Die deutsche anakreontische Dichtung des 18. Jahrhunderts: Ihre Beziehungen zur französischen und zur antiken Lyrik. Materialien und Studien [Reprint 2018 ed.] 9783111346908, 9783110993509


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VORWORT
INHALTSÜBERSICHT
EINLEITUNG. ÜBERSICHT ÜBER DIE GESCHICHTE DER FRANZÖSISCHEN GESELLSCHAFTSPOESIE
I. KAPITEL. DIE ANAKREONTISCHE POESIE DES 18. JAHRHUNDERTS IN DEUTSCHLAND IN IHREM VERHÄLTNIS ZUR FRANZÖSISCHEN GESELLSCHAFTSPOESIE
II. KAPITEL. ANAKREON IN DER DEUTSCHEN DICHTUNG DES 18. JAHRHUNDERTS
ANHANG
LITERATUR
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Die deutsche anakreontische Dichtung des 18. Jahrhunderts: Ihre Beziehungen zur französischen und zur antiken Lyrik. Materialien und Studien [Reprint 2018 ed.]
 9783111346908, 9783110993509

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QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR

SPRACH- UND CITLTUMESCHICHTE DER

GERMANISCHEN VÖLKER.

HERAUSGEGEBEN

VON

ALOIS BRANDL, ERNST MARTIN, ERICH SCHMIDT.

ci. © I E DEUTSCHE ANAKREONTISCHE

DICHTUNG DES 18. JAHRHUNDERTS.

STRASSBURG. K A R L

J.

TRÜBNER.

1907.

DIE DEUTSCHE ANAKKEONTISCHE DICHTUNG DES 18. JAHRHUNDERTS. IHRE BEZIEHUNGEN ZUR FRANZÖSISCHEN UND ZUR ANTIKEN LYRIK.

MATERIALIEN

UND

STUDIEN

VON

FRIEDRICH AUSFELD.

STR ASSBURG. K A R L J. T R Ü B N E R . 1907.

M. DuMont Schauberg, Straßburg.

VORWORT. Der nachstehenden Doktorschrift liegt die Bearbeitung einer Preisaufgabe zugrunde, die von der philosophischen Fakultät der Kaiser-Wilhelms-Universität in Straßbjirg in den Jahren 1899 bis 1901 für die Lamey-Stiftung ausgeschrieben worden war. Das Thema stellt dem Verfasser eine umfangreiche und schwierige Aufgabe, denn erstens ist die deutsche Anakreontik selbst ein Produkt sehr verschiedenartiger Entwickelungselemente, und zweitens ist das wichtigste von diesen, die französische Gesellschaftspoesie, ein Gegenstand, der im Zusammenhang noch nicht behandelt worden ist. Dem Verfasser ist es nicht möglich gewesen, das Thema auch nur annähernd zu erschöpfen, und er ist sich dessen bewußt. Es war ihm vor allem daran gelegen klarzustellen, was man auf der einen Seite unter „französischer Gesellschaftspoesie", auf der andern unter „deutscher Anakreontik" zu verstehen hat, und aus diesem Grunde die Aufgabe zu lösen : 1. die aus der Eigenart des französischen Gesellschaftslebens der höheren Stände erwachsene Poesie in ihren Entwickelungslinien zu charakterisieren sowie nach Möglichkeit deren Bedeutung f ü r die deutsche Anakreontik — über die deutsche Gesellschaftskultur liegt ja leider noch sehr wenig Material vor — darzulegen; 2. zu untersuchen, welche Motive sowie welche stilistischen und metrischen Eigentümlichkeiten die deutsche Anakreontik von den unter dem Namen des Anakreon überlieferten Liedern übernommen hat. Außer von diesen Liedern hat die deutsche Anakreontik noch aus der antiken Lyrik zahlreiche Motive von der griechischen Anthologie und von Horaz entlehnt; auch über diesen Punkt ist der Verfasser sich bewußt, nichts Abschließendes geboten zu haben. Immerhin sind vielleicht der Literaturforschung einige Ergebnisse dieses Versuchs willkommen.

— VI —

Besonderen Dank für wertvolle Anregungen schuldet der Verfasser seinen verehrten Lehrern, den Professoren Dr. Martin, Dr. Gröber, Dr. Keil und Dr. Henning; namentlich des letzteren außerordentlich freundliches Interesse förderte den Abschluß dieser Arbeit. Auch ist es dem Verfasser eine angenehme Pflicht, seinem verehrten ehemaligen Lehrer, Professor Dr. Ehwald in Gotha, dem Direktor der dortigen herzoglichen Bibliothek, an dieser Stelle aufrichtigen Dank zum Ausdruck zu bringen für das besonders freundliche Entgegenkommen, das dem Verfasser die Benutzung des in der herzoglichen Bibliothek vorhandenen wertvollen Materials uneingeschränkt ermöglichte.

INHALTSÜBERSICHT. Seite.

EINLEITUNG: Übersicht über die Geschichte der französischen Gesellschaftspoesie I. Die Entwickelung bis Clément Marot II. Marot und seine Zeitgenossen III. Die Plejade IV. Hôtel Rambouillet V. Der Epikureismus VI. Malherbe, Maynard, Racan • VII. Voiture und andere Vertreter der Salonliteratur. . VIII. Die epikureische und galante Dichtung in der zweiten Hälfte des 17. und im 18. Jahrhundert. . IX. Die Poésie légère

1—28 2 8 11 14 16 17 18 21 25

I. KAPITEL : Die anakreontische Poesie des 18. Jahrhunderts in Deutschland in ihrem Verhältnis zur französischen Gesellschaftspoesie. I. Vorbemerkungen über die Gesellschaftsdichtung in Deutschland 29 II. Charakteristik der anakreontischen Dichtung durch die Dichter selbst 33 III. Eigentümliche Ausdrücke für den anakreontischen Lebensgenuß 40 IV.—VII. : Das Liebesmotiv in der deutschen und französischen Anakreontik 43—67 IV. Amor 43 V. Die einzelnen Themata 47 VI. Die Verwendung der Mythologie 56 VII. Die Geliebte 57 VIII. Die Schäferpoesie bei den Anakreontikern . . . 67 IX. Die poetische Verwendung der Natur 71 X. Das Motiv „Liebe und Freundschaft" 84 XI. Themata des behaglichen Lebensgenusses . . . 85 XII. Dichterische Darstellungsmittel und äußere Formen der französischen Gesellschaftspoesie und der deutschen Anakreontik 86



VIII

-

Seite. II. KAPITEL : Anakreon in der deutschen Dichtung des 18. J a h r hunderts. I. Vorbemerkungen über die griechischen a n a k r e o n tischen Lieder u n d ihr Wirksamwerden in der deutschen Dichtung 97 II.—XI. Die stofflichen Motive der griechischen u n d der 100—134 deutschen Anakreontik II. Anakreon u n d Anakreontisches Dichten. . . . 100 III. Die anakreontische Lebensanschauung (Allgemein) 102 IV. Die anakreontische Lebensanschauung (ihre ein zelnen Themata) 104 V. Bemerkungen über die anakreontische Stimmungs- und Situationslyrik („Anakreontische Detaildichtung") 111 VI. Liebe 113 VII. Liebe und Wein 123 VIII. Wein • 124 IX. Kränze u n d Rosen 131 X. Tanz 133 XI. Kurze Bemerkung über die Verwendung der Mythologie . . . . • 134 XII. Das Verhältnis der Stilmittel der deutschen anakreontischen Gedichte zu d e n e n der cuniroaciKÖt f)|aid|nßia. 134 XIII. Die Metrik der cu|HTiociaK& f|,ma^ßia und die der deutschen anakreontischen Gedichte 140 XIV. Z u s a m m e n f a s s u n g 143 ANHANG: I. Veranschaulichung von Jacobis „Kleiner Manier" a n Beispielen aus seinem dichterischen Wortschatz . II. Bodmers Schrift „Von den Grazien des Kleinen" (Abdruck nach Bodmers Handexemplar)

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LITERATUR

163

151

EINLEITUNG.

ÜBERSICHT ÜBER DIE GESCHICHTE DER FRANZÖSISCHEN GESELLSCHAFTSPOESIE. „Gesellschaftspoesie" ist ein Wort, das viel gebraucht wird, aber ein Begriff, den man selten erklärt findet. Man kann sich denken, daß bestimmte dichterische Produktionen in geselligen Kreisen besonders beliebt waren und sind; wenn man solche Dichtungen als „Gesellschaftspoesie" bezeichnet, so gibt man diesem Begriff eine passive Bedeutung, die „Gesellschaft" verhält sich dann rezeptiv. Nimmt man aber an, daß die Gesellschaft als wirkende Ursache bestimmter Dichtungen anzusehen ist, so spricht man von „Gesellschaftspoesie" in aktivem Sinne; die „Gesellschaft" ist dann produktiv. Das will heißen : an Stelle einer dichterisch produzierenden P e r s ö n l i c h k e i t , die aus sich selbst heraus, einer inneren Notwendigkeit folgend, sich künstlerisch betätigt, tritt die „Gesellschaft", also eine G e s a m t h e i t v o n I n d i v i d u e n als Triebkraft oder Anlaß dichterischen Schaffens, um derentwillen, in deren Sinne und für die gedichtet wird, also mit dem Anspruch, als Richtung gebende Autorität zu gelten. Der Inhalt der Dichtung entspringt also nicht einem Selbsterlebten, sondern gibt jeweilige Geschmacksrichtungen wieder; die dichterische Form ist nicht mehr originell, sondern konventionell, mithin finden wir in dem Begriff „Persönlichkeits- oder Erlebnis-Dichtung" den Gegensatz zu dem Begriff „Gesellschaftspoesie". ') ') Der Begriff „littérature de société", „vers de société", ist auch französischen Literarhistorikern geläufig. Charles Asselineau, Les Poètes Français II p. 552 zu J.-Fr. Sarrazin, deutet an, daß man unter „littérature de société" gemeiniglich eine solche verstehe, die sich von den strengen Anforderungen der Kunst emanzipiert hat, wie sie bei den Besuchern des Hôtel du Temple und allgemein bei den Dichtern des QF. CI.

1

o

Einleitung.

