Der Skeptizismus und die Transzendentalphilosophie: Deutsche Philosophie am Ende des 18. Jahrhunderts 9783495997239, 9783495482650


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Vorwort
I Aufklärung und Philosophischer Fundamentalismus: Die Elementarphilosophie Karl Leonhard Reinholds und der Skeptizismus
1. Reinhold: Rezipient und Interpret der kantischen Philosophie
§1 . Aufklärung, Begründung und Skeptizismus
§2 . Von der Religionskritik zur aufgeklärten Elementarphilosophie
§3 . Die subjektivistische Wende und die Letztbegründung der Transzendentalphilosophie
A. Evangelium des Herzens und Evangelium der Vernunft
B. Versöhnung, meta-theoretischer Standpunkt und Philosophie als strenge Wissenschaft
2. Die Elementarphilosophie
§4 . Der Satz des Bewusstseins
§5 . Letzbegründung, Zirkularität und Ableitung
§6 . Aporie der Zirkularität
§7 . Ist der Rekurs auf das Bewusstsein ausreichend als beweisender Rekurs der Transzendentalphilosophie?
§8 . Aporien der systematischen Ableitung
§9 . Über den Begriff des Gegenstandes
II Unter freiem Himmel wohnen: Der Skeptizismus von Gottlob Ernst Schulze (Aenesidemus) und die Transzendentalphilosophie
1. Die Bedeutung von Schulzes philosophischem Skeptizismus
§ 1 . Schulze in der Geschichte der deutschen Philosophie
§ 2 . Dialektischer Skeptizismus
§ 3 . Aufgeklärter, progressiver und protestantischer Skeptizismus
A. Vier Vorbehalte gegen den Skeptizismus
B. Verteidigung des Skeptizismus
2. Philosophischer Skeptizismus und Transzendentalphilosophie
§ 4 . Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis und kausale Erklärung
A. Die Elementarphilosophie als theoretische Philosophie
B. Vom »Gedacht-werden-müssen« zum »Sein« in der kritischen Philosophie
§ 5 . Objektivität: Schulzes Skeptizismus gegen Kant
A. Die Transzendentale Ästhetik
B. Die Analytik der Begriffe
C. Die Analogien der Erfahrung
D. Das Problem der Außenwelt: Schulze und die Widerlegung des Idealismus
§ 6 . Der Erbfehler der theoretischen Philosophie. Hegel gegen Schulze
III Salomon Maimon: Die Transzendentalphilosophie zwischen Spekulation und Skeptizismus
§ 1 . Einleitung
§ 2 . Transzendentalphilosophie
§ 3 . Maimon und der kausale Noumenalismus
§ 4 . Wahrheit aus der transzendentalen Perspektive
A. Kohärentismus
B. Konstruktivismus
§5 . Spekulation
A. Die Differenzialtheorie und der Begriff des unendlichen Verstandes
B. Der Mythos des Gegebenen und die Metapher vom Spiegel: Maimon und der produktive Idealismus
§6 . Kritischer Skeptizismus
Bibliographie
1. Hauptquelle
2. Weitere Quelle
3. Sekundärliteratur
Namenregister
Sachregister
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Der Skeptizismus und die Transzendentalphilosophie: Deutsche Philosophie am Ende des 18. Jahrhunderts
 9783495997239, 9783495482650

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Luis Eduardo Hoyos

Der Skeptizismus und die Transzendentalphilosophie Deutsche Philosophie am Ende des 18. Jahrhunderts

ALBER PHILOSOPHIE

https://doi.org/10.5771/9783495997239

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Luis Eduardo Hoyos Der Skeptizismus und die Transzendentalphilosophie

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Kants Transzendentalphilosophie wird häufig als eine der bedeutendsten theoretischen Revolutionen der Moderne betrachtet. Es gibt keine beachtenswerte Strömung der Philosophie in den letzten zwei Jahrhunderten, die nicht etwas mit Kant zu tun hätte. Die Annahme, dass die Transzendentalphilosophie es ermöglichte, sich von den extremen Ansprüchen des dogmatischen Rationalismus auf eine wohl begründete Art und Weise zu verabschieden, dass sie gleichzeitig einen scharfsinnigen Ausweg zum Skeptizismus von Hume darstellte und dass sie die Ideale der Aufklärung mit Präzision formulierte, ist weit verbreitet. Die skeptische Reaktion gegen das Kantische Projekt ist jedoch nicht eingehend erforscht worden, obwohl sie nicht lange auf sich warten ließ. Dieses Buch ist ein Beitrag zur Interpretation der theoretischen Motive, die der »skeptischen Rezeption« der Transzendentalphilosophie in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts zugrunde lagen. Es geht von der Überzeugung aus, dass diese Rezeption für das Verständnis der modernen Philosophie und der historisch-philosophischen Folgen des Kantischen Denkens wesentlich ist, da die meisten dieser Folgewirkungen ebenso mit dieser Rezeption wie mit Kant selbst verbunden sind. Der Autor: Luis Eduardo Hoyos (geb. 1959) ist Professor für Philosophie an der Universidad Nacional de Colombia in Bogotá. Promotion in Göttingen (1994); Forschungsstipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung und des DAAD; Autor u. a. von Kant und die Idealismusfrage. Eine Untersuchung über Kants Widerlegung des Idealismus (1995).

https://doi.org/10.5771/9783495997239 .

Luis Eduardo Hoyos

Der Skeptizismus und die Transzendentalphilosophie Deutsche Philosophie am Ende des 18. Jahrhunderts

Verlag Karl Alber Freiburg / München https://doi.org/10.5771/9783495997239 .

Gefördert mit Mitteln der Alexander von Humboldt-Stiftung, Bonn

Originalausgabe Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper Alle Rechte vorbehalten – Printed in Germany © Verlag Karl Alber GmbH Freiburg / München 2008 www.verlag-alber.de Satz: SatzWeise, Föhren Druck und Bindung: Difo-Druck, Bamberg ISBN 978-3-495-48265-0

https://doi.org/10.5771/9783495997239 .

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I

9

Aufklärung und Philosophischer Fundamentalismus: Die Elementarphilosophie Karl Leonhard Reinholds und der Skeptizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Reinhold: Rezipient und Interpret der kantischen Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1. Aufklärung, Begründung und Skeptizismus . . . . . . .

16 16

1.

§ 2. Von der Religionskritik zur aufgeklärten Elementarphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3. Die subjektivistische Wende und die Letztbegründung der Transzendentalphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . A. Evangelium des Herzens und Evangelium der Vernunft B. Versöhnung, meta-theoretischer Standpunkt und Philosophie als strenge Wissenschaft . . . . . . . . .

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39 51 51 57 60

Ist der Rekurs auf das Bewusstsein ausreichend als beweisender Rekurs der Transzendentalphilosophie? . . . § 8. Aporien der systematischen Ableitung . . . . . . . . . . § 9. Über den Begriff des Gegenstandes . . . . . . . . . . . .

67 81 90

Der Skeptizismus und die die Transzendentalphilosophie

A

§ 4. § 5. § 6. § 7.

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35 35

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2.

Die Elementarphilosophie . . . . . . . . . . . Der Satz des Bewusstseins . . . . . . . . . . . Letzbegründung, Zirkularität und Ableitung . . Aporie der Zirkularität . . . . . . . . . . . . .

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https://doi.org/10.5771/9783495997239 .

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Inhalt

II

Unter freiem Himmel wohnen: Der Skeptizismus von Gottlob Ernst Schulze (Aenesidemus) und die Transzendentalphilosophie . . . . . . . . . . . . . .

99

1.

Die Bedeutung von Schulzes philosophischem Skeptizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 § 1. Schulze in der Geschichte der deutschen Philosophie . . 100 § 2. Dialektischer Skeptizismus . . . . . . . . . . . . . . . . 110 § 3. Aufgeklärter, progressiver und protestantischer Skeptizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 A. Vier Vorbehalte gegen den Skeptizismus . . . . . . . 127 B. Verteidigung des Skeptizismus . . . . . . . . . . . . 129

2. Philosophischer Skeptizismus und Transzendentalphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 § 4. Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis und kausale Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Elementarphilosophie als theoretische Philosophie B. Vom »Gedacht-werden-müssen« zum »Sein« in der kritischen Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . § 5. Objektivität: Schulzes Skeptizismus gegen Kant . . . . . A. Die Transzendentale Ästhetik . . . . . . . . . . . . . B. Die Analytik der Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Analogien der Erfahrung . . . . . . . . . . . . . D. Das Problem der Außenwelt: Schulze und die Widerlegung des Idealismus . . . . . . . . . . . . . . § 6. Der Erbfehler der theoretischen Philosophie. Hegel gegen Schulze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

140 140 155 166 169 176 192 199 208

III Salomon Maimon: Die Transzendentalphilosophie zwischen Spekulation und Skeptizismus . . . . . . . 225 § 1. § 2. § 3. § 4.

6

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transzendentalphilosophie . . . . . . . . . . . Maimon und der kausale Noumenalismus . . . Wahrheit aus der transzendentalen Perspektive A. Kohärentismus . . . . . . . . . . . . . . . B. Konstruktivismus . . . . . . . . . . . . . .

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226 233 236 253 258 265

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Inhalt

§ 5. Spekulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Differenzialtheorie und der Begriff des unendlichen Verstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Mythos des Gegebenen und die Metapher vom Spiegel: Maimon und der produktive Idealismus . . . § 6. Kritischer Skeptizismus . . . . . . . . . . . . . . . . .

270

Bibliographie . . . . . . 1. Hauptquelle . . . 2. Weitere Quelle . . 3. Sekundärliteratur .

312 312 314 315

Namenregister

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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

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La nature confond les Pyrrhoniens et la raison confond les Dogmatistes. – Nous avons une impuissance à prouver, invincible à tout Dogmatisme. Nous avons une idée de la vérité, invincible à tout le Pyrrhonisme. Pascal*

* Zitiert von F. H. Jacobi in David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch. In: Werke II, S. 1.

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Vorwort

Kant war noch nicht dazu gekommen, den letzten Stein seines theoretischen Bauwerkes zu setzen, als dieses bereits einzustürzen begann. Lange Zeit hat man geglaubt, dass das Einstürzen dieses nicht vollendeten Lehrgebäudes aus der Schwäche seines Fundaments folgte. Also versuchte man, ihm einen festen Boden zu geben. Mit diesem Ziel gelangte man zu solch kuriosen Ergebnissen wie der Bestätigung, dass der Entwurf des Gebäudes komplett umgewandelt werden müsse, wobei zusätzlich die Materialien ausgetauscht werden sollten, aus denen man es von neuem erbauen würde. Dies machte die Errichtung eines vollkommen anderen Gebäudes notwendig, obwohl noch immer in dem Glauben, dass es an demselben Ort wieder aufgebaut werden sollte. Die Entwicklung desjenigen, was man unter dem Namen des deutschen Idealismus versteht, könnte man gewiss mit dieser Metapher von einem kontinuierlichen Bestreben zum immer wieder neuen Errichten ausdrücken. Beliebig seien die Art und Weise, wie wir die Ergebnisse jener fieberhaften Dynamik des westlichen philosophischen Denkens im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts bewerten. Eines kann doch mit Hoffnung auf Übereinstimmung festgestellt werden, nämlich, dass die westliche Philosophie sehr wohl seit damals von den versprengten Trümmern dieser wackeligen und angeschlagenen Konstruktion lebte, die uns Kant vermacht hat. Die hier vorliegende Arbeit ist ein Beitrag zum Verständnis jenes zweideutigen Kulturphänomens, welches sich im Zerbrechen der kantischen Transzendentalphilosophie bis in die kleinsten Stücke äußert. Zweideutig ist es, weil es sich einerseits gewiss um ein Zusammenbrechen handelt. Andererseits war dies jedoch das Zusammenbrechen von etwas, dessen verstreute Trümmer überaus fruchtbar sind und immer noch den Boden der philosophischen Debatte nähren. Dieses Phänomen wird hier besonders in Bezug auf das untersucht, was man als die »skeptische Rezeption der Transzendentalphilosophie« bezeichnen könnte, die sehr bedeutend in der philosophiA

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Vorwort

schen Diskussion der späten deutschen Aufklärung war, jedoch relativ unbeachtet in der historisch-philosophischen Forschung blieb. Interessant ist, dass der skeptischen Kritik an der transzendentalen Methode weder der Vorschlag zu einem neuen Errichten noch der zu einer neuen Grundlegung des unsicheren Gebäudes folgte. Vielmehr existiert ein unausgesprochenes Bestreben, das Gebäude vor allem in seinen versprengten Stücken haltbar zu machen, jedes einzelne in größerem oder kleinerem Maße wertvoll, jedes einzelne mehr oder weniger anregend und verführerisch. Man könnte diese Abhandlung der »Ideengeschichte« bzw. der »Geschichte der Philosophie« zuordnen. Trotzdem ist hervorzuheben, dass sie auch von einem Interesse gelenkt wird, das man ein systematisches nennen kann, das heißt, von einem Interesse, das Argumentationspotential und die Plausibilität oder Nicht-Plausibilität jeder einzelnen Theorie, die hier vorgestellt wird, zu untersuchen. Selbstverständlich sollte man eine systematische Untersuchung ohne Verletzung der reinen historischen Bedeutung des Untersuchten durchführen. Dabei steht die systematische Vorgehensweise bei der Interpretation unter der Devise, dass es keinen Sinn hat, den Dialog mit Theorien einer philosophischen Tradition einzugehen, wenn diese Theorien nicht in den Rahmen der Probleme übertragen werden können, die uns heutzutage Beunruhigung schaffen. Die Vorsicht, mit der man dabei vorgehen sollte, entspricht gleichzeitig der Überzeugung, dass es nicht richtig wäre, die rekonstruierten Theorien vollständig aus dem historischen Kontext, aus dem sie entspringen, zu lösen. Die Ideengeschichte oder die Untersuchung der Geschichte der Philosophie sollte sich grundlegend nach dieser hermeneutischen Maxime und dem hier angeführten Vorbehalt richten. Den roten Faden der vorliegenden Abhandlung bildet die Untersuchung der Argumentationskraft der Transzendentalphilosophie gegenüber dem modernen Skeptizismus von Hume, so wie dieser vom Kreis der deutschen Philosophen am Ende des 18. Jahrhunderts aufgefasst wurde. Dieses Problem betraf eine der zentralen Fragen der philosophischen Debatte, die auf die Veröffentlichung der ersten der kantischen Kritiken folgte. Die »offizielle Geschichte« der deutschen postkantischen Philosophie hat uns daran gewöhnt, diese Debatte mit dem Auftreten der spekulativen Identitätsphilosophien als mehr oder weniger abgeschlossen anzusehen (hierbei denke man in erster Linie an Hegel). Das hier dargelegte Verständnis dieser Debatte widersetzt sich der offiziellen Version der Geschichte der moder10

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Vorwort

nen Philosophie und konzentriert sich auf den Ursprung der Probleme, die die Debatte auslösten. Es ist von der Überzeugung davon auszugehen, dass die Unruhe, die sich in den analysierten Theorien in den hier vorgenommenen Untersuchungen zeigt, im Wesentlichen die gleiche ist, welche uns heutzutage zum Ergreifen einer philosophischen Strategie bringt, die erklären soll, wie wir die Wirklichkeit rationalisieren und begreifen, angenommen, dass diese sich uns prima facie wie ein »Gegebenes« oder ein »empirischer Inhalt« präsentiert, der die »Form« annimmt, die wir ihm mit Hilfe des grundlegenden Begriffschemas aufprägen und ohne welches wir keine strukturierte Erfahrung hätten. Die moderne Philosophie hat seit Hume versucht, eine philosophische Auffassung zu artikulieren, nach der die Termini, mit denen das umrissene Problem angegangen wird, nicht erlauben, diesem eine befriedigende Lösung zu geben. Diese paradoxe Diagnose der modernen Epistemologie, jene ausweglose Situation, wie sie von Hume festgestellt wurde, begründet den größten Verdienst des modernen Skeptizismus und bewirkt gleichzeitig, dass er bis heute diskutierenswert bleibt. Dieselbe Feststellung umstreift die philosophische Welt unmittelbar nach der Veröffentlichung des theoretischen Werkes von Kant. Die hier dargestellten Untersuchungen werden einige der einflussreichsten philosophischen Auffassungen vom Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland näher betrachten, in denen – in jeder einzelnen auf besondere Art – die Notwendigkeit der folgenden Frage zum Ausdruck kommt: »Ist die Transzendentalphilosophie bzw. die von Kant begründete transzendentale Art zu philosophieren ein geeigneter Wegweiser, um aus der Sackgasse zu entkommen, in der sich, wie Hume zeigte, die moderne subjektivistische Erkenntnistheorie befindet?« Man kann mit gutem Grund vermuten, dass, auch wenn sich diese entscheidende Frage in den Feinheiten der Termini verändern kann, sie noch immer wie ein Antrieb für die philosophische Untersuchung der Möglichkeit eines objektiven Erkenntnisses wirkt. Das heißt, dass sie ohne eine zufrieden stellende Antwort weiterlebt. Nicht alle der Theorien, die hier Betrachtung finden, fallen direkt unter den Titel »Der Skeptizismus und die Transzendentalphilosophie«. Sicherlich nicht die Reinholdsche, obwohl sie unbedingt ihren Platz in einer Untersuchung mit dem vorgestellten Titel haben sollte, denn es ist eindeutig, dass Reinholds Entwurf zur Letztbegründung der Kantischen Transzendentalphilosophie ein bedeuA

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Vorwort

tender Anstoß für die skeptische Reaktion gegen Kant war. Im Grunde bezieht sich der Titel »Der Skeptizismus und die Transzendentalphilosophie« streng genommen auf Schulze-Aenesidemus und Maimon; sie sind die beiden großen Skeptiker jener Epoche. Schließlich beschäftigt sich die vorliegende Abhandlung nicht ausschließlich mit den Problemen, die die Erkenntnistheorie betreffen. Eine mehr oder weniger herausragende Rolle spielt die Auseinandersetzung mit dem Status der Rationalität und deren Wirkung auf die praktische Philosophie, da es sich hierbei um eine Besorgnis handelt, die am Ende des 18. Jahrhunderts große Bedeutung hatte. Diese Auseinandersetzung entwickelte sich zu einer theoretischen Reflexion über die genaue Reichweite der Aufklärung. In der Untersuchung zu Reinhold wird die besagte Reflexion anhand seines Beitrags zum Selbstverständnis der Aufklärung rekonstruiert. Die Darstellung, die ich vom progressiven und aufgeklärten Wesen des Skeptizismus nach Schulze in § 3 des zweiten Kapitels anbieten werde, ist auch durch das Bewusstsein von der für die europäische Aufklärung so charakteristischen Reflexion über sich selbst beeinflusst. Das vorliegende Buch geht auf eine Untersuchung zurück, die im Rahmen eines Forschungsstipendiums bei der Alexander von Humboldt-Stiftung unternommen und in einer umfangreicheren Version an der Universidad Nacional de Colombia zu Bogotá auf Spanisch publiziert worden ist. An dieser Stelle möchte ich nun den Institutionen danken, die zur Verwirklichung dieser Arbeit beigetragen haben. Ich danke der Alexander von Humboldt-Stiftung für das Forschungsstipendium, ohne das ich meine Arbeit in Frankfurt und Marburg nicht so gewissenhaft und konzentriert hätte vollbringen können. Die Universidad Nacional de Colombia ermöglichte mir mit der Erteilung eines Forschungsauftrages meinen Aufenthalt in Deutschland. Eine Befreiung von der Lehrpflicht für zwei Semester durch die philosophische Fakultät derselben Universität war entscheidend für die Vollendung dieser Arbeit. Außerdem möchte ich den folgenden Personen meinen Dank aussprechen. Reinhard Brandt, Professor der Universität Marburg, danke ich für seine Gastfreundschaft während meines Deutschlandaufenthalts und für seine Bemerkungen zu wichtigen Teilen dieses Buches. Ebenso gilt mein Dank Matthias Lutz-Bachmann, Professor an der Universität Frankfurt, für seine dezidierte Unterstützung und seine Kommentare. Ich danke Peter Baumann, Jorge Aurelio Díaz, Eduardo Fermandois, Lisímaco Parra, Gonzalo Serrano und Konstan12

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Vorwort

tin Pollok für ihre hilfreichen Bemerkungen zu bestimmten Abschnitten dieser Arbeit. Ebenso gilt mein Dank Kathrin Dehlan für ihre Übersetzungsarbeit, die auch viel zur Klarheit der Formulierungen beigetragen hat. Elisabeth und Hilmar Bindewald haben mich mit viel Herz und Glauben motiviert, diese Untersuchung auf Deutsch zu publizieren. Ihnen möchte ich hier ganz besonders danken. Frankfurt am Main, im Sommer 2006.

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Kapitel I Aufklärung und philosophischer Fundamentalismus: Die Elementarphilosophie Karl Leonhard Reinholds und der Skeptizismus Es ist so schwer, den Anfang zu finden. Oder besser: Es ist schwer, am Anfang anzufangen. Und nicht zu versuchen, weiter zurückzugehen. Ludwig Wittgenstein (Über Gewißheit, § 471)

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1. Reinhold: Rezipient und Interpret der kantischen Philosophie

§ 1. Aufklärung, Begründung und Skeptizismus Wenn die kantische Transzendentalphilosophie eine Bezeichnung verdient, auf welche sich die beachtenswertesten ihrer Interpreter und Kritiker einigen könnten, dann wäre dies – außer der, dunkel und schwer verständlich zu sein – die Bezeichnung, eine ungeheuer aporetische Philosophie zu sein. Diese Feststellung kann man durch die gesamte Rezeptionsgeschichte der kantischen kritischen Philosophie hinweg fast ohne wesentliche Abweichung vorfinden, d. h. noch immer, nach mehr als zwei Jahrhunderten der Auseinandersetzung mit einem philosophischen Projekt, das man beinahe einstimmig als einen der bedeutendsten Ansätze im Verlauf der westlichen Philosophiegeschichte betrachtet. Jedoch ausgerechnet während des Zeitraumes, der die ersten Jahre nach der Veröffentlichung des kritischen Werkes umfasst, lässt sich eine der heftigsten und fieberhaftesten Diskussionen zur Interpretation und Auffassung dieses Werkes vernehmen. Der Boden dieser Diskussion – fruchtbar gemacht vor allem durch den aporetischen Charakter der Philosophie Kants, der nicht selten zu Missverständnissen und falscher Auslegung verleitet – wird merkwürdigerweise jedoch nicht die Grundlage einer die kantische kritische Philosophie nur erklärenden Bewegung bilden, genauso wenig wie er den Abschluss oder die Fortführung der durch den Autor aufgestellten und ausgerichteten Aufgabe bringen würde – zumindest nicht in dem von ihm gewünschten Sinn –, sondern er wird sich immer mehr in ein Milieu verwandeln, aus dem eine Reihe von philosophischen Systemen der unterschiedlichsten Richtungen und Ansprüche hervorgeht. Das Auftreten Karl Leonhard Reinholds (1758–1823) im Szenario dieser Konfrontation hat besonderen Charakter und Bedeutung; denn in der Phase seiner Philosophie, in der er den größten Einfluss auf das deutsche akademisch-philosophische Umfeld 1 ausübte, kann 1

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Ich beziehe mich auf die Zeit von 1786 – das Jahr, in dem im Teutschen Merkur erst-

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Aufklärung, Begründung und Skeptizismus

man schon zwei der Motive wahrnehmen, die mit größter Kraft die Entwicklung der akademischen und nicht-akademischen philosophischen Debatte am Ende des 18. Jahrhunderts entfachten. Diese zwei Motive beschreiben das, was sich zum einen das Pathos der Aufklärung nennen könnte oder vielleicht besser die eifrige Überzeugung der erklärenden Kraft der Vernunft auf dem theoretischen Feld und deren bestimmende Kraft für das Vorgehen im praktischen Feld. Zum anderen wäre dies die erkannte Notwendigkeit einer Letztbegründung der philosophischen Erkenntnis. Das Prinzip der Autonomie der Vernunft wird am Ende des 18. Jahrhunderts endgültig zum Zündstoff der ethischen Reflexion und sogar zu dem der programmatischen Politik in Deutschland. 2 Trotzdem wird sich in der Debatte über den Status der Religion und die »Wahrheiten« der Religion, die als ausschlaggebend für die moralische Führung gelten, d. h. in der Debatte über die Beziehung zwischen Religion und Moral, das Pathos der Aufklärung am deutlichsten herauskristallisieren. Im Zusammenhang mit dieser Diskussion während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland ist wohl der berühmte Pantheismusstreit 3 der bedeutendste. Man sollte die Wirkung des aufgeklärten Motivs im Werk Reinholds in Bezug auf die nicht wenig gespannte Beziehung zwischen der immer mehr anerkannten und selbstbewussteren rationalen Autonomie und dem mals die Briefe über die Kantische Philosophie (im Folgenden: Briefe) in Weimar veröffentlicht wurden – bis 1791, das Jahr der Veröffentlichung von Über das Fundament des Philosophischen Wissens in Jena. Die erste Ausgabe der Briefe erscheint als Fortsetzungsreihe während der Jahre 1786–1787. Hier benutze ich die zweite Fassung (überholt von Reinhold) aus dem Jahr 1790 (Band I) und 1792 (Band II) in Jena, (wieder herausgegeben in nur einem Band 1923). 1789 erscheint sein Hauptwerk Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, Prag und Jena (im Folgenden: Versuch). 1790 wurde ebenfalls in Jena der erste Band der Beyträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen (im Folgenden: Beyträge I) veröffentlicht. Der zweite Band der Beyträge erscheint 1794 (im Folgenden: Beyträge II). Das von Reinhold im Wesentlichen in Versuch, Beyträge I und Fundament vorgestellte System nennt man Elementarphilosophie. Die intellektuelle Entwicklung nach 1794 dieses so wechselhaften Philosophen, wie Reinhold es war, ist für die vorliegende Untersuchung nicht relevant. Zu diesem Thema siehe Erdmann (1931), S. 471–495; Bondeli (1995), Kap. 2 u. 3; auch Stamm (1995), S. 18–31. 2 Siehe Hinske (1990), S. 423 ff. 3 Zum Pantheismusstreit siehe hauptsächlich Scholz (1916); Timm (1974); Beiser (1993), Kap. 2, 3 u. 4. Zur Kontroverse im Umfeld der Religion als Unterscheidungsmerkmal der deutschen Aufklärung siehe Epstein (1966), S. 33 ff. u. 112 ff. Zu diesem Punkt hat ebenfalls W. Schneiders geschrieben: Schneiders (1974), S. 36 ff. A

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Reinhold: Rezipient und Interpret der kantischen Philosophie

Status des religiösen Glaubens sowie dessen Einfluss auf die Sitten sehen. Ebenfalls kann der erwähnte Pantheismusstreit in nicht geringem Maße als Hintergrund für das reinholdsche aufklärende Engagement betrachtet werden. Dieses Engagement wurde, wie ich später noch zeigen werde, durch eine kantische Auffassung sehr stark geprägt. 4 Das zweite theoretische Motiv, welches das philosophische Projekt Reinholds anregte, ist auf spezifische Weise an die Problematik der Begründung der philosophischen Erkenntnis und an die der philosophischen Begründung im Allgemeinen gebunden. Dies ist gewiss kein neues Problem in der Geschichte der modernen Philosophie. Es ist bekannt, dass dies eine der wesentlichen, wenn nicht gar die wesentlichste Besorgnis der cartesianischen Philosophie darstellt und nicht aufhören wird, seine Spur in der ganzen Entwicklung der rationalistischen Philosophie bis zu dem Punkt zu hinterlassen, an dem es keinesfalls eine Übertreibung wäre, das logische Problem in Bezug auf die Begründung der Erkenntnis zu betrachten und seine Beziehung zum Begründeten in einem linearen axiomatischen Ableitungssystem darzustellen wie eines der »Probleme des Rationalismus«, was der unter diesem Namen bekannten philosophischen Bewegung Familienähnlichkeit gibt. 5 Das Besondere an der Art, in welcher Reinholds Philosophie an das Problem der Letztbegründung der philosophischen Erkenntnis und der Philosophie überhaupt gebunden ist, liegt in der inneren Beziehung, die seine grundlegende Auseinandersetzung mit der kri4 Reinhold denkt, dass diese Debatte in der Kritik der reinen Vernunft (im Folgenden KrV) gelöst ist. »[D]er bekannte Streit zwischen Jacobi und Mendelssohn …, wenigstens inwiefern derselbe den Überzeugungsgrund vom Dasein Gottes betrifft, [war] schon einige Jahre vorher entschieden, als er wirklich ausbrach« (Briefe I, S. 120 f.). Die Anspielung Reinholds auf Kants »Was heißt: sich im Denken orientieren?«, Berliner Monatsschrift, Oktober 1786, in: AA VIII, S. 131–147, im sechsten Brief und der wiederholte Gebrauch des Begriffs vom »kantischen Vernunftglauben« führen zu dieser Idee. Über den Einfluss des Pantheismusstreits auf Reinhold siehe Gueroult (1930), S. 35 ff.; Teichner (1976), S. 205 ff., 214 ff.; Timm (1974), S. 385 ff., 397 ff.; Beiser (1993), S. 45. 5 Über Reinholds Cartesianismus siehe Cassirer (1923), S. 43; Vleeschauwer, de (1937), S. 501; Lauth (1989); Frank (1997), S. 165 ff. Der Verwandtschaft des philosophischen Systems Reinholds mit dem cartesianischen war sich u. a. Schulze deutlich bewusst, einer seiner ersten und radikalsten Widersacher. Siehe Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementarphilosophie, Berlin 1911 (1792), S. 408 ff. (im Folgenden: Aenesidemus). Eine genauere Diskussion über den Cartesianismus von Reinhold wurde vor kurzem von V. Oittinen (2004) unternommen.

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Aufklärung, Begründung und Skeptizismus

tischen Philosophie Kants bedingt. Diese innere Beziehung wird die Bedeutung bestimmen, die Reinholds theoretisches Projekt für die Entwicklung des deutschen Idealismus erlangt, also für die Entwicklung jener philosophischen Bewegung, die – wie wir wissen – besonders durch die Auseinandersetzung mit der Begründung des philosophischen Wissens in Bezug auf das theoretische Vermächtnis Kants charakterisiert ist. Für Reinhold kann man die Philosophie Kants als jene Philosophie betrachten, die im Wesentlichen die dringendsten Probleme hinsichtlich der Möglichkeit des Wissens und der Begründung der Prinzipien einer aufgeklärten Kultur, d. h. die Probleme der Begründung unserer Rechte und Pflichten in diesem Leben sowie die Gründe unserer Hoffnung für ein zukünftiges Leben gelöst hat. 6 Trotzdem hat die kantische Philosophie gewisse wahre (um es auch anders auszudrücken, wahrhaftig existierende) Fakten angenommen, hauptsächlich die der Erfahrung und der a priori synthetischen Urteile 7 , um später nach deren Möglichkeit zu fragen, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass die bloße Erklärung eines vorausgesetzten Faktums – was unausgesprochen den Verzicht auf die Darstellung der Art, wie das jeweilige Faktum zustande kommt, mit sich zu bringen scheint – die Beweiskraft, d. h. das begründende Potential, genauso stark verringert wie die genuine Erklärungskraft der Transzendentalphilosophie. Allerdings ist eine in ihrer Beweis- und Erklärungskraft eingeschränkte Philosophie eine Philosophie, die leicht zum Opfer von Skepsis und Missverständnis wird. Deshalb orientiert sich das theoretische Projekt Reinholds an der engen Artikulation zwischen einer erklärenden und aufklärenden Absicht und der Überzeugung, dass nur eine haltbare Begründung der Prinzipien mit den Missverständnissen abschließen kann, denen die Philosophie Kants aufgrund des eingeschränkten Vermögens ihrer Begründungskraft ausgesetzt ist. Für den mangelhaften Charakter der Philosophie Kants, was ihr Beweispotential angeht, kann man die Fülle von nicht erklärten Vorraussetzungen, aus der sie hervorgeht, verantwortlich machen. Missverständnisse sind die Ursache für die Verbreitung der verschiedenen Abspaltungen in der Philosophie, für die so genannte Dispersion. 8 Laut Reinhold ist Dispersion in der Philosophie in Hinsicht Vgl. Fundament, S. VI; XIV, XV; Versuch, S. 141. Ebd., S. 129 f.; Beyträge I, S. 278 ff. 8 Siehe Versuch, S. 32 ff.; Beyträge I, S. 341 ff. Dieses ist u. a. ein Leitmotiv in der Philosophie Reinholds. 6 7

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auf die Prinzipien weder wünschenswert noch akzeptabel, da sie uns dazu verdammt, endlos auf einem Schlachtfeld zu leben, auf dem sich alle Fraktionen, die sich aufgrund von Missverständnis herausbilden konnten, blind bekämpfen, ohne zu akzeptieren, dass man einige Elemente unbedingt anerkennen sollte – wenn auch nur wenige und sehr allgemeine – hinsichtlich derer ein Einverständnis notwendig ist. Dies sei die Bedingung der Debatte selbst, insofern man eine aufrichtige Debatte führen will. 9 Ein solches Einverständnis sollte vor allem über die Gründe bestehen, die der Dispersion Platz geschaffen haben, also bezüglich der Gründe, die die Unwahrheit, Wahrheit oder Unvollkommenheit usw. einer Behauptung oder einer bestimmten Überzeugung zu erklären haben. Im Folgenden möchte ich darlegen, wie Reinhold sein Projekt des philosophischen Einverständnisses über das Wesentliche im Sinne seiner ausgesprochen aufgeklärten Auffassung durchführt. Dazu werde ich weder eine alles umfassende Beschreibung noch eine bloße Panoramadarstellung der Elementarphilosophie 10 geben, sondern vielmehr eine Interpretation auf textueller und dokumentarischer Grundlage, wie ich sie als notwendig und ausreichend erachte, um die beiden Hauptziele begreiflich zu machen, die Reinholds Theorie anregen. Das wäre (1) die Annäherung an das Verstehen des Sinnes, der (nicht nur historischen) Bedeutung des aufgeklärten begründenden Desideratums Reinholds und (2) das Vorhaben, dieses Projekt einer Überprüfung zu unterwerfen, die eine skeptische sein könnte. Der Schwerpunkt dieser Überprüfung schafft eine thematische Verbindung zu den folgenden Abschnitte dieses Buches, sobald es darum geht zu untersuchen, ob die Vorschläge der Elementarphilosophie bezüglich der Frage, auf welche Weise der aporetische Charakter der Siehe Beyträge I, S. 341. In Klemmt (1958) kann man eine ausführliche und sich streng an den Originaltext haltende Darstellung der Philosophie Reinholds finden. In Pupi (1966), Kap. IV und VI, findet man eine sehr gute Erörterung der Kernbegriffe der Elementarphilosophie, außerdem erhält man hier eine wertvolle Darstellung der Entwicklung der Philosophie Reinholds. Auch kann der zweite Teil des Buches von Teichner (1976) herangezogen werden. Die Darstellung dazu von J. E. Erdmann (1931, S. 422–495) ist ebenfalls sehr lesenswert, genauso K. Fischer (1900), S. 3–47. Breazeale (1982) bietet eine interessante Synthese der historisch-philosophischen Bedeutung der Philosophie Reinholds an. Das 8. Kap. in Beiser (1993) ist, meiner Meinung nach, sehr vollständig. Eine neuere vollständige historische und systematische Untersuchung der Philosophie Reinholds ist die von Bondeli (1995). Außerdem hat sich auch M. Frank (1997), bes. S. 152–661, mit Reinhold und der kritischen Aufnahme seiner Philosophie beschäftigt.

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Transzendentalphilosophie zu beseitigen sei, erfolgreich ihren Auftrag erfüllen oder nicht. Dieses letzte Ziel kann sich als historisch-philosophisch relevant verstehen. Schließlich ist bekannt, dass Schulze-Aenesidemus der strengste Kritiker des reinholdschen Projekts war, der mit seinem in jener Epoche sehr einflussreichen Werk Aenesidemus versuchte, die Grundpfeiler des Optimismus der Elementarphilosophie in Bezug auf die Möglichkeiten der fundamentalen Erkenntnistheorie einzustürzen. Ob und in welchem Maße auch immer der von Schulze herbeigebrachte Einsturz zu Recht erfolgte, ist ein besonderer Gegenstand der zweiten Untersuchung des hier vorliegenden Buches. Gleiches gilt für den »kritisch-skeptischen« Angriff Salomon Maimons, auf den ich mich im dritten Kapitel beziehen werde. Abgesehen von der historisch-philosophischen Bewertung ist die hier vorgestellte Untersuchung der Grundideen Reinholds ebenfalls auf ein systematisches Infragestellen ausgerichtet, was sich wie von selbst aus den zu untersuchenden Theorien ergibt. Falls also ein guter Teil der kantischen Begründung zur objektiven Erfahrung als Antwort auf die skeptische Fragestellung Humes gesehen werden kann, obwohl sie mangelhaft – aufgrund ihrer geringen erklärenden und begründenden Kraft – in Bezug auf diese Aufgabe zu sein scheint, so wird doch deutlich, dass die von Reinhold vorgeschlagene Begründung der philosophischen Erkenntnis, die darauf zielt, jenen Defizit zu beheben – was bedeutet, dass sie die Beweiskraft der Transzendentalphilosophie vergrößern will, oder besser, dass sie diese mit einer wahrhaftigen Beweiskraft auszustatten versucht –, in der Lage sein soll, eine skeptische Prüfung unversehrt zu bestehen oder aber die Quelle der skeptischen epistemologischen Fragen verschwinden zu lassen. In diesem Sinn ist die vorliegende Untersuchung in gewisser Art einseitig, da, sobald man Reinholds Desideratum als erfüllt akzeptieren würde, nicht nur alle skeptischen Fragen verschwinden müssten, sondern mit ihnen auch die verbleibenden Fraktionen, die auf dem Kampfplatz immer noch streiten, weil nach Reinhold aufgrund des Mangels an einer haltbaren Begründung und der Akkumulation weder vorgeführter noch nachgewiesener Voraussetzungen zwangsläufig Perspektiven entstehen, die wie Vorurteile wirken. Würde man jenes Desideratum aber als nicht erfüllt ansehen, so müsste man die Existenzberechtigung all dieser Fraktionen anerkennen und nicht nur die des philosophischen Skeptizismus. Für Reinhold zählen der (dogmatische) Theismus, der Supernaturalismus, der A

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Atheismus und der (dogmatische) Skeptizismus zu den wichtigsten dieser Fraktionen. 11 Die Einseitigkeit der hier dargestellten Interpretation rechtfertigt sich nicht, indem man dem von Reinhold so bezeichneten dogmatischen Skeptizismus eine größere Bedeutung als den anderen drei Strömungen zuschreibt, sondern weil die Untersuchung, mit der man herausfinden möchte, ob Reinholds Begründungsversuch die Transzendentalphilosophie mit Beweiskraft ausstattet (entgegen der Unmöglichkeit, die der Skeptiker einem solchen Vorhaben zuschreibt) nicht selbst ein skeptischer ist, genauer gesagt, ob er nicht schon selbst den Erfolg eines solchen Unternehmens in Frage stellt. Für Reinhold sind die Konsequenzen des Skeptizismus in Bezug auf die Begründung einer Grundlage der philosophischen Erkenntnis und der philosophischen Erkenntnis im Allgemeinen schädlich, wenn nicht sogar fatal für das Projekt der Aufklärung, solange der Skeptizismus nicht nur durch die Zernichtung aller Ansprüche auf alles Wissen überhaupt den Stolz der Menschheit auf seiner empfindlichsten Seite angriff, sondern durch die Bestreitung der Zuverlässigkeit aller angeblichen Gründe unserer Pflichten und Rechte in diesen und unserer Erwartung für das zukünftige Leben, das Palladium der Menschheit zu rauben drohte. (Fundament, S. 51)

Die Erörterung der vorgestellten Grundideen der Elementarphilosophie im hier gezeichneten Rahmen soll deshalb als eine Untersuchung gelten, die den besonderen Gründungsproblemen der Transzendentalphilosophie – oder der von Kant in der KrV aufgestellten transzendentalen Art zu philosophieren – verschrieben ist. Das heißt, die kritische Darstellung ist in Bezug auf Kant eher retrospektiv als prospektiv hinsichtlich der philosophischen Bewegung, die man Deutscher Idealismus nennt. Diese Fraktionen erscheinen auch als »Spiritualismus« (von der leibnizschen Schule), »Materialismus« (nach Locke), »dogmatischer Skeptizismus« (Hume) und »Supernaturalismus« (Vergleiche Versuch, S. 21), die in der philosophisch-akademischen Welt Deutschlands zum Ende des 18. Jhs. auch nach dem Erscheinen der kantischen Kritik an der Metaphysik noch ihre offiziellen Repräsentanten hatten. So wurde der »Leibnizsche Rationalismus« von Eberhard verteidigt und der Empirismus (nach Locke) durch Feder (siehe Fundament, S. 131). Im Pantheismusstreit sind der »Supernaturalismus« (Jacobi) oder der »Atheismus«, insofern man konsequent – so Jacobi – Spinoza liest, genauso wie der »dogmatische Theismus« (Mendelssohn) vertreten. Der »dogmatische Skeptizismus« wird am eindringlichsten in Schulze zum Ausdruck kommen, welcher später die Elementarphilosophie zu widerlegen sucht.

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Außer dem bereits erwähnten Grund, mit dem dieses Verfahren gerechtfertigt werden soll, gilt es, Folgendes hinzuzufügen: der Skeptizismus war, wie bekannt ist, ein entscheidender Faktor in der Entwicklung der Philosophie des Deutschen Idealismus. Fichte findet in Schulze-Aenesidemus und in Maimon zwei sein theoretisches Werk anregende Motive; und Hegel, der sich ebenfalls mit Schulze beschäftigte, bezeichnete die Phänomenologie des Geistes nachhaltig als einen »sich vollbringenden Skeptizismus« (Phänomenologie des Geistes, S. 67). 12 Auch in Reinholds Ansätzen spielt die Auseinandersetzung mit dem Skeptizismus eine entscheidende Rolle. 13 Trotzdem ist auffällig, dass sich Reinhold niemals in seinen Schriften oder Kommentaren zum Skeptizismus auch nur einem der skeptischen postkantischen Philosophen offen entgegenstellt, die gerade gegen ihn geschrieben haben. Der Skeptizismus, gegen den Reinhold sich wendet, bleibt immer der von Hume, welcher zufolge Reinholds Interpretation als ein »negativer Dogmatismus« betrachtet werden kann, da er die Möglichkeit der objektiven Erkenntnis unter der Voraussetzung verneint, dass diese wie eine Erkenntnis der Dinge an sich gewonnen sei. Der »positive Dogmatismus« von Leibniz bestätigt dagegen, so Reinhold, die Möglichkeit der Erkenntnis der Dinge an sich mit Hilfe von rationalen Prinzipien; der von Locke stimme seinerseits der Möglichkeit einer auf Erfahrung gegründeten Erkenntnis zu. Jedoch teilen der negative wie der positive Dogmatismus, nach Reinhold, eine falsche Voraussetzung und wurden von der kantischen kritischen Philosophie deutlich abgedrängt. 14 Obwohl Über Hegels Beziehung zum Skeptizismus vgl. Forster (1989), zu Hegel und Schulze siehe unter Teil II, § 6. Die »Funktion« des Skeptizismus von Schulze-Aenesidemus in Fichte ist ebenfalls in der Fachliteratur Untersuchungsgegenstand. Vgl. dazu Gueroult (1930), S. 134–145; Breazeale (1991). 13 Hervorzuheben ist hierzu der Essay »Ausführlichere Darstellung des negativen Dogmatismus oder des metaphysischen Skepticismus«, der in Beyträge II, S. 159–206, 1794 erscheint, jedoch schon vorher als Einleitung zur Neuübersetzung von Humes Enquiry concerning Human Understanding durch W. G. Tennemann 1793 in Jena veröffentlicht worden war. Bereits 1789 arbeitete Reinhold in Versuch mit einer Grundcharakteristik dessen, was er später dogmatischer Skeptizismus oder negativer Dogmatismus nannte. Siehe Versuch, S. 120–141. Dieser Abschnitt ist die beinahe änderungsfreie Wiederaufnahme eines Artikels, der unter dem Titel »Von welchen Skeptizismus läßt sich eine Reformation der Philosophie hoffen« im Januar 1789 in der Berlinischen Monatsschrift erschienen war. Siehe Breazeale (1998), S. 119 Anm. Zum Begriff des »dogmatischen Skeptizismus« siehe unten Anm. 40 dieser Abhandlung und Kapitel II 1, §§ 2 und 3. 14 Vergleiche Beyträge II, S. 195 ff.; 202 f. »Zum Wesen alles Dogmatismus überhaupt gehört die als ausgemacht angenommene und einen verborgenen Widerspruch mit sich 12

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es einige implizite Anspielungen auf den Skeptizismus von Schulze und Maimon in Beyträge II gibt, sind diese doch vereinzelt und scheinen nicht die Absicht einer direkten Konfrontation zu verfolgen. So kann man annehmen, dass Reinhold 1794 noch nicht gegen den »neuen« Skeptizismus reagierte, der als Kritik zur »neuen« Transzendentalphilosophie entstanden war. Seine Auffassung vom Skeptizismus scheint sich weder im Vergleich zu seinem Standpunkt von 1789 noch zu seiner in Fundament 1791 geäußerten Meinung wesentlich verändert zu haben. Deshalb hält Reinhold 1794 immer noch entschieden fest, dass »man die skeptische Philosophie eben so oberflächlich als die kritische kennt, wenn man diese durch jene zu bekämpfen unternimmt.« (Beyträge II, S. 203). Die Elementarphilosophie sollte sich als ein begründendes System verstehen, das, indem es die Transzendentalphilosophie mit Beweiskraft ausstattet (sobald es ausdrücklich begründet, was diese vorausgesetzt hat), danach strebt, den modernen Skeptizismus zu übertreffen. Dieser Anspruch bestätigt die im Titel dieser ersten Untersuchung bereits formulierte Rangfolge – Die Elementarphilosophie und der Skeptizismus – und nicht die umgekehrte. Reinhold war auf jeden Fall Zielscheibe für den Angriff des postkantischen Skeptizismus, was nun erklärt, weshalb eine Darstellung des begründenden Vorhabens Reinholds in eine Untersuchung miteinbezogen wird, die sich mit der »skeptischen Rezeption« der Transzendentalphilosophie während der späten deutschen Aufklärung und nicht mit der angenommenen Überwindung des Skeptizismus mit Hilfe der Transzendentalphilosophie befasst. Eine prospektive Untersuchung der Bedeutung des Skeptizismus in der Entwicklung des deutschen Idealismus müsste entweder eine andere Abhandlung oder sollte zumindest einen anderen Teil dieser hier vorliegenden bilden.

selbst enthaltende Behauptung: dass die objektive Wahrheit in der Übereinstimmung zwischen der Vorstellung und dem Dinge an sich bestehen müsse. Hierüber ist der Skeptiker, der die objektive Wahrheit für unerreichbar hält, mit dem positiven Dogmatiker, der sie entweder in der Erfahrung (a posteriori) oder in der Vernunft (a priori) gefunden zu haben glaubt, einverstanden. Der kantische Kritizismus untergräbt beide Arten des Dogmatismus, indem er dasjenige was von beiden ohne Untersuchung als ausgemacht angenommen ist, bei seiner Untersuchung des Erkenntnisvermögens dahin gestellt sein lässt, und also bei dieser Untersuchung nicht, wie der Lockische Empirismus, der Leibnizische Rationalismus und der Humische Skeptizismus bei den Ihrigen durch eine allen gemeinschaftliche grundlose Voraussetzung irre geführt wird.«

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Von der Religionskritik zur aufgeklärten Elementarphilosophie

§ 2. Von der Religionskritik zur aufgeklärten Elementarphilosophie Die beruhigende Wirkung, die in Reinhold die Rezeption der KrV hatte, war gewissermaßen schon vorgeformt durch die Art und Weise, wie sich Reinhold von den Auseinandersetzungen beunruhigen ließ, die der Geist der Aufklärung in der gespannten Beziehung zwischen dem Glauben an die Grundwahrheiten des Christentums (die Auswirkungen, die ein solches Für-wahr-halten mit sich bringt, eingeschlossen) und dem Anspruch der rationalen Autonomie (mit allen praktischen Konsequenzen, die ein solcher Anspruch zur Folge hat) hervorbrachte. Für diese Untersuchung lassen sich zwei relevante Phasen in Reinholds Rezeption der KrV ausmachen. Die erste ist durch eine aufrichtige Bewunderung und die feste Überzeugung gekennzeichnet, dass die KrV der Höhepunkt und der Abschluss, d. h. das letzte Wort im Aufklärungskonflikt zwischen Wissen und Glauben sei. Also kann man schließen, dass das kritische Ergebnis einer Begrenzung der theoretischen spekulativen Vernunft, die sich auf Kriterien gründet, welche die Möglichkeit einer allgemeinen Erkenntnis mit der Absicht definieren, zugleich die praktisch-moralische Begründung des Glaubens zu sein, 15 in Reinhold beruhigend Was für Kant die Einschränkung der theoretischen Anwendung der Vernunft ist, tritt bekannter Weise als eine Erweiterung des praktischen Gebrauchs der Vernunft auf. Vgl. die Formulierung dieses Schlusses im Vorwort der zweiten Ausgabe der KrV, S. BXXX: »Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen, und der Dogmatism der Metaphysik, d. i. das Vorurtheil, in ihr ohne Kritik der reinen Vernunft fortzukommen, ist die wahre Quelle alles der Moralität widerstreitenden Unglaubens, der jederzeit gar sehr dogmatisch ist.« Timm hält fest, dass Reinhold dem ersten Teil dieser Behauptung nicht zustimmen würde, weil er diesen zu jacobisch fände. (Timm: 1974, S. 415) Diese Annahme scheint mir jedoch nicht ganz korrekt zu sein, da – wie sich deutlich aus dem Text ergibt – das, worauf man abzielt, ein moralisch-rationaler Glaubensbegriff ist. Dass dieser moralisch-rationaler Glaubensbegriff scheitert, weil er sich nicht wesentlich vom Vorschlag Jacobis unterscheidet, ist eine andere Sache. Auf jeden Fall scheint mir, dass Timms Urteil zumindest den Hinweis geben sollte, dass die Betonung auf die Erweiterung des praktischen Gebrauchs der Vernunft im Vorwort zur zweiten Ausgabe der KrV genauso stark mit der Polemik zwischen Jacobi und Mendelssohn in Beziehung gesetzt werden könnte (der Begriff des »rationalen Glaubens« erscheint zum ersten Mal klar formuliert in »Was heißt: sich im Denken orientieren?«) wie ebenfalls mit dem enormen Erfolg, den bereits 1787 die erste Serie der Briefe erreichte. Die Briefe zeigen eine vom ideologisch-praktischen Standpunkt her stark überladene Interpretation der kantischen Philosophie. Kant wird dort nämlich eher als ein moralischer Theologe als wie ein Kritiker der Metaphysik oder der Epistemologie dar-

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und gleichzeitig besänftigend wirkte. Diese erste Phase der Rezeption der KrV kommt in den berühmten und in jener Zeit sehr gefeierten Briefen über die kantische Philosophie zum vollen Ausdruck. 16 Im ersten Brief, den Reinhold – mittlerweile bekannt als der Autor der Briefe – an Kant richtet, finden wir wertvolle persönliche Zeugnisse, die über sein Verständnis vom Konflikt zwischen Wissen und Glauben im aufgeklärten Geiste in Verbindung mit dem Studium der KrV Auskunft geben: Der von Ihnen entwickelte moralische Erkenntnisgrund der Grundwahrheiten der Religion […] hat mich zuerst zum Studium der KrV eingeladen. Ich ahndete, suchte und fand in derselben das kaum mehr für möglich gehaltene Mittel, der unseeligen Alternative zwischen Aberglauben und Unglauben überhoben zu sein. Beide Seelenkrankheiten habe ich in einem seltenen Grade durch eigene Erfahrung kennen gelernt, und ich weiß nicht, ob ich von der letztern, vor der mich die KrV geheilt hat, nicht eben so empfindlich gelitten habe, als von der ersteren, die ich gleichsam mit der Muttermilch eingezogen habe, und die, in einem katholischen Treibhause der Schwärmerei, in welches ich in meinem vierzehnten Jahre versetzt wurde, zu einer ungewöhnlichen Heftigkeit gediehen war. Meine Freude über meine radikale Genesung, und der Wunsch zur Verbreitung des von mir so bewährt gefundenen, und gleichwohl von meinen Zeitgenossen zum Teil noch so sehr verkannten Heilmittels das Meinige beizutragen, haben die erwähnten Briefe über die kantische Philosophie veranlasst. (12. Oktober 1787, AA X, S. 498)

Die zweite, für diese Untersuchung wichtige Phase in Reinholds Rezeption der KrV, ist eher durch eine kritische Intention bestimmt. Reinholds kritische Auseinandersetzung mit Kant nimmt 1789 mit der Veröffentlichung des Versuchs eindeutig Gestalt an und hält sich bis zum Erscheinen der Beyträge (Band I, S. 179) und des Fundagestellt, was ganz und gar dem Geist jener Epoche entspricht. Dazu Hoyos 2001, Teil III, § 1; § 3. 16 Dank der Briefe genoss Reinhold in seiner Epoche eine beeindruckende Popularität. Noch interessanter ist jedoch, dass sie zum Ruhm Kants weitaus mehr beigetragen haben als die Bemühungen Kants selbst populär zu werden. K. Röttgers deckte auf, dass die Briefe ursprünglich auf Anregung der Herausgeber der Allgemeinen Literaturzeitung von Jena geschrieben wurden, die zum Kreis der Anhänger der damals noch kaum bekannten kantischen Philosophie gehörten und gleichzeitig dem intellektuellen Zirkel von Weimar nahe standen. (Die ALZ wurde von der Weimarer Regierung unterstützt.) Reinhold gelangte zum Weimarer Zirkel als Schwiegersohn von Wieland und Mitherausgeber des Teutschen Merkur. Diese Aufgabe hatte Reinhold mit der Hoffnung angenommen, dass ihm das Schreiben zu einer Dozentenstelle an der Universität von Jena verhelfen würde. 1787 erfüllte sich sein Ziel (s. Röttgers: 1974, S. 789–804).

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ments 1791, das in gutem Maße programmatisch ist. Das Besondere dieser Kritik an Kant liegt darin, dass sie in keinem Moment als eine grundsätzliche Trennung von der kantischen Philosophie erfolgt, sondern dass sie von Reinhold als aus demselben Boden gewachsen betrachtet wird. In dem Brief, den Reinhold zusammen mit einer Ausgabe des Versuchs an Kant schickte, lässt er ihn die folgende, sehr plastische Überzeugung erfahren: »Empfangen Sie, mein höchstverehrungswürdiger Lehrer und Freund, den beikommenden jungen Blütenzweig von dem Baume, den Sie gepflanzt haben« (AA XI, S. 17). Weiter schreibt er: »Ich kann mir keine innigere Vereinigung als möglich denken, als diejenige, die zwischen unseren Gemüthern obwaltet. Welche Seeligkeit liegt in dieser Überzeugung für mich!« (ebd., S. 17 f.). Die Überzeugung, dass die Elementarphilosophie mehr mit der kritischen Philosophie gemein hat als sie von ihr trennt, sollte als Folge von Reinholds aufgeklärtem Charakter und seiner Auffassung der Aufklärung gesehen werden. Eine Untersuchung der Form, in der Reinhold die Hauptaufgaben des Aufklärungsprojekts verstanden hat, erlaubt schließlich, den Ursprung jenes Optimismus zu erkennen, der seine Überzeugung von der tiefen Gemeinsamkeit zwischen ihm und der Philosophie Kants kennzeichnet. Unter dem Titel »Gedanken über Aufklärung« erscheint von Juli bis September 1784 in Fortsetzung der erste Essay Reinholds, den er in dem von Martin Wieland in Weimar herausgegebenen Teutschen Merkur veröffentlichte. Später wurde Reinhold zum Mitherausgeber der Zeitschrift und zum Schwiegersohn des Dichters. Reinhold war nach Weimar sprichwörtlich auf der Flucht vor dem Druck der katholischen Kirche in Österreich gelangt. 17 Auch dieses persönliche Ereignis ist für den hier behandelten Kontext von Bedeutung. Die Anpassung Reinholds an die kulturelle und literarische Welt des protestantischen Deutschlands, das ihn aufgenommen hatte, wird von einer zunehmenden Distanzierung vom katholischen Glauben begleitet, bis er 1786 schließlich endgültig zum Protestantismus konvertierte. Die Entstehung von »Gedanken über Aufklärung« lässt sich in die Phase einordnen, in der sich diese innere Krise Reinholds entwickelt hatte. 18 Den Höhepunkt jener Krise zeigen zweifellos die Briefe, in denen Reinhold nicht zurückschreckt, in sei17 18

Siehe E. Reinhold (1825). Zu diesem Punkt siehe Gliwitzky (1974), S. 60 ff. A

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ner reformierenden Art deutlich zu machen, was für ihn den revolutionären Charakter der kritischen Philosophie ausmacht. Die Tatsache, dass er sich ausdrücklich des in Deutschland so konnotationsbeladenen Begriffs der Reformation bediente, sollte sich analog zur Bewertung der radikalen Wirkung der Philosophie Kants verstehen. 19 Zwi Batscha (1977) machte darauf aufmerksam, dass die aufklärenden und reformierenden Ziele Reinholds, die im Geiste des österreichischen Josephinismus entstanden waren, einen radikalen Wandel nach seiner Konversion zum Protestantismus erlebten. 20 Seit 1786, hauptsächlich jedoch mit der Veröffentlichung von »Ehrenrettung der Reformation gegen zwei Kapitel in des K. K. Hofrats und Archivars Herrn M. J. Schmidts Geschichte der Teutschen. Band 6« 21 kann man sehen, dass für Reinhold die einzige Möglichkeit einer Reform des Katholizismus in der »Aufhebung des Systems« der römischen Kirche bestand: Dass jede Reformation, die den Grund des römischen Systems stehen lässt, an dem System selbst nichts verändern, sondern ihm aufs höchste nur mehr scheinbare Vernunftmäßigkeit und äußeren Glanz geben könne; und dass, bei dem, was man in katholischen Ländern Aufklärung nennt, vielleicht kein Stand mehr zu gewinnen habe, als der Geistliche, der aus seinem sorglosen Schlummer aufschreckt, über seinen wahren Vorteil erleuchtet, und seine Maßregeln dem Geschmacke des Zeitalters anzupassen genötigt wird. (Der Teutsche Merkur, März 1786, S. 213; zitiert von Batscha 1977, S. 72)

Nachdem Reinhold zu diesem Schluss gekommen ist, entscheidet er sich eindeutig für die Gleichung, welche die Aufklärung mit dem Protestantismus zusammenbringt, und genau über diese Zusammenführung soll sich schließlich die Spannung zwischen Glauben und Wissen auflösen. Auf diese Weise erscheint das, was man in der PhaSiehe Versuch, S. 33 ff. Unter Josephinismus versteht man die Reformbewegung des Katholizismus, die in der Gunst der Regierung Joseph II. (Kaiser von Österreich 1765–90) stand. Joseph II. war ein bedeutender Vertreter des aufgeklärten Despotismus in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Europa. Er setzte die Souveränität des Staates über die Kirche durch, ließ die dem beschaulichen Leben geweihten Klöster schließen und verpflichtete sie dazu, ihre Vorräte zur Lebensunterhaltung der Priester bereitzustellen. Er führte die Religionsfreiheit in Österreich ein. Am Ende seines Lebens widerrief er jedoch einen guten Teil der Reformen wieder, die er innerhalb der katholischen Kirche hatte durchführen lassen. 21 In: Der Teutsche Merkur, Februar 1786, S. 118 ff. 19 20

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se vor seiner Konversion als Religionskritik verstand, nach 1786 in eine Versöhnung von Vernunft und Glauben umgewandelt. 22 Der Wandel, den die kritische Philosophie auslöste, sollte vor allem unter der Bedingung gesehen werden, dass dieser zu jener Versöhnung beiträgt und nicht so sehr in Bezug darauf, dass er auf dem Wege der Religionskritik geschieht. Nun ist interessant zu sehen, dass sich in »Gedanken über Aufklärung« (geschrieben als die Konversion noch nicht stattgefunden hatte, sich die Ausmaße der Krise jedoch schon anzeigten) der Despotismus und der Aberglaube gegen die Aufklärung stellen und dass diese letzte wie ein Bauwerk erscheint, das geschaffen wurde, um den Menschen vor jenen beiden Bedrohungen 23 – »den schlimmsten Plagen, mit denen die Menschen je heimgesuchet wurden […], den Bruten der Unwissenheit und des Irrtums« (»Gedanken über Aufklärung«, S. 369) 24 zu beschützen. In den Briefen und den anderen Schriften, die in die Epoche der Elementarphilosophie gehören, kommt noch ein weiterer Feind hinzu, den die Aufklärung zu bekämpfen hat: die Ungläubigkeit, mit anderen Worten der Atheismus und sein Kamerad, der Skeptizismus. Wie auch immer das Motiv sei, aus welchem heraus der Wandel von der Religionskritik zur Vereinbarung von Glauben und Wissen erfolgte, bleibt doch festzuhalten, dass man in der in »Gedanken über Aufklärung« dargestellten Auffassung Reinholds von der Aufklärung eine klar aufbereitete, selbst schon vereinigende Rezeption der kritischen Philosophie findet. Dass man zu diesem vereinigenden Charakter seiner Rezeption der kritischen Philosophie nachträglich ein begründendendes Element hinzuzufügen hat, ist etwas, das sich Batscha geht sogar noch weiter und interpretiert diesen Wandel als die Entstehung einer dogmatischen Einstellung: »So bleibt also, um den Katholizismus zu reformieren, nur die Überwindung seines Systems als einzige Möglichkeit, und dadurch ist die Möglichkeit aufklärerischer Religionskritik in Bezug auf den österreichischen Katholizismus beendet und Aufklärung fällt zusammen mit lutherischem Protestantismus. Die emanzipatorische Tendenz von Aufklärung wird so in eine Apologetik und einen neuen Dogmatismus umfunktioniert, ein Vorgang, der dem modernen Leser so fremd nicht erscheint« (Batscha: 1977, S. 72–73). 23 Siehe »Gedanken über Aufklärung«, S. 354. 24 Es gibt keinen Zweifel über den kritischen Ton in Bezug auf die Religion in dem hier von Reinhold verteidigten Begriff der Aufklärung. Hinsichtlich der Epoche, in der die scholastische Logik die Metaphysik bestimmte und die Religion die Moral, sagt er: »In jenen Tagen, da die Moral noch ganz von der Glaubensreligion verschlungen, und die Vernunft von der Schullogik gefesselt war, konnte von Aufklärung gar keine Rede sein« (ebd., S. 355 f.). 22

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nicht rein dogmatisch 25 interpretieren lässt, zumindest nicht, ohne vorher die Tatsache zu berücksichtigen, dass für Reinhold die erschöpfende Erklärung, die Vereinbarung und die Letztbegründung Merkmale sind, die sich unbedingt gegenseitig voraussetzen. Ob diese Voraussetzung nur idiosynkratisch bedingt ist (und/oder in welchem Maße auch immer) oder eigentlich das Ergebnis eines internen konzeptuellen Bedürfnisses (und das zu zeigen ist der letzte Vorsatz der Elementarphilosophie), ist das, worüber es zu entscheiden gilt, wenn man die aufklärende und rationale Reichweite des reinholdschen Systems bewerten will. Und unter einer ähnlichen Bewertung sollte die echte Physiognomie jener besonderen Episode dessen stehen, was man im 20. Jahrhundert die »Dialektik der Aufklärung« 26 nennt. Für den reinholdschen Begriff der Aufklärung sind ganz besonders zwei eng miteinander verbundene Dinge charakteristisch. Das erste ist die Überzeugung, dass die »Ignoranz« die »Quelle des moralischen Übels« sei (»Gedanken über Aufklärung«, S. 358). Über die Grundlage dieser, um es so zu nennen, »platonischen« Überzeugung 27 erhält man die Idee einer weitreichenden und so weit wie Auf ein dogmatisches Element in der Philosophie Reinholds weist nicht nur Batscha (siehe oben Anm. 22.), sondern auch Cassirer hin. Vergleiche Cassirer (1923), S. 53 f. Beim Letzteren ist jedoch schlimmer, dass er sich ausdrücklich auf die Elementarphilosophie bezieht. Siehe auch Kroner (1961), S. 316. Entgegen dieser Auslegung stellt Klemmt die Philosophie Reinholds als »Idealismus des Bewusstseins« dar (s. Klemmt: 1958, S. 45). 26 Ergriffen von der deutschen Katastrophe des 20. Jahrhunderts prägten, wie bekannt ist, Theodor Adorno und Max Horkheimer den Begriff der Dialektik der Aufklärung. Sie versuchten so, den Selbstzerstörungsprozess der Aufklärung als einen dem historischen Prozess nicht fernstehenden zu verstehen, in dem man die Prinzipien formulierte und sich die Institutionen festigten, die die Autonomie und Selbstgenügsamkeit des modernen Menschen genauso wie auch dessen Herrschaft über die Natur ermöglichten. Ich möchte hier auf diesen Terminus weniger in diesem dramatischen Sinne zurückgreifen, sondern mit der Absicht, die Rückkopplung zu betonen, die sich zum Inneren des theoretischen Systems Reinholds zwischen idiosynkratischen (und religiösen) Elementen und philosophischen Elementen konzeptueller Art bestätigen kann. Mir scheint, dass sich der Gebrauch desselben Terminus dadurch rechtfertigt, dass sich in der Annahme jener Rückkopplung implizit schon eine kritische Bewertung des rationalen Optimismus der Aufklärung versteckt: Die idiosynkratischen Elemente, die eine Wechselbeziehung mit philosophischen Elementen eingehen, sind nicht zwangsläufig rationale. Zu diesem Punkt siehe unten, § 3 A; auch Hoyos 2001, III. 27 Das »Platonische« dieser Überzeugung liegt in der auf Sokrates übertragenen Idee, dass »gut handelt, wer das Gute kennt« und andersherum »schlecht handelt, wer das Gute nicht kennt.« Im weiteren Sinn geht es um die Idee, dass die moralische Handlung 25

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nur möglich verbreiteten Aufklärung mit dem Vorsatz, die »wilden Nationen« zu »moralischen Nationen« mittels Vernunftbildung zu konvertieren (»Gedanken über Aufklärung«, S. 374), da eine nicht verbreitete, den Eliten oder Minderheiten vorbehaltene Aufklärung keine Aufklärung im strengen Sinne ist. Die Aufklärung hat deshalb in der Förderung und der Pflege jener Fähigkeiten zu bestehen, die dem Menschen zur Aufgabe von Ignoranz und Unklarheit verhelfen und ihn darauf vorbereiten, mit Hilfe der Erkenntnis zu handeln. Das ist, was in der von Reinhold so genannten Aufklärung im »weitesten Umfang« mit den folgenden Worten formuliert wird: Mich däucht, aufklären heißt überhaupt aus vernunftfähigen vernünftige Menschen machen. Die Zusammenfassung aller Anstalten und Mittel, die zu diesem großen Zwecke führen, giebt dem Worte Aufklärung den weitesten Umfang seiner Bedeutung. (»Gedanken über Aufklärung«, S. 371)

Das zweite Merkmal des reinholdschen Aufklärungsbegriffs steckt in der Bedeutung dieses Wortes als »Erklärung der Begriffe«. Es ist das, was für Reinhold die Aufklärung im »engeren Sinne« darstellt: Aufklärung im engeren Verstande ist […] die Anwendung der Mittel, welche in der Natur liegen, die verworrenen Begriffe in deutliche aufzuhellen. (ebd., S. 372) 28

Dieses zweite Merkmal wirkt letztendlich direkter als das erste in der Art, in welcher man die Elementarphilosophie mit der kritischen Philosophie Kants in Verbindung bringt. Die Annahme, dass jede Diskussion und jeder durch aufrichtigen Vorsatz angeregte philosophische Disput von einem Missverständnis abhinge, stützt sich auf diese

über einer kognitiven Annahme ruht. Für Platon ist nur begreifbar, dass die Tugend lehrbar sei, wenn man von dieser kognitiven Annahme ausgeht. Nur wenn die Tugend ein Wissen ist, kann sie lehrbar sein (vgl. Protagoras, S. 361b). Damit wird von Sokrates und Platon eine zweifelsfrei plausibel »aufgeklärte Interpretation« angeregt. Um so mehr ist verblüffend, dass die von Autoren wie Hamann und Jacobi vertretene deutsche Gegenaufklärung dieser Interpretation ausdrücklich die Figur Sokrates entreißen will. Siehe vor allem Hamann, Sokratische Denkwürdigkeiten in: N II, S. 57–82. Vergleiche Hoyos 2001, III, § 2. 28 »Aufklärung« als Erklärung der Ideen und Begriffe könnte andernfalls auch wie einer der programmatischen Aspekte der Aufklärung betrachtet werden, welcher sich im Anschluss an die cartesianische Forderung »nach klaren und deutlichen Ideen« ergibt. Vergleiche Hinske (1990), S. 413 ff. Bondeli macht ebenfalls auf das cartesianische Ideal der Klarheit im reinholdschen Begründungsprojekt als Explizierung aufmerksam. Siehe Bondeli (1995), S. 53, siehe dazu auch Engfer (1982), S. 28 ff. A

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Auffassung von der Aufklärung. Deshalb sollte das wahre Amt des Philosophen in der Erklärung der Begriffe und in der eindeutigen Formulierung und theoretischen Ableitung begonnen bei den Prinzipien bestehen. Wenn man im kantischen System »die vollendete, völlig befriedigende Theorie des menschlichen Erkenntnisvermögens, die einzig mögliche Quelle allgemein gültiger Grundsätze, und das in der Natur des menschlichen Geistes gegründete System aller Systeme« (Versuch, S. 13) findet, so wie es die Mehrzahl seiner Anhänger glaubt, dann muss dieses System auf eine solche Darstellung zurückgeführt werden können, die weder dem Unverständnis noch dem Widerspruch Raum bietet und die sich als das einzige System der philosophischen Erkenntnis zeigt. Weil er davon überzeugt ist, dass genau so die Situation bezüglich der kantischen Philosophie aussieht, liegt die Aufgabe, die sich Reinhold vorgenommen hat, wesentlich im Ziel der Erklärung oder der Erhellung der Grundvoraussetzungen der Transzendentalphilosophie. So kann man seiner kritischen Beziehung zur kantischen Transzendentalphilosophie hinzufügen, was er selbst schon in seinem aufgeklärten und vereinenden Optimismus in »Gedanken über Aufklärung« hinsichtlich der Vielfalt der vorhandenen Begriffe von Aufklärung und der Notwendigkeit der Erklärung dieser Begriffe gesagt hat: Nicht alle Begriffe, die von einander verschieden sind, widersprechen sich darum einander, und die Natur hat immer für Köpfe gesorgt, welche sie zu vereinigen, und mit ihnen die Schütze der allgemein erkannten Wahrheiten zu bereichern wissen. (ebd., S. 359)

Reinhold glaubt natürlich, dass er wie Kant einer dieser Köpfe sei. Aber das Hauptmerkmal des reinholdschen Aufklärungsbegriffs wirkt ebenfalls im Verständnis der kritischen Philosophie durch die Elementarphilosophie, nur das dies jedes Mal weniger direkt geschieht, wenn er seinen Standpunkt bezüglich der Religionskritik auf einen vereinenden Standpunkt zwischen Vernunft und Glauben verlagert. Schließlich ist die Suche nach einer Brücke zwischen »Spekulation und Aktion« (»Gedanken über Aufklärung«, S. 355) so wie der Vorschlag zu einer rationalen Erziehung mit dem Ziel, das praktische Leben in Einklang mit der Erkenntnis und in offenen Widerspruch zur Ignoranz zu bestimmen, in »Gedanken über Aufklärung« durch das theoretische Motiv zur Religionskritik orientiert. Für Reinhold ist die Aufklärung hinsichtlich der Religionsfrage so sehr in diesem letzten wie in jenem ersten Moment der genuinste 32

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Geist seiner Epoche. 29 Aber anstatt die Frage des Theismus von einem kritischen vernichtenden Geist bestimmt zu sehen, geht Reinhold – die kantische Version dieser Sache zu der seinen machend – von der Existenz eines Interesses aus, welches die Überzeugung von der Existenz Gottes legitimiert und dieses Problem in das von der kritischen Philosophie bereitete Feld zurückbringt, indem er nicht sucht, eine kognitiv gültige Antwort auf das besagte Problem zu geben, sondern es in meta-theoretischen Worten neu formuliert: [I]st eine allgemeine befriedigende Antwort über die Frage vom Dasein Gottes möglich? (Briefe I, S. 83). 30 Die Aufnahme dieses meta-theoretischen Standpunktes zwingt Reinhold, das Problem des Theismus in einen philosophischen Grundrahmen zu setzen, in einen Rahmen von deutlicher Verwurzelung in Kant, also in den der Möglichkeit der Erkenntnis im Allgemeinen und den einer Begrenzung der Reichweite der Vernunft. Bevor man entscheiden kann, ob es möglich ist, eine »wahre Antwort«, eine kognitiv gültige, auf die Frage nach der Existenz Gottes zu geben, hat man zu entscheiden, wie eine solche Antwort möglich ist (Briefe I, S. 83). Und hierauf kann nicht geantwortet werden, ohne dass zuvor über die folgenden Fragen entschieden worden ist: Was ist überhaupt erkennbar? Was ist unter Erkenntnisvermögen zu verstehen? und worin besteht das eigentümliche Geschäft der Vernunft beim Erkennen überhaupt? (ebd., S. 84) […] Was vermag die Vernunft? (ebd., S. 87)

Die Aufnahme des meta-theoretischen Standpunktes bezüglich des Theismus ist der Ursprung einer bedeutenden Modifikation innerhalb der aufgeklärten Orientierung der Philosophie Reinholds. Diese Modifikation wird hauptsächlich in zwei Aspekten sichtbar. Einerseits ist der implizite Optimismus in der Idee, dass der Ursprung des Bösen in der Ignoranz liege. In diesem Sinne garantiert also die ›Erkenntnis‹, die ›Aufklärung‹ das gute Handeln. Dieser Optimismus wird, so denke ich, zu einer eher vorsichtigen Untersuchung der Grenzen und des Charakters der Erkenntnis. Andererseits führt die Aufnahme jenes »neuen« meta-theoretischen Standpunktes zwangsläufig zu einer subjektivistischen Wende, die ausschlaggebend für den von der Elementarphilosophie und in nicht geringem Maße für

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Siehe Briefe I, S. 22. Siehe auch Versuch, S. 141 ff. A

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den von der Philosophie des deutschen Idealismus eingeschlagenen Kurs werden soll. Für Reinhold kann die Philosophie schließlich nur danach streben, ein System des Wissens über die Gründe des Wissens zu sein – welches sich selbst mit dem Beweis ausstattet, den man axiomatisch und fundiert von den Prinzipien auf die abgeleiteten Sätze überträgt –, falls die Philosophie die von der kantischen Philosophie ausgelöste subjektivistische Wende verschärft. Auf diese Weise ist die Philosophie eigentlich eine Deutung, die sich aufgrund der Möglichkeit der Erkenntnis begründet (oder besser auf der der Vorstellbarkeit 31 im Allgemeinen, der ihres Wesens und ihrer Grenzen) und die auf Selbstreflexion des Subjekts der Erkenntnis oder der Vorstellung gestützt ist, worin das erste mit Selbstevidenz ausgestattete Prinzip bestehe. In den Briefen finden wir im Kontext der meta-theoretischen Konfrontation mit der Problematik des Theismus noch einmal eine programmatische Formulierung dieser Wende: Objektiv nenne ich die Gründe, welche man bisher in der Natur der für vorgestellte Objekte gehaltenen Dinge an sich für das Dasein Gottes gefunden zu haben glaubte; subjektiv aber die Gründe, welche die kantische Philosophie in der Form der bloßen (theoretischen und praktischen) Vermögens der reinen Vernunft für diese Grundwahrheit der Religion entdeckt hat; Gründe, die folglich nur durch Zergliederung des Vorstellungsvermögens gefunden werden, und bei denen von aller angeblichen Kenntnis der Dinge an sich, auf welche alle dogmatische Philosophie bisher gebaut hat, abstrahiert wird. (Briefe I, S. 112, Anm.)

Nun folgend möchte ich die subjektivistische Wende im Zusammenhang mit den Ansätzen der Elementarphilosophie analysieren, welche die Bekräftigung der Transzendentalphilosophie in Hinsicht auf die Möglichkeit eines Skeptizismus bezüglich der Erkenntnis und ihrer Begründung zu ihrem Vorsatz haben. Schließlich kann man den Einfluss und den Charakter der skeptischen Rezeption des theoretischen Werks Kants ohne eine ähnliche Untersuchung nur schwer verstehen.

Der Begriff »Vorstellung« ist für Reinhold grundsätzlicher als der von »Erkenntnis«, da der zweite den ersten einschließt, jedoch der erste nicht immer Erkenntnis bedeutet: »Nicht jede Vorstellung ist Erkenntnis, aber jede Erkenntnis ist Vorstellung« (Versuch, S. 189).

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§ 3. Die subjektivistische Wende und die Letztbegründung der Transzendentalphilosophie A.

Evangelium des Herzens und Evangelium der Vernunft

Für Reinhold wird die Versöhnung zwischen »Wissen« und »Glauben« so dringend, da es bei der Lösung des Theismusproblems und der allgemeinen Frage um die essenziellen Prinzipien des Christentums um das Schicksal der Vernunft und das einer aufgeklärten Kultur geht. 32 Das Drängen auf eine Versöhnung zwischen Religion und Moral gründet sich in den Briefen unter anderem auf die Überzeugung, dass die Trennung dieser beiden zum Fanatismus und den Exzessen geführt hatte, durch die das Christentum historisch zu Fall gekommen war. Die protestantische Reform wird von Reinhold wie die Vorbereitung dieser Versöhnung aufgefasst, jedoch nur als eine Vorbereitung, da deren volle Verwirklichung erst mit dem Aufkommen der kritischen Philosophie möglich wurde. 33 Reinholds Nachdruck darauf, Religion und Moral zu vereinbaren, wird im Zusammenhang mit einer Unterordnung der ersten unter die zweite gesetzt, entsprechend der Unterordnung, die sich aus der praktischen kantischen Philosophie ergibt. 34 Das wiederum gibt der besagten Vereinbarung ein rationales Aussehen. Dass die Suche nach Vereinbarung von zwei entgegen gesetzten Polen in einem Streit beinahe eindeutig auf einen rationalen Geist reagiert, bedeutet trotzdem noch nicht, dass das, was von den Polen aus ver32 Vgl. u. a. die Vorworte zu Versuch und Fundament. Auch in den Briefen ist dies ein wiederkehrendes Moment. 33 Vgl. Briefe I, S. 129 ff. 34 Diese Unterordnung ist mit dem Begriff der »Postulate der reinen praktischen Vernunft« verwickelt. Die Unsterblichkeit, die Freiheit (im positiven Sinne aufgefasst als Kausalität eines Wesens, das zu einer intelligiblen Welt gehört) und die Existenz Gottes sind Postulate der Vernunft: Diese Postulate »gehen alle vom Grundsatze der Moralität aus, der kein Postulat, sondern ein Gesetz ist, durch welches Vernunft unmittelbar den Willen bestimmt, welcher Wille eben dadurch, dass er so bestimmt ist, als reiner Wille, diese notwendige Bedingungen der Befolgung seiner Vorschrift fordert. Diese Postulate sind nicht theoretische Dogmata, sondern Voraussetzungen in notwendig praktischer Rücksicht, erweitern also zwar nicht das spekulative Erkenntnis, geben aber den Ideen der spekulativen Vernunft im allgemeinen (vermittelst ihrer Beziehung aufs Praktische) objektive Realität, und berechtigen sie zu Begriffen, deren Möglichkeit auch nur zu behaupten sie sich sonst nicht anmaßen könnte« (Kritik der praktischen Vernunft, im Weiteren: KprV, AA V, S. 132). Siehe auch den Begriff des »rationalen Glaubens« in »Was heißt: sich im Denken orientieren?« (AA VIII, S. 142 ff.).

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teidigt wird, selbst rational sei. So sieht im Prinzip der Fall der Religion aus: Es gibt keine und wird wahrscheinlich auch keine voll rationale Rechtfertigung geben, ihre Bedeutung und die Bedeutung ihrer Motive zu erkennen. Diese Bedeutung scheint eher in dem Bestreben der Vernunft zu bestehen, das Feld dessen zu verlassen, was sie rechtfertigen könnte. Wenn man dieses offensichtlich nicht-rationale Bedürfnis akzeptiert, muss man auch gleichzeitig das Interesse der Vernunft akzeptieren, auf welche Art auch immer, die Probleme zu lösen, denen sie sich zwangsläufig verschrieben sieht, die sie jedoch nicht auf theoretisch-rationale Art, d. h. in der Form einer rationalen Rechtfertigung, scheint lösen zu können. Dies ist bekanntlich eines der Hauptmotive, die als ausschlaggebend für die kantische Kritik an der traditionellen Metaphysik gelten. Reinhold nimmt an, dass die christliche Religion die Vernunft mit Beweggründen ausstattet, die eine wahre Moral ermöglichen und benutzt den zweifellos von Jacobi 35 entliehenen Begriff »Weg des Herzens«, um den nicht-rationalen Weg zu bezeichnen, über den das Christentum die menschliche Handlung – indem sie diese mit moralischer Bedeutung anfüllt – führt. 36 Das Beachtenswerte an der von Kant durchgeführten Erneuerung ist für Reinhold, dass sie den Beweisgrund für die Wahrheiten der Religion aufstellt, indem sie dem »Weg der Vernunft« folgt. Die KrV sei das »Evangelium der Vernunft« (Briefe I, S. 152). Worum es nun geht, ist also, beide Wege miteinander vereinbar zu machen: Die Philosophie ist bisher noch immer Schuldnerin derjenigen Religion geblieben, welche die erhabensten und wichtigsten Resultate der praktischen Vernunft in der wirklichen Welt festsetzte und verbreitete. Der Zeitpunkt, wo sie diesen großen Dienst vergelten kann und muß, ist gegenwärtig angekommen, da die Vernunft so dringend aufgefordert wird, die Grundwahrheiten des Christentums gegen unphilosophische Irrtümer zu sichern, gegen philosophische Zweifel zu rechfertigen, und gegen die in gleichem VerhältVgl.: »Licht ist in meinem Herzen, aber so wie ich es in den Verstand bringen will, erlischt es. Welche von beiden Klarheiten ist die wahre? Die des Verstandes, die zwar feste Gestalten, aber hinter ihnen nur einen bodenlosen Abgrund zeigt? Oder die des Herzens, welche zwar verheißend aufwärts leuchtet, aber bestimmtes Erkennen vemissen läßt? – Kann der menschliche Geist Wahrheit ergreifen, wenn nicht in ihm jene beiden Klarheiten zu Einem Lichte sich vereinigen? Und ist diese Vereinigung anders als durch ein Wunder denkbar?« (Brief von Jacobi an Hamann vom 16. 06. 1783. F. H. Jacobi, Werke I, S. 367). 36 Vgl. Briefe I, S. 131. 35

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nisse zunehmende Schwärmerei und Gleichgültigkeit durchzusetzen. Soll nun die Philosophie nach ihrer Art an dem Christentume tun, was dieses nach der seinigen an der Moral durch den Weg des Herzens führte, so muß sie von der Moral zur Religion durch den Weg der Vernunft zurückführen; das heißt: sie muß den Beweisgrund der verkannten und bezweifelten Religion aus den allgemeinen anerkannten Grundsätzen der Moral herleiten; so wie das Christentum die Beweggründe, womit es die Moral verbreitete und belebt hat, aus der Religion geschöpft hat. (Briefe I, S. 131)

An diesem Punkt fällt ein besonderes Problem unmittelbar ins Gewicht. Wenn die philosophisch-rationale Rechtfertigung von der Religion die »Beweggründe« erhält, die die Moral bestimmen, die rationale Moral jedoch wiederum den »Beweisgrund« aufstellen soll, ohne den es unmöglich scheint, die Prinzipien der Religion zu akzeptieren, dann stellt sich die legitime Frage über das wahre Maß des Einflusses, den die Religion auf die Moral ausübt und umgekehrt. Da sich beide gegenseitig bestimmen und man zwischen ihnen einen Rückkopplungskreis 37 feststellen kann, denke ich nicht, dass es philosophisch möglich ist, den Einfluss der einen über die andere zu messen. Vielmehr schadet die Bestätigung dieser Unmessbarkeit dem ausdrücklichen Vorsatz einer Unterordnung der Religion unter Reinhold spricht von einem »notwendigen Zusammenhang« zwischen diesen beiden (Briefe I, S. 132). Der Konflikt zwischen den »Bedürfnissen des Herzens« und dem »Streben der Vernunft«, um die Ergebnisse konsequenter und einer strengen Ordnung des Räsonements angemessener herauszuziehen, war von Jacobi in Beziehung zu der Lehre Spinozas bis zum Extrem geführt worden: Das System Spinozas kann zwar die Vernunft vollkommen zufrieden stellen, aber das Herz muss gegen dieses System und gegen seine fatalen Konsequenzen rebellieren. Dieser Konflikt ist ausschlaggebend für die deutsche Bewegung der Gegenaufklärung, die in Hamann und Jacobi – wie bereits gesagt – zwei ihrer einflussreichsten Köpfe findet. Für Reinhold als einen engagierten aufgeklärten Denker ist die Vereinbarung zwischen »Glauben« und »Wissen«, zwischen den »Bedürfnissen des Herzens« und den »Untersuchungen der Vernunft« zwingend. Die kantische »rationale Moraltheologie« ist der Schlüssel zu dieser Vereinbarung: Die praktischen rationalen Gesetze »kann man in ihrem Einfluss auf das Herz versinnlichen« (ebd., S. 145). Die besagte Vereinbarung zwischen Glauben und Vernunft strebt danach, sich ansonsten als eine Art Erklärung oder vernünftige Aufklärung der Gesinnung des Glaubens zu präsentieren (vgl. Teichner: 1976, S. 201 ff.). Aber diese Gesinnung ist gegeben, und dieser Fakt als solcher scheint keine rationale Erklärung zu haben. Das ist meines Erachtens der Punkt, an dem Jacobis »Irrationalismus« ernst genommen werden sollte. Die Gegenspannung, der Rückkopplungskreis zwischen dem historisch Gegebenen (den »Wahrheiten« des Christentums) und der systematisch-philosophischen Legitimierung dieses Gegebenen wird im philosophischen System Reinholds immer präsent sein. Diese Gegenspannung ist dem kantischen Begriff der »Postulate der reinen praktischen Vernunft« und dem des »rationalen Glaubens« ebenfalls nicht fremd.

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die Moral und zwar so sehr, dass vielleicht philosophisch nicht zu entscheiden ist, ob und in welchem Maße genau diese Unterordnung erfolgt. Der Grund dafür ist die Tatsache, dass einer der Pole des Kreises, den ich rückkoppelnd nenne, ohne vernünftige Gründe vorausgesetzt wird. Ich denke, dass die historisch-kulturelle Forschung hier unter günstigeren Bedingungen steht als die Philosophie, um den Grad der gegenseitigen Beeinflussung zwischen dem Christentum und dem, was Reinhold die »reine Religion der Vernunft« nennt, mit Blick auf die praktische Berufung der kantischen Philosophie angemessen einzuschätzen. Auf diese Idee kann mit der reinholdschen Auffassung geantwortet werden, nach der die kritische Philosophie nicht auf irrationale Weise die Grundwahrheiten der christlichen Religion akzeptiert, sondern dass sie im Gegenteil dazu den Schlüssel bietet, um den Grund für den Glauben an Gott nachzuvollziehen, indem sie zeigt, dass dieser Grund gerade in der Moral steckt, d. h. indem sie zeigt, dass es sich entweder um einen praktischen Glauben der Vernunft oder um einen »moralischen« handelt. 38 Auf diese Weise »[leitet] die Kantische Antwort (auf die Frage nach Gott – LEH) die Überzeugung vom Dasein Gottes aus der Vernunft her, und zum Glauben hin« (Briefe I, S. 117), sobald der Glaube an Gott als der Glaube an ein höheres Wesen verstanden wird, was bedeutet, »als ein Prinzip der ethischen und physischen Gesetze« und der deshalb das Glück der vernünftigen Wesen gewährt (den Glauben an ein Leben nach dem Tod). Wenn der Glaube an jenes Wesen den Glauben an eine spätere Belohnung oder Bestrafung mit sich bringt, dann ist er unerlässlich für die Moral. Und ein solcher Glaube wird für Reinhold von einer rationalen Stütze getragen. In der Kantischen Antwort ist es also ein und eben derselbe Grund der moralischen Vernunft, welcher dem aufgeklärtesten sowohl als dem gemeinsten Verstande Glauben notwendig macht; und zwar einen Glauben, der die strengste Prüfung des einen aushält, und den gewöhnlichsten Fähigkeiten des andern einleuchtet. (ebd., S. 120)

Zu behaupten, dass der Glaube an ein Leben nach dem Tod vernünftiger sei als der Glaube, nach dem das Leben mit dem Tod endgültig ein Ende findet, oder dass dieser Glaube unsere Handlungen mit einem größeren moralischen Gehalt ausstatten würde als dies der 38

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letztere tut, ist etwas, das auf rationale Weise nicht verteidigt werden kann, höchstens auf idiosynkratische. Das ist der Grund dafür, weshalb das so eben umrissene Argument, mit dessen Hilfe das Problem der Nicht-Messbarkeit des Einflusses der kulturellen Religion über die rationale Moral gelöst werden soll, nicht akzeptiert werden kann. B.

Versöhnung, meta-theoretischer Standpunkt und Philosophie als strenge Wissenschaft

Die Tatsache, dass das vorher angesprochene Problem keine philosophische Lösung zu haben scheint, hindert uns natürlich nicht daran, die Notwendigkeit zu erkennen, sich den streng philosophischen und konzeptuellen Fragen zu stellen, die vom zusammenführenden und begründenden Geiste Reinholds ausgehen. In diesem Zusammenhang ist es angebracht, nicht zu diskutieren, sondern prinzipiell als unumstrittene Tatsache von Grund auf anzunehmen, dass es einige Gegenstände des Glaubens gibt, für die sich auch die Vernunft interessiert und erst dann die Aufmerksamkeit auf die philosophischen und konzeptuellen Elemente zu richten, die im vereinenden und begründenden Vorschlag Reinholds liegen. Bevor er seine überzeugte Zustimmung zum moralischen und rationalen kantischen Glauben erklärte, stellte Reinhold den Charakter der metaphysischen Theismusdebatte vor, die ohne vorherige kritische Untersuchung der Beschaffenheit und der Grenzen der Erkennbarkeit stattfindet und die ihre Existenz gerade dem Fehlen dieser Untersuchung verschuldet. Das Ergebnis jener Darstellung ist das Folgende: Über das Problem der Existenz Gottes ist in der Philosophie ein Streit entstanden, der aus der Überzeugung entspringt, diesem Problem eine objektiv akzeptable Lösung geben zu können, d. h. eine auf irgendeine Weise kognitiv gültige. Diese Annahme ist allen in jenem Streit verwickelten Parteien gemeinsam. So glaubt der dogmatische Theist, auf die Frage nach der Existenz Gottes bejahend mittels »objektiver rationaler Gründe« antworten zu können; während der Atheist glaubt, zu demselben Problem, gestützt auf Gründe dergleichen Art eine negative Antwort bieten zu können. 39 Neben diesen beiden Parteien treten zwei weitere auf, welche argwöhnisch auf die 39

Siehe Briefe I, S. 114. A

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wahrhaftige Kraft der besagten objektiven rationalen Gründe schauen, welche eine sichere und befriedigende Zustimmung zu den Fragen, die die Metaphysik angehen, herbei führen sollen. Die erste dieser anderen Parteien verneint kategorisch, dass man die bejahende Antwort auf die Frage nach der Existenz Gottes vernünftig bestätigen könnte und geht davon aus, dass die Existenz des höchsten Wesens nur durch Offenbarung erkannt werden kann. Das wäre die supernaturalistische Auffassung. Die zweite der Parteien, die ebenfalls mit Argwohn und verneinend auf die Wahrscheinlichkeit schaut, dass die vernünftigen Gründe Zustimmung erhalten werden, ist die, die sich hinter dem Namen des dogmatischen Skeptizismus verbirgt, welcher glaubt, dass selbst die Offenbarung als kein objektiv für wahr zu haltendes Prinzip vertretbar wäre. Diese Partei stellt das Vermögen der Vernunft, Zustimmung zu bringen genauso in Frage wie die Möglichkeit, für wahr gehalten zu werden, was in größerem oder kleinerem Maße nicht rein subjektiv wäre. Ihr Schlussurteil bezüglich des Theismusproblems ist, »dass die Frage vom Dasein Gottes schlechterdings nicht beantwortet werden kann« (Briefe I, S. 114). 40 Als Reinhold dem »Skeptizismus« die Bezeichnung des »Dogmatischen« zuschrieb, schien ihm die Tatsache, dass er damit auf gewisse Art eine contradictio in adjecto ausdrückte, nicht gestört zu haben. Der Grund für ein solches Verhalten liegt auf jeden Fall in dem, was er als die dogmatischen Voraussetzungen der skeptischen Einstellung betrachtet. Die Hauptvoraussetzung ist die, die die Frage des Dinges an sich betrifft: Der Skeptiker ist dogmatisch, solange er die Möglichkeit der Erkenntnis im Allgemeinen von der Möglichkeit der Erkenntnis der Dinge an sich abhängig macht. Wenn man also diese letzte Erkenntnis nicht bestätigen kann, dann ist Erkenntnis nicht möglich (s. auch unten § 9). Zu den vier Parteien und ihrem endlosen Streit siehe Versuch, S. 42 ff. Andererseits ist interessant zu sehen, dass der Supernaturalist und der Skeptiker gemeinsam haben, dass sie beide nicht an eine rationale Lösung des metaphysischen Konflikts glauben. Dies kann teilweise erklären, dass sich Jacobi und Hamann von Hume so angezogen fühlten und ihm eine so besondere, so »irrationale« Interpretation gaben. Der »Irrationalismus« in der Hume-Interpretation von Hamann und Jacobi besteht grundsätzlich darin, dass für diese beiden Hume derjenige Philosoph war, der am besten plausibel machen konnte, dass ganz elementare Überzeugungen (wie die der Existenz einer Außenwelt) ohne rationalen Beweis für wahr gehalten werden können und müssen. Sowohl Hamann als auch Jacobi instrumentalisieren den Humeschen epistemologischen Begriff von Glauben (belief) und beziehen ihn auch auf den religiösen Glauben. Bei Hamann kann man lesen: »Unser eigen Dasein und die Existenz aller Dinge außer uns muss geglaubt und kann auf keine andere Art ausgemacht werden. Was ist gewisser als des Menschen Ende, und von welcher Wahrheit gibt es eine allgemeinere und bewährtere Erkenntnis? Niemand ist gleichwohl so klug solche zu glauben, als der, wie Moses zu verstehen gibt, von Gott selbst gelehrt wird zu bedenken, dass er sterben müsse. Was man glaubt, hat daher nicht nötig bewiesen zu werden, und ein Satz kann noch so

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Für Reinhold sind diese die vier Parteien, die in der Theismusdebatte gegeneinander diskutieren, und dieser Streit bildet seinerseits vielleicht eine der bedeutendsten Fronten, die den endlosen Krieg der Metaphysik gestalten. Der Zustand von Zerstreuung und permanentem Streit wäre für sich allein nicht besonders bedenklich, wenn man nicht in ihm – wie bereits gesagt – um das Schicksal der Vernunft und der Güter der aufgeklärten Kultur spielen würde. Aufgrund des Unvermögens der Teilnehmer, das Theismusproblem mit Hilfe objektiver rationaler Gründe zu lösen, d. h. aufgrund des Unvermögens von Theismus und Atheismus, das Problem endgültig zu beheben, hat sich die Tür für die Willkür und die Schwärmerei geöffnet, ungeachtet ob sich diese in einer Form von abergläubischem Supernaturalismus zeigen oder als bösartiges Misstrauen zum Vorschein kommen. Reinhold hält fest, dass dieser Streit unmöglich Ruhe fände, wenn man für eine der oben vorgestellten Positionen Partei ergreifen würde, so sehr man auch deren argumentative oder deren anschauliunumstößlich bewiesen sein, ohne deswegen geglaubt zu werden … Es gibt Beweise von Wahrheiten, die so wenig taugen als die Anwendung, die man von den Wahrheiten selbst machen kann; ja man kann den Beweis eines Satzes glauben ohne dem Satz selbst Beifall zu geben. Die Gründe eines Hume mögen noch so triftig sein, und ihre Widerlegungen immerhin lauter Lehnsätze und Zweifel: so gewinnt und verliert der Glaube gleich viel bei dem geschicktesten Rabulisten und ehrlichsten Sachwalter. Der Glaube ist kein Werk der Vernunft und kann daher auch keinem Angriff derselben unterliegen; weil Glauben so wenig durch Gründe geschieht als Schmecken und Gehen« (Hamann, »Sokratische Denkwürdigkeiten«, S. 73 f.). Vgl. auch den Brief von Hamann an Kant 27. 07. 1759: »Der attische Philosoph, Hume, hat den Glauben nötig, wenn er ein Ei essen und ein Glas Wasser trinken soll. Er sagt: Moses, das Gesetz der Vernunft, auf das sich der Philosoph beruft, verdammt ihn. Die Vernunft ist euch nicht dazu gegeben, dadurch weise zu werden, sondern eure Torheit und Unwissenheit zu erkennen; wie das Mosaische Gesetz der Juden nicht sie gerecht zu machen, sondern ihnen ihre Sünden sündlicher. Wenn er den Glauben zum Essen und trinken nötig hat: wozu verleugnet es sein eigen Principium, wenn er über höhere Dinge, als das sinnliche Essen und trinken urteilt« (AA X, S. 15). Siehe dazu Hoyos 2001, III, bes. §§ 2 u. 3. Zur »irrationalen Rezeption« Humes in Deutschland siehe Berlin (1981), S. 162–187; Berlin (1993). Eine andere merkwürdige Tatsache ist die, dass zwei so verschiedene Persönlichkeiten wie Reinhold und Jacobi (der eine verkörpert einen äußerst engagierten aufgeklärten Pathos, der andere dagegen einen stark gegenaufklärerischen) auf die gleiche Weise, nämlich mit dem Herzen und nicht eigens mit der Vernunft die philosophischen Ideen ablehnen, die – jede auf ihre Art – aus dem aufgeklärten europäischen Geist entspringen. Jacobi tut das mit Spinoza, den er auf rationalem Weg nicht zu widerlegen sieht, gegen den er sich jedoch auf emotionale Weise auflehnt. Reinhold tut dies mit Hume, gegen den sich, so er, der aufgeklärte gesunde Menschenverstand empören sollte (vgl. Fundament, S. 51 ff.). A

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che Kraft bemühte (oder welche auch immer), mit dem Ziel, Zustimmung hervorzurufen. Für eine dieser Positionen Partei zu ergreifen, wird immer bedeuten, sich die anderen drei zwangsläufig zum Gegner zu machen, die einem immer etwas gemäß ihren eigenen Überzeugungen vorzuwerfen haben werden. So wird z. B. der Atheist dem Anhänger des rationalen Theismus vorwerfen, das Problem nicht mittels der Vernunft zu lösen zu suchen, sondern dass er glaubte, die rationale Lösung sei zustimmend und nicht negativ; der Supernaturalist wird ihm nicht die Tatsache vorwerfen, dass er zu einer bejahenden Antwort gekommen sei, sondern dass er glaubt, diese könnte von der Vernunft gegeben sein, und der Skeptiker wird dem Theisten wiederum immer vorwerfen, dass er überhaupt glaubt, man könnte dem zur Frage stehenden Problem eine befriedigende Lösung geben. Der Grund für diese chaotische Situation liegt in der Tatsache, dass keine Lösung bezüglich des Theismusproblems als kognitiv gültig betrachtet werden kann. Dieses Problem rührt eindeutig aus dem kantischen Kritizismus her. Man kann davon ausgehen, dass dieses Urteil als solches dem skeptisch dogmatischen sehr ähnlich ist. Reinhold würde sicher seine eigene Position wie die kantische kritische Position als kritisch skeptisch bezeichnen. 41 Was der kritische Skeptizismus auf keinen Fall mit dem so genannten dogmatischen Skeptizismus gemein haben kann, ist der Verzicht auf die Verteidigung des Grundes, der, wenn auch subjektiv, so doch nicht willkürlich, sondern rational Grund für den Glauben an ein höheres Wesen sei. Wenn man also die philosophische Schwierigkeit berücksichtigt, die sich ergibt, sobald man den Einfluss der Religion einer Kultur angemessen einzuschätzen versucht, die in Bezug auf den besagten rationalen (religiösen) Glauben mehr oder weniger idiosynkratisch, mehr oder weniger subjektiv und willkürlich ist, wird man bestätigen, dass Vgl. Versuch, S. 130; 140. Salomon Maimon, einer der wichtigsten zeitgenössischen Kritiker Reinholds, würde dagegen auf die Bezeichnung »kritisch-dogmatisch« für die Philosophie Reinholds beharren. Der skeptische Flügel der kritischen Philosophie würde seiner Meinung nach von ihm selbst verteidigt werden (vgl. Maimon, Gesammelte Werke IV, im Weiteren: GW IV, S. 213–217 Anm.). Wenn man die Einschätzung Maimons von einem pyrrhonischen Standpunkt aus versteht, muss man ihm Recht geben, da die philosophische Begründung über Prinzipien die bevorzugte Zielscheibe des pyrrhonischen Skeptizismus ist, wie man in Untersuchung II zum Skeptizismus von Schulze sehen wird. § 6 der III. Untersuchung dieses Buches ist der Analyse des »kritischen Skeptizismus« Maimons gewidmet.

