Abigail Adams. 11. 6. 1775. In: Adams Family Correspondence, S. 216. Siehe hierzu auch Davis: Religion, S. 85 f. 374 John Adams an Abigail Adams. 23. 7. 1775. In: Adams Family Correspondence, S. 254.
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Die Verordnung des Kontinentalkongresses wurde auch von zahlreichen reformierten und lutherischen deutsch-amerikanischen Gemeinden in Pennsylvania befürwortet.375 Ein Zeugnis der öffentlichen Rezeption des Buß- und Fastentages stellt das oben erwähnte, wahrscheinlich in Philadelphia gedruckte elfstrophige Gedicht dar, das eine sehr intensive religiöse Prägung aufweist, sich jedoch auch auf spezifische zeitgenössische politische Ereignisse bezieht. Bereits die ersten Strophen konstatieren die „Krieges-Fluth“376, machen deutlich, „[d]aß schon viel Blut vergossen“377 wurde und verweisen damit auf die ersten militärisch ausgetragenen Auseinandersetzungen zwischen den Kolonisten und dem britischen Mutterland in den Gefechten von Lexington und Concord (19. April 1775). Wiederholt wird Gott apostrophiert und die Bitte um seine Präsenz bzw. Unterstützung zum Ausdruck gebracht („O GOtt du wahres höchstes Gut / […] / Gib du uns allen Kraft u[nd] Muth,“378, „Darum, O GOtt! wir bitten dich,“379, „Dein Antlitz sey doch wieder nah / Bey uns in Nord-America“380 und „Amen, HErr JEsu! hilf darzu,“381). Der Text lässt einen Antagonismus zwischen Europa und der Neuen Welt erkennen, die zunächst postulierte moralische Überlegenheit Nordamerikas („Die alte Welt hat deinen Rath / Nicht nach Verdienst geehret, / Drum hat sich deine Gunst und Gnad / Zu diesem Land gekehret:“382) wird allerdings mit der Feststellung relativiert, dass diese durch die aktuellen Entwicklungen bedroht sei („Die Bruder-Liebe ist entseelt, / Die Eintracht gar zerbrochen.“383, „Daneben ist die eitle Welt / Nun wiederum erwachet:“384 und „Die Einfalt liegt darnierder, / Und dem man vormals unverzagt / Mit Mund und Hertz hat abgesagt, / Das treibet man jetzt wieder.“385). Die in der letzten Strophe an Christus gerichtete Bitte um Frieden und Einheit („Verschaffe unsern Gräntzen Ruh, / Und bring uns allzusammen“386) korrespondiert mit der Überzeugung, dass eine christlich definierte metaphysische Intervention im positiven (4. Strophe. 1.–4. Vers) wie auch negati-
375 Siehe hierzu Davis: Religion, S. 86; Gilgenast (Hg.): Pennsylvania German Broadsides, S. 22. 376 [Anonym]: Christliches Buß-Lied, gestellt auf den […] 20ten Julius 1775. in Nord-America gehaltenen Fast-Tag. 1. Strophe. 8. Vers, S. [1] [G102]. 377 Ebd. 2. Strophe. 2. Vers, S. [1] [G102]. 378 Ebd. 1. Strophe. 1. und 3. Vers, S. [1] [G102]. 379 Ebd. 3. Strophe. 1. Vers, S. [1] [G102]. 380 Ebd. 3. Strophe. 5 f. Vers, S. [1] [G102]. 381 Ebd. 11. Strophe. 11. Vers, S. [1] [G102]. 382 Ebd. 4. Strophe. 1.–4. Vers, S. [1] [G102]. 383 Ebd. 6. Strophe. 6 f. Vers, S. [1] [G102]. 384 Ebd. 7. Strophe. 1 f. Vers, S. [1] [G102]. 385 Ebd. 7. Strophe. 7.–10. Vers, S. [1] [G102]. 386 Ebd. 11. Strophe. 3 f. Vers, S. [1] [G102].
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ven Sinne („Nun aber hat sich deine Hand / Und Kraft zurück genommen: / Drum sind wir nicht mehr in dem Stand, / Dem Land zu Hilf zu kommen.“387 und „Laß Ja doch deinen gantzen Zorn / Nicht übers Land ergehen.“388) das Schicksal der Menschen bestimmen könne389 und daher eine introvertiert orientierte Inspektion des eigenen Seelenhaushaltes erforderlich macht (11. Strophe. 6 f. Vers), da hieraus die Intaktheit der Architektur der gesellschaftlichen Ethik und Moral sowie die Grundlage für den Frieden abgeleitet werden. In diesem Sinne weist das Gedicht eine kritische und mahnende Grundhaltung auf, schließt aber in Anbetracht der Erfüllung der geforderten Besinnung und Umkehr mit einer zuversichtlichen Prognose („So wird sich alle Trügerey, / Samt allem Krieg und MordGeschrey, / In unserm Land verliehren.“390). Um metaphysischen Beistand bittet auch der dezidiert patriotische Sprecher in dem wahrscheinlich 1775 als Einblattdruck verbreiteten Trauer Lied der unterdrückten Freyheit (G100). In diesem artikuliert die personifizierte Freiheit ihre Lamentation über den aktuellen politischen Zustand in der Neuen Welt und appelliert dabei an eine höhere Macht („Hör o Himmel, meine Klagen,“ 391, „Himmel wo ists je paßiret,“392 und „Himmel was thust du erlauben“393). Das poetische Subjekt394 verweist auf eine lange Geschichte, die von der Vorstellung Amerikas als Zufluchtsstätte für Flüchtlinge und Freiheitssuchende geprägt ist und bezieht sich dabei auch auf wichtige Ereignisse der Unabhängigkeitsbewegung wie den Widerstand gegen den Stamp Act (4. Strophe) und die Schlacht von Bunker Hill
387 Ebd. 6. Strophe. 1.–4. Vers, S. [1] [G102]. 388 Ebd. 8. Strophe. 3 f. Vers, S. [1] [G102]. 389 Bei der Vorstellung, dass Gott einen eschatologischen Einfluss auf den Gang der Geschichte und die Entwicklung der Vereinigten Staaten ausübt, handelt es sich um einen Topos des us-amerikanischen Selbstverständnisses. So gilt bis heute alljährlich der erste Donnerstag des Monats Mai als National Day of Prayer, an dem mit Unterstützung des Präsidenten interkonfessionell und -religiös zum Gebet für die USA aufgerufen wird. Siehe hierzu z. B. die entsprechende Erklärung des Weißen Hauses: https://www.whitehouse.gov/the-press-office/2016/05/04/presidential-proclamation-national-day-prayer-2016, 8. August 2016. 390 [Anonym]: Christliches Buß-Lied, gestellt auf den […] 20ten Julius 1775. in Nord-America gehaltenen Fast-Tag. 11. Strophe. 8.–10. Vers, S. [1] [G102]. 391 [Anonym]: Das Trauer Lied der unterdrückten Freyheit. 1. Strophe. 1. Vers, S. [1] [G100]. 392 Ebd. 5. Strophe. 5. Vers, S. [1] [G100]. 393 Ebd. 6. Strophe. 1. Vers, S. [1] [G100]. 394 Es ist nicht klar, ob es sich bei dem poetischen Subjekt, das in den neun Strophen spricht, konsequent um die personifizierte Freiheit handelt. Einige Aussagen, insbesondere in der siebten bis neunten Strophe, könnten stattdessen auch einem amerikanischen Kolonisten zuzuschreiben sein.
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(1775; „Dort ist schon das Blut geflossen, / Bey dem armen Carlestaun,“395). Vor dem Hintergrund der politischen und militärischen Auseinandersetzungen zwischen den nordamerikanischen Kolonien und dem britischen Mutterland bezieht die anthropomorphisierte Freiheit dabei dezidiert Position. Sie nimmt eine ausschließlich amerikanische Perspektive ein und verurteilt das Verhalten der Briten aufs Schärfste. Das poetische Subjekt spricht in der sechsten Strophe von „Greuel“396 und des „Feindes Mord Gethöne“397, nachdem es sich bereits in der vorhergehenden Strophe mit den Worten entrüstet gezeigt hat: Himmel wo ists je paßiret, Auf der gantzen weiten Erd, Daß ein Mutter massacriret Ihre Kinder mit dem Schwert.398
Die sog. Söhne der Freiheit (Sons of Liberty), deren Verhalten durch ihre staatsrechtliche und moralische Superiorität validiert wird („Recht ist unsre SiegesFahne, / Unschuld unser Feld-Panier,“399), erscheinen demgegenüber als Verfechter der elementaren, bereits von John Locke postulierten, naturrechtlich garantierten und unverbrüchlichen Freiheitsrechte „Leben, Freyheit“400 und „Eigenthum“401. Wie bereits in der ersten Strophe, beruft sich das poetische Ich auch in diesem Zusammenhang auf die „Ahnen“402 als eine Quelle der Legitimität. Der Verweis auf eine weitreichende Genealogie als geschichtlich begründete Autorität, unterstreicht die Rechtmäßigkeit der Position der Kolonisten, stellt ihre Situation in einen transsingulären metaepochalen Zusammenhang und schafft eine spezifisch amerikanische Historizität sowie ein hieraus erwachsendes Selbstverständnis, das gerade auch vor dem Hintergrund des Antagonismus zu den europäischen Verhältnissen das Bewusstsein einer historisch fundierten Kollektivität generiert. Das poetische Subjekt adressiert anschließend die „Freyheits Kinder“403, d. h. die amerikanischen Unabhängigkeitskämpfer, formuliert seine Zuversicht hinsichtlich der zukünftigen Entwicklungen („Nur getrost ihr Freyheits
395 [Anonym]: Das Trauer Lied der unterdrückten Freyheit. 5. Strophe. 1 f. Vers, S. [1] [G100]. Siehe hierzu auch Kapitel II. 396 [Anonym]: Das Trauer Lied der unterdrückten Freyheit. 7. Strophe. 4. Vers, S. [1] [G100]. 397 Ebd. 6. Strophe. 7. Vers, S. [1] [G100]. 398 Ebd. 5. Strophe. 5.–8. Vers, S. [1] [G100]. 399 Ebd. 7. Strophe. 5 f. Vers, S. [1] [G100]. 400 Ebd. 6. Strophe. 6. Vers, S. [1] [G100]. 401 Ebd. 6. Strophe. 6. Vers, S. [1] [G100]. 402 Ebd. 7. Strophe. 7. Vers, S. [1] [G100]. 403 Ebd. 8. Strophe. 1. Vers, S. [1] [G100].
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Kinder, / Unsere Hoffnung bleibet schon, / Der Triumpf bleibt uns nicht minder, / Als die Lorbern Sieges-Kron,“404), appelliert an das Durchhaltevermögen der Rezipienten („Edelmüthig ausgehalten / Auch im härtsten Wiederstand,“405) sowie an ihr patriotisches Empfinden („Laßt die Tugend nicht erkalten, / Streit vor euer Vaterland.“406) und artikuliert schließlich seine Entschlossenheit und die aus seiner Willensbekundung hervorgehende Radikalität und Exklusivität der zum Ausdruck gebrachten Optionen („Diesen Wahl-Spruch will ich machen, / Tod oder frey, will ich seyn.“407). Von diesem Geist ist auch ein wahrscheinlich 1775 in Pennsylvania als Einblattdruck publiziertes408 Gedicht mit dem Titel Ein Deutscher Yänky Dudel (G101) durchdrungen, bei dem es sich um eine deutschsprachige Interpretation des Yankee Doodle handelt, der bereits während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges große Popularität genoss.409 Bei den Versen handelt es sich um einen patriotischen Ruf zu den Waffen angesichts der immanenten militärischen Bedrohung. Zehn Mal wird in den ungeraden Strophen des insgesamt neunzehnstrophigen Gedichtes warnend wiederholt: Yänke dudel – sieh dich vor Man will dich verführen; Krieg ist unsern vor dem Thor, Lerne – exerzieren.410
Und in der zweiten Strophe heißt es explizit: Schärft den Säbel putzt’s Gewehr, Macht euch viel Patronen – Kommt ein Feind von ohngefehr, So wißt ihr ihn zu lohnen!411
404 Ebd. 8. Strophe. 1.–4. Vers, S. [1] [G100]. 405 Ebd. 8. Strophe. 5 f. Vers, S. [1] [G100]. 406 Ebd. 8. Strophe. 7 f. Vers, S. [1] [G100]. 407 Ebd. 9. Strophe. 7 f. Vers, S. [1] [G100]. Siehe hierzu auch Kapitel II. 408 Zur Datierung siehe auch den Kommentar zu G101. 409 Trudy E. Gilgenast hielt fest: „The patriotic song, Yankee Doodle, was a rallying song for the American colonists in the Revolutionary War.“ Gilgenast (Hg.): Pennsylvania German Broadsides, S. 28. Der englischsprachige Text eines 1775 als Flugblatt in Boston veröffentlichten Yankee Doodle ist im Kommentar zu G101 abgedruckt. 410 [Anonym]: Ein Deutscher Yänky Dudel. 1., 3., 5., 7., 9., 11., 13., 15., 17. und 19. Strophe, S. [1] [G101]. 411 Ebd. 2. Strophe, S. [1] [G101].
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Der Deutsche Yänky Dudel ist durch eine dezidiert patriotische Grundhaltung geprägt, die eine Identifikation mit den Zielen und Idealen der Revolutionskräfte erkennen lässt („Laßt die Freyheitsfahne weh’n / Jedem Feind ein Schrecken;“412) und dabei verschiedene zeitgenössische Motive der Unabhängigkeitsbewegung aufgreift, zu der die Verunglimpfung von Loyalisten („Ein Rock soll die Toryband, / Von Theer und Federn tragen.“413) sowie die Sakralisierung der Freiheit („Seht! die Freyheitsgöttin lacht“414) gehören. Das Gedicht weist eine spezifisch deutsch-amerikanische Komponente und Prägung auf, da es die Identität der deutschsprachigen Adressaten unmittelbar tangiert. In der 14. Strophe heißt es in Anbetracht einer militärischen Operation in Kanada: Dorten winkt der Ruhm uns nur, Feinde zu besiegen; Ist, beym Styx! [ein harter Schwur!] Deutschen ihr Vergnügen.415
Und in der 16. Strophe verabschieden sich die Freiheitskämpfer mit den Worten: Hier nehmt unser Lebewohl, Alle deutsche Schönen – Den die Kugel treffen soll, Dem schenkt eure Thränen!416
Das durch seinen expliziten patriotisch-militärischen Charakter definierte Lied ist damit ein weiteres deutliches Zeugnis der nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch auf der publizistischen Ebene realisierten Partizipation der deutsch-amerikanischen Bevölkerung an der Amerikanischen Revolution.
412 Ebd. 12. Strophe. 1 f. Vers, S. [1] [G101]. 413 Ebd. 6. Strophe. 3 f. Vers, S. [1]. 414 Ebd. 10. Strophe. 1. Vers, S. [1]. 415 Ebd. 14. Strophe, S. [1]. 416 Ebd. 16. Strophe, S. [1]. Zu der auch hier thematisierten Relation von Militärangehörigen und ihren weiblichen romantischen Bezugspersonen siehe Kapitel III.14.
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5 „Freut euch dem Tage / Der der 4te July heißt, / Frey aller Plage, / Tyranney zerreißt.“ Poetischer Ausdruck patriotischer Gefühle. Die deutsch-amerikanische Unabhängigkeitstagslyrik Die oben erwähnte patriotische Lyrik Samuel Saurs enthält bereits alle wichtigen Elemente, die an der Jahrhundertwende in der deutsch-amerikanischen Memoriallyrik zur Unabhängigkeitserklärung zu finden sind. Hierzu gehören insbesondere die zum Ausdruck gebrachte Freude über das Ereignis, das Lob der Freiheit, die Erinnerung an die Leistung der als Helden gefeierten Unabhängigkeitskämpfer und Gründerväter, unter denen George Washington eine exzeptionelle Rolle zufällt sowie u. U. eine direkte oder indirekte Anspielung auf die zeitgenössischen politischen Verhältnisse, zu der auch eine Beschwörung des Einheitsgeistes gehören kann. Zu den elementarsten Bestandteilen der Unabhängigkeitstagslyrik zählen die autoaffirmative Artikulation des Glücksgefühls und in der Regel auch der Aufruf, an diesem zu partizipieren. Gottlob Jungmann und Johann Gruber (1768–1857)417 z. B. publizierten am 6. Juli 1793 in ihrer Unpartheyischen Readinger Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten ein vierstrophiges Lobgedicht auf den 4. Juli (G211), dessen ersten beiden Strophen folgendermaßen lauten: Jauchzet laut, hoch erfreut! Brüder jeder Güte Solte fröhlich seyn; Drum mit hohem Muthe Wollen wir uns freun! Jauchzet laut, hoch erfreut! Freudenreich ist unser Leben; GOtt hat uns so viel gegeben! Seht, o seht um euch her! Wie sich in den Lüften Alles freudig regt, Wie sichs auf den Triften Frey und froh bewegt! Seht, o seht um euch her! Seht! es weiß von keinem Leide. – Uns sey auch das Daseyn Freude!418
417 Zu Gruber siehe Minick: History, S. 190–197. 418 [Anonym]: Den 4ten Julii, 1793/[Jauchzet laut, hoch erfreut!]. 1 f. Strophe, S. [4] [G211].
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Ähnlich heißt es in den ersten Versen eines anlässlich der Feier des Unabhängigkeitstages 1804 am 10. Juli des Jahres im Readinger Adler veröffentlichten Liedes (G268), das auf die Melodie des President’s March verfasst wurde:419 Bey voller Becher Klang, Tön’ unser Rundgesang; Jubel schall in frohen Chören Unsrer Freyheit heut zu Ehren, – An dem Tag, da ihre Hand Kränz’ um unsre Schläfe wand. Heut sey’s Vorsaz sich zu freun, Ganz dem Frohsinn sich zu weih’n, Gram und Sorgen zu zerstreun, Durch Gesang und Wein.420
Eine Woche später, am 17. Juli, veröffentlichte der Readinger Adler erneut eine Reihe von Versen (G269), in denen der Sprecher seine Rezipienten in den ersten beiden Strophen folgendermaßen zur Feier des Unabhängigkeitstages aufruft: Auf auf ihr Brüder seyd bereit, Der frohe Tag ist da, Den man den 4ten July weih’t, Durch brave Bürger, freye Leut’ Heil dir America, heil dir America! Heut ist der Tag, der Freude bringt, Weil jeder Patriote singt: Es ist jezt frey America, Ihr Söhne von Columbia Stimmt Jubel mit uns an, stimmt Jubel mit uns an.421
419 1789 hatte Philipp Phile (ca. 1734–1793) anlässlich des Amtsantritts des ersten gewählten Präsidenten der USA, George Washington, eine Melodie mit dem Titel The President’s March komponiert, die später im Umfeld des sog. Quasi-Krieges zwischen den Vereinigten Staaten und Frankreich (siehe die Kommentare zu G222 und G229) von Joseph Hopkinson (1770–1842) mit einem patriotischen freiheitsverherrlichenden Text versehen wurde und bis ins 20. Jahrhundert als eine der inoffiziellen Nationalhymnen der USA galt. Siehe hierzu auch G391 und insbesondere den Kommentar zu G389. 420 [Anonym]: [Bey voller Becher Klang]. 1. Strophe. 1.–10. Vers, S. [3] [G268]. 421 [Anonym]: [Auf auf ihr Brüder seyd bereit]. 1 f. Strophe, S. [2] [G269].
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Den Strophen wurde in der Zeitung ein mit dem Titel „Der 4te July.“422 versehener Bericht vorangestellt, der Aufschluss über die Feierlichkeiten des Jahrestages der Unabhängigkeitserklärung in der überwiegend von Deutsch-Amerikanern bewohnten Region um Hamburg im Osten Pennsylvanias gibt. In dem Beitrag konnte man lesen: Bey einer Versammlung einer Anzahl Einwohner der Stadt Hamburg und deren Nachbarschaft, an dem Hauße von Ph. Meyer oberhalb Hamburg, um den 4ten July, zum Gedächntniß der americanischen Freyheit zu feyern, wurde John Meyer, Esq[uire] zum Präsidenten, H[e]r[r] William Bell zum Vice-Präsidenten und Bernhard Kepner, jun[ior] Esq[uire] zum Secretair erwählt, und folgende Gesundheiten (unter Gesängen, welche für diese Gelegenheit schicklich waren) von der Gesellschaft gegeben und getrunken.423
Der Mitteilung folgte der Abdruck von 17 „Gesundheiten“424, d. h. Trinksprüchen, die dem Gedicht unmittelbar vorangestellt sind und eine dezidiert patriotische Einstellung zum Ausdruck bringen. So lauten beispielsweise die „Gesundheiten“ 1–5 sowie 10–12: 1. Der Tag, den wir feyern – Möge die ehrenvolle Begebenheit deßelben nie in Vergeßenheit gerathen. 2. Die Vereinigten Staaten von America – Mögen sie das Muster ächter Freyheit für die Welt seyn und bleiben, bis die Zeit aufhört zu seyn. 3. Der Präsident der Vereinigten Staaten – Möge Tugend, Freyheit und Gleichheit die Richtschnur seiner Handlungen seyn. 4. Der Staat von Pennsylvanien, die Blume von America – Möge derselbe immer einen hohen Rang in der Union behaupten. 5. Der Gouvernör von Pennsylvanien – Möge er standhaft und unpartheyisch seyn und bleiben. […] 10. Das glorreiche Andenken des unsterblichen Waschington – Mögen seine Dienste nie vergeßen und mögen seine Tugenden allezeit nachgeahmt werden. 11. Ewiges Leben allen Patrioten und Unterstüzern ächter Freyheit. Ewiger Tod allen Tyrannen und allen die nach der Oberherrschaft ringen.
422 [Anonym]: Der 4te July, S. [2]. 423 Ebd. 424 Vgl. hierzu folgenden Eintrag bei Adelung: „Die Gesundheit […]. 2) Die Anwünschung der Gesundheit beym Trunke, und in weiterer Bedeutung, jede Formel, deren man sich beym Trinken oder im Zutrinken bedienet. Eine Gesundheit ausbringen, sie den Gästen zutrinken. Die Gesundheiten gehen herum.“ Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 2, Sp. 641.
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12. Die Helden und Patrioten von ’76 – Möge ihre Tapferkeit und ihre Thaten in unsern und in den Herzen unserer Nachkommenschaft aufgezeichnet stehen.425
Die Artikulation der Begeisterung, zu der die jeweiligen Sprecher auch ihre Adressaten in den Gedichten zum Unabhängigkeitstag aufrufen, wird in der Regel mit der Freude über die errungene Freiheit verbunden. In einem dem eben zitierten Lobgedicht folgenden Lied (G270) lautet der Anfangsrefrain: Freut euch dem Tage Der der 4te July heißt, Frey aller Plage, Tyranney zerreißt.426
Die Konstatierung der in der Neuen Welt etablierten Freiheit, die bis heute als integratives Element der Staatsgründung und -konstitutionalisierung sowie als spezifisches Charakteristikum der amerikanischen Gesellschaftsordnung wahrgenommen wird, zählt zu den Schlüsselaspekten des amerikanischen Selbstverständnisses und wurde von der deutschsprachigen Bevölkerung in den Vereinigten Staaten, die sich zu den Werten ihrer (neuen) Heimat bekennen wollte, übernommen. So beschwört der Sprecher in dem bereits erwähnten, am 10. Juli 1804 im Readinger Adler abgedruckten Lied (G268): Und Begeisterung durchdringe Jedes Herz und jeder singe: „Es lebe Freyheit! unser Muth Beschirme sie mit Guth und Blut.“427
Die letzten beiden Verse, die den Endkehrreim des Gedichtes darstellen, unterstreichen die Bereitschaft, die errungene Unabhängigkeit und das erworbene Selbstbestimmungsrecht entschieden, notfalls auch unter Einsatz der eigenen physischen Unversehrtheit, mit „Blut“428, zu verteidigen. Immer wieder finden sich in der deutsch-amerikanischen patriotischen Lyrik Sympathiebekundungen für den Freiheitsgedanken. Der Sprecher eines im Juli 1803 im Readinger Adler abgedruckten panegyrischen Gedichtes (G262) erinnert
425 [Anonym]: Der 4te July, S. [2]. 426 [Anonym]: [Freut euch dem Tage]. Anfangsrefrain, S. [2] [G270]. 427 [Anonym]: [Bey voller Becher Klang]. 1. Strophe. 11.–14. Vers, S. [3] [G268]. 428 Ebd. 1. Strophe. 14. Vers, S. [3] [G268].
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an den Zäsurcharakter der Unabhängigkeitserklärung, die als Befreiung aus der Sklaverei gefeiert wird und erklärt: Heut ist es sieb’n und zwanzig Jahr, Daß dieser Tag der erste war, Da man losriß von Sclaverey Und nennt sich ein’ Republik frey. Drum Brüder so bedenkt es recht, Daß wir sind frey und keine Knecht’; Und feyert so mit großer Freud’ Den Tag der Unabhängigkeit.429
Die Notwendigkeit der hohen Wertschätzung der Freiheit sowie den ethischmoralisch verantwortungsvollen Umgang mit ihr macht er anschließend mit den Worten deutlich: Die Freyheit ist ein edles Ding; Man sollt’ sie schäzen nicht gering Und sie gebrauchen tugendhaft, Daß man nicht wird zu Schand gemacht.430
Von Sklaverei in der prärevolutionären Zeit unter den Briten, deren Herrschaft als „Tyranney“431 bezeichnet wird, spricht auch das poetische Subjekt eines am 9. Juli 1805 im Readinger Adler abgedruckten Gedichtes (G276), dessen ersten beiden Strophen folgendermaßen lauten: Auf diesen Tag bedencken wir, Was uns ist Gut’s geschehn; Deswegen sind wir heut auch hier, Daß andre auch verstehn, Daß diesem Tag in unserm Land Heil wiederfahren ist – So machen wir auf’s Neu’ bekannt, Daß es in Freyheit ist. Von aller solchen Sclaverey, Worinn wir lagen fest;
429 [Anonym]: [Heut ist es sieb’n und zwanzig Jahr]. 1 f. Strophe, S. [3] [G262]. 430 Ebd. 3. Strophe, S. [3] [G262]. 431 [Anonym]: [Auf diesen Tag bedencken wir]. 2. Strophe. 3. Vers, S. [2] [G276].
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Ja, von der Britten Tyranney Sind wir befreyet jezt. Dies ist auf diesen Tag geschehen, Der Vierter July heißt, Daß wir ganz in der Freyheit stehn, Ja, ganz in Sicherheit.432
Seine Verehrung der Freiheit artikuliert der Sprecher des am 17. Juli 1804 publizierten Gedichtes (s. o.; G269), indem er sie metaphorisch eine „rechte Braut“433 nennt und seine Rezipienten, die er als „Brüder“434 apostrophiert, geradezu dazu aufruft, mit ihr in ein Liebesverhältnis einzutreten. Der Sprecher konstatiert zunächst die Independenz der Vereinigten Staaten („Frey ist America, frey bleibt America!“435), um schließlich in der finalen Strophe zu verkünden: Drum Brüder, auf und jauchzet laut, Freyheit das ist die rechte Braut; Küßt, drückt und herzt sie inniglich, Verehret sie fast ewiglich! Dann geht es euch auch wohl, dann geht es euch auch wohl.436
Mit einer sakralen Komponente wird der Freiheitsbegriff schließlich in einem fünfstrophigen Gedicht versehen, das den Titel America’s Freyheit (G248) trägt und in dem von Jacob Schneider in Reading gedruckten Americanischen Calender Auf das Jahr Christi 1801 veröffentlicht wurde. Dabei erschienen die Verse nicht dezidiert anlässlich der Feier des Unabhängigkeitstages, sondern sie stellen eine allgemeine Wertschätzung der amerikanischen Autonomie dar. In der letzten Strophe ermahnt das poetische Subjekt seine auch hier als „Brüder“437 angesprochenen Rezipienten, die als „America’s Heiligthum“438 bezeichnete Freiheit niemals zu entsakralisieren und die Bereitschaft aufzubringen, für sie zu kämpfen sowie sogar das Leben zu lassen. Die finalen Verse, die an die zweite Strophe
432 Ebd. 1 f. Strophe, S. [2] [G276]. 433 [Anonym]: [Auf auf ihr Brüder seyd bereit]. 11. Strophe. 2. Vers, S. [2] [G269]. 434 Ebd. 11. Strophe. 1. Vers, S. [2] [G269]. 435 Ebd. 10. Strophe. 5. Vers, S. [2] [G269]. 436 Ebd. 11. Strophe, S. [2] [G269]. 437 [Anonym]: America’s Freyheit. 5. Strophe. 2. Vers, S. [31] [G248]. 438 Ebd. 5. Strophe. 1. Vers, S. [31] [G248].
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von Schubarts Freyheitslied eines Kolonisten (G172) erinnern,439 lauten dementsprechend: Freyheit! America’s Heiligthum – Entweiht sie, Brüder, nie; Denkt nur an euren alten Ruhm, Lebt, fecht und sterbt für sie.440
In der deutsch-amerikanischen Unabhängigkeitstagslyrik finden sich auch Beispiele, in denen die Verherrlichung der Freiheit und gleichzeitig die Frage nach der eigenen Identität thematisiert werden. Wilhelm Wagners Kasualgedicht Zur Feier des 4. Juli 1834 setzt mit der für die Unabhängigkeitstagslyrik typischen Artikulation der emotionalen Erregung angesichts des Feiertages ein und wendet sich dann dem Lob der Freiheit zu: Willkommen, willkommen, o herrlicher Tag! Uns Deutschen sei herzlich willkommen! Ein großes Volk kühn die Ketten brach, Die Flamme der Freiheit erglommen.441
Bei Wagners Gedicht handelt es sich allerdings auch um ein Bekenntnis zur deutschen Herkunft, die mit einer dezidierten Absage an eine Bindestrich-Identität (als sog. Hyphenated American) in der neuen Heimat „Neu-Deutschland“442 verbunden wird. So lautet die zweite Strophe: Hinweg mit Thyrannen und Fürsten-Tand! Wir wohnen auf glücklicher Erde; Uns umschlingt ein inniges deutsches Band: Neu-Deutschland erblühe! – es werde Kein Zwittergeschlecht auf Kolumbia’s Schooß, Nur als Deutscher bleibet der Deutsche groß.443
439 Die Strophe lautet: Die Göttinn Freyheit mit der Fahn – (Der Sklave sah sie nie) Geht – Brüder sehts! sie geht voran! O blutet vor sie! Schubart: Freyheitslied eines Kolonisten. 2. Strophe, S. 507 [G172]. Siehe Kapitel II. 440 [Anonym]: America’s Freyheit. 5. Strophe, S. [31] [G248]. 441 Wagner: Zur Feier des 4. Juli 1834. 1. Strophe. 1.–4. Vers, S. 379. 442 Ebd. 2. Strophe. 4. Vers, S. 379. 443 Ebd. 2. Strophe, S. 379.
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Zu den ebenfalls wiederkehrenden Elementen dieser „Unabhängigkeitstagslyrik“ gehört die Artikulation des Respekts vor dem Engagement der Kriegsveteranen, denen häufig der Heldenstatus zugesprochen wird. Das poetische Subjekt des 1803 im Readinger Adler veröffentlichten Gedichtes (s. o.; G262) weist seine ebenfalls als „Brüder“444 apostrophierten Zuhörer bzw. Leser mit den folgenden finalen Versen auf die Verdienste der Vorgängergeneration bei der Erringung der Freiheit hin: Drum, Brüder! so bedenkt es ächt, Daß uns’re Väter dieses Recht Erkauft mit Blut und Tapferkeit, – Drum fey’rten wir mit gröster Freud.445
Und in dem auf die Melodie des President’s March verfassten Lied (s. o.; G268) heißt es: Bey voller Becher Klang, Rühm’ unser Rundgesang Helden, die für Freyheit starben, Durch ihr Blut dieß Guth erwarben; Ihr Gedächtniß sey uns werth, Von der Nachwelt noch verehrt. Wenn der Thaten Nachhall klingt, In den Kreiß von Enkeln dringt, Der der Freyheit Lieder singt, Die ihm alles dünckt, Töne auch in ihren Kreise Einst, nach ihrer Väter Weise: „Es lebe Freyheit! unser Muth Beschirme sie mit Guth und Blut.“446
Der Sprecher des bereits oben zitierten, am 9. Juli 1805 im Readinger Adler abgedruckten Gedichtes (G276) würdigt in der dritten und vierten Strophe, die durch das gleichlautende Anfangswort verbunden sind, die unterschiedlichen Stufen der militärischen Hierarchieebenen, wenn er einerseits auf „die Generale“447 und
444 [Anonym]: [Heut ist es sieb’n und zwanzig Jahr]. 2. Strophe. 1. Vers und 9. Strophe. 1. Vers, S. [3] 445 Ebd. 9. Strophe, S. [3] [G262]. 446 [Anonym]: [Bey voller Becher Klang]. 2. Strophe, S. [3] [G268]. 447 [Anonym]: [Auf diesen Tag bedencken wir]. 4. Strophe. 1. Vers, S. [2] [G276].
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andererseits auch auf „uns’re Vorfahr’n“448 verweist, mit denen offensichtlich auch die niederen militärischen Ränge gemeint sind und erklärt: Auch ehren wir die Generale, Die mit dem Patriot, Als Washington, in Gleichheit waren Und ihre Treu erprobt. Aus Liebe zu America, Als unserm Vaterland, Kehrten sie sich zu den Britten nah, Brachten sie unter ihre Hand. Auch loben wir uns’re Vorfahr’n, Die dort zu jener Zeit Unter Washingtons Commando war’n Fochten mit Standhaftigkeit, Welch’s uns und unsern Kindern gut Auf Lebenszeiten bleibt Und bringt uns in ganz frohen Muth, Ja, alle Furcht vertreibt.449
448 Ebd. 5. Strophe. 1. Vers, S. [2] [G276]. 449 Ebd. 4 f. Strophe, S. [2] [G276].
VIII „O! unsterblicher Washington! ruhmvollester Held, aller noch je gelebten Helden! Erlöser und Befreyer deiner Landsleute, dir gebühret, nächst Gott dem Allmächtigen, unsterblicher Dank und unverweßliche Ehre.“ Die zeitgenössische deutschsprachige Rezeption von George Washington (1732–1799; reg. 1789–1797) Wie oben erwähnt, wird unter den Kämpfern für die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten in der deutsch-amerikanischen Unabhängigkeitstagslyrik George Washington, der bereits zu Lebzeiten in Amerika und Europa bei zahlreichen Beobachtern Bewunderung und Ansehen genoss,1 erwartungsgemäß eine besondere Rolle zugesprochen. Deutsch-amerikanische Publikationen lobten den Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee und ersten Präsidenten der USA immer wieder in den höchsten Tönen und schrieben ihm eine zentrale Rolle bei der Genese des neuen Staates zu. In der 1783 in Philadelphia erschienenen und an die hessischen Subsidientruppen gerichteten Schrift Wahrheit und Guter Rath, an die Einwohner Deutschlands, besonders in Hessen2 wurde die Würdigung des amerikanischen Generals folgendermaßen in den Superlativ gesteigert: O! unsterblicher Washington! ruhmvollester Held, aller noch je gelebten Helden! Erlöser und Befreyer deiner Landsleute, dir gebühret, nächst GOtt dem Allmächtigen, unsterblicher Dank und unverweßliche Ehre. Möchte dein patriotischer Heldenmuth in America ewig leben, und Feinde vor deinem Namen zittern!3
1 Nicht ohne Stolz konstatierte ein 1798 in dem von Henry (gest. 1797?) und Joseph R. Kämmerer (1777?–1812) herausgegebenen Philadelphischen Magazin abgedruckter Beitrag: „Ganz Europa erschallet von seinem Ruhm: und kein grösserer Beweis kan hievon seyn, als daß der größte König, Friedrich der Einzige, ihn den größten General nannte.“ [Anonym]: Lebens-Beschreibung des Georg Waschington, Esquire, letztherigen Präsidenten der Vereinigten Staaten, S. 14 f. Zur zeitgenössischen, fast ausnahmslos positiven, Washington-Rezeption in den deutschen Staaten siehe Dippel: Deutschland, S. 211–216. Zu seiner kritischen Wahrnehmung siehe allerdings auch Kapitel III.15. 2 Zu der Schrift siehe Kapitel III.9. 3 [Führer]: Wahrheit und Guter Rath, an die Einwohner Deutschlands, besonders in Hessen, S. 20. https://doi.org/10.1515/9783110644739-008
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Und in dem 1800, also unmittelbar nach dem Todesjahr des Staatsmannes, in Lancaster/Pennsylvania gedruckten Einakter Washingtons Ankunft in Elisium, der anonym „von einem Bewunderer des erblaßten Helden“4 verfasst wurde, urteilt der Totenrichter Minos in der Unterwelt: „Das Wohl der Bürger America’s ist dein Werk; kein Laster, keine unrühmliche That befleckte deinen Wandel.“5 Die Artikulation von Respektsbezeugungen gegenüber Washington, die selbst in Großbritannien, also von ehemaligen militärischen und politischen Antagonisten, bekundet wurden,6 gehört auch zu den wiederkehrenden Elementen der deutsch-amerikanischen Unabhängigkeitstagslyrik. Ein am 10. Juli 1804 veröffentlichte Lobgedicht (s. o.; G270) beginnt mit den Worten: Ein Waschington steht vornen an, Denkt was er uns hat Gut’s gethan; Stimmt Jubel an dem Waschington, Held von America.7
Und der Sprecher des 1805 publizierten Gedichtes (G276; s. o.) verkündet: Zum ersten sey uns auch geehrt Der Vater Washington;
4 [Anonym]: Washingtons Ankunft in Elisium, S. [Titelblatt]. 5 Ebd. 2. Szene, S. 11. 6 Siehe hierzu Kröger: Geburt, S. 186. 1777 konstatierte die Teutsche Chronik: „Freund und Feinde geben dem General Washington das Lob der Klugheit, und daß er bisher seine Sachen herrlich gemacht hat.“ [Miller] (Hg.): Teutsche Chronik (1777). 2. Vierteljahr. 37. Stück. 8. 5. 1777, S. 290. Diese Wahrnehmung Washingtons setzte sich im 19. Jahrhundert fort. 1839 veröffentlichte der britische Staatsmann Henry Lord Brougham (1778–1868), der 1830–1834 das Amt des Lordkanzlers bekleidet hatte, seine Historical Sketches of Statesmen who flourished in the time of George III, die 1840 in einer deutschsprachigen Übersetzung in Pforzheim gedruckt wurden. Im zweiten Band, dem das Bild des amerikanischen Gründervaters vorangestellt war, nannte der Autor Washington einen „friend of mankind“ (Lord Brougham: Historical Sketches, S. 330) und bilanzierte: „[…] [H]is eye rests upon the greatest man of our own or of any age[.]“ Ebd. In einer von Johann Christian Hüttner (1766–1847) angefertigten Übersetzung eines Berichtes des Händlers Henry Wansey (1751/52–1827) über einen Besuch beym Präsidenten Washington, der 1798 in Wielands Neuem Teutschen Merkur abgedruckt wurde, hieß es sogar: „Sein Betragen ist immer gleich unerschrocken, ehrenvoll, gerecht, vaterlandsliebend und uneigennützig gewesen, so daß seine größten Feinde keinen tadelnswürdigen Zug in seinem Karakter finden können.“ Wansey: Ein Besuch beym Präsidenten Washington (Übers.), S. 6 f. Siehe hierzu auch Kröger: Geburt, S. 186. 7 [Anonym]: [Freut euch dem Tage]. 1. Strophe, S. [2] [G270]. Wie hier erschien der Name des Gefeierten in deutschsprachigen Publikationen, gerade in der deutsch-amerikanischen Literatur, nicht selten in der „germanisierten“ Variante „Waschington“. Siehe z. B. G105, G108, G199, G215, G241, G269 f., G386, G389–G396 und G414 sowie Abb. 78.
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Der hat der Britten Macht verstöhrt, Sie bracht in Spott und Hohn. Durch seine groß’ Herzhaftigkeit Und unerschrock’nen Muth Hat er die Heßen auch zerstreu’t Genommen viel ihr Blut.8
Die Funktion des Landesvaters9 erfüllt Washington ebenfalls in einem am 17. Juli 1804 abgedruckten Gedicht (G269; s. o.), wo in der dritten Strophe an die Notwendigkeit der zeitlich infiniten Würdigung seiner Leistungen erinnert wird: Erst rühmt den Vater Waschington Und was er uns Guts gethan. Vergeßen wird er nimmermehr So lange Himmel, Luft und Meer Behalten ihren Lauf, behalten ihren Lauf.10
Während des teilweise von heftigsten Auseinandersetzungen geprägten Prozesses der Herausbildung des ersten amerikanischen Parteiensystems in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts, die sich auch intensiv auf die deutsch-amerikanische Publizistik auswirkte (s. z. B. G222, G224, G234, G237 f. und G246), diente Washington, dem in der Regel eine väterliche Superiorität über den Alltagszwistigkeiten der politischen Lager zugesprochen wurde, als kollektivbildende und einheitsstiftende Identifikationsfigur. Der Publizist Dietrich Heinrich von Bülow konstatierte 1797, dass „die Standhaftigkeit Washington’s, welcher, wie ein Fels im stürmischen Meere, unter dem Geschrei der Faktionen, die sich zu seinen Füßen zerschlagen, unerschütterlich da steht“11. Es ist kein Zufall, dass in der politisch labilen Frühphase der amerikanischen Republik, in der bundesstaatliche Partikularinteressen (States’ Rights) nicht selten zu einer latenten oder auch offen ausgetragenen Oppositionshaltung der jeweiligen politischen Kräfte gegenüber der als restriktiv empfundenen Zentralregierung führten, auch in der zeitgenössischen Unabhängigkeitstagslyrik zu einer stärkeren Akzentuierung
8 [Anonym]: [Auf diesen Tag bedencken wir]. 1 f. Strophe, S. [2] [G276]. 9 Die Bezeichnung Washingtons als Vater bzw. allgemein der Führungspersönlichkeiten der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung als „Gründerväter“ (Founding Fathers) korrespondiert mit der in den Gedichten immer wieder vom jeweiligen Sprecher an seine Rezipienten gerichteten Apostrophe „Brüder“. Das amerikanische Volk erscheint damit geradezu als gesellschaftliche Postfiguration einer Familie. 10 [Anonym]: [Auf auf ihr Brüder seyd bereit]. 3. Strophe, S. [2] [G269]. 11 Bülow: Der Freistaat von Nordamerika in seinem neuesten Zustande. Bd. 1, S. 166.
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der verbindenden statt trennenden Elemente sowie zu einer Beschwörung des in einem amerikanischen Nationalbewusstsein fundierten Einheitsgeistes führte. In dem Unabhängigkeitstagsgedicht auf „[d]en 4ten Julii, 1793“12 (G211; s. o.) verleiht der Sprecher dem Einheitsgedanken eine sakrale Aura und verkündet mit Nachdruck: Heilig ist unser Band! Dir, die uns verbunden, Tugend, danken wir, Daß in sel’gen Stunden Wir uns freuen hier! Heilig ist unser Band! Laßt getrennt nicht stets uns weinen; Jetzt wird uns Ein Land vereinen.13
Und in dem bereits erwähnten, 1805 erschienen Gedicht (G276; s. o.) heißt es: Der Congreß- und Assembly-Leut, Sowohl auch dem Senat, Wünschen wir den Geist der Einigkeit, Daß sie nur früh und spath Besorget seyn auf unser Wohl Und ihres Amtes Pflicht; Zu thun ein jeder was er soll, Zu unserm Schaden nicht.14
Bei der Wahrnehmung des ehemaligen Oberbefehlshabers der Kontinentalarmee und ersten Präsidenten der Nation als Pater Patriae, der sich fürsorglich und familiär ungeachtet der parteipolitischen Affiliationen um alle seine als Kinder bezeichneten Untertanen kümmert, handelt es sich um einen festen Topos der zeitgenössischen Washington-Rezeption, der nicht nur in der Unabhängigkeitstagslyrik auftritt.15 Tatsächlich scheint die älteste nachweisbare Darstellung
12 [Anonym]: Den 4ten Julii, 1793/[Jauchzet laut, hoch erfreut!]. Titel, S. [4] [G211]. 13 Ebd. 4. Strophe, S. [4] [G211]. 14 [Anonym]: [Auf diesen Tag bedencken wir]. 9. Strophe, S. [3] [G276]. 15 Als Vater des Vaterlandes wird Washington explizit auch in Carl Frenzels 1868 erschienenem dreibändigen historischen Roman Freier Boden bezeichnet. Dort ist über den Oberbefehlshaber, der nach dem Ende des Krieges auf das ihm angetragene Königsamt verzichtet und eine Diktatur ausschlägt, zu lesen: „‚Ein Hoch dem General, dem Retter der Republik, dem Vater des Vaterlandes!‘ So begleiteten die Rufe der Officiere den Feldherrn die Stiege hinab.“ Frenzel: Freier Boden. Bd. 3, S. 245. Siehe auch ebd., S. 248. Die Bezeichnung wird ebenso von dem deutsch-amerikanischen Pädagogen Konstantin Grebner in seinem 1901 in den Pädagogischen Monatsheften
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des Generals als Landesvater in einem deutsch-amerikanischen Periodikum publiziert worden zu sein.16 In dem von Francis Bailey 1778 in Lancaster/Pennsylvania gedruckten und David Rittenhaus (Rittenhouse; 1732–1796) herausgegebenen Gantz Neuen Verbesserten Nord-Americanischen Calender, Auf das 1779ste Jahr Christi erschien eine Abbildung, auf der in der oberen Hälfte ein geflügelter Engel zu erkennen ist (Abb. 78). Dieser trägt mit der linken Hand ein Medaillon mit einem Konterfei, das durch eine entsprechende Beschriftung als Washington zu identifizieren ist. Die aufgrund ihres Attributs als Fama bestimmbare Engelsgestalt bläst eine Posaune, die sie mit der rechten Hand hält und aus der die Worte „Des Landes Vater.“ ertönen. Die zeitgenössische Memorialkultur würdigte besonders das väterliche Auftreten der berühmten militärischen Führungspersönlichkeit gegenüber seinen Soldaten. In Samuel Saurs Americanischen Calender, Auf das Jahr Christi 1801 erschien ein Beitrag mit dem Titel Züge aus dem Leben und Character des General Georg Waschington, ehemaliger Präsident von den Vereinigten Staaten von America. In diesem wurde berichtet, dass der amerikanische General sich als „Vater gegen die verdienstvollen Soldaten“17 erwiesen hätte. Auch Matthias Christian Sprengel gab in seiner Geschichte der Revolution von Nord-America an, dass Washington „bis zur Strenge gerecht“18 und „ein wahrer Vater seiner Untergebenen“19 gewesen sei. Und in der Übersetzung von Wanseys Bericht, konnte man ebenfalls lesen, dass der General stets „[d]ie väterliche Sorgfalt für die Soldaten seines Heeres“20 erkennen ließ.21
publizierten Gedicht Washington aufgegriffen. Siehe Grebner: Washingtinton. 5. Strophe. 1. Vers, S. [110]. 16 Siehe hierzu auch Arndt – Olson: Presse. Bd. 2, S. 522; Diffenderffer: Printers, S. 63, 65; Earnest – Earnest – Rosenberry: Flying Leaves, S. 308; Münch: German-Language Almanacs, S. 62, 73 [Anm. 59]; Seidensticker: The First Century, S. 101; Stoudt: German Press, S. 86. 17 [Anonym]: Züge aus dem Leben und Character des General Georg Waschington, ehemaliger Präsident von den Vereinigten Staaten von America, S. [30]. 18 Sprengel: Geschichte der Revolution von Nord-America, S. 257. 19 Ebd. 20 Wansey: Ein Besuch beym Präsidenten Washington (Übers.), S. 7. 21 Die offensichtlich nicht elitäre und ungewöhnlich milde Behandlung auch rangniedriger Soldaten durch den Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee war bereits dem aus Ansbach-Bayreuth stammenden Subsidiensoldaten Johann Conrad Döhla ausgesprochen positiv aufgefallen. Am 4. Januar 1779 hielt er über Washington in seinem Tagebuch fest: „Er ist nicht im geringsten stolz und hochmüthig, spricht oft gütiger und freundlicher mit einer Schildwache, als mit einen [sic] Staabs-Officier.“ Döhla: Tagebuch. Eintrag 4. 1. 1779. Exkurs General Washington, S. 131 f. Und außerdem notierte er: „Er ist weichhertzig, und wohnt selten, und gar nicht gern militarischen Strafen bey, und pardonirt entweder die Verbrecher, oder nimmt, wenn er ohngefähr in derselben
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An diese väterliche Sorge bzw. Schutzfunktion appellierte der Arzt und Philosoph Johann Benjamin Erhard (1766–1827), der sich 1794, wie er mitteilte, in Anbetracht seiner Not infolge einer gegen ihn gerichteten Intrige, in einem wahrscheinlich schließlich doch nicht abgeschickten Brief an den Präsidenten der Vereinigten Staaten wandte.22 In diesem artikulierte er seinen Wunsch, den Adressaten „von Angesicht zu Angesicht zu sehen“23 und beschrieb seine auf ihn gerichteten Hoffnungen mit den Worten: „Washington! Sie können einen Menschen der Menschheit wieder geben […].“24 Erhard gab an, sich bereits in der Kindheit an dem großen Vorbild orientiert zu haben und schrieb: […] [D]ie hohe Idee, die ich schon in meinen Kinderjahren von Ihnen erhielt, als ich die Zeit[un]gen meinem Vater vorlas, die Liebe und das volle Vertrauen, das dadurch in mir entstund, der Mann, den ich von Jugend auf mit höchster Achtung verehrte, für den ich mein Leben gewagt hätte, müßte bei näherer Bekanntschaft mit mir auch mein Freund, mein zweiter Vater werden […].25
Der Verfasser des Briefes feierte Washington als den „Befreier Amerikas“26, den er „als [s]einen Erzieher liebten müßte, wie […] [er s]einen Vater lieb[t]e“27 und ergänzte: „Diese Liebe zu Ihnen, die Sehnsucht in Ihrer Nähe zu sein, Herr, Präsident, ist nun vielleicht die Ursache, daß ich mein Leben in ewiger Betrübniß hinbringen werde.“ Erhard wiederholte sein Hilfsgesuch schließlich direkt mit den Worten: „Nun, mein Vater, flehe ich um Hülfe.“28 Die Evokation dieser geis-
Gegend sich befindet, oder darauf zukömmt, einen andern Weeg, um eines solchen unangenehmen Anblicks überhoben zu seyn.“ Ebd., S. 132. Besonderen Respekt schien sich Washington auch bei den gefangenen deutschen Subsidiensoldaten durch eine vergleichsweise humane Behandlung erworben zu haben. Döhla konstatierte: „Gegen die Gefangenen, welche ihm in die Hände fallen, ist er sehr menschlich, und sorgt für ihre Verpflegung bestens.“ Ebd. 22 Die Erfolgsaussichten der Petition bewertete ein Bekannter Erhards mit den Worten: „Dein Herr Schwiegervater hat mir deinen Brief an Washington gezeigt. So romanhaft auch diese Idee bei dem ersten Anblick scheint, und so wenig auch auf einen sichern Erfolg gerechnet werden kann, so kann er doch von einigen Nutzen sein.“ Herr von Grundherr an Johann Benjamin Erhard. 14, 2. 1794. In: Ders.: Denkwürdigkeiten, S. 390. Henry Safford King bezeichnete die aus dem Brief hervorgehende Wertschätzung des amerikanischen Staatsoberhauptes als typisch unter den zeitgenössischen liberalen Intellektuellen in den deutschen Staaten. Siehe King: Echoes, S. 27. Siehe auch Weber: America, S. 27. 23 Johann Benjamin Erhard an George Washington. Februar 1794. In: Erhard: Denkwürdigkeiten, S. 384. 24 Ebd. 25 Ebd., S. 378. 26 Ebd., S. 378 f. 27 Ebd., S. 379. 28 Ebd., S. 382.
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tigen familiären Relation ist auch in der fiktionalen Literatur vorzufinden. Anlässlich „Waschingtons Geburtstag“29 formuliert z. B. der Sprecher einer lyrischen Gratulation, die am 28. Februar 1798 in der von Johann Albrecht herausgegeben deutsch-amerikanischen Wochenzeitung Der Deutsche Porcupein, und Lancäster Anzeigs-Nachrichten publiziert wurde, folgenden Trinkspruch: Bürger tretet her, Seht die glänzende Pokale, Jeder trincke seine Schaale Heut aufs Vaters Wohlseyn leer!30
In einem am 18. Juli des Jahres abgedruckten Gedicht (G392), das im zeitlichen Umfeld der Ereignisse um den sog. Quasi-Krieg entstand,31 in dem Washington durch Präsident John Adams am 7. Juli 1798 erneut als Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen eingesetzt wurde, bittet das poetische Subjekt den militärischen Kommandanten: Du, unser Vater! unsre Zier! Geh uns voran; wir folgen dir; Denn nur durch dich! sind wir die Sieger.32
Am 14. August 1798 erschien im Readinger Adler sogar ein Gedicht, das den Titel Waschington America’s Vater (G393) trägt und dessen Sprecher seinen auch hier als „Brüder“33 titulierten Zuhörern bzw. Lesern „Gottes Schutz und Waschington“34 als Losung angibt. Nachdem Washington am 14. Dezember 1799 kinderlos starb, wurde in den entsprechenden Zeitungsmeldungen, immer wieder das Bild des exemplarischen Landesvaters aufgegriffen. Während der Deutsche Porcupein vom Tod „General Georg Waschingtons, unsers alten Landesvaters“35 sprach, berichtete die von Gottlob Jungmann herausgegebene Neue Unpartheyische Readinger Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten vom Verlust „unsers Hoch-Ehrwürdigen und Ruhmvollen Vaters Georg Waschington“36 bzw. „unsers besten Freundes, des hochberühmten
29 [Anonym]: Aufs [sic] Waschingtons Geburtstag. Titel, S. [3] [G390]. 30 Ebd., S. [3] [G390]. 31 Siehe hierzu die Kommentare zu G222 und G229. 32 [Anonym]: [Hört! was der alte Vater sagt]. 3. Strophe. 4.–6. Vers, S. [2] [G392]. 33 [Anonym]: Waschington America’s Vater. 1. Strophe. 1. Vers, S. [4] [G393]. 34 Ebd. 3. Strophe. 1. Vers, S. [4] [G393]. 35 [Anonym]: Philadelphia, den 20[.] Dec[ember], S. [2]. 36 [Anonym]: [Reading, Dienstags, den 24. December], S. [2].
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und glorreichen Vaters und Patrioten“37. Ähnlich war über die Reaktionen in der Bevölkerung zu lesen: Alles, Groß und Klein, Alt und Jung, Föderale Republicaner, und wes Namens und Characters sie sich auch nannten, alle zeigten an ihren Gesichtern, das ihre Herzen voll Traurens und Mitleidens über den schnellen Abschied unsers im unsterblichen Andeknen verbleibenden Großen und Guten Vaters, und glorreichen Helden, George Waschingtons gewesen […].38
Dem Verschiedenen wurden zahlreiche literarische oder bildkünstlerische Denkmäler gesetzt, die teilweise in deutschsprachigen Publikationen abgedruckt wurden (Abb. 79 f.).39
37 Ebd. 38 Ebd. 39 Zu den am weitesten verbreiteten ikonografischen Darstellungsweisen Washingtons gehörte seine Abbildung in militärischer Uniform (Abb. 81), die auf seine Funktion als Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee während des Unabhängigkeitskrieges verwies. Michael Billmeyer druckte noch im Hoch-Deutschen Americanischen Calender, Auf das Jahr 1792 eine mit der Unterschrift „Georg Waschington, Präsident der Vereinigten Staaten“ versehene Abbildung ab, die das 1788 gewählte Staatsoberhaupt in Uniform zeigte (Abb. 82). Daneben wurden im 19. Jahrhundert von Pennsylvania-Germans („Pennsylvania Dutch“) auch sog. Fraktur-Darstellungen von Washington angefertigt, die ihn in ziviler Kleidung zeigen und ganz offensichtlich von einer der zahlreichen Kopien (Abb. 83) inspiriert wurden, die Gilbert Stuart von seinem berühmten 1796 begonnenen und nie vollendeten Washington-Portrait The Athenaeum malte (Abb. 84). Immer wieder fiel Zeitgenossen die außergewöhnliche Physiognomie Washingtons auf, der 1775 als einziger Vertreter der Kolonien in Uniform zu dem in Philadelphia tagenden Zweiten Kontinentalkongress erschien und damit bei den übrigen Delegierten bereits äußerlich einen markanten Eindruck hinterließ. Siehe hierzu auch Herre: Amerikanische Revolution, S. 127. Matthias Christian Sprengel beschrieb den Staatsmann mit den Worten: „[…] [Er] ist groß, gut gewachsen und vom starkem Gliederbau. Er hat ein längliches Gesicht, ist pockennarbig und von der Sonne verbrannt, von männlichem unternehmenden Ansehn, welches durch lebhafte blaue Augen und dunkelbraunes Haar vortheilhaft unterstützt wird. Man erkennt ihn, gleich auf den ersten Blick, für einen denkenden, bedachtsamen und entschlossenen Mann.“ Sprengel: Geschichte der Revolution von Nord-America, S. 257. Henry Wansey, der den Präsidenten persönlich kennengelernt hatte, erinnerte sich: „In seinem Aeussern ist Washington groß und hager, aber aufrecht, und hat mehr Anmuth als Würde. Er scheint sehr nachdenkend zu seyn und spricht langsam, weswegen ihn manche Leute zurückhaltend nennen[.]“ Wansey: Ein Besuch beym Präsidenten Washington (Übers.), S. 7. Und in einem im Neuen Hoch Deutschen Americanischen Calender, Auf das Jahr Christi 1801 publizierten Beitrag hieß es: „General Waschington war groß und schön gestaltet. Seine Stimme war sanft, seine Gesichtszüge mänlich und kühn, seine Augen lebhaft, sein Haar braun, das Gesicht mit etwas Blatter-Narben bezeichnet.“ [Anonym]: Züge aus dem Leben und Character des General Georg Waschington, ehemaliger Präsident von den Vereinigten Staaten von America, S. [30]. Zu einer weiteren zeitgenössischen Beschreibung des Aussehens Washingtons siehe Graf von Burk-
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Insbesondere nach seinem Tod, wurde Washington als Gründervater der amerikanischen Nation bzw. als Vater seines Volkes verehrt. Am 3. Januar 1804 erschien in der deutsch-amerikanischen Zeitung ein Neujahrsgedicht (G265), in dessen siebten Strophe Washington mit folgenden Worten zum väterlichen Segen seines Volks ansetzt: „Kommt Kinder alle her zu mir, / Empfangt von eures Vaters Hand […].“40 Damit fällt dem ehemaligen militärischen Befehlshaber und politischen Oberhaupt in dem Gedicht die Rolle einer altehrwürdigen Autoritätsperson zu. Komplementär zur Parallelisierung der Amerikaner mit dem biblischen auserwählten Volk Israel im amerikanischen Selbstverständnis (die Kolonien in der Neuen Welt bzw. die USA als City upon a Hill)41 erscheint Washington hier geradezu als Postfiguration eines alttestamentarischen Patriarchen, dem Verehrung und Dank gebührt. Aber auch jenseits des Atlantiks gehörte die Konzeption des Landesvaters, der sein Leben aufopferungsvoll in den Dienst seines Volkes und seiner Heimat stellte, zu den fest etablierten Washington-Bildern. In dem 1798 anonym veröffentlichten Roman Der Unglickliche Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka erklärt die Hauptfigur, die zahlreiche biografische Herausforderungen zu bestehen hatte, nach seiner Ankunft in „Pensilvanien“42, das er als Ort seiner Bestimmung bezeichnet: „Ich begab mich ohne Vorzug zu Washington; dieser große Mann empfing mich auf die edelste Art.“43 Hier ist es sogar Washington selbst, der dem Reisenden teilnahmsvoll anbietet, ihn wie seinen Sohn zu behandeln. Der Ich-Erzähler berichtet: Endlich brach er in rührendem Tone aus: „Sey mir willkommen, lieber, leidender Fremdling! Mein Haus ist ein Zufluchtsort für Unglückliche! Sey mein Sohn! Ich will dein Vater
hausen: [Washington], S. 400. Für Nathaniel Hawthorne (1804–1864) war die sprichwörtlich gewordene imposante Erscheinung Washingtons Anlass zu folgender pointierten Bemerkung: „Did anybody ever see Washington naked! It is inconceivable. He had no nakedness, but, I imagine, was born with his clothes on and his hair powdered, and made a stately bow on his first appearance in the world. His costume, at all events, was a part of his character, and must be dealt with by whatever sculptor undertakes to represent him.“ Hawthorne: The French and Italian Notebooks. 4. Juni 1858, S. 281. Siehe hierzu auch Banta: Theory, S. 99; Boller: Presidential Anecdotes, S. 4; Gibbon: Call, S. 107; Mayo: Myths, S. 33 f.; Meyer: Myths, S. 135; Person: Cambridge Introduction, S. 100. 40 [Anonym]: Neujahrs-Wunsch. 7. Strophe. 1 f. Vers, S. [1] [G265]. 41 Siehe hierzu auch den Kommentar zu G261. 42 [Anonym]: Der Unglickliche Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka, S. 139. 43 Ebd. Zur Darstellung Washingtons als zugänglich für europäische Reisende siehe auch Kapitel III.12.
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seyn. Bleibe bey mir, ich will für deine Einrichtung sorgen, du sollst deinen verlornen Freund in mir wieder finden[.]“44
Und weiter ist in dem Roman zu lesen: Der edle Washington nahm mich, wie ich schon gesagt habe, großmüthig bey sich auf, stellte mich seinen Freunden vor, und in Kurzem hatte die Erzählung meines Unglücks mir so die Liebe dieses einfachen, glücklichen Volkes gewonnen, daß ich unter ihnen, wie in meiner Familie lebte.45
Wie bereits zu seinen Lebzeiten setzte sich diese Rezeption Washingtons nach dessen Tod in beiden Weltteilen fort. Johann Gottfried Lucas Hagemeister (1762– 1806), der seit 1798 „Conrector in Anclam“46 war, verfasste ein im Jahre 1800 in dem von Friedrich Eberhard Rambach (1767–1826) und Ignatius Aurelius Feßler (1756–1839) herausgegebenen Journal Berlinisches Archiv der Zeit und ihres Geschmacks publiziertes Totengedicht (G398). Der Sprecher lässt darin Washington, an dessen „Vaterbusen“47 er sich sehnt, eine Apotheose zuteilwerden48 und bedient sich dabei synkretistisch zahlreicher Motive aus der antiken griechischrömischen Mythologie und der christlichen Theologie, während er dem Verstorbe-
44 [Anonym]: Der Unglickliche Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka, S. 139. Der hier Washington zugeschriebene teilnehmende Charakter korrespondiert in gewisser Weise mit der Beobachtung Wanseys, dass „[i]n seiner Miene“ (Wansey: Ein Besuch beym Präsidenten Washington [Übers.], S. 7 f.) eine „ausserordentliche Empfindsamkeit sichtbar“ (ebd., S. 8) gewesen sei. 45 [Anonym]: Der Unglickliche Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka, S. 141. 46 Hagemeister: Auf Washington’s Tod, S. 14 [G398]. 47 Ebd. 13. Strophe. 6. Vers, S. 13 [G398]. 48 Die Apotheose des verstorbenen amerikanischen Staatsoberhauptes ist nicht auf die Literatur alleine beschränkt geblieben. Bereits kurze Zeit nach dem Tod Washingtons entstanden entsprechende Abbildungen wie beispielsweise ein Stich von David Edwin (1776–1841), der im Internet unter https://npg.si.edu/object/npg_NPG.77.108 [20. Januar 2020] ansehbar ist. Die Darstellung zeigt den Gründervater in weißem, antikisierendem Gewand auf einer Wolke sitzend, während er von einem Putto mit einem Lorbeerzweig gekrönt wird. Eine der berühmtesten visuellen Darstellungen dieser Art findet sich in der Kuppel der Rotunde des US-Kapitols (Abb. 85 f.). Das von dem italienstämmigen Maler Constantino Brumidi (1805–1880) angefertigte Fresko wurde 1865 nach dem Ende des Amerikanischen Bürgerkrieges gemalt, also in einer Zeit, in der es wichtig war, den nationalen Einheitsgeist zu beschwören und die gemeinschaftsbildenden Werte und Motive zu unterstreichen. Diese Funktion konnte Washington (in der Mitte auf einer Wolke sitzend), der sowohl in den Nord- als auch Südstaaten (Washington stammte aus Virginia) größte Verehrung genoss, als panregionale Führungsfigur idealerweise erfüllen.
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nen eine herausragende Rolle in der heilsgeschichtlich bestimmten Menschheitshistorie zuschreibt und sein postmortales Schicksal in einen religiös definierten kosmologischen Lauf einbettet. So heißt es dort: […] [D]er Erd’ entrückt, Empfing das Vaterland der Götter dich, Verklärter Washington! Aeonenlang Geht deine Laufbahn durch die Himmel fort[.]49
Die metaphysische Entrückung Washingtons imaginierte in Nordamerika Mason Locke Weems (1759–1825), der mutmaßlich erste Biograf Washingtons, ebenfalls unmittelbar nach dessen Tod. In seiner Lebensbeschreibung The Life of George Washington (1800) schrieb er: Swift on angel’s wings the brightening saint ascended; while voices more than human were warbling through the happy regions, and hymning the great procession towards the gates of heaven. His glorious coming was seen afar off; and myriads of mighty angels hastened forth, with golden harps, to welcome the honoured stranger.50
Die Apotheose Washingtons stellt den Kulminationspunkt eines Sakralisierungsprozesses dar, der auf Deutsch und Englisch zu beiden Seiten des Atlantiks stattfand und eine lange Geschichte aufwies. So konstatierte Schubart bereits 1776: „Der Himmel scheint sonderlich den General Washington als einen großen Kriegs-
49 Hagemeister: Auf Washington’s Tod. 97.-100. Vers, S. 12 [G398]. Auch in einem von dem deutsch-amerikanischen Lyriker und Dramatiker Ernst Anton Zündt 1879 publizierten Gedicht, das dem ersten amerikanischen Präsidenten gewidmet ist, heißt es über ihn in der sechsten Strophe: Er war so treu, so muthig als gerecht, Zu stolz, dem Ehrgeiz je Gehör zu schenken, Ward zu den Höhen der Unsterblichkeit Von seiner Kinder Ehrfurcht er getragen[.] Zündt: Georg Washington. 6. Strophe. 3.–6. Vers, S. 266. 50 Weems: The Life of George Washington, S. 185. Zur Washington-Verehrung nach dessen Tod, z. B. in Form einer Apotheose, in englischsprachigen Washington Eulogies (Festreden) siehe insbesondere Hannemann: Klassische Antike, S. 225–244. Der Verstorbene wird in diesen, wie Dennis Hannemann in seiner Dissertation Klassische Antike und amerikanische Identitätskonstruktion. Untersuchungen zu Festreden der Revolutionszeit und der frühen Republik 1770–1815 aufzeigte, zum Exemplum Exemplorum.
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helden, uns vom Verderben zu retten, und für uns aufbehalten zu haben.“51 Diese Interpretation der Biografie des Gefeierten als metaphysisch gelenkt, setzte sich in den folgenden Dekaden fort. Während der Sprecher in Hagemeisters Totengedicht den Verstorbenen als „[e]in Werkzeug in der Hand der Vorsehung“52 feiert, bezeichnete der Autor eines Beitrages, der in dem in Philadelphia gedruckten deutsch-amerikanischen Periodikum Der Vereinigten Staaten Calender, Auf das Jahr Jesu Christi, 1802 publiziert wurde, Washingtons Anwesen Mount Vernon als „geheiligte Stätte“53. Im 19. Jahrhundert setzte sich diese Sakralisierungstendenz in größerer Quantität fort. In Franz Trellers (1839–1908) 1892 veröffentlichten „Erzählung aus dem nordamerikanischen Unabhängigkeitskriege“54 Vergessene Helden verkündet die Figur Mary ehrfurchtsvoll „mit bebender Stimme“55: „Gott führt George Washington’s Arm.“56 In Carl Frenzels historischem Roman Freier Boden ist beispielsweise im zweiten Band über den Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee zu lesen: „Sichtbarlich hat ihn der Schild des Herrn in all diesen Kriegsläufen beschützt. Schwere Wetterwolken sind gekommen und wieder verzogen, immer in ruhigem Glanze stand der Stern Washington’s am Himmel.“57 Der amerikanische General wird wie mit einem Nimbus mit einer sakralen Aura versehen, denn der Erzähler berichtet im dritten Band, nachdem Washington bekannt gegeben hat, nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges keine Diktatur anzustreben: „[…] [D]er innere Glanz seines Wesens umgab ihn mit einem Lichtgewande. Ein Hauch von seiner Selbstbeherrschung und Entsagung wehte jeden Einzelnen an und hob ihn in dieser Frist über alle Gebrechen und Begierden der Sterblichkeit empor.“58 Lorsberg, der bei der Erklärung Washingtons anwesend war, schildert einem Bekannten das Erlebte mit folgenden Worten: „O, mein Freund, bei welchem Schauspiele hast Du gefehlt! Sterbliche haben niemals ein erhabeneres gesehen!“59 Zur Postfiguration Christi wird Washington schließlich, wenn Marquis von Thouars, der den Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee bei
51 Schubart (Hg.): Teutsche Chronik (1776). 1. Vierteljahr. 13. Stück. 12. 2. 1776, S. 103 f. 52 Hagemeister: Auf Washington’s Tod. 101. Vers, S. 12 [G398]. 53 [Anonym]: Beschreibung von Mount Vernon, dem gewesenen Wohnsitze des verewigten General Waschingtons, ehemaligen Präsident der Vereinigten Staaten, S. [28]. Zur zeitgenössischen Rezeption von Mount Vernon siehe auch Sprengel: Geschichte der Revolution von Nord-America, S. 258. 54 Treller: Vergessene Helden, S. [Titelblatt]. 55 Ebd., S. 356. 56 Ebd. 57 Frenzel: Freier Boden. Bd. 2, S. 50. 58 Ebd. Bd. 3, S. 242. 59 Ebd., S. 244.
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seinen militärischen Aktionen unterstützt hat, vor seiner Rückkehr nach Frankreich bekennt: „Ich spüre in mir etwas von einem Apostel, der die neue frohe Botschaft durch die Länder trägt.“60 Der Marquis spricht dem von ihm verehrten amerikanischen General in einer nahezu alttestamentarisch anmutenden Segensszene eine metaphysische Heilskraft zu und bittet ihn: „[…] [G]eben Sie mir Ihren Segen mit auf die Fahrt.“61 Geradezu eine Deifizierung erfährt Washington schließlich, wenn auch lediglich im Irrealis, in dem Gedicht Mount Vernon (1857) des deutsch-amerikanischen Rabbiners und Pädagogen Max Lilienthal. Über die Grablege Washingtons ist dort zu lesen: Welch heil’ge Ruhe thronet An jenem heil’gen Ort, Als wenn ein Gott selbst schliefe In jenem Grabe dort.62
Einen weiteren emphatischen Höhepunkt der Washington-Verehrung stellt sicherlich ein von dem Nationalökonomen, Journalisten und Dichter Friedrich List (1789–1846)63 anlässlich der Feier von Washingtons Geburtstag am 22. Februar 1830 entstandenes Gedicht dar, das am 23. Februar des Jahres im Readinger Adler abgedruckt wurde. In diesem greift der Sprecher das topische Vater-Kind-Motiv auf, bezeichnet Washington als „Vater der Seinen“64 und stilisiert ihn, hier nun im Indikativ, zur makellosen übermenschlich-heroischen sakralen Entität, die wie Christus als Guter Hirte über seine Herde wacht.65 Die achte Strophe lautet: Es lastet kein Fehler, kein Tadel auf ihn: Ein Gott unter Menschen auf Erden. So rein kann die Weiße der Lilie nicht blühn, So treu war kein Hirt seiner Heerden.66
60 Ebd., S. 252 f. 61 Ebd., S. 253. 62 Lilienthal: Mount Vernon. 4. Strophe, S. 11. 63 Zur Biografie Lists, der sich von 1825–1833 in den Vereinigten Staaten aufhielt, siehe Rattermann: Deutsch-Amerikanisches Biographikon. Bd. 2, S. [445]–447. 64 List: Washington. 7. Strophe. 2. Vers, S. 449. 65 Vgl. hierzu das Jesuswort: „Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe.“ Joh 10,11. Siehe auch Mt 18,12–14; Lk 15,1–7; Joh 10,22–30. 66 List: Washington. 8. Strophe, S. 449.
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Die anschließende Lobpreisung und Apotheose des Verklärten in der folgenden Strophe erscheint daher auch als logische Konsequenz der vorhergehenden Elevation: O Heil ihm! der hoch jetzt am Sternenzelt Den seligen Blick auf uns wendet, Und oft, durch die Güte des Schöpfers der Welt, Uns Segen und Wohlthaten sendet.67
Verklärt wird der amerikanische General und Staatsmann in dem im Jahre 1800 von dem Mainzer Professor Franz Lehne angefertigten zwölfstrophigen Trauergedicht Todesfeier Washington’s (G399). In diesem hebt das poetische Subjekt die militärischen Leistungen des amerikanischen Generals während des als „gerechtesten der Kriege“68 bezeichneten Unabhängigkeitskampfes (1. Strophe. 2. Vers und 8. Strophe. 2. Vers) hervor und verweist auf die moralische Integrität Washingtons, dessen „Römermuth“69 für ihn außer Frage steht. Der Sprecher feiert den Verstorbenen, den er unmittelbar apostrophiert, als seines „Vaterlands Timoleon“70, hebt ihn durch die wiederholte Analogisierung mit dem antiken griechischen Vorbild („[,]Und so, wo immer deine Hülle liege, / Bleibst du America’s Timoleon.‘“71) in eine metaepochal gültige Referenzdimension, der historische Persönlichkeiten mit exemplarischem tugendhaften Verhalten, wie auch die Patrioten Joseph Warren und Benjamin Franklin (9. Strophe), angehören und lässt in einem Vergleich den Verstorbenen als Vater der Dreizehn Gründerstaaten erscheinen, wenn er voller Ehrfurcht folgendermaßen das Wort an ihn richtet: „Doch sieh herab verklärter Heldengeist! Wie wir auf’s Grab benetzte Lorbeern streuen, Die dreizehn Völker dir voll Dankes weihen Gleich Brüdern durch des Vaters Tod verwaißt.“72
Bei der Analogisierung Washingtons mit einem antiken historischen Vorbild, in dem vorliegenden Fall mit dem griechischen Staatsmann und Heerführer Timoleon (ca. 411–ca. 337 v. Chr.), handelt es sich um einen wiederkehrenden Topos
67 Ebd. 9. Strophe, S. 449. 68 Lehne: Todesfeier Washington’s. 8. Strophe. 2. Vers, S. 363 [G399]. Siehe auch ebd. 12. Strophe. 2. Vers, S. 364 [G399]. 69 Ebd. 11. Strophe. 2. Vers, S. 363 [G399]. 70 Ebd. 8. Strophe. 4. Vers, S. 363 [G399]. 71 Ebd. 12. Strophe. 3 f. Vers, S. 364 [G399]. 72 Ebd. 10. Strophe, S. 363 [G399].
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der Washington-Rezeption,73 der mit der Wahrnehmung von Washington, D.C. als Nova Roma bzw. allgemein der Vereinigten Staaten als restituiertes Antikeideal korrespondiert.74 In einem langen, aus 27 Strophen bestehenden, 1783 in der Berlinischen Monatsschrift publizierten Lobgedicht auf Die Freiheit Amerika’s (G109) feiert der Sprecher den amerikanischen General als „Herkules-Washington, / Der Freiheit Schutzgott“75. In einem Beitrag, der im Neuen Hoch Deutschen Americanischen Calender, Auf das Jahr Christi 1801 erschien, hob der Verfasser die exzeptionelle Bedeutung des amerikanischen Gründervaters mit Verweisen auf exemplarische historische Führungspersönlichkeiten hervor und erklärte: Viele Nationen sind mit patriotischen Befreyern begünstigt worden: Die Israeliten hatten ihren Moses; Rom hatte den Camillus; Griechenland den Leonidas; Schweden den Gustavus; und England hatte seine Hambdens, Russels, und Sydneys. – Allein alle diese berühmte Helden, (ob sie gleich in Erhaltung und Vertheidigung glücklich waren) haben dennoch nicht, wie Waschington, ein ganzes Reich errichtet, welches, aller Wahrscheinlichkeit nach, der Zufluchtsort und die Freystätte der Freyheit für alle diejenigen seyn wird, welche der Despotismus aus Europa vertreibt.76
Und im frühen 19. Jahrhundert vertrat der Historiker und Staatswissenschaftler Karl von Rotteck (1775–1840) in seiner Allgemeinen Geschichte vom Anfang der historischen Kenntniß bis auf unsere Zeiten über Washington die Ansicht: „[…] [Er] verband […], wie die Gefeierten der Großen Alten, mit den Talenten des Kriegers auch jene des Staatsmannes, mit den öffentlichen Tugenden des Patrioten und Republikaners auch alle Privattugenden des edelsten Menschen.“77 In Carl Frenzels Roman Freier Boden heißt es schließlich: „Washington macht die Träume wahr, die wir drüben als Knaben träumen, wenn wir von den Helden der Griechen und Römer lesen.“78 Da Washington, wie auch in den deutschen Staaten bekannt war, die Funktion des Oberbefehlshabers der Kontinentalarmee übernommen hatte,79 lagen in seiner Rezeption Vergleiche zu militärischen Führungspersönlichkeiten der
73 Siehe hierzu auch Lord Brougham: Historical Sketches, S. 334. 74 Siehe hierzu Kapitel III.12. 75 H[äber]l[in]?/H[erre]?: Die Freiheit Amerika’s. 18. Strophe. 1 f. Vers, S. 389 [G109]. 76 [Anonym]: Züge aus dem Leben und Character des General Georg Waschington, ehemaliger Präsident von den Vereinigten Staaten von America, S. [30]. 77 von Rotteck: Allgemeine Geschichte. 15. Kapitel. § 7, S. 380 f. 78 Frenzel: Freier Boden. Bd. 2, S. 92. 79 Die Teutsche Chronik berichtete am 17. April 1777: „Der Congreß hat übrigens dem General Wäschington [sic] die unumschränkte Direction des Kriegswesens aufgetragen […].“ [Miller] (Hg.): Teutsche Chronik (1777). 2. Vierteljahr. 31. Stück. 17. 4. 1777, S. 243.