Von Gesellschaftspoesie in dieser letzteren Bedeutung läßt sich überall da reden, wo die Dichtkunst in den Dienst der Geselligkeit getreten ist. Das vermittelnde Band zwischen beiden war von Alters her die Musik. Die Musik hat die Poesie schon in frühster Zeit populär gemacht (neben der Lyrik auch die Epik, in neuerer Zeit das Drama); die Musik führte die Dichtung und die Dichtkunst in die französischen Höfe ein, in die Geselligkeit des Adels, in die Familien des Bürgerstandes, bahnte dort das Verständnis für sie an und erhielt es wach. Ohne Musik ist der Ursprung einer Gesellschaftspoesie kaum denkbar. I. D i e E n t w i c k e l n n g b i s C l é m e n t M a r o ! Die älteste Überlieferung lyrischer Poesie läßt erkennen, daß die Dichtkunst sich schon früh den geselligen Gebräuchen des Volks angeschlossen hat, und ebenso hat sie im späteren Mittelalter den geselligen Vergnügungen des Adels gedient, deren ursprüngliche Art wohl in den späteren des niederen Volks erhalten ist. Die älteste Form dieser Geselligkeitsdichtung ist das Tanzlied, und auf dieses gehen vermutlich die hauptsächlichsten Formen des französischen Kunstlieds zurück, die Refrainlieder, Balade, Virelai, Rondeau; der französischen Minnedichtung, — deren enger Zusammenhang mit der älteren provenzalischen Troubadourpoesie hier nur erwähnt werden kann — sind Formen eigen, wie die der 18. Jahrh. beliebt war. — Schon Le Brun, Petits Poètes Français I p. 548, charakterisiert die Poesie, die sich gesellschaftlichen Formen anpaßt, in dem Epigramm „Qu'on peut lire des v e r s , mais jamais de poésie dans la société". — Délille schrieb eine „Epitre sur les vers de société". Der Definition des Begriffs „Gesellschaftspoesie" trat zuerst näher Otto Peters durch seine Besprechung der lyrischen Gesellschaftsdichtung (0. P. „Die lyrische Gesellschaftsdichtung im Zeitalter Richelieus und Mazarins". Diss. Leipzig 1897 p. 7—9). Er weist darauf hin, daß dieser Begriff eigentlich einen inneren Widerspruch enthält : von einer lyrischen Dichtung erwartet man, daß in ihr die Persönlichkeit des Dichters im Vordergrund steht, entsteht dagegen die Dichtung zu dem Zweck, von einer bestimmten Klasse von Menschen gewürdigt zu werden, so wird sie nach Inhalt und Form in erster Linie die Stimmungen und Gefühle einer solchen Gesellschaft wiedergeben.

Übersicht über die Geschichte der französischen Gesellschaftspoesie.

3

Chanson, Pastorelle, Complainte, des Jeu p a r t i u . a,, die mit Musik zum Teil uns überliefert sind und auch in deu lyrischen Einlagen von Romanen des 13. Jahrhunderts auftreten, des Roman de la Violette, des Roman de la Rose 2 ) u. a. Die an dem Hofe zu Paris sowie an den zahlreichen Herzogshöfen Frankreichs (Luxemburg, Orleans, Burgund, Anjou, Bretagne u. a.) gepflegte Dichtkunst erhielt seit etwa Mitte des 13. Jahrhunderts Bedeutung für die französische Literatur; im 15. Jahrhundert wurden diese Herrschersitze Mittelpunkte einer blühenden H o f p o e s i e . Diese trägt im 14. und 15. Jahrhundert rein persönlichen und z. T. geselligen Charakter. Das dichterische Selbstgefühl, das in der durch die Heldenepik gekennzeichneten Epoche noch unentwickelt geblieben war, machte sich seit der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts in der Lyrik geltend, im 13. Jahrhundert auch in der Dit-Dichung.3) Der g a l a n t e n G e s e l l i g k e i t der Höfe und des Adels leistete die Poesie in dieser wie in der späteren Zeit im Grunde die gleichen Dienste; viele formale und inhaltliche Eigentümlichkeiten, die sich schon im Mittelalter ausbildeten, hat die Gesellschaftspoesie, meist ohne wesentliche Umgestaltungen, bis ins 18. Jahrhundert beibehalten; ihre Wandlungen erfuhr sie, wie jede Entwickelung in der Menschheitsgeschichte, durch Persönlichkeiten, die Überliefertes in ihrer Kunst auf höhere Stufe hoben und durch eigenes innerlich Erlebtes, dem sie künstlerische Gestaltung gaben, ihre Zeit und die Nachwelt um ein lebenskräftiges und lebenerzeugendes Vermächtnis bereicherten. Kein anderer beeinflußte, namentlich im Ton, diese Poesie so nachhaltig, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, wie Clém e n t Marot. In seiner Dichtung hat jedoch die Gesellschaftspoesie durchaus nicht ihren Ursprung : dieser liegt vielmehr, wie oben angedeutet, schon im 14. Jahrhundert in der an den f r a n z ö s i s c h e n H ö f e n gepflegten Poesie, deren wichtigste Vertreter hier nur kurz genannt werden können. ') Gröbers Grundriß II. 1. p. 947 f. ) Gröbers Grundriß II. 1. p. 936 u. 663. Ferner Suchier u. Birch Hirschfeld p. 236/37. 3 ) Gr. Gr. II. 1 p. 819. 2

1*

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Einleitung.

Am Hofe Johanns von L u x e m b u r g lebte G u i l l a u m e de M a c h a u t (geb. vor 1300, gest. um 1377), „der Begründer der neuen, persönlichen Dichtkunst", ') die sich mit neuartiger Musik verband und deren enges Yerflochtensëin mit der Musik von größter Bedeutung für die Wirksamkeit der Poesie Ms. in den Kreisen war, mit denen ihn seine bevorzugte Stellung in Berührung brachte. Neben dem hohen persönliaheii und musikalischen Wert seiner Dichtung ist hier besonders hervorzuheben einmal, daß in ihr die m i t t e l a l t e r l i c h e All e g o r i e bereits mit den Elementen der a n t i k e n Mythologie verbunden ist, und dann, daß er als erster in literarischen Werken Verse und Prosa miteinander verband, ein Brauch, der nach ihm in der französischen Literatur nicht wieder aufgegeben wurde und, als genre mêlé, seit Vincent Voiture die Eigentümlichkeit des galanten Briefes bis zum Ende des 18. Jahrhunderts blieb. Mehr in der inhaltlichen als in der formalen Gestaltung seiner Dichtung originell war der Geschichtsschreiber J e a n F r o i s s a r t (vor 1337 bis um 1404),2) der in enger Beziehung zum B r a b a n t e r Hofe stand und durch diesen auch mit den Höfen in England, Frankreich und Italien bekannt wurde. Seine Dichtung stand unter dem Einfluß Machauts. K u n s t r e i c h e A u s g e s t a l t u n g des Reims, der S t r o p h e n sowie des Stils — die in späterer Zeit bis zur bloßen Spielerei übertrieben wurde — gehörte zu den literarischen Aufgaben, die sich F. stellte. Sehr vielseitig ist die Erlebnis-Dichtung des E u s t a c h e D e s c h a m p s (geb. um 1340, gest. nach 1403),3) der am par i s e r Hofe (unter Karl dem Weisen und Karl VI.) lebte, militärisch und politisch tätig, und auch mit dem Herzogshofe zu O r l é a n s in nahe Beziehungen trat. Die Form der B a l l a d e ist die von ihm, wie überhaupt in seiner Zeit,4) neben der Chanson royal, dem Rondeau, Virelai und Lai be4

s ) Gröbers Grundriß II. 1. p. 1042. ) Gr. Gr. II. 1. p. 1047 ff. ) Gr. Gr. II. 1. p. 1056; Raynaud, Œuvres d'E. D. Bd. XI, Hoepffner, E. D. Leben und Werke. 4 ) Zwischen 1386 u. 92 entstand der L i v r e d e s c e n t b a l a d e s . S. Gr. Gr. II. 1. p. 1076. s

Übersicht liber die Geschichte der französischen Gesellschaftspoesie.

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vorzugte Dichtungsform. Als Freund guter Tafelgenüsse und froher Geselligkeit kann er als Vorläufer der e p i k u r e i s c h e n Dichter des 18. Jahrhunderts gelten; die geselligen unter seinen Gedichten setzen einen männlichen Hörerkreis voraus. Gegen Ende des 14. und im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts glänzen in P a r i s zwei Namen, die die Blütezeit der pariser Hofpoesie kennzeichnen : Christine de Pisan und Alain Chartier. C h r i s t i n e de P i s a n (geb. um 1363, gest. nach 1429)1) kam 1368 mit ihrem Vater an den Hof K a r l s d e s W e i s e n . Die allgemein erzieherische Tendenz ihrer schriftstellerischen Tätigkeit würde es ausschließen, sie in diesem Zusammenhang zu erwähnen, wenn nicht ihre Dichtung auch für die Geschichte der Gesellschaftspoesie von Bedeutung geworden wäre; neben Balladen, tanzliedartigen Gedichten, Rondeaux und zahlreichen Gelegenheitsgedichten verfaßte Christine de Pisan auch 70 „Jeux à vendre"; es sind dies „die ersten Beispiele des graziösen poetischen Gesellschaftsspiels, bei dem Herr oder Dame in den Anfangszeilen einer vierbis achtzeiligen Strophe (aabb . . .) irgend eine Sache, eine Blume, Amors Pfeil, Wollhandschuhe, einen tiefen Seufzer etc. zum Kauf anbietet, worauf in den übrigen Zeilen eine artige Antwort oder eine Deutung des Gegenstandes oder eine pikante oder beziehungsvolle Wendung folgt, dem italienischen Rispetto vergleichbar.2) Sie bieten das erste Beispiel dafür, welche Verwendung die Dichtkunst in den höfischen Kreisen Frankreichs, an den cours amoureuses,3) in dieser wie in der Folgezeit fand und wie sie in gleicher Weise in den eleganten Salons der Aristokratie seit dem 16. Jahrhundert als gesellschaftliche Unterhaltung eine umfangreiche Rolle spielte. Wichtiger noch als Christine de Pisan für die Literatur der Folgezeit war der von ihr beeinflußte noch von Clément Marot als Meister der französischen Dichtkunst gepriesene Hofmann und Politiker A l a i n C h a r t i e r (geb. um 1386, gest. gegen 1440),4) der unter Karl VII. am pariser Hofe lebte. Speziell für die Gesellschaftspoesie ist er zwar in der Art Christinens de Pisan weniger von Bedeutung, jedoch ist neben 8 *) G r ö b e r s G r u n d r i ß II. 1. p. 1 0 9 1 ff. ) Gr. Gr. II. 1. p. 1 0 9 2 . 4 ) Gr. Gr. II. 1. p. 1 0 3 8 . ) Gr. Gr. II. 1. p. 1 1 0 1 ff.