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jene Differenz zwischen kritischem und dogmatischem Skeptizismus prima facie nicht mehr ist als eine Differenz der Wörter. Auf jeden Fall führt die kritische Orientierung Reinholds hier zu einem Standpunkt, dessen philosophisch konzeptuelle Plausibilität das ist, was in dieser Abhandlung zum Schwerpunkt gemacht werden soll. Dabei geht es um die meta-theoretische (bzw. die transzendentale) Analyse, die in eine Grundtheorie der Erkenntnis mündet. Ausgegangen davon, dass keine der in den metaphysischen Disput um den Theismus verwickelten Parteien kognitiv bestätigt worden sei, verfolgt man nicht einfach eine negative Einstellung gegenüber den kognitiven Möglichkeiten der Vernunft allgemein, sondern vielmehr eine Neuformulierung der Aufgabe der Philosophie. Die Philosophie darf keine theoretische Disziplin sein, die sich mit der Erkenntnis von diesem oder jenem Objekt beschäftigt, sondern sie soll eine analytische Theorie des Charakters und der Grenzen der Erkennbarkeit im Allgemeinen sein, das bedeutet, eine Theorie der zweiten Ordnung oder, wie man heute zu sagen pflegt, eine Metatheorie. Die Analyse der Beschaffenheit und der Grenzen der Erkennbarkeit dessen, was für wahr oder kognitiv gültig bzw. nicht gültig gehalten werden kann, wird von Reinhold als die »Analyse des Erkenntnisvermögens« (Versuch, S. 45 ff.) verstanden. Nur weil Kant die Neuformulierung der Aufgabe der Philosophie vorgeschlagen hat, kann man seine Lösung für das Problem um den Theismus und die Metaphysik im Allgemeinen als die definitive betrachten. 42 So erlaubt diese Neuformulierung der Aufgabe der Philosophie zu zeigen, dass der »Überzeugungsgrund« für die Existenz Gottes auf einem einzigen und mit jeder der Parteien im Streit exakt übereinstimmenden Prinzip beruht: in dem »praktischen rationalen Interesse« oder im »moralisch vernünftigen Glauben«. Der Anspruch Reinholds besteht dann darin zu zeigen, dass der Verzicht auf eine äußerliche oder kognitiv gültige Suche zum Theismusproblem, d. h. dass die Aufnahme eines reflexiven Unternehmens, das auf die Überzeugung gegründet ist, dass der Grund für den Glauben an Gott ein innerer, also subjektiv ist, genau das ist, was den Schlüssel zur Auflösung der metaphysischen Diskussion um den Theismus durch eine Vereinbarung der Parteien im Disput bietet. Die Art und Weise, in der diese Vereinbarung stattfinden soll, ist 42

Siehe Briefe I, S. 115. A

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anscheinend sehr einfach, denn in dem besagten Streit gibt es – formal gesehen – vier Möglichkeiten: (1) Nur eine einzige der Parteien hat gegenüber den anderen Recht, (2) mehrere der Parteien haben gegenüber den anderen Recht, (3) keine der vier Parteien hat Recht und (4) alle Parteien haben Recht. Reinhold versucht zu zeigen, dass die in (1) beschriebene Situation diejenige ist, welche dem Zustand der metaphysischen Diskussion vor dem Erscheinen der KrV entspricht. Man muss jedoch dabei die erschwerende Bedingung beachten, dass es sich um eine Situation handelt, in der jede der Parteien gerade davon überzeugt ist, die einzige zu sein, die Recht hätte, ohne wiederum in der Lage zu sein, die anderen überzeugen zu können. Diese Situation führte zur Verewigung des Konfliktes in der Philosophie und wegen ihr ist die vernünftige Vereinbarung nicht erfolgt, was deutlich gegen die Bestimmung der Vernunft verstößt. Wenn von jeder Partei Wahrheit, aber nur eine Seite derselben, gesehen wird; so zeigt sich diese Seite nur, in wie ferne sie mit einer gegenüberstehenden im Gegensatz, aber nicht wie sie mit derselben zugleich vereinbar, so gar nothwendig verknüpft ist. So lange nun jede Partei die ihr in die Augen fallende Seite für volle Wahrheit ankündigt, muß sie von der ihr Gegenüberstehenden, die eine entgegengesetzte volle Wahrheit im Augen hat, gerade zu widerlegt werden. (Versuch, S. 43 f.)

Ein anderer Punkt fällt in der in (2) dargestellten Situation auf, in der die Koalition mehrerer Parteien gegen die anderen nur deshalb stattfinden kann, weil bloß Teilaspekte im Streit geteilt werden. Die vorherrschende Situation ist tatsächlich die in (1) beschriebene: Jede Partei verteidigt ihr Bruchteil an Wahrheit, so als wäre es die ganze Wahrheit, und das führt dazu, dass der Angriff auf die anderen überwiegt anstelle des Bedürfnisses nach Zusammenschluss. Von hier gelangt man unweigerlich zu (3). Keine Partei hat mit Sicherheit Recht, aber von einem gewissen Standpunkt aus gesehen und unter Berücksichtigung eines bestimmten Aspektes. Dieser Aspekt ist nämlich der des Bestrebens danach, die Behauptungen, die verteidigt werden, kognitiv (äußerlich) gültig zu machen. Sobald die Parteien versuchen, den Disput durch kognitive Gültigkeit zu lösen, hat keine von ihnen Recht. Sobald jede Partei ihre Wahrheit wie die einzige verteidigt und den anderen widerspricht oder diese widerlegt, lässt sie den Grund sehen, »warum keine von allen übrigen verdrängt werden« (ebd., S. 44). Auf diese Art unterstützen sich die Parteien gegenseitig aber sie behindern sich auch. 44

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Womöglich gründet sich all dies jedoch auf ein Missverständnis und jede einzelne der Parteien sollte besser eine reflexive, innere Suche nach den Gründen ihres Für-wahr-haltens aufnehmen. Mit diesem reflexiven Vorschlag bietet sich eine neue Perspektive oder ein neuer Standpunkt, der zu beweisen erlaubt, wie – die Dinge von dort aus betrachtet – alle Parteien Recht haben. Das ist die in (4) angezeigte Situation: Sollten sie (die Parteien – LEH) nicht bisher durch irgend ein gemeinschaftliches Missverständnis gehindert worden sein, auf den gemeinschaftlichen Gesichtspunkte zusammenzutreffen, aus welchem sich alle besondern und einseitigen vereinigen ließen? Wie? wenn es dem Verfasser der Kritik der reinen Vernunft aufbehalten wäre, dieses Missverständnis zu entdecken, und so viel dieses durch die Kräfte eines einzelnen Menschen möglich war, hinwegzuräumen? (Versuch, S. 44)

Reinhold denkt, dass jede philosophische Diskussion mehr oder weniger folgende Struktur hat: Sie gründet sich auf ein Missverständnis, das man nicht aufklären kann, solange man nicht die objektive Ebene der Diskussion verlässt, welche durch den Anspruch ausgelöst wird, die einzige Wahrheit entsprechend der vollen Erkenntnis des Streitobjektes zu besitzen, und solange man nicht beginnt, die subjektiven Bedingungen zu analysieren, die die Gegner dazu gebracht haben, gerade diese oder jene Behauptung für wahr zu halten. Die wichtigste Diskussion der modernen Philosophie, der Disput zwischen Rationalismus und Empirismus, die Quelle, aus der die zuvor erwähnten Parteien aufkeimen, besitzt genau jenen Charakter. Dieser Disput erreichte seinen stärksten Ausdruck in der Konfrontation von Leibniz mit Locke um die Gründe der Erkenntnis. Reinhold zeigt, dass sich die eine wie die andere Position auf einer objektiven Ebene bewegt bei der Erklärung der Art, wie die Erkenntnis erfolgt, sobald sie entweder die »Realität« der »angeborenen übersinnlichen Wahrheiten« (ebd., S. 46) (Leibniz) oder die Existenz der »außer unserem Gemüt befindlichen Gegenstände« (ebd., S. 45) (Locke) »als unstreitige Objekte des Erkennens« (ebd.) voraussetzen. Die Aufnahme dieses objektiven Standpunktes zur Erklärung des Charakters und der Grenzen der Erkenntnis macht die philosophische Konfrontation unvermeidbar und zugleich die Lösung des Konfliktes durch eine begründete und auf Prinzipien gestützte Vereinbarung unmöglich. Das ist der Grund, weshalb – so Reinhold – weder Leibniz noch

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Locke eine Erste Philosophie oder Elementarphilosophie aufstellen konnten. 43 Der neue vereinende Vorschlag lautet dementsprechend: Anstatt also die Natur und den Umfang des Erkenntnisvermögens durch erkannte Objekte zu bestimmen, mußte er (gemeint ist, jeder Versuch, die Natur und die Grenzen der Erkennbarkeit neu zu bestimmen – LEH) vielmehr die Erkennbarkeit der Gegenstände selbst aus dem bloßen Erkenntnisvermögen zu bestimmen suchen. (Versuch, S. 46)

Dieser Vorschlag steht, wie ich bereits gesagt habe, mit der Aufnahme des meta-theoretischen und analytischen Standpunktes in Zusammenhang, der für die Transzendentalphilosophie charakteristisch ist. Genauso sollte man das reinholdsche System verstehen: als im Prinzip auf dem meta-theoretischen Geist basierend, der programmatisch mit dem berühmten Satz Kants ausgedrückt wird: »Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, insofern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt« (KrV, S. B 25). Also setzt ein meta-theoretischer Standpunkt selbst diese Theorie der ersten Ordnung voraus, über die er reflektiert, genauso wie ein analytischer Standpunkt das voraussetzt, was er der Analyse unterzieht oder jenes, das zergliedert werden soll. Genau an diesem Punkt trennt sich Reinhold von Kant. Besser gesagt, indem Reinhold den Zusammenhang zwischen dem analytischen und dem reflexiven Charakter der Transzendentalphilosophie und deren Voraussetzungen übernimmt, strebt er danach, der kantischen Philosophie zu einem Umschwung zu verhelfen, indem er in seinem analytischen Eifer begehrt, diese letzte mit Beweiskraft auszustatten, woran es ihr aufgrund der weder dargelegten noch bewiesenen Aufnahme ihrer Voraussetzungen fehlt. 44 Dabei handelt es sich genau um den Vgl. Fundament, S. 133 ff. »Es fehlt der Logik, der Metaphysik, der Moral, dem Naturrechte, der natürlichen Theologie, selbst der Kritik der reinen Vernunft und allen empirisch philosophischen Wissenschaften, inwieferne sie reine Philosophie voraussetzen, an feststehenden, anerkannten, allgemeingeltenden Fundamenten, und muss und wird ihnen solange daran fehlen, als es an einer Elementarphilosophie, d. h. an einer Wissenschaft der gemeinschaftlichen Prinzipien aller besondern philosophischen Wissenschaften fehlt, an einer Wissenschaft, in welcher dasjenige, was die übrigen bei ihrer Grundlegung voraussetzen, durchgängig bestimmt aufgestellt wird, und die eben darum vor allen anderen selbst ein feststehendes, anerkanntes, allgemeingeltendes Fundament haben muss. Die Entdeckung und Anerkennung dieses Fundamentes mag über kurz oder lang vor sich 43 44

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Zusammenhang zwischen Analyse und Voraussetzung, der Zusammenhang, der sich nicht aus einer unerträglichen inneren Spannung befreien lässt, der der Ursprung der gewichtigsten Probleme des reinholdschen Projekts der Letztbegründung und der Erweiterung der Beweiskraft der Transzendentalphilosophie gegenüber dem philosophischen Skeptizismus ist. Die Analyse oder Zergliederung der Elemente, die die Erkenntnis bilden, ist für Reinhold der Schlüssel zur Verstehbarkeit in der Philosophie. Diese Verstehbarkeit erfolgt in der Form der Vereinbarung der Positionen (auf meta-theoretischer Ebene), die sich im Konflikt um die Lösung des Problems der Erkennbarkeit befinden. Das geschieht in Anwendung von Theorien der ersten Ordnung oder solcher Theorien, die, während sie sich auf objektiver Ebene bewegen, eines der zentralen Dinge voraussetzen, welche die Erkenntnistheorie zu beweisen hat, nämlich: Was ist ein Gegenstand der Erkenntnis; oder mit anderen Worten, was kann man im Allgemeinen als erkennbar betrachten? Wenn also die Erkenntnistheorie (im Allgemeinen) jegliche Möglichkeit zu Missverständnis in der Philosophie zunichte machen soll und dadurch das Ideal von Verständnis erreicht, dann muss sie auf Voraussetzungen verzichten. Das heißt, sie soll eine Theorie sein, die ihre Beweiskraft nicht durch den wahrscheinlich offensichtlichen Charakter des Faktums erhält, das sie schlicht analysiert, indem sie sich darauf beschränkt, nur die Bedingungen der Möglichkeit desjenigen, was somit als wahrhaftig oder »allgemein gültig« gilt (die Erkenntnisse a priori), darzustellen. Sondern sie soll in der Lage sein, Gewissheit allein durch sich selbst zu verleihen. Sie soll nämlich in Form und Inhalt den Charakter einer demonstrativen und absolut sicheren Theorie annehmen. Das bedeutet, sie selbst soll Wissenschaft sein oder wie Reinhold sagt: »eine strenge Wissenschaft« (Beyträge I, S. 341 ff.). Die Philosophie soll eine synthetische und progressive Disziplin sein, die auf ein selbstbeweisendes Prinzip gegründet ist, so dass sie weder abgeleitet sein soll noch sein kann. Dieses Prinzip soll seine Gewissheit auf die abgeleiteten Sätze durch Beweis übertragen. Nur so kann man das Projekt Reinholds von einer eindeutigen und zugleich bestätigten Transzendentalphilosophie als vollständig verwirklicht ansehen.

gehen, so ist sie die Revolution im eigentlichen Verstande des Worts; …« (Fundament, S. XIII/IX). A

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Wie allseits bekannt ist, sagt Kant in Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik (im Weiteren Prolegomena), dass er sich in der KrV der Frage nach der Möglichkeit der synthetischen Urteile a priori auf synthetische Art stellt, wogegen in Prolegomena das methodische Vorgehen zur Lösung dieser Frage (und der der Möglichkeit der Metaphysik) analytisch ist. Man bezeichnet die synthetische Methode auch als progressiv. Dabei sind zwei Eigenschaften charakteristisch: Die erste ist, dass sie vom Grunde aus zum Begründeten geht und die zweite, dass sie sich weder auf »irgendein Faktum« stützt, noch »nichts als gegeben zum Grunde legt außer der Vernunft selbst«, sondern dass sie »die Erkenntniss aus ihren ursprünglichen Keimen zu entwickeln sucht« (AA IV, S. 274 ff.). Dieses Letzte kann sich im Sinn davon verstehen, dass die Transzendentalphilosophie in Übereinstimmung mit der synthetischen Methode nichts voraussetzt, sondern dass sie versucht, die Möglichkeit der Erkenntnisse a priori (und der synthetischen Urteile a priori) anhand von Prinzipien zu beweisen. Die analytische Methode ist im Gegenteil dazu regressiv. Nach dieser geht man »von dem, was gesucht wird, als ob es gegeben sei,« aus (das heißt, die synthetischen Urteile a priori) und steigt zu den Bedingungen auf, »unter denen es allein möglich [sei]« (ebd., S. 276, Anm.). 45 Die analytische bzw. regressive Methode bringt das Problem mit sich, dass sie nicht besonders stark zu sein scheint, wenn es darum geht zu beweisen, was vorausgesetzt wird. Deshalb liefert sich diese Vorgehensweise dem Vorwurf der Zirkularität aus. 46 In der heutigen analytischen Diskussion über das transzendentale Argumentationsmodell hat man auf die Notwendigkeit gedrungen, dass dieses synthetisch-progressiv sein sollte, wenn es den »transzendentalen Anspruch« aufrecht erhalten will, eine »Widerlegung des Skeptizismus« In seinen Logikvorlesungen (Logik-Jäsche) bietet Kant die folgende Definition für beide Vorgehensweisen an: »Die analytische Methode ist der synthetischen entgegengesetzt. Jene fängt von dem Bedingten und Begründeten an und geht zu den Prinzipien fort (a principiatis ad principia), diese hingegen geht von den Prinzipien zu den Folgen oder vom Einfachen zum Zusammengesetzten. Die erstere könnte man auch die regressive, so wie die letztere die progressive nennen. Anm.: Die analytische Methode heißt auch sonst die Methode des Erfindens. – Für den Zweck der Popularität ist die analytische, für den Zweck der wissenschaftlichen und systematischen Bearbeitung der Erkenntnisse aber ist die synthetische Methode angemessener« (§ 117). 46 Zu dieser »Schwäche« der analytischen Methode siehe M. Baum (1979), S. 6 ff. Über das Problem der analytischen Methode bei Reinhold hat auch M. Baum (2004) vor kurzem ausführlich berichtet. 45

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zu sein (Aschenberg: 1982, S. 261). Sobald sich die analytisch-regressive Methode auf die Realität des Faktums beruft, aus dem sie die notwendigen Bedingungen der Möglichkeit beweist, würde sie einem »riesigen petitio principii« (ebd.) verfallen. Wenn auch zu diesem Punkt relative Einstimmigkeit herrscht, so konnte man sich doch nicht darüber einigen, ob die von Kant in der KrV (in der Theorie der objektiven Erfahrung) angewandte Methode regressiv oder progressiv ist, obwohl Kant ausdrücklich sagt, dass es sich um das Letztere handelt. 47 Da die kantische Theorie als philosophische Letztbegründung ohne Voraussetzungen der Erfahrung einen mangelhaften Charakter hat, müsste man sich fragen, ob in dieser Diskussion von Kant und von seiner Art zu philosophieren nicht mehr gefordert wird, als er geben kann oder zumindest mehr, als er – als kritischer Philosoph – geben zu können glaubt. Hier sollte man zuerst die Aufmerksamkeit darauf richten, dass sich Reinhold der erwähnten Schwäche der analytischen regressiven Methode bewusst ist und dass er sie als Merkmal der kritischen Philosophie betrachtet und nicht nur als Merkmal ihrer Darstellung in Prolegomena – wozu nicht nur die Tatsache beiträgt, dass Kant in der Ausgabe B der KrV (hauptsächlich in der Einleitung und in der »transzendentalen Erörterung« der Begriffe von Raum und Zeit) Argumente aufgreift, die bereits in Prolegomena vorgestellt worden sind. 48 So erscheint das reinholdsche philosophische Projekt als strenge Wissenschaft oder als eine von einem Prinzip abgeleitete Philosophie, das heißt eine Philosophie ohne Voraussetzungen prima facie wie ein absolut bewiesenes und perfekt abgeleitetes, synthetisches progressives System. Das bringt eine Verwandlung des meta-theoretischen Standpunktes in ein (philosophisches) System der ersten Ordnung mit sich. Trotzdem erlaubt die Wechselbeziehung zwischen der Darstellung der Elementarphilosophie und den Materialien der kritischen Philosophie (die Reinhold als algemeingültig akzeptiert) nicht, die erste als nach einer

K. Ameriks (1978) hat festgehalten, dass das Argument der transzendentalen Deduktion eine regressive Struktur hat. Genauso könnte die von Strawson (1966) gelieferte Interpretation der transzendentalen Ästhetik (und der Rolle der Geometrie in der kantischen Argumentation) in diesem Sinne rekonstruiert werden, falls die so genannte »metaphysische Erörterung« (im Fall des Raumes) in irgendeiner Abhängigkeitsbeziehung mit der so genannten »transzendentalen Erörterung« stünde. 48 Zu diesem Thema siehe auch Engfer (1982), S. 46 ff. 47

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synthetischen Methode ausgerichtet frei von den Schwächen der analytischen Methode zu sehen. Zu diesem Punkt werde ich weiter vorn zurückkehren. 49

Vgl. unten § 8. In Teil II dieser Abhandlung (§ 4 B) mache ich auf die Verbindung aufmerksam, die zwischen der Kritik Schulzes mit dem transzendentalen Argumentationsmodell und der Notwendigkeit für ihn, dass sich die analytische und die synthetische Methode im Projekt einer fundamentalen Epistemologie ergänzen, besteht. M. Frank (1997, S. 428–456) schrieb über die skeptische Stimmung um den reinholdschen und fichteschen Fundamentalismus in der frühen Romantik, eine Stimmung, die den kritischen Betrachtungen zur synthetischen Methode sehr nahe steht. P. Franks (1999) hat sich mit der Verwandtschaft zwischen dieser Debatte und der gegenwärtigen Diskussion zu den transzendentalen Argumenten beschäftigt.

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2. Die Elementarphilosophie

§ 4. Der Satz des Bewusstseins Der Versuch einer Letztbegründung der philosophischen Erkenntnis und aller Erkenntnis im Allgemeinen erfüllt sich für Reinhold mit dem, was er den Satz des Bewusstseins nennt. Der Satz des Bewusstseins lautet: Im Bewußtsein wird die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beide bezogen. (Beyträge I, S. 167) 1

Der Satz des Bewusstseins ist nicht nur die Begründung aller möglichen Vorstellbarkeit im Allgemeinen – weil er ihr die minimalste und wesentlichste Bedingung der Möglichkeit ausspricht –, sondern er stellt außerdem den unmittelbaren und direkten Ausdruck einer Urtatsache dar, die im Bewusstsein stattfindet. Diese ursprüngliche Tatsache des Bewusstseins setzt als solche keine zweite voraus und ihre Formulierung im Satz des Bewusstseins steht ihrerseits mit absoluter Gewissheit, was sie ihrem unmittelbaren Charakter verdankt. Man erhält den Satz des Bewusstseins weder durch Abstraktion noch durch Argumentation als einen ersten Grundsatz. 2 Die Begriffe »Vorstellung«, »Objekt« und »Subjekt«, die in diesem Satz enthalten sind, werden stattdessen mittelbar ausgedrückt, »das heißt, in wie ferne sie durch jene Tatsache bestimmt werden« (Beyträge I, S. 167). Das soll heißen, dass die besagten Begriffe vom Bewusstsein abhängen oder »ursprünglich« nur dank diesem möglich sind und nicht umgekehrt. Die ursprüngliche, etwas anders lautende Formulierung dieses Prinzips in Versuch ist: »Man ist, durch das Bewusstsein genötigt, darüber einig, dass zu jeder Vorstellung ein vorstellendes Subjekt, und ein vorgestelltes Objekt gehöre, welche Beide von der Vorstellung, zu der sie gehören, unterschieden werden müssen« (S. 200). 2 »Durch keinen Vernunftschluss, sondern durch bloße Reflexion über die Tatsache des Bewusstseins, das heißt, durch Vergleichung desjenigen, was im Bewusstsein vorgeht, wissen wir; dass die Vorstellung im Bewusstsein durch das Subjekt vom Objekt und Subjekt unterschieden und auf beide bezogen werde« (Fundament, S. 78). 1

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Die Elementarphilosophie

Reinhold glaubt, indem er sich den Satz des Bewusstseins zum Ausgangspunkt nimmt, eine (und zwar die einzig mögliche) Theorie aufstellen zu können, die die Bedingungen der Vorstellbarkeit und der Erkennbarkeit im Allgemeinen erklärt. Diese Theorie muss eine doppelte Bedingung erfüllen: (1) nicht regressiv zu sein, sondern vielmehr einen synthetischen progressiven Charakter zu besitzen, was die einzige Methode ist, die die Notwendigkeit erkennt, auf keinen Fall von nicht-erklärten Annahmen auszugehen und (2) mit einer ursprünglichen Gewissheit ausgestattet zu sein, die auf die nachfolgenden Grundsätze übertragen werden kann, aus denen das System gebildet wird, sobald der Satz des Bewusstseins sie zur Letztbedingung der Möglichkeit bestimmt. Auf diese Weise versucht Reinhold, der Transzendentalphilosophie Argumentationskraft zu verleihen. An der Stelle, an der Kant die (regressive) Suche nach den Bedingungen der Erkenntnismöglichkeit abgeschlossen hatte, sollte nicht die kritische Philosophie oder die Propädeutik der Metaphysik ansetzen, sondern die Philosophie ohne Beinamen, d. h. die Elementarphilosophie. 3 Wenn man aber mit etwas Aufmerksamkeit betrachtet, auf welche Art und Weise der begründende Bau des Systems stattfindet, erkennt man, dass die Ableitung der Elemente vom aufgestellten Satz allein als eine Auslegung oder eine reflexive Analyse des Bewusstseins erfolgt. 4 Das gilt natürlich für die Begriffe von »Vorstellung«, »Objekt« und »Subjekt«, die – wie bereits gesagt wurde – vom Bewusstsein abhängig sind und mittelbar in dem einzigen Satz ausgedrückt werden, der unmittelbar die Tatsache des Bewusstseins zum Ausdruck bringt. Genau so sollten die besagten Begriffe, da sie vom Bewusstsein abhängig sind, mit Hilfe des Satzes, der die Tatsache des Bewusstseins unmittelbar ausdrückt, definiert, bestimmt oder erklärt 3 Vgl. Fundament, S. 104 f. Dass die kritische Philosophie keine »erste Philosophie« sei, sondern nur Propädeutik der Metaphysik, ist etwas, was für Reinhold als ein essenzieller Aspekt der ausdrücklichen Absichten Kants betrachtet und geachtet werden soll. »Nicht einmal die ausdrückliche Erklärung Kants, dass seine Kritik der reinen Vernunft nichts, als die Propedeutik der Metaphysik sei, hat verhindern können, dass sie nicht von den, mehr dem Buchstaben, als dem Geiste seiner Lehre, getreuen Kantianern, für die Elementarlehre der Philosophie selbst erklärt wurde« (Fundament, S. 62 ff.; vgl. ebd., S. 115 f.). 4 A. Klemmt hält fest, dass am bezeichnendsten für die Elementarphilosophie ist, dass sie eine beschreibende Analyse der Tatsache des Bewusstseins ist, was sie eindeutig mit dem phänomenologischen Projekt Husserls in Verbindung bringt. Vgl. Klemmt (1958), S. 58 ff.

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Der Satz des Bewusstseins

werden können. Diese Definition oder Erklärung erfolgt durch den einfachen analytischen und reflexiven Vorgang, den Satz des Bewusstseins so lange zu drehen und zu wenden, bis man aus jeder Perspektive einen Einblick gewonnen hat. So ist die »Vorstellung dasjenige, was im Bewußtsein durch das Subjekt vom Objekt und Subjekt unterschieden, und auf beide bezogen wird« (Beyträge I, S. 168). »Das Objekt ist dasjenige, was im Bewusstsein durch das Subjekt vom Subjekt und der Vorstellung unterschieden, und worauf die vom Subjekte unterschiedene Vorstellung bezogen wird« (ebd., S. 170). »Das Subjekt ist dasjenige, was im Bewusstsein durch sich selbst von der Vorstellung und dem Objekte unterschieden, und worauf die vom Objekte unterschiedene Vorstellung bezogen wird« (ebd., S. 171). Der Satz des Bewusstseins »formuliert« also die Tatsache des Bewusstseins, die auf dem Grunde desselben ruht. Da sie über das Bewusstsein ans Licht befördert wird, formt der Satz des Bewusstseins nicht nur ihre Äußerung, sondern in gewissem Sinne ihren »Grund«, d. h. ihren »Grund zu sein«. 5 Allerdings ist die Tatsache, welche durch den Satz des Bewusstseins ausgedrückt wird, nicht einfach die Tatsache, dass es ein Bewusstsein gibt, sondern die Tatsache, dass Bewusstsein das Bewusstsein von einem Subjekt, von einem intentionalen Gegenstand und von der bewussten Handlung (also der Vorstellung) bedeutet. Diese drei Dinge sind gleichzeitig oder in einem Einzigen, d. h. im Bewusstsein miteinander verwoben und werden unbedingt als durch Reflexion bzw. durch philosophische Auslegung differenziert verstanden. Durch das Reflexionsverfahren über das Bewusstsein versucht Reinhold einen Vorstellungsbegriff zu schaffen, der nicht das Ergebnis einer Abstraktion der verschiedenen Typen von Vorstellung ist, sondern der dem allgemeinen und abstrakten Begriff von Vorstellung zugrunde liegt, welcher allen Arten der Vorstellung gemein ist: der sinnlichen Vorstellung, dem Begriff und der Idee. Diese »sind nicht Zu dieser Spannung zwischen »Ausdruck« und »Grund« in Beziehung mit dem Satz und der Tatsache des Bewusstseins siehe Bondeli (1995), S. 55: »Die einfache Tatsache des Bewusstseins ist insofern als Grund des Satzes des Bewusstseins zu verstehen, als dieser nur ihr sprachlicher Ausdruck ist, als dieser sie lediglich in die Form eines Satzes bringt. Die Tatsache ist aber auch eine Folge des Satzes, da sie erst durch ihn zu einer erklärten Tatsache wird«. Diese Spannung besitzt nicht wenig Bedeutung für die Schwierigkeiten in Bezug auf die Zirkularität und die Ableitung, die das reinholdsche Projekt betreffen, wie ich weiter vorn zeigen werde.

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Vorstellungen, weil sie etwas Gemeinschaftliches haben, sondern weil ihnen dasjenige gemeinschaftlich ist, was im Bewusstsein als Vorstellung vorkömmt; weil sinnliche Vorstellung, Begriff usw. etwas ist, das im Bewusstsein vom Objekt und Subjekt unterschieden, und auf beide bezogen wird« (Beyträge I, S. 169). Daher versteht man erst, was die verschiedenen Vorstellungen gemeinsam haben, wenn man die Vorstellung (durch Reflexion) als ein Element des Bewusstseins begreift. Auf dieselbe Weise bestimmt man die Vorstellung und leitet die unterschiedlichen Begriffe ab. Das gleiche gilt hinsichtlich der Begriffe des »vorgestellten Gegenstandes« und des »vorstellenden Subjekts«, da diese beiden das bilden, was Reinhold die »äußeren Bedingungen der Vorstellung« nennt (Versuch, S. 202). Über die Analyse der Vorstellung kann man ebenfalls erfahren, ob sie verursacht oder hervorgerufen wurde, ob sie sozusagen eine ratio fiendi besitzt. Reinhold bezeichnet diese ratio fiendi als »Vorstellungsvermögen«: Das Vorstellungsvermögen ist dasjenige, wodurch die bloße Vorstellung, das heißt das, was sich im Bewußtsein auf Objekt und Subjekt beziehen lässt, aber von beiden unterschieden wird, möglich ist, und was in der Ursache der Vorstellung d. h. in demjenigen, welches dem Grund der Wirklichkeit einer Vorstellung enthält, vor aller Vorstellung vorhanden sein muß. (Beyträge I, S. 175 f.)

Auf dieselbe Weise, in der man die verschiedenen Typen der Vorstellung gemäß ihrer Zugehörigkeit zum Bewusstsein ableitet, so zieht man durch die Analyse die verschiedenen Formen des Vorstellungsvermögens ans Licht, die wie Ursachen den Vorstellungen entsprechen: die Sinnlichkeit als das Vermögen der sinnlichen Vorstellung, der Verstand als das Vermögen der Begriffe und die Vernunft als das Vermögen der Ideen. 6 Die Analyse der Vorstellung als Reflexion des Bewusstseins erlaubt uns außerdem das, was Reinhold als die »inneren Bedingungen der Vorstellung« bezeichnet, abzuleiten oder zu bestimmen, genauer gesagt, den Stoff und die Form der Vorstellung (Versuch, §§ XV-XVI). Der Stoff der Vorstellung ist »etwas, welches dem Vorgestellten (dem von der Vorstellung durchs Bewusstsein unterschiedenen Gegenstande,) entspricht« (Versuch, S. 230). Diesen Begriff vereint Reinhold mit der Vorstellung vom »Gegebenen« oder »Empfangenen« 6

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Vgl. Beyträge I, S. 176; Versuch, §§ IX-X.

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Der Satz des Bewusstseins

oder, wie er es auch nennt, mit dem »objektiven Bestandteil der Vorstellung«: »Dasjenige, was sich in der bloßen Vorstellung, und wodurch sich die bloße Vorstellung aufs Objekt bezieht, heißt der Stoff der Vorstellung« (Beyträge I, S. 182). Die zweite innere Bedingung der Vorstellung wird von der Form der Vorstellung gebildet. Sie ist »etwas, wodurch der bloße Stoff zur Vorstellung wird« (Versuch, S. 235). Mit der Form vereint Reinhold den Begriff des »Hervorgebrachten«, also den Begriff dessen, was durch den Eingriff eines aktiven, spontanen Vermögens erfolgt (Versuch, § XX). Man versteht die Form der Vorstellung auch als subjektiven Bestandteil ihrer selbst. »Dasjenige, was sich in der Vorstellung und wodurch sich die Vorstellung auf das Subjekt bezieht, heißt die Form der Vorstellung« (Beyträge I, S. 183). Stoff und Form bilden also die beiden Grundelemente der Vorstellung, weshalb es nicht möglich sein kann, von einer Vorstellung zu sprechen, die nicht durch diese zwei Bestandteile geformt wäre. Für Reinhold ist das einer seiner wichtigsten Beiträge, da es zum einen darum geht, die kantische Theorie und die kantische Terminologie von fatalen Zweideutigkeiten zu befreien – z. B. von der, die auf die Betrachtung der verschiedenen Vorstellungsformen als reine Vorstellungen folgt oder von der, die beim Gleichsetzen von Objekt (als Phänomen verstanden) und Vorstellung entsteht. Und zum anderen liegt die Bedeutung dieses Beitrages darin, dass aus ihm das fundamentale Prinzip der »Nicht-Vorstellbarkeit« des Dinges an sich folgt. 7 Diesen Satz leitet man analytisch von jenem Verständnis von Vorstellung ab, das diese unbedingt als aus Stoff und Form gebildet erklärt: Dem Begriffe einer Vorstellung überhaupt widerspricht die Vorstellung eines Gegenstandes in seiner eigentümlichen von der Form der Vorstellung unabhängigen Form, oder des so genannten Dinges an sich; d. h. kein Ding an sich ist vorstellbar. (Versuch, S. 244)

Die Theorie der Vorstellung und des Vorstellungsvermögens, die Reinhold auf diese Weise als Ergebnis einer reflexiven Analyse des Bewusstseins darstellt, führt schließlich zum besagten Satz des Bewusstseins: »Das Bewusstsein, dessen Objekt weder eine bloße Vorstellung, noch das Vorstellende, sondern ein von beiden unterschiedenes Vorgestelltes ist, heißt Erkenntnis« (Beyträge I, S. 223). Später 7

Vgl. Versuch, S. 244 ff.; Beyträge I, S. 185 ff. A

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erklärt Reinhold, er habe mit diesem Satz genau das ausgedrückt, was er die »Theorie des Bewusstseins« nennt. Die Erkenntnis als Bewusstsein von einem Objekt ist ein besonderer Fall des Bewusstseins. In gewissem Sinn zählt auch das, was Reinhold als »klares Bewusstsein« und »deutliches Bewusstsein« bezeichnet, zu den spezifischen Fällen des Bewusstseins. »Das Bewusstsein überhaupt« (ohne genauere Erläuterung) »besteht im Bezogenwerden der Vorstellung durch das Subjekt auf Objekt und Subjekt, und ist von der Vorstellung überhaupt unzertrennlich« (ebd., S. 218). Das Bewusstsein heißt klar, »in wie ferne es bloßes Bewusstsein der Vorstellung« ist (ebd., S. 221). Es heißt deutlich, »in wie ferne es Bewusstsein des Vorstellenden als eines solchen, Selbstbewusstsein« (ebd., S. 222) ist. Das klare Bewusstsein wie das deutliche Bewusstsein verdreifachen sich noch einmal in (1) klares Bewusstsein der Vorstellung, (2) klares Bewusstsein des Vorstellenden und (3) klares Bewusstsein des Vorgestellten. Entsprechend geschieht dies für den zweiten Fall: Das deutliche Bewusstsein verdreifacht sich in (1) deutliches Bewusstsein des Vorstellenden (Selbstbewusstsein), (2) deutliches Bewusstsein der Vorstellung und (3) deutliches Bewusstsein des Vorgestellten. Der Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Verdreifachung liegt darin, dass, während im Fall des klaren Bewusstseins das zweite und dritte Moment der Verdreifachung immer vom ersten begleitet werden (nämlich vom Bewusstsein der Vorstellung), im Fall des deutliches Bewusstseins das zweite und dritte Moment stets vom deutlichen Bewusstsein des Vorstellenden oder vom Selbstbewusstsein begleitet werden. Der Satz der Erkenntnis beschreibt seinerseits ein Prinzip, aus dessen Analyse die vollständige Theorie des Erkenntnisvermögens, seiner Realisierung und seiner Grenzen folgt. 8 Die hier praktisch wortwörtlich dargestellten Elemente bilden die Grundstruktur des theoretischen Baus der Elementarphilosophie. Reinhold strebt danach, mit diesem Werk die charakteristischen Aporien der kantischen Philosophie zu lösen. Zuerst geht es um die ApoSiehe Beyträge I, §§ XXXIII–XLIV; Versuch, §§ XXXVIII–LXXXVIII. In der Theorie des Erkenntnisvermögens unternimmt Reinhold die Analyse des Vorstellungsvermögens auf (Sinnlichkeit, Verstand usw.). Nicht einfach als bloßes Vorstellungsvermögen allgemein, sondern als ein Vermögen, dessen repräsentative Aufgabe etwas näher bestimmt werden kann. Diese Bestimmung erfolgt entsprechend dem Objekt oder dem »unterschieden vorgestellten«, was spezifisch mit jedem der beiden korrespondiert. Ob diese Bestimmung für wirklich erreicht gehalten werden kann, ist natürlich ein anderes Problem. 8

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rie, die unter dem Vorwurf der Zirkularität steht. Diese Aporie ist innerlich an die Anklage gebunden, mit der der Transzendentalphilosophie der Mangel an wahrer Beweiskraft (aufgrund der Fülle von nicht-erklärten und dennoch ohne weiteres angenommenen Voraussetzungen) vorgehalten wird. So erfolgt eine Verwandlung der kritischen Metatheorie der Erkenntnis als eine Theorie zweiter Ordnung in eine Theorie der ersten Ordnung (Philosophie als strenge Wissenschaft, prima philosophia) der Vorstellung und der Erkennbarkeit, die auf Prinzipien gegründet ist (Elementarphilosophie) – und zwar auf Prinzipien, die nach der reflexiven Analyse der ursprünglichen Tatsache des Bewusstseins (subjektive Wende) aufgestellt worden sind. Diese Verwandlung soll der Schlüssel zur Ausstattung der Transzendentalphilosophie mit echter Beweiskraft sein. Die zweite Aporie ist die, welche im Zusammenhang mit der doppelten Bedeutung des kantischen Begriffs von Objekt steht: einmal als das Objekt der Vorstellung und dann als das Ding an sich, und mit der realistischen Voraussetzung, die dieser Doppeldeutung unterliegt. Für das Ziel dieser Untersuchung ist nun von Interesse, ob und in welchem Maße die Entwirrung dieses aporetischen Knotens, der so charakteristisch für die kantische Transzendentalphilosophie ist, aus den Anstrengungen Reinholds resultiert.

§ 5. Letztbegründung, Zirkularität und Ableitung In einem der Momente, in denen sich das Verhältnis zwischen der Elementarphilosophie und der kantischen kritischen Philosophie verstärkt polemisch entwickelt, klagt Reinhold Kant der Zirkularität an. Die »Möglichkeit der Erfahrung« und genauso die »Natur« und die »Realität der synthetischen Urteile a priori« seien ohne Beweis angenommen »und ohne durchgängige Bestimmtheit ihrer Merkmale durch unvollständige Expositionen vorgetragen worden« (Fundament, S. 129 f.). Man könne lediglich gelten lassen, dass die KrV die Möglichkeit der Erfahrung und der Realität der synthetischen Urteile a priori über Prinzipien beweist, in denen die besagte Möglichkeit und die Realität als Voraussetzungen enthalten sind. Mit Reinhold entsteht schließlich eine Auslegungstradition, die der Beweisart, die Kant aufstellte, den Vorwurf der Zirkularität macht. Jene Beweisart wurde von Kant unter der bekannten Devise formuliert, die einer langen Diskussion um den Status der so geA

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nannten »transzendentalen Beweise« oder – anders bezeichnet – der »transzendentalen Argumente« Raum geboten hat. 9 Für Kant besitzen synthetische Sätze a priori, wie z. B. »alles, was geschieht, hat eine Ursache«, allgemeine Gültigkeit. Diese allgemeine Gültigkeit kann nicht direkt anhand der bloßen Untersuchung der in ihnen enthaltenen Begriffe bewiesen werden, sondern nur indirekt »durch die Beziehung dieser Begriffe auf etwas ganz Zufälliges, nämlich mögliche Erfahrung«. Der Satz »alles, was geschieht, hat eine Ursache« ist zwar »apodiktisch gewiss«; »an sich selbst aber (direkt) a priori« kann er »gar nicht einmal erkannt werden«. Er wird bei der Erfahrung vorausgesetzt und deshalb könnte als Grundsatz von ihr verstanden werden: Er heißt Grundsatz […], ob er gleich bewiesen werden muss, darum weil er die besondere Eigenschaft hat, dass er seinen Beweisgrund, nämlich Erfahrung, selbst zuerst möglich macht und bei dieser immer vorausgesetzt werden muss. (KrV, S. A 737 = B 765, die letzte Kursive wurde von mir eingefügt).

Dass die Erfahrung als Beweisgrund des Prinzips, welches sie ermöglicht und welches in ihr vorausgesetzt sein muss, angesehen wird, ist genau das, was den zirkularen Charakter dieses Argumentationsmodells ausmacht. Reinhold nimmt an, dass so wesentliche Ansätze der kritischen Philosophie wie der Beweis der Priorität der Formen der Vorstellung (in Bezug auf die Inhalte) oder die Deduktion der Kategorien die Erfahrung voraussetzen: Die Erfahrung ist […] der eigentliche letzte Grund, das Fundament, über welchem das herrliche Lehrgebäude der KrV aufgeführt ist. Die Vorstellung der Wahrnehmungen in einem gesetzmäßigen, notwendig bestimmten Zusammenhang als ein Faktum angenommen, von welchem Kant wohl voraussetzen konnte, daß es ihm eingestanden werden würde, ist die Basis des Kantischen Systems. (Beyträge I, S. 278 f.)

Wenn man die Erfahrung – die als Korrelation der Wahrnehmungen (nach allgemeinen und notwendigen Gesetzen) verstanden wird – als ein unbestrittenes Faktum übernimmt, dann kann man das gesamte Vgl. Crawford (1961/62), S. 257–268. M. Baum spricht sich dafür aus, transzendentale »Beweise« von den »Argumenten« zu trennen, wobei er vor allem an die Aufnahme des letzten Begriffes durch Strawson und die »analytische Rezeption« der Transzendentalphilosophie denkt. Siehe dazu Baum (1979), S. 3–26. Vgl. ebenfalls Aschenberg (1982), S. 257 ff.

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konzeptuelle Gerüst der KrV (das zum Beweis der Prinzipien führt, welche eine auf diese Weise vorgefasste Erfahrung ermöglichen) als eine theoretische Konstruktion ad hoc oder zur Rechtfertigung dieses vorausgesetzten Faktums bestimmt betrachten. Das wirklich Kontroverse und Problematische an diesem Vorgehen, die wahre Schwäche dieses Faktums, wenn es als Grund gelten soll, lässt sich nur erkennen, indem man einen entgegen gesetzten oder zumindest einen anderen Begriff von Erfahrung annimmt, wie z. B. den, dass sie nicht – nach von der Notwendigkeit vorgesehenen Prinzipien – als Korrelation von Wahrnehmungen verstanden wird, sondern als eine Einheit von mehr oder weniger veränderbaren, kontingenten und relativen Wahrnehmungen. Das ist der Begriff von Erfahrung, der auf dem Grund des humeschen Skeptizismus liegt. Gegen diesen Begriff kann die Transzendentalphilosophie nichts Begründetes oder Überzeugendes, nichts vollständig Argumentiertes vorbringen, wenn sie allein das konzeptuelle Instrumentarium ausstattet, um ad hoc das Faktum zu rechtfertigen, von dem sie ausgeht, da diese Rechtfertigung ad hoc das Faktum erfordert, von dem ausgegangen wird (und in diesem Sinn ist es fundamental). Sie scheint jedoch nicht beweisen zu können, dass es – das Faktum – einzig und allein so und nicht anders sein muss. 10 Das ist der Kern der Auseinandersetzung der Transzendentalphilosophie mit dem philosophischen Skeptizismus. 11 Reinhold ist Stefan Körner versuchte zu zeigen, dass die Einzigartigkeit eines Begriffsschemas entsprechend eines transzendentalen Argumentationsmodells nicht für bewiesen gehalten werden kann. Siehe Körner (1969), S. 233 ff. Das Bestehen von alternativen Begriffsschemen, die sich von jenem, das die Transzendentalphilosophie vorschlägt, unterscheiden, wäre andererseits für Körner ein Beispiel dafür, dass das, was er theoretisch als unmöglich beweisen will, nur faktisch gelten könnte. Ein solches Gültigmachen wäre bis zu einem bestimmten Punkt ausreichend, um die Ansprüche des transzendentalen Argumentationsmodells einzudämpfen. Gegen diese These siehe vor allem Shaper (1972). Die Darstellung des Faktums der alternativen Begriffsschemen, in der man sich die Ergebnisse der Ethnographie des 20. Jhs. zunutze macht, ist ebenfalls ein Mittel, dessen sich schon die Kritiker dieser transzendentalistischen Idee von einem einzigen Begriffsschema, das von allen Menschen und allen Kulturen geteilt wird, bedient haben. Siehe zu diesem Punkt Watkins (1984), S. 23 ff. 11 Dieses Argument wird von Schulze und Maimon beharrlich wiederholt. Schulze betont den unvermeidlich regressiven Charakter der transzendentalen Argumentation; vgl. z. B. Kritik der theoretischen Philosophie I (im Weiteren: KthPh I), S. 641 f. Außerdem dringt er auf die Tatsache, dass man mit diesem regressiven Charakter die Willkür der Prinzipien unterstützt, die man als einzig und apodiktisch verteidigen will. (Vgl. zu dem heute noch so kontroversen Problem der Ableitung der Tafel der Urteile KthPh II, S. 333.) Die Voraussetzung des Faktums der Erfahrung und dessen Unerklärbarkeit sind 10

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sich dessen vollkommen bewusst, wenn er festhält, dass die Philosophen, die von einem Erfahrungsbegriff als eine »veränderbare, kontingente und relative« Korrelation der Wahrnehmungen ausgehen (d. h. die Philosophen von der humeschen Schule) »durch die Kritik der Vernunft, in wieferne dieselbe den Begriff der Erfahrung oder der ›Vorstellung des notwendigen Zusammenhangs der Gegenstände sinnlicher Wahrnehmungen‹ als Basis ihres Lehrgebäudes annimmt; so fest auch diese Basis an sich ist, schlechterdings unwiderlegbar« (Beyträge I, S. 286 f.). Reinhold versucht in dieser Situation, mit der Letztbegründung eine Lösung anzubieten. Er leitet die Erfahrung von einem letzten Grund ab, der selbst beweisend und seinerseits in der Lage ist, die von ihm abgeleiteten Sätze zu beweisen. Ein solches Projekt kann jedoch nicht ohne weiteres als erfüllt betrachtet werden, solange es nicht einige Probleme beruhigt, die den Skeptiker bewegen oder – allgemeiner gesagt – die ganze philosophische Haltung, die mit Misstrauen auf den philosophischen Fundamentalismus sieht. Ich möchte zwei dieser Probleme hervorheben: (a) Selbst der Fundamentalismus Reinholds ist und muss anfällig für Zirkularität sein, und (b) scheint er nicht, die wissenschaftlich-axiomatische Ableitung, die er verspricht, aufstellen zu können, ohne sich in Aporien zu verstricken.

§ 6. Aporie der Zirkularität Reinholds Begründungsprojekt offenbart eine äußerst unbequeme, kreisförmige Struktur, die nicht mit dem überein stimmt, was er verspricht, d. h. die Vernunftkritik – als Kritik der Metaphysik – in eine Erste Philosophie des Vorstellungsvermögens zu verwandeln, die die von der kantischen Transzendentalphilosophie aufgenommenen Prinzipien mit absolutem Beweis und vollkommener Bestätigung zu versehen hat: die Möglichkeit der Erfahrung als notwendige Korrelation zwischen den Wahrnehmungen und der Realität der synthetischen Urteile a priori. die Motive, die Salomon Maimon dazu führen, den transzendentalen Standpunkt seiner Philosophie mit dem, was er »empirischer« oder auch »kritischer Skeptizismus« nennt, vereinbaren zu wollen. Siehe Maimon, Versuch über die Transzendentalphilosophie (im Folgenden: VT), S. 436.; auch Kritische Untersuchungen über den menschlichen Geist. In: Gesammelte Werke (GW VII), S. 355.

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Aporie der Zirkularität

Reinhold erklärt mehrfach, dass die Materialien, von denen seine philosophische Begründung ausgeht, aus der KrV herrühren. 12 Für ihn entdeckte Kant die Grundelemente der Theorie des Vorstellungsvermögens, ohne diese Theorie jedoch aufzustellen. Deshalb setzt die Elementarphilosophie genau dort an, wo die kantische Kritik aufhört. 13 Was das Letzte auf der Suche nach den Gründen der Erkennbarkeit und der Vorstellbarkeit ist, ist »das Erste« in der systematischen (und demonstrativen) Darstellung des Gefundenen; »das Höchste in der Abstraktion, das Unterste in der Wissenschaft, das kurz vorher Unbedeutendste, Streitigste, Verkannteste unter den Philosophen, – zum Unentbehrlichsten, Ausgemachtesten, Bekanntesten in der Philosophie werden müssen« (Fundament, S. XIV). Als eine der aussagekräftigsten Passagen zu der Wechselbeziehung zwischen den Materialien, von denen sich das Begründungsprojekt und dessen Bau nähren, kann man die folgende aus dem Essay der Beyträge mit dem Titel: »Über das Verhältnis der Theorie des Vorstellungsvermögens zur Kritik der reinen Vernunft« festhalten: Gesetzt, der Satz des Bewußtseins wäre wirklich der allgemeingültige, einst allgemeingeltende, erste Grundsatz der Elementarphilosophie; so konnte er doch in dieser Eigenschaft auf dem analytischen Wege (der bey der ersten Entdeckung der einzig mögliche ist) nur erst nach dem Begriffe der bloßen Vorstellung, und dieser erst nach den Begriffen von den Vorstellungen der Sinnlichkeit des Verstandes und der Vernunft entdeckt werden. Die Entdeckung der Folge muß notwendig der Entdeckung des Grundes vorhergehen; die wissenschaftlichen Prämissen einer Erkenntnis können erst nach vorhandener Erkenntnis gesucht werden; und der wesentliche Inhalt einer Wissenschaft muß vorher gefunden sein, bevor das Prinzip, welches der Wissenschaft ihre Form gibt, zum Bewußtsein gelangen kann. Wenn die Kritik der Vernunft nicht durch die von ihr aufgestellten Formen der Vorstellung die wesentlichen Merkmale der sinnlichen Vorstellungen, der Begriffe und der Ideen vollständig entdeckt hätte, so wäre die Frage um das wesentliche Merkmal der Vorstellung überhaupt unbeantwortlich; ja! in wieferne sie keinen bestimmten Sinn gehabt hätte, unmöglich gewesen. (Beyträge I, S. 265 f.)

Die Elementarphilosophie akzeptiert die Allgemeingültigkeit der Prinzipien der kantischen Philosophie, erkennt jedoch nicht an, dass diese anhand eines allgemein geltenden Grundsatzes bewiesen worden sind, oder anders gesagt, dass diese bereits in expliziter Form 12 13

Siehe z. B. Beyträge I, S. 267; Fundament, S. 133. Vgl. Fundament, S. 62. A

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allgemein geltend und allgemein akzeptiert wären. Diese – meinem Erachten nach – übertrieben künstliche Unterscheidung zwischen dem »Allgemeingültigen« und dem »Allgemeingeltenden« ist der Schlüssel des reinholdschen Beitrags zur Ausstattung der Transzendentalphilosophie mit Beweiskraft, gleichzeitig ist dies aber auch sein Kreuz: Das allgemeingeltende Prinzip in der Philosophie unterscheidet sich von dem allgemeingültigen dadurch, daß es nicht nur, wie dieses, von jedem der es versteht als wahr befunden, sondern auch von jedem gesunden und philosophierenden Kopfe wirklich verstanden wird. (Versuch, S. 72)

So können also die Sätze und Prinzipien einer bestimmten Disziplin an sich vollkommen mit Allgemeingültigkeit ausgestattet sein, ohne dass sie deshalb von der Wissenschaft als allgemein geltend angesehen werden. Für Reinhold war das der Fall der Grundsätze der Newtonschen Physik, als diese eben erst aufgestellt worden waren, d. h. bevor sie in ganzer Deutlichkeit in einem systematischen Korpus dargestellt werden konnten, was schließlich weder Missverständnissen noch Zweifeln oder Kontroversen Raum geboten hätte. 14 Was sich hinter jener Untersuchung verbirgt, ist nichts anderes als die Differenzierung zwischen implizit und explizit als gültig Betrachtetem. So können wir z. B., wenn wir die Sprache anwenden, die grammatikalischen Regeln als implizit gültig betrachten. Wozu dann ihrerseits eine Grammatik dient, ist, diese Regeln zu erklären und zu zeigen, wie sich die Sprache nach ihnen richtet. Obwohl nur erklärt wird, was wir implizit bereits anwenden und benutzen, was wir also auf eine gewisse Art kennen, ist der Versuch, eine Grammatik zu verstehen, eine verzwickte Angelegenheit. Genau das erlebte Königin Isabel de Castilla, nachdem sie sich mit dem Studium der Grammatik von Nebrija abgemüht hatte – der ersten Grammatik in einer modernen europäischen Sprache. »Señor Nebrija,« sagte sie der Legende nach zu ihrem Autor, »ich wusste nicht, dass das, was ich tagtäglich mit einer solchen Leichtigkeit benutze, so schwierig wäre.« 15 Bis hierher kann man dieses Beispiel gut parallel zu Reinhold setzen. Aber die Probleme zeigen sich schnell, sobald es im ausgewählten Fall darum geht zu beweisen, dass die Grammatik oder Vgl. Versuch, S. 72; auch S. 18 ff. Das Beispiel, dem ich mich hier bediene, wurde auch von Strawson herangezogen (1992, Kap. 1).

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die Erklärung der Regeln und Elemente der Sprache die Basis dieser selben bildet – die gewiss als solche durch reflexive Analyse entdeckt wurde – aber als solche Basis vermeintlich nichts von diesem Phänomen oder der analysierten Tatsache annimmt. Diese Idee ist, meiner Ansicht nach, skandalös und schwer nachzuvollziehen. Was Reinhold versucht, ist genau Folgendes: Er geht vom Begriff der unerklärten Vorstellung aus, so wie er in der kantischen Philosophie auftaucht und implizit den Satz des Bewusstseins einschließt, und unterwirft ihn einer erklärenden Analyse, deren Ergebnis die Entdeckung, die Erklärung des Satzes des Bewusstseins sein soll. Um zum Satz des Bewusstseins zu gelangen, braucht man die Vorstellung, von der man ausgeht. Ist man jedoch einmal zum Satz des Bewusstseins gekommen, entschleiert man die Tatsache, dass er (der Satz des Bewusstseins) der letzter Grund der Vorstellung ist. 16 Wie man sehen kann, bestimmt dieser Kern die Form der gegenseitigen Abhängigkeit, die zwischen dem Begriff der »Vorstellung« (und den Formen der »Vorstellung«) und dem Satz des Bewusstseins besteht. Der Satz des Bewusstseins bedarf der Vorstellung und der verschiedenen Typen der Vorstellung, da sie die Materialien sind, von denen die Analyse ausgeht. Denn wie schon das Sprichwort sagt: Von nichts kommt nichts. Aber auch die Vorstellung und die Typen der Vorstellung bedürfen des Satzes des Bewusstseins, weil er den philosophischen Ausdruck dessen bildet, was sie sind. Das erste Bedürfnis ist faktisch: Es geht um die Tatsache, die am Ausgangspunkt liegt. Das zweite Bedürfnis ist dagegen logisch oder logisch-philosophisch: Der Satz des Bewusstseins ist die Erklärung der Tatsache, die den wahren Grund der Vorstellung und der bestimmten Vorstellungstypen bildet. Wenn man nun die gegenseitige Abhängigkeit zwischen der Vorstellung (und den Typen der Vorstellung) und dem Satz des Bewusstseins von zwei verschiedenen Standpunkten aus betrachten kann – wie es gelegentlich in Reinhold der Fall zu sein scheint – kann der Vorwurf der Zirkularität aufgehoben oder zumindest bedeutend gemäßigt werden. Und somit kann die erwähnte Abhängigkeitsbeziehung als eine gespannte aber fruchtbringende Beziehung gegenseitiger Rückkopplung zwischen dem Material, von dem man in einem zeitlichen Sinn ausgeht, und der Struktur dieses Materialen,

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Vgl. Fundament, S. 79. A

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die durch Analyse herausgefunden wird und die ihm als Prinzip in einem logisch-philosophischen Sinn dient. Eine solche Loslösung vom Vorwurf der Zirkularität kann im Fall Reinholds jedoch leider nicht stattfinden. Erstens, weil er zu Recht erkennt, dass der Ausgang von Voraussetzungen und Annahmen die Beweiskraft der Transzendentalphilosophie verringert, und deshalb das Programm einer Philosophie als strenge Wissenschaft vollständig auf Annahmen verzichten muss. Jetzt könnte man – wie bereits gesagt – schließen, dass Reinhold die Gültigkeit der kantischen Voraussetzungen nicht kritisiert, sondern die Tatsache, dass diese nicht bewiesen worden sind. Die Elementarphilosophie setzt sich nämlich zum Ziel, das, was die KrV »als ausgemacht voraussetzt« in etwas umzuwandeln, das zweifellos als »ausgemacht wahr« angenommen werden kann (Fundament, S. 129). Das Problem liegt darin (und dies bildet den zweiten Grund für den Vorwurf der Zirkularität), zu glauben, dass das, was als »wahr ausgemacht« vorausgesetzt wird, gar nichts zu seinem philosophischen Beweis als wahrhaftig beiträgt. Darin besteht ein sehr ernsthaftes Problem. Es ist so, als würde man davon ausgehen, dass die Sprache selbst, welche die Königin Isabel benutzte, nicht zum komplizierten Verständnis (und Verständnis auf jeden Fall) der Grammatik beitrüge, mit der Nebrija die Struktur seiner Sprache darzulegen versuchte. Selbstverständlich wird niemand behaupten, dass sich in diesem Beispiel das Verstehen der Grundstruktur – das implizit dazu gehört, dass wir eine Sprache anwenden – weder durch noch mit Hilfe derselben Sprache, die analysiert wird, vollzieht. Deshalb zeigt dieses Beispiel vor allem ein schlicht selbstbezogenes Modell von mehr oder weniger deutlich holistischem Charakter. Im Fall Reinholds besteht das Problem darin, dass sein scheinbarer Holismus 17 eigentlich ein extremer Fundamentalismus ist, indem er, ohne sich dessen bewusst zu sein, immer weiter in seiner Sackgasse voranschreitet, oder anders, indem er, ohne es zu merken, sich wie der F. C. Beiser denkt, dass die Philosophie Reinholds von holistischen Idealen bestimmt ist (vgl. Beiser: 1993, S. 231). Ich glaube aber, dass dieser Holismus nur scheinbar ist und in dem Maße hervorsticht, in dem sich Reinhold mit dem Problem des Anfangs (oder des letzten Grundes) der Philosophie verwickelt. Wenn sein System holistisch wäre, würde er sich weder so besessen mit dem Problem der Voraussetzungen beschäftigen, noch bemühte er sich so sehr, den transzendenten Charakter des Grundes in Beziehung mit dem Begründeten festzulegen, sondern er würde seine Aufmerksamkeit vielmehr auf die Wechselbeziehung zwischen dem einen und dem anderen fokussieren. 17

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Baron von Münchhausen verhält, der sich auf sein eigenes Pferd stürzt, um aus dem Treibsand zu entkommen. 18 Es scheint also, dass ihn dieser extreme Fundamentalismus nicht allzu weit in Bezug auf das transzendentale Vorhaben – mit dem Ziel, die Transzendentalphilosophie mit Beweis auszustatten – voranzubringen vermag. An den Punkten, an denen sich die Argumentationskraft der Transzendentalphilosophie am stärksten in der KrV zeigt (die Deduktion und die Analogien), kann man Kant zumindest zugestehen, dass sich, auch wenn er die Erfahrung tatsächlich voraussetzt (auf die bestimmte Weise angenommen, wie er sie begreift), sein Bemühen auf dem richtigen Wege befindet, wenn er zeigt, dass es sich um eine vorausgesetzte Erfahrung handeln muss oder besser, dass die Erfahrung unbedingt vorausgesetzt werden muss. Und dies ist so, weil man sonst die Hypothese des Skeptikers akzeptieren müsste, der sich entweder an der angenommenen Tatsache 19 stoßen würde oder nicht umhin käme, inkonsistent zu sein, da der Skeptiker sich von dem bedienen muss, das er in Zweifel zieht, um es in Zweifel ziehen zu können. 20 Unabhängig davon, dass man ein ähnliches ArDieses Beispiel stammt von Schopenhauer, der die absurde Aktion des Barons von Münchhausen, mit der er aus dem Schlamm entkommen wollte, mit der causa sui von Spinoza verglich (vgl. Schopenhauer: 1986, Bd. III, S. 28). Hans Albert gab bekanntlich der dreifachen Schwierigkeit, unter der ein jeder Versuch einer Letztbegründung stehen muss, den Namen des Trilemmas von Münchhausen. Ein solcher Versuch ist entweder verdammt 1) zu einer nie endenden Rückkehr, 2) zu einem logischen Kreis oder 3) zur Unterbrechung des begründenden Vorgehens (s. Albert: 1968, S. 13 ff.). Das Trilemma von Münchhausen ist ansonsten innerhalb der sog. »fünf Tropen« bzw. der Tropen in Bezug auf die »philosophische Erkenntnis«, die Sextus Empiricus in Grundriss der pyrrhonischen Skepsis vorstellt, einzuordnen (vgl. I, 15 [164–177]). Zu diesem Thema siehe auch Ricken (1994), S. 161. 19 Siehe KrV, S. B 128: »Die empirische Ableitung« der Kategorien, die nach Kant zum Skeptizismus führt, »lässt sich mit der Wirklichkeit der wissenschaftlichen Erkenntnisse a priori, die wir haben, nämlich der reinen Mathematik und allgemeinen Naturwissenschaft, nicht vereinigen, wird also durch das Faktum widerlegt.« 20 Diese Vorführung der Inkonsistenz der skeptischen Position wird in den sog. »transzendentalen Argumenten« in allgemeinen Termini formuliert: Der Skeptiker »pretends to accept a conceptual scheme, but at the same time quietly rejects one of the conditions of its employment.« (Strawson: 1959, S. 35; siehe auch S. 40.) Die Inkonsistenz des Skeptikers zu zeigen, ist ein typisches Vorgehen in der Philosophie, so alt wie die Philosophie selbst. Derselbe Reinhold macht keine Ausnahme in dieser Hinsicht: »Jeder schreibende Philosoph setzt wenigstens bei der Klasse von Lesern, für die er schreibt, etwas Allgemeingeltendes voraus; denn wie könnte er sonst hoffen verstanden zu werden? Auch selbst dann, wenn er damit umgeht über eine gewisse Materie bisher noch nicht gefundene allgemeingültige Prinzipien festzusetzen, muss er von etwas ausgehen, 18

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gumentationsmodell für überzeugend halten kann, kann man doch anerkennen, dass Kant kein Hindernis zu finden scheint, wenn er annimmt, dass die Philosophie zwangsläufig von Voraussetzungen auszugehen hat. 21 Wenn Reinhold, obwohl malgre lui oder vielleicht auch, ohne es zu merken, das Gleiche tut und nicht anders kann, als das Gleiche zu tun, kommt nun die Frage auf, worin denn eigentlich der angekündigte Vorteil einer Steigerung der Beweiskraft der Transzendentalphilosophie mit Hilfe einer fundamentalistischen Konstruktion besteht? Die Antwort lautet: im (cartesianischen) Rekurs auf das Bewusstsein. Ich nenne es »cartesianisch«, weil es sich um ein subjektivistisches Mittel handelt, mit dessen Hilfe das System mit Beweis ausgestattet werden soll. Und zwar soll dies genauso in Bezug auf die Form seiner Ableitung wie auf den Inhalt, aus dem es sich ableitet, geschehen. Aber ist dieser Rekurs wirklich ausreichend?

das er für bereits allgemeingeltend hält; und wenn er sein Zweck verfehlt, so lag die Schuld wohl größtenteils darin, dass er sich in der letztern Meinung geirrt hat. Der dogmatische Skeptiker, der über das Allgemeingeltende in der Philosophie spottet, widerlegt sich selbst, indem er seine Spottschrift drucken lässt« (Versuch, S. 73 f.). Es ist offensichtlich, dass diese Art der Widerlegung des Skeptizismus äußerst allgemein, wenn nicht gar vage ist und auch nicht dazu herhält, bestimmte und überbestimmte Prinzipien – oder Begriffschemen – zu zeigen. Wann ein Begriffschema beginnt, bestimmt zu sein, d. h. wann es aufhört, eine Mindestbedingung der Möglichkeit für die (kleinstmögliche) objektive Erfahrung oder für die Sinnschaffung zu sein und zu etwas mehr oder weniger historisch- oder Umstandsbedingtem wird, das ist etwas, was man nicht als Ergebnis des Aufzeigens der Inkonsistenz des Skeptikers bestätigen kann, da dieses Vorgehen nur gegen die übertriebenen Formen des Skeptizismus geeignet ist – gegen die Formen, die z. B. die Meinung »wir können nichts wissen« oder Ähnliches vertreten. In Bezug auf die eher gemäßigten oder eingeschränkten Formen des Skeptizismus scheint diese Vorgehensweise dagegen jedoch nicht sehr schlagkräftig zu sein. Hiermit beziehe ich mich auf die Formen, die ganz bestimmte Dinge in Frage stellen und nicht auf gekünstelte Weise alles. Zu dieser letzten Gruppe gehört z. B. die skeptische Frage, ob diese oder jene die Struktur oder Form unserer Erfahrung sei und nicht diese oder jene andere. Der Skeptizismus Humes und auch der von Schulze gehören zu diesem Typ. Mit der allgemeinen Problematik, die hier angesprochen wird, habe ich mich bereits an anderem Ort auseinandergesetzt (s. Hoyos, 2002). 21 Zu einer positiven Bewertung des transzendentalen (kantischen) Argumentationsmodells vgl. Shaper (1972), S. 101–116; Bubner (1974/75), S. 453–467; M. Baum (1979) S. 3–25. Eine lesenswerte Darstellung hinsichtlich der sog. »kantischen Metaphysik der Erfahrung« aus Sicht der analytischen Philosophie findet sich in Aschenberg (1982), S. 257 ff.

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Ist der Rekurs auf das Bewusstsein ausreichend als beweisender Rekurs

§ 7. Ist der Rekurs auf das Bewusstsein ausreichend als beweisender Rekurs der Transzendentalphilosophie? Der (cartesianische) Rekurs auf das Bewusstsein bietet dem System der Philosophie direkten Beweis, da es sich um eine Urtatsache handelt, die man sozusagen erlebt oder von der man Kenntnis hat, ohne zu schlussfolgern. Diese Tatsache tritt durch einfache reflexive Überlegung der Vorstellung unmittelbar ans Licht. Und dasjenige, was eben durch diese Überlegung über das Bewusstsein ans Licht tritt, ist die Erkenntnis, dass sich die Vorstellung vom Subjekt und vom Objekt unterscheidet und sich auf diese beiden bezieht. Worüber wir uns klar und deutlich bewusst sind, ist etwas sehr Einfaches und, wenn man so will, sehr Allgemeines: nämlich, dass jede Vorstellung, qua Vorstellung, (1) im Bewusstsein stattfindet, d. h. sie setzt ein Bewusstsein voraus (also sind »Vorstellung« und »bewusste Vorstellung« das Gleiche); (2) einen Überträger (d. h. ein Subjekt) voraussetzt und (3) die Vorstellung von etwas (d. h. von einem Objekt) ist. Somit sind wir uns den Grundelementen der Vorstellung direkt bewusst.22 Anders könnte man auch sagen: Der Satz des Bewusstseins ist der Ausdruck der Tatsache, die die Mindestbedingungen der Vorstellung und der Vorstellbarkeit im Allgemeinen darstellt. Schlecht täte nun aber derjenige, der versuchen wollte, einer so grundlegenden Tatsache den direkten gewissheitsstiftenden Charakter zu nehmen. Schließlich geht es darum zu untersuchen, ob man mit dergleichen Offensichtlichkeit erkennen kann, dass nicht nur die minimalen Bedingungen der Vorstellbarkeit – wie die, dass die Vorstellung einen Träger (d. h. ein Subjekt) und etwas, das sie vorstellt (d. h. einen intentionalen Gegenstand), verlangt – sondern dass vielmehr auch bestimmte, weniger minimale Bedingungen notwendig sind, damit die Vorstellung stattfinden kann. Zur Gruppe der bestimmten oder weniger minimalen Bedingungen der Vorstellung gehört z. B. die These, dass Raum und Zeit die Formen (subjektive Bedingungen a priori) der sinnlichen Vorstellung sind, wie dass die kantische Tafel der Kategorien vollständig, unerlässlich (für die Erkenntnis von Gegenständen) und einzig sei. Nur wenn man im SysEine einfache Analyse der oberflächlichen Grammatik des Begriffes »vorstellen« gibt u. a. dieses Ergebnis ab: Vorstellen ist ein Aktivverb, das ein Subjekt der Aktivität fordert (den »Vorstellenden«) und gleichzeitig ein Objekt (das »Vorgestellte«). Siehe dazu D. Heinrich (1989), S. 143 f.

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tem der Philosophie die Notwendigkeit bzw. die Unerlässlichkeit, die Einzigartigkeit und Vollständigkeit jenes Bildes, das die bestimmten oder weniger minimalen Bedingungen zeichnen, zur selben ursprünglichen Offensichtlichkeit zurückbringen kann, mit der der Satz des Bewusstseins die minimalsten Bedingungen der Vorstellbarkeit ausdrückt. Erst in diesem Fall kann mit vollkommener Sicherheit festgestellt werden, ob die philosophische Konstruktion Reinholds die endgültige Begründung der Transzendentalphilosophie von Anfang an, d. h. ohne Voraussetzungen ist. Abgesehen davon muss das System der Elementarphilosophie über zwei wichtige Dinge Auskunft bieten, die auf den ersten Blick nicht mit demselben Grad an Gewissheit ausgestattet zu sein scheinen, auf den der Satz des Bewusstseins jedoch zählt. Zuerst geht es um den eindeutigen Beweis, dass die Typen der Vorstellung, von denen die Analyse ausgeht (nämlich sinnliche Vorstellung, Begriff, Idee) und letztendlich alle Typen der Vorstellung unter den Begriff »Vorstellung« fallen. Weiter vorn werde ich eine negative Antwort auf diese Frage geben, die sich auf die schwerwiegenden und unlösbaren Aporien gründet, die das reinholdsche Projekt der systematischen Ableitung betreffen. 23 An zweiter Stelle sollte das System beweisen, dass der entsprechende Gegenstand – der von der Vorstellung unterschieden ist, aber (oder besser: und) auf den sich die Vorstellung bezieht – im Fall der Erkenntnis für objektiv gehalten wird und etwas mehr als bloß ein intentionaler Gegenstand ist, d. h. etwas mehr als das ist, wovon jede Vorstellung als solche eine Vorstellung ist, und nur das ideal sein kann und nicht zwangsläufig real sein muss. Im letzten Teil dieses Beitrages werde ich eine erste Annäherung an dieses der skeptischen Reflexion so wertvolle Thema wagen. Widmen wir uns nun dem Ersten, d. h. demjenigen, das die minimalen Bedingungen der sinnlichen Vorstellung (Raum und Zeit) und der Begriffe und Formen des Urteils betrifft. Wenn der Rekurs auf das Bewusstsein als selbstbeweisender Grund über die minimalen Bedingungen der Vorstellbarkeit (die im Satz des Bewusstseins ausgedrückt werden) voranrücken und mit gleicher Gewissheit außerdem zeigen will, dass die Vorstellung im Allgemeinen auf diese oder jene Art bestimmt sein muss (raum-zeitlich und entsprechend der Spezifizierung nach der kantischen Tafel der Kategorien, nicht mehr und nicht weniger), ist mit Hilfe des besagten Rekurses also zu be23

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Vgl. unten § 8.

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weisen, dass es sich unbedingt um genau diese bestimmte Wesensart der Vorstellung handeln muss, damit es ein Bewusstsein (und eine Vorstellung im Allgemeinen) geben kann. Im Fall der absolut minimalsten Bedingung der Vorstellungsmöglichkeit – wie es der Satz des Bewusstseins ausdrückt – bringt dieser Beweis kein größeres Problem mit sich, da durch ihn, wie oben bereits gesagt, ans Licht kommt, dass – damit die Vorstellung Vorstellung sei – ein Bewusstsein nötig ist, das die Vorstellung begleitet, ebenso wie ein Träger und das Vorgestellte. Dass jedoch außerdem das Begriffsschema unbedingt notwendig ist (welches von der Transzendentalphilosophie zum einzig Geltenden bestimmt wurde), lässt sich nicht so ohne weiteres über eine Reduktion der ursprünglichen Tatsache des Bewusstseins beweisen. Worin könnte nun diese Reduktion, diese Beweisführung bestehen? Etwas kann als offensichtlich betrachtet werden, wenn es im Bewusstsein klar und präsent ist. Für das hier verfolgte Ziel besteht die Reduktion der ursprünglichen Tatsache darin, dass man sich im Bewusstsein die Tatsache klar und präsent macht, dass bestimmte Bedingungen, die zu einem (dem) bestimmten Begriffsschema gehören, unerlässlich und einzig sind. Und zwar soll das so weit geschehen, dass ohne sie »das Bewusstsein überhaupt unmöglich wäre« (Beyträge I, S. 279). Einerseits ist der Rekurs auf den Beweis – auf das klar und präsent im Bewusstsein Liegende – viel zu vage und vor allem stark subjektiv, als dass er als unbestreitbares Kriterium zur Anerkennung der Unabdingbarkeit und Einzigartigkeit eines Begriffsschemas akzeptiert werden könnte. Andererseits kann man trotzdem zeigen, dass, bewusst zu sein, ein Akt ist, der unter so geringen Einschränkungen und Bedingungen erfolgt, dass nicht einzusehen ist, warum das von der Transzendentalphilosophie vorgeschlagene Raum-, Zeit- und Kategorienschema immer notwendig sein müsste, damit überhaupt eine bewusste Handlung stattfinden kann. Man denke z. B. daran, dass man im Traum Vorstellungen hat, die auch vom Bewusstsein begleitet sein können, ohne dass sie durch das – von der Transzendentalphilosophie für unerlässlich und einzig gehaltene – Organisationsschema der Erfahrung eingeschränkt werden würden. 24 Mit Hinblick auf die Erfahrung des Traumes, der Halluzination oder die illusorische Erfahrung im Allgemeinen hat C. I. Lewis festgehalten, dass das kantische Baugerüst der Kategorien als Kriterium unzureichend ist, um (a priori) das, was sein kann von

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Gewiss ist, dass Reinhold den Beweis der Einzigartigkeit und Unabdingbarkeit des von der Transzendentalphilosophie vorgeschlagenen (oder entdeckten) Schemas der Bedingungen der Möglichkeit im Zusammenhang mit der Erkenntnistheorie und nicht einfach im Zusammenhang mit der Bewusstseinstheorie anlegt, d. h. er tut dies im Zusammenhang mit der Bewusstseins- und der Vorstellungstheorie, indem Bewusstsein und Vorstellung durch die Erkenntnis der Gegenstände begrenzt sind. Trotzdem kann man in den Momenten dieser Theorie, in denen die Unabdingbarkeit des Raum-Zeit-Schemas für die sinnliche Vorstellung dargestellt wird, 25 noch keinerlei Anstieg der Beweiskraft der Transzendentalphilosophie verzeichnen. Die Darstellung Reinholds bleibt weiterhin auf die – von ihm selbst nicht in Frage gestellte – Allgemeingültigkeit der Formen a priori von Raum und Zeit als Bedingungen der Anschauung der Gegenstände gegründet. Die Allgemeingeltung, die er der Theorie verleihen will, ist durch die analytische Darstellungsform gegeben, obwohl die Beweisstruktur die gleiche bleibt. Genauso kann die Allgemeingeltung nichts weiter ausrichten, als sich von der (von Kant entnommenen) Allgemeingültigkeit zurückzukoppeln. Der Kern des kantischen Beweises gründet sich wiederum darauf, dass aus der logischen Priorität des Raumes und der Zeit in Bezug auf die Gegenstände (Raum und Zeit können ohne Gegenstände gedacht werden, aber die Gegenstände nicht ohne Raum und Zeit) der a priori Charakter von ihnen als Formen der Rezeptivität eo ipso folgt. 26 Und wenn man die Apriorität einer Sache zeigt, zeigt man damit zugleich zwei weitere Dinge: ihre Allgemeinheit und ihren subjektiven (transzendentalen oder, um in Reinholds Ton zu sprechen, formalen) Charakter. Etwas Ähnliches gilt für die Tafel der Kategorien. Die detaillierdemjenigen zu differenzieren, das nicht der Erfahrung zugänglich ist, weil die erwähnten Erfahrungen stattfinden, ohne dass sie sich auf ein solches Baugerüst der Kategorien beziehen. Dies setzt gewiss voraus, dass nicht jede Erfahrung Erfahrung der physischen Realität ist. Wenn die Erfahrung im Allgemeinen mit der physischen Phänomenrealität zusammentrifft (die sehr wohl durch das Kategoriensystem begrenzt wird), müsste man sich fragen, wie Lewis dies provokativ tut, ob Kant denn einmal Träume haben konnte (vgl. Lewis: 1956, S. 221). »A priori principles of categorical interpretation are required to limit reality; they are not required to limit experience. The contingency of illusion, dream or even of insanity may be real possibilities of future experience; that has nothing to do with the validity of the categories« (ebd., S. 222). Zu einer Kritik dieser Interpretation siehe L. W. Beck (1975), S. 26–43. 25 Siehe Versuch, S. 389 ff.; 402 ff. 26 Siehe KrV, S. A 23f = B 38 f.; A 30f = B 46 f.

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te Betrachtung der Form, in der Reinhold die Deduktion der Kategorien darlegt, wird nicht Zweck dieser Abhandlung sein. Vielmehr ist von Interesse, die Kernpunkte seines Vorschlages vorzustellen, und zwar um zu zeigen, ob und in welchem Maße dieser Vorschlag die Transzendentalphilosophie mit Beweiskraft ausstattet, was schließlich im Rekurs auf das Bewusstsein versprochen worden war. 27 Der Kern des reinholdschen Vorschlages ist der folgende: Er geht von der Grundlage aus, dass im Bewusstsein mit Hilfe der Begriffe die »objektive Einheit« des in der Anschauung mannigfaltig Vorgestellten erfolgt: »Die objektive Einheit ist die Form des Gegenstandes überhaupt, in wieferne er denkbar ist« (Versuch, S. 431). Diese Einheit wird durch den Verstand auf eine bestimmte Art und Weise hervorgebracht, d. h. sie entsteht nicht willkürlich, sondern mittels bestimmter Strukturen des Denkens über einen Gegenstand im Allgemeinen. Reinhold bezeichnet diese bestimmten Strukturen, die in diesem Fall als Minimalstrukturen der objektiven Einheit über das Denken wirken, »bestimmte Modifikationen der objektiven Einheit«. Selbstverständlich hat er an dieser Stelle die Kategorien vor Augen, die eben als »diese bestimmten Formen der denkbaren Gegenstände« (ebd., S. 441 ff.) verstanden werden. Wenn einmal die Tatsache erkannt ist, dass die bestimmten Formen oder Strukturen des Denkens für die objektive Einheit notwendig sind, kommt nun die Frage auf, welche die bestimmten Formen sind und weshalb sie genau so sein müssen und nicht anders sein können? Das heißt, es ergibt sich die Frage nach der demonstrativen Kraft, mit der man das bestimmte Begriffsschema rechtfertigt, das unabdingbar ist, um einer objektiven Einheit die Mannigfaltigkeit des in der Anschauung Vorgestellten zu geben. Dieses bestimmte Schema ist weder willkürlich noch kontingent, sondern es muss sich unbedingt um dieses eine handeln und kein anderes. Das ist bekanntlich das Problem, welches die kantische Transzendentalphilosophie angeblich mit Hilfe des so genannten »Leitfadens der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe« (KrV, S. A67–76 = B92–101) lösen soll. Die »Theorie des Verstandes« findet sich in aller Ausführlichkeit in Versuch, S. 422– 497 (§§ LXVII–LXXVI). § LXXII ist der Ableitung der Kategorien gewidmet, wobei die »logische Form der Urteile« zum Ausgangspunkt genommen wird (vgl. ebd., S. 440 ff., vor allem S. 449). Eine zusammengefasste Darstellung dieser Thematik kann man in König (1980), bes. Kap. 13 u. 14 sehen; siehe auch Pupi (1966), S. 199 ff.

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Kant gelangt zu der bestimmten Anzahl an Kategorien, die er in seiner bekannten Tafel vorstellt, indem er der bestimmten Struktur dessen folgt, das er die »logische Funktion des Verstandes in Urtheilen« (ebd., S. A70 = B95) nennt. Allerdings akzeptiert Kant diese Struktur als bestimmt, einzig und vollständig, wobei er sich auf die einfache Tatsache stützt, dass die besagte Struktur auf die gleiche Art und Weise festgelegt wurde, wie er sie annimmt, d. h. durch die Logik. Für Kant ist die Logik eine Disziplin, die – von wenigen kleineren Modifikationen bezüglich der Darstellungsform abgesehen – seit der Antike unerschütterlich den »sicheren Gang der Wissenschaft« geht. Das »läßt sich daraus ersehen, daß sie seit dem Aristoteles keinen Schritt rückwärts hat tun dürfen« (ebd., S. B VIII). Aber gleichzeitig ist der Logik eigen, »daß sie auch bis jetzt keinen Schritt vorwärts hat tun können, und also allem Ansehen nach geschlossen und vollendet zu sein scheint« (ebd.). 28 Reinhold ist einer der ersten Ausleger und Kritiker der kantischen theoretischen Philosophie, der in dieser Aussage Kants ein Problem erkennt, das die Systematik der Transzendentalphilosophie betrifft. Dieses Problem, das daraufhin in der Auslegungsgeschichte der kantischen Philosophie Anlass zu heftigen Debatten geboten hat, 29 kann als eine Art Inkonsistenz in Hinsicht auf das Thema der so genannten metaphysischen Deduktion (KrV, S. B 159) der Kategorien erkannt werden. Diese Inkonsistenz kommt in drei Aussagen Kants, die sich in der Version der transzendentalen Deduktion der 2. Auflage der KrV finden, zum Ausdruck. Mit der ersten Aussage hält Kant fest, »daß die synthetische Einheit der Apperception der höchste Punkt ist, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendentalphilosophie heften muß, ja dieses Vermögen ist der Verstand selbst« (S. B134, Kursive von mir hinzugefügt). Diese Aussage und mehr noch die Definition des Urteils, so wie Kant diese in § 19 derselben Ausgabe vorschlägt: »Ein Urtheil [sei] nichts anderes, als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit (Kursive zusätzlich eingefügt.) Zu einer Interpretation dieser Aussage in Bezug auf das Problem der »Vollständigkeit der Tafel der Urteile« siehe Brandt (1991), S. 40, Anm. 19. 29 Diese Debatte wurde erst kürzlich wieder angeregt durch die Kritik vonseiten R. Brandts (1991) in Bezug auf den Vorschlag von K. Reich (1932–1948), den man lange als die Lösung zum Problem der »Vollständigkeit der kantischen Tafel der Urteile« betrachtete. 28

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der Apperception zu bringen« (S. B141), führen dazu, an eine systematische Abhängigkeit der Funktionen des Urteils in Bezug auf die Einheit der Apperzeption zu denken, und zwar in der Art und Weise, dass diese sich als das Grundprinzip verstehen könnte, von dem ausgehend die bestimmte Tabelle der Urteile abgeleitet wird. Das heißt, mit der Apperzeption hätten wir, um es so auszudrücken, den »Leitfaden zur Entdeckung des Leitfadens.« 30 Reinholds Optimismus wird in Bezug auf die Tatsache, dass sich die bestimmten Formen des Denkens über einen Gegenstand (die Kategorien) von den Formen des Urteilens ableiten lassen und diese wiederum von der objektiven Einheit des Selbstbewusstseins, nicht wenig durch diesen Begriff der Apperzeption als »höchsten Punkt« des systematischen Gerüstes angeregt, mit dessen Hilfe man versucht, die Möglichkeit der Erkenntnis von den Gegenständen zu erklären. Nur eine Ableitung der Verstandesoperationen, mit deren Hilfe die objektive Einheit anhand der Urteile und der zugehörigen Begriffe bestimmt wird, könnte eine Gewähr dafür geben, dass die bestimmten Strukturen, über die man eben jene objektive Einheit (»die Modifikationen der objektiven Einheit«) aufstellt, nicht ohne Überprüfung und absoluten Beweis vorausgesetzt worden sind. Diese Gewähr befreit nun das System von dem Vorwurf, sich auf ein willkürliches und kontingentes Prinzip zu stützen. Der (cartesianische) Rekurs auf das Bewusstsein soll schließlich verhindern, dass der Boden, über dem das die Möglichkeit der Erkennbarkeit erklärende philosophische System ruht, in willkürlicher und kontingenter Weise aufgenommen wird. Jedoch kann man den beiden sich jeweils ergänzenden hier zitierten Aussagen Kants diese dritte gegenüberstellen, in der der Autor der KrV den Mangel an einem – den bestimmten Charakter unseres objektiven Begriffsschemas – erklärenden Grund zu erkennen scheint: Von der Eigentümlichkeit unseres Verstandes aber, nur vermittelst der Kategorien und nur gerade durch diese Art und Zahl derselben Einheit der Apperzeption a priori zustande zu bringen, lässt sich ebenso wenig ferner ein Grund angeben, als warum wir gerade diese und keine anderen Funktionen zu urteilen haben, oder warum Zeit und Raum die einzigen Formen unserer möglichen Anschauung sind. (KrV, S. B145 f.) Siehe König (1980). Das ist bekanntlich der Schlüssel des Vorschlages von Reich (vgl. Reich: 1932–48, S. 44).

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Diese Art von Kapitulation der philosophischen Forschung bezüglich der Prinzipien der Erkennbarkeit wird gewöhnlich als eine Anerkennung des kontingenten, willkürlichen und umstandsbedingten Charakters unseres Begriffsschemas verstanden. Deshalb sollte es nicht verwundern, dass sich der fundamentalistische Transzendentalphilosoph gegen diese Erklärung stellt, die sich gegenüber den Grenzen der philosophischen Forschung ein bescheidenes (wenn auch raffiniertes) Gesicht gibt. Jeder Versuch, die Tafel der Urteile – mit dem Vorsatz, ihre Vollständigkeit und Unerlässlichkeit zu beweisen – aus der objektiven Einheit der Apperzeption abzuleiten, ist dazu verdammt, in einen Teufelskreis zu verfallen, zumindest insofern, als der kantische Text und die Intentionen des Autors beibehalten werden. Man kann diesen Teufelskreis kurz wie folgt beschreiben: Die Ableitung der Tafel der Urteile über die objektive Einheit schließt ein, dass jedes Urteil für sich als objektiv gültig verstanden wird. Das bedeutet, in Übereinstimmung mit dieser Annahme werden rein subjektiv gültige Urteile ausgeschlossen. Der Ausschluss dieser Urteile begründet sich damit, dass sie epistemologisch als mangelhaft gelten, und dieser mangelhafte Charakter kann erst erkannt werden, wenn sie in die Kategorien aufgenommen worden sind. Allerdings hängen die Kategorien von der Tafel der Urteile ab. 31 Die Elementarphilosophie scheint sich jedoch in diesem Punkt vom kantischen Text zu lösen, zumindest insofern es sich um die systematische Planung und Konstruktion handelt. Reinholds Devise ist es, dem »Geist« der kritischen Philosophie zu folgen, was bedeutet, das genaue Wort aufzugeben. 32 Da bleibt nur zu fragen, ob diese Siehe dazu Brandt (1991), S. 17: »Mit diesem Problem und mit diesem Zirkel ist jeder Versuch behaftet, die objektive Einheit der Apperzeption als Ausgangspunkt der Systematik der Urteilstafel zu wählen. Ich meine, hiermit ist das notwendige Scheitern derartiger Versuche in der kantischen Theorie selbst aufgewiesen.« Vgl. außerdem ebd., S. 20; 26. Des weiteren ist einer der Gründe, die Kant zugunsten der »Unerforschbarkeit« der Gründe aufstellt, warum wir über diese und nicht über andere Formen des Urteilens verfügen oder über diese und nicht über andere Formen der Sinnlichkeit, die Unvermeidbarkeit, in einen Teufelskreis zu verfallen. Siehe z. B. KrV, S. A 245; Prolegomena § 36 (AA IV, S. 318); Brief an Herz vom 26. Mai 1789 (AA XI, S. 51). Vgl. Krüger (1968), S. 337; 341 ff. 32 Günther Baum hat auf die Verwandtschaft zwischen Reichs Versuch, die Formen des Urteils oder die elementaren Funktionen des Denkens aus der objektiven Einheit der transzendentalen Apperzeption abzuleiten, und dem Versuch Reinholds aufmerksam gemacht. Für Baum kann Reichs Projekt »insofern auch für ein besseres Verständnis 31

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»neue« Konstruktion denn in der Lage ist, dem erwähnten Teufelskreis zu entfliehen. Für Reinhold bildet die Tafel der Urteile – obwohl die Anzahl der Kategorien mit der der Urteilsformen übereinstimmen soll – weder eine Richtschnur noch einen Leitfaden zur Aufstellung der Kategorien. Stattdessen drückt sie aus, dass die Kategorien aus den verschiedenen Modifikationen des Urteilens hervorgehen, die wiederum selbst Modifikationen der objektiven Einheit sind. Die Tafel der Urteile und die Tafel der Kategorien werden sozusagen gleichzeitig von der objektiven Einheit abgeleitet und besitzen als einzigen Indikator das Bewusstsein, das – wie aus der Analyse des Vorstellungsbegriffes resultiert – als bewusster Akt eines Subjektes gilt, der sich auf einen intentionalen Gegenstand bezieht. In der objektiven Einheit liegt der Schlüssel, ja die Grundlage, zur gleichzeitigen Ableitung der Tafel der Urteile und der der Kategorien, da das Urteilen als eine Handlung aufgefasst wird, durch welche »das von der Anschauung Verschiedene« in »einer objektiven Einheit« vereint wird (Versuch, S. 435). 33 Allerdings sind die unterschiedlichen logischen Formen der Urteile nichts weiter als die »durch die Natur des Verstandes bestimmten Modifikationen der allgemeinsten Form des Urteilens, oder des Zusammenfassens in die objektive Einheit« (ebd., S. 441). Wie die allgemeinste Form des Urteilens in den bestimmten logischen Formen des Urteils differenziert oder modifiziert auftritt, so erscheint die allgemeinste Form der Gevon Reinholds Elementarphilosophie fruchtbar gemacht werden, als Reinhold sich ebenfalls um eine derartige Ableitung bemühte« (Baum: 1974, S. 91, Anm. 13). 33 Diese Charakterisierung gilt für die synthetischen Urteile wie für die analytischen. Der Unterschied zwischen den einen und den anderen liegt darin, dass die synthetischen Urteile Ergebnis einer zusammenfassenden Handlung des Verstandes sind, in der die objektive Einheit (der die Vielfalt der Anschauung gegeben wurde), eben über die Anschauung hervorgebracht wird, während die analytischen Urteile Ergebnis einer zusammenfassenden Handlung des Verstandes sind, in der sich die soeben hervorgebrachte objektive Einheit mit der Anschauung durch diesen selben Akt des Zusammenfassens verbindet (vgl. Versuch, S. 438 ff.). Mit Hilfe des synthetischen Urteils wird die objektive Einheit der Vielfalt der Anschauung erzeugt. Mit Hilfe des analytischen Urteils (das die produktive Synthese voraussetzt) verbindet sich die erzeugte Einheit von neuem mit der Anschauung. »In dem ersten Falle wird das Merkmal des Gegenstandes erst aus der Anschauung erzeugt, das Prädikat vom Subjekte durch die Erzeugung aus demselben abgesondert, durch das Zusammenfallen des vorgestellten Mannigfaltigen eine von der Anschauung verschiedene Vorstellung des bestimmten Gegenstandes hervorgebracht; im zweiten Falle wird das von der Anschauung unterschiedene Merkmal mit der Anschauung wieder verbunden« (ebd., S. 438). A

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genstände bestimmt durch die spezifizierten, »durch die Natur des Verstandes bestimmten Formen Gegenstände zu denken« (Versuch, S. 442). Bei diesen bestimmten Formen handelt es sich selbstverständlich um die Kategorien. Die Ableitung erfolgt mit Hilfe einer dichotomischen Analyse des Urteils. Das Urteil besitzt einen logischen Stoff und eine logische Form. Der logische Stoff besteht zum ersten aus Subjekt und zum zweiten aus Prädikat. Das Subjekt verhält sich bezüglich der objektiven Einheit des Prädikates entweder als Einheit oder als Vielheit oder als Einheit und Vielheit zugleich. Im Fall der Einheit finden wir gebunden an die objektive Einheit ein Subjekt; im Fall der Mannigfaltigkeit mehrere Subjekte und im dritten Fall alle Subjekte. 34 Auf diese Weise erreicht Reinhold die Quantität der Urteile. Das Prädikat verhält sich wiederum bezüglich der objektiven Einheit des Subjekts (welches seinerseits das Objekt ist, über das man spricht) im Urteil entweder als Einheit oder als Vielheit oder als Einheit und Vielheit zugleich. Im Fall der Einheit wird das Prädikat in die objektive Einheit des Subjekts aufgenommen; im Fall der Vielheit wird das Prädikat von jener objektiven Einheit ausgeschlossen und im dritten Fall »wird eben dadurch, dass das Prädikat in die objektive Einheit des Subjekts aufgenommen wird, etwas vom Subjekte ausgeschlossen« (ebd., S. 444). Mit anderen Worten: »durch das Prädikat wird etwas im Subjekte gesetzt, oder etwas vom Subjekte genommen, oder zugleich etwas gesetzt und genommen, und das Urteil ist entweder Bejahend, oder Verneinend, oder unendlich (Indefinitum)« (ebd., S. 444 f.). Auf diese Weise wird die Qualität der Urteile erreicht. Die logische Form des Urteils ist genau gesagt die Verbindung von Subjekt und Prädikat in der objektiven Einheit. Diese Verbindung wird zuerst in Bezug auf das Zusammenzufassende bestimmt und dann in Bezug auf das Zusammenfassende. Hinsichtlich des Ersten verhalten sich das in der objektiven Einheit verknüpfte Subjekt und das Prädikat entweder als Einheit oder als Vielheit oder als Einheit und Vielheit zugleich. Im ersten Fall machen Subjekt und Prädikat »zusammen nur ein Einziges Objekt aus, das Prädikat ist mit dem Subjekte innerlich verknüpft als Merkmal mit dem Gegenstande, und das Urteil ist Categorisch« (ebd., S. 445). In dem Fall, in dem sich Subjekt und Prädikat »zusammengefasst zur objektiven Einheit wie Vielheit« verhalten, »so machen sie zusammen zwei verknüpfte Ob34

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jekte aus, das Prädikat ist mit dem Subjekte äußerlich verknüpft, als Folge mit dem Grunde, uns das Urteil ist Hypothetisch« (ebd.). Im dritten Fall (in dem das verknüpfte Subjekt und Prädikat sich »zusammengefasst zur objektiven Einheit wie Vielheit und Einheit zugleich« verhalten) »so machen sie zusammengenommen Ein aus mehreren Objekten bestehendes Objekt, eine Gemeinschaft aus« (ebd., S. 446). In diesem dritten Fall sind Subjekt und Prädikat genauso intern wie extern miteinander verbunden und das Urteil ist disjunktiv. So erhält Reinhold die Formen der Relation (von Subjekt und Prädikat) in den Urteilen. Nun bleibt nur noch die Erlangung der Modalität des Urteils aus. Reinhold bestimmt diese auf eine andere Weise als die Verbindung von Subjekt und Prädikat im Urteil, d. h. er erhält sie aus der Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem Zusammenfassenden und dem Vorgang des Zusammenfassens in der objektiven Einheit. Das Zusammenfassende oder der Zusammenfassende ist das vorstellende Ich, das Subjekt des Verstandes. Dieses Subjekt kann nur durch das Bewusstsein über die zusammenfassende Handlung vorgestellt werden. Also besteht die Relation dieses Subjekts mit dem Vorgang des Zusammenfassens in der Relation zwischen dem Bewusstsein und diesem Vorgang: »Das Bewusstsein verhält sich nun zum Zusammenfassen entweder wie Einheit oder wie Vielheit oder wie Einheit und Vielheit zugleich« (ebd., S. 446). Im ersten Fall sind das Bewusstsein und der Vorgang des Zusammenfassens »innerlich« miteinander verbunden; »das Zusammenfassens … geht im Bewusstsein selbst vor; es wird wirklich zusammengefasst, und das Urteil ist assertorisch« (ebd.). Im zweiten Fall sind das Bewusstsein und der Akt des Zusammenfassens »äußerlich« miteinander verbunden; das Zusammenfassen »geht nicht selbst im Bewusstsein vor, sondern wird als etwas vom Bewusstsein verschiedenes vorgestellt, kommt im Bewusstsein nicht als Handlung, sondern als Handlungsweise, nicht als wirkliche, sondern als bloß mögliche Handlung vor; und das Urteil ist problematisch« (ebd., S. 447). Schließlich ist – wie wohl derjenige erwartet, der die kantische Tafel der Urteile kennt und sich mit dem Spiel der dichotomischen Ableitung Reinholds vertraut gemacht hat – »im dritten Fall … das Zusammenfassen mit dem Bewusstsein innerlich und äußerlich verknüpft, die bloße Vorstellung des Zusammenfassens ist vom wirklichen Zusammenfassen unzertrennlich, das im Bewusstsein vorgestellte Zusammenfassen, wird eben darum auch im Bewusstsein vorgenommen; die wirkliche A

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Handlung des Zusammenfassens wird im Bewusstsein durch ihre Möglichkeit bestimmt, und das Urteil ist apodiktisch« (ebd.). Reinhold braucht keinen Leitfaden in strengem Sinne, er ergreift auch keinen, um die Tafel der Kategorien abzuleiten. Vielmehr sollen sich – wie ebenfalls schon gesagt wurde – die Formen des Urteils und die entsprechende Zahl der Kategorien (oder Formen des Denkens von einem Gegenstand) aus jener dichotomischen Analyse des Urteils ergeben, die vom Begriff der objektiven Einheit gelenkt wird. 35 Was jedoch nicht sofort ersichtlich ist, ist, dass er den Leitfaden der logischen Form der Urteile (wie er von der logischen Wissenschaft vorgefasst worden ist) braucht. Das soll aber trotzdem nicht heißen, dass seine Analyse vor dem Problem flieht, vor dem sich Kant wiederfand, weil er diese Ergebnisse der Logik vorausgesetzt hatte, d. h. das Problem in Bezug auf die Unergründbarkeit der Gründe, warum wir ausgerechnet über diese und keine andere Form des (objektiven) Urteilens verfügen. Und genau das ist bedenklich, da sich für den fundamentalistischen Philosophen die Unergründbarkeit mit der Willkür vermischt. Das heißt, er setzt die Unkenntnis der Gründe mit dem Mangel an Gründen gleich. Dass das Ergebnis der »Deduktion« Reinholds exakt mit dem von Kant übereinstimmt, 36 erklärt sich nicht allein dadurch, dass er das kantische Ergebnis vorausgesetzt hat und es offenbar erst anschließend zu einem entsprechend systematischen Beweis bringen kann. Dieser Beweis als ein auf ein Prinzip gegründeter und von Voraussetzungen freier Beweis muss sicherlich ähnliche Fragen wie die folgenden mit sich ziehen: Welche Gründe besagen, dass Quantität und Qualität den Stoff bilden und im Gegensatz dazu Relation und Modalität die Form? Womit wird die Existenz des dritten Gliedes erklärt, oder die Klassifizierung der Kategorien in mathematische und dynamische? In der Mehrheit der Fälle handelt es sich um die»Wie sich die allgemeine Form des Urteilens zu der allgemeinen Form der Begriffe, oder der Form Gegenstände zu denken verhält: so verhalten sich die besondern Formen des Urteilens zu den besonderen Formen der Begriffe, oder den Formen Gegenstände zu denken, den Kategorien« (Versuch, S. 449). 36 Einige wenige Variationen ausgenommen, die in Wirklichkeit nur die Form betreffen. So nennt er den dritten Titel der Urteile der Qualität nicht »unendliche Urteile« wie Kant, sondern »unbestimmte Urteile«. Auch bezieht er die Kategorie der Einheit auf die singulären Urteile und nicht auf die allgemeinen. Und schließlich nennt er die dritte Kategorie der Relation nicht »Wechselwirkung«, sondern »Konkurrenz« (vgl. Versuch, S. 449). 35

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selben von Kant gegebenen Gründe, oder wenn »neue« auftreten scheinen diese vielmehr Ergebnis einer logischen Übung zu sein, die sich auf die Dichotomie und die Notwendigkeit der Einheit des dichotomisch Analysierten stützt. Das ist z. B. der Fall der dritten Kategorie. Nun kommt noch die Schwierigkeit hinzu, dass sich in keinem der Fälle eine befriedigende Erklärung der Beziehung bestätigt, die zwischen der Dichotomie Einheit, Vielheit (und anschließend Synthese aus Einheit und Vielheit) und allen bestimmten Formen des Urteilens (mit den jeweiligen Kategorien) besteht, die sich vorgenommen haben, von einem Prinzip aus zu deduzieren. In dem gesamten Ableitungsmanöver kann man eine gewaltige tour de force nicht übersehen. Das Einzige, was Reinhold in diesem Punkt hilfreich zu sein scheint, ist, die Notwendigkeit des Rekurses auf das Bewusstsein zu erkennen, um der Erklärung der Gründe, warum man über diese bestimmte und nicht über andere Formen des Urteilens, über diese bestimmte und nicht über andere Formen des Denkens von einem Gegenstand überhaupt verfügt, Gewissheit zu verleihen. Dass dieser Rekurs notwendig für die besagte Erklärung sei, bedeutet jedoch nicht, dass er schon ausreichend ist. Diese dichotomische Logikübung besitzt – wie für gewöhnlich auch anerkannt wird – die historische Bedeutung, der Ursprung des deutschen spekulativen Idealismus zu sein. Für unsere Zwecke ist vor allem notwendig zu erkennen, dass in der Form, wie Reinhold sie darstellt, der transzendentalen Argumentation nichts Wesentliches hinzugefügt wird. Solange man die Spannung zwischen dem Gegebenen (in diesem Fall die Ergebnisse der kantischen Transzendentalphilosophie) und der Reflexion über diese Ergebnisse (die Elementarphilosophie) nicht auflösen kann, kann man in keiner Weise sicherstellen, dass dieser letzte Versuch, das Vorausgesetzte oder das als vorausgesetzt Angenommene zu beweisen, nicht selbst zum Beweisvorgang beitrüge oder mit diesem selben nichts zu schaffen hätte. Noch weniger kann man bestätigen, dass der Fortschritt Reinholds gegenüber Kant in der fundamentalen Frage der Elementarphilosophie besteht, nämlich: Wie kann dasjenige als allgemein geltend bestätigt werden, das Kant bzw. die Transzendentalphilosophie als allgemein gültig angenommen hat? Man kann nicht ohne weiteres behaupten, dass sich diese fundamentalen Frage »nicht mehr auf die Rekonstruktion und die Deduktion der für die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori erforderlichen Bedingungen, sondern auf die A

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direkte Erkenntnis der Seinsstrukturen synthetischer Erkenntnis a priori [richtet]« (Teichner: 1976, S. 441). Denn dieser Reflexionsprozess bringt schließlich nichts Neues. Deshalb wäre anzunehmen, dass die reflexive Begründung der Transzendentalphilosophie – wie sie Reinhold durchführt – mit Kant »nur wenig gemein« hätte (ebd., S. 444), als würde man annehmen, dass ein Systematisierungsversuch unserer Sprache nach Regeln und Prinzipien nur wenig mit der Sprache zu tun hätte, die auf diese Weise systematisiert ist. In engem Zusammenhang damit muss hier hinzugefügt werden, dass weder die Notwendigkeit noch die Vollständigkeit der verschiedenen Formen des Urteilens und der verschiedenen Bestimmungen der objektiven Einheit (also der so genannten Kategorien) durch die Tatsache bewiesen werden, dass ihre »Deduktion« im Inneren einer Bewusstseinstheorie stattfindet, die gleichzeitig eine Theorie der objektiven Konstitution ist. 37 Schließlich sagt eine so wesentliche und generelle Tatsache, wie die in der Analyse der Vorstellung beschriebene – nämlich die, dass in der Vorstellung die Differenzierung und der gegenseitige Bezug eines verknüpfenden Vorganges vonseiten eines Subjektes und eines intentionalen Gegenstandes (im Bewusstsein) eingeschlossen sind – nichts darüber, dass es sich unbedingt um diese und nicht andere Formen des Urteilens handeln müsste oder um diese und nicht andere Formen, in denen der intentionale Gegenstand gedacht wird, es sei denn, man hätte vorher beschlossen, die besagten Formen vom geerbten Logiksystem herzuleiten. Man kann davon ausgehen, dass jenes geerbte Logiksystem wiederum das Ergebnis einer Analyse des logischen Verstandesgebrauches ist und zwar insofern, dass jenes System die Gesamtheit der Regeln ausdrücklich enthält, die in diesem Gebrauch – vor der Analyse – implizit stecken. Deshalb wird weder daran geglaubt, dass das dargestellte System der Regeln eine Erfindung sei, noch dass es gar nichts mit dem Ausgelegten zu tun hätte. Die reflexive Analyse steht in einer Spannungs- bzw. Rückkopplungsbeziehung zum Analysierten, so dass es nicht möglich ist, von ihr Aufschluss über die Seinsgründe der analysierten Tatsache zu verlangen, da gerade das die Grenzen der analytisch-reflexiven Untersuchung überschreiten würde. 38 Zu dieser Interpretation siehe Teichner (1976), und besonders König (1980), Kap. 14. Nachdem König die Art und Weise vorgestellt hat, wie Reinhold die Tafel der Kategorien und der Urteile ableitet, indem er dem »Indikator« der objektiven Einheit folgt, hält er fest, dass es »müßig« ist, sich in diesem Zusammenhang zu fragen, ob die zwölf

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Reinhold scheint nicht auf das methodische Instrumentarium zu zählen, das ihm erlauben würde, der eigenen Spannung eines philosophischen Systems wie des seinigen zu entfliehen, nämlich die Begründung der Notwendigkeit eines bestimmten Begriffsschemas nach der reflexiven Analyse der Vorstellung, da diese Analyse bereits die strukturierte Form der (objektiven) Vorstellung voraussetzt, die das zur Frage stehende Begriffsschema zur Grundlage macht. Wie bekannt ist, beschäftigte sich die postkantische spekulative Philosophie ausgiebig mit der Gestaltung jenes methodischen Instrumentariums. Das ist mit Sicherheit einer der Gründe, die die Übereinstimmung Reinholds mit Fichte Mitte der 90er Jahre erklären. 39

§ 8. Aporien der systematischen Ableitung Bis hierher habe ich Reinholds theoretische Philosophie als ein Vorhaben analysiert, das die kantische Transzendentalphilosophie mit Hilfe des Rekurses auf einen letzten Grund (das Prinzip des Bewusstseins) mit einem echten Beweispotenzial ausstatten soll. In engem Zusammenhang mit der beweisenden Intention dieses fundamentalistischen philosophischen Projekts sollte man genau das betrachten, das einem Programm der Ableitung im Stil eines auf selbstbeweisende Prinzipien gegründeten axiomatischen Systems gleichkommt. Beide Dinge bilden die Seiten derselben Medaille. Was nach der vorhergehenden Darstellung in Bezug auf die erste Betrachtungsweise des Programms der Elementarphilosophie (also bezüglich der beweisenden) gültig ist, soll dieselbe Gültigkeit hinsichtlich der zweiten (der ableitenden) besitzen. Das heißt, wenn der Rekurs auf das Bewusstsein als Ergebnis der Analyse der Vorstellung in seiner Allgemeinheit nicht ausreichend ist, um die Notwendigkeit des bestimmten Begriffsschemas zu beweisen, über welches wir – von Kant aufgestellten Funktionen des Urteils einfach so akzeptiert werden können (vgl. König: 1980, S. 137). Was König dabei »müßig« findet, ist genau das, was uns interessiert. Vor allem wenn man einerseits meint, wie er es tut, dass die Elementarphilosophie begründet, was Kant nur darlegt, aber dann andererseits sofort behauptet, dass die besagte Begründung nicht über dasjenige hinausgeht, das in der kantischen Programmatik vorgestellt worden ist (vgl. ebd., S. 136 f.). Hier macht sich das Münchhausen-Verhalten bemerkbar. 39 Zu dieser Phase in der Entwicklung der Philosophie Reinholds siehe Bondeli (1995), Kap. 2. A

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gemäß den Annahmen der Transzendentalphilosophie – verfügen, dann steht ebenso fest, dass man das bestimmte Begriffsschema vom Satz des Bewusstseins (als höchstes Prinzip der Philosophie, der Vorstellbarkeit und der Erkennbarkeit) nicht ableiten kann. An welchen Typ der systematischen Ableitung denkt jedoch Reinhold? Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten, wie vielleicht auf den ersten Blick angenommen wird. Die Kritik an der kantischen Vorgehensweise, nach der die Voraussetzung der Erfahrung (die als Verbindung der Wahrnehmungen nach allgemeinen Gesetzen verstanden wird) dem Beweis der Erkenntnismöglichkeit als ein Grundsatz zu Hilfe kommt, kann man so interpretieren, dass sich Reinhold der Schwäche der analytischen Beweisführung bewusst sei und sich also selbst als Befürworter der synthetischen Vorgehensweise zu erkennen gäbe. Auch die Analogie zur Newtonschen Physik, der er sich häufig bedient, um die wahre Funktion der Philosophie als »strenge Wissenschaft« zu erklären, könnte eine Auslegung in dieser Richtung unterstützen, da das Entscheidende der besagten Analogie gerade in ihrer methodischen Anspielung liegt. 40 Für Reinhold konnte die Newtonsche Physik – obwohl sie wahr und allgemein gültig ist – nicht von der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft allgemein anerkannt werden, bevor sie nicht in vollem Beweis dargestellt worden wäre. Mit Hilfe dieser Erklärung wird die Allgemeingültigkeit seiner Prinzipien durch eine feste Allgemeingeltung ergänzt. Nach Reinholds Auffassung kann eine wissenschaftliche Disziplin erst dann als vollständig bewiesen und frei von Missverständnissen und Verwechslungen betrachtet werden, wenn sie nicht nur über allgemein gültige Prinzipien verfügt, sondern auch die Allgemeingeltung erreicht hat. Newtons Physik erreichte die Allgemeingeltung dank ihrer »mathematischen Evidenz« (Versuch, S. 20). So kann man aufgrund dieser Analogie annehmen, dass Reinhold, wenn er sich auf die Ausstattung des Systems mit Allgemeingeltung richtet, die synthetische Beweismethode verfolgt. Die Eigenschaften jener Methode sind, progressiv und konstruktiv zu sein (im Unterschied zum analytischen Vorgehen, das regressiv ist). Eine solche Interpretation könnte dazu verleiten, dass man, so wie das synthetisch-progressive Vorgehen mit der Erlangung der Allgemeingeltung assoziiert wird, das analytische Vorgehen in Beziehung zur Erlangung der Allgemeingültigkeit setzt. Reinhold be40

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Vgl. Versuch, S. 18 ff.; 72.