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Antike nahe. In der Regel kommandierte der ranghöchste amerikanische General 80 Truppen, die den Briten und ihren Auxiliarkräften zahlentechnisch unterlegen waren,81 so dass er wie Zeitgenossen feststellten, gezwungen war, Entscheidungsschlachten zu vermeiden.82 Aus diesem Grunde wurde Washington gerne mit dem römischen Befehlshaber Quintus Fabius Maximus Verrucosus verglichen, der infolge seiner Ausweichtaktik während des Zweiten Punischen Krieges (218–201 v. Chr.) das Epitheton „Cunctator“ („der Zögerer“) erhielt. So bemerkte beispielsweise Schubart 1776 in seiner Teutschen Chronik: „Washington steht noch immer da, als der amerikanische Fabius […].“83 In den von Schiller redigierten Nachrichten zum Nuzen und Vergnügen wurde der General 1781 als „dieser americanische Fabius cunctator“84 bezeichnet, während der Offizier, Historiker und Spätaufklärer Johann Wilhelm von Archenholz in dem von ihm herausgegebenen „Journal historischen und politischen Inhalts“ Minerva die Ansicht vertrat: „Washington […] [ist] vielleicht von allen Feldherrn seit 2000 Jahren am würdigsten […] mit dem
80 Über die Autorität und Befugnisse Washingtons hielt Friedrich Wilhelm von Steuben in einem Brief am 4. Juli 1779 fest: „General Washington ist der älteste GeneralMajor; und als General en Chef sind ihm alle Vorrechte eines GeneralFeldMarschalls in andern Armeen zugestanden. Seine Auctorität ist so uneingeschränkt, als die des Statthalters in Holland immer seyn mag.“ Friedrich Wilhelm von Steuben an den Geheimen Rat […] in Hechingen. 4. 7. 1779. In: Steuben: Copia eines Schreibens von dem GeneralMajor von STEUBEN, an den Geheimen Rat … In Hechingen, S. 330. Siehe auch Wansey: Ein Besuch beym Präsidenten Washington (Übers.), S. 6. 81 1796 analysierte Dietrich Heinrich von Bülow in seinen Briefen eines Deutschen aus America: „Seine kriegerische Laufbahn kann nur beurtheilt werden, wenn man die gränzenlose Schwäche seiner Mittel kennt.“ Bülow: Briefe eines Deutschen aus America. 11. Brief, S. 397. 82 In der Teutschen Chronik konnte man am 3. April 1777 lesen: „England. Das 6te Regiment ist aus Amerika angekommen. Generalmajor Preston und andre Officiers, die gefangen waren und ausgewechselt worden sind, kamen ebenfalls mit an. Sie sagen: Wäschington [sic] vermeide eine Hauptschlacht mit Fleiß, und suche blos einzelne Partheyen zu überfallen, um die Königl[ichen] Truppen zu ermüden[.]“ [Miller] (Hg.): Teutsche Chronik (1777). 2. Vierteljahr. 27. Stück. 3. 4. 1777, S. 210. Im darauffolgenden Monat offenbarte die Zeitung: „Sein Hauptsystem ist jetzt gar kein Geheimnis mehr, nemlich die Königlichen Truppen nach und nach in kleinen Scharmützeln aufzureiben, oder doch sehr zu verringern; Und dieß gelingt ihm auch von Zeit zu Zeit ziemlich.“ Ebd. 2. Vierteljahr. 37. Stück. 8. 5. 1777, S. 290. Auch eine Woche später hieß es: „Washington mit all seinem Heer? Hat er’s doch nie ganz zusammen gezogen. Das Glück von Amerika einem einigen Treffen zu vertrauen, dazu ist Washington zu gescheid.“ Ebd. 2. Vierteljahr. 39. Stück. 15. 5. 1777, S. 308. Und im Juni berichtete die Teutsche Chronik sogar: „Washington hat vom Congreß den Befehl, sich in kein entscheidendes Treffen einzulassen; wenns seyn muß, sogar Philadelphia preis zu geben, uns sich ins Land hinauf zu ziehen, damit die Feinde durch hin und her ziehen sich selbst verzehren möchten.“ Ebd. 2. Vierteljahr. 45. Stück. 5. 6. 1777, S. 358. Siehe auch [Engelschall]: Feldzug der Hessen nach Amerika, S. 25. 83 Schubart (Hg.): Teutsche Chronik (1776). 4. Vierteljahr. 100. Stück. 12. 12. 1776, S. [785]. 84 [Schiller] (Red.): Nachrichten zum Nuzen und Vergnügen. 13. 7. 1781, S. 222.
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großen Fabius Cunctator verglichen zu werden […].“85 Der hessische Subsidienoffizier Friedrich Karl Heinrich von der Lith prognostizierte sogar, dass Washingtons „berühmter Name einst in den Jahrbüchern der Welt neben den Namen eines Epaminondas und Fabius glänzen wird […].“86 Der amerikanische Oberbefehlshaber, der „als eine der grösten militairischen Zierden des gegenwärtigen Zeitalters“87 gefeiert und dem neben „außerordentliche[n] militairischen Gaben“88 außerdem „ein von Vaterlandsliebe glühendes Herz“89 attestiert wurde, erschien zahlreichen Intellektuellen nicht selten auch als ein neuer Lucius Iunius Brutus (gest. 509 v. Chr.?), der den letzten etruskischen König aus Rom vertrieben haben soll und als „Begründer der röm[ischen] Republik“90 verehrt wurde. Brutus, der von zahlreichen Sagen umgeben ist und dessen historische Existenz von der Forschung stark in Zweifel gezogen wurde, ist in seiner Rezeptionsgeschichte stets mit einem höchsten Maß an Patriotismus und Aufopferungsbereitschaft für das Vaterland in Verbindung gebracht worden. Neben diesem als exemplarisch erachteten Patriotismus stellte für die zeitgenössischen Beobachter der Washington zugeschriebene Sieg über den König sowie die anschließende mit der Ausrufung der Republik verbundene Abschaffung der Monarchie eine deutliche Parallele zum römischen Vorbild dar. In Washingtons Ankunft in Elisium (s. o.) gehört Brutus zu den Persönlichkeiten, denen der verstorbene amerikanische Staatsmann im Jenseits begegnet. In der dritten Szene ruft der Römer voll Begeisterung: „Beim Zevs! Washington wallte einen Pfad mit mir, obgleich Jahrtausende uns trennten.“91 Und als er Washington persönlich begegnet, erklärt er: „Du bist der Kettenzerbrecher, das sagt deine Miene; Ich verehre dich. Auch ich verjagte einen übermüthigen Herrscher von seinem Thron.“92 Die hier in poetischer Form Washington entgegengebrachte und gewissermaßen mit einer sakralen Elevation verbundene Ehrerweisung durch Brutus, findet ihr Gegenstück in einem Kommentar Schubarts in der nach seiner Haftentlassung von ihm herausgegeben Vaterländischen Chronik. 1787 gelangte er
85 A[rchenholz]: General Washington auf der Reise, S. 176. 86 Friedrich Karl Heinrich von der Lith. In: Justi: Friedrich Karl Heinrich von der Lith, S. 10. Noch in Frenzels historischem Roman Freier Boden denkt die Figur Herkules: „[…] [D]ieser Washington ist ein Zauderer […].“ Frenzel: Freier Boden. Bd. 2, S. 70. 87 [Anonym]: Züge aus dem Leben und Character des General Georg Waschington, ehemaliger Präsident von den Vereinigten Staaten von America, S. [30]. 88 Ebd. 89 Wansey: Ein Besuch beym Präsidenten Washington (Übers.), S. 7. 90 Elvers: I. Brutus, Sp. 58. 91 [Anonym]: Washingtons Ankunft in Elisium. 3. Szene, S. 15. 92 Ebd. 4. Szene, S. 24.
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darin zu dem Schluss: „Washington ist mehr als Brutus, und so lange sein Geist in diesen Freien athmet, so lange werden sie gros und unüberwindlich bleiben.“93 Neben Fabius Cunctator und Brutus gehörte, wie bereits am Beispiel oben zu sehen war, der als Befreier und Held gefeierte griechische Heerführer Timoleon zu den antiken Vergleichsfiguren, mit denen Washington parallelisiert wurde. In dem von Johann Ritter in Reading/Pennsylvania herausgegebenen Neuen, Americanischen Landwirthschafts-Calender, Auf das Jahr unsers Heilands JEsu Christi, 1819 erschien ein mit dem Titel Timoleon und Waschington versehenes Gedicht, das einen pointierten emphatischen Kulminationspunkt des poetischen Vergleichs beider Staatsmänner darstellt. Darin bekennt das lyrische Ich: „Vor allen andern ist mein Held Timoleon, / Der einst Sicilien von fremdem Joch befreyet[.]“94 Und es ergänzt: Er nahm Sicilien Carthago’s Feßeln ab, Nicht, um die seinigen dafür ihm anzulegen; Ein Freund der Freyheit und der Gleichheit bis in’s Grab, Blieb er die Lust des Volks, des Landes Ruhm und Segen.95
Anschließend zieht der Sprecher eine Parallele zum amerikanischen Pendant und gibt an: Und der hochherzige, der edle Waschington, Der von dem Joche herrsch- und eigensücht’ger Britten America befreyt, der wie Timoleon Für Menschheit, Vaterland und Freyheit nur gestritten! Der, fern von Eigensucht, als Held und Haupt vom Staat[,] Bewies, wie er des Landes Wohl und Freyheit liebte; Und der, nicht minder groß, als er zurücke trat, Die sanften Tugenden des stillen Bürgers übte!96
Besonders erwähnenswert ist, dass die hier eben zitierte sechste Strophe des Gedichtes ein Motiv tangiert, das mit Lucius Quinctius Cincinnatus, der am häufigsten genannten antiken Vergleichsfigur Washingtons, in Verbindung zu setzen ist. Livius (ca. 59 v. Chr.-ca. 17 n. Chr.) berichtet in seiner Römischen Geschichte (Ab Urbe Condita III,26–29), dass die Senatoren Cincinnatus in Anbetracht der militärischen Bedrohung durch die Aequer, Sabiner und Volsker 458 v. Chr. zum
93 Schubart (Hg.): Vaterländische Chronik (1787). 1. Vierteljahr. 2. Stück. Juli, S. 10 f. 94 [Anonym]: Timoleon und Waschington. 3. Strophe. 1 f. Vers, S. [22]. 95 Ebd. 4. Strophe, S. [22]. 96 Ebd. 5 f. Strophe, S. [22].
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Diktator ernannten und dieser, nach seinem Sieg über die feindlichen Stämme, seine erhaltenen Amtsprivilegien freiwillig wieder abgab.97 Damit stellte Cincinnatus in der Memorialkultur die Verkörperung der exemplarischen Tugendhaftigkeit (Virtus) eines Civis dar, der in Zeiten der Not seine Dienste dem Staat auch unter Einsatz des eigenen Lebens zur Verfügung stellt, aber nach bestandener Aufgabe auf die ihm übertragenen Machtbefugnisse freiwillig verzichtet, um sich anschließend wieder in die Zivilgesellschaft einzugliedern und das friedliche Leben eines Landmannes zu führen. Nicht wenige Beobachter zu beiden Seiten des Atlantiks verfolgten mit regem Interesse und großer Bewunderung, dass Washington nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges sein Kommando als Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee wieder abgab und sich, trotz zahlreicher Ermunterungen hierzu durch seine Untergebenen, nicht zum König ausrufen ließ, sondern sich stattdessen auf sein Landgut Mount Vernon in Virginia zurückzog.98
97 Um einen plebejischen Aufstand niederzuschlagen wurden Cincinnatus 439 v. Chr. erneut die Befugnisse eines Alleinherrschers übertragen, die er nach dem Ende der Insurrektion erneut zurückgab. Laut der Überlieferung soll sich Cincinnatus bei der Feldarbeit befunden haben, als ihn die Senatoren auf seinem Landgut aufsuchten, um ihn das erste Mal die Diktatur anzutragen. In der nach dem römischen Patrizier bzw. nach der Society of the Cincinnati (s. u.) benannten Stadt Cincinnati ist am Sawyer Point eine Statue aufgestellt, die Cincinnatus mit seinen wichtigsten ikonografischen Attributen zeigt (im Internet ansehbar unter: https://cincipics.files.wordpress. com/2011/04/cincinnatus.jpg, 4. Juni 2019). Mit der rechten Hand scheint er dem Betrachter ein Faszienbündel als Symbol der Rückgabe der politischen Macht entgegenzuhalten, während seine linke Hand auf einem Pflug liegt, der seine Rückkehr ins landwirtschaftliche Privatleben verdeutlichen soll. Die Überzeugung, dass die politischen Führungspersönlichkeiten in der Römischen Republik grundsätzlich agrikulturell geprägt gewesen und nach ihrer Dienstzeit in die Landwirtschaft zurückgekehrt sein sollen, findet sich noch in August von Kotzebues Lustspiel Der Vielwisser (1817). Im ersten Akt erklärt der Sohn eines Landedelmannes Peregrinus: „Jahrhunderte lang gingen die Römer vom Pfluge zu den Staatsämtern und von diesen wieder zum Pflug.“ Kotzebue: Der Vielwisser. 1. Akt. 7. Szene, S. 27 f. Siehe hierzu auch Walcher: Der Vielwisser, S. 241. 98 Die Überzeugung, dem republikanischen Geist entsprechend keine Könige als Herrscher zu dulden, gehört zu den elementarsten Aspekten des amerikanischen politischen Selbstverständnisses und wurde auch von Deutsch-Amerikanern geteilt bzw. übernommen. In einem Gedicht von Friedrich Lexow (1827–1872), das der Autor anlässlich der Inauguration von Ulysses S. Grant (1822–1885; reg. 1869–1877) als Präsident der Vereinigten Staaten am 4. März 1869 verfasste, verkündet der Sprecher voller Emphase in der dritten Strophe: Zur Feier, die wir heut’ begeh’n, Kein König ward als Held erseh’n; Wir kennen keine Throne. Uns nimmt kein Fürst am heil’gen Ort Von Gottes Tisch die Krone fort – Der Freiheit goldne Krone.
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So konstatierte Archenholz 1785, dass Washington „jetzo ganz in den Character des Cincinnatus übergegangen“99 sei und führte aus:
Lexow: Am 4. März. 1869. 3. Strophe, S. 111. Der besondere Stellenwert, den Washingtons Entscheidung, die einen ausnahmslos gültigen Präzedenzfall schuf, in der amerikanischen Memorialkultur genießt wird beispielsweise dadurch verdeutlicht, dass ein 1817 in Auftrag gegebenes und 1824 von dem Historienmaler John Trumbull fertig gestelltes Gemälde (Abb. 87), das die Rückgabe der Kommandogewalt Washingtons zeigt, zwei Jahre später in der Rotunde des Kapitols, also des legislativen Zentrums der Vereinigten Staaten, aufgehängt wurde und bis heute dort zu sehen ist. In seinen 1796 publizierten Briefen eines Deutschen aus America erinnerte von Bülow an die politische Bedeutung von Washingtons Entscheidung, sich nicht wie ein zweiter Oliver Cromwell (1599–1658) Kraft seines militärischen Einflusses die Macht im Staate gesichert zu haben. Er schrieb: „Man vergißt, daß er am Ende des Krieges die Armee, vermöge welcher er sich zum Cromwell von Amerika hätte aufwerfen können, vermochte, und zwar er einzig und allein, auseinander zu gehen.“ Bülow: Briefe eines Deutschen aus America. 11. Brief, S. 400. Siehe hierzu auch Kapitel III.16. Als deutliches Zeugnis von Washingtons republikanischer Gesinnung interpretierten viele Beobachter, dass er 1783 zum ersten Präsidenten der Society of the Cincinnati ernannt wurde, die von Offizieren der Kontinentalarmee gegründet worden war und sich am Vorbild des römischen Staatsmannes orientierte. Zum Orden der Cincinnati siehe Hoey: New and Strange Order, S. 44–49, 72–75; Hünemörder: Society; Maass: Society of the Cincinnati, S. 366–370; Myers: Liberty. Zum Verhältnis Washingtons zur Society siehe Hünemörder: Society, bes. S. 28 f., 89–100; Myers: Liberty, bes. s. 42 f., 55 f., 93–96, 198 f. Kritische Stimmen allerdings erkannten im amerikanischen Präsidentenamt, das Washington sechs Jahre später 1789 übernahm, eine versteckte Monarchie. Carl Andreas Kier(r)ulf vertrat in seinen Bemerkungen über die berühmtesten Männer des Freistaats in Nordamerika, die im Jahre 1800 in der Zeitschrift Geschichte und Politik erschienen, die Ansicht, dass Washington „unter dem Titel eines Präsidenten eine wahrhaft königliche Gewalt übertragen wurde.“ Die Ausstattung des Präsidenten mit weitreichenden Befugnissen war auch dem Spätaufklärer, Jakobinerdichter und Antiroyalisten Georg Forster aufgefallen. 1793 schrieb er an seine Frau Therese (geb. Heyne, in zweiter Ehe Huber; 1764–1829) über die amerikanische Konstitution: „[…] [E]in Paar Jahre nach dem Frieden [verwandelte sich] die Verfassung in eine beinahe ganz aristokratische, und Washington, welcher Präsident heißt, und immer nur auf vier Jahre gewählt wird, ist mächtiger, als Georg der Dritte, den man König nennt, und der erbliche Rechte hat.“ Georg Forster an Therese Forster. 21. 8. 1793. In: Forster: Briefe 1792 bis 1794 und Nachträge, S. 425. Bereits vor Ausarbeitung der US-Verfassung und der damit verbundenen Schaffung des Präsidentenamtes war von Kritikern der Vorwurf erhoben worden, dass amerikanische Führungspersönlichkeiten wie der einflussreiche ehemalige Präsident des Kontinentalkongresses John Hancock und auch George Washington, der als Oberbefehlshaber die Kontinentalarmee kommandierte, in königsgleicher Stellung auftreten würden. 1782 notierte Johann Christian Schmohl über diese Kritiker in seiner Schrift Ueber Nordamerika und Demokratie: „Sie sagen, die Form ist noch da, aber die Materie, das Innre ist weg, Hankok ist immer Präsident des Generalkongresses, Washington ewiger Generalkommandant der vereinigten Staaten, beyde sind der Sache nach wahre Könige. –“ [Schmohl]: Ueber Nordamerika und Demokratie, S. 76 f. 99 A[rchenholz]: General Washington auf der Reise, S. 176.
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Dieser ausserordentliche Mann, der noch kürzlich an der Spitze der americanischen Kriegsheere stand, und im eigentlichen Verstande die vornehmste Person dieses neuen Freystaats war, hat nunmehr die Kleidung und Sitten eines gemeinen virginischen Pflanzers angenommen.100
Schubart hob 1791 ebenso mit Bewunderung und Enthusiasmus für den neuen Staat hervor: In Amerika fallen jedem Weltforscher die Freistaaten hehr und hoch ins Auge, und unter all seinen glüklichen Bewohnern ragt Washington hervor, ein festlicher Stof [sic] für einen künftigen Amerikanischen Plutarch. Erst machte sein Heldenmuth das Volk frei, dann gieng er, wie Cincinnatus, wieder zu seinem Pfluge und seinem Kohl zurüke, und war nichts als stiller Bürger. Aufgefordert aber von all seinem Volke, trat er als Präsident an die Spize der Staatsverwaltung, und ist nun eben so grosser Gesezgeber, als er Held war.101
Auf das römische Vorbild verwies außerdem ein 1796 veröffentlichter Beitrag über Washington in dem von Archenholz herausgegebenen Journal Minerva, in dem zu lesen war: „Als der Friede 1783 geschlossen war, entkleidete er sich sogleich von allen den Ehrenstellen, die ihm seine Mitbürger anvertraut hatten, und begab sich, wie Cincinatus, auf seine Plantage nach Virginien zurück.“102 Selbst revolutionskritische Stimmen zollten Washingtons Rückzug Rechnung und erkannten darin charakterliche Größe und authentische Integrität. Die spätere Entscheidung des Staatsmannes, nach zwei Amtszeiten als Präsident nicht ein weiteres Mal zu kandidieren und sich fortan endgültig seinen landwirtschaftlichen Interessen und dem Privatleben auf Mount Vernon zu widmen,103 bestärkte endgültig das vorherige Urteil seiner Zeitgenossen. 1797 notierte Wieland voller Respekt im
100 Ebd. 101 Schubart (Hg.): Chronik (1791). 1. Halbjahr. 21. Stück. 15. 3. 1790, S. 172 f. 102 Graf von Burkhausen: [Washington], S. 399. Zu der Identifikation Washingtons mit Cincinnatus in englischsprachigen Eulogies siehe auch Hannemann: Klassische Antike, S. 235–238. 103 Die Affinität Washingtons zur Landwirtschaft ist in der deutschsprachigen Übersetzung von Henry Wanseys Bericht folgendermaßen beschrieben worden: „Ob er gleich große Aufmerksamkeit auf seine wohleingerichteten Regierungs-Geschäfte wendet und sich viel mit Feldbau beschäftigt, so wechselt er doch mit vielen der größten Leute in Europa Briefe, nicht über wissenschaftliche Gegenstände oder aus Ruhmsucht, sondern um sich durch sie über Landbau und alle Künste, die seinem Vaterlande nützen könnten, zu unterrichten.“ Wansey: Ein Besuch beym Präsidenten Washington (Übers.), S. 8. Und im Journal Minerva war zu lesen: „Landbau ist […] seine liebste Beschäftigung.“ Graf von Burkhausen: [Washington], S. 401. Zur agrikulturellen Tätigkeit Washingtons, den Franz Herre als „landwirtschaftliche[n] Manager und […] Landedelmann“ (Herre: Amerikanische Revolution, S. 130) bezeichnete, siehe auch Herre: Amerikanische Revolution, S. 130.
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Neuen Teutschen Merkur, dass „der große Mann, den wir hier unter den Seinigen in edler Einfachheit erblicken, von der ersten Stelle seines Vaterlandes ins Privatleben ruhig zurückgetreten ist“104. Die Würdigung des freiwilligen Machtverzichts Washingtons und seiner beispielhaften milden Regierung konnte auch durch historische Beispiele ex negativo erfolgen. Für Dietrich Heinrich von Bülow z. B. hatte sich der amerikanische Staatsmann dadurch ausgezeichnet, dass er sich nicht wie Sulla (ca. 138–78 v. Chr.) verhalten hatte, der sich an die Macht klammerte und nicht davor zurückschreckte, politische Gegner zu ermorden. In seiner zweibändigen Schrift Der Freistaat von Nordamerika in seinem neuesten Zustande (1797) kommentierte Bülow die Entscheidung des Präsidenten, nicht erneut zur Wahl anzutreten mit den Worten: [U]nd nun war Washingtons großes Werk vollbracht; nun konnte er von seiner öffentlichen Laufbahn abtreten, nachdem er nicht, wie Sylla, das Schrecken seiner Mitbürger gewesen, sondern nachdem er ihnen die Freiheit errungen, und die Unabhängigkeit seines Vaterlandes […] durch eine meisterhafte Negoziation befestigt hatte.105
Pointiert urteilte der Militärschriftsteller: „[…] [I]n jeder Rücksicht, ist die Niederlegung seines Amts untadelhaft, und ein neuer Zuwachs seines unsterblichen Ruhms.“106 Die Überzeugung, dass es sich bei Washington gewissermaßen um einen Novus Cincinnatus handelte, der sich von seinem Landgut zum Staatsdienst meldete und anschließend aus freiem Willen wieder auf sein Anwesen zurückkehrte, setzte sich in der deutschsprachigen Literatur im 19. Jahrhundert fort. In Carl Frenzels bereits mehrere Male zitiertem Roman Freier Boden, in dem u. a. auch der Plan thematisiert wird, „einen Orden der Cincinnatusritter [zu] bilden“ 107, verkündet Washington gegenüber seinen Untergebenen: „[…] [B]edenkt auch Ihr, daß wir nicht ausgezogen sind, Länder zu erobern und beutebeladen heimzukehren. Aus der Pflugschaar ward unser Schwert geschmiedet, laßt das Schwert wieder zur Pflugschaar werden.“108 Und in dem von dem deutsch-amerikanischen Germanisten Julius Goebel (1857–1931) verfassten Gedicht Zum Gedenktage George Washingtons apostrophiert das lyrische Ich die personifizierte Freiheit mit den Worten: „Und von dem Pfluge, wie in alten Zeiten, / Riefst den Propheten du, den
104 Wieland (Hg.) [?]: [Anmerkung]. In: Wansey: Ein Besuch beym Präsidenten Washington, S. 5 [Anm. *)]. 105 Bülow: Der Freistaat von Nordamerika in seinem neuesten Zustande. Bd. 1, S. 169. 106 Ebd., S. 171. 107 Frenzel: Freier Boden. Bd. 3, S. 140. 108 Ebd., S. 239.
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tapfern Held […].“109 Besonders auffällig ist, dass das Cincinnatus-Motiv in beiden hier wiedergegebenen Textpassagen mit einem sakralen Element bzw. einer religiösen Anspielung aufgeladen ist, die jeweils direkt oder indirekt mit Washington in Verbindung gebracht bzw. auf ihn transponiert wird. Während es sich bei dem Zitat in Frenzels Roman um eine Referenz auf ein ursprünglich biblisches Bild handelt,110 wird der Freiheitskämpfer in Goebels Gedicht direkt als „Prophet“ bezeichnet. Die Beispiele verdeutlichen, dass es sich bei dem in eine Apotheose mündenden Sakralisierungsprozess des bekannten amerikanischen Gründervaters um einen zentralen Bestandteil der Washington-Rezeption handelt, der sich wie ein roter Faden durch die europäische und amerikanische deutschsprachige Literatur zieht.
109 Goebel: Zum Gedenktage George Washingtons. 3. Strophe. 1 f. Vers, S. 55. 110 Vgl. Die Ankündigung des Friedensreiches Gottes im Buch Micha: „In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über die Hügel erhaben. Und die Völker werden herzulaufen, und viele Heiden werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des HERRN gehen und zum Hause Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. Er wird unter großen Völkern richten und viele Heiden zurechtweisen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ Mi 4,1–4. Vgl. demgegenüber allerdings auch die Aufforderung zur Bewaffnung in der Ankündigung des Strafgerichtes Gottes über die Heiden im Buch Joel: „Ruft dies aus unter den Heiden! Bereitet euch zum heiligen Krieg! Bietet die Starken auf! Lasst herzukommen und hinaufziehen alle Kriegsleute! Macht aus euren Pflugscharen Schwerter du aus euren Sicheln Spieße! Der Schwache spreche: Ich bin stark!“ Joel 4,9 f. Siehe hierzu auch den vierten Vers der vierten Strophe von G399.
IX „Christ Weiser Patriot“. Benjamin Franklin (1706–1790) in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur 1 „Das Licht, welches er verbreitete, blieb nicht in Einem Welttheil verschlossen“. Die transatlantische Bedeutung Benjamin Franklins Ohne Zweifel gehört Benjamin Franklin zu den wichtigsten Gründervätern der Vereinigten Staaten und genießt in der Memorialkultur eine bis in die Gegenwart ungebrochene Popularität. Sein Konterfei schmückt bekanntermaßen die 100-Dollar-Banknote, sein Profil ist aber auch z. B. auf der Vorderseite der Pulitzer-Preis-Medaille zu sehen. Das Nachrichtenmagazin Time widmete ihm im Jahre 2003 eine Spezialausgabe, und auf dem Mond ist sogar ein Krater nach ihm benannt worden (Abb. 88). Eine ausgesprochen breite öffentliche Bekanntheit und Würdigung Franklins fand bereits zu seinen Lebzeiten und zu beiden Seiten des Atlantiks statt. Der in Europa berühmteste Amerikaner des 18. Jahrhunderts dürfte mit größter Wahrscheinlichkeit noch vor George Washington Benjamin Franklin gewesen sein.1 Im Gegensatz zum Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee verbrachte Franklin etwa ein Drittel seines Lebens in Europa (Abb. 89), was vielen deutschen Intellektuellen die Möglichkeit bot, leichter mit ihm in Briefkontakt zu treten oder ihm sogar persönlich zu begegnen.2 Wie Washington wurden auch Franklin zahlreiche literarische Ehrungen zuteil.3 Während führenden Persönlichkeiten der amerikanischen Unabhängigkeitsbewe-
1 Siehe hierzu auch Jantz: Amerika, Sp. 329; Schmitt: Herder und Amerika, S. [148]. Zur FranklinRezeption in den deutschen Staaten siehe Dippel: Deutschland, S. 216–224; Victory: Benjamin Franklin. Siehe außerdem Denecke: Bürger im Spannungsfeld; Dippel: Deutschland, S. 216–224; Hegeman: Franklin and Germany, S. 187–194; Heilbron: Benjamin Franklin, S. 353–373; Kahn: Meeting, S. 64–67; ders.: Raspe-Franklin Letters, S. 127–132; Wehe: Amerika-Erlebnis, S. 99. Zur Rezeption des amerikanischen Gelehrten im 19. Jahrhundert siehe Denecke: Bürger. Zur Franklin-Rezeption allgemein siehe auch Dippel: Bürgerlichkeit, S. [155]–163. Eine empfehlenswerte, kommentierte Franklin-Bibliographie (in Auswahl) zu den einzelnen Bereichen seines Schaffens findet sich in Overhoff: Benjamin Franklin, S. 306–309. 2 Jürgen Overhoff wies darauf hin, dass Schriftstellerzirkel seit 1760 „enge und gute Verbindungen zu Franklin unterhielten.“ Ders.: Benjamin Franklin und die Berliner Aufklärung, S. 67. 3 Als zeitgenössische Zeugnisse siehe z. B. [Anonym]: Brief eines braunschweigischen Officiers aus Canada an einen Freund in Braunschweig, S. 4862; Bülow: Der Freistaat von Nordamerika in seinem neuesten Zustande. Bd. 1, S. 178; Fischer: Benjamin Franklin, S. 4, 9; Hirsch: „God https://doi.org/10.1515/9783110644739-009
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gung wie John Adams, Thomas Jefferson, John Hancock oder Alexander Hamilton im europäischen deutschsprachigen Raum nur eine marginale Aufmerksamkeit zufiel,4 galten Washington und Franklin als die Personifikationen der nordamerikanischen Freistaaten.5 Es ist kein Zufall, dass wenn von Amerika die Rede war, beide Gründerväter häufig zusammen erwähnt wurden,6 da für viele Washington den militärischen Befreiungskampf der Amerikaner und Franklin den politischen und intellektuellen Arm der Revolution verkörperte. Der Publizist und Pädagoge Gottlob Nathanael Fischer notierte z. B. 1790 in der Deutschen Monatsschrift: Wenn Washington’s Waffen die Waffen von Altengland in Ehrfurcht hielten: so sorgten Franklin und Franklin’s Freunde dafür, daß die Schriften des werdenden Freystaats durch Wahrheit, Einfalt und logische Präcision die Schriften des damaligen Ministeriums übertrafen.7 dam! Hier bin ich in England!“, S. 137; Mauvillon: Anmerkungen und Zusätze, S. 484 [Anm. *)]; Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 2; Moser: Nord-America nach den Friedensschlüssen vom Jahr 1783. Bd. 1, S. 753; Schatz: Vorbericht, S. * 2v; Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 300; Wenzel: Vorrede, S. )(2r; [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 233. Siehe hierzu auch Hatfield – Hochbaum: Influence, S. 354. 4 Bereits John A. Walz konstatierte: „Men like Hamilton and Jefferson seem to have been practically unknown except to the few.“ Walz: American Revolution, Sp. 343. Eine Ausnahme unter den europäischen Beobachtern stellte Johann Christian Schmohl dar, der sich als interessierter und informierter Rezipient der transatlantischen Ereignisse erwies. Zu den Kommentaren Schmohls in Bezug auf Hankok und Adams siehe z. B. [Schmohl]: Ueber Nordamerika und Demokratie, S. 73, 96 f. 5 Siehe hierzu Walz: American Revolution, Sp. 337, 343. 6 Goethe z. B. erinnerte sich an die Revolutionszeit in Dichtung und Wahrheit mit den Worten: „[…] [M]an wünschte den Amerikanern alles Glück und die Namen Franklin und Washington fingen an am politischen und kriegerischen Himmel zu glänzen und zu funkeln.“ Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. 4. Teil. 17. Buch, S. 770. Auch der Schweizer Staatsmann und Geschichtsschreiber Ludwig Meyer von Knonau (1769–1841) hielt in seinen Lebenserinnerungen fest: „Noch erinnere ich mich deutlich, daß die nordamerikanische Sache, Franklin, Washington und andere Männer, die sich hervorthaten, Theilnahme für sich erregten […].“ Knonau: Lebenserinnerungen, S. 10. Siehe hierzu auch Breffka: Amerika, S. [160]; Walz: American Revolution, Sp. 411. Und im Roman Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z (1793/94) des Kommunalpolitikers und Schriftstellers Theodor Gottlieb von Hippel (1741–1796) wird von einem der Figuren die Frage gestellt: „Wen würdest du in Nordamerica aufsuchen? Franklin und Washington? Und wenn der letztere, so wie der erstere, nicht mehr im Lande der Lebendigen ist, wirst du nicht nach ihren Kindern fragen? werden dich nicht schon die Nahmen Washington und Franklin interessiren? Schon der Vornahme deiner Geliebten, deines Weibes, deiner Schwester hat eine magnetische Kraft. – – Ein großes Vorbild fordert zu ähnlicher Größe auf. Wie die Alten sungen, versuchen es die Jungen.“ [Hippel]: Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z. § 56. Sohn, S. 476. Siehe hierzu auch Fischer: Benjamin Franklin, S. 4; Hippel: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. VI. Nutzanwendung, S. 402; Moser: Nord-America nach den Friedensschlüssen vom Jahr 1783. Bd. 1, S. 835. Siehe hierzu außerdem Biedermann: Revolution, S. 486; Desczyk: Amerika, S. 119 [Anm. 29]; Hatfield – Hochbaum: Influence, S. 365; Walz: American Revolution, Sp. 344. 7 Fischer: Benjamin Franklin, S. 5.
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IX Benjamin Franklin in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur
Beiden Amerikanern wurde in den deutschen Staaten ein hohes Maß an Bewunderung und Lob zuteil, Franklin und Washington erschienen als die zwei Seiten einer Medaille. Es gibt allerdings auch Schriften, in denen der Gelehrte in der Memorialkultur der Vorzug gegenüber dem Oberbefehlshaber erhielt. In Berthold Auerbachs (1812–1882) 1869 erschienenem Roman Das Landhaus am Rhein findet Erich eine Ausgabe von Franklins Werken, die seinem Vater gehört und mit dessen Anmerkungen versehen ist. In dieser liest er: Ich sage, es gibt in der neuen Geschichte keinen zweiten Menschen, an dessen Leben und Denken sich ein Mensch unserer Tage so heranbilden ließe, wie an Benjamin Franklin. Warum nicht Washington, der so groß und rein ist? Washington war Soldat und Staatsmann, aber er hat die Welt nicht in sich entstehen lassen und nicht aus sich gefunden. Er hat durch Beherrschung und Lenkung Anderer gewirkt, Franklin durch Lenkung und Beherrschung seiner selbst.8
Franklin wurde im 18. Jahrhundert mit Epitheta wie „berühmt“ 9, „groß“10, „edel“11, „vortrefflich“12, „weise“13, „merkwürdig“14 (im Sinne von memorialwürdig) und „ehrwürdig“15 beschrieben.16
8 Berthold Auerbach: Das Landhaus am Rhein. 5. Buch. 2. Kapitel, S. 111. 9 Siehe [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften, S. [3]; B[rodhagen]: Vorrede, S. [1]; [Dohm]: Fortsetzung der Neuesten Politischen Gerüchte, S. 74; Mauvillon: Anmerkungen und Zusätze, S. 483 [Anm. *)]; Leiste: Beschreibung des Brittischen Amerika zur Ersparung der englischen Karten, S. 531; Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. [1]; Sprengel: Geschichte der Revolution von Nord-America, S. 164. Siehe auch Moser: Nord-America nach den Friedensschlüssen vom Jahr 1783. Bd. 1, S. 735. 10 Siehe Dp. [= ?]: [Rezension] Benjamin Franklins kleine Schriften, meist in der Manier des Zuschauers, nebst seinem Leben, S. 203; Georg Forster an Johann Erich Biester. 24. 4. 1783. In: Biester: Etwas über Benjamin Franklin, S. 13; Forster: Geschichte der Reisen, die seit Cook an der Nordwest- und Nordost-Küste von Amerika und in dem nördlichsten Amerika selbst von Meares, Dixon, Portlock, Coxe, Long u.a.m. unternommen worden sind, S. 420; H. [= ?]: [Rezension] Benjamin Franklins Jugendjahre von ihm selbst für seinen Sohn beschrieben, und übersetzt von Gottfried August Bürger, S. 97; Schatz: Vorbericht, S. * 5r; Timaeus: Nordamerikanischer StaatsKalender, oder Statistisches Hand- und Adressbuch der Vereinigten Staaten von Nordamerika, S. 406; Wenzel: Vorrede, S. )(2v; X. [= ?]: Franklin’s wohlthätge Bürgerstiftung, S. [323] [Anm. *)]; [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. [1], 8. 11 Siehe [Anonym]: Der Unglickliche Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka, S. 148; X. [= ?]: Franklin’s wohlthätge Bürgerstiftung, S. [323] [Anm. *)]. 12 Siehe [Anonym]: Der Unglickliche Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka, S. 183. 13 Siehe z. B. ebd., S. 141, 142, 147. 14 Siehe [Anonym]: Franklin, S. 115; [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften, S. 5; Biester: Etwas über Benjamin Franklin, S. 13, 30, 37; B. F.: Etwas von Franklin, S. 423; Bülow:
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Die transatlantische Bedeutung Franklins hob sein Bewunderer Georg Forster (s. u.) in seinen Erinnerungen aus dem Jahr 1790 mit den Worten hervor: „Das Licht, welches er verbreitete, blieb nicht in Einem Welttheil verschlossen; seine Blicke in den innern Zusammenhang der Natur kamen auch unserer Schwachheit zu Hülfe […].“17 Und er ergänzte: Was er aber für die Rechte vernünftiger Wesen, für die höchste Gerichtsbarkeit selbst der Vernunft, für die Freiheit des Menschengeschlechtes gesprochen und mit unwiderlegbaren Gründen für seine Mitbürger insbesondere sonnenklar bewiesen hat, das steht auch diesseits des Oceans fest, als ein ewiger Damm gegen die Tyrannei der willkührlichen Gewalt.18
Eine nicht nur auf eine Seite des Atlantiks oder auf einen Staat beschränkte kosmopolitische Bedeutung Franklins erkannte Friedrich Schlichtegroll in seinem Nekrolog auf den verstorbenen amerikanischen Gelehrten, dem er „wirkliche Grösse und Erhabenheit“19 zuschrieb. Außerdem postulierte er: „Solchen Männern gebührt der Tribut der fortdauernden Verehrung aller Nationen, und aller Menschen[.]“20 Der Bibliothekar und Numismatiker verwies auf Franklins Wirkungskraft über seine Zeit hinaus und apostrophierte ihn voller Bewunderung mit den Worten: „Dein Gedächtniss gehört für alle Jahrhunderte; dein Andenken für alle Völker; dein Ruhm für die Ewigkeit.“21 Schlichtegroll konstatierte Frank-
Der Freistaat von Nordamerika in seinem neuesten Zustande. Bd. 1, S. 177 f.; Dp. [= ?]: [Rezension] Benjamin Franklins kleine Schriften, meist in der Manier des Zuschauers, nebst seinem Leben, S. 203; Haym: Herder, S. 485; Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 2; No. [= ?]: [Rezension] D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 486. 15 Siehe [Anonym]: Franklin, S. 121; [Anonym]: Der Unglickliche Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka, S. 146; ** I. [= ?]: Fragment eines Schreibens aus Philadelphia, vom 9ten Junius 1805, S. 493; Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 100; Sprengel: Geschichte der Revolution von Nord-America, S. 262, 266. 16 In Johann Jacob Meyens Franklin-Epos (s. u.) lauten die Bezeichnungen für den Amerikaner beispielsweise „[d]er Philosoph“ (Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 1. Gesang, S. [5]; Siehe auch ebd., S. 21; 2. Gesang, S. 43; 3. Gesang, S. 61, 70, 71), „der Weise“ (ebd. 1. Gesang, S. 6; siehe auch ebd., S. 7, 21, 24, 28; ebd. 2. Gesang, S. 32, 35, 44; ebd. 3. Gesang, S. 61, 63), „der unsterbliche Lehrer“ (ebd. 1. Gesang, S. 25; siehe auch ebd., S. 21); „der große Mann“ (ebd., S. 25; siehe auch ebd. 3. Gesang, S. 78; 4. Gesang, S. 91, 92, 94, 107; 5. Gesang, S. 123, 124, 129) sowie „der freundliche Greis“ (ebd. 3. Gesang, S. 60; siehe auch 5. Gesang, S. 129). 17 Forster: Erinnerungen aus dem Jahr 1790, S. 311. Zur Wahrnehmung Franklins in den Schriften von Forster siehe auch Kahn: George Forster, S. 1–6. 18 Forster: Erinnerungen aus dem Jahr 1790, S. 311. 19 Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 267. 20 Ebd., S. 306. 21 Ebd., S. 310.
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IX Benjamin Franklin in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur
lins globale Bekanntheit: „[…] [W]o nur auf unserer Erdkugel gebildete Menschen wohnen, wurde dieser Bürger mit Achtung genennt.“22 Für ihn stand daher fest: „[…] [M]an traut der Sprache nicht Umfang und Würde genug zu, die Grösse eines Mannes, der unter dem Dache eines Privathauses hervor auf unsere ganze Erdkugel gewirkt hat, nach Verdienst zu erheben.“23 Im gleichen Jahr erklärte auch Fischer, der die Ansicht vertrat, dass Franklin „[f]ür das ganze Menschengeschlecht wichtig geworden“24 sei: Auf solchem Wege erhebt er sich zu Verdienst und Unsterblichkeit! Benjamin Franklin ist einer dieser Männer des Menschengeschlechts! Nicht Einem Volke nur, allen Nationen angehörig! Und, was seinen Ruhm noch eigenthümlicher macht, in dem Grad und dem Umfang, von allen Eingebornen eines ganzen großen Erdtheils der Erste!25
Während Schlichtegroll und Fischer also Franklins kosmopolitische Bedeutung unterstrichen, hob der Mathematiker und Dichter Johann Jacob Meyen,26 der dem von ihm in emphatischen Worten gefeierten Gelehrten („Welch ein Mann ist Franklin!“27) sein 1787 erschienenes Versepos Franklin der Philosoph und Staatsmann widmete,28 seine transepochale Wirkung hervor.
22 Ebd., S. 311. 23 Ebd., S. 264. 24 Fischer: Benjamin Franklin, S. [3]. Siehe auch ebd., S. 7. 25 Ebd., S. 4. 26 Zu Meyen siehe Cantor: Meyen, S. 553. 27 Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 2. Gesang, S. 39. 28 Meyens Epos erhielt in der Allgemeinen deutschen Bibliothek eine negative Kritik, die sich vor allem gegen das Versmaß richtete. So wunderte sich der Rezensent, der seinerseits seinen Respekt für den „unsterblichen Franklin“ (Rh. [= ?]: [Rezension] Franklin der Philosoph und Staatsmann, S. 122) äußerte: „Was den Verf[asser] auf den Gedanken gebracht haben mag, seine trockne Prose in schlechte Hexameter zu zwängen, durch welche Umbildung sie keineswegs Poesie, sondern nur desto steifere, ängstlichere Prose worden ist, läßt sich nicht wohl errathen.“ Ebd. Und er ergänzte: „Mitunter einen guten und schönen Gedanken, eine feine Bemerkung, einen glücklichen Ausdruck sprechen wir dem Verf[asser] nicht ab, nur auf den Titel eines Dichters muß er ganz Verzicht thun.“ Ebd. Der Autor gelangte zu dem vernichtenden Urteil: „Man kann ein gelehrter Mann seyn, und kein dichterischen Talent haben. Davon ist dieser Verfasser ein neuer Beweis.“ Ebd. Der Rezensent vertrat schließlich die Ansicht, dass „dieses sogenannte[] Gedicht[] […] mit größerm Recht in Paragraphen als in Gesänge, hätte abgetheilt werden können.“ Ebd., S. 122 f. Diese kritische Beurteilung ist auch von der Forschung übernommen worden. So sprach Albert R. Schmitt von einem „in miserablen, holprigen Hexametern geschriebene[n] Versepos“ (Schmitt: Herder und Amerika, S. 150). Zum Franklin-Epos siehe auch Jantz: Amerika, Sp. 329; Martin: Versepos, S. 358; Wild: Prometheus-Franklin, S. 32. Bereits Meyens Schrift Unbekannte wie auch zu wenig bekannte Wahrheiten der Mathematik, Physik und Philosophi, und deren gemeinnützige Anwendung, besonders auf die Oekonomi in Pommern und den benachbarten Provinzen (1787), in dem
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Das wie ein klassisches Drama aus fünf ungefähr gleich umfangreichen Gesängen (Abb. 90) aufgebaute Epos, thematisiert die Biografie des Amerikaners und verweist dabei auf die Alte und Neue Welt (Abb. 91). Während sich im ersten Gesang zahlreiche Verweise auf Franklins Beschäftigung mit der Elektrizität finden (Abb. 92), die zur Erfindung des Blitzableiters geführt haben (s. u.), weisen die folgenden vier Gesänge eine Reihe von politischen Referenzen und Anspielungen auf (Abb. 93). Durchgehend wird der Amerikaner in einem positiven Licht dargestellt und seine Exzeptionalität hervorgehoben. Im fünften und letzten Gesang verkündet der Sprecher z. B. mit prophetischen Worten: „So ergießt sich der Geist Franklins, durch alle Jahrhundert’, / Ueber die dreizehn Provinzen des immer blühenden Freistaats.“29 Und die folgenden Verse lauten: „O Philosoph! Phänomen der Natur! wie soll ich dich nennen? / Weltseele für dein Volk, für alle des Jahrhunderts Zierde.“30 Offensichtlich hat Meyen dem von ihm bewunderten Amerikaner ein Exemplar seines Epos zugeschickt, denn es ist ein auf den 28. Juni 1788 datierter Brief von ihm an Franklin überliefert,31 in dem er sich folgendermaßen an den Geehrten wendet: My Lord / Diesen Tribut bringe ich, ein gebohrner Pommer dem grossen Manne, der das Licht der Wissenschaften in Amerika aufstellete, und sein Vaterland zu der grossen Entschliessung begeisterte, die Freiheit zu fühlen, zu schaetzen, und wenn die Regierung nicht aufhoeren will, Tyrrannei zu sein durch Waffen zu erringen, Sie Sind, My Lord, der große Mann, der americanische Orpheus, der diesen Umfang der Verdienste hat, welcher Europa in erstaunen setzt.32
In dem Brief verwies Meyen auf die Enthüllungen der Geheimnisse der Natur durch Franklin und schrieb: Lange schon sahen wir die Natur durch Sie enthüllt, durch Sie den Schleier von der Electricitaet zurück gezogen, und den Gewitter Leiter, Franklinens Coloss auch bei uns aufgestellt. Nun sehen wir Sie auch den blutigen Krieg durchdringen, von der neuen Welt zur alten über das Meer fahren, um Freiheit und Friede zu befestigen; wir sehen Sie, den ehrwürdigen
er u. a. den Amerikahandel thematisierte, erhielt eine negative Kritik. Der Rezensent bemängelte: „Auch kann man die heftige Schreibart, die sich hin und wieder findet, nicht billigen; dieses ist nicht die beste Methode Aufklärung zu bewirken.“ Rg. [= ?]: [Rezension] Unbekannte, [sic] wie auch zu wenig bekannte Wahrheiten der Mathematik, Physik und Philosophi […], S. 283. 29 Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 5. Gesang, S. 126. 30 Ebd. 31 Abgedruckt in Beatrice Marguerite Victorys 1915 erschienener Dissertation Benjamin Franklin and Germany. 32 Johann Jacob Meyen an Benjamin Franklin. 28. 6. 1788. In: Victory: Benjamin Franklin, S. 154.
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IX Benjamin Franklin in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur
Greis und Patriarchen der Philosophen und Staatsmaenner in den verdienten Lorbeeren um ihren silberfarbigen Scheitel prangen.33
Der deutsche Mathematiker und Dichter setzte Franklin und sich in Analogie zu antiken Vorbildern, er verglich den Amerikaner mit Kaiser Trajan (53–117; reg. 98–117), während er sich selbst die Rolle von Plinius d. J. (61/62–113/115) zuschrieb. In dem Brief heißt es: „Man brachte sonst die Lobreden nur der Asche des Mannes von Verdiensten; dem Tajan brachte man sie, als er noch lebte; ich thue das was Plinius that, denn Sie, my Lord, verdienen es so sehr wie Trajan.“34 Und voller Demut ergänzte Meyen: „Welch ein eingeschraenktes Loblied ist es, welches ich dem grossen Umfange Ihrer Verdienste widme. […] Mein Lied sagt zu wenig, künftige Lobredner können, wollen und werden mehr sagen[.]“35 Die Bewunderung Franklins und die Einordnung seiner Person innerhalb eines metageografisch und transepochal gültigen Rahmens, dominierte seine Wahrnehmung im deutschsprachigen Raum in Europa und prägte entscheidend seine Verehrung als geradezu heroische politische Größe und moralische Autorität. Obwohl Franklin in Nordamerika teilweise heftige germanophobe Ressentiments vertreten hatte,36 wurde er auch in der deutsch-amerikanischen Memorialkultur seit der Frühen Republik als Held der Revolution verehrt.37 Diese Rezeption setzte sich im 19. Jahrhundert fort. So heißt es beispielsweise in einem Gedicht von Heinrich A. Bielfeld, das anlässlich des Unabhängigkeitstages 1847 verfasst wurde und in dem Franklin für unsterblich erklärt wird: Den da im schlichten Kleid, Trägt die Unsterblichkeit Hoch über’n Plan! Franklin ist’s – Dieser reisst Blitze vom Himmel – weist Fürsten den starken Geist – Ha, welch ein Mann!38
33 Ebd., S. 154 f. 34 Ebd., S. 155. 35 Ebd. 36 Siehe hierzu Kapitel VII.1. 37 Mit großer Wahrscheinlichkeit dürften die deutschfeindlichen Bemerkungen Franklins der postrevolutionären Generation nahezu völlig unbekannt gewesen sein, da sie, soweit ersichtlich ist, literarisch kaum tradiert wurden. 38 Bielfeld: [Schluss einer Rede, gehalten am 4. Juli, 1847]. 11. Strophe, S. 96.
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Noch umfangreicher und emphatischer scheint jedoch die zeitgenössische deutschsprachige literarische Würdigung Franklins in Europa gewesen zu sein. Berichte über seine Leistungen als Erfinder und seine Schriften mit ethisch-moralischem Inhalt, die dem aufklärerischen bürgerlichen Ideal entsprachen, fanden hier ein ausgesprochen interessiertes Publikum (s. u.).39 Gerade in den deutschen Staaten wurde Franklin, der 1766 auf dem Weg nach Pyrmont die Göttinger Universität besucht hatte,40 mit Superlativen gewürdigt.41 Seit Mitte des 18. Jahrhunderts erschienen Übersetzungen von Franklins Werken bzw. Schriften über den amerikanischen Gelehrten und erreichten in den 80er und 90er Jahren ihren Höhepunkt (siehe Kapitel XI).42 Während in einem 1791 anonym publizierten Beitrag, der im Historisch-politischen Magazin, nebst litterarischen Nachrichten erschien, vom „natürlichen Hange seines Genies“43 die Rede war, zählte der Kieler Gelehrte und Buchhändler Carl Friedrich Cramer (1752–1807), der Mitglied des Göttinger Hains war, Franklin, wie er 1782 in einem Brief an Klopstock offenbarte, mit dem Adressaten zu den „2 größten Männer[n] des Jahrhunderts“44. Gottlob Nathanael Fischer sprach allgemein von „Franklin’s Jahrhundert“45 und in der Berlinischen Monatsschrift war zu lesen: „Unser Zeitgenosse der große Franklin ist, als Mensch, als Gelehrter, als Staatsmann, so bewundernswehrt und zugleich so verehrungswürdig, daß jede
39 Siehe hierzu Learned: Herder and America, S. 550; Schmitt: Herder und Amerika, S. 149. Zu den Übersetzungen von Franklins Schriften, die seit 1756 auch in deutscher Sprache erschienen, siehe Jantz: Amerika, Sp. 326 f.; Rosengarten: American History, S. 56. 40 Zu Franklins Reise durch die deutschen Staaten siehe insbesondere ebd., S. 50–63. Siehe auch Desczyk: Amerika, S. 38; Learned: Herder and America, S. 550; Overhoff: Benjamin Franklin und die Berliner Aufklärung, S. 67; Weber: America, S. 2. Zur Rezeption seines Aufenthaltes im 18. Jahrhundert siehe [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 209. Zu seinem begrenzten Einfluss auf die Göttinger Intellektuellen während der Auseinandersetzung der Vereinigten Staaten mit Großbritannien siehe allerdings auch Rosengarten: American History, S. 56. 41 La Fayette, der im Unabhängigkeitskrieg als General die Kontinentalarmee unterstützt hatte, berichtete 1786 in einem Brief an Franklin, dass er auf seiner Reise durch die deutschen Staaten von den Menschen, denen er begegnet war, immer wieder auf ihn angesprochen worden war. Siehe hierzu Rosengarten: American History, S. 59. 42 Dabei handelte es sich bei etwa dreiviertel der Frankliniana um Übersetzungen (Abb. 94). 43 [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften, S. 5. 44 Carl Friedrich Cramer an Friedrich Gottlieb Klopstock. 13. 12. 1782. In: Ders.: Briefe 1776–1782, S. 265 f. Ähnlich gelangte Georg Schatz zu dem Schluss: „Unter den großen Männern, die unser Jahrhundert hervorgebracht hat, ist Franklin, nach dem allgemeinen Urtheil aller, die hierüber eine Stimme haben, einer der Ersten.“ Schatz: Vorbericht, S. * 2r. Außerdem heißt es bei ihm: „[…] [W]er kann von Franklin sprechen, ohne in den Ton des Lobredners zu fallen?“ Ebd.: Vorbericht, S. [* 7r]. 45 Fischer: Benjamin Franklin, S. 4.
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IX Benjamin Franklin in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur
kleine Nachricht von ihm willkommen sein muß.“46 Selbst in Ferdinand Kürnbergers 1855 erschienenem amerikakritischen Roman Der Amerikamüde wurde noch auf „den geschätzten Namen eines Benjamin Franklin“47 hingewiesen. Besonders auffällig erschien den Zeitgenossen, dass der Amerikaner selbst von seinen politischen Gegnern bewundert oder zumindest respektiert wurde, da sie dem Erfindungsreichtum und Intellekt des geachteten Aufklärers trotz teilweise diametral entgegengesetzter politischer Ansichten ihre Hochachtung zollten. Georg Schatz (1763–1795) bemerkte im Vorbericht zu einer von ihm ins Deutsche übersetzten Ausgabe von Franklins Schriften: Selbst seine Feinde, so geflißentlich sie übrigens seine Fehler ausspähten, und die moralische Güte seines Charakters verdächtig zu machen suchten, selbst die erbittertsten Gegner des neuen Freystaats und seiner Stifter, an deren Spitze er stand, erkühnten sich nie, ihm diesen Nahmen abzustreiten.48
Auf der anderen Seite ist allerdings festzuhalten, dass es auch loyalistische bzw. probritische Stimmen gab, die das Engagement des Amerikaners in der Unabhängigkeitsbewegung durchaus negativ beurteilten. Am 19. Januar 1777 schrieb Johann Georg Sulzer (1720–1779) an Johann Georg Zimmermann, der als Einwohner von Hannover ein Untertan von Georg III. war: Es ärgert mich über alle Maßen, den alten Franklin, für den ich sonst eine unumschränkte Hochachtung gehabt, unter den Häuptern dieses aufrührerischen Volkes zu erblicken. Es bestärkt mich immer mehr in meiner traurigen Beobachtung, daß auch die größten Seelen unbegreiflichen Verblendungen unterworfen sind und daß der höchste und seltenste Grad der menschlichen Tugend darin bestehe, daß man gegen sich selbst, gegen seine Freunde und gegen die Partey, zu der man sich hält, unparteyisch sey.49
46 [Anonym]: Anleitung zur praktischen Uebung der Tugend von Benjamin Franklin, S. 83. 47 Kürnberger: Der Amerikamüde. 1. Kapitel, S. 33. 48 Schatz: Vorbericht, S. * 2r. Siehe hierzu auch ebd., S. * 5v. Deutlich wird diese Wertschätzung beispielsweise an den Kommentaren Wilhelm Ludwig Wekhrlins, der trotz seiner grundsätzlich revolutionskritischen Haltung vom „großen Franklin“ (Wekhrlin [Hg.]: Das graue Ungeheur 7 [1786], S. 252) sprach und den amerikanischen Gelehrten in eine Reihe mit Personen wie Voltaire, Montesquieu, Rousseau und Raynal stellte. Siehe Wekhrlin (Hg.): Paragrafen 2 (1791), S. 108. Siehe auch [ders.] (Hg.): Das Felleisen (1778). 84. Nummer. 30. 10. 1778, S. [3]. 49 Johann Georg Sulzer an Johann Georg Zimmermann. 19. 1. 1777. In: Bodemann (Hg.): Johann Georg Zimmermann, S. 261.
2 Franklin in den Schriften von Johann Gottfried Herder und Georg Forster
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In einem Antwortbrief vertrat Zimmermann sogar die Ansicht: „Den alten Franklin soll man nie für einen guten Mann gehalten haben.“50 Dennoch blieben diese negativen Urteile in den meisten Staaten Einzelfälle, es überwogen eindeutig die positiven bis geradezu überschwänglich-emphatischen Stimmen.
2 „Eine[r] meiner Lieblinge in unserm Jahrhundert“ und „der ehrwürdigste Name, den das achtzehnte Jahrhundert ausgesprochen hat“. Franklin in den Schriften von Johann Gottfried Herder (1744–1803) und Georg Forster (1754–1794) Zu den größten Bewunderern Franklins gehörten, wie an zahlreichen Schriften deutlich wird, Johann Gottfried Herder und Georg Forster. Am 2. Januar schrieb Herder beispielsweise in einem Brief an den Verleger Johann Friedrich Hartknoch d. J. (1768/69–1819): „[U]nd daß Franklin ein Einziger Mann unsers Jahrhunderts sei, darf ich wohl nicht erst sagen.“51 Der Geistliche bezeichnete den Amerikaner in seinen Briefen zur Beförderung der Humanität als „eine[n] meiner Lieblinge in unserm Jahrhundert“52 und erkannte in ihm „den edelsten Volksschriftsteller unseres Jahrhunderts“53. Immer wieder feierte Herder in den Humanitätsbriefen die wissenschaftlichen Leistungen Franklins sowie vor allem auch seine moralischen Konzeptionen.54 Im zweiten Brief schrieb er: „Sie wissen, was ich von Franklin immer gehalten, wie hoch ich seinen gesunden Verstand, seinen hellen
50 Johann Georg Zimmermann an Johann Georg Sulzer. 28. 2. 1777. In: Bodemann (Hg.): Johann Georg Zimmermann, S. 262. Siehe hierzu auch King: Echoes, S. [160]f.; Walz: American Revolution, Sp. 412. 51 Johann Gottfried Herder an Johann Friedrich Hartknoch d. J. 2. 1. 1794. In: Herder: Briefe. Bd. 7, S. 83. 52 Herder (Hg.): Briefe zur Beförderung der Humanität. 1. Sammlung. 2. Brief, S. 14 [1991]. 53 Ebd., S. 15 [1991]. Siehe auch Herder: Spruch und Bild, insonderheit bei den Morgenländern, S. 43, 137. Über die Franklin von Herder entgegengebrachte Verehrung bilanzierte Albert R. Schmitt: „Die Verehrung, die er für den amerikanischen Staatsmann, Erfinder, Naturwissenschaftler und Popularphilosophen hegt, kannte keine Grenzen.“ Schmitt: Herder und Amerika, S. 152. Zur Wahrnehmung Franklins bei Herder siehe insbesondere Schmitt: Herder und Amerika, S. [148]–177. Siehe auch Goebel: Amerika in der deutschen Dichtung, S. 105; Haym: Herder, S. 485; King: Echoes, S. 71; Kühnemann: Herder, S. 531 f.; Learned: Herder and America, S. 550–570; Walz: American Revolution, Sp. 339. 54 Den zweiten Humanitätsbrief bezeichnete Schmitt als „ein einziges Loblied auf Franklin“ (Schmitt: Herder und Amerika, S. 157). Zur Darstellung Franklins in den Humanitätsbriefen siehe auch Kühnemann: Herder, S. 531.
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und schönen Geist, seine sokratische Methode, vorzüglich aber den Sinn der Humanität in ihm geschätzt habe, der seine kleinsten Aufsätze bezeichnet.“55 Außerdem lobte er: „Und wie sehr hält er sich allenthalben an die einfachen, ewigen Gesetze der Natur, an die unfehlbarsten praktischen Regeln, aus Bedürfnis und Interesse der Menschheit!“56 Das besondere Interesse Herders erweckte der von Franklin 1727 in Philadelphia gegründete Junto-Club,57 dessen Mitglieder sich in der Regel einmal in der Woche trafen, um philosophische, naturwissenschaftliche, soziopolitische oder moralische Fragen zu erörtern und die bestrebt waren, das gesellschaftliche Allgemeinwohl zu befördern.58 Herder, der die feste Überzeugung vertrat, dass „Philadelphia, für welches diese Gesellschaft gestiftet ist, […] überall liegen“59 könnte und seinerseits in Weimar eine dem Junto nachempfundene Gesellschaft mitbegründete,60 druckte in den Briefen die moralischen Aufnahmefragen für die Mitgliedschaft im Club ab.61
55 Herder (Hg.): Briefe zur Beförderung der Humanität. 1. Sammlung. 2. Brief, S. 15 [1991]. 56 Ebd. 57 Siehe hierzu Kühnemann: Herder, S. 531. 58 Hierzu gehörte die Entscheidung der Mitglieder, private Bücher einer von ihnen ins Leben gerufenen Bibliothek zu stiften, die öffentlich zugänglich sein sollte und über deren Qualität 1791 im Historisch-politischen Magazin folgendes Urteil zu lesen war: „Die Bibliothek zu Philadelphia giebt keiner in Europa etwas nach.“ [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften, S. 4. Zur zeitgenössischen Wahrnehmung des Junto siehe auch [Anonym]: Anleitung zur praktischen Uebung der Tugend von Benjamin Franklin, S. 107; [Anonym]: Franklin, S. 121; [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften, S. 4; Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 7; Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 281; [Schmohl]: Ueber Nordamerika und Demokratie. Nachschrift. Nachschrift, S. 204 [Anm. 3]; [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 108–110, 127 f., 163. 59 Herder (Hg.): Briefe zur Beförderung der Humanität. 1. Sammlung. 2. Brief, S. 17 f. [1991]. Außerdem war Herder überzeugt: „[…] [D]enn Franklins Geist fände sich überall zurecht, auch da wo wir leben.“ Ebd., S. 17 [1991]. 60 Siehe Irmscher: Kommentar, S. 1041; King: Echoes, S. 71; Learned: Herder and America, S. 551–570; Overhoff: Benjamin Franklin und die Berliner Aufklärung, S. 68. 61 Diese lauten in der Übersetzung bei Herder: 1. Haben Sie irgend eine besondre Abneigung gegen Eins der hiesigen Mitglieder? 2. Erklären Sie aufrichtig, daß Sie das Menschengeschlecht, ohne Rücksicht von welcher Hantierung oder Religion jemand sei, überhaupt lieben? 3. Glauben Sie, daß Jemand an Körper, Namen oder Gut, bloß spekulativer Meinungen oder der äußerlichen Art des Gottesdienstes wegen, gekränkt werden müsse? 4. Lieben Sie die Wahrheit um der Wahrheit willen, und wollen sich bestreben, sie unparteiisch zu suchen, und wenn Sie sie gefunden, auch andern mitzuteilen? Herder (Hg.): Briefe zu Beförderung der Humanität. 1. Sammlung. 3. Brief, S. 23 [1991]. Der Originalwortlaut der Fragen lautete:
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Auch Georg Forster, der Franklin 1777 in Paris sogar persönlich begegnet war,62 fand äußerst ausdrucksstarke Worte bei der Artikulation seiner Bewunderung für den amerikanischen Staatsmann.63 In seinen zuerst 1791 erschienenen Ansichten vom Niederrhein gelangte er zu der Überzeugung: „[…] [D]er ehrwürdigste Name, den das achtzehnte Jahrhundert ausgesprochen hat […] [ist]der Name FRANKLIN […].“64 Und in den 1793 publizierten Erinnerungen aus dem Jahre 1790 lobte er ebenso emphatisch: Es ist nicht denkbar, daß ein Europaeer, der sich nur einigermaßen um die Schicksale seiner Gattung bekuemmert, diesen Namen und den davon unzertrennlichen Ruhm nicht kennen sollte. Der Stifter des nordamerikanischen Freistaats, der Erfinder der Blitzableiters, der Wohlthaeter seines Vaterlandes, der Freund und Bruder des Wilden und des Weisen, der humanste Mensch und der gluecklichste von allen, die im achtzehnten Jahrhundert zu Mitarbeitern am großen Vollendungswerke menschlicher Glueckseligkeit auserkoren waren, hieß Benjamin Franklin!65
1. Have you any particular disrespect to any present members? – Answer. I have not. 2. Do you sincerely declare, that you love mankind in general; of what profession or religion soever? – Answer. I do. 3. Do you think any person ought to be harmed in his body, name, or goods, for mere speculative opinions, or his external way of worship? – Answer. No. 4. Do you love truth for truth’s sake, and will you endeavor impartially to find and receive it yourself and communicate it to others? – Answer. Yes. Franklin: Rules for a Club formerly established in Philadelphia, S. 449. 62 Am 9. Oktober 1777 notierte er in einem Tagebucheintrag auf der Reise von London nach Paris: „[…] I went to dine at Passy, a little [19] town or village about 1½ mile from Paris, with M[onsieur] le Roy. The venerable philosopher of the Western World, dined there. His silver hair and his large front assured him reverence and Esteem. Persuasion and Goodness sat on his lips, and the benignity of his whole Aspect was admirable. He spoke little and chiefly on philosophical subjects, was dressed in a plain suit of grey and white silk stockings; joked with Mad[ame] le Roy, and told a number of humorous stories at table.“ Forster: Tagebucheintrag. Reise von London nach Paris 1777. 9. 10. 1777. In: Ders.: Tagebücher, S. 18 f. Über die persönlichen Folgen seiner Begegnung mit Franklin berichtete Forster in einem Brief vom 12. November 1783 an Johann Wilhelm von Archenholtz: „Vielleicht mochte L[o]rd Stormont mich nicht einladen, weil er wissen konnte, daß ich öfters mit Franklin in Gesellschaft gewesen war, und sogar bey ihm gespeißt hatte, eine Sache wovon ich, da ich keine Politische Geschäfte zu besorgen hatte, sondern Franklin blos als einen Gelehrten besuchte, kein Geheimnis machte.“ Georg Forster an Johann Wilhelm von Archenholtz. 12. 11. 1783. In: Forster: Briefe bis 1783, S. 498. Zur Begegnung zwischen Franklin und Forster siehe auch Overhoff: Benjamin Franklin und die Berliner Aufklärung, S. 72 f. 63 Zur Rezeption Franklins bei Forster siehe auch King: Echoes, S. 56. 64 Forster: Ansichten vom Niederrhein, S. 194. 65 Ders.: Erinnerungen aus dem Jahr 1790, S. 274 f.
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Am 24. April 1783 teilte Forster in einem Brief an Johann Erich Biester (1749– 1816) seinen Wunsch, in seinem Zimmer eine Abbildung Franklins aufzustellen, folgendermaßen mit: „Ich habe den ehrlichen, den großen Franklin zu lieb, als daß ich ihn nicht in meiner Stube immer vor Augen zu haben wünschen sollte.“66 Wie aus der oben zitierten Passage aus den Erinnerungen hervorgeht, feierte Forster Franklin, dessen „Vaterlandsliebe“67 er bewunderte, als Erfinder68, fähigen Staatsmann69 sowie als Philanthropen und Menschenfreund. Die wichtigste Rolle, die der Amerikaner für Forster wie auch für Herder verkörperte, war aber diejenige als moralische Autorität (s. u.). In den Erinnerungen aus dem Jahr 1790 vertrat er die Ansicht: Die Unabhängigkeit vom Brittischen Parlamente hätten die Amerikaner auch ohne ihn errungen; die moralische Freiheit, die heilige Achtung für die Vernunft in jedem einzelnen Menschen, und die innige Anerkennung der Pflicht, eines jeden Überzeugung und Glauben zu ehren: dies alles, nebst so manchen Anleitungen zur praktischen Lebensweisheit und so manchen einfachen, häuslichen Einrichtungen, die in jenen angehenden Niederlassungen zur Bequemlichkeit gereichen, verdanken sie ihm.70
Forster nahm Franklin als Aufklärer wahr, dem sein „tiefe[r] philosophische[r] Blik in die Natur und Wissenschaft“71 wegweisende Einsichten und Erkenntnisse ermöglichte. Er schrieb ihm den Vorzug zu, die Vernunft als Voraussetzung für Tugend und persönliche Unabhängigkeit in der Wissenschaft wie auch in der Politik konsequent eingesetzt zu haben: Vernunft – und nur durch Vernunft mögliche Tugend, also wieder nur Vernunft und nichts als Vernunft – ist der Zauber, womit Benjamin Franklin den Himmel und die Erde bezwang; Vernunft ist die Tyrannenbändigerin, der einst die runde Erde das Triumphlied zujauchzen
66 Georg Forster an Johann Erich Biester. 24. 4. 1783. In: Biester: Etwas über Benjamin Franklin, S. 11. Zu Biesters Wahrnehmung von Franklin siehe Overhoff: Benjamin Franklin und die Berliner Aufklärung, S. 78. 67 Forster: Erinnerungen aus dem Jahr 1790, S. 311. 68 Siehe hierzu auch ebd. 69 Siehe Georg Forster an Friedrich Adolf Vollpracht. 31. 12. 1776. In: Forster: Briefe bis 1783, S. 79. 70 Forster: Erinnerungen aus dem Jahr 1790, S. 310 f. Und an anderer Stelle heißt es bei Forster: „Amerika ist glücklich, daß es so bald nach der Gründung seiner gesitteten Staaten, aus ihrem Schooße den Weisen hervorgehen sah, dessen innere Harmonie ihm gleichsam die Natur unterwarf, ihn zur Entdeckung des Wahren in allen ihren Verhältnissen führte und ihn zum Lehrer seiner Brüder bestimmte.“ ebd., S. 310. Siehe hierzu auch King: Echoes, S. 54. 71 Georg Forster an Johann Erich Biester. 24. 4. 1783. In: Forster: Briefe bis 1783, S. 449.
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wird; Vernunft ist das Element, worin das Menschengeschlecht allein seine Bestimmung erreichen kann. Unzertrennlich sind Vernunft, Tugend und Freiheit, und keine ist je vollkommen ohne die anderen[.]72
Dass der Amerikaner für Forster den universellen und mustergültigen Aufklärer verkörperte, wird auch daran deutlich, dass in den Erinnerungen eine Abbildung mit abgedruckt wurde, auf der Franklin und sein Enkelsohn William Temple (1762–1823)73 zusammen mit Voltaire zu sehen sind (Abb. 95).74 Die dargestellte historische Szene zeigt den französischen Aufklärer, der im Begriff ist, seine Hände im Segensgestus auf den leicht gebeugten Kopf des jungen Franklin zu legen. Dieser kniet vor Voltaire, während sein Großvater zu seiner Rechten die Hände wie zum Gebet gefaltet hat und dem Ereignis damit zusätzlich eine sakrale Aura verleiht.75 Den „feierliche[n] Augenblick der Weihe“76, den die mit dem Titel Der Philosoph von Ferney segnet den jungen Groß-Sohn Franklins überschriebene Lithographie festhielt, kommentierte Forster mit den Worten: „Die Ruhe dieses Augenblicks ist heilig, und heilig ist die Wärme, die ihm voranging und ihn gebar. Die ganze lange Lebensgeschichte dieser ehrwürdigen Alten spiegelt sich darin.“77 Und weiter heißt es in der Beschreibung: „‚Gott! – Freiheit! – Friede!‘ – Mit diesen Segensworten weihete der hinscheidende Greis Voltaire den Jüngling William Temple Franklin zum Menschen. Gott ! Freiheit! Friede! Betete der alte Franklin; und Gott, Freiheit und Friede waren in ihrem Herzen.“78
72 Forster: Erinnerungen aus dem Jahr 1790, S. 312. 73 Zur zeitgenössischen Rezeption von Franklins Enkel siehe auch [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften, S. 10; Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 265. 74 Daneben existieren zeitgenössische Kunstwerke, die Franklin zusammen mit Voltaire und Rousseau zeigen, wie etwa auf Abbildungen, die z. B. Schnupftabakdosen verzierten. 75 Die berühmte Pelzmütze Franklins (s. u.), die er wie zum Zeichen des Respekts vor dem Geschehen abgenommen zu haben scheint, ist dabei unter der linken Achsel zu erkennen. 76 Forster: Erinnerungen aus dem Jahr 1790, S. 276. 77 Ebd. 78 Ebd. Bei Forster schien diese Szene einen besonders großen Eindruck hinterlassen zu haben. So schrieb er auch in einem Brief vom 14. März 1791 an den Buch- und Zeitungsverleger Christian Friedrich Voß (1722/24–1795): „Aus Franklins Leben könnte man die Scene schildern, wo der alte Voltaire in seiner Gegenwart seinen Enkel, den jungen Knaben Franklin einsegnet und die Worte Dieu, Liberté, Tolérance! spricht. Voltaires u[nd] Franklins Gesichter sind bekannt und machen das Bild charakteristisch.“ Georg Forster an Christian Friedrich Voß. 14. 3. 1791. In: Forster: Briefe 1790 bis 1791, S. 249 f. Siehe hierzu auch Georg Forster an Christian Friedrich Voß. 1./2. 4. 1791. In: Forster: Briefe 1790 bis 1791, S. 261.
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IX Benjamin Franklin in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur
Für den deutschen Jakobiner und Antiroyalisten Forster (ihm fiel 1793 in der Mainzer Republik eine entscheidende politische Rolle zu), der den Vereinigten Staaten generell äußerst positiv gegenüber stand,79 stellte Franklin die konsequente Fortführung einer aufklärerischen Tradition dar, die mit Voltaire in Frankreich erst ihren Anfang genommen hatte und – einem kosmopolitischen Leitgedanken der Aufklärung zufolge – alle Staaten bzw. Gesellschaftssysteme erreichen und durchdringen sollte. Die auch im 19. Jahrhundert noch vielfach visualisierte und stark symbolisch aufgeladene Darstellung der religiös anmutenden Szene (Abb. 96) wurde daher – verkörpert im älteren Voltaire und dem jungen Franklin – komplementär zur politischen Idee der Translatio Imperii häufig als Begegnung von Alt und Jung bzw. der Alten und Neuen Welt, die für Vergangenheit und Zukunft stehen, gelesen.
3 „Mannichfaltige nützliche Erfindungen zum Besten der Gesellschaft“. Vom Blitzableiter bis zur Glasharmonika: Franklin als Erfinder Bevor Franklin als Vertreter der Amerikanischen Revolution wahrgenommen wurde, war es seine vielschichtige Tätigkeit als Wissenschaftler und Erfinder, die seine „erstaunliche Popularität“80 in Europa ausmachte. In den Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins wurde daran erinnert, dass auf den amerikanischen Gelehrten „mannichfaltige nützliche Erfindungen zum Besten der Gesellschaft“81 zurückgingen, „wodurch er die Hochachtung und Verehrung der Menschen verdienet“82. Auch Johann Erich Biester konstatierte: „Franklins große Verdienste um die Naturlehre sind bekannt; kein Kompendium der
79 Die ohne Blutvergießen zustande gekommene Ausarbeitung der amerikanischen Verfassung lobte er mit den Worten: „Von der Lehre des sanftmüthigsten und weisesten Bewohners jener Halbkugel durchdrungen, von ihm durch sechzigjährigen Unterricht gewöhnt, sich selbst im edelsten Theile ihres Wesens zu ehren, ihre Vernunft höher zu achten, als ihre Muskelkraft, ruhig und ihrer Leidenschaften Meister alles zu prüfen, das Beste zu wählen und im unbedingten Gehorsam gegen die Aussprüche der Vernunft ihre wahre Freiheit zu finden, erreichten seine Mitbürger den höchsten Gipfel des Ruhms, den Menschen erwerben können – sie schufen sich im Jahr 1788 eine neue Verfassung, die keinen Tropfen Blut gekostet hat; ein unbeflecktes Opfer, würdiger der Gottheit dargebracht zu werden, als alles, was Köstliches oder Schreckliches je auf ihren Altären rauchte.“ Forster: Erinnerungen aus dem Jahr 1790, S. 312. 80 Overhoff: Benjamin Franklin und die Berliner Aufklärung, S. 65. 81 Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 26. 82 Ebd.