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b

Einleitung.

seiner Genußfreudigkeit, die er gleich Eustache Deschamps besaß, sein ausgeprägtes Naturempfinden bereits eine Eigenart, die erst dreihundert Jahre später eine allgemeine poetische Errungenschaft wurde. Seine Belle dame sans merci gab Anlaß zu einem literarischen Turnier, bei dem die aristokratische Gesellschaft Zuschauer war und Partei ergriff.1) Im ausgedehntesten Maße widmeten sich der Pflege der Dichtkunst die Höfe zu O r l é a n s und A n j o u . Beide besaßen in ihren regierenden Herzögen Persönlichkeiten, die zwar ihren politischen Aufgaben nicht gewachsen und schweren Schicksalsschlägen preisgegeben waren, dafür aber mit ganzer Seele der Kunst gehörend, namentlich der Poesie, im Mittelpunkt eines großen dichterisch sich betätigenden Kreises standen, dem sowohl der Adel wie Vertreter des Bürgerstandes angehörten. Hinzuweisen ist bei C h a r l e s von O r l é a n s (1391— 1465)2) auf den musikalischen Klang seiner Poesie, auf den von ihm in Anwendung gebrachten Wechsel zwischen männlichen und weiblichen Reimen ebenso wie auf seine galante Liebesdichtung, die eine geistreiche Spielerei ist, auf seine Neigung zu poetischer Naturbe trachtung und auf die geschickte Verwendung von Allegorien des Rosenromans. Bei R e n é von A n j o u (1409—1480) zeigt sich die Verwendung der Allegorie besonders in der „Personifikation der leisesten der Analyse zugänglichen Regungen der Seele".3) Die Herrin des b r e t a g n i s c h e n Hofes, Anna von B r e t a g n e (f 1514)4) war die gekrönte Repräsentantin jener folgenreichen Zeit, in der Kultur und Literatur des griechischrömischen Altertums in Frankreich neue Lebenserscheinungen weckten. Anna v. B. wurde die Gemahlin des Königs Karl VIII. von Frankreich und heiratete nach dessen Tode (1491) seinen Nachfolger, Ludwig XII. Dieser Sohn des Dichters Karl von Orléans brachte Frankreich durch seine Feldzüge gegen Italien in enge Berührung mit dem italienischen Geistesleben und bereitete der Renaissance den Boden für ihr volles Auf') ) 3 ) J ) 2

S. A. Piaget in Romania Bd. XXXff. (1901 ff.). Gröbers Grundriß II. 1. p. 1109 ff. ibd. p. 1121. s. ibd. p. 1156/58.

Übersicht über die Geschichte der französischen Gesellschaftspoesie.

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blühen in Frankreich, das sie zu Anfang der Regierungszeit Franz' I. fand. In dieser beginnenden Übergangszeit gehörten dem Kreise der literarische und künstlerische Interessen pflegenden Königin Anna die Dichter G u i l l a u m e Crétin, 1 ) Octavien von Saint-Gelais und Jean Marot an; die beiden letztgenannten Träger von Namen, die in der nächstfolgenden Generation noch größere Bedeutung erlangen sollten. O c t a v i e n von S a i n t - G e l a i s (1466—1502),2) dessen beiden Werke „La Chasse ou le Départ d'Amour" und „Le Séjour d'Honneur" weitgehende Verwendung der aus dem Roman de la Rose bekannten Allegorien aufweisen, ist durch Übersetzungen der Odyssee, der Aeneis, der Episteln Ovids dem neuerwachenden Interesse für die antiken Autoren entgegengekommen und hat dem Verständnis für sie den Weg geebnet, bevor noch Budé und Étienne das wissenschaftliche Studium der alten Sprachen lehrten. J e a n Marot (geb. um 1450, gest. 1524) war als Sekretär der Königin Anna (seit 1506) und als Valet de garderobe des Königs Franz I. (nach Annas Tode, 1514) der eigentliche Hof- und Gelegenheitsdichter jener Zeit in Paris. Diese drei Genannten folgten im Großen und Ganzen der poetischen Ausdrucksweise der Hofdichter des ausgehenden Mittelalters. Zu dem völlig Neuen, das Marot und die Plejade der Literatur bringen sollten, tat den entscheidenden Schritt J e a n Le Maire de B e l g e s (1473—1515),3) in dessen Dichtungen sich die Wandlung der mittelalterlichen Hofpoesie zu der aus dem Geiste des Humanismus geborenen poetischen Theorie der Vorläufer der Plejade vollzog. Er lebte am Hofe der Margarete von Parma, der Herzogin der Niederlande, deren Bibliothekar der in Poesie und Eloquenz feingebildete Hofmann war. In seinem späteren Leben trat er in den Dienst Ludwigs XII. und wurde Historiograph der Königin Anna. Seine Besonderheit ist die Umgestaltung der poetischen Diktion. Clément Marot hat seine dichterische Ausdrucksweise, wie er selbst betont, nach der Lemaires geformt, und auch die Dichter der Plejade bewunderten in ihm ein Vorbild. ') Zu vgl. Les Poètes français I p. 482/90. ») Zu vgl. ibd. p. 476/82. 3 ) Becker, Jean Lemaire (1893).

8

Einleitung.

II. C l é m e n t Marot u n d seine Zeitgenossen. Das Leben Lemaires fiel zusammen mit. dem Beginn einer neuen Zeit, deren Bedeutung wir durch das Wort „Renaissance" bezeichnen. Die Feldzüge Ludwigs XII. gegen Italien und die ebendahin gerichtete Politik Franz' I. öffneten dem italienischen Geistesleben den fruchtbaren Boden der französischen Kultur. Kein anderer beeinflußte die Poesie dieser Zeit, namentlich im Ton, so nachhaltig, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, wie C l é m e n t M a r o t (geb. 1495 oder 96, gest. 1544), den sein leichtes Naturell zu einem Vertreter der galanten Dichtung und des Epigramms machte und der Ausdrucksformen italienischer Dichter mit den Allegorien des Roman de la Rose und mit den mythologischen Vorstellungen aus den Eklogen Vergils gleich geläufig zu vereinigen wußte. Er war auf der einen Seite ein höfischer Gelegenheitsdichter wie sein Vater Jean Marot, auf der andern Psalmendichter und als Kenner lateinischer Poesie Nachahmer antiker Dichtungsformen, wie der Ekloge, als Kenner des Italienischen Nachbildner der Sonette Petrarkas. Abgesehen von seinen ernsten Gedichten, besonders den Liebesgedichten, denen wahre Gefühle und Erlebnisse zugrunde liegen, kommen seine Galanterie und höfische Artigkeit wie sein Witz und seine Launen in einem großen Teil seiner Gelegenheitsgedichte auf Damen, auf Personen des Hofes, an Freunde, zum Ausdruck. In diesen lassen sich, so sehr auch Marots Persönlichkeit in den Vordergrund tritt, Merkmale erkennen, die ihm mit der gesamten Gesellschaftspoesie des 17. und 18. Jahrhunderts gemeinsam sind: 1. Personen und Verhältnisse am Hofe (wie später in der aristokratischen Gesellschaft) und die Beziehungen des Dichters zu ihnen geben den Anlaß zu diesen G e l e g e n h e i t s g e d i c h t e n , wofür auch zahlreiche Belege in den „Epitres"1) sich finden. 2. Solche Gedichte werden öfters f ü r a n d e r e P e r s o n e n geschrieben, die sie für ihre eigenen Erzeugnisse ausgeben, z. B. ,,Pour le capitaine Raisin, audict seigneur de La ') Oeuvres, ed. Jannet, Bd. I.

Übersicht über die Geschichte der französischen Gesellschaftspoesie.

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Bocque",1) „Pour Pierre Vuyart, à madame de Lorraine (1530)",2) „Pour un gentil homme de la court, escrivant aux dames de Chasteaudun",3) u. a. m. 3. Diese Gedichte erscheinen außer in der Form der E p î t r e in der Form der E l e g i e und der C h a n s o n ; das E p i g r a m m hat Marot in die französische Literatur eingeführt; hierher zu rechnen sind auch das Liebesepigramm, das dem italienischen Madrigal entspricht, die Etrenne (das Neujahrsgedicht), das Rondeau und die Epitaphe. Die Gattung des Chant, des ernsten, stimmungsvollen Gedichts, und der Ballade ist in der Folgezeit nicht mehr mit dem gleichen Eifer gepflegt worden. In der Ausgabe von Jannet sind 67 Epîtres verzeichnet, daran reihen sich 300 Epigramme, 82 Rondeaux, 54 Etrennes, 17 Epitaphes (denen sich 35 Gedichte unter dem Titel „Cimetière", z. T. scherzhafte Grabschriften, anschließen, 27 Elegien und 42 Chansons. 4. Die durch die Renaissance auflebende a n t i k e Myt h o l o g i e findet sich in V e r b i n d u n g mit der m i t t e l a l t e r l i c h e n Allegorie. (Ein Beispiel ist die „Eglogue au Roy soubs les noms de Pan et Robin".)4) Marot hatte die allegorisierende Dichtung genau kennen gelernt durch seine Neubearbeitung des „Roman de La Rose", die er im Gefängnis (1526) verfaßt hatte. Personifikationen abstrakter Begriffe, wie la Liberté, la Beauté, la Sagesse, les Ris, les Jeux, les Plaisirs, lassen sich ununterbrochen im 16., 17. und 18. Jahrhundert nachweisen und sind deshalb als Folgen der vom Mittelalter ausgehenden allegorisierenden Tendenz anzusehen. Endlich ist als 5. Merkmal zu nennen das Hervortreten des E s p r i t Gaulois, der in keiner der epigrammatischen Dichtungen Marots fehlt, aber auch vielfach in den ernsten Gedichten begegnet, um den Hörer oder Leser zu überraschen.6) Noch zu Lebzeiten Marots war der bedeutendste von den Dichtern, die sich seine Ausdrucksweise und seine Dichtungs4

) ibd. p. 151/53. 2) ibd. p. 172/73. 3) ibd. p. 178/81. ) Bd. I p. 39/46. 5 ) Mit dieser Zusammenstellung sollte nicht die Dichtung Marots • im Ganzen charakterisiert werden, sondern nur, soweit sie dem Gebiet der Gesellschaftspoesie angehört. 4

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Einleitung.