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zweifelt die Allgemeingültigkeit der Prinzipien der Transzendentalphilosophie nicht, deren Allgemeingeltung die Elementarphilosophie anstrebt. Kant ist diesen wahren Prinzipien mit Gewissheit begegnet, und genau das wird von Reinhold problemlos angenommen. Der Vorsatz der Philosophie Reinholds ist jedoch noch ehrgeiziger. Das kann man zumindest aus solch programmatischen Erklärungen wie der folgenden vermuten: [D]er Verfasser musste sich der Allgemeingültigkeit seiner Theorie dadurch zu versichern suchen, dass er durchaus nichts als allgemeingültig voraussetzte, was nicht wirklich allgemeingeltend ist. (Versuch, S. 66)

Von der Art und Weise, in der man diese Erklärung auffasst, hängt nun die Auslegung der Philosophie Reinholds und seiner Beziehung zur kantischen Transzendentalphilosophie ab: Wenn man davon ausgeht, dass hier eine vollständige Tatsache ausgedrückt wird, kann man die Unabhängigkeit von der kantischen Philosophie bestätigen, da die Gründe, die als allgemein geltend bewiesen werden, genau dieselben sind, die die von der Transzendentalphilosophie als allgemein gültig aufgestellten Prinzipien mit Gewissheit ausstatten. Wenn man dagegen jedoch annimmt, dass die Allgemeingeltung der philosophischen Darstellung bezüglich der Prinzipien der kantischen Philosophie (die die Grundlage der Elementarphilosophie bildet) in einer Beziehung notwendiger Wechselwirkung besteht, dann kann jene Unabhängigkeit nicht festgestellt werden. Die bis hierher angebotene Auslegung lässt den letzteren Standpunkt überwiegen, da nämlich gezeigt wird, wie der Satz des Bewusstseins als letzter Grund und selbstbeweisend nicht als ausreichend gelten kann, um so entscheidende Ansätze der Transzendentalphilosophie wie die Apriorität der Formen der Sinnlichkeit und die Notwendigkeit und Vollständigkeit der Tafel der Kategorien und Urteile mit Beweis auszustatten. Man gelangte zu dieser Feststellung über die Bestätigung der Ausgangsannahme dieses Beitrages, 41 nach der dasjenige, das sich noch als synthetisches Beweismodell dargestellt hatte, um die Argumentationskraft der Transzendentalphilosophie zu erhöhen, wie das Ergebnis eines analytischen Vorganges aussah, der – gegründet auf die »Entdeckung« einer unbedingten (weil elementaren und hauptsächlichen) Grundtatsache, nämlich der Tatsache des Bewusstseins – nicht mit den Lehrsätzen der Transzendentalphilosophie kollidieren wollte, 41

Siehe oben § 4. A

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sondern diese als zurückführbar auf jene Tatsache annahm. Diese Rückführung ist jedoch nur in einer tour de force durchzuführen. Was die besagte Annahme außerdem versteckt, ist nichts anderes als die Tatsache, dass die Elementarphilosophie in einer Münchhausenbeziehung zu den Prinzipien der Transzendentalphilosophie steht, da diese bestrebt, argumentativ mit einem fundamentalistischen Vorschlag etwas auszurichten. Diese Feststellung lässt sich ebenfalls auf den Ableitungsvorgang ausdehnen, denn in ihm verwickeln sich das synthetische und das analytische System zwangsläufig. Hinsichtlich der Schwierigkeiten, das von Reinhold vorgeschlagene Ableitungsmodell zu charakterisieren, hat Martin Bondeli angeregt, dass sich Reinhold weder für die synthetische noch für die analytische Ableitungsmethode entscheidet, sondern dass er vielmehr ein Entwickeln des Prinzips vorschlägt, von dem ausgegangen wird (und das man als letzte Stufe der Analyse erreicht). Jenes Entwickeln würde zur vollständigen Bestimmung des Prinzips führen. Dieser systematische Ableitungsbegriff als Entwickeln von einem Kern, der – durch die Enthüllung der unterschiedlichen Momente des Systems – kristallisiert, indem er von dem Prinzip, aus dem er selbst entspringt, ausgeht, wird vor allem dann wichtig werden, wenn Reinhold seine Verflechtung mit der Philosophie Fichtes vorbereitet. 42 In diesem Zusammenhang spricht Bondeli von einem nicht »naiven Linearismus« oder von einem »reflektierten Linearismus« (Bondeli: 1995, S. 22; auch 110 f.). Aber das dient, meiner Ansicht nach, nur dazu, die Tatsache verschwinden zu lassen, dass die verwickelte Art und Weise, in der Reinhold die Ableitung auffasst, eine Strategie ist, um die Paradoxie des Münchhausen zu umgehen, der sich seinem fundamentalistisch-ableitenden Vorhaben ausgesetzt sieht. Dies kann man in aller Deutlichkeit angesichts der unvermeidlichen Wechselwirkung oder Gegenspannung Siehe Bondeli (1995), S. 111. Vgl. dazu: »In diesem Falle ist mit Ableiten kein Beweisen gemeint, sondern ein systematisches Entwickeln einer für das richtige Verstehen der Sätze erforderlichen Abfolgeordnung. Dabei liegt es nahe, das genannte Bestimmen auch nach dem Modell eines Bestimmens von Folgesätzen durch den Grundsatz zu verstehen, welches zugleich ein sich komplettierendes Bestimmen des Grundsatzes selber ist. […] [D]ieses zirkuläre Ableitungsmoment spielt in der Tat mit hinein. Aber es wird für Reinhold erst in der Übergangsphase zu Fichte von zentraler Bedeutung sein« (ebd.; siehe auch S. 132 ff.). B. Mensen unterscheidet eine »statische« Auffassung von einer »dynamischen« bei der Begründung. In Reinhold gäbe es, so Mensen, eine Spannung zwischen der einen und der anderen bis sich mit dem Erscheinen von Fichtes Wissenschaftslehre die letztere durchsetzt (vgl. Mensen: 1974, S. 120 f.; 124).

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sehen, die zwischen dem als allgemein gültig Angenommenen und demjenigen besteht, das sich einer allgemeinen Geltung erst dann erfreuen kann, nachdem es entwickelt oder dargelegt worden ist oder Resultat einer reflexiven Ableitung ist, die selbstverständlich auch beweisträchtig zu sein hat. Es ist offensichtlich, dass eine Wechselwirkung zwischen dem Angenommenen (das den Stoff des »analytischen Fortschritts« bildet) und dem Höhepunkt, den dieser Fortschritt erreicht, das fundamentalistische Projekt gefährdet, da die besagte Wechselwirkung zur Erkennung bringt, dass sich das Letztprinzip – das sich selbst als allgemein gültig und allgemein geltend beweist – nicht als solches auf sich selbst anwenden kann. 43 Die Paradoxie des Münchhausen ist trotzdem unvermeidbar, es sei denn man macht aus der Zirkularität eine Tugend, was bei der reinholdschen Idee des systematischen Entwickelns der Fall zu sein scheint: Der letzte Grund der Philosophie, der Satz des Bewusstseins, führt eine begründende Funktion aus, ist jedoch gleichzeitig Kern einer Ableitung. Mit Hilfe des Ersten bestimmt und stellt er sich selbst auf. Mit Hilfe der Zweiten bestimmt und erklärt er sich vollständig. Das alles geschieht durch eine Art zirkuläre Herleitung des Letztprinzips über die abgeleiteten Sätze. 44 Die Wechselbeziehung, in der Reinholds philosophisches Begründungsprojekt zu der nach Begründung strebenden Transzendentalphilosophie steht, muss unbedingt anerkannt werden. Das gilt nicht nur in Bezug auf das Problem, das sich aus dem Anspruch ergibt, das System der Transzendentalphilosophie und das von ihr aufgestellte Begriffsschema – mit Hilfe des Rekurses auf das Bewusstsein, der als oberstes und erstes Prinzip wirkt – mit Beweis auszustatten, sondern auch in Bezug auf die Bestimmung des Vorstellungsbegriffes als »Gattungsbegriff«, dessen Grundstruktur in jeder seiner Arten gleich sei. Zu dieser letzten Tatsache soll man ebenfalls über den Rekurs auf das Bewusstsein Bestätigung erhalten. Reinhold ist sich der erwähnten Wechselbeziehung bewusst: Die Begriffe von Gattung und Arten sind zwar Produkte der Vernunft; aber sie werden durch die Vernunft nicht aus Nichts, sondern aus Vorstellungen Bondeli ist sich u. a. davon bewusst, wenn er diese paradoxe Situation im Zusammenhang einer Wechselwirkung zwischen einem »gegebenen Wahren«, das sich vollständig selbst bestimmen soll, und dem Einverständnis, das es in der philosophischen Gemeinschaft hervorrufen soll (s. Bondeli: 1995, S. 107). 44 Vgl. Bondeli (1995), S. 135. 43

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hervorgebracht, deren Inhalt vorher zu unserem Bewusstsein gelangen muss, bevor er unter die der Vernunft eigentümlichen Gesichtspunkte gebracht werden kann. Da müssen dann die Vorstellungen, welche den Inhalt zu den Begriffen der Arten liefern, denjenigen vorhergehen, aus welchen der Gattungsbegriff gebildet wird. Nur in diesem Verstande kann, aber muß auch, behauptet werden, dass die Arten den Gattungen vorher gehen müssen. Nicht als ob man einen bestimmten Begriff von den Arten, als Arten, haben könnte; bevor man einen bestimmten Begriff von der Gattung hat, unter welche die Arten gehören, und durch den sie allein Arten einer Gattung sind; sondern weil die Vernunft den Begriff der Gattung nur aus demjenigen, was den Arten gemeinschaftlich ist, bilden kann, dieses Gemeinschaftliche aber nur erst dann zum Bewusstsein gelangt, wenn der Stoff, aus welchem die Begriffe der Arten gebildet werden, vollständig zum Bewusstsein gelangt ist. Hätte die Kritik der Vernunft an den Formen der sinnlichen Vorstellungen der Begriffe und der Ideen nicht die wesentlichen Merkmale erschöpft, aus welchen sich die Begriffe der drei Arten von Vorstellungen bilden lassen; so wäre die Bildung des Gattungsbegriffs der Vorstellung überhaupt unmöglich gewesen. (Beyträge I, S. 266 f.)

Der Satz des Bewusstseins – als Ausdruck der Urtatsache des Bewusstseins – kann jedoch seine Eigenschaft als selbstbestimmender und selbstbeweisender Satz nicht durch den Sachverhalt verlieren, dass der Gattungsbegriff der Vorstellung ohne die (prä-existenten) Arten nicht existieren kann. Die historische, faktische Prä-Existenz der Typen bzw. Arten der Vorstellung setzt die logisch-philosophische Priorität der Gattung über ihre Arten nicht außer Kraft. Was zuerst geschehen muss, ist eine Art Selbstsetzung des Prinzips. Aber als Zweites und nicht weniger Wichtiges folgt eine Ableitung der Arten und derer bestimmten Strukturen ausgehend von der Gattung, die in ihrer vollen Bestimmbarkeit auf analytische und reflexive Weise gewonnen worden ist. Diese Ableitung darf zwangsläufig nur dann stattfinden, wenn man die logische Priorität des Gattungsbegriffes in Bezug auf die spezifischen Begriffe beweisen will. Andernfalls müsste man auf sie verzichten und dürfte nur eine Form der Priorität anerkennen, d. h. die historische oder faktische. Die Anerkennung der historischen und faktischen Priorität bringt wiederum das Problem der Unerforschbarkeit der Struktur (und des Ursprungs) der Vorstellung mit sich. Eine entsprechende Erklärung der Unergründbarkeit wird für den Fundamentalisten mit der Willkürlichkeit oder der Kontingenz jener Struktur gleichgesetzt. Aus diesem Grund führt für den Fundamentalisten die Anerkennung der Unergründbarkeit von Struktur und Ursprung der Vorstellung zu 86

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einer Kapitulation der philosophischen Forschung vor dem Skeptizismus. Wenn allerdings die Philosophie nicht als strenge, von einem Grund ausgehende Wissenschaft aufgestellt werden kann, befindet sich für einen Fundamentalisten wie Reinhold auch die Grundlage einer aufgeklärten und vernünftigen Kultur in Gefahr. Es muss ein allgemeingeltender Satz als erster Grundsatz möglich sein, oder die Philosophie ist als Wissenschaft unmöglich; und die Gründe unserer sittlichen Pflichten und Rechte, und folglich diese Pflichten und Rechten selbst müssen ewig unentschieden bleiben; und der Zufall muss ewig bei der Lenkung menschlicher Angelegenheiten die Rolle behalten, die eurer Überzeugung nach, ihr Edlen, der Vernunft gebührt. (Beyträge I, S. 367)

Der Satz des Bewusstseins ist jenes erste Prinzip, das die »allgemeinsten Merkmale« der Vorstellung aber auch die »höchsten« enthält (ebd., S. 357). Dieses Prinzip bildet die Grundlage, über die alle spezifischen Formen der Vorstellung abgeleitet werden. Das Prinzip bestimmt sich – wie wiederholt festgestellt wurde – selbst, aber erst diese Spezifizierung bildet die vollständige Entwicklung des in ihm nur im Kern oder Keim Enthaltenen. Reinhold denkt, dass die begründete und bewiesene Ableitung der unterschiedlichen Formen der Vorstellung in der Form einer Ableitung der unterschiedlichen Typen des Bewusstseins ausgehend vom Satz des Bewusstseins stattfindet, der den Gattungsbegriff enthält, der wiederum der Ausdruck der unbestreitbaren Tatsache des Bewusstseins ist. Diese Typen des Bewusstseins sind: das Bewusstsein der Vorstellung, das Bewusstsein des Subjekts (oder das Selbstbewusstsein) und das Bewusstsein vom Gegenstand (oder die Erkenntnis). 45 Der Anspruch besteht nun darin, die bestimmte Struktur der Vorstellung über dieses allgemeine Prinzip abzuleiten, dessen Entfaltung in diesen drei Momenten sozusagen sofort als Ergebnis einer einfachen Analyse dieses selben Prinzips erkannt werden kann. Eine Ableitung der bestimmten Struktur der sinnlichen Vorstellung (der Raum-Zeitlichkeit), der bestimmten Struktur der begrifflichen Vorstellung (der Kategorien) usw. – so wie diese von der Transzendentalphilosophie aufgefasst werden – über ein solch allgemeines und unbestimmtes Prinzip durchzuführen, scheint unmöglich zu sein, wenn wir uns dieser Strukturen nicht als prä-existenter bemächtigten. Zusammen45

Vgl. Beyträge I, S. 362. A

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fassend kann gesagt werden, dass, was für das Projekt der Ausstattung der Transzendentalphilosophie mit Argumentationskraft mit Hilfe der Letztbegründung gegolten hat, ohne Abweichung genauso für das Programm der beweisenden Ableitung ausgehend von einem ersten Prinzip gilt. Im Zusammenhang mit dieser Verwicklung, aus der sich das reinholdsche Philosophieprojekt als strenge Wissenschaft oder als eine auf ein Prinzip gestützte Philosophie nicht lösen kann, muss die Ableitung der bestimmten Typen der Vorstellung und der Vorstellbarkeit vom Gattungsbegriff der Vorstellung gleichzeitig mit dem Problem betrachtet werden, dass das Besondere nicht aus dem Allgemeinen geschlossen werden kann. Der Mensch gehört als vernünftiges Wesen beispielsweise zur Gattung der Tiere, trotzdem bleibt es logisch unmöglich, den Begriff des Menschen vom Begriff des Tieres abzuleiten oder zu schließen. Dieses Problem wurde von verschiedenen Interpreten treffend erkannt. 46 Und auch Reinhold scheint sich dessen bewusst zu sein. 47 Deshalb hält er – um zur Lösung dieses Problems beizutragen – fest, dass man in seiner Theorie der Ableitung bzw. der Entwicklung des Besonderen vom Allgemeinen das Einzelne nicht als im Allgemeinen enthalten sondern als ihm untergeordnet verstehen soll. 48 So definiert sich der Stoff eines Satzes auf die gleiche Weise wie die Bedeutung seiner Termini und die Form wiederum wie die Verknüpfung jener Termini in einem Urteil. Also kann man, auch wenn es nicht möglich ist, ausgehend von einem ersten Prinzip auf den Stoff eines Satzes zu folgern, doch wohl mit Hilfe desselben seine Form deduzieren. 49 Problematisch ist jedoch, dass sich der Mangel an Legitimität bei der Ableitung der Art von der Gattung ebenfalls auf die Form ausdehnt. Andererseits führt der genau diese Schwierigkeit betreffende Lösungsvorschlag Reinholds zu einem neuen Problem; er muss dann nämlich gegenüber einer methodologischen Grundforderung der Elementarphilosophie Siehe Bondeli (1995), S. 21 ff.; aber vor allem Beiser (1993), S. 245 ff.; auch Frank (1997), S. 177 ff. 47 Vgl. Fundament, S. 106. 48 Vgl. Beyträge I, S. 361. 49 Siehe Beiser (1993), S. 246; auch Bondeli (1995), S. 22; 110; 116 ff. In diesem Vorgehen liegt der Schlüssel dessen, was Bondeli nicht »naiven« oder »reflektierten Linearismus« in der Ableitung genannt hat. Dies wäre einer Vorankündigung der methodologischen zirkularen Entwicklung des spekulativen Idealismus, der kurz nach Reinhold entsteht. 46

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inkonsequent sein. Es handelt sich um die Forderung, nach der man den Inhalt der abgeleiteten Sätze vom ersten Prinzip her ableiten soll. Dabei geht es um die methodologische Regel der von einem Prinzip ausgehenden Philosophie oder der Philosophie als System, nach der man keinen Begriff gelten lassen darf, dessen Bedeutung (Inhalt) nicht vollständig durch das erste Prinzip bestimmt oder von diesem vollständig abhängig wäre. Der erste Grundsatz ist »Grundsatz aller Grundsätze« (Beyträge I, S. 358). »Alles als ausgemacht angenommene muss dann in wieferne es um gegen Missverständnisse gesichert zu werden, eines Grundsatzes bedarf, mittelbar oder unmittelbar, durch jenen ersten Satz bestimmt werden« (ebd., S. 358 f.). Wenn jene Bedeutungen nicht vom ersten Prinzip abgeleitet werden können, sind sie vage und bieten Raum für umstrittene Auslegungen, was die Idee von einem (einzigen) Philosophiesystem zum Scheitern bringen würde, mit dem man allgemeine und feste Zustimmung erhalten will. 50 Angesichts der aporetischen Umstände, die in Bezug auf das reinholdsche Projekt der systematischen Ableitung dargestellt wurden (einerseits in Hinsicht auf das Problem der Wechselwirkung zwischen angenommener Allgemeingültigkeit und bewiesener Allgemeingeltung und andererseits hinsichtlich der trügerischen Deduktion der Art ausgehend von der Gattung), ist offensichtlich, dass es unmöglich ist, vom System die unwiderlegbare Versicherung darüber zu fordern, dass alle Typen oder Arten der Vorstellung (sinnliche Vorstellung, Begriff, Idee) alle beweisend und systematisch abgeleiteten Typen der möglichen Vorstellung – von der Gattung der »Vorstellung« ausgehend – sind. Auf diese Weise würden sie sich nicht als in der letzteren enthalten, sondern als ihr untergeordnet verstehen. Die Annahme dieser und nicht anderer bestimmter Typen der Vorstellung scheint in direktem Zusammenhang mit der Annahme einer von der kantischen Philosophie geerbten Tatsache zu stehen.

Deshalb kann Beiser zu Recht dieses Dilemma, das das reinholdsche Ableitungsprojekt betrifft, mit den folgenden Worten ausdrücken: »If the first principle does not determine the content of a proposition, then the system of philosophy will be vague and non rigorous; but if the first principle does determine the content, then it is guilty of the logical fallacy of deriving specific conclusions from general premises« (s. Beiser: 1993, S. 247).

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§ 9. Über den Begriff des Gegenstandes Man kann Reinholds Philosophie als einen beeindruckenden Versuch der Analyse und des Verständnisses dessen betrachten, was für ihn und vielleicht für die gesamte moderne Philosophie das wesentlichste Anzeichen der Erkenntnis und der gesamten bewussten Handlung überhaupt bildet, nämlich der Tatsache, Vorstellungen unmittelbar zu besitzen. »Die Vorstellung ist das einzige über dessen Wirklichkeit alle Philosophen einig sind« (Versuch, S. 190). Wenn dieser philosophische Ansatz eine Bezeichnung verdienen würde, so wäre dies die der repräsentationalistischen oder die der in dem Sinne subjektiv idealistischen, in dem sich das europäische philosophische Paradigma seit Descartes und mindestens bis Schopenhauer zu beschreiben pflegt. Reinholds Repräsentationalismus bzw. (zumindest formaler) subjektiver Idealismus charakterisiert sich gleichzeitig durch eine systematische Darstellung innerhalb einer Philosophie, die sich Philosophie der Einheit nennen lässt, welche eine beachtenswerte Vorwegnahme der spekulativen Identitätsphilosophie ist. 51 Somit ist Reinholds Philosophie genauso ein strategisch-argumentativer Versuch, um den Repräsentationalismus aus der Schwierigkeit zu befreien, die ihm schon immer – angesichts der Unmöglichkeit, einen epistemologisch geltenden Zugriff auf den Bereich der materiellen Gegenstände (»außerhalb der« und »unabhängig von der« Vorstellung) vorzunehmen, wenn man sich zum Ausgangspunkt nimmt, dass die unmittelbaren Gegenstände der Erkenntnis die Vorstellungen sind – vonseiten des Skeptizismus bereitet wurde, da jene Philosophie gleichermaßen die Abschaffung der Gleichsetzung wie die der unbeugsamen Dichotomie zwischen »Gegenstand« und »Vorstellung« vorschlägt, indem sie zeigt, dass die Erste von der Zweiten mit eingeschlossen wird wie auch deren Gegenpol: der Begriff eines »Subjekts«. »Eingeschlossen« bedeutet hier »vorausgesetzt« oder »enthalten«. Die Philosophie der Einheit (oder der Identität) ist in diesem Zusammenhang also die Philosophie, die von dem Punkt ausgeht, dass (1) der Gegenstand der Analyse – die Vorstellung – ein Objekt und ein Subjekt erfordert (die von Reinhold so genannten »äußeren Bedingungen der Vorstellung«) und aus Stoff und Form besteht (die von ihm so genannten »inneren Bedingungen der Vorstellung«). Das 51

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Siehe Klemmt (1958), S. 83, Anm. 1.

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Über den Begriff des Gegenstandes

heißt, die Grundelemente der Vorstellung werden in ihr vereint, und sie selbst soll sich – weil aus ihnen aufgebaut – als die Grundeinheit der Tatsache des Bewusstseins verstehen; so dass keines der Elemente, die die Vorstellung bilden oder von ihr erfordert werden, außerhalb des durch die Zusammenführung dieser Elemente gezeichneten Rahmens betrachtet (oder vorgestellt) werden kann. Also kann es keine Vorstellung der Form ohne den Stoff geben oder vice versa keine Vorstellung eines Subjekts ohne einen Gegenstand, auf den sie sich bezieht. 52 Reinholds Repräsentationalismus bzw. Idealismus ist jedoch auch (und vor allem) eine Identitätsphilosophie, da man (2) im Bewusstsein eine einzige Wurzel sieht, die sozusagen unveränderlich durch die kantische Spezifizierung der Vorstellungsvermögen (Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft) und die Verdoppelung des Vernunftgebrauches in den theoretischen und den praktischen ist. Diese Art von Monismus oder Identifikationismus ist als Strategie ausschlaggebend, wenn die kritische Philosophie vor jener aporetischen Gestalt bewahrt werden soll, zu der sie ihr dualistischer Charakter verdammt. In der vorliegenden Untersuchung geht es allein darum zu zeigen, wie die reinholdsche Philosophie der objektiven Vorstellung (als Identitätstheorie oder Theorie der Einheit) danach strebt, eines der charakteristischsten Probleme der kritischen Der Fall des Selbstbewusstseins ist besonders. Sein Gegenstand ist nicht wie der Gegenstand jeder möglichen Vorstellung, da es »das vorstellende Selbst« als Gegenstand hat (Versuch, S. 326), ist es eine Vorstellung des bloßen Vorstellungsaktes. Subjekt und Gegenstand der Vorstellung werden Eins im Selbstbewusstsein. Diese Auffassung vom Selbstbewusstsein enthält selbstverständlich einen aporetischen Knoten, da aufgrund der besagten Identität die Unterscheidung des Gegenstandes von der Vorstellung in Bezug auf diese verschwindet, die Unterscheidung nämlich, die für Reinhold Bedingung für das Bewusstsein ist. Die Theorie der Autoaffektion und die Vernunfttheorie (»absolutes Subjekt«) richten sich auf die Lösung dieser Aporie. Diese Schwierigkeit brächte natürlich ein großes Problem für die Annahme des allgemeinen und vollständigen Charakters des Satzes des Bewusstseins mit sich, da wir mit dem Selbstbewusstsein einen Fall haben, in dem sich Subjekt und Gegenstand der Vorstellung nicht unterscheiden. Dieses Problems ist sich Schulze bewusst, der auch deshalb die Elementarphilosophie zum Einstürzen bringen will (s. Aenesidemus, S. 349 ff.). Über das Selbstbewusstsein in Reinhold und das Bedürfnis, trotz der beschriebenen aporetischen Situation, die »Subjektivitätstheorie« – wie sie von der klassischen deutschen postkantischen Philosophie aufgefasst wurde – zu verteidigen, siehe Heinrich (1989), S. 147 ff.; auch Stolzenberg (1996), S. 463 ff.; genauso wie Bondeli (1995), S. 144 ff. Zu den Schwierigkeiten von Reinholds Theorie des Selbstbewusstseins und zu Schulzes Angriff siehe Frank (1997), S. 248–251; 286–307.

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Philosophie zu lösen: das Problem der Existenz von Gegenständen außerhalb des Rahmens der objektiven Vorstellung. Dies ist bekanntlich ein entscheidendes Thema in der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen der Transzendentalphilosophie und dem philosophischen Skeptizismus. In diesem Zusammenhang soll nun von Interesse sein, die Gründe und die Unvermeidbarkeit des Kernproblems der Elementarphilosophie in allgemeinen Termini zu beschreiben. Was auf keinen Fall bei der Betrachtung der reinholdschen Vorstellungstheorie als eine Theorie mit vereinenden oder gleichsetzenden Intentionen unbeachtet bleiben kann, ist die Tatsache, dass diese die Identität in der Verschiedenheit, die Unterschiedlichkeit in der Einheit begründen will. Die Termini, mit denen die Vorstellung definiert wird, können nur als Termini gedacht werden, die eine von der Vorstellung abhängige Eigenschaft besitzen oder als Termini, die nicht anders gedacht werden können als innerhalb der Grenzen der Vorstellbarkeit. Gleichzeitig sind es jedoch Termini, die sich voneinander unterscheiden und die sich von der Vorstellung abheben, in der sie sich vereinen. Dieser doppelte Aspekt der Vorstellung als Zusammensetzung, in der das Verschiedene vereint ist und die sich als solche auch selbst von den Elementen abhebt, die sie begründen, erlaubt Reinholds Repräsentationalismus sich aus dem Vorwurf zu befreien, eine extrem idealistische Position wie etwa die von Berkeley zu vertreten, nach der die materiellen Gegenstände auf ihre Vorstellungen zurückgeführt oder mit ihnen gleichgesetzt werden; 53 da die Gegenstände keine Vorstellungen sind, sondern wesentliche Elemente von diesen. Gleichzeitig schützt diese Auffassung vom Gegenstand, nach der der Gegenstand als die Vorstellung bildend aber von ihr und ihrem anderen Grundelement (dem vorstellenden Subjekt) verschieden ist, Reinholds Vorstellungstheorie gegen den Vorwurf des philosophischen Skeptizismus, der darauf besteht, die Unmöglichkeit zu zeigen, mit Hilfe der Erkenntnis eine reale Sphäre der Gegenstände zu betreten, wobei man nicht anders kann, als innerhalb der Sphäre der Vorstellung zu verharren. Dieser Vorwurf des Skeptizismus gründet So zumindest in Bezug auf die Standardauslegung von Berkeleys Idealismus gesehen, die Kant teilte. Nach dieser Auslegung ist Berkeleys Idealismus mit einem Wort gesagt ein »Illusionismus«. Wie gerechtfertigt diese Interpretation ist, soll im vorliegenden Zusammenhang nicht zu sehr interessieren. Siehe dazu Hoyos (1995), S. 48 ff.

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sich auf die Voraussetzung eines Seins an sich, von dem die Vorstellung Kopie sein soll, wenn eine Erkenntnis der Gegenstände zu erfolgen hat. Die Ähnlichkeit zwischen diesem Sein an sich und der Vorstellung ist jedoch nicht überprüfbar. Also kann die Möglichkeit der objektiven Erkenntnis nicht aufgrund der Annahme dieser Voraussetzung aufgestellt werden. Diese Tatsache bildet für Reinhold das dogmatische Element des von ihm so genannten dogmatischen Skeptizismus. Reinholds Anspruch besteht darin zu zeigen, dass dieser Vorwurf grundlos wird und gleichzeitig das Problem der Erkenntnis eines realen Gegenstandes verschwindet, auf den sich die Vorstellung bezieht, wenn man versteht, dass die Annahme des dogmatischen Skeptizismus auf eine völlig falsche Auffassung vom Gegenstand zurück geht, nämlich auf eine dualistische Auffassung, nach der eines der Extreme das (subjektive) Vermögen der Vorstellung ist und das andere eine objektive Sphäre, die – wenn sie nicht unter dem Begriff der Vorstellbarkeit verstanden wird – in keiner Weise vorgestellt werden kann: Es geht um das Ding an sich. Diese Auffassung sollte mit Hilfe der Richtigstellung der Begriffe von »Vorstellung« und »Gegenstand« korrigiert werden. 54 Die Formel, mit deren Hilfe ein dogmatischer Idealismus (Identität von Gegenstand und Vorstellung) genauso wie ein dogmatischer Skeptizismus (vorausgesetzter Dualismus zwischen Ding an sich und Vorstellung mit dem Ziel, die Unmöglichkeit des gegenseitigen Bezuges zwischen dem einen und dem anderen zu zeigen) vermieden werden soll, ist also eine Theorie, in der man die Dualität »Gegenstand der Erkenntnis« – »erkennendes Subjekt« fest definiert, jedoch indem sie Teil einer Einheit in der Vorstellung bildet. Beide Pole dieser Dualität werden entweder als äußere Bedingungen der Vorstellung erhalten oder stellen sich als deren innere Bedingungen dar, indem sowohl das Eine als auch das Andere (der Stoff und die Form) den objektiven und den subjektiven Aspekt (das Gegebene und das Geschaffene) in der Vorstellung bilden. Obwohl aber die genuine reinholdsche Auffassung vom Gegenstand in der Erkenntnistheorie liegt (und nicht in der bloßen, viel abstrakteren Vorstellungstheorie), obwohl dies also der Fall ist, gibt uns diese Auffassung vom Gegenstand – als von der Vorstellung unterschieden, auf den diese sich jedoch bezieht – nichts Anderes als die Idee von einem intentionalen Gegenstand. Und damit ist immer noch nicht sichergestellt, dass man 54

Siehe Versuch, S. 299 f.; Fundament, S. 45 ff. A

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etwas aus der umgebenden Welt kennt, schon weil der Begriff eines intentionalen Gegenstandes der Begriff eines Gegenstandes oder eines Inhaltes der Vorstellung ist, der als solcher eine Variable darstellt, die mit irgendetwas besetzt sein kann, z. B. mit einer Konstruktion der Phantasie. Außerdem schließt nichts aus, dass diese Konstruktion die Regeln der objektiven Einheit erfüllen kann (die von den kantischen Verstandeskategorien vorgeschrieben wurden), genauso wie die Variable X, die den Begriff von einem Gegenstand im Allgemeinen entwirft oder anzeigt, jene Regeln der Einheit erfüllt. 55 Man wird sagen, dass selbst die Erläuterung dieses Problems die Dualität »Vorstellungsfeld« – »umgebende Welt« voraussetzt, die dem Skeptizismus als Grundlage dient. Kann aber der theoretische Bau der Elementarphilosophie ohne jene Voraussetzung auskommen? Meine Antwort ist, dass sie das nicht kann. Für Reinhold sollte vor allem geklärt werden, dass der Begriff des Dinges an sich von dem durch die Vorstellung bezeichneten Kreis ausgeschlossen wird. Die bloßen Begriffe der Vorstellung und der Vorstellbarkeit schließen nämlich den Begriff des Dinges an sich aus, da dieses als nicht vorstellbar gilt: »Kein Ding an sich ist vorstellbar« (Versuch, S. 244). Wenn man das Ding an sich auf diese richtige und negative Weise versteht, dann ergibt sich die Suche nach Objektivität der Erkenntnis als nutz- bzw. sinnlos, da sie Suche nach Übereinstimmung zwischen dem Vorstellungsfeld und einer angenommenen Sphäre der realen Gegenstände an sich wäre. Obwohl durch Reinholds Strategie gezeigt wird, wie unangemessen und maßlos in ihrer unausgesprochenen Forderung (im Anbetracht der Unmöglichkeit der Erkenntnis) die Voraussetzung des dogmatischen Skeptizismus ist, erscheint nicht, dass im Fall von Reinholds subjektivem Idealismus auf den Begriff eines nicht auf das Vorstellungsfeld zurückführbaren oder eines nicht vorstellbaren Gegenstands verzichtet werden kann. Der Grund, warum es schwierig ist, auf die Annahme eines realen, der Sphäre der Vorstellbarkeit außenstehenden Gegenstandes zu verzichten, liegt in der Tatsache, dass die reinholdsche Epistemologie subjektiv zentriert ist. Die subjektive Wende – als Schlüssel zur Lösung des Problems der Erkenntnismöglichkeit – setzt sozusagen selbst eine objektive Peripherie voraus und bringt gleichzeitig das Problem mit sich, dass sie nicht von einem logischen und begriff55

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Vgl. KrV, S. A 109 f.

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lichen Gerüst vorgesehen worden ist, das ihr erlaubt, dem Vorwurf des Idealismus (im abwertenden Sinne dieses letzten Terminus) entgegen zu halten, da die besagte Wende mit der Absicht, die Existenz der Vorstellung zu bestätigen, verbietet, dass die Sphäre der Vorstellung aufgegeben werden kann. Und unter jenen Umständen wird durch nichts verhindert, dass der Bezug auf die Vorstellung eine andere Vorstellung wäre oder besser: Nichts gibt einen Hinweis darauf, dass man etwas über den objektiven Teil der Vorstellung als solchen wissen kann. Denn wie könnte man etwas darüber wissen, wenn alles Wissen repräsentational oder subjektiv zentriert ist? Und trotzdem will die subjektiv zentrierte Epistemologie die Erkenntnisbedingungen der objektiven Peripherie aufstellen. Hierbei verfolgt Reinhold dieselbe Vorgehensweise wie die gesamte klassische moderne Epistemologie seit Descartes. 56 Aber man kann die Unmöglichkeit, auf die Voraussetzung eines der Vorstellung außenstehenden Gegenstandes zu verzichten oder besser die Notwendigkeit der Dualität ›subjektives Vorstellungsfeld‹ – ›objektive Umgebung‹ deutlich erkennen, wenn man die Zweideutigkeit betrachtet, deren Opfer (so Reinhold) der Begriff des »Stoffes« der Vorstellung ist und die durch ihn eingeführte Unterscheidung zwischen dem Gegenstand der Vorstellung (bzw. dem intentionalen Gegenstand) und einem Gegenstand kat’ exojen. Reinhold hält fest, dass der Begriff vom »Stoff einer Vorstellung« einer Zweideutigkeit zum Opfer fällt, die die Vorstellungstheorie als Theorie vom Gegenstand betrifft. Der »Stoff der Vorstellung« kann sich einerseits auf dasjenige beziehen, was sich in der bloßen Vorstellung als ihr Inhalt befindet. So ist, wenn ich mir einen Baum vorstelle, der Stoff jener Vorstellung der Baum, der den spezifischen Inhalt der Vorstellung »Baum« bildet, und genauso differenziere ich diese Vorstellung durch ihn von anderen (z. B. von der Vorstellung eines Hauses). Andererseits versteht man unter dem Ausdruck »Stoff einer Vorstellung« den Gegenstand, der von der Dieses »Vorgehen« der modernen klassischen Epistemologie wird sehr gut bei Barry Stroud dargestellt, der zu zeigen versucht, wie es immer noch auch von der heutigen analytischen Epistemologie verfolgt wird (vgl. Stroud: 1984). Die Annahme eines unbeweisbaren Realismus (worum es sich hier handelt) als Quelle des Skeptizismus ist außerdem schon Thema der aktuellen Diskussion über den philosophischen Skeptizismus. Siehe Th. Clarke (1972); M. Williams (1993); Th. Nagel (1986), Kap. V; Hoyos (2002). Zu einer realistischen metaphysischen Voraussetzung in Reinhold siehe auch Frank (1997), S. 259 ff.

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bloßen Vorstellung als solcher unterschieden ist; für das angeführte Beispiel wäre das der Baum. Nur die erste Bedeutung des Ausdrucks »Stoff« oder »Inhalt« der Vorstellung ist richtig. 57 Man beachte, dass, wenn man dem Begriff des Stoffes oder Inhalts einer Vorstellung die Eigenschaft zuschreibt, der »objektive Bestandteil« der Vorstellung oder das in jeder Vorstellung dem »Vorgestellten« Entsprechende (in Reinholds Sprache: das mit Hilfe des Bewusstseins dem von der Vorstellung differenzierten Gegenstand Entsprechende) zu sein, dann geschieht dies, weil man den objektiven Inhalt der Vorstellung nicht durch den Bezug auf etwas Reales (Materielles), von den mentalen oder repräsentationalen Inhalten Unabhängiges, sondern nur durch den Bezug auf das in der bloßen Vorstellung als Inhalt Erscheinende versteht. Deshalb ist es notwendig, die beiden angesprochenen Bedeutungen des Begriffs »Stoff der Vorstellung« voneinander zu trennen. Für Reinhold ist die zweite Bedeutung unangemessen für jenen Terminus. Im strengen Sinn soll sie das ausdrücken, was man treffend als den »einer Vorstellung entsprechenden Gegenstand« bezeichnet, jedoch nicht in dem Sinne, in dem man den intentionalen Gegenstand einer jeden Vorstellung zu verstehen pflegt, sondern im Sinne eines »genau genommen physischen Gegenstandes«. Reinhold untermalt diese Unterscheidung, indem er sich das eben herangezogene Beispiel zunutze macht: Wer sich den Unterschied zwischen Stoff und Gegenstand einer Vorstellung recht anschaulich machen will, denke sich einen Baum in einer Entfernung, die es ihm unmöglich macht die Gattung, Art, eigentliche Größe und nähere Beschaffenheit desselben gewahr zu werden. Er nähere sich dann allmälig dem Baume, so wird seine Vorstellung in eben dem Verhältnisse mehreren Stoff erhalten; der Stoff seiner Vorstellung wird sich verändern, zunehmen, während der Gegenstand an sich immer derselbe bleibt. (Versuch, S. 231)

Diese Form der Unterscheidung passt genau zu der zweiten, die Reinhold vorstellt, nämlich der zwischen dem »Gegenstand der Vorstellung« und dem »Gegenstand« (oder Gegenständen) »kat’ exojen«, genauer gesagt »realen Gegenständen«. 58 Man kann ohne weiteres Siehe Versuch, S. 230 f. »In der Kantischen Deduktion der Verstandesbegriffe wird freilich gezeigt, dass sich durch bloße Begriffe von Gegenständen nichts wissen lasse; aber von was für Gegenständen ist dort die Rede? Offenbar nicht von jedem Gegenstande einer Vorstellung, (von allem, was vorgestellt werden kann) sondern von Gegenständen kat exojen, von solchen, die von allen Vorstellungen und den Eigenschaften derselben verschieden, we-

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vom Gegenstand oder Inhalt einer Vorstellung sagen, dass er einen Teil des Vorstellungsbegriffes bildet, d. h. dass er in den Vorstellungsbegriff »miteinbezogen« oder »eingeschlossen« ist oder durch ihn »vorausgesetzt« wird. Dasselbe kann jedoch nicht über den realen Gegenstand gesagt werden. Reinhold strebt trotzdem danach, dass dieses Letzte doch behauptet werden kann, indem er bestätigt, dass »das Dasein der Gegenstände außer uns also eben so gewiss ist, als das Dasein einer Vorstellung überhaupt« (Versuch, S. 299). Dieser Satz gründet sich auf die besagte unmittelbare Miteinbeziehung des Inhalts oder Stoffes einer Vorstellung in den Begriff dieser selben: »Da der Stoff in einer Vorstellung dasjenige ist, was dem von der Vorstellung verschiedenen Gegenstande entspricht, so muss die Vorstellung, die einen objektiven, einen von außen her gegebenen Stoff hat, auch einen außer dem Gemüthe befindlichen Gegenstand haben« (ebd.). Mit diesem Beweis begeht Reinhold eine schwere Inkonsequenz, da hierbei der Vorschlag zur Auflösung der Zweideutigkeit, der der Begriff des »Stoffes« oder »Inhalts der Vorstellung« ausgeliefert ist, nicht beachtet wird. Entsprechend diesem Vorschlag darf der Inhalt bzw. Stoff in einer Vorstellung nicht mit dem außenstehenden Gegenstand gleichgesetzt werden. Das bedeutet nicht, dass man vom realen Gegenstand sagen könnte, dass er wirklich »außerhalb von uns« existiert, sondern dass diese Existenz nicht von selbst folgt wie so selbstverständlich die eines Inhalts der Vorstellung aus dem Begriff dieser Letzten. Um zu behaupten, dass »das Dasein der Dinge außer uns eben so erwiesen« ist, »als das Dasein eines Vorstellungsvermögens« (ebd.), braucht man mehr als die bloße Zerlegung des Vorstellungsbegriffes. Man muss beweisen, dass ein stofflich-physisches Element nicht irgendwie auf dem Grund irgendeiner Vorstellung, sondern der objektiven Vorstellung liegt, da dieses materielle Element dasjenige bildet, was Reinhold die »Realität der Vorstellung« nennt. Diese Spezifizierung ist wichtig, wenn man die allgemeine Vorstellungstheorie von der Erkenntnistheorie (oder der Vorstellungstheorie mit objektivem Wert) unterscheiden will. 59 Was diese Unterscheidung ausmacht, ist – mit einem Wort – nichts Andeder bloße Vorstellungen, noch Formen derselben – sondern reale Objekte sind« (Fundament, S. 97 f.). 59 »Eine Vorstellung hat Realität (ist nicht leer), wenn ihrem Gegenstande das Prädikat der Wirklichkeit zukommt, welches nur in der Theorie des Erkenntnisvermögens untersucht werden kann« (Versuch, S. 234). A

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res als die Tatsache, dass die Erkenntnistheorie, insofern sie als objektive Vorstellungstheorie angesehen wird, den Realismus voraussetzt. Außerdem gibt es noch etwas, das über den Gegenstand oder Inhalt einer Vorstellung gesagt werden kann aber nicht über den außenstehenden oder realen Gegenstand (kat’ exojen); nämlich, dass der Erste völlig abhängig von den subjektiven Erkenntnisbedingungen ist, der Zweite dagegen nicht. Das wird im angeführten Beispiel des Baumes deutlich, das nichts Anderes als eine gekürzte Version dessen ist, was man heute unter dem »Argument der Illusion« versteht und schon lange einen Teil der skeptischen Argumentation bildet. 60 Reinhold stellt den unsteten Charakter, den der Inhalt der Vorstellung eines Baumes entsprechend seiner subjektiven Abhängigkeit annimmt, dem stabilen Charakter dieses selben gegenüber, wenn er unabhängig von den subjektiven Bedingungen betrachtet wird, d. h. wenn er an sich betrachtet wird. Die Eigenschaft, die man dem Baum (die subjektiven Bedingungen seiner Beobachtung und Vorstellung unabhängig betrachtet) zuschreibt, ist nicht mehr und nicht weniger als die der numerischen Identität. Ohne die Annahme der Realität des Baumes an sich – unabhängig von der Sphäre der Vorstellung – kann diese Eigenschaft nicht bestätigt werden, und wenn sie nicht bestätigt werden kann, ist es unmöglich, Gegenstände zu identifizieren und wieder zu identifizieren; 61 d. h. es ist unmöglich zu erkennen. Reinholds schlaues logisches Begriffsgerüst erlaubt ihm nicht, ohne den Realismus als eine der Grundlagen zur Begründung der Möglichkeit der objektiven Erkenntnis auszukommen. Indem Reinhold dieselbe Vorgehensweise mit der klassischen modernen Epistemologie teilt, teilt er auch das Schicksal, dem logisch-begrifflichen »Spiel« des Skeptizismus ausgesetzt zu sein, das seine Existenz einer realistischen metaphysischen Voraussetzung verschuldet.

Siehe Ayer (1961), S. 1–11. Die berühmten »zehn skeptischen Tropen« (von Sextus Empiricus überliefert) drehen sich im Wesentlichen um dasjenige, was auch als »Argument der Illusion« bezeichnet wird. Siehe Grundriss der pyrrhonischen Skepsis, I, 14 [36–163]. 61 Vgl. Strawson (1959), S. 31 ff. 60

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Kapitel II Unter freiem Himmel wohnen: Der Skeptizismus von Gottlob Ernst Schulze (Aenesidemus) und die Transzendentalphilosophie Haben Sie den Aenesidemus gelesen? Er hat mich eine geraume Zeit verwirrt, Reinhold bei mir gestürzt, Kant mir verdächtig gemacht, und mein ganzes System von Grund aus umgestürzt. Unter freiem Himmel wohnen geht nicht! J. G. Fichte Brief an H. Stephani (Dezember 1793) Gesamtausgabe III, 2, S. 28

[…] und die Skeptiker, eine Art Nomaden, die allen beständigen Anbau des Bodens verabscheuen, zertrennten von Zeit zu Zeit die bürgerliche Vereinigung. Immanuel Kant KrV, S. A IX

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1. Die Bedeutung von Schulzes philosophischem Skeptizismus

§ 1. Schulze in der Geschichte der deutschen Philosophie Abgesehen von dem Namen des griechischen Skeptikers Aenesidems, dem sich Gottlob Ernst Schulze (1761–1833) in provokativer Weise bediente, um seinem vernichtenden Angriff gegen die Elementarphilosophie Reinholds einen Titel zu geben und gleichzeitig Humes Skepsis gegen die kantische kritische Philosophie zu verteidigen, ist den Historikern der westlichen Philosophie wenig von diesem Autor in Erinnerung geblieben. Vielleicht kann die Tatsache, dass Schulze in Vergessenheit geraten war, damit erklärt werden, dass die unübersehbaren empiristischen und skeptischen Merkmale seiner Philosophie (die zu der ständigen Berufung auf den Realismus des gesunden Menschenverstandes hinzukommen) gegenüber den Leistungen einer Epoche, in der das spekulative Denken mit einem solchem Schwung entfesselt wurde und aufblühte, gering erscheinen mussten und noch immer so eingeschätzt werden. Als wäre er sich des unglücklichen Schicksals seiner Philosophie – oder anders, der Tendenz seiner Epoche – bewusst gewesen, so veröffentlichte Schulze den Aenesidemus anonym und ohne Angabe des Verlages. 1 Trotzdem entwickelte sich das Buch sehr bald zu einem der meist gelesenen und meist diskutierten Texte an den deutschen Universitäten zum Ende des 18. Jahrhunderts. So muss die historisch-philosophische Bedeutung Schulzes – der von vielen seiner Zeitgenossen als einer der schärfsten Widersacher Kants gesehen wurde 2 – ausschließlich indirekt und reaktiv in Bezug Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie (1792), Berlin 1911 (Im Folgenden: Aenesidemus). An dieser Stelle soll vermerkt sein, dass dort, wo ich mich auf den antiken Philosophen beziehe, dessen Name (im Gegensatz zu dem Titel von Schulzes Werk) nicht kursiv gedruckt wird. 2 Der Eindruck, den der Aenesidemus im jungen Fichte hinterlassen hat, spricht für diese Meinung. Schelling denkt, dass Aenesidemus »der vielleicht tiefer, als die meisten anderen« … »Gegner der Kantischen Philosophie« ist (Schelling: 1985, S. 13). Schopen1

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auf die Entwicklung der deutschen spekulativen Philosophie gesehen werden. Man könnte annehmen, dass Schulzes Stimme und der Geist bzw. die philosophische Mentalität, der er mit dieser Stimme Ausdruck verleiht, durch die heftige Explosion des deutschen Idealismus in gewisser Weise zunichte gemacht oder zumindest zum Schweigen gebracht worden wäre. Das deutlichste Beispiel für die Betonung auf eine nur indirekte oder reaktive Bedeutung Schulzes, ist vielleicht, dass sein Name mit Fichte assoziiert wird. Schließlich ist Schulze vor allem für die Untersuchung der Werke Fichtes und der Anfangsphase des deutschen Idealismus bedeutend, weil er an der ersten systematischen Konstruktion durch die deutsche spekulative Philosophie nach Kant entscheidenden Anteil hatte, und zwar in unmittelbarer Verbindung mit dem begründenden Projekt Reinholds (hier beziehe ich mich auf die Wissenschaftslehre von 1794). Die Hauptpunkte dieser Konstruktion finden sich bekanntlich in der berühmten Rezension des Aenesidemus (im Weiteren: Rezension). 3 Für eine solche Bewertung der Philosophie Schulzes spricht auch, dass diese die Radikalisierung des von Salomon Maimon verfolgten kritischen Idealismus auslöste, 4 genauso wie die des systemahauer seinerseits betrachtet Schulze als den »scharfsinnigsten« der Gegner Kants (Schopenhauer: 1986, Bd. I, S. 591). In einem ähnlichen Sinn äußert sich Liebmann (1865, S. 40 ff.). Zu der äußerst produktiven Rezeption des Aenesidemus verfügen wir über eine ausgiebige Untersuchung von A. Pupi (1967–69), der an anderer Stelle daran erinnert, dass Schulzes erstes Werk in Deutschland als ein »geschichtemachendes« Werk aufgenommen wurde (Pupi: 1966, S. 537). Siehe auch Verra (1952); Beiser (1993), S. 267; Frank (1997), S. 260–285. In seiner bibliographischen Zusammenstellung zur KrV bezieht sich Vaihinger auf die Kritik der theoretischen Philosophie, Bd. I und II (1801) (im Weiteren: KthPh I und II) indem er sich wie folgt ausdrückt: »durchaus würdig, von richtigen exegetischen Grundsätzen geleitet« (Vaihinger: 1892, Bd. I, S. 20). Selbst Kant erkennt die Bedeutung von Schulzes Skeptizismus durchaus an. Wir wissen nicht, ob er den Aenesidemus gelesen hat, aber aus einer Bemerkung, die er gegenüber Sigmund Beck zu diesem Werk macht, kann man eindeutig schließen, dass Kant einen der Schwerpunkte des skeptischen Angriffs gegen die kritische Philosophie einzuordnen wusste: nämlich die Frage, die sich um den Begriff des »Gegegstands der Vorstellungen« dreht. Siehe Kant, AA XI., S. 395; siehe weiter vorn § 5, wo ich mich mit dieser Bemerkung besschäftige. Kants Anspielungen auf Aenesidemus in Opus Postumum können in Adickes (1920), S. 616–628 verglichen werden. 3 In: J. G. Fichte, Gesamtausgabe I, 2, S. 41–67. 4 Diese Radikalisierung kann man als den Versuch Maimons verstehen, einen Begriff des transzendentalen Idealismus zu entwickeln, aus dem die Entkräftung der Bedeutung, die man dem »Ding an sich« für die Transzendentalphilosophie zuschreibt, folgt. Maimon nannte sein philosophisches Projekt »kritischer Skeptizismus«; ein Projekt, das in enger Beziehung zur Überbewertung der – von Kant in keiner Weise beantworteten – A

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tischen Projekts von Sigmund Beck, das die kritische Philosophie von einem einzigen Gesichtspunkt aus zu erklären versucht. 5 Diese Auffassung stimmt mit einem progressiven und einseitigen Begriff der Entwicklung der modernen Philosophie im Allgemeinen und der Philosophie des deutschen Idealismus im besonderen überein. So kann also gesagt werden: Eines haben die Untersuchungen des Aenesidemus zur klaren Einsicht gebracht: in dem Zustande, den die Kantische Lehre als Schulsystem der Kantianer wie als Reinholdische Elementarphilosophie angenommen hat, kann sie unmöglich beharren. Entweder muß sie rückwärts oder vorwärts. Der Rückfall ist unmöglich, denn er wäre die Vernichtung der kritischen Philosophie und die einfache Wiederherstellung der skeptischen. Die fortschreitende Bewegung kann nur in einer Richtung geschehen und es leuchtet ein, in welcher. (K. Fischer: 1900, S. 59 f.) 6

In der Untersuchung der Bedeutung, die der Skeptizismus für die Philosophie Hegels hat, wird erst seit kurzem auch dem Namen Schulzes Beachtung geschenkt. 7 In diesem Zusammenhang ist man auf die – nicht unbedingt höfliche – Rezension aufmerksam geworden, die Hegel zum zweitwichtigsten Werk Schulzes, nämlich der Kritik der theoretischen Philosophie, geschrieben hat. 8 Außerdem können sich zwei Tatsachen als Beweis der ständigen Präsenz Schulzes in der philosophischen Debatte seiner Epoche verstehen. Die erste ist seine – auch apokryphe – Schrift gegen Schellings Identitätsphilosophie; 9 die zweite der Einfluss, den er auf SchoFrage Quid Facti? steht (siehe Versuch über die Transzendentalphilosophie, S. 70 ff., im Weiteren: VT). In der letzten Untersuchung dieses Buches werde ich mich detaillierter mit Maimon beschäftigen. 5 Vgl. S. Beck (1975, 17951 ). Für die Interpretation der deutschen Philosophie der 90er Jahre des 18. Jahrhunderts ist es nicht ungewöhnlich, den Ansatz von Beck als einen Versuch der Überwindung des Skeptizismus zu betrachten. Dazu siehe K. Fischer (1900), S. 85 ff.; Erdmann (1931), S. 537 ff. Becks Standpunkt wurde neulich von P. Baumanns (1997, S. 71; 804 ff.) wieder aufgegriffen. 6 Zu dieser »linearen« Vision siehe Erdmann (1931); Hartmann (1923); aber hauptsächlich Kroner (1961); auch Wiegershausen (1910), S. 3. 7 Siehe Fulda-Horstmann (Hrsg.) (1996); Engstler (1996); auch Röttgers (1987), bes. S. 13 ff. Vgl. auch Forster (1989). 8 G. W. F. Hegel: »Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie, Darstellung seiner verschiedenen Modifikationen und Vergleichung des Neuesten mit dem Alten« (im Folgenden: Verhältnis). 9 G. E. Schulze (1803), Aphorismen über das Absolute. Von einem für dieses Mal ungenannten, aber nichts weniger als unbekannten Verfasser. Hierbei handelt es sich um eine ironische Schrift Schulzes, die er im Stil Schellings verfasst hat und mit der er

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penhauer ausübte und der weitaus weniger beachtet wurde als sein Einfluss auf den deutschen Idealismus. 10 Es ist bekannt, dass der junge Arthur Schopenhauer für zwei Semester die Vorlesungen Schulzes in Göttingen besuchte, wo er von 1809 bis 1811 Student war, und dass der persönliche Kontakt zum Autor des Aenesidemus, seine Entscheidung, Philosophie zu studieren, beeinflusst hat. 11 Max Wundt hat Schulze als das verloren gegangene Glied des deutschen Voluntarismus zwischen Christian August Crusius (1712–1775) und Schopenhauer über Franz Volkmar Reinhard (1753–1812) betrachtet, dessen Schüler der »neue Aenesiversucht, die Argumentationsweise der Identitätsphilosophie ins Absurde zu treiben. Bemerkenswert ist, dass diese Schrift von einigen (unter diesen Reinhold) als aus der Feder eines der Anhänger Schellings stammend gehalten wurde, was eine immanente Polemik um die Philosophie dieses letzten ausgelöst hat (vgl. Meist: 1993, S. 194 ff.). 10 Eine Ausnahme bildet meines Erachtens die Untersuchung E. Fischers (1901). Siehe auch angesichts der aktuellen Kontroverse zur Unterscheidung von »Begründung« und »Erklärung« die thematische Annäherung G. Baums (1979), bes. S. 361 ff. Hinweise zu dem Einfluss Schulzes auf die Philosophie Schopenhauers kann man auch bei Schröder (1911) finden, bes. S. 11 f., 34 ff.; 56 ff.; in Wundt (1945), S. 296 und in Boullart (1978), S. 270. Das Buch Boullarts – die einzige von mir bekannte Monographie, die ausschließlich der philosophischen Entwicklung Schulzes gewidmet ist – ist leider auf Flämisch geschrieben. Auf den Seiten 259 bis 270 bietet der Autor trotzdem eine Zusammenfassung seiner Interpretation in deutscher Sprache. Die von Boullart angeführte Bibliographie zu Schulze kann heute noch als die vollständigste betrachtet werden. Siehe Boullart, a. a. O., S. 240–256. 11 In einem Brief an J. E. Erdmann vom 9. April 1851 gibt Schopenhauer eine autobiographische Zusammenfassung auf Wunsch des bekannten Philosophie-Historikers. Hier erzählt Schopenhauer: »dass ich 1809 die Universität Göttingen bezogen habe, wo ich Naturwissenschaften und Geschichte hörte, als ich im 2ten Semester, durch die Vorträge des G. E. Schulze, Aenesidemus, zur Philosophie auferweckt wurde. Dieser gab mir darauf den weisen Rath, meinen Privatfleiß fürs Erste ausschließlich dem Plato und Kanten zuzuwenden, und, bis ich diese bewältigt haben würde, keine anderen anzusehen, namentlich nicht den Aristoteles, oder den Spinoza. Bei der Befolgung dieses Rathes habe ich mich sehr wohlbefunden« (Schopenhauer: 1933, Bd. II, S. 55). In einem Brief, den Schulze an Schopenhauer richtet (20. Januar 1814), nachdem er von diesem ein Exemplar seiner Dissertation über den »Satz vom zureichenden Grunde« bekommen hatte, lobt der Autor des Aenesidemus das philosophische Talent seines einstigen Schülers und macht ihn auf die Verwandtschaft aufmerksam, die zwischen dem »großen und inneren Unterschied der ideale Gründe von den realen« – mit dem er sich in der KthPh II (besonders in der Untersuchung der Kausalität in Bezug auf die hypothetischen Urteile, S. 464 ff.; 484 f. Siehe unten § 5 C) beschäftigt hat – und einer der von Schopenhauer aufgestellten Unterscheidungen besteht: die Unterscheidung zwischen »dem Satz vom zureichenden Grunde des Werdens« (Kausalität) und dem »Satz vom logischen Grund« (Grund-Konsequenz-Beziehung) (vgl. Schopenhauer: 1933, Bd. I, S. 161 f.). Diese Form der Differenzierung hat auch Jacobi betont (vgl. Werke IV, 2, S. 145 ff.; II, S. 193). A

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demus« am Anfang der 80er Jahre in Wittenberg war. Im Jahr 1786 wurde Schulze Assistent an dieser Universität, und 1788 bekam er einen Lehrstuhl in Helmstedt. 12 Außerdem haben einige Interpreten und Historiker der modernen Philosophie Schulzes Angriff auf Reinholds Theorie des Vorstellungsvermögens als eine Vorwegnahme der Kritik Herbarts gegenüber dem Psychologismus der Epistemologie (die sich auf eine Sprache der Vermögen beruft, um die Möglichkeit der Erkenntnis auszudrücken) betrachtet. 13 Obwohl man aus der Kritik Schulzes eine ähnliche Konsequenz ziehen könnte, ist es genauso richtig zu bestätigen, dass sich in seinem philosophischen und kritischen Beitrag eine klare Tendenz in Richtung der Empiristen zeigt, nach der es keine priviligierte meta-theoretische Ebene für die Erkenntnistheorie gibt oder vielleicht nicht geben kann, sondern dass diese aus einer Untersuchung der Bedingungen der empirischen Erkenntnis resultieren muss, und zwar auf derselben Ebene, auf der die Erkenntnis erfolgt. Deshalb werden Schulzes Ideen auch mit dem modernen Positivismus und den anthropologischen und psychologischen Erklärungen der menschlichen Erkenntnis vom Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts assoziiert. 14 In diesem Zusammenhang muss man zugeben, dass, auch wenn man aus Schulzes Skeptizismus eine Kritik an der psychologischen Epistemologie, die sich auf eine Sprache der Vermögen beruft, herausziehen kann, dies jedoch nicht geschieht, weil er die empirische Erklärung der Erkenntnisbedingungen in Frage stellen würde, sondern weil er – indem er diese Erklärung als die einzig plausible betrachtet – darauf aufmerksam macht, dass sie sich unvermeidlich den Grenzen jeder vernünftigen Erklärung der Erkenntnisbedingungen stellt. Wie diese vernünftige Erklärung die Erklärung des Ursprungs der Erkenntnis ist, so erweisen sich gleichzeitig die Grenzen der rationalen Erklärung als die Grenzen der kausalen Erklärung. 15 Siehe Wundt (1945), S. 337 f., auch S. 296; ders. (1924), S. 517 ff. Der Kreis der Anhänger um Reinhard war mit der Lehre des Crusius recht gut vertraut. Reinhards Einfluss auf Schulze wird – laut Wundt – im ersten Werk dieses Letzten deutlich sichtbar: nämlich im Grundriss der philosophischen Wissenschaften (zwei Bände, Helmstedt 1788–1790) (vgl. Wundt: 1924, S. 517, 540). 13 Siehe Wiegershausen (1910), S. 24, 89. Vgl. auch Windelband (1922), S. 204 ff. 14 Vgl. Boullart (1978), S. 259–270. Boullart unterstreicht die Verknüpfung Schulzes mit der psychologischen und etwas vom Kantianismus des Jacob Friedrich Fries gefärbten Epistemologie. 15 Weiter vorn beschäftige ich mich ausführlicher mit dieser »Konfusion« oder besser, 12

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Schulze in der Geschichte der deutschen Philosophie

Schulzes Präsenz in der philosophischen Debatte seiner Epoche und die Aufmerksamkeit, die die Zeitgenossen seinen Schriften widmeten, erwecken den Eindruck, dass sein skeptischer Standpunkt die gleiche Provokation darstellt wie auch der philosophische Skeptizismus in verschiedenen Schlüsselmomenten der Geschichte der Philosophie. Es können tatsächlich ganz bestimmte theoretische Konstruktionen des deutschen Idealismus – angefangen bei Reinholds Elementarphilosophie und bis zumindest zu Hegels Phänomenologie des Geistes – als philosophische Systeme angesehen werden, die nach einer Erklärung der Gründe und der Beschaffenheit der Erkenntnis streben, die nicht für die Aporien anfällig sind, durch die sich die kantische Epistemologie gefährdet sieht. Jener aporetische Charakter der kantischen Erkenntnisphilosophie bringt diese selbe nämlich unweigerlich ins Visier des skeptischen Angriffs. Wie man weiter vorn sehen wird, besteht Schulzes kritische Untersuchung der Transzendentalphilosophie und deren angestrebter Letztbegründung durch Reinhold hauptsächlich in der Verschärfung einiger der wichtigsten Aporien in der kantischen Philosophie und besonders derjenigen, die den Begriff des »Dinges an sich« und die Zweideutigkeit in Bezug auf den Begriff des »Gegenstandes« betreffen. 16 Deshalb könnte die Verschärfung der Aporien der kritischen Philosophie durch Schulze als der eigentliche Anstoßpunkt verstanden werden, den sein Skeptizismus in der philosophischen Diskussion seiner Epoche dargestellt hat. Aber diese Einschätzung gilt selbstverständlich genauso für Jacobi und Maimon, zumindest was das Ding an sich betrifft. Seitdem Descartes das Spiel des Skeptizismus ernsthaft in der ersten Meditation spielte und Kant sich auf Hume als denjenigen bezog, der ihm aus seinem »dogmatischen Schlummer« verholfen hatte, 17 schrieb man dem modernen philosophischen Skeptizismus die Rolle des Herausforderers der philosophischen Argumentation zu, der diese Selbe auslöste und voran trieb. Etwas Ähnliches kann über Schulze angesichts seiner Provokationen zu dem Zeitpunkt gesagt werden, als die spekulativen Hauptkonstruktionen des deutmit dieser »Verwicklung« zwischen der Sprache der Gründe und der Sprache der Bedingungen in der schulzeschen Erkenntniskritik. Das ist m. E. eines der »Hauptmomente« des Skeptizismus von Schulze: das »Moment«, in dem epistemologischer Skeptizismus und Naturalismus (oder »natürlicher Realismus«) als die beiden Seiten ein und derselben Medaille auftreten. Siehe § 4. 16 Vgl. unten § 5. 17 Vgl. Prolegomena in: AA IV, S. 260. A

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schen Idealismus entstehen. Die vorliegende Untersuchung zieht sich trotzdem von diesem – in gewissem Sinne »erbaulichen« – Bild der Aufgabe des Skeptizismus im Allgemeinen und des Skeptizismus Schulzes im Besonderen zurück. Mein Anliegen besteht vielmehr in der Analyse der Hauptbeiträge des schulzeschen Skeptizismus zu dem Zweck, das Ergebnis hervorzuheben, zu dem dieser führt, nämlich zur Bestätigung der (unüberwindbaren) Grenzen der philosophischen Argumentation in Bezug auf die Begründung der Erkenntnis und der Objektivität, genauer gesagt, zur Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 18 Hierbei gehe ich davon aus, dass die von Schulze (zur Unterstützung jener Bestätigung) vorgeschlagenen Argumente den Kern seiner Philosophie ausmachen. Mit dieser Bewertung wird deutlich, dass man der Auslegung des philosophischen Ansatzes von Schulze eine ganz bestimmte Richtung gibt, da mit dieser einem der mindestens drei Aspekte Nachdruck verliehen wird, die in einer historischphilosophischen Untersuchung seiner Philosophie betrachtet werden sollten. Jene drei Aspekte sind: (1) die Tatsache, dass Schulze ein wichtiger Vertreter der philosophischen Bewegung war, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland entstanden war und die die Universität Göttingen zu ihrem Zentrum hatte. Die wichtigsten Köpfe jener Bewegung waren J. Georg Heinrich Feder (1740–1821) und Christian Garve (1742–1798), die Autoren der bekannten Rezension der ersten Ausgabe der KrV, welche in den Göttinger Gelehrten Anzeigen 1782 erschienen war. Falls man von etwas wie einem »deutschen Empirismus« sprechen kann, könnte man diesen um die philosophische Bewegung von Göttingen einordnen. Schulze stand bekanntlich in direktem und engem Kontakt zu dieser Gruppe von Intellektuellen. Zu Feder besaß er außerdem durch die Heirat mit dessen Tochter eine persönliche und familiäre Beziehung. 19 Ebenfalls Dazu Hoyos (2001a). Dazu gibt es eine sehr malerische Passage in einem Brief, den Feder am 23. Juli 1794 an Reinhold schickte und die es wert ist, hier erwähnt zu werden. Auf seiner endgültigen Reise nach Kiel, wohin er sich begab, um den Lehrstuhl Tetens’ zu übernehmen, verweilte Reinhold für ein Paar Tage in Göttingen. Man bedenke, dass Reinhold im Begriff war, Jena als einer der berühmtesten Philosophen Deutschlands der damaligen Zeit zu verlassen (die Stelle in Kiel war anscheinend lukrativer). Die Passage aus dem Brief Feders lautet: »Seitdem Sie Göttingen verließen und zum Theil unmittelbar darauf, hat sich hier allerlei Merkwürdiges ereignet. Den Tag nach ihrer Abreise kam in demselben Gasthofe Schulze (der Verfasser des Aenesidemus) aus Helmstädt hier an, in einer Absicht, die er auch noch vor seiner Abreise meist erreichte, meine Tochter Isabel18 19

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ist bekannt, dass der Autor des Aenesidemus nach der Auflösung der Universität Helmstedt (wo er als Professor tätig war) und nach deren Angliederung an die Universität Göttingen im Jahr 1810 seine Tätigkeit als Dozent in dieser letzten Universität bis zu seinem Tode weiterführte. Schulze repräsentiert etwas wie den kämpferischen Flügel des »deutschen Empirismus«. Eins der ausgeprägtesten Merkmale dieses Flügels ist die Verteidigung des »empirischen Realismus«, der direkt von der Schottischen Schule des common sense, insbesondere von Thomas Reid, und über Friedrich Heinrich Jacobi übernommen worden ist. 20 Der direkte empirisch-realistische Akzent bedeutete das gleiche für Jacobi wie für Schulze, nämlich eine klare anti-idealistische Intention. Gewiss ist, dass Reids Strategie, mit der die Philosophie aus der Sackgasse gezogen werden soll, in die sie Humes Skepsis geführt hatte (und zwar im Hinblick auf die dem modernen Repräsentationalismus – dem »way of ideas« der lockeschen und cartesianischen Tradition – angehörigen Schwierigkeiten), auf einem direkten Realismus beruht, der dem gesunden Menschenverstand zugrunde liegt. Das heißt, dass der empirische Realismus des gesunden Menschenverstandes auch über eine anti-skeptische Motivation verfügt. 21 Aber nicht weniger wahr ist, dass dieser direkte Realismus ohne größere Probleme mit einem Skeptizismus, wie dem schulzele kennen zu lernen und zur Braut zu wählen. In den Pfingstferien war er schon als Bräutigam zum zweiten Male hier, und gegen Michaelis wird Hochzeit sein. Schulze, den ich vorher auch nicht persönlich kannte, ist ein schöner und sehr feuriger Mann von 32 Jahren, dem Temperamente nach von uns beiden sehr verschieden, aber im Innersten des Charakters ein höchst edler Mensch. Zugleich mit Schulze war auch Tiedemann von Marburg hier; und Sie mögen selbst sich’s sagen, wie oft der Wunsch geäußert wurde, dass Sie noch bei diesen Philosophenconvent zugegen sein möchten« (Reinhold: 1825, S. 380). 20 Hierzu siehe Kuehn (1987). Vgl. auch Wilde (1966) und Giovanni (1998). Wiegershausen (1910, S. 25) spricht von einer Darstellung des »natürlichen Realismus« in der KthPh, die Schulze ausdrücklich unter diesem Titel ab 1810 verteidigte. Siehe Schulze (1832), Über die menschliche Erkenntnis, S. IV; 1–217. Dieser »natürliche Realismus« – den man mit der Idee von einer »unmittelbaren und direkten Erkenntnis des real Existierenden« erklären kann – wird von Schulze in Bezug auf Jacobi verteidigt (vgl. Wiegershausen, ebd., S. 27). Über Schulze, zusammen mit Jacobi, als Vertreter einer »realistischen« Tendenz in der postkantischen deutschen Philosophie siehe auch Wundt (1924), S. 517 ff.; 533 ff. Zum Einfluss von Reid auf Jacobi vgl. G. Baum (1969), S. 42 ff.; 75 ff. Siehe auch Hoyos (2001), III, § 3. 21 Vgl. Th. Reid, An Inquiry into the Human Mind (im Weiteren: Inquiry), bes. S. 95 f.; 101 ff.; 201 ff. A

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schen, koexistieren kann, weil er sich hauptsächlich darauf richtet, die Reichweite und die Möglichkeiten der fundamentalen Erkenntnistheorie – was er die »theoretische Philosophie« nannte – zu hinterfragen und nicht die Ergebnisse der empirischen Erkenntnis selbst. (2) Den zweiten beachtenswerten Aspekt bei der Betrachtung der Philosophie Schulzes stellt die Tatsache dar, dass man ihn und hauptsächlich sein Werk Aenesidemus als Anstoß für die Radikalisierung der kantischen idealistischen Wende vonseiten des deutschen Idealismus verstehen kann. Das kann genauso in der Entwicklung der Philosophie Reinholds 22 beobachtet werden wie in dem Einfluss, den Schulzes Werk auf Maimon ausübte aber auch und vor allem in Fichtes Rezension, die als Ausgangspunkt der Philosophie des klassischen deutschen Idealismus angesehen werden kann. Dieser Aspekt der Philosophie Schulzes ist zweifellos einer der wichtigsten, wenn es um die historisch-philosophische Bewertung seines Beitrages geht. Im Großen und Ganzen stimmt er mit der oben erwähnten Standardauffassung überein, die man von seiner Philosophie besitzt. (3) Schließlich kann die Philosophie Schulzes von einem rein destruktiven und kritischen Standpunkt aus betrachtet werden, d. h. als ein skeptischer Vorschlag, der die Möglichkeit einer Begründung der Erkenntnis oder die einer Erklärung der Bedingungen und Prinzipien, die die Erkenntnis von Objekten ermöglichen, radikal hinterfragt. Schulze führt diese Kritik der philosophischen Erkenntnis oder der Erkenntnistheorie durch, indem er die zentralen Aporien hervorhebt, die der Transzendentalphilosophie und dem Begründungsversuch dieser selben durch eine prima philosophia transcendental innewohnen. Eine solche prima philosophia transcendental wird für Schulze von Reinholds Elementarphilosophie verkörpert, aber auch von Fichtes Wissenschaftslehre. 23 In der vorliegenden Untersuchung entscheidet man sich also, Vgl. Beyträge II, S. 3–72; vgl. Pupi (1966), S. 547. Im Vorwort zum zweiten Band der KthPh spielt Schulze auf einen zukünftigen dritten Band an, der sich mit der Kritik der Philosophie Fichtes beschäftigen würde. Diese Aufgabe erübrigte sich, da der Autor von einer Neuüberarbeitung der Wissenschaftslehre durch Fichte wusste (KthPh II, S. Vf.). Auf jeden Fall kann man in seiner »Darstellung des Skeptizismus in der theoretischen Philosophie« und in anderen Passagen desselben Werkes deutlich sehen, dass der Autor zumindest von der Wissenschaftslehre aus dem Jahr 1794 Kenntnis hatte. In der gesamten KthPh kann man sehen, dass Schulze eine Kritik an Fichte beabsichtigte, die möglicherweise eine Antwort auf dessen Rezension des Aenesidemus sein könnte. Diese Kritik sollte man aber im Hinblick auf das skeptisch-philosophische Projekt einordnen, das sich gegen die theoretische Philosophie 22 23

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diesem letzten Aspekt der Philosophie Schulzes Nachdruck zu verleihen. Jene Entscheidung bietet zwei Vorteile: Erstens kann man in dem destruktiven Aspekt der schulzeschen Philosophie eine Reihe von noch immer sehr wertvollen Argumenten gegen den Versuch einer transzendentalen und fundamentalen Philosophie finden oder, wenn man so will, gegen die transzendentale und fundamentalistische Art des Philosophierens. Eine ähnliche Entscheidung ist mit einer Interpretation der Philosophie Schulzes verbunden, die diese trotz ihrer Mängel und ihrer Missdeutungen der Transzendentalphilosophie nicht in ihrem bloßen historischen Wert annimmt – nämlich als Bindeglied zwischen Kant und dem deutschen Idealismus oder zwischen Kant und jeder anderen möglichen Form der philosophischen Orientierung –, sondern die vielmehr versucht, eine Darstellung ihrer skeptischen Gegenargumentation als immer noch mit einer beachtlichen Bedeutung ausgestattet durchzuführen, d. h. als den Ausdruck eines Philosophietyps, der verschieden vom transzendentalen ist. Gewiss versteht sich von selbst, dass Schulze – von seinem räsonierenden skeptischen Standpunkt aus gesehen – nicht allein daran interessiert ist, einen Unterschied in Bezug auf die transzendentale Art des Philosophierens zu kennzeichnen, sondern dass er außerdem die Gründe für die Unmöglichkeit einer Transzendentalphilosophie aufzeigen will. Der zweite Vorteil, der für die Entscheidung zur Analyse des hier genannten kritischen und destruktiven Aspekts des schulzeschen philosophischen Skeptizismus gegen die Ansprüche des transzendentalen Argumentationsmodells spricht, besteht darin, dass diese Möglichkeit in gewisser Weise die in (1) und (2) erwähnten Aspekte aufgreift, da einerseits die Überzeugung von unwendbaren Paradoxien (von denen man den modernen Repräsentationalismus umgeben sieht) Schulze dazu bringt, die Auffassung des gesunden Menschenverstandes nach der Definition durch den direkten Realismus anzunehmen, und zwar so, wie ihn Reid – um dem Problem der Außenwelt eine Lösung zu geben – vorgesehen hatte. Eine Lösung, die jedoch einer neuen repräsentationalistischen Situation nicht unterliegen würde und deshalb eine paradoxe Lösung sein muss. Zu diesem Ergebnis gelangte Reid (sich des unhaltbaren Charakters be-

oder die Erkenntnistheorie, als Projekt einer auf absolute Prinzipien gestützten Philosophie richtet. A

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wusst, zu dem jener moderne Repräsentationalismus durch Humes Skeptizismus gebracht worden war). Andererseits zeigt eine Untersuchung der Verschärfung der Paradoxien der Transzendentalphilosophie – wie dies im schulzeschen Skeptizismus geschieht –, dass man den transzendentalen Idealismus in einen solchen Spannungszustand bringen kann, der durch eine philosophisch-begriffliche Verarbeitung wieder aufgelöst werden kann (aber nicht muss), in der die Identität zwischen dem erkennenden Subjekt und dem zuerkennenden Objekt die Hauptsache ist. Diesen Weg scheint der deutsche Idealismus (in seinen repräsentativsten Formen) gewählt zu haben. Im Folgenden (§§ 2 und 3) wird man eine Darstellung des Skeptizismus von Schulze finden, und zwar so, wie er ihn in seinen beiden Hauptwerken und in seiner Schrift: Die Hauptmomente der skeptischen Denkart (im Weiteren: Hauptmomente) vorstellt. Damit soll eine möglichst angemessene Beschreibung desjenigen erfolgen, was den »philosophischen Skeptizismus« oder die »skeptische Art des Philosophierens« nach Schulzes Version ausmacht und was nicht. Sobald diese Darstellung vollbracht ist, wird man die Analyse der Hauptmotive Schulzes gegen die kantische Transzendentalphilosophie und gegen den Versuch der Letztbegründung durch Reinhold aufnehmen (§§ 4–6).

§ 2. Dialektischer Skeptizismus Wenn ein Name zum Skeptizismus von Schulze passen würde, dann wäre dies die Bezeichnung dialektischer bzw. räsonierender Skeptizismus. Die Wahl des Namens Aenesidemus für den Titel des Buches, das ihn unter seinen Zeitgenossen berühmt machte, kennzeichnet schon den räsonierenden und polemischen Charakter, mit dem Schulze seinen skeptischen Standpunkt versehen möchte. Unter den skeptischen griechischen Philosophen wird in der Tat Aenesidemus als einer der größten Polemiker gegen den philosophischen Dogmatismus in der Antike gezählt. Sextus Empiricus erzählt in seinem Bericht über die verschiedenen Formen, die der griechische Skeptizismus angenommen hat, dass Aenesidemus als Autor der acht Tropen betrachtet werden kann, welche die skeptische Kritik an der »Ursachenlehre« bilden, und wenn nicht als Autor, so gilt er doch zumindest als derjenige, der diese Tropen in systematischer Form übermit110

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telt hat. 24 Wie wohl bekannt ist, lässt sich über die Urheberschaft der verschiedenen Tropen der griechischen Skeptiker nur wenig mit Sicherheit sagen. Man weiß jedoch, dass die Gesamtheit der Tropen gemeinsamer Besitz der skeptischen Schulen war und dass sie als dialektische Werkzeuge gebraucht wurden, um den aporetischen Charakter der dogmatischen Räsonnements nachzuweisen, d. h. der Räsonnements von denjenigen philosophischen Schulen, die in der Lage zu sein glaubten, etwas sicher und hinlänglich behaupten zu können. Es gibt diejenigen, die behaupten, dass Aenesidemus, im Unterschied zu Pyrrho, mehr Wert auf Probleme dialektischer Art als auf Fragen praktischer Art gelegt hat. Darüber hinaus wird sogar gesagt, dass höchst wahrscheinlich Aenesidemus derjenige war, der die berühmten zehn Tropen, die uns Sextus Empiricus in seinem Bericht hinterlassen hat, eingeordnet und systematisiert hatte. 25 Schulze, der um die Bedeutung von Aenesidemus als dialektischer Skeptiker und als möglicher Urheber der Tropen gegen die »Ursachenlehre« sicherlich gewusst hat, nahm dessen Namen wahrscheinlich im Bewusstsein dieser Bedeutung an. 26 Wie es auch immer gewesen sein mag, mit Sicherheit kann man über Schulzes Skeptizismus zuerst einmal sagen, dass dieser ein Skeptizismus ist, der Gründe vorzuschlagen bestrebt, weshalb etwas in Zweifel gezogen wird. Diese Besonderheit des schulzeschen Skeptizismus muss in erster Linie gegen einen Vorwurf hervorgehoben werden, der vor allem gegen ihn, aber auch gegen den philosophischen Skeptizismus im Allgemeinen, sehr häufig vorgebracht worden ist. Es handelt sich dabei um die Beschuldigung, dass der Skeptizismus sich selbst widerspricht, weil er bei dem Akt der Aufstellung seiner Zweifelsgründe eo ipso voraussetzt, dass zumindest ein Rationalitätsprinzip für wahr gehalten werden muss, das die Formulierung eines Zweifels möglich macht. Der klassische griechische Skeptizismus hatte sich schon mit Hilfe einer Erklärung der Gründe, warum es nicht anzunehmen ist, dass der Skeptizismus dogmatisiert, gegen den Vorwurf verteidigt, in einen – wie man heute sagt – performativen Widerspruch zu geraten. Siehe Sextus Empiricus, Grundriss der pyrrhonischen Skepsis, I, 17. Vgl. dazu Barnes (1983), S. 150 ff.; Hankinson (1995), S. 131–134; 213. 25 Siehe dazu Brochard (1959), Livre III, S. 227 ff.; Stough (1969), S. 67–105; Ricken (1994), S. 68–84. Striker (1983), S. 95. 26 Vgl. Frank (1996), S. IX f. 24

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Nach dieser (vor der Darstellung der Tropen eingeführten) Erklärung verhält es sich so, dass der Skeptiker hinsichtlich der »verborgenen Sachen«, über die geurteilt wird oder die als Gegenstand der Wissenschaften gelten, nichts bejaht aber auch nichts verneint. Wenn er in Bezug auf solche Sachen bejahen oder verneinen muss, tut er dies immer im Rahmen ihrer Erscheinungen oder ihres »Erscheinens«. 27 Wenn sich also der Skeptiker auf eine Meinung festlegen muss, »sagt er nur, was ihm scheint« (oder »erscheint«). Damit »[tut] er nur sein eigenes Erlebnis undogmatisch kund, ohne über die äußeren Gegenstände irgend etwas zu versichern«. 28 Ein solcher skeptischer Standpunkt ergibt sich aus dem Glauben daran, dass die Bejahungen oder Verneinungen – die über das, was erscheint, hinausgehen und größere epistemische Ansprüche haben, als diejenigen, die im Ausdruck eines Erscheinens impliziert werden – zwangsläufig dazu verdammt sind, widersprüchliche Meinungen zu provozieren. Der räsonierende Skeptiker wendet seine Kunst und seine dialektischen Fähigkeiten bei der Entdeckung der gegenseitigen Positionen an und stellt seine Tropen oder Zweifelsgründe als eine Methode dar, die zur Zurückhaltung im Urteilen führen soll. Mit dieser Zurückhaltung wird wiederum die Erlangung eines Gleichgewichtszustandes – der Seelenruhe – beabsichtigt. 29 Ein skeptischer Tropus ist also die Darstellung eines Grundes, warum man zu dem Schluss gekommen ist, dass das Urteil über einen bestimmten Forschungsgegenstand (bezüglich dessen man sich in einer aporetischen Situation befindet) zurückzuhalten ist. Schulzes Skeptizismus ist nicht dialektisch in dem Sinne, dass er die Position, der er entgegentreten will, zu einer Kollision mit derjenigen Position führt, welche sich aus dem aporetischen Charakter der ersten zwangsläufig ergibt – all dies mit der Absicht, der Seele durch Zurückhaltung Ruhe zu verschaffen. Der dialektische oder räsonierende Charakter des schulzeschen Skeptizismus liegt vielmehr darin, dass er die aporetischen und unlösbaren Situationen der modernen Erkenntnisphilosophie so klar wie möglich offenlegt, und zwar mit dem Ziel, die unüberwindbaren Grenzen jeder Erklärung der Gründe Vgl. Grundriss I, 7 [13–15]. Vgl. Grundriss I, 7 [15]. 29 Siehe Sextus Empiricus, Grundriss I, 4, [8]: »Die Skepsis ist die Kunst, auf alle mögliche Weise erscheinende und gedachte Dinge einander entgegenzusetzen, von der aus wir wegen der Gleichwertigkeit der entgegengesetzten Sachen und Argumente zuerst zur Zurückhaltung, danach zur Seelenruhe gelangen.« 27 28

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der objektiven Erfahrung aufzuzeigen. Dies ist Schulze und Hume bis zu einem gewissen Punkt gemeinsam. Was die Methode betrifft, besteht Humes Skeptizismus nicht in der Darstellung von einander entgegenstehenden Positionen, sondern vielmehr in der Zuspitzung der Paradoxien der modernen Erkenntnistheorie und deren repräsentationalistischer Voraussetzungen. All das geschieht mit der Absicht, auf die Sackgasse hinzuweisen, zu der diese Theorie zwangsläufig führt. Die kantischen Antinomien sind dem dialektischen Verfahren des griechischen Skeptizismus näher als das zerstörerische Argumentationsmodell von Schulze und Hume. 30 Obwohl nun das schulzesche Argumentationsmodell des räsonierenden Skeptizismus nicht antinomisch ist, gibt es dennoch keinen Zweifel daran, dass sein Ergebnis der skeptischen Unentschiedenheit viel näher liegt als die kantische Auflösung der Antinomien. Diese Auflösung beruht, wie bekannt ist, auf dem Unterschied in der Betrachtungsweise der Gegenstände – nämlich als Erscheinungen oder als Dinge an sich. In Bezug auf den Gegenstand, auf den sich seine skeptischen Zweifel prinzipiell richten, nämlich auf die (angeblich) philosophische Begründung der objektiven Erkenntnis, gelangt Schulze zu dem Ergebnis, dass über eine solche Begründung keine zulängliche Entscheidung festzustellen ist. Aufgrund des programmatischen Charakters der Hauptmomente findet sich in ihnen dieses Resultat eindeutiger als im Aenesidemus oder in der KthPh. Die beiden letztgenannten Bücher (mit Ausnahme des Abschnitts über den Skeptizismus in der KthPh I, S. 583–728) sind vor allem Streitbücher, deren Orientierung durch die kritische Überprüfung der Begründungsansprüche der modernen Erkenntnistheorie charakterisiert ist. 31 In den Hauptmomenten ist ein exemplarisches Muster für den Zustand der Unentschiedenheit bzw. Zurückhaltung zu sehen, zu dem jede Untersuchung über die Gründe der menschlichen Erkenntnis nach der skeptischen Denkart notwendigerweise gelangen muss. Darüber hinaus kann jeder Glaube daran, dass eine zulängliche Begründung der menschlichen Erkenntnis und eine Versicherung über Siehe dazu Tonelli (1967), S. 93–123; auch Brandt/Klemme (1989), S. 13. Es handelt sich insbesondere um die kritische Überprüfung des erkenntnistheoretischen Systems von Locke (KthPh II, S. 7–90), der Philosophie von Leibniz (KthPh II, S. 91–125) und des transzendentalen Systems in der Form, die dieses bei Kant (KthPh II, S. 126–709; Aenesidemus, S. 118–130; 256–272; 374–382) und Reinhold (Aenesidemus) angenommen hat. 30 31

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deren Objektivität und Allgemeinheit erreichbar sind, für dogmatisch gehalten werden: § 11. Der Skeptizismus […] besteht aus dem Bekenntnisse, dass sich über die Richtigkeit der Ansprüche auf objective und allgemeine Gültigkeit, welche bei den unserer Natur gemäßen Kenntnissen stattfinden, nichts ausmaßen lasse. Nach demselben ist es ein unauflösbares Problem, ob diese Gültigkeit nur aus einer besonderen Einrichtung des menschlichen Gemütes abstamme, und also bloße Einbildung sei, oder außer dieser Einrichtung ihren Grund und ihr Bestehen habe. § 12. Das Bekenntnis des Skeptizismus, dass die objektive und allgemeine Gültigkeit der unserer Natur angemessenen, oder mit den Regeln der Erfahrung und des Denkens zusammenstimmenden Erkenntnisse ein unauflösbares Problem sei, erstreckt sich auf jede dieser Erkenntnisse, sie sei positiv oder negativ, äußere oder innere, sinnliche oder bloß intellektuelle Erkenntnis; und nach demselben sind wir auch nicht einmal im Stande, darüber einige Auskunft zu erhalten, daß der Anspruch auf jene Gültigkeit bei der einen Erkenntnisart richtiger sei, als bei der andern. § 13. Durch den Skeptizismus werden nicht die Ansprüche vernichtet, welche unsere Erkenntnisse ursprünglich und durch sich selbst auf objektive Gültigkeit machen; sondern er verhindert nur, daß man sich ein Wissen von der Richtigkeit dieser Ansprüche anmaße. Er versetzt das Gemüt bloß in den Zustand der Zurückhaltung aller kategorischen Entscheidung darüber, ob den Objekten, worauf unsere Erkenntnisse bezogen werden, eine von dem Bewußtsein derselben unabhängige Wirklichkeit zukomme, oder nicht. Dieser Zustand heißt Zweifel (epojé). Die Zweifel des Skeptikers sind übrigens nicht in wie fern sie Bestimmungen des Gemüts ausmachen, sondern nur ihren Gründen, ihrem Objekte und Umfange nach von den Zweifeln unterschieden, welche auch im Gemüte des Nicht-Skeptikers gegen die Wahrheit mancher Erkenntnisse statt finden. (Hauptmomente, S. 359 f. [7]) 32

Das Wichtigste, das es in dieser einführenden Darstellung des schulzeschen Skeptizismus als einen räsonierenden Skeptizismus zu berücksichtigen gilt, ist jedoch die Tatsache, dass seine Zweifel bezüglich der Transzendentalphilosophie und der Erkenntnistheorie Vergleicht man diese Auffassung mit derjenigen, die Schulze im Aenesidemus vermittelt hatte, so könnte man eine relativ vollständige Vorstellung von seinem Skeptizismus erhalten: »Nach meiner Einsicht nun ist der Skeptizismus nichts anderes, als die Behauptung, daß in der Philosophie weder über das Dasein und Nichtsein der Dinge an sich und ihrer Eigenschaften, noch auch über die Grenzen der menschlichen Erkenntniskräfte etwas nach unbestreitbar gewissen und allgemeingültigen Grundsätzen ausgemacht worden sei« (Aenesidemus, S. 24). Hier fällt natürlich die Interpretation der epojé als »Zweifel« auf. Diese Interpretation legt eine Art Mischung zwischen modernen Skeptizismus (Descartes’ Erste Meditation) und antiken Skeptizismus nahe.