3 Vom Blitzableiter bis zur Glasharmonika: Franklin als Erfinder
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Physik wird geschrieben, worin seiner nicht gedacht wird.“83 Und er führte aus: „[…] [I]n sehr vielen derselben hat er Entdekkungen gemacht, wodurch die Wissenschaft ungemein fortgerükt und erweitert ist; in allen aber neue Ideen geliefert, die von der größten Fruchtbarkeit sind.“84 Franklin erfand u. a. die Bifokalbrille, einen Ofen (die sog. Pennsylvania Fireplace), „durch welchen man Holz spart, und beständig reine Luft im Zimmer erhält“85 und mit der Glasharmonika („Franklinische Harmonika“86; Abb. 97) sogar ein eigenes Musikinstrument, das z. B. von Angelika Kaufmann (1741–1807) und der berühmten blinden Musikerin Maria Theresia Paradis (1759–1824; siehe G370)87 gespielt wurde und laut Zahn „süsse, erhabene, zur Andacht und süssen Melancholie reizende“88 Töne hervorbrachte. Die musikalische Bedeutung dieser Erfindung dokumentieren auch eine Reihe von Gedichten, in denen sie erwähnt wird (so in G370 f., G375 und G381). Für Meyen war die von ihm als „Inbegriff aller Musik“89 gerühmte Glasharmonika sogar Anlass, den Erfinder in seinem Epos als neuen Kolumbus zu feiern: Welche Thalia war es die dich begeisterte, als du Den Inbegriff aller Musik, die erhabne Harmonika, fandest? O Franklin! du neuer Kolumbus im Reiche der Tonkunst; Alle die nach dir kommen und deine Harmonika schmücken, Sind nur wie Goldarbeiter, und keiner Kolumbus, der Gold fand.90
83 Biester: Etwas über Benjamin Franklin, S. 15. 84 Ebd. 85 [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 161. Zur zeitgenössischen Wahrnehmung des von Franklin eingeführten Kamins siehe [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften, S. 12 f.; Biester: Etwas über Benjamin Franklin, S. 16; [Klügel]: [Rezension] Des Herrn D[octor] Franklin sämmtliche [sic] Werke, aus dem Englischen und Französischen übersetzt von G[ottfried] T[raugott] Wenzel, S. 508. 86 [Anonym]: Zittau den 27. Febr[uar] 1784, S. 246. Siehe auch ebd. S. 246 f. 87 Siehe hierzu Fürst: Maria Theresia Paradis, S. 38 f., 82. 88 [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 189. Zu den Nachtteilen der Glasharmonika zählte Zahn, der „Franklins Verdienst um die Musik“ (ebd., S. 191) würdigte, allerdings den „zu lange[n] Zeitraum, welchen man zu Hervorlokung des Tons braucht“ (ebd., S. 190). 89 Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 2. Gesang, S. 34. 90 Ebd. Siehe auch ebd. 1. Gesang, S. 7, 22. Auffällig ist, dass in dem zweiten hier zitierten Vers von „finden“ und nicht „erfinden“ die Rede ist. Damit wird der Eindruck erweckt, dass das Musikinstrument im (neu)platonischen Sinne ontologisch schon existent, nur den Menschen noch nicht bekannt war und wie ein neuer Kontinent von einem Entdecker gefunden werden musste.
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IX Benjamin Franklin in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur
Viele Zeitgenossen, wie Forster91 und Herder92 hatten das „entzükkende Instrument“93, dessen Akustik mit einer religiösen Sphäre in Verbindung gebracht wurde,94 persönlich gehört und waren „von dem Werthe dieses vortreflichen Franklinischen Instrumentes überzeugt“95. Der Mathematiker und Physiker Albrecht Ludwig Friedrich Meister (1724–1788) urteilte schon 1766 im Hannoverischen Magazin: „Denn ich muß es gestehen, daß die Harmonica, meinen Empfindungen nach, einen sehr hohen Rang unter den musikalischen Werkzeugen verdienet.“96 Meister, der darauf hinwies, dass die „Harmonica, in England und Frankreich mit grossem Beyfall aufgenommenen“97 wurde, beschrieb den seiner Meinung nach anthropomorphen Klang des Instruments mit den Worten: „Ihr Ton komt der menschlichen Stimme […] näher als der Ton von irgend einem andern mir bekanten Instrumente.“98 Und er ergänzte: Mir kam es wenigstens so vor, als wenn dessen rührende Harmonie und pathetische Töne vorzüglich geschickt wären, die Leidenschaften rege zu machen, ja selbst zu demjenigen Enthusiasmo zu erhöhen, der ein von einem Quackerischen Prediger erfundenes musikalisches Werkzeug seines Erfinders würdig machen kann[.]99
Auch Biester hob die akustische Sensibilität der Glasharmonika sowie die intensive Wirkung der durch sie hervorgebrachten Töne auf die Zuhörer hervor und erklärte: In den mehrsten angesehenen Städten Deutschlands hat man wohl die Harmonika gehört, ein Instrument, das an Zartheit und Süßigkeit nichts, kaum die Stimme einer Mara *), neben sich leidet; das so sehr zum Herzen spricht, wie sonst nie ohne Gesang ein Toninstrument thut[.]100
91 In Forsters Tagebucheintrag war im Eintrag zum 8. Juni 1784 zu lesen: „Um 5 zu Naumann, sein köstl[ich] Spiel auf der Harmonica zu hören.“ Forster: Tagebucheintrag. Reise von Kassel nach Wilna 1784. 8. 6. 1784. In: Ders.: Tagebücher, S. 55. 92 Am 19. August 1788 berichtete Herder an seine Ehefrau Maria Karoline (Carolina; geb. Flachsland; 1750–1809): „Gestern um 6 Uhr nahm mich die Frau von Hutten in ein sogenanntes großes Concert, wo eine Harmonika (ohne Wirkung für mich) sich hören, und die ganze vornehme und schöne Nürnbergerwelt sich sehen ließ – völlig ein Concert, wie ich sie einige Jahre in Riga gnug kennen gelernt habe.“ Johann Gottfried Herder an Maria Karoline Herder. 19. 8. 1788. In: Herder: Briefe. Bd. 6, S. 30 93 Biester: Etwas über Benjamin Franklin, S. 22. 94 Siehe hierzu auch Kapitel II. 95 Meister: Nachricht von einem neuen musikalischen Instrumente, Harmonica genant, Sp. 938. 96 Ebd., Sp. 935. 97 Ebd., Sp. 929. 98 Ebd., Sp. 935. 99 Ebd., Sp. 938. 100 Biester: Etwas über Benjamin Franklin, S. 21 f.
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Die allerdings bei Weitem wirkungsmächtigste Erfindung Franklins war der Blitzableiter. Diesen hatte er der Öffentlichkeit infolge der durch seine Experimente mit der Elektrizität gewonnenen Erkenntnisse vorgestellt,101 zu denen das berühmte, historisch umstrittene, aber immer wieder visualisierte (Abb. 98) und von zahlreichen Legenden umgebene Wetterexperiment mit dem Drachen gehört.102 Der Blitzableiter begründete Franklins Ruhm als aufklärerischer Naturforscher und einfallsreicher Wissenschaftler,103 der mit kreativem Engagement die Geheimnisse der Schöpfung ergründet und machte ihn schlagartig zu beiden Seiten des Atlantiks berühmt.104 Der Altertumsforscher Friedrich Schlichtegroll notierte in diesem Zusammenhang: „[…] [D]ie grössten Männer seiner Zeit suchten von nun an seine Freundschaft.“105 Gottlob Nathanael Fischer, der die Ansicht vertrat, dass Europa die Neue Welt um den Blitzableiter beneiden sollte106 und ihn als „Sieg über eines der furchtbarsten Phänomene der Natur“107 bezeichnete, verlieh seiner Begeisterung um die Erfindung Franklins folgendermaßen Ausdruck:
101 Siehe hierzu auch [Anonym]: Franklin, S. 125; [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften, S. 5. 102 Siehe hierzu Schiffer – Hollenback (Assist.) – Bell (Assist.): Draw the Lightning Down, bes. S. [161]–183. Zur kritischen Sichtweise siehe allerdings auch Tucker: Bolt of Fate. Zur Rezeption des „Drachenexperimentes“ im Sommer 1752 siehe Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 12 f.; Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 285 f.; [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 154 f. 103 Siehe hierzu auch Leiste: Beschreibung des Brittischen Amerika zur Ersparung der englischen Karten, S. 306; Moser: Nord-America nach den Friedensschlüssen vom Jahr 1783. Bd. 1, S. 342. 104 1751 wurde in London Franklins Experiments and Observations on Electricity, Made at Philadelphia in America gedruckt. Auf die Schrift berief sich im deutschsprachigen Raum beispielsweise der Schriftsteller und Naturforscher Christlob Mylius (1722–1754; zu ihm siehe auch die Kommentare zu G62 und G63) in einem mit dem Titel Nachrichten und Gedanken von der Elektricität des Donners versehenen Beitrag, der 1752 in den Physikalische Belustigungen erschien. Am 1. Februar 1827 notierte Johann Peter Eckermann (1792–1854) in seinen Gesprächen mit Goethe: „Schon als Kind begegnete mir Franklins Lehre von der Elektrizität, welches Gesetz er damals soeben gefunden hatte.“ Eckermann: Gespräche mit Goethe. 1. 2. 1827, S. 233. 1753 verlieh die britische Royal Society Franklin für seine Verdienste als Wissenschaftler und Erfinder die renommierte Copley-Medaille. 105 Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 287. 106 Siehe Fischer: Benjamin Franklin, S. 6. 107 Ebd. Ähnlich gab auch Johann Erich Biester an, dass Franklin „die Werkzeuge erfand, welche Schiffe, Häuser und ganze Städte sichern, welche die Herrschaft des menschlichen Geistes über die mächtigsten Elemente und die furchtbarsten Symptome der Natur am deutlichsten zeigen, und uns in den Stand setzen, mit Blitzen fast so sicher als mit gemalten Theaterflammen zu spielen.“ Biester: Etwas über Benjamin Franklin, S. 19. So urteilte Biester bereits zuvor über Franklins Verdienst: „Doch, was schon allein ihn unsterblich machen müßte, ist die, vorzüglich so praktische, Anwendung der Lehre der Elektrizität auf die Theorie der Gewitter.“ Ebd., S. 18.
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IX Benjamin Franklin in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur
„Jeder Blitzableiter ist ein Ehrendenkmal für ihn! haben weise Männer mit Recht gesagt. – Wir haben noch keinen Calcul, intellectuelle und moralische Größen zu berechnen.“108 Schlichtegroll, der den Blitzableiter „[d]ie grosse Entdeckung“109 nannte, würdigte die Leistung des Erfinders in seinem 1791 veröffentlichten Nekrolog ebenfalls mit den Worten: Franklins Aufmerksamkeit richtete sich nun besonders auf Electricität. Die Aehnlichkeit zwischen dem elektrischen Funken und dem Blitze war lange bemerkt worden; aber seinem Scharfsinne war es aufbehalten, den Lehrsatz von der vollkommenen Gleichheit dieser beyden Erscheinungen und ihrer Ursache darzuthun.110
Er stellte klar: „[…] [O]hne Frage gebührt ihm also der Ruhm, dass er diese Hypothese nicht bloss aufstellte, sondern auch als eine wahre Erfahrung erwies.“111 Bereits im 18. Jahrhundert wurde wahrgenommen, dass sich zeitgleich auch andere Wissenschaftler wie Thomas-François Dalibard (1709–1778), Jacques de Romas (1713–1776), William Watson (1715–1787) und Franklins Korrespondenzpartner Peter Collinson intensiv mit dem Phänomen der Elektrizität beschäftigt hatten,112 das wie der Magnetismus, vermittelt etwa durch die Experimente von Franz Anton Mesmer (1734–1815), auf Laien gleichermaßen wie auf Intellektuelle eine große Faszinationskraft ausübte.113 Trotzdem rühmten die meisten Zeitgenossen Franklin als den Wissenschaftler, dem die wohlverdiente Ehre zufiel, die positive und negative elektrische Ladung114 erkannt und den Blitzableiter eingeführt zu haben. Der Jurist, Musiker und Politiker Christian Jakob Zahn, der 1795 eine Franklin-„Biographie für die Jugend“115 publizierte, behandelte die Frage nach dem rechtmäßigen Urheber der Erfindung folgendermaßen: Daß Watson in Engelland beinahe um dieselbe Zeit eben diesen Unterschied auf dieselbe Art erklärte, benimmt keinem von beiden die Ehre der Entdekung, denn keiner wußte etwas von den Bemühungen des Andern, und überdies fand Franklin schon im Julius 1747. was Watson erst im Januar 1748. fand.116
108 Fischer: Benjamin Franklin, S. 6. 109 Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 286. 110 Ebd., S. 284 f. 111 Ebd., S. 286. 112 Siehe z. B. [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften, S. 5; Biester: Etwas über Benjamin Franklin, S. 18; Fischer: Benjamin Franklin, S. 6; [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 150. 113 Siehe hierzu Herr: Spät und scheinbar plötzlich; Hochadel: Öffentliche Wissenschaft. 114 Siehe hierzu auch [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften, S. 5; [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 152, 186. 115 Ebd., S. [Titelblatt]. 116 Ebd., S. 152.
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Und an anderer Stelle heißt es: Noch ehe Franklin seinen Versuch in Amerika machte, aber ohne daß er etwas davon wissen konnte, wurde ein ähnlicher von Herrn Mazeas in St. Germain, von Herrn Dalibard in Marly bei Paris, von beiden im Mai 1752. angestellt. Beide waren jedoch nicht Erfinder dieses (von Franklin entworfenen) Versuchs, sondern nur Ausführer fremder Gedanken. Beide gestehen ausdrüklich, daß sie nichts gethan hätten, als Franklins Vorschläge realisiren.117
Zahn schrieb Franklin eine aktive und daher entscheidende Rolle bei der Erfindung zu und hielt pointiert fest: „[…] [E]r war Entdeker, die übrigen waren nur Zuschauer […].“118 Wie eng in dieser Zeit im deutschsprachigen Raum in Europa der Blitzableiter mit Franklins Namen verknüpft wurde, wird am Eintrag unter dem entsprechenden Lemma in Adelungs Grammatisch-kritischen Wörterbuch der hochdeutschen Mundart deutlich. Dort heißt es: Der Blitzableiter […] eine Anstalt, entweder den entstandenen Blitz ohne Schaden in die Erde zu leiten, oder auch die Elektricität der Wolken ohne Schlag und Entzündung zur Erde zu führen; eine erst in den neuern Zeiten von Benj[amin] Franklin gemachte Erfindung, welche auch der Wetterableiter, und so fern der Haupttheil eine eiserne Stange ist, die Wetterstange genannt wird.119
Die Geschwindigkeit mit der die „dem menschlichen Geschlechte sehr nützlich[e]“120 Erfindung in Nordamerika und Europa Verbreitung fand, wurde in den zeitgenössischen Zeugnissen allerdings unterschiedlich beantwortet. So trug der aus Ansbach-Bayreuth stammende Subsidiensoldat Johann Conrad Döhla über die Verhältnisse in der Neuen Welt am 16. Juli 1777 in sein Tagebuch ein: „Die Einwohner haben hier fast auf allen Häusern erst vor einigen Jahren erfundene Gewitter-Ableiter angebracht.“121 Dagegen war 1793 in den Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins zu lesen: „Ohngeachtet in Nordamerika vom Blitze sehr häufiges Unglück angerichtet wird und der große Nutzen der Stangen des Doctor Franklin anerkannt ist, findet man sie doch an sehr wenigen Häusern.“122 Für Europa konstatierte Zahn 1795, dass „sogar grosse reiche Collegien und Corporationen, noch jezt lieber ihre Häuser vom Blize verzehren lassen“123 als Blitz-
117 Ebd., S. 156. 118 Ebd., S. 148. 119 Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 1, Sp. 1078. 120 Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 14. Siehe auch Mylius: Nachrichten und Gedanken von der Elektricität des Donners, S. 458. 121 Döhla: Tagebuch. Eintrag 16. 7. 1777, S. 68. 122 Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 25. 123 [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 158.
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ableiter aufzustellen. Biester verwies ebenfalls auf die zögerliche Umsetzung der Empfehlung, alle Häuser mit Wetterstangen auszustatten und führte sie auf „Trägheit, Unwissenheit, Aberglauben, und mißverstandne Sparsamkeit“124 zurück. Der Neuen Welt sprach er im Gegensatz hierzu und zu der in den Denkwürdigkeiten vertretenen Position, eine exemplarische Vorreiterrolle zu. Er erklärte: Aber Nordamerika, das den heftigsten Ungewittern ausgesetzt ist, erkannte und nutzte das große Werk seines Sohnes; fast alle Städte wurden mit der neuen Erfindung geschützt, und namentlich dankte Philadelphia seinem Mitbürger öfter seine Rettung.125
Zu den entschiedensten Befürwortern des Blitzableiters gehörte Schubart, der bereits 1775 in seiner Zeitung kritisch fragte: „Warum sind wir Deutsche doch so phlegmatisch, und führen nicht die Gewitterstangen ein, deren herrlichen Nutzen uns Franklin, ihr Erfinder und Reimarus, Lichtenberg und Herr D[octor] Weber zu Heilbronn so einleuchtend vorgepredigt haben?“126 Der schwäbische Autor bekundete seine Empathie und das tiefe Mitgefühl, das er für die Opfer von Wetterschäden empfand und seine emphatischen Worte vermitteln einen Eindruck über das Gefühl der Unsicherheit, Ohnmacht und Angst angesichts unkontrollierbarer Naturkräfte und die mit menschlichen Tragödien verbundenen Auswirkungen von Gewittern. In der Deutschen Chronik schrieb er: Wenn ich in den Zeitungen lese, welche Verwüstungen Hagel und Blitz bald da bald dorten angerichtet haben, welche Aengsten ein hangendes Gewitter dem wartenden Menschen verursacht; so überfließt mein Herze von Theilnehmung und Mitleiden. Dieß Jahr ist besonders fürchterlich durch Wetterschäden ausgezeichnet.127
Seinen Lesern, die ihm zufolge die imposante Kraft des Donners und die von Gewittern ausgehenden Gefahren unterschätzten, riet Schubart: „Wer die Majestät des Donners noch nicht kennt, der lese die Frühlingsfeier des Seher Klopstocks.“128 Tatsächlich wird in der hier erwähnten Ode von Klopstock, in der sich die Natur als pantheistischer Erlebnishorizont göttlicher Präsenz manifestiert und offenbart, die unkontrollierbare, überwältigende Kraft der Erfahrung des Donners beschrieben. In der Fassung von 1798 lauten die 21.–24. Strophe in metrisch ungebundenen Freien Rhythmen, die sich wie die Naturkräfte der Kontrolle entziehen:
124 Biester: Etwas über Benjamin Franklin, S. 19. 125 Ebd. 126 Schubart (Hg.): Deutsche Chronik (1775). 3. Vierteljahr. 69. Stück. 28. 8. 1775, S. 549. 127 Ebd. 128 Ebd., S. 550.
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Seht ihr den Zeugen des Nahen den zückenden Strahl? Hört ihr Jehova’s Donner? Hört ihr ihn? hört ihr ihn, Den erschütternden Donner des Herrn? Herr! Herr! Gott! Barmherzig, und gnädig! Angebetet, gepriesen Sey dein herlicher Name! Und die Gewitterwinde? sie tragen den Donner! Wie sie rauschen! wie sie mit lauter Woge den Wald durchströmen! Und nun schweigen sie. Langsam wandelt Die schwarze Wolke. Seht ihr den neuen Zeugen des Nahen, den fliegenden Strahl? Höret ihr hoch in der Wolke den Donner des Herrn? Er ruft: Jehova! Jehova! Und der geschmetterte Wald dampft!129
Klopstocks Verse verdeutlichen, welchen Eindruck die Erfindung Franklins auf die Alltagsmenschen gemacht haben muss, da nun die zerstörerische Macht einer zuvor unkontrollierbaren Naturkraft überwiegend eingedämmt werden konnte und sich der Mensch in gewisser Weise als der Natur überlegen erwies.
4 „Eripuit coelo fulmen, sceptrumque tyrannis.“ Franklin als Zweiter Prometheus und Homo Universalis Aus den eben zitierten Strophen wird deutlich, dass Gewitter im 18. Jahrhundert häufig noch traditionell physikotheologisch als Zeichen einer metaphysischen Macht wahrgenommen wurden. Dies dürfte insbesondere auf die Laienbevölkerung zutreffen, die allgemein Wetter- oder Naturphänomene als Ausdruckform eines göttlichen Willens zu interpretieren pflegte. Die unmittelbare persönliche Erfahrung eines heftigen Unwetters konnte emotional überwältigend sein und einen biografischen Zäsurcharakter besitzen. Eines der berühmtesten Beispiele für die weitreichenden Auswirkungen eines Gewittererlebnisses dürfte dasjenige Martin Luthers (1483–1546) gewesen sein, der am 2. Juli 1505 angesichts der Bedrohung durch ein Gewitter auf einem Feld in der Nähe von Stotternheim (heute ein
129 Klopstock: Die Frühlingsfeier. 21–24. Strophe, S. 179, 181 [Fassung 1798].
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Teil von Erfurt) unter Anrufung der Heiligen Anna das Versprechen abgegeben haben soll, Mönch zu werden.130 Nur vor diesem Horizont ist die Bedeutung von Franklins Erfindung des Blitzableiters richtig einzuordnen. Eine der am häufigsten im Zusammenhang mit dem amerikanischen Gelehrten genannte Formel, die auf den französischen Finanzminister Anne Robert Jacques Turgot (1727–1781) zurückgeht,131 lautet: „Eripuit coelo fulmen, sceptrumque tyrannis.“132 Der Spruch, der auch auf der berühmten von Jean-Antoine Houdon (1741–1828) 1778 angefertigten Marmorbüste von Franklin zu lesen ist (Abb. 99), Jean-Honoré Fragonard (1732–1806) und Marguerite Gérard (1761–1837) zu Visualisierungen inspirierte (Abb. 100) und immer wieder in Verbindung mit Darstellungen des Amerikaners erschien, akzentuiert die Verdienste Franklins als Philosoph,133 Aufklärer bzw. Erfinder und als Staatsmann gleichermaßen. Er unterstreicht aber auch einen zentralen Aspekt der Franklin-Rezeption, der im 18. Jahrhundert transnational in Europa anzutreffen war: Franklin erscheint hier als Aufklärer, der die Naturgewalten bezwingt und die Bevölkerung aus dem Aberglauben ins Licht der Aufklärung führt.134 Der Amerikaner dringt in eine bis dahin von vielen als nicht zugänglich betrachtete Sphäre vor, er raubt die Geheimnisse der bis dahin als unbezwingbar geltenden Natur. So erinnert auch der Sprecher in Meyens Epos: „Lange schon war die Elektrizität das tiefste Geheimniß / Der Natur[.]“135 Als Mittlerfigur zwischen Mensch und Schöpfung vermittelt er den Menschen eine Erfindung, eine
130 Siehe hierzu Müller: Luther, S. 549. 131 Siehe hierzu mit weiterführender Literatur Campbell: Recovering, S. 59. Siehe auch Overhoff: Benjamin Franklin, S. 10; ders.: Benjamin Franklin und die Berliner Aufklärung, S. 66; Wild: Prometheus-Franklin, S. 32–34. 132 „Er entriss dem Himmel den Blitz und das Szepter den Tyrannen.“ In dieser oder in modifizierter Form („Eripuit fulmen coelo, mox sceptra tyrannis“) wird die Formel z. B. zitiert in [Anonym]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. [Titelblatt]; B. F.: Etwas von Franklin, S. 423; Forster: Erinnerungen aus dem Jahr 1790, S. 309; Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. [Titelblatt]; Pfister: Nordamerikanische Unabhängigkeits-Krieg, S. 56; Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 296; Steffens: Was ich erlebte, S. 78; [Wekhrlin] (Hg.): Das Felleisen (1778). 44. Nummer. 12. 6. 1778, S. [4]. Meyens Franklin-Epos endet sogar mit diesen Worten. Siehe Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 5. Gesang, S. 130. Siehe auch Walz: American Revolution, Sp. 351; [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. [Titelblatt]. 133 So berichtete etwa Milon: „Von den Höhen des Tempels der Philosophie warf er einen verächtlichen Blick auf den Haufen derer Leute, die sich durch die falschen Grundsätze der Erziehung, durch die Meynungen in der Religion, und durch die politischen Einrichtungen blindlings unterjochen lassen.“ Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 2. Zu Franklins zeitgenössischer Rezeption als Philosoph siehe z. B. ebd., S. [1]. 134 Siehe Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 1. Gesang, S. 22. 135 Ebd., S. 13.
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Technik (techné; gr. τέχνη) im ursprünglichsten Sinne, die ihn als Imitatio Promethei erscheinen lässt.136 Dieses Paradigma des Gelehrten ließ ihn zahlreichen Zeitgenossen als ideale Verkörperung des Aufklärers erscheinen, der die Geheimnisse der Schöpfung, nicht in Opposition, sondern als logische Konsequenz aus der natürlichen Ordnung und Stellung des Menschen in der Natur, ergründet und ihn auf diese Weise über sich selbst hinaus wachsen lässt. Die zeitgenössische Wahrnehmung Franklins als durch die Erfindung des Blitzableiters bedeutenden Vertreter der Aufklärung verdeutlicht eine von James McArdell (1729?–1765) nach einem Gemälde von Benjamin Wilson (1721–1788) angefertigte Darstellung,137 die den Amerikaner hinter einem Tisch stehend zeigt, auf dem mit Papier und Feder die Attribute eines Gelehrten zu erkennen sind, während er ein Buch, auf dessen Rücken „Electric Exp[erimen]ts“ zu lesen ist, in der Hand hält und mit dem linken Zeigefinger auf einen gerade vom Himmel auf eine Siedlung niederfahrenden Blitz weist. Über diesem ist auf der linken Seite der oberen Hälfte des Bildes zu erkennen, dass sich parallel dazu das Licht seinen Weg durch die dichte Wolkendecke bahnt. Die Abbildung greift damit die metaphorische Vorstellung der „Aufklärung“ als meteorologisches Ereignis auf und interpretiert die Erfindung Franklins als Errungenschaft, die dazu beiträgt, die Dunkelheit zu vertreiben und das „Licht der Vernunft“ zu verbreiten. Der auf den amerikanischen Gelehrten applizierte Spruch Turgots, der unter aufmerksamen Intellektuellen im 18. Jahrhundert rasch zu einem geflügelten Wort wurde, enthält neben der impliziten Postfiguration des Geehrten als Zweiter Prometheus eine weitere Komponente, die sich bei näherer Betrachtung jedoch als komplementär hierzu verhält: Franklin erscheint nicht auf ein Aktionsfeld limitiert, sondern als Homo Universalis, als Mensch, der sein Potential im aufklärerischen Sinne voll ausschöpft und (gemäß der Kantschen Aufforderung
136 Der Vergleich mit dem mythologischen Titanen Prometheus, der in eine den Göttern vorbehaltene und den Menschen nicht zugängliche Sphäre eindringt, um diesen das Feuer als Voraussetzung für weitere technische Errungenschaften zu bringen, drängt sich auch auf, wenn Christian Jakob Zahn über die Gründe der zögerlichen Verbreitung von Franklins Erfindung angibt, dass sich diese teilweise aus der Angst vor einem unberechtigten Eingriff in die göttliche Ordnung gespeist habe und die Aufstellung von Blitzableitern von Kritikern als menschliche Hybris interpretiert worden sei. In seiner Franklin-Biografie gab er an: „[…] [D]ie Liebe zum Alten brüteten Verläumdungen und Zweifel aus, um diese nüzliche Erfindung zu unterdrüken. Sogar schämte man sich nicht, die Aufrichtung der Blitzableiter zu einer Sünde zu machen: man müsse, sagte man, Gott nicht in seine Regierung greifen u.s.w.“ [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 159. 137 Im Internet ansehbar unter http://www.loc.gov/pictures/item/2003674082/ [15. Oktober 2016].
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Sapere Aude) den Mut hat, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Er wird zu jemanden, der gerade dadurch den prototypischen aufgeklärten Menschen oder im Sinne Immanuel Kants präziser formuliert, den prototypischen Menschen im Zeitalter der Aufklärung verkörpert.138 Dieser Mensch ist wie Franklin sowohl als Wissenschaftler bzw. Aufklärer wie auch als Zoon Politikon (ζῷον πολιτικόν), als an der Gemeinschaft partizipierendes politisches Gesellschaftswesen, tätig, das aktiv auf das System seines Habitats einwirkt – im Falle Franklins als republikanischer bzw. antimonarchischer Staatsmann – und dieses im Sinne der Perfektibilität mit besten Intentionen zu verbessern sucht, um mit eudämonistischer Intention das Gemeinwohl zu befördern. Aufklärer (im Franz.: Philosophe) und Zoon Politikon erscheinen daher auch nicht als antagonistisches Begriffspaar – etwa im Sinne von (reflektierender, passiver) Denker und (tätiger, aktiver) Handelnder – sondern komplementär als zwei Seiten einer Medaille. Die im angloamerikanischen Raum verbreitete Bezeichnung Franklins als Renaissance Man139 trägt dieser Wahrnehmung des Gelehrten bis heute Rechnung
138 Der Wahrnehmung Franklins als Homo Universalis, als vielseitig begabter Universalgelehrter, entspricht in Meyens Epos die Beschreibung: „Viele Männer vereint er in sich, bald gelehrter, bald Staatsmann, / Bald ein geselliger Bürger, ein Mann der alles zugleich ist.“ Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 2. Gesang, S. 45. Auch zahlreiche andere zeitgenössische Berichte hoben die vielfältigen Tätigkeitsfelder Franklins hervor. Zahn wies auf „Franklins so mannigfache Verdienste“ ([Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 3) hin, Georg Schatz auf seinen „Ruhm und seine Größe als Erfinder, als Staatsmann, als gründlicher Kenner von mehr als Einer Wißenschaft, als lehrreicher und geistvoller Schriftsteller“ (Schatz: Vorbericht, S. * 2rf.) und in einer Rezension zu Benjamin Franklins kleinen Schriften war zu lesen, dass Franklin sowohl in der Politik als auch in der „Philosophie des Lebens“ (Dp. [= ?]: [Rezension] Benjamin Franklins kleine Schriften, meist in der Manier des Zuschauers, nebst seinem Leben, S. 203) „bekanntlich praktischer Meister“ (ebd., S. 203 f.) gewesen sei. Ähnlich hieß es in der Berlinischen Monatsschrift: „Unser Zeitgenosse der grosse Franklin ist, als Mensch, als Gelehrter, als Staatsmann, so bewundernswehrt und zugleich so verehrungswürdig, daß jede kleine Nachricht von ihm willkommen sein muß.“ [Anonym]: Anleitung zur praktischen Uebung der Tugend von Benjamin Franklin, S. 83. Ferdinand Pfister, der dem amerikanischen Gelehrten im 19. Jahrhundert eine „betriebsame Schlauheit“ (Pfister: Nordamerikanische Unabhängigkeits-Krieg, S. 2) attestierte, vertrat ebenfalls die Meinung, dass er „vielseitig begabt und unterrichtet“ (ebd.) gewesen sei. Siehe auch [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften, S. 11; B. F.: Etwas von Franklin, S. 423; Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 107; Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 266, 303, 309; [Schmohl]: Ueber Nordamerika und Demokratie. Nachschrift. Nachschrift, S. 204. Im 20. Jahrhundert notierte auch Albert R. Schmitt in seiner Untersuchung über Herder und Amerika: „Es ist sicher nicht übertrieben, wenn man ihn ein Universalgenie nennt.“ Schmitt: Herder und Amerika, S. [148]. 139 So z. B. auf der Internetseite von Education World: http://www.educationworld.com/a_ books/books142.shtml, 25. September 2016.
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und verweist auf den universellen aufklärerischen Anspruch der im Menschen angelegten Entelechie, eine umfassende Entfaltungsmöglichkeit zu eröffnen. Sie korrespondiert aber auch unbedingt mit der von John Locke unter Verwendung des Bildes der Tabula Rasa pointiert zum Ausdruck gebrachten empiristischen Überzeugung,140 dass der Mensch durch die entsprechenden äußeren Stimuli in jede Richtung geformt werden könne. In Franklin fiel, so die Beobachter, diese Wahrnehmung interessanterweise mit der Überzeugung zusammen, dass es sich bei ihm um ein Genie handelte,141 das wie Prometheus und wie ein Second Maker (Shaftesbury) sich selbst und seine Umwelt aktiv formte und perfektibilistisch – und auch hierin typisch aufklärerisch – nach dem „Höheren“, d. h. nach der konsequenten intellektuellen, soziopolitischen und insbesondere moralischen Selbstverbesserung strebte. Bestätigt fanden sich bereits die Zeitgenossen Franklins in der biografischen Entwicklung, die der Amerikaner durchlaufen hatte. Er verkörpert bis heute für zahlreiche seiner Bewunderer das Muster des Selfmademan, der sich aus sozial niedrigen Verhältnissen stammend, mit Entschlossenheit, Überzeugung, Kreativität und persönlichem Engagement als Autodidakt142 hochgearbeitet hatte und das wahr werden ließ, was seit dem 20. Jahrhundert als American Dream bezeichnet wird. Biester akzentuierte 1783 voller Bewunderung den sozialen Aufstieg Franklins mit den Worten:
140 Als Empirist wird Franklin auch in Meyens Epos portraitiert. Dort ist bereits im ersten Gesang über ihn zu lesen: Allenthalben wo er den Pfad der schlichten Natur späht Geht er nie voran vor der Mutter, sondern er folgt ihr, Nicht im dogmatischen Tone sagt er ihr, sondern von ihr erst Hört er was sie ist; die Beobachtung macht den Erfinder. Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 1. Gesang, S. 10. Und einige Verse später finden sich die Worte, die als auch als Anspielung auf einen Bibelspruch (1 Thess 5,21) gelesen werden können: „Nicht Cartesische Wirbel, nein, die möglichen Fälle / Sucht er auf; er prüft sie und denn behält er das gute.“ Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 1. Gesang, S. 10. Siehe auch ebd., S. 18. 141 Siehe ebd., S. 8; Schatz: Vorbericht, S. [* 6v]. 142 Siehe hierzu auch Dippel: Theorie, S. 586. Viele Beobachter lobten im 18. Jahrhundert auch seine Bereitschaft, sich noch im fortgeschrittenen Alter mit neuen Themen auseinanderzusetzen und sich neue Sprachkenntnisse anzueignen. Milon wies z. B. darauf hin, dass „er in seinem männlichen Alter anfing[,] die lateinische und französische Sprache zu studieren und durch eine unermüdete Beharrlichkeit […] es ihm [gelang,] sie zu lernen.“ Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 6. Siehe auch ebd., S. 2 sowie H.: [Rezension] Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins von C. Milon, S. 101, 104.
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Dieser große, in Amerika vor 77 ½ Jahren geborene Mann hat sich aus niederem Stande durch Tugenden und durch Geist zu einem Posten emporgearbeitet, wo ganz Europa auf ihn sieht, wo Höfe ihn ehren, und wo sein Vaterland ihn in mehr als einer Rücksicht Wohlthäter nennt.143
Auch Zahn konstatierte in seiner an ein adoleszentes Publikum gerichteten Franklin-Biografie: „Und so sehen wir denn in Franklin ein neues auffallendes Beispiel, daß der Mensch aus sich selbst bilden kann, was er will. Und wenn er dies kann, so ist er schuldig, sich zu einem rechtschaffenen Menschen zu bilden.“144 Der Autor ergänzte: „Und in so ferne ist das alte Sprüchwort wahr: daß jeder seines Glüks oder Unglüks Schmid ist.“145 Diesen für Zahn elementaren Kerngedanken wiederholte der Autor in seiner Biografie an zahlreichen anderen Stellen. Bereits zu Beginn der Lebensbeschreibung machte er deutlich: D[octor] Benjamin Franklin ist einer von den wenigen Menschen, die ganz allein durch eigene Anstrengung groß und berühmt geworden sind, ohne daß Reichthum, oder vornehme Geburt, oder Verbindungen mit mächtigen Menschen ihm zur Stüze gedient hätten.146
Und später heißt es: Welch ein Jüngling! und nachher welch ein Mann! Durch Fleiß und Rechtschaffenheit, arbeitete er sich aus niederem Stande zu einem reichen Bürger, zu einem Gelehrten, zu einem hohen Staatsbeamten, zu dem Wohlthäter einer halben Welt empor.147
Auch Herder konstatierte anerkennend, dass sich Franklin „trotz seiner Armut und mechanischen Berufsart, selbst literarische Bildung gab […].“148
143 Biester: Etwas über Benjamin Franklin, S. 13. 144 [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 105. 145 Ebd. 146 Ebd., S. 7. 147 [Anonym]: Anleitung zur praktischen Uebung der Tugend von Benjamin Franklin, S. 84. 148 Herder (Hg.): Briefe zur Beförderung der Humanität. 1. Sammlung. 2. Brief, S. 17 [1991]. Große Bewunderung riefen außerdem Franklins ein Leben lang anhaltendes Interesse an Büchern und seine Bereitschaft, sich auch noch im höheren Altern intellektuellen Herausforderungen zu stellen und sich dadurch einen wachen Geist zu bewahren. Über die Leseaffinität Franklins berichtete Schlichtegroll, der auf den „Scharfsinn [des] thätigen Mannes“ (Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 300) verwies und behauptete, dass er „nur am Körper, nicht am Geiste“ (ebd., S. 298) alt wurde: „Benjamin war von seiner zartesten Kindheit an leidenschaftlich für das Lesen eingenommen, und wendete alle freye Zeit und seine kleine Barschaft auf Bücher.“ Ebd., S. 269. Zahn lobte, dass Franklin noch „im männlichen Alter Latein lernte“ ([Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 166. Siehe hierzu auch Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin
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Die Wahrnehmung Franklins als Novus Prometheus gehört, wie bereits angedeutet, zu den gängigen Motiven der zeitgenössischen Franklin-Rezeption.149 Sie zeigt sich in der bildlichen Darstellung des Gelehrten in einer der mythologischen Figur nachempfundenen Pose (Abb. 101 f.) in der fiktionalen und nichtfiktionalen Literatur. Immanuel Kant bezeichnete Franklin bereits 1756 als „Prometheus der neuern Zeiten, […] der den Donner entwaffnen wollte“150. Und Johann Christian Schmohl richtete 1782 folgendermaßen das Wort an den Amerikaner: Nein, Fränklin Prometheus, der du dem Himmel den Donner […] und den Tyrannen das Zepter entrissest, dein und deiner Mitgehülfen Verbrechen, das die neuen Götter Albions strafen wollen, ist wie deines grossen Ahner: der das Feuer vom Himmel stahl und die Tyranney des Zevs stürzen half; Menschenliebe, Philadelphie.151
Außerdem ergänzte Schmohl: „Auch Du, Unsterblicher, kannst deine verkannte mißhandelte Verdienste, wie jener Gott vom Kaukasus allen Himmeln und Erden zurufen[.]“152 In Johann Isaac Freiherr von Gernings (1767–1837) „[s]aecularische[n] Gesang“153 Das achtzehnte Jahrhundert (1802) wird Franklin, den der Sprecher in einem Enjambement als Prometheus apostrophiert, mit den Worten gerühmt: Vater der Harmonika Du Prometheus Franklin! nicht Zeus Donner allein entludst Du, Auch der Unterdrücker Geschoss, und spieltest Völker in Ruhe!154
Franklin, S. 284) und kognitiv bis ins hohe Alter jung und leistungsstark blieb: „Aber wenn gleich sein Körper ihn an die Vergänglichkeit erinnerte, so war doch sein Geist ungeschwächt.“ [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 239. 149 Siehe hierzu auch Wild: Prometheus-Franklin, S. [30]–39. 150 Kant: Fortgesetzte Betrachtung der seit einiger Zeit wahrgenommenen Erderschütterungen, S. 472. Siehe hierzu auch Wild: Prometheus-Franklin, S. 31. 151 [Schmohl]: Ueber Nordamerika und Demokratie. Nachschrift, S. 202 f. Siehe hierzu auch Wild: Prometheus-Franklin, S. 31. 152 [Schmohl]: Ueber Nordamerika und Demokratie. Nachschrift, S. 203. Siehe hierzu auch Biester: Etwas über Benjamin Franklin, S. 38; Forster: Erinnerungen aus dem Jahr 1790, S. 309; La Roche: Mein Leben, S. 240; [Schmohl]: Ueber Nordamerika und Demokratie. Nachschrift, S. 202–208. 153 Gerning: Das achtzehnte Jahrhundert, S. [Titelblatt]. 154 Ebd., S. 11.
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Für Meyen, der in seinem Franklin-Epos „den Gewitterleiter“155 als „das neue / Wunder der Welt“156 pries, überflügelte der Amerikaner sogar das mythologische Vorbild. Der Sprecher rühmt ihn emphatisch mit den Worten: „O Philosoph! Wohin steigst du; so stieg nicht Prometheus / Himmelan, als er das Feuer den frostigen sterblichen brachte[.]“157
5 „Vater des amerikanischen Freistaats“. Franklin als politische Persönlichkeit Der zweite Satzteil des oben zitierten Turgot-Zitates („Eripuit coelo fulmen, sceptrumque tyrannis“) verweist auf Franklins politisches Wirken und nimmt seine Wahrnehmung als Gründervater (Founding Father) der Vereinigten Staaten vorweg. Tatsächlich bezeichnete ihn Christian Jakob Zahn als „scharfsinnige[n] Vater des amerikanischen Freistaats“158. Matthias Christian Sprengel nannte den amerikanischen Gelehrten einen „eifrige[n] warme[n] Vertheidiger seiner Landesleute, dem America beynahe einzig seine Freyheit zu verdanken hat“159. Ein anonymer Rezensent der Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins vertrat ebenfalls die Ansicht, dass Franklins „Vaterland […] ohne ihn seine Unabhängigkeit schwerlich errungen haben würde“160 und der Autor des rezensierten Werkes selbst erkannte in ihm den „Stifter[] der Amerikanischen Glückseligkeit“161. Zum festen Topos wird das immer wiederkehrende Motiv des Staatengründers auch in Meyens Epos. Bereits auf dem Titelblatt sind die auf Quintus Ennius (239–169 v. Chr.) zurückgehenden Verse (Annales V. 360–362), die sich auf Fabius Cunctator beziehen, zu lesen: Unus homo nobis cunctando restituit rem, Non ponebat enim rumores ante salutem, Ergo postque magisque viri nunc gloria claret.
155 Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 1. Gesang, S. 21. 156 Ebd. 157 Ebd., S. 20. Siehe auch ebd., S. 28. 158 [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 233. Zu Bezeichnung Franklins als „Vater“ siehe auch [Anonym]: Der Unglickliche Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka, S. 143–145; Forster: Tagebucheintrag. Reise von London nach Paris 1777. 9. 10. 1777. In: Ders.: Tagebücher, S. 18 f. 159 Sprengel: Geschichte der Revolution von Nord-America, S. 97. 160 H.: [Rezension] Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins von C. Milon, S. 104. 161 Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 110.
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Ein Mann, einer gab uns durch klügliches zögern den Freistaat, Nie war lermender Ruf bei ihm mehr und früher als Rettung, Darum jauchzet die Nachwelt dem Helden je länger je heller.162
Nicht zuletzt lauten die Anfangsverse des Epos: „Den Philosophen besingt mein Lied, der dem neueren Welttheil’ / Jenseit des Mar del Nord das Licht der Wissenschaft brachte, / Und sein seufzendes Vaterland von Tyrannen befreite […].“ 163 Nur wenige Verse später heißt es erneut: „Da trat der Weise hervor und ward des Vaterlands Retter, / Gab der Freiheit ihr Recht und gründete siegreich den Freistaat.“164 Im dritten Gesang wird Franklin schließlich als „Philosoph am Ruder des Staates“165 und „der gröste Völkerschaftsstifter“166 gefeiert, während ihm der Sprecher im fünften Gesang den alleinigen Anspruch auf den Ruhm zuschreibt, indem er die rhetorische Frage stellt: Sage mir, glücklicher Freistaat, der du die Fesseln zerrissest, Wie soll man thun dem Manne, der ganz dein Schöpfer des Glücks ist? Denn kein anderer muß mit ihm in den Ruhm sich theilen; Sind denn die Krieger allein die Männer, die Lorbern verdienen?167
162 Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann, S. [Titelblatt]. Siehe hierzu auch Martin: Versepos, S. 358. 163 Ebd. 1. Gesang, S. [5]. 164 Ebd., S. 6. 165 Ebd. 3. Gesang, S. 71. Siehe auch ebd., S. 61. 166 Ebd., S. 69. Siehe auch ebd. 4. Gesang, S. 90. 167 Ebd. 5. Gesang, S. 128. Es ist auffällig, dass Meyen die Rolle der „Krieger“, also des Militärs, zugunsten des „Philosophen“ Franklin ganz offensichtlich diminuiert. Dennoch wird im Epos die Bedeutung Washingtons, dessen Name hier zwar nicht direkt evoziert wird aber bei dem Ausdruck „Krieger“ latent mitschwingt, nicht völlig negiert. Die Figur des Oberkommandierenden der Kontinentalarmee ist bei Meyen ebenfalls sehr positiv besetzt. Washington, dem wie allgemein allen „feurigen Amerikaner[n]“ (Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 3. Gesang, S. 75) der Heldenstatus zugesprochen wird, erscheint allerdings fast ausschließlich in seiner militärischen Funktion. So heißt es beispielsweise im vierten Gesang: Washington ist der streitbare Held, der weitsehende Führer. Alle Stufen des wechselnden Glücks als Held, durchging er Bis er den gewaltigen Cornwall in seiner Rüstung Schlug und fing, den Führer samt seinen umschlossenen Heere. Ebd. 4. Gesang, S. 104. Siehe auch ebd. 3. Gesang, S. 71, 74, 76; 4. Gesang, S. 88, 93, 105 f. Die zentrale Bedeutung Franklins allerdings als „Seele“ des Staatskörpers und damit gewissermaßen auch sein Vorrang, wird im vierten Gesang mit den Worten deutlich gemacht: „Aber Franklin
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Auch im 19. Jahrhundert erkannte der Literaturhistoriker und Publizist Rudolf Haym (1821–1901) in Franklin „den Mitbegründer der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten“168. Politisch war der amerikanische Staatsmann, dessen Talent in diesem Metier immer wieder akzentuiert wurde – so nannte ihn Milon einen „geschickten Politiker“169 und Sprengel war der Ansicht, dass „[e]in Mann seiner Art […] in allem Betracht dazu qualificirt [war], dem Vaterlande in einem öffentlichen Amte zu dienen“170 – bereits zuvor aktiv geworden, etwa in seiner Funktion als General Postmaster171 und 1754, als er zu Beginn des French and Indian War mit dem sog. Albany Plan of Union ein Bündnisvorschlag der britischen Kolonien in Nordamerika vorgestellt hatte, um der militärischen Bedrohung durch die französischen Streitkräfte in Neufrankreich und ihre indianischen Alliierten zu begegnen.172 Wie oben erwähnt gehörten Washington und Franklin zu den populärsten Vertretern der Amerikanischen Revolution. In der Regel wurden die Leistungen beider Patrioten, die meistens auf Augenhöhe erscheinen, von den Sympathisanten gleichermaßen gewürdigt. So gelangte Ernst Karl Ludwig Isenburg Buri (1747–1806) zu dem Schluss, dass die Kombination von „Franklins Kopf und Washingtons Degen den dreyzehen vereinigten Staaten der Nordamerikaner die Freyheit errungen“173 hatte. Auffällig ist, dass es erstaunliche Parallelen in der zeitgenössischen Franklin- und Washingtons-Rezeption gibt. Wie der Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee174 wurde auch Franklin mit einer Reihe von antiken Vorbildern vergiebt dem Staate das Leben, und Washington Waffen, / Dieser des Staatskörpers Arm, Franklin die denkende Seele.“ Ebd. 4. Gesang, S. 107. Siehe auch ebd. 3. Gesang, S. 69. 168 Haym: Herder, S. 485. 169 Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. [1]. 170 Sprengel: Geschichte der Revolution von Nord-America, S. 264. 171 Siehe hierzu Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 27. 172 Siehe hierzu insbesondere Shannon: Indians and Colonists. Siehe auch Heideking: Geschichte, S. 26. Zur Wahrnehmung des Unionsplans im 18. Jahrhundert siehe Biester: Etwas über Benjamin Franklin, S. 29; [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 170–172. Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang die mit der Losung „Join, or Die“ versehene Darstellung der der britischen Kolonien in Nordamerika als separierte Teile einer Schlange, die Franklin am 9. Mai 1754 in seiner Zeitung Pennsylvania Gazette publizierte (Abb. 3). Während der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung wurde die Abbildung eines der Symbole für den notwendigen Zusammenhalt der Kolonien im Kampf gegen das Mutterland. 173 [Buri]: Oneoida, S. [12]. Die hier zitierte Passage stammt aus einem Beitrag, der unter dem Titel Oneoida. Geschichte eines Irokesen in Deutschland in dem von Carl Cist (= Charles Jacob Sigismund Thiel) herausgegebenen Americanischen Stadt und Land Calender Auf das 1797ste Jahr Christi in Philadelphia publiziert wurde. 174 Siehe Kapitel VIII.
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glichen,175 zu denen beispielsweise Sokrates,176, Pythagoras (ca. 570–ca. 480 v. Chr.),177 Fabius Cunctator178 und in der Mythologie Herakles/Herkules179 gehören. Für Meyen, der Franklin in seinem Epos, das zahlreiche Antikenbezüge aufgreift (Abb. 103),180 als „amerikanische[n] Plato“181 bezeichnete, stellte der von ihm bewunderte Gelehrte ein Konglomerat aus „Epaminondas, […] Timoleon, […] Demokrit[,] […] Tullius[,] […] Scipio[,] […] Kato, […] Lucil, […] Lälius […] [sowie] Ennius“182 dar und verkörperte „[d]iese zusammen wie eine Person, wie ein Korpus“183. Dieser Postfiguration nach antiken Vorbildern entspricht in der zeitgenössischen Bildenden Kunst die antikisierende Darstellung Franklins mit einer römischen Toga wie sie etwa auch eine 1789 von Francesco Lazzarini angefertigte Plastik zeigt.184 Den preußischen Kommunalpolitiker und Schriftsteller Theodor
175 Umgekehrt fungierte der Amerikaner für Herder als vorbildliche Vergleichsperson bei seiner Beschreibung des berühmten, zuvor verstorbenen Übersetzers Johann Joachim Christoph Bode (1731–1793). Siehe Herder (Hg.): Briefe zur Beförderung der Humanität. 4. Sammlung. 52. Brief, S. 270 [1991]. 176 Siehe ebd. 5. Sammlung. 57. Brief, S. 313 [1991]. Siehe auch [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 65. 177 Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 2. Gesang, S. 33. 178 Siehe ebd., S. 52. 179 Siehe ebd. 5. Gesang, S. 130. Als „Herkules-Washington“ (H[äber]l[in?]: Die Freiheit Amerika’s. 18. Strophe. 1. Vers, S. 389) erscheint der Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee in dem 1783 in der Berlinischen Monatsschrift veröffentlichen Gedicht Die Freiheit Amerika’s. Siehe Kapitel VIII. 180 Die Entscheidung Meyens, sein literarisches Lob auf Franklin als Epos, das traditionell als höchste literarische Gattung gilt (siehe auch Martin: Versepos, S. 1) und in Hexametern zu verfassen, ist nicht nur als Ehrerbietung gegenüber dem Besungenen zu verstehen, sondern stellt auch eine gewisse Huldigung an die Antike dar. Siehe hierzu auch ebd., S. 96. Zum deutschen Versepos im 18. Jahrhundert siehe allgemein Martin: Versepos. 181 Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 5. Gesang, S. 125. 182 Ebd., S. 127. 183 Ebd., S. 128. Meyen erwähnt in seinem Epos allerdings nicht nur eine Reihe von antiken griechischen und römischen Staatsmännern und Gelehrten, sondern auch zahlreiche Figuren der Amerikanischen Revolution bzw. des Unabhängigkeitskrieges. Zu diesen gehören beispielsweise die britischen Generäle John Burgoyne (1722–1792; ebd. 4. Gesang, S. 96) und Lord Charles Cornwallis (ebd., S. 104) sowie der amerikanische General Horatio Gates (1726–1806; ebd., S. 96). Darüber hinaus werden auch verschiedene historische Ereignisse wie die Schlachten von Bunker Hill (ebd. 3. Gesang, S. 76 f.), Trenton (ebd. 4. Gesang, S. 93 f.), Saratoga (ebd., S. 96) und Yorktown (ebd., S. 104) sowie der britisch-deutsche Subsidienhandel (ebd., S. 86 f.) und der Übertritt von Benedict Arnold zu den Briten (ebd. 5. Gesang, S. 112) angesprochen. 184 Im Internet ansehbar unter http://www.librarycompany.org/treasures/essays/ATI-frontis_ lg.jpg [1. Januar 2017]. Eine wiederhergestellte Reproduktion der Figur ist heute auf der Fassadenseite der sog. Library Hall der von Franklin mitbegründeten American Philosophical Society in Philadelphia zu sehen.
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Gottlieb von Hippel erinnerte der amerikanische Gelehrte nicht nur an die antiken Vorbilder, sondern er überflügelte sie sogar. Seiner Meinung nach handelte es sich bei Franklin um einen „Mann, dessgleichen weder das Griechische noch das Römische Althertum aufzuweisen“185 hatte. Franklin wurde wie Washington nicht nur mit Fabius Cunctator, sondern auch mit dem antiken Staatsmann Lucius Iunius Brutus in Verbindung gebracht,186 dessen Patriotismus sogar familiäre Bindungen übertraf. In Meyens Epos verkündet der Sprecher mit Anerkennung: „Hier seh’ ich den Brutus, die Geißel Tarquins, den Stifter der Freiheit, / Brutus der wie Franklin seine frevelnde Söhne verurtheilt, / […].“187 Eine besondere Parallele zum römischen Vorbild, die bei Washington fehlt, wurde darin erkannt, dass der uneheliche Sohn des amerikanischen Gelehrten, William Franklin (ca. 1730–1813),188 der 1763–1776 das Amt des Gouverneurs von New Jersey ausgeübt hatte, während der Unabhängigkeitsbewegung einer der „eyfrigsten Loyalisten“189 blieb, was schließlich zum endgültigen Zerwürfnis mit seinem Vater führte.190 So heißt es dementsprechend bei Meyen: „Selbst der Sohn Franklins, unwürdig des besten der Väter, / Wird der Aufrührer Stütze, wie einst die Söhne des Brutus[.]“191 Und Friedrich Schlichtegroll kommentierte die dramatischen politischen und familiären Ereignisse mit den Worten: Nur Einen empfindlich tiefen Schmerz hatte das Schicksal der Seele des grossen Republikaners bestimmt, aber er trug ihn mit dem Muth eines Brutus. Sein einziger Sohn war königlicher Staatthalter in Neujersey; er nahm beym Ausbruch der Streitigkeiten die englische Parthey, und ermahnte die Einwohner, nicht zur Independenz-Erklärung zu treten. Der Congress liess ihn 1776. gefangen nehmen und in Connecticut festsetzen.192
Die Parallele zur Washington-Rezeption setzt sich in der Verleihung des Titels des Landesvaters (Pater Patriae) fort, der zu den wichtigsten Epitheta des Oberbefehlshabers der Kontinentalarmee bzw. ersten amerikanischen Präsidenten
185 Hippel: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. V. Verbesserungs-Vorschläge, S. 24[9] f. 186 Siehe hierzu auch Wild: Prometheus-Franklin, S. 37. 187 Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 5. Gesang, S. 126. 188 Zu ihm siehe Skemp: William Franklin, bes. S. 3 ff. 189 [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften, S. 9. 190 Brutus soll von seinen Söhnen, die sich gegen ihn stellten, hintergangen worden sein und sich an einer Staatsverschwörung beteiligt haben. Nachdem das Komplott aufgedeckt wurde, soll der Vater die Hinrichtung seiner Söhne angeordnet haben. Siehe Elvers: I. Brutus, Sp. 59. 191 Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 3. Gesang, S. 67. 192 Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 294 f. Außerdem hielt Schlichtegroll fest: „Junius Brutus war ein Patriot; Franklin war zugleich ein Bürger der Welt und ein Freund aller Menschen.“ Ebd., S. 264.
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gehörte und bis heute Aktualität besitzt.193 „Ich singe den Vater Volks“194, verkündet der Erzähler zu Beginn von Meyens Epos, das dieses Motiv wiederholt aufgreift.195 So ist auch im dritten Gesang zu lesen: „[…]. Franklin, Philosoph und Sprecher des Volkes / Ist des Landes Vater, und fordert die Rechte der Freiheit.“196 Zeitgenössische Beobachter würdigten die militärischen Erfolge Washingtons, allerdings waren sie sich in der Regel darüber einig, dass Franklins auch in den deutschen Staaten bekannte Tätigkeit als amerikanischer Gesandter am französischen Königshof maßgeblich zu der Entscheidung Ludwigs XVI. beigetragen hatte, einem Bündnis mit den Vereinigten Staaten zuzustimmen und ihnen wirtschaftlich wie militärisch beizustehen.197 Die heutige Forschung unterstreicht immer wieder, dass der Unterstützung der USA durch Frankreich infolge des Treaty of Alliance und des Treaty of Amity and Commerce198 seit 1778 kriegsentscheidende Bedeutung zukam und sie wahrscheinlich erst den Sieg über die Briten möglich machte. In vielen Teilen der deutschen Staaten hatte sich allerdings eine weit ausgeprägte Gallophobie verbreitet, die gerade auch in die fiktionale Literatur vordrang. Das französisch-amerikanische Bündnis wurde in diesen Texten bestenfalls als notwendiges Übel wahrgenommen.199 Aus diesem Grund verdient die Rezeption und literarische Darstellung des Aufenthaltes Franklins in Frankreich von 1776 bis 1785 eine besondere Aufmerksamkeit. Die Teutsche Chronik verfolgte 1777 mit Interesse die Aktivitäten des amerikanischen Gesandten im Nachbarland und notierte z. B. am 2. Februar: „Franklin privatisirt in Frankreich […].“200 Auch am 14. August konnte man lesen: „Denn siehe nur, mit wie heitrer Mine Franklin und seine Brüder in Paris umherwandeln, wie sie in Frankreichs Häven sicher sich wafnen, und das Recht der Gastfreyheit genießen, und mit seinem Vorrath ihrem Mangel abhelfen.“201 Beachtung fand außerdem der große Erfolg, mit dem sich der Amerikaner auf dem Parkett der französischen Adelskultur zu bewegen verstand und seine all-
193 Siehe Kapitel VIII. 194 Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 1. Gesang, S. 6. 195 Siehe ebd. 3. Gesang, S. 61; ebd. 4. Gesang, S. 91, 97; ebd. 5. Gesang, S. 124. 196 Ebd. 3. Gesang, S. 70. Siehe auch [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. [1]. 197 Zu Franklins Tätigkeit in Frankreich siehe Schiff: A Great Improvisation. 198 Siehe hierzu auch Kipping: Truppen, S. 11. 199 Siehe Kapitel III.6. 200 [Miller] (Hg.): Teutsche Chronik (1777). 1. Vierteljahr. 11. Stück. 2. 2. 1777, S. 83. Siehe auch ebd. 6. 2. 1777, S. 83. 201 Ebd. 3. Vierteljahr. 65. Stück. 14. 8. 1777, S. 515. Vergleichbare Berichte über Franklins Aufenthalt in Frankreich finden sich in der Teutschen Chronik z. B. auch im 9. Stück (30. 1. 1777, S. 67), 17. Stück (27. 2. 1777, S. 131) sowie im 20. Stück (10. 3. 1777, S. 157).
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gemein hohen Popularitätswerte bei den Franzosen, die, wie in der Erinnerungskultur auch visuell festgehalten wurde (Abb. 104), so „große Bewunderer von F[ranklin] waren“202. Franklins gewinnbringende Art, sein natürliches Charisma sowie sein rhetorisches Talent, die ihm von Beobachtern immer wieder attestiert wurden,203 erleichterten es ihm erheblich, sich in Frankreich zurechtzufinden, bis „[d]er Enthusiasmus der Franzosen für die Amerikaner und besonders für F[ranklin] […] den höchsten Grad [erstieg].“204 Am 1. Mai 1777 konnte Franklin selber aus Paris berichten: „The People of this Country are almost unanimously in our favour. The Government has its reasons for postponing a War, but is making daily the most diligent Preparations[.]“205 Die Memorialkultur schrieb diesen Erfolg dem amerikanischen Gesandten zu. So heißt es bei Milon: Der Eifer der Französischen Nation für die Sache der Amerikaner stieg bald auf einen Grad von Enthusiasmus, wovon man sich schwerlich einen Begriff machen kann; auch die berühmtesten Künstler und die besten Schriftsteller Frankreichs widmeten ihre Talente der Verherrlichung dieser Sache. Aber unter denen Personen, die eine glänzende Rolle auf dem Amerikanischen Theater spielten, ward Doctor Franklin auf eine besondere Weise ausgezeichnet, und unter allen den verschiedenen Arten, womit man seinen Verdiensten huldigte, war keine für ihn schmeichelhafter, als der Eifer, womit die Französische Nation sich die Ehre streitig machte irgend einen seiner Vorfahren hervorgebracht zu haben, und womit sie aus der Aehnlichkeit der Namen beweisen wollte, daß er von einer Französischen Familie herstamme.206
Franklin, dessen Ruf als berühmter Erfinder ihm vorausgeeilt war, stellte am französischen Hof ein Faszinosum dar, das Aufsehen und Neugier erregte. Der Amerikaner verstand es, wie bereits die zeitgenössischen Beobachter bemerkten, diese Aufmerksamkeit und Sympathie in politische Vorteile für die Vereinigten Staaten umzumünzen. Christian Jakob Zahn hielt in seiner Biografie fest:
202 H.: [Rezension] Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins von C. Milon, S. 104. 203 Während Schlichtegroll angab, dass Franklins „Umgang […] äusserst anziehend“ (Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 302) war, hieß es in einem 1791 anonym im Historischpolitischen Magazin publizierten Beitrag: „Doctor Franklin war in Ansehung seines Charakters in Gesellschaft spruchreich, aber nicht ungezwungen und natürlich[.]“ [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften, S. 10. 204 H.: [Rezension] Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins von C. Milon, S. 103. 205 Benjamin Franklin an John Winthrop. 1. 5. 1777. In: Franklin: May 1 through September 30, 1777, S. 9. 206 Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 83 f. Siehe auch ebd., S. 87. Zur Genese einer französischen Genealogie Franklins siehe auch [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 231.
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Denn schwerlich ist irgendwo irgend ein Mann, und ganz gewiß niemals an einem Hofe, voll des stolzen Adels, ein Bürger so geehrt worden, als Franklin in Paris und Versailles es wurde. Schon aus der Ferne hatte man den Physiker, den Philosophen in ihm angestaunt, in der Nähe ehrte man den Mann vom biedersten Charakter, liebte den angenehmsten Gesellschafter, und war bezaubert vom originellen, unwiderstehlich überredenden Schriftstelle.207
Zahn wusste wie Milon208 um die geopolitische Bedeutung des Bündnisses zwischen den ehemaligen britischen Kolonien und Frankreich und lobte Franklins Rolle für die Aushandlung der Allianz. In der Tat sprach der Autor dem amerikanischen Staatsmann die Anerkennung für die Aushandlung des FreundschaftsVertrages zu und erklärte: „Wir geben unserm Franklin ohne Bedenken die Ehre, dieses glükliche Bündniß bewirkt zu haben.“209 Es kostete die Amerikaner eine gewisse Überredungskunst, Frankreich, das erst wenige Jahre zuvor Großbritannien und dessen Alliierten im Siebenjährigen Krieg unterlegen war, dazu zu bewegen, auf ihrer Seite in den Krieg einzutreten. Franklin erschien in Paris und Versailles als Bittsteller, dem der französische König anscheinend nach Belieben seine Gunst erweisen oder nicht erweisen konnte. Dieses hierarchische Gefälle wurde in der deutschsprachigen Memoriallyrik des 19. und 20. Jahrhunderts literarisch zugunsten Franklins bzw. der Patrioten modifiziert. In dem Sonett Paris des Deutsch-Amerikaners Emil Doernenburg berichtet der Sprecher in der letzten Strophe: „Benjamin Franklin; mit beredtem Munde, / Zwingt er zum Bündnis Frankreichs Kriegesmacht.“210 Dem amerikanischen Gesandten wird hier die aktive, dominante Rolle zugeschrieben, der Frankreich durch sein rhetorisches Geschick seinen Willen aufzuzwingen vermag. Besonders deutlich wird die Aufwertung der Position Franklins im Vergleich zu zeitgenössischen Visualisierungen, die Ludwig XVI. in der überlegenen Position darstellen (Abb. 105) und das Zustandekommen des Vertrages zwischen beiden Nationen nahezu als Gnadenakt des französischen Königs erscheinen lassen.211 Eine erneute Wertschätzung
207 Ebd. 208 In den Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins schrieb er: „[…] [S]o ist es doch gewiß, daß ohne Frankreich alle ihre eigenen Bemühungen fruchtlos gewesen seyn würden.“ Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 91. 209 [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 229. 210 Doernenburg: Paris. 4. Strophe. 2 f. Vers, S. 106. Einen Einblick in die die Rezeption des französischen Aufenthaltes von Franklin in der Memorialkultur des 19. Jahrhunderts gewährt das Gedicht Franklin in Passy des 1849 in die USA ausgewanderten Mediziners und Schriftstellers Eduard Dorsch (1822–1887). 211 Siehe hierzu auch eine von Charles-Gabriel Sauvage (genannt: Lemire; 1741–1827) ca. 1780– 1785 angefertigte plastische Darstellung, die unter http://www.carnavalet.paris.fr/fr/collections/
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erfuhr Franklin als Politiker für sein Engagement bei der Verhandlung des Friedens von Paris 1783. Der Amerikaner hatte die vorangegangenen geheimen Verhandlungen mit Großbritannien überwiegend eigenständig geführt und gehörte bei der Unterzeichnung des Friedensvertrages, das den USA die Anerkennung ihrer Unabhängigkeit durch Großbritannien sicherte, neben John Adams, John Jay (1745–1829) und Henry Laurens (1724–1792) zu den Vertretern der USA (Abb. 106). Seine politischen Initiativen, die schließlich zu einem Friedensvertrag führten, brachten ihm den Ruf eines Friedensstifters ein. So verwies beispielsweise Herder auf „den schönen Friedensstern, der in Franklin leuchtete“212. Den historisch bedeutsamen Friedensvertrag kommentierte Schlichtegroll, der Franklin den Pater-Titel verlieh und ihn mit Moses verglich, der sein Volk im Auftrag Gottes in das Verheißene Land geführt, es selber aber nur geschaut und nicht betreten hatte (Dtn 3,23–27), mit den Worten: [S]o sieht man, mit wie vielen Rechte Franklin den Nahmen des Vaters der amerikanischen Freyheit verdient. Der 20ste Jan. 1783 war der schönste Tag seines Lebens, an dem er zu Paris mit den Englischen Commissarien den Frieden unterzeichnete, der seinem Vaterlande Freyheit und Ruhe sicherte, der Tag, an dem der Greis, wie Moses einst vom Nebo, einen begeisternden Blick in die thatenreiche Zukunft, in eine Zeit voll Ruhm und Wohlstand für sein gelobtes Land that.213
Meyen würdigte in seinem Franklin-Epos in kreativer Form ebenfalls die Unterzeichnung des Friedensvertrages. Den Versen des ersten Gesanges stellte er ein Chronodistichon voran, das folgendermaßen lautet: fVLMIna qVI CoeLo rapIt et VI sCeptra tyrannIs franCLInVs CeLeber per pIa seCLa VIget.214
Die typografisch hervortretenden Buchstaben korrespondieren mit römischen Ziffern und lassen sich dadurch folgendermaßen „übersetzen“:
louis-xvi-remettant-benjamin-franklin-les-traites-signes-entre-la-france-et-les-etats [1. Januar 2017] ansehbar ist. 212 Herder (Hg.): Briefe zur Beförderung der Humanität. 1. Sammlung. 4. Brief, S. 25 [1991]. Siehe auch [Anonym]: Franklin, S. 118; Herder (Hg.): Briefe zur Beförderung der Humanität. 1. Sammlung. 4. Brief, S. 24 [1991]; [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 232. 213 Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 295 f. Zur Parallelisierung Amerikas bzw. der Vereinigten Staaten mit dem biblischen Gelobten Land siehe auch Kapitel IX.8. 214 Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 1. Gesang, S. [5]. Als Übersetzung gibt der Autor selber an: „Der du den Wolken die Blitze, Tyrannen den Zepter entrissest, / Lebe Franklin, den Jahrhunderten groß, wo Redlichkeit herrschet.“ Ebd., S. [4].
6 Franklin als Naturmensch
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fVLMIna –> 5 + 50 + 1000 + 1 = 1056 qVI –> 5 + 1 = 6 CoeLo –> 100 + 50 = 150 rapIt et –> 1 sCeptra –> 100 tyrannIs –> 1 franCLInVs –> 100 + 50 + 1 +5 = 156 CeLeber –> 100 + 50 = 150 per –> keine Zahl pIa –> 1 seCLa –> 100 + 50 = 150 VIget –> 5 + 1 = 6
Alle Zahlen miteinander addiert ergeben schließlich 1783, also das Jahr der Anerkennung der Unabhängigkeit der USA durch Großbritannien. Aus heutiger amerikanischer Perspektive könnte es vielleicht sehr überraschend erscheinen, dass Meyen das Jahr 1783, d. h. den Frieden von Paris und nicht 1776, das Jahr der Unabhängigkeitserklärung, für besonders denkwürdig hielt. Aus seiner Perspektive erscheint das allerdings durchaus nachvollziehbar, da sich ein kollektives Bewusstsein um die Bedeutung des 4. Juli als Initiationsereignis für die Schaffung des amerikanischen Staates erst herausbilden musste und in Europa lange nahezu unbekannt blieb. Für Meyen, wie für zahlreiche andere Beobachter, hatte erst die Anerkennung der USA durch Großbritannien im Frieden von Paris, an der Franklin mitgewirkt hatte, die wirkliche Eigenständigkeit und die endgültige Genese des neuen Staates manifestiert und nicht die Unabhängigkeitserklärung, an der Franklin (für die meisten Europäer wahrscheinlich ohnehin unbekannterweise) zwar durch Anmerkungen und Ergänzungen beteiligt war, die aber maßgeblich Thomas Jefferson verfasst hatte.
6 „Alles an ihm kündigte die Einfalt und Unschuld jener alten Sitten an, die uns die Philosophen so schön beschreiben, die man aber ausserdem so wenig antrifft.“ Franklin als Naturmensch Ein großer Teil von Franklins Popularität in Frankreich und allgemein in den europäischen Staaten ist auf die Verbindung seiner Person mit Natürlichkeit und Ursprünglichkeit zurückzuführen. In seinen Briefen zur Beförderung der Humanität machte Herder darauf Aufmerksam, dass Franklins „Einkleidungen so leicht und natürlich, sein Witz und Scherz so gefällig und fein, sein Gemüt
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so unbefangen und fröhlich“215 seien. Christian Jakob Zahn hielt insbesondere die natürliche Kommunikationsart des Amerikaners, die sich ihm zufolge in Wort und Schrift zeigte, für vorbildlich und gab an: „Sein Styl im Sprechen, wie seine Schreibart, ungekünstelt, ungeschminkt, in hohem Grade kurz und gedrängt. Mit dieser edlen Einfalt und seinem richtigen und durchdringenden Verstande […].“216 Diese Natürlichkeit spiegelte sich auch in Franklins Kleidungsstil wider. Berühmt geworden ist die Pelzmütze bzw. Netzkappe, mit welcher der amerikanische Gesandte am französischen Hof auftrat und mit der wiederholt portraitiert wurde (Abb. 107 f.).217 Über seine Gesamterscheinung wusste Schlichtegroll, dem Franklins „ehrwürdiges Ansehn“218 und „das Einfache seiner Kleidung“219 besonders erwähnenswert schienen, zu berichten: Alles an ihm kündigte die Einfalt und Unschuld jener alten Sitten an, die uns die Philosophen so schön beschreiben, die man aber ausserdem so wenig antrifft. Er hatte das erborgte Haar, was er sonst trug, abgelegt, und zeigte einen Greises-Kopf, der des Pinsels eines Guido würdig war; seine Kleider waren höchst einfach; er trug immer eine grosse Brille, und in der Hand hatte er einen weissen Stock. Er sprach wenig; er war gerade, ohne bäurisch zu seyn.
215 Herder (Hg.): Briefe zur Beförderung der Humanität. 1. Sammlung. 2. Brief, S. 15 [1991]. 216 [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 162. Zur Valeur des Ausdrucks „Verstand“, die bei Zahn sakralisiert wird, siehe auch folgende Stelle in seiner Franklin-Biografie: „Kann man dieß wohl, wenn man seinen Verstand braucht, den uns Gott doch wohl zum Gebrauch anerschaffen hat? Ist nicht vielmehr der Nichtgebrauch des Verstandes sträflicher Eingriff in Gottes Regierung.“ Ebd., S. 159. Auch in Meyens Epos wird Franklins Verstand-Affinität hervorgehoben. Dort hält der Sprecher fest: „Bei Franklinen gilt nichts als Verstand und bidere Klugheit[.]“ Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 3. Gesang, S. 66. Siehe auch [Anonym]: Der Unglickliche Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka, S. 142. 217 Eine Rolle spielt die Biberfellmütze noch in Marion Philadelphias 1999 erschienenem historischem Roman über Jacob Philadelphia (eigentlich: Jacob Meyer; siehe Kapitel X) Der Gaukler der Könige. Sie erscheint dort als Antipode zu den tradierten Modekonventionen des 18. Jahrhunderts, die Aufsehen erregt und ihrerseits in einer Art Modeerscheinung nachgeahmt wird. Der Erzähler gibt an: „Franklin hatte er letztes Jahr in Paris besucht. Sein väterlicher Freund war außer sich vor Freude über das Wiedersehen, und aus gegebenem Anlaß floß französischer Rotwein, was von der Gesellschaft mit aufgeregten Kommentaren bedacht wurde. Gerade erst war es ‚chic‘ geworden, zu besonderen Anlässen wie Amerikaner Wasser statt Wein zum Mahl zu trinken, und nun brach der Gast aus Übersee mit der eigenen Tradition. Noch jetzt mußte Jacob bei dem Gedanken an die Pariserinnen lachen, wie sie in völligem Erstaunen ihre wilden, offenen Lockenfrisuren schüttelten, die sie als Tribut an Franklins wuschelige Biberfellmütze trugen, und sich mit Zitaten aus Franklins Almanach wichtig taten. Das Büchlein war gerade erst ins Französische übersetzt worden und galt in vielen der Salons als eine Art ‚neue Bibel‘.“ Philadelphia: Der Gaukler der Könige, S. 326 f. 218 Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 293. 219 Ebd. Siehe hierzu auch ebd., S. 264.
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Eine solche Figur war dazu gemacht, um die Neugierde von Paris zu erregen. Man fragte sich, wer der alte Bauersmann sey, der ein so edles Ansehen habe? und man antwortete um die Wette: „Es ist der berühmte Franklin[.]“220
Die von Schlichtegroll und Zahn mit Franklin verknüpfte „Einfalt“ bzw. „edle Einfalt“ erinnern an Winckelmanns klassizistische Formel der „Edlen Einfalt, Stillen Größe“221 und rücken den amerikanischen Gelehrten einmal mehr in die Nähe des ästhetisch und moralisch stilisierten antiken Ideals, das sich einer verbreiteten zeitgenössischen Auffassung zufolge im 18. Jahrhundert nur noch punktuell an besonderen Individuen der Weltgeschichte offenbarte. Besonders auffällig erschien Franklins Natürlichkeit, weil sie im schroffen Gegensatz zur Artifizialität der französischen Hofkultur wahrgenommen wurde. In Eduard Dorschs Gedicht Franklin in Passy. (1780.), das in seiner 1884 in New York erschienenen Lyriksammlung abgedruckt wurde, beschreibt der Sprecher das Auftreten des Amerikaners am französischen Königshof folgendermaßen: Ha! wie sie staunten am Hof, die in Seide gewickelten Schranzen Mit dem gepuderten Haupt, Haarbeutel noch schwingend im Nacken, Oder die Damen mit Stelzenpantoffeln und bauschigem Reifrock, Die in die Wolken gebaut auf dem windigen Schädel den Haarthurm, Als in der einfachen Tracht, wie in Pennsylvanien die Quäker Gehen zu Markt, und mit weißen und ehrfurchtheischenden Locken Benjamin Franklin trat auf den Marmorboden des Thronsaals!222
Franklin verkörperte für den größten Teil seiner Bewunderer allerdings nicht nur den ursprünglich und natürlich gebliebenen „Naturmenschen“223 wie er einer zeitgenössischen Vorstellung gemäß nur historisch in der Antike und im 18. Jahrhunderts vielleicht noch in den nordamerikanischen sog. Urwäldern vorgefunden werden konnte, sondern auch den Prototypen des nach Aufklärung strebenden Gelehrten, der mit den Mitteln seiner Zeit selbstbewusst die „Geheimnisse der Natur“224 zu ergründen sucht und sich von Aberglauben und einschnürenden Dogmen nicht einschüchtern lässt. Auch hier handelt es sich um ein rekursives Motiv in der Franklin-Rezeption. Herder lobte mit emphatischen Worten:
220 Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 292 f. 221 Siehe hierzu auch Kapitel V.2. 222 Dorsch: Franklin in Passy, S. 296. 223 Zur Verbindung Franklins mit Rousseau siehe auch Schmitt: Herder und Amerika, S. 158 [Anm. 16]. 224 Mylius: Nachrichten und Gedanken von der Elektricität des Donners, S. 458.