formen zu eigen machten, M e i l i n de S a i n t - G e l a i s . Er war 1491 als Sohn oder Neffe des Dichters Octavien de SaintGelais geboren, studierte in Italien die Kechte, wurde 1544 von Franz I. zum Bibliothekar in Fontainebleau ernannt und war unter Heinrich II. ein reichbegüterter Hofprediger und Hofdichter zu Paris. Er starb 1558. Er repräsentiert den Typus des „schöngeistigen und galanten Abbés, eine Erscheinung, die, solange die alte Monarchie bestand, der höheren französischen Gesellschaft nie gemangelt hat".1) Er ist der Hofund Gelegenheitsdichter kcxt' è£oxr|v. Zwei wichtige Formen der Gesellschaftsdichtung sind bei ihm vertreten : 1. Die Cartels (Kärtchen), Huldigungen, die bei Festlichkeiten den maskierten Damen dargebracht wurden; 2. Devises, Gedichte ähnlicher Art über Gegenstände, die auf Freunde und Bekannte des Dichters Beziehung hatten, besonders auf Liebespaare. Unter den 500 Gedichten, die Mellin hinterließ, finden sich auch Elegien, Sonette, Madrigale und Chansons, von denen er viele selbst komponierte und am Hofe sang. Neben C h a r l e s F o n t a i n e s (1513—88), der durch Übersetzung lateinischer Autoren Bedeutung erlangte, die Tendenzen der Plejade aber bekämpfte, standen mit Marot noch in Beziehung H u g o Salel, geboren 1504, seit 1540 Oberhaushofmeister am französischen Hofe mit dem Titel eines Abts von Chartres, gestorben 1553 als aumônier der Königin von Frankreich, und C h a r l e s de S a i n t e M a r t h e (1512—55), dessen meisten Gelegenheitsgedichte Margarete von Navarra gelten. F r a n z I., der aus Ehrgeiz die Kultur der Renaissance begünstigt hatte und, sobald ihm die reformatorischen Bestrebungen politische Schwierigkeiten machten, die Humanisten verfolgte, hat sich selbst durch dichterische Betätigung literarischen Ruhm zu erwerben gesucht. Er verfaßte Epîtres, Rondeaux, Balladen, Chansons und übertrug Sonette des Petrarka. Die Ideen der p l a t o n i s c h e n und p e t r a r c h i s c h e n L i e b e begannen in jener Zeit einen breiteren Raum in der französischen Literatur einzunehmen. Die ihnen gewidmeten Gedichte waren mehr literarische Produkte als Gelegenheits') Birch-Hirschfeld in Suchier u. B. H., Gesch. d. frz. Lit., 1900, p. 320.

Übersicht über die Geschichte der französischen Gesellschaftspoesie.

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und Gesellschaftsdichtung. Schon J e a n Le Maire hat solche Ideen zum Ausdruck gebracht, und neben A n t o i n e H e r o e t (geb. 1492 in Paris, gest. 1568 als Bischof von Digne in Südfrankreich), M a u r i c e Scève (lebte als Advokat in Lyon und starb um 1564), der in' seiner „Délie", einer aus mehreren hundert Strophen bestehenden Sammlung, seine „parfaicte amye" besingt, zeigt J a c q u e s P e l e t i e r (1517—82) in seinen Gedichten, namentlich den „Louanges" (der Spraohe, der Ehre, den Grazien usw. gewidmet) am meisten den petrarchischen Einfluß. Er hat den ersten Versuch gemacht, um dies beiläufig zu bemerken, die Ode in französischer Sprache nachzuahmen, 1547, in welchem Jahre auch seine Sonettensammlung „Oeuvres Poétiques" erschien.1) Für die platonische Liebestheorie trat auch M a r g a r e t e von Na v a r r a ein (1492— 1549); ihr literarischer Berater war B o n a v e n t u r e Des P é r i e r s (gest. 1544), der selbst noch Epitres, Epigramme und Chansons in Marots Stil verfaßte. III. Die P l e j a d e . Den Bestrebungen des Humanismus und der Reformation hatte Margarete ein selbstloseres Interesse entgegengebracht als ihr Bruder Franz I. Nicht zum wenigsten bekundete sie es durch die Förderung, die sie dem Studium und der Übertragung antiker Literaturwerke ins Französische zuteil werden ließ. Bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts hatte sich die philologische Forschung in Frankreich zu einer in ganz Europa allein maßgebenden Bedeutung erhoben und war richtunggebend geworden. Nachdem Guillaume Budé Einrichtungen zur Erwerbung genauerer Kenntnisse des Griechischen getroffen hatte, begründete H e n r y E s t i e n n e (Henricus Stephanus) die griechische Lexikographie und war der erste Herausgeber vieler griechischer Autoren ; seine Ausgabe des Anakreon erschien 1554, die des Äschylos 1557. Das Studium der alten Sprachen fand, außer im Collège royal, eine schulmäßige Pflege auch in dem Collège C o q u e r e t , das unter der Leitung des Dichters und Philologen J e a n Dorat (auch *) 1555: „Les Amours des Amours", 1572 „Sur la Savoie", 1581 die „Louanges".

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Einleitung.

D'Aurat oder Daurat geschrieben) stand, eines Schülers des Guillaume Budé. Er war der Lehrer der Pagen Franz' I., unterrichtete dann die Kinder Heinrichs II. im Griechischen und Lateinischen und hatte als Hofpoet auch für die literarische Unterhaltung der vornehmen Gesellschaft zu sorgen. Das am königlichen Hofe so ausdrücklich gepflegte Interesse für die alten Sprachen übertrug sich naturgemäß auf den Adel und die höhere Beamtenschaft; aus diesen Kreisen wurden dem College Coqueret zahlreiche Schüler zugeführt, und unter ihnen finden wir die Namen eines Pierre de Ronsard, Antoine de Baïf, Remi Belleau, die in Gemeinschaft mit Joachim Du Beilay und drei andern Gleichstrebenden eine Reform der französischen literarischen Sprache zu unternehmen wagten. Die neue Dichtersprache hört auf, volkstümlich zu sein; dem Dichter werden antike Autoren als Muster der Nachahmung ihrer poetischen Diktion empfohlen, doch soll die Sprache „purement français" sein, die festgesetzte Ausdrucksweise, in der allein ein Dichter darstellen soll, was er als Ideal (mehr mit dem Verstand als mit dem Herzen) erkannt hat. Bei dem gelehrten Charakter dieser Dichtkunst war jedes Streben nach Allgemeinverständlichkeit, jede Rücksicht auf ein Publikum, das unterhalten sein will, ausgeschlossen; doch nahm gerade die in der Geselligkeit gepflegte Poesie die von der P l e j a d e (wie die Sprachreformatoren genannt werden) zu einem besonderen Stil erhobene Dichtersprache an, und ebenso spiegelte sich eine mehr oder weniger genaue Kenntnis griechischer und lateinischer Dichter in den Motiven und bildlichen Ausdrucks weisen dieser Poesie wieder. Die „Deffence et Illustration de la langue françoise" war die Programmschrift der Plejade, verfaßt von Du. B e i l a y im Jahre 1549. Du Beilay war 1548 in Paris durch Ronsard und dessen Freunde dem Studium der klassischen Literatur zugeführt worden. 1551 begleitete er als Sekretär den Kardinal Du Beilay nach Rom, kehrte 1555 zurück und starb bereits 1560, im Alter von 36 Jahren. Seine Sonettensammlung „Olive" ist kennzeichnend für die Liebeslyrik der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts; sie unterscheidet sich von der petrarchischen Liebeslyrik durch Hinzutreten der

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Natursymbolik. Für die Oden war Horaz sein Muster. R o n s a r d (1524—85) trat 1543 in das Collège Coqueret ein; 1550 erschienen die vier ersten Bücher seiner Oden, 1552 das fünfte Buch; viele Oden fanden durch musikal i s c h e K o m p o s i t i o n Verbreitung. Bemerkenswert ist, daß Ronsard neben horazischen Motiven auch anakreontische Themata behandelt,1) die späterhin in der Gesellschaftspoesie neben den epikureischen stets wiederkehren. 1560 — 74 genoß Ronsard die Freundschaft Karls IX., an dessen Hof er zahlreiche Gelegenheitsgedichte zu verfassen hatte. In diesen bevorzugte er die Formen der Elegie, der Ekloge, der Chanson und Gaieté sowie der Mascarades und Cartels. In den 32 Chansons und Gaietés singt er von Liebe, Wein und Freundseihaft; es finden sich einige Anklänge an Catull, Anakreon und Properz. Seine Liebesgedichte („Les Amours" 1567), Sonette, untermischt mit Elegien, Madrigalen und Chansons, zeigen zum Teil petrarchische Auffassung. Modern kann man seine Bestrebung nennen, die französischen Mundarten für den literarischen Ausdruck zu verwerten. Bai'f, 1532 in Venedig geboren, wurde 1543 mit Ronsard Schüler des Collège Coqueret, war 1563 in Italien und wurde später Privatsekretär und Hofdichter Karls IX.; er starb 1589. Ba'if entfaltete als Übersetzer antiker Dichter eine wirksame Tätigkeit und ging in ihrer Nachahmung erheblich weiter als die übrigen Dichter der Plejade. In den fünf Büchern seiner ,.Passe-temps" (meist Epîtres, Epigramme, Epitaphes, Etrennes, auch Sonette), 1573, zeigt er sich als eifriger A n a k r e o n tiker. Durch seine musikalisch-poetische Akademie, die er .1570 errichtete, wirkte er für die Verbindung der Poesie mit der Musik. Diese Akademie ist eine Vorläuferin der literarischen Gesellschaften des 17. Jahrhunderts. Remi B e l l e a u (1528—77) war, wie Baïf, erfolgreich als Übersetzer tätig, besonders war seine Bearbeitung der anakreontischen Gedichte, die 1557 erschien, durch ihre Treue berühmt. Im gleichen Jahre war er in Italien und lernte dort S a n n a z a r o s Schäferdichtung „ A r c a d i a " kennen, die er ') Bekannt seit 1554 durch Henri Étiennes Ausgabe der unter dem Namen des Anakreon überlieferten griechischen Gedichte.