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(1) schlechthin keine unmotivierten Zweifel sind, sondern dass sie durch Gründe abgesichert sind, d. h. sie haben mit den Tropen des alten Skeptizismus gemeinsam, dass sie den Vorwurf der Nicht-Plausibilität des Standpunktes, den sie angreifen, begründen. 33 Und (2) handelt es sich nicht um Zweifel, die einen performativen Widerspruch implizieren, denn weder bejahen noch verneinen sie, was heißt, dass sie nicht dogmatisieren. Der letzte Aspekt seines Skeptizismus ist sehr bezeichnend für Schulze, denn er drückt auf dieser Ebene sein Erstaunen gegenüber dem Beinamen »dogmatischer Skeptizismus« aus, mit dem man den modernen Skeptizismus zu kennzeichnen pflegte. An mindestens zwei wichtigen Stellen bezieht sich Schulze auf die Debatte, die die Position des Neu-Akademikers Arkesilaos innerhalb des klassischen Skeptizismus ausgelöst hatte, nach welchem »alles ungewiß sei« oder »nichts überhaupt zu wissen sei« oder »alles unerkennbar sei«. 34 Eine solche Position ebenso wie Behauptungen mit einem absoluten Charakter wie »alles ist falsch, nichts ist wahr«, können nicht für genuin skeptische Positionen gehalten werden, da sie dem relativistischen Charakter, der mit dem Skeptizismus assoziiert wird, entgegentreten. Inakzeptabel ist eine solche Position aber vor allem darum, weil sie eindeutig einen performativen Widerspruch mit sich bringt. So annulliert sie sich selbst, oder – wie Schulze es formuliert –, »sie hebt sich wieder auf.« 35 Trotz dieser nachdrücklichen Erklärung war die kritische Rezeption des schulzeschen Skeptizismus stets von dem Vorwurf des Dogmatismus begleitet. 36 Kann diese Anschuldigung ohne weiteres geSiehe dazu Hauptmomente § 14. Siehe Aenesidemus, S. 26; KthPh I, S. 606 (Anm. 606–609). Schulze hat die Passagen [220] und [226] aus dem Grundriss von Sextus Empiricus (S. 33) vor Augen. Dort erzählt Sextus Empiricus, dass sich der klassische Skeptizismus aufgrund der besagten (dogmatischen) Behauptung, die klarerweise einen Selbstwiderspruch mit sich bringt, von der »Neuen Akademie« distanziert hat: »Die neue Akademie, obwohl sie sagt, alles sei unerkennbar, unterscheidet sich von den Skeptiker vielleicht eben darin, daß sie behauptet, alles sei unerkennbar. Denn sie sagt hierüber mit Sicherheit aus, während der Skeptiker mit der Möglichkeit rechnet, daß einiges auch erkannt wird« (Grundriss I, 33 [226]). 35 KthPh I, S. 607, Anm. 36 Vgl. Reinhold, Beyträge II, S. 202 ff. Reinhold selbst hatte schon versucht, den dogmatischen Charakter jedes Skeptizismus nachzuweisen (vgl. Versuch, S. 130 ff.). Vgl. Fichte, Rezension, bes. S. 61; Hegel, Verhältnis, bes. S. 223. Man hat den DogmatismusVorwurf häufig mit dem Gedanken assoziiert, dass Schulze zu dem skeptischen Resultat aufgrund von »metaphysisch-realistischen Vorurteilen« gekommen ist. Leclair (1879), S. 81; Beiser (1993), S. 283 ff. Gawlick/Kreimendahl (1987), S. 111 f. haben gezeigt, dass 33 34

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rechtfertigt werden? Die Antwort, die man auf diese Frage zu geben hat, ist prima facie negativ. Der Dogmatismus-Vorwurf gegen den schulzeschen Skeptizismus kann in zweierlei Hinsicht überprüft werden: Erstens, indem behauptet wird, dass er in eine Art Dogmatisierung beim Verneinen der Möglichkeit der Erkenntnis gerät. Dies ist der Vorwurf im bereits erwähnten Sinne, d. h. der Skeptizismus bringt sich in einen performativen Widerspruch. Zweitens, indem die mächtigsten Ansätze des schulzeschen Skeptizismus (nämlich der Ansatz, der sich auf die Aporien in Bezug auf den Begriff des Dinges an sich bezieht, und der Ansatz, der die Unmöglichkeit einer zulänglichen Begründung der Möglichkeit der Erkenntnis betrifft) eine realistische (und kausal-noumenalistische) Auffassung sowohl vom Objekt als auch vom Subjekt der Erkenntnis als gemeinsame Voraussetzung aufweisen. 37 dieser anti-skeptische Rekurs in der späteren Rezeption von Hume in Deutschland sehr häufig war. Dieser Rekurs ist aber, wie sogleich gezeigt werden soll, nicht unproblematisch, insbesondere wenn er gebraucht wird, um auf einen angeblich performativen Widerspruch in der skeptischen Denkart hinzuweisen. Um Klarheit darüber zu schaffen, inwiefern sich Schulze dessen bewusst ist, dass dies nicht sein Fall sein kann, siehe KthPh I, S. 606–609 Anm. Vgl. diese Äußerung mit der Interpretation, die Hegel von derselben Passage in Verhältnis, S. 209 ff. gibt. Vgl. dazu Engstler (1998) und Grundmann (1998). 37 Reinhold stützt sich beim Dogmatismus-Vorwurf in diesem zweiten Sinne auf die von Schulze angenommene Voraussetzung des Erkenntnisgegenstandes als Ding an sich (Beyträge II, S. 202 ff.). Fichte formuliert seinerseits den Dogmatismus-Vorwurf sowohl in Bezug auf das Objekt als auch auf das Subjekt. Daher sein Widerstand gegen das sozusagen ›verdinglichte‹ Verständnis, das Schulze vom »Vorstellungs-Vermögen« hat (vgl. Rezension, S. 49, 52–53). Es ist naheliegend, dass Fichte mit dem Begriff einer »Tat-handlung« als absolutes Prinzip der Philosophie genau dieselbe ›Verdinglichung‹ des »Ich« vermeiden will, die er in der schulzeschen Interpretation der reinholdschen Philosophie der »Tat-sachen« des Bewußtseins sah (s. Baum: 1979, S. 361). Die Pointe der Kritik Fichtes besteht darin, darauf hinzuweisen, dass Schulze genau dort Ursachen oder reale Gründe auf dogmatische Art und Weise verlangt, wo die Philosophie daran interessiert ist, logische Gründe zu etablieren (vgl. Fichte, Rezension, S. 53). Darüber hinaus wird die »Fichtesche Aufhebung« des Skeptizismus zum extremen Subjektivismus führen, bei dem der Satz des logischen und der des realen Grundes gleichgesetzt werden: »Es wird auch nicht der Satz des Real-, sondern bloß der des logischen Grundes darauf angewendet, der aber, insofern das Gemüt der letzte Grund Intelligenz ist, RealGrund wird« (Rezension, S. 57). Eine solche Gleichsetzung ist für Schulze vollkommen inakzeptabel. Letztendlich denunziert auch die Interpretation von Hegel die Voraussetzung einer Realität an sich bezüglich des Erkenntnisgegenstandes (Verhältnis, S. 223) und bezüglich des Subjekts, welches nach ihm absurderweise verdinglicht wird: »Nach diesem neuesten Skeptizismus ist das menschliche Erkenntnisvermögen ein Ding, das Begriffe hat, und weil es nichts hat, als Begriffe, kann es nicht zu den Dingen, die draußen sind, hinaus gehen; es kann sie nicht ausforschen noch auskundschaften – denn

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Dialektischer Skeptizismus

Die negative Antwort auf die Frage, ob der Dogmatismus-Vorwurf gegen Schulze zu rechtfertigen sei, soll im ersten Sinne nachdrücklicher als im zweiten betrachtet werden. Auf jeden Fall ist die Antwort jedoch in beiden Sinnen negativ. Und zwar grundsätzlich deswegen, weil dieser Vorwurf dazu beiträgt, dass der genuine Sinn der skeptischen Ansätze von Schulze verkannt wird. Im ersten Sinn, den der Dogmatismus-Vorwurf besitzt (Vorwurf eines performativen Selbstwiderspruchs), ist es relativ leicht zu zeigen, dass er nicht dazu beiträgt, die Intentionen von Schulze klarzustellen, denn der schulzesche Skeptizismus bezieht sich weder auf die Verneinung der Grundkriterien der Rationalität, 38 noch auf die Verkennung von etwas Bestimmterem als diesen Grundkriterien, nämlich das Wissen überhaupt. Die schulzesche Skepsis bezieht sich vielmehr darauf, das Erklärungs- und Begründungspotential der Erkenntnisphilosophie in Frage zu stellen. 39 Schulzes Skeptizismus besteht grundsätzlich darin, auf die Unzulänglichkeit der spekulativen Erkenntnisphilosophie mit ihrem Anspruch, den letzten Grund der Erkenntnis zu bestimmen, hinzuweisen. Nachdem diese Unzulänglichkeit an den Tag gebracht worden ist, gelangt die skeptische Reflexion zu einer Unentschiedenheit über den letzten Grund der Möglichkeit der objektiven Erkenntnis. beide sind […] spezifisch verschieden; kein Vernünftiger wird in dem Besitze der Vorstellung von Etwas dieses Etwas zugleich selbst zu besitzen wähnen« (Verhältnis, S. 225). 38 Eines dieser Kriterien ist selbstverständlich die allgemeine oder formale Logik. Schulze betrachtet die formale Logik samt der »Tatsache«, dass wir Vorstellungen besitzen, als sehr allgemeine oder, wenn man dies vorzieht, als sehr unbestimmte epistemologische Prinzipien, die der kritischen Analyse gegen die kantisch-reinholdsche Erkenntnisphilosophie nicht unterworfen werden. Die allgemeine Logik und der Besitz von Vorstellungen müssen gleichzeitig für »Tatsachen« gehalten werden, die schon für den Begründungsversuch der Ersten Transzendentalphilosophie bzw. von Reinholds Elementarphilosophie vorausgesetzt werden müssen, bevor diese Anstrengung überhaupt beginnt. Das heißt, es sind Tatsachen, die aus keinem oberen Prinzip abgeleitet werden können, ohne dass man in circulus in probando gerät. Siehe Aenesidemus, S. 45: »Ich lege aber folgende Sätze als bereits ausgemacht und giltig der Censur der Elementar-Philosophie zum Grunde: 1) Es giebt Vorstellungen in uns, an welchen sowohl mancherley Unterschiede von einander vorkommen, als auch gewisse Merkmale angetroffen werden, in Ansehung welcher sie mit einander übereinstimmen. 2) Der Probierstein alles Wahren ist die allgemeine Logik; und iedes Raisonnement über Thatsachen kann nur in so fern auf Richtigkeit Ansprüche machen, als es mit den Gesetzen der allgemeinen Logik übereinstimmt.« 39 Vgl. Hauptmomente §§ 44–45, S. 378 ff. [47 ff.]. Dazu Hoyos (2001a). A

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Diese Situation von Unentschiedenheit macht jedoch kein Moment aus, das die gleichen Wahrheitsansprüche aufweist, welche der Transzendentalphilosophie angehören. Denn im Unterschied zur transzendentalen Art des Philosophierens glaubt die skeptische Denkart nicht, in der Lage zu sein, einen ersten Grund der Erkenntnis etablieren zu können. Was ferner die Gründe der skeptischen Zweifel betrifft, so bestehen dieselben auch nicht aus einer Erkenntnis, welche auf objektive Gültigkeit Ansprüche macht. Denn sie sind ja nur ein Bewußtsein des Mangels derjenigen Bedingungen, unter welchen allererst ein Wissen stattfinden kann, und dieser Mangel ist keineswegs eine von dem Bewußtsein desselben verschiedene Sache. (Hauptmomente § 45, S. 379 [49])

Was den zweiten Sinn angeht, den der Dogmatismus-Vorwurf aufweist (der Einwand, nach welchem behauptet wird, der schulzeschen Kritik der Erkenntnistheorie läge eine kausal-noumenalistische Auffassung vom Subjekt und vom Objekt der Erkenntnis als Voraussetzung zugrunde), ist zu zeigen, dass die von Schulze wiederholt betonte Unmöglichkeit der fundamentalen Theorie der Erkenntnis von Objekten zwar angesichts einer Auffassung gestellt wurde, die einen gewissen noumenalistischen und kausalen Realismus voraussetzt. Diese Voraussetzung liegt jedoch der durch den Skeptiker Schulze in Frage gestellten Transzendentalphilosophie der Erkenntnis selbst zugrunde und soll keineswegs für eine eigene dogmatische Voraussetzung gehalten werden, die ausschließlich dem epistemologischen Skeptizismus angehört. Mit anderen Worten: Der Angriff gegen die Reichweite der Erklärung der (transzendentalen) Erkenntnistheorie vonseiten des Schulzeschen Skeptizismus ist durch die Voraussetzung dieser Erkenntnistheorie bedingt. Auf diese Weise kann z. B. gesagt werden, dass, wenn als Bedingung zur Erkenntnis von Objekten angenommen wird, dass sie eine Realität unabhängig von der Vorstellung haben müssen, aber als Bedingung dieser Erkenntnis gleichzeitig anerkannt wird, dass diese in Vorstellungen ausgedrückt wird, dann kann man nicht umhin zu behaupten, dass es – diese beiden Bedingungen vorausgesetzt – nicht möglich ist, Gegenstände unabhängig von den Vorstellungen zu erkennen. Das heißt, Erkennen ist also gemäß der ersten Bedingung nicht möglich. Die bedingte Verneinung der Erkenntnismöglichkeit kann auch folgendermaßen zum Ausdruck gebracht werden: Eine Erkenntnis von Gegenständen ist nur dann nicht möglich, wenn diese als all118

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gemein gültige Erkenntnis desjenigen, was die Gegenstände an sich sind, vorausgesetzt wird. 40 Es wird vielleicht entgegnet werden, dass dies eine Platitüde ist (auf die übrigens Kant schon aufmerksam gemacht hat). Gewiss ist es so. Was dennoch keine Platitüde sein soll, ist der Verweis darauf, dass der Anspruch, eine vom Bewusstsein unabhängige und von der Vorstellung verschiedene Wirklichkeit zu erkennen, von jeder – durch die so genannte Übereinstimmungsauffassung von der Wahrheit dominierten – Erkenntnistheorie vorausgesetzt wird. Und diese Auffassung ist ein äußerst geschätztes Gut der kantischen Philosophie. Die Korrespondenz- bzw. Übereinstimmungs-Theorie der Wahrheit stellt für Schulze eine wichtige Bastion dar, die auf gar keinen Fall dem Idealismus, der Identitätsphilosophie oder irgendeiner Form von Kohärentismus – wie wir heute wahrscheinlich sagen würden – ausgeliefert werden darf. Der Anlass dafür, dass diese realistische Bastion so akribisch verteidigt wird, ist in der modernen Philosophie in gewissem Sinne als klassisch zu nennen. Es handelt sich nämlich dabei um die Befürchtung, dass ein Kohärentismus dazu Anlass geben könnte, einen bloßen Zusammenhang von eingebildeten Vorstellungen oder von leeren Formen für objektive Erkenntnis zu halten. Es geht also um die Befürchtung, dass das Kriterium des objektiven Bezugs gegenüber Urteilen mit epistemischen Ansprüchen verloren geht. Die Verteidigung dieser realistischen Bastion liegt auch dem Nihilismus-Vorwurf von Jacobi gegen die idealistische Philosophie Fichtes sowie dem FormalismusVorwurf von Schulze gegen die Philosophie Kants zugrunde. 41 In seinem berühmten Brief an Fichte von 1799 (im Folgenden als Sendschreiben zitiert) wirft Jacobi, wie bekannt ist, der »idealistischen Philosophie« »Nihilismus« vor. Damit führt er in der Geschichte der europäischen Philosophie einen Terminus ein, der in den letzten zwei Jahrhunderten eine beachtliche Karriere gemacht hat. 42 Jacobis Nihilismus-Vorwurf richtet sich gegen die idealistische Vgl. Hauptmomente, § 15 (gegen die objektive Gültigkeit) und § 17 (gegen die allgemeine Gültigkeit). 41 Siehe Aenesidemus, S. 387; KthPh I, S. 99. 42 Siehe dazu Süß (1951), 194 f. Timm suggeriert, dass der Terminus von J. H. Obereit eingeführt worden sein könnte, der vor der Publikation des Sendschreibens Kontakt mit Jacobi hatte (siehe Timm 1971: 81; auch Timm 1974: 339–359). V. Verra hat über das Verhältnis des Nihilismus-Vorwurfs gegen den deutschen Idealismus und die Pantheismus-Debatte ausführlich berichtet (Verra 1963: 231–270; auch Verra 1969). Über den mächtigen Einfluss, den der Nihilismus-Vorwurf gegen die deutsche klassische Philoso40

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und subjektivistische moderne Philosophie der Erkenntnis. Dieser Vorwurf spitzt sich vor allem mit Bezug auf die Form zu, die Kants Transzendentalphilosophie und Fichtes Idealismus annehmen. Man kann aber gleichzeitig beobachten, dass der Geist dieses Vorwurfs schon in Thomas Reids Kritik am modernen Idealismus enthalten war. 43 Eine bedeutende Konsequenz dieser Kritik bestand darin, dass der repräsentationalistische Idealismus, indem er zwischen die Wahrnehmung und den wahrgenommenen Gegenstand eine Idee bzw. eine Vorstellung stellt, zu einem Verlust der wahrgenommenen Wirklichkeit führt. Nach dem modernen Repräsentationalismus wären also die Vorstellungen das Einzige, was direkt wahrgenommen wird. Im Gegensatz zu dieser idealistischen Auffassung der Wahrnehmung steht der direkte Realismus, der mit unserer alltäglichen Auffassung der Wahrnehmungswirklichkeit konform geht. Der Common-SenseRealismus ist somit der Gegensatz zum Nihilismus. Der NihilismusVorwurf gegen die Transzendentalphilosophie Kants war schon in der Kritik von Hamann an dem von ihm so genannten »Purismus der Vernunft« sichtbar, genauso wie in der negativen Bezeichnung der kritischen Philosophie als bloßer Formalismus durch Schulze. Die Kritik am modernen Repräsentationalismus ist wiederum etwas, das Jacobi und Schulze teilen. Nun aber sehr beachtenswert ist die Tatsache, dass gerade dieses Bedürfnis nach Wirklichkeit mit den skeptischen Konsequenzen von Schulzes Erkenntnisphilosophie eng verbunden ist. Schulze schreibt: [D]as Objekt in Relation auf welches und in Übereinstimmung mit welchem die Erkenntnis allererst Erkenntnis von einem Etwas, und keine bloße Einbildung ist, muß immer, es sey nun ein äußeres, oder inneres Objekt, ein von derjenigen Bestimmung des Bewußtseins, die dessen Erkenntnis ist, Verschiedenes und Unabhängiges ausmachen. Bekanntlich wird nun diese Beziehung durch das Urteil, eine Erkenntnis sei wahr, ausgedrückt, unter dem einer Erkenntnis beygelegten Irrthume aber dieses verstanden, daß das Objekt, worauf in Beziehung eine Modification des Bewußtseyns allererst die phie in der postkantischen Philosophie ausgeübt hat, vgl. Müller-Lauter (1975). Über die Geschichte des Terminus »Nihilismus« siehe Gawoll 1989. 43 Siehe dazu G. Baum (1969), 42 f. Über die Verbindung zwischen Jacobi und Reid siehe auch Wilde (1966), 54. Vgl. auch Giovanni (1998), 48–58. M. Kuehn (1987) hat eine wichtige historisch-philosophische Untersuchung über die Rezeption der schottischen Philosophie des common sense am Ende des XVIII. Jahrhunderts in Deutschland geliefert.

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Dignität einer Erkenntnis besitzt, nur in der Einbildungskraft existiere. (Hauptmomente § 6, S. 358 [5]) 44

Wenn mit dieser Auffassung zur objektiven Gültigkeit der wahren Erkenntnis gleichzeitig eine nicht zu erfüllende Bedingung gefordert wird, dann verwundert es nicht, dass der einzige Weg, der bleibt, der Skeptizismus ist. Es sei denn, man stellt sich mit einer relativ-objektiven Gültigkeit zufrieden. Eine solche relativ-objektive Gültigkeit wird in unseren Urteilen im Alltag und in den empirischen Wissenschaften bekräftigt. Dies ist auch ein geschätztes Gut der schulzeschen Denkart. Oder besser gesagt: Bezüglich solcher Urteile sieht der skeptische Philosoph kein großes (philosophisches) Motiv des Zweifels. 45 Schulzes Skeptizismus ist lediglich ein theoretisch-philosophischer, d. h. eine Hinterfragung der Reichweite und der Leistungen der philosophischen Anmaßung, das Problem des Ursprungs und der Möglichkeit der menschlichen Erkenntnis durch bloßes Raisonnement zu lösen. Hegel hat meines Erachtens Recht, wenn er eine der Grundlagen des schulzeschen Skeptizismus in festem Dualismus vorfindet, der seiner Auffassung von der Wahrheit – verstanden als Übereinstimmung der subjektiven Vorstellungen mit den objektiven Inhalten – zugrunde liegt. Der Gedanke, dass ein solcher Skeptizismus durch eine Theorie der Identität von beiden Polen dieser Dualität entwaffnet werden kann, ist im Zusammenhang mit Hegels Interpretation durchaus konsequent. Was jedoch in dieser anti-skeptischen Strategie nicht ohne weiteres akzeptiert werden kann, ist die von Hegel vorgenommene Gleichsetzung der Übereinstimmungstheorie mit der Theorie der Subjekt-Objekt-Identität – all das mit der Absicht zu zeigen, dass der philosophische Skeptizismus auf der Voraussetzung genau desjenigen beruht, das er selbst verneinen will. 46 Die realistische Übereinstimmungsauffassung von der Wahrheit, oder besser die Wahrheitsauffassung, die (um den Ausdruck von Davidson [1983] [1984, S183–198] zu benutzen) auf »Konfrontation« zwischen dem, was wir glauben, und der Wirklichkeit basiert, ist ein Bestandteil, welches in der gesamten Philosophie Schulzes zu finden ist (vgl. Aenesidemus, S. 223 ff.; KthPh I, S. 69 ff.; Logik, S. 9; 135 ff.). 45 Vgl. Hauptmomente § 16. 46 Gegründet auf die Gleichsetzung von Übereinstimmungs- und Identitätstheorie versucht Hegel nachzuweisen, dass Schulze, indem er die Übereinstimmung in unserer alltäglichen Erkenntnis als realisiert voraussetzt, die Identität also der Dualität zugrunde legt: »Im täglichen Leben, sagt Herr Schulze, setzen wir jene Identität voraus; daß sie eine vorausgesetzte ist im täglichen Leben, heißt, sie ist im gemeinen Bewußtsein nicht 44

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Bei näherer Betrachtung setzt die Korrespondenz bzw. Übereinstimmung vor allem Dualität oder zumindest Differenz zwischen den beiden Gliedern, die übereinstimmen sollen, nicht aber Identität voraus. Übereinstimmung und Identität stellen jedoch zwei Verhältnisse von sehr unterschiedlichem Typus dar. Dieser Unterschied soll nun auf den epistemologischen Gebrauch beider Termini ausgedehnt werden. Die Identifizierung des Verhältnisses »A stimmt mit B überein« mit dem Verhältnis »A ist mit B identisch« ist nicht nur unplausibel, sondern sie trägt auch noch keinesfalls dazu bei, das Übereinstimmungsverhältnis zwischen A und B zu erfassen. Dass mein Stadtplan von Paris mit der Stadt Paris übereinstimmt, bedeutet nicht, dass der Stadtplan mit der Stadt identisch ist. Wie auch immer das Übereinstimmungsverhältnis zwischen Stadtplan und Stadt genau sein mag, etwas kann auf jeden Fall in diesem Verhältnis herausgestellt werden, nämlich der Unterschied und nicht gerade die Identität zwischen beiden Gliedern dieses Verhältnisses. Ein Unterschied dieser Art ist dasjenige, was der Auffassung von der wahren Erkenntnis – verstanden als Übereinstimmung – zugrunde liegt. Dieser Unterschied ist wiederum eine der Hauptquellen (wenn nicht die Hauptquelle), aus der sich der moderne philosophische Skeptizismus nährt. 47 Inwiefern ist nun das Problem der Übereinstimmung zwischen subjektiven Vorstellungen und objektiven Inhalten – um das es in der modernen Erkenntnistheorie geht und dessen Legitimität von Schulze akzeptiert wird – als eine der Quellen des Skeptizismus des »neuen Aenesidemus« anzusehen? Schulze denkt, dass »die Möglichkeit der Übereinstimmung der Vorstellungen mit Sachen eines der größten Räthsel der menschlichen Natur« ist. »Im täglichen Leben nun setzen wir die Wirklichkeit einer solchen Übereinstimmung beständig

vorhanden; die neuere Metaphysik suche die Möglichkeit dieser Identität zu ergründen; aber daran, daß die neuere Philosophie die Möglichkeit der im gemeinen Leben vorausgesetzten Identität zu ergründen suche, ist ja kein wahres Wort; denn sie tut nichts, als jene vorausgesetzte Identität aussprechen und erkennen; eben weil im täglichen Leben jene Identität eine vorausgesetzte ist, setzt das gemeine Bewußtsein das Objekt immer als ein anderes als das Subjekt, und das Objektive untereinander so wie das Subjektive wieder als eine unendliche Mannigfaltigkeit von absolut Verschiedenem; diese fürs gemeine Bewußtsein nur vorausgesetzte, bewußtlose Identität bringt die Metaphysik zum Bewußtsein, sie ist ihr absolutes und einziges Prinzip« (Verhältnis, S. 226). Ziel der Hegelschen Gleichsetzung ist zu zeigen, dass der Skeptizismus sich selbst aufhebt. 47 Das macht die Grundlage der gegenwärtigen Skeptizismus-Diskussion aus. Siehe dazu z. B. B. Stroud (1984).

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Dialektischer Skeptizismus

als gewiß voraus, ohne uns um deren Möglichkeit im geringsten zu bekümmern« (KthPh I, S. 70). Man beachte, dass, worum es hier geht, nicht die Übereinstimmung an sich ist, sondern die Erklärung ihrer Möglichkeit. Schulzes Verdacht bezieht sich auf die Reichweite der Erkenntnisphilosophie, um solch eine Möglichkeit zu erklären. Außerdem ist bemerkenswert, dass Schulze die Übereinstimmung »Vorstellung« – »Sache« als eine alltägliche Tatsache betrachtet, dass er aber auf der anderen Seite erkennen lässt, dass sich der Skeptizismus in Bezug auf die objektive Gültigkeit der Erkenntnis gerade von diesem Dualismus ernährt. 48 Hier scheint er nicht unbedingt konsistent zu sein. Mit Bezug auf die mittelbare Erkenntnis oder die Erkenntnis durch Vorstellungen ist es im Grunde unmöglich, das Problem der Übereinstimmung zu lösen, weder in Hinsicht auf deren Möglichkeit noch deren Realität. Gleiches kann man jedoch nicht über dasjenige sagen, was von Schulze die unmittelbare Erkenntnis genannt wird. Denn bei der unmittelbaren Erkenntnis spielt die Vorstellung keine Rolle, und daher ist bei ihr das Übereinstimmungsproblem irrelevant. Die unmittelbare Erkenntnis (die sinnliche Wahrnehmung) tut uns direkt eine Wirklichkeit kund, die von der Vorstellung »spezifisch« unterschieden ist. 49 Wenn es so etwas Siehe Hauptmomente § 15. Ich befasse mich später (§ 6) mit diesen beiden Typen von Erkenntnis eingehender. A. Engstler macht darauf aufmerksam, dass Hegel in seiner Kritik an der hier zur Diskussion gestellten Passage völlig vernachlässigt, dass der Unterschied von »Vorstellung« und »Sache« für Schulze ein Charakteristikum dessen ist, was er die mittelbare Erkenntnis nennt, aber nicht Erkenntnis schlechthin. Hegel übersehe hier eine der Pointen der schulzeschen Philosophie, nämlich den Gedanken, dass wir außer der mittelbaren Erkenntnis durch Vorstellungen auch ein epistemisches Verhältnis zu den wahrhaftigen Gegenständen haben, das durch Vorstellungen nicht vermittelt wird. Dies ist bei der Wahrnehmung oder auch bei der empirischen Anschauung der Fall, die von der Vorstellung »spezifisch« unterschieden sind. Englster erklärt diese Vernachlässigung von Hegel dadurch, dass seine Lektüre der KthPh möglicherweise durch den Aenesidemus pervertiert wurde, denn im Aenesidemus verteidigt Schulze immer noch einen epistemologischen Repräsentationalismus (vgl. Engstler: 1996, 110 ff.). Es ist richtig zu behaupten, dass hierin einer der großen Unterschiede zwischen den beiden Werken Schulzes besteht. Mit anderen Worten heißt dies: Der Skeptiker Schulze ist im Aenesidemus grundsätzlich Humescher Art, während der Skeptiker Schulze in der KthPh ein Skeptiker ist, der Reid schon gelesen hat, aber weiterhin als Skeptiker auftritt. Man kann Hegel auch wegen Nachlässigkeit kritisieren, weil er sich in seiner Rezension der KthPh auf den Begriff der unmittelbaren Erkenntnis nicht so bezogen hat, wie diese es verdient hätte. Was Hegel jedoch nicht angerechnet werden kann, ist meines Erachtens diese Vernachlässigung im Kontext des Kommentars zur zitierten Passage, denn in dieser 48 49

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wie eine alltägliche Übereinstimmung der »Vorstellungen« mit den »Sachen« gibt, ist zu vermuten, dass sie als Verhältnis zwischen unmittelbarer und mittelbarer Erkenntnis zustande kommt. Nur auf diese Weise könnte Schulze vor der erwähnten Inkonsistenz gerettet werden. Allerdings glaube ich, dass uns Schulze diese Erklärung schuldig geblieben ist. Wenn gleich dies für sicher gehalten werden kann, rechtfertigt sich deswegen noch nicht die Gleichsetzung von Identität und Übereinstimmung zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven, die Hegel einsetzt, um zu zeigen, dass der Skeptizismus sich selbst aufhebt, indem er dasjenige voraussetzt, was er verneint. Diese Identifizierung ist noch schwieriger zu rechtfertigen, wenn man beachtet, dass Schulze selbst bemerkt hat, dass die besagte Übereinstimmung von Vorstellungen und Sachen (a) von »der logischen Übereinstimmung der Begriffe (nach welcher der eine Begriff dem andern nicht widerspricht, sondern mit ihm verbunden werden kann)« und (b) von »der Identität der Begriffe (nach welcher ein Begriff mit dem anderen völlig zusammentrifft)« scharf unterschieden werden muss. 50 Die Auffassung der wahren Erkenntnis als Übereinstimmung von »Vorstellungen« und »Sachen«, die mittels dieser Vorstellungen erkannt werden, setzt also den qualitativen Unterschied zwischen den Gliedern voraus, die am Übereinstimmungsverhältnis beteiligt sind. Die Frage, die sich nun ergibt, ist nicht bloß die, ob mit dieser Voraussetzung einem Realismus, der Erwartungen weckt, welche von der Erkenntnistheorie nicht erfüllt werden können, die Tür gePassage behandelt Schulze das Problem der Übereinstimmung in Bezug auf die Erkenntnis durch Vorstellungen (oder mittelbare Erkenntnis). Nur innerhalb dieses Kontextes hat dieses Problem einen Sinn. Die Kritik von Hegel am Begriff einer unmittelbaren Erkenntnis kann man übrigens an anderer Stelle wiederfinden, nämlich im Kapitel über die »sinnliche Gewissheit« in der Phänomenologie des Geistes (vgl. S. 63 ff., bes. S. 69 ff.). Siehe ebenfalls Düsing (1973). Diese Kritik kann auch gegen Jacobi, den Befürworter der Unmittelbarkeit, gerichtet sein (vgl. dazu die Anm. des Herausgebers der Phänomenologie des Geistes (1988, S 76, Anm. S. 578 f.). 50 Siehe außerdem dazu: »Eine völlige Identität zwischen der Vorstellung und dem dadurch vorgestellten existierenden Objekte, vermöge welcher die Bestimmungen jener mit den Bestimmungen dieser genau zusammentrafen, ist vollends ganz und gar unmöglich, weil beide von einander spezifisch verschieden sind, daher auch kein Vernünftiger in dem Besitze der Vorstellung von Etwas, dieses Etwas zugleich selbst zu besitzen wähnen wird. Worin aber eigentlich das Positive der Übereinstimmung der Vorstellungen mit ihren realen Objekten bestehe, läßt sich nicht weiter durch Worte angeben und beschreiben« (KthPh I, S. 69).

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Aufgeklärter, progressiver und protestantischer Skeptizismus

öffnet wird, sondern vielmehr, ob bei einem sinnvollen Reden von »Wahrheit« oder »wahrer Erkenntnis« auf die Voraussetzung einer Übereinstimmungstheorie verzichtet werden kann. Einer solchen Übereinstimmung liegt der Unterschied zwischen den Gliedern des Übereinstimmungsverhältnisses und – mit ihm – der Realismus zugrunde. Schließlich lautet die entscheidende Frage, mit der uns der schulzesche philosophische Skeptizismus konfrontiert, wie verzichtbar der Realismus in einer Theorie der Wahrheit denn ist. Die Hinterfragung der Möglichkeit der Erkenntnis sowie der Zweifel am erklärenden Charakter der Erkenntnistheorie (oder »theoretischen Philosophie«) samt ihren Begründungsanmaßungen sind also nach Schulze durch eine gewisse Auffassung von der Erkenntnis und der Erkenntnistheorie bedingt. Dieser Auffassung zufolge werden verschiedene theoretische Erwartungen geweckt. Solche Erwartungen können in dem Bestreben der theoretischen Philosophie zusammengefasst werden, dem Problem des letzten Grundes der menschlichen Erkenntnis Rechnung zu tragen. Nach dieser Auffassung wird außerdem die menschliche Erkenntnis als absolut objektiv und allgemein gültig vorgefasst. Schulzes skeptischer Versuch besteht nun darin, nachzuweisen, dass diese Vorfassung weder zu rechtfertigen ist (außer im Falle der Mathematik, deren Allgemeingültigkeit unbestreitbar ist), 51 noch dass – eng damit verbunden – gesagt werden kann, dass die von der theoretischen Philosophie geweckten Erwartungen erfüllt werden.

§ 3. Aufgeklärter, progressiver und protestantischer Skeptizismus Eine häufige Klage gegen den philosophischen Skeptizismus ist diejenige, mit der er beschuldigt wird, dem Geist der Aufklärung und dem Fortschreiten des Wissens entgegenzustehen, mit anderen Worten: Es handelt sich um den Vorwurf, dass der philosophische Skeptizismus für den menschlichen Fortschritt schädlich sei. 52 Für Schulze ist dieser Einwand nicht weniger unberechtigt als derjenige, der dem skeptischen Vorgehen Dogmatismus zuschreibt. Im letzten Absatz des ersten Bandes der KthPh äußert sich Schulze zu diesem Vorurteil 51 52

Vgl. Hauptmomente § 22. Vgl. oben. I, § 1. Dieser Vorwurf wird häufig wiederholt (s. z. B. Watkins: 1984, S. 31). A

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gegenüber der skeptischen Philosophie, indem er versucht, über die wahrhaftige Position des philosophischen Skeptizismus in Bezug auf den Fortschritt der Kultur und die »Frage der Religion« (die bekanntlich einer der wesentlichen und charakteristischsten Schwerpunkte der späten deutschen Aufklärung darstellt) 53 Bericht zu erstatten. Der Titel dieses Abschnittes enthüllt eindeutig seine Intention: Verteidigung des Skeptizismus gegen die Beschuldigung, daß er keinen die menschlichen Vernunft interessierenden Zweck habe, daß er ein vorzügliches Mittel der Kultur des menschlichen Verstandes unwirksam mache, daß er die Fundamente der Moral und Religion untergrabe, und daß er endlich zum wenigsten mittelbarer Weise die Schwärmerei befördere. (KthPh I, S. 659)

Die Art und Weise, in der Schulze diese Verteidigung des Skeptizismus vornimmt, verdient näher betrachtet zu werden, wenn man eine richtige Vorstellung von seinem kritischen Ansatz erhalten möchte. Eine solche nähere Betrachtung sollte wiederum an der Aufhebung eines falschen Begriffes vom philosophischen Skeptizismus teilhaben wie an dem Beweis, dass der Feind, den die anti-skeptische Transzendentalphilosophie bekämpft – wobei sie ihn im Voraus mit dem Namen des »Skeptizismus« bezeichnet – ein (in nicht geringem Maße) eingebildeter ist. Schulze denkt, dass der falsche Begriff, den man vom philosophischen Skeptizismus hat, beseitigt werden kann, indem man eines nach dem anderen die vier Vorurteile widerlegt, die er im Titel seiner Verteidigung nennt. Im Sinne dieses selben philosophischen Vorgehens, d. h. des dialektischen Vorgehens der Gegensetzung von Meinungen, stellt Schulze die (dogmatischen) Argumente vor, die für diesen falschen Begriff vom Skeptizismus sprechen und setzt jedem von ihnen das jeweilige Gegenargument gegenüber. Damit erreicht er zwei wichtige Ziele, zum einen bringt er Klarheit zu den Motiven, die den philosophischen Dogmatismus in seiner Art des Philosophierens anregen, und zum anderen führt er die versprochene Verteidigung des Skeptizismus durch.

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Siehe oben. I, §§ 2 und 3.

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Aufgeklärter, progressiver und protestantischer Skeptizismus

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Vier Vorbehalte gegen den Skeptizismus

1. Man hat in Bezug auf die Auffassung, die das erste Vorurteil gegen den Skeptizismus unterstützt, nämlich die Auffassung, nach der »der Skeptizismus gar keinen der menschlichen Vernunft angemessenen Zweck hat« (KthPh I, S. 661), Folgendes hervorzuheben: Das Hauptinteresse des Dogmatismus besteht in der Verteidigung der transzendentalen Erkenntnis jenseits der Grenzen desjenigen, was man wissen kann. Dieses Interesse erreicht seinen höchsten Ausdruck in dem Anspruch, ein wahres Wissen über die »Existenz Gottes«, über die »Freiheit des Willens«, den »Glauben an die Unsterblichkeit« und die »übersinnliche Quelle der Pflichtgebote« zu begründen (KthPh I, S. 663): Der Dogmatismus hat also einen Zweck, der die Vernunft interessirt, und an dessen Erreichung jeder gutgesinnte Mensch innigen Anteil nimmt. Und wenn er auch nie völlig erreicht werden könnte, so ist es doch schon ein Gewinn, demselben auch nur um einige Schritte näher gebracht worden zu sein. (ebd.)

Das Argument gegen den Skeptiker besteht hierbei in dem Verweis auf seinen hoffnungslosen Versuch, sich am Zweifel festzuhalten und über einen unendlichen Ozean aus Ungewissheit zu steuern. Nach dieser Auffassung gelangt der Skeptizismus schließlich dazu, das zu fordern, »was er nicht leisten kann« und zu tadeln, »was er nicht besser zu machen versteht« (ebd., S. 664), da er – gegründet auf das kritische Aufzeigen der Grenzen, die der menschlichen Erkenntnis und Vernunft eigen sind – als einzig konsequentes Ergebnis die Hinterfragung jeder Möglichkeit des menschlichen Wissens (so bescheiden diese auch sei) annimmt. So stellt der Dogmatiker fest: Es ist also nur ein törichter Hang, sich, weil man das menschliche Wissen nicht weiter bringen kann, durch ein vorgebliches Nichtwissen auszeichnen zu wollen, und gar kein der menschlichen Vernunft gemäßer Zweck, was dem Skeptizismus zum Grunde liegt. (ebd.)

2. Zur Bekräftigung seiner zweiten Auffassung vom philosophischen Skeptizismus – der Vorstellung, nach der »der Skeptizismus ein vorzügliches Mittel der Cultur des menschlichen Verstandes ganz unwirksam macht« (ebd.) – spielt der Dogmatismus, so Schulze, auf Folgendes an: Der Mensch unterscheidet sich vom Tier durch den Gebrauch von Begriffen und das Vermögen der Abstraktion. Die A

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(spekulative, dogmatische) Philosophie lehrt, Erkenntnisse anhand von allgemeinen Grundsätzen abzuleiten. Sie erhebt sich über die bloße unmittelbare und alltägliche Erfahrung und trägt somit zur Entwicklung der Kultur des Verstandes bei; sie ist sogar in gewissem Sinne der höchste Ausdruck des menschlichen kultivierten Verstandes. Indem der Skeptizismus der vernünftigen Beschäftigung mit den Systemen der spekulativen Philosophie keine Bedeutung zugesteht, indem er die begriffliche Übung und die argumentative Schulung missachtet, kann behauptet werden, dass seine Stagnation in der »Brutalität«, in der »Rohheit« und in dem Mangel an eigener Freiheit des primitivsten Naturzustandes beginnt. 54 So unschädlich also der Skeptizismus auch immer für die Angelegenheiten des täglichen Lebens sein mag, so ist er es doch keineswegs für die Cultur der Wissenschaften und die Ausbildung des Verstandes, denn die Geringschätzung der zu diesen Wissenschaften erfordelichen Geistestätigkeit, die er einflößt, kann unmöglich zur Bearbeitung derselben einladend sein. (KthPh I, S. 670) 55

3. Die Anklage, dass »der Skeptizismus die Fundamente der Moral und Religion untergräbt« (ebd., S. 671), gründet sich auf die bekannte Meinung, nach welcher der skeptische Philosoph die Verteidigung des absoluten Charakters irgendeines Prinzips als nicht legitim erachtet. Diese anti-absolutistische Einstellung ist für den spekulativen Philosophen eine klare Beleidigung gegen die Religion: Der Skeptizismus lässt […] gar nichts übrig, worauf man Religion stützen könnte, und will die Blicke unseres Geistes lediglich auf die Betrachtung der Unvollkommenheit der Sinnenwelt eingeschränkt wissen. (ebd., S. 673 f.)

4. Letztendlich bringt der anti-skeptische spekulative Philosoph Gründe vor, um den Vorwurf, dass »der Skeptizismus zum wenigsten mittelbarer Weise alle Arten der Schwärmerei begünstigt« (ebd., S. 674), zu unterstützen. Der Skeptizismus will die Schwärmerei verbannen, aber stattdessen schürt er sie, ohne dies zu bemerken. Der Mensch besitzt eine ausgeprägte Neigung, die bedeutendsten Probleme und Mysterien des Seins lösen zu wollen, und die spekulative Philosophie bietet ein Mittel, um jener Neigung Befriedigung zu verschaffen. Der Skeptizismus erkennt jenes natürliche Bestreben des Menschen weder an, noch zeigt er sich besorgt, um wenigstens etwas 54 55

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Vgl. KthPh I, S. 670. Vgl. Reinhold, Beyträge II, S. 179; Hegel, Verhältnis, S. 202, 222.

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zu finden, das diesem entsprechen könnte. Seine Abschätzung gegenüber den Prinzipien und Bemühungen der spekulativen Philosophie ähnelt der eines Schwärmers, da es sich um eine Abschätzung gegenüber den vernünftigen, begründeten Verfahren in fundamentalen Begriffen und Grundsätzen handelt: Die Schwärmerei und die Denkungsart des Skeptizismus sind daher gar nicht miteinander ganz unverträglich; und so wie der Unglaube oft in dem törichtesten Aberglauben übergegangen ist, eben so kann der Skeptizismus, weil er die Wißbegierde der Vernunft in allen Stücken unbefriedigt läßt, die Schwärmerei begünstigen. (KthPh I, S. 376)

B.

Verteidigung des Skeptizismus

Gegen jeden der vier vorhergehenden Vorwürfe hält Schulze eine Antwort bereit. Die Einheit dieser vier Antworten bedeutet wiederum so sehr eine Verteidigung wie sie eine genauere und richtigere Charakterisierung der skeptischen Denkart darstellt. 1. Die beste Verteidigung gegen den ersten Vorwurf ist vielleicht die Antwort auf die Frage: Was sucht der philosophische Skeptizismus? Für Schulze darf sich die Suche des Skeptizismus nicht auf der Ebene der spezifischen Kenntnisse einordnen, d. h. auf dem Feld der bestimmten wissenschaftlichen Disziplinen. Also geht es nicht um die Suche nach spezifischen wahren Inhalten, sondern viel eher um eine Suche, die sich auf dem Feld der Erkenntniskritik einordnen lässt. Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine Suche in demselben Bereich, auf den sich die transzendentale Erkenntnisphilosophie bezieht (eine ausschließlich meta-theoretische Sphäre), aber ohne ins Innere dieses Bereiches stoßen zu wollen, was mit demselben Wahrheitsgehalt betrachtet werden kann, mit dem die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen ausgestattet sind. Wonach sucht nun also der philosophische Skeptizismus? »Eine sichere Richtschnur für den Gebrauch des Erkenntnisvermögen ist es nun, was der Skeptizismus zuerst und ganz vorzüglich beabsichtiget« (ebd., S. 679). Den Grundvorsatz des philosophischen Skeptizismus kann man in der Aufgabe sehen zu erforschen, ob und wie es möglich ist zu wissen – bevor man etwas konkret weiß. Aus dieser Perspektive scheint es keinen ernsthaften Gegensatz in Bezug auf das Ziel dieser Form des philosophischen Skeptizismus und das der kritischen Philosophie zu geben. Schulze würde wahrscheinlich diese letzte MeiA

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nung teilen, vielleicht indem er hinzufügte, dass der Unterschied zwischen beiden Formen des Philosophierens nur in den unterschiedlichen Betonungen liegen sollte. Die kritische und transzendentale Philosophie ist gewiss eine meta-theoretische Konstruktion, die die Abgrenzung zwischen demjenigen, das man wissen kann und demjenigen, das man nicht wissen kann, verfolgt. Bis hierher besteht zwischen dem kantischen kritischen Modell und dem skeptischen Modell Schulzes eine Einheit. In Bezug auf die epistemologische Konstruktion selbst jedoch, auf die Erklärung der Gründe der möglichen Erkenntnis, sind beide Modelle ein Ausdruck von verschiedenen theoretischen Auffassungen. In strengem Sinne ist das transzendentale Modell konstruktiv, d. h. es ist sich hinsichtlich der Möglichkeiten zu einer Erklärung der Gründe der menschlichen Erfahrung sicher. Schulze ist dagegen weitaus weniger optimistisch in Bezug auf die Möglichkeiten dieser Erklärung und setzt den Akzent vorzugsweise auf dasjenige, was man den destruktiven Aspekt der Erkenntniskritik nennen könnte. Auch wenn er es nicht eindeutig sagt, sondern nur ab und zu die Gemeinsamkeit zwischen den Absichten seiner skeptischen Art des Philosophierens und der der kritischen Philosophie in gewisser Weise überbetont – all das mit dem Ziel, vom Projekt der Aufklärung nicht ausgeschlossen zu bleiben –, ist offensichtlich, dass sich eine der Hauptabsichten (und vielleicht einer der größten Erfolge) der Philosophie Schulzes in seinem einzig kritischen und destruktiven Akzent findet. Schulze hält einerseits fest, dass sich der Gegenstand des dialektischen Skeptizismus nicht vom Gegenstand des philosophischen Dogmatismus entfernt, wenn man beachtet, dass dieser darin besteht, »der Vernunft in Ansehung ihres Fürwahrhaltens Sicherheit zu verschaffen, und dadurch alle Veränderung in ihr in Urteilen, so viel nur möglich ist, zu verhindern« (KthPh I, S. 679 f.). Das heißt, der Skeptizismus ist für ihn eine Form des Philosophierens, die an der Erreichung von Stabilität und an einem zufrieden stellenden Abschluss der permanenten Gegenüberstellung von Meinungen und Urteilen interessiert ist. Andererseits aber kritisiert er die Transzendentalphilosophie für ihren Anspruch, die ersehnte Sicherheit und Stabilität mit Hilfe einer bloßen Verflechtung der Begriffe erreicht zu haben. Der Skeptizismus dagegen erlangt die besagte Sicherheit dadurch, daß er der Vernunft die Bedingungen vorhält, an welche eigentlich das menschliche Fürwahrhalten gebunden ist, und sie ganz der natürlichen

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Bestimmung derselben gemäß, in ihren Einsichten von der Bestimmung durch bloße Scheingründe frei zu machen sucht. (ebd., S. 680)

Schulzes skeptische Philosophie wirkt auf diese Weise einige Male sehr radikal und andere Male wieder nicht. Sehr radikal scheint sie in dem Glauben, dass das Projekt einer theoretischen Philosophie an sich ein unmögliches und fehlgeschlagenes Vorhaben ist; etwas, das tot geboren wurde und das sich sinnlose Aufgaben und Probleme stellt. Weniger radikal erscheint sie in dem Glauben, dass die skeptische Philosophie irgendeine befriedigende Lösung in Anbetracht der Niederlage des erwähnten Projektes geben kann, als wollte sie damit der Schlüssel zu den Problemen sein. Beide Dinge sind an sich inkompatibel, da man nicht sagen kann, dass ein Problem ein falsches Problem sei, wenn man gleichzeitig eine Lösung zu ihm vorschlägt. So wie die kritische Philosophie die Spekulationen der traditionellen Metaphysik (metaphyisica specialis) über transzendente Wesen als Trugbilder bewiesen hat, so zeigt der Skeptizismus, dass sich die Spekulationen der traditionellen Erkenntnistheorie, die Spekulationen zum Ursprung und Letztgrund der objektiven Erkenntnis, auf »Scheingründen« beruhen. Der Skeptizismus wendet somit die Methode der Widerlegung der Illusion und der »begrifflichen Täuschungen« auf die Erkenntnistheorie oder die theoretische Philosophie an. Schulze geht das Ziel seiner kritischen Übung an, als würde es sich um die Befreiung der Vernunft aus einer Serie von Täuschungen handeln, die durch eine begriffliche Überfülle ausgelöst worden ist. Deshalb sei es, so Schulze, nicht richtig, den Skeptizismus als Feind des rationalen Kultivierens zu betrachten: Es ist daher eine Hauptabsicht des Skeptizismus, in der Vernunft das Bewußtsein der Bedingungen, unter welchen erst die nach den logischen Regeln verknüpften Erkenntnisse sein, und auf Beifall gegründeten Anspruch machen können, zu beleben, ihr dadurch wahre Selbständigkeit zu verschaffen, und sie von der Knechtschaft, in welcher ein bloßes Spiel mit Begriffen dieselbe gefangen hält, zu befreien. (KthPh I, S. 681 f.)

Wenn man allerdings den skeptischen Vorsatz, die Täuschungen zu zerstören, die die spekulative Erkenntnisphilosophie in die Falle zu locken versuchen, konsequent verfolgt, erreicht man nicht mehr und nicht weniger als die Bestätigung der Unmöglichkeit einer Erkenntnistheorie, zumindest in ihrer traditionellen Form – in der Form, die sie nämlich von Locke bis Kant angenommen hatte. Dieses Ergebnis kann man in einem der Beispiele sehen, die A

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Schulze am wertvollsten sind: in der Zerstörung des modernen Mythos des Repräsentationalismus. Die Auffassung, dass unsere Erkenntnis der Dinge immer über Vorstellungen gegeben ist, ist eine der Grundsäulen des modernen Rationalismus und der modernen Erkenntnistheorie. Dieser Satz beruht jedoch auf einer falschen Annahme, auf einem Fehler. Um jene Illusion zu entkräften, »bestreitet [der Skeptizismus] alle Grübeleien über die Möglichkeit der Realität unserer Erfahrungserkenntnis« (ebd., S. 683). Was hier zerstört wird, sind nicht die Vernunftkultur oder die Möglichkeiten der empirischen besonderen Erkenntnisse, sondern es ist ein sehr schädliches »Mißtrauen gegen die Zuverlässigkeit unserer Erfahrungskenntnisse, welches uns unfähig machte, in der wirklichen Welt unserer Bestimmung und der Stimme der Natur gemäß wirksam zu sein« (KthPh I, S. 684). 56 2. »Der Skeptizismus ist kein Hindernis der Cultur des menschlichen Verstandes« (KthPh I, S. 690 f.). Das erste, was man dem Vorwurf, dass der Skeptizismus die Entwicklung des Verstandes behindern würde, entgegen zu bringen hat, ist, dass er seine Zweifel nicht auf die Gesetze der formalen Logik richtet. Denn diese wird durch ihn als eine unangefochtene Grundtatsache anerkannt. 57 Der Skeptizismus sucht jedoch nicht nur den begrifflichen Zusammenhang und die sichere Ableitung von Urteilen über Urteile, sondern er ist daran interessiert, seine begrifflichen Konstruktionen mit Wahrheit ausVon der gleichen Art sind für Schulze Mythen oder spekulative Täuschungen wie die Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich und die kausale Auffassung des Ursprungs der Vorstellung, die die Grundlage des modernen Repräsentationalismus ist. Der Kern von Schulzes Kritik an der Erkenntnistheorie gründet sich auf den Angriff gegen diesen Mythos. Diese »therapeutische« Forschungsweise, wie man die Aufdeckung und Entkräftung von philosophischen (Pseudo-)Problemen seit Wittgenstein zu nennen pflegt, bildet den Kern des schulzeschen Skeptizismus. Er bezieht sich auf diese Funktion des Skeptizismus in Termini der »Cur« und gewiss der Heilung von Unbehagen, die aus der Tendenz der spekulativen Philosophie zu Unbegreifbarkeit, zu »Schwärmerei« entspringen (siehe KthPh I, S. 725). Man sollte die kritische Analyse, der er das transzendentale und begründende Projekt Reinholds, aber auch dasjenige Kants, unterwirft selbstverständlich in diesem Zusammenhang sehen. Und dies sollte in einer Weise geschehen, so dass Schulzes philosophischer Skeptizismus als ein Vorschlag der radikalen Hinterfragung des Systems einer fundamentalen Erkenntnistheorie selbst gesehen werden muss. Dem heutigen Leser wird dies keinesfalls seltsam scheinen, denke man z. B. an Rorty (1979), bes. Kap. III-VI. Dazu Hoyos (2001a). 57 Diese Beobachtung scheint – wenn auch trivial – im Hinblick auf die Abwendung der (genauso trivialen) Anklage, dass der Skeptizismus in einen performativen Selbstwiderspruch geriete, notwendig zu sein (vgl. oben Anm. 35 und 36). 56

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zustatten, um sie von bloßen Einbildungen differenzieren zu können. 58 Mit anderen Worten: Der Skeptizismus hält auf das kritische Prinzip, nach dem der logische Zusammenhang notwendige Bedingung ist, aber für die wahre Erkenntnis oder wie Kant sagte, die »negative Bedingung aller Wahrheit« (KrV, S. A59 f. = B84) trotzdem nicht ausreicht. Die notwendigen Anforderungen für eine Erkenntnis können nur dann als erfüllt betrachtet werden, wenn dem propositionalen Baugerüst, das sich als kohärent erwiesen hat, ein Inhalt entspricht, auf den die Urteile oder die in Frage stehenden Grundsätze Bezug nehmen. Und das setzt wiederum einen Unterschied zwischen dem Akt der Erkenntnis und dem erkannten Objekt voraus. An dieser Stelle muss der Vorwurf des Skeptikers gegen den Dogmatismus hinzugefügt werden, demzufolge dieser Letzte eigentlich nicht zum Fortschritt der Verstandes- und Vernunftkultur beiträgt, da er sich darauf verlässt, dass ihm seine nur begrifflichen Entwicklungen wie ein Ruhekissen bei der Suche nach der wahren Erkenntnis dienen können. Schulze glaubt, diese Einstellung in dem spekulativen Anspruch zu erkennen, die höchsten Gründe »der menschlichen Weisheit« gefunden zu haben (KthPh I, S. 699). Die Vernunftkultur kann im Gegensatz dazu nur »durch eine fortgesetzte Anstrengung derselben, wozu die Einsicht der Mängel in dem, was sie schon zu wissen glaubt, antreiben muß, bewirkt werden« (ebd.). Der Glaube daran, sich in einer sicheren Position aus absolut gewissen Wahrheiten zu befinden, führt zu einer Schläfrigkeit der Vernunft. Die experimentelle Wissenschaft der Moderne (wie z. B. bei Bacon, Kepler und Galilei) kann sich als ein Modell des wissenschaftlichen Vorwärtsschreitens gegen die bis dahin als die einzigen sicher und gewiss verteidigten Doktrinen verstehen. Die spekulative Philosophie will den Geist mit der angenommenen Gewissheit in Bezug auf hyperphysische und transzendentale Erkenntnisse beruhigen. Der Skeptizismus ist stattdessen anregend und gleichzeitig aufregend, lässt den Geist aufwachen und die Schläfrigkeit abschütteln, zu der die Auffassung, im Besitz der Wahrheit zu sein, führt. Dieses progressive, sozusagen mellioristische Element des Schulzeschen Skeptizismus ist dessen Art zu philosophieren sehr eigen. Es vervollständigt sich durch seinen Begriff der Fehlbarkeit und der Kontingenz der menschlichen Erkenntnis im Allgemeinen und der philosophischen Erkenntnis im Besonderen. Schließlich sind die 58

Siehe KthPh I, S. 692. A

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ahistorischen Ansprüche der kantischen Transzendentalphilosophie etwas, das eindeutig mit der von Schulze verteidigten Art des Philosophierens kollidiert. Diese Ansprüche können sich mit den Ideen des rationalen Fortschritts nicht vereinen: Die Meynung, daß die Vernunftkritik und die Elementar-Philosophie durch das Raisonnement über ein gewisses Faktum eine für alle künftige Zeiten giltige Ausmessung der Fähigkeiten des menschlichen Gemüths geliefert habe, wird also wohl dieser Ursachen wegen, für nichts anders, als entweder für die Wirkung einer thörichten Vermessenheit der ihre eigenen Kräfte verkennenden Vernunft, oder für die Folge einer Pedanterey gehalten werden dürfen. (Aenesidemus, S. 405)

Noch deutlicher wird dies, wenn man bedenkt, dass das Hauptergebnis der kantischen Epistemologie – nämlich, dass die Erkenntnis weder durch von äußeren Dingen hervorgerufenen Eindrücken ausgelöst wird noch von der alleinigen Tätigkeit des Gemüts, sondern durch die Kooperation von diesen beiden – laut Schulze nicht für mehr als eine reine Hypothese gehalten werden kann. Weder die KrV noch die Elementarphilosophie bieten Gründe an, die jenes Ergebnis mit apodiktischem Beweis bestätigen würden, und da sie mit ihren Ansprüchen die Notwendigkeit »aller Nachforschung über die Macht und Ohnmacht des ganzen menschlichen Erkenntnisvermögens« (Aenesidemus, S. 401) wegfallen lassen, können sie als dogmatisch betrachtet werden. Man erkennt den Dogmatismus der KrV und der Elementarphilosophie – ein Dogmatismus, der ihnen erlaubt, sich einen über-historischen Charakter anzumaßen – deutlich an dem vorschnellen und nicht legitimen Übergang, zu dem sie bei der Erklärung des Ursprungs der Erkenntnis und des »Gedacht-werden-müssens« für das »wirkliche und reale Sein« (ebd., S. 402) kommen. 59 Die transzendentale Argumentation besitzt als solche nicht nur einen dubiosen Charakter, sondern es gilt genauso wenig als definitiv, dass die von der Transzendentalphilosophie gefundenen Prinzipien der Erkenntnis genau jene sein müssen und nicht auch andere sein könnten. Deshalb ginge eine Art zu philosophieren, die keine überhistorischen Ansprüche verfolgt, eher mit der Vernunft konform, als eine, die solche Ansprüche doch wohl vertritt. Die Vernunftkultur

Die Anklage dieses nicht legitimen Übergangs wird zahllose Male von Schulze wiederholt und bildet einen der zentralen Punkte seines Angriffs gegen Kant und Reinhold. In § 4 wird dies isoliert betrachtet werden.

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und der Fortschrittsgedanke unterstützen sich bei Schulze gegenseitig: [D]ie Geschichte der Fortschritte des menschlichen Verstandes hat ja auch bisher immer gelehrt, daß die Entdeckung neuer Eigenschaften an einem Gegenstande auch die Abänderung der vorhandenen, und die Aufstellung neuer Theorien über die Natur desselben nöthig machte. (Aenesidemus, S. 407)

Nur so kann man verstehen, dass »das Wesen der skeptischen Philosophie eigentlich in nichts Anderem bestehe, als in der der menschlichen Vernunft eigenthümlichsten Handlungsweise« (ebd., S. 22, Kursive von Schulze). Der Nachdruck, den Schulze dem (in gewissem Sinne mutmaßlichen) historischen und kontingenten Charakter der menschlichen Erkenntnis verleiht – ein Charakter, der sich auf die philosophische Erkenntnis selbst ausdehnt und der mit dem Fortschrittsgedanken einer Vernunftkultur eng artikuliert ist – gibt seiner Philosophie eine Färbung, die sehr stark an die Wissenschaftsphilosophie des 20. Jh. erinnert. Man beachte im Hinblick darauf die Ansätze des »kritischen Rationalismus« von K. Popper und H. Albert, 60 die weitaus skeptischere Methoden der Erkenntniskritik anwenden, als sie selbst expressis verbis anerkennen. Die relativistischen Konsequenzen, die die Anwendung dieser Methoden mit sich bringt, versuchen sie durch den Appell an die Rationalität der wissenschaftlichen Forschung zu dämpfen, die sich auf die formale Logik gründet (wie bekannt ist, hauptsächlich auf das tollendo tollens) da sie Argumentationslogik ist. Dieser Rückgriff ist aber zu abstrakt und praxisfern für eine wissenschaftliche Arbeit. 61 3. Der Skeptizismus untergräbt nicht die Fundamente der Moral Vgl. M. Kim (1993). Hier kann man darauf verweisen, dass das »Trilemma des Münchhausen«, auf das der »kritische Rationalismus« so stolz ist, das von Popper benutzt (1963 [1979], S. 9–40), aber von H. Albert (1968, S. 13 f.) systematisiert wurde, um die Ansprüche irgendeiner Form von epistemologischem Fundamentalismus von der Wurzel an zu widerlegen, schon klar formuliert in den fünf von Sextus Empiricus übermittelten dialektischen Tropen vorliegt (siehe Grundriss, [164–177]). Vgl. dazu Ricken (1994), S. 161. Siehe auch oben Kap. I, 2., Anm. 18. Das beste Beispiel (nicht Argument) dafür, dass eine der Konsequenzen des »kritischen Rationalismus« der epistemologische Relativismus ist, kann man in den Vorschlägen von P. Feyerabend sehen. Dieser hat nämlich seinerseits betont, wie weit sich das wissenschaftliche Unternehmen selbst von den von Popper aufgestellten Kriterien zur Bestimmung des wissenschaftlichen Fortschritts entfernt hat (s. Feyerabend: 1970; 1997).

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und der Religion. Für Schulze kann man das an der Tatsache sehen, dass der Skeptizismus keinesfalls verneint, dass es Recht und Unrecht, Gut und Böse gibt, noch dass man nicht zwischen ihnen unterscheiden könnte. Die Unterscheidung zwischen dem Guten und dem Bösen gründet sich auf eine unmittelbare Erkenntnis im Bewusstsein. Schulze bezeichnet diese subjektive Erkenntnis als »das Bewußtsein der moralischen Notwendigkeit gewisser Zwecke und der Gültigkeit der Begriffe von Recht und Unrecht, von Gut und Böse […]« (KthPh I, S. 703). Dieses Bewusstsein – das gleichzeitig ein Bewusstsein unserer Pflichten und Verpflichtungen ist – muss kontinuierlich von jedem Einzelnen untersucht werden, da es möglich ist, dass dasjenige, was in einigen Gelegenheiten als Pflicht erscheint, sich in anderen Momenten schon nicht mehr so zeigt. Schulzes Argument, mit dem er der Auffassung widerspricht, nach der der Skeptizismus die Amoralität und die Religionslosigkeit fördert, gründet sich auf die Bestätigung einer Tatsache des Bewusstseins: das moralische Gefühl oder das, was er die »Stimme des Gewissens« nennt: So wenig wie nun der Skeptizismus irgend eine Tatsache des Bewußtseins überhaupt abläugnet, und seiner Natur nach abläugnen oder bezweifeln kann; eben so wenig läugnet und bezweifelt er auch die Stimme des Gewissens, oder die Erkenntniß, daß es für den menschlichen Willen moralisch notwendige Zwecke gebe. (KthPh I, S. 706)

Der unbestreitbare Charakter dieser Tatsache folgt somit der Unmittelbarkeit seiner Erkenntnis für das Bewusstsein. Hierbei fällt die Schwäche dieses Arguments auf. Hegel hatte nicht ohne Grund auf das Problematische an einer Philosophie der Tatsachen des Bewusstseins aufmerksam gemacht, und zwar in dem Sinne, dass eine solche Philosophie zulassen kann, dass sich im Namen des Beweises, den die Tatsachen des Bewusstseins angeblich hervorbringen sollen, die Tür für Willkür und Subjektivismus öffnet. 62 Aber auch wenn das Argument schwach ist, müssen doch zwei Dinge in diesem Zusammenhang bemerkt werden: Erstens führt der Skeptizismus nicht unweigerlich zu Morallosigkeit, bloß weil er die rationale Letztbegründung nicht für durchführbar hält. Für Schulze genügt die Anerkennung der oben zitierten »Stimme des Gewissens«. Aber auch den MoralgeHegel ist selbstverständlich viel härter und spricht von »Bestialität« in Bezug auf diesen positiven Teil von Schulzes Skeptizismus, d. h. den Teil, der die Tatsachen des Bewusstseins akzeptiert (s. Verhältnis, S. 201 f.).

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setzen einen so unzweifelhaften Charakter zuzuschreiben, wie man dies mit den Gesetzen der Logik tut, 63 wäre ausreichend für Schulze. Die zweite Sache, die im Zusammenhang mit diesem Argument bemerkt werden muss und die in enger Verbindung mit dem Vorangegangenen steht, ist, dass an dieser Stelle die Verknüpfung zwischen dem räsonierten Skeptizismus von Schulze mit dem Irrationalismus deutlich gemacht wird. Anstatt irgendeine Form von rationaler Legitimität zu suchen, um sich gegen den Vorwurf zu verteidigen, an einem philosophischen Standpunkt festzuhalten, der die Moral- und die Religionslosigkeit unterstützt, sollte Schulze lieber die Unmöglichkeit aufzeigen, aus dem »Rückkopplungskreislauf« zwischen Zustimmung der Vernunft und Zustimmung des Herzens zu entkommen. 64 Genau das würde nämlich seinem skeptischen Standpunkt am ehesten entsprechen. Er selbst scheint sich dem jedoch nur in Momenten von Radikalität bewusst zu sein. 65 Andererseits ist die Aufnahme eines bestimmten irrationalen Elementes als Grundlage der Religiosität und der Moralität für Schulze zentral, und zwar immer dann, wenn er sich nicht einfach mit der Verteidigung gegen den Vorwurf, dass der Skeptizismus zu Atheismus und Amoralität führt, zufrieden gibt, sondern in seinem Gegenangriff genauso darauf abzielt zu zeigen, dass es gerade die Ansprüche des philosophischen Rationalismus sind (nämlich alles wissen zu wollen), die zur Aufgabe der Glaubenssätze der Religion führen. 4. Gegen den Vorwurf, einen philosophischen Standpunkt zu vertreten, der die Schwärmerei unterstützt, verteidigt sich Schulze mit einem dem vorangegangenen ähnlichen Argument; dass man mit ein wenig Aufmerksamkeit erkennen müsste, dass alle Formen des Dogmatismus (der Monadismus, der Substanzialismus usw.) wirklich zu Schwärmerei führen: »Die moralische Gesetzgebung der Vernunft lässt sich eben so wenig bezweifeln, als die logische Gesetzgebung derselben, und wir können die Forderungen jener an uns eben so wenig verkennen, als die Befehle dieser« (Aenesidemus, S. 414). Auch wenn dieses Argument aufgestellt zu sein scheint, um die Rationalität der Aufnahme von moralischen (rationalen) Gesetzen zu verteidigen, ist es nicht weniger schwach als dasjenige, was sich auf die »Stimme des Gewissens« stützt. Die Rationalität dieser Aufnahme kann aber leicht in Frage gestellt werden. Dazu Hoyos (2001), S. 275–279. 64 Zur Bedeutung dieser »Dialektik« zwischen den Eingebungen des Herzens (Glaube) und rationaler Förderung des Gefühls siehe oben I, § 2; auch Hoyos (2001), III, § 3 und § 4. 65 Vgl. Aenesidemus, S. 420 ff. 63

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[D]as Fundament des Wahnes aller groben Schwärmerei [ist], daß die Dinge in der Welt etwas ganz anderes sind, als wofür sie auf den allen Menschen gemeinschaftlichen Standpunkte erkannt werden, und daß sich dasjenige, was sie in ihrer wahren und verborgenen Wirklichkeit genommen sein sollen, allerdings auskundschaften lasse. (KthPh I, S. 723)

Für Schulze besteht das beste Gegenmittel gegen die Schwärmerei darin, der Regel des Skeptizismus zu folgen, nach der »nicht alles, was man denkt, deshalb auch wirklich sei« (ebd., S. 725). Diese Regel gilt immer noch für all dasjenige, dem man einen notwendigen Charakter zuschreibt. In Bezug auf den skeptischen Standpunkt gegenüber der Religion ist es schließlich nicht unangebracht, auf die Tatsache aufmerksam zu machen, dass Schulze der Meinung ist, dass, wenn es notwendig sein sollte, in der philosophischen Debatte Parteien zu bilden – so wie dies schon bei Reinhold geschehen war 66 – die Partei der Skeptiker zweifellos die »protestantische Partei« genannt werden müsste: »Die Skeptiker machen die eifrigsten und erklärtesten Anhänger der protestierenden Partei in der philosophischen Welt aus« (Aenesidemus, S. X). Ihr stellt sich die »decidierende Partei« (ebd., S. IX) gegenüber, was nur eine andere Bezeichnung ist, um den Dogmatismus in der Philosophie zu benennen. Diese beiden neuen Namen haben ihre Berechtigung, da das charakteristischste Merkmal der dogmatischen Art zu philosophieren in dem Glauben besteht, sich »alleinig im Besitz der Wahrheit« zu befinden, und zwar der »unverbesserlichen« und »bis in alle Ewigkeit« geltenden Wahrheit. Wogengen wiederum das dem Skeptizismus am stärksten Eigene in dem Glauben an »die nie aufhörende Perfektibilität der philosophierenden Vernunft, als einen der edelsten und unverkennbarsten Vorzüge des menschlichen Geistes« besteht (Aenesidemus, S. IX). Mit einem Wort: Der Skeptizismus ist erbitterter Feind der Unfehlbarkeit. Deshalb ist sein Geist dem Protestantismus verwandt. Der Skeptizismus ist der »Protestantismus in der Philosophie« (ebd., S. X). Diese Gleichsetzung erfolgt nicht einfach analogisch, sondern sie wird von Schulze zur Verteidigung des herausragenden Platzes angeführt, den der moderne philosophische Skeptizismus im Zusammenhang mit der Aufklärung einnimmt. Und das wird deutlich, wenn man an die so wesentliche Rolle denkt, die das Problem der Religion in der spä-

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Siehe oben, I, § 3 B.

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ten deutschen Aufklärung spielte, und wenn man die Bedeutung betrachtet, die in diesem Kontext das Wort »Protestantismus« aufwies. 67

Ohne Zweifel beschäftigt das Bedürfnis, als wahrer Vertreter des Protestantismus zu wirken, bedeutend viele der Teilnehmer an der postkantischen deutschen philosophischen Diskussion. Das ist besonders deutlich in Reinhold, aber auch in der Debatte um den angeblichen Spinozismus von Lessing, die Jacobi ausgelöst hatte. Zu dem Gewicht des »Protestantismus« in der deutschen Philosophie bietet nach wie vor Heinrich Heine (1995) meiner Meinung nach eine der brillantesten und ausdrucksvollsten Reflexionen.

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2. Philosophischer Skeptizismus und Transzendentalphilosophie

§ 4. Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis und kausale Erklärung A.

Die Elementarphilosophie als theoretische Philosophie

Schulze wird hauptsächlich für seine Kritik an Reinholds Versuch, eine Letztbegründung der Transzendentalphilosophie aufzustellen, gefeiert. Sein Angriff auf Kant wurde für gewöhnlich als von der reinholdschen Interpretation beeinflusst verstanden. Da die Elementarphilosophie – weit davon entfernt, die Geister durch die einzig mögliche Erklärung des Grundes der Philosophie zu vereinen, wie Reinhold es noch träumte – Zerstreuung und Unstimmigkeit hervorgerufen hat, kann man wohl davon ausgehen, dass die schulzesche Kritik an Kant im Wesentlichen eine Kritik an dem durch Reinhold pervertierten Kant ist. Diese Auffassung kann mit der Tatsache unterstützt werden, dass Reinholds Schriften sehr bald aufhörten, bloße Apologien der kritischen Philosophie zu sein, um sich dann zu einem eigenen philosophischen Ansatz zu entwickeln. Obwohl es bei der Interpretation des schulzeschen Beitrags zur philosophischen Debatte seiner Epoche angemessen ist, zwischen demjenigen, was gegen Reinhold gerichtet ist und demjenigen, das sich ausdrücklich gegen Kant ausspricht, zu unterscheiden, sollte man trotzdem bedenken, dass für Schulze beide Philosophien Teil eines gemeinsamen philosophischen Projektes und derselben Art zu philosophieren sind. Die Fehler und Widersprüche an Reinholds »neuer Theorie der Vorstellung«, insbesondere derjenige, der sich aus der Identität des Stoffes der Vorstellung (als objektive Komponente dieser Letzten verstanden) mit dem Ding an sich (was laut Definition als das Nicht-Vorstellbare betrachtet wird) ableitet, sind im Grunde nichts anderes als Fehler und Inkonsistenzen, die bereits in der kantischen theoretischen Philosophie auftraten, nun jedoch in der Elementarphilosophie offensichtlich hervortreten. Da gerade diese sich durch ihre systematische Strenge zu einer Lupe verwandelt, 140

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die erlaubt, die Aporien und Inkonsistenzen der kritischen Philosophie vergrößert dargestellt zu sehen. Im Aenesidemus führt Schulze bekanntlich eine sehr detaillierte Untersuchung der Elementarphilosophie durch. Zusammen mit dieser Untersuchung entsteht seine erste und entscheidende Kritik an Kant. Es ist nicht schwer, in diesem Jugendwerk zu bestimmen, was sich in dem Angriff auf Reinhold bezieht und was auf Kant, obwohl nicht genauso leicht zu bestimmen wäre, inwiefern der Ton der Kritik an Kant der Lektüre Reinholds verpflichtet ist. Wichtiger, als dieses zu bestimmen, ist auf jeden Fall die Tatsache, dass sich, wenn man den Aenesidemus hinsichtlich der Entwicklung betrachtet, die Schulzes Skeptizismus in einem reiferen Werk als der KthPh erreicht, etwas zeigt, was im ersten Buch kaum nur zu erahnen war: Nämlich die Tatsache, dass seine Kritik an der Transzendentalphilosophie innerhalb eines viel weiteren Vorhabens einzuordnen ist, das sich auf den Beweis der Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie oder desjenigen richtet, was er die »theoretische Philosophie« nannte. So gesehen ist Reinhold für Schulze nur ein übertriebenes Beispiel für die Verirrungen, zu denen der Glaube führt, auf dem eine jede theoretische Philosophie (zumindest seit Descartes und bis zu Kant und dessen Anhängern) beruht, nämlich: dass man über einen philosophischen Diskurs die wahre Begründung unserer Erkenntnis der Gegenstände finden kann. Das Problem besteht für Schulze nicht darin, dass sich die Philosophen die Suche nach dem Ursprung und den wahren Gründen unseres Wissens vornehmen, sondern darin, dass sie sich bei dieser Suche mit einer einfachen Kombination von Begriffen und Argumenten zufrieden geben, die sicherlich die Erkenntnismöglichkeit erklärt, jedoch keinerlei Information über deren Realität gibt. Eine wahre Begründung der Erkenntnis, nämlich erst wenn deren Möglichkeitsbedingungen aufgestellt sind, geben zu wollen, heißt, demselben Betrug zu verfallen, den Kant der rationalen Theologie zugeschrieben hatte. 1 Schulzes philosophischer Skeptizismus ist in dieser Hinsicht leider ambivalent. Einerseits scheint er offen die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie zu verteidigen, da die Erklärung ihrer wahren Bedingungen – was einzig und allein eine solche Untersuchung zufrieden stellen könnte – weit über die Grenzen des Erklärbaren hinausginge. Andererseits scheint er trotzdem nicht das Unternehmen einer Er1

Vgl. Aenesidemus, S. 338 f.; KthPh I, S. 618 f. A

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kenntnistheorie an sich zu hinterfragen, sondern, dass dieses seine Zweifel gegen die bis dahin bekannten theoretischen philosophischen Systeme richtet und zwar hauptsächlich gegen das System einer Transzendentalphilosophie der Erkenntnis. Mit Bezug auf diese Letzte gilt aber dennoch, dass sie als Erkenntnistheorie gleichermaßen unbefriedigend wie unmöglich ist. Genau dieser Punkt ist für die vorliegende Interpretation von Interesse; deshalb wird nämlich hier die Radikalität betont, mit der Schulze sein System aufstellt. 2 Bisher wurde Schulzes Kritik an Reinhold für gewöhnlich nicht von diesem Standpunkt aus betrachtet. Dies taten nicht einmal diejenigen, die seinen Ansatz als richtig anerkannten. Der Bedeutendste unter diesen Letzten könnte vielleicht Fichte sein, der Schulzes Kritik am Satz des Bewusstseins für gerechtfertigt hält. 3 Anstatt diese Kritik jedoch als eine sich auf ein jedes Projekt der fundamentalen Erkenntnisphilosophie beziehende zu verstehen, denkt er vielmehr an eine Neuformulierung des Projektes einer ersten TranszendentalphiDie erwähnte Zweideutigkeit wird deutlich, wenn man einige der Momente vergleicht, in denen Schulze sein Programm oder seine philosophischen Intentionen mit demselben Schwung hervorbringt, mit dem er auch seine Angriffe durchführt. Im ersten Fall zeigt er sich als ein eher gemäßigter Skeptiker, den die Ergebnisse, die die theoretische Philosophie bis dahin erreicht hat, nicht zufrieden stellen, der aber die Suche nach einer klaren Begründung der Erkenntnis nicht aufgibt. Der Aenesidemus schreibt in Bezug auf die Überzeugung und den Eifer, mit denen Reinhold die Ursache der kritischen Philosophie verteidigt, in seinem zweiten Brief an Hermias, mit dem er in einer Korrespondenz zu Reinhold und Kant stand: »Ich muss Ihnen bekennen, dass ich auch von diesem Eifer und von dieser lebhaften Überzeugung eine zeitlang mit fortgerissen worden bin, und, als ich die Beyträge das erste Mal durchgelesen hatte, schon wähnte, es sei bereits gefunden, wornach ich so lange geforscht hatte, nämlich ein unerschütterlich und unbestreitbar feststehendes System der ganzen Philosophie: Aber eine genauere Prüfung der Hauptmomente der Elementar-Philosophie zerstörte meinen Wahn gar bald, und überzeugte mich noch weit mehr, als ich jemals schon davon überzeugt gewesen war, dass es mit der Befriedigung der Forderungen des Skeptizismus eine äußerst schwere Sache sei« (Aenesidemus, S. 41, Kursive von mir). Das gleiche könnte über seinen progressiven Standpunkt in Hinsicht auf das Problem des Dinges an sich gesagt werden: Aus der Tatsache, dass »das unermessliche Reich der Dinge an sich […] bis jetzt immer noch nicht entdeckt worden ist«, »folgt doch wohl nicht mit Gewissheit, dass es niemals werde und könne entdeckt werden« (ebd., S. 153). Im zweiten Fall führt Schulze die Konsequenzen aus der Undurchführbarkeit der reinholdschen und kantischen Erkenntnistheorien (auch der theoretischen Philosophie in den Darstellungen von Locke und Leibniz) so weit, dass man dahinter eine viel radikalere Ansicht vermuten könnte, nach der die Erkenntnistheorie per se wie eine hoffnungslose Aufgabe, wie ein Problem, das sich auf eine schlechte Frage gründet, wie ein Scheinproblem aussehen würde. 3 Siehe oben. I, § 4. 2

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losophie, die den Einwänden des philosophischen Skeptizismus nicht ausgesetzt wäre. Schulze hat sich gewiss mit dem Verdienst, den ihm Fichte in seiner berühmten Rezension bezüglich seiner Hauptargumente zugesteht, bekräftigt gefühlt. Trotzdem wird er wohl den neuen Kurs, den Fichtes Philosophie nach 1794 annahm, mit Ernüchterung verfolgt haben. Deshalb war die KthPh dazu bestimmt, die Unmöglichkeit dieses Projektes aufzuzeigen. Die Radikalität von Schulzes Skeptizismus wird eindeutig mit der Frage, die der Untersuchung des Systems einer Transzendentalphilosophie der Erkenntnis als Leitfaden dient, entlarvt: »Ob eine Erkenntnis des Ursprungs unserer Vorstellungen a priori und a posteriori überall möglich sei, und nicht vielmehr alle Fähigkeiten unseres Gemüths übersteige?« (Aenesidemus, S. 56). Zu diesem Problem ist die Elementarphilosophie mit Hilfe des Rückgriffs auf einen unbezweifelbaren Grundsatz, von dem das ganze Gerüst der Transzendentalphilosophie abgeleitet werden soll, ein Lösungsvorschlag. Und das soll der Satz des Bewusstseins (im Weiteren: SB) sein. Eine kritische Untersuchung der Elementarphilosophie muss sich deshalb nach ganz spezifischen Fragen richten: Ob das Nachdenken über das Bewusstsein zuverlässige Aufklärungen über die Entstehung der Form und der Materie unserer Vorstellungen geben, und ob ein Faktum (das Bewusstsein) auf eine wahre Erkenntnis dessen, was außer aller Erfahrung liegt (der Entstehung der Bestandteile unserer Vorstellungen) führen könne? (ebd., S. 57)

Schulze geht davon aus, dass die Elementarphilosophie diese Fragen nicht bestehen würde. So kann sie weder eine befriedigende theoretische Philosophie sein, noch gibt es Grund, darauf zu hoffen. Der Kern ihrer kritischen Fragestellung liegt in der Untersuchung des SB als ein vermeintlich unerschütterliches Grundprinzip einer ersten Transzendentalphilosophie. In Schulzes Argumentation kann man drei Momente unterscheiden, von denen jedes Einzelne dazu bestimmt ist, das am stärksten Charakteristische des SB zu negieren. Wenn diese drei Verneinungen richtig sind, stürzt das gesamte Gerüst der Elementarphilosophie ein und hinterlässt die ursprünglich versprochene aber nicht erfüllte Aufgabe: die Erklärung der wahren Erkenntnisbedingungen. Ob diese Aufgabe nicht erfüllbar oder einfach noch nicht erfüllt ist, kann nur dann entschieden werden, wenn man sich entweder für A

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einen radikalen philosophischen Skeptizismus oder für einen eher gemäßigten Skeptizismus entscheidet. Und dies scheint keine Entscheidung zu sein, die sich eindeutig aus Schulzes Werk schließen lässt. Die drei negativen Momente in Schulzes Kritik gegen den SB sind: 1. Der SB ist kein »absolutes Letztprinzip«, da er sich einem höheren Satz unterordnet, nämlich dem Satz des Widerspruchs. 4 Die minimalste Bedingung eines Satzes qua Satz ist die Widerspruchsfreiheit. Ein Satz, der diese Grundvoraussetzung allen Urteilens, eines jeden Aktes der Verknüpfung eines Subjekts mit einem Prädikat, nicht erfüllt, kann nicht für einen Satz gehalten werden. Reinholds These, nach der der SB durch den Satz des Widerspruchs bestimmt wird – diesen jedoch nicht als ein höheres Prinzip verstanden, sondern als ein Gesetz 5 – ist inakzeptabel, da der Satz des Widerspruchs nichts weiter ist als die Formel des fundamentalsten Gesetzes des propositionalen Denkens und da es keinen Unterschied gibt zwischen der Tatsache, dem Gesetz unterworfen zu sein und derjenigen, durch den Satz bestimmt zu sein, der dieses Gesetz ausdrückt. 2. Der SB ist kein »vollkommen durch sich selbst bestimmter Satz« (Aenesidemus, S. 63–69). Diese Kritik gilt den Vorgängen des Unterscheidens und des Beziehens, die vom SB vorausgesetzt werden und deren Bedeutung nicht eindeutig ist. »Im Bewusstsein« – besagt der SB – »wird die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beide bezogen« (Reinhold, Beyträge I, S. 167, Kursive von mir). Schulze hält fest, dass der SB nicht bestimmt, dass die Unterscheidung zwischen Objekt, Subjekt und Vorstellung im Bewusstsein objektiv sei, d. h. dass es sich um eine echte Unterscheidung zwischen den im Satz enthaltenen Termini handelt und deshalb kann sie sich nur als eine bloß subjektive Unterscheidung verstehen. Allerdings kann die Unterscheidung, die er in diesem letzten Sinne eine logische nennt, 6 auch von anderer Art sein: Es kann sich um eine komplette oder eine partielle Unterscheidung handeln, es kann eine Unterscheidung des Typs »Begründung und Begründetes« oder »alles und Teile« oder »Substanz und Eigenschaften« oder »Stoff und Form« usw. sein. Im SB steht nicht, um welche Form der Unterscheidung es sich handelt; und genau deshalb kann 4 5 6

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Siehe Aenesidemus, S. 60–63. Vgl. Fundament, S. 85; Aenesidemus, a. a. O., Anm. Vgl. Aenesidemus, S. 66.

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nicht gesagt werden, dass er ein Satz ist, der vollkommen bestimmt und frei von möglichen Missverständnissen ist, »sondern vielmehr« handelt es sich um einen »so unbestimmt ausgedrückten Satz, dass er mehrere und ganz verschiedene Auslegungen zulässt, dass eben sowohl diese als jene Merkmale mit den in ihm angedeuteten Begriffen verbunden werden können« (Aenesidemus, S. 66 f.). Derselbe Mangel an Eindeutigkeit gilt für die Form des Bezuges, der zwischen Objekt, Subjekt und Vorstellung besteht. Es kann sich um einen kausalen Bezug (oder eine kausale Beziehung) handeln, um die Beziehung, die eine Substanz mit ihren Akzidenzen eingeht oder das Ganze mit den Teilen oder das Zeichen mit dem Gezeichneten oder der Stoff mit der Form usw. 7 Hinzu kommt, dass der SB, wie auch immer die Form des Bezuges oder der Beziehung sei, für die man sich entscheidet, nicht definiert, ob diese Form der Beziehung die zwischen der Vorstellung und dem Subjekt ist oder die zwischen der Vorstellung und dem Objekt. Der Terminus »Bezogenwerden« besitzt nämlich eine andere Bedeutung, je nach dem ob es sich um das »Bezogenwerden« auf das Subjekt oder auf das Objekt handelt: Auf das vorstellende Ich wird die Vorstellung eben so wie jede Eigenschaft an ihr Subjekt bezogen, und die Vorstellung ist nach den eigenen und unmittelbaren Aussprüchen des Bewusstseins etwas an dem vorstellenden Subjekte, ist eine Bestimmung desselben. Auf diese Art bezieht sich aber die ganze Vorstellung auf das vorstellende Subjekt; nicht etwa bloß einige Teile derselben; und die ganze Vorstellung ist mit allem, was sie enthält, etwas an dem Subjekte. (ebd., S. 213)

Die Zweideutigkeit des Terminus »Sich-beziehen« oder »Bezogenwerden« – in der Analyse des Begriffes Vorstellung in der Elementarphilosophie – auf diese Weise darzustellen, zeigt auch, wie offen Schulze versucht, Reinholds Theorie auf die Termini des modernen Repräsentationalismus (woher diese zweifellos entspringt) zurückzuführen. Die scheinbare Überwindung der Schwierigkeiten, in die dieser Repräsentationalismus durch die Auflösung der Subjekt-Objekt-Dualität gekommen war, wird man so als eine bloße Fälschung aufdecken. Aber wichtig ist auch, in diesem zweiten Kritikpunkt am SB zu unterstreichen, dass Schulze vom SB den Vorwurf der Willkür bei der Wahl des Philosophieprinzips ableitet. Und dieser ist einer der Vorwürfe, die eine Transzendentalphilosophie, d. h. eine Philosophie, 7

Siehe ebd., S. 67 f. A

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die an der unbedingten Einzigartigkeit ihrer Sätze interessiert ist, am stärksten treffen können: Keine von allen diesen und den noch übrigen möglichen Arten der Beziehung der Vorstellung auf das Objekt und Subjekt ist im Satze des Bewusstseins bestimmt angegeben werden, und es steht also in der Willkür eines Jeden, der diesen Satz hört, welche unter den vielen möglichen Arten der Beziehung er sich unter der Beziehung der Vorstellung aufs Objekt und Subjekt im Bewusstsein denken will. (Aenesidemus, S. 68)

Schulze dehnt den Vorwurf der Willkürlichkeit auf zwei weitere Säulen der Elementarphilosophie aus: auf die Idee, dass »sich der Stoff der Vorstellung auf das Objekt bezieht« und auf den ebenso grundsätzlichen Ansatz, nach dem sich »die Form der Vorstellung auf das Subjekt bezieht« (ebd.). 8 Wenn der SB in der Tat nicht die Art der Beziehung zwischen Subjekt, Objekt und Vorstellung festlegt, von der er aber spricht, und genauso wenig in der Lage ist, deutlich zu machen, ob er sich auf das Objekt oder das Subjekt bezieht, dann kann er auch nicht bestimmen, was in der vorausgesetzten Beziehung zwischen den unterschiedlichen Termini als objektiv und was als subjektiv betrachtet werden kann. Ist der Vorwurf der Willkür also berechtigt, dann ist es möglich, ein von der Elementarphilosophie verschiedenes Gebilde vorzustellen, in dem z. B. der Stoff der Vorstellung subjektiv wäre und die Form objektiv. Der Mangel an Eindeutigkeit in den Termini »beziehen« und »unterscheiden« lässt diese Möglichkeit offen. Schulze selbst strebt eigentlich nach einer besonderen Ableitung, die ein völlig anderes Ergebnis mit sich bringt als – zumindest der Absicht nach – die Elementarphilosophie, nämlich: dass der Stoff wie die Form der Vorstellung aus dem Subjekt entspringen. 9 3. Schließlich ist »der Satz des Bewusstseins weder ein allgemeingeltender Satz, noch drückt er ein Faktum aus, das an keine bestimmte Erfahrung und an kein gewisses Raisonnement gebunden wäre« (Aenesidemus, S. 70 f.). Der SB drückt vielmehr ein Faktum Schulze denkt, dass diese zweite Stütze der Elementarphilosophie auf dem folgenden Argument beruht: »Alles, was sich auf verschiedene Gegenstände beziehen soll, das muss auch selbst aus verschiedenen Bestandteilen bestehen; Die bloße Vorstellung bezieht sich auf Objekt und Subjekt, die im Bewusstsein von einander unterschieden werden; Also muss auch die bloße Vorstellung aus verschiedenen Bestandteilen bestehen« (Aenesidemus, S. 187 f.). Die Kernaussage dieses Arguments ist jedoch nicht akzeptabel und steht in enger Verbindung mit dem Terminus »Beziehen« im SB. 9 Siehe Aenesidemus, S. 290–92. 8

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aus, das sehr bestimmt ist: nämlich dasjenige, welches »alle möglichen Erfahrungen und alle Gedanken, deren wir uns bewusst werden, begleitete« (ebd.). Der Kern der schulzeschen Argumentation zu diesem Punkt liegt in der einfachen Darstellung eines Falles der Vorstellung, bei dem die drei im SB enthaltenen Elemente nicht vom Bewusstsein unterschieden werden: das Subjekt, das Objekt und die Vorstellung. Dieser Fall der Vorstellung ist die Anschauung. Bei der Anschauung eines mir äußerlichen Gegenstandes befinde ich mich in einer Situation, in der ich von mir selbst Kenntnis haben kann, während ich die Anschauung habe; und gleichzeitig könnte ich die Vorstellung, die ich habe, unterscheiden. Ich könnte jedoch bei diesem Akt kein Bewusstsein von einem anderen Objekt haben. Auf diese Weise könnte man einen Vorstellungsfall aufzeigen, bei dem die drei in den SB aufgenommenen Elemente nicht voneinander differenziert werden, was die vermeintliche Allgemeingültigkeit des Satzes entstellt und gleichzeitig beweist, dass er bestätigten Tatsachen entgegensteht. Die bestätigte Tatsache, die Schulze in diesem Zusammenhang hervorhebt, ist die der unmittelbaren Vorstellungsformen. Bei den unmittelbaren Vorstellungsformen oder bei der unmittelbaren Vorstellung findet keine Unterscheidung zwischen Vorstellung, Subjekt und Objekt im Bewusstsein statt. In diesem Fall erfolgt alles auf einmal und wird nicht differenziert. In Anbetracht der Unterscheidung, die Schulze in KthPh zwischen der »unmittelbaren Erkenntnis« und der »mittelbaren Erkenntnis« durchführt, und die er später noch weiter entwickelt, 10 kann man gegen den SB diesen Einwand auch in anderer Form erheben. Da Anschauen und Wahrnehmen Bewusstseinszustände mit epistemischem Wert sind, die sich direkt, d. h. ohne Vermittlungen von Vorstellungen, genauso auf das Subjekt wie auf das Objekt beziehen, kann man von einer epistemischen Beziehung zwischen den beiden Letzten sprechen, bei der man im Bewusstsein – außer den erwähnten Elementen – die Vorstellung nicht unterscheidet: Wenn Sachen unmittelbar von uns erkannt und in der Sphäre des Bewusstseins als gegenwärtig angetroffen werden; so sind wir uns nicht zugleich auch noch einer von den Sachen verschiedenen Vorstellung, vermittelst welcher sie erkannt würden, und die so zu sagen zwischen dem anschauenden Ich und dem angeschauten Objekte befindlich wäre, bewusst. (KthPh I, S. 58) 10 In der Logik aber vor allem in Über die menschliche Erkenntnis von 1832. Siehe unten § 6.

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Diese Auffassung von einer direkten und unmittelbaren epistemischen Beziehung zu den Objekten (oder besser zur äußeren Realität) oder von einer nicht durch Vorstellungen vermittelten Beziehung lehrt uns, dass es Fälle des Bewusstseins gibt, die vom SB nicht erfasst werden. Und genau deshalb wird seine Allgemeingültigkeit abgelehnt. Dass man diese These Schulzes jedoch so ohne weiteres als unproblematisch annehmen kann, sei etwas anderes. Das Wichtigste ist hierbei, dass der Einwand gegen die Allgemeingültigkeit des SB im Aenesidemus nicht vereinbar ist mit dem Einwand gegen die Allgemeingültigkeit desselben Satzes, so wie man diesen über den Begriff von der unmittelbaren Erkenntnis (den Schulze seit der KthPh hatte) rekonstruieren kann. Im Aenesidemus finden wir einen Begriff der Anschauung (oder der direkten Erkenntnis), in dem das Bewusstsein das Subjekt von der Vorstellung unterscheidet, jedoch nicht vom Objekt. In der KthPh unterscheidet das Bewusstsein in der empirischen Anschauung oder direkten Wahrnehmung unmittelbar Subjekt und Objekt, hat aber keine Vorstellung. Die Unmöglichkeit, diese beiden Thesen miteinander zu vereinbaren, kann nicht allein auf die Tatsache zurückgeführt werden, dass man in der letzten eine repräsentationalistische Auffassung von der Wahrnehmung oder der empirischen Anschauung aufgegeben hat, sondern auch auf die Probleme, die ein direkter Realismus – wie der, den Schulze in seiner reiferen Phase angenommen hatte – mit sich bringt, wenn es darauf ankommt, eine befriedigende Erklärung der Objektivität und nicht nur der bloßen Beziehung zwischen einem erkennenden Subjekt und einer materiellen empirischen Realität anzubieten. Wenn nun der SB weder ein absolutes Letztprinzip noch ein vollkommen durch sich selbst bestimmter Satz ist und genauso wenig ein allgemeingültiger Lehrsatz, zu welcher Klasse von Sätzen gehört er dann? Schulzes Antwort ist eindeutig: Der SB ist erstens ein synthetischer Grundsatz und zweitens ein abstrakter Satz bzw. er wird durch Abstraktion erhalten. Er ist ein synthetischer Grundsatz, weil dasjenige, was dem Subjekt zugeschrieben wurde – das Bewusstsein –, nicht im Begriff »Subjekt« enthalten ist, und deshalb kann der Begriff »Bewusstsein« nicht durch eine reflexive Analyse des Begriffes eines solchen Subjekts erreicht werden. Schulze will den wahren Charakter des SB nicht verneinen, sondern er gibt zu, dass dieser über jenen besagten Charakter verfügt, nämlich in dem Sinne, dass er nicht viel besagt und sich auf einen durch ihn selbst festgelegten Rahmen beschränkt. Mit einem Wort: Der Satz des Bewusstseins ist 148

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trivial, da »die reale Wahrheit desselben« »sich auf diejenigen Erfahrungen« gründet, »nach welchen zu manchen Äußerungen des Bewusstseins eine Vorstellung, ein Objekt und ein Subjekt, und ein Bezogenwerden der ersteren auf die beiden letzteren gehört«. Ohne diese Art von Erfahrungen, die damit bereits vordefiniert wurde, hätten wir nicht die »geringste Kenntnis« vom Satz des Bewusstseins. Deshalb ist für Schulze die ganze Elementarphilosophie »eine auf ein Faktum und auf die Entwicklung desselben erbaute Philosophie« (Aenesidemus, S. 75). Der Satz des Bewusstseins ist ein abstrakter Satz, weil er zeigt, was bestimmte Äußerungen des Bewusstseins in gemein haben. Sicherlich ist er nicht allen gemeinsam, wie Reinhold es anstrebte, sondern nur denjenigen, bei denen es möglich ist, Subjekt, Objekt und Vorstellung zu unterscheiden. Die Anschauung bleibt hiervon, wie schon gesagt wurde, ausgeschlossen. »Die Merkmale und Begriffe«, die der SB »aufstellt, sind insgesamt Gattungsmerkmale und Gattungsbegriffe, deren Sphäre und Umfang durch eine Abstraktion bestimmt worden ist« (ebd., S. 76). Die Vorwürfe des Empirismus, der Abstraktion und der Willkür, die gegen das erste Prinzip der Philosophie vorgebracht werden, sind wahrlich schwerwiegend. Sie dehnen sich auf das gesamte System, das man von diesem ersten Prinzip (was durch den SB dargestellt wird) ableitet, aus und machen offensichtlich, dass die Elementarphilosophie, als Erkenntnistheorie, recht prekär ist, da sie nicht nur nicht hält, was sie verspricht – nämlich die letzte und unleugbare Begründung der Transzendentalphilosophie aufzustellen – sondern, und das ist noch schlimmer, da sie genauso wenig die Aufgabe erfüllt, die Natur und den Ursprung unserer Erkenntnis von den Objekten zu erklären. Und dies beweist sich, wenn man das erklärende und beweisende Potential der Theorie Reinholds in Anbetracht der Zweifel untersucht, die von Humes Skeptizismus freigesetzt wurden und hauptsächlich in Anbetracht des Zweifels, der sich auf die Reichweite und die Realität der Kausalverbindung bezieht. Für Schulze ist das Problem, das eine Erkenntnistheorie zu lösen hat, ein doppeltes: Einerseits soll der Ursprung unserer Vorstellungen erklärt werden, und andererseits soll bewiesen werden, dass sich die besagten Vorstellungen – insofern es sich um Vorstellungen mit epistemischem Wert handelt, d. h. um Vorstellungen, die uns über etwas Auskunft geben, das von ihnen selbst verschieden ist – letztendlich auf dieses etwas beziehen, das als von ihnen – qua VorstelA

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lungen – verschieden vorausgesetzt wurde (d. h. das als real und nicht als ideal vorausgesetzt wird). Diese doppelte Aufgabe nimmt selbstverständlich eine besondere Gestalt an, wenn es sich um eine Transzendentalphilosophie der Erkenntnis handelt, die von der Existenz von a priori Strukturen der Vorstellung mit epistemischem und objektivem Wert ausgeht. In der reinholdschen Darstellung der Transzendentalphilosophie versteht sich diese doppelte Aufgabe wie folgt: Will man also den wahren Wert der kritischen Philosophie, und die Rechtmäßigkeit der Ansprüche gehörig einsehen, welche dieselbe in Ansehung ihrer Resultate auf apodiktische Evidenz und Unfehlbarkeit macht; so hat man vorzüglich die Gründe und Prinzipien zu prüfen, aus und nach welchen sie dartut, dass sowohl in unserer Erkenntnis etwas a priori und durch das Gemüt Bestimmtes vorkomme, als dass auch dieses a priori Bestimmte die Form des a posteriori gegebenen Stoffes unserer Erkenntnis ausmache. (Aenesidemus, S. 94 f.)

Schulze fährt hier seine Geschütze gegen Reinholds Anspruch auf, diese doppelte Aufgabe beantwortet zu haben. Dabei stützt er sich auf zwei Elemente: Zuerst zeigt er, dass bei der transzendentalen Begründung ein Missbrauch des Satzes vom zureichenden Grunde oder des Kausalitätsprinzips begangen wird. Dann beweist er, dass die Elementarphilosophie unrechtmäßig vom »Gedacht-werden-müssen« zum »Sein« übergeht. Der erste Teil der Aufgabe, die die Elementarphilosophie zu erfüllen hat, besteht darin, den Charakter des subjektiven Aspekts der Erkenntnis aufzudecken; d. h. es geht darum, den Grund der bestimmten subjektiven Merkmale der Vorstellung, genauer der Erkenntnis der Gegenstände, als einen spezifischen Vorstellungstyp aufzustellen. Mit dem Ziel, diesen ersten Teil der Aufgabe der Elementarphilosophie seiner kritischen Untersuchung zu unterwerfen, nutzt Schulze so gut als möglich die kantisch-reinholdsche Gleichsetzung von Subjektivität und Apriorität aus. Das gesamte erklärende Potential der Elementarphilosophie hängt von der Existenz eines Vorstellungsvermögens ab, das der Real-Grund unserer Vorstellungen im Allgemeinen oder unserer Vorstellungen mit epistemischem Wert sein könnte. Die Existenz der Vorstellungen, genauso wie der besondere Charakter, den diese haben, hängt gleichermaßen vom Vorstellungsvermögen ab. Laut Schulze erreicht man ein solches Vorstellungsvermögen durch einen kausalen Schluss, der einige Grundvorschriften der kritischen Phi150

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losophie verletzt, so dass sich die Elementarphilosophie als selbstwidersprüchlich herausstellt, gesetzt den Fall, dass sie als eine Fundamentalphilosophie gelten will, die mit den Kriterien der kantischen kritischen Philosophie vereinbar ist. Der Schluss, über den man die Existenz eines Vorstellungsvermögens als Real-Grund der Vorstellungen erhält, ist der folgende: – Es gibt Vorstellungen – Die Vorstellungen können nicht ohne ein Vorstellungsvermögen, das sie hervorbringt, gedacht werden – Also existiert das Vorstellungsvermögen 11 Wenn man diesen Schluss annimmt, überlässt man dem philosophischen Dogmatismus (so Schulze) einen der Hauptansätze der kritischen Philosophie, nämlich die Idee, nach der etwas nicht, weil es gedacht werden muss, deshalb auch als bestehend angenommen werden kann. Die einzig mögliche Konsequenz aus der Tatsache, dass wir Vorstellungen haben (eine Tatsache, die von Schulzes Skeptizismus nicht verneint wird), muss in Übereinstimmung mit der durch die Vernunftkritik vorgeschlagene Art zu philosophieren eine skeptische sein. Der Skeptiker ist in der Tat bereit, die drei nachfolgenden Dinge zu akzeptieren: erstens, dass es Vorstellungen gibt; zweitens, dass wir entsprechend unterschiedlicher Vermögen unterschiedliche Vorstellungen haben (Vorstellungen der Sinnlichkeit, des Verstandes und der Vernunft) und drittens, dass die Vorstellungen – qua Vorstellungen – als Wirkungen dieser Vermögen von diesen verschieden betrachtet werden können, »um ihr Dasein begrifflicher zu machen« (Aenesidemus, S. 101). Selbst wenn man all das annimmt, kann daraus die Existenz eines wahren Vorstellungsvermögens als ein reales Wesen nicht abgeleitet werden. Die Existenz eines solchen Vermögens ist nach der skeptischen Auffassung völlig »unsicher« und wenn man diese Existenz gründlich auf reflexive Weise untersucht, »kann« sie durch Prinzipien, die die Philosophie beweisen will, weder bestätigt noch verneint werden, d. h. es handelt sich nicht um eine Frage, die durch Argumentation geklärt werden kann. Schulze nimmt an, dass die Schlussfolgerung auf das Vorstellungsvermögen über die Tatsache der Vorstellung nicht nur ein kausaler Schluss ist, sondern auch ein noumenaler, d. h. es handelt sich um einen Schluss, der von der Vorstellung ausgeht, um zu ihrer Ursache zu gelangen, die als ein »Ding an sich« betrachtet wird. 11

Vgl. Aenesidemus, S. 98 ff. A

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Die kritische Untersuchung der zweiten Aufgabe, die die Elementarphilosophie zu erfüllen hat (die Lösung des Problems vom objektiven Bezug der Vorstellungen), zeigt auch einen Verstoß gegen die Prinzipien der kritischen Philosophie im bereits angeführten doppelten Sinne: nämlich die untersagte Übertretung der Grenze vom »Gedacht-werden-müssen« zum »Sein« als kausaler noumenaler Schluss. Die Elementarphilosophie erhebt den Anspruch, durch die Analyse des Begriffes der Vorstellung eine Komponente dieser selben, den Stoff, der dem Objekt entspricht oder sich auf dieses bezieht, entdeckt zu haben. Wie schon gesagt wurde, kann weder der Typ der Beziehung, die zwischen dieser Komponente der Vorstellung und dem Objekt besteht, noch die Tatsache, dass der Stoff objektive Komponente der Vorstellung ist, von der Elementarphilosophie bewiesen werden. Trotzdem glaubt Schulze, dass mit der Auffassung vom Stoff der Vorstellung als auf das Objekt und nicht auf das Subjekt bezogen derselbe kausale Noumenalismus vorausgesetzt wird, der im Begriff eines Dinges an sich als Ursache der Affektion steckt. Und dieser Begriff wurde seit Jacobis Kritik für die Hauptquelle der Aporien der kritischen Philosophie gehalten. 12 Das Merkwürdige daran ist, dass Reinhold, der sich dieser aporetischen Quelle bewusst war und ihr mit Hilfe seiner These von der Nicht-Vorstellbarkeit des Dinges an sich entgegen wirken wollte, sie stattdessen noch vergrößerte. An dieser Stelle führt Schulze seine kritische Untersuchung ebenfalls im Rahmen einer realistischen Analyse durch. Er setzt sich mit der Frage der Vorstellbarkeit bzw. Nicht-Vorstellbarkeit der Dinge an sich auseinander, was ein Problem darstellt, das die kritische Jacobi geht davon aus, dass die kantische Philosophie nicht ohne weiteres – wie es eigentlich Kants Absicht war – als ein Idealismus betrachtet werden kann, der den Bereich der Realität von dem der Phänomenalität trennt, d. h. der die Realität auf die Sphäre der subjektiven Bestimmungen beschränkt, sondern dass er als ein Idealismus gesehen werden muss, der den Begriff einer Realität an sich zwangsläufig verlangt, der ihm als Ursache der sinnlichen Affektion dient oder als Real-Grund der Erscheinung. Dieser Real-Grund hat jedoch nicht selbst die Beschaffenheit einer Erscheinung, und somit stehen wir vor dem Problem, dass – auch wenn es notwendig ist, ihn (um die Affektion erklären zu können) vorauszusetzen – diese Annahme nicht mittels der Möglichkeiten des Transzendentalidealismus auf epistemologische Weise gültig gemacht werden kann. Deshalb hält Jacobi fest, dass man ohne die Voraussetzung einer Ursache der sinnlichen Affektion, die selbst keine Erscheinung ist, »in« das kantische »System nicht hineinkommen, und mit jener Voraussetzung darin nicht bleiben konnte« (Werke II, S. 304).