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Auf wie wenige und klare Begriffe weiß er die verworrensten Materien zurückzuführen! Und wie sehr hält er sich allenthalben an die einfachen, ewigen Gesetze der Natur, an die unfehlbarsten praktischen Regeln, aus Bedürfnis und Interesse der Menschheit!225
Ebenso hob Schlichtegroll hervor: „So fleissig auch Franklin in seinem Hauptgeschäfte war, so hielt ihn doch dies nicht ab, immer einige Stunden seinem Lieblingsstudium, der philosophischen Untersuchung der Natur und ihrer Kräfte, zu widmen.“226 Milon machte ebenfalls deutlich, dass Franklin „seine Beweise aus den Erscheinungen der Natur“227 selbst zog und Johann Erich Biester, der auf den „gesunde[n] Natursinn des unpedantischen Weisen“228, „seinen scharfsinnigen Spürgeist“229 und sein Bestreben, „die ewigen Gesetze der Natur und des Schöpfers zu studiren“230 aufmerksam machte, hob hervor: „[…] [E]r hat ein immer ofnes Auge, einen immer wachen Beobachtungsgeist für alle Gegenstände der Natur und Kunst die ihn umringen[.]“231 Aber mehr noch, die Assoziationen Franklins mit der Natur, die im physikotheologischen Sinne232 als Abbild der göttlichen Ordnung selbst identifiziert wurde, gingen so weit, den amerikanischen Gelehrten geradezu als „Sohn der Natur“ erscheinen zu lassen, der ihre Geheimnisse nicht häretisch gegen ihren Widerstand, sondern im Verbund mit ihr aufdeckte und die Wohltaten der göttlichen Schöpfung den Menschen zugänglich machte. In Meyens Epos, in dem sich insbesondere im ersten Gesang eine ganze Reihe von Naturreferenzen lassen (Abb. 109) finden und die Vereinigten Staaten allgemein mit der Natur in Verbindung gebracht werden,233 heißt es, dass Franklin „von der Natur
225 Herder (Hg.): Briefe zur Beförderung der Humanität. 1. Sammlung. 2. Brief, S. 15 [1991]. 226 Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 284. 227 Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 2. 228 Biester: Etwas über Benjamin Franklin, S. 21. 229 Ebd., S. 20. 230 Ebd., S. 23. 231 Ebd., S. 20. 232 Siehe Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 1. Gesang, S. 16 f. 233 Im vierten Gesang lobt der Sprecher: „So bau’t sich der Freistaat auf philosophischem Grunde, / Bau’t so wie die Natur, so fest, so schön wie die Schöpfung, / Schlicht und doch schön, zwar sparsam, doch reich, und kraftvoll, doch friedsam, / Und verkündigt der Nachwelt den blühenden Seestaat am Nordmeer.“ Ebd. 4. Gesang, S. 90 f. Bereits im dritten Gesang wird diese Natürlichkeit des neuen Staates in Opposition zu den Verhältnissen in der Hauptstadt des ehemaligen Mutterlandes gesetzt: „Es sah’ Franklin die neue Gestalt, wie die holde Natur jetzt / Den Töchtern des Landes lächelt, die bei der Spindel beschäftigt, / Ohne den Londner Schmuck, in einheimischer Kleidung weit schöner / Und weit sittsamer waren[.]“ Ebd. 3. Gesang, S. 60. Auffällig ist, dass sich der Gegensatz zwischen der Alten und Neuen Welt an den unterschiedlichen
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gesandt“234 und „seine Lehrerin […] die Natur selbst“235 gewesen bzw. er von der „Natur erzogen“236 worden sei. Franklins Beschäftigung mit der von göttlicher Hand geschaffenen Natur, seine Experimente mit der Elektrizität, die schließlich zur Erfindung des Blitzableiters führten, sein Forscherdrang und sein Versuch, zu den Urgründen und Ursprüngen in der Ordnung der Schöpfung vorzudringen, erschienen damit selbst als Teil eines sakralen Prozesses. In einem von Kaspar Bruchhausen (1806–?) verfassten
Kleidungsvorstellungen zeigt. Dieses Motiv findet sich bereits in Seybolds Briefroman Reizenstein (siehe Kapitel III.13). Eine antibritische Position bezieht der Sprecher auch im Zusammenhang mit von ihm erwähnten Gräueltaten und Kriegsverbrechen. Einem topischen Argument der amerikanischen Patrioten folgend, behauptet er, dass die Briten und als Auxiliarkräfte angeworbene nordamerikanische Ureinwohner und Afroamerikaner, sich an der Zivilbevölkerung vergingen. Im dritten Gesang berichtet der Sprecher nach der Beschreibung der Ereignisse um die Schlacht von Lexington: Indeß schwoll die Wuth und bittre Rache der Britten, Höher empor, sie waffneten Negersklaven und Knechte Wider ihre Herren, verbrennten der Mibürger Städte, Feuersbrunst, Kriegesgeschrei und der gemarterten Winseln Stieg zu den Wolken: nicht Krieg, nein, Brudermord nannt es das Schlachtfeld. Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 3. Gesang, S. 75. Im vierten Gesang wiederholt der Sprecher: Soll ich sehn? wie der Britte die leicht zu erbitternden Wilden Aus dem innern der Wüsten und Wälder zum Würgen hervorruft, Und die Negersklaven, o Schmach! ihre Herren zu würgen Weiber und Kinder zu schlachten, durch List und Versprechungen anfacht[.] Ebd. 4. Gesang, S. 100. Tatsächlich nutzten die Briten Indianer neben loyalistischen Milizen in Auxiliareinheiten und befreiten infolge der sog. Dunmore’s Proclamation von 1775 Sklaven, die zuvor Patrioten gehörten und sich infolgedessen z. B. dem berühmten sog. Royal Ethiopian Regiment anschlossen. Der Vorwurf, Kriegsverbrechen begangen zu haben, wurde auf beiden Seiten erhoben und hatte nahezu topischen Charakter. Unter Patrioten war neben der Angst vor „grausamen Wilden“ und unkontrollierbaren befreiten Sklaven insbesondere auch das Bild des blutrünstigen deutschen Söldners verbreitet, der dieser Vorstellung zufolge mit pekuniären Verlockungen angeworben worden war und keine Gnade zeigte. Kriegsverbrechen sind, wie die Forschung unterstrichen hat, auf beiden Seiten verübt worden. 234 Ebd. 1. Gesang, S. [5]. 235 Ebd., S. 8. 236 Ebd. 2. Gesang, S. 45. Über Franklins Affinität zur Natur ist zu lesen: „Früh das offene Buch der Natur selbstdenkend zu lesen, / War sein erster Beruf, er blieb ihm immer der erste […].“ Ebd. 1. Gesang, S. 9.
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und am 7. März 1839 in dem deutsch-amerikanischen Periodikum Alte und Neue Welt publizierten Gedicht werden dementsprechend Franklins Forschungsbemühungen mit dem Adjektiv „heilig“ attribuiert. Die erste Strophe lautet: Er war es, der erfüllt von heil’gem Drang, Natur und Menschenleben zu ergründen, Den Blitz gelehrt, sich harmlos zu entzünden, Und Glas entlocket Harmonien Klang.237
Die dem amerikanischen Gelehrten zugeschriebene Unverfälschtheit und Natürlichkeit stellte in Kombination mit seiner Rezeption als gebildeter Wissenschaftler, der mit gesundem Menschenverstand und wissenschaftlichen Methoden arbeitete sowie als Vertreter eines nach Freiheit strebenden Volkes eine einzigartige Kombination dar, die bei seinen Zeitgenossen Bewunderung und Faszination auslöste. Franklin war Gelehrter und Staatsmann, Philosoph und geschickter Politiker, der inmitten der Unnatürlich- und Oberflächlichkeit des französischen Hofes die traditionell auf Amerika projizierte Ursprünglichkeit und Authentizität gepaart mit dem Ideal des Aufklärers in sich zusammenfasste und somit das Beste zweier Welten vereinigte. In gewisser Hinsicht verkörperte Franklin für viele seiner Bewunderer aber auch einen weißen „Edlen Wilden“,238 der wie die amerikanischen Ureinwohner, europafern und dadurch natürlich und ursprünglich sozialisiert, somit also charakterlich integer und würdevoll geblieben war. Dass die moralische Integrität des Gefeierten gemessen an den zeitgenössischen (bürgerlichen) Vorstellungen nicht in allen Punkten dem Ideal entsprach (s. u.) war damals unbekannt oder schien négligeable.
7 „Lehre du selbst die Völker durch dein großes, unvergeßliches Beispiel.“ Franklin als didaktischer Volksaufklärer und moralisches Vorbild Rasch erkannten Beobachter, wie beispielsweise die Vertreter der Berliner Aufklärung,239 in Franklin nicht nur einen fähigen und einfallsreichen Wissenschaftler und Gelehrten, sondern auch einen von den Humanitätsidealen geprägten didaktischen Aufklärer, der seine wissenschaftlichen wie moralischen Erkennt-
237 Bruchhausen: Franklin. 1. Strophe, S. 522. 238 Zum sog. Edlen Wilden siehe den Kommentar zu G343. 239 Siehe hierzu Overhoff: Benjamin Franklin und die Berliner Aufklärung, S. 65–83, bes. S. 69– 83.
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nisse und Einsichten mit den Menschen teilen wollte. In Zusammenhang mit dem „landnützlich[en]“240 Blitzableiter konstatiert z. B. der Sprecher in Meyens Versepos: […] [E]r kannte Den Wink der Natur, die ihn rief, ihr Geheimniß offen zu stellen. Und nun verkündigt er den großen Gewinn für die Bürger, Diesen Weg zu den Wolken zum Schutze der Häuser zu bahnen.241
Und allgemein heißt es über den amerikanischen Gelehrten: „Immer brennt Franklin, der Wissenschaft Licht bei den Bürgern / Zu verbreiten, und sie zum denken und handeln zu bilden […].“242 Die Rezeption Franklins als der Wahrheit verpflichtetes,243 authentisches und von den moralischen Verirrungen der Zeit nicht korrumpiertes Vorbild wurde entscheidend durch seine Bekanntheit als altruistischer, um die Beförderung des Gemeinschaftswohls bemühter Volksaufklärer genährt. Sein soziales Engagement, etwa bei der Gründung einer Bildungseinrichtung,244 einer Feuergesellschaft245 und insbesondere im Rahmen des Junto-Clubs,246 brachte ihm rasch den transatlantisch verbreiteten Ruf ein, ein „Wohlthäter“247 und „Menschen-
240 Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 1. Gesang, S. 25. 241 Ebd., S. 20. 242 Ebd. 2. Gesang, S. [31]. 243 Siehe hierzu Schlözer: Anhang, S. 49; Wekhrlin (Hg.): Chronologen 1 (1779), S. 163. 244 Der Geograf Christian Leiste (1738–1815) notierte in seiner 1778 erschienenen Beschreibung des Brittischen Amerika: „Auch ist 1749 zu Philadelphia durch Herrn Fränklin eine hohe Schule errichtet worden.“ Leiste: Beschreibung des Brittischen Amerika zur Ersparung der englischen Karten, S. 158. Siehe auch [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 163–165 sowie allgemein auch G188 f. und G195. Siehe hierzu außerdem Rosengarten: American History, S. 63. 245 Christian Jakob Zahn lobte in seiner Biografie: „Den Schaden der Feuersbrünste, dieses gefährlichsten aller Feinde des Flors der Städte und Staaten, suchte er zu verhüten durch die im Jahre 1738. Gestiftete Feuergesellschaft, die erste dieser Art in Philadelphia.“ [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 142 f. 246 Biester bilanzierte: „Er stiftete nicht nur Bibliothek und Akademie für Philadelphia, sondern auch einen wohlthätigen, so zu sagen politisch-moralischen Klub daselbst, dessen kurze simple Gesetze in der stärksten Sprache sich auf Beförderung alles wissenschaftlich Guten, der Menschenliebe, der Toleranz, und vorzüglich der Freiheit von despotischer Unterdrükkung beziehen. Er entwarf einen höchst menschenfreundlichen Plan […].“ Biester: Etwas über Benjamin Franklin, S. 27. 247 Georg Forster an Christian Friedrich Voß. 1./2. 4. 1791. In: Forster: Briefe 1790 bis 1791, S. 261. Siehe auch Biester: Etwas über Benjamin Franklin, S. 13; ** I. [= ?]: Fragment eines Schreibens aus Philadelphia, vom 9ten Junius 1805, S. 493–496; [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 165.
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freund“248 bzw. „Vermehrer der Menschenfreunde“249 zu sein. In zahlreichen Texten wurde Franklins Gutmütigkeit250 bzw. seine „gutmüthige Redlichkeit, die überall durchblikt“251, „seine Neigung und Bereitwilligkeit, Gutes zu thun“252 sowie „sein Eifer den Nachkommen nützlich zu sein“253 festgestellt. Georg Forster nannte den Aufklärer den „Vater der Amerikanischen Wohlfahrt“254 und war überzeugt, dass er „alle seine Mitgeschöpfe mit Liebe umfaßte“255, während Milon konstatierte, dass Franklin „keine Gelegenheit […] [ausließ] Gutes zu thun“256. Außerdem hielt er fest: „Im Umgange mit seinen Freunden und Bekannten betrug sich der Doctor liebreich und anständig[.]“257 Voller Bewunderung stellte auch Georg Schatz die rhetorische Frage: „[…] [W]ie oft vereinigt sich wohl so viel Liebenswürdigkeit mit so viel Größe?“258 Der Franklin-Bewunderer Meyen bezeichnete den Gefeierten in seinem Epos nicht nur als „Menschenfreund“, sondern aufgrund seiner politischen und karitativen Verdienste auch als „Menschenretter“259 und Friedrich Schlichtegroll attestierte dem Amerikaner „Menschenliebe und Freymüthigkeit“260. In diesem Zusammenhang ist es wichtig festzuhalten, dass der Ausdruck „Menschenliebe“ bzw. „Philanthropie“ in der deutschen Aufklärungsphilosophie „zu einem ihrer zentralen Begriffe“261 erhoben und insbesondere auch in der zeitgenössischen Pädagogik, so etwa bei Johann Bernhard Basedow (1724–1790),
248 Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 2. Gesang, S. 41; 3. Gesang, S. 73. Siehe auch Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 303. 249 Fischer: Benjamin Franklin, S. 5. 250 Siehe z. B. Herder (Hg.): Briefe zur Beförderung der Humanität. 1. Sammlung. 2. Brief, S. 16 [1991]; Wehrs: Doctor Franklin, Sp. 1037. 251 [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. [1]. Siehe in diesem Zusammenhang auch [Anonym]: Anleitung zur praktischen Uebung der Tugend von Benjamin Franklin, S. 84 f. 252 Wehrs: Doctor Franklin, Sp. 1035. 253 [Anonym]: Anleitung zur praktischen Uebung der Tugend von Benjamin Franklin, S. 83 f. Auch Zahn verwies auf Franklins „Liebe zum öffentlichen Besten“ [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 240. 254 Forster: Erinnerungen aus dem Jahr 1790, S. 275. 255 Ebd., S. 311. Ein menschenliebendes Herz (siehe Schlichtegroll Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 287) bzw. einen „menschenfreundlichen Charakter“ (ebd., S. 297) bescheinigte ihm auch Schlichtegroll. 256 Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 105. 257 Ebd., S. 104. 258 Schatz: Vorbericht, S. * 2vf. 259 Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 3. Gesang, S. 68. Siehe auch ebd. 1. Gesang, S. 6; 3. Gesang, S. 62. 260 Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 300. 261 Rehn – Hügli – Kipfer: Philanthropie, Sp. 548.
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Gottlieb Conrad Pfeffel und Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827), ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wurde.262 Die zeitgenössischen Intellektuellen erkannten im „Menschenfreund“ eine Kompatibilität mit dem Idealkonzept der Eudämonie und, wie aus der Definition in Adelungs Grammatisch-kritischem Wörterbuch hervorgeht, mit dem kosmopolitischen Gedanken. Dort ist unter dem entsprechenden Lemma zu lesen: „Der Menschenfreund, […] eine Person männlichen oder weiblichen Geschlechtes, in welcher die Menschenliebe die herrschende Neigung ist, welche alle Menschen liebet, bloß weil sie Menschen sind.“263 Für einen Anhänger des Ideals der Menschenliebe war im 18. Jahrhundert nicht die ethnische Zugehörigkeit oder die soziale bzw. politische Ideologie seines Gegenübers entscheidend, sondern die religiös (so z. B. durch die biblisch überlieferte Gottesebenbildlichkeit) oder naturrechtlich begründete Vorstellung, dass es sich bei ihm um einen Menschen handelte, dem gewisse unveräußerliche Rechte zustanden. Eben diesen Geist atmete laut den zeitgenössischen Befürwortern auch die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, die sich dezidiert auf das Naturrecht stützte. Zahlreiche Anhänger der Idee der pannational bzw. transethnisch orientierten Menschenliebe fanden ihre Ideale in Franklin manifestiert, der zwar aus den (ehemaligen) britischen Kolonien in Nordamerika stammte, dessen soziopolitische Gesinnung aber als uneingeschränkt kosmopolitisch wahrgenommen wurde. Das als aufklärerisch und philanthropisch rezipierte anthropologisches Lebenskonzept Franklins, das von einer positiven, eudämonistischen Grundeinstellung geprägt war („Wahrheit und Glückseligkeit sind die Grundfeste seines Systemes.“264), die auf einer mit Tugendhaftigkeit und Pragmatismus verbundenen puritanischen Arbeitsethik fußte,265 zeigte sich für seine Rezipienten in seinen Schriften wie der mit Rousseaus Le Confessions (1782–1789) vergliche-
262 So verfasste Basedow 1768 seine Schrift Das Nöthigste von der Vorstellung an Menschenfreunde und vermögende Männer. Ulrich Herrmann hielt in diesem Zusammenhang fest: „Menschenfreunde („Philanthropen“) sollten menschenfreundliche Schulen („Philanthropine“) ins Leben rufen, um Menschenfreundschaft und Menschenliebe zu fördern und zu verbreiten.“ Hermann: Philanthropie, S. 302. 263 Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 3, Sp. 179. Zur Kardinaltugend der Menschenliebe im Zeitalter der Aufklärung siehe Dagobert de Levies gleichnamige Monografie (bes. ab S. 31) sowie Herrmann: Philanthropie, S. 302 f. Zur allgemeinen philosophische Dimension der „Menschenliebe“ bzw. „Philanthropie“ siehe allgemein Rehn – Hügli – Kipfer: Philanthropie, Sp. 543–551. 264 Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 2. Gesang, S. 41. 265 Zu Franklins auf den Prinzipien Fleiß und Sparsamkeit beruhenden Arbeitsethik, die von Herder bewundert und in der Memorialkultur als für das amerikanische Selbstverständnis prototypisch erachtet wurde, siehe Dippel: Theorie, S. 579 f., 582.
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nen,266 in zahlreiche Sprachen übersetzen, immer wieder neu aufgelegten und bis heute populär gebliebenen Autobiografie,267 an der er bis wenige Monate vor seinem Tod arbeitete.268 Volker Depkat nannte die von Klaus Harpprecht als ein Zeugnis von Franklins Meisterschaft zur Selbstinszenierung bezeichnete Lebensbeschreibung269 einen „klassische[n] Referenztext autobiographischer Selbstreflexion in der amerikanischen Kulturgeschichte“270 und Harold Jantz gab an, dass sie „in Deutschland von Novalis über Franz Kafka bis zur Gegenwart“271 ein Lieblingsbuch zahlreicher Autoren blieb. Es gab allerdings auch Intellektuelle, wie z. B. Mark Twain (eigentlich: Samuel Clemens; 1835–1910) und D. H. Lawrence (1885–1930), die das Buch und „die Selbstdarstellung des erfolgreichen homo oeconomicus“272 äußerst kritisch rezipierten. Für Max Weber (1864–1920) verkörperte Franklin allgemein den Geist des Kapitalismus.273 In Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (1905) zitierte er Passagen aus Franklins Advice to a Young Tradesman (1748) und Necessary Hints to Those that Would be Rich (1736 verfasst), um sie anschließend mit den Worten zu kommentieren: Es ist Benjamin Franklin, der in diesen Sätzen – den gleichen, die Ferdinand Kürnberger in seinem geist- und giftsprühenden „amerikanischen Kulturbilde als angebliches Glaubensbekenntnis des Yankeetums verhöhnt – zu uns predigt. Daß es [der] „Geist des Kapitalismus“ ist, der aus ihm in charakteristischer Weise redet, wird niemand bezweifeln, so wenig etwa behauptet werden soll, daß nun alles, was man unter diesem „Geist“ verstehen kann, darin enthalten sei.274
266 Siehe Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 265; [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 3. Herder, dem die Lebensbeschreibung 1792 zugeschickt wurde, vertrat in seinen Briefen allerdings die rousseaukritische Position: „Hören Sie nun den guten Alten, und Sie finden in seiner Lebensbeschreibung durchaus ein Gegenbild zu Rousseau’s Konfessionen.“ Herder (Hg.): Briefe zur Beförderung der Humanität. 1. Sammlung. 2. Brief, S. 16 [1991]. Und außerdem ergänzter er: „Wie diesen die Phantasie fast immer irre führte; so verläßt jenen nie sein guter Verstand, sein unermüdlicher Fleiß, seine Gefälligkeit, seine erfindende Tätigkeit, ich möchte sagen, seine Vielversschlagenheit und ruhige Beherztheit.“ Ebd. 267 Deutschsprachige Ausgaben erschienen beispielsweise 1947, 1954, 1969, 1983 und 2003. 268 Vgl. Overhoff: Benjamin Franklin und die Berliner Aufklärung, S. 66. Zu Franklins Autobiografie siehe Eck: Kolonie, S. 231; Harpprecht: Nachwort, S. 247–[270]; Hornung: Making of Americans, S. 101–103; Labaree – Ketcham – Boatfield u. a.: Introduction, S. 1–40. 269 Siehe Harpprecht: Nachwort, S. 247. 270 Depkat: Autobiographisches Schreiben, S. 258. 271 Jantz: Amerika, Sp. 329. 272 Werlen: Philadelphia, S. [303]. 273 Siehe hierzu auch Denecke: Bürger, S. 7, 13. 274 Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Protestantismus, S. 154 f.
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Ende 18. Jahrhunderts erhielt aber gerade auch die Autobiografie des Amerikaners, die als ethisch-moralisches Lehrbuch gelesen wurde, sehr positive Kritiken. So urteilte z. B. Schlichtegroll emphatisch: In dieser Rücksicht hätte uns der unsterbliche Mann kein grösseres Geschenk hinterlassen können, als die Geschichte seiner Jugend von ihm selbst geschrieben, der Authencität, wenn gleich vor jetzt noch ohne weiteren Beweis, aus innern Gründen mehr als wahrscheinlich ist.275
Franklin hatte den ersten Teil der Autobiografie, der an seinen Sohn gerichtet war, 1771 verfasst und die Arbeit nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges 1784 fortgesetzt. 1792 erschien der erste Teil in einer von Gottfried August Bürger angefertigten Übersetzung. Es folgten innerhalb weniger Jahre weitere Drucke seiner gesamten Lebensbeschreibung, die in den deutschsprachigen Staaten beispielsweise 1792 von Friedrich Heinrich Jacobi (1743–1819)276 und Johann Georg Schlosser gemeinsam gelesen wurde277 und mit der sich auch Goethe, der „mit der Persönlichkeit und dem Werke Franklins vertraut war“278, nachweislich in den Jahren 1810, 1817 sowie 1828 beschäftigte.279 Die Leser lobten die klare Sprache und anschaulichen Beispiele, die Franklin verwendete, um seine Arbeits- und Tugendvorstellungen vorzustellen. In seiner Autobiografie sprach er sich in Anbetracht seiner umfangreichen Lebenserfahrungen dezidiert für ein tugendhaftes Leben aus. So gelangte er zu dem Schluss: „I grew convinc’d that thruth, sincerity and integrity in dealings between man and man were of the utmost importance to the felicity of life[.]“280 Und an anderer Stelle erklärte er: „Nothing so likely to make a man’s fortune as virtue.“281 Franklin verstand ein von Tugendhaftigkeit und Integrität geleitetes Leben, das er sich zu propagieren vornahm, als unerlässliche Voraussetzung für Glück und Zufriedenheit. In der Autobiografie heißt es:
275 Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 265. 276 Zu Jacobis Interesse an Franklin siehe auch Walz: American Revolution, Sp. 340. 277 Vgl. van der Zande: Bürger und Beamter, S. 168. Siehe auch Walz: American Revolution, Sp. 340. 278 Vgl. Schmitt: Herder und Amerika, S. 152. Siehe auch Wadepuhl: Goethe’s Interest, S. 15, 23. 279 Vgl. Schmitt: Herder und Amerika, S. 152. 1792 erhielt Herder die im Jahr zuvor in Paris gedruckte französische Ausgabe Memoires de la Vie privée de Benjamin Franklin, écrits par lui-même et adressées à son fils; suivies d’un Précis historique de sa Vie politique et de plusieurs Pièces; relatives à ce Père de la Liberté. Goethe bewunderte wie Herder Franklins humanitären Geist. Siehe hierzu Overhoff: Benjamin Franklin und die Berliner Aufklärung, S. 68. 280 Franklin: The Autobiography, S. 58. 281 Ebd., S. 90 [Anm. 7].
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IX Benjamin Franklin in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur
[…] [I]t was my design to explain and enforce […] that it was […] every one’s interest to be virtuous who wished to be happy even in this world; and I should from this circumstance […] have endeavored to convince your persons that no qualities were so likely to make a poor man’s fortune as those of probity and integrity.282
Die Lebensbeschreibung enthält eine Empfehlung für einen streng getakteten Tagesablauf (Abb. 110) sowie eine Liste von 13 Tugenden, die der Autor für die wichtigsten hielt und die folgendermaßen lauten: 1. Temperance. Eat not to dullness; drink not to elevation. 2. Silence. Speak not but what may benefit others or yourself; avoid trifling conversation. 3. Order. Let all your things have their places; let each part of your business have its time. 4. Resolution. Resolve to perform what you ought; perform without fail what you resolve. 5. Frugality. Make no expense but to do good to others or yourself; i. e., waste nothing. 6. Industry. Lose no time; be always employ’d in something useful; cut off all unnecessary actions. 7. Sincerity. Use no hurtful deceit; think innocently and justly, and, if you speak, speak accordingly. 8. Justice. Wrong none by doing injuries, or omitting the benefits that are your duty. 9. Moderation. Avoid extreams; forbear resenting injuries so much as you think they deserve. 10. Cleanliness. Tolerate no uncleanliness in body, cloaths, or habitation. 11. Tranquillity. Be not disturbed at trifles, or at accidents common or unavoidable. 12. Chastity. Rarely use venery but for health or offspring, never to dulness, weakness, or the injury of your own or another’s peace or reputation. 13. Humility.
Imitate Jesus and Socrates.283 282 Ebd., S. 90 f. 283 Ebd., S. 83 f. Die von Berthold Auerbach angefertigte und von Heinz Förster revidierte Übersetzung lautet: 1. Mäßigkeit – Iß nicht bis zum Stumpfsinn, trink nicht bis zur Berauschung! 2. Schweigen. – Sprich nur, was anderen oder dir selbst nützen kann; vermeide unbedeutende Unterhaltung!
7 Franklin als didaktischer Volksaufklärer und moralisches Vorbild
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Einen für die Gesamtgesellschaft förderlichen volksaufklärerischen Wesenszug erkannten die Zeitgenossen Franklins ebenfalls im Poor Richard’s Almanack, der von 1732 bis 1758 erschien, sehr hohe Auflagenzahlen erreichte und ausgesprochen populär war. Der von dem Amerikaner herausgegebene Almanack enthielt, z. B. in Form von Kalendersprüchen, pointierte lebenspraktische Ratschläge, „welche sich hauptsächlich auf Erwerbsfleiß, Aufmerksamkeit auf Geschäfte und Sparsamkeit“284 bezogen und auf dem gesunden Menschenverstand (Common Sense) beruhten. Schlichtegroll schätzte „die Weisheit des guten Richard“285 und Herder lobte, dass „‚die Wissenschaft des guten Richard‘ […] einen solchen Schatz von Lebensregeln [enthält], daß man in mancher Rücksicht fast aufs ganze Leben nichts mehr bedürfte.“286 Zahn hob den leichten Zugang zu den im Poor Richard formulierten Lehrsätzen mir den Worten hervor: „Er enthält eine Menge der vortreflichsten Denksprüche und Lebensregeln, ganz so vorgetragen, wie jedermann es verstehen muß, und wie jedermann es gerne liest.“287
3. Ordnung. – Laß jedes Ding seine Stelle und jeden Teil deines Geschäfts seine Zeit haben! 4. Entschlossenheit. – Nimm dir vor, durchzuführen, was du mußt; vollführe unfehlbar, was du dir vornimmst! 5. Sparsamkeit. – Mach keine Ausgabe, als um anderen oder dir selbst Gutes zu tun; das heißt vergeude nichts! 6. Fleiß. – Verliere keine Zeit; sei immer mit etwas Nützlichem beschäftigt; entsage aller unnützen Tätigkeit! 7. Aufrichtigkeit. – Bediene dich keiner schädlichen Täuschung; denke unschuldig und gerecht, und wenn du sprichst, so sprich danach! 8. Gerechtigkeit. – Schade niemandem, indem du ihm unrecht tust oder die Wohltaten unterläßt, die deine Pflicht sind! 9. Mäßigung. – Vermeide Extreme; hüte dich, Beleidigungen so übel aufzunehmen, wie sie es nach deinem Dafürhalten verdienen! 10. Reinlichkeit. – Dulde keine Unsauberkeit am Körper, an Kleidern oder in der Wohnung! 11. Gemütsruhe. – Beunruhige dich nicht über Kleinigkeiten oder über gewöhnliche oder unvermeidliche Unglücksfälle! 12. Keuschheit. – Übe geschlechtlichen Umgang selten, nur um der Gesundheit oder der Nachkommenschaft willen, niemals bis zur Stumpfheit, Schwäche oder zur Schädigung deines eigenen oder fremden Seelenfriedens oder guten Rufes! 13. Demut. – Ahme Jesus und Sokrates nach! Franklin: Autobiographie, S. 116 f. 284 [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften, S. 13. Siehe auch Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 4. 285 Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 304. 286 Herder: Spruch und Bild, insonderheit bei den Morgenländern, S. 43 f. 287 [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 134 f.
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IX Benjamin Franklin in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur
Franklins Ruf als erfolgreicher und einfallsreicher Gelehrter, als Autor von praktischen, alltagstauglichen und mit den zeitgenössischen sittlichen Konzeptionen kompatiblen Lebensweisheiten sowie die ihm in Europa zugeschriebene ethisch-moralische Aura des nicht korrumpierten Naturmenschen288 führten dazu, dass er für zahlreiche zeitgenössische Intellektuelle als Exemplum Virtutis eine Vorbildfunktion übernahm, welche die Menschen geradezu zu einer Imitatio Franklini anregen sollte.289 Am pointiertesten fasste diese Vorstellung vielleicht Georg Forster zusammen. In seinen nach dem Tode Franklins erschienenen Erinnerungen aus dem Jahr 1790 erklärte er: Benjamin Franklin – so lange das Menschengeschlecht der Macht des Beispiels bedarf, wird dieser Name leben und wirken. Benjamin Franklin steht hoch unter der kleinen Anzahl von Menschen, in denen die Würde der menschlichen Natur in vollem Glanz erschienen ist. Darf der Name des Weisen einem Sterblichen beigelegt werden, so gebührt er dem Mann, der in unserm Zeitalter sich selbst einen so großen Wirkungskreis schuf, ohne sich die geringste Beeinträchtigung eines Andern zu erlauben; der sein langes Leben der Belehrung seiner Landsleute widmete, ohne alle Anmaßung; der alles entbehren gelernt hatte, und dennoch mit unermüdeter Thätigkeit arbeitete; der mit unbestechlicher Vernunft bis an sein Ende Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden, Brudertreue, Liebe und gegenseitige Duldung predigte, und in jeder dieser Tugenden mit großem Beispiele vorging.290
Forster apostrophierte anschließend den von ihm imaginierten amerikanischen Gelehrten direkt und ermunterte ihn prägnant: „Benjamin Franklin! Ehrwürdiger Schatten! Lehre du selbst die Völker durch dein großes, unvergeßliches Beispiel.“291 Auch Gottfried Traugott Wenzel (1747–?) formulierte in der Vorrede der
288 Zahn brachte mit ihm Qualitäten wie „Fleiß, Mäßigkeit, Muth, gute Sitten, und ein Fond von Moralität“ (ebd., S. 100) in Verbindung und vertrat sogar die Ansicht, dass er „vielleicht unter allen Beginnern von Revolutionen der einzige moralisch-gute Mensch war.“ Ebd., S. 226 f. In der Anleitung zur praktischen Uebung der Tugend von Benjamin Franklin konnte man ebenso lesen: „Er ist, wie einer der Berühmtesten, so auch einer der Weisesten, Tugendhaftesten, und Glücklichsten, in der gesammten [sic] Geschichte der neueren Zeit.“ [Anonym]: Anleitung zur praktischen Uebung der Tugend von Benjamin Franklin, S. 84 f. 289 Über Franklins Autobiografie urteilte Herder: „Für junge Leute kenne ich fast kein neueres Buch, das ihnen so ganz eine Schule des Fleißes, der Klugheit und Sittsamkeit sein könnte, als dieses.“ Herder (Hg.): Briefe zur Beförderung der Humanität. 1. Sammlung. 2. Brief, S. 16 [1991]. Auch Zahn formulierte in seiner Franklin-Biografie für Jugendliche den Wunsch, „daß meine Bewunderung von Franklins seltenen Talenten auch auf meine Leser übergegangen seyn möge!“ [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 242. Siehe hierzu auch Biester: Etwas über Benjamin Franklin, S. 13, 28; No. [= ?]: [Rezension] D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 486. 290 Forster: Erinnerungen aus dem Jahr 1790, S. 310. 291 Ebd., S. 312. Siehe hierzu auch King: Echoes, S. 55.
7 Franklin als didaktischer Volksaufklärer und moralisches Vorbild
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von ihm übersetzten und im Jahre 1780 herausgegeben Schriften Franklins die Überzeugung, dass es sich bei diesen um „Werke eines großen Schriftstellers“292 handele, „welche lehrreiche und für das Menschengeschlecht wohlthätige Anweisungen und Kenntnisse enthalten“293. Eine transatlantische kosmopolitische didaktische Rolle schrieb dem Amerikaner nicht zuletzt Herder zu,294 der in den Briefen zur Beförderung der Humanität enthusiastisch bekannte: Nicht der Erfinder der Theorie elektrischer Materie und der Harmonika ist mein Held, (obwohl auch in diesen ruhmwürdigen Erfindungen Ein- und derselbe Geist wirkte;) der zu allem Nützlichen und Wahren aufgelegte, und auf die bequemste Weise werktätige Geist, Er, der Menschheit Lehrer, einer großen Menschengesellschaft Ordner sei unser Vorbild.295
Außerdem erklärte er: „Wollte Gott, wir hätten in ganz Europa ein Volk, das ihn läse, das seine Grundsätze anerkennte, und zu seinem eignen Besten darnach handelte und lebte; so wären wir sodann!“296 Im 19. Jahrhundert setzte sich diese Lesart der Biografie Franklins konsequent fort. Davon zeugen die Titel der Schriften, die sich mit ihm beschäftigten. 1830 erschien in Eschwege Franklin’s Tagebuch mit der Angabe: „Ein sicheres Mittel, durch moralische Vollkommenheit thätig, verständig, beliebt, tugendhaft und glücklich zu werden.“297 Und eine 1845 von Julius Kell (1813–1849) publizierte Lebensbeschreibung Benjamin Franklin’s, des thatkräftigen Mannes und freisinnigen Volksfreundes trug den Untertitel Eine Volksschrift zur Beförderung edler Menschlichkeit, tüchtigen Bürgersinnes und uneigennütziger Vaterlandsliebe. Die Vorbildfunktion des amerikanischen Aufklärers, gerade für die Jugend, wurde ebenso entschieden in Auerbachs bereits erwähntem Landhaus am Rhein,298 postuliert. Dort heißt es: Wenn ich einen Jüngling zu erziehen hätte, nicht zu einem bestimmten Beruf, sondern nur, daß er ein wahrer Mensch und guter Bürger würde, ich würde zu ihm sprechen: Mein Sohn, hier sieh, wie ein Mensch sich selbst bilden kann; ahme ihm nach, werde Du in Dir, wie Benjamin Franklin in sich geworden.299
292 Wenzel: Vorrede [Bd. 1], S. )(2r. 293 Ebd. 294 Siehe hierzu auch Breffka: Amerika, S. 4; Dobbek: Herders Weltbild, S. 135. 295 Herder (Hg.): Briefe zur Beförderung der Humanität. 1. Sammlung. 2. Brief, S. 17 [1991]. 296 Ebd., S. 15 [1991]. 297 Franklin: Franklin’s Tagebuch, S. [Titelblatt]. 298 Siehe Kapitel IX.1. 299 Berthold Auerbach: Das Landhaus am Rhein. 5. Buch. 2. Kapitel, S. 111.
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IX Benjamin Franklin in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur
Bestärkt wurden die Bewunderer von Franklins ethisch-moralischer Integrität (der Erzähler in Meyens Versepos lobt ihn als „Krone der Tugend“300) häufig durch ihre Überzeugung, dass es sich bei ihm um einen gottesfürchtigen Menschen mit festen Glaubensgrundsätzen handelte, der „ehrgeizig und fromm“301 war und „vest an die heilige Schrift“302 glaubte.303 Die Frage nach dem Verhältnis von Franklin zum christlichen Glauben und zur Religion allgemein gehört in der Franklin-Rezeption allerdings zu den am umstrittensten diskutierten Themen.304 Franklin stammte aus einem calvinistischen Haushalt in Boston, wo er eine „gottesfürchtige Erziehung“305 erfahren hatte. Er selbst erzählt in seiner Autobiografie, dass er im jugendlichen Alter die puritanische Strenge abstreifte und in einer Zeit der religiösen Suche mit deistischem Gedankengut in Kontakt kam.306 Als Erwachsenen überzeugte ihn, wie in Europa beispielsweise Lessing, aus einer aufklärerisch-pragmatischen Perspektive vor allem die moralisch-didaktische Funktion einer Vernunftreligion. So gelangte er zu der Ansicht, dass es ausgesprochen sinnvoll wäre, Jesus moralisch nachzueifern. In seiner Autobiografie gab Franklin sein Verhältnis zur Religion folgendermaßen an:
300 Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 5. Gesang, S. 129. Siehe auch ebd. 3. Gesang, S. 63. 301 Pfister: Nordamerikanische Unabhängigkeits-Krieg, S. 2. 302 [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften, S. 11. 303 Georg Friedrich Wehrs (1750–1818) berichtete 1790 im Hannoverischen Magazin, dass sich Franklin in seiner Todesstunde „mit dankbarem Herzen und gänzlicher Ergebung, dem Willen des höchsten Wesens [unterwarf], das ihn, wie er sich ausdrückte, aus dem Staube hervorgezogen und ihn zu so hohem Range und Ansehen unter den Menschen verholfen hätte.“ Wehrs: Doctor Franklin, Sp. 1036 f. 304 Zu Franklins religiösen Vorstellungen siehe Fea: Benjamin Franklin and Religion, S. 129– 145; ders.: Religion and Early Politics; Seipp: Benjamin Franklins Religion; Harpprecht: Nachwort, S. 252 f. 305 [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 11. 306 Ein deutschsprachiger Rezensent von Franklins Jugendjahren hielt fest: „Es fielen ihm einige Bücher gegen den Deismus in die Hände. Sie enthielten, wie man sagte, den Kern der Predigten, die in Boyle’s Laboratorium gehalten worden wären. Sie wirkten aber bey Franklin gerade das Gegentheil von dem, was die Verfasser sich vorgesetzt hatten. Denn die Gründe der Deisten, die zum Behuf der Widerlegung angeführt waren, schienen ihm weit stärker, als die Widerlegungen. Mit einem Worte, er wurde gar bald ein förmlicher Deist.“ H. [= ?]: [Rezension] Benjamin Franklins Jugendjahre von ihm selbst für seinen Sohn beschrieben, und übersetzt von Gottfried August Bürger, S. 100. Siehe auch Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 102 f.
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[…] I never was without some religious principles. I never doubted, for instance, the existence of the Deity; that he made the world, and govern’d it by his Providence; that the most acceptable service of God was the doing good to man; that our souls are immortal; and that all crime will be punished, and virtue rewarded, either here or hereafter.307
Obwohl Franklin öffentlich nicht die Validität und Rechtmäßigkeit des christlichen Gottesglaubens anzweifelte,308 sah er sich doch von Gegnern und Kritikern mit dem Vorwurf des Atheismus konfrontiert. Zahn sprach davon, dass „daß Franklin durch seine unbesonnene Religionsdisputen sich bei frommen Leuten in den Ruf eines Spötters der positiven Religion, ja sogar eines Gottesläugners, gebracht hatte.“309 Der Autor fügte allerdings sogleich relativierend hinzu: „Ein Ruf, welchen Franklin vielleicht in keiner Periode seines Lebens ganz verdiente.“310 Vereinzelte Kritik erweckten aber nicht nur die Glaubensüberzeugungen des Amerikaners, sondern insbesondere auch seine Lebensart, die z. T. von dem von seinen Bewunderern beschriebenen und teilweise sogar von ihm selbst propagierten Ideal, gerade hinsichtlich der Sexualität, abwich.311 Möglicherweise war die Lebensweise Franklins seinen Bewunderern auch nicht bekannt oder wurde aber von ihnen ignoriert.312 Schlichtegroll jedenfalls attestierte dem Verstorbenen
307 Franklin: The Autobiography, S. 80. Siehe auch ebd., S. 94. 308 Zahn verwies auf „seine temporäre Irreligiosität, sein Unglauben“ ([Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 105). 309 Ebd., S. 36. 310 Ebd. 1779 verortete selbst John Adams in seinem Tagebuch Franklin religiös zwischen Deisten, Atheisten und Freigeistern. Vgl. Fea: Benjamin Franklin and Religion, S. 129. Als „Freigeist“ wird Franklin schließlich auch bei Meyen bezeichnet. Siehe Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 2. Gesang, S. 45. Zur Bedeutung des „Freigeist“-Begriffes im 18. Jahrhundert, der in dieser Zeit überwiegend negativ konnotiert war, siehe Gawlick: Freidenker, S. 130–132 sowie das abgeschlossene Habilitationsprojekt von Björn Spiekermann mit dem Arbeitstitel Der Freigeist – Ein deutsches Feindbild. 311 Siehe hierzu Harpprecht: Nachwort, S. 251, 257. 312 In seiner Untersuchung über Herders Amerikabild bilanzierte Albert R. Schmitt: „Auf der Passiv-Seite findet man einen kalt rechnenden Egoismus, eine oft recht tadelnswerte Haltung in Fragen der Moral, die nicht im Einklang steht mit der von ihm gepredigten Masshaltung […].“ Schmitt: Herder und Amerika, S. [148]. Schmitt machte deutlich, dass die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit und möglicherweise auch zwischen Selbstwahrnehmung und den tatsächlichen Verhältnissen, von Herder nicht kommentiert oder kritisiert wurde: „Offensichtlich ist Herder der Ansicht, Franklin habe stets so gelebt, wie er es anderen vorschrieb!“ Ebd., S. 157. Schmitt wies außerdem darauf hin, dass Franklin durch seine Zeitung in das damals verbreitete Redemptionssystem verwickelt war, das von einigen Kritikern als „weiße Sklaverei“ bezeichnet wurde (siehe Kapitel V.6). Er gab an: „Franklin benutzte seine Pennsylvania Gazette, um dort europäische Einwanderer zum Verkauf anzubieten, nachdem er sie selbst ihren Gläubigern abge-
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IX Benjamin Franklin in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur
in seinem Franklin-Nekrolog eine „nüchterne[] Lebensart“313 und hinsichtlich der Sexualität konnte man in einem in der Berlinischen Monatsschrift 1799 abgedruckten Beitrag mit dem Titel Anleitung zur praktischen Uebung der Tugend von Benjamin Franklin unter dem zwölften Punkt als Empfehlung des Amerikaners lesen: Keuschheit. Ueberlaß dich selten der sinnlichen Liebe; über sie nur deiner Gesundheit wegen, oder um Kinder zu haben; nie so daß du dich abstumpfest oder schwächst, nie so daß du der Ruhe und dem guten Namen von dir oder von Andern schadest.314
Demgegenüber wurde festgehalten, dass Franklin, der einen unehelichen Sohn hatte, offensichtlich insbesondere in seiner Jugendzeit, aber auch während seines Aufenthaltes in Frankreich eine promiskuitive Lebensführung an den Tag legte. So gab Milon, der wie ein zeitgenössischer Rezensent anmerkte, „behauptet[e], Fr[anklin] habe eine Menge Maitressen gehabt, und mehrere uneheliche Kinder gezeugt“315, in seiner Franklin-Biografie an: In seinem Privat-Leben war dieser Philosoph von den kleinen Mängeln und Schwachheiten der menschlichen Natur nicht frey. Er war unbeständig in seinen Opfern die er der Cyprischen Götinn brachte und gab der, die das Ehebette rechtmäßig mit ihm theilte, Ursache sich über seine Untreue zu beklagen. Man weiß, daß er eine Menge Maitressen gehabt, und bey seinem Tode lebendige Zeugniße seiner unerlaubten Liebeshändel hinterlassen hat.316
Mit einem gewissen apologetischen Verständnis ergänzte der Autor aber auch: „[…] [D]ie Philosophen sind gebrechlich wie andere Menschen.“ 317 Auch Zahn sparte die sinnlichen Verlockungen nicht aus, denen Franklin offensichtlich erlegen war und notierte:
kauft hatte.“ Schmitt: Herder und Amerika, S. [148]. Auf der anderen Seite ist festzuhalten, dass Franklin, im Gegensatz zu Washington und Jefferson (siehe Kapitel III.15), kein Sklavenbesitzer war und 1790 eine Petition gegen die Sklaverei unterstützte. Zur zeitgenössischen Wahrnehmung des Verhältnisses Franklins zur Sklaverei siehe auch Fischer: Benjamin Franklin, S. 8. 313 Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 278. 314 [Anonym]: Anleitung zur praktischen Uebung der Tugend von Benjamin Franklin, S. 92. Siehe auch [Anonym]: Anleitung zur praktischen Uebung der Tugend von Benjamin Franklin, S. 90–92. 315 H.: [Rezension] Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins von C. Milon, S. 104. 316 Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 103. 317 Ebd., S. 104.
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Aber die Stimmung seines Gemüths hatte seine Sinnlichkeit gewekt, und er begieng einige Ausschweifungen, die wir gerne hier mit Stillschweigen übergehen würden, wenn nicht die Pflicht des Biographen uns geböte, auch das nicht zu verschweigen, was zur Warnung benüzt werden kann. Wie schmerzt es mich, erzählen zu sollen, daß es Augenblike gab, da der Mensch von so grossen Anlagen, der Mensch, vor dessen Geist sich sein ganzes Zeitalter ehrerbietig beugt, da dieser zum Thier herabsank, zu Verbindungen mit verworfenen Weibsbildern sich verirrte!318
Zahn sprach sogar von „Franklins Schande“319 und gab seinen jungen Lesen zu bedenken: „Und du, edler Jüngling! laß dich warnen, laß von der Syrene Wollust dich nie verloken! glaube, daß der erste Schritt in ihre Arme dem Ruin deines Vermögens, dem Verlust deiner Ehre, deiner Ruhe, deiner Gesundheit, vielleicht deines Lebens entgegen gethan ist!“320 Bestätigt wurde diese Wahrnehmung der Sexualität Franklins durch die Berichte amerikanischer Staatsmänner, die ihm in Paris begegnet waren. John Adams, der aus dem puritanisch-calvinistischen Neuengland stammte und dem das Verhalten Franklins stark missfiel, notierte für den 18. April 1778: Mr. Franklin who at the age of seventy odd, had neither lost his Love of Beauty nor his Taste for it called Mademoiselle De Passy his favourite and his flame and his Love and his Mistress, which flattered the Family and did not displease the young Lady.321
Und Thomas Jefferson berichtete am 14. Februar 1783 in einem Brief an James Madison (1751–1836; reg. 1809–1817): „I have marked him particularly in the company of women where he loses all power over himself and becomes almost frenzied.“322
318 [Zahn]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben, S. 124. 319 Ebd., S. 125. 320 Ebd. 321 Adams: Autobiography, S. 64. Siehe hierzu auch Huang: Benjamin Franklin, S. 158–162; Lopez: Mon Cher Papa, S. 129. 322 Thomas Jefferson an James Madison. 14. Februar 1783. In: Jefferson: The Papers. Bd. 6, S. 241. Zu Franklins Liebschaften und seinem Verhältnis zu Frauen siehe insbesondere Lopez: Mon Cher Papa.
8 „Wen Gott frei macht / Ist ewig frei.“ Die Apotheose Franklins in Schubarts Hymne Grabschrift (1790) Grabschrift. Hier liegt in Gräberstille Franklins Hülle Christ Weiser Patriot Voll Vaterland und Gott Er wußte den Strahl der Tirannen Wie Blize des Himmels zu bannen Und aus gläsernen Gloken Himmlische Töne zu loken Wie einem Bräutigam die Braut Both ihm Freiheit die Hand Dann führt er sie liebevertraut In Kolumbus glükliches Land Sein Name frei und groß Flog über den Okeanos Kolumbia traurt um Ihn Europa klagt um Ihn Der kühne Franke hüllt sich in Flor Doch Franklins Seele flog empor Ins Urlicht. Geister drangen In Schaaren herbei Willkommten ihn und sangen Wen Gott frei macht Ist ewig frei.323
Zu den größten Verehrern Franklins in den deutschen Staaten gehörte zweifelsohne Christian Friedrich Daniel Schubart. Der freiheitsliebende schwäbische Autor hatte nicht nur mit größtem Interesse die Entwicklung des Unabhängigkeitskrieges verfolgt, er zeigte in seinen Schriften auch deutliche Sympathien für die Amerikaner und ihre wichtigsten politischen und militärischen Vertreter. In seinem Freyheitslied eines Kolonisten (G172) feierte er beispielsweise Israel Putnam und die amerikanischen Patrioten als vorbildliche Helden und Verfechter der Freiheit.324 Auch nach Schubarts Entlassung aus der Gefangenschaft auf dem Hohenasperg, ließ sein Interesse an Amerika nicht nach. Der Autor verglich den neu entstandenen Staat mit antiken republikanischen Vorbildern und rückte
323 Schubart: Grabschrift, S. 448 [G371]. 324 Siehe Kapitel II.
8 Die Apotheose Franklins in Schubarts Hymne Grabschrift
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ihn in eine religiöse Sphäre. Im September 1787 schrieb er z. B. in seiner Zeitung Vaterländische Chronik: Nur in Amerika kann man sich mit den edlen Bürgern, welche für’s Vaterland stritten, auf eine Linie stellen und den Tempel der Freiheit bauen helfen, der allmählich in die Wolken strebt. Auf zwo Säulen ruht dieser Tempel. Gleichheit der geistlichen; Gleichheit der bürgerlichen Rechte ist ihr Nahme. Gates, Franklin, Lorens, Washington, sind die Priester in diesem Tempel. Ihr Nahm’ ist unsterblich, wie ihre Thaten.325
Schubart erwähnte die beiden prominentesten Amerikaner in Europa, Washington und Franklin, wie viele seiner Kollegen wiederholt zusammen. Am 13. März 1789 lobte er die Staatsmänner beispielsweise mit den Worten: „[…] [D]er Geist eines Washingtons und Franklins rükt durch Eintracht und weise Grundsäze die Provinzen immer näher zusammen, um nach und nach eine Masse zu bilden, der niemand widerstehen kan.“326 Wenn der Autor während der Konstitutionalisierungsphase der USA Ende der 1780er Jahre teilweise auch durchaus heftige Kritik an der amerikanischen Politik üben konnte, so erschienen Washington und Franklin in dieser Zeit bei ihm trotzdem durchweg in einem positiven Licht. Dies geht auch aus einer Beurteilung der politischen Situation in den Vereinigten Staaten im August 1787 hervor, in dem er bilanzierte: In Amerika schwankt der dreizehnköpfige Freistaat, beinahe gesezloß, am Absturze der Anarchie und Zerrüttung; der will eine königl[iche] Regierung, der eine Republik, der einen Protektor, der einen Staatthalter, und viele wollen eine lautre Volksregierung. Selbst der Genius eines Franklins und Washingtons konnte bisher dies politische Chaos nicht mit Licht und Ordnung erfüllen.327
Auch nachdem sich der Verfassungskonvent in Philadelphia schließlich doch noch einigen konnte, konstatierte der Autor am 12. August 1788: „Der Entwurf der neuen Staatsverfassung im hohen Geiste Washingtons und Franklins verfertigt, ist seiner Zeitigung und allgemeinen Annahme ganz nahe.“328 In jedem Fall kann festgehalten werden, dass für Schubart Franklin, den er wie zahlreiche andere Schriftsteller (s. o.) u. a. mit Lucius Iunius Brutus ver-
325 Schubart (Hg.): Vaterländische Chronik (1787). 1. Vierteljahr. 19. Stück. September, S. 148 [Schubart: Werke, S. 119]. 326 Schubart (Hg.): Vaterlandschronik (1789). 1. Halbjahr. 21. Stück. 13. 3. 1789, S. 166. Siehe auch Schubart (Hg.): Chronik (1790). 1. Halbjahr. 21. Stück. 12. 3. 1790, S. 174; ebd. 32. Stück. 20. 4. 1790, S. 271; ebd. 2. Halbjahr. 91. Stück. 12. 11. 1790, S. 778. 327 Schubart (Hg.): Vaterländische Chronik (1787). 1. Vierteljahr. 13. Stück. August, S. 99 f. 328 Schubart (Hg.): Vaterlandschronik (1788). 2. Halbjahr. 65. Stück. 12. 8. 1788, S. 529 [Schubart: Werke, S. 143].
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IX Benjamin Franklin in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur
glich329 und den er „an der Spize der Weltweisen und Staatsmänner“330 sah, nicht nur ein politisches und intellektuelles, sondern auch ethisch-moralisches Ideal verkörperte, dessen Exzeptionalität er immer wieder akzentuierte. Ein ausgezeichnetes Beispiel für die literarische Würdigung Franklins durch Schubart ist die am 29. Juni 1790 in seiner Zeitung publizierte, lyrisch-erzählende Grabschrift (G371), die er zu Ehren des am 17. April des Jahres verstorbenen Amerikaners verfasst hatte. Die Hymne, in der Franklin eine poetische Apotheose erfährt, würdigt seine vielfältigen und bedeutenden Leistungen als Erfinder, Aufklärer sowie als Politiker und akzentuiert seinen Einfluss zu beiden Seiten des Atlantiks. Bei der Grabschrift handelt es sich um eines der ausdruckstärksten Zeugnisse der europäischen Franklin-Verehrung, die sich insbesondere auch in der Anteilnahme an der Todesnachricht äußerte. In der Chronik war z. B. zu lesen: D[octor] Franklin, einer der größten Männer unsres Jahrhunderts, starb nach einem thatenvollen, bewundrungswürdigen Leben im 85. Jahre seines Alters. Er ist noch mehr als der Amerikanische Brutus; er beugte die Despotie, führte die Freiheit unter sein Volk, blikte tief in alle Irrgänge der politischen Welt, und trug sein Vaterland bis ins Grab, wie ein Amulet auf seinem Herzen. In den Feierstunden erfand er die blizentkräftenden Wetterableiter und die sanftklagende Harmonika. Auf steht der Geist der Zeit, bükt sich tief und spricht: das war ’nmal ein Mann. – Die Volksvertreter der Franken legten Einen Tag um ihn die Trauer an, und die Nazion folgte nach.331
Und auch in einem Beitrag, der in Schubarts Zeitung unter der Überschrift Noch etwas von Franklin erschien und möglicherweise von ihm selber stammte, hieß es: Franklin hatte hohen Genius – und Charakter. Der Buchdruckergeselle wurde die Säule der Welt des Kolumbus. Selbst Brittannia bewunderte ihren abtrünnigen Sohn, Franzia koßte ihn, und nach seinem Tode tragen sie Leid um ihn, die grossen Söhne der Freiheit. […] Keinem Menschen neuerer Zeit ist größere Ehre wiederfahren, als ihm.332
Herder kommentierte den Tod des von ihm bewunderten amerikanischen Aufklärers in den Briefen zur Beförderung der Humanität ebenfalls mit den ausdruckstarken Worten: „Kein Stern mehr; ich wandle auf einem Kirchhofe, und schaue traurig zur Erde nieder, insonderheit unter den Deutschen Gebeinen.“333
329 Siehe Schubart (Hg.): Vaterländische Chronik (1787). [2. Vierteljahr.] 46. Stück. Dezember, S. 361. 330 Schubart (Hg.): Vaterlandschronik (1789). 2. Halbjahr. 84. Stück. 20. 10. 1789, S. 726. 331 Schubart (Hg.): Chronik (1790). 1. Halbjahr. 51. Stück. 25. 6. 1790, S. 438 f. 332 [Anonym]: Noch etwas von Franklin, S. 447. 333 Herder (Hg.): Briefe zur Beförderung der Humanität. 1. Sammlung. 4. Brief, S. 25 [1991].
8 Die Apotheose Franklins in Schubarts Hymne Grabschrift
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Die Grabschrift erweckt schon typografisch Assoziationen zu dem berühmten von Franklin bereits 1728, also im Alter von 22 Jahren, verfassten Epitaph, welches er für sein Grab vorgesehen hatte334 und in dem Milon zufolge Franklin „seinen Glauben an ein künftiges Leben zu erkennen gab“335. Dieses lautet in einer englischen Version: The Body of Benjamin Franklin, Printer, (Like the cover of an old Book, Its contents worn out, And stript of its lettering and gilding) Lies here, food for worms! Yet the work itself shall not be lost, For it will as he believed, appear once more In a new And more beautiful edition, Corrected and amended By its Author.336
Das Epitaph wurde in der Übersetzung in deutschsprachigen Publikationen in Europa immer wieder abgedruckt, so auch folgendermaßen bei Milon: Hier lieget der Leib Benjamin Franklins, Buchdruckers, wie der Deckel von einem alten Buche, dessen Inwendiges ausgerissen ist und der seinen Bund und Vergoldung nicht mehr hat; und dienet den Würmern zur Speise; inzwischen wird das Werk nicht verlohren gehen, denn (wie er glaubte) wird es einst wieder herauskommen in einer neuen und sehr schönen Edition vermehrt und verbessert durch den Verfasser.337 334 Dieses wurde allerdings auf die tatsächliche Grabplatte Franklins in Philadelphia nicht aufgenommen. 335 Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 106. 336 Franklin: [The Body of], S. 372. 337 Milon: Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins, S. 106. Siehe auch [Bärensprung]: Eine seltene Grabschrift, S. [nicht paginiert]; B. F.: Etwas von Franklin, S. 422; Biester:
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IX Benjamin Franklin in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur
Aufgrund der vergleichsweise hohen Anzahl der Abdrucke der Inschrift, erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass Schubart diese oder eine der entsprechenden deutschsprachigen Übersetzungen (und bzw. oder auch das Original) kannte und sich durch sie bei seinem poetischen Nachruf beeinflussen ließ. Im Gegensatz zur Grabschrift stellt Franklins Epitaph, das von dem amerikanischen Gelehrten zu einem Zeitpunkt vor seinem intensiven naturwissenschaftlichen und politischen Engagement verfasst wurde, sein Wirken als Buchdrucker in den Mittelpunkt. Die dominierende Stellung der Buchdruckertätigkeit für die gesamte Biografie Franklins fasste Gottlob Nathanael Fischer mit den lapidaren Worten zusammen: „Benjamin Franklin war zuerst Buchdrucker.“338 In Schubarts Gedicht, das auf ein breites Tätigkeitsspektrum des geehrten Verstorbenen hinweist, findet das Wirken Franklins als Buchdrucker dagegen gar keine direkte Erwähnung. Stattdessen werden seine Verdienste als Erfinder und Politiker in den Vordergrund gerückt. Die als Hymne verfasste Grabschrift würdigt Franklin gattungsgemäß339 in einem panegyrischen feierlich-erhabenen Ton und lässt den Verstorbenen schließlich sogar klimaktisch eine Apotheose erfahren. Norbert Gabriel hat in seiner Habilitationsschrift zur Geschichte der deutschen Hymne, für diese Unter-
Etwas über Benjamin Franklin, S. 37; [Klügel]: [Rezension] Des Herrn D[octor] Franklin sämmtliche [sic] Werke, aus dem Englischen und Französischen übersetzt von G[ottfried] T[raugott] Wenzel, S. 509; Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 306; [Zahn]: [Hier lieget], S. 239. Die Grabinschrift wurde in Nordamerika z. B. von Michael Billmeyer in seinem Publikationsorgan Der Hoch-Deutsche Americanische Calender (Nr. 17 [1801], S. 27) und in dem in Gettsyburg/Pennsylvania bei William B. Underwood erschienenen jährlichen Periodikum Der Hoch-Deutsche Amerikanische Calender (1807) abgedruckt. Siehe hierzu auch Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 1, S. 665 und Bd. 2, S. 1156 f. Friedrich Schlichtegroll, der das Epitaph des amerikanischen Gelehrten selber in einer Übersetzung abdruckte, kommentierte dieses mit den Worten: „Er [= Franklin, Anm. L. L.] hat sich selbst eine Grabschrift gemacht, die uns seine Hofnungen und seine einfache Denkungsart zeigt[.]“ Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 306. Zur negativen zeitgenössischen Rezeption siehe allerdings auch Dp. [= ?]: [Rezension] Benjamin Franklins kleine Schriften, meist in der Manier des Zuschauers, nebst seinem Leben, S. 204. 338 Fischer: Benjamin Franklin, S. 4. 339 Zu der (bis in die Antike zurückreichenden) lyrischen Untergattung „Hymne“, die in der Antike Göttern und verehrungswürdigen Persönlichkeiten, die sich in besonderer Weise hervorgehoben hatten, vorbehalten war, siehe Burdorf: Geschichte, S. 298–310; Gabriel: Studien; Knörrich: Hmyne, S. [184]–191; Kraß: Hymne, S. 105–107; Oestersandfort: Hymne, S. 333–335. Zum Verhältnis der Hymne zu der „wohl am schwierigsten von ihr zu unterscheidenden anderen lyrischen Form, der Ode,“ (Burdorf: Geschichte, S. 306) siehe ebd., S. 306–308. Siehe auch Braungart: Hymne, Ode, Elegie, S. [245]–271; Knörrich: Hymne, S. 185.
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gattung folgende Gemeinsamkeiten in der Zeit der „Hymnendichtung zwischen Klopstock und Hölderlin“340 ausgemacht: In diesen Hymnen vollzieht sich, wenn man es knapp auf eine Formel bringen möchte, ein Prozeß der Transzendierung. Ausgangspunkt ist stets die Überwältigung, das Hingerissensein des poetischen Ich durch den besungenen Gegenstand, der selbst keineswegs unbedingt als numinos empfunden werden muß. Die Freiheitssehnsucht und der Tyrannenhaß, das Bild des fessellosen, ungebundenen Felsenstromes, aber auch die Begeisterung durch eine historische Persönlichkeit, wie Friedrich der Große, und schließlich immer wieder die Größe Gottes können als Gegenstand des Gedichts diese leidenschaftliche Bewegung hervorrufen.341
Vorwegnehmend kann festgehalten werden, dass diese Beobachtung auch auf Schubarts Grabschrift zutrifft. Die insgesamt 99 (mit der Überschrift 100) Wörter der Gedichtes verteilen sich auf 23 Verse, die in freien Rhythmen verfasst sind und sich unter unterschiedlichen Gesichtspunkten einteilen lassen. Eine gewisse Gliederung kann durch die Reimstruktur vorgenommen werden. Nach vier Paarreimen, bei denen es sich in den ersten vier Versen allerdings um unreine Reime handelt („Gräberstille“„Hülle“ sowie „Patriot“-„Gott“), folgen zwei Kreuzreime und anschließend in den Versen 13–18 drei weitere Paarreime. Diese werden erneut von zwei Kreuzreimen ergänzt, der zweite Kreuzreim („herbei“-„frei“) jedoch durch den 22. Vers unterbrochen. Bei dem eingerückten Vers „Wen Gott frei macht,“342 handelt es sich um den einzigen Waisen des Gedichtes. Die Zeile ist durch keinen Reim mit den anderen verbunden und korrespondiert daher besonders gut mit der Verssemantik, da an dieser Stelle die Bedeutung Freiheit akzentuiert wird und er aufgrund seiner Reimlosigkeit ebenfalls ungebunden frei wirkt. Eine weitere Einteilung des Textes ergibt sich durch das Tempus der Verben. Während die ersten vier Verse im Präsens erscheinen, folgen zehn präteritale Verse343, anschließend drei Verse wieder im Präsens, gefolgt von vier präteritalen Versen und zum Schluss wieder zwei Versen im Präsens.
340 Gabriel: Studien, S. [91]. 341 Ebd., S. 92. 342 Schubart: Grabschrift. 22. Vers, S. 448 [G371]. 343 Semantisch erscheint es sinnvoller, das Verb „führt“ im 11. Vers als apokopierte Form von „führte“ zu lesen. Die Elision wird zwar typografisch nicht durch einen Apostroph angezeigt, allerdings fehlt dieser auch beim possessiven Genitiv „Kolumbus“ im zwölften Vers. Ebenso findet sich bis auf den Punkt im 19. Vers sowie den Schlusspunkt des Gedichtes insgesamt keine Interpunktion und die offensichtliche wörtliche Rede in den letzten beiden Versen wird ebenso nicht durch An- und Abführungszeichen angezeigt.
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Schließlich ist auch eine topo- bzw. geografische Unterteilung der Verse denkbar. Einerseits ergibt sich eine Erde-Himmel-Opposition (Verse 1–17 gegenüber den Versen 18–23), die den Aufstieg der vom Körper separierten Seele, d. h. die Himmelfahrt des Verstorbenen nach seiner Auferstehung aus seinem Grab in bzw. unter der Erde, über die Welt der Lebenden bis hin zum „Urlicht“344 verdeutlicht und zum anderen wechselt die geografische Präsenz des Sprechers auf der Erde von Amerika nach Europa. Wie Schubarts Freyheitslied weist auch die Grabschrift eine Reihe von Lexemen aus dem auditiven und visuellen Spektrum auf. Die visuelle Sensorik sprechen Ausdrücke wie „Hülle“345, „Blize“346, „gläsernen“347, „Flor“348 und das bereits erwähnte „Urlicht“ an. Auffällig ist dabei, dass sich auch hier ein Antagonismus zwischen der Erde und dem Himmel bzw. dem durch eine vertikale Bewegung („Doch Franklins Seele flog empor“349) definierten Ort der postmortalen Existenz ergibt. Die auf die Erde verweisenden Ausdrücke, die eine optische Konnotation tragen, also z. B. „Hülle“ (der Leichnam im Grab) und „Flor“ (der schwarze Trauerflor), sind überwiegend durch Dunkelheit bzw. Lichtundurchlässigkeit geprägt, wohingegen die optischen Ausdrücke, die Assoziationen zum Himmel erwecken, also „Blize“ und „Urlicht“, für Helligkeit und Leuchtkraft stehen. Hierzu gehört auch der Ausdruck „gläsernen“ im 7. Vers, der in Kombination mit „Gloken“350 (eine Anspielung auf Franklins Glasharmonika, s. u.) mit „Himmlische[n] Töne[n]“351 in Verbindung gebracht wird. Die „gläsernen Gloken“352 können zwar irdisch lokalisiert werden, allerdings nehmen die durch sie hervorgebrachten Töne den metaphysischen himmlischen Zustand, in das Franklins Seele schließlich einkehrt, proleptisch vorweg. Ebenso verhält es sich mit den Ausdrücken, die durch eine auditive Semantik gekennzeichnet sind, wie „Gräberstille“353, „Gloken“, „Töne“354 und „sangen“355. Der Geräuschlosigkeit des Grabes auf der Erde wird das Singen der Geister in der Welt des „Urlichts“ gegenübergestellt. Auch hier erweist sich
344 Ebd. 19. Vers, S. 448 [G371]. 345 Ebd. 2. Vers, S. 448 [G371]. 346 Ebd. 6. Vers, S. 448 [G371]. 347 Ebd. 7. Vers, S. 448 [G371]. 348 Ebd. 17. Vers, S. 448 [G371]. 349 Ebd. 18. Vers, S. 448 [G371]. 350 Ebd. 7. Vers, S. 448 [G371]. 351 Ebd. 8. Vers, S. 448 [G371]. 352 Ebd. 7. Vers, S. 448 [G371]. 353 Ebd. 1. Vers, S. 448 [G371]. 354 Ebd. 8. Vers, S. 448 [G371]. 355 Ebd. 21. Vers, S. 448 [G371].
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die von Franklin erfundene Glasharmonika als Vorausdeutung auf den schließlich zeitlich nicht mehr limitierten Endzustand. Insgesamt ergibt sich dadurch hinsichtlich des Erde-Himmel-Dualismus eine Dunkelheit und Stille vs. Licht und Singen-Opposition. Die Grundlage für den in der Grabschrift aufgebauten Antagonismus wird mit dem ersten Reimpaar „Gräberstille-Hülle“ gelegt, gegen das in den späteren Versen eine Opposition aufgebaut werden kann. Der Ausdruck „Hülle“, mit dem wohl der Leichnam des Verstorbenen gemeint ist, ist durch die Komponente der Lichtundurchlässigkeit bzw. der Verhüllung geprägt. So heißt es in Adelungs Grammatisch-kritischem Wörterbuch unter dem entsprechenden Lemma: Die Hülle, […] ein Ding, welches ein anderes verhüllet, es den Blicken anderer entziehet, eine Decke; in welcher Bedeutung es nur noch in der edlen und höhern Schreibart üblich ist. Ja sie fallen, die unseligen Hüllen, die meine Augen bisher gefangen hielten.356
Der letzte Satz der eben hier zitierten Passage, bei dem es sich um ein Zitat aus dem dritten Auftritt des fünften Aufzugs von Joachim Wilhelm von Brawes (1738– 1758) Trauerspiel Der Freygeist (1758) handelt, erscheint besonders interessant, da der Ausdruck ex negativo bereits hier das für das Gedicht entscheidende Motiv der Freiheit bzw. Befreiung aufgreift. Wie schon im Freyheitslied eines Kolonisten spielt die Freiheit auch in der Grabschrift eine wichtige Rolle. In beiden Gedichten wird sie personifiziert und direkt bzw. indirekt sakralisiert. Unter den 99 Wörtern der Hymne erscheint das Lexem „frei“, das im 22. Vers mit Gott in Verbindung gebracht wird, insgesamt drei Mal (in den Versen 13, 23 und 24) und entspricht damit der Trinitätszahl.357 Eine besondere Akzentuierung erfährt der Freiheitsbegriff nicht zuletzt dadurch, dass der Ausdruck „frei“ das Schlusswort des gesamten Textes bildet. Betrachtet man die gesamten 23 Verse unter dem Freiheitsmotiv, ist von den ersten beiden Versen, in denen das Motiv der Umhüllung bzw. des Eingesperrt-Seins evoziert wird, bis zu den Schlussversen, in denen von der von Gott verliehenen Freiheit die Rede ist, eine deutliche Entwicklung festzustellen, die als eine Art Loslösung bzw. Befreiung der Seele des Verstorbenen aus seinem irdischen „Gefängnis“ interpretiert werden kann. Wie eine Raupe, die sich verpuppt und schließlich zum Schmetterling verwandelt ihre Hülle abstreift, partizipiert auch Franklin, dessen sterbliche Hülle in bzw. auf der Erde zurückbleibt, an einem Transformationsprozess, an dessen Ende etwas ausgesprochen Positives steht. Die Separation von Körper und Geist führt dazu, dass die Seele
356 Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 2, Sp. 1314. 357 Vgl. auch 3x33=99.
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Franklins ins „Urlicht“ eintreten kann. Dabei kann „Hülle“ nicht nur als Metapher für seinen Leichnam, sondern auch als Chiffre für die Weltlichkeit und damit auch Sündhaftigkeit der irdischen Existenz verstanden werden. Adelung gibt an, dass mit dem Ausdruck „Hülle“ „[i]n engerer Bedeutung“358 auch die Kleidung bzw. Bekleidung gemeint sein kann. Wenn also mit dieser Lesart die Kleidung Franklins im Grab auf der Erde zurückbleibt, so kann das auch als Anspielung auf den Zustand vor dem biblischen Sündenfall verstanden werden, der durch die in der Nacktheit symbolisierten ethisch-moralischen Reinheit und Unschuld von Adam und Eva gekennzeichnet war.359 In diesem Sinne kann der „hüllenlose“ Eintritt von Franklins Seele in das „Urlicht“ auch als Rückkehr zum menschlichen Urzustand vor dem Sündenfall verstanden werden. Hiermit korrespondiert die zeitgenössische topische Wahrnehmung Franklins als im Gegensatz zu den meisten Europäern ethisch-moralisch nicht korrumpierter Naturmensch.360 Wie das Freyheitslied ist also auch die Grabschrift stark sakral aufgeladen. Hierzu trägt bereits der Titel bei, ebenso aber auch Ausdrücke wie „Gräberstille“, „Christ“361, „Gott“362, „Himmlische“363, „Seele“364, „Urlicht“ und „Geister“365. So wird im dritten und vierten Vers („Christ Weiser Patriot / Voll Vaterland und Gott“366), die an die pointierte Formulierung „Gott! – Freiheit! – Friede!“ in der Bildunterschrift der Darstellung der Segnung von Franklins Enkelsohn durch Voltaire erinnern (Abb. 95),367 neben Franklins intellektuellem Vermögen und Patriotismus, vor allem seine Religiosität hervorgehoben. Dabei fällt den beiden religiösen Ausdrücken „Christ“ und „Gott“ eine besondere Position zu, da sie den Anfang und das Ende der zwei Verse, die auch durch den Reim verbunden sind, bilden und dadurch die anderen Franklin zugeschriebenen Charakteristika umhüllen. Da sich „Patriot“ am Ende des dritten Verses und „Voll Vaterland“ am
358 Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 2, Sp. 1314. 359 Siehe Gen 2,25. 360 Siehe Kapitel IX.6. 361 Schubart: Grabschrift. 3. Vers, S. 448 [G371]. 362 Ebd. 4. Vers, S. 448 [G371]. 363 Ebd. 8. Vers, S. 448 [G371]. 364 Ebd. 18. Vers, S. 448 [G371]. 365 Ebd. 19. Vers, S. 448 [G371]. 366 Ebd. 3 f. Vers, S. 448 [G371]. Eine ähnliche Formulierung im Zusammenhang mit Franklin findet sich in der Ausgabe der Chronik vom 7. September 1790. Vor dem Hintergrund der instabilen politischen Verhältnisse in Belgien vertrat Schubart die Ansicht: „Wenn Männer, wie Washington und Franklin voll Gott und Vaterland – an die Spize eines Volks tretten und sagen: Ich will dich erlösen von der Geissel deiner Treiber; dann hab ich Muth, weil Gott dem Gerechten beisteht.“ Schubart (Hg.): Chronik (1790). 2. Halbjahr. 72. Stück. 7. 9. 1790, S. 611. 367 Siehe Kapitel IX.2.
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Anfang des vierten Verses semantisch entsprechen, ergibt sich hier ein Chiasmus, d. h. eine „Überkreuzung“, die im Kontext der Semantik der beiden Verse auch als Referenz auf das Christentum bzw. den Opfertod Christi am Kreuz vor seiner Auferstehung und Himmelfahrt verstanden werden kann.368 Die Vorstellung, dass es sich bei Franklin um einen frommen Christen handelte, die offensichtlich auch Schubarts Meinung widerspiegelt, entspricht seiner zeitgenössischen öffentlichen Wahrnehmung als gläubiger Mensch.369 So war in dem bereits erwähnten, in Schubarts Zeitung abgedruckten Nachruf zu lesen: „Franklin hieng den Lehren des Christenthums fest an, wie seine Schriften erweisen[.]“370 Da der Ausdruck „Weiser“371 im Gegensatz zu „Christ“ und „Patriot“372 keinen Pendant im folgenden Vers zu finden scheint, ist er gewissermaßen etwas auffällig. Die Bezeichnung Franklins als „Weiser“ findet sich bereits in Meyens Epos373 sowie bei anderen zeitgenössischen Autoren und ist ein Tribut an sein transatlantisches Wirken als Aufklärer und Gelehrter. Darüber hinaus enthält der Ausdruck aber auch eine religiöse Komponente, die in den beiden Versen ohnehin schon eine große Rolle spielt. So ist in Zedlers Universal-Lexicon unter dem Lemma „Weise seyn“ u. a. zu lesen: „Diese Glückseligkeit, weise zu seyn, wird den Menschen von GOtt gegeben […].“374 Nicht zuletzt gilt die sprichwörtlich gewordene Weisheit des biblischen Königs Salomo als Zeichen der Gnade, die ihm JHWH erwiesen hat. Dem Brief an die Römer zufolge, der dem Apostel Paulus zugeschriebenen wird, ist die wahre Weisheit sogar ausschließlich Gott vorbehalten, denn dieser endet mit den Worten: „Demselbigen Gott / der alleine weise ist / sey Ehre / durch Jhesu Christ / in ewigkeit / AMEN.“375 Das in der Grabschrift folgende, erneut durch einen Reim verbundene, Verspaar „Er wußte den Strahl der Tirannen / Wie Blize des Himmels zu bannen“376 stellt eine leicht abgewandelte deutschsprachige Adaption des in der FranklinMemorialliteratur fast schon obligatorischen Turgot-Zitats „Eripuit coelo fulmen,
368 Vgl. dass das Christusmonogramm „☧“ sich durch ein Chi (gr. X) und ein Rho (gr. P) zusammensetzt. 369 Siehe Kapitel IX.7. 370 [Anonym]: Noch etwas von Franklin, S. 447. 371 Schubart: Grabschrift. 3. Vers, S. 448 [G371]. 372 Ebd. 373 Siehe Meyen: Franklin der Philosoph und Staatsmann. 1. Gesang, S. 6. 374 Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Bd. 54, Sp. 1113. 375 Röm 16,27a [Lutherübersetzung 1545]. 376 Schubart: Grabschrift. 5 f. Vers, S. 448 [G371].