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1565 in seinen „Bergeries" nachahmte. Sein Hauptwerk ist „Les Amours et nouveaux eschanges des pierres précieuses", eine Nachbildung von Ovids Metamorphosen. Ein Schüler Dorats war auch A m a d i s J a m y n (1530—87), der, mit Konsard als dessen Page bekannt geworden, am Hofe Karls IXdas Amt eines Kabinettssekretärs versah. In seinen Gelegenheitsgedichten bevorzugte er die Elegie, das Sonett und die Chanson. 24 Sonette verfaßte er für Heinrich III., der sie für sein Eigentum ausgab, um damit Damen des Hofs zu huldigen. Gelehrter, als Theologe und Mathematiker, war der wegen seiner Toleranz berühmte Bischof von Chalons-surSaône, P o n t u s de T h y a r d (1521—1603). Die Poesie pflegte er in seinen Mußestunden und hat in seinen „Erreurs amoureuses", 1554 und 55, die ersten französischen Sestinen veröffentlicht. Stoffe aus der griechischen Mythologie und aus Ovids Metamorphosen hat er, neben selbsterfundenen Stoffen, dichterisch verwertet. Der siebente Dichter der Plejade war É t i e n n e J o d e l l e (1532—73), der als Dramatiker Bedeutung erlangte. Züge anakreontischer Lyrik finden sich auch in den Werken einer Dichterin, L o u i s e Labé (1526—66), deren poetisches Märchen „Le Débat de Folie et d'Amour" zwei Motive enthält, in welche die Dichter der anakreontischen Liebeslyrik ihre galanten und geistreichen Anspielungen gerne einkleideten: der blinde und gefesselte Amor, und Amor in Begleitung der Folie. Der letzte Dichter der Liebe aus jener Zeit, der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die durch religiöse, moralisierende und satirische Dichtung gekennzeichnet ist, war P h i l i p p e D e s p o r t e s (1546—1606). Er nahm am französischen Hofe (unter Karl IX. und besonders Heinrich III.) eine ähnliche Stellung ein wie seiner Zeit Mellin de Saint-Gelais, nur eine noch glänzendere. Unter seinen Gelegenheitsgedichten finden sich Elegien und ebenfalls Cartels und Mascarades. • IV. H ô t e l Kambouillet. Seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird der französischen Literatur und mit ihr der Gesellschaftspoesie ein neuer Charakter aufgedrückt. Die aristokratische Gesell-

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schaft bringt den Begriff des „bei esprit", des schönen Geistes, den Begriff des „beau goût" zur Geltung. "Während die dichterische Ausdrucksweise der Plejade einen durchaus gelehrten Charakter hatte, wurde die Literatur jetzt wieder allgemeinverständlich. Ihr charakteristisches Merkmal erhielt sie dadurch, daß sie zum Teil in den Dienst der vornehmen Damenwelt trat, zii der Zeit, in der ein Zug damaliger spanischer Kultur, der K u l t i s m u s , auf dem Wege über Italien in Frankreich wirksam wurde. Der Kultismus, die höfliche, feine Geistesbildung bekundende Art im Verkehr und dem entsprechende gewählte Ausdrucksweise der spanischen Aristokratie, entstammte deren strengentwickelten Ehrbegriffen und hatte in der Literatur, z. B. in den Amadisromanen, gewählte Redewendungen auch in Frankreich entstehen lassen, die dadurch bereits geläufig geworden waren. Der Italiener, Jean Baptista M a r i n i (1559 — 1625), hatte sich der auch von dem Lyriker Luiz de Gongora (1561—1627) in Anwendung gebrachten kultischen Sprache in Italien bedient und sie durch sein Epos Adone (1623) in Paris bekannt gemacht. Die Persönlichkeit, durch die in Paris die Verbreitung des Kultismus in der Gesellschaft möglich wurde, war die M a r q u i s e von R a m b o u i l l e t , deren Salon fast 50 Jahre den literarischen Geschmack Frankreichs wesentlich bestimmte.1) Catherine de Vivonne war in den Anschauungen des Kultismus erzogen, heiratete zwölfjährig (1600) den Marquis de Rambouillet, Charles d'Angennes, und kam mit ihm an den Hof Heinrichs IV., wo der Marquis das Amt eines Grand-maître de garderobe zu verwalten hatte. Hier fühlte sich ihr feiner Takt abgestoßen von dem bürgerlich indezenten Ton, der in den Hofkreisen herrschte, sie bildete sich ihren eigenen geselligen Kreis im eigenen Hause. Die Chambre bleue des Hôtel Rambouillet wurde der Versammlungsort der feinen Gesellschaft und der literarischen Größen, die sich ständig oder vorübergehend in Paris aufhielten. Die Marquise wurde die ') Von dem Leben im Hôtel Rambouillet und dessen Einfluß auf die Literatur jener Zeit gibt eine anschauliche Darstellung E d o u a r d B o u r c i e z in Petit de Julleville, Histoire de la Langue et de la Litérature française, Bd. IV p. 82—134.

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tonangebende Persönlichkeit für den literarischen Geschmack, der damals begann, sich dem weiblichen Urteil unterzuordnen. Die Glanzzeit des Hôtel Rambouillet fällt in die Jahre 1630— 50, als Voiture die Gesellschaft mit seinen geistreichen Galanterien in Vers und Prosa unterhielt, als die Töchter des Hauses, vor allem Julie, die spätere Gemahlin des Herzogs von Montausier, in unzähligen Huldigungsgedichten gefeiert wurden. Um 1650 richtete auch M lle de S c u d é r y einen literarischen Salon ein, der die einzigartige Wirkungsweise des Hauses Rambouillet fortzusetzen suchte. Allmählich wurden die literarischen Salons Mode und fanden auch in gebildeteren bürgerlichen Gesellschaften Nachahmung, sowohl in Paris wie in der Provinz. Es war das Zeitalter des precreuseü Geschmacks. Die Gesellschaftsliteratur dieser Zeit hat Otto Peters in seiner Schrift über die „lyrische Gesellschaftsdichtung im Zeitalter Richelieus und Mazarins" ausführlich behandelt. Er unterscheidet: Huldigungspoesie, ernste Liebeslyrik, heitere Liebeslyrik, reflektierende Poesie, „jeux d'esprit", Rätseldichtung, galante jeux d'esprit, „bouts-riméz", und gibt ein Bild von der Pflege der Poesie im Dienst des geselligen Lebens jener Zeit. V. Der E p i k u r e i s m u s . Im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts trat zu dieser Poesie, die der vom weiblichen Element beherrschten Geselligkeit gewidmet war, noch ein zweites Thema in die Gesellschaftsliteratur, die Freude am Genuß des Lebens, die epik u r e i s c h e Lebensweisheit, die in dem Jesuiten P e t r u s G a s s e n d i einen philosophischen Vertreter fand, nachdem sie schon vorher, im 16. Jahrhundert z. B. bei Roger de Colerye, Olivier de Magny und Gilles Durand hervorgetreten war. Gassendi war mit dem Père Mersenne befreundet, dem tatkräftigen Verbreiter der cartesianischen Philosophie. Es begründete sich diese Freundschaft auf gemeinsame wissenschaftliche Interessen, insbesondere aber auf die Verehrung, die beide den Lehren Galileis entgegenbrachten. Mersenne, der den Verkehr des in Holland weilenden Descartes mit der

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gesamten wissenschaftlichen "Welt vermittelte, brachte auch Gassendi in Beziehung zu seinem großen Schützling, und bald war Gassendi ein mächtiger wenn auch gerechter Gegner des großen Philosophen. Unter dem Einfluß Galileis hatte er sich dem antiken Materialismus angeschlossen, in der Form der atomistischen Lehre des Demokrit, und an Epikup. Seine naturwissenschaftlichen und philosophischen Anschauungen waren von dieser Lehre durchdrungen und standen somit in prinzipiellem Gegensatz zu dem Spiritualismus und Deismus Descartes'. Gemeinsame Freunde, wie der Abbé d'Estrées, vermochten die Gegner nicht zu versöhnen; der Gassendismus blieb neben dem Kartesianismus eine Macht, die das Geistesleben in Frankreich auch im 18. Jahrhundert stark beeinflußte. Die Lehye Epikurs fand auch unter den Dichtern des 17. und 18. Jahrhunderts Anhänger, die mit der Gelegenheitsdichtung die poetische Schilderung ihrer Lebensanschauung und Lebensführung mannigfaltig verknüpften. I n diesem Tone klingt die französische Gesellschaftspoesie gegen Ende des 18. Jahrhunderts aus. YI. M a l h e r b e , M a y n a r d , R a c a n . Einer der ersten Besucher des Hôtel Rambouillet war M a l h e r b e (1555—1628). Zu Anfang folgte er in seinen poetischen Arbeiten den Spuren der Dichter der Plejade und wurde wenig beachtet, bis er auf die Vermählung Heinrichs IV. mit Maria von Medici eine Ode verfaßte, welche Aufsehen erregte; er wurde 1605 an den Hof gezogen und nahm als Kammerherr eine angesehene Stellung ein. Wie Ronsard, dem er ursprünglich gefolgt war, war auch Malherbe ein Neuerer der französischen Dichtersprache. Er forderte einen klaren Ausdruck des poetischen Gedankens, der der wahren Empfindung des Dichters entsprechen muß. Hyperbolismus und künstliches Pathos sollen vermieden, der Sprachschatz in nationalem Sinne gereinigt und erweitert werden. Besonders rigorose Bestimmungen stellte er für die Technik des Reims auf; in seinen Dichtungen bemühte er sich mit peinlicher Sorgfalt, diesen Regeln gerecht zu werden; die 126 Gedichte, die uns erhalten sind, sind durchaus Gelegenheitsgedichte, meist QF. CI.

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Einleitung,

Beglückwünschungen und Huldigungen, der Form nach Oden, „Stanzen" (in Form der Ode), Epigramme, Sonette, Chansons. Das rein persönliche Element, das Marot zur Geltung gebracht hatte, mangelt den Gedichten Malherbes — einige Chansons und Sonette sind im Namen des Königs verfaßt, als Huldigungen an Damen des Hofes — vollständig. Die französische Lyrik ist durch Malherbe wieder konventionell geworden. Als Schüler Malherbes sind Maynard und Racan anzusehen. F r a n ç o i s M a y n a r d (1582—1646) war in seiner Jugend Sekretär Margaretens von Yalois (der ersten Gemahlin Heinrichs IV".), später Gerichtspräsident in Aurillac. Maynard übernahm von Malherbe das Bestreben, den Ausdruck so einfach wie möglich zu gestalten, sodaß die "Wortfolge in seinen Gedichten sich von der der Prosa oft kaum unterscheidet. Seine lyrischen Gedichte waren beliebt (Epigramme, Oden, Sonette, Chansons); Maynards Sonette sind die aus sieben Reimen gebildeten sogenannten sonnets libertins oder s. licencieux. Yergeblich bewarb sich Maynard sein Leben lang darum, an den pariser Hof gezogen zu werden; dagegen waren er und Racan Mitglieder der Akademie. M a r q u i s de R a c a n (1589—1670) zog sich früh ins Privatleben zurück; in seinen „Poésies diverses", in denen Oden, Sonette, Chansons, Epigramme und Madrigale zu finden sind, zeugen die „Stanzen zum Lobe der Zurückgezogenheit" von seiner Vorliebe für das horazische „procul negotiis", ein Thema, das bei den epikureischen Dichtern in Frankreich wie auch bei den deutschen Anakreontikern ein beliebtes geblieben ist. VII. V o i t u r e u n d a n d e r e V e r t r e t e r der S a l o n l i t e r a t u r Der Hauptvertreter der durch den Einfluß des Hotel Rambouillet hervorgerufenen Salonliteratur war V i n c e n t Voiture. Er war 1598 zu Amiens als Sohn eines Weinhändlers geboren, studierte in Paris, trat bald zu dem Hof in Beziehungen und wurde die Hauptzeit seines Lebens in diplomatischen Diensten verwendet; erstarb 1648 als königlicher Kammerherr. In außerordentlich hohem Grade besaß er das Talent, sich zum Liebling der Gesellschaft zu machen, wie vor allem seine „Lettres amoureuses" und „Lettres en vieux langage" beweisen, die im

Übersicht über die Geschichte der französischen Gesellschaftspoesie.