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Philosophie nicht gelöst hat. Nun könnte man sich zu der Entgegnung veranlasst sehen, dass dies auch kein Problem ist, das die kritische Philosophie betrifft. Sollte doch aber die Philosophie, wenn sie nicht bloß ein leerer Diskurs sein will, über das Problem vom Bezug unserer Vorstellungen auf ein ihnen äußerliches und von ihnen als solche verschiedenes Objekt Kund geben. Und ein solches Problem unterscheidet sich nicht (vom Wortlaut abgesehen) von dem Problem, auf epistemische Weise über eine Realität an sich Auskunft zu geben, d. h. unabhängig von der Vorstellung. Der Wahrheitsbegriff besitzt als Korrespondenz oder Übereinstimmung zwischen subjektiven Vorstellungen und objektiven Zuständen der Dinge einen realistischen Hintergrund. Schulze versucht nicht, dies zu verbergen, wie schon gesagt wurde. 13 Was hier allerdings bewiesen werden soll, ist, dass sich die Elementarphilosophie – laut Schulze – auch nicht aus der Verwicklung befreien kann, die sich aus dieser realistischen Voraussetzung der modernen Erkenntnistheorie ergibt. Mit dem Versuch, die Vorstellung als eine Vereinigung von einem subjektiven Element (der Form, dem Apriorischen) und einem objektiven Element (dem Stoff, dem Aposteriorischen) zu begreifen, dachte Reinhold aus den Problemen zu entfliehen, die der besagten realistischen Voraussetzung entspringen, da es, wenn diese Voraussetzung die Dualität zwischen der (subjektiven) Vorstellung und etwas (Objektivem) Vorgestelltem mit sich bringt – und dieses Vorgestellte als von der Vorstellung unabhängig betrachtet wird –, keinerlei Möglichkeit zur Überprüfung gibt, ob sich die Vorstellung letztendlich auf etwas Objektives, äußerlich von ihr Existierendes bezieht. Seine monistische und identifikationistische Strategie nützt ihm jedoch nicht, um das erwähnte Problem zu umgehen, denn er spricht von einem Stoff der Vorstellung, der nicht vom Subjekt hervorgebracht wurde, sondern durch dieses gegeben ist. Wenn dieser Stoff wirklich gegeben ist und nicht nur als gegeben gedacht wird, dann muss es eine Ursache geben, die ihn hervorruft oder –bringt. Hiermit setzt man einen Gebrauch der Kausalität voraus, der die Grenzen des Bereiches überschreitet, auf den diese eigentlich beschränkt ist: nämlich auf den Bereich der Vorstellungen. Das würde jedoch auch bedeuten, dass zwei in ihrer Art verschiedene oder besser von Natur aus vollkommen heterogene Elemente, wie der wirklich gegebene Stoff und die ideale Form, Teil eines Ganzen sein könnten, 13

Siehe oben § 2; Aenesidemus, S. 225 Anm.; KthPh I, S. 69; Hauptmomente, § 6. A

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das sie vereint. Und dies würde heißen, dass man von zwei heterogenen Dingen spricht, die eigentlich homogen sind. Diese Idee überschreitet jede Verständlichkeit, so wie die Idee der Identität von (idealer) Vorstellung und (materialem) Objekt über jede Begreifbarkeit hinausgeht, insofern es sich um zwei Dinge handelt, die ganz und gar verschieden sind. Die Unbegreifbarkeit der reinholdschen Vorstellungstheorie ist vom gleichen Kaliber wie die dieser letzten identifikationistischen Auffassung; und Reinholds Bemühungen, eine Einheit zu schaffen, ohne jedoch den Unterschied zu beseitigen, stellen sich als bloß argumentative Raffiniertheiten heraus. Wenn man den kausal-noumenalen Schluss in Bezug auf den objektiven Aspekt der Vorstellung nicht annehmen will, oder wenn man diese letzte unbegreifliche Auffassung vermeiden möchte, bleibt einem nichts anderes übrig, als anzuerkennen, dass der Stoff der Vorstellung nicht als wirklich gegeben betrachtet, sondern dass er nur als gegeben gedacht werden kann. In diesem letzten Fall würde die Elementarphilosophie nichts über die Realität des objektiven Vorstellungsaspektes sagen, sondern einfach nur eine Leere vorschlagen. So gesehen nimmt die erste Transzendentalphilosophie die realistische Voraussetzung der Erkenntnistheorie als eine nachvollziehbare Voraussetzung entweder an, und muss dann wiederum anerkennen, dass sich die Erkenntnistheorie bei der (kausalen) Erklärung des Ursprungs der Erkenntnis, genauso wie bei dem Versuch zu verstehen, worin die besagte Übereinstimmung besteht, vor den unüberwindbaren Grenzen der philosophischen Forschung befindet (d. h. dass sie die Notwendigkeit einer skeptischen »Lösung« anerkennt), oder sie akzeptiert, dass ihr gesamtes theoretisches Lehrgebäude nichts weiter ist, als eine raffinierte Begriffsfiktion ohne jeglichen Inhalt. Diese Feststellung gilt nicht nur für die spekulative Übung Reinholds, sondern lässt sich auch auf Kant ausdehnen. 14 Im Folgenden werden die wesentlichen Punkte dieser Kritik an der Transzendentalphilosophie vorgestellt und zwar nun nicht durch die Vergrößerungsbrille der Elementarphilosophie. Diese Feststellung gilt eigentlich – so Schulze – für die gesamte »theoretische Philosophie«. Die »theoretische Philosophie« als eine Suche nach den sicheren Erkenntnisgründen, d. h. als eine dianoiogonische Metaphysik (KthPh I, S. 96) besteht aus Unternehmungen, »bei denen, weil sie auf Einbildungen beruhen, die menschliche Vernunft an realen Einsichten gänzlich leer ausgegangen, und das in der Metaphysik von jeher übliche Spielwerk mit bloßen Begriffen nur auf eine etwas veränderte Art fortgesetzt worden ist (ebd., S. XI).

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B.

Vom »Gedacht-werden-müssen« zum »Sein« in der kritischen Philosophie

Für Schulze ist Kant ein versteckter Dogmatiker, weil er aus dem kritischen Standpunkt die skeptischen Konsequenzen nicht zu ziehen wusste (oder wollte). Der Kern der kantischen Kritik an der traditionellen Metaphysik besteht – so Schulze – darin, die Argumentationsweise, die das »Sein« aus den »Bedingungen des Denkens« herbeiführt, als ein illegitimes Vorgehen aufzudecken. Und dennoch bildet ein ähnlicher Vorgang – laut Schulze – die Grundlage der transzendentalen Argumentation in der Epistemologie. Wie im Fall der Kritik gegen Reinhold verfolgt der schulzesche Angriff gegen die kantische Erkenntnistheorie im Wesentlichen zwei einander ergänzende Richtungen: Die erste zielt darauf, die Notwendigkeit der subjektiven Erkenntnisbedingungen zu hinterfragen; und die zweite soll die Überzeugung in Frage stellen, dass sich die Elementarstrukturen der Vorstellung tatsächlich auf Objekte beziehen. In diesem Abschnitt werde ich mich mit der Darstellung desjenigen beschäftigen, was das Wesentlichste der ersten Richtung des Angriffs ausmacht, der Richtung also, die man die subjektive Richtung nennen könnte. Der zweite Aspekt (der objektive) wird das Thema von § 5 sein. Nun muss entschieden werden, ob man die von Kant aufgestellten subjektiven Erkenntnisbedingungen der Gegenstände – die a priori Strukturen der Sinnlichkeit und des Verstandes – in der Tat als Begründung der Erkenntnis betrachten kann. Schulze stützt sich auf eine realistische Voraussetzung, um diese Frage anzugehen, wie er es auch im Fall der skeptischen Hinterfragung der Elementarphilosophie getan hat. Das Problem bei der Begründung der Erkenntnis ist so gesehen das Problem des realen Ursprungs der subjektiven Strukturen, die der Erkenntnis von den Gegenständen dienen. Eine solche Voraussetzung ermöglicht, dass Schulze diesen subjektiven Aspekt der Erkenntnistheorie in einem kausalen Sinn verstehen kann. Die Ermittlung des Ursprungs und der Quelle der subjektiven Strukturen der Erkenntnis a priori ist eine Untersuchung der Ursache für das Vorhandensein der besagten Strukturen in uns. 15 Man beachte, dass Schulze diese Voraussetzung nicht hinterfragt, sondern dass er sich sogar auf sie stützt, um die Reichweite der epis15

Vgl. Aenesidemus, S. 137 ff. A

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temologischen Untersuchung in Zweifel zu ziehen. Zur Annahme dieser Voraussetzung ermächtigt ihn zweifelsohne die Sprache der Vermögen, die von der Transzendentalphilosophie angewandt wird, besonders in der Version Reinholds aber auch bei Kant. 16 Auf diese Weise zieht Schulze den größtmöglichen Nutzen aus der kantischen Gleichsetzung desjenigen, was a priori ist und desjenigen, was subjektiv ist – indem er dieses als aus unserem Gemüt kommend und im Gemüt vorhanden versteht –, um die realistische Voraussetzung in Bezug auf den subjektiven Ursprung der Vorstellungen oder der Vorstellungsformen gültig zu machen. Wird die besagte Voraussetzung erst einmal angenommen, stellt sich die Frage nach der Reichweite der epistemologischen Untersuchung. Und die einzige Möglichkeit, die sich bietet, ist von skeptischer Art. (1) Wenn der (kausale) Ursprung der subjektiven Erkenntnisstrukturen ermittelt werden soll, muss man die Realität genauso wie die Gültigkeit einer jener Hauptstrukturen voraussetzen, nämlich den Grundsatz der Kausalität. Mit dieser Argumentationsrichtung wendet Schulze den skeptischen Tropus der Zirkularität (diallele) auf die epistemologische Transzendentaluntersuchung an. 17 (2) Die Untersuchung des Ursprungs oder der Ursache der Vorstellung (oder der Strukturen der Vorstellung), so wie die Transzendentalphilosophie diese vornimmt, geht über die Grenzen der Vorstellung selbst hinaus, weil man sich unter dem Begriff der Ursache etwas anderes als ihre Wirkung als solche denkt. Aus diesem Argument folgt, dass die Transzendentalphilosophie zu der Untersuchung von etwas Nicht-Untersuchbarem verurteilt ist. Wenn dies der Wahrheit entspricht, befindet sich die transzendentale Untersuchung in einer unvermeidbar dialektischen Situation und das bedeutet, dass nicht entschieden werden kann, ob die Ursache bzw. der Ursprung, der für die subjektiven Erkenntnisstrukturen gesucht wird, innerhalb oder außerhalb von uns liegt. Es lässt sich nämlich denken, dass alle unsere Erkenntnis aus der Wirksamkeit realiter vorhandener Gegenstände auf unser Gemüt herrühre und dass auch die Notwendigkeit, welche in gewissen Teilen dieser Erkenntnis angetroffen wird, durch die besondere Art und Weise, wie die Außendinge unser Diese »Sprache der Vermögen« hat auch dazu veranlasst, Reinhold immer wieder einen Psychologismus vorzuwerfen (s. Lenk: 1980, S. 51 f.). R.-P. Horstmann verwies auf die Bedeutung, die die reinholdsche Theorie des »Vorstellungsvermögens« für die empirisch-psychologischen Reflexionen der Epoche hatte (vgl. Horstmann: 1972, S. 332, Anm. 11). 17 Siehe KthPh II, S. 465; siehe Sextus Empiricus, Grundriss I, 15 [164, 169]. 16

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Gemüt affizieren, und Erkenntnisse in demselben veranlassen, erzeugt werde; und dass mithin die notwendigen synthetischen Urteile, nebst den in ihnen vorkommenden Vorstellungen, nicht aus dem Gemüte, sondern aus den nämlichen Gegenständen herrühren, welche die zufälligen und veränderlichen Urteile nach der kritischen Philosophie in uns hervorbringen sollen. (Aenesidemus, S. 142 f.)

Mit diesem Argument scheint Schulze die kritische Philosophie dem Tropus der Widersprüchlichkeit auszuliefern. 18 Dem der kritischen Philosophie zeitgenössischen Leser mag die realistische und kausale Sprache anstößig erschienen sein, in der die Hypothese formuliert ist, die Schulze einsetzt, um den notwendigen Charakter bestimmter Erkenntnisse zu entkräften. Dennoch kann man in diesem zweiten skeptischen Argument nicht übersehen, dass die kantische Gleichsetzung des Apriorischen mit dem Subjektivem oder aus uns Stammendem, ein nicht unbedeutendes Element ist, mit Hilfe dessen dieser kausalen Interpretationsweise Kraft verliehen werden soll, so unbequem diese auch sei. 19 Und es ist gerade diese Interpretation, die Schulze erlaubt, drei für die kantische Epistemologie entscheidende Kritiken abzuleiten, die es wert sein sollen, hier erwähnt zu werden: a) Es ist »unrichtig, dass, wie in der Vernunftkritik angenommen wird, das Bewusstsein der Notwendigkeit, welches gewisse synthetische Sätze begleitet, ein unfehlbares Kennzeichnen ihres Ursprungs a priori und aus dem Gemüte ausmache« (Aenesidemus, S. 143). b) Wenn wir, wie die KrV besagt, die Dinge an sich nicht kennen, wie kann man dann so sicher sein, dass es nicht doch sie sind, die der

18 Vgl. Sextus Empiricus, Grundriss I, 15 [164 f.]. Außerdem soll darauf verwiesen sein, dass dieses Argument Schulzes als eine Anwendung von zumindest zweien der acht Tropen des alten Aenesidems gegen die Kausalisten betrachtet werden kann, nur dass diese hier im Zusammenhang mit dem sehr modernen Problem des subjektiv-kausalen Ursprungs der Vorstellung gebracht werden. Die erwähnten Tropen gegen die Kausalisten hinterfragen einerseits den kausalen Übergang vom Phaenomena zum Noumena oder zum Nicht-Erscheinenden und zeigen andererseits an, dass eine Wirkung unterschiedliche Ursachen haben kann, und dass deshalb die Bestimmung bloß einer einzelnen zu einem willkürlichen Ergebnis führt. Meines Erachtens sollten die acht Tropen gegen die Kausalisten zusammen betrachtet werden und außerdem im Zusammenhang mit den fünf berühmten Tropen von Agripa, wie es schon von Sextus Empiricus selbst vorgeschlagen wurde (vgl. Grundriss I, 17 [180–186]). 19 Dass diese Gleichsetzung einer der Hauptquelle von Problemen in der Interpretation der KrV ist, ist bekanntlich durch die epochemachende Interpretation von Strawson (1966) gezeigt worden.

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Erkenntnis durch die Empfindung die Merkmale verleihen, die ihr zugeschrieben werden, wie z. B. die Notwendigkeit? Denn ein uns völlig unbekanntes Ding ist uns auch nach alle dem unbekannt, was es bewirken und nicht bewirken kann. Woher mag es also wohl apodiktisch gewiss sein sollen, dass die objektiven und uns völlig unbekannten Gegenstände der Empfindungen nicht solche Erkenntnisse erzeugen können, bei denen Notwendigkeit vorkommt? (ebd., S. 145)

c) Wenn wir schließlich festhalten, dass die notwendigen oder a priori Erkenntnisse einen subjektiven Ursprung haben, dann machen wir diesen Ursprung nicht begreiflicher, als wenn wir das Gegenteil behaupten würden: Eine Ableitung des Notwendigen und Allgemeingültigen in unserer Erkenntnis aus dem Gemüte macht das Dasein desselben (des Notwendigen in der Erkenntnis) im geringsten nicht begreiflicher, als eine Ableitung ebendesselben von Gegenständen außer uns und von deren Wirkungsweise. (Aenesidemus, S. 145)

Die Bedeutung des letzten Einwandes liegt darin, dass, wenn man die Bedingung der Begreifbarkeit in der Erkenntnistheorie erfüllen will, die kausal-noumenale Erklärung des Erkenntnisursprungs notwendig ist. Das heißt, die weiter oben angeführte realistische Voraussetzung tritt an dieser Stelle erneut und in äußerst deutlicher Form in Erscheinung: Das Subjekt (Gemüt), das man als dasjenige annimmt, worauf der notwendige Charakter der a priori Erkenntnisse beruht, wird als Subjekt an sich verstanden und als solches ist es nicht erkennbar. Insofern liefert uns nichts einen Hinweis darauf, dass es in der Tat der Sitz jener mit Notwendigkeit ausgestatteter Strukturen a priori ist. Dabei geht es nicht einfach darum, dass Schulze den Begriff eines nicht erkennbaren Subjekts (Gemüts) annimmt, um die transzendentale Erkenntnistheorie zu widerlegen, indem er ihr eine unerfüllbare Aufgabe stellt, sondern dass er vielmehr eine Voraussetzung mit dieser Theorie zu teilen scheint, nämlich dass ein Subjekt bzw. das Gemüt an sich existiert, das nicht erkennbar ist. Allerdings erlaubt diese Annahme weder zu bestätigen noch zu verneinen, was sein (kausaler) Ursprung diesem Gemüt verschuldet und was nicht. Mit dieser realistischen Voraussetzung, die in seinem gesamten Angriff präsent ist, will Schulze zeigen, dass die kritische Philosophie, indem sie eine subjektive apodiktische Begründung der Erkenntnis aufzustellen versucht, einer ihrer eigenen Grundforderungen entgegensteht, nämlich der, die gerade die Grenzen desjenigen 158

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beschreibt, das erkannt werden kann. Der Verstoß gegen diese Forderung nimmt die Form einer dogmatischen Übertretung an, die vom »Denken« zum »Sein« übergeht. Da für Schulze »Grund« und »RealGrund« einander entsprechen, und dieser Letzte nichts anderes als »Ursache« bedeutet, findet eine unzulässige oder dogmatische Übertretung vom »Denken« zum »Sein« statt, wenn eine Begründung versprochen wird (die real sein soll) und man eine Theorie vorstellt, nach der diese oder jene Bedingung als eine notwendige gedacht werden muss, damit die Erkenntnis erfolgt. Dies wird sehr anschaulich in dem (für Schulze) wesentlichen Argument der transzendentalen Epistemologie dargestellt: Was sich nur auf eine einzige Art von uns als möglich vorstellen lässt, das kann auch nur auf diese einzige Art möglich sein Die notwendigen synthetischen Urteile in unserer Erkenntnis lassen sich nur allein dadurch von uns als möglich vorstellen, dass wir sie als aus dem Gemüte und aus dessen a priori bestimmter Handlungsweise herrührend ansehen Also können auch die notwendigen synthetischen Urteile in unserer Erkenntnis nur aus dem Gemüte und aus dessen a priori bestimmter Handlungsweise wirklich entsprungen sein. (Aenesidemus, S. 140) 20

Der Inbegriff der wichtigsten Lehrsätze der kantischen Erkenntnistheorie kann mutatis mutandis auf diese Argumentationsform zurückgeführt werden. Man nehme nur die kritische Untersuchung der Transzendentalen Ästhetik, um dieses Modell der argumentativen Rekonstruktion wirken zu sehen. In dieser Untersuchung will Schulze zeigen, dass sich der kantische Beweis – nach dem Raum und Zeit Formen der Anschauung sind, die im Gemüt liegen (oder a Schulzes kritischer Standpunkt in Bezug auf die synthetischen Urteile a priori zeigt sich in der KthPh radikaler als im Aenesidemus. In diesem Letzten scheint Schulze sie anzunehmen, lehnt aber im Gegensatz dazu die Struktur ihrer Beweisführung ab. Sie »sind« auf irgendeine Weise, aber wir wissen nicht, »warum« sie sind oder mit anderen Worten: Der Real-Grund ihres Daseins wird, obwohl er von der kritischen Philosophie versprochen war, nicht durch diese erbracht (genauso wenig ist es möglich, ihn zu ermitteln) und diese Tatsache wird, anstatt dass sie durch die besagte Philosophie anerkannt wird, durch einen Denkgrund sozusagen, durch einen »logischen Grund« verkleidet (Aenesidemus, S. 123 ff.). In der KthPh dagegen werden die synthetischen Urteile a priori von Anfang an abgelehnt, da die Termini »synthetisch« und »a priori« oder »notwendig« einander gegenseitig ausschließen. Schulze hat hier zweifelsohne seine Idee weiterentwickelt, dass die besagten Urteile das Ergebnis des kantischen Übertritts vom Logischen zum Faktischen sind: »Wir hingegen behaupten, dass es dergleichen Urteile gar nicht geben könne, weil sie völlig ungedenkbar sind, und der Begriff derselben einen Widerspruch enthält« (KthPh II, S. 146, vgl. auch 147 ff.).

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priori im Sinne von subjektiv sind oder im Gemüt hervorgerufen werden) – einerseits in einer Abhängigkeitsbeziehung mit der Tatsache der Mathematik befindet, so wie Kant diese auffasst, d. h. als corpus der synthetischen Sätze a priori. Andererseits ist der Beweis des a priori Charakters von Raum und Zeit auch das unrechtmäßige Ergebnis eines Schlusses, der von der Notwendigkeit ihrer Vorstellung im Gemüt (unabhängig von den Gegenständen) ausgeht. Der erste Punkt wird nicht gerechtfertigt, weil das Vorhandensein solcher Urteile selbst nicht gerechtfertigt ist. Aber auch wenn man annehmen würde, dass es notwendige Urteile in der Mathematik gibt, folgt deshalb trotzdem noch nicht, dass Raum und Zeit Anschauungen wären, »die dem menschlichen Gemüte schon a priori beiwohnten« (KthPh II, S. 185). Diesen Kritikpunkt hier noch ausführlicher zu betrachten soll jedoch nicht erforderlich sein. Mir scheint vor allem wichtig, die Tatsache hervorzuheben, dass Schulze zu erkennen vermochte, dass aus der Abhängigkeitsbeziehung zwischen der kantischen Theorie von Raum und Zeit und der Tatsache der Mathematik (so wie Kant diese auffasste) eine Schwächung der Argumente der so genannten »metaphysischen Darlegung« der Begriffe von Raum und Zeit folgte. 21 Diese Schwächung besteht im Wesentlichen darin, dass die Argumente als Rechtfertigungen ad hoc oder als regressive Rechtfertigungen einer Tatsache, die so oder so gesehen wird, betrachtet werden können. Würde die Tatsache (die Mathematik) auf eine andere Weise aufgefasst werden (nicht als corpus der synthetischen Grundsätze a priori), dann würde die gesamte Transzendentalphilosophie einstürzen. Die zweite Richtung der Kritik ist nicht weniger auffällig. Schulzes Gedanke steht hierbei der Absicht noch näher, die (vonseiten Kants) unzulässige Übertretung von dem »Gedanken der Notwendigkeit« von Etwas zur »Existenz« dieses Etwas anzuzeigen. Kant beweist in der »Transzendentalen Ästhetik« tatsächlich, dass es eine gewisse Unentbehrlichkeit oder Notwendigkeit im Gedanken (oder in der Vorstellung) von Raum und Zeit gibt: Wir können uns Raum ohne Gegenstände vorstellen oder denken, aber nicht Gegenstände ohne Raum. 22 Von dieser Begreifbarkeit will Kant ableiten, dass Raum und Zeit a priori sind, was bedeutet, dass sie subjektiv sind und ihren Sitz im Gemüt haben. Diese Folgerung ist jedoch nicht 21 22

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Siehe KrV, S. B 37, B 46. Siehe ebd., S. A 24 = B 38 f., A 31 = B 46.

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schlüssig. Alles, was Kant hier beweist, ist die Begreifbarkeit von Raum und Zeit ohne Gegenstände, das heißt, wenn man so will, die logische Priorität von jenen in Bezug auf diese, aber weiter nichts. Deshalb kann Schulze in diesem Zusammenhang sagen: Mithin sieht man wohl, dass die Vernunft-Kritik in ihrem Beweise der Wirklichkeit reiner Anschauungen aus der Beschaffenheit der Urteile in der reinen Mathematik, oder vielmehr aus denjenigen Anschauungen, die der Mathematiker den Begriffen seiner Wissenschaft unterlegt, eigentlich von derjenigen Beschaffenheit dieser Anschauungen, nach welcher sie eine notwendige Verbindung mannigfaltiger Merkmale sollen enthalten müssen, um zur Begründung der mathematischen Urteile tauglich zu sein, auf einen dieser Beschaffenheit angemessenen Real-Grund der Entstehung derselben im Bewusstsein schließe, und auf diese Art es herausbringe, dass der menschlichen Sinnlichkeit die Fähigkeit beiwohnen müsse, etwas schon a priori anschauen zu können. (KthPh II, S. 190 f.) 23

Mit Hilfe der kritischen Wiederaufnahme der transzendentalen Argumentationsweise versucht Schulze (nicht ausschließlich aber doch hauptsächlich), seinen Vorwurf des »Formalismus« (Aenesidemus, S. 387) oder des »morphothetischen Idealismus« (KthPh I, S. 99) zu begründen; mit einem Wort: den Vorwurf der Leere gegen die kantische Erkenntnistheorie. Anders gesagt: Die Transzendentalphilosophie der Erkenntnis erklärt die Tatsache der Erkenntnis nicht wirklich, da sie keinen Real-Grund für ihren Ursprung bietet. Kann sich diese Kritik aber rechtfertigen? Ist es richtig, von der kantischen Erkenntnistheorie zu verlangen, dass sie sich auf die Kausalität und den Real-Grund der Erkenntnis stützt? Ist es nicht ausreichend und außerdem angemessener, mit den Zielen der transzendentalen Erkenntnistheorie die transzendentale Argumentation als eine Form des Begreifens des Erfahrungsbegriffes zu übernehmen und zwar in den Termini ihrer kausal nicht relevanten Möglichkeitsbedingungen? In Schulzes Angriff bildet gewiss die Unkenntnis des Unterschieds zwischen der Sprache der Bedingungen und der Sprache der

Zur kritischen Rekonstruktion der gesamten »Transzendentalen Ästhetik« siehe ebd., S. 167 ff. Die Kritik an der kantischen Theorie des Raumes, die sich auf die vermeintliche Abhängigkeit zwischen dieser Theorie und der Geometrie stützt, hat bekanntlich durch Strawson (1966) einen neuen Anstoß erhalten. Man kann eine sehr gute Erörterung dazu in Horstmann (1997), S. 15 ff. finden.

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Ursachen den Kern. 24 Die kantische Erkenntnisphilosophie stützt ihre argumentative Kraft vor allem auf die Darstellung der notwendigen Möglichkeitsbedingungen und nicht auf die Suche nach den Ursachen oder die Erklärung des subjektiven (kausalen) Ursprungs der kognitiven Strukturen. So gesehen sollte es nicht verwundern, dass Schulze in ihr nicht findet, wonach er sucht oder anders, was er glaubt, wonach die Epistemologie zu suchen hat. Auf diese Situation wurde schon in den Kritiken von Fichte und Hegel aufmerksam gemacht. 25 Hierbei handelt es sich vielleicht um das zentrale Problem des schulzeschen Angriffs gegen den subjektiven Aspekt der transzendentalen Erkenntnistheorie. Aufgrund der besagten Unkenntnis vom Unterschied zwischen der Sprache der Bedingungen und der Sprache der Ursachen oder, wenn man so will, aufgrund der Verwechslung von beiden Sprachen, könnte man gegen Schulze den Einwand erheben, dass er im Begriff stünde, eines der Hauptmerkmale der kritischen Philosophie falsch auszulegen: Nämlich die Eigenschaft, eine Metatheorie der Erkenntnis zu sein bzw. eine Theorie der zweiten Ordnung, die über ein eigenes wirklich philosophisches Argumentationspotential verfügt; d. h. die einerseits unabhängig von den Inhalten der Theorie erster Ordnung ist (also von der – kausalen – wissenschaftlichen Erkenntnis) und andererseits keinen ausschließlich logisch formellen Charakter besitzt. Diese – an sich richtige – Bemerkung löst trotzdem nicht die Verwicklungen der kantischen Philosophie in Bezug auf Schulzes Kritik und auf das zentrale Problem seiner skeptischen Art zu philosophieren, nämlich das Problem, ob Hume als durch die kritische Philosophie widerlegt betrachtet werden kann. Und das ist der Fall, weil die Unkenntnis des Unterschieds zwischen der Ursachen- und der Bedingungensprache bei Schulze nicht durch eine Unachtsamkeit in seiner Auslegung der kantischen Philosophie verschuldet ist, sonVgl. Beiser (1993), S. S. 283. Das erkennt Maimon vielleicht besser als jeder seiner Zeitgenossen. (Siehe unten, III, § 2.) 25 Ich beziehe mich hier auf die Kritik an der »Verdinglichung« des Vorstellungsvermögens, die letztendlich eine Möglichkeit der kausalen Erklärung schafft. Siehe Fichte, Rezension, S. 53 ff.; Hegel, Verhältnis, S. 225; auch oben Anm. 37. Maimons Verdienst liegt m. E. darin, gezeigt zu haben, dass dieses der schulzeschen Deutung zur Transzendentalphilosophie innewohnende Problem mit der reinholdschen Auffassung vom Vorstellungsvermögen in gegenseitiger Abhängigkeit steht. Siehe Versuch einer neuen Logik (im Weiteren; VnL), S. 333 ff. Vgl. unten III, § 2. 24

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dern weil es sich dabei um eine gewollte Unkenntnis handelt. Schulze glaubt nicht an diesen Unterschied, insofern es darum geht, eine Erklärung der Realität der Erkenntnis abzugeben. Besser gesagt: Entweder wird die geforderte Erklärung gegeben und dann wäre dieser Unterschied nicht akzeptabel oder man erkennt die Bedeutung dieses Unterschiedes an, wobei man jedoch keine Erklärung über die Realität der Erkenntnis geben kann. Allerdings glaube ich nicht, dass sich das Wesentliche seines Beitrages hier finden lässt. Er fährt nämlich fort, indem er auf die beiwohnende Unzulänglichkeit der Epistemologie insistiert, sei es, dass die Erkenntnisbedingungen aufgestellt werden sollen oder dass man sich das ehrgeizige Ziel stellt, ihre Ursachen zu erklären. Im ersten Fall ist man zu einem regressiven Diskurs verdammt, der höchstens zeigen kann, dass etwas, von dessen Existenz man ausgeht, nur so und nicht auf andere Art und Weise gedacht werden kann. Dieser Gedanke aber hört nicht auf, ein bloßer Gedanke zu sein, weil er ein Gedanke der Notwendigkeit ist. Außerdem wird er, da er regressiv ist, immer von demjenigen abhängig sein, von dem er bei seinem Beweis ausgeht – auch wenn dies dabei nicht explizit zugegeben wird. Und es gibt keine Möglichkeit, die Notwendigkeit der Tatsache, von der ausgegangen wird, apodiktisch zu beweisen. 26 Diese Tatsache könnte also durch eine andere ersetzt werden. Ein gutes Beispiel dafür bietet die kantische Tafel der Kategorien, die von der Tafel der Urteilsformen auf strengste Weise abgeleitet sein soll. Dieser Vorgang jedoch, bei dem die Tafel der Urteilsformen als unleugbare Tatsache angenommen wird, scheint Schulze ein recht willkürlicher zu sein. 27 Es besteht kein Problem darin, dass etwas als gegebene Tatsache, d. h. ohne eine letzte rationale Rechtfertigung, angenommen wird, wenn sich diese Annahme als richtig herausstellt. Dies ist u. a. bei der formellen Logik der Fall, deren Annahme richtig ist, aber keine letzte Rechtfertigung erlaubt. Der skeptische Philosoph sieht kein Problem in der Notwendigkeit (im Sinne von Unentbehrlichkeit) von Annahmen, die nicht gerechtfertigt werden können. Nun aber, solange es grundlegende Begriffschemata gibt, Grundstrukturen des Denkens, wie die von der formellen Logik vorgesehenen, die selbst nicht nachweisbar sind (obwohl sie unseren Rechtfertigungen zugrunde liegen), kann nicht gesagt werden, dass 26 27

Vgl. Sextus Empiricus, Grundriss I, 15 [164, 168] Siehe KthPh II, S. 333. A

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diese Strukturen immer und notwendigerweise dieselben wären, nur genau diese und nicht auch andere. Das Streben nach Einzigartigkeit zeigt noch lange keinen Skeptiker, und deshalb beunruhigt es ihn nicht, jede Gefahr von Willkür (bzw. Nicht-Notwendigkeit) bei der Wahl eines Begriffsschemas oder einer Denkstruktur zu beschwören. Die Notwendigkeit eines begrifflichen Grundschemas ist für den Skeptiker mit dessen kontingentem Charakter kompatibel. Was ihm im Gegensatz dazu jedoch problematisch erscheint, ist zu glauben, dass man die letzte Rechtfertigung einer gegebenen Tatsache erbringen könnte, wenn man in Wirklichkeit doch nichts weiter tun kann, als sich dieser Tatsache zu bedienen, um irgendeine Rechtfertigung aufzustellen. Das heißt, entweder nehmen wir die Tatsache als nicht zu rechtfertigen an, oder uns bleibt nichts anderes übrig, als in einen Teufelskreis zu verfallen. Und genau hier liegt das Problem der kantischen Ableitung der Kategorien. Schulze verschärft den Vorwurf der Willkür in Bezug auf die kantische Ableitung der Kategorientafel über die Tafel der Urteilsformen, indem er zeigt, dass die Einführung der »dritten Kategorie« ganz und gar nicht zu rechtfertigen, ja sogar dass diese Einführung völlig unrichtig ist. 28 Wenn man die heutige philosophische Kontroverse um das transzendentale Argumentationsmodell betrachtet und bewerten will, muss Schulzes Verdienst hervorgehoben werden, da er schon auf die Probleme hinwies, die dieser Art zu philosophieren innewohnen. Das wird vor allem durch die Hinterfragung deutlich, der er die Beweiskraft der progressiven Methode in der Philosophie unterwarf. Mit großem Optimismus hinsichtlich dieser Vorgehensweise, versuchte Reinhold (später aber auch Fichte) die Lücken der kantischen Transzendentalphilosophie auszugleichen, d. h. den Mangel, dass sie keine überzeugende und vernünftige Rechtfertigung für ihre Annahmen bietet. Schulze denkt, dass sich der Glaube an die Erreichung von absoluter Gewissheit und einer rationalen Befriedigung in Bezug auf die Begründung der Erkenntnis mit Hilfe der progressiven Methode (die sich auf unumstrittene und notwendige Grundsätze gründet) auf die Illusion stützt, dass dieser Vorgang mit absoluter Unabhängigkeit von der regressiven Methode erfolgen kann, die wiederum angewandt wird, um die der Erfahrung zugrunde liegenden Sätze zu finden. Beide Vorgänge sind im Gegensatz dazu unvermeidbar mit28

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Siehe ebd., S. 291–333.

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einander verwickelt. Das bedeutet, dass man gezwungenermaßen immer von etwas, das in der Erfahrung gegeben ist, ausgehen muss. Die mit Letztbegründungsansprüchen konzipierte Philosophie unternimmt eine Untersuchung der konstitutiven Merkmale, die diesem Gegebenen zugrunde liegen und betrachtet diese wie Grundsätze in bestimmten Urteilen. Nun aber angesichts der Beziehung, in der die Suche nach diesem Prinzip und die Tatsache, von der ausgegangen wird und die untersucht werden soll, miteinander stehen, kann trotzdem nicht legitimerweise verlangt werden, dass man das Prinzip »aus bloßer reiner Vernunft schöpfe« (KthPh I, S. 641), es sei denn, dass man die Darstellung jenes Prinzips als eine »bloße Setzung« betrachten kann (ebd., S. 642), die selbst nicht zu rechtfertigen sei oder nicht frei vom Vorwurf der Willkür und ohne jede wirklich erklärende Kraft. Mit anderen Worten: Die progressive rationale Begründung kann sich nicht vollständig von der regressiven faktischen Untersuchung lösen, und das untergräbt alles philosophische Streben nach absoluter Gewissheit. Der Anwendung der progressiven Methode im Hinblick auf die Entdeckung von notwendigen Grundsätzen liegt daher implizit und »ursprünglich der Gebrauch der regressiven Methode mit allen ihr anklebenden Mängeln zum Grunde; und jene macht mithin vergeblich darauf Anspruch, uns zu einer Gewissheit zu führen, welche bei dieser unerreichbar sein soll« (ebd.). Im zweiten Fall (der die kausale Erklärung des Ursprungs der Erkenntnis oder die Erklärung des Real-Grundes der Erkenntnis betrifft) stellt sich heraus, dass die Epistemologie von Natur aus unzureichend ist; d. h. sie stellt sich als unfähig heraus, den besagten wirklichen und gewissen ersten Grund der Erkenntnis aufzustellen, weil es sich bei ihr um eine real-kausale Untersuchung handelt, d. h. sie ist an die Grenzen unserer empirischen Erkenntnis gebunden. Auf diese Weise sind die Grenzen der philosophischen Untersuchung den Grenzen der kausalen Untersuchung gleich. Wenn die ersten Ursachen oder Sätze des Seins nicht empirisch untersucht werden können, dann gilt das Gleiche für die ersten Ursachen und Sätze der Erkenntnis. Die Erkenntnisphilosophie darf kein privilegierter Diskurs sein, der einerseits höchste ontologische Ziele verfolgt, andererseits jedoch keine empirischen Inhalten besitzen will. Dieser privilegierte Charakter der Erkenntnistheorie wird von Schulzes Skeptizismus offensichtlich verkannt. Die Erkenntnistheorie wird deshalb auf die Stufe der Theorien der ersten Ordnung herabgesetzt, die den Überzeugungen unseres täglichen Lebens nahe stehen. Die A

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Argumentationsstandards der Philosophie können sich von diesem Boden nicht abheben. Mit einem solchen Beitrag würde ein philosophischer Skeptizismus wie der von Schulze eine »Naturalisierung« der Epistemologie vornehmen. In der Tat schlägt er das auch gewissermaßen vor. Hier könnte man nämlich genau den Kern des Vorschlages zu einem »natürlichen Realismus« finden. Die Erfahrung soll und kann mit Hilfe der begrenzten Mittel erklärt werden, die sie selbst zur Verfügung hat. Eine Erklärung der Erfahrung außerhalb ihrer selbst zu suchen, hieße in den Bereich des Unerklärlichen vordringen zu wollen.

§ 5. Objektivität: Schulzes Skeptizismus gegen Kant In einem Brief, den Kant am 4. Dezember 1792 an J. Sigmund Beck schrieb, finden wir einen relativ detaillierten Verweis auf den Autor des Aenesidemus: Herrn Eberhards und Garven Meinung von der Identität des Berkeleyschen Idealisms mit dem kritischen, den ich besser das Prinzip der Idealität des Raumes und der Zeit nennen könnte, verdient nicht die mindeste Aufmerksamkeit, denn ich rede von der Idealität in Ansehung der Form der Vorstellung, jene aber machen daraus Idealität derselben in Ansehung der Materie d. i. des Objekts und seiner Existenz selber. – Unter dem angenommenen Namen Änesidemus aber hat jemand einen noch weitergehenden Skeptizism vorgetragen, nämlich dass wir gar nicht wissen können, ob überhaupt unserer Vorstellung irgendetwas anderes (als Objekt) korrespondiere, welches etwa soviel sagen möchte als, ob eine Vorstellung wohl Vorstellung sei (Etwas vorstelle). Denn Vorstellung bedeutet eine Bestimmung in uns, die wir auf etwas anderes beziehen (dessen Stelle sie gleichsam in uns vertritt). (AA XI, S. 395)

Diese Bemerkung ist nicht nur für den Beleg wichtig, dass Kant sehr wohl Kenntnis vom Aenesidemus hatte, sondern auch für dasjenige, was hier in Bezug auf die niemals beruhigte Sorge des Autors der KrV über das Problem der Idealität und der kontroversen Beziehung des transzendentalen Idealismus zur Philosophie Berkeleys gezeigt wurde. Und vor allem im Zusammenhang mit der Sorge Kants um die »Idealismusfrage« sollte sich der angeführte Hinweis auf Schulzes Skeptizismus lesen. 29 Etwas genauer betrachtet erscheint diese interessante Bemerkung Kants zu dem skeptischen Standpunkt 29

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Vgl. Hoyos (1995), S. 114, bes. 150 ff.

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Objektivität: Schulzes Skeptizismus gegen Kant

Schulzes mit Bezug auf den objektiven Zusammenhang unserer Vorstellungen trotzdem so einseitig, dass sie den Kern des Problems übersieht, das im Aenesidemus gezeigt wird. Schulzes Skeptizismus ist in Hinsicht auf die äußeren Gegenstände im Wesentlichen philosophisch, d. h. er ist darauf ausgerichtet, ein Problem aufzuzeigen, das als solches für die Philosophie oder für eine gewisse Art zu philosophieren aufgrund der Annahme von bestimmten Voraussetzungen besteht. Die wichtigste dieser Voraussetzungen ist die des Repräsentationalismus, oder besser die These, dass jeglicher epistemischer Kontakt (auch der sinnliche Kontakt) mittels Vorstellungen erfolgt. Gesetzt den Fall, dass die Grundlage in Schulzes skeptischer Argumentation durch diese repräsentationalistische Voraussetzung gebildet wird, lässt sich sehr leicht sagen, dass sein Skeptizismus in Bezug auf die äußere Welt von dieser selben bedingt wird. Das ist eine Idee, die Schulze – wie schon mehrmals in der vorliegenden Arbeit gesagt wurde – von Reid übernommen hat. Diesem bedingten und rein philosophischen Skeptizismus entgegnen zu wollen, dass im Begriff der Vorstellung der Begriff von etwas Vorgestelltem (von etwas also, von dem die Vorstellung eine Vorstellung ist) in analytischer Form enthalten ist, bedeutet die Verkennung des Sinnes der Kritik am Repräsentationalismus, da der Begriff jenes im Begriff der Vorstellung Enthaltenen der Begriff eines intentionalen Gegenstandes der Vorstellung ist (die im Prinzip eine andere Vorstellung sein könnte), jedoch nicht der eines der Vorstellung entsprechenden Gegenstandes, der außerhalb und spezifisch verschieden von ihr als Vorstellung existiert. Das heißt, es handelt sich nicht um einen Gegenstand, der keine andere Vorstellung sein könnte. Worauf es bei Schulzes philosophischem Skeptizismus ankommt, ist das Problem des mangelnden Vertrauens in den von der transzendentalen Erkenntnisphilosophie erbrachten Beweis des Bezuges unserer Erkenntnisse auf Gegenstände, die außerhalb des Bewusstseins existieren und nicht das Gültigmachen der Idee, dass die ganze Vorstellung als solche die Vorstellung von etwas ist, d. h. die Idee eines intentionalen Gegenstandes der Vorstellung, die in der systematischen Strategie Reinholds so wichtig ist. 30 Klar ist, dass Schulzes philosophisch-skeptischer Standpunkt in Hinsicht auf die äußeren Gegenstände – der durch die These des Repräsentationalismus eindeutig bedingt wird – viel eindringlicher in der KthPh als im 30

Siehe oben I, § 9. A

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Aenesidemus dargestellt ist. Dieser Standpunkt kann jedoch im Wesentlichen schon in diesem letzten Werk wahrgenommen werden, wobei vor allem gerade die Bedeutung der Idee eines intentionalen Gegenstandes der Vorstellung in der Elementarphilosophie in den Blickpunkt gerückt wird. 31 Die Untersuchung der skeptischen Position Schulzes in Bezug auf die kantische Theorie der Objektivität – so wie diese sich innerhalb des Rahmens einer repräsentationalistischen Auffassung von der Erkenntnis hält – wird nun anhand der vier vorgestellten Grundmomente dargelegt. Zuerst wird Schulzes Kernargument gegen die »Transzendentale Ästhetik« dargestellt (A). Im zweiten Moment (B) stellt man die Art und Weise vor, in der das skeptische Argument hinsichtlich der kantischen These zur Objektivität wirkt, so wie diese in der »Analytik der Begriffe« und in der »Transzendentalen Deduktion« aufgestellt wurde. Das dritte Moment (C) soll auf die Funktionsweise des Arguments in den Analogien der Erfahrung, besonders in der ersten und der zweiten hinweisen. Im letzten Moment (D) wird schließlich das schulzesche Argument dargelegt, das sich gegen die kantische These der Objektivität in der Widerlegung des Idealismus und gegen Kants Versuch richtet, sich von der Berkeleyschen Auslegung des transzendentalen Idealismus zu distanzieren (ein Versuch, den Schulze immer als an das Argument zur Widerlegung des Idealismus gebunden aufgefasst hat). Diese vier Punkte bilden meiner Ansicht nach den Kern der skeptischen Kritik gegen die BestreE. Adickes hat meiner Meinung nach Recht, wenn er behauptet, dass Kant fälschlicherweise im Fall Schulzes auf einen Totalidealismus schließt. Adickes kommt zu diesem Urteil, indem er die hier angeführte Textpassage von Kant analysiert (Adickes: 1920, S. 621 ff.). Was Schulze, der bis aufs Äußerste ein empirischer Realist ist, tatsächlich festhält, ist, dass der Idealismus immer dann zu einem Totalidealismus führt, wenn der Repräsentationalismus mit einem epistemischen Zugang zur Realität nicht vereinbar ist. Das ist eine These, die auch Jacobi vertreten würde (dazu Hoyos 2001, III, § 3). Kant kann nur deshalb zu einer solchen Missdeutung gelangen, weil er entweder Reids Anti-Repräsentationalismus nicht kennt, oder weil er ihn nicht ernst nimmt. Beide dieser Gründe würden eine Revision der These über eine reibungslose Beziehung zwischen Kant und der schottischen Common-Sense-Philosophie verlangen, die so hitzig von Kühn (1987) verteidigt wird. Ich neige eher dazu, von einem Spannungsverhältnis zwischen der Transzendentalphilosophie und der Common-Sense-Philosophie zu sprechen, einem Verhältnis, das deutlich macht, wie sehr Kant den common sense verteidigt und gültig macht, wenn auch nicht immer mit ausdrücklicher Absicht. Das kantische Gültigmachen (malgré lui) des common sense wirkt wiederum spannend, wenn man bedenkt, dass ihr argumentatives Potential von nichts anderem herrühren kann als von den Annahmen des common sense.

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bungen der kantischen Transzendentalphilosophie, eine theoretische Begründung der Objektivität unserer Vorstellungen zu geben. In diesem Zusammenhang sollen die unter (B) und (D) verstandenen Ansätze betont werden. Diese Betonung hält sich an die Überzeugung, dass die »Transzendentale Deduktion« einerseits der beste Ort ist, um die kantische Objektivitätstheorie zu finden, da sich Kant dort mit dem Begriff des den Vorstellungen entsprechenden Gegenstandes auseinandersetzt. Andererseits bietet die Analyse der Widerlegung des Idealismus (so wie Schulze diese versteht) eine gute Möglichkeit, um zu sehen, bis zu welchem Punkt Kant dem modernen Repräsentationalismus verpflichtet ist. Diese Frage stellt die Grundlage der Kritik Schulzes an der modernen Epistemologie dar. A.

Die Transzendentale Ästhetik

Schulzes Angriff auf die kantische These von einem objektiven »Bezug« der Formen der Sinnlichkeit, da diese die Bedingungen dafür sind, dass die Gegenstände – als Erscheinungen aufgefasst – gegeben seien, scheint eine Medaille mit zwei Seiten zu sein. Einerseits geht man davon aus, dass es (wenn man die Hypothese über den Repräsentationalismus einmal angenommen hat) unmöglich ist, aus dem Subjekt und seinen Vorstellungen sozusagen »herauszukommen«, um zu »sehen«, was es außerhalb von diesen gibt, das irgendeine objektive Korrespondenz hätte. Andererseits ist der mit dem Vorangegangenen in enger Verbindung stehende Einwand nicht zu vernachlässigen, nach dem mit der Unterscheidung zwischen »Erscheinung« und »Ding an sich« eine transzendentale Auffassung von der Realität vorausgesetzt wird, über die gewiss die Theorie über den objektiven Bezug der Formen der Sinnlichkeit Auskunft geben müsste – schon weil diese Auffassung von der Realität dem Begriff der »Erscheinung« zugrunde liegt. Wenn nun aber die »Transzendentale Ästhetik« von dieser Realität in transzendentalem Sinne Auskunft gibt, würde sie eine kritische Grundforderung verletzen, weil sie dabei die Sphäre der Phänomenalität verlassen würde. Es handelt sich mit anderen Worten um die Neuformulierung der von Jacobi gezeigten Aporie 32 und um die polemische Hinterfragung der Bedeutung

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Vgl. oben. Anm. 12 A

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des Dinges an sich in der Kantischen Theorie über die sinnlichen Formen. Dieses Problem war in der Rezeption der KrV am Ende des 18. Jahrhunderts sehr aktuell und bereitet den Interpreten auch heute noch Kopfzerbrechen. 33 Für Schulze stecken in der These über den transzendentalen Idealismus, so wie diese in der »Transzendentalen Ästhetik« vorgestellt wird – Raum und Zeit sind Formen der Gegenstände, da diese als Erscheinungen und nicht als Dinge an sich betrachtet werden – zwei weitere Thesen: [E]rstens dass es gewiss sei, es gebe von unserm Vorstellen unabhängige und für sich wirkliche Dinge, die unsere Sinnlichkeit affizieren und in derselben Vorstellungen von sich erregen, denn nur unter dieser Verbindung kann man von der sinnlichen Erkenntnis sagen, dass sie kein bloßer Schein, sondern Erscheinung sei, die auf etwas objektiv Wirkliches Beziehung habe; zweitens dass es gleichfalls ganz zuverlässig sei, dasjenige, was die Sinnlichkeit den Erkenntnissen von Dingen aus sich selbst beigefügt haben soll, könne dem nicht entsprechen, was diesen Erkenntnissen als die reale Ursache derselben zum Grunde liegt. (KthPh II, S. 221 f.) 34

Schulze will beweisen, dass diese metaphysischen in der Theorie über den transzendentalen Idealismus enthaltenen Voraussetzungen gewisse realistische Erwartungen wecken, die diese als eine Erkenntnistheorie der Gegenstände nicht erfüllen kann, weil sie ihre Befunde auf die Sphäre der Erscheinungen (oder der Vorstellung) zu beschränken hat. Mit anderen Worten: Die These über den transzendentalen Idealismus gerät mit der These über die »Metaphysik des transzendentalen Idealismus« in Konflikt, die der ersten (laut der

Vgl. Horstmann (1997), Kap. 2. Siehe Aenesidemus, S. 379: »Allerdings setzen Erscheinungen etwas voraus, das da erscheint, und das eine von unseren Vorstellungen unabhängige Existenz hat; und man kann sich eine Erscheinung ohne etwas, so erscheint, eben so wenig denken, als eine Wirkung, so keine Ursache hat, und so nicht gewirkt worden ist.« Man kann hier sehen, dass Schulze vom »semantischen Noumenalismus« (der Begriff der Erscheinung enthält eo ipso den Begriff des Dinges an sich) genauso wie vom »kausalen Noumenalismus« (scheinbar offensichtlicher Charakter des Daseins der Dinge an sich aufgrund eines kausalen Bezuges durch die Erscheinung der Affektion), die beide im Begriff eines Objektes als Erscheinung vorausgesetzt werden, eine sehr klare Auffassung hat. Zu den semantischen und kausalen Deutungen des »kantischen Noumenalismus« siehe Allison (1983), S. 240; auch Adickes (1924), S. 20 ff., 29. Zum »kausalen Nominalismus« oder der »noumenalen Kausalität« vgl. Rescher (1974). Weiter vorn komme ich zu diesem Thema noch einmal zurück (unten III, § 3). 33 34

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Feststellung von P. F. Strawson) unterliegt. 35 Und diese Feststellung ist gewiss genauso alt wie die KrV. Mit Bezug auf die erste These, die laut Schulze implizit in der These über den transzendentalen Idealismus steckt, muss man zugeben, dass gerade die repräsentationalistische Sprache nicht garantieren kann, dass den Vorstellungen der Sinnlichkeit ein realer Gegenstand entspricht, von dem sie nach der Theorie über die sinnliche Affektion Wirkungen wären. 36 Wenn dies der Fall ist, gibt es keine Möglichkeit, diese realistische Voraussetzung gültig zu machen. Mit Bezug auf die zweite in der Theorie über den transzendentalen Idealismus enthaltene These muss zugegeben werden, dass man über dasjenige, was jenseits der Grenzen der Phänomenalität – die von der Sinnlichkeit vorgegeben werden – steht, nichts mit Sicherheit wissen kann. Deshalb kann weder bestätigt noch verneint werden, dass es den in der metaphysischen These vorausgesetzten RealGrund auch wirklich gibt. Dieser letzte Punkt ist von größter Wichtigkeit, da Schulze hiermit unterstreicht, dass aus der von der kritischen Philosophie befürworteten epistemologischen Abhängigkeit der Gegenstände als Erscheinungen weder eine Bejahung noch eine Verneinung ihrer ontologischen Abhängigkeit folgen kann. »Die Behauptung«, nach der man in Hinsicht auf das Gegebenwerden von den Gegenständen in der Sinnlichkeit nicht mit Sicherheit das diesem Gegebenwerden als reale Ursache zugrunde Liegende kennen kann, […] ist nämlich erstens auf den Schluss gegründet, dass, weil sich von uns keine Beziehung der reinen Form der Sinnlichkeit auf die Beschaffenheit realer Objekte erdenken lasse, so könne dergleichen Beziehung auch nicht stattfinden. Nun ist aber der Mangel der Einsicht der Möglichkeit von etwas noch kein Beweis für den Mangel und die Nicht-Existenz der Sache selbst; und daraus, dass bis jetzt noch niemand eine Beziehung der reinen Formen der Sinnlichkeit auf reale Sachen hat erkennen können, folgt nicht, dass auch künftig der menschliche Verstand dergleichen Beziehung niemals wird ausfindig machen können, und dass sie überall gar nicht stattfinde. Zweitens ist die Möglichkeit einer solchen Beziehung auch gar nicht so ungedenkbar, als wie die Vernunft-Kritik vorgibt. (KthPh II, S. 223 f.)

35 36

Siehe Strawson (1966), S. 38 ff., 235–273. Vgl. KthPh II, S. 222; auch Aenesidemus, S. 380 f., 384 ff. A

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Um ein Beispiel für diese letzte Möglichkeit vorzubringen, zieht Schulze die metaphysische Hypothese zu einer prästabilisierten Harmonie in Erwähnung, die an sich nicht widersprüchlich ist. Wie auch immer, für Schulze kommt es darauf an, hervorzuheben, dass weder bestätigt noch abgelehnt werden kann, dass unsere Vorstellungen in Raum und Zeit, den Gegenständen entsprechen, so wie diese an sich sind, »denn über die Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung dessen, was zu unserer Vorstellungsart gehört, mit wahrhaft objektiven Dingen, kann kein aus der Erfahrung (wenn diese durchaus lediglich aus Vorstellungen von Dingen besteht) gezogenes Gesetz Aufschlüsse erteilen« (KthPh II, S. 226). Hierbei handelt es sich um eine skeptische Folgerung, d. h. um ein Ergebnis, bei dem die Unentschlossenheit Vorrang hat, also das einzig konsequente Resultat unter den Voraussetzungen des transzendentalen Idealismus. Würde man allerdings annehmen, dass sich die Erkenntnis nur auf bloße Erscheinungen bezieht, müssten sich daraus die folgenden Konsequenzen ergeben: (1) Die kritische Philosophie würde über einen Erkenntnisbegriff verfügen, der über die Erfahrung hinausginge. Denn wie sonst könnte sie die Unterscheidung zwischen »Erscheinung« und »Ding an sich« gültig machen? Mit anderen Worten: Woher weiß die kritische Philosophie »dass hinter den Objekten in der Erfahrung ein von diesen Objekten ganz verschiedenes Ding befindlich sei?« (ebd., S. 227). Dieses Wissen ginge auch gegen die Forderung der kritischen Philosophie, unsere Erkenntnisse auf den Bereich der Erfahrung zu beschränken. Schulze begreift den Terminus »Erscheinung« von einem perspektivischen Standpunkt aus. Von »Erscheinung« zu sprechen, hat nur Sinn, wenn man das aus einer subjektiven Perspektive oder von einem subjektiven Standpunkt aus tut. So gesehen wäre der Begriff »Erscheinung« annehmbar – mit Blick auf die Begründung einer objektiven epistemischen Beziehung, was die Annahme ist, von der man ausgeht – wenn wir, und zwar nur dann, a) Gewissheit haben, »es sei ein auf die Sinne Einfluss habendes Objekt vorhanden, worauf die Wahrnehmung, welche Erscheinung sein soll, Beziehung hat, (denn sonst würde die Wahrnehmung nur ein bloßer Schein, und weiter nichts, als leere Einbildung sein)« (ebd., S. 228); und wenn es außerdem b) »(physisch) möglich« ist, »das Objekt, welches in der Erscheinung ganz anderes zu erkennen gegeben wird, als wie es eigentlich beschaffen ist, seinen wahren Bestimmungen nach zu erken172

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nen« (ebd., S. 229). Diese Erkenntnis, die sich auf einen Gegenstand bezieht, der den subjektiven Erscheinungen unterliegt, könnte für Schulze mit Hilfe von intersubjektiven Kriterien möglich sein. Die Bedeutung der vorangegangenen Beobachtung beruht auf der Tatsache, dass Schulze eine empirische Auffassung vom Terminus »Erscheinung« vorschlägt und bereit ist, die Zweckdienlichkeit der Unterscheidung zwischen der Erscheinung und dem Ding an sich in einem empirischen Sinne aufzunehmen, oder besser die Zweckdienlichkeit der Unterscheidung zwischen der (subjektiven) Erscheinung und dem (allgemein bekannten, folgerichtig numerisch identischen) Gegenstand. Was für ihn im Gegensatz dazu zweifellos inakzeptabel ist, ist der metaphysische oder hyperphysische Gebrauch der Unterscheidung wie auch – in engem Zusammenhang damit – der metaphysische Gebrauch der Idee vom »Ding an sich«, ein Gebrauch, der wiederum auf paradoxe Weise in der Erkenntnistheorie wirkt. Der Vorwurf, der gegen Kant vorgebracht wird, ist hauptsächlich derjenige, Opfer dieser Paradoxie zu werden. Nicht anzunehmen ist also mit anderen Worten die höchst widersprüchliche Idee, dass die Erscheinung einerseits die Erscheinung eines Dinges an sich ist, »denn sonst würde der ungereimte Satz daraus folgen, dass Erscheinung ohne etwas wäre, was da erscheint« (KrV, S. BXXVIf.). Andererseits aber erlaubt uns der relationale Charakter unserer Erkenntnis, den Erscheinungen Eigenschaften zuzuschreiben, die (wie wir mit Sicherheit wissen) den Dingen an sich nicht zugeschrieben werden können: Nach der Kritik der reinen Vernunft sollen wir nun zwar von der sinnlichen Erkenntnis der Dinge so viel einzusehen im Stande sein, dass hinter dieser Erkenntnis wahrhaft wirkliche Dinge verborgen liegen, und dass dergleichen Dinge ganz anders beschaffen sein müssen, als wie sie durch jene Erkenntnis dargestellt zu erkennen gegeben werden; aber mit welchen Bestimmungen die wahrhaft wirklichen Objekte an sich betrachtet und ohne Rücksicht auf unsere subjektive Art, dieselben sinnlich wahrzunehmen, versehen sein mögen, das sollen wir nach jener Kritik nicht zu erforschen vermögen, weil die im Verstande und in der Vernunft liegenden Prinzipien der Erkenntnisse doch nur zum Gebrauche bei sinnlichen Wahrnehmungen eingerichtet und bestimmt seien. (KthPh II, S. 230, Kursive von mir)

Wenn die These des transzendentalen Idealismus richtig ist, dann muss daraus folgen, dass genauso wenig bejaht wie verneint werden kann, dass es hinter den Gegenständen der Erfahrung eine Welt von an sich realen Gegenständen gibt. Außerdem ergibt sich folgende A

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Frage, wenn die These des transzendentalen Idealismus richtig ist: Woher weiß die kritische Philosophie, dass sich Raum und Zeit nur auf die Erscheinungen beziehen und nicht auf die Dinge, die an sich betrachtet werden? Wenn Kant für die Dinge an sich die Eigenschaften von Raum und Zeit verneint, verletzt er einige Grundprinzipien seines eigenen Kritizismus. Mit diesem Einwand wird Schulzes Widerstand gegen die Ansicht deutlich, dass die Zuschreibung von Raum und Zeit auf die als Erscheinungen betrachteten Gegenstände eo ipso, d. h. auf analytische Weise, die Verneinung von Räumlich- und Zeitlichkeit der Gegenstände an sich mit einschließt. Dabei handelt es sich bekanntlich um einen erst kürzlich vorgebrachten Lösungsvorschlag zu jenem alten Problem der kritischen Philosophie, 37 das seit seiner historischen Formulierung durch Trendelenburg (1867, bes. S. 222 f.) kanonisiert wurde, trotzdem aber beinahe genauso alt ist wie die KrV selbst. 38 Allison stellt seine Lösung im Jahr 1983 vor, die sich von der bereits 1976 aufgestellten unterscheiden soll. Mir scheint jedoch nicht, dass sich im Wesentlichen etwas geändert hätte: Dass Raum und Zeit den Dingen an sich nicht zugesprochen werden können, »is equivalent to demonstrating that space and time are transcendentally ideal« (Allison, 1983, S. 114). Allisons Lösung lehnt sich an die so genannte Theorie des »doppelten Aspekts« an. 39 Der enorme Vorteil dieser Theorie besteht darin, dass sie einerseits den Gegensatz zwischen Ding an sich und Erscheinung widerspruchslos zu begreifen erlaubt und andererseits zur Desubstantialisierung des Begriffes vom »Ding an sich« beiträgt, d. h. sie weist ihm seine wahre Funktion als Grenzbegriff zu (der ohne Widerspruch gedacht werden kann). Hier stellt sich nun die Frage, ob jene Theorie mit den epistemologischen und vor allem ontologischen Ansprüchen hinsichtlich einer Zuschreibung oder Verneinung der Raum-Zeitlichkeit von Etwas vereinbar ist. Der Ausschluss der erwähnten Merkmale für die an sich betrachteten Dinge ist (so der Verteidiger der Theorie des »doppelten Aspekts«) nur logisch, analytisch. Die »Transzendentale Ästhetik« verfolgt jedoch ontologische Ziele. Tatsächlich verbirgt sich hinter der Verneinung von Räumlichkeit für die als Dinge an sich betrachteten Gegenstände ein gewisser ontologischer Anspruch: »Die Dinge 37 38 39

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Vgl. Allison (1976), S. 313–321; ders. (1983), S. 7, 111–114. Vgl. Vaihinger (1892), Bd. II, S. 143–151. Siehe auch unten III, Anm. 21. Siehe Prauss (1974), S. 42 f., 131 ff.; Allison (1983), S. 241.

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an sich werden als Dinge betrachtet, die nicht räumlich sind, also sind die Dinge an sich nicht räumlich« (Hoyos, 1995, S. 195). 40 Durch einen ähnlichen Anspruch wird eine Kritik wie die von Schulze bekräftigt. Auf jenen Anspruch gestützt versuchte P. Guyer zu beweisen, dass es nicht darum, »that space and time cannot be properties of things in themselves, because they are subjective forms of representations«, sondern dass es andersherum darum geht, »that space and time can only be mere forms of representations because they cannot be properties of things as they are in themselves« (Guyer, 1987, S. 342). Das heißt, die These über die Subjektivität des Raumes ist eine Schlussfolgerung und keine Voraussetzung der These des transzendentalen Idealismus. Oder noch radikaler ausgedrückt: Die Bejahung der Subjektivität des Raumes folgt aus einer Annahme über die »Dinge an sich« (über das, was sie nämlich nicht sind). 41 Ich glaube nicht, dass sich die Theorie des »doppelten Aspektes« von diesen ontologischen Ansprüchen endgültig verabschiedet. In Schulzes Einwand kann man gewiss eine übertriebene Abhängigkeit in Bezug auf eine realistisch-metaphysische Voraussetzung sehen. Trotzdem denke ich nicht, dass sich die kantische Philosophie in ihrer Unterscheidung der Gegenstände in »Dinge an sich« und »Erscheinungen« von einer solchen Voraussetzung vollkommen befreien kann. (2) Die zweite Konsequenz, die aus der These folgt, dass sich unsere Erkenntnis nur auf Erscheinungen bezieht, besteht darin zu zeigen, dass, wenn diese Einschränkung im Allgemeinen gültig ist, sie auch für die Erkenntnistheorie zu gelten hat. Diese Idee stimmt mit der Ablehnung eines privilegierten Charakters der Erkenntnistheorie oder einer Theorie der zweiten Ordnung überein. Für Schulze muss alles, was wir über die Hervorbringung der Erkenntnis und über die Möglichkeiten unserer Fähigkeiten sagen, innerhalb des Rahmens der Erscheinungen stehen, und das bedeutet u. a. in einem zeitlichen Rahmen. Somit kann es keine absolute Begründung der Erkenntnis geben. Die Epistemologie müsste ihre fundamentalistischen und erklärenden Ansprüche aufgeben und einer Untersuchung der realen (natürlichen) Vorgänge des Erkennens Platz einräumen. Wenn sich die Untersuchung der Erkenntnis auch auf die Sphäre E. Förster (1985) machte eine interessante, kritische Bemerkung gegen die Theorie des doppelten Aspekts, wobei er sich ebenfalls auf Textbeweis stützt. 41 Gegen diese Auslegung von Guyer siehe Horstmann (1997), Kap. 2, bes. S. 42 f. 40

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der Phänomenalität zu beziehen hat, ist für Schulze die Behauptung inkonsequent, dass man weiß, wie jene Erkenntnis ist und was ihr Ursprung ist. Diese Inkonsequenz wird mit den folgenden Sätzen sehr treffend ausgedrückt: Die menschliche Erkenntnis sei bloß auf Erfahrung eingeschränkt; Erfahrung bestehe aber aus bloßen Erscheinungen der hinter ihr verborgen liegenden Dinge; und dies lasse sich aus dem wahren Ursprunge der menschlichen Erkenntnis, (so wie er ist, nicht wie er uns etwa erscheinen mag), einsehen; vereinbar machen und genugsam rechtfertigen werden. (KthPh II, S. 238)

Schulzes kritische Reflexion entwickelt sich hier ganz eindeutig zu einer Dialektik zwischen »Erscheinung« und »Ding an sich« weiter. Diese Unterscheidung, aber auch die Realismus-Voraussetzung der Wirklichkeit an sich als die Grundlage der Erscheinung (denn sonst wäre dieses ein bloßer Schein) machen diese Dialektik unvermeidbar. Also gibt es nur eine Art und Weise, auf die man zustimmen kann, dass sich der Begriff der Erscheinung auch in den Termini des Seins ohne jegliche dialektische Ausschweifungen begreifen lässt, nämlich indem der Unterschied zwischen Erscheinung und Ding an sich abgeschafft wird oder indem eine Theorie aufgestellt wird, in der das »Ding an sich« den »Erscheinungen« vollkommen entspricht und somit dann eine funktionelle und regulierende Rolle spielt. Die metaphysisch-realistischen Voraussetzungen hindern Schulze daran, einen solchen Schritt zu gehen. Maimon dagegen, der genauso stark mit dem Problem der kantischen Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich verwickelt ist, würde ihn jedoch tun. 42 B.

Die Analytik der Begriffe

Schulze erkennt richtig, dass sich der Kern der kantischen Objektivitätstheorie in der »Analytik der Begriffe« und besonders in der Deduktion der Kategorien finden lässt. Die kantische These über die Gleichsetzung der Einheit des Bewusstseins mit dem Begriff des Gegenstandes und mit dem Bezug unserer Erkenntnisse auf einen Gegenstand 43 wird von Schulze bis zum Extrem geführt und damit in Siehe unten III, bes. § 3 u. § 5B. Vgl. KrV, S. A106: »Aller Nothwendigkeit liegt jederzeit eine transscendentale Bedingung zum Grunde. Also muß ein transscendentaler Grund der Einheit des Bewußtseins in der Synthesis des Mannigfaltigen aller unserer Anschauungen, mithin auch der 42 43

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die Sackgasse des Repräsentationalismus: die Objektivität entsteht im Bewusstsein. Wenn dies der Fall ist, stellt sich die folgende Frage: Wie kann bestätigt werden, dass sich ein solcher Indikator der Objektivität letztendlich auf etwas vom Subjekt Verschiedenes bezieht, wenn wir doch innerhalb der Grenzen der Vorstellung gefangen sind? Nur dadurch bekommen alle unsere Vorstellungen objektive Bedeutung, dass sie auf ein von ihnen verschiedenes Objekt bezogen werden, und Erfahrung, als das Gegenteil bloßer Spiele der Bilder in der Phantasie, besteht lediglich aus Vorstellungen, die in Beziehung auf ein von unserem Gemüte und dessen bloß subjektiven Zustände verschiedenes Objekt gedacht werden. – Wie kommen wir nun aber dazu, unsere sinnlichen Vorstellungen, oder Wahrnehmungen, die für sich genommen doch lediglich Bestimmungen des Gemütes sind, auf ein von diesen Bestimmungen verschiedenes Objekt zu beziehen, und Erfahrung für eine Erkenntnis anzusehen, die für sich selbst bestehende Dinge darstellt? (KthPh II, S. 264 f.)

Wie man deutlich sehen kann, handelt es sich um dasselbe Modell der skeptischen Kritik, dem auch die moderne Erkenntnistheorie aufgrund ihres repräsentationalistischen Charakters ausgesetzt ist. Die Voraussetzung der Erkenntnistheorie oder der theoretischen Philosophie ist ein Erkenntnisbegriff im Sinne einer Erkenntnis der Gegenstände. Diese Voraussetzung wird in einer Theorie der Wahrheit (oder der wahren Erkenntnis) als Übereinstimmung zwischen Vorstellungen, die in Urteilen vereint werden, und den objektiven Zuständen der Welt verstanden. 44 Aufgrund der Unmöglichkeit, das Problem der Erkenntnisbedingungen auf einer realistischen Basis zu lösen – da eine realistische Basis weder erlaubt, das gesuchte Übereinstimmungsverhältnis zu überprüfen, noch (und das ist weitaus bedeutender) Auskunft über den notwendigen und allgemeinen Charakter der bestimmten Verknüpfungen der Vorstellungen in den Urteilen zu geben – entschied sich Kant dafür, die Frage des Bezuges unserer Vorstellungen auf die Gegenstände zu beantworten, indem er aufzeigt, dass man die Indikatoren der Objektivität auf subjektive Weise festlegen sollte oder in der Einheit des Bewusstseins mit Hilfe Begriffe der Objecte überhaupt, folglich auch aller Gegenstände der Erfahrung angetroffen werden, ohne welchen es unmöglich wäre, zu unsern Anschauungen irgend einen Gegenstand zu denken: denn dieser ist nichts mehr als das Etwas, davon der Begriff eine solche Nothwendigkeit der Synthesis ausdrückt.« 44 Vgl. Aenesidemus, S. 225 ff., Anm. A

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von intellektuellen Urteilsfunktionen. Dieses Spiel mit den Optionen bis schließlich zur Privilegierung des subjektiven Weges – um es so auszudrücken – erscheint in dem Moment, in dem sich Kant die Frage über den Bezug der Kategorien auf die Gegenstände zum ersten Mal ernsthaft gestellt hat und stellt gleichzeitig den Ausgangspunkt der besagten »objektiven Deduktion« der Kategorien dar. 45 In diesem Zusammenhang kann man aber auch die Zeitbestimmung der miteinander verknüpften Vorstellungen, die Ordnung (nicht die Willkür) in der zeitlichen Folge der Vorstellungen und die unveränderliche Struktur, die eine Substanz beschreiben, in der die Akzidenzen geschehen (die die gleiche kategorische Struktur eines Prädikationssubjekts und des Begriffes von einem Objekt ist, das als numerisch gleich gilt) als (subjektive) Objektivitätsindikatoren ansehen. Genau diese Indikatoren erlauben es, ein willkürliches Spiel der Vorstellungen im inneren Sinne (in der Einbildung, d. h. als würde es sich um ein bloß subjektives Spiel von Vorstellungen handeln) von einer Objektivitätsbestimmung zu unterscheiden. Diese Letzte erfolgt nämlich über Kategorien, subjektive und apriorische Funktionen der Einheit in den Urteilen. Die Frage, die sich nun der moderne postkantische Skeptiker stellt, ist, ob es irgendeine Möglichkeit gibt zu wissen oder zu überprüfen, dass sich diese (subjektiven) Indikatoren der Objektivität letztendlich auf Gegenstände beziehen, die unabhängig vom Bewusstsein existieren. Und die Antwort, die er auf diese Frage gibt, ist, dass es unmöglich ist, diese Überprüfung durchzuführen, d. h. hier steht die Erkenntnistheorie vor einer nicht durchzuführenden Aufgabe oder noch radikaler gesagt, vor einer undenkbaren. Schulze gelangt zu diesem Ergebnis, indem er sich die (seiner Meinung nach) Grundthese der kantischen Objektivitätstheorie zum Ausgangspunkt nimmt: Erfahrung besteht aus objektiv gültigen Urteilen, und durch Verbindung der Wahrnehmungen vermittelst der Begriffe des Verstandes wird den Wahrnehmungen (die bloße Vorstellungen mit Bewusstsein ausmachen sollen) ein vom urteilenden Subjekt verschiedenes Objekt gesetzt. (KthPh II, S. 271)

Für Schulze kann man den Begriff des Objektes in zwei Sinnen begreifen: a) in einem bewusstseinstranszendenten Sinn und b) in Vgl. den Brief an M. Herz vom 21. Februar 1772 (AA X., S. 124 ff.); auch KrV, S. A92 = B124 ff. (§ 14).

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einem bewusstseinsimmanenten Sinn oder besser als »ein dem Bewusstsein selbst gegenwärtiges, oder in der Erfahrung unmittelbar gegebenes, aber vom erfahrenden Subjekte verschiedenes Objekt« (ebd., S. 271 f.). Die KrV fasst den Begriff des Erkenntnisgegenstandes in diesem zweiten Sinn auf. 46 Aber auch in diesem Sinne ist der kantische Gegenstandsbegriff noch einmal auf zwei verschieden Weisen auslegbar: (B1) Das Objekt kann sich in dem Sinne als bewusstseinsimmanent verstehen, dass sich die subjektiven Verknüpfungen der Vorstellungen in objektive verwandeln. (B2) Das Objekt wird in dem Sinne als Bewusstseinsimmanent aufgefasst, dass die subjektiven Verknüpfungen der Vorstellungen einem vorhandenen Gegenstand entsprechen. Im ersten Fall (B1) könnte man von einer genetischen Theorie des Gegenstandes sprechen: Die Wahrnehmungen, die subjektive Modifikationen sind, werden anhand der kategorialen Grundsätze des Verstandes zusammengefasst und geordnet und zwar in der Art und Weise, dass sich diese im Bewusstsein von dem vom Subjekt verschiedenen Gegenstand umwandeln, ohne dass auch nur der kleinste subjektive Rest übrig bleibt, wenn diese Umwandlung erst einmal erfolgt ist. Im zweiten Fall (B2) entsteht, sobald die Wahrnehmungen unter die Verstandesbegriffe fallen, »neben dem Bewusstsein der Wahrnehmungen, und ihrer bloß subjektiv gültigen Folge im Gemüte noch das Bewusstsein eines vom Subjekte verschiedenen Objektes, das den Wahrnehmungen entspricht« (KthPh II, S. 272). Die Erfahrung der Gegenstände würde dann »teils das Bewusstsein des erkennenden Subjekts und einer nur subjektiv gültigen Verbindung von Vorstellungen in demselben« (B1), »teils das Bewusstsein eines dem Urteile entsprechenden und mit demselben im Umfange des Bewusstseins zugleich gegenwärtigen Objektes in sich« schließen (B2) (ebd., S. 272 f.). Vom skeptischen Standpunkt aus ist zu untersuchen, ob der Bezug der Wahrnehmungen auf ein Objekt, das vom Subjekt verschieden ist, mit der Verknüpfung dieser selben Wahrnehmungen anhand Laut den Voraussetzungen der KrV »kann unter der objektiven Gültigkeit, die sie den Erfahrungsurteilen beilegt, keine Beziehung derselben auf ein außer dem Umfange des Bewusstseins befindliches, und immer nur als abwesend gedachtes Objekt verstanden werden«, da sie den Gegenstand als innerhalb der Bewusstseinssphäre stehend betrachtet (KthPh II, S. 273).

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von Verstandesbegriffen identisch ist, d. h. nach kategorialen Objektivitätsindikatoren. Wenn nun aber die Verknüpfung der Wahrnehmungen und der Vorstellungen miteinander im Bewusstsein erfolgt, ist nicht erkenntlich, in welcher Weise dieses sich auf etwas ihm Äußerliches bezieht: Liegt also weder in den sinnlichen Vorstellungen, noch auch in den Kategorien, wenn sie außer ihrer Verbindung mit einander betrachtet werden, eine Beziehung auf einen außer dem Umfange des Bewusstseins vorhandenen Gegenstand; so kann deren Vereinigung und Verbindung auch nicht dergleichen Beziehung hervorbringen, und es wäre Einbildung, wenn man ihnen wegen dieser Vereinigung eine solche Beziehung beilegen wollte. (KthPh II, S. 275 f.)

Damit will Schulze sagen, dass es keine Form gibt, den Idealismus zu überprüfen. Mit anderen Worten gesagt: Der Idealismus braucht nicht zu versuchen, externalistisch zu sein, da die Kriterien zur objektiven Geltung immer internalistisch sind. Deshalb ergibt sich, dass der Anspruch, wissen zu wollen, was aus einer externalistischen Perspektive das der Erkenntnis und der Vorstellung entsprechende Objekt wäre, entweder zwecklos ist oder, weil man nicht wissen kann, was dieses Objekt wäre, kann also keine andere Möglichkeit verbleiben, als den Anspruch auf einen Abschluss in dieser Untersuchung aufzugeben. Schulze entschied sich für die erste dieser beiden Alternativen, wie dies auch schon Hume auf seine Art getan hatte. 47 Sein Skeptizismus nimmt an diesem Punkt einen eindeutig negativen Charakter an: Die genetische Theorie vom Objekt (B1) ist genauso absurd wie die Theorie vom gemeinsamen Hervortreten des Objekts mit den Wahrnehmungen, die einer Vereinigung von diesen im Bewusstsein entsprechen würde (B2). Die subjektivistischen und idealistischen Voraussetzungen, die der kantischen Auffassung der Objektivität zugrunde liegen, machen diese Theorie als eine Theorie des Objekts, das von den subjektiven Bestimmungen und vom erkennenden Ich verschieden und unabhängig ist, unbegreiflich. Man kann die Objektivität der Vorstellungen nach den BegrifDieser Gedanke erscheint vor allem in dem illusorischen Charakter, den für Hume die Zuschreibung von nummerischer Identität und kontinuierlicher Existenz auf die Wahrnehmungsgegenstände besitzt. Diese Zuschreibung ist deswegen illusorisch, weil sie auf dem Übergang basiert, den wir von einer Wahrnehmung zu einer anderen qualitativ (nicht aber quantitativ oder nummerisch) identischen Wahrnehmung ohne Brüche erleben (vgl.Treatise, I. IV, S. 209, 200–218)).

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fen und Regeln des Verstandes nicht aus der Verknüpfung dieser Vorstellungen ableiten. Andererseits ist eine interne Verknüpfung der Vorstellungen, wie diejenige, die aus den subjektiven Indikatoren der Objektivität in der kritischen Philosophie folgt, höchstens mit logischer Notwendigkeit ausgestattet, d. h. mit der Notwendigkeit, die normalerweise den analytischen Urteilen zugestanden wird. Aber so entsteht kein Bezug auf etwas Objektives außerhalb des Bereiches des Bewusstseins und der Vorstellung. »Wir können vielmehr über bloße Gedankenwesen und Hirngespinste analytisch urteilen, ohne dass wir deshalb die Gedankenwesen für wirkliche Objekte ansehen, worauf das analytische Urteilen Beziehung hätte« (KthPh II, S. 284). Deshalb muss sich für Schulze die Erklärung der Erfahrung von dem repräsentationalistischen Erfahrungsbegriff entfernen und annehmen, dass die Erfahrung nicht aus der Verknüpfung von »Vorstellungen und Bildern von Dingen« besteht. Wir sind uns vielmehr der Dinge selbst […] bei der Erfahrung wirklich als gegeben, und als unmittelbar gegenwärtig bewusst, und zu dem, was wir fühlen, sehen, hören, oder durch einen anderen Sinn wahrnehmen, steht unser erkennendes Subjekt in einem ganz anderen Verhältnisse, als zu einer Verbindung von Vorstellungen, die zu den subjektiven Modifikationen desselben gehört. (ebd., S. 282 f.)

Nur eine direkte realistische Auffassung wie diese kann uns – laut Schulze – aus den unüberwindbaren Aporien des Repräsentationalismus befreien und kann uns gleichzeitig zu einer richtigen Auffassung vom Erfahrungsbegriff verhelfen. Wer beim Verständnis des Erfahrungsbegriffes von diesem direkten Realismus nicht ausginge, müsste »zu erkennen geben, dass er gar nicht einmal wüsste, was eigentlich in der Erklärung der Erfahrung zu erklären und begreiflich zu machen sei« (ebd., S. 283). Hier bleibt es Schulze selbstverständlich nicht verborgen, dass diese direkte realistische Auffassung prima facie keine Gewähr oder Methode bietet, um dasjenige auszumachen, was in der direkten sinnlichen Erfahrung als ein Schein der Sinne auftritt. 48 Diese Tatsache hat bekanntlich in der modernen Philosophie zu der Dichotomie »sinnlich« – »intellektuell« geführt, so wie diese in der Theorie der primären und sekundären Qualitäten z. B. bei Locke kanonisiert wurde (nachdem sie schon bei Descartes deutlich vorgezeichnet worden war). Man könnte den Intellektualismus, der dem kantischen 48

Vgl. KthPh II, S. 515. A

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Begriff vom Gegenstand zugrunde liegt, auch als ein Modell betrachten, das u. a. diese Beweggründe gegen einen direkten Realismus miteinbeziehen würde. Genauso ist bekannt, dass man gegen diesen Realismustyp vorbringen kann, dass er weder Methode noch Gewähr für die Unterscheidung bietet, ob man eine Erfahrung von einem realen Gegenstand hat oder ob diese Erfahrung von verfälschten subjektiven Zuständen bestimmt wird oder sogar von Träumereien mit einem gewissen Grad an Lebhaftigkeit, wie man es im wirklichen Leben erlebt. In anderen Worten: Es handelt sich hierbei um eine neue Darstellung des so genannten »Arguments der Illusion« oder auch des »Traumarguments«, das nicht durch die Dichotomie Vorstellung – Wirklichkeit aufgestellt wurde, sondern im Wahrnehmungsrelativismus, der dem direkten Realismus innewohnt. Dieser Sachlage waren sich Locke und Descartes auf jeden Fall bewusst. 49 In Anbetracht dieser Schwierigkeit denkt Schulze, dass eine passende Unterscheidungsmethode darin bestehen könnte, die möglichst genaueste »zureichende Ursache« herauszufinden, »welche dergleichen Schein hervorbringt, uns das Bewusstsein bloßer Vorstellungen in ein Bewusstsein selbständiger Sachen verwandelt« (KthPh II, S. 283). Schulze ist im Gegensatz zu Hume der Meinung, dass sich ein Objekt der unmittelbaren Erkenntnis von der Vorstellung nicht durch die größere Kraft und Lebendigkeit der »impression« unterscheidet, wenn das Objekt wahrgenommen wird, 50 sondern dass dieser Unterschied in der Tatsache liegt, dass sich das unmittelbare Objekt von der Vorstellung spezifisch unterscheidet: [D]as Objekt, das bei der unmittelbaren Erkenntnis im Umfange des Bewusstseins als gegenwärtig angetroffen wird, ist sowohl von den Vorstellungen, als auch von den Dichtungen der Phantasie spezifisch verschieden, und

Vgl. Descartes, Meditations et Principes, AT IX; Locke, An Essay concerning Human Understanding, II, Chap. VIII, § 21. Zum so genannten »argument of Illusion«, das dem Wahrnehmungsrelativismus zugrunde liegt, siehe Ayer (1961), S. 1–11. Das cartesianische »Traumargument« bekam einen neuen Anstoß seit Stroud (1984, bes. Kap. I). Der Fall Kants ist etwas komplizierter, weil dieser meint, auch (objektive) formale Strukturen für die Sinnlichkeit gefunden zu haben. Trotzdem kann sich der kantische Begriff des »Gegenstandes der Vorstellung« als ein Begriff verstehen, der durch die von Kant vorgeschlagene idealistische Transformation dieselbe Funktion erfüllt, wie der cartesianisch-lockesche Begriff der »Substanz« als Träger von Eigenschaften. Zur Ersetzung dieses letzten Begriffs durch Kant siehe Allison (1968), S. 165–186. 50 Vgl. Treatise, I. I, I, S. 1. 49

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wird im gesunden Zustande unseres Gemüts auch immer als davon verschieden anerkannt. (KthPh I, S. 59) 51

Dieser spezifische (oder aufgrund seiner Beschaffenheit) Unterschied bestätigt sich jedoch nicht zwischen den Vorstellungen von einem Gegenstand als Vorstellungen und den Erfindungen der Phantasie. Man beachte, dass es hier nicht im Geringsten um eine argumentative Absicht geht, sondern um einen deutlichen Aufruf an den gesunden Menschenverstand und an die »gesunde Aufmerksamkeit« eines jeden Einzelnen, 52 die uns als einzige gestattet, den erwähnten Unterschied zu bemerken. Mit Hilfe dieses Ansatzes soll eine Auffassung vorgestellt werden, die zur Beseitigung des Wahrnehmungsrepräsentationalismus in der modernen Philosophie beitragen soll. 53 Für Schulze ist der Wahrnehmungsrepräsentationalismus der »Erbfehler« der theoretischen Philosophie. Auf der anderen Seite soll darauf hingewiesen werden, dass es für Schulze nur zwei zuverlässige Kriterien gibt, die Konsequenzen der besagten Argumente der Illusion und des Traumes zu umgehen. Das erste dieser Kriterien ist ein induktives Kriterium, d. h. die wiederholte Bestätigung der Naturgesetze, die in Übereinstimmung mit der (ebenfalls natürlichen) Einrichtung unseres Wahrnehmungsapparates die Bedingungen der Empfindungen bilden. 54 Das zweite und noch sichere Kriterium ist das intersubjektive: Das sicherste und daher auch am meisten unentbehrliche Mittel, den Sinnenschein zu entdecken, ist jedoch die aus einer Vergleichung unserer Empfindungen mit den Empfindungen anderer Menschen erkannte Übereinstimmung jener mit diesen. (KthPh II, S. 526)

Für Schulze besteht immer dort die Gefahr einer massiven Täuschung, wo man die Philosophie in unnützem Ausmaße weiterentwickelt, ohne dass die natürliche Beschaffenheit unseres Wahrnehmungsapparates berücksichtigt wird. Die Konsequenz, die sich daraus ergibt, Sinneswahrnehmungen für Vorstellungen zu halten, anstatt eine Erklärung unserer Erfahrung innerhalb des Rahmens zu suchen, den der direkte Realismus

51 52 53 54

Siehe Logik, § 1. Siehe KthPh I, S. 58 f.; Logik, § 2. Siehe KthPh I, S. 8. Vgl. KthPh II, S. 525 f. A

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festgelegt hat, besteht darin, dass somit jeder innere Unterschied zwischen Wahrnehmungen und Nachbildungen in der Phantasie (desjenigen, das sinnlich wahrgenommen wird) verschwindet. Der einzige kantische Rekurs, um die Bilder der Phantasie von den Wahrnehmungen der Sinnlichkeit zu unterscheiden, ist die kausale Theorie der Affektion oder besser der Rekurs auf ein Ding an sich als Ursache der Affektion. Dieser Rekurs trägt aber nicht nur nicht dazu bei, das dem relativen Repräsentationalismus innewohnende Problem einerseits in Bezug auf die Realität der Wahrnehmungen und andererseits in Bezug auf die Irrealität der Scheinbilder zu lösen, sondern er macht es sogar noch komplizierter: Da erstens der besagte kausal-noumenalistische Rekurs rein gar nichts an der Tatsache ändert, dass beide Vorstellungstypen die gleiche Eigenschaft aufweisen, nämlich innere Bewusstseinsinhalte zu sein. Und da zweitens die Hypothese über ein Ding an sich, das von den Vorstellungen, die es hervorruft, verschieden ist, nicht überprüft werden kann, d. h. sie kann nicht für sicher und zuverlässig gehalten werden. Wenn nun also die Vorstellungen als solche dieselbe Eigenschaft besitzen, dann besteht keine Möglichkeit, zwischen denjenigen, die über einen wahren Bezug verfügen und denjenigen anderen zu unterscheiden, die rein subjektiv sind und sich auf die bewusstseinsimmanenten Indikatoren der Objektivität gründen. Die subjektiven und formellen kantischen Objektivitätsindikatoren könnten höchstens einen inneren Zusammenhang mit der Verknüpfung der Vorstellungen bilden, sind jedoch nicht geeignet, das Problem der Beziehung dieser Letzten zu etwas außerhalb des Bewusstseins Stehenden zu lösen. Auf diesen Ansatz gestützt glaubt Schulze, beweisen zu können, dass die Grenzen zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven, zwischen dem frei Erfundenen und dem Wirklichen, vom kantischen Standpunkt aus verwischt und vertauscht sein könnten. Die kategorialen Kriterien, anhand derer den Vorstellungen Objektivität zugeschrieben wird, können genauso auch für die Einbildungen der Phantasie, für subjektive Gefühle wie Lust oder Unlust usw. gelten: Folglich ist auch kein Grund da, warum nur die Wahrnehmungen der Sinne, und nicht auch die Bilder der Phantasie dazu tauglich sein sollten, sich vermittelst der Verstandesbegriffe in Erfahrung zu verwandeln. Will man aber gleichwohl darauf bestehen, dass nur Wahrnehmungen sich dazu qualifizieren, objektiv gültige Erfahrung zu werden; so ist dies zugleich ein Geständnis, dass die objektive Gültigkeit der Erfahrung nicht bloß von den Kategorien abhängig sei, sondern dass ein Grund davon auch noch in der Beschaffenheit

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der sinnlichen Wahrnehmungen selbst liege, welcher bei den Bildern der Phantasie mangele, und diese eben deswegen untauglich mache, durch die Verbindung nach Kategorien eine Erfahrungserkenntnis zu werden. (KthPh II, S. 286)

Diese Auflösung der Grenzen zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven kann erfolgen, weil Schulze keinen Unterschied zwischen der Zuschreibung von Objektivität auf die Vorstellungen – und damit auch nicht zwischen den Kriterien der besagten Zuschreibung – und der empirischen Realität macht, die den Stoff der Erfahrungsobjekte darstellt. Und genau das stimmt mit seiner hartnäckigen Behauptung überein, dass der formelle Idealismus über unbefriedigende Möglichkeiten verfüge, wenn es darum geht, von den Bedingungen der objektiven Erkenntnis Auskunft zu geben. Trotzdem vermag Schulze nicht zu erkennen, dass Kant den direkten Realismus auch verteidigt, jedoch einzig und allein im Zusammenhang mit der Bestätigung der Realität und nicht in Bezug auf die Zuschreibung von Objektivität. Kants empirischer Realismus ist minimalistisch. So würde man in kantischen Termini das »Geständnis« ausdrücken, von dem Schulze in der oben angeführten Textpassage spricht. Einem direkten Realisten wie Schulze könnte ein Transzendentalphilosoph antworten, indem er letztendlich akzeptiert, dass der einzige innere (oder aufgrund seiner Beschaffenheit) Unterschied zwischen Vorstellungen und Gegenständen der Vorstellungen auf der Tatsache beruht, dass diese Letzten mit einem materiellen Inhalt ausgestattet sind, der uns gegeben ist. Die Vorstellung ist dagegen nicht für einen solchen materiellen Inhalt vorgesehen. Gleichzeitig würde der Transzendentalphilosoph aber auch hinzufügen, dass dieser materielle und empirische Inhalt nicht ausreichend ist, wenn es darum geht, über »Gegenstände der Erkenntnis« und »objektive Erfahrung« auszusagen, schon weil dies die Aufnahme einer kategorialen und urteilenden Tätigkeit voraussetzen würde, ohne die weder die Identifizierung noch die Bestimmung einer Sache erfolgen könnte. Dass es bei der Erklärung der Artikulation zwischen dem materiell Gegebenen und der Anwendung der Kategorien auf jenes Gegebene vor allem um eine Objektivitätstheorie wie die kantische geht, kann man einem skeptischen Ansatz, der den kantischen Ausweg aus dem Problem der Objektivität hinterfragt, sehr wohl zugestehen. Dass aber die Anmerkung, dass wir in unserer Erfahrung der Objekte etwas mit den empirisch gegebenen Inhalten zu tun hätten (die sich A

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nicht in der Form von Vorstellungen mitteilen, sondern direkt gegeben sind), eine durchaus denkbare Alternative zu den Verirrungen des kantischen Erklärungsversuches der Objektivität darstellt, ist eine andere Sache. Der direkte Realismus wie die »Terminologie der Sinnendaten« bringen beide keine dienliche oder befriedigende Antwort zu dem Problem der Objektivität. 55 An dieser Stelle wird Schulzes Skeptizismus meines Erachtens noch einmal interessant, und zwar in seiner destruktiven Form in Bezug auf die Epistemologie, jedoch nicht durch seinen konstruktiven Vorschlag. 56 So wie die kritische Philosophie keinerlei Grund bietet, »warum nur aus Wahrnehmungen der Sinne, und nicht auch aus den Bildern der Einbildungskraft Erfahrung und objektiv gültige Erkenntnis durch Hilfe der Kategorien sollte gebildet und erzeugt werden können« (KthPh II, S. 286, Anm.), genauso kann gesagt werden, dass sich Kant auf keinerlei Recht stützen kann, wenn er gewissen sinnlichen Wahrnehmungen einen objektiven Charakter abspricht. Man nehme hier die oben schon einmal angeführten Empfindungen von Lust und Unlust zum Beispiel, da sie als bloß subjektive Modifikationen betrachtet werden. 57 Nichts hindert uns daran, an eine Unterordnung dieser Empfindungen oder Gefühle unter bestimmte Kategorien zu denken. Nichts hält uns z. B. davon ab, den Wermut als bitter zu empfinden und ihm den bitteren Geschmack zuzuschreiben, den wir geschmeckt haben, d. h. die Empfindung des bitteren Geschmacks als wirklich durch den Wermut verursacht zu betrachten. Wenn einige Empfindungen, wie die des bitteren Geschmacks, niemals objektiv genannt werden können, auch dann nicht, wenn sie die Bedingung erfüllen, unter kategoriale Funktionen zu fallen, dann kann den Kategorien auch keine Objektivität zugeschrieben werden, genauso wenig wie weder den Wahrnehmungen, noch den Empfindungen, die Dabei handelt es sich um eine der interessantesten Ideen, die J. McDowell (1996) zu seinem Vorschlag ermutigte, mit dem das Verhältnis mind – world verstanden werden soll. McDowell findet in der klassischen Kritik von W. Sellars (1968) an der Theorie über die Sinnendaten eines der Motive, das er auch in seinem eigenen Ansatz verfolgt. Dass der Vorschlag McDowells auch von Kant inspiriert ist, ist etwas, dass er selbst bekanntlich nicht zu verbergen sucht. 56 An dieser Stelle sollte man trotzdem gerecht zu Schulze sein und dessen Bemerkung in dem Sinne verstehen, dass der Unterschied zwischen »unmittelbarer Erkenntnis« und »mittelbarer Erkenntnis« ein Problem ist, das er noch nicht vollständig gelöst hat (vgl. KthPh I, S. XVIII). In Über die menschliche Erkenntnis stellt er weitere Elemente vor, um die Lösung zu vervollständigen. 57 Siehe KrV, S. A29, B45. 55

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sich untereinander entsprechend den Kategorien verknüpfen, »sondern es müsste vielmehr angenommen werden, dass in dergleichen Empfindungen selbst etwas, auch ohne Rücksicht ihrer Verbindung nach Kategorien, enthalten sei, wodurch sie sich dazu qualifizieren, als Erkenntnisse auf objektiv wirkliche Dinge bezogen werden zu können« (KthPh II, S. 288). Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Schulze, nachdem er den kantischen Repräsentationalismus sozusagen ohne eine Möglichkeit, zum Objekt zu gehen (was für ihn gleichbedeutend ist mit: ohne eine Möglichkeit, in die äußere Realität zu gehen) hinterlassen hat, mit einer solchen Naivität eine direkte realistische Auffassung angenommen hätte, dass er die Bedeutung des Verstandes für die objektive Erkenntnis verneinen würde. Dieser Eindruck ist jedoch nicht ganz richtig. Nach Schulzes Meinung vergleicht und unterscheidet der Verstand das soeben Erlebte. Dank unseres Verstandes erhalten unsere Erkenntnisse Klarheit, Bestimmtheit und Vollkommenheit (vgl. KthPh II, S. 289). Die Vorgänge des Vergleichens und Unterscheidens finden wiederum »ohne Subsumtion des Mannigfaltigen unter die Begriffe der Gleichheit und Ähnlichkeit, und deren Gegenteil« statt. Und genau das erreicht der Verstand durch einen unmittelbaren Bezug auf die Objekte der Wahrnehmung (ebd., S. 290). 58 Diesen Vorschlag zu bewerten, soll an dieser Stelle nicht von Bedeutung sein. Denn hier bleibt weiterhin, wie schon gesagt, der rein kritische und negative Aspekt der schulzeschen Auslegung des Lösungsvorschlages, den Kant in Bezug auf das Problem der Objektivität vorgeschlagen hatte, von Interesse. Diese Kritik erhält eine angemessene Zusammenfassung, wenn man die Frage stellt, ob die a priori Begriffe und Grundsätze zu dem Sachverhalt herangezogen werden können, dass das Subjekt der Erkenntnis von einem – von seinen Modifikationen verschiedenen – Gegenstand Erkenntnis hat. Schulze beantwortet diese Frage negativ. Daraus ergibt sich, dass die Deduktion der Kategorien – der Höhepunkt der besagten Analytik und der Inbegriff der kantischen Auffassung der Objektivität – für Diese Auffassung von einem Verstand, der sich unmittelbar auf die Wahrnehmung richtet, wird bekanntlich später durch Schopenhauer in Bezug auf den (unmittelbaren) Gebrauch der Kausalität ausgedehnt (vgl. Schopenhauer: 1986, Bd. I, §§ 3–7; Bd. II, S. 31–39). Siehe auch Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. In: Ders., Sämtliche Werke, Bd. I, §§ 21 f. 58

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Schulze eine Theorie ist, die »wenn man sie als wahr annimmt, unvermeidlich auf den Satz, dass jede Reihe von Vorstellungen, deren wir uns bewusst werden, eine objektiv gültige Erkenntnis sei« (KthPh II, S. 334). In seiner Analyse der Hauptmomente der »Transzendentalen Deduktion« erkennt Schulze, dass diese nicht nur eine Objektivitätstheorie ist, sondern gleichzeitig und in enger Beziehung damit eine Theorie des Selbstbewusstseins. Schulze kann von demjenigen, was die »Transzendentale Deduktion« von einer Theorie des Selbstbewusstseins enthält, im Wesentlichen zwei Dinge nicht akzeptieren: (a) »[D]ass das Bewusstsein unseres erkennenden Subjekts, und das Bewusstsein seiner Existenz, Persönlichkeit und Identität, nur durch die Verbindung (Synthesis) der in einer Anschauung gegebenen mannigfaltigen Vorstellungen, und durch das Bewusstsein dieser Verbindung möglich sei« (KthPh II, S. 347). (b) Dass ein Bewusstsein von der Identität des Subjekts nicht dann entsteht, wenn dieses die Vorstellungen begleitet, sondern nur dann, wenn die Vorstellungen miteinander verknüpft sind und das Ich sich dieser Verknüpfung bewusst wird. Für Schulze können isolierte Vorstellungen (die also nicht untereinander verknüpft sind) im Bewusstsein auftreten, ohne dass deshalb das Bewusstsein von sich selbst und von der Identität des Ichs verschwinden würde. Andererseits können im Bewusstsein Vorstellungen entstehen, die sich nicht untereinander verknüpfen können, sondern die vielmehr einander widersprechen, ohne dass dadurch die Identität des Ichs verschwindet. Zu diesen »Tatsachen« kommt die Schwierigkeit hinzu zu verstehen, »warum gerade die Verbindung verschiedener Vorstellungen eine so wichtige Wirkung hervorbringen, und allererst das erkennende Ich mit seiner Identität bekannt machen sollte« (ebd., S. 351). Der Dreh- und Angelpunkt der Kritik besteht in dem Nachdruck auf das Unbegreifliche und Nicht-Akzeptable der Idee, dass das Bewusstsein von der Identität des Ichs nur durch die Synthese der Vorstellungen möglich sei und nicht darin, dass auch das Gegenteil der Fall sein könnte: nämlich dass das Bewusstsein die Vorstellung begleitet und jene Synthese erst möglich macht – oder das Urteil oder die »Verbindung verschiedener Vorstellungen in eine Einheit« (ebd., S. 352). Das Interessante ist daran, dass sich Schulze in einem der kompliziertesten Punkte der »Transzendentalen Deduktion« verstrickt hat, der auch immer noch für Uneinigkeit zwischen den Inter188

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preten und Anhängern sorgt. Gemeint ist das Problem in Bezug auf den Status des Ichs in der kantischen Theorie des Selbstbewusstseins als eine Theorie, die gleichzeitig mit einer Objektivitätstheorie der Erfahrung artikuliert wird (und vielleicht sogar abhängig von einer solchen sein könnte). Die Frage, die jene Schwierigkeit anzeigt, lautet: Kennt man das Ich in der Synthese der Mannigfaltigkeit? – Oder genauer gesagt: Ist man von sich selbst bewusst in jenem Akt der Synthese? – Oder aber: Schafft man das Ich in ihr? Wenn nur das erste zutrifft, dann kann man davon ausgehen, dass der Synthese ein Ich aufgrund der Existenz (nicht aufgrund der Erkenntnis oder des Bewusstseins) vorausgeht. So gesehen wird das Bewusstsein von dem Akt der Synthese durch eine ratio cognoscendi eines schon vorher existierenden Ichs erhalten. Wenn es um den zweiten Fall geht, wird nicht ersichtlich, wie aus der Synthese eines Ichs genau dieses Ich entstehen kann, d. h. es bleibt unbegreiflich, wie das Bewusstsein der Synthese die ratio essendi des Ichs sein soll. In jedem der beiden Fälle deutet sich eine Verwicklung des ontologischen Status des Erkenntnissubjekts mit dem epistemologischen an. Und aus dieser Verwicklung scheint Kant nicht ohne die Verletzung einiger Prinzipien seines Kritizismus entkommen zu können. 59 Schulze bringt so die kantische Auffassung ein: Das Selbstbewusstsein des Ich werde mit allen dazu gehörigen allgemeinen Bestimmungen (der Existenz, Persönlichkeit, Einheit und Identität) allererst durch eine Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung hervorgebracht, so dass wir also uns dieses Mannigfaltigen, und aller Vorstellungen, die wir die unsrigen nennen, nur durch die Synthesis derselben bewusst werden, und ohne Synthesis, welche bloß durch Hilfe der Kategorien soll zu Stande gebracht werden können, gar kein Bewusstsein, weder von dem erkennenden Ich, noch von einem davon verschiedenen Dinge möglich wäre, folglich auch die Kategorien eben so viele Bedingungen des Bewusstseins des Subjekts und Objekts sein würden. Nun ist es zugleich die beständige Lehre der Kritik der Für Kant »[könnte] das Gemüth sich unmöglich die Identität seiner selbst in der Mannigfaltigkeit seiner Vorstellungen und zwar a priori denken, wenn es nicht die Identität seiner Handlung vor Augen hätte, welche alle Synthesis der Apprehension (die empirisch ist) einer transscendentalen Einheit unterwirft und ihren Zusammenhang nach Regeln a priori zuerst möglich macht« (KrV, S. A108, Kursive von mir). Ich glaube, dass man die hier dargestellte Schwierigkeit in Verbindung mit der Anmerkung D. Henrichs sehen könnte, nach der Kant in dem zitierten Textauszug von »der Identität des Subjekts« zur »Identität des Aktes« direkt hinübergeht, ohne auch nur eine Erklärung dafür zu geben (siehe Henrich: 1976, S. 103).