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sceptrumque tyrannis“ dar.377 Ebenso gehören die beiden sich anschließenden Verse „Und aus gläsernen Gloken / Himmlische Töne zu loken“378, bei denen es sich, wie bereits erwähnt, um eine Anspielung auf die Glasharmonika handelt,379 zu den festen Elementen der Franklin-Rezeption. Der Blitzableiter und die Glasharmonika stehen repräsentativ für den Erfindungsreichtum des Amerikaners. Auffällig ist, dass beide Erfindungen mit dem Himmel assoziiert werden. Einerseits unterstreicht dies die „überirdischen“ Relationen Franklins, andererseits handelt es sich hierbei um eine weitere Widerspiegelung seiner zeitgenössischen Wahrnehmung. Während der Blitzableiter geradezu per Definition auch den Luftraum über der Erde tangiert, wurde der Klang der Glasharmonika mit einer metaphysischen himmlischen Sphäre in Verbindung gebracht. Ein 1765 im Hamburgischen Journal publizierter und mit dem Titel Beschreibung der vom Herrn Franklin erfundenen Harmonica eines neuen Musicalischen Instruments von Glas. (Aus dem Journal des Dames.) versehener Beitrag beschrieb die Akustik des Musikinstruments folgendermaßen: Es klingt gleichfalls sehr angenehm, wenn sie dazu singt, weil das Instrument einen sehr gelinden und überaus anmuthigen Ton von sich gibt. Ein Hauptvortheil bey der Harmonica ist, daß sich dieses Instrument niemals verstimmt, und daß die Töne zu allen Zeiten gleich rein und hellautend sind.380
Der anonyme Autor gelangte zu dem Schluss: „Auf dem Theater wäre es gut zu gebrauchen, wenn man etwa eine himmlische Musik der Engel oder in den elisäischen Feldern nachahmen will.“381 Und auch Gottlob Nathanael Fischer schrieb: Wer kannte den schwebenden durchdringenden Ton nicht, den das Reiben eines feuchten Glasrandes erzeugt? Aber in Franklin’s Seele bildeten und ordneten sich Harmonien daraus, die dem menschlichen Ihre das höchste Vergnügen gewähren, dessen es fähig scheint. Sein Name schwebt mit jedem Engellaut der Harmonika durch die Luft, und jede Nerve des gerührten Hörers bebt ihn nach.382
377 Siehe Kapitel IX.4. Anscheinend aus metrischen Gründen und um den Reim zu wahren, hat Schubart allerdings die beiden Teilsätze vertauscht. Eine leicht abgewandelte Übersetzung der Losung erschien in einem Beitrag, der im Dezember 1787 im 46. Stück seiner Vaterländischen Chronik (auf S. 361) publiziert wurde. 378 Schubart: Grabschrift. 7 f. Vers, S. 448 [G371]. 379 Siehe hierzu Kapitel IX.3. 380 [Anonym]: Beschreibung der vom Herrn Franklin erfundenen Harmonica eines neuen Musicalischen Instruments von Glas, S. 831. 381 Ebd., S. 832. 382 Fischer: Benjamin Franklin, S. 7.
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Die Charakterisierung des Klanges als „engelsgleich“ bzw. die Verbindung der Glasharmonika mit der Akustik von Engeln findet sich ebenso in der deutschsprachigen Lyrik. In der um die Jahrhundertwende verfassten Verssatire Das achtzehnte Jahrhundert (G375) des protestantischen Theologen Daniel Jenisch (1762– 1804) apostrophiert der Sprecher Franklin u. a. mit den Worten: Aber, du wußtest zu wohl, daß im hohen Rathe des Schicksals unentfliehliches Uebel beschlossen wurde den Menschen. Darum erfandst du ihnen die Klageharfe der Engelwehmuth, Harmonika schön genannt mit tröstenden Namen, daß sie den unabwendbaren Gram mit lieblichen Tönen sich wegsängen: und sanfter den Duldern rännen die Thränen.383
Die in Schubarts Hymne auf die Erfindungs-Exkurse folgenden, durch zwei Kreuzreime verbundenen, vier Verse („Wie einem Bräutigam die Braut / Both ihm Freiheit die Hand / Dann führt er sie liebevertraut / In Kolumbus glückliches Land“384) greifen wieder Franklins politisches Wirken auf. Die Relation zwischen Franklin und der wie im Freyheitslied personifizierten Freiheit wird als Liebesverhältnis beschrieben und die beiden Partner werden mit einem Hochzeitspaar verglichen. Erwähnenswert ist, dass die aktive Rolle des Bräutigams, der um eine Braut wirbt, Franklin zufällt.385 Wie in einer feierlichen Heimführung bzw. Heimfahrt386 geleitet er die „Freiheit“ nach Amerika, das ebenfalls wie im Freyheitslied als das Land des Kolumbus bezeichnet wird. Zedlers Universal-Lexicon macht in dem entsprechenden Eintrag deutlich, dass das Heimhohlen, welches ja in Schubarts Grabschrift angesprochen wird, mit dem Vollzug der ehelichen Kopulation verbunden ist. Dort heißt es: Heimhohlen, war ein solcher Gebrauch bey denen Juden / da ein Bräutigam nach einer gewissen Zeit seine Braut in sein Haußt hohlete / und sodann ihr ehelich beywohnete, welches sonst nicht geschehen durffte. Im A[lten] Testament hat GOtt denen Verlobten ein sonderlich Priuilegium gegeben: welcher ein Weib ihm anvertrauet hat, und hat sie noch nicht heigehohlet. Deut. 20,7.387
383 Jenisch: Das achtzehnte Jahrhundert, S. 506. 384 Schubart: Grabschrift. 9.–12. Vers, S. 448 [G371]. 385 Allerdings bietet diese ihm ihre Hand aktiv an. 386 Vgl. hierzu folgenden Eintrag bei Adelung: „Die Heimfahrt, […] die Fahrt, d. i. Reise nach Hause. In engerer Bedeutung wird auch die feyerliche Heimführung der Braut, die Heimhohlung, an einigen Orten die Heimfahrt genannt.“ Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 2, Sp. 1078. 387 Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Bd. 12, Sp. 1184.
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Der neu entstandene amerikanische Staat kann in diesem Sinne als das Resultat bzw. in der Sprache der Ehe-Analogie ausgedrückt, als das Kind der Verbindung betrachtet werden, was Franklin gewissermaßen, wie bereits bei Meyen zum Landesvater (Pater Patriae) machen würde.388 Da den traditionellen Vorstellungen zufolge eine Braut jungfräulich in die Ehe treten sollte, würde das, wenn dies auch für die Freiheit geltend gemacht werden kann, in Analogie bedeuten, dass es sich bei den Vereinigten Staaten in jedem Fall um ihr erstgeborenes Kind handeln müsste, was den Pioniercharakter der USA unterstreichen würde. Die in der Hymne folgenden, erneut durch einen Paarreim verbundenen, beiden Verse „Sein Name frei und groß / Flog über den Okeanos“389 greifen das Freiheitsmotiv erneut auf. Dabei bedient sich Schubart eines Wortspiels. Der Name des amerikanischen Gelehrten, also „Franklin“, wird als frei und groß beschrieben. Hierbei handelt es sich auch um eine Anspielung auf das Adjektiv „frank“, das bei Adelung wie folgt definiert wird: „*Frank, […] frey, welches aber im Hochdeutschen veraltet ist, und nur noch im gemeinen Leben in der Redensart frank und frey, d. i. völlig frey, gebraucht wird. Ich bin nun frank und frey, Opitz.“390 Die Verse verweisen aber auch auf Franklins transatlantische Popularität, da der Ausdruck „Okeanos“391 Assoziationen zum Atlantischen Ozean erwecken könnte. Diese Vermutung erhärtet sich durch das in den folgenden beiden Versen eröffnete geografische Spektrum, das von „Kolumbia“392, also Amerika, bis Europa reicht. In den zeitgenössischen Biografien und Nachrufen wurde immer wieder auf das Wirken Franklins zu beiden Seiten des Atlantiks hingewiesen.393 Auch in der Chronik konnte man lesen: „Zwei Welten sind mit seinem Namen erfüllt.“394 Dennoch ist festzuhalten, dass mit „Okeanos“ primär nicht der Atlantische Ozean, sondern die entsprechende antike griechische Gottheit (gr. Ὠκεανός; lat. Oceanus) gemeint sein dürfte, von dem sich der Ausdruck „Ozean“ etymologisch ableitet. Okeanos verkörperte, wie im zeitgenössischen Bewusstsein präsent war, in der Antike das die Erde umfließende Weltmeer. Der von Schubart gewählte Ausdruck „Okeanos“ unterstreicht also die Universalisierungstendenz, die bereits in Schubarts Freyheitslied zu konstatieren war. Wie „Kolumbus“395 bzw. „Kolumbia“ nicht nur die Vereinigten Staaten impliziert, sondern den gesamten amerikanischen Kontinent einbezieht, wird mit dem Aus-
388 Siehe hierzu auch Kapitel IX.5. 389 Schubart: Grabschrift. 13 f. Vers, S. 448 [G371]. 390 Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 2, Sp. 264. 391 Schubart: Grabschrift. 14. Vers, S. 448 [G371]. 392 Ebd. 393 Siehe Kapitel IX.1. 394 [Anonym]: Noch etwas von Franklin, S. 447. 395 Schubart: Grabschrift. 12. Vers, S. 448 [G371].
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druck „Okeanos“ nicht nur eine transatlantische Bedeutung Franklins postuliert, sondern geradezu eine globale. Die Referenz auf die antike Gottheit weist jedoch noch eine weitere für die Interpretation durchaus aufschlussreiche Komponente auf. Okeanos galt als Ursprung der Welt bzw. der Götter und der Menschen. Wie laut moderner Theorie der sog. Urschlamm (auch „Ursuppe“), der die Grundlage für die chemische Evolution und die hieraus hervorgehende Biogenese auf der Erde war, stellte auch Okeanos laut antiker Vorstellung den Ursprung für das Leben auf der Erde dar. Damit steht der Ausdruck in einer gewissen Verbindung zu dem im 14. Vers erwähnten „Urlicht“, dem eine Schlüsselrolle zufällt (s. u.) und den er gewissermaßen als Prolepse vorwegnimmt. Der Flug von Franklins Namen über den Okeanos, d. h. das Weltmeer, das somit auch die Grenze der Erde zum Nicht- bzw. Überirdischen darstellt, korrespondiert mit dem in der Grabschrift beschriebenen Transzendentalisierungsprozess des Verstorbenen auf dem Weg von seinem Grab auf der Erde in das Reich des Metaphysischen. Der Sprecher erweist sich in den folgenden Versen als konsequent bei der Darstellung der Reaktionen in Amerika und Europa auf den Tod Franklins. Diese weisen Gemeinsamkeiten (die sich durch die beiden Verben ausdrückenden negativen Emotionen) letztlich aber auch einen Unterschied auf. Die Differenz zeigt sich in den parallel aufgebauten Versen 15 und 16 in den abweichenden Verben, die zur Beschreibung der Reaktionen verwendet werden. Während die Amerikaner trauern, da sie jemanden verloren haben, der sich große Verdienste um ihre Nation erworben hat, klagen die Europäer um den Verstorbenen. Mit dem folgenden Vers („Der kühne Franke hüllt sich in Flor“396) wird deutlich gemacht, dass auch ein europäisches Volk, die Franzosen, Trauer empfindet. In jedem Fall stimmt die Darstellung der intensiven Trauer zu beiden Seiten des Atlantiks angesichts des Todes von Franklin mit den historischen Ereignissen überein. Gottlob Nathanael Fischer notierte in der Deutschen Monatsschrift: „Nationen, jenseit und diesseit des Oceans, haben in Trauerkleidern sein Andenken gefeiert.“397 Und für die Vereinigten Staaten konstatierte Schlichtegroll in seinem Nekrolog: „Amerika feyerte sein Andenken durch eine allgemeine Trauer.“398 Einen Eindruck über das Ausmaß der zu Ehren Franklins veranstalteten Totenfeier in seiner Heimatstadt vermittelt folgender 1791 im Historisch-politischen Magazin abgedruckte Bericht:
396 Ebd. 397 Fischer: Benjamin Franklin, S. 9. 398 Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 306.
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Niemahls hatte ein Leichenbegängniß zu Philadelphia eine so ansehnliche Folge gehabt. Die Menge des bey dieser Gelegenheit versammelten Volks war unzählbar. Der Leichnam ward von dreyßig Geistlichen, und von vielen Menschen von jedem Range und Glaubensbekenntnisse, die in großer Ordnung einher giengen, zu Grabe begleitet. Alle Glocken in der Stadt waren eingehüllt, und als man ihn ins Grab senkte, wurde die ganze Artillerie abgefeuert. Sogar die Zeitungsblätter trauerten, und man unterließ nichts, was die Ehrerbietung der Bürger gegen einen so berühmten Mann an den Tag legen konnte. Der Congreß verordnete eine allgemeine Trauer auf einen Monat in allen vereinigten americanischen Staaten.399
Unter den europäischen trauernden Völkern werden in Schubarts Hymne die Franzosen („Franken“) besonders hervorgehoben. Da Franklin in Frankreich ein außergewöhnlich hohes Ansehen genossen hatte,400 fielen hier die Trauerfeierlichkeiten besonders umfangreich aus. Das Historisch-politische Magazin berichtete: „Die National-Versammlung in Frankreich legte für Doctor Franklin auf drey Tage Trauer an […].“401 Schlichtegroll, der Franklin als „Vater der Freyheit“402 bezeichnete, hielt fest: Unsere Nachbarn jenseits des Rheins haben im Taumel über das Glück ihrer eignen neuen Schöpfung allen Zauber der Beredtsamkeit aufgeboten, um diesem Vater der Freyheit Exsequien zu feyern, wie sie noch keinem verstorbenen Bürger gefeyert worden sind.403
Auch etwas später schrieb er: „In Frankreich war das Interesse, das man an Amerika nahm, allgemein, und eben so allgemein die Liebe und Verehrung, die man diesem erhabenen Manne erzeigte.“404 Und er ergänzte: „Wohl selten ward ein Mensch so allgemein geehrt, ohne doch Neid zu erregen.“405 Hervorzuheben ist, dass die Franzosen in Schubarts Hymne unter der Bezeichnung „Franke[n]“406 erscheinen. Einerseits ergibt sich dadurch eine stärkere phonetische und typografische Äquivalenz zum Namen des Verstorbenen, andererseits handelt es sich hierbei auch um eine Respektsbezeugung gegen-
399 [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften, S. 14. Auch der Schriftsteller Georg Friedrich Wehrs berichtete im Hannoverischen Magazin: „Der Zulauf des Volks war […] unbeschreiblich groß. Dreißig Geistliche, und Männer aus allen Ständen, folgten der Leich in größter Ordnung. Alle Glocken der Stadt wurden gedämpft geläutet, und während der Ceremonie geschah eine Salve aus den Kanonen.“ Wehrs: Doctor Franklin, Sp. 1040. 400 Siehe Kapitel IX.5. 401 [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften, S. 14. 402 Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 266. 403 Ebd. 404 Ebd., S. 292. 405 Ebd., S. 293. Siehe auch ebd., S. 308 f. 406 Schubart: Grabschrift. 17. Vers, S. 448 [G371].
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über den politischen Entwicklungen im Zuge der Französischen Revolution im Nachbarland, für die Schubart größte Sympathien empfand.407 Die Bezeichnung „Franke“ unterstreicht den gemeinsamen Ursprung der Nationen östlich und westlich des Rheins, da dem Frankenreich Karls „des Großen“ (747/48–814; reg. 768–814) sowohl in Frankreich als auch in den deutschen Staaten eine identitätsstiftende Rolle zufiel. Gerade in der Anfangszeit der Französischen Revolution wurde die Bezeichnung daher von zahlreichen deutschsprachigen Intellektuellen aufgegriffen (in der Lyrik z. B. von Klopstock, etwa in seiner berühmten Ode An Cramer, den Franken), um sich mit dem Nachbarvolk zu solidarisieren, das gemeinsame Erbe zu betonen und ein historisches Indentifikationsmoment zu artikulieren. Schubart, der bereits 1791 starb und daher die Terreur nicht mehr miterlebte, zeigte sich bis zum Ende seines Lebens von den Ereignissen in Frankreich begeistert. Deutlich wird seine Haltung z. B. in seinem 1789 in einer Beilage zur Vaterlandschronik publizierten dreistrophigen Gedicht Auf eine Bastilltrümmer von der Kerkerthüre Voltaire’s, das im Erstdruck folgendermaßen lautet:408 Dank dir, o Freund, aus voller Herzensfülle Für die Reliquie der greulichen Bastille, Die freier Bürger starke Hand Zermalmend warf in Schutt und Sand. Zertrümmert ist die Schauerklause, Die einst, o Voltär [sic], dich in dumpfe Nacht verschloß, Kein Holz, kein Stein, kein Nagel bleibe von dem Hause, Wo oft der Unschuld Zähre sich ergoß! – Drum, Bidermann, empfange meinen Seegen Für diese Trümmer, die du mir geschickt; Sie ist mir theurer als ein goldner Degen, Womit einst ein Tirann die Freien unterdrückt.409
Das Schubart zugeschickte Trümmerteil der zerstörten Bastille, die als Gefängnis in den Augen der Zeitgenossen das Symbol des Ancien Régime und damit von Unterdrückung und Unfreiheit verkörperte, wird vom Empfänger als Reliquie verehrt,
407 Siehe auch Ford: Two German Publicists, S. 175; Krauss: Nachwort, S. XLVI. 408 In späteren Abdrucken wurde der Titel um die Angabe „die dem Verfasser von Paris geschickt wurde“ ergänzt. 409 Schubart: Auf eine Bastilltrümmer von der Kerkerthüre Voltaire’s, S. 580. Es kann wohl vermutet werden, dass Schubart, der selber auf den Befehl von Carl Eugen hin auf dem Hohenasperg eingesperrt worden war, angesichts des Gefangenen-Schicksals von Voltaire, hier ein Potential zur Identifikation mit dem französischen Aufklärer erkannte.
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d. h. mit einer sakralen Würde versehen, die auch seine Hymne durchdringt, in der die Franzosen zusätzlich durch das Epitheton „kühn[]“410 gewürdigt werden. Der in der Grabschrift folgende 18. Vers markiert eine Zäsur, da der Sprecher mit Franklins Seele die irdischen Gefilde verlässt, um in eine metaphysische Sphäre einzutreten. Die mit dem Ausdruck „empor“411 angegebene Bewegungsrichtung erweckt eine natürliche Assoziation zur religiösen Vorstellung des Himmels. Das im 18. Vers evozierte Adverb, das das Reimwort zu „Flor“ im vorhergehenden Vers bildet, aber aufgrund des gleichlautenden Vokals auch eine phonetische Äquivalenz zum vorhergehenden Wort „flog“412 aufweist, nimmt durch seine Stellung am Ende des Verses eine gewisse Schlüsselposition ein. Unterstützt wird die exzeptionelle Rolle durch das Enjambement zwischen dem 18. und 19. Vers, das die Distanz zwischen der Ebene der Welt, die die Seele verlässt und dem „Urlicht“, in das es eintritt, zusätzlich unterstreicht. Der Ausdruck „empor“ fällt besonders auf, da es sich bei ihm Adelung zufolge bereits im 18. Jahrhundert um ein Wort handelte, „welches in den gemeinen Sprachgebrauche veraltet, und nur noch in einigen Ableitungen und Zusammensetzungen“413 vorkam. In Verbindung mit der in den Schlussversen der Hymne beschriebenen Apotheose des Verstorbenen erweckt er Assoziationen zur Himmelfahrt Christi, wie sie in der Apostelgeschichte beschrieben wird.414 Schubart scheint damit an dem Verstorbenen, dessen Resurrektion aus dem Grab und Himmelfahrt er andeutet, eine literarische Postfiguration Christi vorzunehmen. In jedem Fall tritt Franklin durch seine postmortale Existenz und Ascension in eine Imitatio Christi. Wie Christus erhebt sich auch Franklins Seele und tritt in das „Urlicht“ ein, bei dem es sich um eine Umschreibung für Gott handelt. Eine himmlische Szenerie deuten ebenso die hinzu kommenden singenden Geister an, die z. B. an das auf das von dem katholischen Geistlichen Ignaz Franz (1719–1790) 1771 nach dem Te Deum (4. Jh. n. Chr.) verfasste Kirchenlied Großer Gott, wir loben dich erinnern. In der zweiten Strophe ist dort zu lesen: Alles, was dich preisen kann, Cherubin- und Seraphinen Stimmen dir ein Loblied an; Alle Engel, die dir dienen, Rufen dir stets ohne Ruh: Heilig, Heilig, Heilig zu!415
410 Schubart: Grabschrift. 17. Vers, S. 448 [G371]. 411 Ebd. 18. Vers, S. 448 [G371]. 412 Ebd. 413 Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 1, Sp. 1800. 414 Siehe Apg 1,9–11. Siehe hierzu auch Joh 20,17. 415 Franz: [Großer Gott, wir loben dich]. 2. Strophe, S. 46.
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Der in Schubarts Grabschrift verwendete Ausdruck „Geister“ kann auch als Synonym für Engel verstanden werden.416 Er korrespondiert außerdem mit der Seele Franklins417 und erweckt im Kontext Assoziationen zu der Beschreibung der Huldigung vor dem Thron Gottes in der Offenbarung des Johannes. Dort heißt es u. a.: „Von dem Thron gingen Blitze, Stimmen und Donner aus. Und sieben lodernde Fackeln brannten vor dem Thron; das sind die sieben Geister Gottes.“418 Der Assoziation Gottes mit (reinem) Licht419 entspricht in der Frühen Neuzeit die verbreitete metaphorische Darstellung Gottes als Lichtquelle in der Bildenden Kunst (so etwa in Splendor Solis). Insbesondere die Visualisierungen von Apotheosen zeigen das himmlische bzw. göttliche Licht, in das die außerwählten Verstorbenen eingehen (Abb. 111–113). Dies gilt ebenso für amerikanische Persönlichkeiten wie George Washington (Abb. 85 f.) und auch Franklin. 1790 fertigte Baricou Montbrun einen Stich mit dem Titel L’Apotre de la liberté immortalisé an, der den Amerikaner als „Apostel der Freiheit“ feiert und seine Erhebung ins himmlische Licht andeutet, welches eine dichte Wolkendecke aufbricht.420 Ein vom Himmel kommender Lichtstrahl ist außerdem auf einen auf der rechten Seite sichtbaren Obelisken gerichtet, der das Profil Franklins zeigt, von einem Blitzableiter bekrönt wird und den Schriftzug „FRANKLIN NE PEUT MOURIR“ (dt.: „Franklin kann nicht sterben“) trägt. Der Ausdruck „Urlicht“ erinnert aus heutiger Perspektive natürlich nicht zuletzt auch an das von Gustav Mahler (1860–1911) vertonte gleichnamige Gedicht, das von Achim von Arnim (1781–1831) und Clemens
416 Vgl. den Eintrag bei Adelung: „Der Engel […]. 2. In engerm Verstande führen diesen Nahmen, 1) eigentlich, gewisse Geister höherer Art, welche nach dem christlichen Lehrbegriffe von Gott zur Vollziehung seiner Befehle gebraucht werden[.]“ Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 1, Sp. 1811. 417 Vgl hierzu folgenden Eintrag bei Adelung: „Der Geist […]. 5. Die mit dem menschlichen Körper verbundene einfache Substanz, welche mit der Kraft zu denken und zu wollen begabet ist, die Seele[.]“ Ebd. Bd. 2, Sp. 513. 418 Offb 4,5. 419 Siehe hierzu auch 1 Joh 1,5. 420 Die Abbildung ist ansehbar unter https://graphicarts.princeton.edu/page/57/ [31. Dezember 2016]. Sie weist zahlreiche Gemeinsamkeiten zu John James Barralets (ca. 1747–1815) ApotheoseDarstellung Washingtons auf, die im Internet unter http://www.vanderbilt.edu/AnS/Classics/ classical_traditions/Domestic%20Interiors/73.JPG [15. August 2016] ansehbar ist. Hierzu gehören u. a. das die dunklen Wolken aufbrechende Licht, die helle Wolke, auf der der Verstorbene empor getragen wird, die Abbildung einer assistierenden Engelsfigur und von Chronos, der mit seinen Attributen Stundenglas und Sichel abgebildet wird sowie die ikonografischen Antikenbezüge und die allegorische Darstellung des Kontinents Amerika als trauender Ureinwohner bzw. im Falle des Stiches von Montbrun als Ureinwohnerin mit gesprengten Ketten.
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Brentano (1778–1842) in die sog. Volkslied-Anthologie Des Knaben Wunderhorn (1805) aufgenommen wurde und folgendermaßen lautet: Urlicht. (Mündlich.) O Röschen roth, Der Mensch liegt in gröster Noth, Der Mensch liegt in gröster Pein, Je lieber mögt ich im Himmel seyn. Da kam ich auf einen breiten Weg, Da kam ein Engellein und wollt mich abweisen, Ach nein ich ließ mich nicht abweisen. Ich bin von Gott, ich will wieder zu Gott, Der liebe Gott wird mir ein Lichtchen geben, Wird leuchten mir bis in das ewig selig Leben.421
Das hier artikulierte triadische Motiv der Rückkehr zu Gott findet sich auch in der memorialen Rezeption Franklins. So zitierte Schlichtegroll in einer Übersetzung den französischen Staatsmann Mirabeau, der den Verstorbenen am 11. Juni 1790 in einem Nachruf vor der Nationalversammlung in Paris geehrt hatte, mit den Worten: „Franklin ist gestorben! – Er ist zurückgekehrt in den Schoos der Gottheit, dieser Geist, der Amerika befreyte, und auf Europa Ströme von Licht ausgoss.“422 Auffällig ist, dass sich auch Mirabeau im Kontext der Beschreibung von Franklins Apotheose der Lichtsymbolik bediente. Wie eine Ouroboros-Schlange vervollständigt sich in der Grabschrift für den Verstorbenen der Kreislauf von Anfang und Ende bzw. in der biblischen Sprache ausgedrückt, von Alpha und Omega. Das Ende seines irdischen Lebens bedeutet den Beginn seiner metaphysischen Existenz. Auf Franklins Reise zum Ursprung deuten neben den Ausdrücken „Okeanos“ (s. o.) und „Urlicht“ (insbesondere durch das Präfix „Ur“) auch die Geister hin. Adelung erinnert bei der Definition des Lemmas „Geist“ u. a. auch an die Beseelung des Menschen durch den ihm von Gott eingehauchten Odem.423 Hierbei handelt es sich um ein Ereignis vor dem Sündenfall, dessen Horizont ja bereits in der Zurücklassung von Franklins „Hülle“ in seinem Grab tangiert wurde (s. o.). Die Ankunft beim bzw. Heimkehr
421 Arnim – Brentano (Bearb.): Urlicht, S. 11. 422 Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 307. Zu der kritischen Rezeption Mirabeaus durch den Autor siehe Schlichtegroll: Den 17. April. Benjamin Franklin, S. 308 [Anm. *)]. 423 Siehe Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 2, Sp. 512. Siehe hierzu auch Gen 2,7.
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zum „Urlicht“ kann in diesem Sinne also auch als eine Rückkehr in den reinen, „hellen“424 Urzustand zum Zeitpunkt der Erschaffung des Menschen vor seinem Sündenfall verstanden werden, der durch den Verzehr der Frucht vom Baum der Erkenntnis erfolgte. Die Gottesschau (Visio Beatifica), die durch den Eintritt der Seele in das „Urlicht“ zu erwarten ist,425 kann auch als Erkenntnis der Wahrheit erscheinen, die einem Jesuswort zufolge mit seiner Person gleichgesetzt werden kann.426 Ebendiese Erkenntnis der Wahrheit ist es, die laut Jesus, zur Freiheit führt.427 Mit einer Akzentuierung der Bedeutung der ewigen, wirklichen Freiheit, endet schließlich auch das Gedicht,428 dessen Schlussverse „Wen Gott frei macht / Ist ewig frei“429 wie ein Lehrsatz wirkt und ebenfalls als Anspielung auf ein Jesuswort verstanden werden kann. So heißt es im Johannesevangelium wenige Verse nach der eben zitierten Passage: „Wenn euch also der Sohn befreit, dann seid ihr wirklich frei.“430 Es ist durchaus vorstellbar, dass Schubart, für dessen gesamtes literarisches Schaffen das Freiheitsmotiv von zentraler Bedeutung ist, vor dem Hintergrund seiner 1787 und damit erst wenige Jahre vor der Entstehung der Grabschrift erfolgten Freilassung aus seiner zehnjährigen Gefangenschaft auf der Festung Hohenasperg, bei den Schlussversen gerade auch an seine eigenen Erfahrungen gedacht haben könnte und aus diesem Grund den Sprecher hier mit besonderer Emphase die religiöse Superiorität gegenüber den weltlichen Autoritäten postulieren ließ. In diesem Falle würde das für eine Identifikation Schubarts mit Franklin sprechen, so wie sie bereits in seinem Gedicht auf die Trümmer der Bastille auch mit Voltaire erfolgte (s. o.). Dabei enthält die Schlussformel, die wie die adaptierte Franklin-Losung Turgots auf zwei Verse verteilt ist, sowohl den Hinweis auf das Irdische bzw.
424 Vgl. den Eintrag bei Adelung: „2. Hell […]. 1. Von den Tönen, einen hohen Grad der mit Reinigkeit verbundenen Deutlichkeit habend, und darin gegründet. Eine helle Stimme, welche aus dem offenen Munde ohne Zwang und Drücken der Kehle frey aus der Brust hervor gebracht wird. Eine helle oder hell klingende Trompete, welche einen starken, reinen Klang hat[.]“ Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Bd. 2, Sp. 1099. 425 Vgl. hierzu auch folgende Seligpreisung im Matthäusevangelium: „Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.“ Mt 5,8. 426 Siehe Joh 14,6. 427 Siehe ebd. 8,31 f. 428 Besonders hervorgehoben werden die beiden eng zusammengehörenden Zeilen auch dadurch, dass es sich bei dem 22. Vers um einen Waisen ohne Reimentsprechung handelt. 429 Schubart: Grabschrift. 22 f. Vers, S. 448 [G371]. 430 Joh 8,36.
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Menschliche, das die Seele des Verstorbenen verlässt, wie auf das Göttliche, in das sie eintritt. Denn der 22. Vers der Hymne, deren Gesamtwortanzahl 99 (also 3x33) bzw. mit Überschrift 100 wohl kein Zufall darstellen dürfte, besteht aus vier und der 23. Vers aus drei Wörtern. In der christlichen Zahlensymbolik entspricht der Zahl Vier das Irdische (vgl. z. B. die vier Himmelsrichtungen)431 und der Trinitätszahl Drei das Göttliche.432 Beide zusammen ergeben die Zahl Sieben, die für Abgeschlossenheit (vgl. z. B. die sieben Tage der Woche), Universalität und Vollkommenheit steht.433 Die Zahl Sieben repräsentiert aber auch insbesondere die Unendlich- bzw. Endlosigkeit.434 Mit der aus sieben Wörtern bestehenden Schlussformel findet das Gedicht nicht nur seinen Abschluss, sondern die Wortanzahl unterstreicht noch einmal das in ihr artikulierte Ewigkeitspostulat der von Gott verliehenen Freiheit. Dabei liegt der Akzent, wie für Schubart nicht unerwartet, auf der Freiheit, da die Grabschrift mit dem Ausdruck „frei“ endet, der beim Rezipienten besonders intensiv nachklingt.
431 Zur zeitgenössischen Wahrnehmung der Zahl Vier siehe auch Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Bd. 48, Sp. 1140–1144. 432 Siehe auch ebd. Bd. 7, Sp. 1437 f. 433 Die zeitgenössische Wahrnehmung dieser Zahl verdeutlicht auch der folgende Eintrag bei Zedler: „Sieben, Siebende Zahl, Sieben-Zahl […], ist eine Zahl, welche aus 3 und 4 oder aus △ und □ zusammen gesetzet ist. Es haben die Alten geglaubet, daß sie ein göttliches Wesen bey sich habe; Gellius Lib. II. cap. 10. Macrob. L. I. de Somn. Scip. c. 6. und gleichwie durch die Figuren eines △ und □ alle Flächen und Cörper vollkommen abgemessen werden: also habe auch die siebende Zahl die Deutung der Vollkommenheit, der Beharrlichkeit, der Menge und Vielfältigkeit.“ Ebd. Bd. 37, Sp. 978. Außerdem heißt es bei Zedler: „Die Pythagoräer und die meisten Heyden haben besonders der siebenden Zahl den Nahmen einer vollkommenen Zahl beygeleget, und ihr eine besondere Heiligkeit zugeeignet […]. Ob nun gleich jeder vernünftiger Mensch von diesen wunderbaren Würckungen und Geheimnissen, welche die Heyden der siebenden Zahl zugeeignet haben, nichts hält: so ist doch dieselbe auch bey den alter Kirchen-Vätern, sonderlich dem heil. Augustino in seinem Buche de Civit. Dei L. XI. c. 30. wie auch dem seel. Luthero und vielen andern Gottesgelehrten, wegen ihre öftern Gebrauchs in der heil. Schrift sehr merckwürdig vorgekommen. Denn nach diesem wird sie uns in derselben vorgestellet: 1) Als eine geheiligte Zahl, die Gott der Herr selbst geheiliget hat, da er den 7 Tag zu seinem heiligen Dienst ausgesondert, 1 B. M. II,3 […]. 3) Als eine volle und vollkommne Zahl, wodurch eine Vielheit und Menge oder was oft geschieht, angedeutet wird […].“ Ebd., Sp. 979 f. 434 So berichtet das Matthäusevangelium über die Pflicht zur Vergebung: „Da trat Petrus zu ihm [= Jesus, Anm. L. L.] und fragte: Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt? Siebenmal? Jesus sagte zu ihm: Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal.“ Mt 18,21.
X Ein heute vergessener Amerikaner, den im 18. Jahrhundert jeder kannte? Der jüdische Zauberkünstler Jacob Philadelphia (eigentlich: Jacob Meyer; 1734?–ca. 1797) Im 18. Jahrhundert gab es außer Benjamin Franklin und George Washington nur wenige Personen, die dezidiert als Amerikaner wahrgenommen wurden und in Europa bekannt waren. Noch weniger von ihnen traten eine transatlantische Reise an, so dass europäische Intellektuelle mit ihnen leichter in unmittelbaren Kontakt hätten treten können. Insgesamt war der Kreis der amerikanischen Europareisenden, die im 18. Jahrhundert mit einer literarischen Würdigung rechnen konnten, äußerst überschaubar. Außer der großen Ausnahmeerscheinung Franklin waren es in der gesamten Frühen Neuzeit insbesondere nach Europa gereiste Ureinwohner, wie beispielsweise der versklavte Patuxet-Indianer Squanto/ Tisquantum (ca. 1590–1622) oder die Powhattan-Sachem-Prinzessin Pocahontas (Matoaka/Rebecca Rolfe; ca.1595–1617), denen der Hauch des Fremden und Exotischen anhaftete und die dadurch die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zogen.1 Einen Sonderfall neben Franklin stellte Jacob bzw. Philadelphus Philadelphia (eigentlich: Jacob Meyer) dar, der weder zur indigenen nordamerikanischen Bevölkerung gehörte noch als Erfinder, Aufklärer oder Politiker, sondern als Zauberkünstler von sich reden machte. Der heute „nahezu in Vergessenheit geraten[e]“2 Magier bereiste zahlreiche europäische Metropolen und genoss im 18. Jahrhundert ein ausgesprochen hohes Maß an Popularität. Reinhard Buchberger, der Philadelphia als „eine[n] der ersten wirklichen Stars der Zauberkunst im 18. Jahrhundert“3 bezeichnete, verwies auf seinen „kometenhaften Aufstieg“4 und machte deutlich, dass ihm „wohin er auf seiner Tournee durch Europa auch gelangte, ein grandioser, von ihm selbst geschickt propagierter Ruhm voraus[eilte]“5. Ähnlich urteilte Ulrich Joost: „Ohne Frage war er einer der ganz großen Illusions- und Geschwindigkeitskünstler des 18. Jahrhunderts, ja vielleicht der größte […].“6 Die heutige weit-
1 Zu den Indianern in Europa und ihrer Wahrnehmung siehe Wernitznig: Europe’s Indians. 2 Jütte: Haskala, S. [40]. 3 Buchberger: Taschenspieler, S. 151. 4 Ebd., S. 152. 5 Ebd., S. 151. 6 Joost: Einführung, S. 4. https://doi.org/10.1515/9783110644739-010
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gehende Unbekanntheit des Zauberers7 steht dabei in direktem Gegensatz zu seiner Wertschätzung durch zahlreiche Epigonen8 und zu seiner Rezeption in der Memorialkultur des 19. Jahrhunderts. Joost konstatierte: Der Name dieses Philadelphia wurde noch zu seinen Lebzeiten und bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Antonomasie, zum Synonym für (einerseits) einen großen Taschenspieler und genialen Zauberkünstler, dann auch für einen Geisterseher oder -beschwörer – aber (andererseits) für einen billigen Kartentrickgaukler.9
Jütte fasste den historischen Wandel der Rezeption des Zauberers in seiner 2011 erschienenen Dissertation schließlich folgendermaßen pointiert zusammen: Die Biographie Philadelphias kennen heute nicht einmal mehr die meisten Historiker der deutsch-jüdischen Geschichte. Den Zeitgenossen war der Name des Mannes […] hingegen ein fester Begriff. Noch im Allgemeinwissen des 19. Jahrhunderts hatte der Name Philadelphia einen festen Platz.10
In der Tat haben die Aktivitäten Philadelphias in verschiedenen Werken der deutschsprachigen Literatur ihre Spuren hinterlassen. Mit dem Magier haben sich in ihren Schriften Autoren wie Johann Carl August Musäus (siehe G290), Friedrich Schiller (siehe G88), Jean Paul (eigentlich: Johann Paul Friedrich Richter; 1763–1825), E.T.A. Hoffmann (1776–1822), Heinrich von Kleist (1777–1811), Ludwig Börne (1786–1837) und Heinrich Heine (1797–1856) beschäftigt.11 Mit Goethe stand der Zauberkünstler zeitweise sogar in direktem Kontakt. 12 Phi-
7 Auf ein gewisses aktuelles Interesse an der Person Philadelphias deutet ein 1999 von der Autorin und Journalistin Marion Philadelphia verfasster historischer Roman hin, der den Titel Der Gaukler der Könige trägt. 8 Siehe hierzu Buchberger: Taschenspieler, S. 160; Jütte: Haskala, S. 48. 9 Joost: Einführung, S. 4. Siehe hierzu auch Buchberger: Taschenspieler, S. 160; Geiger: Jacob Philadelphia, S. 91. Hinsichtlich der Meinung bzw. des Vorwurfs, dass Philadelphia nur ein Gespür für eindrucksvolle Zaubertricks besessen habe, bemerkte Jütte: „Philadelphia war […] mehr als nur ein talentierter Zauber- und Trickkünstler, vielmehr beschäftigte er sich ebenfalls mit dem Phänomenen der Natur und wies überdies Züge eines geschickt agierenden Unternehmers auf.“ Jütte: Zeitalter, S. 354. 10 Ebd:, S. 353. 11 Vgl. ebd., S. 353 f. Siehe hierzu auch Ebstein: Jacob Philadelphia, S. 27 f.; Joost: Einführung, S. 7–9; ders.: Haskala, S. 44 f. Die Philadelphia von zeitgenössischen Autoren entgegenbrachte Wertschätzung bzw. Bewunderung beschrieb Helen Hirsch mit den Worten: „Schiller, Goethe, E.Th. A. [sic] Hoffmann all admired Philadelphia greatly as a magician and praised his skill as exciting and nerve-racking.“ Hirsch: Philadelphus Philadelphia, S. 36. 12 Vgl. Ebstein: Jacob Philadelphia, S. 23; Jütte: Zeitalter, S. 354.
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ladelphia, dessen Künstlername auf die Stadt der brüderlichen Liebe, d. h. die Hauptstadt Pennsylvanias, verweist,13 inszenierte sich dezidiert als Vertreter der Neuen Welt und wurde von den europäischen Zeitgenossen offenbar auch als solcher wahrgenommen.14 Verschiedene, zu Lebzeiten des Magiers oder postum veröffentlichte Druckerzeugnisse wirkten in dieser Hinsicht affirmativ und bestärkten den Glauben an seine transatlantische Identität. So lauten die Titel der entsprechenden Schriften etwa Kleines Traktätlein seltsamer und approbirter Kunststücke, welche der berühmte Amerikaner Jacob Philadelphia, zum Vergnügen und Zeitvertreib gewidmet (1774) oder Des berühmten Amerikaners Jacob Philadelphia sämmtliche approbirte Kunststücke, zum Vergnügen und Zeitvertreib gewidmet (17833) sowie Verschiedene seltsame und approbirte Kunst-stücke aus den hinterl[assenen] Papieren des berühmten Amerikaners Jacob Philadelphia (2 Bde., 1830).15 Eine gewisse Repräsentationsfähigkeit für die Vereinigten Staaten beanspruchte der Zauberkünstler für sich schließlich auch, als er 1783 der preußischen Regierung den Vorschlag für ein Handelsbündnis zu unterbreiten versuchte. 16 Die ältere Forschung hat die Vorstellung von der amerikanischen Identität des Magiers übernommen,17 dabei ist in jüngerer Zeit immer wieder darauf hingewiesen worden, dass seine Biografie von kaum verifizierbaren Elementen geprägt ist und wohl nicht ohne Unsicherheiten und Spekulationen rekonstruiert werden kann.18 Ulrich Joost vertrat sogar die Ansicht: „[…] [D]as Meiste von dem, was sehr ausführlich in den Lexika und Handbüchern steht, die alle mehr oder minder kritiklos einander abschrieben, erweist sich gleich beim ersten Hinsehen als barer Unsinn oder falsch verstanden[.]“19 Deutlichstes Zeugnis der begrenzten validen Informationen über den jüdischen Zauberer sind der nicht zweifellos bestimm-
13 Zu den Künstlernamen und Pseudonymen des Magiers, der eigentlich Jacob Meyer hieß und sich Jacob bzw. Philadelphus Philadelphia nannte, siehe auch Buchberger: Taschenspieler, S. 159; Hirsch: Philadelphus Philadelphia, S. 35; Joost: Einführung, S. 4; Jütte: Haskala, S. 47. Daniel Jütte hielt in diesem Kontext fest: „Als topographische Bezeichnung mit antiken Wurzeln verweist Philadelphia par excellence auf die europäische Idealisierung des amerikanischen Kontinents als einer Utopia, in der Religionsfreiheit und Toleranz verwirklicht werden können.“ Ebd. 14 Siehe hierzu ebd., S. 44. 15 Siehe hierzu insbesondere Jütte: ebd. Siehe auch Joost: Einführung, S. 5 f. 16 Ludwig Geiger druckte einen entsprechenden, auf den 27. Mai 1783 datierten Brief Philadelphias ab, in dem dieser seine ökonomischen Ideen zum Ausdruck brachte. Siehe Geiger: Jacob Philadelphia, S. 85–88. Zu den von Philadelphia vorgeschlagenen transatlantischen Handelsverbindungen siehe auch Hirsch: Philadelphus Philadelphia, S. 35; Jütte: Zeitalter, S. 354. 17 Siehe z. B. Ebstein: Jacob Philadelphia, S. [22]. 18 Zur Biografie Philadelphias siehe Jütte: Haskala, S. [40]–42. 19 Joost: Einführung, S. 9. Siehe hierzu auch Buchberger: Taschenspieler, S. 158; Jütte: Haskala, S. [40]; Sachse: Jacob Philadelphia, S. 77.
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bare Geburtsort sowie sein ungewisses Geburts- und auch Todesdatum. In der Forschung wurde die Geburt des Magiers mit den Jahren 1720, ca. 1725 sowie 1734 oder 1735 angegeben.20 Joost bezeichnete den 14. August 1734 als wahrscheinlichstes Geburtsdatum und Jütte datierte den Tod des Zauberkünstlers auf die Zeit „um das Jahr 1797“21. Vor diesem Hintergrund wurde auch die Frage aufgeworfen, ob Philadelphia überhaupt tatsächlich aus Amerika stammte bzw. einmal dort gewesen sei und die amerikanische Herkunft nicht nur geschickt anführte, um sein Auftreten mit einer Aura des Fremden, Unbekannten und Mysteriösen zu versehen.22 So erklärte beispielsweise Jütte: „[…] [M]anches [deutet] darauf hin, daß die amerikanische Herkunft des Magiers eine Legende ist. Es mehren sich Indizien für seine Geburt in Wulfen bei Köthen.“23 Er gab allerdings auch zu bedenken: „Gleichwohl ist eine Auswanderung der Familie nach Amerika in Philadelphias Kindheit nicht auszuschließen.“24 Da der Magier „[s]eit 1758 […] an fast allen Höfen Europas mit fulminantem Erfolg aufgetreten“25 war, konnte er in jedem Fall auf ein umfangreiches Netzwerk von europäischen Kontakten zurückblicken, die seine Popularität förderten. Verschiedene zeitgenössische Dokumente und weitere historische Quellen sowie eigene Angaben des Zauberers, die jedoch nur mit Vorsicht zu berücksichtigen sind, weisen auf ein möglicherweise geografisch sehr ausgeprägtes Itinerar hin (Abb. 114). Zu Beginn des Jahres 1777 führte Philadelphias Reise jedenfalls nachweislich nach Göttingen, wo er an der Georg-August-Universität einen Vortrag halten sollte.26 Seine Absicht, in der Stadt in den folgenden Tagen eine Vorführung für das Volk stattfinden zu lassen, erregte dabei das Missfallen des Mathematikers und Naturwissenschaftlers Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799), der Philadelphias Präsentation gesehen hatte.27 Der Göttinger Professor glaubte nicht an die Einwirkung metaphysischer Kräfte bei den optisch eindrucksvollen Zauberkunst-
20 Vgl. Joost: Einführung, S. 11, 35. Siehe auch Buchberger: Taschenspieler, S. 158. 21 Jütte: Haskala, S. 42. 22 Siehe beispielsweise Buchberger: Taschenspieler, S. 159. 23 Jütte: Zeitalter, S. 354. 24 Ebd. Siehe hierzu auch Buchberger: Taschenspieler, S. 151, 158; Hirsch: Philadelphus Philadelphia, S. 34; Jütte: Haskala, S. [40] 25 Buchberger: Taschenspieler, S. 151. 26 Siehe hierzu Hirsch: Philadelphus Philadelphia, S. 35; Joost: Einführung, S. 20; Sachse: Jacob Philadelphia, S. 80. 27 In einem auf den 9. Januar des Jahres datierten, an Georg Heinrich Hollenberg (1752–1831) gerichteten Brief, teilte Lichtenberg mit: „Philadelphia the supernaturel [sic] philosopher is here now and intends to perform at the Kaufhaus to night, where I shall see him most certainly.“ Georg Christoph Lichtenberg an Georg Heinrich Hollenberg. 9. 1. 1777. In: Lichtenberg: Briefwechsel. Bd. 1, S. 679. Siehe hierzu auch Jütte: Zeitalter, S. 353.
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stücken, die Philadelphia in den Augen vieler zeitgenössischer Beobachter „in die Nähe der Schwarzmagie“28 rücken ließen. An Johann Andreas Schernhagen (1722–1785) berichtete er: HE[rrn] Philadelphia habe ich gesehen und ich kan sagen, daß er mir nicht sehr gefallen hat. Als er anfieng seine Magnetischen Kunststücke zu machen, und dabey ernstlich versicherte, daß sie nicht magnetisch seyn, sondern, daß sie eine besondere Verwandtschafft mit den Planeten hätten, so kan ich nicht läugnen, daß ich fast im Unwillen etwas gegen ihn gesagt hätte, so etwas kan er in Nordheim sagen, aber nicht auf einer Universität.29
Insbesondere aber die anscheinend stark ausgeprägten monetären Interessen Philadelphias riefen bei Lichtenberg, der den Gastkünstler mit betrügerischen Machenschaften in Verbindung brachte, heftige Skepsis hervor. Er befürchtete: „Er wird indessen eine gute Menge Geldes hier wegziehen.“30 Und auch nach der verhinderten Vorführung und der Abreise des Zauberers aus der Stadt (s. u.) war sich Lichtenberg sicher: „He[rr] Philadelphia hätte gewiß durch seine Possen die Stadt um 500 Thaler oder mehr ärmer gemacht, ohne daß diese um einen Pfennig klüger geworden wäre.“31 Um den quantitativen Erfolg der angekündigten Veranstaltung in Göttingen infolge des zu erwartenden großen Interesses in der Lokalbevölkerung zu unterminieren, verfasste Lichtenberg32 ein am 7. Januar 1777 anonym33
28 Buchberger: Taschenspieler, S. 152. 29 Georg Christoph Lichtenberg an Johann Andreas Schernhagen. 13. 1. 1777. In: Lichtenberg: Briefwechsel. Bd. 1, S. 682. 30 Georg Christoph Lichtenberg an Johann Andreas Schernhagen. 9. 1. 1777. In: Lichtenberg: Briefwechsel. Bd. 1, S. 682. 31 Georg Christoph Lichtenberg an Johann Andreas Schernhagen. 16. 1. 1777. In: Lichtenberg: Briefwechsel. Bd. 1, S. 684. Die Forschung teilte die Ansicht, dass die Eintrittspreise zu Philadelphias Veranstaltung sehr hoch gewesen sind. So hob Stephan Oetermann beispielsweise kritisch hervor: „Das einzig wirklich Auffallende an Philadelphia war, daß er exorbitant hohe Eintrittspreise forderte.“ Oettermann: Georg Christoph Lichtenberg, S. 314. Siehe hierzu auch Buchberger: Taschenspieler, S. 160; Joost: Einführung, S. 20. 32 Oettermann gab allerdings zu bedenken: „Das Avertissement ist – wie hinreichend bekannt – eine fast wörtliche Übersetzung aus dem Englischen – das Plagiat eines 50 Jahre alten Scherzes: Lichtenberg hatte bei Abfassung seines Textes zwar The Works of Jonathan Swift (London 1766–1779) auf dem Schreibtisch; ein Exemplar des Anschlagzettels von Philadelphia hat er aber sich erst nachträglich und mit Mühe verschafft.“ Oettermann: Georg Christoph Lichtenberg, S. 314. 33 Lichtenberg versuchte zunächst, teilweise auch im privaten Kreis, die Fiktion aufrechtzuerhalten, dass er nicht der Autor sei. Schernhagen gegenüber offenbarte er jedoch in einem am 23. Januar verfassten Brief: „Da Ew [= Euer, Anm. L. L.] Wohlgebohren das Avertissement so sehr approbiren, so will ich denselben auch gestehen, daß ich es gemacht habe, und zwar in gröster Eile, wiewohl mit vielem Eifer und Patriotismus.“ Georg Christoph Lichten-
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X Der jüdische Zauberkünstler Jacob Philadelphia
publiziertes „Avertissement“.34 Der innerhalb weniger Tage in zwei weiteren Auflagen verbreitete Anschlagszettel,35 mit welchem der Autor seinen Gegenspieler offensichtlich zu diskreditieren versuchte, konterkarierte aus einer ironisch-satirischen Perspektive die geplante Vorführung und sorgte in der Stadt für großes Aufsehen. In der angeblichen Werbeschrift wurde die Präsentation des Zauberers folgendermaßen angekündigt: Allen Liebhabern der übernatürlichen Physik wird hierdurch bekannt gemacht, daß vor ein paar Tagen der weltberühmte Zauberer Philadelphus Philadelphia, dessen schon Cardanus in seinem Buche de natura supernaturali Erwähnung tut, indem er ihn den von Himmel und Hölle Beneideten nennt, allhier auf der ordinären Post angelangt ist, ob es ihm gleich ein leichtes gewesen wäre, durch die Luft zu kommen.36
berg an Johann Andreas Schernhagen. 23. 1. 1777. In: Lichtenberg: Briefwechsel. Bd. 1, S. 685. Siehe hierzu auch Lichtenbergs auf den 13. und 16. Januar datierte Mitteilungen an denselben Empfänger. 34 Das „Avertissement“, das Joost als „Lichtenbergs knappste und doch zugleich wirkungsvollste Polemik“ (Joost: Einführung, S. 4) bezeichnete und das ihm zufolge „rasch zu einer […] [seiner] bekanntesten Satiren“ (ebd., S. 21 f.) aufstieg, wurde von der Forschung mehrere Male wiederabgedruckt, so auch in [Lichtenberg]: Anschlag-Zeddel im Namen von Philadelphia, S. [253]–255. Ein vergleichsweise aktuelles, mit einer ausgesprochen informativen und detaillierten Einführung versehenes Faksimile der Werbeschrift ist zu finden in Lichtenberg: „Avertissement“ gegen Jakob Philadelphia 1777, S. 33. Zum „Avertissement“ allgemein siehe Buchberger: Taschenspieler, S. 159 f.; Ebstein: Jacob Philadelphia, S. 26 f.; Geiger: Jacob Philadelphia, S. 90; Joost: Einführung, S. 4–32; Oettermann: Georg Christoph Lichtenberg, S. 314 f.; Promies: Kommentar, S. 101–105. Auch Marion Philadelphias historischer Roman Der Gaukler der Könige (s. o.) bezieht sich auf das „Avertissement“ (siehe Philadelphia: Der Gaukler der Könige, S. 229–339). In diesem finden sich teilweise alterierte Auszüge in einer modernisierten Sprache. Besonders auffällig ist, dass der Text dort, mit dem im Original nicht vorhandenen, dezidiert antisemitischen Zusatz versehen ist: „Habt acht vor dem gewitzten Juden!“ Ebd., S. 331. Siehe hierzu allerdings auch ebd., S. 338. Die Reaktionen des Magiers auf das agitatorische Plakat werden im Roman folgendermaßen beschrieben: „Er konnte es nicht ertragen, weiterzulesen. Welch eine Lüge! Natürlich mußte das Volk für seine Auftritte bezahlen, doch nur einen Taler pro Billett! Und sie gaben es schließlich aus freien Stücken. Wer war dieser größenwahnsinnige Schurke, der dieses Pamphlet verfaßt und plakatiert hatte? Nach wenigen Tagen in der Stadt war er also schon bekannter, als er dachte, doch das war, wie sich hier zeigte, durchaus kein Grund zur Freude. Im Gegenteil, das Volk ergriff ja jede Gelegenheit zur Hetze, und er war sicher, das Pamphlet würde sie aufwiegeln. Ein Auftritt konnte ihn das Leben kosten oder, und die Vorstellung war weitaus schlimmer für ihn, einige Tage Pranger. Barbaren! dachte er […].“ Ebd., S. 331. 35 Siehe Jütte: Haskala, S. 41; Oettermann: Georg Christoph Lichtenberg, S. 314. Noch 1796 erschien die Publikation im 28. Band der Berlinischen Monatsschrift (auf S. 241–249). Siehe hierzu auch Ebstein: Jacob Philadelphia, S. 24, 27. 36 [Lichtenberg]: Anschlag-Zeddel im Namen von Philadelphia, S. 253.
X Der jüdische Zauberkünstler Jacob Philadelphia
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Es folgten sieben ins Hyperbolische gesteigerte Darstellungen für die von Philadelphia vermeintlich angekündigten Tricks, die den Zauberkünstler deutlich erkennbar als Betrüger entlarven sollten. So lautete etwa das siebte aufgeführte Beispiel: Nimmt er alle Uhren, Ringe und Juwelen der Anwesenden, auch bares Geld, wenn es verlangt wird, und stellt jedem einen Schein aus. Wirft hierauf alles in einen Koffer, und reiset damit nach Kassel. Nach 8 Tagen zerreißt jede Person ihren Schein, und so wie der Riß durch ist, so sind Uhren, Ringe und Juwelen wieder da. Mit diesem Stück hat er sich viel Geld verdient.37
Die spitzzüngige Spottschrift Lichtenbergs sollte Julius F. Sachse zufolge lediglich eine harmlose Parodie auf Philadelphias irreführende Zaubertricks und seine Selbststilisierung werden,38 sie entfaltete jedoch wohl eine größere als zunächst intendierte Wirkung. Daniel Jütte unterstrich in diesem Zusammenhang: „Der Schaden, den sein Avertissement dem öffentlichen Ruf des jüdischen Künstler[s] zufügte, sollte nicht unterschätzt werden.“39 In der Tat verließ der Magier nach der Veröffentlichung des „Avertissements“ Göttingen, ohne seinen ursprünglich geplanten Auftritt absolviert zu haben.40 Lichtenberg notierte in einem Brief an Schernhagen: „Philadelphia ist verschwunden ohne daß man recht weiß wohin einige sagen nach Gandersheim.“41 Und etwa einen Monat später berichtete der Göttinger Professor über eine Mitteilung des sog. Schutz- und Handelsjuden Moses Gumprecht (1722–1802): „Gumprecht gestund mir, daß Philadelphia das Avertissement mit Schrecken angehört habe.“42
37 Ebd., S. 255. 38 Siehe Sachse: Jacob Philadelphia, S. 80. 39 Jütte: Haskala, S. 45. Jütte machte allerdings auch deutlich, dass die Aversionen Lichtenbergs gegenüber dem jüdischen Zauberer keineswegs in einer antisemitischen Haltung begründet waren. Er erklärte: „Doch auch hier darf mitnichten vorschnell auf judenfeindliche Motive geschlossen werden. Zwar kann nicht in Abrede gestellt werden, dass Philadelphia dem Göttinger Professor ‚verhasst‘ […] war, die Motive dafür aber sind finanzieller und akademischer Natur.“ Ebd. Und außerdem heißt es bei ihm: „Der rigorose, verunglimpfende Ton, der in Lichtenbergs Briefen mit Blick auf Philadelphia vorherrscht, kippt […] zu keinem Zeitpunkt in judenfeindliches Ressentiment um.“ Ebd. Hinsichtlich der Bedeutung von Lichtenbergs Schrift für die Stellung Philadelphias in der Memorialkultur vertrat Joost die Ansicht: „[…] [T]rotz aller Berühmtheit: Jacob Philadelphia wäre längst vergessen, hätte ihn nicht Lichtenberg an den Haaren in die Ewigkeit geschleift.“ Joost: Einführung, S. 14. 40 Siehe hierzu auch Hirsch: Philadelphus Philadelphia, S. 35; Oettermann: Georg Christoph Lichtenberg, S. 315. 41 Georg Christoph Lichtenberg an Johann Andreas Schernhagen. 20. 1. 1777. In: Lichtenberg: Briefwechsel. Bd. 1, S. 685. 42 Georg Christoph Lichtenberg an Johann Andreas Schernhagen. 24. 2. 1777. In: Lichtenberg: Briefwechsel. Bd. 1, S. 704.
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X Der jüdische Zauberkünstler Jacob Philadelphia
Im Zuge dieser Ereignisse verfasste der Mathematiker und Dichter Abraham Gotthelf Kästner43, der ebenfalls an der Georg-August-Universität in Göttingen lehrte und in engem Kontakt zu Lichtenberg stand, ein 1781 verschlüsselt publiziertes Epigramm, das die Vertreibung Philadelphias thematisiert und seinen kurzen Aufenthalt in der Stadt mit dem langen Wirken des Philosophen und Naturforschers Samuel Christian Hollmann (1697–1787), der über mehr als ein halbes Jahrhundert hinweg an der Universität dozierte, gegenüberstellt. Der Zweizeiler, der mit der Angabe Als Philadelphia spöttisch hier abgewiesen wurde (G84) versehen ist, lautet: Jack Philadelphens Spiel verscheuchst, Augusta, du? Und sah’st doch vierzig Jahr den Spielen H** zu.44
Kästner sandte das gegenüber der Druckfassung von 1781 etwas abweichende Epigramm – so ist in der handschriftlichen Version der Name des Göttinger Professors Hollmann nicht gekürzt – bereits in einem auf den 6. Februar 1777 datierten Brief an Schernhagen. Darin heißt es: Kästner hat bey der Gelegenheit, wieder ein Sinngedicht gegen den armen Hollmann gemacht, das ebenfalls bitterer als witzig ist. Ich kan es nicht behalten, ich glaube es heißt so: Jack Philadelphens Kunst verschmähst, Augusta, du / Und sahst doch 40 Jahr den Künsten Hollmanns zu?45
Literarisch verewigt wurde Philadelphia schließlich auch von Schiller in seinem Gedicht Laura am Klavier (G88), das von dem Autor in seiner Anthologie auf das Jahr 1782 publiziert wurde, aber „vermutlich […] schon 1781“46 entstanden war. Dieses setzt mit den Versen ein: Wenn dein Finger durch die Saiten meistert – Laura, itzt zur Statue entgeistert, Izt entkörpert steh ich da. Du gebietest über Tod und Leben, Mächtig wie von tausend Nervgeweben Seelen fordert Philadelphia; –47
43 Zum Aufklärer Kästner siehe auch Schimpf: Kästner, S. 230. 44 Kästner: Als Philadelphia spöttisch hier abgewiesen wurde, S. 77 [G84]. 45 Georg Christoph Lichtenberg an Johann Andreas Schernhagen. 6. 2. 1777. In: Lichtenberg: Briefwechsel. Bd. 1, S. 691. 46 Kurscheidt: Kommentar, S. 1026. 47 Y.= [Schiller]: Laura am Klavier. 1. Strophe, S. 19 [G88]. Über die poetische Qualität und die Bedeutung des Gedichtes urteilte Ulrich Joost: „Friedrich Schillers vermutlich 1781 entstandene ‚Laura am Klavier‘ mag nicht eben eine Perle der deutschen Lyrik sein […], ist uns aber wertvoll,
X Der jüdische Zauberkünstler Jacob Philadelphia
549
Laut Georg Kurscheidt spielt „[d]ie vorliegende Stelle […] auf die magische Kunst an, die Seelen Abwesender herbeizubeschwören.“48 Die Frage, wie Schiller von dem in Europa und vor allem auch in den deutschen Staaten vielbeachteten Magier erfuhr, wurde in der Forschung unterschiedlich beantwortet. So wurde beispielsweise auch die Überlegung geäußert, dass Schillers Aufmerksamkeit durch Lichtenbergs „Avertissement“ auf Philadelphia gelenkt worden sein könnte.49 Philadelphia, zu dessen Repertoire, wie bereits erwähnt, zahlreiche spektakuläre Zaubertricks gehörten, hinterließ bei vielen Zeitgenossen, die entweder persönlich eine seiner Vorstellungen besuchten oder ihn auch nur aus Berichten kannten, einen bleibenden Eindruck, so möglicherweise auch beim jungen Schiller. Einen Hinweis auf den hohen Bekanntheitsgrad des Zauberkünstlers gibt ein von dem Pädagogen und Prediger Christoph Friedrich Sangerhausen (1740–1802) verfasstes, im Göttinger Musenalmanach publiziertes und im 18. Jahrhundert mindestens fünf Mal nachgedrucktes Gedicht, das mit der Angabe Als der Taschenspieler Philadelphia in einer Justizstube spielte (G85) versehen ist und folgendermaßen lautet: Als jüngst sein Zauberspiel Herr Philadelphia Auf einem Richtersaale trieb, Und Geld, das er zurück uns geben sollte, In seinen Händen künstlich blieb, Und ich vom Nachbar wissen wollte, Wie dieses Kunststück ihm gefalle, Da lächelt’ er: – die Kunst verstehen ja Die Herr’n, die sonst hier sitzen, alle.50
Philadelphia erscheint in den Versen, wie bereits bei Lichtenberg, als Vertreter von Täuschung, Irreführung und Manipulation. Allerdings steht hier nicht der Magier im Vordergrund. Seine Figur, die offensichtlich jeder zeitgenössische Rezipient ohne Schwierigkeiten einzuordnen wusste, dient lediglich dazu, die Pointe des Gedichtes zu unterstreichen und auf diese Weise in zugespitzter Form die offenbar über Hand nehmenden negativen Zustände im Justizwesen zu kritisieren.51
weil sie in der Vergleichung von Lauras musikalischer Kunst und Verzauberung beweist, dass Philadelphia (auch) dafür bekannt war, Geister und Tote zu beschwören[.]“ Joost: Einführung, S. 7. Zur Bewertung des literarischen Ranges der Verse siehe auch Jütte: Haskala, S. 44. 48 Kurscheidt: Kommentar, S. 1024. 49 Siehe hierzu z. B. Ebstein: Jacob Philadelphia, S. 24. 50 Sangerhausen: Als der Taschenspieler Philadelphia in einer Justizstube spielte, S. 77 [G85]. 51 Siehe hierzu auch G218, den 33 f. Vers von G238, die 20. Strophe von G241 sowie den Kommentar zu G278.
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X Der jüdische Zauberkünstler Jacob Philadelphia
Zu Philadelphias Identität gehörte allerdings nicht nur seine Tätigkeit als Magier und die mutmaßliche Herkunft aus Nordamerika, sondern auch seine Zugehörigkeit zum Judentum.52 Der aufklärerische Märchendichter und Pädagoge Johann Carl August Musäus thematisierte diesen Aspekt in einem in seiner Moralischen Kinderklapper für Kinder und Nichtkinder abgedruckten Gedicht (G290). Der fünfte Vers der ersten Strophe verweist auf den Magier, der als Zauberkünstler und dezidiert auch als Jude wahrgenommen wird. Das Gedicht beginnt mit den Versen: Beym lezten Kirchweyhfeste kamen fremde Gaukler an, Die künstlich aus der Tasche spielten, Daß manche Leute sie für Zaubrer hielten; Sie zauberten auch wenigstens so gut, Als weiland Philadelphia der Jud.53
Der explizite Hinweis auf die Zugehörigkeit Philadelphias zum Judentum bzw. die Nichterwähnung seiner möglicherweise amerikanischen Herkunft ist etwas überraschend, da er auf den Titelblättern der mit ihm in Verbindung gebrachten Schriften (s. o.)54 in der Regel als Amerikaner bezeichnet, „wohingegen sein Judentum gar nicht angesprochen“55 wurde. Bezüglich der zeitgenössischen Rezeption des jüdischen Hintergrunds Philadelphias konstatierte Jütte, dass der Zauberkünstler „zeitlebens durch das engmaschige Netz traditioneller antijüdischer Vorurteile und Ressentiments zu schlüpfen vermochte.“56 Er führte aus: „Philadelphias Judentum war zwar den meisten Zeitgenossen prinzipiell bekannt, es wurde aber nicht gegen ihn gewendet.“57 Jütte gelangte sogar zu dem Schluss: „Bei kaum einem jüdischen Zeitgenossen Philadelphias, so könnte zugespitzt behauptet werden, war der ‚jüdische[] Faktor‘ in der öffentlichen Wahrnehmung in solchem Maße eine qunatité négligeable wie im Falle Philadelphias.“58 Insbesondere die
52 Zur Wahrnehmung der Juden in Amerika siehe auch Kapitel III.16. 53 Musäus: [Beym lezten Kirchweyhfeste kamen fremde Gaukler an]. 1. Strophe. 1.–5. Vers, S. 73 [G290]. 54 Siehe auch den Kommentar zu G84. 55 Jütte: Haskala, S. 44. Jütte hob hervor: „Insgesamt sind selbst solch harmlose Hervorhebungen der Religion Philadelphias wie bei Musäus in der zeitgenössischen Literatur die Ausnahme.“ Jütte: Haskala, S. 46. Dabei führte er auch aus, dass Unwissenheit in diesem Zusammenhang wohl keinen entscheidenden Faktor ausmachte. Er notierte: „Manches deutet darauf hin, dass Philadelphias Judentum den meisten Zeitgenossen prinzipiell bekannt war.“ Jütte: Haskala, S. 46. 56 Jütte: Zeitalter, S. 355. 57 Ebd. 58 Jütte: Haskala, S. 42.
X Der jüdische Zauberkünstler Jacob Philadelphia
551
ältere Forschung hat auch die Frage nach dem Grad der Assoziation Philadelphias mit dem jüdischen Glauben und seiner Kultur aufgegriffen. Erich Ebstein verwies beispielsweise auf die Möglichkeit einer Konversion.59 Neuere Untersuchungen haben diese Überlegung jedoch mittlerweile verworfen.60 Die Forschung hat unterstrichen, dass die Erwähnung von Philadelphias jüdischer Identität in Musäus’ Gedicht wohl nicht mit antisemitischen Intentionen in Verbindung zu setzen ist, sondern seinen Grund wahrscheinlich in der Verslehre findet. Jütte vermutete: „[…] [E]ine der raren Charakterisierungen des Zauberers als Jude in einem Kinderbuch des Dichters Johann Karl August Musäus [hängt] wohl ausschließlich mit dem erforderlichen Reim zusammen[.]“61
59 Siehe Ebstein: Jacob Philadelphia, S. 23. 60 Siehe Jütte: Haskala, S. 42, 47. 61 Ebd., S. 46.
https://doi.org/10.1515/9783110644739-011
Die lautere Wahrheit, oder Ernstliche Betrachtung des gegenwärtigen Zustandes der Stadt Philadelphia, und der Provinz Pennsylvania Des Benjamin Franklin Briefe von der Electricität aus dem Englischen übersetzet nebst Anmerkungen von J. C. Wilcke Neue Briefe des Herrn Franklyns zu Philadelphia an Herrn Collinson, Mitglied der Königlichen Societät zu London über die Electricität mitgetheilet von Herrn Maty aus dem Journal oeconomique … übersetzet Die Verhörung Doctor Benjamin Franklins vor der hohen Versammlung des Hauses der Gemeinen von Grossbrittanien, die Stämpel Act, u. betreffend Francklins Nachrichten von Nordamerika mit Köhlers Anmerkungen begleitet Herrn Hofrath Achenwalls in Göttingen Anmerkungen über Nordamerika und über dasige Grosbritannische Colonien aus mündlichen Nachrichten des Herrn Dr. Franklins Das Mittel reich zu werden, deutlich erwiesen in einer Vorrede eines alten Allmanachs aus Pensylvanien. Die sich betittelt: der vormals arme nun wohlhabende Richard Einige Anmerkungen über Nord-Amerika und über dasige Grosbrittannische Colonien. Aus mündlichen Nachrichten des Herrn D. Franklins verfaßt von Hrn. D. Gottfried Achenwall. Nebst Herrn John Wesleys Schrift von den Streitigkeiten mit den Colonien in Amerika
Übersetzung
Johann Carl Wilcke (Übers.)
Übersetzung
Übersetzung
Johann Tobias Köhler (Übers.) Gottfried Achenwall
Übersetzung
Gottfried Achenwall
1
2
3
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5
7
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6
Titel
Nr. Autor/Herausgeber/ Übersetzer
72 S.
31 S.
94 S.
43 S.
354 S.
20 S.
Umfang
XI Übersicht deutschsprachiger Frankliniana (bis 1850)
Helmstedt
Wien
Göttingen – Gotha Frankfurt [a. M.] – Leipzig
Philadelphia
Leipzig –Stockholm Berlin
[S. l.]
Erscheinungsort
1777
1777
1769
1767–1769
1766
1763
1758
[1747]
Erscheinungsjahr
17 Gottfried August Bürger (Übers.) 18 C. Milon 19 Übersetzung
16 Übersetzung
14 Johann Jacob Meyen 15 Peter Heinrich Christoph Brodhagen (Übers.)
13 Franz Xaver Huber
11 Übersetzung (Carl Friedrich Meerwein, Bearb.) 12 Übersetzung [Jean Rodolphe Vautravers]
10 Übersetzung
Bericht für diejenigen, welche nach Nord-Amerika sich begeben, und alldort ansiedeln wollen. Aus dem Englischen des berühmten Doktors Benjamin Franklin. Franklins freier Wille, ein Wink für denkende Menschen über die Macht des Zufalls Franklin der Philosoph und Staatsmann. In fünf Gesängen Über das Rauchen der Kamine und Schornsteine. In einem Schreiben Franklins an Jngenhauß in Wien. Aus dem Englischen übersetzt von P. H. C. B. D. Benjamin Franklins Erweitertes Lehrgebäude der natürlichen Elektrizität Für jedermann faßlich und deutlich dargestellt durch D. E. G. Benjamin Franklin’s Jugendjahre. Von ihm selbst für seinen Sohn beschrieben und übersetzt von Gottfried August Bürger Denkwürdigkeiten zur Geschichte Benjamin Franklins Beschreibung der neu erfundenen Pensilvanischen Camine oder Oefen, worinnen ihre Beschaffenheit und Wirkung erklärt, auch die Gemächlichkeit und der Nutzen mittelst dieser Oefen die Zimmer besser, als auf alle andere Manieren zu heitzen, erwiesen, imgleichen die Art und Weise gezeigt wird, wie man sie setzen und am besten gebrauchen solle. Nebst einem Kupferstich, worauf alle Theile der Maschine sehr deutlich abgezeichnet sich befinden. Aus dem Englischen und Holländischen ins Deutsche übersetzt
Des Herrn D. Benjamin Franklin’s … Sämmtliche Werke. Aus dem Engl. Und Französ. Übersetzt. Nebst des franz. Übers., des Herrn Barbey Dubourg Zusätzen, und mit einigen Anmerkungen versehen von G. T. Wenzel Polly Baker, oder das amerikanische Mädchen vor seinen Richtern. Ein interessantes Gemähld für Zeiten und Sitten Kleine Aufsätze zur Unterhaltung der Leser
9
Gottfried Traugott Wenzel (Übers.)
Titel
Nr. Autor/Herausgeber/ Übersetzer
Berlin St. Petersburg Gotha
110 S. 56 S.
Wien
Stettin Hamburg
Leipzig
Hamburg
[S. l.]
Hannover
Dresden
Erscheinungsort
214 S.
100 S.
130 S. 116 S.
252 S.
48 S.
99 S.
15 S.
3 Bde. (502, 442, 636 S.)
Umfang
1793 1794
1792
1790
1787 1788
1787
1786
1782
1782
1780
Erscheinungsjahr
XI Übersicht deutschsprachiger Frankliniana 553
27 Johann Christian August Bauer 28 Übersetzung (Christian Gotthold Eschenbach, Hg.) 29 Übersetzung
25 Georg Schatz (Übers.) 26 Übersetzung
Sicherer Weg zu einer festen moralischen Gesundheit zu gelangen und sich darin lebenslang zu erhalten
Benjamin Franklins Kleine Schriften meist in der Manier des Zuschauers, nebst seinem Leben D. B. Franklins Leben. Biographien für die Jugend. Erstes Bändchen Der Weg zum Glück, oder: Das Leben von Dr. Benj. Franklin. Beschrieben von ihm selbst Lebensbeschreibung Benjamin Franklins Die sittliche Haus-Apotheke, oder bewährte Mittel, sich zu einer festen moralischen Gesundheit zu bringen, und sich darinn lebenslang zu erhalten. Aus den Papieren des berühmten amerikanischen Gelehrten und Staats-Mannes Franklin gezogen, und jungen Leuten beyderley Geschlechtes aus den besten Absichten gewidmet und zugewiesen Benjamin Franklins Kleine Schriften meist in der Manier des Zuschauers, nebst seinem Leben (2. Aufl.) Abbildung und Beschreibung eines rauchverzehrenden Sparofens, welcher alle Vortheile der Oefen und Kamine in sich vereinigt; für jeden Brennstoff, Holz, Torf, Steinkohlen u.s.w. anwendbar, und in Rücksicht auf Bequemlichkeit und Gesundheit sehr empfehlungswürdig ist eine Erfindung des berühmten D. Franklin. vervollkommnet und gezeichnet von Boreux Franklin und Washington (Unterhaltende Anekdoten aus dem 18. Jahrhundert. Bd. 8) Der Fränklinsche Ofen, vervollkommnet von M. Darnod u. Schmidt. Aus dem Franzoesischen uebersetzt
20 Georg Schatz (Übers.) 21 [Christian Jakob Zahn] 22 Übersetzung
23 Johann Christian 24 Übersetzung
Titel
Nr. Autor/Herausgeber/ Übersetzer
Erscheinungsort
Leipzig
5 S.
Wien
Leipzig
350 S.
2 Bde. Weimar (188, 228 S.) 8 S. Leipzig
2 Bde. Weimar (352, 428 S.) 242 S. Tübingen 135 S. Ephrata/Pennsylvania Berlin 21 S. Wien
Umfang
1810
1806
1806
1803
1802
1797/98 1800
1795 1796
1794
Erscheinungsjahr
554 XI Übersicht deutschsprachiger Frankliniana
40 Übersetzung (August Daniel von Binzer, Bearb.)
39 Übersetzung
38 Übersetzung
37 Übersetzung
36 Übersetzung
35 Übersetzung
34 Übersetzung
32 J. Santon (Hg.) 33 Glo. Adf. Wagner (Übers.)
31 Übersetzung
Sicherer Weg zu einer festen moralischen Gesundheit zu gelangen und sich darin lebenslang zu erhalten Sicherer Weg zu einer festen moralischen Gesundheit zu gelangen und sich darin lebenslang zu erhalten Denkwürdiges Gespräch zwischen Franklin und Washington 47 Bl. Nachgelassene Schriften und Correspondenz, nebst seinem Leben 5 Bde. (439, 396, 460, 448, 340 S. Tugendübungen, guter Rath an Handwerker, Mittel, reich zu 93 S. werden. Guter Rath an einen jungen Handwerker. Mittel, aller Welt Beutel zu füllen. Nebst andern kleinen Aufsätzen Franklin’s Sprichwörter des alten Heinrich und Engel’s Lebens48 S. weisheit des alten Witt, oder die Kunst, reich und glücklich zu werden. Ein Taschenbuch für Jedermann Der Weg zum Glück, oder Leben und Meinungen des Dr. Benjamin 128 S. Franklin. Von ihm selbst geschrieben Kleine Schriften und Engel’s Lebensweisheit des alten Witt, oder 52 S. die Kunst, reich und glücklich zu werden Franklin’s goldenes Schatzkästlein oder Anweisung, wie man 80 S. thätig, verständig, beliebt, wohlhabend, tugendhaft und glücklich werden kann Ein unentbehrlicher Rathgeber für Jung und Alt in allen Verhältnissen des Lebens Der Weg zum Glück, oder Leben und Meinungen des Dr. Benjamin Franklin. Von ihm selbst geschrieben Benjamin Franklin’s Leben und Schriften nach der von seinem 4 Bde. Enkel, William Temple Franklin, veranstalteten neuen Londoner (303, Original-Ausgabe. Mit Benutzung des bei derselben bekannt 246, 236, gemachten Nachlasses und früherer Quellen 218 S.)