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Stil des Kultismus über zahlreiche, selbst die unbedeutendsten Yorgänge im Hause Rambouillet Bericht erstatten. Diese Briefe, die für die damalige Zeit die Bedeutung hatten wie heute die Tagesblätter und Zeitschriften, repräsentieren eine besondere Literaturgattung; für die Bntwickelung der Prosa im 17. Jahrhundert waren sie von Bedeutung, und in der Gesellschaftsliteratur der folgenden 200 Jahre haben sie ebenso stark nachgewirkt wie Yoitures Gedichte, die der sogenannten „poésie enjouée" 1 ) angehören und an die geringsten Anlässe eine witziggalante Betrachtung knüpfen. Z. B. „ A la louange du Soulier d'une Dame' 12 ) oder „Stances. Écrites de la main gauche, sur un feuillet de mêmes Tablettes, qui regardoit un miroir mis au dedans de la couverture." 3 ) Das Spielen mit Empfindungen die in der Seele des Dichters in Wirklichkeit garnicht vorhanden sind, das Streben nach einer neuen Art des Ausdrucks ist für Voitures Gedichte ebenso charakteristisch wie das starke Hervortreten des „esprit". Diese letztere Eigentümlichkeit haben seine Gedichte mit denen des Clément Marot gemeinsam, in dessen Art Voiture die Formen des Rondeau und der Ballade wieder aufnahm. Der „esprit" spielt eine gleich hervorragende Rolle bei I s a a c de B e n s e r a d e (1612—91), der als Gelegenheitsdichter am Hofe Ludwigs X I V . und als Günstling einflußreicher Persönlichkeiten, wie Richelieus und Mazarins, in seinen Oeuvres diverses (2 Bde. 1691) durch geistreiche Ausdrucksweise und Pointe geglänzt hat. Ein großer Teil seiner Poesien sind für den Hof verfaßte Ballettgedichte. Ein ähnliches gesellschaftliches Talent wie Voiture besaß J e a n - F r a n ç o i s Sarrazin (1603—54), doch konnte er, als Sekretär des Prinzen Conti, der Poesie nur wenige Mußestunden widmen. Seine Gelegenheitsgedichte, z. B. die den Damen gewidmeten, oder deren poetische Namen geistreich auslegenden „Galanteries", wiederholen die Formen der Elegie, des Epigramms, der Ballade, der Ode, der Ekloge und der Chanson; originell ist dagegen ein geselliges literarisches ünter*) Eine tändelnde, heitere, auch scherzhafte Dichtungsart, die aus dem H o t e l Rambouillet hervorging. s)

Oeuvres de M. de Voiture, Brusselles 1695, Bd. II p. 110/112.

3)

ibd. p. 102. 2*

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Einleitung.

haltungsspiel, das Sarrazin wahrscheinlich in Mode gebracht hat, nämlich aus willkürlich von der Gesellschaft aufgestellten Wörtern die Reime eines Gedichts zu bilden, sogenannte b o u t s - r i m é s , die in der nachfolgenden französischen Literatur nicht mehr in Vergessenheit gekommen sind. Nach Sarrazin hat z. B. auch Madame Deshoulières die bouts-rimés verwendet, r ) und in Deutschland hat im 18. Jahrhundert Joh. Georg Jacobi sich in diesem Spiel versucht. Die Eifersucht Voitures erregte eine Zeitlang A n t o i n e G o d e a u (1605—72), der Liebling des Hauses Rambouillet, der „nain de Julie" genannt. Richelieu entzog ihn schon frühzeitig diesem Kreise und ernannte ihn, im Alter von 31 Jahren, zum Bischof von Grasse ; seitdem widmete sich Godeaü ausschließlich der religiösen Lyrik. Der Akademie gehörte er seit ihrer Gründung an. Weniger bedeutende Dichter jener Zeit, die sich namentlich den vollendeten Stil der galanten Briefe Voitures anzueignen strebten, waren Claude de Malleville, Ogier de Gombaud, Charles Cotin, Guillaume Brébeuf und viele andere. M a l l e v i l l e (1597—1647), Sekretär des Marschalls Bassompière und Mitglied der Akademie, ahmte in seinen „Lettres d'amour" den Briefstil Voitures nach; seine Sonette, die den im Jahre 1649 erschienenen „Poésies", neben Stanzen und Elegien, angehören, waren als hervorragend anerkannt, gleich denen des Benserade (s. o.) und des G o m b a u d (1576—1666), eines Mitbegründers der Akademie, eines Günstlings von Maria von Medici und, wie Benserade, von Richelieu und Mazarin. In der Erfindung geistreich-galanter Rätsel galt der Abbé C h a r l e s C o t i n (1604—81) — dessen Art Molière in den „Femmes savantes" verspottet — für unübertroffen, 2 ) als Verfasser von Madrigalen glänzten u. a. Antoine de la Sablière (1615—80) und A n t o i n e de R a m b o u i l l e t , der Sohn der Marquise de Rambouillet, deren Tochter Julie im Jahre 1641 der Mittelpunkt einer berühmten dichterischen Huldigung wurde, der von C h a r l e s de M o n t a u s i e r (1619-90) überreichten „Guir') d'Aceilly verspottete d i e s e s Reimspiel in d e m Epigramm „Le Poète ridicule, ou les bouts-rimez": de la Suze Bd. V. p. 203/4. ') S e i n e Oeuvres galantes erschienen 1663—65.

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l a n d e de J u l i e " , eines Albums, das auf gemalten Blättern zahlreiche Madrigale enthielt, in denen sie gefeiert wurde. Die Verfasser waren Gäste des Hôtel Rambouillet. Ein reichhaltiges Verzeichnis der galanten Dichter dieser Zeit hat Otto Peters in der angeführten Schrift p. 64—76 zusammengestellt. Zur Vervollständigung sind zu diesen noch zu nennen: Adam Billaut (1600—62), Tristan (1601—55) und der Chevalier d ' A c e i l l y (der Name ist ein Anagramm aus de Cailly), dessen „Poésies", durchweg epigrammatischen Charakters, im 5. Band des „Recueil de Pièces galantes de Madame de La Suze et de M. Pélisson" gedruckt sind. Die Verknüpfung der galanten Poesie mit Motiven, Redewendungen und Namen aus der H i r t e n p o e s i e , die von S e g r a i s (1624—1701) gepflegt wurde, ist schon im 16. Jahrhundert bei J e a n V a u q u e l i n de La F r e s n a y e (1536—1606) festzustellen; er bürgerte in der französichen Dichtung die alten Namen Phyllis, Galathee etc. ein, die den Dichtern des 17. und 18. Jahrhunderts und besonders auch den deutschen Anakreontikern unentbehrlich waren; gerade bei diesen ist das Schäfergedicht sehr häufig die Einkleidung einer Galanterie, und zwar oft mit stark sentimentaler Färbung, die für die Hirtenpoesie der M a d a m e D e s h o u l i è r e s (1638—94) charakteristisch ist; sie erntete dafür von ihren Landsleuten mehrfach boshaften Spott, von ihren zahlreichen deutschen Nachahmern dagegen viel Lob und Verehrung. In ihren Versuchen begegnet man auch einer dichterischen Verwertung der Lehre Epikurs. VIII. D i e e p i k u r e i s c h e u n d g a l a n t e D i c h t u n g in d e r z w e i t e n H ä l f t e d e s 17. u n d im 18. J a h r h u n d e r t . Diese Richtung, die Freuden des maßvollen Genusses zu besingen, daneben anakreontische Themata zu variieren, ohne die Tradition der galanten Dichtung aufzugeben, ist vorherrschend gegen Ende des 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der „ N o u v e a u R e c u e i l de C h a n s o n s c h o i s i e s " , eine Sammlung komponierter Lieder, die in 8 Bänden seit 1731 erschien, giebt ein vollständiges Bild von der Poesie, die in der damaligen Gesellschaft beliebt war und gerade durch

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Einleitung.

die m u s i k a l i s c h e

Komposition

weite Verbreitung

Die Sammlung enthält „Chansons tendres",

fand.

„Ch. galantes",

„Ch. bacchiques", „Rondes de Table", „Ch. mêlées de tendre et de bacchiques", „Plans de morale galante et de bacchique", „Ch. contre l'Amour et le vin", „Ch. comiques et grotesques", „Ch. critiques et satiriques", „Dialogues", „Branles et Danses rondes" ; im 4. Band sind besonders aufgeführt : „Vaudevilles" (auch im 6. und 7.), „Branles"' (auch im 6.), „Chansons badines", „Pots-Pourris", „Chansons à Couplets" (auch im 6. Band) ; im 8. Band : „Menuets", „Musettes" und „Gavottes". Verfasser dieser Gedichte sind nicht genannt. 1 ) Der einflußreichste dieser Dichter des heiteren Lebensgenusses war C h a p e l l e (1626—86), ein Freund Pierre Gassendis. Genauere Angaben über sein Leben sind zu finden in der Ausgabe der „Oeuvres de Chapelle et de Bachaumont", à la Haye 1755; danach hat Chapelle meist als Privatmann in Paris gelebt. Er hat auf die epikureischen Dichter vor allem in formaler Beziehung eingewirkt, einmal durch die Beschreibung seiner Reise in Südfrankreich, den bekannten „ V o y a g e de Chapelle et de Bachaumont", der das „genre mêlé" in Mode brachte, sodann durch seine zahlreichen R e i m s p i e l e r e i e n , die von Madame Deshoulières und von Chaulieu nachgeahmt wurden ; vor allem aber führte er die „ r i m e s r e d o u b l é e s " ein, die bei keinem der späteren Dichter fehlen. 2 ) W i e Chapelle, so liebte und pries auch E t i e n n e P a v i l l o n (1632—1705) die sorglose Freude am Leben; doch tritt bei ihm wieder die Galanterie mehr hervor, nach dem

Muster

Voitures. Die erste Ausgabe seiner Gedichte erschien 1715, die zweite, stark vermehrte, 1720. ') Es konnten einige Gedichte identifiziert werden : Bd. II p. 304/5 : „Philis plus avare que tendre" = Dufresny, in „Les Poètes français" 186J, Bd. III p. 129 (vergl. unten p. 50); Bd. IV p. 200 „ L e Désir. Ode anacréontique'' = Houdard de La Motte, in „Petits Poètes français", 1871, Bd. I p. 126. Es ist anzunehmen, daß sich bei einer genaueren Untersuchung für den größeren Teil dieser Gedichte die Verfasser feststellen lassen würden. s ) Mit Chapelle befreundet war auch M o l i è r e , und unter Einwirkung dieses Verkehrs sind wohl einige kleine Dichtungen entstanden, die in ,,Les Poètes français", Bd. II p. 730/31 aufgeführt sind.