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reinen Vernunft, dass das Mannigfaltige der Anschauungen noch von der Synthesis des Verstandes, und unabhängig von ihr gegeben sein müsse […] Ist aber vor dieser Synthesis gar kein Bewusstsein möglich, so muss ja nach den Lehren jener Kritik angenommen werden, der Verstand bringe durch eine Synthesis von Vorstellungen, die kein Ich begleitet, und die also auf ein vorstellendes Subjekt noch gar keine Beziehung haben, ein Ich und erkennendes Subjekt hervor. Eine wahrhaft wundertätige Macht unseres Verstandes, von der man zum wenigsten gestehen muss, dass sich nicht einsehen lasse, auf welchen Wege, wenn es nicht der Weg der Inspiration ist, irgend ein Mensch zur Erkenntnis derselben gelangt sein will! (KthPh II, S. 354 Anm.)

Wenn man annimmt, dass die miteinander in Wechselbeziehung stehenden kantischen Theorien über die Objektivität und über das Selbstbewusstsein Aufgaben mit ontologischen Ansprüchen lösen, d. h. wenn man annimmt, dass diese Theorien sind, die sich auf reale Wesen beziehen und nicht auf bloß formelle Indikatoren, dann müsste man nach Schulze feststellen, dass sie keine der ihnen gestellten Aufgaben lösen. Als reine Erfindungen der Theorie stellen sich die »realen Wesen« heraus, auf die sich die Deduktion bezieht (das entsprechende und numerisch identische Objekt und das ebenfalls numerisch identische Ich). Wenn der transzendentale Idealismus danach strebt, die Objektivität über die im Verstand anhand der Kategorien ablaufende Synthese zu bestimmen, dann muss er in Kauf nehmen, dass diese Vorgehensweise nicht im Zusammenhang mit einer realistischen Theorie von der Wahrheit als Übereinstimmung eingeführt werden kann. Wenn jedoch andererseits die Objektivitätsindikatoren – die Kategorien – zwar über die Tafel der Urteile aber dennoch auf willkürliche Weise erhalten wurden, 60 kann ebenso wenig darauf vertraut werden, dass die Deduktion als eine Kohärenztheorie der Wahrheit die Antwort sei, die sie zu sein verspricht, d. h. eine Antwort, die allgemeinen und notwendigen Kriterien folgt. Man nehme letztlich an, dass die Grundsätze aus der kantischen Begründung der objektiven Erfahrung im Wesentlichen richtig sind. Sie sind auf jeden Fall durch Voraussetzung erhalten worden. Oder besser: Die Untersuchung geht von einem gegebenen Faktum aus und findet sich überall vor den nicht-untersuchbaren Elementen wieder, die sie selbst angenommen hat. 61 Vgl. KthPh II, S. 333. Diese Feststellung stimmt mit der in Hauptmomente aufgestellten überein (vgl. §§ 15–17).

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Schulze schließt seine kritische Analyse der »Transzendentalen Deduktion« ab, indem er sie vor ein Problem stellt, aus dem sie wahrscheinlich allein mit Hilfe ihrer eigenen Mittel nicht entkommen kann: Wenn die Einheit des Bewusstseins, die sich auf kategoriale Funktionen gründet, der Indikator für die Objektivität sein soll, dann folgt daraus, dass »jede Reihe von Vorstellungen, deren wir uns bewusst werden, immer eine objektiv gültige Erkenntnis sein müsse« (KthPh II, S. 359). Ist dies also der Fall, kann nicht anerkannt werden, dass Kant Kriterien für einen objektiven Bezug aufgestellt hat, der sich als der Bezug auf etwas wirklich Vorhandenes und (aufgrund seiner Beschaffenheit) von allem, das dem Bewusstsein angehörig ist, verschieden wäre, da diese Konsequenz nichts weiter bedeutet, als den eindeutig subjektiven Charakter einer jeden Herausbildung von Objektivität anzuzeigen. Geht man allerdings davon aus, dass die Verbindung des Mannigfaltigen unter Kategorien, welche wiederum zur Einheit des Selbstbewusstseins weitergeführt wird, der einzige und wahre Indikator des Bezuges der Vorstellungen auf ein Objekt wäre, dann folgt daraus, dass »eine bloß subjektiv gültige Folge von Vorstellungen im menschlichen Bewusstsein, die keine Beziehung auf ein Objekt hätte, schlechterdings unmöglich sei« (KthPh II, S. 360 Anm.). 62 Selbstverständlich könnte der Transzendentalphilosoph an dieser Stelle entgegnen, dass eine subjektive Reihe von Vorstellungen oder Träumen genauso gut mit Hilfe der kategorialen Synthese zum Bewusstsein geführt werden kann, ohne dass dadurch gesagt wäre, dass dieser Vorgang konkrete Wahrheitsbedingungen erfüllt. Damit würde sich andeuten, dass die Objektivitätsbedingungen in einem weiteren Rahmen gefasst und wesentlicher sind als die der Wahrheit. Eine solche Antwort wäre für einen modernen Skeptiker wie Schulze nicht annehmbar, weil sie zu einer Eingrenzung der Kriterien der Objektivität in das Feld des Bewusstseins führt. Der Transzendentalphilosoph könnte – und sollte – sofort erwidern: Was soll das? Warum sollten die Regeln und Grundsätze der Einheit und Kohärenz des Bewusstseins nicht als Kriterium der Objektivität akzeptiert werden können, ohne dass man sogleich in die Radikalität verfällt, zwischen »subjektiv« und »objektiv« zu trennen? Warum sollten die kategorialen Strukturen nicht analysiert werden, die in unseren Urteilen Das könnte die schulzesche Antwort auf die Frage bzw. den Aufruf von C. I. Lewis sein: »Did the Sage of Könisberg have no dreams?« (vgl. Lewis: 1956, S. 221).

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wirken, in unserer Art und Weise, einem logischen Subjekt mit Hilfe der Kopula »ist« Eigenschaften zuzuschreiben? Warum sollten diese Strukturen nicht wie Strukturen untersucht werden, die in ausreichendem Maße darauf verweisen, dass wir in einer objektiven und öffentlichen Welt leben? Da er an einem realistischen Begriff von der Wahrheit als Übereinstimmung festhält, würde Schulze jedoch eine solche Entgegnung nicht akzeptieren. Und außerdem sollte darauf hingewiesen werden, dass dies auch nicht die Antwort eines Transzendentalphilosophen wäre, zumindest nicht die Kants. 63 Denn er erwartete in der Tat, dass seine Objektivitätstheorie als ein Grundrahmen dienen könnte, um eine so ambitionierte Aufgabe wie die der Notwendigkeit und Allgemeinheit einiger unserer Erkenntnisse und die ihres Bezuges auf die Körperwelt zu lösen. Und weil genau dieser Anspruch als Voraussetzung der kritischen Philosophie gilt, muss diese sich einem Skeptizismus wie dem schulzeschen ausgesetzt sehen. C.

Die Analogien der Erfahrung

Kant stellt in der ersten und zweiten Analogie der Erfahrung zwei Grundsätze der synthetischen Einheit vor, die sich als die wichtigsten Funktionen betrachten lassen, durch die unserer Erfahrung Objektivität zugeschrieben wird. Die schulzesche Kritik an den Analogien zielt darauf, deren Bedeutung als Grundsätze der Objektivität zu widerlegen. Diese Kritik ist im Grunde nichts weiter als ein Korollarium, das sich aus der skeptischen Hinterfragung der von Kant in der »Transzendentalen Deduktion« vorgeschlagenen Theorie über die Objektivität ergibt. Es handelt sich also um eine Kritik, die einerseits als eine realistische Voraussetzung wirkt und andererseits die Ausweglosigkeit aufzeigen soll, zu der die repräsentationalistische Erkenntnistheorie führt. Substantialität: Um Schulzes Ziele zu verstehen, kann man das Argument der ersten Analogie zunächst einmal allgemein betrachIm Fall Maimons ist dies jedoch nicht so. Denn dieser ist sich darüber bewusst, dass eine Theorie über die Wahrheit als Übereinstimmung innerhalb des Rahmens einer Kohärenzauffassung von der Wahrnehmung stehen sollte, wenn sie Sinn haben soll (vgl. unten III, § 4A). Die Einschränkung der Wahrheitstheorie auf eine Kohärenzansicht der Wahrheit bei Kant wurde schon von einigen seiner Ausleger vorgeschlagen. Siehe Cramer (1986), S. 45; dazu auch Allison (1968), S. 178.

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ten: Laut Kant ist für die objektive Erfahrung etwas Beharrliches notwendig, das den Erscheinungen zugrunde liegt. Dieses Beharrliche kann weder die Zeit sein, die, als »Form der inneren Anschauung« beständig »bleibt und nicht wechselt«, aber genau deshalb nicht »für sich wahrgenommen werden [kann]« (KrV, S. A182 = B224–25), noch eine Erscheinung (da die Erscheinungen immer wechselhaft sind), sondern es muss zwangsläufig etwas anderes sein, das als Substrat der Erscheinungen dient. Dieses Beharrliche »in den« wechselhaften Erscheinungen, das diesen selben zugrunde liegt und den Wechsel der Erscheinungen ermöglicht, ist die Substanz. Es gilt zwei Punkte bei Schulze hervorzuheben: Der erste besteht in dem Verweis darauf, dass Kant in seinen Überlegungen eine dritte Möglichkeit ausgelassen hat, nämlich die, dass das beharrliche Substrat, das für die Bestimmung der Veränderungen der Erscheinung notwendig ist, das Ich sein könnte. 64 Diese Möglichkeit bietet sich für Schulze eindeutig aufgrund der kantischen Voraussetzungen an, nach denen die Veränderung allein unter der Voraussetzung eines beharrlichen Etwas vorgestellt werden kann und nicht die Zeit selbst sein kann, da diese nicht wahrgenommen wird. Eine solche Subjektivierung des Satzes der Substantialität widerspricht jedoch dem gesunden Menschenverstand, der uns sagt, dass es außerhalb unserer selbst beharrliche Dinge gibt. Und das genügt schon, um den Schluss zu ziehen, dass, wenn die so genanten synthetischen Grundsätze des reinen Verstandes, um der in dieser Kritik beigebrachten Gründe willen, die allgemeinen Gesetze der Natur wären, diese Natur ganz anderes beschaffen sein müsste, als sie uns in der Erkenntnis derselben wirklich gegeben ist. (KthPh II, S. 415)

Der zweite Punkt, der hervorgehoben sein soll, betrifft die Hinterfragung des synthetischen Charakters des Satzes der Substantialität. Schulze erkennt richtig, dass dieser Grundsatz allgemein genommen, oder aus der Perspektive seiner bloß logischen Operativität, ein analytischer Satz ist. Im Begriff der Substanz, die als Subjekt verstanden wird, d. h. als das »Substrat, die Unterlage oder der Träger von etwas« (ein Träger, »der für sich besteht und nicht wieder von etwas Anderen getragen wird«) ist der Begriff der Akzidenz (die als »das Getragene« verstanden wird) analytisch enthalten. Den Akzidenzen bzw. demjenigen, das nicht allein durch sich besteht, sondern nur durch ein An64

Vgl. KthPh II, S. 411 ff. A

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deres, wohnt wiederum der Begriff eines existierenden Subjekts inne, »an welchem sie existiere« (ebd., S. 458). Ein Subjekt ohne Akzidenzen wäre ein Träger, der nichts trägt; und Akzidenzen, die nicht von einem Subjekt getragen werden, würden überhaupt nicht getragen werden, oder besser, sie wären Akzidenzen von nichts. 65 Was in der kritischen Philosophie als synthetisch angesehen wird, entspricht aber nicht der allgemeinen Idee von der Substanz als Substratum oder »Träger«, sondern dem Satz, »dass in allen Erscheinungen etwas Beharrliches sei, an welchem das Wandelbare nichts als Bestimmung seines Daseins ist« (KrV, S. A184 = B227). So gesehen enthält der Begriff der Erscheinung nicht den Begriff der Substanz, da, wenn es doch so wäre, man nicht von einem synthetischen Grundsatz sprechen könnte. Für Schulze bleibt dennoch die Entscheidung, ob ein Prinzip als ein synthetisches zu betrachten ist oder nicht, davon abhängig, was man unter »Erscheinung« versteht: Versteht man darunter ein Etwas, das ursprünglich unserem Bewusstsein als ein von dem erkennenden Subjekte verschiedenes, für sich bestehendes und beharrliches Objekt gegeben ist, so macht der Satz: Jede Erfahrung wird von uns eine Substanz gehalten, und muss dafür gehalten werden; ein analytisches Urteil aus. Sollen hingegen die so genannten Erscheinungen der Sinne ursprünglich nur als Modifikationen der Vorstellungskraft im Bewusstsein gegeben sein und erkannt werden; so ist der Satz, dass in ihnen selbst etwas Substantielles und Beharrliches enthalten sei, ein synthetisches Urteil. (KthPh II, S. 460)

Wenn dieses Letzte der Fall ist, kann die KrV keineswegs auf argumentative Weise ausschließen, dass das Substrat, das die Bestimmung der Modifikationen ermöglicht, das Ich sei und die wechselhaften Erscheinungen Zustände jenes Ichs. Deshalb stellt sich der kantische Lehrsatz über die Substantialität als unbrauchbar heraus, wenn es darum geht, die Zuschreibung von Objektivität auf unsere Vorstellungen zu begründen. Damit der Grundsatz über die Substantialität auf diese Art und Weise ausgelegt werden kann, ist es notwendig, von der Gleichsetzung der »Erscheinung« mit der »Vorstellung« auszugehen und einen sozusagen verdinglichten Begriff des Ichs vorauszusetzen, d. h. dass man das Ich für etwas Reales hält. Auch wenn diese letzte Voraussetzung gewiss nicht mit dem vielleicht Beachtlichsten der kanVgl. ebd., S. 458 f. Mit dieser Behauptung wäre Kant sicherlich auch einverstanden gewesen. Vgl. KrV, S. A184 = B227; ebenso KthPh II, S. 459, Anm.

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tischen Theorie über das Subjekt übereinstimmt, nämlich mit dessen Desubstantialisierung, kann man doch zumindest davon ausgehen, dass der Realist Schulze glaubt, das Recht zu haben, diese Idee aufgrund der derart problematischen und komplizierten Verwicklung zwischen einem epistemologischen und einem ontologischen Aspekt in der kantischen Theorie über das Selbstbewusstsein anzunehmen. An dieser Stelle muss hinzugefügt werden, dass Kant eine Sprache der Vermögen einsetzt und dazu noch den Terminus Gemüt in einer Art und Weise benutzt, dass eine psychologistische Interpretation nicht ausgeschlossen werden kann. Kausalität: Um Schulzes Antwort auf die Grundfrage seiner Philosophie zu verstehen, nämlich ob die KrV einen befriedigenden Ausweg aus den skeptischen Fragen Humes geliefert hat, sollte man vor allem Schulzes kritische Analyse der zweiten Analogie oder des Grundsatzes der kausalen Folge in Augenschein ziehen. Für Schulze wird Hume von Kant nicht widerlegt, sondern der letzte »widerspricht« dem ersten einfach (vgl. KthPh II, S. 484). Mit anderen Worten: Die Transzendentalphilosophie ist eine anti-skeptische Philosophie aber keine Ablösung des Skeptizismus. Das Hauptargument Schulzes gegen die Theorie der Realität einer Kausalverbindung lässt sich in den Rahmen seiner Hinterfragung der Möglichkeiten der Erkenntnistheorie einordnen. In diesem Zusammenhang besteht der Fehler Kants und Reinholds darin, gewisse Kräfte oder Vermögen vorausgesetzt zu haben, die die Vorstellungen hervorbringen, bevor überhaupt eine Lösung zum Problem Humes aufgestellt worden war, nämlich zu dem Problem der Realität der Kausalverbindungen. 66 Mit Hilfe dieses Arguments zeigt Schulze, dass die transzendentale Erkenntnistheorie sich ein Problem vornimmt, dessen Lösung nicht erbracht werden kann, da dieses Problem über die von der Transzendentalphilosophie vorgezeichneten Grenzen jeder Erkenntnis hinausgeht. Zum Verständnis dieser Schlussfolgerung muss noch einmal daran erinnert werden, dass Schulze einerseits eine realistische Voraussetzung anwendet, nach der die Realität der Erscheinungen durch ihre Beziehung zur Realität des Dinges an sich begründet wird. Und das ist so im Fall der äußeren Objekte wie im Fall des Ichs. Von dieser Annahme geht nicht nur Schulze aus (der sich sogar in gewisser Weise mit ihr verstrickt hat), sondern auch die kritische Philosophie. Deshalb sieht Schulze in sei66

Siehe KthPh II, S. 465 f. A

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ner Auffassung von der Transzendentalphilosophie und der Erkenntnisphilosophie im Allgemeinen keine andere Möglichkeit als einen skeptischen Ausweg, da das realistische Bestreben der Philosophie, nämlich das Problem zum Verhältnis der Gegenstände, wie sie erscheinen, und der Gegenstände, wie sie an sich sind, genauso wie das Problem der Existenz (oder Nicht-Existenz) der Gegenstände an sich und das der Bestimmung der Grenzen unserer Erkenntnisvermögen zu lösen, 67 zu nichts anderem als zu Paradoxien oder zu widersprüchlichen philosophischen Begriffen führt. Andererseits zeigt sich in der Annahme, dass bei der Untersuchung des Ursprungs der Erkenntnis und der Bedeutung, die unsere Vermögen für die Hervorbringung von Erkenntnis haben, die Realität der Kausalverbindung vorausgesetzt wird, eine Verwechslung der Sprache der Ursachen mit der Sprache der Bedingungen. Diese Verwechslung findet durch die Unkenntnis der wahren Funktion der transzendentalen Reflexion statt. Allerdings soll in diesem Buch gezeigt werden, dass diese Unkenntnis genauso wie jene Verwechslung nicht einfach durch eine Nachlässigkeit Schulzes entstanden ist, sondern dass diese Probleme das Ergebnis eines Begriffes der Erkenntnistheorie sind, nach dem nicht bestätigt werden kann, dass diese eine privilegierte Theorie der zweiten Ordnung sei, die weder bloß formelle Logik ist, noch sich auf empirische und reale Tatsachen bezieht, wie jede wissenschaftliche Theorie der ersten Ordnung, die aber dennoch keine Scheu hat, sich als eine Theorie mit höchsten ontologischen Ansprüchen zu präsentieren. Für Schulze ist eine Theorie dieser Art keinesfalls zulässig. Alles, was weder formelle Logik, noch Diskurs der empirischen Forschung ist, ist nur ein bloßes Spiel mit Begriffen. Genau dies ist der Fall der von ihm so bezeichneten »theoretischen Philosophie«, die sich über alle der Erkennbarkeit auferlegten Grenzen hinwegsetzt, genauso wie über die Grenzen der Begreifbarkeit, indem sie sich eine innerhalb dieser Grenzen unmögliche Aufgabe stellt: die Erklärung des (realen) Ursprungs der Erkenntnis. Das ist kurzum der Kern der schulzeschen Argumentation. In dieser Abhandlung wurde auch schon ausführlich darauf eingegangen. 68 Jetzt soll uns vor allem ein anderer Aspekt der schulzeschen Kritik an der Theorie über die Realität und Notwendigkeit des Kau67 68

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Vgl. Aenesidemus, S. 24. Siehe oben § 4.

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salverhältnisses interessieren, nämlich der Punkt, nach dem das Kausalverhältnis der Erscheinungen (oder Vorstellungen) ein Kriterium der Objektivität ist. Kant bestrebt zu beweisen, dass die Verflechtung der Wahrnehmungen anhand des Kausalitätsgesetzes der Folge der wahrgenommenen Vorstellungen eine bestimmte und objektive Ordnung gibt. Diese strenge kausale Verflechtung soll dann zeigen, dass es sich um eine Reihe von Wahrnehmungsvorstellungen mit einer objektiven Entsprechung handelt und nicht um eine Reihe von bloßen Einbildungen. Das ist für Schulze jedoch nicht richtig. Erstens kann man eine direkte Erfahrung von objektiven Wahrnehmungszuständen haben, die nicht kausal miteinander verflochten sind. Die Information über die Wirklichkeit wird in diesem Fall von der Wahrnehmung selbst gegeben, die man als den direkten Kontakt mit einem Gegenstand ohne jegliche Vermittlung der Vorstellungen versteht: Das successive Sein der Zustände objektiver Dinge wird also schon durch die Wahrnehmung, an sich genommen, und ohne Rücksicht auf ein Kausal-Verhältnis derselben, als etwas Objektives, das keine Succession bloßer Vorstellungen in uns ausmacht, erkannt. (KthPh II, S. 430)

Wenn es richtig ist, dass die Bestimmung des Verhältnisses von Ursache und Wirkung in der Folge der Wahrnehmungen unerlässlich ist, um jenen Wahrnehmungen als sinnliche Vorstellungen Objektivität zuzuschreiben, dann folgt daraus, dass diese Wahrnehmungen – deren Ursache wir nicht kennen – nicht Teil der objektiven Erfahrung sein können. Das ist jedoch laut Schulze nicht nur unakzeptabel, weil dabei die wesentlichsten Aussagen des gesunden Menschenverstandes verletzt werden, sondern sie widerspricht auch noch den Grundsätzen der kritischen Philosophie. Zweitens gibt die Idee einer kausalen Notwendigkeit in der Verflechtung von aufeinander folgenden Vorstellungen nicht unmittelbar eine Gewähr für die Objektivität von diesen: So kann man z. B. in der Phantasie eine Reihe von Gegebenheiten sich erdichten, und jeden Teil der Reihe als notwendig durch die Verursachung des vorhergegangenen Teils bestimmt denken, gleichwohl erhält dadurch diese fingierte Reihe von Begebenheiten in unserem Bewusstsein derselben noch nicht die Dignität und das Ansehen einer (auf reale Objekte Beziehung habenden) Erfahrung. (KthPh II, S. 432)

Schulze denkt, dass die zweite Analogie der Erfahrung in Bezug auf das die äußere Erfahrung Betreffende nicht als endgültiger Beweis A

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gegen Humes skeptischen Vorschlag zur Irrealität der Verknüpfung von Ursache und Wirkung betrachtet werden kann. Trotzdem erkennt er, dass Hume in diesem Punkt nicht ganz Recht hat. Schulze glaubt, dass Hume sich hinsichtlich des Ursprungs des kausalen Verhältnisses irrt. Das Verhältnis Ursache-Wirkung hat seinen Ursprung in einem Bedürfnis der Vernunft im Zusammenhang mit den Dingen, die zeitlich aufeinander folgen: Der ursprüngliche und eigentliche Sinn des Prinzips der Kausalität ist aber kein anderer, als folgender. Das Dasein eines Dinges, welches allererst in einer gewissen Zeit zu sein angefangen hat, ist für die Vernunft nur unter der Bedingung begreiflich, dass ein anderes Ding existiert, welches durch seine Kraft die Existenz von jenem, und auch alle Bestimmungen an demselben notwendig macht. (ebd., S. 492)

Dieses rationale Bedürfnis nach Kausalität ist ein struktureller Bestandteil unseres gesunden Menschenverstandes. Es zeigt sich in Bezug auf dasjenige, was jenseits des uns in der gegenwärtigen sinnlichen Erfahrung Gegebenen liegt, und ist ausschlaggebend für die Organisation der besagten Erfahrung in dem Maße, in dem sie in der Zeit geschieht. Aus diesem für die Vernunft notwendigen Charakter des Kausalitätsprinzips folgt jedoch keineswegs, dass es reale Kausalität in der Natur gibt. 69 Außerdem scheint es, dass das BedürfSchulzes Auffassung zum Begriff der Kausalität in Hinsicht auf den gesunden Menschenverstand wird mit den folgenden Worten klar und deutlich ausgedrückt: »Es liegt also, so weit bis jetzt die Untersuchungen über die Realität des Prinzips der Kausalität gehen, in diesem Prinzip ein Zusatz, der mit nichts von dem, was Erfahrung über den Zusammenhang der Begebenheiten als objektiv gültig dartun, belegt werden kann, und den mithin die Vernunft diesem Zusammenhange lediglich aus sich selbst, und bloß ihrem Interesse gemäß, ohne dazu durch etwas in der Erfahrung Gegebenes berechtigt worden zu sein, beigefügt zu haben scheint« (KthPh II, S. 501 f.). Man sollte aber dazu auch die zweite Idee Schulzes im Zusammenhang mit dem gesunden Menschenverstand beachten, dass nämlich, auch wenn die Kausalität für die Bestimmung der Wahrnehmungsobjekte nicht notwendig ist (immer dann, wenn man eine repräsentationalistische Auffassung von dieser aufgibt und einen direkten Realismus annimmt), sie doch trotzdem wesentlich für dasjenige ist, was sich auf die innere Erfahrung bezieht. Für Schulze findet die kausale Denkart ihren genuinen Ursprung gar in der inneren Erfahrung, da wir in ihr direkten Kontakt mit dem Wollen als eine produktive Fähigkeit haben (ebd., S. 495 ff.). In diesem Punkt entfernt sich Schulze wieder von Hume. Für Hume existiert bekanntlich kein größerer Unterschied zwischen den Akten des Gemüts oder des Willens und denen der Materie im Zusammenhang mit der Erkenntnis der Verknüpfung von Ursache und Wirkung. Das heißt, das Kausalverhältnis erfolgt in den eigenen Akten wie in den materiellen Ereignissen aus der beständigen Verbindung, von der wir Erfahrung haben. (siehe Treatise, II, Anhang S. 632 f.; Enquiry, VIII, I, S. 93). In 69

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nis der Vernunft, die zeitliche Aufeinanderfolge begreifen zu wollen, eher einen psychologischen als einen logischen Charakter hat. D.

Das Problem der Außenwelt: Schulze und die »Widerlegung des Idealismus«

Schulze deutet Kants »Widerlegung des Idealismus« als eine Widerlegung des Berkeleyschen Idealismus. 70 Die ausdrückliche Absicht Kants, Berkeley mit der »Transzendentalen Ästhetik« als widerlegt zu sehen und das Argument der so genannten »Widerlegung des Idealismus« gegen Descartes und gegen den – von Kant so bezeichneten – »problematischen Idealismus« (KrV, S. B274 ff.) zu richten, scheinen Schulze nicht daran zu hindern, Kants Argument als gegen Berkeley ausgesprochen zu verstehen. Diese opportunistische Auslegung passt sehr gut zu den Zielen Schulzes. Seine Strategie besteht nämlich darin zu zeigen, dass, was eine Widerlegung des Idealismus oder einen Beweis der Existenz der Außenwelt notwendig macht, gerade die – von Kant weitläufig angenommene – Voraussetzung des kausalen Wahrnehmungsrepräsentationalismus ist. Doch genau diese Voraussetzung verhindert wiederum, die kantische Widerlegung des Idealismus als einen befriedigenden Beweis der Existenz von außerhalb der Vorstellung vorhandenen Gegenständen anzunehmen. Für Schulze ist Berkeleys Idealismus nichts weiter als der konsequenteste Standpunkt, zu dem der moderne Repräsentationalismus führt (was auch Hume schon festgestellt hatte). Berkeley kann zu der provokativen (und prima facie dem gesunden Menschenverstand widersprechenden) Formulierung seiner idealistischen Devise esse est percipi kommen, d. h. zu der Reduzierung der Gegenstände auf Vorstellungsinhalte (Ideen) in einem Gemüt, das sie wirklich wahrnimmt oder dazu zumindest die Möglichkeit hat, weil ihm die innere Kohärenz beisteht, die die moderne subjektivistisch-repräsentationalistische Auffassung von der Erkenntnis mit sich bringt. Aufgrund Über die menschliche Erkenntnis hebt Schulze den natürlich-notwendigen Charakter des Kausalverhältnisses hervor und stellt sich offen der Humeschen Ansicht zu einer Verbindung von Ideen oder Vorstellungen gegenüber, wobei er gleichzeitig noch einmal gegen die kantische Theorie über die Objektivität der Kausalität beharrt (vgl. S. 68–76). 70 Vgl. Aenesidemus, S. 268 ff.; KthPh II, S. 503 ff. A

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dieser Tatsache betrachtete Hume Berkeleys Philosophie als nicht imstande, überzeugend zu sein, aber gleichzeitig hält er sie doch für unwiderlegbar. 71 Im Prinzip teilt Schulze diese Meinung, obwohl er sie noch genauer präzisiert. Berkeleys Philosophie sei falsch, aufgrund des Widerstandes gegen die Zuschreibung von Realität auf die direkt wahrgenommenen Objekte, was nämlich dem gesunden Menschenverstand zugrunde liegt. Die Unwiderlegbarkeit dieser Philosophie steht in Abhängigkeit von der Aufnahme der Repräsentationalismusthese. Im Gegensatz zu Hume ist Schulze dennoch Verfechter einer direkten realistischen Auffassung in Bezug auf die äußere Wahrnehmung, nach der diese Letzte auf dem unmittelbaren Kontakt mit ihren Objekten beruht und nicht durch Vorstellungen vermittelt wird. Wenn diese Auffassung gilt, wie Schulze glaubt, dann erfüllt sie die doppelte Funktion, zum einen Berkeleys Idealismus zu widerlegen (weil seine innere Kohärenz oder die Unmöglichkeit, ihn zu widerlegen von der Repräsentationalismusthese abhängig waren, die abgelehnt worden ist) und zum anderen dessen Fehlerhaftigkeit offen zu beweisen (da die Richtigkeit des direkten Realismus, der dem gesunden Menschenverstand innewohnt, gezeigt wird). Diese Vorgehensweise entspricht im Wesentlichen dem Vorgehen, das bereits Thomas Reid anwandte. 72 Das Problem der »Widerlegung des Idealismus« besteht für Schulze darin, dass sie in ihrer ganzen Rafinesse und Differenziertheit nicht in der Lage ist, die Repräsentationalismushypothese aufzugeben, und somit erweist sie sich als machtlos vor dem Berkeleyschen Idealismus. Hier könnte nun angebracht werden, dass nicht nur ein direkter anti-repräsentationalistischer Realismus wie der Schulzes (oder Reids) eine Möglichkeit zur Widerlegung Berkeleys bietet, sondern auch der Beweis, dass wirklich etwas Materielles hinSiehe Enquiry, S. 155, Anm. Wenn man allerdings von der Ausgangsthese Humes ausgeht, dass die »Impressionen« Vorstellungsinhalte sind, die sich von der anderen Wahrnehmungsart im Geist (den »Ideen«) allein durch den Grad ihrer Lebendigkeit unterscheiden, jedoch nicht durch ihre innere Beschaffenheit, dann könnte sich aus schulzescher Perspektive bestätigen, dass dasjenige, was Hume über Berkeley sagt, auch auf ihn selbst zutreffen kann. In der bekannten Fußnote aus Enquiry, auf die ich mich hier beziehe, spricht Hume über »alle« Argumente Berkeleys. Trotzdem glaube ich, dass er vor allem die Verbindung zum Immaterialismus und Idealismus vor Augen hat und nicht die Berkeleysche Argumentation gegen die Existenz von abstrakten Ideen, die für Hume sehr wohl überzeugend ist, wie dies auch der entsprechende Text auf S. 155 bezeugt. 72 Vgl. Th. Reid, Inquiry, S. 95–104. 71

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ter den sinnlichen Vorstellungen existiert. 73 Ein solcher Beweis gibt den Wahrnehmungsrepräsentationalismus nicht auf und könnte mit Sicherheit die Existenz von materiellen Objekten, die von der Vorstellung unabhängig sind, vergewissern. Ist dies aber möglich? Die kantische Widerlegung des Idealismus kann sich im Allgemeinen wohl als eine Argumentation dieses Typs verstehen, wenn sie auch eine spezielle Strategie verfolgt, nämlich die reductio ad absurdum der Anzweifelung der Existenz der besagten Objekte. Eine solche Argumentation ist für Schulze aus den folgenden Gründen zum Scheitern verurteilt: Der Grundsatz, durch den Berkeleys Idealismus innere Kohärenz erhält, gründet sich – so Schulze – auf die Unmöglichkeit zu begreifen, wie Vorstellungen oder Ideen im Gemüt durch außerhalb des Gemüts stehende materielle Objekte verursacht werden können und somit spezifisch verschieden von den Vorstellungen sind. In Schulzes Version verneint Berkeley, dass es außerhalb der Vorstellung stehende materielle Objekte gibt, wobei er sich darauf stützt, dass es »vollkommen unbegreiflich« ist, wie festgehalten werden kann, dass die materiellen Dinge auf unseren Geist wirken, indem sie in ihm eine von ihnen selbst völlig verschiedene und heterogene Wirkung verursachen, nämlich Vorstellungen. Deshalb setzt man voraus, dass eine aktive, zu unserem Vorstellungsvermögen homogene Kraft in uns die Vorstellungen von den materiellen Dingen auslösen muss. 74 Man kann sagen, dass Berkeley etwas Falsches behauptet, aber nicht, dass er etwas Unbegreifliches sagt. Ist erst einmal die Voraussetzung angenommen, dass jedes epistemische Verhältnis zu den Dingen zwangsläufig über die Vorstellungen erfolgt, dann bleibt keine andere Möglichkeit, als jedes Mal, wenn man eine verständliche Erklärung zu dem Problem des Ursprungs der Vorstellungen und zu ihrer Realität oder ihrem Bezug auf ein reales Etwas geben will, die idealistische Radikalisierung dieser Idee auch anzunehmen. Eine Widerlegung Berkeleys sollte eine Widerlegung dieses Grundsatzes sein. Oder sie sollte zumindest eine Antwort auf jenen Anspruch auf Homogenität zwischen (mentaler) Idealität und (materieller) Realität sein, auf den Anspruch also, der dem Vorschlag, den Dualismus von einem mentalistischen oder idealistischen Monismus abzuschaffen, Sinn, logische Kohärenz und Verständlichkeit 73 74

Siehe KthPh II, S. 536. Vgl. Aenesidemus, S. 269. A

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verleiht. Schulze will zeigen, dass Kant den Grundsatz des Berkeleyschen Idealismus nicht angreift, und deshalb bestätigt die kritische Philosophie in ihrer Widerlegung des Idealismus letztendlich was der Idealismus niemals verneint hat und verneint, was dieser niemals bestätigt hat. 75 Zum ersten Punkt (zu dem, dass Kant bestätigt, was Berkeley nie verneint hat) soll gesagt werden: Kant behauptet, dass wir keine Erkenntnis von den Dingen haben können, wie sie an sich sind, sondern nur von den Erscheinungen. Das heißt, dass die Erkenntnis der Dinge auf einen subjektiven und relationalen Bereich beschränkt wird. Das ist allerdings, wie auch Schulze meint, genau dasjenige, was schon Berkeley über die Körperwelt gesagt hat; »indem nach ihm in uns bloß Vorstellungen von körperlichen Dingen vorkommen« (Aenesidemus, S. 270). Außerdem zeigt Kant, was bekanntlich auch der wichtigste Beweis ist, dass das Bewusstsein von etwas Beharrlichem die notwendige Bedingung für das empirische Bewusstsein über die eigene Existenz in der Zeit ist, was auch durch den Idealisten nicht verneint wird. Nur so kann die »Widerlegung des Idealismus« ein indirektes Argument sein. Der Berkeleysche Idealist kann diesen Grundsatz über die Unerlässlichkeit des Bewusstseins von etwas Beharrlichem für das von der eigenen Existenz bestimmte Bewusstsein problemlos annehmen. Für ihn ist aber nicht anzunehmen, dass man »das Bewusstsein beharrlicher Gegenstände im Raume« ableitet, sondern jenes Bewusstsein sollte in der Art und Weise stattfinden, in der Gott auf unser Gemüt einwirkt, indem er in ihm Vorstellungen hervorruft (ebd., S. 271 f.). Und dies muss so sein, damit der oben bereits erwähnte Anspruch auf Homogenität erfüllt werden kann. Mit Bezug auf den zweiten Punkt (dass Kant in der »Widerlegung des Idealismus« dasjenige verneint, was Berkeley nie bestätigt hat) soll hervorgehoben werden, dass Schulze damit mehr oder weniger das Folgende sagen will: Kant will beweisen, dass »das Bewusstsein meines eigenen Daseins zugleich ein unmittelbares Bewusstsein des Daseins anderer Dinge außer mir [ist]« (KrV, S. B276). Das will jedoch der Berkeleysche Idealist nicht als einen Beweis gegen seinen monistischen Vorschlag sehen, mit dem die Unbegreiflichkeit der Auffassung von einem Verhältnis zwischen Materialität und Idealität behoben werden soll, da es sich dabei um ein Verhältnis zwischen 75

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Siehe ebd., S. 272.

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völlig heterogenen Dingen handelt. Was der Berkeleysche Idealist bewiesen sehen will, ist »das objektive und reelle Dasein materieller Gegenstände außer uns« (Aenesidemus, S. 272). Als Kant sagte, dass das Bewusstsein von mir selbst das Bewusstsein von etwas Beharrlichem außerhalb von mir voraussetzt, antwortete er gewiss auf die Forderung nach Homogenität. Diese Antwort ist jedoch idealistisch, d. h. sie bietet ein homogenes Element, das einen idealen und nicht einen realen Charakter hat, an (nämlich das subjektive Bewusstsein). Und das kann nicht als eine Widerlegung Berkeleys betrachtet werden, sondern eher als eine Erklärung der Verbrüderung mit diesem. Der kantische Anspruch, das realistische Element der kritischen Philosophie zu beweisen, gibt nichts anderes als eines der aporetischsten Momente jener Philosophie zu erkennen: Von dem Augenblick an, in dem die kantische Epistemologie einen subjektivistischen Charakter annimmt (der eine kritische oder einschränkende Wirkung in Bezug auf die Reichweite der Erkenntnis hat) werden all ihre Versuche, einen empirischen Realismus gültig zu machen, entweder dazu verdammt, in einen inneren Widerspruch zu verfallen oder in einen circulus in probando zu geraten. Der (vermeintliche) Realismus der kritischen Philosophie ist mit ihren idealistischen Forderungen nicht zu vereinbaren oder besser; er tritt in einen offenen Widerspruch mit ihnen, weil er sich schließlich auf die Auffassung stützt, die von einem empirischen materiellen Inhalt der (sinnlichen) Erscheinungen ausgeht, der durch die Dinge an sich (die nicht sinnlich sind, sondern sogar übersinnlich) hervorgebracht wird. Das ist im Großen und Ganzen die These des »kausalen Noumenalismus«, die sich vor allem in der reinholdschen Auslegung der Transzendentalphilosophie zeigt. Und Schulze bedient sich des öfteren genau dieser Darstellung. 76 Allerdings ist der »kausale Noumenalismus« widersprüchlich in Bezug auf die Forderungen der kritischen Philosophie, da er ein epistemologisches Prinzip – nämlich den Grundsatz der Kausalität – auf transzendente Weise gebraucht – ein Gebrauch, der über die Grenzen der Erscheinungen und der möglichen Erfahrung hinausgeht oder über dasjenige, was wirklich gekannt werden kann. 77 Wie man sieht, ist das nichts weiter als eine Verschärfung der »Aporie Jacobis«. Schulze bezeichnet den unvermeidbaren Widerspruch zwischen dem kantischen empirischen 76 77

Siehe KthPh II, S. 505–510. Siehe Aenesidemus, S. 261 ff. A

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Realismus und den restriktiven epistemologischen Thesen des Kritizismus als einen Widerspruch, in den die kritische Philosophie verfällt, weil sie die »Realität der Erfahrung« in Bezug auf ihren materiellen Aspekt oder »der Materie nach« beweisen will (KthPh II, S. 522). 78 Laut Schulze hat die kritische Philosophie jedoch auch den Anspruch, die »Realität der Erfahrung« hinsichtlich der subjektiven Formen, die ihr Struktur verleihen, zu versichern oder wie er selbst sagt, »der Form nach, (d. h. in Ansehung der vorgeblich zur Erfahrung notwendigen reinen Synthesis des Mannigfaltigen der Sinnlichkeit durch den Verstand)« (KthPh II, S. 522). An diesem Punkt gerät die kritische Philosophie in einen Teufelskreis. Der Bezug der Kategorien, der Anschauungsformen und all desjenigen, was die (subjektive) Struktur der Erfahrung von gegebenen Objekten ausmacht, ist das Einzige, was diese Strukturen mit objektiver Realität ausstattet, und zwar insofern, dass ohne diesen Bezug die besagten Strukturen nichts weiter als »bloße Hirngespinste« wären (ebd., S. 523). Laut Kant können wir allerdings nur dann von etwas »Objektivem in der Erfahrung« sprechen, wenn die empirischen Inhalte der Wahrnehmung über Kategorialstrukturen miteinander verflochten sind, und wenn sie außerdem mit Hilfe der Formen der Sinnlichkeit in eine An diesem Punkt beschränkt sich Schulze nicht darauf, bloß den widersprüchlichen Charakter zu zeigen, den der kausale Noumenalismus in Bezug auf die epistemologischrestriktiven Voraussetzungen der kritischen Philosophie besitzt, sondern er äußert auch den Einwand, dass, wenn man – entgegen einer übertriebenen Verdinglichung des Begriffes vom »Ding an sich«, die den Absichten Kants nicht entsprechen würde – denkt, dass dieser Begriff nur ein »Vernunftwesen« bezeichnet, man zu einer noch weitaus weniger haltbaren Ansicht als der vorangegangenen gelangen würde: nämlich zu der Auffassung, nach der die Ursache des materiellen Aspekts der Erscheinungen eine »Idee«, ein »Vernunftwesen« oder ein »Hirngespinst« ist (vgl. KthPh II, S. 522 f.). Eine solche Behauptung zeigt, inwieweit Schulze die eingrenzende Funktion des Begriffs »Noumenon« verkennt. Schulzes Standpunkt ist an dieser Stelle eindeutig naiv. Vielleicht hält sich der Kern der schulzeschen Kritik am kausalen Noumenalismus in diesem Absatz versteckt, in dem auch der soeben erwähnte Einwand ausgesprochen wird: »Inwieferne also die Vernunftkritik die Wirklichkeit und Möglichkeit aller Erkenntnis des Dinges an sich leugnet, und überdies auch das Prinzip der Kausalität (aus dessen Anwendbarkeit auf Dinge an sich man einzig und allein noch beweisen kann, dass unsere Vorstellungen Ursachen ihrer Entstehung außer sich haben) für ein Prinzip erklärt, das bloß die subjektive Verbindung unserer empirischen Anschauungen im Verstande angeht, und kein objektives Gesetz der Dinge selbst ausmacht, insoferne bestreitet sie auch die Möglichkeit einer Erkenntnis vom Zusammenhange unserer Vorstellungen mit etwas außer denselben, und insoferne ist nach ihr die Annahme einer Realität bei gewissen unserer Vorstellungen eine bloße Einbildung« (Aenesidemus, S. 267).

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gewisse Ordnung gebracht wurden. Mit anderen Worten: Die formellen subjektiven Strukturen wirken als Indikatoren der Objektivität, ohne die man eine subjektive Reihe von Vorstellungen nicht von einer objektiven epistemischen Verknüpfung von Vorstellungen unterscheiden könnte. Oder auch: Ohne die erwähnten formellen (subjektiven) Indikatoren der Objektivität würden wir in Hinsicht auf die Wahrnehmungsinhalte über nichts weiter als eine »Rhapsodie von Wahrnehmungen« (KrV, S. A156 = B195) verfügen, aber nicht über Erkenntnis. Für Schulze ist es widersprüchlich, einerseits festzuhalten, dass »die Möglichkeit der Erfahrung […] also das [ist], was allen unsern Erkenntnissen a priori objektive Realität gibt,« und andererseits hinzuzufügen, dass der Erfahrung formelle und a priori Prinzipien unterliegen (»nämlich allgemeine Regeln der Einheit in der Synthesis der Erscheinungen«), »deren objektive Realität, als notwendige Bedingungen, jederzeit in der Erfahrung, ja so gar ihrer Möglichkeit bewiesen werden kann« (ebd., S. A156 f. = B195 f.). Die berühmte Formulierung des Beweises und der Begründung der Transzendentalphilosophie – die Passage also, die man als die kantische Darstellung eines transzendentalen Argumentes bezeichnen könnte – ist für Schulze nichts weiter als die ausdrückliche Anerkennung der unvermeidbaren Zirkularität vonseiten Kants »in der Begründung der Realität dessen, was zur Form der Erfahrung gehören soll« (KthPh II, S. 524, Anm.). 79 Wenn man bedenkt, dass Kant in der »Widerlegung des Idealismus« die äußere Realität durch die Anwendung der transzendentalen Prinzipien über die Zuschreibung von Objektivität (der ersten Analogie) abzusichern hat, bleibt kein anderer Ausweg, als den Vorwurf der Zirkularität in diesem Zusammenhang ernst zu nehmen, da diese Grundsätze nämlich einen eindeutigen Beweis der Existenz der AuVgl. KrV, S. A737 = B765. Hier hält Kant fest, dass der »Satz: alles, was geschieht, hat seine Ursache,« nicht für ein Dogma gehalten werden soll, d. h. seine Apodiktizität nicht nur aus den in ihm verknüpften Begriffen folgt, sondern »in einem anderen Gesichtspunkte, nämlich dem einzigen Felde seines möglichen Gebrauchs, d. i. der Erfahrung, ganz wohl und apodiktisch bewiesen werden kann.« Die Struktur, die der Beweis jenes Satzes besitzen soll, ist für Schulze die Anerkennung einer kreisförmigen Beweisführung: Der Grundsatz der Kausalität »heißt aber Grundsatz und nicht Lehrsatz, ob er gleich bewiesen werden muß, darum weil er die besondere Eigenschaft hat, daß er seinen Beweisgrund, nämlich Erfahrung, selbst zuerst möglich macht und bei dieser immer vorausgesetzt werden muß.«

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ßenwelt im Gegensatz zu den Ansprüchen des subjektiven Idealisten (oder eines jeden, der die Transzendentalphilosophie als eine differenzierte Form des subjektiven Idealismus sehen will) verlangen. Es sei denn, dass die Voraussetzung einer Außenwelt – als eine für den gesunden Menschenverstand geltende, aber nicht durch Beweis gültig zu machende Voraussetzung – angenommen wird, auf die sich die Formen der Anschauung und die Prinzipien der Zuschreibung von Objektivität beziehen. In diesem Fall würden alle Anstrengungen Kants, den empirischen Realismus durch Beweis abzusichern, überflüssig werden. 80 Aus der Analyse, die Schulze gegen die Versuche der kritischen Philosophie, den Realismus gültig zu machen, unternommen hat, kann der folgende Schluss gezogen werden: Das philosophische Problem der Außenwelt verdankt seine Existenz der »Repräsentationalismushypothese«. Solange diese Hypothese jedoch nicht in Frage gestellt wird, ist jeder Versuch zu beweisen, dass es etwas Reales und Äußeres hinter unseren Vorstellungen von den äußeren Dingen gibt, das ihnen entspricht (oder zu beweisen, dass die Realität der Erscheinungen durch die Realität der Dinge, wie sie an sich sind, gestützt wird), ein Versuch, der zum Scheitern verurteilt ist. Denn der Anspruch, die Existenz von etwas, das außerhalb der Erkenntnisbeziehung zwischen Subjekt und Objekt steht, versichern zu wollen, gründet sich auf ein Erkenntniskriterium, das nicht außerhalb jener Beziehung stehen kann. Für Schulze gibt es nur eine Möglichkeit, um nicht in diese Sackgasse zu geraten: Man muss die subjektivistisch-repräsentationalistische Hypothese aufgeben und eine realistisch-direkte These in Bezug auf unseren sinnlichen epistemischen Kontakt zu den Erkenntnisobjekten annehmen, d. h. eine Auffassung von der Wahrnehmung oder der Anschauung eines empirischen und realen Inhalts ohne Vermittlung durch die Vorstellung: [U]nsere sinnliche Erkenntnis der materiellen Welt bestehe aus keinen Vorstellungen, sondern während jene Erkenntnis stattfindet, sei ein von den subjektiven Zuständen unseres Gemüts ganz verschiedenes Objekt unmittelbar dem Bewusstsein gegeben und gegenwärtig, und die materielle Substanz, welche spekulative Philosophie als außer dem Unfange unseres Bewusstseins vorhanden gesetzt hat, sei ein bloßes Geschöpft der Einbildungskraft; hierdurch wird nämlich zugleich dargetan, dass kein Grund vorhanden sei, der 80

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Vgl. Hoyos (1995), bes. S. 243 ff.; auch ders. (1998), S. 27–53.

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Objektivität: Schulzes Skeptizismus gegen Kant

Körperwelt nur eine ideale Existenz beizulegen, dass aber dieser Welt nur eine solche Existenz zukomme, das ist die eigentümliche Meinung des Idealismus. (KthPh II, S. 536 f.)

Hinter solch einer Position stehen keine argumentativen Ziele gegen den Idealismus oder den Subjektivismus. Denn eine Argumentation gegen den Idealismus ist genauso unmöglich und unnütz wie der Beweis, dass wir direkten Kontakt zu den materiellen Dingen haben und nicht zwangsläufig immer zu den Vorstellungen. Man kann den Leser nur dann vom direkten Realismus überzeugen, wenn dieser selbst auf seine direkte Erfahrung der Objekte eingeht: Er [der Leser – LEH] sehe einen Baum, einen Menschen, ein Buch an, oder berühre mit den Spitzen seiner Finger die Oberfläche eines Körpers. So lange er jene Gegenstände sieht, oder diesen Körper betastet, ist er sich keiner von denselben verschiedenen, aber darauf hinweisenden Vorstellungen bewusst. Die Gegenstände sind allein und unmittelbar in seinem Bewusstsein gegenwärtig und gegeben; und wenn er den Inhalt dieses Bewusstseins auch auf das genaueste zergliedert, so wird er doch darin nimmermehr eine Vorstellung von etwas antreffen. (KthPh I, S. 58 f.)

Aus der Unmöglichkeit, den direkten empirischen Realismus durch Beweis zu bestätigen, folgt trotzdem nicht, dass sich nicht auch auf einem anderen Niveau – nämlich auf philosophischem – Argumente finden können, um den Repräsentationalismus durch Beweis zu widerlegen. An dieser Stelle macht der philosophische Skeptizismus seine destruktive Eigenschaft geltend. Wie man in Bezug auf das fundamentalistische System der Transzendentalphilosophie im Besonderen und auf dasjenige, was Schulze die »wissenschaftliche Philosophie« im Allgemeinen nennt, die skeptische Art des Philosophierens zu dem Zweck heranzuziehen hat, die Gründe aufzuzeigen, weshalb jenes System als gescheitert angesehen werden kann, genauso unterzieht der räsonierende Skeptizismus den repräsentationalistischen Mythos einer kritischen Untersuchung. Denn der Mythos des Repräsentationalismus ist die Hauptquelle der philosophischen Verzerrungen der modernen Erkenntnistheorie, des Subjektivismus also, d. h. der Unmöglichkeit, aus sich selbst herauszugehen, um unsere Erkenntnis der Objekte zu erklären.

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§ 6. Der Erbfehler der theoretischen Philosophie. Hegel gegen Schulze Die skeptische Überprüfung, der Schulze die moderne Epistemologie unterwirft, hat sowohl eine rekonstruktive als auch eine therapeutische Absicht. Schulze behauptet ohne Betrübnis, dass die rekonstruktive Analyse der modernen Erkenntnisphilosophie und deren besondere Entwicklung in der Form, die die deutsche spekulative Bewussteinsphilosophie um die Jahrhundertwende angenommen hat, ihn allmählich zur Überzeugung geleitet hat, das Misslingen aller Bemühungen, der spekulativen Philosophie wissenschaftliche Fertigkeit zu verschaffen, sei eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der menschlichen Vernunft, welches von Grund aus und vollständig untersucht zu werden verdiene, und verfiel auf die Vermutung, dass irgendein Erbfehler an dieser Philosophie haften, und sich von einer dogmatischen Beschäftigung mit derselben auf die andere fortgepflanzt haben müsste. (KthPh I, 8).

Die Aufgabe der skeptischen Art des Philosophierens besteht darin, die Gründe dieses Scheiterns zu identifizieren, und darüber hinaus eine Art Heilmethode vorzuschlagen, die der Vernunft hilft, aus der Sackgasse, in die die spekulative Philosophie sie geführt hat, herauszugehen. Schulze glaubt, dass der »Erbfehler« der theoretischen Philosophie grundsätzlich an zwei Gründen gelegen hat, nämlich am Projekt einer wissenschaftlichen Philosophie und an der Repräsentationstheorie der sinnlichen Erkenntnis. Daher bringt seine Therapeutik drei komplementäre Ergebnisse mit sich: 1) Den Hinweis auf die Sackgasse, in der sich sowohl die realistische als auch die idealistische Metaphysik befinden; 2) die Bestimmung der »natürlichen und allerdings erforschbaren Einrichtung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit«, die einer empirisch-psychologischen oder, wie man heute sagt, naturalisierten Epistemologie Raum gibt 81 ; 3) die Unterscheidung zwischen »unmittelbaren und mittelbaren Erkenntnissen« (vgl. KthPh I, S. XVII f.) Die Idee einer wissenschaftlichen Philosophie ist die Idee eines

Siehe Quine (1969). Die abwertende Bemerkung Hegels, Schulze treibe eigentlich nur »empirische Psychologie« (Verhältnis, S. 236), soll eigentlich als eine Bestätigung interpretiert werden, dass Schulzes Absicht verstanden wurde.

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an sich unmöglichen Projekts, denn sie besteht im Bestreben nach einer einzigen, apodiktischen Erklärung des unbedingten Grundes der Erkenntnis. Schulze denkt, den kantischen kritischen Geist annehmend, dass dieses Bestreben den Ausdruck einer Sehnsucht danach darstellt, das Unbedingte von der Kette der Bedingungen her zu erreichen. Daher folgert er, die Anmaßungen einer wissenschaftlichen Philosophie seien an sich dogmatisch. Der Dogmatismus in der Philosophie »besteht überhaupt genommen in der Behauptung, dass es eine wissenschaftliche Philosophie gebe.« (KthPh I, S. 86) Dabei handelt es sich um ein theoretisches Verfahren mittels bloßer Begriffe und allgemeiner Grundsätze, durch die die Vernunft über die Grenze aller möglichen Erfahrung hinausgeht. »Dogmen« – fügt Schulze hinzu – »sind solche Sätze, die über die außer aller Erfahrung befindlichen Gründe des zur Erfahrung Gehörigen etwas mit Gewissheit bestimmen.« (A. a. O.) Der Dogmatismus in der Philosophie oder der Anspruch einer wissenschaftlichen Philosophie manifestiert sich grundsätzlich in zweierlei Formen: Er kann erstens kosmogonisch oder zweitens dianogoinisch sein. Der kosmogonische Dogmatismus charakterisiert sich dadurch, dass er den Ausdruck der Suche nach dem Unbedingten im Bereich des Seins oder der Welt darstellt. Mit anderen Worten: die kosmogonische Metaphysik sucht nach dem ersten unbedingten Grund bzw. der ersten unbedingten Ursache des Seins oder der Welt. Der dianogoinische Dogmatismus sucht dagegen nach dem ersten Grund oder Fundament der Erkenntnis. Der letzte kann wiederum entweder idealistisch oder realistisch sein. Er ist idealistisch, wenn er den ersten Grund bzw. die erste Ursache der Erkenntnis, der Vorstellung und der Beziehung der Vorstellung auf die ihr korrespondierenden Gegenstände in uns oder im Gemüte zu finden beansprucht. Er ist realistisch, wenn er den ersten Grund oder auch die erste Ursache der mit epistemischem Wert versehenen Vorstellung und der Beziehung der Vorstellung auf die ihr korrespondierenden Gegenstände außer uns oder in einer externen Ursache zu finden beansprucht. Idealismus und Realismus können auch laut Schulze in verschiedenen Varianten auftreten. Der kantische Transzendentalidealismus sei beispielsweise, wie schon gesagt, ein formaler oder »morphothetischer« Idealismus, und zwar deswegen, »weil nach demselben nur die Form unserer Erkenntnisse von objektiven Dingen durch das Gemüt gegeben und gesetzt worden sein soll« (KthPh A

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I, S. 99). 82 Was allerdings den Ursprung der mit epistemischem Wert versehenen Vorstellungen angeht, ist es nach dem kantischen Idealismus so, dass »die Vorstellungen, welche nach dem Idealismus durch Anordnung und Verbindung derselben, nach gewissen Regeln Beziehung auf Objekte erhalten und für uns in Erkenntnisse verwandelt werden sollen, nicht aus einer inneren Quellen im Gemüte selbst herrühren, sondern diesem Gemüte vielmehr durch etwas außer der Vorstellungskraft Existierendes gegeben worden seien«. (A. a. O.) Demgegenüber benennt Schulze den Idealismus Fichtes als »kosmothetischer« oder auch »ontothetischer Idealismus«, denn gemäß diesem Idealismus »[bringe] das Gemüt sowohl die Verbindung der Vorstellungen, wodurch Erkenntnisse von einer objektiven Welt entstehen, hervor, als auch [nehme] die Vorstellungen selbst und die Materie der Erkenntnisse lediglich aus sich selbst her, und [bringe] mithin die ganze Welt, die wir erkennen bloß aus sich selbst hervor, und [trage] mit sich selbst herum« (a. a. O.). Fichtes Idealismus verdiene den Namen »kosmothetischer« oder »ontothetischer Idealismus« einfach deswegen, »weil nach demselben alles, was zu der für uns Menschen objektiven Welt und zu den Dingen in derselben gehört, durch das Gemüt gegeben und gesetzt worden sein soll.« (A. a. O.) Schulzes Kritik an der theoretischen Philosophie richtet sich primär gegen die dianoigonische Metaphysik oder Epistemologie. Der Anspruch einer wissenschaftlichen Philosophie der Erkenntnis ist auf jeden Fall verkehrt und dogmatisch, wenn dabei eine absolut unbedingte Begründung gesucht wird, die die Entstehung dieser Erkenntnis erklärt, denn mit diesem Anspruch wird eine Übertretung jeder möglichen Erfahrung vorgeschlagen. Eine solche Übertretung ist für Schulze gleichzeitig eine Übertretung der Grenze dessen, was vernünftigerweise untersucht werden kann. Daraus folgt, dass, wenn eine epistemologische Untersuchung als rein philosophische Untersuchung durch Grundsätze und Begriffe überhaupt möglich ist, dann soll die Forschung über die Bedingungen der Erkenntnis die Form einer normalen »first order«-Rede annehmen und zwar mit den Einschränkungen, die einer solchen Forschung innewohnen. In einem Wort: Die Erkenntnistheorie muss eine empirische bzw. naturalisierKant selbst betrachtet bekanntlich seinen eigenen Idealismus als »formalen Idealismus«, und zwar im Kontext der Polemik mit dem von ihm genannten »materialen Idealismus«. Siehe KrV A 491 = B 519 (Anm.)

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te Theorie sein. Das Projekt einer transzendentalen Philosophie, verstanden als Darstellung der Grundsätze und Bedingungen der Erkenntnis – Bedingungen, die wiederum nicht bedingt sind, d. h. philosophia prima trascendental –, ist ein mit den Prämissen der kritischen Philosophie unverträgliches Projekt: Sollte … der kritische Idealismus gar nicht die Absicht haben, die obersten und absoluten Gründe unserer Erkenntnis von Dingen anzugeben; so würde er das Verlangen unserer Vernunft, das Dasein des Bedingten aus dem Unbedingten zu begreifen, nicht befriedigen, und daher auch den Namen und die Würde der Philosophie sich nicht zueignen können, sondern wenn er auch alles leistete, was er zu leisten verspricht, doch nur eine wissenschaftliche Physik der menschlichen Erkenntniskräfte liefern. (KthPh I, S. 32)

Es sollte daher nicht verwundern, dass Hegel im wohl bekannten und schon zitierten Skeptizismus-Aufsatz gegen einen solchen Begriff der Erkenntnisphilosophie auf eine so große Irritation gestoßen ist. Die Naturalisierung der Epistemologie, in die der Skeptizismus von Schulze fließt, ist der Hauptanlass, warum Hegel einen solchen Skeptizismus als »unphilosophisch« betrachtet (vgl. Verhältnis, S. 197; 199). Diese Ansicht scheint mir nicht ohne weiteres akzeptabel zu sein. Denn eine Sache ist die Behauptung, dass die von der philosophischen Epistemologie versprochenen Ergebnisse – nämlich die Erklärung der Bedingungen der Erkenntnis – mit Hilfe einer empirischen Untersuchung über unsere Kognitionsprozesse auf einer findigen Art und Weise erreicht werden können. Eine andere Sache aber ist der Nachweis, dass die philosophische Epistemologie – oder die transzendentale Erkenntnistheorie, das Modell, das Schulze vor Augen hat – dazu verdammt ist, in der Form einer abstrakten Redeweise aufzutreten, die einige logisch prioritäre Bedingungen von Tatsachen, die als solche angenommen worden sind, ad hoc etabliert. Insofern werden die aus diesen Tatsachen abgeleiteten Bedingungen bloß regressiv gewonnen. Die erste Untersuchung kann gewiss für nicht-philosophisch gehalten werden. Demgegenüber ist die zweite, so kontrovers sie auch sein mag, die Frucht einer streng philosophischen Kritik. Hegels Ansicht scheint mir aber auch wegen eines anderen Grundes unakzeptabel zu sein. Dieser Grund kann unabhängig davon ausgedrückt werden, wie plausibel oder unplausibel der naturalistische Vorschlag von Schulze ist. Es geht darum, dass Hegel annimmt, einer philosophischen Redeweise, welche mit an die empirische ErA

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kenntnis angeknüpften Argumentationsstandards ausgestattet ist, könne keine echte philosophische Dignität zugeschrieben werden. Mit anderen Worten: Hegel setzt voraus, dass es etwas – »Philosophisches« genannt – gibt, das sich von den naturalistisch-empirischen Erklärungsstandards weit entfernt befindet und das diesen Namen nur insofern verdient, als es nichts mit diesen Standards zu tun hat. Dieses Monopol über das Philosophische zugunsten der spekulativen, empirisch nicht angesteckten Redeweise oder zugunsten eines »positiven« Teils der »Erkenntnis des Absoluten« (vgl. Verhältnis, S. 207) oder auch zugunsten einer fundamentalen Erkenntnistheorie zweiten Niveaus (»second order theory«) ist aber rational nicht zu rechtfertigen. Hegel glaubt, den Grund dieser Entgegenstellung zwischen der Philosophie und dem Skeptizismus von Schulze darin gefunden zu haben, dass Schulze das Verfahren der Naturwissenschaften und die Evidenz gewisser »Tatsachen des Bewusstseins« unkritisch, ja sogar dogmatisch angenommen hat (vgl. Verhältnis, S. 206). Dies ist auch einer der Anlässe dafür, warum für Hegel der alte Skeptizismus, verglichen mit dem modernen, überlegen ist. Aber diese Argumentation ist ungerecht. Erstens, weil der Begriff von »Wissenschaft«, der einer empirischen Epistemologie im Sinne Schulzes zugrunde liegt, weder die Relativität, noch die Historizität, noch die Kontingenz ausschließt. Es handelt sich hier nämlich um keinen dogmatischen Begriff von Wissenschaft. Hegel beachtet nicht diese von Schulze so angenommene Auffassung der Naturwissenschaft. Stattdessen behauptet er, dass »weil die Extreme sich berühren«, Skeptizismus und Dogmatismus im gleiche Punkt zusammenfließen (vgl., a. a O, S. 214). Eine solche Ansicht besitzt etwas Wortspielerisches und ist außerdem m. E. nicht treffend oder zumindest nicht zeitgemäß, denn sie wird in einem Moment bekannt gegeben, in dem die Fundamental- oder Transzendentalphilosophie einer ernsthaften Herausforderung ausgesetzt ist, nämlich der Herausforderung, dass die Erkenntnistheorie aus den Händen jener Philosophie weggenommen und der empirischen Studie über die Kognitionsprozesse übergeben wird. Zweitens ist Hegels Argumentation auch deswegen ungerecht, weil, selbst wenn man als einziges Erklärungs- und Rationalitätsmodell dasjenige akzeptieren würde, das sich einer empirischen Kontrolle unterwerfen lässt, nicht einzusehen ist, was das da ist, das so »unphilosophisch« sein soll. Man erkennt dabei zwar eine andere Art des Philosophierens, dagegen aber nicht, dass diese nur deswegen 212

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unphilosophisch ist, weil sie die Erklärungs- und Rationalitätsstandards auf den common sense und auf die empirische Erkenntnis zurückführen will. Ebenso wird dabei evident, dass diese andere Art des Philosophierens von der Suggestion begleitet wird, dass es Probleme gibt, die ursprünglich Besitz der Philosophie waren, die nunmehr von den verschiedenen empirischen Fächern besser erforscht und behandelt werden können. Dies wäre auch beim Problem einer zulänglichen Erklärung der Erkenntnisbedingungen der Fall. Was würde dann der Philosophie übrig bleiben, wenn sie die Erklärung der Erkenntnisbedingungen den empirischen Fächern übergeben hat? Eine Antwort im Schulzeschen Geist: weiterhin die Aufgabe, philosophische Fehler zu entdecken, also die Therapeutik. Schulze hatte auch besondere Gründe dafür, nur zwei Arten des Philosophierens in Betracht zu ziehen: die skeptische und die dogmatische. Die erste sucht die Isostheneia und die Urteilszurückhaltung, wenn es um die Erklärung von Grundsätzen geht; die zweite maßt sich die Aufgabe einer ersten und absoluten Begründung an. Diese Polarisierung ist gewiss extrem. Mit Recht macht Hegel darauf aufmerksam, dass diese zweiparteiische Sicht der Philosophie sehr eingeschränkt ist, vor allem deswegen, weil dabei ein Begriff der Philosophie fehlt, »die nicht ein Dogmatismus ist« (Verhältnis, S. 206). Gleichfall ist aber m. E. gegen Hegel einzuwenden, dass er den Skeptizismus von Schulze aus der Philosophie ausschließt, weil er Ansprüche der spekulativen Philosophie prinzipiell angreift. Zum Gegensatz zum alten griechischen Skeptizismus hat sich nach Hegel Schulzes Skeptizismus von der Philosophie »losgerissen und isoliert« (a. a. O., S. 213). Bei diesem Ausschluss des Skeptizismus aus dem Heiligtum der Philosophie manifestiert sich die Befürchtung, sich mit der Herausforderung auseinanderzusetzen, die eine Denkart wie die von Schulze der philosophischen Erkenntnistheorie stellt. Es ist natürlich evident, dass, falls diese Herausforderung Erfolg hätte, sie die philosophische Erkenntnistheorie mit deren Liquidierung bedroht. Gewiss richtet Schulze seine Waffen gegen die Erkenntnistheorie als »absolute Begründung des Wissens« mit wissenschaftlichen Ansprüchen, die sich trotz dieser Ansprüche keiner empirisch-wissenschaftlichen Kontrolle unterwerfen lässt. Dieser Angriff bringt aber gleichzeitig die Frage nach der echten Erklärungsreichweite der Philosophie mit sich. Und das ist es, worin das Heikle dieser ganzen Diskussion liegt. Woher hat die theoretische Philosophie ihre Wissenschaftlichkeit, wenn sie Widerstand dagegen A

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leistet, Ergebnisse der experimentellen Naturwissenschaften anzunehmen? Aus sich selbst heraus? Wenn nicht aus sich selbst, dann muss sie das Bedürfnis nach Inhalten anerkennen. Eine der wichtigen Pointen des Skeptizismus von Schulze ist aber die, dass diese Anerkennung impliziert, die Beschränkung der rationalen Erklärung durch Gründe sei als Beschränkung der kausalen Erklärung anzusehen. Ein Beleg dafür, dass sich bei Hegel diese Befürchtung gegenüber der Herausforderung von Schulze manifestiert – eine Befürchtung, die ihn dazu führt, den Skeptizismus aus der Philosophie auszuschließen –, kann in seiner positiven Bewertung der zehn Tropen gefunden werden, die nach Sextus Empiricus die Skeptiker vorzugsweise gegen jedes aus der sinnlichen Erkenntnis entstandene Fürwahrhalten angewendet haben. 83 Im Kontrast mit dieser Bewertung kann gesehen werden, dass Hegel den philosophischen Wert der fünf weiteren von den – laut Sextus Empiricus – »neuen Skeptikern« vorgeschlagenen Tropen mit dem Argument negiert, »dass die Absicht dieser fünf Tropen ganz verschieden von der Tendenz der zehn ersten ist, und dass sie allein die spätere Wendung des Skeptizismus gegen die Philosophie betreffen.« (Verhältnis, S. 218). 84 Der Kontrast zwischen der positiven Bewertung der zehn Tropen, die »gegen das, was wir den gemeinen Glauben an die unmittelbare Wahrheit der Dinge nennen, [gehen]« (Vorlesungen, a. a. O.), und der negativen Bewertung der fünf weiteren Tropen, die sich vorzüglich gegen die rationale Erkenntnis orientieren, ist mit dem von Hegel in seinem Skeptizismus-Aufsatz dargestellten Kontrast zwischen dem Begriff eines »wahren« und dem eines »unphilosophischen« Skeptizismus (oder dem eines »Bastardes von Skeptizismus«) eng verbunden. Solange der Skeptizismus dazu beitragen kann, dass die menschliche Vernunft von den Wissensansprüchen abweicht, die auf einer unmittelbaren und sinnlichen Erfahrung beruhen, kann er als nützliches Werkzeug betrachtet werden, das in einem engen ZuVgl. Verhältnis, S. 214 ff.; Sextus Empiricus, Grundriss I, 14 [36–163]. Vgl. Grundriss, I, 15 [164] – [177]. In der Analyse der zentralen Momente des Schulzeschen Skeptizismus gegen die Transzendentalphilosophie habe ich versucht, zu zeigen, wie die fünf »philosophischen Tropen« operieren. K. Düsing hat darauf aufmerksam gemacht, dass die negative Bewertung, die Hegel von diesen fünf Tropen im Skeptizismus-Aufsatz hat, eine Änderung in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie erfuhr. Siehe Düsing (1973), S. 128, Anm. 22. Vgl. Hegel, Vorlesungen (B. II. S. 556).

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sammenhang mit der genuin philosophischen Arbeit steht. Dies ist derjenige Skeptizismus, auf den Hegel sich in einer berühmten Passage der Phänomenologie des Geistes bezieht. Dort ist zu lesen, dass, indem die »Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins« als ein Prozess betrachtet werden kann, durch den man allmählich eine »bewusste Einsicht in die Unwahrheit des erscheinenden Wissen« oder auch des »natürlichen Bewusstseins« gewinnt, sie als »sich vollbringender Skeptizismus« anzusehen ist. 85 Solch eine Idee des »wahren Skeptizismus« steht einer Auffassung der skeptischen Art des Philosophierens, die sich an der Kritik an den Begründungsbemühungen der Philosophen orientiert und diese Bemühungen durch die Vindikation des common sense und der »Tatsache« der empirischen Erkenntnis als bloße Illusionen der Vernunft betrachtet, offensichtlich entgegen. Diese letzte skeptische Denkart ist für Hegel nicht nur unphilosophisch, sondern sogar »barbarisch«. 86 Sofern Schulze als Verteidiger des direkten Realismus und des common sense auftritt, kann sehr wohl angenommen werden, dass die Kritik am naiven empirischen Realismus, die in der Phänomenologie des Geistes dargestellt wird, ihn zum verborgenen Adressat hat. Wenn nicht direkt und ausschließlich Schulze, so hat diese Kritik doch zumindest einen Begriff der unmittelbaren (sinnlichen) Erkenntnis vor Augen. 87 Im Kapitel »Sinnliche Gewissheit« der Phänomenologie des Geistes greift Hegel, wie wohl bekannt, die Ansprüche eines unmittelbaren Wissens an und zeigt, dass die angebliche Unmittelbarkeit einer sinnlichen Erfahrung an sich einer Vermittlung bedarf, die als sprachlich betrachtet werden kann. 88 Um dieses Problem in seiner eigentlichen Dimension einschätzen zu können, ist es notwendig, sich eine Vorstellung von der Kritik Schulzes an der modernen Repräsentationstheorie der Wahrnehmung und seiner Auffassung einer »unmittelbaren Erkenntnis« zu machen. G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 56 (H. v. V.) Dazu Röttges (1987), S. 31–57. 86 »Dieser Barbarei, die unleugbare Gewissheit und Wahrheit in die Tatsachen des Bewussteins zu legen, hat sich weder der frühere Skeptizismus, noch ein Materialismus, noch selbst der gemeinste Menschenverstand, wenn er nicht ganz tierisch ist, schuldig gemacht, sie ist bis auf die neuesten Zeiten in der Philosophie unerhört« Verhältnis, S. 222. 87 Ein anderer möglicher Adressat der Kritik kann selbstverständlich Jacobi sein. 88 Vgl. Phänomenologie des Geistes, bes. S. 70; dazu Düsing (1973), S. 125. 85

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Die repräsentationalistische Auffassung der Wahrnehmung macht nach Schulze das zweite, für den »Erbfehler« der »theoretischen Philosophie« verantwortliche Dogma aus. Das erste ist die eben exponierte Idee einer wissenschaftlichen Philosophie ohne irgendeine naturalistisch-empirische Kontrolle. Wie schon mehrmals gesagt, besteht dieser Fehler darin, den epistemischen Zugang zu einer vom Subjekt unabhängigen Wirklichkeit unmöglich zu machen. Solange eine (hypothetische) Repräsentationsauffassung der Wahrnehmung angenommen wird, kann man nicht umhin – wie Thomas Reid es schon behauptet hatte –, zur Sackgasse des humeschen Skeptizismus zu gelangen. 89 Schulzes Originalität liegt nicht in diesem Beitrag, sondern darin, dass er ihn für anti-skeptische Ziele nicht benützt, wie im Fall von Reid. Schulze bedient sich vielmehr dieses Beitrages, um die moderne Erkenntnisphilosophie von einem ihrer schlimmsten Übel zu »heilen«. Die entscheidende Frage der Interpretation ist die, ob sich Schulzes Heilmittel schlimmer als die Krankheit herausgestellt hat. Durch die Zerstörung der Seinsgründe von dieser Theorie entzieht Schulze der Repräsentationstheorie der Wahrnehmungserkenntnis den Boden. Nach Schulze sind dies prinzipiell drei Seinsgründe: 1) Der erste hat mit dem Bedürfnis zu tun, die Erkenntnis von äußeren Gegenständen verständlich zu machen, ohne dass man dabei das Absurde verteidigen muss, dass »das erkennende Subjekt bei der Erkenntnis eines äußeren Objekts« … »aus sich herausgehen« und »das äußere Objekt in das Subjekt hineingehen würde«. (KthPh II, S. 38). Der Gedanke an dieses absurde »Commercium« zwischen Subjekt und Objekt wäre, so die Repräsentationstheorie, leicht zu umgehen, wenn man annimmt, dass die Erkenntnis eines Objektes durch eine Vorstellung von ihm im Subjekt stattfindet. Ohne eine Repräsentationstheorie der Erkenntnis von Objekten würde man in das erwähnte Absurde geraten. 2) Der zweite Grund für den Repräsentationalismus beruht auf der These des Wahrnehmungsrelativismus. Es muss nämlich (subjektive) Vorstellungen der Wahrnehmungs- und Anschauungsgegenstände geben, während solche Gegenstände wahrgenommen werden, denn sonst wäre die »Verschiedenheit der Wahrnehmung«, die ge-

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Vgl. Th Reid, Inquiry, S. 95–104; 182 ff.; 201 ff.

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mäß der subjektiven Situation oder dem subjektiven Standpunkt tatsächlich stattfindet, nicht erklärbar (vgl. KthPh II, S. 45). 3) Das dritte Argument, das die Repräsentationsthese unterstützt, basiert auf der Möglichkeit des Wollens. Diesem Argument zufolge »[müssen] die Dinge, worauf der Wille gerichtet ist, in dem wollenden Ich selbst sollen liegen.« (KthPh II, S. 51). Gegen die erste Annahme bietet Schulze eine These realistischnaturalistischer Art an. Er denkt nun, dass es vor allem wichtig ist, zu verstehen, worin die Unbegreiflichkeit liegt, die gemäß dem Repräsentationalismus aus einer Erkenntnisauffassung folgen würde, nach der die Erkenntnis von Gegenständen durch Vorstellungen nicht vermittelt wird. Diese Unbegreiflichkeit kann keine logische sein, weil die Auffassung einer direkten durch Vorstellungen nicht vermittelten Erkenntnis von Objekten keinen internen Widerspruch mit sich bringt. Die Unbegreiflichkeit würde dann einfach darin bestehen, dass die These einer unmittelbaren, durch Vorstellungen nicht vermittelten Erkenntnis die Tatsache der Erkenntnis nicht verstehen lässt. »Daraus aber, dass wir nicht einsehen, wie etwas existiere, folgt noch keineswegs, dass es nicht da sein könne.« (KthPh II, S. 39). Aber abgesehen davon, dass aus der Unbegreiflichkeit einer direkten und unmittelbaren Erkenntnis nicht deren Nicht-Existenz folgt, sieht man nach Schulze auch nicht ein, warum die Repräsentationsauffassung jeder Erkenntnis die Erkenntnis von Gegenständen verständlicher machen soll. Der Repräsentationalismus, und insbesondere der Wahrnehmungsrepräsentationalismus, ist mit großen Schwierigkeiten beladen, und zwar grundsätzlich deswegen, weil auf dessen Basis der Zugang zu den Gegenständen verloren geht. In einem Wort: Der Repräsentationalismus sperrt sich im Subjektivismus ein. Auf der anderen Seite besteht die einzige Alternative zu einer Auffassung der durch Vorstellungen vermittelten Erkenntnis nicht darin, das Hineingehen des Objekts in das Subjekt, oder auch das Herausgehen des Subjekts aus sich selbst auf absurde Weise vorauszusetzen. Man könnte vielmehr an eine Auffassung der unmittelbaren Erkenntnis materialistischer Art denken, der gemäß die Gegenstände der empirischen Erkenntnis eine Wirkung nicht gerade auf eine Subjekt-Seele ausüben (denn dies würde das Hineingehen der Materie in das Gemüt widersinnigerweise implizieren), sondern auf eine Art »Kraft« der Seele, »auf den mit ihr innigst verbundenen Körper wirken zu können.« (KthPh II, S. 40). Eine solche Auffassung würde einen epistemischen sinnlichen Kontakt mit Gegenständen ohne irgendwelche A

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Vermittlung von Vorstellungen durchaus verständlich machen, »denn die Kraft der Seele ist ja nicht das Subjekt der Seele selbst, und dieses Subjekt kann immer bleiben, wo es ist, und wo ihr es hinzusetzen Lust habt, wenn gleich die Kraft desselben bis auf von ihr verschiedene, und sogar entfernte Dinge sich erstreckte.« (A. a. O., S. 40–41). Gemäß dieser materialistischen Hypothese können die »Nerven« als dasjenige angesehen werden, was diese Kraft leitet, oder woran deren Wirksamkeit zunächst gebunden ist; und dass ihr endlich von dem Eindrücke des äußeren Gegenstandes auf die in den Sinn-Organen sich ausbreitenden Nerven annehmt, es werde durch denselben die nach außen gehende Kraft der Seele zur Wirksamkeit erregt, und dieselbe, weil dabei das äußere Objekt die Nerven der Sinne unmittelbar berührt, zum Empfinden und Anerkennen dieses Objekts bestimmt.« (A. a. O.)

Gegen den zweiten auf dem Wahrnehmungsrealitivismus basierenden Grund für den Repräsentationalismus bietet Schulze eine kurze Analyse der unterschiedlichen Leistungen unserer Sinne an, um zu zeigen, dass die Unterschiede, die sich in der Wahrnehmungssituation ergeben, nicht der Empfindung als solcher, sondern den Urteilen und Schlüssen zugeschrieben werden sollten, die unterschiedliche Subjekte aus direkt gegebenem Material herausziehen. Bei dieser Analyse belegt die Untersuchung des Tatsinnes einen wichtigen Platz, da dieser Sinn derjenige ist, der »uns am zuverlässigsten über das Dasein der ihn unmittelbar berührenden äußeren Gegenstände belehrt, weil mit ihnen das lebhafteste Bewusstsein unsers Körpers verbunden ist.« (A. a. O. S. 47) Der Geschmackssinn und der Geruchssinn liefern wenige Information über einen objektiven Sachverhalt. Bei ihnen ist der subjektive Zustand, der aus der Affektion des Sinnesorganes durch etwas Äußerlichen resultiert, sehr dominant. Daher sind die Unterschiede der subjektiven Perspektiven bezüglich des Geschmacks- und des Geruchssinnes so groß. Diese Unterschiede liegen aber nicht darin, dass das Subjekt Vorstellungen oder Bilder von äußerlichen Sachen besitzt. Sie sind vielmehr Unterschiede, die das Empfindungssubjekt mit Bezug auf seine äußerlichen Eindrücke betreffen. Schulzes Schluss seiner kurzen und in einem gewissen Sinne armen Analyse der Sinne lautet: Was wir aber eben von der Veränderlichkeit der Empfindungen desselben äußern Gegenstandes bei demselben Menschen dargetan haben, das gilt auch von der Verschiedenheit der Empfindungen, welche mehrere Menschen von

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einem und demselben Gegenstande haben. Diese Verschiedenheit betrifft nämlich, wenn ihr nicht die Verdorbenheit oder natürliche Mangel des SinnOrgans bei dem einen Menschen zum Grunde liegen, nicht so wohl dasjenige, was in der äußern Empfindung Erkenntnis von etwas Objektiven außer unserem Körper ist, sondern entweder die diese Empfindungen begleitenden angenehmen und unangenehmen Gefühle, oder noch weit öfterer die Urteile, welche durch den Verstand mit den Empfindungen verbunden werden. Folglich liefert auch diese Verschiedenheit keinen Beweis davon, dass die Empfindung äußerer Objekte aus nichts weiter, als aus einer bei verschiedenen Menschen verschieden bestimmten Vorstellung bestehe. (A. a. O. S. 50)

Letztendlich stellt Schulze dem auf der Möglichkeit des Wollens basierenden repräsentationalistischen Argument keine These entgegen, die verneint, dass der Wille sich etwas vorstellt, bevor er es gehabt oder hervorgebracht hat. Stattdessen behauptet er, dass aus der nicht zu verneinende Tatsache, dass der Wille sich seine Gegenstände vorstellt, bevor er sie hat oder hervorbringt, nicht folgen kann, dass jede Erkenntnis mittelbar (oder durch Vorstellungen vermittelt) ist. Das Wollen, oder der Wille, richtet sich zwar auf die Zukunft und beschäftigt sich nicht so sehr mit gegenwärtigen Gegenständen. Insofern bezieht sich das Wollen mittelbar auf seine Gegenstände. »Dass aber zum Wollen eine mittelbare Erkenntnis als Bedingung desselben unentbehrlich ist, das beweist doch nicht, dass alle Erkenntnis durch Vorstellungen vermittelt werden müsse.« (A. a. O. S. 52). Kein Erkenntnistheoretiker beabsichtigt nun, das erkennende Subjekt in ein Subjekt zu verwandeln, das nur will oder ausschließlich in einem ständigen Sich-Projektieren auf die Zukunft lebt. Es ist zu bemerken, dass Schulze der Repräsentationstheorie der Wahrnehmung eine realistisch-materialistische Theorie des sinnlichen epistemischen Kontakts mit Gegenständen gegenüberstellt, aber dies nur dergestalt, dass die letztere als bessere Erklärungshypothese angesehen werden sollte. Seine Absicht ist eigentlich zu zeigen, dass diese Hypothese durchaus verständlich und plausibel ist. Sie ist vor allem mit der täglich bestätigen Tatsache verträglich, dass wir in unserem epistemischen Verhältnis zur Welt einen Bezug auf materielle und wirkliche Gegenstände und nicht bloß auf Vorstellungen oder Bilder von diesen Gegenständen haben. Wie das denn möglich ist, ist etwas, das Schulze nicht zu erklären beansprucht. Näher betrachtet ist seine Meinung die, dass dies nicht erklärt werden kann. Gewiss ist auf jeden Fall, dass die Repräsentationshypothese mit dieser täglich bestätigten Tatsache offensichtlich zusammenstößt, und A

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das ist einer der Gründe, die dazu führen, sie als Fehler zu stigmatisieren. Man könnte gewiss denken, dass das von Schulze vorgeschriebene Heilmittel schlimmer als die Krankheit ist, wenn er mit seiner Theorie der unmittelbaren Erkenntnis mehr im Sinne hätte, als sozusagen eine Rettung der Realität der Erkenntnis von Objekten; d. h., wenn er damit einen Begriff der Erkenntnis vorschlagen würde, gemäß dem Wahrheits- und Objektivitätsansprüche erhoben werden, die größer als die einfache Bestätigung einer empirischen und wirklichen Affektion sind. Aber Schulze hat dies nicht im Sinne, und das kann gesehen werden, wenn man einen Blick auf den Unterschied wirft, den er zwischen einer »unmittelbaren« und einer »mittelbaren Erkenntnis« macht. Obwohl dieser Unterschied in der KthPh (vgl. I, S 56–74) wesentlich ist, finden wir in der Logik eine sehr konzise und prägnante Formulierung von ihm: Der Mensch ist einer unmittelbaren und mittelbaren Erkenntnis fähig. Jene ist das Bewusstsein eines gegenwärtigen Gegenstandes und heißt Wahrnehmung, wird aber auch in Rücksicht auf gewisse Beschaffenheiten derselben Anschauung, Empfindung und Gefühl genannt. Die mittelbare Erkenntnis hingegen besteht aus dem Bewusstsein der Vorstellung von einem Gegenstande, die zwar etwas Anderes als dieser Gegenstand ist, gleichwohl aber ein Mittel ausmacht, ihn zu erkennen. – Sich etwas durch Begriffe vorstellen, heißt Denken. Die durch Vergleichung und Zergliederung der Begriffe erhaltene Erkenntnis wird die diskursive genannt. (Logik, S. 1)

Was Schulze bei der Unterscheidung von diesen beiden Erkenntnistypen hervorheben will, ist, 1) dass die so genannte unmittelbare Erkenntnis sich auf einen wirklichen Inhalt bezieht, und 2) dass der Unterschied zwischen einem unmittelbaren epistemischen Kontakt mit einer sinnlichen Wirklichkeit und der Vorstellung kein Unterschied ist, der mit einem größeren Lebhaftigkeitsgrad des ersteren gegenüber dem zweiten zu tun hat (wie Hume es bei dessen Unterscheidung zwischen »impressions« und »ideas« glaubte), 90 sondern dass es sich um »einen inneren und qualitativen« Unterschied handelt. (Vgl. Logik, S. 2) Außer dem »inneren und qualitativen« Unterschied zwischen »Wahrnehmung« und »Vorstellung« (aber auch »Dichtung«) ist hier D. Hume, Treatise, I, Part I, Sec. I, S. 1 ff. Der Einfluss von Reid auf Schulze ist hier offensichtlich.

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wichtig, vier weiteren Aspekten der schulzeschen Theorie Rechnung zu tragen: i) Die Rolle der »Aufmerksamkeit« in der so genannten unmittelbaren Erkenntnis oder in der Wahrnehmung: Durchs Wahrnehmen werden nur einzelne wirkliche und gegenwärtige Dinge erkannt, und die darin enthaltene Erkenntnis hat keine Beziehung auf etwas von diesen Dingen noch Verschiedenes. Das Entstehen der Wahrnehmungen hängt aber, mit Ausnahme der dazu nötigen Aufmerksamkeit auf die Gegenstände derselben, von Bedingungen ab, die außer der Selbstmacht des menschlichen Geistes liegen. (Logik, S. 2)

ii) Die Idee, dass die Vorstellungen, »immer auf etwas [gehen], das nicht gegenwärtig ist« (a. a. O.), können real (wenn sie sich auf etwas Reales beziehen), oder leer (wenn sie sich auf nichts beziehen) sein. iii) Die Vorstellungen können einzelne oder besondere auf der einen Seite, oder allgemeine und gemeinsame Vorstellungen (Begriffe) auf der anderen Seite sein (a. a. O., S. 3). iv) Letztlich denkt Schulze, dass sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Erkenntnis einer Ausbildung und Kultivierung fähig ist: Die Ausbildung der unmittelbaren Erkenntnis wir durch die Erhöhung der Aufmerksamkeit auf die absoluten und relativen Beschaffenheiten des Wahrgenommenen bewirkt. Das Höchste in der Ausbildung mittelbarer Erkenntnis ist aber Wissenschaft, welche ein Erzeugnis des Verstandes oder der Vernunft, ausmacht, wenn auch Wahrnehmung und Erfahrung den Stoff dazu geliefert haben. (A. a. O., S. 5)

Schulzes Auffassung der von ihm genannten mittelbaren Erkenntnis ist gewissermaßen sehr prekär. Das kann in seiner Verteidigung der Abbildtheorie erkannt werden, die seinem Begriff einer »realen Vorstellung« zugrunde liegt (vgl. KthPh I, S. 68). Etwas misslich ist auch der Ausdruck »unmittelbare Erkenntnis«, denn er suggeriert prima facie eine contradictio in adjecto. Trotz der Bedenklichkeit dieser Theorie sollten in der schulzeschen Charakterisierung einer »unmittelbaren Erkenntnis« diejenigen Bestandteile hervorgehoben werden, die sie von einer Theorie der Wahrnehmung, die naiv-realistisch genannt werden könnte, unterscheiden. Der erste von ihnen ist der, dass der unmittelbaren Erkenntnis keine Wahrheitsansprüche zugestanden werden. Die Wahrheitsansprüche einer Erkenntnis betreffen das Urteil und gehören daher zur mittelbaren Erkenntnis, bezüglich derer nur das Problem der Übereinstimmung relevant ist. Ein A

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anderer nicht-naiver Bestandteil der schulzeschen Charakterisierung der »unmittelbaren Erkenntnis« besteht in der Rolle, die dabei der »Aufmerksamkeit« zugewiesen wird. Schulze scheint dabei an eine Fähigkeit zu denken, bewusst ohne diskursive oder propositionale Vermittlung zu sein. Diese Auffassung einer unmittelbaren und nicht-diskursiven Aufmerksamkeit scheint gewiss bezüglich der Identifikation ihrer Gegenstände und nicht bloß ihres Verhältnisses zu einer rohen und unbearbeiteten materiellen Realität nicht die erklärungsfähigste aller Theorien der Wahrnehmung zu sein. Diese Auffassung verleitet in ihrer Vagheit dazu, an eine Art »Wahrnehmungsunmittelbarkeit« zu denken, als ob es sich dabei um einen reichen von materiellen Inhalt vollen, aber losgelösten und isolierten photographischen Augenblick handeln würden – etwas, das schon beim humeschen Begriff der »impression« und bei der heutzutage kaum eingeschätzten Theorie der »sense-data« viel Unzufriedenheit stiftete. Darüber hinaus wird dem gegenwärtigen philosophischen Leser, der daran gewöhnt ist, zu hören, die Theorie der »sense-data« sei definitiv überholt, Hegels Nachweis der internen Unkohärenz im Begriff einer unmittelbaren Erkenntnis, oder im Begriff einer unmittelbaren und nicht-diskursiven Aufmerksamkeit mit Recht bewundernswert scheinen. 91 All das ist zweifellos zuzugeben. Trotzdem muss m. E. die heutige Interpretation in diesem Punkt auf zweierlei Aspekte hinweisen. Erstens darauf, dass die Auffassung eines epistemischen und nicht-diskursiven, sondern eher materiell-kausalen Kontaktes unserer Wahrnehmungsapparatur mit der materiellen Umwelt weit davon entfernt ist, als überholt betrachtet zu werden. Wie dann der Gegenstand der Wahrnehmung auf der Basis dieses Kontaktes konstituiert wird, ist eine ganz andere Frage. Und zweitens darauf, dass dieses ein Problem ist, das eine lediglich philosophische und argumentative Epistemologie ohne Hilfe anderer empirischer Fächer nicht zu lösen zu vermögen scheint. Diese beiden wertvollen Suggestionen finden wir bei Schulze klarerweise skizziert. In diesem Sinne scheint nicht zufällig zu sein, dass W. Sellars, der Hegel den »great foe of ›inmediacy‹« nennt, (Sellars 1968, S. 253), seiner Kritik an dem »Myth of the Given« den Namen »Meditations Hegeliènnes« gibt (a. a. O., S. 276). Auf eine ähnliche Weise kann die Bemerkung J. McDowells, der Sellars Kritik reichlich lobt, angesehen werden, der zufolge sein Buch als eine Art »Prolegomenon« zur Lektüre der Phänomenologie des Geistes betrachtet werden kann. (Vgl. McDowell 1996, S. IX). Dazu Bowie (1996).

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Letztendlich kann nicht genug darauf insistiert werden, dass Schulze mit der Einführung der Theorie einer »unmittelbaren Erkenntnis« vor allem darauf abzielt, Realität und materiellen Inhalt für unseren epistemischen Kontakt mit der Umwelt zu gewinnen. Dass er mit diesem Gewinn auch weiterhin auf die Wichtigkeit des philosophischen Skeptizismus und auf den Wert des Tropus der Relativität insistiert hat, verleitet dazu, zu denken, Schulze war sich dessen bewusst, dass mit diesem Gewinn das Streben des transzendentalen Erkenntnistheoretikers nach einer rationalen Vereinigung, d. h. sein transzendental-philosophisches Bedürfnis, die Einzigartigkeit eines fundamentalen Begriffschemas zu etablieren, nicht aufhören würde. Die einfache und für manch einen etwas grobe Überzeugung davon, dass es eine einzige materielle Wirklichkeit gibt, die wir alle teilen und die qualitativ unterschieden von all dem ist, was bei jedem von uns in seinem Gemüte vorkommt, ist keine zufrieden stellende Antwort für denjenigen, der sich so sehr damit beschäftigt, jene Einzigartigkeit eines Begriffschemas zu finden. Schulze war dieser Disparität bewusst. Dies manifestiert sich klarerweise bei der Hauptidee seiner Philosophie – die Idee nämlich, dass empirischer Realismus und philosophischer Skeptizismus durchaus komplementär sein können. Und diese Suggestion scheint mir noch heute immens wertvoll.