30 Übersetzung
Umfang
Titel
Nr. Autor/Herausgeber/ Übersetzer
Reading/ Pennsylvania Kiel
Leipzig
Reading/ Pennsylvania Rotweil
Berlin
Wien
[Leipzig] Weimar
Wien
Wien
Erscheinungsort
1829
1828
1827
1821
1820
1819
1819
1815 1817–1819
1812
1811
Erscheinungsjahr
XI Übersicht deutschsprachiger Frankliniana 555
Franklin’s Tagebuch ein sicheres Mittel, durch moralische Vollkommenheit thätig, verständig, beliebt, tugendhaft und glücklich zu werden; entworfen im Jahre 1730 und nach Hundert Jahren als ein Denkmal für die Nachwelt an das Licht gestellt Leben des Benjamin Franklin. Von ihm selbst geschrieben Das Leben Benjamin Franklins. Für Jung und Alt in allen Ständen Lebensbeschreibung Benjamin Franklin’s, des thatkräftigen Mannes freisinnigen Volksfreundes. Eine Volksschrift zur Beförderung edler Menschlichkeit, tüchtigen Bürgersinnes und uneigennütziger Vaterlandsliebe Die Väter unserer Republik in ihrem Leben und Wirken. Leben Benjamin Franklins
41 Übersetzung
45 Hermann Kriege
43 Carl Schmaltz 44 Julius Kell
42 Übersetzung
Titel
Nr. Autor/Herausgeber/ Übersetzer
Leipzig Leipzig
Leipzig
Eschwege
Erscheinungsort
79 (224) S. New York
64 S. 168 S.
158 S.
131 S.
Umfang
1847
1840 1845
[1839]
1830
Erscheinungsjahr
556 XI Übersicht deutschsprachiger Frankliniana
https://doi.org/10.1515/9783110644739-012
1732
Philadelphische Zeitung
Philadelphia
2
Benjamin Franklin
1731, 1733
Der Teutsche Pilgrim: Mitbringende Andreas Bradford jährlich Einen Sitten-Calender
Philadelphia
erster deutsch-amerikanischer Kalender; Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 2, S. 519; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 1, S. 19; Rampelmann: Licht, S. 124 f. erste deutschsprachige Zeitung in Amerika; nur zwei Ausgaben erschienen; nur eine Ausgabe (6. 5. 1732) eingesehen; Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 578 f.; ebd. Bd. 2, S. 537 f.
Erscheinungs- Untersuchungs- Kommentar weise zeitraum
1
Herausgeber/ Drucker
Titel
Nr. Erscheinungsort
1 Übersicht der deutsch-amerikanischen Periodika, die nach lyrischen Texten für die beigefügte Lyrikanthologie durchsucht wurden
Der digitale Anhang ist verfügbar auf der beigelegten CD sowie über https://www.degruyter.com/view/supplement/9783110644739_Digitale_Anthologie.pdf
XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind und in denen Nordamerika thematisiert wird Übersicht der im digitalen Anhang aufgenommen Texte
Germantown/ PA, Philadelphia
Philadelphia
Philadelphia
4
5
6
Christoph Saur I., jährlich Christoph Saur II., Peter Saur, John Dunlap, Peter Leibert, Michael Billmeyer Neu-eingerichteter Americanischer Gotthard Armjährlich Geschichts-Calender brüster, bzw. Benjamin FrankNeu-eingerichteter Americanischer lin, Johann Böhm, Stadt und Land Calender Ant(h)on(y) Armbrüster Pennsylvanische Fama, Oder: Benjamin Frank(wöchentlich) Ordentliche Relation derer einlin, Johann Böhm lauffenden Neuigkeiten
Christoph Saur I., monatlich, Christoph Saur II. semi-monatlich
Der Hoch-Deutsch Pensylvanische Geschicht-Schreiber, Oder: Sammlung Wichtiger Nachrichten, aus dem Natur- und Kirchen-Reich bzw. seit 1745 Hoch-deutsche pensylvanische Berichte, Oder, Sammlung wichtiger Nachrichten aus dem Naturund Kirchen-Reich bzw. seit 1746 Pensylvanische Berichte, Oder: Sammlung Wichtiger Nachrichten aus dem Natur- und Kirchen-Reich Der Hoch-Deutsch Americanische Calender bzw. Der Hoch-Deutsche Americanische Calender
Germantown/ PA
3
Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 522 f.; ebd. Bd. 2, S. 518; Seidensticker: Bilder, S. 112–114; Verhoeven: Colony, S. 83, 100 [Anm. 28]; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 53 f.
1750
nur zwei Ausgaben (10. 3., 17. 3.) eingesehen; Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 575.
Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 522 f.; Hocker: Sower Printing House, S. 19–25; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 1, S. 557–728; Seidensticker: Bilder, S. 111 f. 1749/50, Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. 1752, Bd. 1, S. 564; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – 1754–1756, Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische 1763/64, 1768 Kalender. Bd. 1, S. 537.
1739–1782, 1785–1805
1739, 1742–1762
Erscheinungs- Untersuchungs- Kommentar weise zeitraum
Herausgeber/ Drucker
Titel
Nr. Erscheinungsort
558 XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind
12 Ephrata/ PA 13 Lancaster/PA
11 Germantown/ PA Christoph Saur II.
Nicholas Hasselbach
1764
1763–1768, 1770–1780
1762–1779
1755–1757
1772 1778
jährlich jährlich
unregelmäßig 1764, 1770 (teilweise täglich)
(jährlich)
He(i)nrich (Henry) jährlich Miller
Albert Conrad Reben Der Hinckend- und Stolpernd- doch Matthias Bartgis eilfertig- fliegend- und laufende Americanische Reichs-Bott
Der Americanische Calender
Philadelphia
9
10 Chestnut Hill/PA
He(i)nrich (Henry) wöchentlich Miller bzw. semiwöchentlich
Der Wöchentliche Philadelphische Staatsbote bzw. Der Wöchentliche Pennsylvanische Staatsbote bzw. Pennsylvanischer Staatsbote Der Neueste, Verbessert- und Zuverläßige Americanische Calender bzw. Der Neugestellte, Verbessert- und Zuverläßige Americanische StaatsCalender Der Ehrliche Kurtzweiliche Deutsche; Americanische Geschichts und Haus, Calender Ein Geistliches Magazien, Oder: Aus den Schätzen der Schrifftgelehrten zum Himmelreich gelehrt, dargereichtes Altes und Neues
Philadelphia
8
semi-monatlich
Ant(h)on(y) Armbrüster
Philadelphische Zeitung
Philadelphia
7
siehe auch Nr. 17; Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 534.
nur ein Exemplar eingesehen; Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 514. Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 522; Durnbaugh: Saur Family, S. 34; Studer: Christopher Dock, S. 159– 170; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 50.
Forschungsliteratur: Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 1, S. 502–515.
teilweise sehr lückenhaft erhalten; Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 2, S. 538; Waldenrath: PennsylvaniaGermans, S. 55 f. Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 567 f.; ebd.: Presse. Bd. 2, S. 536; Dapp: John Henry Miller, S. 233–291; Verhoeven: Colony, S. 87–90; Waldenrath: Pennsylvania-Germans, S. 67–71.
Erscheinungs- Untersuchungs- Kommentar weise zeitraum
Herausgeber/ Drucker
Titel
Nr. Erscheinungsort
1 Übersicht der deutsch-amerikanischen Periodika 559
Der Neue, Verbessert und Zuverläßige Americanische Calender Der Neue, Verbessert- und Zuverläßige Americanische Calender
nur eine Ausgabe eingesehen Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 565.
1783, 1785
Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 550; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 1, S. 761–771.
nur eine Ausgabe (Nr. 1 am 3. 2.) eingesehen; die Publikation der Zeitung wurde im Juli 1779 eingestellt Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 538. siehe auch Nr. 13; Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 198.
Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 536; ebd. Bd. 2, S. 522; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-ameri-kanische Kalender. Bd. 1, S. 733–751.
1783
1780–1789, 1793–1797
Melchior Steiner, jährlich Carl Cist (= Charles Jacob Sigismund Thiel), He(i)nrich (Henry) Kämmerer Theophilus Coss- jährlich art Joseph Cruks(c) jährlich hank
19 Philadelphia 20 Philadelphia
1780–1782, 1784
jährlich
1779
1778–1785, 1787, 1789
1779–1782
wöchentlich
jährlich
Erscheinungs- Untersuchungs- Kommentar weise zeitraum
jährlich
Die Pennsylvanische Gazette, oder der allgemeine Americanische Zeitungs-Schreiber Der Republikanische Calender
15 Philadelphia Theophilus Cossart Matthias Bartgis
Frantz (Francis) Bailey, David Rittenhouse, Isaac Briggs, Anthony Sharp [= ?] John Dunlap
Der Gantz Neue Verbesserte NordAmericanische Calender
14 Lancaster/PA
16 Lancaster/PA 17 Frederick- Der Allerneuste, Verbesserte- und Town/MD Zuverläßige Americanische Reichs-, Staats-, Kriegs-, Siegs- und Geschichts-Calender bzw. Der Americanische Hinckende Bot 18 Philadel- Americanischer Haus- und Wirthphia schafts-Calender
Herausgeber/ Drucker
Titel
Nr. Erscheinungsort
560 XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind
Matthias Bartgis
Benjamin wöchentlich Johnson, Thomas Barton, Gottlob Jungmann, (Johann Gruber, Carl Andreas Brückmann)
26 Frederick- Bärtgis’s Maryländische Zeitung Town/MD
27 Reading/ Neue Unpartheyische Readinger PA Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten
semi-monatlich
jährlich
[o. Dr.] (Anton Stiemer,) Johann Albrecht, Jacob Lahn
Pensylvanische Zeitungen Der Neue, Gemeinnützige Landwirthschafts Calender
24 [S. d.] 25 Lancaster/PA
wöchentlich
jährlich
Anton Stiemer, Johann Albrecht, Jacob Lahn
Matthias Bartgis
22 Frederick- Verbesserter Hoch-Deutsche Town/MD Americanische Land und StaatsCalender
jährlich
Neue Unpartheyische Lancäster Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten
Carl Cist (= Charles Jacob Sigismund Thiel)
Americanischer Stadt und Land Calender
21 Philadelphia
1789–1802
1789
1788 1788–1805
1787–1797
[1785]
1784–1801
Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 550; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 1, S. 128–231. Titelblatt der eingesehenen Ausgabe nur erschlossen; Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 200; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutschamerikanische Kalender. Bd. 2, S. 1154 f. 1798/99 von Johann Albrecht unter dem Titel Der Deutsche Porcupein, und Lancäster Anzeigs-Nachrichten (siehe Nr. 33) fortgeführt; Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 537; Verhoeven: Colony, S. 91–93. nur erstes Stück (25. 6. 1788) eingesehen Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 537; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 2, S. 910–978. nur eine Ausgabe (18. 2. 1789) eingesehen; Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 199. Nr. 1–704 eingesehen; Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 592 f.; ebd. Bd. 2, S. 544.
Erscheinungs- Untersuchungs- Kommentar weise zeitraum
23 Lancaster/PA
Herausgeber/ Drucker
Titel
Nr. Erscheinungsort
1 Übersicht der deutsch-amerikanischen Periodika 561
He(i)nrich (Henry) Kämmerer, Joseph R. Kämmerer
jährlich
jährlich
Johann Gruber, Jacob D. Dietrich
Salomon Mayer
Pennsylvanischer Calender
jährlich
wöchentlich
Samuel Saur
Der Neue Hoch Deutsche Americanische Calender bzw. Samuel Saurs Calender
wöchentlich
1798
1797–1800, 1802–1805
1796–1805
1796–1801
1792–1805
1790–1793
Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 200 f.; Dolmetsch: German Press, S. 5–7; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 2, S. 861–906. nur eine Ausgabe erschienen; Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 563; Starnes: Periodical Archives, S. [85]–97.
Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 520, 601; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 2, S. 1221–1223. Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 587 f.
Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 514; Verhoeven: Colony, S. 91. Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 195; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 2, S. 847–860, 1185–1197.
Erscheinungs- Untersuchungs- Kommentar weise zeitraum
Jacob Schneider, (Georg Gerrisch), Johann Ritter
Samuel Saur
Die Chesnuthiller Wochenschrift
28 Chestnut Hill/PA 29 Chestnut Hill/PA bzw. Baltimore/MD 30 Ephrata/ PA bzw. York/PA 31 Reading/ PA
Der unpartheyische Readinger Adler bzw. Der Readinger Adler 32 HagersDer neue Nord-Americanische Stadt town/MD und Land Calender bzw. bzw. Winches- Neuer Hägerstauner Calender ter/VA 33 Philadel- Philadelphisches Magazin, oder phia Unterhaltender Gesellschafter, für die Deutschen in America
Herausgeber/ Drucker
Titel
Nr. Erscheinungsort
562 XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind
37 Ephrata/ PA bzw. Harrisburg/PA 38 Philadelphia
Neuer Hauswirthschafts Calender
Americanischer Calender
36 Reading/ Neuer Haußwirthschafts Calender PA
He(i)nrich Schwartzer
He(i)nrich (Henry) jährlich Kämmerer, Joseph R. Kämmerer, G. Helmbold, Johann Geyer Gottlob Jungjährlich mann, Carl Andreas Brückmann Benjamin Mayer jährlich
Der Vereinigten Staaten Calender
35 Philadelphia
jährlich
wöchentlich
Johann Albrecht
Der Deutsche Porcupein, und Lancäster Anzeigs-Nachrichten
34 Lancaster/PA
1799–1804
1799 f., 1802
1798–1801, 1803–1805
1798–1802, 1804
1798/99
Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 565; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 1, S. 518–536.
Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 2, S. 543; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 1, S. 401–412. Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 519; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 2, S. 907–909.
ging aus der von Anton Steimer, Johann Albrecht und Jacob Lahn veröffentlichten Neuen Unpartheyischen Lancäster Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten (siehe Nr. 23) hervor und wurde später unter dem Titel Der Americanische Staatsbothe, und Lancäster Anzeigs-Nachrichten (nicht eingesehen) fortgesetzt; Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 534; Verhoeven: Colony, S. 91–93. Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 2, S. 537; Mix (Hg.) – Weyers (Mitarb.) – Krieg (Mitarb.): Deutsch-amerikanische Kalender. Bd. 1, S. 448 f.
Erscheinungs- Untersuchungs- Kommentar weise zeitraum
Herausgeber/ Drucker
Titel
Nr. Erscheinungsort
1 Übersicht der deutsch-amerikanischen Periodika 563
Titel
Der Pelican
Der Wahre Amerikaner
42 Lancaster/PA 43 Philadelphia
1802–1805
wöchentlich
1805
1804/05
1801–1803
jährlich
1800
einmal erschienen und als Neuauflage in den Versionen „von 1799 bis 1899“ und „von 1800 bis 1900“ erneut gedruckt; Version „von 1800 bis 1900“ eingesehen; Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 191 Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 537. überwiegend englischsprachige Zeitung, teilweise aber auch deutschsprachige Texte; Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 199 f. Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 539. Forschungsliteratur: Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 567.
Erscheinungs- Untersuchungs- Kommentar weise zeitraum
He(i)nrich Grimler, wöchentlich Benjamin Grimler Josef Forster wöchentlich
Der neue allgemein nützliche Volks- Christian Jacob Calender Hütter The Hornet Matthias Bartgis bzw. Hornet
Samuel Saur
Herausgeber/ Drucker
40 Lancaster/PA 41 FrederickTown/MD
39 BaltiDer Hundertjährige Calender, auf more/MD das gegenwärtige Jahr-hundert nach Christi Geburt
Nr. Erscheinungsort
564 XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind
2 Übersicht der chronologisch-thematischen Disposition der Lyrikanthologie
565
2 Übersicht der chronologisch-thematischen Disposition der beigefügten Lyrikanthologie A Die prärevolutionäre Zeit (bis 1765) (z. B. Paxton Boys, French and Indian War [1754–1763]/Siebenjähriger Krieg [1756– 1763], Lieder der Herrnhuter Brüdergemeine) 1. In Nordamerika gedruckte bzw. entstandene lyrische Texte 2. In Europa gedruckte bzw. entstandene lyrische Texte B Texte, die in der Zeit der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung erschienen bzw. verfasst wurden, aber keine expliziten bzw. nur sehr begrenzte Referenzen auf die Revolution enthalten (1765–1783) 3. In Nordamerika gedruckte bzw. entstandene lyrische Texte 4. In Europa gedruckte bzw. entstandene lyrische Texte C Die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung bzw. Revolution (1765–1783) 5. Probritische bzw. antiamerikanische lyrische Texte 6. Proamerikanische bzw. antibritische lyrische Texte 7. Neutrale lyrische Texte D Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg (1775–1783) 8. Die deutschen Subsidientruppen 9. Die britischen Truppen 10. Die amerikanischen Truppen E Die Konstitutionalisierungsphase und die Frühe Republik (1784–1805) 11. In Nordamerika gedruckte bzw. entstandene lyrische Texte 12. In Europa gedruckte bzw. entstandene lyrische Texte F Soziale Gruppen 13. Die amerikanischen Ureinwohner 14. Afroamerikaner und Sklaven G Historische Personen 15. Christoph Kolumbus (ca. 1451–1506) 16. Benjamin Franklin (1706–1790) 17. George Washington (1732–1799; reg. 1789–1797) 18. Thomas Jefferson (1743–1826; reg. 1801–1809)
[Ein Lied der See-Gemeine. 1742]/[Jesu! komm herein]
[Ein Kirchen-Lied zum 13. Aug(ust) 1(7)45]/[Mein liebes und so wahr als er]
[Inniglich geliebte] [Ich bin in dem mir gewünschten land] [Der Anblick macht mir muth] [Bey der wund] Also Sang Ihrem Gotte aufm Throne […] [Christi krippschaft, sünder sippschaft] [Herr Jesu, mein und ihr] [Bey der Einweyhung des Begräbnisses zu Bethlehem]/[Schönste seele unter uns] [Jesus Christus, Gottes Lamm!]
[Penn heiszt auf Welsch ein Haubt, auf Nieder Teutsch ein Feder] [O Gott im höchsten Thron]
Titel
1 Bei den Jahresangaben handelt es sich hier wie im Folgenden teilweise um das Entstehungs- und teilweise um das Publikationsdatum.
G13
G12
G3 G4 G5 G6 G7 G8 G9 G10 G11
vor/nach 1700? Franz Daniel Pastorius [nach Anfang Georg Weiss 1734 und vor dem 11. 3. 1740] [1740] [Anna Nitschmann] [1740] [Anna Nitschmann] [1741?] [Anna Nitschmann] [1742] [Anton Seyfert] [1742] [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [1742] [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [1742] [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [1742] [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [1742, 1743? Ja[c]ob Lischy – [Nikolaus Ludwig von überarbeitet?] Zinzendorf] (Überarb.) [1742, 1745 über- [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] arbeitet] [1742]/[1743]?] [Paul Daniel Bryzelius]/[Johann Christoph Pyrlaeus]?
G1 G2
Autor
Jahr1
Nr.
1 In Nordamerika gedruckte bzw. entstandene lyrische Texte
A Die prärevolutionäre Zeit (bis 1765)
3 Übersicht der Gedichte der Lyrikanthologie
566 XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind
[Ende 1742 oder Anfang 1743] 1743 1743 [1744] [1745] [1745] [1745] [1745] [1746] (1749) [1748] (1755) [1754] [1755] [1755] (1761) [1760] [1763?]
[1764] [1764] [1764?]
(1764) [1763] (1764) [1763] (1765) [1764]
G14
G25 G26 G27 G28
G29 G30 G31
G32 G33 G34
G24
G15 G16 G17 G18 G19 G20 G21 G22 G23
Jahr1
Nr.
[Anonym] [Anonym] [Anonym]
[Henrich Miller?] [Anonym] [Henrich Miller?]
Christoph Saur I. [Johann Jakob/John Jacob Friis?] [Christoph Saur II.?] [Henrich Miller?]
[Anonym]
[Ahasverus Fritsch – Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [Georg Neißer] [Georg Neißer] [Georg Neißer] [Johann Christoph Pyrläus] [Friedrich Böhnisch] Johann Christoph Pyrläus [Anonym]
Autor
[Ein unverschämte Schaar, unnütz / witzlos, nicht wehrt] [Willkommen in Wachovia] Gedancken über den General Wolff [Des Herumträgers des Staatsboten Neujahrs-Wunsch, bey seinen resp[ectablen] Geehrten Kundleuten abgelegt den 1ten Jenner 1763] Eine lustige Aria, über die letztgeschehene Unruhen in Philadelphia Ein Schön weltlich Lied [Des Herumträgers des Staatsboten Neujahrs-Verse, seinen resp[ectablen] Geehrten Kundleuten überreicht den 1ten Jenner, 1765] [Da wir, in dem Lauff der Zeiten] [Landmann! wohnst du nicht in einem Land] [Hornung hat schon bey den Alten]
[Hilff Herr, daß ich dies Jahr]
[Abschieds-Lied aus der See, 1743]/[Behüt dich Gott! America] [Schiffs-Gemein-Lied im Februario. 1743]/[Das äussre schifflein wälgert sich] [Die herrlichkeit, die Gottes haus erfüllet] [Den 16. Jan(uar) 1745]/[Seitdem das Lamm am rauhen creuz gebüsset] [An die Hütte Gottes zu Bethlehem]/[Grüß dich Gott, du Gottes Haus!] [Die treue unsers Haupts ist unbeschreiblich] [Denk an sie und ihre müh] [Jetzt sind’s Drei Jahr] [O Pensylvanien!]
[Wer ist diese fürsten-dirne]
Titel
3 Übersicht der Gedichte der Lyrikanthologie 567
G46 G47 G48 G49 G50 G51 G52 G53 G54 G55 G56 G57 G58
[?] 1728 1740 [1740] [1740] [1740er Jahre?] [1740er Jahre?] [1741] [1741] [1741] [1741]
G35 G36 G37 G38 G39 G40 G41 G42 G43 G44 G45
Autor
Barthold Feind Carl Friedrich Behrens B[arthold] H[(e)inrich] Brockes [Anna Nitschmann] [Anna Nitschmann] [Esther Grünbeck] [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [Erdmuth Dorothea von Zinzendorf] [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [Erdmuth Dorothea von Zinzendorf] [George Andreas Friedrich Emanuel von Dennstedt] [1741?] [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [1741] [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [1741] [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [1741] [Johann Michael Lauterbach] [1741] [Anna Maria Lawatsch] [1741] [Johann Michael Graff] [1741] [Ludolf Ernst Schlicht] [1741] [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [1741?] [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [1742 oder 1741] [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [1743] [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [1744] [Friedrich Wilhelm von Marschall] [1744] [Johannes von Watteville]
Jahr
Nr.
2 In Europa gedruckte bzw. entstandene lyrische Texte
[Im friede Jesu Christ] [Das ist meine Lust] [Willkommen unter deine schaar] [Lamm! ich bin dein blut-gewinn] [Schiesse nieder, thränenbach] [So geh denn hin, entsündige] [Herr Jesu, Fürst der zeugen-schaar] [Das wort, das wörtlein Blut] [Auf der See zu singen]/[Volk Gottes aus der höh!] [Mein Bräutigam! ich bringe dir] [Jesu, lieber Meister!] [Brings geschwister an den wall] [Der Gott, ders kriegs-generalat]
Des Tobaks Lebenslauf Reise nach den unbekandten Süd-Ländern und rund um die Welt […] Die Bieber [Ich preise deine gnadenwahl] [Mein hertzens-Lamm, ich glaube] [Wir tragen unsern theil] [Ihr fliegt auf fittigen des windes] [Schon wieder auf der reis?] [Wenn ich von Gotteshelden] [Seyd noch einmal gegrüsset] [Hier kömmt, ehrwürdges sieger volk!]
Titel
568 XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind
Jahr
[1744, 1745 überarbeitet] 1745
1748 1752 1754 (1753?) 1754
1754 1765
Nr.
G59
G60
G61 G62 G63 G64
G65 G66
C[hristian] F[ürchtegott] Gellert Karl Wilhelm Ramler
B[arthold] H[(e)inrich] Brockes C[hristlob] Mylius Gotthold Ephraim Lessing P[eter] H[inrich] Tesdorpf
[Nikolaus Ludwig von Zinzendorf]
[Nikolaus Ludwig von Zinzendorf]
Autor
Dank-Opfer der Anstalten, der Gemeinen, der fruchtbaren und dürren Auen, und der Häuser des HERRN, am 16. Sept[ember] 1745 Der Biber Abschied aus Europa [Wohin, wohin treibt dich mit blutgen Sporen] Versuch einer Beschreibung vom allerschönsten und beynahe allerkleinsten Vogel, der unter dem Namen Colibrit bekannt ist Der ungerathne Sohn Glaukus Wahrsagung
[Zum 13. Aug(ust) 1745]/[Mein und der anstalt aufs Lamm hin]
Titel
3 Übersicht der Gedichte der Lyrikanthologie 569
Jahr
(1766) [1765] (1770) [1769] (1769/)1770/ 1771? [1772?]
1773 1773 1773 1779 1779
(1780) [1779] [ca. 1780]
Nr.
G67 G68 G69
G70
G71 G72 G73 G74 G75
G76 G77
[Anonym] [Johann Henrich Otto?]
[Henrich Miller?] Henrich Roosen?[/Henrich Miller?] [Henrich Miller?] [Henrich Miller?] Fran[z] Christian Lembke
Johann Henrich Otto
[Anonym] [Anonym] [Henrich Miller?]
Autor
[Hat nicht des treuen Gottes Milde] [Zum Neuen Gandenjahr des Herrn] Des Herumträgers des Pennsylvanischen Staatsboten Empfehlung an seine resp[ectabeln] Geehrten Kundleute, beym Eintritt in das Jahr 1770 Ein geistlich Lied auf Paul Springs Selbstmord mit einer Pistole, So sich im Jahr 1772, im Monat September in Lancäster Caunty, Cocallico Taunship, zutrug Zum Anfange des Jahres 1773 [Der Conditor, Henrich Roosen genannt] [Wir wollen nach den Colonien gehen] [Gott segne diese Stadt, dies Land, und alle Welt] Ein herzliches Abschieds-Lied als die kleine Anstalt von 6 Kindern mit einigen Bruedern d[en] 21sten Oct[ober], 1779 nach Bethlehem zog [Komm ich zwar heit nicht, so komm ich doch gewiß] Von dem grosen Cometen, welcher 1769. über America gestanden
Titel
3 In Nordamerika gedruckte bzw. entstandene lyrische Texte
B Texte, die in der Zeit der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung erschienen bzw. verfasst wurden, aber keine expliziten bzw. nur sehr begrenzte Referenzen auf die Revolution enthalten (1765–1783)
570 XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind
Jahr
1770 1770 1770
1771 1771
1775
1781 (1777) 1778 [1778] [1781?] 1782
Nr.
G78 G79 G80
G81 G82
G83
G84 G85 G86 G87 G88
Friedrich Leopold Graf zu Stolberg[Stolberg] Abraham Gotthelf Kästner Sangerhausen, Christoph Friedrich Gottlieb Conrad Pfeffel [Friedrich Schiller] Y. [= Friedrich Schiller]
Gotthilf Israel Bol(t)zius Sebastian Andreas Fabricius Friedrich August Conrad Mühlenberg – Gotthilf Heinrich Ernst Mühlenberg? [Justus Friedrich Wilhelm Zachariae] [Christian] Gregor
Autor
4 In Europa gedruckte bzw. entstandene lyrische Texte
Als Philadelphia spöttisch hier abgewiesen wurde Als der Taschenspieler Philadelphia in einer Justizstube spielte Epistel an Phöbe. Auf Ihren vierzehnten Geburtstag Der Venuswagen Laura am Klavier
Der unvermuthete Ehseegen Meiner Tochter Christiane Gregorin zu ihrem eilften Geburtstage den 13[ten] October 1771, aus Bethlehem nach Herrenhut Mein Vaterland
[Wenn auch kein Sohn bey Deinem Sarge bebte] [Du stirbest nicht, Du lebst!] [Wie, wenn ein wilder Sturm die hohe Ceder splittert]
Titel
3 Übersicht der Gedichte der Lyrikanthologie 571
Jahr
1778
1778 1778 1780 1784
Nr.
G89
G90 G91 G92 G93
Johann Christoph Kunze Joseph Weinhard [Wilhelm Ludwig] Wekhrlin [Johann August] Weppen
[Anonym]
Autor
5 Probritische bzw. antiamerikanische lyrische Texte
Gespräch zweyer Bauern in Tolpehacken, des Abends bey einem Glaß Wisky und gutem Hickory Feuer am 1ten May, 1778 Ein andrer Neuiarwunsch Ein schön neues Lied von dem weitentfernten Welttheil Amerika Ueber die Insurgenten Eine Parabel am 20sten Januar 1783. als am Tage des Friedensschlusses zu Versailles
Titel
C Die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung bzw. Revolution (1765–1783)
572 XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind
J[ohann] F[riedrich] H[äber]l[in?] [Anonym]
[Anonym]
G111 [1783/84?]
[Henrich Miller?] Johann Wolfgang Goethe [Anoynm]
[Henrich Miller?] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym]
G109 1783 G110 [1783?]
1766 1766 (1767) [1766] [1774/75?] [1775?] [1775?] [1775]
G96 G97 G98 G99 G100 G101 G102
[Henrich Miller? (Übers.)] [Henrich Miller?]
Isaak Mau[s] Johann Christoph Kunze [Anoynm]
1765 [1766?]
G94 G95
Autor
G103 [1775/76?] G104 [1780–1783?] G105 (1782) [1781] G106 1782 G107 1782 G108 (1783) [1782]
Jahr
Nr.
6 Proamerikanische bzw. antibritische lyrische Texte
[Was ist wol schöners anzuschau’n] Des Herumträgers des Staatsboten Neujahrs-Verse, bey seinen resp[ectablen] Geehrten Kundleuten abgelegt den 6ten Jenner, 1766 Den Herren lobt und benedeyt, Der von der Stämpel-Act uns hat befreyt [Wo des Verächters Netz uns Weg und Pfad bestrickte] [Glück zu zum Neuen Gnaden-Jahr] Ein Lied von dem gegenwärtigen Zustand in America Das Trauer Lied der unterdrückten Freyheit Ein Deutscher Yänky Dudel Christliches Buß-Lied, gestellt auf den den [sic] 20ten Julius 1775. in Nord-America gehaltenen Fast-Tag Ein Lied gegen das unrechte Verfahren des Königs, gegen America Die Mitschuldigen Neujahrs-Verse des Herumträgers der Philadelphischen Correspondenz. Den 1sten Januar, 1782 Auf Amerika Zum Neuen Jahr 1783 Neujahrs-Verse des Herumträgers der Philadelphischen Correspondenz. Den 1sten Januar, 1783 Die Freiheit Amerika’s Gespräch derer europäischen Mächte und der freien Staaten von Amerika über den jetzigen Friedensschluß Neujahrs-Wunsch. Auff das Jahr 1784
Titel
3 Übersicht der Gedichte der Lyrikanthologie 573
R. [=?] [Anonym] [Anonym] [Anonym] L[eopold] F[riedrich] G[ünther] [von] Goe[c]kingk [Friedrich Gottlieb] Klopstock [Joseph Friedrich] Engelschall Der jezige Krig Malchens Loblied auf den Zucker
Des Herumträgers des Staatsboten Neujahrs-Wunsch, bey seinen resp[ectablen] Geehrten Kundleuten abgelegt den 3ten Jenner, 1769 Die Quaker Ein neu Jahr Wunsch Anrede eines nachdenken Americaners, an seine Mit Bürger [Bey dem Anfang dieser Periode] Epistel An denselben [= Herrn* * in P*]
Titel
Jahr
[1775?] [ca. 1775/76?] 1776 [1776?] [1776?]
Nr.
G120 G121 G122 G123 G124
[Anonym] [Anonym] G** von Koblenz [= ?] [Anonym] [Anonym]
Autor
8 Die deutschen Subsidientruppen
[Juchheisa nach Amerika] Ein neues Lied von Amerika Gebeugter Vaterlandstolz Gedanken eines hessischen Grenadiers [Die Deutschen Hülfstruppen nach Amerika]/[Wer will mit nach Amerika?]
Titel
D Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg (1775–1783)
G118 1782 G119 1782
1777 (1778) [1777] (1778) [1777] 1781 1781
G113 G114 G115 G116 G117
Autor
[Henrich Miller?]
Jahr
G112 1769
Nr.
7 Neutrale lyrische Texte
574 XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind
Braun
[Anonym] Friedrich – Samuel Sichart
Friedrich – Samuel Sichart
[Johann Heinrich Bornmann zu Lippoldsberg?] Thormann
August Hermann Niemeyer H A L [= Langemeier]
Apel
G128 1777
G129 [1777?] G130 1777?
G131 1777?
G132 [ca. 1777?]
G134 1778 G135 1778
G136 1778
G133 [1777/78]
[Mirbach?] [Johann Christoph Zenker]
G126 [ca. 1776?] G127 1777
Autor
[Anonym]
Jahr
G125 [ca. 1776?]
Nr.
[Ein Lied Welches in unsern Winter-Quartier zu Philadelphia auf die Rebellen gemacht worden ist. (V)on Einem Anspacher Mousquetier, Namens Thormann]/ [Hat sich das Prahlen schon verlohren] An Deutschland, im März 1778 Zur Feyer des hohen Geburts-Tages S[eine]r Freyherrl[ichen] Ganden, des Herrn Generals, Riedesel von Eisenbach. den 3ten Juny, 1778 [Ein Lied, welches auf die Ein- und Ausfahrt der französischen Flotte zu New-Port, und des Attacts mit den Rebellen auf der Insel Rhode-Island, den 29ten August, im Jahre 1778 vorgefallen ist, von dem Mousquetier Apel von Capitaine von EybCompagnie verfertigt]/[Jetzt will ich euch publiciren]
Glückwünschende Abschieds-Ode bei der Einschiffung der resp[ectablen] BrittischHessischen Truppen unter’m Commando S[eine]r Excellenz des Herrn Generallieutenants von Heister [Die Hessen nach Amerika]/[Frisch auf, ihr Brüder, in’s Gewehr] Gesang! Bey dem Abmarsch der hochfürstlich brandenburgisch-anspach-baireuthischen Auxiliartruppen nach Amerika. Anno 1777 [Ein Lied welches auf die Bestürmung und Einnahme des Forths Mont-Gommery, d[en] 6[ten] Octobris Anno 1777 von Einem Anspacher Grenadier, Namens Braun poesirt wurde]/[Mars ruft! Ihr Krieges-Knechte] [Deutsche Hülfstruppen nach Amerika]/[Frisch auf, Kameraden! Der krieg’rische Ton] [Ein Lied über die herzogl(ichen) Braunschw(eigischen) Trouppen nach America, in engl(ischen) Sold gehend, vom Jahre 1776 bis 1777, nehmlich 2 Feldzüge, so sie gethan und endlich 2 Feldzüge, so sie gethan und endlich sich am 17. October 1777, bey Saratoga in Albanien, unter Commando der Generale Bourgoyne und Riedesel, an dem Rebellen-General Gates zu Kriegsgefangenen ergeben musten]/ [Braunschweig ist ein schöner Ort] [Fortsetzung des Liedes vom Feld-Zuge im 2ten Jahr, oder 1777]/[Ihr Freunde hört noch ferner an] Lied eines hessischen Grenadiers auf Long Island
Titel
3 Übersicht der Gedichte der Lyrikanthologie 575
[Wenn Regulus den Römern rieth] Kunz und Hinz. 1776 Auszug eines Lieds, von einem Americanischen Grenadier, an die Hessen und andere. Im Jahr 1777 Abschied eines Teutschen von seiner Geliebten, beym Feldzug nach Amerika. 1777 An Phaon. (1778) Abschiedslied eines Cadets, der als Officier mit nach America ging
X. [= Heinrich Christian Boie] [Anonym]
Johann Christoph Krauseneck Amalia von ** [= ?] Carl Samuel Wigand
G155 1783 {1777?} G156 1783 {1778?} G157 1783
Golddurst
Johann Gottfried Seume
G149 1782 Im Lager bey Halifax [Trauer-Lied von Ziegenhayn]
Feldgesang eines teutschen Grenadiers in Nordamerika Klage einer Heßin bey dem Abschiede ihres Geliebten Klagen eines Cadets, auf den Tod seines Vaters in Amerika Liedchen Lied eines Negersklaven [Drüben jenseits der Atlantis] Kriegslied vor der Schlacht bey Kingsbridge Abendfantasieen eines Hessen in Amerika Das Neuste von Plundersweilern. 1780 Die Eroberung von Charlestown. Poetisch beschrieben von einem anspachischen Iäger in America Columbus und der Abendwind Antwort eines deutschen Soldaten
Titel
G150 1782 G151 [1782] {1822} G152 [1782] {1822} G153 1783 {1776?} G154 1783 {1777?}
Johann Christoph Krauseneck [Johann August] Weppen [Johann Tobias Dick?] [Johann Tobias Dick?] [Gottlieb Conrad] Pfeffel [Anonym] [Johann Philipp?] Rühl J[ohann] N[icolaus] B[ischo]ff Johann Wolfgang Goethe [Anonym]
Autor
Kr. [= ?] L[eopold] F[riedrich] G[ünther] [von] Goe[c]kingk L[eopold] F[riedrich] G[ünther] [von] Goe[c]kingk Johann Gottfried Seume Johann Gottfried Seume
1778 1778 1779 1779 1779 [ca. 1779?] 1780 1780 1780 1780?
G137 G138 G139 G140 G141 G142 G143 G144 G145 G146
G147 1781 G148 1782
Jahr
Nr.
576 XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind
Jahr
G169 1801
G168 1801
G167 1797 {1793}
G165 1792 G166 1797 {1791}
G164 1789
G163 1789
G160 1783 G161 (1785) [1784] G162 1785
G159 1783
G158 1783
Nr.
Titel
Friedrich Wilhelm Philipp Ernst Freiherr An die aus America zurückgekommenen Ruhmvollen Bayreuthischen Krieger und von Reizenstein Freunde. Gesprochen bey Ihrem Einzug in Culmbach den 16[ten] November 1783 von Friedrich Wilhelm, Philipp, Ernst Freyherrn von Reizenstein Friedrich Wilhelm Philipp Ernst Freiherr Ein anderes [Lied] welches in Bayreuth verfertigt wurde und wir daselbst gedruckt von Reizenstein bekamen, Auf Unsere Zurückkunft aus America und Einmarsch in Bayreuth d[en] 20[sten] November im Jahr 1783 Johann Conrad Döhla [Gottlob! nun habe ich vollendet] I*** [= ?] Auf die zukünftigen Luft-Reisen Chr[istian] Dan[iel] Friedr[ich] [sic] Gespräch auf dem Schiff, zwischen einem Prediger und Soldaten Schubart Johann Tobias Dick Auf den Tod des Heßischen Obersten von Donop, der bey der Attaque des Forts Redbank in Nord-Amerika erschossen worden Johann Tobias Dick Siegeslied der Englischen und Heßischen Truppen, bey dem über die Amerikaner auf Long-Ißland, im August 1776 erfochtenen Sieg [Johann Gottfried] Seume Abschiedsschreiben. Meinem Freunde von M[ünchhausen] … [Karl Ludwig August Heino von] Freiherr An Johann Gottfried Seume. Am 20. des Eismonds 1791 Münchhausen [Karl Ludwig August Heino von] Münch- Nachruf, an Seume. Am 1. des Eismonds 1793 hausen [Karl Ludwig August Heino] Freiherr von An mein teutsches Mädchen. Gedichtet am Gestade des Meeres ohnweit Halifax in Münchhausen Neuschottland am 23. Heumonds 1783 [Karl Ludwig August Heino] Freiherr von An mein Vaterland. Auf dem Elbestrande bey Ritzebüttel Münchhausen
Autor
3 Übersicht der Gedichte der Lyrikanthologie 577
Jahr
[Christian Friedrich Daniel] Schubart [Anonym]
Autor
[Wilhelm Ludwig Wekhrlin?]
[Wilhelm Ludwig Wekhrlin?] Johann Gottfried Seume
G179 [1781?]
G180 1784
G181 1784 G182 1798
1775 1775 1777 1778 1778 1779 1780
G172 G173 G174 G175 G176 G177 G178
Autor
Christ[ian] Fried[rich] Daniel Schubart [Anonym] [Anonym] C**o [= ?] [Anonym] [Anonym] – tt –. [= Leopold Friedrich Günther von Goeckingk] [Anonym]
Jahr
Nr.
10 Die amerikanischen Truppen
G170 1776 G171 1778
Nr.
9 Die britischen Truppen
Auf den Kupferstich des Paul Jones [Kosciusko hört am Delevare]
[E]in Lied auf die Gefangen-Nehmung des Lord Carl Cornwallis mit seinen Truppen bey Yorck-Town, von einen amerik[anischen] Poeten verfertigt General Gates
Freyheitslied eines Kolonisten Lied eines jungen Engländers in Amerika Vaterlands-Lied der Amerikaner An den General Gates Ein Vortrag an unsere junge Landes-Mitbrüder Lied einer Amerikanerinn Kriegeslied eines Provinzialen
Titel
Der Britte an Howe nach der Schlacht bey Flatland An den General Bourgoyne
Titel
578 XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind
Jahr
Autor
[Justus Henry Christian Helmuth?] [Justus Henry Christian Helmuth?] [Anonym] [Jacob] L[ahn][?] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym]
G188 G189 G190 G191 G192 G193 G194 G195
[Christian Friedrich Daniel Schubart – Jacob] L[ahn][?] [Anonym] (Übers.)
G197 1788
G198 [{1789} (1788)]
[Jacob] L[ahn][?]
G196 1788
1787 1787 1787 1787 1787 1787 1788 1788
Theophilus [= ?] [Johann Henrich Otto]
G186 (1785) [1784] G187 [1785?]
G183 Zweite Hälfte des Susanna Hübner 18./Anfang des 19. Jahrhunderts? G184 1783/84 Daniel Schu(h)macher G185 [1784?] {1781?} Christoph Saur II.
Nr.
1784 Ein Einfältiges Reim-Gedichte, welches Christoph Saur gemacht hat auf seinen Namen und Geburts-Tag, als er sechzig Jahr alt war den 26sten September, 1781 Poetische Gedancken von den Zeichen dieser Zeit Eine grausame Geschichte, oder ein Lied von einem Mörder, Philip Bebel, welcher gewohnt hat in Maryland, nicht weit von Friedrich-Taun, an der Pfeif-Kriek und hat Ausgangs, Aprils, 1785 […] [Lobe Zion, lobe deines Herren Thaten] Ein Echo Ermunterungs-Lied zur Eintracht [Heilig ist es – Gottes Engel schweben] [Ein Kleinod ist von unserm Haupt genommen] Neujahrs-Lied Auf das Neue-Jahr 1788 Erinnerung An die Schüler der Franklinischen Hohen Schule, von der Nothwendigkeit frühe Weisheit einzukaufen [Dem Andencken H(e)r(r)n Anton Stiemers, Buchdrucker]/[Sey gegrüsst, grün bemooster Hügel] [Auf die Einweihung der neuen Evangelisch-Lutherischen Kirche zu Tulpehacken, in Bercks Caunty, Sontags den 17ten August, 1788]/[Es eilt ein Schulz, wie Salomo] [Ein heiliges Feuer entzünde die Seele]
[Herr las mich doch seyn gezehlet]
Titel
11 In Nordamerika gedruckte bzw. entstandene lyrische Texte
E Die Konstitutionalisierungsphase und die Frühe Republik (1784–1805)
3 Übersicht der Gedichte der Lyrikanthologie 579
G215 G216 G217 G218 G219 G220 G221 G222
(1795) [1794] (1795) [1794] 1796 1796 (1797) [1796] (1797) [1796] 1798 1798
G213 (1794) [1793] G214 (1794) [1793]
[Anonym] [Justus Henry (Heinrich) Christian] Helmuth [Anonym] [Anonym] [Johannes] Ettwein [Anonym] [Anonym] [Matthias Claudius] [Anonym] Democratus [= ?]
G[ustav] F[riedrich] Goetz N. N. [= ?] [Anonym] F. V. C. H. S. [= ?]
[1793?] 1793 1793 1793
G209 G210 G211 G212
[Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Johann Albrecht?]
[Georg] de Binder V. G. [= ?] Nemo [= ?]
1789 1789 1789 1789 (1790) [1789] 1791 [1792?]
G199 G200 G201 G202 G203 G204 G205
Autor
G206 1792 G207 1792 G208 1792
Jahr
Nr.
Ode über die Americanische Revolution Freyheits-Ode Zum 1sten April 1796/[Haus Gottes! an der Christians-Spring] [Es nimt nichts stärcker überhand] [Hat nicht des treuen Gottes Milde] Winterlied Neujahrs-Wunsch, zum Anfang des 1798sten Jahres [Ein König, reich an Unverstand]
An das Jahr, 1789 [Nachruf]/[Was schmerzlicher mach den Verlust] [Lieben Freunde! Ich könt’ viel erzehlen] [Seht Lieben Freunde! Sehet hin] [Lästerer, brüllen löwen gleich] [Also hinab, mit Tapferkeit der Füssen] Neujahrs-Verse, Des Herumträgers der Neuen Unpartheyischen Lancäster Zeitung, Den 1sten Januar, 1792 Anecdote/[Dir Reading, und der Bürgerschaft] Ein allegorischer Traum Ueber die Propheten jetziger Zeit Poetische Anmerkungen, über einen, in der Readinger Zeitung, (Num. 184) „Allegorisch erzehlten Traum.“ Auf den Jahreswechsel Neu-Jahrs-Wunsch Den 4ten Julii, 1793/[Jauchzet laut, hoch erfreut!] An die Einwohner von Berks Caunty u[nd] R[eading]/[Den Einwohnern von ReadingStadt] Der Sommer-Morgen Auf einem Americanischen Landsitze [Herr, heiliger, gerechter Gott!]
Titel
580 XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind
1799 1799 [1799] 1799 1799 1799 1800 1800 1800
G237 G238 G239 G240 G241 G242 G243 G244 G245
G246 G247 G248 G249 G250
1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 (1799) [1798] 1799 1799 1799
G223 G224 G225 G226 G227 G228 G229 G230 G231 G232 G233 G234 G235 G236
[Anonym] [Anonym] [Anonym] A. B. C. [= ?] [Anonym] Germanus [= ?] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym]
Autor
Friedrich Steger Ein deutscher Bauer [= ?] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Christian Friedrich Daniel Schubart] – [Anonym] 1800 Ein Warwicker [= ?] 1800 Jacob Wüst (1801) [1800] [Anonym] [18. Jahrhundert?] Heinrich Danner 1801 [Anonym]
Jahr
Nr.
[Ihr Schönen von Geschlecht!] [Er ist gewiß ein solcher Mann] America’s Freyheit Ein reise Lied Neu-Jahr-Wunsch
[Die Redlichkeit, er liebte] Die Porcupein [Weil doch die Lieder überall] [Am Palm-Tag hat sich hier, der Pharisäer Heer] An A: B: C:/[Kenn dich selber: wer du bist] Zuruf An die Americaner [Jagt die Verräther aus dem Lande] Der politische Doctor und der Kranke Decatur [So ging er seinen Lebenspfad] Ueber die Moden Der aufgestutzte Pfau [Für einer stehenden Armee] Northampton Caunty, Montgomery und Bucks/[Hättet ihr Augen, so scharf wie ein Luchs] [Wie flieht dahin der große Geist] [Ein unabhängig Volk, in einem freyen Land] Ein neues Lied Freyheits-Lied [Brüder! Wer hat euch so geführt?] Gedicht[/Kommt ihr Democraten-Brüder] Vaterlandslied Americanisches Freiheitslied Lob der Freiheit
Titel
3 Übersicht der Gedichte der Lyrikanthologie 581
Jahr
1801 1801 1801 1802 1802 1802 1802 1802 1802 1803 1803 1803 1803 (1804) [1803] 1804 1804 1804 1804 1804 1804 1804 1804 1804 1805 1805 1805 1805 1805
Nr.
G251 G252 G253 G254 G255 G256 G257 G258 G259 G260 G261 G262 G263 G264 G265 G266 G267 G268 G269 G270 G271 G272 G273 G274 G275 G276 G277 G278
[Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] George Knappenberger Philipp Mehrling [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] J[oseph] v[on] Hinsberg Ernst Friedrich Schumann [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym]
Autor [Fahr hinab, wo ich u(n)d du] Das schöne Geschlecht Columbias [Der Himmel breche auf die Erd’ zusammen] [Ein Jahr sinkt heute nun schon wieder] [Unter Schatten heil’ger Linden] [Laßt euch wundern nicht] Auf den 4ten July, 1802 [Vier lieber ganzer Jahre lang] [Es freut sich jeder Freyheitsmann] [Er schied dahin aus diesem Pilgerleben] Abschieds-Lied, der nach America reisenden Landleute aus dem Canton Basel [Heut ist es sieb’n und zwanzig Jahr] [Patrick Magruder, biet sich als Candidat] Freyheits Lied Neujahrs-Wunsch Europa [Der Trennung Schmerz] [Bey voller Becher Klang] [Auf auf ihr Brüder seyd bereit] [Freut euch dem Tage] [Hamilton und Burr] Der hiesige Deutsche Neu-Jahr-Wunsch des Herumträgers des Readinger Adlers, an seine Kunden [Wir sind für Frieden! Das sey mein Gedicht!] Ueber die nächste Wahl [Auf diesen Tag bedencken wir] Ueber gegenwärtige Zeit [Ja! wir sind nicht deine Knechte]
Titel
582 XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind
1805 1805 1805 1805
G279 G280 G281 G282
Philip Klein Valentin Keller [Anonym] [Anonym]
Autor
Jahr
G286 G287 G288 G289 G290 G291 G292 G293 G294 G295 G296 G297 G298
1786 1786 1786 1786 1788 1789 1789 1790 [1790] [1790?] 1791 1792 1796
G283 [zwischen 1763 und 1803] G284 1784 G285 1785
Nr.
Amerika An den Tod
X. [= Heinrich Christian Boie?] Chr[istian] Dan[iel] Friedr[ich] [sic] Schubart [Klamer Eberhard] K[arl] Schmidt Karl Philipp Moritz Christian Friedrich Daniel Schubart [Matthias] Claudius J[ohann] C[arl August] Musäus Christian Friedrich Daniel Schubart Daniel Jenisch Gottlieb Conrad Pfeffel J[ohann] W[ilhelm] L[udwig] Gleim Johann Wolfgang Goethe [Christian Friedrich Daniel] Schubart J[ohann] G[ottfried] Herder (Übers.) J[ohann] G[ottfried] Herder
An den Biber, aus dessen Haar Wisens Hut gemacht ist [Welch ein Weihrauch steigt so sanft von Wonnegefilden] Der kalte Michel. Erzählung Urians Reise um die Welt, mit Anmerkungen [Beym lezten Kirchweyhfeste kamen fremde Gaukler an] [O Freiheit, Freiheit, Gottes Schooß entstiegen] Ode auf die gegenwärtigen Unruhen in Frankreich Die drey Stände. An Herrn Rath Petersen in Darmstadt Der Amerikaner an den Europäer [Amerikanerin nennst du das Töchterchen alter Phantaste] Das Rufen der Völker. Ein Bethpsalm [Die Muse, matt der Gegend, matt der Zeit] Die Virginische Pflanze
Der Krieger und die Pelzhändler
Titel
An die Erwähler von Berks Caunty [Ein großer Poet entstand neulich im Land] Orwigsburger freye Meynung Eine Epistel an die Leser des Pelicans/[Friede sei mit euch! – Zum Gruße]
Titel
Johann Gottfried Herder
Autor
12 In Europa gedruckte bzw. entstandene lyrische Texte
Jahr
Nr.
3 Übersicht der Gedichte der Lyrikanthologie 583
Jahr
1797 1797 [1797?] 1798 {1790} 1798 {1795} [1799/1800]
[1799/1800?] 1800 1800 1802 {1794} 1802 1802 1802 1802 [1803/04?] [1803/04?] [1803/04?] [1804?]
Nr.
G299 G300 G301 G302 G303 G304
G305 G306 G307 G308 G309 G310 G311 G312 G313 G314 G315 G316
Paul Ehrenpreis [= ?] Paul Ehrenpreis [= ?] Johann Gottfried Herder Friedrich Gottlieb Klopstock Friedrich Gottlieb Klopstock [Johann Nepomuk Cosmas] Michael Denis Daniel Jenisch B. [=?] G[erhard] A[nton] von Halem Johann Heinrich Vo[ß] Susanne von Bandemer Johann Heinrich Vo[ß] Carl Anton von Gruber Johann Heinrich Vo[ß] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym]
Autor
Wünsche an das neunzehnte Jahrhundert [Pulver und Dampf hast du in Europa vermehret, du wilder] Uranoskopos Chorgesang beim Rheinwein An den Liebling bey dem Heere. Im fremden Namen Die Kartoffelernte Der neue Aeon Aufmunterung Reiss Lied der Zioniten ins Land Silva [Auf auf schwingt euch zum Grund] [Auf Brüder es ist da, die Zeit daß wir abreissen] [Erzittre Welt hör auf zu hassen]
Das Reisen Rath an einen jungen Autor [Der deutsche Nationalruhm]/[Bist Du, Geliebter, noch so neu und jung] Sie, und nicht wir. An La Rochefoucauld Zwey Nordamerikaner Die Aeonenhalle
Titel
584 XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind
1732 1734 [1740] [zwischen 1741 und 1743?] [1742] [1742] [1742] [1742] 1742 [1742 oder 1743] [1743] 1746 1748 1758 1771 1772 1774
G317 G318 G319 G320
G337 [1782/83?]
G334 [1777] G335 1778 G336 [1779–1782?]
G321 G322 G323 G324 G325 G326 G327 G328 G329 G330 G331 G332 G333
Jahr
Nr.
[Albrecht von Haller] Albrecht von Haller [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [Henrietta Benigna Justina von Zinzendorf] [Anna Nitschmann] Nikolaus Ludwig von Zinzendorf [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] [Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] Nikolaus Ludwig von Zinzendorf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf [Gottlob Büttner] C[hristian] F[ürchtegott] Gellert [Magnus Gottfried Lichtwer] M[agnus] G[ottfried] Lichtwer [Karl Wilhelm] Ramler [Anonym] (Übers.) Christ[ian] Fried[rich] Daniel Schubart (Übers.) Gottlieb Conrad Pfeffel Johann Christoph Krauseneck Friedrich Leopold Graf zu Stolberg[Stolberg] J[ohann] G[ottfried] Seume
Autor
13 Die amerikanischen Ureinwohner
F Soziale Gruppen
[Laß uns ruhen, Freund, in dieser Höle]
Recept wider den Krieg Lied eines Wilden hinter St. Lorenzfluß in Nordamerika Die Zukunft
[Für uns verfluchter segen] [Hier schrieb ich einen Brief]/[Herr Jesu, wachst du nicht] [Er ists doch gar] Auf den Kittidane Hills im Oct[ober] 1742/[Ich und die liebe reiß-gefährten] Wajomik im Nov[ember] 1742 [Dort in der Fläche Wajomik] [Du Priester unsrer Hütten!] Inkle und Yariko Die seltsamen Menschen Das Recht der Vernunft, in fünf Büchern An die Könige Der sterbende Indianer. (Nach dem Englischen des Warton.) Der sterbende Indianer an seinen Sohn
Falschheit menschlicher Tugenden Uber den Ursprung des Ubels [O Du auserwehlter] [Verwundtes Lamm, mein Herr und Gott!]
Titel
3 Übersicht der Gedichte der Lyrikanthologie 585
Jahr
G347 1801 G348 1802 {1772} G349 1805 {1798}
1792 1792 1792 1793 1797 (1798) [1797] G346 1800
G340 G341 G342 G343 G344 G345
G338 1791 G339 1791
Nr.
Das gute Volk Die Guianischen Indianer Der sterbende Indianer. Aus dem Englischen Der Wilde Der betrogene Unterhändler Nadowessische Todtenklage Werbungslied der jungen nordamerikanischen Wilden bei dem Vater der Braut. Nach dem Huronischen Der kleine Derik An Rolf Der Wilde und der Europäer
[Karl Ludwig August Heino Freiherr von] Münchhausen Karl Lappe Johann Heinrich Vo[ß] Gottlieb Conrad Pfeffel
Cora an die Sonne Ueber die Schlacht auf der Ebene des Miami
Titel
G[abriele] [von] B[aumberg] [Justus Heinrich Christian Helmuth?/ Johann Christoph Kunze?] Ephraim Moses Kuh Ephraim Moses Kuh Ephraim Moses Kuh (Übers.) [Johann Gottfried] Seume Johann Gottfried Herder Friedrich Schiller
Autor
586 XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind
Jahr
G350 [nach 1683] oder [ca. 1688?] G351 [1745] G352 1773 G353 1778 G354 1784 G355 1797
Nr. [Allermaßen ungebührlich] [Mein Erlöser kennt mein herze] Der Schwarze in der Zucker-Plantage Zween Neger Lied eines Negersklaven in Amerika Der Geburtstag
[Nikolaus Ludwig von Zinzendorf] Matthias Claudius Johann Christoph Krauseneck A[nselm] E[lwert] Johann Gottfried Herder
Titel
Franz Daniel Pastorius
Autor
14 Afroamerikaner und Sklaven
3 Übersicht der Gedichte der Lyrikanthologie 587
1796 [1803] 1805 1805
G364 G365 G366 G367
Friedrich Schiller Friedrich Schiller [Karoline] L[ouise Brachmann] J. F. C**
[Johann Jacob Bodmer] [Justus] Friedrich Wilhelm Zachariä [Justus] Friedr[ich] Wilh[elm] Zachariae Johann Gottfried Herder Johann Christoph Krauseneck [Gottlob Nathanael] Fischer
1753 1761 [1766] [1772] 1776 1792
G358 G359 G360 G361 G362 G363
Autor
Barthold Feind (Übers.) [Albrecht von Haller]
Jahr
G356 1704 G357 1732
Nr.
15 Christoph Kolumbus (ca. 1451–1506)
G Historische Personen
Das Lob Der Geld-Sucht. Satyre. Aus dem Holländischen Des Herrn von Deckers Gedanken über Vernunfft / Aberglauben und Unglauben[.] An H[e]r[r]n Professor Stähelin. Die Colombona. Ein Gedicht in fynf Gesaengen An das Schiff, welches Klopstocken nach Dänemark führte Cortes. Ein Heldengedicht Kolumbus Columbus Kolumbus. Eine Hymne zur dreyhundertjährigen Feyer seiner Entdeckung am 12[.] Oktober 1492 Columbus [Nach dem fernen Westen wollt ich steuern] Kolumbus. Ballade Columbus der Entdecker. An Schelling
Titel
588 XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind
[Friedrich Ludwig] Zacharias Werner Alois Wilhelm Schreiber Johann Petrus Roth Seyfried [= ?] Friedrich Gedike J[ohann Isaac Freiherr von] Gerning
G373 1797 G374 1799 G375 1799
G376 G377 G378 G379 G380 G381
ca. 1800? ca. 1800? 1800 1800 ca. 1800? 1802 {1801}
[Gottlieb Conrad] Pfeffel [Christian Friedrich Daniel] Schubart F[riedrich] L[eopold] Graf zu Stolberg[Stolberg] [Johann Konrad] von Einem [Moritz August von Thümmel] Daniel Jenisch
G370 1785 G371 1790 G372 1792
Autor
[Heinrich] Wagner [Anton Klein]
Jahr
G368 1780 G369 1783/84
Nr.
16 Benjamin Franklin (1706–1790)
Auf Franklin. Nach dem Französischen des du Bourg [Hängt eure Lampen aus, ihr Brüder] Wünsche an das neunzehnte Jahrhundert: eine satyrisch-sentimentalische Apostrophe Das scheidende Jahrhundert Das scheidende Jahrhundert Das 18te Jahrhundert besungen bei seinem Abschiede am 31ten December 1800 [Gläser, die du nicht an deine Lippen bringst] Carmen saeculare Das achtzehnte Jahrhundert[.] Saecularischer Gesang
Unter Franklins Bildniß Empfindungen des Doktor Fränklin bey einem Blicke in die Natur. Aus dem Englischen Lied auf die Geschichte der Blindheit des Fräuleins Paradis Grabschrift An Karl Freiherrn von Hompesch
Titel
3 Übersicht der Gedichte der Lyrikanthologie 589
Jahr
1784 1789 1793 1795 [1798?] 1798 1798 1798 1798 (1800) [1799] 1799
1799 1799/1800 1800 [1800] 1802
G385 G386 G387 G388 G389 G390 G391 G392 G393 G394 G395
G396 G397 G398 G399 G400
G382 1777 G383 1780 G384 1784
Nr. [Willst du ein Beyspiel sehn, o du Tyrannenbruth?] An Themire, als sie unter Washinton zu dienen wünschte Der Prüfstein
Titel
An die Freiheit Sonata/[Willkommen, grosser Held! alhier] An den Selenographen Schröder Luise. Ein ländliches Gedicht in drei Idyllen [Heil Columbia, glücklich Land!] Aufs [sic] Waschingtons Geburtstag Ein Lied, Zur Melodie des Presidenten Marsches [Hört! was der alte Vater sagt] Waschington America’s Vater [In Waschington sieht man vereint] Grabschrift dem Andenken des Generals Georg Washington gewidmet/[Wer durch ein Beyspiel sich zur Tugend reizen will] [Anonym] [Waschington der Mann von Thaten] [1799/1800] Grabschrift auf George Washington [Johann Gottfried Lucas] Hagemeister Auf Washington’s Tod Fr[anz] Lehne Todesfeier Washington’s [Karl Wilhelm Ludwig Freiherr von Drais] An die Wahrheit. Ein Gedicht mit philosophischen Noten über die menschliche Kultur von Diätophilus
[Henrich Miller?] [Heinrich] Wagner Friedrich Leopold Graf zu Stolberg[-Stolberg] [Gotthelf Wilhelm] Rupert Becker [Anonym] (Übers.) [Gerhard Anton von Halem] Johann Heinrich Vo[ß] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] Pauly [= ?]
Autor
17 George Washington (1732–1799; reg. 1789–1797)
590 XII Lyrikanthologie von Texten, die im 18. Jahrhundert (bis 1805) entstanden sind
Jahr
1800 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1802 1802 1802 1803 1804 1805
Nr.
G401 G402 G403 G404 G405 G406 G407 G408 G409 G410 G411 G412 G413 G414 G415 G416
[Anonym] [Anonym] [Anonym] [Anonym] Colonel Kistler Col[onel] Kistler Capt[ain] Kummerer D. Wannemacher Ensign Fries [Anonym] [Anonym] Peter Mehrling Friedrich Hittel [Anonym] [Anonym] [Anonym]
Autor
18 Thomas Jefferson (1743–1799; reg. 1801–1809)
Ein Volks-Lied Neu-Jahr-Wunsch, 1801 [Freyheit lächelt uns nun wieder] Aristocratische Klage über die Präsidenten-Wahl [Jefferson ist der rechte Mann] [Alle wege hört man sagen] [Jefferson ist der rechte Mann] [America du großes Land] [Ich wünsche in America] [Jefferson geht aufrecht und gerad] [Freyheits-Söhne] [Thom(as) Jefferson! Er lebe hoch!] [Da liegt der Stämp zu unsern Füßen] [Jauchzet Brüder jauchzet wieder] Eine Ode zu den Frieden [Auf den Vierten Merz, 1805]/[Freuet euch, ihr Patrioten!]
Titel
3 Übersicht der Gedichte der Lyrikanthologie 591
XIII Literaturverzeichnis 1 Primärliteratur John Adams: Autobiography. Part Two. „Travels and Negotiations.“ 1777–1778. In: Ders.: Diary and Autobiography. Bd. 4. Autobiography Parts Two and Three 1777–1780 (The Adams Papers. Series I). Hg. von L[yman] H. Butterfield – Leonard C. Faber (Mithg.) – Wendell D. Garrett (Mithg.). Cambridge/Massachusetts 1961. Adams Family Correspondence. Bd. 1. December 1761-May 1776. Hg. von L. H. Butterfield – Wendell D. Garrett (Mithg.) – Marjorie E. Sprague (Mithg.). Cambridge/Massachusetts 1963. Joseph Addison: Cato, A Tragedy. In: Ders.: Cato. A Tragey and Selected Essays. Hg. von Christine Dunn Henderson – Mark E. Yellin. Indianapolis, S. 1–99. Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D[ietrich] W[ilhelm] Soltau’s Beyträgen revidiert und berichtiget von von Franz Xaver Schönberger. 4 Bde. Wien 1811. Johann Albrecht: An das Publikum. In: Ders.: Der Deutsche Porcupein, und Lancäster AnzeigsNachrichten (1798). 2. Nummer. 10. 1. 1798, S. [1]. Ders. (Hg.): Der Deutsche Porcupein, und Lancäster Anzeigs-Nachrichten (1798). Johann Friedrich Ernst Albrecht: Die Engländer in Amerika. Ein Schauspiel in vier Aufzügen (Theatertexte. Bd. 3). Hg. von Michael Rüppel. Hannover 1998. Ders.: Die Kolonie. Schauspiel in vier Aufzügen für das churfürstlich-sächsische Hoftheater. Dresden 1792. Wilhelm Alpers: Die Heldenbraut. Ein Gedicht aus dem Amerikanischen Befreiungs-Kriege. New York 1876. Amalia von **: Der Tod des Geliebten. (1782). In: Dies.: Gedichte der Amalia von ** während des nordamerikanischen Kriegs. Hg. von [?] Wetton. Hamburg 1783, S. 29 f. Dies.: Phaon’s Abwesenheit. (1781). In: Dies.: Gedichte der Amalia von ** während des nordamerikanischen Kriegs. Hg. von [?] Wetton. Hamburg 1783, S. 27 f. [Anonym]: [III. Ein Mann, ein verdienstvoller Deutscher]. In: Siegmund Fr[ei]h[e]r[r] von Bibra – [Leopold Friedrich Günther von] Goe[c]kingk (Hgg.): Journal von und für Deutschland 1 (1784). August, S. 84–88. [Anonym]: [Am 8ten dieses verschied in Bethlehem]. In: [Johann] Albrecht – [Jacob] Lahn (Hgg.): Neue Unpartheyische Lancäster Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten (1789). 112. Nummer. 23. 8. 1789, S. [2]. [Anonym]: America’s Freyheit. In: Jacob Schneider (Hg.): Der gemeinüzige Americanische Calender Auf das Jahr Christi 1801. Welches ein gemein Jahr von 365 Tagen ist, Darinnen, nebst richtiger Festrechnung, die Sonn- und Monds-Finsterniße, des Monds Gestalt und Viertel, Monds-Aufgang, Monds-Zeichen, Aspecten der Planeten und Witterung, Sonnen Auf- und Untergang, des Siebengestirns Aufgang, Südplaz und Untergang, der Venus Auf- und Untergang, Courten, Fairen, und andere zu einem Calender gehörige Sachen zu finden. Mit sonderbarem Fleiß nach dem Pennsylvanischen und denen angränzenden Staaten Horizont und Norderhöhe berechnet 1 (1801), S. [31]. [Anonym]: An Account of Mademoiselle Theresa Paradis, of Vienna, the Celebrated Blind Performer in the Piano Forte. In: The London Magazine 4,1 (1785), S. 30–32. https://doi.org/10.1515/9783110644739-013
1 Primärliteratur
593
[Anonym]: Anecdote. In: Anthony Sharp [= ?] (Hg.): The Lancaster Almanack, for the Year of our Lord, 1775: Being the Third after Leap-Year. The fifteenth Year of the Reign of K[ing] George III. Containing The Motions of the Sun and Moon; the true places and aspects of the Planets; the Rising and Setting oft he Sun; the Rising Setting and Southing of the Moon; the Lunations, Conjunctions, Eclipses, Rising Setting and Southing of the Planets; Length of Days; Judgement of the Weather; Festivals and other Remarkable Days; High water at Philadelphia; Tables of Interest; Table of the Value and Weight of Coins; Quakers General Meetings; Fairs, Courts, Roads, [et cetera]. Also, A Number of Useful and Instructing Essays, selected from good Authors: – Among which are, Observations concerning Cider; A new method of dying a beautiful Crimson and Yellow, with Poak-Berries; An excellent method of Pickling Beef, Pork, & A Table shewing the probability of the length [of] Life; On Time and Eternity; Recipes in P[?] and Farrie [?]; Moral Precepts; Aphorisms, [et cetera] [et cetera]. Fitted to the Lattitude of Forty Degrees, and a Meridian of near Five Hours West from London; but may without sensible Error, serve all the Northern Colonies (1775), S. [3]. [Anonym]: Anecdote. In: Gottlob Jungmann (Hg.): Neue Unpartheyische Readinger Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten (1799). 531. Nummer. 17. 4. 1799, S. [2]. [Anonym]: Anekdote. In: Deutsche Monatsschrift 1,3 (1790), S. 10. [Anonym]: Anleitung zur praktischen Uebung der Tugend von Benjamin Franklin. In: [Johann Erich] Biester (Hg.): Berlinische Monatsschrift (1799). 1. Band. Februar, S. 83–109. [Anonym]: [Auf auf ihr Brüder seyd bereit]. In: Johann Ritter (Hg.): Der Readinger Adler (1804). 394. Nummer. 17. 7. 1804, S. [2]. [Anonym]: [Auf Brüder es ist da, die Zeit daß wir abreissen]. In: Karl J. R. Arndt (Hg.): George Rapp’s Separatists/Georg Rapps Separatisten. 1700–1803. The German Prelude to Rapp’s American Harmony Society/Die Deutsche Vorgeschichte von Rapps Amerikanischer Harmonie-Gesellschaft. Worcester/Massachussetts 1980, S. 448 f. [Anonym]: [Auf diesen Tag bedencken wir]. In: Johann Ritter (Hg.): Der Readinger Adler (1805). 445. Nummer. 9. 7. 1805, S. [2] f. [Anonym]: Auf dringendes Ersuchen eines Kunden. In: Gottlob Jungmann (Hg.): Neue Unpar theyische Readinger Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten (1798). 482. Nummer. 8. 5. 1798, S. [3]. [Anonym]: Auf Verlangen eines Zeitungs-Kunden. In: Gottlob Jungmann (Hg.): Neue Unpar theyische Readinger Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten (1799). 531. Nummer. 17. 4. 1799, S. [2]. [Anonym]: [Auf Verlangen eingerückt.]. In: Jacob Schneider (Hg.): Der unpartheyische Readinger Adler (1800). 168. Nummer. 18. 3. 1800, S. [1]. [Anonym]: Aufs [sic] Waschingtons Geburtstag. In: Johann Albrecht (Hg.): Der Deutsche Porcupein, und Lancäster Anzeigs-Nachrichten (1798). 9. Nummer. 28. 2. 1798, S. [3]. [Anonym]: [(Aus dem Lancaster Intelligenzer)]. In: Jacob Schneider (Hg.): Der Readinger Adler (1801). 250. Nummer. 13. 10. 1801, S. [1]. [Anonym]: [Aus der Aurora, den 16[,] July]. In: Matthias Bartgis (Hg.): Hornet. 111. Nummer. 31. 7. 1804, S. [4]. [Anonym]: Aus einem Deutschen Blatt. In: Johann Albrecht (Hg.): Der Deutsche Porcupein, und Lancäster Anzeigs-Nachrichten (1798). 15. Nummer. 11. 4. 1798, S. [4]. [Anonym]: Auszug eines Lieds, von einem Americanischen Grenadier, an die Hessen und andere. Im Jahr 1777. In: [Karl Friedrich Führer]: Wahrheit und Guter Rath, an die Einwohner Deutschlands, besonders in Hessen. Philadelphia 1783, S. 31–35.
594
XIII Literaturverzeichnis
[Anonym]: Auszug politischer Neuigkeiten vom vorigen Monat. In: [Christoph Martin Wieland] (Hg.): Der Teutsche Merkur (1775). 4. Vierteljahr. Oktober, S. 86–90. [Anonym]: [Auszugsschreiben aus Deutschland, vom 10. August 1775]. In: Henrich Miller (Hg.): Pennsylvanischer Staatsbote (1776). 761. Stück. 5. 1. 1779, S. [1] f. [Anonym]: Bekantmachung. In: [Thomas] Barton – [Gottlob] Jungmann (Hgg.): Neue Unparthey ische Readinger Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten (1793). 165. Nummer. 11. 4. 1792, S. [2]. [Anonym]: Beschreibung der vom Herrn Franklin erfundenen Harmonica eines neuen Musicalischen Instruments von Glas. (Aus dem Journal des Dames.). In: Mich[ael] Christ[ian] Bock (Hg.): Hamburgisches Journal 2 (1765). 9. Stück. September, S. 829–833. [Anonym]: Beschreibung von Mount Vernon, dem gewesenen Wohnsitze des verewigten General Waschingtons, ehemaligen Präsident der Vereinigten Staaten. In: J[ohann] Geyer (Hg.): Der Vereinigten Staaten Calender, Auf das Jahr Jesu Christi, 1802. Ein gemeines Jahr von 365 Tagen (1802), S. [27] f. [Anonym]: Betrachtungen über das Processen. In: Christoph Saur II. (Hg.): Der Hoch-Deutsche Americanische Calender, Auf das Jahr Nach der Gnadenreichen Geburt unsers HErrn und Heylandes JEsu Christi 1765. (Welches ein gemein Jahr von 365 Tagen ist.) In sich haltende: Die Wochen-Tage; den Tag des Monats; Tage welche bemerckt werden; Des Monds Aufund Untergang; Des Monds Zeichen und Grad: Des Monds Virtel: Aspecten der Planeten samt der Witterung; des 7 Gestirns Aufgang, Sud-Platz und Untergang; Der Sonnen Aufund Untergang; Der Venus, (des Morgen- oder Abend-Sterns) Auf- und Untergang. Nebst verschiedenen andern Berichten; Erklärung der Zeichen, Aderlaß-Täfflein, Anzeigung der Finsternüsse, Courten, Fären [et cetera] [et cetera]. Eingerichtet von 40 Grad Norder-Breite, sonderlich vor Pensylvanien; Jedoch in denen angrentzenden Landen ohne mercklichen Unterschied zu gebrauchen 27 (1765), S. [16] f. [Anonym]: [Bey voller Becher Klang]. In: Johann Ritter (Hg.): Der Readinger Adler (1804). 393. Nummer. 10. 7. 1804, S. [3]. [Anonym]: Brief eines braunschweigischen Officiers aus Canada an einen Freund in Braunschweig. In: Militair-Wochenblatt 18,865 (1833), S. 4862–486[4]. [Anonym]: [Cambridge, den 16. Jun(i)]. In: [Anonym] (Hg.): Pensylvanische Zeitungen. 1. Stück. 25. 6. 1788, S. [2]f. [Anonym]: Christliches Buß-Lied, gestellt auf den […] 20ten Julius 1775. in Nord-America gehaltenen Fast-Tag. [Philadelphia? 1775]. [Anonym]: [Das Einschreiben zu dieser Zeitung geschiehet dann]. In: He(i)nrich (Henry) Miller (Hg.): Der Wöchentliche Philadelphische Staatsbote. 11. Stück. 29. 3. 1762, S. [1]. [Anonym]: Das Trauer Lied der unterdrückten Freyheit. [S. d. 1775?]. [Anonym]: Den 4ten Julii, 1793/[Jauchzet laut, hoch erfreut!]. In: [Gottlob] Jungmann – [Johann] Gruber (Hgg.): Neue Unpartheyische Readinger Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten (1793). 229. Nummer. 6. 7. 1793, S. [4]. [Anonym]: Der 4te July. In: Johann Ritter (Hg.): Der Readinger Adler (1804). 393. Nummer. 10. 7. 1804, S. [2] f. [Anonym]: Der 4te July. In: Johann Ritter (Hg.): Der Readinger Adler (1804). 394. Nummer. 17. 7. 1804, S. [2]. [Anonym]: [Der Advocat stutirt]. In: Antony Armbrüster (Hg.): Neu-eingerichteter Americanischer Geschichts-Calender, Auf das Jahr Nach der Gnadenreichen Geburt unsers HErrn und Heylandes JEsu Christi 1755. (Welches ein gemein Jahr von 365 Tagen ist.) Darinnen Ordentlich angezeiget werden die Wochen-Tage, der Tag des Monats, der Sonntags Buchstaben, samt denen Evangelien, die Neu-und Alte Zeit, des Monds Viertel,
1 Primärliteratur
595
der Planeten Lauff, und muthmaßliche Witerung, der Sonnen Auf- und Untergang, der Venus (des Morgen- oder Abend Sterns) Auf- und Untergang, des Monds Zeichen und Gerad, dessen Auf- und Untergang, des 7-Gestirns Aufgang, Sud-Platz und Untergang, Erklärung der Zeichen, Auflauffung der fluth [sic] (oder Tide in Philadelphia) Anzeigung der Finsternissen, Aderlaß-Tafel, Courten, Fären, die unglückliche oder verworffenen Tagen, nebst andern Nachrichten und Begebenheiten. Eingerichtet von 40 Gerad Nord-Breite, sonderlich vor Pennsylvanien, doch auch in denen angräntzenden Landen ohne sonderlichen Unterschied zu gebrauchen 2 (1755), S. [4]. [Anonym]: Der hiesige Deutsche. In: Henrich Grimler – Benjamin Grimler (Hgg.): Der Wahre Amerikaner (1804). 1. Nummer. 10. 11. 1804, S. [4]. [Anonym]: Der Unglickliche Walter oder Leiden und Verfolgungen eines Deutschen in Americka. Wien – Prag 1798. [Anonym]: Der Ursprung des Adels. In: Johann Dunlap (Hg.): Der Hoch-Deutsch-Americanische Calender, Auf das Jahr Nach der Gnadenreichen Geburt unsers HErrn und Heylandes JEsu Christi, 1782. (Welches ein Gemein Jahr von 365 Tagen ist.) In sich haltende: Die Wochen-Tage; den Tag des Monats; Tage welche bemerkt werden; des Monds Auf- und Niedergang; des Monds Zeichen und Grad: des Monds Viertel: Aspecten der Planeten, sammt der Witterung; Des 7 Gestirns Aufgang, Sud-Platz und Untergang; Der Sonnen Auf- und Untergang; Der Venus, (des Morgen- oder Abend-Sterns) Auf- und Untergang. Nebst verschiedenen andern Berichten; Erklärung der Zeichen, Aderlaß-Täflein, Anzeigung der Finsternisse, Courten, [et cetera] [et cetera]. Eingerichtet vor 40 Grad Norder-Breite, sonderlich vor Pennsylvanien; Jedoch in denen angrentzenden Landen ohne mercklichen Unterschied zu gebrauchen 44 (1782), S. [21]. [Anonym]: [Der Vierte July]. In: Johann Ritter (Hg.): Der Readinger Adler (1805). 445. Nummer. 9. 7. 1805, S. [2] f. [Anonym]: [Die Bedingungen unter welchen diese Zeitung alle Montag soll heraus kommen, sind wie folgt:]. In: He(i)nrich (Henry) Miller (Hg.): Der Wöchentliche Philadelphische Staatsbote. 1. Stück. 18. 1. 1762, S. [1] f. [Anonym]: Die edle Vergeltung. In: Minerva. Taschenbuch für das Jahr 1814, S. [445]–447. [Anonym]: [Die Eroberung von Charlestown in Süd-Carolina im Jahre 1780. Von einem hessischen Jäger nach eigenen Erlebnissen in Versen beschrieben]/[Noch deckte dürres Gras]. In: [Anonym]: Chronik aus Hessen. Die Eroberung von Charlestown in Süd-Carolina im Jahre 1780. Von einem hessischen Jäger nach eigenen Erlebnissen in Versen beschrieben. In: Feier-Stunden. Beilage der Hessischen Morgenzeitung 7 (1884), S. 57 f.; 8 (1884), S. 60 f. [Anonym]: Die Eroberung von Charlestown. Poetisch beschrieben von einem Anspachischen Iäger in America. [S. d.] 1785. [Anonym]: Die Freiheit Amerika’s: eine Ode. AuszugsWeise, aus der Berlinischen Monatsschrift, Apr[il] 1783, S. 386, In: August Ludwig Schlözer (Hg.): Stats-Anzeigen 4,13 (1783), S. 140–144. [Anonym]: Die Freundschaft im Kloster oder der Amerikanische Flüchtling. [E]nthaltend eine vollständige Beschreibung der Erziehung in Klöstern in hoher und niedrer Kost; der Sitten und Karaktere der Nonnen; den Künsten, deren man sich bedient junge Personen zu dieser Lebensart anzulocken und ihrer traurigen Wirkung auf die menschliche Gesellschaft. Von einem Frauenzimmer. Leipzig 1781. [Anonym]: Die grosse Bundesschaftliche Proceßion, gehalten zu Philadelphia den 4ten July, 1788. In: Carl Cist (Hg.): Americanischer Stadt und Land Calender Auf das 1789ste Jahr Christi, Welches ein Gemeines-Jahr ist von 365 Tagen (1789), S. [33]–[41].