Übersieht über die Geschichte der französischen Gesellschaftspoesie.

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Der gesellige Kreis, dem diese epikureischen Dichter angehörten, fand sich zusammen in dem Hause der beiden Vendômes, des Großpriors von Malta und des Herzogs, dem „Hôtel du Temple". Das größte Ansehen genoß hier der A b b é G u i l l a u m e de C h a u l i e u (1639—1720), dessen konsequenter Epikureismus für die jüngere Generation vorbildlich wurde. Als seinen Lehrmeister und Vorgänger rühmt er stets Chapelle.1) In seinen Gedichten (erste Ausgabe 1724) sind vertreten die Formen der Ode, der Stanzen, des Epigramms (Madrigals und Etrennes), der Chanson, des Couplets, der Epitre und der Lettre (im genre mêlé und in vers irréguliers). Chaulieu gehörte später auch zu den Gästen der D u c h e s s e du M a i n e , die seit 1700 zu Sceaux eine glänzende Hofhaltung entfaltete, ein Zufluchtsort für alle, die der Etikette des königlichen Hofs überdrüssig waren. Die galante Dichtung fand hier eine neue Heimstätte. In diesem Kreise verkehrte auch Chaulieus Freund, C h a r l e s - A u g u s t e de La F a r e (1644—1712), ein Südfranzose, dessen vielversprechende militärische Laufbahn an der Ungnade des Ministers Louvois gescheitert war. Seine Gedichte erschienen in Gemeinschaft mit denen des Chaulieu und zeigen einen Epikureismus, der dem südfranzösischen Temperament angepaßt ist; es sind Oden, Madrigale, Couplets, Epitres und einige Übersetzungen aus Horaz. Aus der großen Zahl kleinerer Talente, die in Gefolgschaft des Chaulieu und La Fare im 17. und 18. Jahrhundert epikureische Lebensweisheit poetisch zu verwerten und nach den verschiedensten Seiten hin zu variieren suchten, mögen hier nur die Namen genannt werden, eines A n t o i n e H a m i l t o n (1640—1720), La M o n n o y e (1641—1728), Charles Rivière D u f r e s n y (1648—1724) und J e a n B a p t i s t e R o u s s e a u (1669—1741), dessen Dichtungen den poetischen Stil des Clément Marot erneuerten; von den späteren G r é c o u r t (1684— 1743), P i r o n (1690—1773), R u l h i è r e s (1735—1791) und endlich B e r t i n (1752—90) und P a r n y (1753—1814). Noch zu Lebzeiten Chaulieus wurde in die Gesellschaft ') Vgl. Poésies 1808, p. 181.

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Einleitung.

des Temple V o l t a i r e (1694—1778) eingeführt; hier und am Hofe zu Sceaux, zu dem er ebenfalls Beziehungen hatte, wurde er vertraut mit der epikureischen und galanten Dichtung, an der er bis ins hohe Alter Gefallen gefunden hat. Dem gleichen Geschmack begegnetman in zahlreichen Gedichten F r i e d r i c h s des Großen. 1 ) Es sind vertreten die Formen der Ode, der Epître, der Lettre (häufig im genre mêlé), der Elegie, des Epigramms und des Epitaphs. An die epikureische Dichtung erinnert z. B. Bd. 1 (der Oeuvres poétiques) p. 90/99 „Epître V. A d'Argens. Sur la faiblesse de l'esprit humain'1 (am Schluß); Epître VI. (Bd. 1 p. 100/109) Au Comte Gotter „Combien de travaux il faut pour satisfaire des épicuriens"; Epître XIV. (Bd. 1 p. 167/73) „A Sweets. Sur les Plaisirs". Den Einfluß der galanten Liebeslyrik zeigen die „Epîtres à ma Sœur de Baireuth1', besonders aber die Liebesgedichte, die er im Namen seines Vorlesers Gatt, eines Schweizers, an dessen Braut Ulrike Kühn richtete, z. B. Bd. 3 p. 84/86 „Epître à Phyllis. Faite pour l'usage d'un Suisse"; Bd. 3 p. 230/32 „Vers, faits pour être envoyés par un Suisse à certaine demoiselle Ulrique dont il était amoureux" ; u.ö. Zu den galanten Gelegenheitsgedichten gehört Bd. 4 p. 10: „Vers récités à Sans-Souci à la duchesse de Brunswic par une actrice déguisée en bergère, qui l'invitait pour voir une comédie préparée pour elle". — Aber trotz der zahlreichen Anlehnungen an die leichte Modedichtung der Franzosen haben die meisten Gedichte Friedrichs einen vorwiegend reflektierenden Charakter. Bevor Voltaire sich entschloß, nach Berlin zu reisen, hatte der junge Dichter d ' A r n a u l d (oder d'Arnaud) Baculard,2) später kursächsischer Legationsrat, die Gunst des großen Königs genossen. Die „Vers à d'Arnaud" (Oeuvres poét. Bd. 5 p. 95), in denen Friedrich i. J. 1749 das Lob seines Günstlings sang, haben den eifersüchtigen Voltaire zum sofortigen Aufbruch nach Berlin veranlaßt.3) d'Arnaulds Gedichte er') Oeuvres de Frédéric le Grand, Berlin 1849. Bd. X—XV ( = Oeuvres poétiques 1—6). ") s. Godefroy, XVIIIe siècle, p. 537. Ferner: Süpfle „Geschichte des deutschen Kultureinflusses auf Frankreich" Gotha 1886. Bd.I.p. 132/33. 3 ) s. L. Crouslé in Petit de Julleville Bd. VI p. 119.

Übersicht über die Geschichte der französischen Gesellschaftspoesie.

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schienen in drei Bänden. Berlin 1751; er zeigt sich in ihnen als wenig origineller, aber sehr fruchtbarer Schüler der epikureischen und anakreontischen ebenso wie der galanten Gelegenheits-Dichter; Oden, Epîtres, Epigramme, Madrigale, Etrennes, Chansons und Couplets finden sich bei ihm in großer Anzahl. Yon Voltaire verspottet,1) von Friedrich dem Großen ver2 ehrt ) wurde J e a n - B a p t i s t e L o u i s G r e s s e t (1709—1777). Er gehörte der Jesuiten schule „Louis le Grand" an, trat später aus, um an dem literarischen Leben ungehindert teilnehmen zn können, ward aber dessen überdrüssig und zog sich reumütig in den Schoß der Kirche zurück.3) Die spielende Leichtigkeit in seiner Poesie machte vor allem die Gedichte „VertYert", „Le Lutrin vivant", „Le Caresme Im-promptu" und „La Chartreuse" beliebt. Gresset pflegte auch die Idyllendichtung, er übersetzte Yergils Eklogen und ahmte sie nach. IX. Die „ P o é s i e légère". Bis zur Mitte des 18, Jahrhunderts unterhalten die Gesellschaftsdichternoch lebhafte Beziehungen zu den literarischen Salons, dem der Duchesse du Maine zu Sceaux, der Madame de Lambert und der Madame de Tencin. Die Dichtung dieser Zeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wird von den französischen Literarhistorikern „Poésie légère" genannt; sie schließt siel) (nach Voltaires Vorbild) im wesentlichen an Chaulieu an. H o u d a r d de La Motte (1672—1731) führt diese letzte Periode der französischen Gesellschaftspoesie ein. Als Dichter gehörte er vor allem dem Hofe zu Sceaux an, verkehrte aber auch bei Madame de Lambert und war mit Madame de Tencin bekannt. In seinen Gedichten herrscht das anakreontische ') in ,,Le Pauvre Diable". ) s. Oeuvres poét. Bd. 1 p. 10/12 „A Gresset". 3 ) s. Oeuvres, Genève 1746, II p. 109 ,.A Monsieur l'Archevesque de Tours": „Loin de moi, Déités frivoles — Que la Fable invoque en ses Vers, — Muses, Phébus, vaines Idoles, — ne prophanez point mes concerts. — . . . Fille du Ciel, Vérité sainte — Descens de la céleste enceinte — Pèse à ton poids mes purs accens". !

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Einleitung.

Thema vor. Amor spielt die Hauptrolle. Die Eklogen schließen sich an Theokrit an. Die Betrachtung der Natur, die in derartigen mehr oder weniger selbständigen Nachahmungen der antiken Idyllen-Dichtung sich kundgibt, beginnt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen breiteren Raum in der französischen Literatur einzunehmen, und bei fast allen Dichtern der „poésie légère" steht diese Tendenz gleichwertig neben der Galanterie, so bei P a n a r d (1694—1765), der als Hauptvertreter der „poésie légère" bezeichnet wird, 1 ) bei G e n t i l B e r n a r d (1710—1775), der die ars amandi Ovids nachdichtete und dessen Madrigale und Epîtres auch anakreontische Motive variieren, und dem Kardinal de B e r n i s (1715 —94), einen regelmäßigen Gast der Duchesse du Maine und Günstling der Marquise de Pompadour, dessen Gedicht „Les quatre Saisons, ou les Géorgiques françaises" berühmt war; auch er pflegte die anakreontische und galante GelegenheitsDichtung. Wie Bernard und Bernis, so beschrieb auch S a i n t L a m b e r t (1717—1803) die Jahreszeiten. Er war mit Voltaire befreundet, den er zu Lunéville am Hofe des Königs Stanislaus kennen gelernt hatte, und unter Voltaires Einfluß sind wohl auch seine „Poésies fugitives", galante Liebesgedichte, entstanden. Neben Saint-Lambert sind Charles-Pierre C o l a r d e a u (1782—76), Jean François D u c i s (1733—1816) and Claude Joseph D o r a t (1734—1818) die letzten Dichter der leichten, galanten Liebeslyrik und der eigentlichen „Gesellschaftspoesie", die in diesem Zusammenhang zu nennen sind; Colardeau, der durch seine „Lettre amoureuse d'Héloïse à Abailard" früh berühmt wurde, verfaßte Epîtres, Oden, Stanzen, Etrennes, Chansons und Couplets; Ducis und Dorat schrieben Epîtres und Gelegenheitsgedichte;' während Ducis im besonderen die Schilderung häuslicher Behaglichkeit liebt („A mon p e t i t logis", „à mon p e t i t parterre", etc.), treten bei Dorat mehr epikureische und anakreontische Themata hervor. Eine Anzahl als Gesellschaftsdichtung zu bezeichnende Gelegenheitsgedichte verfaßte auch de M i e r r e (1733 — 93), der als Vorläufer der R o m a n t i k bezeichnet wird. ') S. Les Poètes français Bd. III p. 193.