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Kapitel III Salomon Maimon: Die Transzendentalphilosophie zwischen Spekulation und Skeptizismus Die kritische und skeptische Philosophie stehen ohngefähr in eben dem Verhältnis, wie der Mensch und die Schlange nach dem Sündenfall, wo es heißt: Er (der Mensch) wird dich treten aufs Haupt (das heißt, der kritische Philosoph wird immer den skeptischen mit der, zu einer wissenschaftlichen Erkenntnis erforderlichen Nothwendigkeit und Allgemeingültigkeit der Prinzipien beunruhigen); du aber (Schlange) wirst ihn an der Ferse beissen (das heißt: der Skeptiker wird immer den kritischen Philosophen damit necken, daß seine nothwendigen und allgemeingültigen Prinzipien keinen Gebrauch haben). Quid facti? S. Maimon Streifereien, GW. IV, S. 80

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§ 1. Einleitung Im letzten Teil seiner beeindruckenden Autobiographie bezeichnet Salomon Maimon (1754–1800) seine Philosophie als ein »Koalitionssystem«, das darauf basiert, sich die kantische Philosophie zu eigen gemacht zu haben, nachdem man das gleiche schon mit der Philosophie Spinozas, Humes und Leibniz’ getan hat. 1 Mit der Aneignung der Philosophie eines anderen Autors versucht Maimon, »diese durch eigenes Nachdenken deutlich zu machen, und also in dem Sinn des Verfassers einzudringen«. Das ist für ihn dem Unternehmen äquivalent, »sich in ein System hineinzudenken« (Lebensgeschichte, S. 202). Dabei handelt es sich um eine Interpretationsweise, die er schon kennen gelernt hatte, als er sich als junger Mann in Litauen dem Talmudstudium widmete. Jene vermeintliche Koalition zwischen so unterschiedlichen Philosophiesystemen, die sogar völlig inkompatibel miteinander sind, wie die oben erwähnten, könnte, wenn überhaupt, für das erste und bekannteste philosophische Werk Maimons – den Versuch über die Transzendentalphilosophie gültig sein. Die vorliegende Deutung der maimonschen Philosophie orientiert sich zwar an seinem oben zitierten Ausspruch, nicht aber, weil man davon ausgehen kann, dass ihn die erwähnte Koalition wirklich zu einem Ergebnis gebracht hätte, sondern weil diese Erklärung über die drei wichtigsten Aspekte seiner Philosophie Auskunft gibt: den transzendentalen, den spekulativen und den skeptischen. Die Philosophie Maimons ist nicht das Ergebnis einer systematischen Vereinigung dieser drei Aspekte (was vielleicht auch gar nicht möglich wäre), sondern sie ist vielmehr eine Art Bewegung von dem einen zum anderen, die durch die Unmöglichkeit, jeden einzelnen dieser Aspekte isoliert zu verteidigen, zwingend notwendig wird. Diese Unmöglichkeit ist den internen Schwierigkeiten zuzuschreiben, die einer transzendentalen Erklärung der objektiven Erkenntnis innewohnen, wenn genauso über die »VollVgl. Lebensgeschichte, S. 202. Im fortlaufenden Text werden die Werke Maimons nach der Seitengebung der siebenbändigen Ausgabe seiner Gesammelten Werke (GW), herausgegeben von Valerio Verra, zitiert; ausgenommen davon sind nur drei seiner Schriften: Versuch über die Transzendentalphilosophie (1790) (im Weiteren VT), Versuch einer neuen Logik oder Theorie des Denkens (1794) (im Weiteren VnL) und Salomon Maimons Lebensgeschichte von ihm selbst geschrieben (1792/93) (im Weiteren Lebensgeschichte). Ich zitiere VT und VnL nach der Originalseitennummerierung und Lebensgeschichte nach der neuen Ausgabe von Zwi Batscha (Frankfurt, 1984). 1

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Einleitung

ständigkeit« dieser Erkenntnis Auskunft gegeben werden soll wie über die Voraussetzungen der Erklärung selbst. Ich möchte hier zeigen, dass das Wertvollste und Bedeutendste an Maimons Beitrag erkennbar wird, wenn man die Beschreibung seiner eigenen Philosophie als »Koalitionssystem« zwischen Rationalismus, Skeptizismus und Transzendentalphilosophie interpretiert, und zwar in folgender Art und Weise: Maimon erfasst den meta-theoretischen Charakter der transzendentalen Erklärung der Erkenntnis und er erkennt das unbefriedigende Ergebnis, zu dem diese Erklärung notgedrungenerweise führt. Was an der Transzendentalphilosophie unbefriedigend ist, kann man auf zwei Arten herausstellen: zum einen reicht sie nicht, um mithilfe der Mittel des kantischen Kritizismus auf die Frage zu antworten, die sie sich selbst mit dem Ziel, die Objektivität der Erfahrung zu erklären, zu ihrer Grundfrage gemacht hat: nämlich die Frage nach der Beziehung zwischen den Kategorien (und den propositionalen Einstellungen im Allgemeinen) und den Anschauungen (und den nicht-logischen epistemischen Elementen im Allgemeinen). Maimon denkt, dass man für dieses Problem, das er mit der kantischen Frage quid juris? zusammenfasst, unter den Voraussetzungen der kritischen Philosophie keine Lösung finden kann. Um ihm aber eine befriedigende Lösung zu geben, ist es notwendig, Voraussetzungen heranzuziehen, die unsere sinnlichen Fähigkeiten nicht so extrem weit von unseren intellektuellen Fähigkeiten entfernen, wie das bei Kant der Fall war. Solche Voraussetzungen sollten leibnizscher Art sein. Das könnte man die rationalistische Antwort auf das quid juris-Problem nennen. 2 Trotzdem scheint es mir doch angemessener, diese Lösung als »spekulativ« zu bezeichnen, da die Theorien, die Maimon zu seinem Lösungsvorschlag heranzieht, nämlich die Theorie der Differenziale der Empfindung und den Begriff des unendlichen Verstandes, nicht in dogmatischer oder vorkritischer Form angewandt werden, sondern viel vorsichtiger als eine Hypothese von ideellem Charakter, deren Annahme erst dann nötig wird, wenn man der Frage quid juris? – so wie er sie selbst auslegt – eine Lösung zu geben sucht. Maimons »Rationalismus« ist hypothetisch, das heißt, die »vollständige Auflösung« des quid juris-Problems »führt notwendig auf das spinozistische oder leibnizische Dogmatism« (Lebensgeschichte, S. 202). Aber das kann nur geschehen, wenn eine so 2

Vgl. VT, S. 9; 32 ff.; 63 ff. Siehe auch Engstler (1990), S. 47 ff. A

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genannte vollständige Auflösung möglich ist. Die Beziehung von einerseits begrifflichen und logischen Elementen und andererseits intuitiven (und sogar empirischen) Elementen in unserer Erkenntnis ist jedoch eine Tatsache. Es geht jetzt eigentlich um das philosophische Verständnis dieser Tatsache. Die rationalistische Hypothese sollte also im Rahmen einer Übung des philosophischen Verständnisses der erwähnten Tatsache betrachtet werden. Das Merkwürdige dabei ist, dass diese Verständnisübung die üblichen Standards der Verständlichkeit zu überschreiten scheint. In diesem Sinne rechtfertigt sich der Gebrauch des Terminus »spekulativ«. Der andere Sinn, in dem die Transzendentalphilosophie zu einem unbefriedigenden Ergebnis führt, ist an den Begriff der Erfahrung gebunden, den die kantische theoretische Philosophie benutzt, um die objektive Gültigkeit der Gesetze und Begriffe zu beweisen, die ihrer Strukturierung dienen. Laut Maimon setzt Kant den Begriff einer durch a priori Gesetze und Begriffe strukturierten Erfahrung als unstreitbares Faktum voraus. Die Legitimität dieser Voraussetzung ist aber nicht ohne weiteres annehmbar. In Hinsicht auf die Unmöglichkeit, mit Gewissheit auf die quid facti-Frage zu antworten, tritt an dieser Stelle der »skeptische Charakter« der Philosophie Maimons in Erscheinung. Auch wenn Maimon nicht der einzige ist, der die Schwäche der kantischen Erkenntnistheorie in der Annahme des Faktums der Erfahrung aufzeigt, 3 so sollte man doch beachten, dass sein »kritischer Skeptizismus« (GW III, S. 420) oder sein »empirischer« (VT, S. 436) bzw. »begründeter Skeptizismus« (GW V, S. 53), wie er ihn auch nennt, eine etwas weiter vorangeschrittenere Position ist, als das bloße Infragestellen des Faktums der Erfahrung so wie Kant diese Letzte auffasst. Maimon stellt dieses Faktum in Frage, um zu einem skeptischen Standpunkt hinsichtlich jedweder Art einer Beziehung zwischen der a priori Erkenntnis und den empirischen Objekten zu gelangen. In der vorliegenden Abhandlung wird man Maimons Erklärung ernst nehmen, laut der seine Philosophie ein »Koalitionssystem« ist, in dem Humes Skeptizismus, die spekulative Verarbeitung von leibnizschen und spinozistischen Motiven und der transzendentale Ansatz über die Möglichkeit einer objektiven Erfahrung zusammenfließen. Die Grundidee dieses Kapitels besteht trotzdem darin zu zeigen, Diese kritische Beobachtung gegenüber der kantischen Philosophie war während der ersten Jahre der Rezeption der KrV mehr oder weniger üblich (Vgl. supra I § 5).

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dass eine solche Koalition weder möglich ist noch dass sie in der Philosophie Maimons erreicht wird, sondern dass Maimons Philosophie vielmehr als eine Schwankung zwischen den erwähnten Standpunkten gesehen werden sollte. Der Deutungsansatz ist hierbei, dass die Philosophie Maimons grundsätzlich aporetisch ist. Das bedeutet, dass der transzendentale Standpunkt nur dann angenommen werden kann, wenn man eine rationalistische und spekulative Lösung für seine wesentlichsten Probleme findet, gleichzeitig aber andere Fragen im Ungewissen lässt oder skeptisch betrachtet. 4 Mit anderen Worten könnte man auch sagen, dass der eigentümlichste Standpunkt in Maimons Philosophie – der transzendentale – in Bezug auf die Lösung des Grundproblems der Transzendentalphilosophie (das quid juris-Problem) wie in Bezug auf die Voraussetzung, von der die besagte Philosophie ausgeht (die Erfahrung, so wie Kant sie auffasst: quid facti), genauso auf einen spekulativ-rationalistischen Standpunkt wie auf einen skeptischen zurückgeht. Allerdings sollte man bedenken, dass es sehr schwierig ist, wenn nicht sogar unmöglich, zwischen diesen drei Standpunkten das Gleichgewicht zu halten. Ich will hier zeigen, dass das Maimon auch nicht gelingt, sondern dass sich sein Versuch, diese drei Standpunkte miteinander zu vereinen, vielmehr dem gleicht, von einem dieser drei Grundsteine zum anderen zu springen, ohne auf einem von ihnen still stehen bleiben zu können, da er sofort das Gleichgewicht verlieren würde, wobei er aber auch nicht auf allen dreien zur gleichen Zeit stehen kann. Der aporetische Charakter der Philosophie Maimons tritt in seinem Erstlingswerk (in Versuch über die Transzendentalphilosophie) stark hervor – ein Werk, das extrem dunkel und ausgesprochen chaotisch ist. Ich denke, was Maimons Philosophie so wertvoll macht, ist die Tatsache, dass in ihr Aporien aufkeimen, die schon in der kantischen Philosophie enthalten sind. Das kann man sehen, wenn man die Nähe betrachtet, in der VT zur KrV steht. 5 In späteren Werken, in denen die Anordnung der Themen und die Präzisierung der Schwerpunkte besser gelungen zu sein scheinen, oder zumindest weniger konfus sind, kann man beobachten, dass Maimon einen eher transzendentalen Standpunkt annimmt und dass die rational-spekulative Der aporetische Charakter von Maimons Philosophie wurde in letzter Zeit immer stärker hervorgehoben. Vgl. Bransen (1989), bes. S. 100 ff.; Engstler (1990), S. 13 ff.; S. 243 ff. 5 Maimon betrachtet VT als einen Versuch die KrV zu erklären (vgl. VT, S. 8 f.). 4

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Alternative immer mehr vernachlässigt wird. 6 Das wird vor allem mit der Formulierung des »Satzes der Bestimmbarkeit« in VnL sichtbar. Seit dieser Formulierung besteht Maimon nicht mehr so sehr auf seine Differenzialtheorie und den Begriff eines unendlichen Verstandes. Diese, um es so zu sagen, Entscheidung für den transzendentalen Weg und der Verzicht auf die spekulative Alternative konnten nur auf Kosten des Problems stattfinden, das die spekulative Auffassung notwendig gemacht hatte; nämlich das quid juris-Problem: Wie kann man über den Bezug von unseren Strukturen der Verständlichkeit einer realen Welt auf jene Welt Auskunft geben? Dieses Problem ist bei Maimon eng mit dem Problem verbunden, die Frage nach dem (empirisch) »Gegebenen« verständlich zu machen. Und hier wird der Tanz mit dem Skeptizismus virulent. Die Betonung auf den aporetischen Charakter der Transzendentalphilosophie zu setzen, d. h. auf die Unmöglichkeit, ihre entscheidenden Probleme in Anwendung ihrer theoretischen Hilfsmittel zu lösen, ist eine der möglichen Herangehensweisen, mit Hilfe derer die besagte Philosophie verstanden werden kann. Es geht um ein Verständnis der Gründe für die Probleme, die sie zu lösen anstrebt, und der Gründe für ihre Unfähigkeit, diese Probleme zu lösen. Diese Art und Weise die Transzendentalphilosophie zu verstehen, ist m. E., wenn auch nicht die richtigste und angemessenste (oder einzige), so doch zumindest eine der interessantesten und reichesten. Die Bedeutung der Philosophie Maimons liegt demnach auch in der Tatsache, dass Maimon den Problemreichtum der kantischen Philosophie voll ausgeschöpft hat. Wie im Fall von Schulze-Aenesidemus steht meine Bewertung von Maimon der Standardinterpretation entgegen, nach welcher seine Philosophie als ein Übergang in der progressiven Entwicklung der Philosophie von Kant bis Fichte betrachtet wird, d. h. als ein Übergang von den internen Schwierigkeiten der kritischen Philosophie zur Lösung dieser Schwierigkeiten durch ein spekulatives Begründungsunternehmen. 7 Ich beziehe mich hauptsächlich auf VnL und sein Spätwerk Kritische Untersuchungen über den menschlichen Geist (1797) in GW VII. 7 Diese progressive Standardvision wird beinahe von der gesamten Literatur über die Entwicklung der deutschen postkantischen Philosophie geteilt. Eine Äußerung von Kuno Fischer könnte veranschaulicht das sehr gut: »Es ist das große Verdienst der Skeptiker nach Kant, dass sie der kritischen Philosophie diese Alternative klar machen: entweder umkehren von Reinhold und Kant bis zu Hume und Berkeley, als ob die Vernunftkritik keine Epoche gemacht habe, oder fortschreiten durch Aenesidemus und 6

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Einleitung

Maimon wurde als Denker von denjenigen seiner Zeitgenossen sehr geschätzt, die eine radikal idealistische Wiederaufnahme der Fragen der Transzendentalphilosophie vorantrieben. Für Fichte ist bekanntlich der Verdienst Maimons in der postkantischen Geschichte unschätzbar. 8 Ähnliches lässt sich in Bezug auf Schelling sagen. 9 Der Fall Hegels wurde in der Sekundärliteratur schon ausführlich behandelt. 10 Man könnte sehr gut annehmen, dass der aporetische Charakter der Transzendentalphilosophie Maimons und seine sui generisVerteidigung von einem skeptischen Standpunkt aus auch als Motor fungiert hätten, der den deutschen idealistisch spekulativen Eifer ausgelöst hat, mit dem man die Paradoxien der kantischen Philosophie auflösen wollte oder mit dem theoretische Ansätze vorgeschlagen wurden, die nicht für die besagten Paradoxien anfällig wären. Nichtsdestotrotz sollte eine Interpretation der maimonschen Philosophie von der Sichtweise Abstand nehmen, dass die Spannungen der Transzendentalphilosophie durch die Ansätze des deutschen IdeaMaimon hindurch zu einem Ziele, welches nicht zweifelhaft sein kann! Denn verbinden wir die Elementarphilosophie und den Skeptizismus, so dass wir mit Reinhold die Einheit des Grundsatzes und mit Maimon die Unmöglichkeit des Dinges an sich behaupten, so kann das Ergebnis in der Tat kein anderes sein, als Fichtes Wissenschaftslehre. Daher auch Fichtes »grenzenlose Achtung« vor dem Talente Maimons. Er wusste wohl, dass der Weg, den die Philosophie von Kant zu ihm gemacht habe, durch Maimons Standpunkt führe.« (Fischer: 1900, S. 86 f.) Siehe Frank (1997), S. 114–132. Der vielleicht wichtigste Autor innerhalb dieser Interpretationslinie über Maimon könnte Atlas (1964) sein. 8 »Was Maimon anbelangt, sage ich Ihnen, was ich denke. Meine Verehrung für das Talent dieses Mannes ist grenzenlos; und ich glaube fest, dass durch ihn sogar die kantische Kritik, so wie sie durchgängig, und auch von Ihnen verstanden worden, völlig umgestoßen wird. Das alles hat er getan, ohne dass jemand merkte. Die zukünftigen Jahrhunderte werden, glaub ich, unseres Zeitalters spotten.« (Brief von Fichte an Reinhold im Frühjahr 1795, siehe Fichte: Gesamtausgabe III, 2, S. 275). Über den Einfluss Maimons auf Fichte siehe Gueroult (1930), S. 110–134. 9 Siehe Frank (1997), S. 132. Hinsichtlich des VnL sagt Schelling, dass dieses Werk, »einer anstrengendern Prüfung würdig ist, als« er »bis jetzt widmen konnte«. Der VnL »belehrt, dass man das Bedürfnis einer vollkommenen Auflösung des gesammten Problems, das bisher allen Versuchen einer allgemeingültigen Philosophie im Wege lag, allgemeiner zu fühlen anfange, als es bisher der Fall zu sein schien.« (Schelling: 1985, S. 15). 10 Siehe Verra (1976), S. 684; Moiso (1972), S. 70 ff.; Bergman (1967), Kap. XIII. Friedrich Kuntze behauptet, dass »[e]s die Aufgabe einer eigenen Untersuchung [wäre], zu prüfen, ob die Hegelsche Vollendung der »objektiven« Logik in der »subjektiven« am Ende auf einen direkten Einfluß Maimons zurückgeht, und ob die Art des dialektischen Fortschreitens vielleicht die Maimonische Identität von Begriff und Gegenstand des Begriffes voraussetzt« (Kuntze: 1912, S. 345). A

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lismus aufgelöst werden. Denn diese Auflösung muss man nicht als notwendig erachten. Die Transzendentalphilosophie kann stattdessen sehr wohl als eine Philosophie betrachtet werden, die aufgrund der Aufgabe, die sie sich stellt und aufgrund ihrer Voraussetzungen zwangsläufig in Spannung steht. Dass sie in die Richtung weitergehen muss, die ihr der deutsche Idealismus aufgezeigt hat oder dass sie zum Rückschritt verurteilt sei (wie Kuno Fischer behauptet), ist nicht notwendigerweise ihr einziger Ausweg. Es ist genauso gut denkbar, dass man die Transzendentalphilosophie auch als eine Philosophie in Spannung annehmen könnte. Vielleicht dachte Maimon genau an diese Möglichkeit, als er am Schluss des VT Shaftesbury zitierte: You know too, that in this academic philosophy, I am to present you with, there is a certain way of Questioning and Doubting which no-way suites the Genius of our Age. Men love to take party inflantly. They can’t bear being kept in suspence, the Examination torments’em, they want to be rid of it, upon the easiest terms. ›Tis as if men fancy’d themselves drowning whenever thay dare trust to the current of Reason. They seem hurrying away, they know not whither, and are ready to catch at the first twig. There thay chuse afterwards to hang, tho ever so insecurely, rather than trust their strength to bear them above water. He who has got hold of an Hypothesis how flight soever is satisfy’d. He can presently answer every Objection, and with a few Terms of Art give an Account of every thing without trouble. (VT, S. 444) 11

Und etwas weiter unten beruft er sich auf den Geist der Talmudgelehrten: »Die Schüler der Weisheit finden keine Ruhe, weder in diesem noch in dem künftigen Leben« (ebd.). Im Folgenden werde ich die wichtigsten Momente der theoretischen Philosophie Maimons vorstellen, und zwar mit dem Ziel, seine paradoxe Bewegung zwischen Transzendentalismus, Spekulation und Skeptizismus deutlich zu machen. Ich beanspruche nicht, eine erschöpfende Darstellung von Maimons Philosophie anzustreben. Vielmehr bin ich daran interessiert, die theoretischen Motive zu zeigen, die eine Schwankung zwischen den drei erwähnten Standpunkten notwendig machen, hat man erst einmal einen transzendentalen Standpunkt angenommen. Diese Interpretationsmethode ist in gewisser Weise dem problematischen Charakter der Philosophie Maimons angemessen und kann mit deren Einordnung als skeptische Art zu philosophieren in Zusammenhang gebracht werden, da die erwähnte Schwankung selbst eine Entscheidung in Betracht auf die 11

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Auch als Epigraph zu VnL eingesetzt.

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Transzendentalphilosophie

Aufgaben, die die Transzendentalphilosophie zu lösen versucht, unmöglich macht.

§ 2. Transzendentalphilosophie Das transzendentale Element in Maimons Philosophie zeigt sich ganz klar und deutlich im »Satz der Bestimmbarkeit«, der als ein Kriterium des von Maimon selbst so genannten reellen Denkens und gleichzeitig als materielles Kriterium der Wahrheit fungiert. Der Satz der Bestimmbarkeit lautet: Der erste Grundsatz alles reellen, Objekt bestimmenden Denkens ist der von mir sogenannte Satz der Bestimmbarkeit. Dieser zerfällt wiederum in zwei andere Sätze: 1) in einen Satz fürs Subjekt überhaupt: Ein jedes Subjekt muß nicht nur als Subjekt, sondern auch an sich, ein möglicher Gegenstand des Bewußtseyns seyn; 2) in einen Satz fürs Prädikat: Ein jedes Prädikat muß nicht an sich, sondern als Prädikat (in Verbindung mit dem Subjekt) ein möglicher Gegenstand des Bewußtseyns seyn. Was nicht diesen Sätzen gemäß ist, kann ein bloß formelles, oder gar willkührliches, aber kein reelles Denken seyn. (VnL, S. 20)

Als Erstes sollte zum Satz der Bestimmbarkeit gesagt werden, dass in ihm ein Gegenstandsbegriff vertreten wird, der den Gegenstand als intentionalen Gegenstand oder als bewusstseinsimmanent betrachtet. Hinter dieser Auffassung steckt die andere Seite der Medaille des reellen Denkens oder des Objektivität bestimmenden Denkens. Transzendentalphilosophie ist für Maimon der theoretische Standpunkt, der sich mit den a priori Bedingungen eines objektiven Denkens befasst. 12 Die Formulierung dieser entscheidenden Grundidee des transzendentalen Standpunktes in der Philosophie kann durch eine Unterscheidung der (formalen) Logik von den empirischen Naturwissenschaften vervollständigt werden: die erste bezieht sich auf einen »unbestimmten Gegenstand« und die zweite auf die »durch die Erfahrung bestimmten Gegenstände« (VT, S. 3). Der »Gegenstand der Transzendentalphilosophie« ist also weder so unbestimmt wie der Gegenstand der Logik oder wie das, wie Maimon es nennt, »ob-

»[D]ie Philosophie muss transzendental sein, wenn sie von irgend einem Gebrauch sein soll, d. h. sie muss sich a priori auf Gegenstände überhaupt beziehen können, und heißt alsdann die Transzendentalphilosophie« (VT, S. 3).

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jectum logicum« 13 aber auch nicht so bestimmt wie der oder die spezifischen Gegenstände der empirischen Erkenntnis. Diese unterscheidende Idee in Bezug auf die Logik und die Naturwissenschaft verfolgend, definiert Maimon den »Gegenstand der Transzendentalphilosophie« in der folgenden Art und Weise: Die Philosophie bezieht sich also nicht auf bloß logische Gegenstände, nicht auf die a priori (wie die Mathematik), auch nicht auf die a posteriori (wie die Naturlehre); und so scheint schon alles erschöpft zu sein. Bey genauer Überlegung aber finden wir doch einen Ausweg, nämlich die Philosophie bezieht sich auf einen transzendentalen Gegenstand, d. h. auf etwas, ohne welches kein reeller Gegenstand überhaupt gedacht werden kann, nämlich auf Zeit und Raum, die die Materie der Gegenstände a priori, und die Form der a posteriori ausmachen. Ihre objektive Realität selbst aber beruht darauf, weil ohne sie kein reeller Gegenstand überhaupt gedacht werden kann. (VT, S. 337 f.)

Die Formulierung des Begriffes der Transzendentalphilosophie im VT ist sicherlich etwas ungenau, da das, worum es in dieser Formulierung geht, nicht der Bezug auf die a priori Objekte ist, sondern die Untersuchung der Art, in der jener Bezug in den verschiedenen Bereichen der Erkenntnis überhaupt möglich ist, in denen er letztendlich stattfindet. Wenn man aber als Untersuchungsgegenstand der Transzendentalphilosophie die Art und Weise annimmt, in der das reelle bzw. objektive Denken stattfindet – so wie es im Satz der Bestimmbarkeit ausgedrückt wird – dann hat man diese Ungenauigkeit schon verdrängt. Wenn Maimon in »reelles Denken« die Bezeichnung »reell« benutzt, dann bezieht er sich damit nicht auf das empirisch Reale und was wir normalerweise mit dem Begriff des »Gegebenen« bezeichnen. Das heißt, wenn Maimon von »rellem Denken« spricht, bezieht er sich nicht auf Denkstrukturen (sozusagen Kategorien), die, wenn man sie auf das »empirisch Gegebene« anwendet, Realität erhalten. Wenn Maimon in »reelles Denken« »reell« sagt, bezieht er sich nämlich auf dasjenige, was als reell gedacht werden kann. Und das nennt er »reelles gedachtes Objekt« (VnL, S. 180; 184 ff.). Die Transzendentalphilosophie sollte für ihn die Untersuchung über die a priori Bedingungen eines solchen reellen Denkens sein. Das bedeutet, dass sie »[E]in objectum logicum ist bloß der Begriff eines Dinges überhaupt, das durch keine Bedingungen, sie mögen a posteriori oder a priori sein, bestimmt wird« (GW I, S. 600 f.). 13

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die Kriterien und Prinzipien bereitstellen sollte, die uns erlauben festzustellen, wann sich ein Akt des Denkens a priori auf etwas Objektives bezieht und nicht bloß logisch formales Denken oder willkürliches Denken ist. Der nicht-formale genauso wie der nicht-willkürliche Charakter ist, von einem negativen Gesichtspunkt aus betrachtet, entscheidend für das reelle Denken. Zu diesem Punkt werde ich weiter vorn noch zurückkommen. Indem Maimon einen Gegenstandsbegriff zum Ausgangspunkt wählt, nach dem der untersuchte Gegenstand als intentionaler Gegenstand oder bewusstseinsimmanent verstanden wird, 14 und indem er als Ziel der Transzendentalphilosophie die Untersuchung der a priori Bedingungen des »reellen Denkens« annimmt, nimmt er von Anfang an einen idealistischen Standpunkt ein, der sich nicht durch zwei Schwierigkeiten, mit denen der kritische kantische Idealismus immer konfrontiert wurde, blenden lässt. Dabei handelt es sich einerseits um die Frage nach dem »Gegebenen« und dem kausalen Noumenalismus, mit anderen Worten um »Jacobis Aporie«, 15 und andererseits um das Problem des objektiven Bezuges unserer intellektuellen Erkenntnisstrukturen, d. h. das Problem der transzendentalen Deduktion. Es soll hier gezeigt werden, wie Maimon dank der Annahme eines transzendentalen Standpunktes eine idealistische Theorie der Erkenntnis und der objektiven Bedingungen des Denkens formulieren kann, die insofern konsistent ist, dass sie sich nicht durch die beiden oben erwähnten Probleme widerlegen lässt. Der In strengem Sinne bedeutet für den maimonschen transzendentalen Ansatz »Gegenstand« »Gegenstand des Denkens« und das ist wiederum das »an sich bestimmte, in einer Einheit des Bewusstseins zu verbindende Mannigfaltige« (VnL, S. 16). Siehe auch: »Das Objekt ist bei mir kein fingirtes Etwas außer dem Erkenntnisvermögen, sondern immer dasjenige, was im Erkenntnisvermögen selbst Gegenstand einer Funktion desselben ist« (VnL, S. 246). 15 Siehe oben II, 2. Anm. 12. Jacobi denkt bekanntlich, dass man ohne die Voraussetzung einer Ursache der sinnlichen Affektion, die selbst keine Erscheinung ist, d. h. ohne die Voraussetzung einer »noumenalen Ursache«, nicht »in« das kantische »System hineinkommen, und mit jener Voraussetzung darin nicht bleiben konnte« (Werke II, 304). Seitdem Jacobi seine Aporie formuliert hat, ist das Ding an sich das Kreuz der kantischen Philosophie geworden. Eine raffinierte Formulierung dieser Aporie ist im kritischen Kommentar von P. F. Strawson wieder zu finden. Das vielleicht größte Problem der kantischen Philosophie liegt nach Strawson in der metaphysischen Annahme, dass wir die Dinge an sich nicht nur nicht erkennen können, sondern, dass es Dinge an sich gibt, und wir sie nicht erkennen können (vgl. Strawson: 1966, 38; 235 f.). Der Status dieser letzten Behauptung, die ein so starkes ontologisches Gewicht besitzt, wird dabei in Frage gestellt. 14

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Preis für diese Geschlossenheit ist aber der Verzicht auf eine Erklärung der Beziehung zwischen dem Idealen und dem Empirischen. Maimons Philosophie verharrt nicht in diesem Verzicht, sondern sie nimmt sich das Problem jener Beziehung und das der Erklärung des Gegebenen vor; genau dort schwankt sie zwischen einem spekulativen (dogmatischen) Lösungsvorschlag und einer skeptischen Position.

§ 3. Maimon und der kausale Noumenalismus Für gewöhnlich verbindet man den Namen Maimons mit einem totalen Idealismus, in dem es keinen Platz für einen realistisch transzendentalen oder metaphysischen Rest gibt. Nach dieser Auslegungsweise gibt Maimon die Auffassung von einer der sinnlichen Affektion zugrunde liegenden äußeren Wirklichkeit bzw. einer dem »empirisch Gegebenen« zugrunde liegenden Wirklichkeit auf (und zwar aufgrund ihres absurden Charakters); und das, was man normalerweise mit dem empirisch gegebenen Reellen bezeichnet, wird von diesem totalen Idealismus, der auch »produktiv« genannt wird, absorbiert. 16 Diese Auslegung ist aber nicht ganz richtig. Maimon betrachtet sicherlich den Begriff einer transzendenten Wirklichkeit (die Ursache der Affektion) als einen unfassbaren Begriff. Aber aus der Unfassbarkeit dieses Begriffes schließt er nicht, dass eine bessere oder verständlichere Erklärungsform des Gegebenen darin bestände, dass es von uns verursacht oder hervorgerufen wird. Das wäre nichts weiter als eine Unfassbarkeit gegen eine andere zu tauschen. Zur Unfassbarkeit des Begriffes des Dinges an sich, verstanden als der Erscheinung oder sogar der Vorstellung zugrunde liegende Wirklichkeit, ist die folgende Passage aus dem Artikel über »Wahrheit« in seinem Wörterbuch der Philosophie aufschlussreich: Nach Herrn Kant ist Ding an sich dasjenige außer unserem Erkenntnisvermögen, worauf sich der Begriff oder die Vorstellung in demselben bezieht. Ich behaupte hingegen, dass das Ding an sich in diesem Verstande ein leeres Wort ohne alle Bedeutung ist, indem man nicht nur das Dasein dieses Dinges nicht beweisen, sondern sich auch von demselben gar keinen Begriff machen kann […]. Siehe Kuntze (1912), S. 333 ff. Auch Frank (1997), S. 127 ff. Eine entgegen gesetzte Interpretation kann man bei Engstler (1990), S. 145 ff. sehen.

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Aber noch an derselben Stelle lässt Maimon im Hinblick auf eine Lösung des Problems der »Vollständigkeit der Erkenntnis« den funktionalen und ideal regulativen Charakter des Dinges an sich gelten: [N] ach mir hingegen ist Ding an sich, und Begriff und Vorstellung eines Dinges objektiv eines und eben dasselbe, und nur subjektiv, d. h. in Beziehung auf die Vollständigkeit unserer Erkenntnis voneinander unterschieden. (GW III, S. 185) 17

Es ist nicht so, dass Maimons Idealismus in der Abschaffung des Dinges an sich als Ursache der Affektion besteht, und in Übereinstimmung damit, in der Erklärung der Art und Weise, wie dasjenige subjektiv hervorgebracht oder konstruiert wird, was wir für gewöhnlich das »Gegebene« nennen und deren Ursache wir fälschlicherweise die Eigenschaften des reellen und empirischen Äußeren zuschreiben. Maimons Idealismus besteht vielmehr in einer Auffassung, nach der (hat man erst einmal den Begriff des intentionalen Gegenstandes angenommen und die Aufgabe der Philosophie als Untersuchung der Bedingungen des Denkens von Etwas als etwas Reelles erkannt) das Problem der Ursache der Affektion oder des Ursprungs des empirisch Gegebenen aufhört, relevant für die philosophische Forschung zu sein. Die Position Maimons in Bezug auf die noumenale oder die reelAuf die regulative Rolle des Dinges an sich bei Maimon hat Atlas (1964: S. 20 ff.) hingewiesen, indem er die Verwandtschaft zu der Rolle, die dieser Begriff im Neukantismus spielte, gezeigt hat. Andererseits könnte der Punkt der »Vollständigkeit der Erkenntnis« oder der vollständigen objektiven Konstitution eines der zentralen Themen, wenn nicht sogar das zentrale Thema der maimonschen Epistemologie sein. Im Zusammenhang mit der Möglichkeit einer vollständigen objektiven Konstitution tritt in der Philosophie Maimons einerseits eine spekulative Option ans Licht (die darin besteht, eine »Hypothese« vorzuschlagen, die die besagte Vollständigkeit verständlich machen soll) aber andererseits auch eine skeptische, die eng verbunden ist mit der Idee, dass die Realisierbarkeit dieser Vollständigkeit unweigerlich zu einer »Antinomie des Denkens« führt (vgl. GW III, S. 186; 193). J. Bransen wollte im Zusammenhang mit dieser »Antinomie des Denkens« zeigen, dass das Hervorstechendste der Epistemologie Maimons die Auffassung ist, nach der die Erklärung der Erkenntnis zwangsläufig widersprüchlich oder problematisch ist. Die suggestive Auslegung Bransens vernachlässigt an dieser Stelle aber, dass Maimon seine spekulativen Hypothesen – die die Vollständigkeit der Erkenntnis wirklich erklärbar machen – zur Lösung des Widerspruches vorschlägt. Das heißt, auch für ihn wäre es undenkbar, im Skeptizismus zu verharren. Da allerdings die spekulative Lösung zum Problem der Vollständigkeit der Erkenntnis auch selbst einen widersprüchlichen Keim enthalten würde, wird es möglich, von da eine neue skeptische Fragestellung abzuleiten. Maimon kann sich auch nicht im Dogmatismus ausruhen. Dazu komme ich später noch zurück (Siehe unten § 6). 17

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le transzendentale Ursache der Affektion ist eher eine skeptische Position, d. h. eine Position, die weder für eine Verneinung noch für eine Bejahung der Existenz der besagten Ursache Partei ergreift, da das zur Frage stehende Problem für unlösbar gehalten wird. 18 Das setzt natürlich voraus, dass man akzeptiert, dass es ein Problem gibt und dass man nicht ipso facto die Formulierung dieses Problems vermeidet, weil man es als sinnlos betrachtet. Die Annahme des Problems hängt von der Annahme des empirisch »Gegebenen« ab. Was im kausalen und substanziellen Noumenalismus einen Widerspruch darstellt, ist nicht die Tatsache, dass er eine Alternative zur Erklärung des Problems des Gegebenen ist, sondern dass jene Alternative absurd, nicht nachvollziehbar ist: Zu sagen, dass die Materie der Erkenntnis durch etwas hervorgerufen wird, das der Erkenntnis entflieht, hat keinen Sinn. Im Gegensatz dazu ist es keine Sinnlosigkeit anzunehmen, dass das Gegebene zwar hervorgerufen wird, dass aber die Bestimmung der Ursache dieses Gegebenen unserer endlichen, oder von diesem selben »Gegebenen« abhängigen, Erkenntnis entkommt. Wichtig ist m. E. hierbei, dass die Auffassung, dass das Problem der Ursache des Gegebenen als unlösbar angenommen wird, dadurch bedingt ist, dass Maimon einen transzendentalen Standpunkt angenommen hat. Dieser Standpunkt ist seinerseits mit einem kantischen kritischen Standpunkt kohärent: Wenn das Problem des kausalen Ursprungs des »Gegebenen« die Grenzen einer Idee eines Objektes der Erkenntnis und des Denkens (genauso wie der Fassbarkeit) überschreitet und als bewusstseinsimmanent verstanden wird, dann handelt es sich um ein Problem, das nicht in philosophischtranszendentaler Weise gelöst werden kann. Bis dorthin kann man hier eine rein kantische Position beobachten. Neu ist aber Maimons Anregung, dass das besagte Problem ganz und gar irrelevant für die Theorie der Erkenntnis und der objektiven Bedingungen der Erkenntnis ist. Außerdem stellt es sich sogar für die Erklärung des Gegebenen als irrelevant heraus. In einem wichtigen Abschnitt von VT erläutert Maimon ausdrücklich, warum das Problem des kausalen Ursprungs des Gegebenen nicht gelöst werden kann:

Zu Maimons Skeptizismus in diesem Zusammenhang hat auch Engstler (1990: S. 57 f.) geschrieben, genauso wie über die Tatsache, dass Maimon die Existenz des »Gegebenen« nicht abstreitet. Entgegen dieser Meinung schreibt Frank (1997: S. 128 ff.).

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Das Wort gegeben, welches Herr Kant von der Materie der Anschauung sehr oft gebraucht, bedeutet bei ihm (wie auch bei mir) nicht etwas in uns, das eine Ursache außer uns hat; denn dieses kann nicht unmittelbar wahrgenommen, sondern bloß geschlossen werden. Nun ist aber der Schluß von einer gegebenen Wirkung auf eine bestimmte Ursache stets unsicher, weil die Wirkung aus mehr als einerlei Ursache entspringen kann; dennoch 19 bleibt es in Beziehung der Wahrnehmung auf ihre Ursachen jederzeit zweifelhaft, ob diese innerlich oder äußerlich sei, sondern es bedeutet bloß eine Vorstellung, deren Entstehungsart in uns, uns unbekannt ist. (VT, S. 203)

Maimon verfolgt hier ganz streng die kantische Kritik am vierten Paralogismus der rationalen Psychologie. In diesem Zusammenhang akzeptiert er die Prämisse des problematischen Idealisten hinsichtlich der Unsicherheit einer Ableitung der Ursache von der Wirkung als einen Grund für die besagte Unlösbarkeit. 20 In nur wenigen Abschnitten wird meines Wissens die skeptische Unentschlossenheit Maimons in Bezug auf das Problem des Dinges an sich als Ursache der Affektion so deutlich ausgedrückt wie in einer Passage im VnL, in der er sich mit der Frage auseinandersetzt, ob die Vorstellungen des Raumes und der Zeit einen objektiven oder einen subjektiven Grund haben. Dort heißt es: Meiner Meinung nach […] muß die Frage: ob die Vorstellungen von Zeit und Raum in den Dingen an sich, oder im Erkenntnisvermögen ihren Grund haben? unentschieden bleiben, weil wir so wenig von den Dingen an sich, als vom Erkenntnisvermögen (gleichfalls als Ding an sich betrachtet) irgend einen bestimmten Begriff haben, woraus wir den Grund dieser Vorstellungen erkennen können. Wir haben also die Freiheit, diesen Grund in den Dingen an sich, oder im Erkenntnisvermögen selbst zu supponieren. (VnL, S. 142)

Das ist sicherlich eine besondere Version der Kritik Trendelenburgs. Bekanntlich ist dieses Problem auch so alt wie die KrV selbst. 21 WichHier sollte man besser »demnach« lesen, wie Engstler (1990: S. 57) zu Recht vorschlägt. 20 Auch Kant akzeptiert diese Voraussetzung (siehe KrV, S. A368 ff.). Kants Argument gegen den Idealisten in der Kritik des vierten Paralogismus greift auch nicht jene Prämisse an, sondern den Schluss, den man aus ihr ableitet, insofern eine mittelbare kausale Schlussfolgerung in Bezug auf die äußeren Objekte (als Erscheinungen betrachtet und nicht als Dinge an sich) benutzt wird. Dagegen ruft bei Kant die Vorgehensweise, den ungewissen Charakter der äußeren Objekte (als Dinge an sich betrachtet) aus dieser Prämisse abzuleiten, keinerlei Vorwurf hervor. Siehe Hoyos (1995), S. 129 ff. 21 Diese Kritik scheint schon von Professor Ch. G. Selle in einer Schrift mit dem Titel De la realité et de l’idealité des objets de nos connaissances (1792) geäußert worden zu sein (s. Schöndörffer: 1924, S. 863). Kiesewetter, der wahrscheinlich von der Kritik in 19

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tiger aber noch als diese skeptische Unentschlossenheit in Bezug auf den kausalen Noumenalismus und seinen unfassbaren Charakter ist, wie ich oben schon gesagt habe, der Gedanke, dass dieses Problem für die Epistemologie irrelevant ist. Und das ist für den transzendentalen Standpunkt, den Maimon angenommen hat, richtungsgebend. In seinem Spätwerk Kritische Untersuchungen über den menschlichen Geist sagt Philates (Maimon) zu Kriton (Kant): Auch sollten Sie das Wort afficieren, welches ein Leiden durch die Wirkung einer äußern Ursache bedeutet […], vermeiden, weil hier gar die Rede nicht sein kann von dem, wodurch eine Erkenntnis bewirkt wird, sondern bloß von dem, was darin enthalten ist. (GW VII, S. 67)

Einer der größten Vorwürfe, wenn nicht gar der größte, den Maimon gegen Schulze vorbringt, richtet sich tatsächlich dagegen, dass der Letzte seinen Angriff auf die kantisch-reinholdsche Transzendentalphilosophie auf den kausalen Noumenalismus konzentriert hatte. Damit hatte Schulze, Maimons Meinung nach, den transzendentalen Vorschlag entkräftet und zeigte sich selbst als Verteidiger einer Position, die – auch wenn er sich genau das Gegenteil vorgenommen hatte – noch vielmehr den Dogmatismus unterstützte, als die kritische Philosophie das getan hatte. 22 Maimon zieht diese Diagnose aus der Definition, die Schulze von seinem Skeptizismus gibt und der negativen Entscheidung, die er in Bezug auf die Existenz des Dinges an sich zu treffen scheint. 23 Trotzdem ist sich Maimon bewusst, dass Berlin bereits erfahren hatte, schreibt am 20. April 1790 an Kant: »So viel ich gehört habe, so zweckt sein Hauptargument dahin, dass gesetzt auch, Sie hätten bewiesen, Raum und Zeit wären die Formen unserer Sinnlichkeit, Sie doch nicht zeigen könnten, dass sie nur Formen der Sinnlichkeit wären, weil es immer doch möglich sei, sich zu denken, dass Raum uns Zeit den Dingen an sich zukämen, welches Sie um so weniger leugnen könnten, da Sie selbst behaupteten, man könnte von den Dingen an sich nichts wissen, und es daher ganz wohl möglich sei, dass Raum und Zeit den Dingen an sich selbst zukämen« (AA XI, S. 157 ff.). Siehe VT, S. 342; VnL, S. 186–200; Engstler (1990), S. 101, Anm. 99. Vgl. Trendelenburg (1870), S. 164; Trendenlenburg (1867), S. 222 ff. Siehe auch Vaihinger (1892), Bd. II, S. 134–151; Allison (1976), S. 313–321; (1983), S. 7; 111–14. Siehe außerdem oben II § 5 A. 22 Siehe VnL, S. 300. 23 Nach Schulze-Aenesidemus, wie man schon gesehen hat (oben II, 1, § 2), beruht der Skeptizismus auf der Behauptung, »dass in der Philosophie weder über das Dasein und Nicht-sein der Dinge an sich und ihrer Eigenschaften, noch auch über die Grenzen der menschlichen Erkenntniskräfte etwas nach unbestreitbar gewissen und allgemeingiltigen Grundsätzen ausgemacht worden sei« (Aenesidemus, S. 24). Auch von Maimon in VnL (S. 299) zitiert. Maimon denkt, dass Schulze, wo es um das Thema des Dinges an

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der Defekt in Schulzes Skeptizismus eng an die reinholdsche Theorie des Vorstellungsvermögens und an ihre kausalen Konnotationen gebunden ist. Das unterscheidet Maimons Sichtweise auf die versteckte Beziehung zwischen Schulzes Skeptizismus und seinem Dogmatismus charakterisiert – oder die Art, in der Schulze eher zum philosophischen Dogmatismus tendiert, als das bei der kritischen Philosophie der Fall ist – von der Last des Dogmatismus, die man Aenesidemus traditionellerweise angehängt hat. 24 Deshalb scheint Maimon das skeptische Theorem Schulzes zu akzeptieren, das den Übergang vom »Gedacht-werden-müssen« zum »Sein« kritisiert, wenn dieser Übergang in der Schlussfolgerung auf die Existenz eines Vermögens stattfindet, das in der Lage ist, Vorstellungen hervorzurufen. Und zwar geht er von der Tatsache aus, dass wir Vorstellungen haben. Eine kausale Schlussfolgerung dieser Art kann unter kritischen und transzendentalen Voraussetzungen nicht erlaubt werden: Ein strenger kritischer Philosoph, wie Hr. Reinhold ist, sollte sich freilich dergleichen metaphysischer Äußerungen enthalten. Er sollte bloß das, was in der Vorstellung enthalten ist oder als Bedingung ihrer Möglichkeit derselben vorausgesetzt werden muß, entwickeln, ohne sich um die Ursache, Kraft u. s. w., wodurch sie wirklich wird, im Mindesten zu bekümmern. Dergleichen Untersuchungen gehören zur Metaphysik, deren Möglichkeit und Umfang erst durch eine Kritik des Erkenntnisvermögens ausgemacht werden soll. (VnL, S. 333 f.)

Jeder Anspruch, den Ursprung unserer Erkenntnis und unserer Vorstellungen kausal zu erklären, muss aufgegeben werden, will man dem Gedanken einer Transzendentalphilosophie gerecht werden. Und das ist nicht nur so wegen der Gründe, die der Erkenntniskritik sich geht, mit der kritischen Philosophie übereinstimmt. Diese trifft allerdings noch etwas mehr mit einer skeptischen Auffassung überein als Schulzes Position, da es nach der kritischen Perspektive nicht darum geht, dass »über das Dasein und Nichtdasein der Dinge an sich und ihrer Eigenschaften bisher noch nichts gewisses, nach allgemeingültigen Grundsätzen, ausgemacht worden sei, sondern auch überhaupt nichts ausgemacht werden kann« (VnL, S. 300). 24 Siehe oben II, § 2. Von den Kritikern unter Schulzes Zeitgenossen ist Maimon der einzige, der m. E. Klarheit über die »Verirrung« besitzt, in die die schulzesche Kritik an der reinholdschen Philosophie gerät, und die in der Verwechslung der transzendentalen Bedingungen der Erkenntnis mit den wirklichen Ursachen oder Gründen der objektiven Vorstellung besteht, und das diese Verirrung von Reinhold selbst verschuldet ist. Siehe dazu auch die Beobachtungen Franks (1997: S. 276 ff.). A

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obliegen, d. h. weil wir uns mit jenem Anspruch in eine Untersuchung begeben, die die Grenzen des legitim Untersuchbaren überschreitet, sondern weil jener Anspruch epistemologisch nicht relevant ist. Anstatt eine Erklärung der Ursachen oder der Vermögen, der Kräfte oder des Ursprungs der Erkenntnis zu sein, orientiert sich die Transzendentalphilosophie an der Erklärung der Gründe der Möglichkeit der Erkenntnis und der Objektivität. Ein Grund der Wirklichkeit könnte sich für Maimon vielleicht durch den Bezug auf physisch wirkende Kräfte oder Vermögen »dinglich« oder kausal erklären lassen. Das ist aber nicht der Fall der »Gründe der Möglichkeit« oder der »Bedinungen der Möglichkeit«, die doch gerade das Interesse der epistemologischen Forschung erregen. »Grund der Möglichkeit«, schreibt Maimon, »bedeutet das Allgemeine (Bestimmbare), ohne welches das Besondere (Bestimmte) im Bewußtsein nicht stattfinden kann. So ist z. B. die Vorstellung des Raumes der Grund oder die Bedingung von der Möglichkeit eines Dreiecks« (VnL, S. 334 f.). Genau so wie die Transzendentalphilosophie in der Vorstellung des Raumes einen Grund oder eine Bedingung der Möglichkeit der durch das Dreieck bestimmten Vorstellung gefunden hat – wenn auch keine hervorbringende Ursache –, so sollte sie sich ebenfalls mit der Untersuchung der hervorbringenden Bedingungen des reellen Denkens der Objekte beschäftigen. Maimon veranschaulicht seine Idee von der Irrelevanz der kausal-noumenalen Untersuchung für einen transzendentalen Standpunkt (bei dem es sich um den einzigen epistemologisch gültigen Standpunkt handelt, da nur eine Auffassung vom Gegenstand der Erkenntnis als bewusstseinsimmanent nachvollziehbar ist) in Analogie zum newtonschen System der universellen Anziehung. Man sollte die universelle Anziehungskraft nicht als Ursache der Anziehung verstehen, sondern als »die allgemeine Art oder die Gesetze, nach welchen die Anziehung geschieht« (VnL, S. 335) oder als »die allgemeine, durch Gesetze bestimmte, Wirkungsart der Anziehung« (ebd., S. 347). Die Anziehungskraft wird durch das Gesetz definiert, »daß Körper überhaupt im geraden Verhältnisse ihrer Massen und umgekehrten Verhältnisse der Quadrate ihrer Erziehungen sich einander anziehen« (ebd.). Bis zu welchem Punkt aber ein Körper x einen Körper y anzuziehen vermag, wird durch das Gesetz nicht bestimmt; und noch weniger die Ursache der universellen Anziehung. Für die Einsicht in ihre Wirkungsweise aber, was ja dasjenige ist, was 242

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den Newtonschen Physiker beschäftigt und interessiert, sind diese Fragen auch irrelevant. Analog dazu ist die Erkenntnisphilosophie nicht daran interessiert, das Problem zu lösen, ob das Subjekt der Erkenntnis die Grundstrukturen der Objektivität verursacht oder hervorruft und will auch nicht zeigen, wie dieses kausale Hervorrufen aussehen würde. Sie richtet sich vielmehr auf die Erklärung der Bedingungen, die dem Bewusstsein die Schaffung von Objektivität ermöglichen. Wir gewinnen gar nichts, wenn wir erklären wollen, wie die Objektivität aus unseren Erkenntnissen oder Akten des Bewusstseins aufgebaut ist, indem wir voraussetzen (oder nicht mehr voraussetzen), dass es ein Ding an sich gibt, das den Erscheinungen zugrunde liegt oder das als Ursache unserer Vorstellungen wirkt. Der Begriff einer transzendenten Wirklichkeit, der unserer Erkenntnis vermutlich zugrunde liegen oder der (als Ursache) etwas mit deren Urpsrung zu tun haben sollte, spielt keine Rolle, wenn es darum geht, unterscheiden zu wollen, was in unserer Erkenntnis subjektiv und was objektiv ist. Das ist m. E. einer der wichtigsten Ansatzpunkte einer Art zu philosophieren, die man transzendental-idealistisch nennen könnte. Man findet ihn natürlich schon bei Kant; vielleicht wird er aber noch nicht mit der Kraft und Entschiedenheit ausgedrückt wie bei Maimon: Soll also das Objektive von dem bloß Subjektiven der Erkenntnis unterschieden werden, (welche Unterscheidung in der ganzen Philosophie von großer Wichtigkeit ist), so müssen wir das Fundamentum divisionis nicht in dem Grund (in der Quelle), sondern in der Erkenntnis selbst aufsuchen. (VnL, S. 119)

Die ganz und gar nicht eindeutige Interpretation, die Maimon von der Analogie des kantischen Projekts der Metaphysik zur kopernikanischen Wende in der Astronomie anstellt, zeigt ebenfalls in diese Richtung. Maimon erkennt die idealistische Neudefinition des Objektes der Erkenntnis zwar an, das aus der kopernikanischen Analogie folgt; er denkt aber, dass diese Definition noch einer weiteren Erklärung untergeordnet werden sollte. Für Maimon besteht der Unterschied zwischen dem ptolemäischen und dem kopernikanischen System darin, dass während im ptolemäischen System die relative Bewegung (»dem Scheine gemäß«) ohne irgendeinen Beweis für absolut gehalten wird, im kopernikanischen System die absolute Bewegung nachgewiesen und die Differenz dieser zur relativen dank des newtonschen Gravitationsgesetzes festgehalten wird. Dieses Gesetz A

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erlaubt uns außerdem, alle Erscheinungen miteinander in Harmonie zu bringen (GW VII, S. 13). Aus kopernikanischer Perspektive ist die »Bewegung« der Sterne, die man früher als absolut angenommen hatte, scheinbar (wie die der Bäume, die am Ufer eines Flusses stehen, die wir während der Fahrt auf einem Boot vorbeiziehen sehen), wogegen die Bewegung der Erde, die man als relativ angenommen hatte, jetzt in Übereinstimmung mit Newtons Definition der absoluten Bewegung, »die primäre Bewegung, die durch das Anziehungskraft bestimmt wird« (vgl. Atlas: 1964, S. 46), absolut ist. Dem dogmatischen Metaphysiker würde etwas ganz Ähnliches passieren, was mit dem astronomischen System des Ptolemäus geschehen ist: Er dachte nämlich, dass die a priori Erkenntnis der Objekte Bestimmungen aufstellen könnte, wie diese Objekte an sich sind. Wenn man aber die Erkenntnis als Beziehung zwischen einem Subjekt und einem Objekt versteht und, in Übereinstimmung mit der neuen Hypothese, die Kant gelten lassen will, den »Grund der Beziehung« im Subjekt sucht, dann haben wir damit »ein Kriterium«, »woran« wir »erkennen können, dass jene Erkenntnisse a priori dem Subjekte zugehören, und von den Objekten nur insofern gültig sind, als sie Objekte für dasselbe sind« (GW VII, S. 14). Dieser »Grund der Beziehung« ist keine Ursache und die epistemologische Beziehung zwischen Subjekt und Objekt gibt keinerlei Hinweis auf eine kausale Verbindung. 25 Darüber hinaus ist die Charakterisierung, die Maimon von der KrV gibt (ganz eindeutig gegen eine kausale Interpretation der Erkenntnis) ein exzellentes Beispiel dafür, wie dieser Letzte die Idee einer Transzendentalphilosophie versteht:

25 Siehe GW VII, S. 9. Maimons Interpretation der »kopernikanischen Wende« bei Kant, die er in Kritische Untersuchungen über den menschlichen Geist (GW VII, S. 9– 14) anbietet, wurde vielfältig diskutiert. Vgl. besonders Gueroult (1929: S. 15 ff.); Kuntze (1912: S. 37 ff.); Atlas (1964: S. 39 ff.); Bergman (1967: S. 24 ff.); Katzoff (1975: S. 342–356). All diese Interpretationen erörtern die vier Formen, nach denen Maimon die absolute Bewegung verstanden haben will, relativ detailliert. Ich konzentriere mich hier nur auf die letzte, die für ihn die einzige ist, die erlaubt, zwischen diesem Typ der Bewegung und dem relativen einen Unterschied festzustellen und die über dies hinaus den Schlüssel zur Unterscheidung zwischen den Systemen des Kopernikus’ und des Ptolemäus darstellt. Die Auseinandersetzung mit der Kopernikanischen Analogie, so wie Maimon diese auffasst, soll an dieser Stelle vor allem die Irrelevanz und Unangemessenheit einer kausalen Erklärung der Erkenntnis hervorheben.

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Die KrV bestimmt kein Wesen als Subjekt und Ursache der Erkenntnis, sondern untersucht bloß das, was in der Erkenntnis selbst enthalten ist. Sie nimmt als Faktum des Bewußtseins an, daß die synthetischen Urteile sich auf Objekte der Erfahrung, von denen sie wirklich gebraucht werden, beziehen und sucht die Möglichkeit davon aus dem Begriff eines Objekts der Erfahrung überhaupt begreiflich zu machen. Daß wir Objekte der Erfahrung haben, ist nach ihr keine Hypothese, sondern ein Faktum, und die Art, wie die synthetischen Urteilen daraus folgen, demonstrabel. (VnL, S. 354)

Für Maimon besteht genau in diesem Verzicht auf eine kausale Erklärung des Ursprungs unserer Erkenntnis der Unterschied zwischen der kritischen Art zu philosophieren und der dogmatischen. Die gleiche Ablehnung – aufgrund seiner epistemologischen Irrelevanz – sich mit Problemen auseinanderzusetzen, die den kausalen Noumenalismus betreffen, dehnt sich ebenfalls (wie offensichtlich ist) auf den subjektiven Bereich aus. Das heißt, der Begriff einer noumenalen Ursache der Vorstellungen ist, wenn man ihn in Bezug auf ein äußeres Ding an sich denkt genauso wie wenn man ihn in Bezug auf das Ich denkt, epistemologisch irrelevant. Ein wichtiges Korollarium dieser These ist die Entkräftung des Sinnes eines fundamentalistischen oder subjektiven Projektes wie des reinholdschen. Bei dem Anspruch, im Bewusstsein einen höheren Gattungsbegriff gefunden zu haben, von dem in rechtmäßiger Weise die Theoreme der Theorie des Erkenntnisvermögens abgeleitet werden sollen, handelt es sich um einen unbegründeten Anspruch, da das Bewusstsein von Maimon für sehr unbestimmbar und vielleicht sogar unabhängig von den Handlungen des Bewusst-Seins für nicht bestimmbar gehalten wird. 26 Dieses Problem scheint Maimon nicht den Schlaf zu rauben. Die Tatsache, dass wir vielleicht nicht mit einem angemessenen Ausdruck rechnen können, um dem »unbestimmten Bewusstsein« oder »der Handlung des Wissens überhaupt« (ebd., S. 243) einen Begriff zu geben, nimmt ihm aber noch lange nicht die Eigenschaft, ein grundlegendes, wesentliches Element zu sein, in dem unsere objektive Bestimmung in einer verständlichen Weise stattfinden sollte. Da das bewusste Wesen nicht bestimmt werden kann, als durch den Vorgang, bewusst zu sein, und außerhalb dieses Vorgangs das BewusstSiehe VnL, S. 243. Die Unbestimmbarkeit des Bewusstseins führt Maimon dazu zu sagen, dass Reinhold »im Begriffe vom Bewusstsein überhaupt Bestimmungen hineingebracht, die darin ganz und gar nicht enthalten sind. Es fällt also mit diesem Begriffe auch die ganze darauf gegründete Theorie weg« (ebd., S. 401).

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sein nicht bestimmbar ist – und auch nicht fassbar – hat es also keinen Sinn, axiomatisch eine Theorie des Erkenntnisvermögens anhand eines Grundes, der an sich undifferenziert ist, ableiten zu wollen. Man könnte natürlich vorbringen, dass der Grund als differenziert gedacht werden kann. Das würde aber die hohen Kosten mit sich bringen, dass er kein Letztgrund mehr ist. In diesem Fall gibt es keinen Ausweg für Probleme nach dem Typ Münchhausen. Der Kern der Kritik Maimons am reinholdschen Satz des Bewusstseins, als höchstes Prinzip des philosophischen Wissens verstanden, wird als ein solch auswegloses Vorgehen angeprangert. Der Satz des Bewusstseins kann gewiss als eine Tatsache des Bewusstseins aufgefasst werden, wenn auch nicht als eine ursprüngliche Tatsache des Bewusstseins, da seine Erklärung das Bewusstsein voraussetzt: Bewusstsein lässt sich so wenig erklären, wie auch als Tatsache, durch Merkmale darstellen, weil eine jede Erklärung, ein jedes Merkmal dasselbe schon voraussetzt … Nach Herrn Professor Reinhold sind Vorstellung, Subjekt und Objekt Bestandteile des Bewusstseins. Er erklärt zwar das Bewusstsein nicht, weil er es eben so wenig als die Bestandteile desselben ohne Zirkel erklären kann, sondern er beschreibt es bloß durch diese Merkmale als Tatsache. (GW IV, S. 217. Anm.)

Außerdem glaubt Maimon, dass es, wenn man einen letzten Grund in der Philosophie aufstellen will, nicht zu vermeiden ist, in einen Teufelskreis zu geraten. Er glaubt nicht nur – für den besonderen Fall der Elementarphilosophie Reinholds – nicht an den Erfolg jenes Projektes, sondern tut dies im Allgemeinen in Bezug auf jedes fundamentalistische Projekt. Deshalb erwidert Maimon angesichts der Aussage Reinholds, dass weder er noch Kant ihre Grundbegriffe bis zu einem Letztgrund entwickelt hätten, dass: Wir beide haben diese Grundbegriffe nicht weiter entwickeln wollen, weil wir dafür halten, dass sie ohne einen Zirkel zu begehen nicht weiter entwickelt werden können. Ich wenigstens habe dieses bewiesen. (GW IV, S. 222)

Maimon denkt, dass der Beweis der Grundbegriffe anhand eines Letztgrundes kein bedeutendes Thema wäre, da sie selbst, gerade weil sie Grundbegriffe sind, nicht beweisbar sind. Was aber für ihn philosophisch bedeutsam ist, ist deren »Realität als Prinzipien«, d. h. ihre Brauchbarkeit in Bezug auf alles, was man von ihnen ableitet. Für Maimon ist Reinhold ein bloßer Philosoph, also ein reiner Begriffsgymnast, der sich mit nichts Wirklichem, oder nichts anderem 246

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beschäftigt, als zu versuchen, der Philosophie formelle Kohärenz zu geben. 27 Eine möglichst sichere Beschreibung der Transzendentalphilosophie oder der Art des transzendentalen Philosophierens zu geben, ist sicherlich eines der zentralen Anliegen Maimons. Die Transzendentalphilosophie beschäftigt sich mit den Bedingungen des reellen oder objektiven Denkens. Die Objektivität des Denkens oder die Objektivität eines jeden Aktes des Bewusstseins kann nur dann sinnvoll untersucht werden, wenn sich diese Untersuchung ins Innere des Bewusstseins richtet, da alles, was prima facie als dem Bewusstsein äußerlich betrachtet wird, nicht bestimmbar ist. Die Standards der objektiven Bestimmbarkeit sind also zwangsläufig als bewusstseinsimmanent definiert. Im Inneren des Bewusstsein aber treffen viele Dinge zusammen und auch solche, die als Denken aufgefasst werden können: Wie kann man also zwischen all den subjektiven und mehr oder weniger bewussten Akten diese unterscheiden, die als objektiv angesehen werden? Maimon glaubt im Satz der Bestimmbarkeit das Kriterium gefunden zu haben, mit Hilfe dessen diese Unterscheidung erfolgen soll. Der Satz der Bestimmbarkeit ist ein a priori Schlüssel zur Identifizierung eines Denkens mit möglichem objektivem Bezug. Das auf diese Art a priori erkannte Denken wird weder sehr unbestimmt sein (wie im Fall des logischen Denkens), noch so bestimmt und konkret wie z. B. das Denken an den Kugelschreiber, den ich in der Hand halte. Worum es also geht, ist einen »Indikator der Objektivität« zu finden, der ausreichend allgemein (oder unbestimmt) ist, damit er über die vielfachen individuellen und kontingenten Variationen hinweg konstant bleibt, ohne sich mit einem besonders Bestimmten (oder zu sehr Bestimmten) verwechseln zu lassen, der aber selbst ausreichend bestimmt ist, damit er unter ihnen als unveränderlich bestätigt werden kann. Die Der andere wesentliche Aspekt der Kritik Maimons an der reinholdschen Bewusstseinstheorie besteht darin zu zeigen, dass der Satz des Bewusstseins nicht als universell betrachtet werden kann, da er nur »vom Bewusstsein einer Vorstellung nicht aber vom Bewusstsein überhaupt gelten [kann]« (GW IV, S. 214 ff.; auch S. 226 ff.). Das Gegenbeispiel dazu ist, für Maimon, die »Wahrnehmung«. Im Großen und Ganzen unterscheidet sich diese Kritik nicht sehr von der Schulzes, dessen Gegenbeispiel die »Anschauung« war (siehe oben II, 2, § 4). Horstmann hat darauf aufmerksam gemacht, dass der Einwand Maimons dem Schulzes vorausgeht (Horstmann: 1972, S. 333, Anm. 15), genauso wie er schon darauf hinwies, dass die Kritik am universellen Charakter des Satzes des Bewussteins mit der Kritik der Zirkularität verbunden sein sollte, um ihre echte Reichweite aufzuzeigen, der sich Fichte sicherlich bewusst war (ebd.; S. 330–336).

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Philosophie muss, um ihr Objekt zu definieren, zwischen diesen beiden Extremen einen Seiltanz unternehmen. Für seinen Vorsatz, eine Charakterisierung des »reellen Denkens« aufzustellen, erachtet Maimon es als notwendig, dieses einerseits mit dem »rein formellen Denken« zu kontrastieren und andererseits mit dem »willkürlichen«. Der Satz der Bestimmbarkeit stellt dabei den Schlüssel dar, um das erste zu erkennen und von den anderen beiden zu unterscheiden. Mit dem Satz der Bestimmbarkeit wird festgelegt, dass es zwei Grundtypen von Objekten des Bewusstseins gibt: das Subjekt und das Prädikat. Damit wird nicht nur der intentionale Charakter der Objekte, wie schon gesagt wurde, anerkannt, sondern auch der propositionale Charakter des objektiven Denkens. Der Satz der Bestimmbarkeit stellt also eine Regel für das Verhalten des Subjektes und eine andere für das Verhalten des Prädikats – für beide als Objekte des Bewusstseins – auf. Die Regel für das (objektive) Verhalten des Subjekts besagt, dass dieses an sich ein Gegenstand des Bewusstseins sein kann; oder besser, dass es für sich selbst gedacht werden kann. Das ist die Regel der Unabhängigkeit des Subjekts. Die Regel für das (objektive) Verhalten des Prädikats besagt dagegen, dass dieses nicht an sich ein Gegenstand des Bewusstseins sein kann, sondern dass es vom Subjekt abhängig ist; oder anders, dass das Prädikat ohne Subjekt nicht gedacht werden kann. Es handelt sich also um eine einseitige Abhängigkeit. Wenn wir in einem Satz diese beiden Regeln nicht beachten, haben wir sicherlich noch einen Satz und auch Objekte des Bewusstseins, die in ihm ausgedrückt werden; dieser Satz würde aber die Kriterien der objektiven Bestimmung weder enthalten noch ausdrücken, d. h. in diesem Fall könnten wir nicht davon ausgehen, dass wir etwas denken, das für reell gehalten werden kann. Am besten kann man vielleicht verstehen, warum das geschehen würde, wenn man die beiden Beziehungstypen, wie sie mit den oben dargestellten Regeln festgelegt wurden (die Unabhängigkeitsbeziehung des Subjekts und die Abhängigkeitsbeziehung des Prädikats vom Subjekt), mit den, nach Maimon, einzigen beiden anderen möglichen Typen der Beziehung zwischen den Objekten des Bewusstseins vergleicht; nämlich die gegenseitige Abhängigkeit und die Unabhängigkeit von beiden. 28 Auffällig ist die Verwandtschaft zwischen der Asymmetrie in der Beziehung SubjektPrädikat nach Maimons Theorie, zumindest was das Grundanliegen betrifft, mit dem

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Auch wenn die gegenseitige Abhängigkeitsbeziehung zwischen dem Objekt des Bewusstseins, das in einem propositionalen Akt in der Subjektfunktion steht und dem, das in der Prädikatsfunktion steht, nicht unweigerlich eine Beziehung zwischen identischen Objekten ist, wird diese Beziehung bei Maimon formell genannt. 29 Das Beispiel, das dafür gilt, ist das der Beziehung zwischen den Begriffen von Ursache und Wirkung. Es handelt sich zwar um zwei nicht-identische Begriffe, aber keiner von beiden kann ohne den anderen gedacht werden. 30 Die Unabhängigkeit von zwei Objekten des Bewusstseins bestimmt jedoch im Gegensatz dazu keinerlei objektive Verbindung, weil indem die zu verbindenden Objekte auch ohne einander Gegenstände des Bewußtseins sind, sie keinen Grund von dieser Verbindung enthalten können. (VnL, S. 23)

Die einseitige Abhängigkeitsbeziehung, die im Satz der Bestimmbarkeit aufgestellt wird, bringt einen a priori Hinweis auf das reelle Denken oder auf eine »sich auf bestimmte Objekte beziehende Verbindung des Mannigfaltigen in einer Einheit des Bewusstseins« (ebd.). Das ist für Maimon so, da die Tatsache, dass ein Glied der Beziehung oder »des zu verbindenden Mannigfaltigen«, nicht ohne das andere gedacht werden kann, darauf hinweist, dass die Verbindung von beiden Gliedern einen »objektiven Grund« haben muss. Die unabhängige Komponente dieser Beziehung, das Subjekt, ist das »Bestimmbare«. Die abhängige Komponente, das Prädikat, bildet seinerseits die »Bestimmung« (ebd., S. 25). Ein objektiver Grund ist kein rein logischer Grund, sondern er ist ein Grund der Erkenntnis, mit dem eine Unterordnung zwischen den zwei Komponenten einer Beziehung aufgestellt wird: das Begründete und der Grund. Diese Beziehung ist nicht symmetrisch sondern einseitig. In dem Satz »ein Dreieck kann ein rechtwinkliges Dreieck sein« kommt man auf diesen Beziehungstyp zurück. Ein Vorschlag von P. F. Strawson in demselben Sinne (s. Strawson: 1959, Teil II). Diese Verwandtschaft sollte eigentlich separat untersucht werden. 29 Vgl. VnL, S. 23. 30 Siehe ebd., S. 22. In VT bezieht sich Maimon trotzdem auf die Begriffe von Ursache und Wirkung, als wären sie in einem Identitätsverhältnis. »Der Satz: Eine Ursache muss eine Wirkung haben, [ist] nicht nur identisch, d. h. schon in der Definition enthalten, sondern [ist] die Definition selbst« (ebd., S. 37). Im selben Absatz (S. 37 ff.) findet man die deutlichste Vorwegnahme des Satz der Bestimmbarkeit in VT. A

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»Dreieck« ist Grund oder Bedingung der Möglichkeit eines »rechtwinkligen Dreiecks«; anders herum geht es aber nicht, d. h. ein »rechtwinkliges Dreieck« ist nicht Grund oder Bedingung des »Dreiecks«. Mit anderen Worten, damit man von einem rechtwinkligen Dreieck sprechen kann, muss zuerst die Idee von einem Dreieck vorhanden sein; damit man aber von einem Dreieck sprechen kann, ist die Idee von einem rechtwinkligen Dreieck nicht unbedingt erforderlich. Selbstverständlich kann es irgendeine Art Dreieck geben, ohne dass es rechtwinklige Dreiecke gibt, wogegen es aber keine rechtwinkligen Dreiecke ohne Dreiecke überhaupt geben kann. Wenn ich aber im Gegensatz dazu sage, »ein rechtwinkliges Dreieck ist ein Dreieck« oder »ein rechtwinkliges Dreieck ist rechtwinklig« (VnL, S. 26), stelle ich in keinster Weise eine Beziehung der Unterordnung auf, sondern formuliere einfach eine Trivialität, eine Tautologie. In diesem Fall findet man die typische symmetrische Form einer »formellen Beziehung«. Im Subjekt ist schon alles enthalten und außerdem noch, was das Prädikat enthält. Wenn es für diese Zuschreibung im Allgemeinen einen Grund gibt, dann kann es sich nicht um einen objektiven Grund der Erkenntnis handeln, sondern nur um einen rein logischen, der in seinem Innern dem Satz der Widersprüchlichkeit unterliegt, oder der nicht unbedingt an den Satz des Grundes gebunden ist. Eigentlich gibt es hier auch keinen Grund. Mit einem dritten Beispiel: »das Dreieck ist grün« erhält man einen weiteren Beziehungstyp zwischen den Begriffen in einem Satz, der sich dadurch auszeichnet, weder eine Unterordnung noch eine (symmetrische) Nebeneinanderordnung zu sein. Es handelt sich dabei um zwei Termini, die zufällig in Beziehung zu einander gesetzt wurden. Mit anderen Worten, damit Begriffe in eine zufällige Beziehung gebracht werden können, ist kein Grund erforderlich. »Das willkürliche Denken hat gar keinen Grund, und ist also in der Tat gar kein Denken« (ebd., S. 24). 31 Damit haben wir die drei Typen der propositionalen Beziehung zwischen Objekten des Bewusstseins. Maimon glaubt, dass mit diesen drei Typen der Beziehung zwischen den Objekten des BewusstDas ist wirklich ein sehr hartes Urteil. Streng genommen, sollte man wohl sagen, dass das willkürliche Denken kein objektives Denken ist, aber nicht, dass es kein Denken sei. Es sei denn, dass Maimon festhalten will, dass alles Denken als solches objektiv ist. Es scheint mir aber in seiner Philosophie keine Elemente zu finden, um so eine radikale These zu verteidigen.

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seins gleichzeitig die Kriterien festgelegt werden »wodurch wir dreierlei Arten des Denkens, nämlich das reelle, formelle und bloß willkürliche Denken erkennen, und von einander unterscheiden« (ebd.). Die Transzendentalphilosophie legt ihren Schwerpunkt auf die Untersuchung der Beziehung der einseitigen Unterordnung, da diese die einzige ist, die auf ein objektives Denken hinweist: In Ansehung der Objekte aber, worauf sich die Erkenntnis bezieht, kann allerdings die Bedingung erkannt, und von dem dadurch Bedingten unterschieden werden. Die allgemeine Erkenntnis ist der Grund oder die Bedingung der darunter begriffenen besondern. (ebd., S. 21)

Für das Ziel des vorliegenden Kapitels ist die bis hierher erfolgte Darstellung des Satzes der Bestimmbarkeit als Kriterium des reellen Denkens erst einmal ausreichend. Es ist aber angebracht, dieser Darstellung eine kurze Beschreibung der unterschiedlichen Typen der Objekte des Denkens anzufügen, die wir laut Maimon annehmen, um uns somit eine etwas genauere Idee davon zu machen, was er als reelles Denken bezeichnet, dessen Bedingungen durch die Transzendentalphilosophie erklärt werden sollen: Objekt des Denkens ist das »an sich Bestimmte, in einer Einheit des Bewußtseins zu verbindende Mannigfaltige« (VnL, S. 16). An einer anderen Stelle unterscheidet Maimon zwischen dem »Objekt des Denkens« und dem »gedachten Objekt«. Das erste »ist alles, was dem Denken auf eine bestimmte Art gegeben wird (nicht erst durchs Denken bestimmt wird)«. Das zweite »ist das, was zwar dem Denken auf eine bestimmte Art gegeben ist, aber durchs Denken erst näher bestimmt wird« (ebd., S. 172 f.). Die einzige Form aber, Objekte in der Einheit des Bewusstseins zu denken und sie über jenen Akt des Bewusstseins zu bestimmen, »sind die, dem Denken a priori gegebenen (wenn schon das Subjekt sich derselben nicht immer bewußt ist) möglichen Verhältnisse zwischen Objekten überhaupt« (ebd., S 174). Die Spezifizierung des Begriffes eines »reell gedachten Objektes« lautet: Ein reelles gedachtes Objekt ist das, was nicht nur durch innere Merkmale an sich, sondern auch durchs Denken im Verhältnisse zu einem andern reellen Objekt bestimmt wird. Ohne die absolute Bestimmung durch innere Merkmale an sich, würde es zwar ein gedachtes, aber kein reelles, und ohne die relative Bestimmung im Verhältnisse zu einem andern reellen Objekte wür-

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de es ein reelles, aber kein gedachtes Objekt sein. Beide sind also zur Möglichkeit eines gedachten reellen Objekts notwendig. (ebd., S. 184) 32

Nachdem nun die Irrelevanz des Begriffs der Realität an sich gezeigt wurde, um ein Kriterium der Objektivität unserer Erkenntnis und unserer bestimmten (propositionalen) Akte des Bewusstseins aufzustellen, und nachdem der Satz untersucht wurde, in dem der Schlüssel zur Identifikation eines Bezuges der Erkenntnis auf Objekte im Allgemeinen liegt, können wir das Ergebnis formulieren, auf das die transzendentale Analyse der Philosophie Maimons abzielt: Das Objekt nämlich, auf das sich ein reelles Denken bezieht, ist ein ideelles Objekt oder eines, das in der Einheit des Bewusstseins mit Hilfe von Gesetzen, die diesem immanent sind, gebildet wird. Mit anderen Worten: Eine transzendentale Erklärung für den Grund des objektiven Bezuges kann nur unter dem Verzicht darauf stattfinden, eine Brücke zwischen den Indikatoren der bewusstseinsimmanenten Objektivität und der so genannten empirischen Realität zu ziehen. Das ist eine skeptische Option, die berücksichtigt werden muss, wenn man als Transzendentalphilosoph konsequent sein will. Es sei denn man würde eine spekulative Lösung für das Problem der Beziehung zwischen dem Ideellen und dem Empirischen wählen, oder, wenn man so will, für das Problem der Erfahrung, das sich hinter dem Problem der Beziehung zwischen den a priori Formen und den empirisch gegebenen Objekten bzw. den »Objekten a posteriori« (wie Maimon sie nennt) versteckt. Dabei handelt es sich um eine Alternative, die in der Philosophie Maimons virulent wird. Dass er versucht, zwischen den drei Grundsteinen das Gleichgewicht zu halten, ist – wie ich schon bemerkt habe – am charakteristischsten in seiner Philosophie. Bevor wir uns aber zu dieser Dreierposition gezwungen sehen, muss unbedingt ein Blick auf die transzendentalen Voraussetzungen im Maimonischen Wahrheitsbegriff geworfen werden. Damit wird sich uns ein neuer Weg zu der erwähnten Dreierposition eröffnen.

Eine Zusammenfassung dieser Theorie des »reellen Denkens« (im Gegensatz zum »willkürlichen Denken« und dem »formellen«) und des Satzes der Bestimmbarkeit, kann man in VnL, S. 432–435 nachlesen.

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Wahrheit aus der transzendentalen Perspektive

§ 4. Wahrheit aus der transzendentalen Perspektive Kant stellt den Übereinstimmungsbegriff der Wahrheit in dem bekannten Abschnitt der Einleitung zur KrV, der sich mit der Aufteilung der »allgemeinen Logik« in Analytik und Dialektik beschäftigt, vor. Diese Passage geht der genauso wichtigen Textstelle voraus, die von der Teilung der »transzendentalen Logik« in ebenfalls eine Analytik und eine Dialektik handelt. Kant sagt, dass im Einvernehmen mit seiner »nominalen Definition« die Wahrheit »die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande ist« (KrV, A58 = B82), 33 und fügt hinzu, dass man diese Definition aufgreift und voraussetzt, wenn man die Logiker mit der Absicht, sie in Schwierigkeiten zu bringen, nach dem Wahrheitsbegriff fragt. Es scheint, dass die Schwierigkeiten, in die man die Logiker bringen will, nichts mit der Definition der Wahrheit selbst zu tun haben, sondern vor allem mit dem Problem, »das allgemeine und sichere Kriterium der Wahrheit einer jeden Erkenntnis« zu bestimmen (KrV, A58 = B82). Kant selbst erfährt keinerlei Nachteil, wenn er den traditionellen Standardbegriff der Wahrheit als Übereinstimmung annimmt und er ist sich dieser Annahme bewusst, wenn er die Transzendentale Analytik »Logik der Wahrheit« nennt (KrV, A62 = B87). Der leichte Bezug zur Diallele (Kreisförmigkeit) und dem Problem des Kriteriums in der zitierten Textstelle, ist ausreichend, um sehen zu können, dass die Schwierigkeiten, in die man – laut Kant – die Logiker hinsichtlich des Wahrheitsbegriffes bringen wollte, von einer durch den klassischen Skeptizismus vertretenen Art sind. Bei den betreffenden Logikern handelt es sich wahrscheinlich um die Stoiker, auf die sich Sextus Empiricus ausdrücklich bezieht. 34 Der Logiker, der hier zur Frage steht, ist auf jeden Fall der allgemeine oder formelle Logiker. Der Skeptiker bezweifelt, dass es ein Wahrheitskriterium geben kann, und entscheidet sich in Hinsicht auf jenes Problem für die Urteilsenthaltung. Seine Strategie ist wohl bekannt: Entweder ist der Streit um das Kriterium unauflösbar, oder er ist auflösbar. Wenn er Ich denke, es ist richtig in diesem Zusammenhang, den Begriff »Erkenntnis« als Synonym für »Urteil« zu verstehen, so wie es Prauss (1973) vorschlägt. 34 Siehe Grundriss der pyrrhonischen Skepsis II, 2–3 [13–18]. Zu anderen Bezügen Kants zum antiken Skeptizismus siehe auch Tonelli (1967); Prauss (1973: S. 74, Anm. 16). 33

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nicht auflösbar ist, ist es ratsam, sich des Urteils zu enthalten, wenn er aber doch auflösbar sein sollte, muss nach demjenigen gefragt werden, das gestattet, ihn aufzulösen. Was könnte also behilflich sein, diesen Streit zu beheben, wenn wir noch nicht einmal wissen, ob es überhaupt ein Kriterium gibt? Ferner, um den entstandenen Streit über das Kriterium zu entscheiden, müssen wir ein anerkanntes Kriterium haben, mit dem wir ihn entscheiden können, und um ein anerkanntes Kriterium zu haben, muß vorher der Streit über das Kriterium entschieden werden. (Grundriss II, 4, [20])

Darin besteht die Diallele. Die Situation, die hier soeben beschrieben wurde, passt ungefähr auf die Situation, die Kant dargestellt hat, als er das Dilemma des formellen Logikers in Bezug auf das Wahrheitskriterium vorstellte: er gerät entweder in einen »Zirkel« oder ihm bleibt nichts Anderes übrig, als seine Ignoranz in diesem Zusammenhang zu akzeptieren. 35 Kant ist sich also der Tatsache bewusst, dass es – wenn es darum geht, eine Wahrheitsdefinition aufzustellen – nötig ist, sich dem Problem des Kriteriums zu stellen, aber weder er, noch (laut ihm) die Skeptiker, die dieses Problem aufgeworfen haben, stellen die Auffassung der Wahrheit als Übereinstimmung in Frage. Diese wird hier, wie gesagt, »angenommen« und »vorausgesetzt«. Kant nimmt das Problem des »allgemeinen« und »sicheren« Kriteriums der Wahrheit in Angriff, indem er zeigt, dass dieses Problem bisher falsch angegangen worden ist, weil es im Bereich der formellen Logik gedacht wurde. Wenn die Wahrheit, als Übereinstimmung zwischen einem Urteil und seinem Objekt verstanden, den Bezug auf ein bestimmtes Objekt impliziert, das einen genauen Inhalt hat, dann hat es keinen Sinn, ein allgemeines Wahrheitskriterium zu fordern, da ein solches nur durch die Abstrahierung besonderer, bestimmter und differenzierter Inhalte aufgestellt werden kann. Worum es aber bei der Auffassung der Wahrheit als Übereinstimmung geht, ist gerade der Bezug eines Urteils auf ein besonderes, bestimmtes und differenziertes Objekt. Nach dem allgemeinen Kriterium der Wahrheit als Übereinstimmung im Bereich der formellen In dem Handbuch zur Logik zu seinen Vorlesungen stellt Kant eine etwas feinere und genauere Version dieses »Zirkels« in Bezug auf das Problem der Wahrheit auf: Man nimmt die Definition der Wahrheit als Übereinstimmung zwischen der Erkenntnis und ihrem Gegenstand an. »Nun kann ich aber das Objekt nur mit meinem Erkenntnisse vergleichen, dadurch dass ich es erkenne.« (B. VI, S. 476). Der Verweis auf den antiken Skeptizismus ist hier offensichtlich.

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Wahrheit aus der transzendentalen Perspektive

Logik zu fragen, wäre mit dem Bild zu vergleichen, nach dem jemand »einen Bock« melkt, während jemand anderer »ein Sieb unterhält«. 36 Das heißt, damit haben wir es mit einem typischen Fall eines falsch angegangenen Problems zu tun. Von einem logisch formellen Standpunkt aus, kann nur eine negative Bedingung (conditio sine qua non) der Wahrheit angeboten werden: die Konformität des wahren Urteils mit den allgemeinen Gesetzen der Logik, vor allem mit dem des Widerspruchs. Der Satz des Widerspruchs als Satz der logischen Kohärenz des Denkens ist eine zwar notwendige aber nicht hinreichende Bedingung der Wahrheit. 37 Dieser Satz sucht keinen Anspruch eines »objektiven Denkens« zu erfüllen, sondern er wirkt als Regulator der Kohärenz des propositionalen Denkens in Unabhängigkeit vom Gedachten. 38 Ein allgemeines Kriterium der Wahrheit kann angeboten werden, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass dieses zwar notwendig aber gleichzeitig unzureichend sein müsste. Um eine befriedigende Antwort auf das Problem des Kriteriums der Wahrheit als Übereinstimmung zu geben, stellt es sich als notwendig heraus, einen von der formellen Logik verschiedenen Standpunkt einzuführen, da diese Auffassung der Wahrheit einen objektiven Bezug enthält und sich in diesem Maße nicht mit einer rein formellen Bedingung zufrieden geben kann. Dieser andere Standpunkt ist der logisch transzendentale, aus dem man nicht »von allem Inhalt der Erkenntnis« abstrahiert (KrV, A55 = B80), sondern der gar als der Standpunkt betrachtet werden sollte, aus dem man im Allgemeinen die Bedingungen des Bezuges unserer Erkenntnis von Objekten untersucht. Kann aber das Problem des allgemeinen Kriteriums der Wahrheit als Übereinstimmung von diesem Standpunkt aus gelöst werden? Genau an dieser Stelle erweist sich ein Blick auf die Anregungen Maimons als angemessen. Wenn die Übereinstimmungsbeziehung eine Abbild-Beziehung ist, die die Gegenüberstellung von heterogenen Dingen voraussetzt (den Urteilen und unseres Begriffgerüstes einerseits und den Objekten andererseits), dann ist die Idee der Siehe KrV, A58 = B82. Siehe ebd., A59/60 = B84. 38 Noch einmal im Handbuch zur Logik findet man eine raffinierte Formulierung dieser Idee: Die Nicht-Widerspruchlichkeit ist nur ein negatives »Kenzeichen der innerlichen logischen Wahrheit; […] denn ein Erkenntnis, welches sich widerspricht, ist zwar falsch; wenn es sich aber nicht widerspricht, nicht allemal wahr.« (B. VI, S. 478). 36 37

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Wahrheit unbegreiflich und führt zu all den absurden Ideen, die mit dem Begriff der objektiven Erkenntnis als Einheit der Vorstellungen, die (nicht-vorstellbaren) Objekten ähneln, verbunden sind. Eine Definition der Wahrheit als Übereinstimmung genauso wie eine rein transzendentale Lösung der Schwierigkeiten, die sie hervorruft, sollten für Maimon die Aufhebung der kontrastiven Auffassung von Heterogenen enthalten; und das würde zwei wesentliche Konsequenzen für seine Erkenntnistheorie mit sich bringen: (1) die Notwendigkeit, Übereinstimmung und Kohärenz miteinander in Einklang zu bringen (und zwar Einklang in Bezug auf den Objektbegriff und das reelle Denken) und (2) die Annahme eines konstruktivistischen Begriffes der wahren und gesamten Erkenntnis (eng mit dem Skeptizismus Maimons verbunden hinsichtlich der Möglichkeit der empirischen Erkenntnis). Nach Maimon kann man nur verstehen, dass das Problem der Wahrheit das Problem der Übereinstimmung zwischen unseren subjektiven Vorstellungen und einem Objekt ist, wenn man einen Begriff von einem bewusstseinsimmanten Objekt hat, wie derjenige, der durch die Charakterisierung des reellen Denkens erklärt wird. Wenn der transzendentale Standpunkt die Unfassbarkeit und Irrelevanz des Begriffes einer Wirklichkeit an sich mit dem Ziel, ein Kriterium der Objektivität aufzustellen, gezeigt hat, dann folgt daraus, dass die Idee des Objektes als mit den Vorstellungen übereinstimmend, auf die diese sich richten müssen, wenn sie wahr genannt werden wollen, keine transzendente Idee ist, sondern dass sie an den ideellen oder intentionalen Begriff des Objektes gebunden ist, der im Satz der Bestimmbarkeit aufgestellt wird. Mit diesem Wahrheitsbegriff wird also jene gewiss »kontrastive« oder »dualistische« Annahme zwischen den subjektiven Vorstellungen und den äußeren empirisch-wahren Inhalten aufgegeben, die der gängigen und traditionellen Auffassung der Wahrheit als »Übereinstimmung der Gedanken mit den Objekten« zugrunde liegt. 39 Für Maimon steht ganz eindeutig fest, dass man sich zu zwei Vgl. GW III, S. 182. Diese Idee Maimons ist äußerst aktuell. Sie verbindet, so scheint mir, seine Auffassung von der Wahrheit und der Erkenntnis sehr gut mit Davidsons Kohärentismus, vor allem mit seinem Vorschlag, den Dualismus zwischen »Begriffsschema« und »empirischem Inhalt« abzuschaffen (vgl. Davidson: 1984, S. 189; ders.: 1983, S. 425 f.). Ralph C. S. Walker hat in sehr ansprechender Weise auf die Verwandtschaft zwischen der »kohärentistischen Theorie der Wahrheit« und dem modernen Idealismus hingewiesen (s. Walker: 1989, Kap. II-VI).

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Punkten Klarheit verschaffen muss, wenn man verstehen will, was mit der Aussage, eine bestimmte Erkenntnis oder ein bestimmtes Urteil sei wahr, gemeint ist. Der erste Punkt besteht in der Unterscheidung zwischen einem »formellen« und einem »materiellen« Kriterium der Wahrheit, oder mit anderen Worten zwischen der »logischen Wahrheit« und der »metaphysischen«. Der zweite Punkt besteht in der Aufgabe der Idee, dass wir wissen können, wann ein Urteil wahr ist, indem wir es einem dem Bewusstsein äußerlichen objektiven Zustand der Dinge gegenüberstellen, da eine solche Gegenüberstellung unbegreiflich wäre, schon allein dadurch, dass wohl kaum eine Möglichkeit besteht, sie in Unabhängigkeit vom Bewusstsein durchzuführen. Das formelle Kriterium der Wahrheit oder das Kriterium der logischen Wahrheit ist der Satz des Widerspruchs: Vorstellungen und Begriffe sind logisch wahr, wenn sie mit den Objekten, worauf sie sich als Vorstellungen oder Begriffe beziehen, nach den Gesetzen des Widerspruchs und der Identität, übereinstimmen, d. h. wenn ihre Prädikate den, in den Objekten gedachten Prädikaten nicht widersprechen. (VnL, S. 18)

Das materielle Kriterium der Wahrheit oder das Kriterium der metaphysischen Wahrheit scheint nichts Anderes zu sein als der Satz der Bestimmbarkeit, da – wie schon gesagt wurde – nur ein bewusstseinsimmantes Objekt fassbar ist: Vorstellungen und Begriffe […] sind metaphysisch wahr, wenn sie als Bestandteile des im Objekte verbundenen Mannigfaltigen nicht bloß (aus Mangel des Widerspruchs) gedacht, sondern (aus, außer dem Denkvermögen liegenden, Gründen) erkannt werden. Die logische Wahrheit bezieht sich unmittelbar auf die Vorstellungen und Begriffe, die metaphysische Wahrheit hingegen bezieht sich unmittelbar auf die Objekte selbst, und mittelbar auf die Vorstellungen und Begriffe. (ebd.)

Bei der hier angeführten Definition der metaphysischen Wahrheit muss festgestellt werden, dass die von Maimon eingefügte Klammer (»aus, außer dem Denkvermögen liegenden, Gründen«) dem widerspricht, was zuvor über den Begriff der Objektivität als bewusstseinsimmanent gesagt wurde. Das ist in dem Maße wahr, wie Maimon prima facie den traditionellen Begriff der metaphysischen Wahrheit als Übereinstimmung zwischen Vorstellungen und äußeren Objekten aufgreift. 40 Er wird sich aber gegen diese »gemeinigliche« und 40

Das gleiche gilt ebenfalls für die Definition im Wörterbuch: »Metaphysische WahrA

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traditionelle Auffassung wehren. Eine solche Auflehnung bestünde genau darin zu zeigen, dass der Begriff eines Objektes, der mit den für wahr gehaltenen Vorstellungen übereinstimmt, nur dann fassbar sein kann, wenn er als bewusstseinsimmanent verstanden wird. Und aus dieser Auflehnung folgen, wie schon gezeigt wurde, der kohärentistische genauso wie der konstruktivistische Charakter in der maimonschen Theorie der Wahrheit und der Erkenntnis. A.

Kohärentismus

Maimons kohärentistische Auffassung der Wahrheit könnte man mit der von ihm selbst vorgeschlagenen Auflösung der Grenzen, die das logische Kriterium der Wahrheit und das Kriterium der metaphysischen Wahrheit trennt, so wie dieses letzte traditionellerweise aufgefasst und wie es prima facie von Maimon angenommen wird. Für Maimon sind »die Übereintimmung der Vorstellungen untereinander« – das Kriterium der Kohärenz – und die »Übereinstimmung« der Vorstellungen »mit den Objekten« – das kontrastive, prima facie angenommene Kriterium – »in der Tat einerlei; denn was heißt, Vorstellungen stimmen mit einander überein anders als sie stimmen in einem Objekt überein?« (VnL, S. 246). Wenn die Übereinstimmung der Vorstellungen untereinander und ihre Übereinstimmung mit den Objekten im Grunde genommen das Gleiche ist, worin besteht dann der Unterschied zwischen der rein logischen Übereinstimmung und der metaphysischen Übereinstimmung, den die Transzendentalphilosophie – als Theorie der Bedingungen des objektiven und nicht rein formellen Denkens – beachten sollte? Maimon sagt darauf: »Der Unterschied besteht bloß darin, daß die logische Übereinstimmung analytisch, die metaphysische aber synthetisch ist; in beiden ist aber die Übereisntimmung in Beziehung aufs Objekt« (VnL, S. 246 f.). In Maimons Weigerung, den traditionellen und »gemeiniglichen« Unterschied 41 zwischen logischer Wahrheit und metaphysischer Wahrheit anzunehmen, sollte man vor allem beachten, dass heit ist die Übereinstimmung der Gedanken mit den Objekten.« Die Annahme jener Definition nur prima facie wird eindeutig, wenn er sagt: »So drücken sich gemeiniglich die Philosophen darüber aus.« (GW III, S. 182). 41 Siehe das Wörterbuch (GW III, S. 182). In VnL heißt es: »Gemeinhin heißt es: Vorstellungen sind logisch wahr, wenn sie mit einander, metaphysisch wahr, wenn sie mit den Objekten, worauf sie sich beziehen, übereinstimmen« (S. 246).

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Wahrheit aus der transzendentalen Perspektive

die Betonung dabei eindeutig auf die Unbegreiflichkeit eines konstrastiven Wahrheitsbegriffes gesetzt ist, in dem die Übereinstimmung zwischen subjektiven Vorstellungen und den in Bezug auf diese Vorstellungen völlig heterogenen Objekten vorausgesetzt wird. Die Übereinstimmung zwischen heterogenen Dingen ist nicht fassbar. Maimons Alternative in Hinsicht auf den Wahrheitsbegriff ist die Folgende: Entweder betrachtet man das Objekt, das mit unseren Vorstellungen übereinstimmt, als bewusstseinsimmanent, und man legt somit nach transzendentalem Verfahren einen Indikator oder ein Kriterium des objektiven Bezuges fest, so wie es im Satz der Bestimmbarkeit erfolgt ist, oder aber man muss eine Auffassung von der Wahrheit als Übereinstimmung annehmen, die nicht nachvollziehbar ist, da sie versucht, die Vorstellungen mit etwas in Beziehung zu bringen, was als solches nicht in Inhalte des Bewusstseins überführt werden kann, da es sich dabei um zwei völlig heterogene Dinge handelt. Dieses Argument von der Unbegreiflichkeit der Beziehung zwischen heterogenen Dingen ist eines der Grundargumente des philosophischen Idealismus und auch der so genannten kohärentistischen Theorie der Wahrheit. Dieser Standpunkt wird von Maimon in seiner Polemik mit dem Kantianer Johann Heinrich Tieftrunk (1760–1837) deutlich präzisiert. Tieftrunk hatte seine Befremdung gegenüber dem Wahrheitsbegriff geäußert, den Maimon in einem Artikel vorschlug, in dem er sich mit der Definition Wolffs auseinandersetzte. 42 Mit dem Ziel, seine Definition der logischen Wahrheit als »Übereinstimmung unseres Urteils mit dem Objekte« zu veranschaulichen, bringt Wolff zum Vergleich ein Beispiel an: »Ein D (eine dreiseitige Figur) hat drei Winkel« (GW I, S. 600). Maimon betrachtet dieses Beispiel als unpassend, da jenes kein Beispiel für einen logischen Satz ist, in dem einfach ein Objekt im Allgemeinen gedacht wird. Mit dem Satz »Ein D hat drei Winkel« haben wir vielmehr ein »bestimmtes Objekt« des Denkens, und zwar derart, dass die Zuschreibung des Prädikats von den »Möglichkeiten der Bestimmung« abhängig ist, die, denen durch den Satz des Widerspruchs vorgeschriebenen, noch übergeordnet sind. Streng genommen, schreibt der Satz des Widerspruchs keine Bestimmung vor; bzw. die, die er vorschreibt, ist zu minimal, um in der Theorie der Erkenntnis und der Wahrheit in Betracht gezogen zu werden. 42

Siehe GW I, S. 599–616; besonders S. 600 ff. A

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Was hervorgehoben werden soll, ist an dieser Stelle, dass Maimon Wolffs Beispiel der logischen Wahrheit als einen typischen Fall für einen synthetischen Satz betrachtet, dessen Wahrheit von Bedingungen der Bestimmung des Denkens abhängt, die weniger allgemein sind, oder sozusagen weniger minimal, als die im Satz des Widerspruchs festgelegten. Maimon betrachtet diesen Typ synthetischer Sätze als subjektiv wahr, d. h. er ist »eine […] notwendige Art, ein bestimmtes Objekt zu denken« (a. a. O., S. 602). Anders dagegen ist der Satz: »Ein Dreieck ist mit sich selbst einerlei« für Maimon »eine objektive Wahrheit«, da er nicht nur für mich gilt, sondern für »jedes denkende Wesen überhaupt.« Und nicht nur ein bestimmtes Objekt (Dreieck), sondern »jedes Objekt überhaupt« muss als identisch mit sich selbst gedacht werden (ebd.). Um den synthetischen Satz: »Ein D hat drei Winkel« als Beispiel der »subjektiven Wahrheit« zu betrachten, gibt Maimon einerseits eine perspektivistische Interpretation der Notwendigkeit und Allgemeinheit, die diesem Typ von Sätzen zugeschrieben werden, d. h. er denkt, dass diese Zuschreibung für bestimmte denkende Objekte gültig ist, ohne dass festgelegt werden kann, ob dieser Fall für alle anderen auch gilt. 43 Andererseits wird der Begriff der metaphysischen (oder synthetischen) Wahrheit mit dem Begriff eines bewusstseinsimmanenten Objekts verbunden, d. h. mit einem Objekt, das durch den Vorgang des Denkens einen konkreten Inhalt erhält; und gewiss dann, wenn sich dieser Vorgang in Urteilen äußert: Eigentlich zu reden, ist Wahrheit nicht ein nach Gesetzen des Denkens herausgebrachter Satz, sondern die Operation des Denkens selbst, woraus dieser Satz herausgebracht wird, ist Wahrheit. Der Satz ist bloß die Materie oder der Stoff, woraus die Form wirklich wird. (GW I, S. 603)

Wahre synthetische Sätze wie der aus dem Beispiel »gelten […] nicht von einem Objekt überhaupt, auch nicht von diesen bestimmten Objekten in Beziehung auf jedes denkende Wesen überhaupt« (GW I, S. 602). Es ist anzunehmen, dass Maimon dabei an synthetische Sätze der Mathematik denkt. Deshalb scheint die folgende Erklärung zu verwirren: »Die mathematischen Sätze sind also objektiv wahr, aber nur unter Voraussetzung der Objektivität ihrer Grundsätze (da diese doch möglich ist); sonst sind sie, wie die Grundsätze selbst, bloß subjektiv wahr« (ebd.). Damit dieser Satz eine innere Kohärenz bekommt, oder anders, eine Kohärenz mit dem, worum es mir geht, sollte nur der zweite Teil festgehalten werden, und auf den ersten sollte man verzichten. Oder man könnte auch den ersten Teil als gültig für einen unendlichen Verstand annehmen, und den zweiten als gültig für uns verstanden als endlicher Verstand.

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In dieser Erklärung treffen in gewisser Weise der Kohärentismus und der Konstruktivismus zusammen, die für den maimonschen Wahrheitsbegriff charakteristisch sind. Mit dem konstruktivistischen Aspekt werde ich mich weiter vorn noch beschäftigen. Tieftrunk, wie ich schon angedeutet habe, vermisst in der maimonschen Definition der metaphysischen oder synthetischen Wahrheit eine kontrastive Annahme, die mit unserer allgemeinen Auffassung der Wahrheit zusammenhängt: Die logische Wahrheit verlangt Übereinstimmung mit den Denkgesetzen, die synthetische aber Übereinstimmung mit dem Gegenstande; sie fügt sich also in die allgemeinen, sowohl formalen als materiellen Bedingungen, der Erkenntnis, und verlangt Gleichlaut des Begriffs und des Gegenstandes. (GW II, S. 451) 44

Tieftrunk glaubt, dass die durch den Satz des Widerspruchs aufgestellte logische Kohärenz mit Mühe und Not einen »negativen Probierstein der Wahrheit« (ebd., S. 456) bildet. Wenn es darum geht, etwas mehr als kohärentes Denken zu begründen, d. h. wahre Erkenntnis, ist ein positiver Probierstein der Wahrheit erforderlich, »der uns zu erkennen giebt, ob unsere Begriffe mit den Objekten übereinkommen, oder nicht« (ebd.). Wenn auch die wahre Erkenntnis beide Kriterien erfüllen soll, das negative ist nur eine notwendige Bedingung, aber nicht ausreichend für sie. 45 Deshalb müssen beide Kriterien klar differenziert werden. Diese Differenzierung ist der Schlüssel zur kantischen Unterscheidung zwischen formeller und transzendentaler Logik. Von einem formell logischen Standpunkt aus also besteht die »logische Möglichkeit eines Begriffes« in ihrer »bloßen Denkbarkeit« nach »Bedingungen und Gesetzen des reinen Denkens« (GW II, S. 448 f.). »Die logische Wirklichkeit eines BeSiehe auch GW II, S. 454: »Wir wollen nicht bloß wissen, was die formale Funktion der Denkkraft, unabhängig von allen Objekten, in sich selbst thue, sondern, in welcher Beziehung sie auf Objekte stehe, und woran man wissen könne, ob ein Gedanke seinem Gegenstande entspreche, oder nicht.« Außerdem weiter vorn, S. 455: »Es gilt also hier nicht ein Denken und Nichtdenken, sondern ein Denken, durch das Objekt bestimmt; folglich auch ein wahres und falsches Denken; ein wahres, wenn es dem Objekte angemessen ist; im Gegentheil ein falsches.« Ebenfalls S. 462: »Die Wahrheit, in der Absonderung gedacht, ist die Übereinstimmung der Erkenntnis mit sich selbst und ihrem Objekte; die Wahrheit als Eigenschaft der Erkenntnis betrachtet, erfordert, dass diese den Gesetzen des Denkens und Erkennens gemäß sei, und mit dem Objekte zusammentreffe.« 45 Siehe auch KrV, A59 f. = B83 f. 44

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griffs« »beruht« wiederum »darauf, daß er gedacht wird« (ebd. S. 449). »Die logische Nothwendigkeit eines Begriffs beruht auf der Funktion des reinen Denkens, wenn wir einsehen, daß er durch die Spontaneität der Denkkraft nothwendig erzeugt wird, z. B. der Begriff eines höchsten Wesens« (ebd., S. 450). Von einem transzendental logischen Standpunkt aus jedoch muss von der materiellen Möglichkeit »der Begriffe und Urteile« gesprochen werden, die »auf der Übereinstimmung derselben mit den formalen Bedingungen des Denkens und Anschauens zugleich [beruht]« (ebd., S. 449). Dem Begriff der logischen Wirklichkeit wird wiederum logisch transzendental der Begriff der »synthetischen Wirklichkeit« gegenübergestellt, der »erfordert, daß dem gedachten Begriffe auch noch ein Gegenstand in der Anschauung entspreche; er muß also mit den materiellen Bedingungen der Erfahrung übereinstimmen, und sein Objekt muß durch Empfindung oder Wahrnehmung gegeben sein« (ebd.). Schließlich erfordert die »synthetische Nothwendigkeit, daß der Gegenstand eines Begriffs mit der Wahrnehmung so zusammenhängt, daß er durch allgemeine Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist« (ebd., S. 450). Die kontrastive Annahme der Wahrheit kann klarer nicht sein, weil in diesem kontrastiven Modell der Begriff des »Gegebenen« in der Wahrnehmung auf der Seite des Objektiven und Wirklichen auftritt. Für Maimon aber – für den die Unterscheidung zwischen formeller und transzendentaler oder objektiver Logik ein zentraler Punkt in seinem Denken ist – ist die kontrastive Auffassung, die der Charakterisierung Tieftrunks zugrunde liegt, unbegreiflich. Seine Position ist nicht nur dadurch anregend, weil er auf diese Unbegreiflichkeit aufmerksam macht, sondern weil er außerdem noch darauf insistiert, dass diese kontrastive Idee der materiellen Wahrheit auch für einen konsequent kantischen Standpunkt unbegreifbar sein müsste, und zwar im Einvernehmen mit der Idee, dass das Zusammentreffen oder die Übereinstimmung von so heterogenen Dingen wie Objekten oder »gegebenen« Wirklichkeiten und Vorstellungen gesucht wird. In Maimons Antwort an Tieftrunk in Bezug auf die Unbegreiflichkeit eines kontrastiven Begriffs der Wahrheit sollte man meiner Meinung nach ein Sternmoment in der Geschichte des philosophischen Idealismus im Allgemeinen und der postkantischen Philosophie im Besonderen anerkennen. Die vollständige Textstelle lautet: 262

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Ich kann nicht glauben, daß Sie, als ein Kantianer, hier auf den Stein des Anstoßes, woran schon viele gestrauchelt, gerathen sind. Was heißt es: ein Begriff entspricht dem Gegenstande, oder ist demselben gemäß? Gemeiniglich stellet man sich den Gegenstand als das Urbild, und den Begriff als sein Nachbild vor. Aber zu geschweigen, daß wir kein Mittel haben, dieses Nachbild mit seinem Urbilde zu vergleichen, so hat dieser Ausdruck überhaupt gar keine Bedeutung, indem der Gegenstand etwas von dem Begriffe verschiedenes, was doch mit demselben einerley ist, seyn soll. Soll dieser Ausdruck einen Sinn haben, so kann das Urtheil: der Begriff entspricht einem Gegenstande, nichts anderes heißen, als: er hat einen Gegenstand; d. h. es wird dadurch etwas wirklich gedacht, und ist nicht bloß eine Combination von Zeichen, ohne alle Bedeutung. Die Frage ist aber hier nicht, ob wir den Begriff wirklich denken? denn dieses sagt uns der innere Sinn; sondern ob diese Art, wie wir ihn denken, objektiv, für alle denkende Wesen, oder bloß subjektiv für uns gültig ist? und dieses kann freylich von uns in Ansehung der synthetischen Wahrheiten nicht ausgemacht werden, weil wir von keiner anderern Denkungskraft als der Unsrigen, uns einen Begriff machen können. (GW II, S. 476 f.)