596
XIII Literaturverzeichnis
[Anonym]: Die Hessen in Virginien. In: Johann Bär Söhne (Hg.): Neuer Gemeinnütziger Pennsylvanischer Calender Auf das Jahr unseres Heilandes Jesu Christi 1897, S. [20]. [Anonym]: Die Modesucht. In: Johann Gruber (Hg.): Der neue Nord-Americanische Stadt und Land Calender, Auf das Jahr Christi 1804. Welches ein Schaltjahr von 366 Tagen. Darinnen, nebst richtiger Festrechnung, die Sonn- und Monds-Finsternisse, des Monds Gestalt und Viertel, Monds-Aufgang, Monds-Zeichen, Aspecten der Planeten und Witterung, Sonnen Auf- und Untergang, des Siebengestirns Aufgang, Südplatz und Untergang, der Venus Auf- und Untergang, Courten, Fairen, die Uhr-Tafel und andere zu einem Calender gehörige Sachen zu finden. Nebst einem beygefügten Kurzgefaßten Calender. Hauptsächlich für den Märyländischen Horizont und Nordhöhe berechnet; Jedoch in denen angrenzenden Staaten ohne merklichen Unterschied zu gebrauchen 8 (1804), S. [12]. [Anonym]: D[octor] B[enjamin] Franklins Leben. Tübingen 1795. [Anonym]: Ein Deutscher Yänky Dudel. [S. d. 1775?]. [Anonym]: Ein Lied von dem gegenwärtigen Zustand in America. [Lancaster/Pennsylvania 1774/75?]. [Anonym]: [Ein Nordamerikanischer (sic) Wilder]. In: Auswahl der nüzlichsten und unterhaltendsten Aufsäze. Aus den neuesten Brittischen Magazinen für Deutsche 1 (1784), S. 349–351. [Anonym]: Eine kurtze Beschreibung des berühmten General Wolffs wie solches im Londoner Magazin beschrieben ist. In: Christoph Saur II. (Hg.): Der Hoch-Deutsch Americanische Calender, Auf das Jahr Nach der Gnadenreichen Geburt unsers HErrn und Heylandes JEsu Christi 1761. (Welches ein gemein Jahr von 365 Tagen ist.) In sich haltende: Die Wochen-Tage; den Tag des Monats; Tage welche bemerckt werden; Des Monds Auf- und Untergang; Des Monds Zeichen und Grad: Des Monds Virtel; Aspecten der Planeten, samt der Witterung; Des 7Gestirns Aufgang, Sud-Platz und Untergang; Der Sonnen Auf- und Untergang; Der Venus / (des Morgen- oder Abend-Sterns) Auf- und Untergang. Nebst verschiedenen andern Berichten; Erklärung der Zeichen, Aderlaß-Täfflein, Anzeigung der Finsternüsse, Courten, Fären [et cetera] [et cetera]. Eingerichtet von 40 Grad Norter-Breite, sonderlich vor Pensylvanien Jedoch in denen angrentzenden Landen ohne mercklichen Unterschied zugebrauchen [sic] 23 (1761), S. [39] f. [Anonym]: Eine Negerin zu Verkaufen. In: Henrich Miller (Hg.): Der Wöchentliche Philadelphische Staatsbote, Mit den neuesten Fremden und Einheimisch-Politischen Nachrichten; Samt den von Zeit zu Zeit in der Kirche und Gelehrten Welt sich ereignenden Merkwürdigkeiten (1763). 74. Stück 13. 6. 1763, S. [3]. [Anonym]: Eine nöthige Apologie für die so genanten Knie-Rutscher. In: Michael Billmeyer (Hg.): Der Hoch-Deutsche Americanische Calender, Auf das Jahr 1790. Nach der Gnadenreichen Geburt unsers HErrn und Heylandes JEsu Christi, (Welches ein gemein Jahr von 365 Tagen ist.) In sich haltende: Die Wochen-Tage; den Tag des Monats; Tage welche bemerkt werden; des Monds Auf- und Niedergang; des Monds Zeichen und Grad: des Monds Viertel: Aspecten der Planeten, sammt der Witterung; Des 7 Gestirns Aufgang, Sud-Platz und Untergang; Der Sonnen Auf- und Untergang; Der Venus, (des Morgen- oder Abend-Sterns) Auf- und Untergang. Nebst verschiedenen andern Berichten; Erklärung der Zeichen, Aderlaß-Täflein, Anzeigung der Finsternüsse, Courten, [et cetera] [et cetera]. Eingerichtet vor 40 Grad Norder-Breite, sonderlich vor Pennsylvanien; Jedoch in den angrenzenden Landen ohne merklichen Unterschied zu gebrauchen 6 (1790), S. [8], [10]. [Anonym]: [Ermunterung]. In: Johann Albrecht (Hg.): Der Deutsche Porcupein, und Lancäster Anzeigs-Nachrichten (1798). 30. Nummer. 25. 7. 1798, S. [3].
1 Primärliteratur
597
[Anonym]: Ermunterungs-Lied zur Eintracht. In: [Anton] Stiemer – [Johann] Albrecht – [Jacob] Lahn (Hgg.): Neue Unpartheyische Lancäster Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten (1787). 1. Nummer. 8. 8. 1787, S. [3]. [Anonym]: Es ist zu Verkaufen Eines Verbundenen Mädgens Dienstzeit. In: Henrich Miller (Hg.): Der Wöchentliche Philadelphische Staatsbote, Mit den neuesten Fremden und Einheimisch-Politischen Nachrichten; Samt den von Zeit zu Zeit in der Kirche und Gelehrten Welt sich ereignenden Merkwürdigkeiten (1764). 152. Stück . 10. 12. 1764, S. [3]. [Anonym]: Etwas über stehende Heere. In: Jacob Schneider (Hg.): Der unpartheyische Readinger Adler (1799). 118. Nummer. 2. 4. 1799, S. [1]. [Anonym]: Feyerlichkeit. In: Jacob Schneider (Hg.): Der Readinger Adler (1802). 271. Nummer. 9. 3. 1802, S. [3]. [Anonym]: Feyerlichkeit in Lebanon, Dauphin Caunty. In: Jacob Schneider (Hg.): Der unparthey ische Readinger Adler (1799). 152. Nummer. 26. 11. 1799, S. [1] f. [Anonym]: Foreign News. In: Charles Stanhope (Hg.): The New Lady’s Magazine; Or, Polite, Entertaining, and Fashionable Companion for the Fair Sex: A Work Entirely Devoted to their Use and Amusement 4 (1789). Juni, S. 329 f. [Anonym]: Franklin. In: Die Grille 3 (1812), S. 115–127. [Anonym]: [Freut euch dem Tage]. In: Johann Ritter (Hg.): Der Readinger Adler (1804). 394. Nummer. 17. 7. 1804, S. [2]. [Anonym]: Freyheits Lied. In: Samuel Saur (Hg.): Der Neue Hoch Deutsche Americanische Calender, Auf das Jahr Christi 1804, Welches ein Schalt Jahr von 366 Tagen ist. Darin enthalten Die Wochen-, Monats- und Merkwürdige Tage, des Monden Auf- und Untergang; seine Zeichen, Grade, und Viertel; die Aspecten der Planeten, samt der Witterung; des Siebengestirns Aufgang, Südplatz und Untergang; Auf- und Untergang der Sonne, [et cetera]. Eingereichtet vor 40 Grad Norder-Breite, sonderlich vor Pennsylvanien und Märyland; jedoch in den angrenzenden Staaten ohne merklichen Unterschied zu gebrauchen 1 (1804), S. [27]. [Anonym]: Ein Ernstlicher Ruf an die Deutschen in Pennsylvanien. Lancaster/Pennsylvania [1799]. [Anonym]: Freyheits-Ode. In: Samuel Saur (Hg.): Der Neue Hoch Deutsche Americanische Calender, Auf das Jahr Christi, 1795, Welches ein Gemein Jahr von 365 Tagen ist. Darin enthalten Die Wochen-, Monaths und Mekrwürdige Tage; des Monden Auf- und Untergang; seine Zeichen, Grade, und Viertel; die Aspecten der Planeten, samt der Witterung; des Siebengestirns Aufgang, Sudplatz und Untergang; Auf- und Untergang der Sonne [et cetera]. Eingerichtet vor 40 Grad Norder-Breite, sonderlich vor Pennsylvanien; Jedoch in den angrenzenden Staaten ohne merklichen Unterscheid zu gebrauchen 5 (1795), S. [30]. [Anonym]: Für ältere Literatur und neuere Lectüre [Rezension]. In: [Friedrich Nicolai] (Hg.): Allgemeine deutsche Bibliothek (1785). 62. Band. 1. Stück, S. 302–304. [Anonym]: Für den Deutschen Porcupein. In: Johann Albrecht (Hg.): Der Deutsche Porcupein, und Lancäster Anzeigs-Nachrichten (1798). 15. Nummer. 11. 4. 1798, S. [4]. [Anonym]: Geschichte/[Jüngst, als ich spät, bei Monden Schein, noch für der Haus Tühr saß]. In: Christoph Saur der Jüngere – Peter Saur (Hgg.): Der Hoch-Deutsch Americanische Calender, Auf das Jahr Nach der Gnadenreichen Geburt unsers HErrn und Heylandes JEsu Christi 1778. (Welches ein gemein Jahr von 365 Tagen ist.) In sich haltende: Die Wochen-Tage; den Tag des Monats; Tage welche bemerkt werden; des Monds Auf- und Niedergang; des Monds Zeichen und Grad: des Monds Viertel: Aspecten der Planeten, sammt der Witterung; Des 7 Gestirns Aufgang, Sud-Platz und Untergang; Der Sonnen Auf-
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XIII Literaturverzeichnis
und Untergang; Der Venus, (des Morgen- oder Abend-Sterns) Auf- und Untergang. Nebst verschiedenen andern Berichten; Erklärung der Zeichen, Aderlaß-Taflein, Anzeigung der Finsternisse, Courten, Fären, [et cetera] [et cetera]. Eingerichtet vor 40 Grad Norder-Breite, sonderlich vor Pennsylvanien; Jedoch in denen angrentzenden Landen ohne mercklichen Unterschied zu gebrauchen 40 (1778), S. [23]. [Anonym]: Gespräch zweyer Bauern in Tolpehacken, des Abends bey einem Glaß Wisky und gutem Hickory Feuer am 1ten May, 1778. Erschienen in Der Pennsylvanische StaatsCourier. 6. 5. 1778. In: August Ludwig Schlözer (Hg.): Briefwechsel meist historischen und politischen Inhalts (1778). 3. Teil. 17. Heft, S. 263 f. [Anonym]: [Glück zu zum Neuen Gnaden-Jahr]. In: Henrich (Henry) Miller (Hg.): Der Neueste, Verbessert- und Zuverläßige Americanische Calender Auf das 1767ste Jahr Christi, Welches ein gemein Jahr von 365 Tagen ist. Darin enthalten Die Wochen-, Monaths- und Merkwürdige Tage; des Monden Auf- und Untergang; seine Zeichen, Grade, und Viertel; die Aspecten der Planeten, samt der Witterung; des Siebengestirns Aufgang, Südplatz und Untergang; Auf- und Untergang der Sonnen; nebst der Fluth oder dem hohen Wasser zu Philadelphia; Und andere gewöhnliche Calender-Arbeit. Wie auch Eine kurze Beschreibung aller Europäischen Länder und Staaten, [et cetera] [et cetera]. Vornemlich nach dem Pennsylvanischen Horizont berechnet; Jedoch in den angrenzenden Landschaften ohne merklichen Unterscheid zu gebrauchen 5 (1767), S. [3]. [Anonym]: [Herr Drucker der Hornet]. In: Matthias Bartgis (Hg.): Hornet. 61. Nummer. 16. 8. 1803, S. [4]. [Anonym]: [Herrn Drucker]. In: Johann Albrecht (Hg.): Der Deutsche Porcupein, und Lancäster Anzeigs-Nachrichten (1799). 68. Nummer. 17. 4. 1799, S. [2]. [Anonym]: [Heut ist es sieb’n und zwanzig Jahr]. In: [Anonym]: Republikanische Festlichkeit. In: [Jacob] Schneider – [Johann] Ritter (Hgg.): Der Readinger Adler (1803). 342. Nummer. 19. 7. 1803, S. [3]. [Anonym]: [Hört! was der alte Vater sagt]. In: Johann Albrecht (Hg.): Der Deutsche Porcupein, und Lancäster Anzeigs-Nachrichten (1798). 29. Nummer. 18. 7. 1798, S. [2]. [Anonym]: Jefferson and Liberty. In: Sean Wilentz – Jonathan H. Earle (Hgg.): Major Problems in the Early Republic, 1787–1848 (Major Problems in American History Series). Boston 20082, S. 75 f. [Anonym]: John Adams. In: Jacob D. Dietrich (Hg.): Der neue Nord-Americanische Stadt und Land Calender, Auf das Jahr Christi 1805. Welches ein Schaltjahr von 365 Tagen. Darinnen, nebst richtiger Festrechnung, die Sonn- und Monds-Finsternisse, des Monds Gestalt und Viertel, Monds-Aufgang, Monds-Zeichen, Aspecten der Planeten und Witterung, Sonnen Auf- und Untergang, des Siebengestirns Aufgang, Südplatz und Untergang, der Venus Auf- und Untergang, Courten, Fairen, die Uhr-Tafel und andere zu einem Calender gehörige Sachen zu finden. Nebst einem beygefügten Kurzgefaßten Calender – und einer Tabelle oder Ausrechnung der Pfunde, Schillinge und Pense zu Federal Gelde, das ist, zu Thalern und Cents, [et cetera] [et cetera]. Nach dem Märyländischen Horizont und Nordhöhe berechnet; jedoch in denen angrenzenden Staaten von Virginien, Pennsylvanien und den mehr entlegenen Staaten ohne merklichen Unterschied zu gebrauchen 9 (1805), S. [28]. [Anonym]: Kurtzgefaßte wunderliche kurtzweilige Historien. In: Matthias Bartgis (Hg.): Der Allerneuste, Verbesserte- und Zuverläßige Americanische Reichs-, Staats-, Kriegs-, Siegs- und Geschichts-Calender, Auf das Jahr, nach der Gnadenreichen Geburt unsers HErrn und HEylandes JEsu Christi, 1780. (Welches ein Schalt-Jahr von 366 Tagen ist.) darinen [sic] enthalten Die Wochen-, Monaths- und Merkwürdige Tage; des Monden
1 Primärliteratur
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Auf- und Untergang; seine Zeichen, Grade, und Viertel; die Aspecten der Planeten, samt der Witterung; des Siebengesterns [sic] Aufgang Sudplatz und Untergang; Auf- und Untergang der Sonnen; nebst der Fluth oder dem hohen Wasser zu Philadelphia; Und andere gewöhnliche Calender-Arbeit, wie auch Unterschiedliche kurtzgefaßte wunderliche kurtzweilige Historien; nebst vielen verschiedenen sehr merkwürdigen Stücken, [et cetera] [et cetera]. Vornemlich nach dem Marylandischen Horizont berechnet; Jedoch in den angrenzenden Landschaften ohne merklichen Unterscheid zu gebrauchen 4 (1780), S. [17]–[21]. [Anonym]: Kurzer Unterricht und Anweisung für diejenigen die Toback pflanzen wollen. Lemgo 1779. [Anonym]: Lancäster, den 12[ten] December. In: [Anton] Stiemer – [Johann] Albrecht – [Jacob] Lahn (Hgg.): Neue Unpartheyische Lancäster Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten (1787). 19. Nummer. 12. 12. 1787, S. [3]. [Anonym]: [Lancäster, den 16(.) April.]. In: [Johann] Albrecht – [Jacob] Lahn (Hgg.): Neue Unpar theyische Lancäster Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten (1788). 37. Nummer. 16. 4. 1788, S. [3]. [Anonym]: Lancäster, den 28[.] März. In: Johann Albrecht (Hg.): Der Deutsche Porcupein, und Lancäster Anzeigs-Nachrichten (1798). 13. Nummer. 28. 3. 1798, S. [3]. [Anonym]: Lebens-Beschreibung des Georg Waschington, Esquire, letztherigen Präsidenten der Vereinigten Staaten. [Mit einem wohl getroffenen Kupferstich.]. In: H[enry] Kämmerer – J[oseph] R. Kämmerer (Hgg.): Philadelphisches Magazin, oder Unterhaltender Gesellschafter, für die Deutschen in America. Einschliessend unter den größten Verschiedenheiten achtbarer Dinge, Nachrichten und Abschilderungen der meisten ansehnlichsten Patrioten und merkwürdigsten Personen in Europa und America. Wie auch Glaubwürdige Nachrichten von den meisten wunderbarsten Hervorbringungen, Veränderungen und Begebenheiten, die sich jemals in der Natur und Kunst zugetragen haben, von den frühesten Zeiten bis zu den gegenwärtigen Zufällen diese Zeit, näml[ich] Sonderbare Begebenheiten, Unterhaltende Beschreibungen Entgehungen aus Gefahr, Heroische Abentheuer, Denkwürdige Verrichtungen, Errettungen vom Tode, Merkwürdige Historien, Nachrichten von den Gebräuchen und Manieren, der unterschiedlichen Nationen, Ungewöhnliche Exempel von Stärke, Herzhaftigkeit, langem Leben, [et cetera]. Anecdote, Gedichte, [et cetera]. Sorgfältig gesammlet von den bekanntesten und berühmtesten Historienschreiber, Reisenden, Philosophen und Naturkündiger. Nebst neuen und auserlesenen Geographischen, Historischen, Moralischen und gelehrten Versuchen (1798). 1. Band. 1. Stück, S. [5]–17. [Anonym]: Lied einer Amerikanerinn. In: [Johann Friedrich Wilhelm Otto] (Hg.): Neueste Mannigfaltigkeiten. Eine gemeinnützige Wochenschrift 2 (1779), S. 347 f. [Anonym]: [Man läßt sich zu dieser Zeitung einschreiben]. In: He(i)nrich (Henry) Miller (Hg.): Der Wöchentliche Philadelphische Staatsbote. 69. Stück. 9. 5. 1763, S. [2]. [Anonym]: [Meine Sorgen, Angst und Plagen]. In: Christoph Saur I. (Hg.): Das Kleine Davidische Psalterspiel Der Kinder Zions, Von Alten und Neuen auserlesenen Geistes-Gesängen; Allen wahren Heyls-begierigen Säuglingen der Weisheit, Insonderheit aber Denen Gemeinden des Herrn, zum Dienst und Gebrauch mit Fleiß zusammen getragen, Und in gegenwärtigbeliebiger Form und Ordnung / Nebst einem doppelten darzu nützlichen und der Materien halben nöthigen Register, ans Licht gegeben. Germantown/Pennsylvania 1744, S. 300. [Anonym]: Montgomery Caunty. In: Samuel Saur (Hg.): Die Chesnuthiller Wochenschrift (1791). 28. Nummer. 7. 6. 1791, S. [2].
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XIII Literaturverzeichnis
[Anonym]: [Nachfolgendes vortreffliche Gedichte]. In: [Melchior] Steiner – [Henry] Kämmerer (Hgg.): Americanischer Haus- und Wirthschafts-Calender Auf das 1794ste Jahr Christi, Welches ein gemein Jahr ist von 365 Tagen. Nach dem Pennsylvanischen Horizont berechnet; Jedoch in den angrenzenden Staaten ohne merklichen Unterschied zu gebrauchen 13 (1794), S. [34] f. [Anonym]: Nachrichten von Franklins Leben und Schriften. In: Historisch-politisches Magazin, nebst litterarischen Nachrichten 10,1 (1791), S. [3]–14. [Anonym]: Neujahrs-Wunsch. In: [Jacob] Schneider – [Johann] Ritter (Hgg.): Der Readinger Adler (1804). 366. Nummer. 3. 1. 1804, S. [1]. [Anonym]: Neu-Providenz, (Montgomery Caunty) den 7ten October. In: [Anton] Stiemer – [Johann] Albrecht – [Jacob] Lahn (Hgg.): Neue Unpartheyische Lancäster Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten (1787). 10. Nummer. 10. 10. 1787, S. [2]. [Anonym]: [Newport, (in Rhode-Eyland) den 19(.) August.]. In: Henrich (Henry) Miller (Hg.): Der Wöchentliche Philadelphische Staatsbote, Mit den neuesten Fremd- und EinheimischPolitischen Nachrichten; Samt den von Zeit zu Zeit in der Kirche und Gelehrten Welt sich ereignenden Merkwürdigkeit. 190. Stück. 2. 9. 1765, S. [2]. [Anonym]: Noch etwas von Franklin. In: [Christian Friedrich Daniel] Schubart (Hg.): Chronik (1790). 1. Halbjahr. 52. Stück. 29. 6. 1790, S. 447. [Anonym]: Ode über die Americanische Revolution. In: Samuel Saur (Hg.): Der Neue Hoch Deutsche Americanische Calender, Auf das Jahr Christi, 1795, Welches ein Gemein Jahr von 365 Tagen ist. Darin enthalten Die Wochen-, Monaths und Mekrwürdige Tage; des Monden Auf- und Untergang; seine Zeichen, Grade, und Viertel; die Aspecten der Planeten, samt der Witterung; des Siebengestirns Aufgang, Sudplatz und Untergang; Aufund Untergang der Sonne [et cetera]. Eingerichtet vor 40 Grad Norder-Breite, sonderlich vor Pennsylvanien; Jedoch in den angrenzenden Staaten ohne merklichen Unterscheid zu gebrauchen 5 (1795), S. [29]. [Anonym]: Philadelphia, den 20[.] Dec[ember]. In: Johann Albrecht (Hg.): Der Deutsche Porcupein, und Lancäster Anzeigs-Nachrichten (1799). 104. Nummer. 25. 12. 1799, S. [2] [Anonym]: [Philadelphia, den 27(.) Juny.]. In: Henrich (Henry) Miller (Hg.): Pennsylvanischer Staatsbote. 706. Stück. 27. 6. 1775, S. [1] f. [Anonym]: [Philadelphia, den 28sten Juny.] In: [Jacob] Schneider [Johann] Ritter (Hgg.): Der Readinger Adler (1803). 340. Nummer. 5. 7. 1803, S. [3]. [Anonym]: Poetische Gedancken über das Processen. In: Christoph Saur II. (Hg.): Der HochDeutsche Americanische Calender, Auf das Jahr Nach der Gnadenreichen Geburt unsers HErrn und Heylandes JEsu Christi 1770. (Welches ein gemein Jahr von 365 Tagen ist.) In sich haltende: Die Wochen-Tage; den Tag des Monats; Tage welche bemerckt werden; Des Monds Auf- und Untergang; Des Monds Zeichen und Grad: Des Monds Virtel: Aspecten der Planeten samt der Witterung; des 7 Gestirns Aufgang, Sud-Platz und Untergang; Der Sonnen Auf- und Untergang; Der Venus, (des Morgen- oder Abend-Sterns) Auf- und Untergang. Nebst verschiedenen andern Berichten; Erklärung der Zeichen, AderlaßTäfflein, Anzeigung der Finsternüsse, Courten, Fären [et cetera] [et cetera]. Eingerichtet vor 40 Grad Norder-Breite, sonderlich vor Pensylvanien; Jedoch in denen angrentzenden Landen ohne mercklichen Unterschied zu gebrauchen 32 (1770), S. [16] f. [Anonym]: Präsidenten-Wahl. In: Jacob Schneider (Hg.): Der Readinger Adler (1801). 217. Nummer. 24. 2. 1801, S. [2]. [Anonym]: [Reading, den 13ten December]. In: [Benjamin] Johnson – [Thomas] Barton – [Gottlob] Jungmann (Hgg.): Neue Unpartheyische Readinger Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten (1789). 44. Nummer. 16. 12. 1789, S. [3].
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[Anoynm]: Reading, den 1sten Januar, 1801. In: Jacob Schneider (Hg.): Der Readinger Adler (1801). 210. Nummer. 6. 1. 1801, S. [1]. [Anonym]: Reading, den 3ten März, 1801. In: Jacob Schneider (Hg.): Der Readinger Adler (1801). 218. Nummer. 3. 3. 1801, S. [2]. [Anonym]: Reading, den 5ten April, 1803. In: [Jacob] Schneider – [Johann] Ritter (Hgg.): Der Readinger Adler (1803). 327. Nummer. 5. 4. 1803, S. [2]. [Anonym]: Reading, den 17ten März, 1801. Feyerlichkeit in Bern Taunschip. In: Jacob Schneider (Hg.): Der Readinger Adler (1801). 220. Nummer. 17. 3. 1801, S. [3]. [Anonym]: [Reading, Dienstags, den 24. December]. In: Gottlob Jungmann (Hg.): Neue Unpar theyische Readinger Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten (1799). 567. Nummer. 24. 12. 1799, S. [2]. [Anonym]: Republicanische Festlichkeit. In: Jacob Schneider (Hg.): Der Readinger Adler (1801). 222. Nummer. 31. 3. 1801, S. [3]. [Anonym]: Republicanische Festlichkeit. In: Jacob Schneider (Hg.): Der Readinger Adler (1802). 295. Nummer. 24. 8. 1802, S. [1]. [Anonym]: Republikanische Festlichkeit. In: [Jacob] Schneider – [Johann] Ritter (Hgg.): Der Readinger Adler (1803). 342. Nummer. 19. 7. 1803, S. [3]. [Anonym]: [Rezension Sturm und Drang]. In: Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur. Bd. 14. Lemgo 1778, S. 126–129. Abgedruckt in Jörg-Ulrich Fechner: Dokumente zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte. In: Friedrich Maximilian Klinger: Sturm und Drang. Ein Schauspiel (Reclams Universal-Bibliothek. Bd. 248). Hg. von Jörg-Ulrich Fechner. Bibl. erg. Ausgabe Stuttgart 2008, S. 75–125, hier S. 105–107. [Anonym]: [Rezension Sturm und Drang]. In: Berlinisches Litterarisches Wochenblatt 2 (1777). 47. Stück. 18. 10. 1777, S. 660–663. Ebenfalls abgedruckt in Jörg-Ulrich Fechner: Dokumente zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte. In: Friedrich Maximilian Klinger: Sturm und Drang. Ein Schauspiel (Reclams Universal-Bibliothek. Bd. 248). Hg. von Jörg-Ulrich Fechner. Bibl. erg. Ausgabe Stuttgart 2008, S. 75–125, hier S. 98–100. [Anonym]: [Rezension Sturm und Drang]. In: Theater-Journal für Deutschland. Gotha [1777], S. 166 f. Abgedruckt in Jörg-Ulrich Fechner: Dokumente zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte. In: Friedrich Maximilian Klinger: Sturm und Drang. Ein Schauspiel (Reclams Universal-Bibliothek. Bd. 248). Hg. von Jörg-Ulrich Fechner. Bibl. erg. Ausgabe Stuttgart 2008, S. 75–125, hier S. 77. [Anonym]: [Rezension von:] Luciani Opuscula selecta, edidit Dav. Christoph. Seybold, Prof. Ien. Gothae. sumtibus C. W. Ettingeri. 1774 […]. In: Der Teutsche Merkur 6 (1774), S. 358 f. [Anonym]: Schollenhüpfer – No. 5. In: Johann Ritter (Hg.): Der Readinger Adler (1805). 446. Nummer. 16. 7. 1805, S. [2]. [Anonym]: Schreiben eines Deutschen aus Neuyork vom 21ten Novemb[e]r 1789 an seinen Freund in Deutschland. In: Siegmund Fre[i]herr von Bibra (Hg.): Journal von und für Deutschland 7 (1790). 9. Stück, S. 283 f. [Anonym]: Schreiben eines deutschen Juden an den amerikanischen Präsidenten O* *. Hg. von Moses Mendelssohn [= ?]. Frankfurt a. M. – Leipzig 1787. [Anonym]: Sonata. In: [Johann] Albrecht – [Jacob] Lahn (Hgg.): Neue Unpartheyische Lancäster Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten (1789). 92. Nummer. 6. 5. 1789, S. [3]. [Anonym]: The Farmer and his Son’s return from a visit to the Camp. [Boston? 1775?]. [Anonym]: Thomas Jefferson. In: Jacob D. Dietrich (Hg.): Der neue Nord-Americanische Stadt und Land Calender, Auf das Jahr Christi 1805. Welches ein Schaltjahr von 365 Tagen. Darinnen, nebst richtiger Festrechnung, die Sonn- und Monds-Finsternisse, des Monds Gestalt und
602
XIII Literaturverzeichnis
Viertel, Monds-Aufgang, Monds-Zeichen, Aspecten der Planeten und Witterung, Sonnen Auf- und Untergang, des Siebengestirns Aufgang, Südplatz und Untergang, der Venus Auf- und Untergang, Courten, Fairen, die Uhr-Tafel und andere zu einem Calender gehörige Sachen zu finden. Nebst einem beygefügten Kurzgefaßten Calender – und einer Tabelle oder Ausrechnung der Pfunde, Schillinge und Pense zu Federal Gelde, das ist, zu Thalern und Cents, [et cetera] [et cetera]. Nach dem Märyländischen Horizont und Nordhöhe berechnet; jedoch in denen angrenzenden Staaten von Virginien, Pennsylvanien und den mehr entlegenen Staaten ohne merklichen Unterschied zu gebrauchen 9 (1805), S. [28]. [Anonym]: Timoleon und Waschington. In: Johann Ritter (Hg.): Der Neue, Americanische Landwirthschafts-Calender, Auf das Jahr unsers Heilands JEsu Christi, 1819, welches ein gemeines Jahr von 365 Tagen ist. Darinnen, nebst richtiger Festrechnung, die Sonn- und Monds-Finsterniße, des Monds Gestalt und Viertel, Monds Aufgang, Monds-Zeichen, Aspecten der Planeten und Witterung, Sonnen Auf- und Untergang, des Siebengestirns Aufgang, Südplaz und Untergang, der Venus Auf- und Untergang, Courten, und andere zu einem Calender gehörige Sachen zu finden. Mit sonderbarem Fleiß nach dem Pennsylvanischen und derer angränzenden Staaten Horizont und Norderhöhe berechnet 14 (1819), S. [22]. [Anonym]: To the Public. In: Matthias Bartgis (Hg.): Hornet. 2. Nummer. 29. 6. 1802, S. [1]. [Anonym]: [To true Republicans I’ll sing]. In: [Ders.] (Hg.): The Hornet (1802). 2. Nummer. 29. 6. 1802, S. [1]. [Anonym]: Treuhertzige Warnung für dem Proceß führen. In: Christoph Saur II. (Hg.): Der HochDeutsche Americanische Calender, Auf das Jahr Nach der Gnadenreichen Geburt unsers HErrn und Heylandes JEsu Christi 1764. (Welches ein Schalt-Jahr von 366 Tagen ist.) In sich haltende: Die Wochen-Tage; den Tag des Monats; Tage welche bemerckt werden; Des Monds Auf- und Untergang; Des Monds Zeichen und Grad: Des Monds Virtel: Aspecten der Planeten samt der Witterung; des 7 Gestirns Aufgang, Sud-Platz und Untergang; Der Sonnen Auf- und Untergang; Der Venus, (des Morgen- oder Abend-Sterns) Auf- und Untergang. Nebst verschiedenen andern Berichten; Erklärung der Zeichen, AderlaßTäfflein, Anzeigung der Finsternüsse, Courten, Fären [et cetera] [et cetera]. Eingerichtet von 40 Grad Norder-Breite, sonderlich vor Pensylvanien; Jedoch in denen angrentzenden Landen ohne mercklichen Unterschied zu gebrauchen 26 (1764), S. [16]. [Anonym]: [Tulpehacken, den 18(.) Aug(ust)]. In: [Johann] Albrecht – [Jacob] Lahn (Hgg.): Neue Unpartheyische Lancäster Zeitung, und Anzeigs-Nachrichten (1788). 56. Nummer. 27. 8. 1788, S. [3]. [Anonym]: Ueber Imlay’s Beschreibung von Kentucky. In: [Johann Erich] Biester (Hg.): Berlinische Monatsschrift (1793). 1. Band. Mai, S. 398–416. [Anonym]: [Und dort empfängt ihn Jubelsang]. In: Ders.: Lancäster, den 28[.] März. In: Johann Albrecht (Hg.): Der Deutsche Porcupein, und Lancäster Anzeigs-Nachrichten (1798). 13. Nummer. 28. 3. 1798, S. [3]. [Anonym]: Vaterlandslied. In: [Ders.]: Washingtons Ankunft in Elisium, eine dialogisirte Skizze, von einem Bewunderer des erblaßten Helden; Nebst einigen Gedichten den Zeitläuften gemäs. Allen unverfälschten republicanischen Americanern gewidmet. Lancaster/ Pennsylvania 1800, S. [30]–34. [Anonym]: Verkaufung einer jungen Negerin. In: Henrich Miller (Hg.): Der Wöchentliche Philadelphische Staatsbote, Mit den neuesten Fremden und Einheimisch-Politischen Nachrichten; Samt den von Zeit zu Zeit in der Kirche und Gelehrten Welt sich ereignenden Merkwürdigkeiten (1764). 142. Stück 1. 10. 1764, S. [3].
1 Primärliteratur
603
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XIV Personenregister In das Register aufgenommen wurden historische Personen. Die Ziffern hinter dem jeweiligen Namen verweisen auf die Seitenzahlen im gedruckten Band, die mit dem Buchstaben „G“ [= Gedicht] versehenen Ziffern auf die jeweilige Gedichtnummer im digitalen Lyrikanhang. Dieser ist auf der dem Band beigefügten CD sowie im Internet unter https://www.degruyter.com/ view/supplement/9783110644739_Digitale_Anthologie.pdf einsehbar. Abbt, Thomas (1738–1766) 725 f. Abraham a Sancta Clara (Johann Ulrich Megerle; 1644–1709) 725 Adams, Abigail (1744–1818) 171, 426 Adams, John (1735–1826; reg. 1797–1801) 30, 153, 171, 323 f., 426, 447, 465, 500, 517, 519, G172, G221, G232, G235 f., G238–G241, G253, G258 f., G265, G268, G278, G392 f., G401, G403–G405, G414 Adams, Rahel 173 Adams, Samuel (1722–1803) G172, G217, G235 Addison, Joseph (1672–1719) 35, 324, G328 Adelung, Johann Christoph (1732–1806) 375, 726 Agrippa, Marcus Vipsanius (64/63–12 v. Chr.) 725 Agrippa Postumus, Marcus Vipsanius (12 v. Chr.–14 n. Chr.) G358 Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius (1486–1535) G61 Albrecht (Albright), Johann (John) (1745–1806) 387, 447, 561, 563, 580, 764, G27, G81, G199, G205, G220, G222, G224, G229, G232, G234, G239, G242, G390 Albrecht, Johann Friedrich Ernst (1752–1814) 63, 132, 161, 179, 235 f. Alexander „der Große“ (356–323 v. Chr.) 725, 740, 744 f., G150 Alpers, Wilhelm (1851–1917) 101, 174 Américo, Pedro (1843–1905) 777 Anakreon (ca. 575–ca. 490 v. Chr.) 725 Anckarström, Johann Jakob (1762–1792) G209 Andreae, Johann Valentin (1586–1654) 207 https://doi.org/10.1515/9783110644739-014
Angelus, Silesius (eigentlich Johannes Scheffler) (1624–1677) 365 Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739–1807; reg. 1758–1775) 233, 349, G145 Antes, Heinrich (1701–1755) 368 Antiochos III. (Antiochos Megas; 242–187 v. Chr.; 223–187 v. Chr.) 725 Anton, Christoph (1610–1658) G186 Apel 575, G136 Apollonios von Rhodos (3. Jh. v. Chr.) 725 Archenholz, Johann Wilhelm von (1743–1812) 4, 149, 186, 456, 460 f. Arendt, Hannah (1906–1975) 14 Ariost (1474–1533) 733 Aristophanes (ca. Mitte 5. Jh.–380er Jahre v. Chr.) 178, 725 f. Aristoteles (384–322 v. Chr.) 61, G298 Aristoteles, Pseudo- 726 Armbrüster (Armbruster), Ant(h)on(y) (1717?–1796) 387, 415 f., 558 f., 764 Armbrüster (Armbruster), Gotthard 558, G23 f., G30, G97 Arminius (17 v. Chr.–ca. 21 n. Chr.) 744, G122, G150, G154, G165, G170, G266, G291, G311 Armstrong, John (1758–1843) 203, 205 Arndt, Ernst Moritz (1769–1860) 27 Arnim, Achim von (1781–1831) 537 Arnold, Benedict (1741–1801) 200, 495, 725, G130 Arnold, Gottfried (1666–1714) 366, G5, G320 Arnold, Samuel (1740–1802) G328 Atahualpa/Atabalipa/Atawallpa (ca. 1500– 1533; reg. 1527–1533) G305, G331 Athenaios (ca. 190) 725 f.
XIV Personenregister
Auerbach, Berthold (1812–1882) 466, 512, 515 August „der Starke“ (1670–1733; als Friedrich August I. 1694–1733 Kurfürst von Sachsen; als Friedrich August II. 1697–1706 und 1709–1733 König von Polen und Großherzog von Litauen) G2 Augusta Friederike Luise von Hannover (1737–1813) G127 Augusta von Sachsen-Gotha-Altenburg (1719–1772) 156 Augustinus von Hippo (354–430) 207, 374 Augustus (63 v. Chr.–14 n. Chr.; reg. 27 v. Chr.–14 n. Chr.) 47, 725, 745, G358, G380 Aurand, Peter G279 Babo, Joseph Marius (Franz) (1756–1822) 130, 161, 199, 285 f., Bach, Johann Sebastian (1685–1750) G18, G91, G102, G186 f., G197 Bacon, Francis (1561–1626) 1, 207 Bahrdt, Carl Friedrich (1741–1792) 713 Bailey, Frantz (Francis) (1735?–1815) 387, 419, 445, 560, 764, G176 Bailey, Jacob 752, G232 Baker, Hilary (1746–1798) G232 Balboa, Vasco Núñez de (1475–1519) G336 Balde, Jacob (1604–1668) G298 Bandemer, Susanne von (geb. von Frencklin/ Franklin; 1751–1828) 584, G309 Barbeu-Dubourg, Jacques (1709–1779) G373 Barckhaus-Wiesenhütten, Charlotte von (1756–1823) 350 Bardeleben, Heinrich von 7, 106, 180 Baretti, Guiseppe Marc’Antonio (1719–1789) 725 f. Barralet, John James (ca. 1747–1815) 537 Bartgis (Bärtgis/Bärtges), Matthias (1759–1825) 381, 387, 559–561, 564, 764, G76, G114, G256, G263, G271, G275, G414 f. Bartholdi, Frédéric Auguste (1834–1904) 721 Bartling, von G130 f. Barton, Thomas 561 Basedow, Johann Bernhard (1724–1790) 508 f.
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Baubin, Caspar (1560–1624) G310 Baum, Friedrich G131 Baumann, Johann 764 Baumberg, Gabriele von (1775–1839) G338 Baumgarten, Peter im (1766?–1793/99?) 345, 348–350 Beaumarchais, Pierre-Augustin Caron de (1732–1799) 151 f., 725 Bavius (1. Jh. v./n. Chr.) 725 Bebel (Beppel), Philip 579, G187 Beccaria, Cesare (1738–1794) 725, G381 Beck, Johann (1706–1777) G21 Becker, Gotthelf Wilhelm Rupert (1759–1823) 590, G385 Becker, Hilarius G232 Beckley, John James (1757–1807) G263 Behaim, Martin (1459–1506 [1507?]) G62 Behrens, Carl Friedrich (1701–1747) 568, G36 Beissel, Johann Conrad (1691–1768) 365, 370, 377, G70 Benezet, Anthony (Antoine Bénézet; 1713–1784) 187 f., 357, G13, G30 Benezet, Susanna G13 Bengel, Johann Albrecht (1687–1752) 725 Benner, Johann Hermann (1699–1782) 725 Berbig, Johannes (1884–?) 128 Berger, Daniel (1744–1825) 782 Berkeley, George (1685–1753) 2, G297 Bernard, Francis (1712–1779) G69 Bernstorff, Johann Hartwig Ernst von (1712–1772) G359 Bertuch, Friedrich Justin (1747–1822) 725 Bertuch, Wilhelmine 106 f. Bielfeld, Heinrich A. (1818–1882) 33, 470 Biester, Johann Erich (1749–1816) 466, 476, 478, 480 f., 484, 489, 504, 507, G109 Bilfinger, Georg Bernhard (1693–1750) 725 Billmeyer, Michael (1752–1837) 387, 448, 524, 558, 764, G111, G185 f., G203 Binder, Georg de 580, G206 Bischoff, Johann Nicolaus (1756–1833) G144 Blanchard, Jean-Pierre François (1753–1809) G161, G374 Blumhofer, Max (Maximilian Blaimhofer; 1759–1835) 117 Bode, Johann Joachim Christoph (1731–1793) 495
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XIV Personenregister
Bodmer, Johann Jacob (1698–1783) 191, 588, 725, G328, G358 f. Böhm, Johann 558 Böhme, Jakob (1575–1624) 365, 377, G313 Böhmer, Johann Franz Wilhelm (1753–1788) 106 Böhnisch, Friedrich (1710–1763) 567, G21 Boie, Heinrich Christian (1744–1806) 131, 349–351, 353, 576, 583, 726, G83, G106, G153, G284, G336 Börne, Ludwig (1786–1837) 542 Bösenberg, Johann Heinrich (1745–1828) 90, 297 Böttiger, Karl August (1760–1835) 148 Bol(t)zius, Johann Martin (1703–1765) 571, G78 f. Brachmann, Karoline Louise (1777–1822) 588, G366 Bradford, Andreas 557, 764 Bradford, Cornelia 764 Bräker, Ulrich (1735–1798) 127 Brancas, Duc de Lauraguais, Louis-LéonFélicité de (1733–1824) 725 Brandmüller, Johann 764 Brant, Joseph (Thayendanegea; 1742–1807) G336 Braun [= ?] 575, G128 Braun, Conrad (1710/11–1803) G260 Brawe, Joachim Wilhelm von (1738–1758) 527 Brébeuf, Jean de (1593–1649) G344 Breitinger, Johann Jakob (1701–1776) 725 Brentano, Clemens (1778–1842) 538 Breymann, Friedrich Heinrich Christoph von (gest. 1777) G131 Briggs, Isaac 560, G329 Brockes, Barthold H(e)inrich (1680–1747) 215, 568 f., G37, G61, G369 Brooke, Frances (1724–1789) 726 Brougham, Henry Lord (1778–1868) 442 Bruchhausen, Kaspar (1806–?) 505 Bruckmann, Carl Andreas 764 Brückmann, Carl Andreas 561, 563 Brühl, Gustav (Pseudonym: Kara Giorg; 1826–1903) 172 Brumidi, Constantino (1805–1880) 450 Brutus, Lucius Iunius (gest. 509 v. Chr.?) 457 f., 496, 521 f.
Brutus, Marcus Iunius (85–42 v. Chr.) 725 Brydone, Patrick (1736–1818) 725 Bryzelius, Paul Daniel (1713–1773) 566, G13 Buchfelder, Ernst Wilhelm (1645–1711) G60 Büchner, Georg (1813–1837) 226, G299 Bülow, Dietrich Heinrich von (1757–1808) 4, 135, 149, 201, 443, 456, 462 Bürger, Gottfried August (1747–1794) 27, 466, 511, 516, 553, G224 Buerkli, Johannes (1745–1804) G401 Büttner, Gottlob (1716–1745) 585, G327 Burgoyne, John (1722–1792) 495, 790, G109, G128, G130 f., G135, G138, G143, G171, G175, G178–180, G269 Buri, Ernst Karl Ludwig Isenburg (1747–1806) 494 Burney, Charles (1726–1814) G370 Burr, Aaron (1756–1836) 582, G250–252, G271, G401, G403, G406 f. Bush, George W. (geb. 1946; reg. 2001–2009) 31 Butz, Caspar (1825–1885) 35, 46 f. Byron, John (1723–1786) 725 Cabot(o), Giovanni (John) (ca. 1450–1498) G155 Cabot(o), Sebastian(o) (zw. 1474 und 1484–1557) G155, G336 Cäcilia von Rom (ca. 200–ca. 230) G370 Caesar, Gaius Iulius (100–44 v. Chr.) 31, 375, 725, 744 f., G125, G150, G164, G387 Calderón de la Barca, Pedro (1600–1681) G307 Campanella, Tomasso (1568–1639) 207 Campbell, Second Duke of Argyll, John (1680–1743) 419 Campe, Joachim Heinrich (1746–1818) G103, G225 Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (1757–1828; reg. 1758/1775–1828) 233, G145, G290 Carl Eugen (1728–1793; reg. 1737–1793) 95, 535, G116, G162, G197, G285, G291 Carleton, 1. Baron Dorchester, Guy (1724–1808) G130 Caroline von Brandenburg-Ansbach (1683–1737) G127
XIV Personenregister
Carpenter (Zimmermann), Henry (Henrich) (1713–1773) G223 Carpenter, John (1737–1798) G223 Carracci, Annibale (1560–1609) 719 Cartier, Jacques (1491–1557) G335 Cartouche (Louis Dominique Garthausen/ Louis Bourguignon; aus Frankreich; 1693–1721) 725 Carver, Jonathan (1710–1780) G345 Cato d. Ä., Marcus Porcius (234–149 v. Chr.) 725, G387 Cato d. J., Marcus Porcius (95–46 v. Chr.) 35, 725, G387 Cavendish, Henry (1731–1810) G161 Cellarius, Christoph (1638–1707) 725 Cervantes Saavedra, Miguel de (1547–1616) 725 f., 744, 750 Chapman, John Gadsby (1808–1889) G358 Charlotte von Mecklenburg-Strelitz (1744–1818) G28, G90, G287 Chodowiecki, Daniel (1726–1801) 782 Christian VII. (1749–1808; 1766–1808) 725 Chrysostomos, Johannes (ca. 349–407) 725 Cicero (106–43 v. Chr.) 31, 323, 375, G150, G301 Cincinnatus, Lucius Quinctius (ca. 519–430 v. Chr.) 40, 205, 458–462, G103, G299 Cinq-Mars, Henri Coiffier de Ruzé, Marquis de (1620–1642) 725 Cist, Carl (= Charles Jacob Sigismund Thiel; 1738?–1805) XI, 13, 111, 322, 387, 494, 560 f., 764, G154, G161, G233 Clark, William (1770–1838) 136 Claudius, Matthias (1740–1815) 191, 580, 583, 587, G220, G289, G331, G352 Clay, Henry (1777–1852) 211 Clemens XIII. (1693–1769; reg. 1758–1769) G69 Clemens XIV. (1705–1774; reg. 1769–1774) G69, G99 Clinton, Henry (1730–1795) 154, 725, G128, G138, G146, G269 Clinton, Hillary (geb. 1947) 31 Cochin, Charles-Nicholas (1715–1790) 783 Collinson, Peter (1694–1768) 360 f., 482, 552 Collyer, Joseph (1714–1776) 136, 726
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Colman d. J., George (1762–1836) G328 Conway, Thomas (1735–1800?) 725, G180 Cook, James (1728–1779) 135, G77, G359 Cooper, James Fenimore (1789–1851) 274, G321 Copley, John Singleton (1738–1815) G109 Corbin, Margaret (1751–1800) 171 Cornwallis, Charles (1738–1805) 60, 495, 578, 789, G107, G179, G269 f. Cortés, Hernán (1485–1547) 75 f., 87, 588, 725, G62, G64, G87, G301, G336, G356, G358, G360 Cossart, Theophilus 560 Coupée, Francis 764 Cramer, Carl Friedrich (1752–1807) 471, G302 Crell, Joseph 764 Crèvecoeur, Michel-Guillaume Jean de (John Hector St. John; 1735–1813) 185–187, G82, G297, G325, G347, G355 Cromwell, Oliver (1599–1658) 460, G92 Crugot, Martin (1725–1795) 725 f. Cruks(c)hank, Joseph 560, 764 Currier, Nathaniel (1813–1888) 778 Dalibard, Thomas-François (1709–1778) 482 f. Damokles (4 Jh. v. Chr.?) 725 Danner, Heinrich 581, G249 Dante Alighieri (1265–1321) G398 Danton, Georges (1759–1794) G299 Darragh, Lydia (1728–1789) 170 Decatur d. Ä., Stephen (1751–1808) 581, G231 Decker, Jeremias de (1609–1666) 588, G356 Defoe, Daniel (1660–1731) 266, G36 De Foreest, Hendericus 764 Delacroix, Eugène (1798–1863) 49 Denis, Johann Nepomuk Cosmas Michael (1729–1800) 584, G304 Dennstedt, Georg Andreas Friedrich Emanuel von (gest. 1741) 568, G45 d’Éon, Charles de Beaumont, Chevalier (1728–1810) 725 d’Estaing, Jean-Baptiste Charles Henri Hector, Comte (1729–1794) 725, G136
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XIV Personenregister
Destouches, Philippe Néricault (1680–1754) 750 Devarius (Devaris), Matthaeus (ca. 1505–1581) 725 f. Dick, Johann Tobias (1746–1786) 85, 576 f., G123, G139 f., G163 f., G170 Dickson, Robert 764 Dickson, William 764 Diderot, Denis (1713–1784) 300, G91, G343 Dietelmair, Johann August (1717–1785) 725 Dietrich, Jacob D. (1778–1838) 387, 562, G414 Diodoros (1. Jh. v. Chr.) G166, G298 Diogenes von Sinope (412/403–ca. 324/321 v. Chr.) 725, G92 Dober, Anna (1713–1739) G17 Dodd, William (1729–1777) 725 Döhla, Johann Conrad (1750–1811) 75, 91, 93, 126–128, 160, 165 f., 180 f., 193, 341, 445 f., 483, 577, G128, G130 f., G133, G136, G158, G160, G179, G337 Doernenburg, Emil (1880–1935) 152, 172, 499 Dohm, Christian Wilhelm von (1751–1820) 11, 213 Domitian (Titus Flavius Domitianus; 51–96; reg. 81–96) 725 Donop, Karl Emil Ulrich von (1732–1777) 577, G123, G132, G163 f. Dorsch, Eduard (1822–1887) 499, 503 Drais, Karl (1785–1851) G400 Drais, Karl Wilhelm Ludwig Freiherr von (1755–1830) 590, G400 Drake, Francis (ca. 1540–1596) G359 Drakenberg, Christian Jacobsen (angeblich 1626–1772) 725 Drescher, Martin (1863–1918?/20?) 178 Drese, Adam (1620–1701) G13, G47 Dreßler, Ernst Christoph (1734–1779) 725 Duane, William (1760–1835) G241 Düring, Marie Ulrike von (geb. von Lindau; 1761–1832) 350 Dufriche-Valazé, Charles Éléonor (1751–1793) G299 Dunlap, John (1747–1812) 558, 560, G234 d’Urfé, Honoré (1568–1625) 726
Ebeling, Christoph Daniel (1741–1817) G345 Ebell, Georg August (1745–1824) Eckermann, Johann Peter (1792–1854) 481, G345 Edwin, David (1776–1841) 450 Ehrenpreis, Paul [= ?] 584, G299 f. Ehrenstein, Albert (1886–1950) 257 Eiffel, Gustave (1832–1923) 721 Einem, Johann Konrad von (gest. 1799) G373 Eisen von Schwarzenberg, Johann Georg (1717–1779) 725 Elisabeth (Jelisaweta Petrowna Romanowa; 1709–1762; reg. 1741–1762) 750, G28 Elizabeth I. (1533–1603; reg. 1558–1603) 725, G35, G62 Elwert, Anselm (1761–1825) 184, 191 f., G354 Embser, Johann Valentin (1749–1783) 109 Emmerich, Roland (geb. 1955) 261 Engelschall, Joseph Friedrich (1739–1797) 164, 293, 574, G119 Ennius, Quintus (239–169 v. Chr.) 492, 495 Epikur(os) (342/341–271/270 v. Chr.) 725, 750 Erasmus von Rotterdam, Desiderius (1466/67/69–1536) 726 Erbschloe, Reinhard (gest. 1884) 379 Erckert, Ludwig Heinrich Vollrath (gest. 1777) G128 Erhard, Christian Daniel (1759–1813) 324 f. Erhard, Johann Benjamin (1766–1827) 446 Eschenburg, Johann Joachim (1743–1820) 227 Ettinger, Carl Wilhelm (1741–1804) G381 Ettwein, Johannes (1721–1802) 580, G200, G217 Ettwein, Johanneta Maria (1725–1789) G200 Fabius Maximus Verrucosus, Quintus („Cunctator“; ca. 275–203 v. Chr.) 153, 456–458, 492, 495 f., 725 Fabricius, Sebastian Andreas (1716–1790) 571, G79 Fajardo, Francisco (1620–1623) G36 Fallersleben, Hoffmann von (1798–1874) G109 Faust, Henry 6 Favart, Charles-Simon (1710–1792) 726
XIV Personenregister
Fawcett, William (1728–1804) 132, 725, G138 Feind, Barthold (1678–1721) 568, 588, G35, G356 Fénelon, François (François de Salignac de La Mothe-Fénelon; 1651–1715) 750 Fenner, Heinrich Christoph G150 Fennig, Daniel 726 Fenning, Daniel (1714/15–1767) 136 Ferdinand II. „der Katholische“ (1452–1516; reg. 1474–1516) G356, G358, G363 Fergusson, Elizabeth Graeme (1737–1801) G204 Feßler, Ignatius Aurelius (1756–1839) 450 Fick, Heinrich Hermann (1849–1935) 172 Fielding, Henry (1707–1754) 726 Fischer, Gottlob Nathanael (1748–1800) 14, 465, 468, 471, 481, 524, 531, 533, 589, G355 Flaccius, Matthias („Illyricus“; 1520–1575) 725 Folard, Jean-Charles de (1669–1752) 725 Forney, Susannah (1713/16–1785) G223 Forster, Georg (1754–1794) IX, 16, 23, 38, 106, 135, 460, 466 f., 473, 475–477, 480, 507 f., 514, 725, G27 Forster, Josef 564, G282 Forster, Reinhold (1729–1798) 725 Forster, Therese (geb. Heyne, in zweiter Ehe Huber; 1764–1829) 16, 460 Francke, August Hermann (1663–1727) 725, G79, G134 Francke, Gotthilf August (1696–1769) G78–G80, G191, G241 Fragonard, Jean-Honoré (1732–1806) 486 Frankl, Ludwig August (1810–1894) 312 Franklin, Benjamin (1706–1790) IX, 14, 16, 22 f., 32, 37 f., 59, 79, 107, 109, 111, 129, 151–153, 234, 251, 285, 288, 293 f., 296, 308, 310, 352, 358–361, 383, 386, 393, 403, 412 f., 454, 464–541, 552–558, 565, 579, 589, 718, 725, 744, 764, 774 f., 777–784, G30, G93, G111, G188 f., G195, G223 f., G241, G255, G272, G299, G304 f., G309, G355, G368–G381, G388, G399 Franklin, William (ca. 1730–1813) 496
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Franklin, William Temple (1762–1823) 477, 555 Franklin Bache, Benjamin (1769–1798) G224, G241, G271 Franz, Ignaz (1719–1790) 536, G186 Franz I. Stephan (1708–1765; reg. 1745–1765) G95, G116, G209 Franz(iskus) von Assisi (1181/82–1226) 725 Fraser, Simon (1729–1777) G131 Frémin, Jacques (1628–1691) G344 Frenzel, Carl Wilhelm Theodor (1827–1914) 42, 150, 203, 205, 221, 444, 452, 456 f., 462 f. Freundstein, Henriette Waldner von (Henriette von Oberkirch; 1754–1803) 328, 343, 749 Freytag, Gustav (1816–1895) 105 Friedrich August von BraunschweigWolfenbüttel (1740–1805) G124 Friedrich II. (Landgraf von Hessen-Kassel) (1720–1785; reg. 1760–1785) 102, 345, 350, G120 f., G123, G125, G132, G138, G142–G144, G161, G164 Friedrich II. „der Große“ (1712–1786; reg. 1740–1786) 525, 725, G28, G69, G71, G112, G144, G299, G330 Friedrich V. „der Gute“ (1723–1766; reg. 1746–1766) G359 Friedrich Karl August (1743–1812; reg. 1763–1812) G143 Fries, Ensign 591, G409 Fries, John (ca. 1750–1818) G236, G242 Friis, Johann Jakob/John Jacob (1708–1793) 567, G26 Fritsch, Ahasverus (1629–1701) 567, G14, G18, G20 Frölich, Henriette (1768–1833) 146 Füger, Heinrich (1751–1818) 781 Führer, Karl Friedrich (1756–1794) 91, 111, 322 Gage, Thomas (1719/20–1787) 423, G103, Gallatin, (Abraham Alfonse) Albert (1761–1849) G241, G414 Gama, Vasco da (ca. 1460er Jahre–1524) G301 Gasset, José Ortega y (1883–1955) 319
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XIV Personenregister
Gast, John (1842–1896) G297 Gates, Horatio (1726–1806) 203, 495, 521, 575, 578, 725, G130, G171, G175, G180, G269 f. Gatti, Giovanni Angelo (1724–1798) 725 Gedike, Friedrich (1754–1803) 589, G109, G380 Geller, W. O. 781 Gellert, Christian Fürchtegott (1715–1769) 155, 240, 363, 569, 585, 725 f., G65, G81, G328 Gemmingen, Otto Heinrich Freiherr von (1755–1836) 85, 126, 310 Georg II. (Georg August von Hannover [Braunschweig-Lüneburg]; 1683–1760; reg. 1727–1760) G27, G84, G110, G127, G299 Georg III. (1738–1820; reg. 1760–1820) 42, 111, 417, 421, 472, G28, G89–G92, G95, G99, G103, G112, G123 f., G125, G130, G132, G135, G155, G164, G170, G179, G222, G242, G287, G299, G404 Georg IV. (1762–1830; reg. 1811/1820–1830) G28, G179, G222 Gérard, Conrad Alexandre (1729–1790) 725 Gérard, Marguerite (1761–1837) 486 Gerhardt, Paul (1607–1676) 366, 373, 726, G14, G44, G70, G187 Gerning, Johann Isaac Freiherr von (1767–1837) 491, 589, G381 Gerrisch, Georg 384, 387, 562, G273 Gerstenberg, Heinrich Wilhelm von (1737–1823) 725 Gesner, Johann Augustin Philipp (1738–1801) 725 Gessner, Salomon (1730–1788) 363, 725 f., G299, G328 Geyer, Johann 563 Glauch, Hermann (1855–?) 145 Gleim, Johann Wilhelm Ludwig (1719–1803) 27, 64, 583, 725 f., G294 Goebel, Julius (1857–1931) 130, 317, 366, 462 f., G87, G130 f., G179 Göchhausen, Luise von (1752–1807) 329, 737 Goe(c)kingk, Leopold Friedrich Günther von (1748–1828) 84, 130, 213, 578, G117, G148 f., G153, G289
Göschen, Georg Joachim (1752–1828) G381 Goethe, Johann Wolfgang (1749–1832) VII, 4 f., 68, 84, 90, 96, 130, 230–234, 240 f., 245, 284, 301, 327–331, 343–345, 348 f., 352, 363, 465, 511, 542, 573, 576, 583, 726, 749 f., G82, G104, G145, G178, G295, G328, G345 Goetz, Gustav Friedrich (1765–?) 580, G209 Götz von Berlichingen (ca. 1480–1562) 725 Goeze, Johann August Ephraim (1731–1793) G347 Goeze, Johann Melchior (1717–1786) 725 Gore (General) G151 Gotter, Luise 106 f. Gottschall, Rudolf von (1823–1909) 227, 230, 237, 301 Gottsched, Johann Christoph (1700–1766) 35, 725, G62, G92 Gouges, Olympe de (1748–1793) 180 Grabbe, Christian Dietrich (1801–1836) 226, G122 Gräve (Graevius), Johann Georg (1632–1703) 725 Graff, Johann Michael (1714–1782) 568, G51 Grant, Ulysses S. (1822–1885; 1869–1877) 459 Grebner, Konstantin (1830–1907) 348, 444 Greeley, Horace (1811–1872) G297 Greene, Nathanael (1742–1786) G270 Gregor, Christian (1723–1801) 571, G82 Gregor, Christiane (1760–?) 571, G82 Gregor, Marg. Susanna (geb. Rasch; 1725–1799) G82 Grenville, Richard (1542–1591) Grim, Jacob G184 Grimler, Benjamin (1778?–1832) 362, 564, G264, G272, G277, G416 Grimler, Henrich (1777?–1814) 362, 564, G264, G272, G277, G416 Grimm, Jacob (1785–1863) 726 Grimm, Wilhelm (1786–1859) 726 Grimmelshausen, Hans Jacob Christoffel von (1621/22–1676) 122 Großmann, Gustav Friedrich Wilhelm (1743–1796) 339 Gruber, Carl Anton von (1760–1840) 584, G311
XIV Personenregister
Gruber, Johann (1768–1857) 432, 561 f. Gruber, Johann Adam (1693–1763) 371 Grünbeck, Esther (1717–1796) 568, G40 Grundherr, Herr von 446 Gruter, Janus (1560–1627) 725 Gryphius, Andreas (1616–1664) 726 Guichard, Charles (Quintus Icilius; 1724–1775) 725 Gumprecht, Moses (1722–1802) 547 Gundlach, Karl (1852–?) 102, G109, G182 Gundolf, Friedrich (1880–1931) 241 f. Gustav II. Adolf (1594–1632; reg. 1611–1632) 725, G209 Gustav III. von Schweden (1746–1792; reg. 1771–1792) 109, G209 Häberlin, Johann Friedrich (1753–1790) G109 Häberlin, Karl Friedrich (1756–1808) G109 Händel, Georg Friedrich (1685–1759) G370 Hagedorn, Friedrich von (1708–1754) 363, 725 f. Hagemann, Friedrich Gustav (1760–vor 1835) 86, 127, 298 Hagemeister, Johann Gottfried Lucas (1762–1806) 450, 452, 590, G398 Hale, Nathan (1755–1776) 34 f. Halem, Gerhard Anton von (1752–1819) 584, 590, G307, G343, G387 Hall, Ann (1792–1863) 721 Haller, Albrecht von (1708–1777) 363, 585, 588, 725 f., G62, G317 f., G357 Hamilcar Barkas (gest. 229/228 v. Chr.) G150 Hamilton, Alexander (1755/57–1804) 256 f., 465, 582, G241, G250 f., G271 Hancock, John (1737–1793) 425, 460, 465, 725, G217 Hannibal Barkas (247/46–183 v. Chr.) G150 Hanno „der Große“ (3. Jh. v. Chr.) G150 Hardenberg, Karl August von (1750–1822) 123 Harenberg, Johann Christoph (1696–1774) 725 Hark, J. Max 376 Harles, Gottlieb Christoph (1738–1815) 725 Harrington, James (1611–1677) 323–325, 745
701
Harsdörffer, Georg Philipp (1607–1658) 726 Hartknoch d. J., Johann Friedrich (1768/69–1819) 473 Hashagen, Justus 313 Hasselbach, Nicholas 559, 752 Hawthorne, Nathaniel (1804–1864) 449 Haydn, Joseph (1732–1809) G370 Haym, Rudolf (1821–1901) 494 Hebel, Johann Peter (1760–1826) G30 Heckewälder, Johann Gottlieb Ernst (Heckewelder; 1743–1823) 365, G82 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770–1831) 88, 93, 318–321 Hehl, Matthäus Gottfried (1705–1787) G6, G49, G192 Heine, Heinrich (1797–1856) 542 Heinrich IV. (1553–1610; reg. 1572/1589–1610) 725 Heinrich von Preußen (Prinz Friedrich Heinrich Ludwig von Preußen; 1726–1802) 725 Heinse, Johann Jakob Wilhelm (1746–1803) 255 f. Heinsius, Theodor (1770–1849) 575, G119 Heister, Leopold Philipp von (1716–1777) 575, G123, G125, G143, G163 f. Helmbold, Georg 563, 764 Helmuth, Justus Henry Christian (1745–1825) 579 f., 586, G188 f., G214, G339 Helvétius, Claude Adrien (1715–1771) 280 f., 294, 744 Hemings, Sally (ca. 1773–1835) 182 Hennemann, Johann Konrad 726 Henning, Aegidius (ca. 1630–ca. 1682) 124 Henry, Patrick (1736–1799) 33 Hephaiston 744 Herakleidas Pontikos d. Ä. (ca. 390–nach 322 v. Chr.) 725 Herder, Johann Gottfried (1744–1803) IX, 88, 94, 188 f., 240, 309, 473–477, 480, 490, 495, 500 f., 503, 509–511, 513–515, 517, 522, 583 f., 586–588, 725, G118, G283, G297, G298, G301, G328, G344, G355, G361, G381 Herder, Maria Karoline (Carolina) (geb. Flachsland; 1750–1809) 480 Herel, Johann Friedrich (1745–1800) G109 Heringen, Heinrich Anton 180
702
XIV Personenregister
Hermes, Johann Timotheus (1738–1821) 726 Hernández de Toledo, Francisco (1514/1517–1587) G298 Herre, Johann Friedrich Herwig, Johann Justus (1742–1801) 69, 725 Hesiod(os) (8. Jh. v. Chr.) 725, G105, G298 Heym, Georg (1887–1912) 256 f. Heym, Johann Ernst G127 Hieronymus (347–420) G297 Hiester, Joseph (1752–1832) G405 Hildebrand, Johannes (1679–1765) 377–379 Hiller, Friedrich Conrad (1662–1726) 726 Hiller, Johann Adam (1728–1804) G257 Hinsberg, Joseph von (1764–1836) 582, G266 Hippel, Theodor Gottlieb von (1741–1796) 465, 496 Hippokrates von Kos (ca. 460–ca. 370 v. Chr.) 725 Hirzel, Hans Caspar (1725–1803) 726 Hittel, Friedrich 591, G258, G413 Hobbes, Thomas (1588–1679) G317, G359 Höpfner, Ludwig Julius Friedrich (1743–1797) 232 f. Hoffmann, E.T.A. (1776–1822) 542 Hoffmann, Friedrich (1660–1742) 725 Holland, Samuel 764 Hollenberg, Georg Heinrich (1752–1831) 544, G299 Hollmann, Samuel Christian (1697–1787) 548, G84 Homer(os) (8. Jh. v. Chr.?) 3, 69, 148, 241, 725 f., 744 f., G83, G165, G305, G337, G363, G369, G388 Hompesch-Bollheim, Karl Freiherr von (gest. 1812) 589, G372 Hopkinson, Francis (1737–1791) G198 Hopkinson, Joseph (1770–1842) 433, G100, G389 Horaz (Quintus Horatius Flaccus; 65–8 v. Chr.) 61 f., 725 f., 744 f., G150, G166, G265, G297, G299, G337, G348, G369, G380 Horrer, Georg Wilhelm G62 Houdon, Jean-Antoine (1741–1828) 486 Howe, William (1729–1814) 26, 41, 154, 183, 578, 725, G103, G123, G138, G141, G164, G170
Huayna Cápac/Wayna Qhapaq (ca. 1467–1525/27; reg. 1493–1525/27) G331–G333 Hudson, Henry (1565–1611) G283 Hübner, Susanna (1750–1818) 579, G183 Huth, Adam (1696–1770) 725 Hütter, Christian Jacob 564 Hüttner, Johann Christian (1766–1847) 442 Hume, David (1711–1776) 725 Hymmen, Johann Wilhelm Bernhard (1725–1787) G257 Ickstatt, Johann Adam Freiherr von (1702–1776) 725 Ignatius von Loyola (1491–1556) G28, G69 Isabella I. von Kastilien (1451–1504; reg. 1474–1504) 725, G356, G358, G363 Iselin, Isaak (1728–1782) 13 Iulia (Tochter des Augustus) (39 v. Chr.–14 n. Chr.) G358 Ives, James Merritt (1824–1895) 778 Jacobi, Friedrich Heinrich (1743–1819) 511 Jacobi, Johann Georg (1740–1814) 725 f. Jäger, Georg David (1712–1779) 725 Jakob I. (1566–1625; reg. 1567/1603–1625) G62 Jakob II. (1633–1701; reg. 1685–1688/1701) Jay, John (1745–1829) 500, 725, G239, G251 Jean Paul (eigentlich: Johann Paul Friedrich Richter) (1763–1825) 542 Jefferson, Martha Skelton Wayles (1748–1782) Jefferson, Thomas (1743–1826; reg. 1801–1809) 38, 72, 80, 111, 136, 161, 182, 211, 310, 324, 347, 465, 501, 518 f., 565, 591, G190, G213, G221, G238 f., G241 f., G250–G252, G255, G257–G259, G262, G265, G268, G270 f., G273, G275 f., G401–G416 Jenisch, Daniel (1762–1804) 531, 583 f., 589, G109, G292, G305, G375 Johann II. (1455–1495; reg. 1481–1495) G363 Johnson, Benjamin 561 Johnson, Jacob 764 Jolly 781 Jones, John Paul (1747–1792) 236, 578, G181
XIV Personenregister
Jones, William (1760–1831) G403 Joseph II. (1741–1790; reg. 1765–1790) 310, G69, G71, G112, G116, G144, G165, G209, G311 Jungmann, Gottlob (1757?–1833) 387, 432, 447, 561, 563, G237 f. Junkheim, Johann Zacharias Leonhard (1729–1790) 725 Justi, Johann Heinrich Gottlob von (1717/20–1771) 313 Justi, Karl Wilhelm (1767–1846) 126 Justin der Märtyrer (ca. 100–165) G196 Kämmerer, Henry (gest. 1797?) 560, 562 f., 752, G105, G107 f., G218 f., G339 Kämmerer, Joseph R. (1777?–1812) 441, 562 f., G105, G107 f., G339 Kästner, Abraham Gotthelf (1719–1800) 198, 548, 571, G84, G299 Kalfus, Berthold 204 f. Kant, Immanuel (1724–1804) 23, 281, 488, 491 Kapp, Friedrich (1824–1884) 59, 129, G120, G123–G125, G127 f., G130, G132 f., G136– G138, G141–G144, G146, G158 f., G161, G164, G269, G276 Karl I. (1600–1649; reg. 1625–1649) 725, G92 Karl I. (Braunschweig-Wolfenbüttel) (1713–1780; reg. 1735–1780) G124, G130, G143 Karl II. (1630–1685; reg. 1660–1685) 357, G1 Karl III. (1716–1788; reg. 1735–1759, 1759–1788) G69, G93 Karl VI. (1685–1740; reg. 1711–1740) 786 Karl XII. (1682–1718; reg. 1697–1718) 725 Karl Alexander von Ansbach-Bayreuth, Christian Friedrich (1736–1806; reg. 1757/1769–1791) 78, 98 f., 123, 127 f., 725, G62, G127 f., G133, G136 f., G146, G158, G179 Karl „der Große“ (747/48–814; reg. 768–814) G297 Karl Friedrich (1728–1811; reg. 1738–1811) 94, 322 Karl Wilhelm Ferdinand (1735–1806; reg. 1780–1806) G127 Kastrioti, Gjergj (1405–1468) 725
703
Katharina II. „die Große“ (1729–1796; reg. 1762–1796) 100, 725, G69, G71, G112, G181, G209, G381 Kaufmann, Angelika (1741–1807) 479 Kaufmann, Christoph (1753–1795) 229, 232 Kayser, Philipp Christoph (1755–1823) 254 f. Kell, Julius (1813–1849) 515, 556 Keller, Valentin 583, G280 Kelpius, Johann(es) (1673–1708) 365 Keppner, Johann G276 Ketelhodt, Christian Ulrich von (1701–1777) 725 Kier(r)ulf, Carl Andreas (gest. 1838) 183, 460 Kircher, Athanasius (1602–1680) 1 Kistler, Colonel 591, G405 f. Klein, Anton (von) (1746–1810) 589, G369 Klein, Georg 764 Klein, Philip 583, G279 Kleist, Ewald Christian von (1715–1759) 725 f., G108 Kleist, Heinrich von (1777–1811) 542, G122, G305, G370 Klinger, Cornelia Margareta Dorothea (geb. Fuchs; 1727–1800) 245 Klinger, Friedrich Maximilian (1752–1831) VI f., 4, 21 f., 63, 105, 152, 223–327, 332, 335, 343, 354, 740 f., 744–748, G149 Klopstock, Friedrich Gottlieb (1724–1803) 45, 208, 311, 363, 366, 471, 484 f., 525, 535, 574, 584, 588, 725, 745, 750, G69, G83, G88, G118, G122, G150, G165 f., G292, G302 f., G358 f., G387 Klotz, Christian Adolph (1738–1771) 725 f. Knappenberger, George 582, G258 Knonau, Ludwig Meyer von (1769–1841) 465 Knyphausen, Wilhelm von (1716–1800) G123 Koblenz, G** von [= ?] 574, G122 Kobolt, Willibald (1676–1749) G287 König, Luise 328 f., 749 Königsmarck, Maria Aurora Gräfin von (1662–1728) 725 Körner, Christian Gottfried (1756–1831) G345 Koesting, Karl (1842–1907) 1 Kolumbus, Christoph (ca. 1451–1506) 1, 30, 39 f., 42, 74, 87, 284, 479, 520, 522, 525, 531 f., 565, 588, 725, G36, G62, G66, G78, G83, G87, G138, G147, G155, G161,
704
XIV Personenregister
G172, G216, G245, G285, G291, G310, G336, G351, G356–G367 Kopernikus, Nikolaus (1473–1543) G357 Kościuszko, Tadeusz (1746–1817) 152, G182 Kosegarten, Ludwig Gotthard (1758–1818) 283 Kotzebue, August Friedrich Ferdinand von (1761–1819) 70 f., 130, 272 f., 287, 459, G338 Krämer, Agnesa G275 Krauseneck, Johann Christoph (1738–1799) 103, 123 f., 185, 576, 585, 587 f., G137, G155, G335, G353, G356, G362 Kraus, Karl (1874–1936) G343 Krauß (Krauss), Johannes 372, G77 Krieger, Adam (1634–1666) G16 Kümmel, Henrich (1753–1830) 286 Kürnberger, Ferdinand (1821–1879) 9, 472, 510 Kuh, Ephraim Moses (1731–1790) 586, G332 f., G340–G342 Kummerer, Captain 591, G407 Kunze, Johann Christoph (1744–1807) 404, 572 f., 586, G90, G107, G339 Kyros II. „der Große“ (reg. 559?–530 v. Chr.) G171 La Fayette, Gilbert du Motier, Marquis de (1757–1834) 152, 471, G209, G217, G302 Lafitau, Joseph-François (1681–1746) 725 Lafontaine, August Heinrich Julius (1758–1831) 23, 283 Lahn, Jacob (1747–1801) 387, 561, 563, G196 f., G199, G205, G234, G242 La Mettrie, Julien Offray de (1709–1751) 258 Lamey, Andreas (1726–1802) 725 Lange, Johann Peter (1802–1884) G181 Lange, Samuel Gotthold (1711–1781) 374 Langemeier 575, G135 La Pérouse, Jean-François de (1741–1788) G283 Lappe, Karl (1773–1843) 586, G347 La Roche, Sophie von (1730–1807) 346, G369
La Rochefoucauld-d’Enville et de La Roche-Guijon, Louis-Alexandre, Duc de (1743–1792) 584, G302 Las Casas, Bartolomé de (1484/1485–1566) 74, G366 Laugier, Marc-Antoine (1713–1769) 72 Laukhard, Friedrich Christian (1757–1822) 123 Laurens, Henry (1724–1792) 500 Lauterbach, Johann Michael (1716–1787) 568, G49 Lavater, Johann Caspar (1741–1801) 233, 328, 351, 353–355, 726 Lawatsch, Andreas Anton G50 Lawatsch, Anna Maria (geb. Demuth; 1712–1760) 568, G50 Lawrence, D. H. (1885–1930) 510 Lazzarini, Francesco 495 Le Bossu, René (1631–1680) 725 f. Leclerc, Comte de Buffon, Georges-Louis (1707–1788) 8 Lee, Charles (1732–1782) G133 Lee, William (1750–1828) 273, 742 f. Legrand de Lérant, Pierre-Nicolas (1758–1829) 787 Lehmann, Herman (1859–1932) 349 Lehne, Franz (1771–1836) 37, 454, 590, G399 Leibert, Peter (1727–1812) 387, 558, 764, G185 f. Leiste, Christian (1738–1815) 507 Le Maire, Jacob (1585–1616) G359 Lembke, Franz Christian (1704–1785) 570, G75 Lemierre, Antoine-Marin (1733–1793) G384 Lenau, Nikolaus (1802–1850) 9, G296 Lenclos, Ninon de (1620–1705) 750 Lenz, Jakob Michael Reinhold (1751–1792) VII f., 22, 123, 199, 237, 240, 242, 247, 257, 327–355, 749–751 León Pinelo, Antonio de (1589–1660) 6 Leopold II. (1747–1792; reg. 1790–1792) G116, G209 Lepper, Wilhelm Daniel 764 Lerma, Duque de (Francisco Gómez de Sandoval y Rojas; 1553–1625) 725
XIV Personenregister
Lessing, Gotthold Ephraim (1729–1781) 38, 130, 208, 240, 363, 516, 569, 725 f., G62 f., G80, G232, G329 Leutze, Emanuel Gottlieb (1816–1868) 790, 792, G109, G297 Lewis, Meriwether (1774–1809) 136 Lexow, Friedrich (1827–1872) 459 Lichtenberg, Georg Christoph (1742–1799) 484, 544–549, G27, G299 f. Lichtwer, Magnus Gottfried (1719–1783) 585, G329 f. Lieberkühn, Nikolaus Samuel (1710–1777) G60 Liebisch, Anna G6 Ligarius, Quintus (gest. ca. 42 v. Chr.) 31 Ligon, Richard (1585?–1662) G328 Lilienthal, Max (1815–1882) 45 f., 453 Lincoln, Abraham (1809–1865; reg. 1861–1865) 274, G31 Lindau, Heinrich Julius von (1754–1776) VIII, 22, 152, 329, 345–355, 749 Linguet, Simon Nicolas Henri (1736–1794) 108 Lippoldsberg, Johann Heinrich Bornmann zu 575, G132 Lischy, Jacob (1719–1781) 566, G11 List, Friedrich (1789–1846) 453 List, Gottlieb Christian Heinrich 726 Lith, Friedrich Karl Heinrich von der (1754–1806) 125 f., 293, 298, 361 f., 457 Livius, Titus (ca. 59 v. Chr.–ca. 17 n. Chr.) 458, G152, G299 Lobstein, Johann Michael (1740–1794) 725 Locke, John (1632–1704) 323–325, 429, 489, 745, G100, G336 Loёn, Johann Michael von (1694–1776) 90, 110 Lohenstein, Daniel Caspar von (1635–1683) 725, G122, G360 Longfellow, Henry Wadsworth (1807–1882) 55 Longinos, Pseudo- (ca. 1. Jh. n. Chr.) 725 f. López de Legazpi, Miguel (1502–1572) G360 Loretz, Johann(es) (1727–1798) G82 Loßberg, Friedrich Wilhelm von (1720–1800) G123 Louis Joseph (1781–1789) 83
705
Ludington, Sybil (1761–1839) 170 Ludwig XIV. (1638–1715; reg. 1643–1715) 725, 745 Ludwig XV. (1710–1774; reg. 1715–1774) 725, G28, G66, G69 Ludwig XVI. (1754–1793; reg. 1774–1792) 15, 497, 499, 725, G93, G107 Ludwig von Hessen-Darmstadt (1753–1830; reg. 1790–1830) 254, 259 Lukian(os) von Samosata (2. Jh. n. Chr.) 73 f., 725 f. Lukrez (Titus Lucretius Carus) (ca. 99–ca. 55 v. Chr.) G369 Luther, Martin (1483–1546) 485, 540, 725, G4, G51 f., G80, G83, G102, G105, G187, G192, G213, G314, G327, G363, G372, G414 Lykurg(os) 154, 725 MacPherson, James („Ossian“; 1736–1796) G83, G122, G165 f., G304 Madison, James (1751–1836; reg. 1809–1817) 519, G235 Maecenas, Gaius (ca. 70–8 v. Chr.) 745, G299 Maevius (1. Jh. v./n. Chr.) 725 Magruder, Patrick (1768–1819) 582, G263 Mahler, Gustav (1860–1911) 537 Maintenon, Françoise d’Aubigné, Marquise de (1635–1719) 725 Malcom X (eigentlich: Malcolm Little; nach 1964: El Hajj Malik el-Shabazz; 1925–1965) 274 Malthus, Thomas Robert (1766–1834) 317 Mandrin, Louis (1725–1755) 725 Manlius Vulso Longus, Lucius (römischer Konsul 256 und 250 v. Chr.) G150 Mann, Thomas (1875–1955) 365 Marcus Antonius (82–30 v. Chr.) 725 Maria Theresia (1717–1780; reg. 1740–1780) 479, G95, G116, G209, G370 Marius, Gaius (ca. 157–86 v. Chr.) 207, 725 Marmontel, Jean- François (1723–1799) 725 Marx, George G268 Matius, Gaius (gest. nach 44 v. Chr.) G125, G164 Maus, Isaak (1748–1833) G106 Mauvillon, Jacob (1743–1794) 725 f.