Übersicht über die Geschichte der französischen Gesellschaftspoesie.

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Die poetische Betrachtung der Natur ist in den Vordergrund getreten; Dichter wie Jacques Delille (1738—1813), der u. a. die Schönheit gärtnerischer Anlagen verherrlichte, Nicolas-Germain L é o n a r d (1744—1793), der ebenso die Idyllendichtung kultivierte, Ber quin (1749—91) und endlich G i l b e r t (1751—80), bei dem bereits der Einfluß G e ß n e r s wirksam wurde, sind ihrer dichterischen Eigenart nach kaum noch als Vertreter der Gesellschaftspoesie anzusehen. Das a n a k r e o n t i s c h e Thema war auch einem Dichter wie E s c o u c h a r d Le B r u n (1729—1807) noch nicht fremd, doch tragen seine Gedichte, in denen die Formen der Ode, der Elegie, der Epitre und namentlich des Epigramms vertreten sind, einen ganz anderen, einen ernsteren Charakter als er noch in den 50 er Jahren des 18. Jahrhunderts der herrschende war. Le Brun steht mit seinem Freund A n d r é C h é n i e r (1762—94) an einem Wendepunkt der französischen Poesie; in dichterischen Formen, Motiven, Situationen gehört Chénier der literarischen Tradition an; aber was vor ihm konventionelles Variieren überlieferter Formen und Motive war, an dem die Seele des Dichters keinen maßgebenden Anteil hatte, das ist bei ihm E r l e b n i s - D i c h t u n g geworden; das feurige Genie dieses Jünglings, den sein Temperament zu einem Opfer der großen Revolution machte, stellt ihn an den Anfangspunkt einer neuen Blütezeit der französischen Lyrik. "Er ist der Vorläufer Bérangers, in dessen Dichtung das Gebiet der Ger sellschaftspoesie erweitert ist zu der sozialen Poesie; in ihr hat die französische Lyrik wieder lebendige Fühlung mit dem Volkslied gewonnen, ein Vorgang, der einige Jahrzehnte früher in Deutschland der Lyrik Goethes die Vollendung brachte durch die intime Verknüpfung des Persönlichen mit dem Volkstümlichen. Die politische, kulturelle und literarische Entwickelung zeigen auch hier eine Parallele: in jenem Zeitraum, in dem der völlige Umsturz der bestehenden sozialen Verhältnisse sich vorbereitete, hat das gesellige Leben des Adels, der Aristokratie, des vornehmen Bürgerstands, haben die schöngeistigen Salons aufgehört, einen richtunggebenden Faktor für die Weiter-

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Einleitung.

entwickelung des literarischen Geschmacks und der literarischen Produktion zu bedeuten; die dichterische Persönlichkeit findet das Gesetz ihres Schaffens in sich seihst; der literarische Geschmack wird nicht mehr von außen in sie hineingetragen, sondern geht von ihr aus. Und wie die Stellung des Autors zu seinem Werk, so ist auch die des Publikums zur Literatur eine andere geworden: in der Zeit allgemeiner Demokratisierung, einer Zeit, in der alle Lebensäußerungen, je weiter wir sie bis in unsere Tage hinein verfolgen, sich um so mehr in der Öffentlichkeit abzuspielen scheinen, ist das literarisch interessierte Publikum nicht mehr in privaten Kreisen sondern in der Gesamtheit des gebildeten Volks zu suchen; und was für die Erziehung des literarischen Geschmacks noch im 18. Jahrhundert der schöngeistige und galante Brief bedeutete, das bedeuten beim heutigen Publikum die Tageszeitungen und die Zeitschriften; das in diesen zum Ausdruck kommende ästhetische Urteil tritt mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit ein für das, was ihrer Zeit als die Verwirklichung des Schönen in Literatur und Kunst gelten soll. Wir beobachten hier einen Umschwung, der seit der Errungenschaft der Buchdruckerkunst vorbereitet war und dessen literarische Auswirkung eintrat, nachdem die soziale Umwälzung am Ende des 18. Jahrhunderts die exklusive Tendenz der Literatur beseitigt und der Entfaltung und Betätigung der P e r s ö n l i c h k e i t ganz neue Möglichkeiten geschaffen hatte.

I.

KAPITEL.

DIE ANAKREONTISCHE POESIE DES 18. JAHRHUNDERTS IN DEUTSCHLAND IN IHREM VERHÄLTNIS ZUR FRANZÖSISCHEN GESELLSCHAFTSPOESIE. I. V o r b e m e r k u n g e n ü b e r die G e s e l l s c h a f t s d i c h t u n g in D e u t s c h l a n d . Die Literatur eines Volkes im Zusammenhang mit seiner kulturellen und politischen Entwickelung verstehen zu lehren ist eine von der philologischen Wissenschaft bis heute noch nicht völlig erfüllte Aufgabe. Die Lösung dieses Problems ist dem Forscher in der französischen Literatur näher gelegt als in der deutschen; man darf sagen, daß in Frankreich, vornehmlich seit der Renaissance, das literarisch sich interessierende Publikum erheblich weitere Kreise der Bevölkerung umfaßt hat als in Deutschland. Während sich in Frankreich große gesellige Kreise bildeten, die für die inhaltliche und namentlich formale Gestaltung der Literatur maßgebend waren, ist in Deutschland die Beeinflussung dichterisch produzierender Individuen in der Regel von einzelnen Personen oder von geselligen Zirkeln ausgegangen, deren Wirkungskreis erheblich enger war als in Frankreich — soweit sich das bis jetzt mangels eingehender kultur- resp. gesellschaftsgeschichtlicher Untersuchungen übersehen läßt; denn das Material, aus dem man ein Urteil gewinnen könnte, welcher Einfluß den geselligen Kreisen der deutschen Höfe, des Adels und des Bürgerstandes auf die Entwickelung der deutschen Literatur zuzuerkennen ist, wartet noch heute einer umfassenden Zusammenstellung. Mithin ist es erklärlich, daß literarhistorische Abhandlungen für Frankreich die Kultur- resp. Gesellschaftsentwickelung weit tiefgreifender in Betracht ziehen konnten und in Betracht gezogen haben als die die deutsche Literatur behandelnden Darstellungen.

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I. Kapitel.

Im Mittelalter ist die ritterliche Gesellschaft in Deutschland, wie in Frankreich, für die Gestaltung der Poesie von der größten Bedeutung gewesen; es bildeten sich Mittelpunkte einer aristokratischen Literatur, ähnlich, wenn auch nicht so zahlreich, wie im Lande der troveors und troubadours, hier wurde den Dichtern die Entwickelung und Betätigung ihrer künstlerischen Individualität gewährleistet und gefördert. Die Kenntnis ausländischer Literatur eignete man sich in diesen Gesellschaftskreisen an und veranlaßte ihr Einwirken auf die nationale Literatur. Das Interesse der G e s e l l s c h a f t an fremder Literatur war im Mittelalter wie in der Zeit der Renaissance und auch im 17. und 18. Jahrhundert — vielleicht auch im 19. — das treibende Motiv, deren Errungenschaften für die heimische Dichtung fruchtbar zu machen, n i c h t rein literarisches Interesse hat solches lang nachwirkendes Eindringen fremder Elemente in die deutsche Literatur herbeigeführt. Dieser Gesichtspunkt ist beim Studium der Wechselbeziehungen zwischen den Literaturen der Völker mit aller Konsequenz festzuhalten. Der Zeit des Vorherrschens der ritterlichen Gesellschaft und ihrer Dichtung folgte in Deutschland ein großer "Wandel der Gesamtkultur: Mcht nur die Städte hatten gegenüber dem ritterlichen Adel und im Kampf mit ihm um die Sicherheit und das Eigentum ihrer Bürger größere Selbständigkeit erlangt, es hatten überhaupt die unteren Schichten des Volkes sich in ihrer ganzen Lebensführung gehoben und größere Bedeutung im Staate erlangt; somit war das Volkstümliche, das ja schon in alter Zeit von den Aposteln des Christentums in einer blühenden Poesie vorgefunden und rücksichtslos unterdrückt worden, aber nie ganz untergegangen war, von neuem in Deutschland vorgedrungen, und das Resultat dieses Umschwungs war das Volkslied. Seine reiche Entfaltung erfuhr es etwa von der Mitte des 14. bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Das literarische Interesse, das sich im Mittelalter stark entwickelt und lebhaft betätigt hatte, war in dieser Periode des Volkslieds von der r e l i g i ö s e n Tendenz der deutschen Kultur absorbiert worden, derart, daß das Zeitalter der Refor-

Die anakreontische Poesie des 18. Jahrhunderts in Deutschland.

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mation das Entstehen einer Renaissance-Kultur und -Literatur in Deutschland um ein Jahrhundert — im Vergleich zu Frankreich — verzögerte; dazu kam, daß die Renaissance und das Interesse an den Werken der alten griechischen und römischen Dichter und Schriftsteller in dem durch konfessionellen Streit zerrissenen Deutschland einen ungleich ungünstigeren Boden fand als in Italien und Frankreich, daher auch, im Gegensatz zu diesen beiden Nationen, die Aneignung dieser völlig neuen Elemente in der deutschen Dichtung durch Schwerfälligkeit gekennzeichnet ist. Immerhin hatte die im Gefolge der Renaissance in Deutschland entstandene latein i s c h e Poesie, die an den Universitäten und Schulen ihre Heimstätte fand, eine neue Grundlage zu einer höheren Kunstdichtung gelegt; da sich diese einstweilen nur lateinisch betätigte, konnte sie noch keinen Boden in dem damaligen literarischen Leben gewinnen. Die Vermittlerin für das durchgreifende Verständnis der Renaissance in der Literatur wurde für Deutschland erst die neue Poesie, die sich in F r a n k r e i c h an Clement Marot, sowie an Ronsard und die Plejade angeschlossen hatte, eine literarische Entwicklung, die das einleitende Kapitel dieser Abhandlung in den Umrissen skizziert hat. Das so angebahnte Verständnis wirkte jedoch, wie oben angedeutet, noch keineswegs auf weite Kreise der deutschen Gesellschaft, sondern einstweilen nur auf einzelne geistig hervorragende Persönlichkeiten und kleine Vereinigungen Gleichgesinnter. Die deutschen Dichter, die mit bewußter Absicht die Tendenzen der im einleitenden Kapitel charakterisierten französischen Poesie für Deutschland fruchtbar zu machen suchen, sind zuerst Opitz und W e c k h e r l i n . Opitz strebte eine Reform der dichterischen Ausdrucksmittel an, ähnlich wie sie Du Beilay in seiner „Deffence et Illustration de la langue fran