706
XIV Personenregister
Maximilian II. Emanuel (1662–1726; reg. 1679–1726) G170 Maximilian III. Joseph von Bayern (1727–1777; reg. 1745–1777) 725 May, Karl (1842–1912) 274, 348, G347 Mayer, Benjamin 563, 764 Mayer, Salomon 562, 764 Mayhew, Jonathan (1720–1766) 347 McArdell, James (1729?–1765) 487 McCauley, Mary Ludwig Hays (1754–1832) 171 McDaniel, Hattie (1895–1952) 273 McKean, Thomas (1734–1817) 176, G238– G242, G246, G257, G270, G275–G278, G281, G401 f., G413 McClean I., Archibald (1699–1773) G204 McClean II., Archibald (1748?–1791) G204 M’Culloch, John 764 Medardus (Bischof von Noyon; ca. 456– ca. 545) 725 Mehrling, Peter 591, G412 Mehrling, Philipp 582, G259 Meier, Georg Friedrich (1718–1777) 374 Meinung, Judith G43 Meister, Albrecht Ludwig Friedrich (1724–1788) 480 Mendelssohn, Moses (1729–1786) 213 Mercier, Louis-Sébastien (1740–1814) 725 f. Merck, Johann Heinrich (1741–1791) 107 Mesmer, Franz Anton (1734–1815) 482 Messier, Charles (1730–1817) 374, G77 Metzler, Johann Benedict (1727–1795/1796) G87 Meyen, Johann Jacob (1731–1797) 38, 467–470, 479, 486, 488 f., 492 f., 495–497, 500–502, 504 f., 507 f., 516 f., 529, 532, 553 Meyer, Carl Johann Albrecht (1755–?) 164, 297, 340, G173 Meyer, Jacob (1763–1820) G241 Michaelis, Caroline (geb. Michaelis, verw. Böhmer, gesch. Schlegel, verh. Schelling; 1763–1809) 106 f., 134 f. Michaelis, Christian Benedict (1680–1764) 725 Michaelis, Johann Benjamin (1746–1772) 725 f.
Michaelis, Johann David (1717–1791) 106 Mieg, Johann Friedrich (1744–1819) 56 Mifflin, Thomas (1744–1800) G270, G355 Mifflin, Warner (1745–1798) 188, G355 Miller, Henrich (Henrich [Henry]) (1702–1782) VIII, 12 f., 22, 189, 380, 386–388, 411–415, 421–423, 559, 567, 570, 573 f., 590, 760, 764, 766, G28, G29, G31–G34, G67–G69, G71–G74, G94–G96, G98, G103, G112, G176, G382 Miller, Johann Martin (1750–1814) 202, 251, 726, G109, G174 Miller, Peter 764 Milon, C. 251, 486, 489, 494, 498 f., 504, 508, 518, 523, 553 Milton, John (1608–1674) 324, 357, G87, G358 Minellius, Jan (1625–1683) 725 Mirabeau, Comte de, Honoré Gabriel Victor de Riqueti (1749–1791) 107 f., 538, G371 Mirbach, Werner von (1713–1797) 575, G123, G126 Mitchell, Margaret (1900–1949) 163, 273 Mittelberger, Gottlieb (1714–1758) 315 Mnioch, Johann Jakob (1765–1804) 104 Möller, Heinrich Ferdinand (1745–1798) 175, 251 Möser, Justus (1720–1794) 725 f. Monroe, James (1758–1831; reg. 1817–1825) 211, G190 Montbrun, Baricou 537 Montesquieu (Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède de Montesquieu; 1689–1755) 323–325, 472, 745, G336 Montezuma (Moctezuma II.; ca. 1465–1520) 74, 87 f., 725, G301, G336 Montgolfier, Jacques Étienne (1745–1799) 290, G161 Montgolfier, Joseph Michel (1740–1810) 290, G161 Montgomery, Richard (1738–1775) G154, G335 Morande, Charles Théveneau de (1741–1805) 726 Morison, Samuel Eliot (1887–1976) G366 Moritz, Karl Philipp (1756–1793) 104, 583, G287
XIV Personenregister
Morus, Thomas (1478–1535) 207 Moser, Friedrich Carl von (1723–1798) 307, G328 Mucius Scaevola, Gaius (6. Jh. v. Chr.?) G152 Mühlenberg (Muhlenberg), Friedrich (Frederick) August Conrad (1750–1801) 360, 571, G80, G191, G241 Mühlenberg (Muhlenberg), Henry Gotthilf Heinrich Ernst (1753–1815) G80, G188, G191, G241 Mühlenberg, Heinrich (Henry) Melchior (1711–1787) G79 f., G90, G188, G191, G197, G241 Mühlenberg (Muhlenberg), (John) Peter (Gabriel) (1746–1807) G191, G241 Müller, Johann Georg (1759–1819) 148, 357 f., G179 Müller, Johannes (von) (1752–1809) 148, 311, 357 f., G10 Müller, Michael 764 Müller, Wilhelm (1845–1931) 146 Münchhausen-Oldendorf, Karl Ludwig August Heino Freiherr von (1759–1836) 71, 283, 577, 586, G65, G151 f., G165–G169, G182, G337, G346 Münter, Balthasar (1735–1793) 725 Murr, Christoph Gottlieb von (1733–1811) 725 Musäus, Johann Carl August (1735–1787) 542, 550 f., 583, G290 Mylius, Christlob (1722–1754) 481, 569, G62 f. Nägeli, Hans Georg (1773–1836) G401 Naubert, Benedikte (Christiane) (1752/56–1819) 336 Naumann, Johann Gottlieb (1741–1801) G257 Neale, Isaac 764 Neander, Joachim (1650–1680) G186 Nebukadnezar II. (gest. 562 v. Chr.; reg. 605–562 v. Chr.) 725, G225, G297, G315 Neeff, Gotthold August (1869–?) 348 Neißer, Georg (1715–1784) 567, G17–G19, G41 Nelson, Horatio (1758–1805) G230 Nepomuk, Johannes (ca. 1345–1393)
707
Nero (Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus; 37–68; reg. 54–68) 258, 375, G336, G358 Nettelbeck, Joachim (1738–1824) 195, 236 Neumark (Neomarcus, Neumarckius), Georg (1621–1681) G91 Newton, Isaac (1643–1727) 357 Nicola, Lewis (1717–1807) 205 Nicolai, Friedrich (1733–1811) 232 f., 241, 725 f. Niemann 726 Niemeyer, August Hermann (1754–1828) 575, G134 Nitschmann, Anna (1715–1760) 566, 568, 585, G3–G5, G9, G12, G17, G38 f., G59, G321 North, Lord (Frederick North, 2nd Earl of Guilford; 1732–1792) 82, 173, 725 Numa Pompilius (angeblich 8./7. Jh. v. Chr.) 725, G299 Nußbiegel, Georg Paul (1713–1776) 725 Nußbiegel, Johann (1750–1829) 725 Oeser, Adam Friedrich (1717–1799) 725 Oetinger, Friedrich Christoph (1702–1782) 725 Orwig, Georg Gottfried (1719–1804) G281 Orwig, Peter Samuel (1750–1807) G281 Ossian → James MacPherson (1736–1796) O’Sullivan, John L. (1813–1895) 198, G297 Otho, Johann Jacob (1629–1669) 725 f. Otis, James (1725–1783) 347 Otto, Johann Friedrich Wilhelm (1743–1814) 175 Otto, Johann Henrich (1733–1799) 372, 570, 579, G70 Ovid (Publius Ovidius Naso; 43 v. Chr.– ca. 17 n. Chr.) 725 f., G298, G375 Pabst, Johann Georg Friedrich (1754–1821) G305 Paine, Thomas (1737–1809) G31 Paradis, Maria Theresia (1759–1824) 479, 589, G370 Parker, James (1714–1770) 360 Parr, „Old“ Thomas (angeblich 1483–1635) 725
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XIV Personenregister
Pastorius, Franz Daniel (1651–1719/20) 189 f., 365, 566, 587, G1, G28, G350 Patkul, Johann Reinhold von (1660–1707) 725 Paul I. (1754–1801; reg. 1796–1801) 235 Pauli, Magdalena (geb. Poel; 1757–1825) 350 Paulus von Tarsus (5–10 bis 64–67) 49, 53, 529, G5, G190, G316 Pauly [= ?] 590, G395 Pauw, Cornelis de (1739–1799) 8 Penn, William (1644–1718) 154, 188, 356–358, 566, 725, G1, G7, G18, G20, G30, G115, G117, G141, G293, G322, G336, G381 Percy, Hugh (1742–1817) 183, G141 Pergolesi, Giovanni Battista (1710–1736) G370 Pestalozzi, Johann Heinrich (1746–1827) 509 Peter, Karl (1822–1909) 102, 309 Peter I. „der Große“ (Pjotr Alexejewitsch Romanow; 1672–1725; reg. 1682–1725) 725, 750, G381 Peter III. (Karl Peter Ulrich von SchleswigHolstein-Gottorf; 1728–1762; reg. 1762) G28 Petrarca, Francesco (1304–1374) 241, 750, G88 Petrus (Simon; gest. ca. 64–67) 50, 371, 540, 727, G5, G7, G17, G80, G231, G398 Pezzl, Johann (1756–1823) 116, 185, 187, 316, 359, Pfeffel, Christian Friedrich (1726–1807) 234 Pfeffel, Gottlieb Conrad (1736–1809) 48, 70, 114 f., 124, 183 f., 189, 234 f., 242, 363, 509, 571, 576, 583, 585 f., 589, G86, G141, G293, G334, G340, G349, G370 Pfister, Ferdinand (1800–1886) 488, G297 Pfister-Schwaighusen, Hermann von (1836–1916) G163 f. Philadelphia, Jacob (eigentlich: Jacob Meyer; 1734?–ca. 1797) IX, 23, 150, 502, 541–551, G84 f., G88, G290 Philadelphia, Marion (geb. 1960) 150, 502, 542, 546 Phile, Philipp (ca. 1734–1793) 433, G389 Philipp II. (1527–1598; reg. 1556–1598) 725 Philipp II. von Makedonien (ca. 382– 336 v. Chr.; reg. 356–336 v. Chr.) 725
Pickering, Timothy (1745–1829) G251 Piderit, Johann Rudolph Anton (1726–1772) 725 Pierot, Robert (Pseudonym) 250 Pierron, Jean (1631–1700) G344 Pilatus, Pontius (Präfekt 26–36) 727 Pinckney, Charles C. (1746–1825) G265 Pitt d. Ä., William, 1st Earl of Chatham (1708–1778) G109, G171, G299, G336, G384 Pitt d. J., William (1759–1806) G299 Pius VI. (1717–1799; reg. 1775–1799) G99, G230 Pizarro, Francisco (1476/78–1541) 75 f., 258, G87, G301, G305, G331, G336, G342, G356, G360 Platon (428/427–348/347 v. Chr.) 207, 744 f., G87, G118, G375 Plautus (ca. 254–ca. 184 v. Chr.) G317 Plinius d. Ä. (23/24–79 n. Chr.) 374 f., G298 f. Plinius d. J. (61/62–113/115) 470 Plümi(c)ke, Carl (Karl) Martin (1749–1833) G384 Plutarch(os) (ca. 45–vor 125) 461, 725 f., G125, G164 Pocahontas (Matoaka/Rebecca Rolfe; ca.1595–1617) 541, G328, G358 Polyainos (2. Jh. n. Chr.) 725 Polybios von Megalopolis (vor 199– ca. 120 v. Chr.) 725 Pompadour, Madame de (Jeanne-Antoinette Poisson, Dame Le Normant d’Étiolles, Marquise de Pompadour, Duchesse de Menars; 1721–1764) 725 Pompeius Magnus, Gnaeus (106–48 v. Chr.) 375, 725, G125, G150 Pope, Alexander (1688–1744) 215, G369 f. Porsenna, Lars (6. Jh. v. Chr.?) G152 Preser, Carl (Karl) (1828–1910) 59, G123, G157 Pułaski, Kazimierz (1745–1779) 152, G69, G176 Purcell, Henry (1659–1695) G370 Putnam, Israel (1718–1790) 24 f., 36, 40–45, 47 f., 49–52, 173, 520, G170, G172 Pyle, Howard (1853–1911) 717
XIV Personenregister
Pyrlaeus, Johann Christoph (1713–1785) 566, G13, G22 Pythagoras (ca. 570–ca. 480 v. Chr.) 495 Pytheas (4. Jh. v. Chr.) G363
709
Rhoads, Thomas Jefferson Boyer (1837–1919) 161 Richardson, Samuel (1689–1761) 241, 726 Richelieu, Armand-Jean du Plessis, Duc de (1585–1642) 725, 745 Quintilian(us), Marcus Fabius (ca. 35–ca. 100) Richie, A. H. 783 725 f. Riedesel, Auguste (1771–1805) G135 Riedesel, Caroline (1776–1861) G135 Raffael (Raffaello Sanzio da Urbino; Riedesel, Freifrau zu Eisenbach, Friederike 1483–1520) 725 (1746–1808) G131, G135, G175 Rahmel, August Wilhelm Leopold (1749–1808) Riedesel, Freiherr zu Eisenbach, Friedrich 110, 117 Adolf (1738–1800) 575, G124, G127, Raleigh, Walter (1552/54–1618) G62, G310 G130 f., G135, G175, G270 Rall, Johann (1725/26–1776) G109 Riedesel, Friederike (1774–1854) G135 Rambach, Friedrich Eberhard (1767–1826) Rieger, Max (Friedrich Maximilian Heinrich 450 Leonhard Rieger; 1828–1909) 230 f., Ramler, Karl Wilhelm (1725–1798) 27, 569, 249 585, G66, G329, G331 Ringwaldt, Bartholomäus (1532–1599) G102, Ramsay, David (1749–1815) 251 G187 Rapp, Johann Georg (1757–1847) G313–G316 Rittenhaus (Rittenhouse), David (1732–1796) Raspe, Gabriel Nicolaus (1712–1785) 725 445 Ratschky, Joseph Franz (1757–1810) 285, Ritter, Johann (1779–1851) 387, 458, 562, G311 G269, G273, G276 Rauch, Christian Heinrich (1718–1763) G15, Robertson, William (1721–1793) 726, G358, G60, G323, G327 G363 Raynal, Guillaume-Thomas François Robespierre, Maximilien de (1758–1794) 744 (1713–1796) 108, 151, 472, 725 f., G92 Rochambeau, Jean-Baptiste-Donatien de Reben, Albert Conrad 559 Vimeur, Comte de (1725–1807) G107, Regnard, Jean-François (1655–1709) G329 G179, G269 Regnart, Jakob (zwischen 1540 und Röderer, Johann Gottfried (1749–1815) 353 1545–1599) G77 Roggeveen, Jakob (1659–1729) G36 Regulus, Marcus Atilius (römischer Konsul Rolfe, John (1585–1622) G358 267 und 256 v. Chr.) 576, G27, G150, Romas, Jacques de (1713–1776) 482 G152 Roosen, Henrich 570, G72 Reichel, Carl Gotthold (1751–1825) G75 Rosén von Rosenstein, Nils (1706–1773) 725 Reimarus, Hermann Samuel (1694–1768) Rosenberg, Wilhelm Ludwig (1850–1934) 99 484, 726 Rosenmüller, Johann (1619–1684) G186 Reinesius (Reines), Thomas (1587–1667) Ross, James (1762–1847) 176 f., G238–G242, 725 G246, G275 Reinhard, Karl (1769–1840) G401 Roth, Johann Petrus 589, G378 Reinwald, Wilhelm Friedrich Hermann Rotteck, Karl von (1775–1840) 455 (1737–1815) 725 Rousseau, Jean-Jacques (1712–1778) VII, Reizenstein, Friedrich Wilhelm Philipp Ernst 2 f., 68, 71, 155, 241, 268, 279–286, Freiherr von 577, G158 f. 294–299, 333, 472, 477, 503, 509 f., 725, Reni, Guido (1575–1642) 744 744, 752, G299, G336, G343, G371, G387 Revere, Paul (1735–1818) 55, 170 Roxane (ca. 345–310 v. Chr.) 725 Reynolds, George 764 Rubens, Peter Paul (1577–1640) G135
710
XIV Personenregister
Rühl, [Johann Philipp?] 576, G143 Rush, Benjamin (1746–1813) 324, G188 Sacagawea (1788–1812) 136, Sackville, 1st Duke of Dorset, Lionel (1688–1765) G167 Sänftl, Dr. 713 Saint-Pierre, Bernardin de (1737–1814) G347 Salis-Seewis, Johann Gaudenz Freiherr von (1762–1834) 159 Sampson, Deborah (1760–1827) 170 Sangerhausen, Christoph Friedrich (1740–1802) 549, 571, G85 Sarasin, Jakob (1742–1802) 234 f. Sattler, Johann Paul (1747–1805) 726 Saur I., David (1764–1835) 763 Saur, Peter (1759–1785) VIII, 403 f., 558, 763 f., G90, G115 Saur, Samuel (1767–1820) VIII, 386, 405–411, 432, 445, 562, 564, 763–765, G208, G232, G264 Saur I., Christoph (Sauer, Sower, Sowr; 1695–1758) VIII, 366, 370, 377, 383 f., 389–397, 558, 567, 763 f., G25, G62 Saur II., Christoph (1721–1784) VIII, 32, 383–386, 397–403, 405, 558 f., 567, 579, 763 f., G27, G70, G89, G115, G185 Saur III., Christoph (1754–1799) VIII, 403 f., 763, G90 Sauvage, Charles-Gabriel (genannt: Lemire; 1741–1827) 499 Schade, Johann Kaspar (1666–1698) G60 Schatz, Georg (1763–1795) 471 f., 488, 508, 554 Scheid, John G262 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph (1775–1854) 106, 588, G367 Schernhagen, Johann Andreas (1722–1785) 545–548, G27, G299 Schertlin von Burtenbach, Sebastian (1496–1577) 725 Schiller, Friedrich (1759–1805) 4, 70, 119, 129 f., 160, 232, 247, 258, 287, 321 f., 327, 330, 344, 363, 456, 542, 548 f., 571, 586, 588, 726, G51, G87 f., G116, G120, G127, G145, G150, G152, G167, G234, G299, G343, G345, G358, G364 f., G369
Schirach, Gottlob Benedikt von (1743–1804) 10, 725 f. Schlegel, August Wilhelm (1767–1845) 106 Schlegel, Johann Elias (1719–1749) G122 Schleiermacher, Ernst Christian Friedrich Adam (1755–1844) 226 f., 229, 232, 236 f., 245, 254 f., 259 f. Schleiermacher, Johannette Philippine 229 Schlicht, Ludolf Ernst (1714–1769) 568, G52 Schlichtegroll, Friedrich (1765–1822) 310, 467 f., 481 f., 490, 496, 498, 500, 502–504, 508, 511, 513, 517, 524, 533 f., 538, Schlözer, August Ludwig von (1735–1809) 136, 725 f., G89, G109, G299, G347 f. Schlosser, Johann Georg (1739–1799) 234 f., 511, 725 Schlump, Johann Martin 764 Schmid, Christian Heinrich (1746–1800) 726, G332 f., G342 Schmidt, Arno (1914–1979) 224 Schmidt, Friedrich (Johann Christoph Schmidt/Schmid/Schmit; 1744–1822) 725 Schmidt, Klamer Eberhard Karl (1746–1824) 583, G286, G397 Schmieder, Heinrich Gottlieb (1763?–1811) 117 Schmohl, Johann Christian (1756–1783) 12, 148, 460, 465, 491 Schnabel, Johann Gottfried (1692–ca. 1750) VI, 21, 58, 197, 217, 219 Schneider, Anton G275 Schneider, Esaias (Emanuel Sincerus; 1684–1731) 725 Schneider, Jacob 15, 384, 387, 437, 562, G222, G230, G248, G254, G257, G273, G402 f., G405 Schoepf, Johann David (1752–1800) 135, G62 Schöpflin, Johann Daniel (1694–1771) 725 Schreiber, Alois Wilhelm (1763–1841) 589, G377 Schubart, Christian Friedrich Daniel (1739–1791) V, IX, 5, 10 f., 14, 21, 23–55, 88, 90 f., 103, 106, 115, 119 f., 148, 166, 170, 173, 183, 186, 196 f., 199, 202, 242, 251, 311, 339, 357, 385, 438, 451, 456 f., 461, 484, 520–540, 577–579, 581,
XIV Personenregister
583, 585, 589, 726, G109, G122, G143, G162, G170, G172, G174, G177, G197, G243, G245, G285, G288, G291, G296 f., G332 f., G342, G352, G368, G370 f. Schubert, Franz Peter (1797–1828) G338 Schu(h)macher, Daniel 579, G184 Schulze, Christoph(er) Emanuel (1740–1809) G197 Schumann, Ernst Friedrich 582, G267 Schwabe, Johann Joachim (1714–1784) G167 Schwartzer, He(i)nrich 563 Schwarz, Johann Christoph (1709–1781) 725 Schwebel, Nicolaus (1713–1773) 725 Schweitzer, Henrich 764 Scipio Africanus, Publius Cornelius (Scipio Africanus d. Ä.) (235–183 v. Chr.) 725, G175 Seebaum, Joseph Alexander (1846–?) 160 Segimer(us)/Sigimer(us) (um die Zeitenwende) G154 Seidensticker, Oswald (1825–1894) 18, 364, 387, 403, 752–754, 761, G107, G128, G133, G176, G209, G350 Seiler, Georg Friedrich (1733–1807) 725 Seinsheim, Adam Friedrich von (1708–1779; reg. 1755–1779) 725 Selim III. (1762–1808; reg. 1789–1807) G311 Selkirk, Alexander (1676–1721) G36 Semler, Johann Salomo (1725–1791) 725 Seneca, Lucius Annaeus (ca. 1–65) 725 f., G60, G293, G336 Seybold, David Christoph (1747–1804) V f., 5, 19, 21, 56–222, 288, 331, 343, 352, 505, G62, G177 Seyfert, Anton 566, G6, G20 Seyfried [= ?] 589, G379 Shaftesbury, Anthony Ashley-Cooper, 3rd Earl of (1671–1713) 287, 289 Shakespeare, William (1564–1616) 234, 241–243, 357, 725 f., 745, 750, G307 Sharp, Anthony [= ?] 560, G141 Shays, Daniel (ca. 1741–1825) 206 Shulze, John Andrew (1775–1852) G197 Sichart, Samuel 575, G130 f. Sickingen, Franz von (1481–1523) 725 Sidney, Algernon (1623–1683) 323–325 Siegfried, Johann Samuel (1775–1840) 74
711
Silius Italicus, Tiberius Catius Asconius (ca. 25/26–ca. 101/102) 725 f. Small, John (1726–1796) 36 Smith, Carl G225 Smith, Will (geb. 1968) 274 Smith, William (1727–1803) 393–397 Smith, William Stephens (1755–1816) 38 Snyder, Simon (1759–1819) G275 f., G278, G281 Sömmerring, Samuel Thomas (1755–1830) G299 Sokrates (469–399 v. Chr.) 154, 299, 495, 513, 725, 745 Solander, Daniel (1733–1782) 135, 725 Solon (ca. 640–ca. 560 v. Chr.) G370 Soubise, Charles de Rohan, Prince de (1715–1787) 725 Soule, John Babsone Lane (1815–1891) G297 Sower, Charles (1789–1820) 763 Sower, Charles Gilbert (1821–1902) 763 Sower, Frank 763 Sower II., David (1794–1862) 763 Spangenberg, August Gottlieb (1704–1792) G57 f. Spener, Johann Karl Philipp (1749–1827) G27 Spener, Philipp Jacob (1635–1705) G78, G313 Sprengel, Matthias Christian (1746–1803) 26, 35, 251, 445, 448, 492, 494, G82 Squanto/Tisquantum (ca. 1590–1622) 541 Stach, Matthäus (1711–1787) G47, G60 Stach, Rosina G47 Stähelin, Benedikt (1695–1750) 588, G317, G357 Stanislaus II. August Poniatowski (1732–1798; reg. 1764–1795) G182 Stark, John (1728–1822) G131 St. Clair, Arthur (1737–1818) G131, G339 Steele, Richard (1672–1729) G328 Steger, Friedrich 581, G237 Stein, Charlotte von (1742–1827) 329, 749 Steiner, Melchior (1757?–1807) XI, 13, 387, 560, 764, G105, G107 f., G176, G188, G198, G209, G218, G339 Stephanie d. J., Johann Gottlieb (1741–1800) 17, 70 f., 91, 117, 123, 126, 130–132, 236, 250, 337 Stepler, Johann Heinrich (1841–1928) 400
712
XIV Personenregister
Sterne, Laurence (1713–1768) 725 f. Stettinius, Samuel Endredy 764 Steuben, Friedrich Wilhelm von (1730–1794) 152, 388, 456 Stevens, Edward (ca. 1755–1834) 256 Stiefel, Georg G41 Stieler, Luise (1760–1826) 134 f. Stiemer, Anton (1764–1788) 387, 561, 579, G196, G205 Stockhausen, Johann Friedrich (1718–1776) 725 Stockton, Annis Boudinot (1736–1801) G188 Stolberg[-Stolberg], Christian (1748–1821) 345 Stolberg[-Stolberg], Friedrich Leopold Graf zu (1750–1819) 183, 219, 345, 363, 571, 585, 589 f., G83, G165, G336, G372, G384 Stowe, Harriet Beecher (1811–1896) 274 Strabon (63 v. Chr.–23 n. Chr.) G166 Strange, Robert G27 Strattner, Georg Christoph (1644/45–1704) G186 Straubenmüller, Johann (1814–1897) 379 Stuart, Gilbert (1755–1828) 448, 772 Sudermann, Daniel (1550–1631) 365 Sueton (Gaius Suetonius Tranquillus; ca. 70– nach 122) 725 f. Sulla, Lucius Cornelius (ca. 138–78 v. Chr.) 462, 725 Sullivan, James (1744–1808) 323 f. Sullivan, John (1740–1795) G132 Sully, Maximilien de Béthune, Duc de (1560–1641) 307, 745 Sulzer, Johann Georg (1720–1779) 472 f. Swift, Jonathan (1667–1745) 545, G317, G357 Swords, James 764 Swords, Thomas 764 Sydney, Algernon (1623–1683) 323, 455, 745 Talleyrand-Périgord, Charles-Maurice de (1754–1838) G229 Tarquinius Superbus, Lucius (gest. ca. 495 v. Chr.) 154, 725 Tell, Wilhelm (gest. 1354) G152, G299 Terenz (Publius Terentius Afer; ca. 190–159/158 v. Chr.) 750
Tesdorpf, Peter Hinrich (1712–1778) 569, G64 Theokrit(os) (3. Jh. v. Chr.) 725 f., G299 Thiersch, Hermann (1874–1939) 723 Thomas, Magister (Theodulos Monachos; 1275–1346) 725 f. Thomas von Aquin (ca. 1225–1274) 725 Thomson, Charles (1729–1824) 725 Thou, François-Auguste de (1607–1642) 725 Thümmel, Moritz August von (1738–1817) 589, G374 Thümmig, Ludwig Philipp (1697–1728) 725 Tiberius (42 v. Chr.–37 n. Chr.; reg. 14–37) G358 Tieck, Ludwig (1773–1853) 217 Tiedge, Christoph August (1752–1841) G165 Tiepolo, Giovanni Domenico (1727–1804) G336 Tillotson, John (1630–1694) 725 Timaeus, Johann Jacob Carl (1763–1809) 356 Timoleon (ca. 411–ca. 337 v. Chr.) 454, 458, 495, 744, G387, G399 Tissot, Simon (Samuel) Auguste André David (1728–1797) 725 f. Titus (Titus Flavius Caesar Vespasianus Augustus; 39–81; reg. 79–81) 725 Tizian (Tiziano Vecellio; zwischen 1488 und 1490–1576) 785 Tocqueville, Alexis de (1805–1859) 4 Töltschig, Johann (1703–1764) G3 Trajan (53–117; reg. 98–117) 470 Treller, Franz (1839–1908) 452 Troger, Paul (1698–1762) 786 Trumbull, John (1756–1843) 36 f., 460, 718, 720 f., 742 f., 774, 789 f., G107, G109, G131, G179, G399 Turenne, Henri de La Tour d’Auvergne, Vicomte de (1611–1675) 725 Turgot, Anne Robert Jacques (1727–1781) 486 f., 492, 529, 539 Turner, Frederick Jackson (1861–1932) 157, 318 f. Twain, Mark (eigentlich: Samuel Clemens; 1835–1910) 510 Unzer, Ludwig August (1748–1774) 725 f. Usteri, Johann Martin (1763–1827) G401 Uz, Johann Peter (1720–1796) 363, 725 f.
XIV Personenregister
Varus, Publius Quinctilius (46 v. Chr.– 9 n. Chr.) G122, G150, G165 Vendôme, Louis-Joseph de Bourbon, Duc de (1654–1712) 725 Vergennes, Charles Gravier, Comte de (1717–1787) G307 Vergil (Publius Vergilius Maro; 70–19 v. Chr.) 145 f., 725 f., 745, G175, G299, G380 Vergniaud, Pierre Victurnien (1753–1793) G299 Vespucci, Amerigo (1454–1512) G358, G363 Vigerius, Franciscus (François Viger; 1591–1647) 725 f. Vischer, Luise Dorothea (1751–1816) G88 Vitruv (Marcus Vitruvius Pollio; 1. Jh. n. Chr.) 72 Vollpracht, Friedrich Adolf (1751–1802) 106, 476 Volney, Constantin-François (1757–1820) 3 Voltaire (François-Marie Arouet; 1694–1778) 208, 300, 472, 477 f., 528, 535, 539, 725 f., 745, 777, G330, G343, G346, G358 Voß, Christian Friedrich (1722/24–1795) 477, 507 Voß, Johann Heinrich (1751–1826) 131, G135, G148, G153, G208, G289, G298, G308, G310, G312, G348, G388 Wagner, Gottlob Heinrich Adolf 555 Wagner, Heinrich 174, 589 f., G368, G383 Wagner, Heinrich Leopold (1747–1779) 123, 227, 247, 354, Wagner, Wilhelm 438 Waldeck, Philipp Gottfried Ludwig Wilhelm 192 f. Walthard, Beat Ludwig (1743–1802) 136 Wannemacher, D. 591, G408 Wansey, Henry (1751/52–1827) 442, 445, 448, 450, 461 Warner, Isaiah 764 Warren, James (1726–1808) G235 Warren, Joseph (1741–1775) 35–38, 42, 454, 718 f., G399 Warren, Mercy Otis (1728–1814) 170 Warton, Joseph (1722–1800) 585, G332 f. Warville, Jacques-Pierre Brissot de (1754–1793) G355
713
Washington, George (1732–1799; reg. 1789–1797) IX, 22 f., 32, 37, 40, 42, 80, 102, 121, 150, 152–154, 171, 182 f., 201–205, 273, 311, 352, 388, 394, 404, 407, 412, 432 f., 440–466, 493–497, 518, 521, 528, 537, 541, 554 f., 565, 590, 725, 742 f., 769–774, 790, G89, G101, G105, G107–G109, G111, G121, G132 f., G138, G141, G154, G164, G170, G179 f., G190, G199, G209 f., G215, G217, G221, G241, G255, G265, G269–G271, G276, G288, G305, G311, G381–G400, G414 Washington, Martha (1731–1802) G141 Watson, William (1715–1787) 482 Watteville, Johannes von (1718–1788) 568, G58, G351 Watts, Isaac (1674–1748) G70 Wayne, Anthony (1745–1796) G241, G270 Weber, Maria Elisabeth G351 Weber, Max (1864–1920) 510 Webster, Charles R. 764 Weems, Mason Locke (1759–1825) 451 Wehrs, Georg Friedrich (1750–1818) 516, 534 Weidmann, Paul (1746–1810) 76 Weinhard, Joseph 572, G91 Weismann, Erich (Ehrenreich) (1641–1717) 725 f. Weiss, Georg (1687–1740) 566, G2 Weiss, Ludwig 764 Weiße, Christian Felix (1726–1804) 243, G257 Weißmann, Johann Heinrich 725 Wekhrlin, Wilhelm Ludwig (1739–1792) 10, 41, 74, 92, 108, 119, 149, 184, 200, 202 f., 236, 303 f., 312, 319, 356–358, 472, 572, 578, G92 f., G109, G171, G175, G180 f., G355 Wenzel, Gottfried Traugott (1747–?) 514, 553 Weppen, Johann August (1741–1812) 84, 243, 250, 297, 338, 340, 572, 576, G93, G138 Werner, Friedrich Ludwig Zacharias (1768–1823) 589, G376 Werner, Georg Friedrich (1754–1798) West, Benjamin (1738–1820) G27 Wichmann, Christian August (1735–1807) 725 Wichmann, Gottfried Joachim (1736–1790) 725 Wiederhold, Bernhard Wilhelm (gest. 1810) 165, 337
714
XIV Personenregister
Wiederholdt, Andreas (ca. 1752–ca. 1805) 153, 194, 197, 340 Wieland, Christoph Martin (1733–1813) 10 f., 64, 73 f., 107, 148, 208, 240, 254, 284, 300, 334, 352, 386, 442, 461, 717, 725 f., 750, G87, G122, G266 Wigand, Carl Samuel (1744–1805) 576, G157 Wigand, Johanna Elisabeth (geb. Hillebrand; 1833–1894) 164, G143 Wilhelm IV. Heinrich (1765–1837; reg. 1830–1837) G95, G179 Wilhelm IX. (1743–1821; reg. 1760–1821) G143 Wilhelm August, Duke of Cumberland (1721–1765) G127 Wilke, Christian Heinrich (1722–1776) 725 Willcocks, Henry 764 William Alexander, Lord Stirling (1726–1783) G132 Willkomm, Ernst (1810–1886) 7 Wilson, Benjamin (1721–1788) 487 Winckelmann, Johann Joachim (1717–1768) 160, 284 f., 503 Winthrop, John (1588–1649) 198, G261 Winthrop, John (1714–1779) 107, 129, 498 Witherspoon, John (1723–1794) 425 Wittenberg, Albrecht (1728–1807) 227 Wolfe, James (1727–1759) 37, 400, 567, 720, G27 Wolff, Christian (1679–1754) 725 Wolff, Franz Ferdinand (1747–1804) G299 Woltmann, Karl Ludwig (von) (1770–1817) 183 Wolzogen, Henriette von (1745–1788) G87 Wolzogen, Wilhelm von G87 Woollett, William (1735–1785) G27 Wüst, Jacob 581, G247 Wyeth, John 764 Xenophon (ca. 430–ca. 354 v. Chr.) 725 f. Young, Edward (1683–1765) 725, G149 Young, William 764
Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm (1726–1777) 571, 588, G64 f., G81, G359 f. Zahn, Christian Jakob (1765–1830) 16, 308, 357, 479, 482 f., 487 f., 490, 492, 498 f., 502 f., 507 f., 513 f., 517–519, 554, G30 Zahn, Therese (1764–1829) Zane, Elisabeth („Betty“) (ca. 1765–1823) 172 Zedler, Johann Heinrich (1706–1751) 8, 48, 51, 375, 377, 406, 529, 531, 540, G298 Zeisberger, David (1721–1808) G321 Zeisiger, J. Georg 764 Zenger, John 764 Zenker, Johann Christoph (1738–1799) 575, G127 Ziegesar, Silvie von (1785–1858) G82 Ziegler, Jacob G334 Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von (1663–1697) 726 Ziegra, Christian (1719–1778) 725 Zimmermann, Eberhard August Wilhelm von (1743–1815) 14 Zimmermann, Johann Georg (1728–1795) 351 f., 355, 472 f., 725 f. Zinzendorf, Christian Renatus von (1727–1752) G82, G217 Zinzendorf, Erdmuth Dorothea von (1700–1756) 568, G38, G42, G44 Zinzendorf, Henrietta Benigna Justina von (1725–1789) 585, G320 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von (1700–1760) 192, 367–372, 386, 566–569, 585, 587, G2, G6–G12, G14–G19, G22, G39–G43, G45–G60, G82, G192, G217, G319–G327, G351 Zorten, Peter (angeblich 1539–1724) 725 Zschokke, Heinrich (1771–1848) 5 f. Zündt, Ernst Anton (1819–1897) 33, 310, 451 Zweig, Stefan (1881–1942) 103
XV Abbildungen
Abb. 1 Umfang der Berichte über den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg in Christoph Martin Wielands Zeitschrift Der Teutsche Merkur. (Umfang in Anzahl der Zeilen)1
Abb. 2 Howard Pyle: Battle of Bunker Hill. Ca. 1897. Die Abbildung erschien im Februar 1898 im Scribner’s Magazine. [Abbildungsnachweis: https://en.wikipedia.org/wiki/File:Bunker_Hill_by_Pyle.jpg, 30. Dezember 2016.]
1 Im September 1776 erschienen keine politischen Neuigkeiten. https://doi.org/10.1515/9783110644739-015
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XV Abbildungen
Abb. 3 Von Benjamin Franklin geschaffene, am 9. Mai 1754 in seiner Pennsylvania Gazette veröffentlichte „Join, or Die“-Darstellung zur Beschwörung des Zusammengehörigkeitsgefühl der britischen Kolonien in Nordamerika. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Benjamin_Franklin_-_Join_ or_Die.jpg, 26. Oktober 2016.]
Abb. 4 John Trumbull: The Death of General Warren at the Battle of Bunker’s Hill, June 17, 1775. 1786. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_death_of_general_ warren_at_the_battle_of_bunker_hill.jpg, 30. Dezember 2016.]
XV Abbildungen
Abb. 5 Vergrößerter Ausschnitt aus Abb. 4. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_death_of_general_ warren_at_the_battle_of_bunker_hill.jpg, 30. Dezember 2016.]
Abb. 6 Annibale Carracci: Pietà. 1599/1600. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Annibale_ Carracci_1560–1609_Pieta.jpg, 30. Dezember 2016.]
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XV Abbildungen
Abb. 7 John Trumbull: Death of General Wolfe. 1770. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Benjamin_West_005.jpg, 30. Dezember 2016.]
Abb. 8 Darstellung Israel Putnams aus dem 19. Jahrhundert. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Israel_putnam_portrait.jpg, 30. Dezember 2016.]
XV Abbildungen
721
Abb. 9 Ann Hall: General Israel Putnam. Undatiert. Kopie eines Gemäldes von John Trumbull. [Abbildungsnachweis: https:// commons.wikimedia.org/wiki/ File:Ann_Hall,_General_Israel_ Putnam_(copy_after_painting_ by_John_Trumball),_undated.jpg, 30. Dezember 2016.]
Abb. 10 Frédéric Auguste Bartholdi – Gustave Eiffel: La Liberté éclairant le monde. 1886 eingeweiht. [Abbildungsnachweis: https:// commons.wikimedia.org/wiki/ File:Statue_of_Liberty_-_4621961395. jpg, 30. Dezember 2016.]
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XV Abbildungen
Abb. 11 Vorderseite eines American Silver Eagle mit Darstellung der Walking Liberty. 2004. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/ wiki/File:American_Silver_Eagle,_obverse,_2004.jpg, 30. Dezember 2016.]
Abb. 12 Eugène Delacroix: La Liberté guidant le peuple (Die Freiheit führt das Volk). 1830. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Eug%C3 %A8ne_Delacroix_-_ Le_28_Juillet._La_Libert%C3 %A9_guidant_le_peuple.jpg, 30. Dezember 2016.]
XV Abbildungen
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Abb. 13 Rekonstruktionszeichnung des Pharos von Alexandria von Hermann Thiersch. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lighthouse_-_Thiersch.png, 30. Dezember 2016.]
724
XV Abbildungen
Abb. 14 [Vergrößerung im Digitalanhang] Referenzen auf ethnische Gruppen und geografische Angaben in David Christoph Seybolds Briefroman Reizenstein. Die Geschichte eines deutschen Officiers. Siehe hierzu auch Kriegleder: Kommentar, S. 369–397.
XV Abbildungen
Abb. 15 [Vergrößerung im Digitalanhang] Direkte und indirekte Referenzen auf historische Personen in Reizenstein. Siehe hierzu auch Kriegleder: Kommentar, S. 369–397.
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XV Abbildungen
Abb. 16 [Vergrößerung im Digitalanhang] Direkte und indirekte intertextuelle Referenzen in Reizenstein. Siehe hierzu auch Kriegleder: Kommentar, S. 369–397.
XV Abbildungen
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Abb. 17 [Vergrößerung im Digitalanhang] Direkte und indirekte Referenzen auf die antike griechische und römische Mythologie und auf die Bibel in Reizenstein.2
2 Siehe hierzu auch Kriegleder: Kommentar, S. 369–397.
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XV Abbildungen
Abb. 18 Kommunikationsnetzwerk der Romanfiguren in Reizenstein. (dunkelblau markierte Namen: weibliche Kommunikationspartner; hellblau markierte Namen: männliche Kommunikationsteilnehmer. Die Breite der Verbindungslinien ist äquivalent zu der Kommunikationsfrequenz zwischen den jeweiligen Korrespondenzpartnern.)
Abb. 19 Geografisches Kommunikationsnetzwerk der Romanfiguren in Reizenstein. (Grüne Verbindungen: Kommunikation in Europa; blaue Verbindungen: Kommunikation in Amerika; rote Verbindungen: transatlantische Kommunikation. Die Breite der Verbindungslinien ist äquivalent zu der Kommunikationsfrequenz zwischen den jeweiligen Korrespondenzpartnern.)
XV Abbildungen
Abb. 20 Umfang der auf die Jahre 1775–1780 datierten Briefe in Reizenstein (im Originaldruck von 1778/79).
Abb. 21 Anzahl der auf die Jahre 1775–1780 Briefe in Reizenstein.
729
730
XV Abbildungen
Abb. 22 und 23 Verhältnis der Anzahl der Briefe und des Seitenumfangs in den beiden Bänden in Reizenstein.
XV Abbildungen
731
Abb. 24 Politische Kommentare (rot), Erwähnungen Amerikas (A) und Erwähnungen politischer Ereignisse in Zusammenhang mit Amerika (PA) in den einzelnen Briefen in Reizenstein.
732
XV Abbildungen
Abb. 25 Verhältnis der auf die Jahre 1775 bis 1780 datierten Briefe mit und ohne politischen Kommentar in Reizenstein.
Abb. 26 Herkunft der aus Afrika und Europa stammenden Bevölkerung in den nordamerikanischen Festlandkolonien Großbritanniens (1770).3 3 Daten nach: Boyer – Clark – Kett u. a.: Enduring Vison, S. 97. Siehe auch Heideking – Mauch: Geschichte, S. 19.
XV Abbildungen
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Abb. 27 Anzahl der nach Nordamerika vermieteten Subsidiensoldaten aus den deutschen Territorialstaaten (mit Angabe der nicht zurückgekehrten Soldaten).4
Abb. 28 Siegel der Vereinigten Staaten. [Abbildungsnachweis: https:// upload.wikimedia.org/ wikipedia/commons/5/5c/ Great_Seal_of_the_United_ States_%28obverse%29.svg, 16. Mai 2016.]
4 Daten nach: Eelking: German allied troops, S. 257; Eelking: Hülfstruppen, S. 225. Siehe hierzu auch Atwood: Hessians, S. 153, 256; Franz – Fröhlich (Hgg.): Hessische Truppen, S. 3; Hoffman: German Soldiers. Bd. 1, S. 78; Kipping: Truppen, S. 40, 78 [Anm. 299]; Kuby: Die Deutschen, S. 57; Losch: Soldatenhandel, S. 29; Schröder: Amerikanische Revolution, S. 118; Taylor: Indentured to Liberty, S. x.
734
XV Abbildungen
Abb. 29 Logo der Universität Harvard in Cambridge/Massachussetts. [Abbildungsnachweis: https://en.wikipedia.org/wiki/File:Harvard_shield_wreath.svg, 16. Mai 2016.]
Abb. 30 Der Parthenon in Athen. [Abbildungsnachweis: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/49/Parthenon_ Athen.jpg, 16. Mai 2016.]
XV Abbildungen
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Abb. 31 Das Supreme Court Building in Washington, D.C. [Abbildungsnachweis: http://azcapitoltimes.com/files/2012/09/Supreme-Court.jpg, 16. Mai 2016.]
Abb. 32 Das Maison Carrée in Nîmes (Frankreich). [Abbildungsnachweis: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/10/ MaisonCarr%C3 %A9e.jpeg, 16. Mai 2016.]
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XV Abbildungen
Abb. 33 Das Virginia State Capitol 1865. [Abbildungsnachweis: https:// upload.wikimedia.org/ wikipedia/commons/a/ab/ Virginia_Capitol_1865.jpg, 16. Mai 2016.]
Abb. 34 Besiedeltes Gebiet in den Dreizehn Kolonien (um 1760).5 5 Daten nach: Häberlein, Britisch-Nordamerika, S. 23, Heideking – Mauch: Geschichte, S. 25; Kinder – Hilgemann: dtv-Atlas, S. 290; Padrón, Atlas, S. 454.
XV Abbildungen
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Abb. 35 Gesamtwert der Exporte 1768–1772 in den einzelnen Regionen der Dreizehn Kolonien (in £ Sterling).6
Abb. 36 Einwohnerzahlen der zwanzig größten Städte in den Dreizehn Kolonien (1770er Jahre).7
6 Daten nach: Galenson: Settlement, S. 198. 7 Daten nach: Bridenbaugh: Cities, S. 216 f.; Nash: Urban Crucible, S. 402, 408; Sautter: Vereinigten Staaten, S. 118.
738
XV Abbildungen
Abb. 37 Lage der zwanzig größten Städte in den Dreizehn Kolonien (1770er Jahre).8 [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de, 16. Mai 2016.]
Abb. 38 Politisches Kommunikationsnetzwerk der Romanfiguren in Reizenstein. (Die Breite der Verbindungslinien ist äquivalent zu der Kommunikationsfrequenz zwischen den jeweiligen Korrespondenzpartnern.)
8 Daten nach: Bridenbaugh: Cities, S. 216 f.; Nash: Urban Crucible, S. 402, 408; Sautter: Vereinigten Staaten, S. 118.
XV Abbildungen
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Abb. 39 Sklaven in den Dreizehn Kolonien (um 1770; in absoluten Zahlen).9 [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de, 16. Mai 2016.]
Abb. 40 Geschätzter prozentualer Anteil der Sklaven an der jeweiligen Gesamtbevölkerung in den Dreizehn Kolonien (um 1770).10 [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de, 16. Mai 2016.]
9 Daten nach: Berlin: Generations, S. 272–274. Siehe auch Mac Leod: Slavery, S. 203 f.; Sautter: Vereinigten Staaten, S. 107. 10 Daten nach: Berlin: Generations, S. 272–274. Siehe auch Mac Leod: Slavery, S. 203 f.; Sautter: Vereinigten Staaten, S. 107.
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XV Abbildungen
Abb. 41 Personenkonstellationen in Friedrich Maximilian Klingers Schauspiel Sturm und Drang.
Abb. 42 Intertextuelle Referenzen und historische Bezüge in Klingers Sturm und Drang.11 11 Siehe hierzu auch Fechner: Anmerkungen. In: Klinger: Sturm und Drang, S. 6 f., 21 f.
XV Abbildungen
Abb. 43 Geografische Angaben in Klingers Sturm und Drang (mit Anzahl der Nennungen). [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de, 16. Mai 2016.]
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XV Abbildungen
Abb. 44 John Trumbull: George Washington [mit William Lee hinter dem Pferd auf der rechten Seite]. 1780. [Abbildungsnachweis: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/3b/GW-painting. jpg, 10. Januar 2016.]
XV Abbildungen
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Abb. 45 Vergrößerter Ausschnitt aus Abb. 44. [Abbildungsnachweis: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/3b/GW-painting. jpg, 10. Januar 2016.]
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XV Abbildungen
Abb. 46 Intertextuelle Referenzen und historische Bezüge in Friedrich Maximilian Klingers Briefroman Geschichte eines Teutschen der neusten Zeit (1798).
XV Abbildungen
Abb. 47 Intertextuelle Referenzen und historische Bezüge in Klingers Dialogroman Der
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XV Abbildungen
Weltmann und der Dichter (1798).
Abb. 48 Anzahl der Nennungen der Lexeme „natürlich“ und „Natur“ in Klingers Geschichte eines Teutschen.
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Abb. 49 Geografische Angaben in Klingers Geschichte eines Teutschen (mit Anzahl der Nennungen). [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de, 16. Mai 2016.]
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XV Abbildungen
Abb. 50 Geografische Angaben in Klingers Der Weltmann und der Dichter (mit Anzahl der Nennungen). [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de, 16. Mai 2016.]
XV Abbildungen
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Abb. 51 Poetische Figuren und ihre möglichen historischen Vorlagen in Jakob Michael Reinhold Lenz’ Briefroman Der Waldbruder, ein Pendant zu Werthers Leiden (1776 [ED. 1797]).
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XV Abbildungen
Abb. 52 Intertextuelle Referenzen und historische Bezüge in Lenz’ Waldbruder. Siehe hierzu auch Voit: Anmerkungen, S. 509–514.
Abb. 53 Amerikabezüge in den Briefen in Lenz’ Waldbruder (farbig: Briefe mit Bezügen zu Amerika).
XV Abbildungen
Abb. 54 Geografische Angaben in Lenz’ Waldbruder (mit Anzahl der Nennungen). [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de, 16. Mai 2016.]
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XV Abbildungen
Abb. 55 Drucke deutschsprachiger Drucker in Nordamerika 1728–1800 nach Seidensticker (unterteilt nach Gattungen).12
Abb. 56 Drucke deutschsprachiger Drucker in Nordamerika 1728–1800 nach Bötte – Tannhof (unterteilt nach Gattungen).13
12 Daten nach Seidensticker: First Century, S. [6]-155. 13 Daten nach Bötte – Tannhof: First Century. Bd. 1, S. 1–1801.
XV Abbildungen
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Abb. 57 Gruppen der Publikationen deutschsprachiger Drucker in Nordamerika 1728–1800 nach Seidensticker (mit Angabe der absoluten Zahlen und der prozentualen Anteile [gerundet]).14
Abb. 58 Sprachliche Zugehörigkeit der Publikationen deutschsprachiger Drucker in Nordamerika 1728–1800 nach Seidensticker (mit Angabe der absoluten Zahlen und der prozentualen Anteile [gerundet]).15
14 Daten nach Seidensticker: First Century, S. [6]-155. 15 Daten nach ebd.
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XV Abbildungen
Abb. 59 Publikationen deutschsprachiger Drucker in Nordamerika 1728–1800 nach Seidensticker (unterteilt nach Sprachen).16
Abb. 60 Gruppen der Publikationen deutschsprachiger Drucker in Nordamerika 1728–1800 nach Bötte – Tannhof (mit Angabe der absoluten Zahlen und der prozentualen Anteile [gerundet]).17
16 Daten nach ebd. 17 Daten nach Bötte – Tannhof: First Century. Bd. 1, S. 1–1801.
XV Abbildungen
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Abb. 61 Ausgewählte Gründungen von Missionen der Herrnhuter Brüdergemeine in Europa und Amerika (mit Angabe des Gründungsjahres).18 [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de.] 18 Daten nach Engel: Religion, S. [20]. Siehe hierzu auch Hamilton – Hamilton: History, S. 474 f.
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XV Abbildungen
Abb. 62 [Vergrößerung im Digitalanhang] Mitgliederstatistik der Herrnhuter Brüdergemeine 1743.19 [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de.] 19 Daten nach Atwood: Community, S. [229]f. Atwood seinerseits stützt sich auf die Daten von Hamilton – Hamilton: History, S. 657 [Anm. 32]. In der Übersicht, die als Datengrundlage diente,
XV Abbildungen
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Abb. 63 Papiermühlen in den Bundesstaaten der USA 1810 nach einer Zählung von Isaiah Thomas (1749–1831).20 [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de.]
findet sich noch die Angabe: „Sweden [sic] 300“ (Atwood: Community, S. [229]; Hamilton – Hamilton: History, S. 657 [Anm. 32]). 20 Daten nach Wroth: Colonial Printer, S. 152. Siehe hierzu auch Wilsdorf: Early German-American Imprints, S. 12.
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XV Abbildungen
Abb. 64 Anzahl der deutsch-amerikanischen Drucker (dunkelgrau) und Städte mit deutschamerikanischen Druckern (hellgrau) in den nordamerikanischen Kolonien bzw. Staaten 1730–1830.21 [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de.]
21 Daten nach Wellenreuther: Citizens, S. 15.
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Abb. 65 Deutsch-Amerikanische Periodika 1732–1805 in den Dreizehn Kolonien bzw. Staaten (in Klammern = teilweise extrapoliert).22 [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de.]
22 Angaben errechnet aus den Daten in Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 13–710, 798–845; ebd. Bd. 2, S. 355–581.
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XV Abbildungen
Abb. 66 [Vergrößerung im Digitalanhang] Deutsch-amerikanische Zeitungen 1732–1805.23 [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de.]
23 Siehe hierzu auch Adams: Press, S. 168 f.; Earnest – Earnest – Rosenberry: Flying Leaves, S. 286, 308; Knauss, Jr.: Social Conditions, S. Vi, 211.
XV Abbildungen
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Abb. 67 Druckorte deutschsprachiger Drucker in Nordamerika 1728–1800 nach Seidensticker (mit Anzahl der Drucke).24 [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de.]
Abb. 68 Druckorte deutschsprachiger Drucker in Nordamerika 1728–1800 nach Bötte – Tannhof (mit Anzahl der deutschsprachigen Drucke).25 [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de.]
24 Daten nach Seidensticker: First Century, S. [6]-155. 25 Daten nach Bötte – Tannhof: First Century. Bd. 1, S. 1–1801.
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XV Abbildungen
Abb. 69 Deutsch-Amerikanische Periodika 1732–1968 (aufgeteilt nach Bundesstaaten).26 [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de.]
26 Angaben errechnet aus den Daten nach Arndt – Olson: Presse. Bd. 1, S. 13–710, 798–845; ebd.: Presse. Bd. 2, S. 355–581.
XV Abbildungen
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Abb. 70 [Vergrößerung im Digitalanhang] Mitglieder der deutsch-amerikanischen Druckerfamilie Saur (auch Sauer, Sower und Sowr) mit Angabe ihrer geografischen Tätigkeitsfelder und einflussreichsten Druckerzeugnisse (in Auswahl).
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XV Abbildungen
Abb. 71 Drucker deutschsprachiger Titel in Nordamerika 1728–1800 (mit Angabe der gedruckten Titelzahlen [teilweise gerundet]).27
27 Daten nach Bötte – Tannhof: First Century. Bd. 1, S. 1–1801. Bei mehreren Druckern wurde der Druck bei der Zählung dem entsprechenden Verhältnis nach aufgeteilt. Christoph Saur = Christoph Saur I. und/oder II. Die „sonstigen Drucker“ sind (mit Angabe der von ihnen jeweils gedruckten Titel): Johann Gruber (17,5), Henrich Schweitzer (16), Gottlob Jungmann (13,5), Heinrich Kämmerer, Sr. (13,3), Jacob Bailey (13), o. Dr. (9), Andrew Bradford (7), Nikolaus Haselbach (7), Jacob Lahn (6,5), Gotthard Armbrüster (6), Johann Böhm (6), Jacob Schneider (6), Theophilus Cossart (5), Peter Miller (4,5), Johann Brandmüller (4), Francis Coupée (4), John Dunlap (4), Christian Jacob Hütter (4), Samuel Endredy Stettinius (3,5), Joseph Crukshank (3), Joseph R. Kämmerer (3), Peter Saur (2,5), Thomas Barton (2) Johann Martin Schlump (2), Heinrich Kämmerer, Jr. (1,8), William Dickson (1,5), Georg Helmbold (1,5), Wilhelm Daniel Lepper (1,5), John M’Culloch (1,5), Ludwig Weiss (1,5), Johann Baumann (1), Joseph Crell (1), Hendericus De Foreest (1), Johann Geyer (1), Benjamin Johnson (1), Jacob Johnson (1), Georg Klein (1), Michael Müller (1), Albert Conrad Reben (1), George Reynolds (1), Anton Stiemer (1), Charles R. Webster (1), Henry Willcocks (1), John Wyeth (1), J. Georg Zeisiger (1), John Zenger (1), Carl Andreas Bruckmann (0,5), Cornelia Bradford (0,5), Robert Dickson (0,5), Samuel Holland (0,5), ? Miller (0,5), Isaac Neale (0,5), James Swords (0,5), Thomas Swords (0,5), Isaiah Warner (0,5) und William Young (0,5).
XV Abbildungen
Abb. 72 Subskriptionsorte im Laufe der Publikationsgeschichte von Samuel Saurs Der Neue Hoch Deutsche Americanische Calender (Ausgaben 1791–1807).28 [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de.]
28 Die Angaben sind den Titelblättern entnommen.
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XV Abbildungen
Abb. 73 Subskriptionsorte von Henrich Millers deutsch-amerikanischer Wochenzeitung Der Wöchentliche Philadelphische Staatsbote (in den Jahren 1762/63).29 [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de.]
29 Angaben nach [Anonym]: [Die Bedingungen unter welchen diese Zeitung alle Montag soll heraus kommen, sind wie folgt:], S. [1]f.; [Anonym]: [Das Einschreiben zu dieser Zeitung geschiehet dann], S. [1]; [Anonym]: [Man läßt sich zu dieser Zeitung einschreiben], S. [2]. Siehe hierzu auch Dapp: John Henry Miller, S. 239–241.
XV Abbildungen
Abb. 74 Loyalistische Zeitungen in Nordamerika.30 [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de.]
30 Daten nach Barnes: Newspapers, S. 218–240.
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XV Abbildungen
Abb. 75 Abbildung auf dem von Anton Armbrüster gedruckten Flugblatt anlässlich der Bekanntgabe der Aufhebung des Stamp Act. [Abbildungsnachweis: (Anonym): (Wo des Verächters Netz uns Weg und Pfad bestrickte), S. (1).]
Abb. 76 Abb. 77 [Abbildungsnachweise: Abb. 76: (Anonym): Ein Lied von dem gegenwärtigen Zustand in America, S. (1); Abb. 77: (Anonym): Anecdote, S. (3).]
XV Abbildungen
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Abb. 78 Deutsch-amerikanische Darstellung George Washingtons als „Des Landes Vater“ im oberen Drittel. 1778. [Abbildungsnachweis: Rittenhaus (Hg.): Der Gantz Neue Verbesserte Nord-Americanische Calender, Auf das 1779ste Jahr Christi, S. (nicht paginiert). Die hier verwendete Abbildung stammt aus Pennypacker: Early Literature, S. 41.]
Abb. 79 Darstellung eines Denkmals in Form eines Obelisken zu Ehren Washingtons. 1800. [Abbildungsnachweis: (Anonym): Züge aus dem Leben und Character des General Georg Waschington, ehemaliger Präsident von den Vereinigten Staaten von America, S. (27)].
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XV Abbildungen
Abb. 80 Darstellung eines Pyramiden-Grabmals zu Ehren Washingtons. 1804. [Abbildungsnachweis: Dietrich (Hg.): Der neue Nord-Americanische Stadt und Land Calender, Auf das Jahr unsers Heilandes Jesu Christi, 1805, S. (nicht paginiert)].
XV Abbildungen
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Abb. 81 Darstellung Washingtons in militärischer Uniform. 1798. [Abbildungsnachweis: Kämmerer – Kämmerer (Hgg.): Philadelphisches Magazin, oder Unterhaltender Gesellschafter, für die Deutschen in America, S. (nicht paginiert)].
Abb. 82 Darstellung Washingtons in militärischer Uniform. 1791. [Abbildungsnachweis: Billmeyer (Hg.): Der Hoch-Deutsche Americanische Calender, Auf das Jahr 1792, S. (22)].
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XV Abbildungen
Abb. 83 Gilbert Stuart: George Washington. 1825. [Abbildungsnachweis: https://en.wikipedia. org/wiki/File:Walters_Gilbert_Stuart_George_ Washington.jpg, 16. August 2016.]
Abb. 84 Gilbert Stuart: Portrait of George Washington (The Athenaeum). 1796. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gilbert_Stuart_1796_ portrait_of_Washington.jpg, 16. August 2016.]
XV Abbildungen
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Abb. 85 Constantino Brumidi: The Apotheosis of Washington. 1865. [Abbildungsnachweis: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/69/Apotheosis_ of_George_Washington.jpg, 9. August 2016.]
Abb. 86 Vergrößerter Ausschnitt aus Abb. 85.
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XV Abbildungen
Abb. 87 John Trumbull: General Washington Resigning His Commission. 1822–1824. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:General_George_ Washington_Resigning_his_Commission.jpg, 16. August 2016.]
Abb. 88 Nach Franklin benannter Hauptkrater mit seinen Nebenkratern auf dem Mond (Koordinaten: 38,73° N, 47,64° O). [Abbildungsnachweis: https://de.wikipedia.org/wiki/Franklin_(Mondkrater)#/media/ File:Maury_%2B_Cepheus_%2B_Franklin_%2B_Berzelius_-_LROC_-_WAC.JPG, 1. Januar 2017.]
XV Abbildungen
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Abb. 89 Hauptaufenthaltsorte von Benjamin Franklin (Franklins Wohnort während seines Aufenthaltes in Frankreich war die Gemeinde Passy, die im 19. Jahrhundert von Paris eingemeindet wurde; nicht verzeichnet sind die Reisen bzw. die vergleichsweise kurzen Aufenthalte wie z. B. 1754 in Albany/New York, 1766 in Göttingen und 1776 in Kanada). [Kartenvorlage blank: www.d-maps.com.]
Abb. 90 Aufbau von Johann Jacob Meyens Epos Franklin, der Philosoph und Staatsmann (jeder Vertikalbalken repräsentiert eine Seite).
Abb. 91 Verteilung der Lexeme, die in Meyens Franklin-Epos auf Amerika/Europa verweisen (jeder Vertikalbalken repräsentiert eine Seite).
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XV Abbildungen
Abb. 92 Verteilung der Lexeme, die mit dem Oberbegriff „Elektrizität“ in Verbindung zu setzen sind (jeder Vertikalbalken repräsentiert eine Seite).
Abb. 93 Verteilung der Lexeme, die mit dem Oberbegriff „Politik“ in Verbindung zu setzen sind (jeder Vertikalbalken repräsentiert eine Seite).
Abb. 94 Anteil der Übersetzungen in der deutschsprachigen Franklinliteratur bis 1850 (Angaben nach einer Auswertung der in Anhang 2 aufgeführten Titel).
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Abb. 95 „Der Philosoph von Ferney segnet den jungen GrosSohn Franklins“. [Abbildungsnachweis: Forster: Erinnerungen aus dem Jahr 1790, S. 276.]
Abb. 96 Pedro Américo: Voltaire Abençoando o Neto de Franklin, em Nome de Deus e da Liberdade. 1889/90. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pedro_Am%C3 %A9rico_-_ Voltaire_aben%C3 %A7oando_o_neto_de_Franklin_em_nome_de_Deus_e_da_Liberdade_2. jpg, 15. Oktober 2016.]
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XV Abbildungen
Abb. 97 Darstellung der Glasharmonika in einer italienischen Schrift. Ca. 1776. [Abbildungsnachweis: https://de.wikipedia.org/wiki/ Datei:Benjamin_Franklin%27s_glass_harmonica_ (LoC)_edited.jpg, 15. Oktober 2016.]
Abb. 98 Nathaniel Currier – James Ives: Franklin’s Experiment, June 1752. 1876.31 [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Benjamin_Franklin_ Lightning_Experiment_1752.jpg, 16. Oktober 2016.]
31 Die Lithographie zeigt, historisch nicht akkurat, Benjamin Franklins Wetterexperiment im Sommer 1752 mit seinem hier adoleszent dargestellten Sohn William, der zu diesem Zeitpunkt ca. 22 Jahre alt war.
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Abb. 99 Jean-Antoine Houdon: Benjamin Franklin. 1778. [Abbildungsnachweis: https:// upload.wikimedia.org/wikipedia/ commons/f/f4/Houdon_-_Benjamin_ Franklin_%281778 %29.jpg, 15. Oktober 2016.]
Abb. 100 Jean-Honoré Fragonard: Au Génie de Franklin. Ca. 1778. [Abbildungsnachweis: https:// upload.wikimedia.org/wikipedia/ commons/2/20/To_the_Genius_of_ Franklin_by_Fragonard_c1778.jpg, 15. Oktober 2016.]
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XV Abbildungen
Abb. 101 Benjamin West: Benjamin Franklin Drawing Electricity from the Sky. Ca. 1816. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Benjamin_West,_English_ (born_America)_-_Benjamin_Franklin_Drawing_Electricity_from_the_Sky_-_Google_Art_ Project.jpg, 15. Oktober 2016.]
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Abb. 102 Heinrich Füger: Prometheus bringt der Menschheit das Feuer. Ca. 1817. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/ wiki/File:Heinrich_fueger_1817_prometheus_brings_fire_ to_mankind.jpg, 15. Oktober 2016.]
Abb. 103 Verteilung der Lexeme, die in Johann Jacob Meyens Franklin-Epos auf die Antike verweisen (rot: Seite mit einem entsprechendes Lexem; weiß: Seite ohne entsprechendes Lexem).
Abb. 104 W. O. Geller (nach Baron Jolly): Franklin Surrounded by the Ladies at Court. Ca. 1830.32 [Abbildungsnachweis: https:// commons.wikimedia.org/wiki/ File:Franklin_and_the_ladies_of_ Paris.png, 15. Oktober 2016.]
32 Die Abbildung zeigt die Bekrönung Franklins mit einem Lorbeerzweig.
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Abb. 105 Daniel Chodowiecki (Künstler) – Daniel Berger (Stecher): „Dr Franklin erhält, als Gesandter des Americanischen FreyStaats, seine erste Audienz in Frankreich, zu Versailles. am 20ten März 1778.“ 1784.33 [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dr_Franklin_erh%C3 %A4lt,_ als_Gesandter_des_Americanischen_Frey_Staats,_seine_erste_Audienz_in_Frankreich,_zu_ Versailles,_am_20ten_M%C3 %A4rtz_1778.jpg, 15. Oktober 2016.]
33 Der Kupferstich gehört zu einer Serie von Darstellungen der Amerikanischen Revolution, die in Matthias Christian Sprengels Almanach Historisch-genealogischer Calender, oder, Jahrbuch der merkwürdigsten neuen Welt-Begebenheiten für 1784 erschienen. Siehe hierzu auch Overhoff: Benjamin Franklin und die Berliner Aufklärung, S. 79 f.
XV Abbildungen
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Abb. 106 Benjamin West: American Commissioners of the Preliminary Peace Agreement with Great Britain. 1783/84.34 [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Treaty_of_Paris_by_ Benjamin_West_1783.jpg, 16. Oktober 2016.]
Abb. 107 Darstellung Benjamin Franklins mit seiner Pelzmütze. Stich von A. H. Richie nach einer 1777 angefertigten Zeichnung von Charles-Nicholas Cochin. [Abbildungsnachweis: https:// en.wikipedia.org/wiki/File:Franklin1877. jpg, 15. Oktober 2016.] 34 Das unvollendete Gemälde zeigt John Jay, John Adams, Benjamin Franklin, Henry Laurens und William Temple Franklin.
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XV Abbildungen
Abb. 108 Zeitgenössische Darstellung Benjamin Franklins mit seiner Netzkappe. [Abbildungsnachweis: https://de.wikipedia.org/wiki/ Datei:Franklin_in_his_fur_cap.png, 15. Oktober 2016.]
Abb. 109 Verteilung der Lexeme, die Johann Jacob Meyens Franklin-Epos mit dem Oberbegriff „Natur“ in Verbindung zu setzen sind (rot: Seite mit einem entsprechendes Lexem; weiß: Seite ohne entsprechendes Lexem).
Abb. 110 Schema des von Benjamin Franklin konzipierten Tagesablaufs. [Abbildungsnachweis: Franklin: The Autobiography, S. 87.]
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Abb. 111 Tizian: Mariä Himmelfahrt. 1516–1518. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tizian_041.jpg, 31. Dezember 2016.]
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XV Abbildungen
Abb. 112 Paul Troger: Apotheose Karls VI. 1739. [Abbildungsnachweis: ht https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/81/Stift_ Göttweig_Kaiserstiege_Fresko_01.JPG, 4. Juni 2019.]
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Abb. 113 Pierre-Nicolas Legrand de Lérant: Apotheose von Horatio Nelson. Ca. 1805–1818. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Apotheosis_of_Nelson.jpg, 31. Dezember 2016.]
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Abb. 114 Dokumentierte, wahrscheinliche und mögliche Aufenthaltsorte von Jacob/Philadel phus Philadelphia (eigentlich: Jacob Meyer) (in Auswahl).35 [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de]
Abb. 115 Geplante Reiseziele von Christlob Mylius in Amerika [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de]
35 Bei den in der Karte eingetragenen Orten handelt es sich um eine Zusammenstellung der in der Forschungsliteratur genannten Aufenthaltsorte. Die Angaben stammen aus Ebstein: Jacob Philadelphia, S. 23; Geiger: Jacob Philadelphia, S. 89; Hirsch: Philadelphus Philadelphia; Jütte: Haskala, S. 41; Jütte: Zeitalter, S. 354; Sachse: Jacob Philadelphia, S. 76 f.
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Abb. 116 Abbildung auf dem Schmutztitel.von Der Allerneuste, Verbesserte- und Zuverläßige Americanische Reichs-, Staats-, Kriegs-, Siegs- und Geschichts-Calender, Auf das Jahr […] 1780 [Abbildungsnachweis: Bartgis (Hg.): Der Allerneuste, Verbesserte- und Zuverläßige Americanische Reichs-, Staats-, Kriegs-, Siegs- und Geschichts-Calender, Auf das Jahr […] 1780, S. (nicht paginiert).]
Abb. 117 John Trumbull: Surrender of Lord Cornwallis. 1819/20. [Abbildungsnachweis: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Surrender_of_Lord_Cornwallis. jpg, 8. März 2015.]
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Abb. 118 Emanuel Gottlieb Leutze: Washington Crossing the Delaware. 1851. [Abbildungsnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Washington_Crossing_the_ Delaware_by_Emanuel_Leutze,_MMA-NYC,_1851.jpg, 27. Mai 2015.]
Abb. 119 John Trumbull: Surrender of General Burgoyne. 1821. [Abbildungsnachweis: https://en.wikipedia.org/wiki/Surrender_of_General_Burgoyne#/ media/File:Surrender_of_General_Burgoyne.jpg, 8. März 2015.]
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Abb. 120 Musiknoten für die Abendfantasieen eines Hessen in Amerika. [Abbildungsnachweis: B[ischo]ff: Abendfantasieen eines Hessen in Amerika, S. (86b).]
Abb. 121 Ergebnisse in den Counties von Pennsylvania bei der Gouverneurswahl 1799 (die Karte zeigt die Grenzen der heutigen Counties; Anteile in Prozent) [Kartenvorlage blank: www.d-maps.de]
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Abb. 122 Emanuel Leutze: Westward the Course of Empire Takes Its Way. 1860. [Abbildungsnachweis: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/72/Westward.jpg, 19. Juli 2015.]
Abb. 123 John Gast: American Progress. 1872. [Abbildungsnachweis: https://en.wikipedia.org/wiki/American_Progress#/media/ File:American_Progress_(John_Gast_painting).jpg, 19. Juli 2015.]
XV Abbildungen
Abb. 124 John Gadsby Chapman: Baptism of Pocahontas. 1840. [Abbildungsnachweis: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Baptism_of_Pocahontas.jpg, 22. April 2017.]
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