Maimon berührt hier den Kernpunkt, der die allgemeine und traditionelle kontrastive Auffassung der Wahrheit als Übereinstimmung zwischen Vorstellung und Objekt unbegreiflich macht. Und bei diesem Punkt handelt es sich um den nicht verifizierbaren Realismus, der dem Repräsentationalismus zugrunde liegt. Die Unbegreiflichkeit der besagten Auffassung besteht darin, dass der Repräsentationalismus einerseits voraussetzt, dass der wahre Bezug der Vorstellungen mit objektivem Wert – d. h. der Vorstellungen, die Vorstellungen von etwas von ihnen Verschiedenem sind – qua Vorstellungen eine Beziehung vom Typ der Kopie oder der Abbildung vom Original sei. In den Termini, die Maimon im angeführten Absatz benutzt, geht es um die Annahme, dass unsere Vorstellungen (in diesem Fall die begrifflichen) »Nachbilder« der Objekte sind, die selbst als »Urbilder« betrachtet werden. Die Bestätigung andererseits aber, dass diese Beziehung der Abbildung (oder der doppelten Darstellung sozusagen) überhaupt erfolgen kann, verlangt einen Vergleich (oder eine Gegenüberstellung) von Abbildung und Original zu dem Zweck herauszufinden, ob die Abbildung bzw. die Vorstellung dem Vorgestellten ähnlich ist. Eine solche Gegenüberstellung ist aber unmöglich. Warum? – Weil sie die Annahme einer Perspektive voraussetzt, die außerhalb dieser Abbildungsbeziehung liegt; d. h. sie setzt eine Perspektive voraus, die uns erlaubt, außerhalb der Erkenntnisbeziehung (der Beziehung der Vorstellung oder der doppelten Darstellung) zu wissen, dass sich die BeA

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griffe dieser Beziehung der Erkenntnis – einer dem anderen – ähneln. Und genau das ist einem endlichen Verstand oder einem Verstand, der zwangsläufig zu einer Beziehung mit der Erkenntnis verdammt ist, nicht möglich. Wenn diese Annahme einer außerhalb der Beziehung der Erkenntnis liegenden Perspektive, aus der die Gegenüberstellung der Begriffe der Beziehung durchgeführt werden soll, die gleiche ist, die der Idee eines an sich reellen Objektes beiwohnt, können wir die Sinnlosigkeit des transzendentalen Realismus bestätigen. Der Begriff des »Dinges an sich« ist für Maimon eine unmögliche Idee, die Idee eines »nihil absoluto«. Er beschreibt ihn manchmal pffiffiffiffi mit dem Ausdruck a (GW VII, S. 160; 1939). Er bezieht sich auch auf diese Idee, als würde es sich um einen »Wahn« (ebd., S. 67) oder ein »Unding« (GW IV, S. 70) handeln. Der Realismus, der dem Repräsentationalismus zugrunde liegt, ist so wenig verifizierbar, vor allem aber nicht nachvollziehbar, da er eine Gegenüberstellung erfordert, einen Vergleich, der nicht durchgeführt werden kann. Zu diesem Unsinn kommt noch hinzu, dass laut der besagten realistischen Auffassung die wahre Vorstellung als Ähnlichkeit (oder Entsprechung) zwischen heterogenen bzw. verschiedenen Dingen betrachtet wird. Dieser Aspekt der Nicht-Nachvollziehbarkeit der (realistischen) Theorie der Wahrheit als Übereinstimmung wird in dem erwähnten Textausschnitt aus der Polemik mit Tieftrunk von Maimon konkretisiert und bildet eine häufig wiederholte Argumentationslinie in seinem Werk. Weiter oben wurde schon gesagt, dass die allgemeine und traditionelle Unterscheidung zwischen logischer Wahrheit und metaphysischer Wahrheit für Maimon nicht befriedigend ist, und dass die Verbindung, die er zwischen der inneren Übereinstimmung (bzw. der Vorstellungen unter sich) und der Übereinstimmung der Vorstellungen mit dem Objekt zieht, seinen kohärentistischen Standpunkt in Bezug auf den Begriff der Wahrheit ausmacht. Da Wahrheit und Falschheit offensichtlich nur die propositionale Erkenntnis, das »diskursive Denken«, betreffen, muss diese kohärentistische Auffassung folgendermaßen formuliert werden: Übereinstimmung unseres Urteils mit dem Objekte heißt bei mir, die Übereinstimmung des besonderen Urteils, das sich auf ein bestimmtes Objekt, mit dem allgemeinen, das sich auf ein Objekt überhaupt beziehet. (GW II, S. 471)

Nur auf diese Art verstanden, hat, nach Maimon, eine Theorie der Wahrheit als Übereinstimmung auch Sinn. Die Annehmbarkeit und 264

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eine angemessene Wertung der maimonschen Theorie hängen meines Erachtens von dem ab, was er als »bestimmtes Objekt« versteht. Das kann nicht das »logische Objekt« sein, weil das logische Objekt nichts Bestimmtes hat. 46 Es kann sich auch nicht um ein empirisches Objekt handeln, das von der Vorstellung verschieden ist, die ihm aber entsprechen soll, da gerade diese Auffassung der epistemologischen Übereinstimmung als nicht-nachvollziehbar kritisiert wurde. Was ist also jenes bestimmte Objekt, auf das sich das besondere Urteil bezieht, ein Urteil also, das mit einem allgemeinen Urteil über ein allgemeines bzw. logisches Objekt übereinstimmen soll? Die Antwort muss lauten: das Objekt des reellen Denkens, von dem hier schon mehrmals gesprochen wurde. Damit wir uns davon ein vollständigeres Bild machen können, ist es ratsam, das, was ich den konstruktivistischen Aspekt der Theorie der Wahrheit und der Erkenntnis bei Maimon genannt habe, genauer zu untersuchen. B.

Konstruktivismus

Wenn Maimon sagt, dass die Wahrheit genau genommen »die Operation des Denkens selbst« ist, woraus der Satz, den wir für wahr nehmen, »herausgebracht wird« (GW I, S. 603), regt er damit in einem konstruktivistischen Bereich die Einführung seiner Auffassung von der Wahrheit an. Das Gleiche lässt sich von seiner Interpretation des Ausdrucks »der Begriff entspricht einem Gegenstande« sagen. Dieser Ausdruck bedeutet eigens nach Maimon, wie man schon gesehen hat, dass der Begriff »einen Gegenstand hat«; »d. h. es wird dadurch etwas wirklich gedacht« (GW II, S. 477). In seinem ersten Artikel »Über Wahrheit« setzt Maimon den Vergleich der Wahrheit mit einer Münze ein, um diese konstruktivistische Auffassung der epistemischen Bestimmung eines Objektes zu veranschaulichen. Genauso wie im Fall einer Währung, besteht der Wert der Wahrheit aus zwei Bestandteilen: einem formellen oder nominalen und einem materiellen oder reellen. 47 Diese beiden wesentlichen Bestandteile der Wahrheit stehen mit der maimonschen Unterscheidung zwischen einem symbolischen oder diskursiven

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Siehe oben Anmerkung 13. Siehe GW II, S. 619 ff. A

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Denken und einem intuitiven Denken in Verbindung. 48 Der formelle Wert und der materielle Wert der Wahrheit können, wie im Fall der Währung, gemeinsam betrachtet werden, aber auch für sich getrennt. Der erste der beiden Fälle ist der der von Maimon so genannten »reellen Begriffe« und der »synthetischen Grundsätze«, wenn diese in der Form verstanden werden, dass sich von ihnen »neue Sätze« ableiten (GW I, S. 612). Dabei scheint Maimon an einen corpus von wissenschaftlichen Sätzen zu denken, die, wie im Fall der Geometrie, axiomatisch abgeleitet werden. In der logischen Aneinanderreihung der Sätze kann anhand von synthetischen Grundsätzen die Form ausgemacht werden und die Materie anhand der Tatsache, dass das Gedachte durch die verschiedenen Begriffe und Sätze bestimmbar oder intuitiv konstruierbar ist. Form und Materie werden, wenn die erwähnte axiomatische Ableitung nicht stattfindet, für getrennt voneinander gehalten. So kann man z. B. den »reellen Begriff« Dreieck oder den synthetischen Satz, »ein Dreieck hat drei Winkel«, isoliert betrachten, d. h. indem nur ihr materieller Wert beachtet wird und ohne dass sie in ein System der Erkenntnis eingebunden werden, dass den Gesetzen der logisch-formellen Ableitung gehorcht. In gleicher Weise kann man sich eine Isolierung der Form ohne realen Inhalt vorstellen, z. B. wenn man sich ein »Dreieck mit zwei rechten Winkeln« vorstellt, und man »daher nach der notwendigen Form des Denkens gewisse Folgen leitet« (ebd.; S. 613). Ein »Dreieck mit zwei rechten Winkeln« ist kein »reeller Begriff«. Trotzdem haben wir hierbei einen Begriff, der – auf irgendeine Weise – ein Denken darstellt. Das Spezifische jenes propositionalen Denkens besteht darin, dass es bloß propositional ist; mit anderen Worten: dass es wie eine Währung mit bloßem Nominalwert ist aber keine reelle Deckung besitzt. Auch wenn man von jenem Satz andere Sätze ableiten kann, indem man die Regeln des formellen und kohärenten Denkens verfolgt, hätten wir dabei »eine reelle Form des Denkens, aber ohne Materie« (ebd.). Ein so aufgestellter bzw. herausgebrachter Satz, kann nicht benutzt werden. Wenn wir den Begriff »ein Dreieck mit zwei rechten Winkeln« denken, haben wir gewiss wirklich gedacht, aber wir haben dennoch nichts Reelles gedacht. 49 Siehe GW I, S. 607; GW II, S. 478; vgl. auch VT, S. 22 ff. Dass Maimon dennoch denkt, dass von einem ähnlichen, (für uns) nicht reellen Begriff nach den Regeln des formellen Denkens »gewisse Folgen« abgeleitet werden kön-

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Wenn man versuchen würde, bei einer Währung die Form von der Materie zu trennen, würde diese, nach Maimon, jeden Wert verlieren, und wäre nichts »als ein verabredetes Zeichen im Lande« oder ein rein konventioneller Wert, der regional festgelegt wurde. Eine Währung mit bloßem Nominalwert und ohne materielle Deckung kann aber nicht »allgemein gebraucht werden; hingegen die Materie ihren Wert allgemein behält« (GW I, S. 613). Wenn wir aber die Form vom Inhalt der Wahrheit trennen, geschieht genau das Gegenteil: »[D]ie Form hat einen allgemeinen Wert, in sofern dadurch immer ein reelles Denken hervorgebracht wird, die Materie hingegen hat nur bey uns, nicht aber bey jedem denkenden Wesen überhaupt einen Wert« (ebd.). Wie es damit auch immer sei, die Erkenntnistheorie beschäftigt sich mit den Bedingungen des reellen und bestimmten Denkens von einem Objekt. Und das bedeutet: mit den Bedingungen des Zusammentreffens von Materie und Form in wahren Urteilen. Ein solches Zusammentreffen erfolgt z. B. im mathematischen Satzbau. Deshalb zieht Maimon gerade ein Beispiel aus der Geometrie heran, um die Unterscheidung zwischen dem logischen und dem metaphysischen Kriterium der Wahrheit zu veranschaulichen und um damit gleichzeitig das Zusammentreffen von beiden Kriterien in einer wahren und vollständigen Erkenntnis zu zeigen: Wenn ich ein reguläres Dekaeder durch die allgemeine Vorstellung oder den Begriff von Figur vorstelle, so ist meine Vorstellung mit dem gedachten Dekaeder, nach den Gesetzen der Identität, übereinstimmend, und folglich logisch wahr; das gedachte Objekt selbst aber ist unmittelbar und vermittelst desselben auch die Vorstellung metaphysisch falsch. Ein reguläres Dekaeder kann nicht durch eine Figur vorgestellt werden, weil keine Figur ein reguläres Dekaeder ist. (VnL, S. 18)

nen, könnte die Vorwegnahme von nicht-euklidischen Geometrien anregen (siehe Katz: 1914, S. 49 ff.). Jene Vorwegnahme von nicht-euklidischen Geometrien ist vor allem seinem Skeptizismus und seinem Perspektivismus zu verdanken. Das kann daran gesehen werden, dass Maimon den Begriff »Dreieck mit zwei rechten Winkeln« nicht wie eine »falsche Währung« ohne jeglichen Wert betrachtet, wie zu erwarten wäre. Der reelle Wert ist subjektiv, je sicherer die transzendentale Untersuchung ihn auch ans Licht zieht. Das ist eine der wichtigsten Folgen des maimonschen Skeptizismus: Solange es auf die Frage quid facti? keine Antwort gibt, können andere Formen des bestimmten Denkens nicht ausgeschlossen werden. Im letzten Teil des zitierten Absatzes aus der Polemik mit Tieftrunk wird dieser Standpunkt deutlich (siehe GW II, S. 486; 491 ff.). A

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Ein reguläres Dekaeder kann nicht konstruiert (als Figur vorgestellt) werden, und erfüllt deshalb nicht die Bedingung, ein Objekt zu sein, mit dem eine Vorstellung übereinstimmen könnte. Dass diese Übereinstimung nicht erfolgen kann, bedeutet das Gleiche wie zu sagen, dass jenes Objekt nicht als Figur vorgestellt bzw. konstruiert werden kann. Darin besteht die metaphysische Wahrheit (die Übereinstimmung zwischen Vorstellungen und Objekten), nämlich in der Möglichkeit der Konstruktion. Zwar drückt sich Maimon hier nicht sehr fein aus, da er von logischer und metaphysischer Wahrheit in Bezug auf Begriffe und nicht auf Urteile redet, wie es eigentlich sein sollte. Wichtig ist aber, dass das, woran er dabei denkt, ist, dass das rein logische Denken relativ unbestimmt ist (deshalb kann, wie in dem Beispiel, ein reguläres Dekaeder ohne Widerspruch gedacht werden); wogegen das Denken, dass der Wahrheit in metaphysischem Sinne zugrunde liegt, das reelle Denken, Bestimmung verlangt: ein reguläres Dekaeder kann nicht (so Maimon) als Figur vorgestellt werden bzw. kann nicht in Übereinstimmung mit unserem Begriffsschema konstruiert werden. An dieser Stelle interessiert aber die folgende Frage: Ist dieses Beispiel des Dekaeders, oder auch das des Dreiecks aus »Über Wahrheit«, ein einfaches Beispiel für die Übereinstimmung von Form und Inhalt der wahren Erkenntnis in der Konstruktion, oder handelt es sich dabei vielmehr um ein Modell der vollständigen objektiven Erkenntnis schlechthin? Eher das Letztere scheint der Fall zu sein. Es geht also nicht darum, dass für Maimon die Übereinstimmung der Vorstellungen untereinander und mit dem Objekt ähnlich wie im Satzbau der Mathematik stattfindet, sondern dass eine solche Übereinstimmung nur in der Mathematik stattfindet. 50 Das Ergebnis, zu dem die Transzendentalphilosophie also gelangt, ist das folgende: wenn sie eine kohärente und verständliche Auffassung von der objektiven Erkenntnis oder von der Übereinstimmung anbieten will, muss sie diese Beziehung der Übereinstimmung in Begriffen der Konstruktion, der Hervorbringung des Objektes verstehen. Die Objektivität kann nur von einem logisch In Hinsicht auf diesen Konstruktivismus Maimons sollte man die Antwort beachten, die er Schulze in Bezug auf den kontrastiven Begriff der Wahrheit als Übereinstimmung gibt, bei dem es sich um den Wahrheitsbegriff handelt, den Schulze vertritt und von dem sein epistemologischer Skeptizismus in großem Maße abhängt (siehe VnL, S. 368 f.).

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transzendentalen Standpunkt aus nachvollziehbar gemacht werden, und zwar muss dabei jede materielle empirische Komponente in dem Begriff eines Objektes ausgeschlossen werden. Kurz gesagt: Der transzendentale Standpunkt bietet eine verständliche Erklärung für die Beziehung der Übereinstimmung zwischen einem Objekt und den Vorstellungen, die wir von ihm haben. Die Verständlichkeit dieser Erklärung ist an die Aufgabe einer kontrastiven Theorie der Wahrheit gebunden genauso wie an den Ausschluss der Auffassung des entsprechenden Objekts in den Termini des empirisch Gegebenen. Die Aufgabe dieser beiden Auffassungen rechtfertigt sich theoretisch wiederum dadurch, dass sie keinen Sinn haben oder nicht nachvollziehbar sind. Also wenn auf dieser Grundlage die transzendentale Erklärung der Objektivität, die mit unseren wahren Urteilen übereinstimmt, richtig ist, muss zwangsläufig anerkannt werden, dass die einzige Erkenntnis, die man in strengem Sinne für objektiv und wahr halten kann, die mathematische Erkenntnis ist. Maimon kommt so, indem er ein transzendentales Erklärungsmodell verfolgt, zu einem skeptischen Ergebnis in Bezug auf die empirische Erkenntnis: »[W]ir [haben] keine andere (reelle) objektive Erkenntnis, als die mathematische, und […] die sogennante empirische Erkenntnis [ist] bloß Scheinerkenntnis« (VnL, 120). Der transzendentale Standpunkt hat die Irrelevanz des Begriffes des empirisch Gegebenen für die Bestimmung der Objektivität gezeigt. Auf den Beweis dieser Irrelevanz zielt die maimonsche Kritik des kausalen Noumenalismus. Somit legt Maimon einen Indikator für die Objektivität fest, der nicht nur nicht in kausaler Art mit den empirischen Inhalten verbunden ist, sondern in überhaupt gar keiner. Es handelt sich dabei um einen Begriff der Objektivität, der jede empirische Komponente ausschließt, da die Einbeziehung des Empirischen das Problem aufwerfen würde, in welcher Weise denn heterogene Dinge in Beziehung gesetzt werden können. Deshalb scheint Maimon vorzuschlagen, dass man das Objektive als dasjenige verstehen sollte, was trotz jeder subjektiven Abwandlung »unverändert bleibt« (VnL, S. 119). Dieses Unveränderte in der Erkenntnis ist nicht empirisch und kann nicht empirisch sein; und außerdem kann es in keiner Weise mit den empirischen Inhalten verbunden sein. Dieses Unveränderte entspricht dem Feld der formellen Bedingungen, die das Zusammentreffen der bestimmten Vorstellungen eines Objektes mit genau diesem Objekt ermöglichen, d. h. dem Feld auf dem die A

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ideelle Konstruktion stattfindet. Somit erhält man eine Theorie der Objektivität, die mit dem transzendentalen Idealismus innerlich kohärent ist, man muss aber auf die Erfahrung verzichten. Daraus folgt natürlich nicht die Verneinung der empirischen Erkenntnis, sondern vielmehr ihre Nichtberücksichtigung im Modell der Objektivität, das aus transzendentaler Perspektive als das einzig verständliche gezeigt wurde. Demzufolge finden wir uns vor einem Dilemma wieder, dass weniger die Realität der empirischen Erkenntnis betrifft als die Nachvollziehbarkeit der Art und Weise, in der diese stattfinden kann. Auf die Lösung dieses Problem richtet sich der spekulative Aspekt der maimonschen Philosophie.

§ 5. Spekulation Der spekulative Aspekt der Philosophie Maimons besteht in seiner dunklen Differenzialtheorie, die auch die Theorie der Infinitesimale der Sensation 51 genannt wird, und in seiner Theorie des unendlichen Verstandes. Diese beiden Theorien erscheinen, wie schon gesagt, vorrangig im VT und sind, da sie spinozisch-leibnizisch inspirierte Theorien sind, ausschlaggebend dafür, dass Maimon sich selbst als einen »rationellen Dogmatiker« (VT, S. 436) betrachtet. Die erste ist mit einer graduellen, nicht essentiellen Unterscheidung zwischen Sinnlichkeit und Verstand verwandt: die sinnliche Wahrnehmung ist nichts Anderes als konfuses Verstehen. Die zweite wiederum erinnert an das Desiderat eines der modernen rationalistischen Tradition so eigenen sub specie aeternitatis oder göttlichen Standpunktes. 52 Siehe Atlas (1964), Kap. VI. Vgl. Atlas (1952), S. 168–87; siehe ders. (1964: Kap. V), wo die Verwandtschaft dieser maimonschen Doktrin mit Maimonides und der modern rationalistischen Philosophie sehr gut zu sehen ist. Man vergleiche auch diesen dogmatischen Aspekt der Philosophie Maimons mit dem, was Putnam den »God’s Eye point of view« oder den »externen metaphysischen Realismus« nennt (Putnam: 1981, Kap. 3). Maimons transzendetal idealistischer Standpunkt, mehr dem, was bei Putnam »Internalismus« genannt wird, als dem »metaphysischen Realismus« verwandt, wäre, mit so einem »göttlichen Standpunkt« oder dem »unendlichen Verstand« inkompatibel, wenn man diesen letzten nicht nur hypothetisch annehmen würde. Die Idee des unendlichen Verstandes ist die Hypothese, die die Erkenntnis von Objekten aus konstruktivistischer Sichtweise verstanden, deren Modell die Mathematik ist, erst begreifbar macht: »Wir nehmen an (zum wenigsten als Idee) einen unendlichen Verstand, bei dem die Formen zugleich selbst Objekte des Denkens sind; oder der aus sich alle mögliche Arten, von Beziehungen und Verhält-

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Die Differenzialtheorie wie die Theorie des unendlichen Verstandes sind Vorschläge von Maimon, um eine Lösung für ein Problem anzubieten, das die kantische Philosophie offen gelassen hat; die Antwort nämlich auf die quid juris-Frage: Mit welchem Recht wenden wir unsere a priori Begriffe auf empirische Daten an? Maimon denkt, dass eines der großen Defizite der kritischen Philosophie darin besteht, dass dieses Problem auf der Grundlage einer Annahme formuliert wurde, die seine Lösung nicht erlaubt. In kantischen Begriffen würde das heißen: Die Frage nach der Objektivität der Kategorien lässt sich nur dann lösen, wenn ihr Bezug auf empirisch gegebene Objekte nachgewiesen wird; die Objekte sind aber wiederum der Sinnlichkeit gegeben, die ein Vermögen der Erkenntnis darstellt, das rezeptiv und völlig verschieden oder heterogen in Bezug auf den Verstand ist, d. h. das Vermögen, die Mannigfaltigkeit zu einer bewussten Einheit zu bringen. Die Annahme einer solch radikalen Heterogenität zwischen beiden Vermögen der Erkenntnis schließt jede Möglichkeit der Kommunikation oder des Kontaktes zwischen ihnen aus. Mit dem Ziel, diese Schwierigkeit zu beheben, präsentierte Kant seine Schematismustheorie, die recht undurchsichtig und komprimiert ist. Nach dieser Theorie sind die Schemen zeitliche Elemente der Einbildungskraft. Dieser zeitliche Charakter der Schemen bildet den homogenen Aspekt, der eine Korrelation zwischen Sinnlichkeit und Verstand ermöglicht, oder besser, der die Verbindung der Kategorien als Grundindikatoren der Einheit des Bewusstseins in Urteilen mit den Anschauungen ermöglicht. 53 Weder diese Schematismustheorie noch das Argument der transzendentalen Deduktion – die das Problem der Legitimität des empirischen Gebrauchs der Kategorien des Verstandes lösen soll – scheinen Maimon befriedigende Lösungsvorschläge zum Problem der Erklärbarkeit der empirischen Erkenntnis zu sein. Der Hauptauslöser für diese unbefriedigende Situation bleibt trotz aller Versuche Kants mit dem »Problem der Heterogenität« weiter bestehen, oder mit dem Problem, das dem unvereinbaren Dualismus zwischen Rezeptivität und Spontaneität entspringt. Die Deutungstradition des deutschen Idealismus im Allgemeinen und der Philosophie Maimons im Besonderen hat für gewöhnnissen der Dinge (der Ideen) hervorbringt. Unser Verstand ist eben derselbe, nur auf eine eingeschränkte Art« (VT, S. 64 f.; siehe auch S. 365 ff.). 53 Siehe KrV, A137 ff. = B176 ff. A

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lich ihre Differenzialtheorie mit einem produktiven absoluten Idealismus verbunden. 54 Diese Auslegung der maimonschen Philosophie ist die üblichste. Zu ihr hat offensichtlich die wiederholte Tendenz, Maimon mit dem Idealismus Fichtes in Beziehung zu bringen, beigetragen. Was eine solche Deutung rechtfertigt, ist die Tatsache, dass Maimon seine Differenzialtheorie als eine Antwort auf das Problem der erwähnten Heterogenität zwischen dem Anschaulichen (und dem Empirischen) und dem Begrifflichen (und Ideellen) vorschlägt, indem er eine Reduktion des Ersten zum Zweiten andenkt. Diese vermeintliche Reduktion des Empirischen zum Ideellen, um das Problem der Heterogenität zwischen dem Gegebenen und dem Vorgestellten zu lösen, oder gar diese vermeintliche Erklärung der »ideellen« Entstehung des Gegebenen, wird für gewöhnlich als der herausragendste Aspekt der maimonschen Philosophie betrachtet. Dieser Aspekt wurde wiederum mit der vermeintlichen Abschaffung des Dinges an sich – als ein realistischer Überrest der kritischen Philosophie verstanden, der vom transzendentalen Idealismus nicht gehalten werden kann – in Verbindung gebracht. Die besagte »Abschaffung« des Dinges an sich war wiederum das Motiv der Philosophie Maimons, das den größten Einfluss auf die weitere Entwicklung des deutschen Idealismus hatte. Eine solche Interpretation ist aber nicht ganz richtig, da sie die Tatsache nicht erkennt, dass Maimon gar nicht so sehr an einer »Abschaffung« des Dinges an sich oder einer »Reduktion« des Empirischen zum Ideellen interessiert war, wie an der nachdrücklichen Kritik an der Irrelevanz und dem Mangel an Sinn eines ebenso kausalen wie substanziellen Noumenalismus (die Dinge an sich als den Erscheinungen zugrunde liegendes Substrat), um eine Erklärung der Möglichkeit unserer objektiven Erkenntnis zu geben. Der metaphysische oder transzendentale Realismus hat kaum Sinn, vor allem ist er aber irrelevant für die Epistemologie. Das war die Grundidee Maimons in Bezug auf das Ding an sich und nicht seine vermeintliche Abschaffung. 55 Siehe besonders Kuntze (1912), S. 333 ff.; aktueller erschienen ist Frank (1997), S. 114–132. 55 Es wurde schon gezeigt, dass man die Einstellung Maimons in Bezug auf den kausalen Noumenalismus eher als skeptisch bezeichnen könnte als widerlegend oder verneinend (siehe oben § 3). Das trifft zu, wenn man als Noumenalursache die Ursache des Gegebenen betrachtet. Bei Maimon haben der Begriff des Dinges an sich und der des Noumenon eine operative Funktion. Noumenon wird bei ihm eigentlich mit Differen54

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Die Literatur der aktuelleren Jahre tendiert eher dahin, die Differenzialtheorie vor allem mit dem quid juris-Problem in dem Sinne, wie eben erwähnt wurde, in Verbindung zu setzen. 56 Und dieser Standpunkt ist richtig. Auf diesen Standpunkt beharrt auch Maimon wiederholterweise. Wenn man aber den »rationalen Dogmatismus« Maimons und im Besonderen seine Differenzialtheorie nur als eine Antwort auf die kantische Frage nach der Legitimität des empirischen Gebrauchs unserer erkennenden begrifflichen und propositionalen Elemente (die Frage quid juris?) betrachtet, geht man das Risiko ein, sich zu einer ungerechtfertigten und einseitigen Interpretation hinreißen zu lassen. Maimons Besessenheit, dem quid juris-Problem eine angemessene Definition und Lösung geben zu wollen, erklärt sich im VT zuerst einmal aufgrund der Nähe jenes Werkes zur KrV. Man könnte also sagen, dass es sich um die Lösung eines geerbten Problems handelt. Die Differenzialtheorie ist wiederum ein Lösungsvorschlag für das Problem der empirischen Erkenntnis und der Erklärung ihrer Möglichkeit. Diese Theorie sieht sich allerdings, da sie mit der Frage der empirischen Erkenntnis verbunden wird, auch zwangsläufig mit dem Problem des »Gegebenen« konfrontiert. Die Differenzialtheorie zielt sogar darauf ab, eine kohärente Erklärung des »Gegebenen« anzubieten, was ein Grund für die Kopfschmerzen des Kantismus war. In diesem Maße wird sie mit dem Spektrum der Auseinandersetzungen um den kantischen Noumenalismus betrachtet, wenn auch in kritizial gleichgesetzt. Zur Funktion des Dinges an sich siehe den Artikel »Wahrheit« in Wörterbuch (GW III, S. 201): das Ding an sich ist die Gesamtheit der Erscheinungen. Wenn der Vorgang der Erkenntnis vollkommen wäre, könnten wir das Ding an sich erfassen oder die Dinge, wie sie an sich sind (vgl. Atlas: 1964, S. 23 ff.; auch Bergman: 1967, S. 17 ff.). »[D]er Zirkel [ist] in Beziehung auf das Poligon Ding an sich« (GW III, S. 186). Als Idee wird das Ding an sich mit der unendlichen Annäherung verbunden (wie später in der Deutung der Neukantianer). Man könnte auch sagen, es geht weniger um Abschaffung als darum seine Irrelevanz in einem gewissen Sinne zu zeigen (in dem Sinne, der die endliche Erkenntnis anbelangt) und es in einem anderen einzubinden (in dem, was eine unendliche Erkenntnis betrifft). 56 Das ist der Kern der Interpretation von Engstler (1990), die vielleicht die vollständigste Arbeit über den VT ist. Der Satz der Bestimmbarkeit wird von Engstler praktisch nicht erwähnt, was noch unverzeihlicher wird, wenn man bedenkt, dass Maimon festhält, dass ein »Kriterium des reellen Denkens« zu finden (was das zentrae Problem ist, das der Satz der Bestimmbarkeit lösen soll), »das wichtigste in meiner Kritik des Erkenntnisvermögens« ist (VnL, S. 432). Auch andere Autoren haben auf den Zusammenhang zwischen quid juris-Problem und Differenzialtheorie hingewiesen, siehe z. B. Zubersky (1924: S. 70 ff.). A

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scher Weise. Die Art der Beziehung zwischen der Differenzialtheorie und dem Spektrum der Probleme, die sich vom kantischen Noumenalismus ableiten lassen, ist ähnlich der oben schon in der Darstellung des transzendentalen Aspekts der Philosophie Maimons erwähnten: der Noumenalismus (kausal oder substanziell) hat weder Sinn, noch ist er für die Erklärung des empirisch Gegebenen relevant. Und das unterscheidet sich sehr von der Behauptung, dass das »Gegebene« »hervorgebracht« wird, oder dass es ideell und subjektiv geschaffen wird. Da aber die Differenzialtheorie die Tatsache des »Gegebenen« als Teil einer Erklärung der Erkenntnis begreiflich machen will, kann man auch nicht an der Meinung festhalten, dass sie nichts mit den Problemen in Bezug auf das Ding an sich oder den metaphysischen Realismus zu tun hätte. Eine Theorie der subjektiven Hervorbringung des Gegebenen kann man Maimon nicht anhängen. Seine Erklärung des Gegebenen tendiert, wie man gleich sehen wird, vielmehr dazu zu zeigen, dass das Gegebene nur dann epistemologisch relevant ist, wenn es einem Bewusstsein »entspringt«. Und dieses Entspringen ist graduell. Nur wenn es einen Grad von Bewusstsein im Gegebenen gibt, kann man behaupten, dass das Gegebene epistemologisch relevant ist. Wenn kein Grad des Bewusstseins vorliegt, ist das Gegebene epistemologisch irrelevant, da keinerlei Grad des Bewusstseins bedeutet, dass es keinerlei Grad der Bestimmung gibt. A.

Die Differenzialtheorie und der Begriff des unendlichen Verstandes

Die Schwierigkeit der maimonschen Differenzialtheorie beruht auf der uneinheitlichen Terminologie, die der Autor zur Vorstellung seiner Theorie verwendet. Klar ist gewiss, dass sie der Lösung der Frage quid juris?, des Problems der empirischen Erkenntnis oder auch der Frage der bewussten (begrifflichen und prädikativen) Bestimmung des Gegebenen oder des in der Anschauung Vorgestellten dienen soll. Mit anderen Worten: sie wird herangezogen, um das Problem der Beziehung zwischen der bewussten Aktivität und der sinnlichen Passivität zu klären. Das ist nicht weniger als das Problem der Beziehung zwischen Welt und Geist. Aber immer noch befinden wir uns vor einem ernst zu nehmenden Deutungsproblem, da noch nicht klar ist, ob diese Theorie die Erklärung der empirischen Erkenntnis möglich macht, oder ob sie die empirische Erkenntnis selbst ermöglicht. Diese 274

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Zweideutigkeit betrifft auch den anderen spekulativen Teil der Philosophie Maimons: die Theorie des unendlichen Verstandes. Ob man sich für die eine oder die andere der erwähnten Alternativen in der Deutung entscheidet, bestimmt, ob man eine schwache oder eine starke Interpretation der maimonschen Epistemologie annimmt. Die schwache Version würde lauten: Die Differenzialtheorie und die Theorie des unendlichen Verstandes machen unsere empirische Erkenntnis begreifbar, oder sie sind plausible Erklärungen der Bestimmung des Gegebenen. Die empirische Erkenntnis wie die bewusste Bestimmung des Gegebenen werden als Tatsachen zur Erklärung herangezogen. Angenommen, dass die Erklärungsstrategie nicht plausibel wäre, würde das nicht die Tatsache unserer Erkenntnis beeinflussen, sondern nur unser Verständnis von ihr. Die starke Version würde dagegen lauten: Die Differenzialtheorie und die Theorie des unendlichen Verstandes ermöglichen die empirische Erkenntnis und sind Bedingungen der reellen Möglichkeit des Gegebenen. Wenn sie nicht angenommen werden, kann man nicht davon ausgehen, dass es eine empirische Erkenntnis und auch eine reelle Wahrnehmung gibt. Da aber die empirische Erkenntnis wie auch unsere reelle empirische Wahrnehmung Tatsachen sind, muss die Erklärung ihrer Möglichkeit, wie sie diese beiden Theorien anbieten, zwangsläufig angenommen werden. 57 Ich denke nicht, dass Maimon eine endgültige Lösung zu dieser Alternative anbietet. Trotzdem würde ich sagen, dass seiner skeptischen Position, oder dem skeptischen Aspekt seiner Philosophie eher die schwache Version entgegenkommt. Obwohl der skeptische Aspekt der maimonschen Philosophie schon in VT deutlich dargestellt wurde, finden wir ihn in späteren Werken noch genauer definiert; gleichzeitig verliert in diesen späteren Werken das spekulative Projekt (vor allem die Differenzialtheorie) an Bedeutung. Weiter vorn werde ich das, was ich hier als die schwache Auslegung der maimonschen »Lösung« zum Problem der empirischen Erkenntnis bezeichnet habe, ausführlicher diskutieren. Mit ihr verbunden ist eine Art Akzeptanz des unvollkommenen (induktiven) Charakters der empirischen Erkenntnis, oder wenn man so will, eine Art »Aussöhnung« mit unserer endlichen Natur. 58 Fürs erste scheint Das scheint die Auslegung von Atlas (1964: S. 86 ff.) zu sein, die er aus Furcht vor dem Skeptizismus annimmt. Diese Furcht gilt aber nicht für den Fall eines Philosophen, der sich selbst Skeptiker nennt. 58 Siehe unten § 6. 57

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es mir angemessen, eine Grundcharakterisierung der Differenzialtheorie und der Theorie des unendlichen Verstandes anzubieten. Es soll darauf hingewiesen werden, dass sich diese Beschreibung konstant an dem orientieren wird, was mit Hilfe der beiden Theorien gelöst werden soll und dass sie nicht daran interessiert ist, sich auch noch im Detail darüber auszulassen, was der Philosoph möglicherweise noch vorstellen wollte, was er aber als solches nicht explizit hervorgehoben hat. Diese Interpretationsmethode scheint mir unumgänglich, da der spekulative Aspekt in Maimons Philosophie, zumindest in dem chaotischen und nicht wenig intuitiven Zustand, in dem er ihn im VT gelassen hat, in vielen Punkten die Grenzen der Verständlichkeit überschreitet. Und zwar so, dass sich seine Befürchtung in der Einführung der Differenzialrechnung zu bestätigen scheint, wenn er die empirische Erkenntnis zu erklären versucht, weil dabei der Anschein geweckt wird, dass er »etwas Dunkles durch etwas noch Dunkleres erläutern« wollte (VT, S. 27 f., Anm.) »Differenzial« ist ein Terminus aus der Unendlichkeitsrechnung, die ja auch Differenzialrechnung genannt wird. Als Maimon diesen Begriff einführte, dachte er an die »mathematischen Begriffe vom Unendlichen« (ebd.), oder besser, an eine Art, ein unendliches quantum durch die Annäherung an eine Grenze zu erreichen, zu erhalten oder wahrzunehmen. Maimon denkt, dass diese »mathematischen Begriffe vom Unendlichen« bzw. diese »Differenziale« auch in der Philosophie nützlich sein können, und er fühlt sich zu dieser Anwendung autorisiert, indem er vorbringt, dass Leibniz durch die Monadologie zur Erfindung der Infinitesimalrechnung gekommen ist. Die »mathematischen Begriffe des Unendlichen« oder die »Differenziale« können im Prinzip (im mathematischen wie im philosophischen Sinne) als »bloße Ideen« gesehen werden, »die keine Objekte, sondern die Entstehungsart der Objekte, vorstellen; d. h. sie sind bloß Grenzbegriffe, welchen man sich immer nähern, die man aber niemals erreichen kann. Sie entstehen durch einen steten Regressus oder Verminderung des Bewusstseins einer Anschauung bis ins Unendliche« (VT, S. 27 f., Anm.). Maimon definiert die Differenziale auch als Noumena, und er fasst sie in einer besonderen Beziehung mit ihren Erscheinungen auf: »Diese Differenziale der Objekte sind die sogenannte Noumena, die daraus entspringende Objekte selbst aber sind die Phänomena« (ebd., S. 32). 276

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Mit dieser Definition wird ein Element eingebracht, das die Beziehung mit Leibniz’ Monadologie zu verstehen erlaubt. Leibniz geht von der Idee der Teilbarkeit oder des zusammengesetzten Charakters der Materie aus. Der materielle Atomismus ist für ihn bekanntlich ein Widerspruch. Deshalb kann man nicht erklären, dass es ein zusammengesetztes physisches Objekt (Erscheinung) gibt, wenn man nicht in der Grundlage des Zusammengesetzten (immer als materiell Zusammengesetztes, bis ins Unendliche teilbar in seine Einzelstücke) eine nicht-physische, nicht-materielle Realität annehmen würde, d. h. eine noumenale (die Monade). Das heißt, die (empirische) Realität der Erscheinung ist von der Wirklichkeit (an sich) des Noumenon abhängig. 59 Maimon vertritt ein ähnliches Argumentationsmodell. Bei ihm besteht das Problem aber in der Erklärung der Art wie ein empirisches Objekt dem Bewusstsein »entspringt«, oder wie wir es uns bewusst machen. Die Annahme des transzendental-kritischen Standpunktes erlaubt ihm aber nicht, die Beziehung Noumena-Phaenomena – als würde es sich um eine Beziehung vom Typ Substanz-Akzidenz handeln – als zufällig zu betrachten. Genau darin unterscheidet er sich von Leibniz. Noch viel weniger hätte es für ihn Sinn, jene Beziehung wie eine Beziehung zwischen Ursache und Wirkung zu verstehen. Maimon borgt sich das Philosophie-Modell von Leibniz nur formell, d. h. ohne sich für die ontologisch-transzendenten Folgen zu interessieren, die aus der Monadologie folgen. Die Differenziale der Objekte als Noumena ermöglichen gewiss die Entstehung jener Objekte als Erscheinungen, aber nur wenn diese Differenziale rein ideell sind: »Diese Noumena sind Vernunftideen, die als Prinzipien zur Erklärung der Objekte nach gewissen Verstandesregeln dienen« (VT, S. 32). Was hat nun aber dieses monadologische Argumentationsmodell mit der quantitativen Bestimmung eines empirischen Objektes durch Annäherung an eine Grenzlinie zu tun? Maimons Idee besteht darin, sich des Differenzialbegriffs als einer Methode zur Festlegung der Präsenzgrade eines Objekts im Bewusstsein zu bedieSiehe Monadologie »§ 2: Einfache Substanzen muß es geben, da es zusammengesetzte gibt; denn das Zusammengesetzte ist nichts anderes als eine Anhäufung oder ein Aggregat von Einfachem.« Und: »§ 3: Nun ist aber da, wo keine Teile sind, weder Ausdehnung, noch Gestalt, noch Teilbarkeit möglich. So sind denn die Monaden die wahren Atome der Natur und – mit einem Wort – die Elemente der Dinge.«

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nen. Diese Grade gehen von 0 bis zu einer bestimmten Zahl verschieden von 0. 0 bezeichnet das Differenzial eines Objekts an sich, also ohne Beziehungen. Eine Ziffer verschieden von 0 kennzeichnet die Beziehungen. Und genau diese letzte Bestimmung ist epistemologisch relevant, wenn man sich mit einem gegebenen Objekt befasst: Das Differenzial eines jeden Objektes an sich ist in Ansehung der Anschauung = 0, dx = 0, dy = 0 u. s. w.; ihre Verhältnisse aber sind nicht = 0, sondern können in den aus ihnen entspringenden Anschauungen bestimmt angegeben werden. (ebd.)

Die Einführung der Theorie der Differenziale, um das Problem der Beziehung zwischen unseren begrifflichen und propositionalen Einstellungen mit dem Gegebenen aufzulösen, scheint durch die Anschauung angestoßen worden zu sein, dass diese Methode erlaubt, das Quantitative mit dem Qualitativen bzw. die extensiven mit den intensiven Größen in Zusammenhang zu bringen. Maimon glaubt, dass die »intensive Größe das Differenzial der extensiven« ist (VT, S. 394). Er nennt die intensive Größe auch »die Qualität des Quantums« (ebd., S. 395). Die extensive Größe wiederum kann als das Integral der intensiven betrachtet werden. Damit will Maimon eine Theorie anbieten, die erlaubt, die Rationalisierung des Wahrnehmungsinhalts zu verstehen. Es reicht nicht, bloß zu zeigen, dass es gewisse a priori Formen gibt, die die Aufnahme des sinnlichen Inhalts ermöglichen. Sondern es ist auch notwendig zu zeigen, dass dieser Inhalt auf ein ideelles Element reduziert werden kann, um so rationalisiert zu werden. Vor allem Raum und Zeit bilden die Beziehungen, in denen sich die verschiedenen Objekte aufhalten. 60 Die Wahrnehmung dieser erfordert außerdem, dass der gegebene Inhalt in irgendeiner Weise so konfiguriert sein muss, dass es uns möglich ist, uns von ihm bewusst zu werden. Die noumenale (differenziale) Qualität, die die Elemente der wahrgenommenen Erscheinung (durch den endlichen Verstand als ein Integral desselben wahrgenommen) bildet, ermöglicht die besagte Konfiguration. Eine weitere Definition der Differenziale beschreibt diese als die »Entstehungsregeln« der Objekte: Die besondere Regel des Entstehens eines Objekts, oder die Art seines Differenzials macht es zu einem besondern Objekt; und die Verhältnisse verschie-

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Vgl. VT, S. 14–26.

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dener Objekte entspringen aus den Verhältnisssen ihrer Entstehungsregeln, oder ihrer Differenzialen. (VT, S. 33)

Die maimonsche Differenzialtheorie ist in der Art unklar und fragmentarisch, dass nicht geklärt wird, wie sie zu dem beinahe ausschließlichen Objekt der Wiederherstellung und Wertung seiner Philosophie werden konnte, obwohl geradezu »geraten« werden muss, was der Autor eigentlich mit ihr ausdrücken wollte. 61 Auf jeden Fall findet sich unter den von Maimon gegebenen Definitionen eine, die die am wenigsten unverständliche zu sein scheint und den Vorsätzen Maimons wohl am besten gerecht wird, nämlich die, die sich ausdrücklich mit der Lösung der Frage quid juris? beschäftigt bzw. mit der Erklärung der empirischen Erkenntnis. Nach dieser Definition sind die Differenziale »Elemente der Anschauung«: Das metaphysische unendlich Kleine ist reell, weil Qualität allerdings an sich abstrahirt von aller Quantität betrachtet werden kann. Diese Betrachtungsart hat auch ihren Nutzen in Auflösung der Frage: quid juris? indem die reinen Verstandesbegriffe oder Kategorien sich niemals auf Anschauungen unmittelbar beziehen, sondern bloß auf ihre Elemente, die Vernunftideen von der Entstehungsart dieser Anschauungen sind, und vermittelst dieser auf die Anschauungen selbst. (ebd., S. 355)

In einem anderen sehr wichtigen Absatz bringt Maimon den Begriff des Differenzials mit dem Begriff des »reellen Objekts« (ens reale) in Verbindung, von dem weiter oben schon im Zusammenhang mit dem »Satz der Bestimmbarkeit« gesprochen wurde. Die Bedeutung dieses Textabschnitts besteht darin, dass mit ihm eine Art Kommunikationsbrücke zwischen dem spekulativen und dem transzendentalen Aspekt in der maimonschen Philosophie geschlagen wird: Das Objekt des angewendeten Denkens […] ist zwar auch keine Anschauung, (die gar kein Verstandesobjekt ist), aber auch kein bloßes Ens logicum, sondern das Ens reale, das ich Verstandesidee genannt habe, und welches das Element einer besondern Anschauung ist. Es ist ein Gränzbegriff zwischen dem reinen Denken und der Anschauung, wodurch beide rechtmäßig verbunden werden. (VT, S. 192)

Maimon schlägt also seine Differenzialtheorie als Theorie der »ideellen Elemente« der Anschauung vor, die den Verstand und die Sinnlichkeit »kompatibel« machen. Ohne die besagten Elemente oder Engstler (1990: 30 ff.) äußert eine ähnliche Meinung in Bezug auf die Geschlossenheit des VT.

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Sätze der Kompatibilität bleibt die Frage quid juris? unlösbar. Man kann sogar noch weiter gehen und zeigen, dass die Suche nach dieser Kompatibilität mit der Suche nach einer Erklärung der Beziehung zwischen Verstand und Welt übereinstimmt. Diese Suche ist nachvollziehbar, genauso wie es nachvollziehbar ist anzunehmen, dass die kantische Philosophie dieses Problem nicht löst. Damit hätten wir also ein Beispiel für ein philosophisch nachvollziehbares Problem, zu dem sich eine Lösung bietet, die die Grenzen der Verständlichkeit überschreitet. Maimons Beitrag folgt aus der klaren Vorstellung, die er von dem Problem hatte, aber weniger aus seinem Lösungsvorschlag. Und das ist so, sei es gut oder schlecht, weil die Einsicht, die Maimon vom Problem des Gegebenen und der Erfahrung hat, durch die Form, in der sich Kant mit derselben Schwierigkeit auseinandergesetzt hatte, geprägt und von ihr abhängig ist. Maimons Verständnis des Problems erlaubt ihm, eine höchst suggestive Auffassung des Gegebenen und des Begriffs der Erfahrung anzubieten. Ganz beachtlich an dieser Auffassung ist das Streben nach innerer Kohärenz mit dem transzendentalen Idealismus und das Interesse, sich von den klassischen Problemen des modernen Repräsentationalismus zurückzuziehen. Weiter vorn, in Teil B dieses Paragraphen werde ich diesen letzten Punkt wieder aufnehmen. Es wurde schon gesagt, dass sich Maimon des Problems der Erklärung der Erkenntnis bewusst war. Er war davon überzeugt, dass, wenn wir annehmen, dass der Erkenntnistheorie eine derart deutliche Heterogenität zwischen Sinnlichkeit und Verstand zugrunde liegt, wie die, von der Kant ausgeht, für uns keinerlei Möglichkeit bestehen kann, das Problem der empirischen Erkenntnis zu lösen. Es ist also unmöglich, in Bezug auf die Objekte der Anschauung eine Lösung für das Problem des legitimen Gebrauchs der Begriffe zu finden, »weil allgemeine Begriffe oder Regeln a priori und besondere Gegenstände der Anschauung a posteriori ganz heterogen sind« (VT, S. 54). Die absolute Heterogenität zwischen Empfindung und Rationalisierung des Inhalts erlaubt uns nicht zu begreifen, wie die intellektuellen Vorstellungen mit den gegebenen Inhalten übereinstimmen können. In der Unmenge von Ideen, die den VT charakterisiert, identifiziert Maimon das kantische Problem der Unlösbarkeit der quid jurisFrage – eine Unlösbarkeit, die auf die Heterogenität zwischen Verstand und Sinnlichkeit zurückgeht – mit zwei zentralen Problemen der Tradition der modernen Spekulationsphilosophie: mit dem Pro280

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blem der Beziehung der Seele zum Körper und dem Problem der Entstehung der Welt (»ihrer Materie nach«) (VT, S. 62) ausgehend von einer Intelligenz. Hier soll nicht diskutiert werden, ob diese Identifikation angemessen ist. Es schien mir nur wichtig, auf diese Identifikation bei Maimon aufmerksam zu machen, um zu zeigen, dass sich Maimon des Problems der Heterogenität und der Schwierigkeiten, wenn nicht gar der Unmöglichkeit, seiner Lösung sehr wohl bewusst war. Das erste Problem, das der Einheit zwischen Seele und Körper, drückt Maimon wie folgt aus: »Wie ist es begreiflich, daß Formen a priori mit gegebenen Dingen a posteriori übereinstimmen sollen? (ebd., S. 63; erste Kursive von mir). Mit anderen Worten: Wie ist es möglich zu begreifen, oder begreifbar zu machen, dass zwei vollkommen verschiedene Dinge in einer Einheit enthalten sind, wie es tatsächlich der Fall ist? Das zweite Problem, das der Entstehung der materiellen Welt, kann wiederum wie folgt formuliert werden: »Wie ist die Entstehung der Materie als etwas bloß gegebenes, nicht aber gedachtes, durch Annehmung einer Intelligenz begreiflich, da sie doch heterogen sind?« (ebd., Kursive von mir). Die Einführung dieses letzten theologisch-rationalen Problems bietet uns die Möglichkeit, zum Kern des spekulativen Aspekts der Philosophie Maimons zu kommen. Dadurch wird uns auch erlaubt, die Abhängigkeit der nicht-kantischen Lösung, die er für das Problem der empirischen Erkenntnis im Zusammenhang mit der kantischen Philosophie findet, festzustellen. Daraus folgt, das für Maimon das Problem der Erklärbarkeit der empirischen Erkenntnis entweder dogmatisch gelöst wird oder gar nicht. Die erste Variante ist die, die in VT gewählt wird; und die zweite ist die skeptische Variante, die in späteren Texten (VnL und Kritische Untersuchungen über den menschlichen Geist) deutlicher dargestellt wird. Was Maimon mit der Anspielung auf eine die materielle Welt schaffende Intelligenz zeigen will, ist, dass, wenn die materielle Welt in Bezug auf diese Intelligenz völlig heterogen wäre, die Existenz der Welt nach der Hypothese von der Schaffung der Welt durch ein intelligentes Wesen nicht begreifbar wäre. Wenn man aber die Schaffungshypothese annimmt, muss man auch zwangsweise annehmen, dass die schaffende Intelligenz und das materiell Geschaffene miteinander vereinbar (homogen) sind. Das ist aber nur so, wenn die Schaffungshypothese angenommen wird. Die Annahme einer unA

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endlichen Intelligenz erlaubt, diese Vereinbarkeit zu begreifen, da sie ihre Objekte schafft, indem sie sie denkt. Das Problem der Heterogenität stellt sich für den unendlichen Verstand also gar nicht, da er die Objekte schafft, die er denkt. Genauer gesagt, stellt sich die quid juris-Frage dem unendlichen Verstand nicht als unlösbar, sondern sie stellt sich ihm überhaupt nicht. Das ist für unseren Verstand nicht der Fall, »sondern [müssen] die den Regeln oder Bedingungen unterworfenen Objekte ihn 62 von irgend anders woher gegeben werden, so ergiebt sich die Schwierigkeit von selbst. Wie kann nämlich der Verstand etwas was nicht in seiner Macht ist (die gegebenen Objekte) dennoch seiner Macht (den Regeln) unterwerfen?« (VT, S. 63). Das heißt, die kantische quid juris-Frage, die Frage nach dem legitimen Gebrauch unserer Begriffsformen in der Erfahrung, die Frage nach der Erklärbarkeit der Beziehung Geist-Welt, hat nur für den endlichen Verstand einen Sinn, und zwar, weil der endliche Verstand nicht den empirischen Inhalt schafft, der nach seinen intellektuellen Prinzipien rationalisiert werden soll, sondern weil diese »ihm von irgend anders woher gegeben werden«. Und das ist nichts Anderes als zu sagen: weil begriffliche Form und empirischer Inhalt heterogen sind. Die quid juris-Frage ergibt sich also aus dem Problem der Heterogenität. Allerdings anzunehmen, wie Kant das tut, dass Verstand und Sinnlichkeit »zwei ganz verschiedene Quellen unserer Erkenntnis« (ebd.) sind, macht die Frage quid juris? zu einer »unlösbaren« Frage. Deshalb denkt Maimon, dass der einzige Ausweg für dieses Problem darin bestehen würde, einen leibnizsch-wolffschen Standpunkt anzunehmen, nach dem Verstand und Sinnlichkeit »aus einerlei Erkenntnisquelle fließen«. Der Unterschied zwischen beiden »besteht nur in Graden der Vollständigkeit dieser Erkenntnis« (VT, S. 63 f.). 63 Lese »ihm« – gemeint ist »unser Verstand«. Siehe auch: »Herr Kant sucht zwar dieser Schwierigkeit dadurch auszuweichen, daß er annimmt: Zeit und Raum, und ihre mögliche Bestimmungen sind in uns Vorstellungen a priori, daher können wir der bestimmten Folge in der Zeit, die a priori ist, den Begriff der Nothwendigkeit, der auch a priori ist, mit Recht beilegen. Da aber, wie schon gezeigt worden, Anschauungen, sie mögen auch a priori sein, doch mit Verstandesbegriffen heterogen sind, so kommen wir durch die Voraussetzung doch nicht viel weiter: hingegen nach dem Leibniz-Wolfischen System sind Zeit und Raum obgleich undeutliche jedoch Verstandesbegriffe von den Beziehungen und Verhältnissen der Dinge überhaupt, und so können wir mit allem Fug diese den Verstandesregeln unterwerfen« (VT, S. 64).

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Bei genauerem Hinsehen wird man bemerken, dass der maimonsche Vorschlag zur Lösung des quid juris-Problems vor allem dessen Abhängigkeit in Bezug auf den kantischen Erfahrungsbegriff zeigt. Diese Abhängigkeit ist ganz ähnlicher Art, wie die der Lösung des Problems der Heterogenität in den oben erwähnten Fällen von der Einheit Leib-Seele und der Schaffung der materiellen Welt durch eine Intelligenz in Bezug auf die Annahme einer solchen Einheit und einer solchen Schaffung der Welt. Das heißt, die Lösung, die zu diesen beiden Problemen vorgeschlagen wird, ist von zwei Tatsachen abhängig, die als grundlegend angenommen werden: die Einheit von Leib und Seele und die Schaffung der materiellen Welt durch das Wirken einer Intelligenz. Eine solche Lösung hat nur die Funktion, die besagten Tatsachen nachvollziehbar zu machen. Zwischen Leib und Seele muss es also ein homogenes und kompatibles Element geben, wenn man deren Einheit begreifen will. Maimon denkt, dass, wenn man Leib und Seele nicht als Substanzen versteht (er sagt »Noumena«), sondern nur als »Arten des Bewusstseins«, diese Einheit begreiflich gemacht werden kann: [D]as Bewußtsein der Formen a priori, heißt Seele; das Bewußtsein von etwas bloß Gegebenem aber heißt Materie, und die Verknüpfung beider bringt dasjenige, was man diese oder jene Substanz nennt, hervor. (ebd., S. 362)

Man kann demnach sagen, dass die Lösung zum Leib-Seele-Problem von idealistisch-monistischer Art ist, auch wenn das erwähnte Problem einen dualistisch-realistischen Charakter hat. Es ist nicht einfach, diese Schwierigkeit zu beheben. Maimon geht prima facie von der realistisch-dualistischen Annahme des Leib-Seele-Problems aus. Seine »Lösung« würde aber in der Entkräftung des ontologischen Charakters des Problems bestehen und in einem epistemologischen oder transzendentalen Standpunkt, der als einziger die Aufgabe der (prima facie angenommenen) Heterogenität zweier Substanzen oder Sphären der Realität (Geist und Körper) möglich macht. Nur aufgrund dieser Desontologisierung des Leib-Seele-Problems kann man behaupten, dass es sich bei seiner Lösung um eine philosophische Lösung handelt, die die de facto angenommene Einheit von Geist und Körper nachvollziehbar machen soll. Hier stellt sich aber die Frage, was genau de facto angenommen wird, wenn die Annahme der Einheit von Geist und Körper wie die zwischen zwei heterogenen Dingen mit dem Ziel, sie von einem transzendentalen Standpunkt aus begreifbar zu machen, entkräftet wird. Mir scheint nicht, dass A

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Maimon diese Spannung auflöst, und noch weniger, wenn man das dogmatisch rationalistische Moment seiner Philosophie betrachtet. In ähnlicher Art muss es zwischen dem Erschaffer der materiellen Welt und dieser Letzten ein Prinzip der Homogenität geben, wenn die besagte Beziehung begreifbar gemacht werden soll. Dieses Prinzip wird durch den Begriff einer unendlichen, schaffenden Intelligenz angeboten, die ihre Objekte hervorruft, indem sie sie denkt. An diesem Punkt finden wir uns vor der gleichen Schwierigkeit wie der oben genannten wieder: die Annahme des zu lösenden Problems ist die Heterogenität zwischen Materie und Intelligenz. Die Lösung zu diesem Problem besteht in der Abschaffung der besagten Heterogenität mit Hilfe der Annahme der Idee einer unendlichen, schaffenden Intelligenz. Mit anderen Worten liegt die Lösung des Problems in der Entkräftung der Annahme, aus der das Problem entspringt. Maimon will damit aber dem ursprünglichen Problem nicht den Boden nehmen, sondern er versucht die Annahme begreiflich zu machen, die als Ausgangspunkt dient; nämlich die Schaffung der materiellen Welt durch eine Intelligenz. In der gleichen Weise macht die Differenzialtheorie die objektive Erkenntnis, wie Kant diese versteht, begreifbar, wenn man seinen Begriff der objektiven Erkenntnis annimmt: Wenn es also nur wahr ist, daß wir Erfahrungssätze (in dem Sinne, wie es Herr Kant nimmt) haben, und daß wir zu diesem Behuf die reinen Verstandesbegriffe auf Erscheinungen aplicieren, so läßt sich nach meiner Theorie die Möglichkeit davon oder das quid juris leicht erklären, indem die Elemente der Erscheinungen, worauf dieser zufolge die reinen Verstandesbegriffe applicirt werden, selbst keine Erscheinungen sind. Fragt man aber, wodurch erkennt der Verstand, daß diesen Elementen diese Verhältnisse zukommen? so antworte ich: dadurch, weil er sie selbst durch diese Verhältnisse zu reellen Objekten macht, und weil die Erscheinungen selbst sich diesen Verhältnissen immer (bis ins Unendliche) nähern. (VT, S. 192 f.)

Allerdings geht Maimon nicht davon aus, dass es »Erfahrungssätze« gibt. 64 Wenn er aber dasjenige verneint, was seine Theorie erklärt, Siehe VT, S. 186 f.: »Ich hingegen bezweifele das Faktum selbst, dass wir nämlich Erfahrungssätze haben, daher kann ich ihre objektive Gültigkeit auf diese Art nicht beweisen, sondern ich beweise bloß die Möglichkeit ihrer objektiven Gültigkeit von Gegenständen nicht der Erfahrung (die in der Anschauung bestimmt sind), sondern ihrer Grenzen, die durch die Vernunft in Beziehung auf die ihnen korrespondierenden Anschauungen als Objekte bestimmt sind, wodurch die Frage quid juris? (indem man reine Begriffe auf Ideen applicirt) wegfallen muß.«

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wozu dient dann seine Theorie? Oder anders: wenn das Problem, das die besagte Theorie lösen soll, verschwindet, indem man die Annahme, von der dieses Problem abhängt, gar nicht annimmt (die Tatsache der Erfahrungsurteile), sollte dann diese Theorie überhaupt beachtet werden? Die einfachste Antwort darauf wäre wohl nein. Wenn man trotzdem bedenkt, dass es bei dem kantischen Problem des Bezuges unserer Begriffsformen auf gegebene Erfahrungsinhalte um das Problem der Beziehung zwischen Geist und Welt geht, 65 dann muss die maimonsche Differenzialtheorie und der daraus folgende Begriff eines unendlichen Verstandes als Vorschlag zur Lösung jenes Problems in Betracht gezogen werden. Das heißt, die maimonsche Theorie wäre unabhängig von dem kantischen Kontext, in dem sie entsteht, betrachtenswert, da sie eine Frage beantworten will, auf die Kant nicht in befriedigender Weise geantwortet hat und die schon für sich, jenseits der kantischen Philosophie relevant ist. 66 Ich glaube, dass diese letzte Auslegung bis zu einem gewissen Punkt plausibel ist. Ich sage mit Vorsicht »bis zu einem gewissen Punkt«, da man in Bezug auf die maimonsche Lösung zum Problem der Erfahrung und des Gegebenen, so wie er sie in seinem Erstlingswerk VT präsentiert, zwei Dinge beachten muss: Zuerst einmal hat Maimons Lösung nicht das Format einer endgültigen Theorie, sondern sie ist vielmehr eine tiefer gehende Intuition, die hier und da brillant ist, die aber keinen eindeutigen Lösungsvorschlag darstellt. Zum zweiten sollte man beachten, dass Maimon in seinen späteren Werken seine spekulative Lösung zum Problem des Gegebenen und zum Problem der Erfahrung im Wesentlichen aufgibt. In ihnen überwiegt der skeptische Aspekt seiner Philosophie, der sich schon in seiner Weigerung zeigt, davon auszugehen, dass Kant eine befriedigende Antwort auf Hume gegeben hätte, oder mit anderen Worten: in seiner Ablehnung des Faktums der Erfahrung, so wie Kant dieses versteht. Im folgenden Abschnitt § 6 werde ich diesen skeptischen Aspekt Eine Lektüre der kantischen Philosophie in diesem Sinne wurde von John McDowell (1996) betont, oder anders gesagt, ordnet McDowell dass Problem Geist–Welt in einen kantischen Kontext ein. Siehe Hoyos (1999), S. 137–47. 66 Ein solcher Standpunkt würde sich von der Interpretation Engstlers (1990) entfernen, der in übertriebener Weise darauf insistiert, dass der Wert der maimonschen Philosophie allein in dem Lösungsversuch der kantischen Probleme besteht. Natürlich kann Engstler diese Perspektive verteidigen, in dem er seine Auslegung auf den VT beschränkt. 65

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der maimonschen Philosophie hervorheben, indem ich zeige, wie dieser aus dem aporetischen Charakter seiner spekulativen Lösung zum Problem des Gegebenen entspringt, und indem ich in gleicher Weise dessen innere Beziehung zum transzendentalen Aspekt seiner Philosophie, d. h. zum Satz der Bestimmbarkeit, hervorhebe. Um diesen Abschnitt zu beenden, möchte ich kurz die Art und Weise darstellen, in der m. E. Maimons Denkweise in seiner spekulativen Lösung zum Problem des Gegebenen als besonders brillant und wertvoll zu betrachten ist. B.

Der Mythos des Gegebenen und die Metapher vom Spiegel: Maimon und der produktive Idealismus

Wenn man die spekulative Lösung, die Maimon auf die quid jurisFrage anbietet, nicht nur als eine Lösung zum Problem der Verständlichkeit der Erfahrung (diese in kantischen Termini gedacht) auffasst, sondern als Erklärung des größeren Problems in Bezug auf die Beziehung Geist-Welt, dann findet man in ihr eine deutliche Kritik am Repräsentationalismus und eine Andeutung einer sehr suggestiven philosophischen Erklärung bezüglich des Problems des Gegebenen. Vor allem sollte bedacht werden, dass der leibnizsch-wolffsche bzw. der spekulative Vorschlag Maimons in Bezug auf das Problem der Beziehung Geist-Welt jenseits der Grenzen der von Kant geerbten Situation (die quid juris-Frage) nichts Anderes als ein Lösungsvorschlag auf das »Problem der Wahrnehmung« ist. Kurz gesagt: Was Maimon behauptet, ist nicht, dass es ohne die Differenziale oder »Elemente der Anschauung« keine Lösung für das Problem der Erfahrung geben kann, sondern er versucht, etwas weiter zu gehen, indem er festhält, dass es ohne diese Selben keine Erfahrung geben könnte. Das scheint noch radikaler und entscheidender zu sein, was die Beziehung zwischen Geist und Welt angeht, da die Erfahrung, wie Kant sie versteht, d. h. als Korrelation der Wahrnehmungen nach notwendigen Gesetzen, mit Hilfe eines Verfahrens wie dem von Hume vorgeschlagenen, verneint werden kann (die Erfahrung ist reine kontingente Assoziation von Wahrnehmungen). Die Tatsache aber, Wahrnehmungen zu haben bzw. wahrzunehmen, kann dagegen nicht mit Hife eines skeptischen Verfahrens verneint werden:

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Spekulation

Herr Kant hält die Kategorien für Bedingungen der Erfahrung; d. h. er behauptet, daß wir auch ohne dieselben Wahrnehmungen haben können, aber doch keine Erfahrung (Nothwendigkeit der Wahrnehmung); ich hingegen bezweifle mit Hume die Realität der Erfahrung, und halte daher die logischen Formen mit den Bedingungen ihres Gebrauchs (gegebene Verhältnisse der Objekte unter einander) für Bedingungen der Wahrnehmung selbst. (VT, S. 214 f.) 67

Maimons Grundidee besteht darin, dass die sinnliche Wahrnehmung als solche des Bewusstseins bedarf. Wenn das Bewusstsein mit (begrifflichen) Funktionen der Einheit operiert, dann muss es mit dieser Funktion der Vereinigung ein homogenes Element in demjenigen geben, das sinnlich wahrgenommen wird, und zwar dergestalt, dass es die Wahrnehmung ermöglicht. Dieses Element wird mit den »Differenzialen« gegeben. Da diese von idealer (und nicht reell-materieller) Natur sind, kann man als selbstverständlich annehmen, dass der Satz der Homogenität vom Bewusstsein aufgestellt wird. Mit anderen Worten: Die Erfassung des Gegebenen bzw. die Wahrnehmung ist nur dann möglich, wenn sie dargestellt wird oder in irgendeiner Form auf das Bewusstsein reduziert werden kann. Dies erfolgt, wie wir gesehen haben, laut Maimon nicht auf einen einzigen Schlag, sondern in Stufen, d. h. in der Zeit. So viel erst einmal zum Kern des maimonschen Vorschlags. Das Wesentlichste dieses Vorschlags besteht m. E. darin, eine philosophische Erklärung des direkten Realismus bzw. des Realismus des gesunden Menschenverstandes anzubieten, indem der Angelpunkt selbst angegriffen wird, der dem Projekt einer Philosophie des gesunden Menschenverstandes seinen Ursprung und eine gewisse Plausibilität gibt. Hinter diesem Angelpunkt verbirgt sich nichts Anderes als der moderne Repräsentationalismus mit all seinen inneren Schwierigkeiten. 68 Die von Maimon vorgeschlagene spekulative ErSiehe auch: »Ohne Herrn Kants Regel könnte man nicht eine bloß subjektive (Wahrnehmung) von einer objektiven Folge (Erfahrung) unterscheiden; ohne meine Regel hingegen könnte man nicht einmal eine subjektive Folge wahrnehmen, und so verhält es sich auch in Ansehung aller übrigen Kategorien« (VT, S. 217). Oder auch: »Nach meiner Theorie […] ist der Begriff von Ursache nicht bloß eine Bedingung der Erfahrung, sondern selbst der Wahrnehmung; folglich mag die Objektivität der Folge immerhin bezweifelt werden, so ist erstlich der Begriff im Allgemeinen objektiv in Beziehung auf die wirkliche Wahrnehmung, die niemand in Zweifel ziehen wird« (ebd., S. 372). 68 Wie bekannt ist und bereits mehrmals in dieser Arbeit angesprochen wurde, schlägt Thomas Reid seine realistische Auffassung des gesunden Menschenverstandes vor, weil er von einer gewissen Unruhe getrieben wird, die dadurch ausgelöst wurde, zu sehen, 67

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klärung der Wahrnehmung ist gewiss eine idealistische Erklärung der Wahrnehmung, aber immer und wenn sich der Idealismus als Erklärung des direkten Realismus bzw. als Art, diesen Realismus begreifbar zu machen, versteht und nicht als eine repräsentationalistische Theorie der Wahrnehmung im Sinne der lockschen Tradition (»the way of ideas«). Laut Maimon beruht der Repräsentationalismus auf einer Dualität, die nicht begreifbar ist; nämlich die Dualität Vorstellung-Inhalt der Vorstellung. Diese Unbegreifbarkeit hängt von dem schon mehrere Male erwähnten Problem der Heterogenität ab: man will, dass die Vorstellungen (von objektivem Wert) mit einem in Bezug auf sie selbst heterogenen Inhalt übereinstimmen. Hinzu kommt außerdem noch, dass man für gewöhnlich dieses repräsentationalistische Modell mit einer kausalen Komponente in Zusammenhang bringt. Das wird vor allem im Fall der Wahrnehmung ganz offensichtlich. 69 Der »Inhalt« der Wahrnehmung, als Vorstellung, ist »gegeben«. Schon das Passiv in diesem Ausdruck regt den externen kausalen Ursprung an. Die besondere Anregung Maimons besteht darin, eine nicht-repräsentationalistische Theorie der Wahrnehmung vorzuschlagen, die jede Betrachtung des Gegebenen als solches mit seinen kausalen Folgen als irrelevant ausschließt. Der Ausdruck »sinnliche Vorstellung« ist für Maimon nicht eindeutig und sollte deswegen abgelehnt werden, da er annehmen lässt, dass sich der Geist etwas »gegenwärtig« macht, was in der Realität nicht gegenwärtig ist. 70 Maimon schlägt stattdessen vor, dass man den Begriff »Darstellung« benutzt. Das ist sicherlich ein Vorschlag, der nicht nur für die sinnliche Vorstellung oder die Wahrnehmung gelten kann. 71 »Darstellung« heißt hier Präsentation im Bewusstsein. Eine grundlegende Eigenschaft des Bewusstseins ist schließlich, dass es

dass die skeptischen Aporien Humes unvermeidlich von den repräsentationalistischen Hypothesen abhängig sind. 69 Diese Problemkonstellation steht der zu Maimon über Reinhold und Schulze sehr nahe (siehe oben I § 4; auch II § 4). 70 Maimon spricht von einem »Gegenwärtigmachen dessen, was nicht gegenwärtig ist« (VT, S. 30). 71 Über die Gleichstellung von »Vorstellung« und »Darstellung« siehe Kuntze (1912: 90). Bergman (1967: 32) macht auf den Einfluss Mendelssohns an dieser Stelle aufmerksam. Siehe auch Mendelssohn, Morgenstunden. In: Gesammelte Schriften II, S. 270.

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Spekulation

aktiv ist, und zwar heißt das, dass ihm nur etwas gegeben werden kann, was es sich selbst auch darstellen kann. Nimmt man den Fall an, dass etwas gegeben ist, ohne dass es den Bedingungen der Darstellung des Bewusstseins unterworfen wird, so würde man sagen, dass es »unbewusst« ist oder dass sein Bewusstseinsgrad = 0 ist. Nach Maimons Vorschlag könnte dies so erklärt werden, dass die Aktivität des Bewusstseins = 0 wäre, d. h. wir leiden im Sinne von »wir erleiden eine Affektion«. Dieser Grad 0 der Bewusstseinsaktivität ist rein hypothetisch oder ideell, da ein Bewusstseinsgrad 0 »keinerlei Bewusstseinsaktivität« oder »kein Bewusstsein« bedeutet. Mit anderen Worten könnte man sagen: Die Annahme von etwas »Gegebenem«, ohne dass dieses den Bedingungen der Darstellung durch das und im Bewusstsein (was Aktivität ist) unterworfen wäre, ist die Annahme von nichts, im Sinne von »nichts« durch das Bewusstsein »Bestimmtem«: Empfindung ist eine Modifikation des Erkenntnisvermögens, das bloß durchs Leiden (ohne Spontaneität) in ihm wirklich wird; dieses ist aber eine bloße Idee, zu der wir uns durch Verminderung des Bewußtseins immer nähern, (die wir aber nie erreichen können, weil der Mangel alles Bewußtseins = 0 und folglich keine Modifikation des Erkenntnisvermögens sein kann). (VT, S. 168)

Es ist nicht so, dass Maimon verneinen würde, dass es etwas »Gegebenes« gibt, sondern seine Intuitionen zielen vielmehr darauf, die Irrelevanz dieser Annahme zu zeigen, solange dieses Gegebene als etwas von der bewussten Darstellung Unabhängiges betrachtet wird. Die Annahme von etwas unabhängig von diesen Bedingungen »Gegebenem« ist die Annahme von etwas so Unbestimmtem wie einer leeren Formel. Die Idee des Gegebenen als von seinen Bedingungen der Darstellung und der bewussten Bestimmung unabhängig ist philosophisch nicht relevant. Man könnte auch sagen: Sie ist eine Illusion. Die repräsentationalistische Theorie der Wahrnehmung, muss eine Art widerspiegelnde Beziehung zwischen dem Objekt und dieser Letzten aufstellen, die nicht überprüft werden kann – da man, um beide miteinander zu vergleichen, aus der Beziehung zwischen diesen beiden ausbrechen müsste, was unmöglich ist – und außerdem geht die repräsentationalistische Wahrnehmungstheorie davon aus, dass die sinnlichen Wahrnehmungen, die Anschauungen, »bloße Modifikationen unseres Ichs sind, die durch ihn 72 selbst so bewirkt 72

Lese »es« – gemeint ist »das ich«. A

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werden, als wären sie durch von uns ganz verschiedene Gegenstände bewirkt« (ebd., S. 202). Diesen kausal repräsentationalistische Begriff der Wahrnehmung, der auch vom transzendentalen Idealismus vertreten wird, versteht Maimon, wie schon gesagt, als eine Illusion, die nicht angenommen werden sollte, auch wenn sie erklärt werden kann. Der Absatz, in dem Maimon die Art und Weise erklärt, in der sich diese Illusion in uns auftut, stellt ein besonders brillantes Moment seiner Philosophie dar und verdient ausführlich zitiert zu werden, vor allem wegen seines kritischen Ansatzes gegen den modernen Repräsentationalismus. Um seinen kritischen Standpunkt verständlich zu machen, greift Maimon auf die Metapher vom Verstand als Spiegel zurück, die in der heutigen Philosophie so viel Resonanz erhält. Die Passage lautet: Man kann sich diese Illusion auf folgende Weise vorstellen. Die Vorstellung der Objekte der Anschauung in Zeit und Raum, sind gleichsam die Bilder, die durch das transcendentale Subjekt aller Vorstellungen (das reine Ich, durch seine reine Form a priori gedacht) im Spiegel (das empirische Ich) hervorgebracht werden; sie scheinen aber, als kämen sie von etwas hinter dem Spiegel (von Objekten, die von uns selbst verschieden sind). Das empirische (Materiale) der Anschauungen ist wirklich (so wie die Lichtstrahlen) von etwas außer uns, d. h. (verschieden von uns) gegeben. Man muß sich aber durch den Ausdruck: außer uns, nicht irre machen lassen, als wäre dieses etwas mit uns im Raum-Verhältnis, weil Raum selbst nur eine Form in uns ist, sondern dieses außer uns, bedeutet nur etwas, in dessen Vorstellung wir uns keine Spontaneität bewußt sind, d. h. ein (in Ansehung unseres Bewußtseins) bloßes Leiden aber keine Thätigkeit in uns. (VT, S. 202)

Etwas Gegebenes besitzt also nur dann epistemologische Relevanz, wenn es vom Bewusstsein erleuchtet wird. Aus der Bestätigung der epistemologischen Irrelevanz des Begriffes des Gegebenen – von den Bedingungen unabhängig, durch die wir von etwas bewusst werden – folgt aber nicht einfach eine Abschaffung dieses Gegebenen, wofür ein »produktiver Idealismus« sprechen würde. Eine Hervorbringung des Inhalts und der Form der Vorstellung ist, so Maimon, nur im Fall des unendlichen Verstandes möglich. Im Fall des endlichen Verstandes bleibt immer Platz für die sinnliche Affektion. Das Problem besteht dann darin, dass Maimon den Begriff des einen Verstandes kontinuierlich mit dem des anderen durcheinander bringt. Und diese Verwechslung ist nicht unbedingt von Vorteil, denn sie bringt gefährliche Konsequenzen für die Theorie mit sich. Eine der größten 290

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Schwierigkeiten in Maimons Philosophie zeigt sich in dem Moment, in dem er die Aktivität des endlichen Verstandes aus der Perspektive der Idee eines unendlichen Verstandes denkt. An dieser Stelle gelangt der Begriff des Verstandes in einen unerträglichen Widerspruch, da es für Maimon einerseits ganz natürlich zu sein scheint, einen endlichen Verstand, da er hervorbringend ist, als endliches »Modell« in Bezug auf den unendlichen Verstand zu denken; 73 und er fügt auch noch hinzu, dass dies den Schlüssel zum Problem der empirischen Erkenntnis liefern würde. Auf der anderen Seite wird laut Maimon die Vollständigkeit der Erkenntnis nach dieser Hypothese des unendlichen Verstandes gemessen. So gesehen sollte es nicht verwundern, dass diese Hypothese gleichzeitig die Quelle seines Skeptizismus ist. Man verlangt etwas, das man nicht bekommen kann und stellt dann fest, dass es gar nicht durchführbar ist. Wenn die Hypothese der unendlichen Intelligenz das Problem der empirischen Erkenntnis ganz lösen kann, dann nur, weil diese Letzte für die unendliche Intelligenz vollständig sein kann, jedoch nicht für den endlichen Verstand. Der unendliche Verstand bewirkt allerdings genau genommen keine empirische Erkenntnis; und so wird nicht eindeutig ersichtlich, wie die besagte Hypothese die Lösung zu etwas sein soll. Außerdem nähert sich der endliche Verstand an den unendlichen an, wenn er seine kreative oder produktive Tätigkeit frei entfalten kann, d. h. wenn er seine Objekte denkt oder hervorruft. Das geschieht in strengem Sinne aber nur im Fall der mathematischen Erkenntnis. Also bleibt genauso fraglich, wie diese Hypothese das Problem der Erfahrung lösen soll. Es ist deswegen angebracht, beide Typen des Verstandes zu unterscheiden, wenn man das Besondere an der von Maimon in VT vorgeschlagenen idealistischen Interpretation der Beziehung (endlicher) Geist-Welt ausschöpfen möchte. Was ich oben im Zusammenhang damit gesagt habe, dass der Idealismus Maimons kein produktiver Siehe VT, S. 65. Ab und zu nennt Maimon den endlichen Verstand auch »Schema« des unendlichen Verstandes (VT, S. 365). Der Unterschied zwischen endlichem und unendlichem Verstand besteht nur graduell, und diese wesentliche Übereinstimmung zwischen beiden bleibt vor allem in der konstruktiven oder mathematischen Erkenntnis sichtbar: »Gott bringt die Objekte der Natur auf eben die Art, wie wir die Objekte der Mathematik durchs reelle Denken d. h. durch Konstruktion hervor« (GW IV, S. 58). Atlas weist darauf hin, dass genau in dieser Art Maimonides den Bibelabschnitt auffasst, der lautet: »Gott schuf den Mensch nach seinem Ebenbilde.« Dieselbe Idee wird von Maimon aufgegriffen (vgl. Atlas: 1964, 77; auch ders.: 1952, 185 f.). 73

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Idealismus sei, sondern dass es sich bei diesem vor allem um eine philosophische Erklärung des direkten Realismus handelt, gilt selbstverständlich für den endlichen Verstand. In Bezug auf ihn wird das Gegebene nicht verneint, vielmehr wird es in den Termini eines möglichen Begreifens bzw. Wahrnehmens durch das Bewusstsein erklärt. Anderenfalls muss sich seine Abschaffung philosophisch und epistemologisch als irrelevant erweisen. Diese Erklärung setzt natürlich die Abschaffung der radikalen Trennung – der Heterogenität – zwischen Verstand und Sinnlichkeit voraus, und zwar weil sich der eine von der anderen nur in Graden unterscheidet. Die Sinnlichkeit ist somit nichts weiter als »unvollständiger Verstand«. Allerdings bedeutet das, dass für uns die Vereinigung von Verstand und Sinnlichkeit, d. h. das vollständige Bewusstsein dessen, was intellektuell unvollständig ist, nur als Annäherung an eine Grenze gegeben wird. Vollständige Begrifflichkeit ist nur im Fall des unendlichen Verstandes möglich, der produktiv ist. Versucht man herauszufinden, in welchem Maße die von Maimon vorgeschlagene Erklärung des Gegebenen eine echte »Lösung« zum Problem der Konzeptualisierung des empirischen Inhalts (in Bezug auf einen endlichen Verstand) ist, so stößt man auf mehr als nur einen Ausweg, da Maimon uns in eine Antinomie führt, in eine aporetische Situation. Die Unterscheidung nach »Graden der Vollständigkeit« zwischen Verstand und Sinnlichkeit löst das Problem der Heterogenität auf. Das ist die hier vorgeschlagene These. Das Problem, das mit Hilfe dieser These gelöst wird, entspringt wiederum aus der Tatsache, dass der endliche Verstand mit empirisch gegebenen Inhalten umgehen muss, die rationalisiert werden sollen. Und diese Abhängigkeit des endlichen Verstandes von empirisch gegebenen Inhalten ist gleichzeitig die Bestätigung einer Heterogenität zwischen diesen und den Rationalisierungsformen des endlichen Verstandes. Diese letzte Heterogenität wird in dem Moment aufgedeckt, in dem Maimon die Analogie zum unendlichen Verstand zur Sprache bringt: da dieser sein Objekt wahrnimmt, indem er es erschafft; d. h. da diesem keine Objekte gegeben sind, entsteht das Problem der Heterogenität für ihn gar nicht erst, genauso wie auch das Problem nicht entsteht, die Anwendung seiner intellektuellen Strukturen auf die Objekte rechtfertigen zu müssen. Wenn dies der Fall ist, so kann die von Maimon vorgeschlagene Lösung zum Problem des Gegeben nur zwei Dinge bedeuten: 292

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Spekulation

(1) Die leibnizsch-wolffsche These der graduellen Unterscheidung zwischen Verstand und Sinnlichkeit und die Methode, vom einen zur anderen zu gelangen (die Differenziale) sind Teil einer Theorie der Schaffung des Gegebenen oder desjenigen, was wir aus einer Art Illusion heraus, die unser gesunder Menschenverstand hat gelten lassen, als gegeben verstehen. Damit würde es sich um eine Theorie handeln, die auf die Abschaffung des Gegebenen als solches abzielt. Würde das Gegebene verschwinden, und könnte es als hervorgerufen erklärt werden, würde damit auch das Problem der Heterogenität verschwinden (wie im Fall des unendlichen Verstandes) und das quid juris-Problem wäre gelöst. (2) Die These vom graduellen Unterschied zwischen Verstand und Sinnlichkeit und ihre entsprechende Auffassung der Differenziale oder ideellen Bestandteile der Sinnlichkeit sind nicht Teil einer Theorie der Schaffung des Gegebenen, sondern der »formellen oder ideellen Bestimmung« (VT, S. 52) des Gegebenen. Anders gesagt: Das Gegebene wird auf seine ideellen und formellen Grundelemente reduziert. Nur so kann es rationalisiert werden. Mit dieser Rationalisierung aber verliert jenes Gegebene alles, was es an »Materiellem und Empirischem« an sich hat, da, wenn dies nicht so wäre, die erwähnte Reduktion nicht möglich sein könnte, und wir von Neuem vor der Heterogenitätsfrage stehen würden. Die »Reduktion« des Gegebenen auf seine ideellen rationalisierbaren Elemente impliziert den Ausschluss des Materiellen und Empirischen aus diesem Gegebenen; denn als solches könnte es nicht die Möglichkeit in sich bergen, rationalisierbar zu sein, solange es keine ideelle Form annehmen würde, die weder materiell noch empirisch sei. Anders ausgedrückt würde das heißen: Das empirisch Gegebene ist nur dann epistemologisch relevant, wenn es in irgendeiner intellektuellen Form verkleidet ist, die uns erlaubt, von ihm bewusst zu werden. Wenn das nicht zutrifft, lohnt es sich nicht einmal, vom Gegebenen zu sprechen. Ich möchte hier festhalten, dass sich Maimons Theorie eher an eine Erklärung des Gegebenen in jenem letzten Sinne annähert, wie das in (2) dargestellt wurde, als an einen produktiven Idealismus. In diesem Sinne sollte man verstehen, dass für Maimon die »Materie« der Erkenntnis, als der Sinnlichkeit angehörig, nicht von den Beziehungen abgeleitet werden kann, in denen sie sich aufhält und die erlauben, sie wahrzunehmen. Allerdings ohne die Beteiligung von ideellen Elementen könnte eine Wahrneh-

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Salomon Maimon: Zwischen Spekulation und Skeptizismus

mung der Objekte, die für das Denken etwas wären, nicht stattfinden. 74 Das Hauptargument dieser Interpretation besteht darin, dass die spekulative These, wie sie in (1) dargestellt wurde, als Beschreibung einer vollständigen Erkenntnis streng genommen nur für den unendlichen Verstand gilt. So könnte die Abschaffung des Gegebenen und die Ersetzung dieses selben durch etwas Geschaffenes als die effektive Vollständigkeit des Prozesses der Erkenntnis eines Objektes verstanden werden, aber nicht als die ideelle Annäherung an die besagte Vollständigkeit. Wenn man jedoch die Differenzialmethode als Mehtode der ideellen Annäherung der Sinnlichkeit und des Verstandes verstehen würde, wird man sehen, dass sie nur in Bezug auf einen endlichen Verstand einen Sinn hat. Für den endlichen Verstand ist allerdings die Annahme eines Restes notwendig, der durch seine kreativen Aktivitäten nicht absorbiert werden kann. Dieser Rest ist das Gegebene, das epistemologisch keine Relevanz besitzt, solange es nicht in den Bereich der bewussten Bestimmung fällt. Es kann aber auch nicht einfach als hervorgebracht betrachtet werden, nur weil es in jenen Bereich fällt und in diesem Sinne als etwas (Objekt) identifiziert werden kann. Trotzdem gibt es doch einen Fall, in dem man sehr wohl von einem konstruktivistischen Begriff der objektiven Erkenntnis bei Maimon sprechen kann. Es handelt sich dabei um den bereits erwähnten Fall der mathematischen Erkenntnis. Nur die mathematische Erkenntnis kann als vollständig erachtet werden, und das gilt genauso für den endlichen wie auch für den unendlichen Verstand. Die Vollständigkeit der mathematischen und konstruktiven Erkenntnis hängt von ihrem Mangel an einer Beziehung zum Empirischen ab, d. h. von ihrem formellen oder ideellen Charakter. Die empirische Erkenntnis ist dagegen von Natur aus unvollständig. Es ist offensichtlich, dass, wenn man die Vollständigkeit als Grundmerkmal der Erkenntnis annehmen würde, objektive Erkenntnis nur dann möglich wäre, wenn eine Übereinstimmung mit den Bedingungen der Konstruktion vorläge. Diese Übereinstimmung kann jedoch nur im Bereich des rein Formellen bzw. Ideellen bestehen. Bei der empirischen Erkenntnis handelt es sich aber um eine Tatsache, weshalb Vollständigkeit nicht zu ihren Merkmalen zählen kann. Aus diesem Grund erweist sich für Maimon die Idee von einer Annäherung an 74

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Vgl. VT, S. 205 ff.

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Kritischer Skeptizismus

eine ideelle Grenze als notwendig, wenn man von objektiv empirischer Bestimmung sprechen möchte. Die Theorie der empirischen Bestimmung durch Annäherung an eine ideelle Grenze greift an dieser Stelle eine hypothetische Formulierung auf, 75 und das ist ein günstiger Moment, um zu sehen, dass sich auch Maimon nicht auf einer spekulativen Lösung für das Problem der empirischen Erkenntnis ausruhen kann, sondern dass er zu einem skeptischen Standpunkt übergehen muss.

§ 6. Kritischer Skeptizismus In dem Brief, den Kant am 26. Mai 1789 an Marcus Herz geschrieben hat und in dem er, wie bekannt ist, die ersten beiden Teile von VT kommentierte, zeigt sich relativ eindeutig der Kern der Frage, von der Maimons Skeptizismus abhängig ist. Kant erkennt, dass Maimons Unzufriedenheit mit seiner Lösung zum quid juris-Problem aus der Schwierigkeit entspringt, die Möglichkeit der »Zusammenstimmung« zwischen zwei Typen der Vorstellung zu erklären oder verständlich zu machen, die so heterogen sind, wie das bei den Anschauungen und den Begriffen der Fall ist. 76 Das Beachtliche an dieser Interpretation Kants ist, dass in ihr die interne Beziehung dieser Schwierigkeit mit dem Problem verstanden wird, dass Maimon unter der quid facti-Frage dargestellt hat, oder sei es, unter der Frage, ob man die Beziehung dieser beiden heterogenen Elemente in der empirischen Erkenntnis wirklich als eine Tatsache annehmen kann. Das Problem besteht nun darin zu entscheiden, ob man eine Tatsache annehmen kann, die man nicht verstehen kann. Kant denkt natürlich, dass die Tatsache der empirischen Erkenntnis und der a priori Synthese gemäß seiner Philosophie verstanden werden muss. Was noch zu hinterfragen bleibt, ist, ob das, was Kant zu verstehen glaubt, genau dasselbe ist, wie das, was laut Maimon zu verstehen sei. Ich denke, dass es sich dabei nicht um dasselbe handelt. Kant bietet einen theoretischen Vorschlag, der zu verstehen erlaubt, dass die besagte Vgl. den Abschnitt in VT (S. 192 ff.) in Bezug auf die Erfahrungssätze »in dem Sinne, wie es Herr Kant nimmt«: »Wenn es also nur wahr ist, daß wir Erfahrungssätze haben […], so läßt sich nach meiner Theorie die Möglichkeit davon oder das quid juris leicht erklären«. 76 Siehe AA XI, S. 50. 75

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Salomon Maimon: Zwischen Spekulation und Skeptizismus

Tatsache stattfindet und stattfinden soll. Um dieses Vorhaben durchzuführen, bedient er sich einer argumentativen Strategie, für die die unausweichliche Voraussetzung der Tatsache unbedingt notwendig ist. Maimon denkt wiederum, solange man nicht verstehen kann, wie die Tatsache stattfinden kann, kann sie auch nicht ohne Zweifel angenommen werden, sondern nur hypothetisch. Solange es also keine verständliche Erklärung gibt, wird es auch keine definitive Antwort auf die skeptischen Anstöße Humes geben. Darin besteht der Kern seiner skeptischen Kritik. Die Nachvollziehbarkeit der »Erfahrungs-Erkenntnis« ist für Kant ausreichend begründet, wenn nachgewiesen werden kann, dass die besagte Erkenntnis nur unter den Bedingungen der Sinnlichkeit und des Verstandes und ihrer Einheit in einem Bewusstsein stattfinden kann. Und das bedeutet, dass wir nur unter jenen Bedingungen eine Erfahrung der Dinge als Erscheinungen haben können, »mithin, wenn Anschauungen (der Objekte als Erscheinungen) hiemit nicht zusammen stimmeten, sie für uns nichts, d. i. gar keine Gegenstände der Erkenntnis weder von uns selbst, noch von anderen Dingen, sein würden« (AA XI, S. 51). Wie aber diese Tatsache stattfindet, diese Übereinstimmung der sinnlichen Vorstellungsart mit der intellektuellen, ist etwas, was wir, laut Kant, nicht wissen können, weil wir sonst noch eine andere Anschauungsart, als die uns eigen ist und einen anderen Verstand, mit dem wir unseren Verstand vergleichen könnten und deren jeder die Dinge an sich selbst bestimmt darstellte, haben müssten: wir können aber allen Verstand nur durch unseren Verstand und so auch alle Anschauung nur durch die unsrige Beurteilen. (ebd.)

Die Erklärung der Tatsache, die die Bedingungen aufzeigt, ohne die diese Letzte nicht stattfinden könnte, muss für Kant ausreichend sein. Das impliziert aber gleichzeitig, dass die Antwort auf die Frage nach der Art, wie eine solche Tatsache zustande kommt, nicht notwendig ist: Denn wenn wir dartun können, dass unser Erkenntnis von Dingen selbst das der Erfahrung nur unter jenen Bedingungen allein nicht möglich sei, so sind nicht allein alle andere Begriffe von Dingen (die nicht auf solche Weise bedingt sind) für uns leer und können zu gar keinem Erkenntnisse dienen, sondern auch alle data der Sinne zu einer möglichen Erkenntnis würden ohne sie niemals Objekte vorstellen, ja nicht einmal zu derjenigen Einheit des Bewusstseins gelangen, die zum Erkenntnis meiner selbst (als Objekt des inneren Sinnes) erforderlich ist. (AA XI, S. 51 f.)

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Kritischer Skeptizismus

Die Anerkennung der Grenzen der rationalen Erklärung der Art und Weise, in der das Faktum der Erfahrung stattfindet, kann gewiss von einem kritischen Standpunkt aus akzeptiert werden, d. h. durch Gründe, die die Grenzen der Art und Weise betreffen, in der wir erkennen und in der wir rationale Erklärungen vorschlagen. Vor allem sollte man anerkennen, dass die von Kant vorgeschlagene Erklärung als Erklärung dafür, dass die Tatsache stattfindet, nur dann als ausreichend betrachtet werden kann, wenn man nicht nur die Tatsache annimmt, sondern auch die Charakterisierung, die Kant von ihr vorgenommen hat, nämlich: die Erfahrung als notwendige Verknüpfung von Vorstellungen und den Urteilen der Erfahrung a priori als synthetische Urteile. Das transzendentale Argumentationsmodell hat somit eine hypothetische Struktur; wenn das die Tatsache ist, dann kann es nur unter dieser und jenen Bedingungen so sein. Trotzdem beweist dieses Argumentationsmodell nicht, dass die Tatsache nicht auch anderer Art sein könnte. An diesem Punkt setzt der philosophische Skeptiker sein Potenzial gegen die transzendentale Argumentation an. Und hinzu kommt noch das Folgende: Dass das transzendentale Argumentationsmodell nicht in der Lage ist zu beweisen, dass die Tatsache nicht auch von anderer Art sein kann, ist perfekt mit der kantischen Anerkennung der Grenzen der rationalen Erklärung vereinbar. Diese Kompatibilität nicht anzunehmen, würde bedeuten, einen philosophischen Standpunkt zu vertreten, der inkonsequent ist. Der kritische Skeptizismus Maimons kann somit als das Ergebnis der Beziehung zwischen dem quid juris- und dem quid facti-Problem gesehen werden. Es handelt sich also um einen skeptischen Ansatz in einer engen Verbindung mit der kritischen Philosophie, so dass man sagen könnte, dass Maimons Skeptizismus eine Artikulation der Idee sein soll, dass die kritische Philosophie nicht als ausreichende Widerlegung der skeptischen Philosophie betrachtet werden kann. 77 Der Schlüssel zu dieser Unzulänglichkeit liegt allerdings darin, dass die Transzendentalphilosophie genauso die Möglichkeit wie die Realität der Erfahrung voraussetzt: Kant legt in seiner Philosophie die Möglichkeit der Erfahrung überhaupt zum Grunde. Die Prinzipien der Transzendentalphilosophie haben nur als Bedingungen des Erfahrungsgebrauchs ihre Realität. Er setzt also Erfahrung als

77

Siehe GW IV, S. 213. A

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Faktum voraus. Ein Skeptiker aber, der Erfahrung selbst in Zweifel zieht, wird auch die Realität dieser Prinzipien bezweifeln. (GW IV, S. 213)

Mir scheint nicht, dass es richtig ist zu behaupten, Maimon würde die Realität der Erfahrung von der Verneinung ihrer Möglichkeit aus leugnen, wie Engstler (1990: S. 225) behauptet. Es geht eher um etwas Anderes. Maimon hinterfragt die Tatsache, die Realität der Erfahrung, wie Kant sie andenkt. Das heißt, man zieht in Zweifel, dass die Erfahrung genau das ist, was Kant dachte, was sie sei; nämlich eine notwendige Verbindung von vereinten Vorstellungen in a priori synthetischen Urteilen. Indem jene Tatsache in Frage gestellt wird, wird gleichzeitig die Struktur der kantischen Erklärung der Möglichkeit jener Tatsache in Frage gestellt, da sie von ihrer Annahme abhängt. Wenn man also die Realität des Faktums verneint, so verneint man eo ipso die Realität der Sätze, die ihre Möglichkeit erklären. Aus der hypothetischen Abhängigkeit der kantischen Erklärung der Möglichkeit der Erfahrung in Bezug auf die Annahme dieser Letzten als Faktum – wie Kant sie auffasst – folgt, dass sich die Argumentation der kritischen Philosophie hinsichtlich einer Verneinung der Erfahrungssätze (im Sinne Kants als synthetische Urteile a priori) im Kreis drehen müsste: Die kritische Philosophie kann also hier nichts mehr thun, als zeigen, daß zur Möglichkeit der Erfahrung überhaupt, in dem Sinne, worin sie das Wort nimmt, allgemeine synthetische Grundsätze (z. B. Alles hat seine Ursachen u. d. g.) und hinwiederum zur Realität (Beziehung auf ein Objekt) dieser Grundsätze, Erfahrung als Faktum vorausgesetzt werden müsse. D. h. sie muß sich im beständigen Zirkel herumdrehen. (GW IV, S. 73)

Der Dreh- und Angelpunkt in Maimons Skeptizismus beruht jedoch nicht einfach nur, wie ich schon angedeutet habe, auf dem In-FrageStellen des Faktums der Erfahrung (wie Kant dieses versteht), sondern er liegt vielmehr in der Verwicklung, in der sich dieses In-FrageStellen mit der kantischen Lösung zur Frage quid juris? befindet. Für Maimon ist die kantische Philosophie hypothetisch richtig, aber weiter nichts: Wenn das Faktum der Erfahrung, wie Kant es auffasst, wahr ist und angenommen werden kann, dann kann auch der Beweis der Objektivität der Kategorien (quid juris) angenommen werden. An dieser Stelle findet man das zentrale Moment in Maimons Skeptizismus. Seine Philosophie kann aber nicht rein skeptisch sein. In ihr kann man sogar einen Ansatz finden, der als ein »Ausweg« aus dem Skeptizismus verstanden werden könnte: nämlich die Idee, dass es 298

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doch intellektuelle Bedingungen der Wahrnehmung gibt. Und diese Idee kann nicht in Zweifel gezogen werden. Dieser Ansatz zu einem Ausweg aus dem Skeptizismus besteht in einer Radikalisierung des idealistischen Standpunktes. Es handelt sich dabei um den »rational dogmatischen« Aspekt in Maimons Philosophie, auf den ich bereits zu sprechen gekommen bin. 78 Die Lösung aber, die Maimon für das Problem der Wahrnehmung vorschlägt, ist nicht auf das Problem der Erfahrung übertragbar. Deshalb sollte ein richtiges Verständnis seines Skeptizismus nicht nur die Idee hervorheben, dass die kantische Theorie der Erfahrung, da sie einen bloß hypothetischen Charakter besitzt, nicht als eine endgültige Widerlegung Humes betrachtet werden kann, sondern es ist genauso wichtig, die Gründe zu verstehen, aus denen das Faktum der Erfahrung, wie Kant es auffasst, nicht angenommen werden kann: »in dem Sinne, den der Kantianer dem Begriff von Erfahrung beilegt, habe ich keine Erfahrung« (GW IV, S. 465). Maimon kann die Existenz von synthetischen Urteile a priori, die sich auf reelle (und nicht bloß formelle) Objekte beziehen, nicht annehmen; d. h. er kann die Existenz von allgemeinen und notwendigen Sätzen, die nachweisen sollen, in einer Erfahrung reell zu sein, nicht bestätigen, weil das an sich unbegreiflich ist. Nehme man als Beispiel den Satz der Kausalität. Kant behauptet, dass dieser Satz mit der hypothetischen Form der Urteile übereinstimmt (wenn S, dann P). Er hält jedoch außerdem fest, dass er der Ausdruck einer Art bewusster synthetischer Einheit (d. h. eine Kategorie) ist, der einen realen Gebrauch in Bezug auf Objekte der Erfahrung hat. Wenn wir sagen, das Feuer erwärmt den Stein, dann verknüpfen wir nicht einfach Wahrnehmungen, die wir in der Zeit machen (zuerst das Erscheinen der Sonne und dann die Erwärmung des Steins), sondern wir urteilen schon objektiv, dass »das Feuer Ursache von der Erwärmung des Steins ist« (VnL, S. 191). 79 Für Maimon ist die zeitliche Beziehung zwischen beiden Ereignissen eine Sache und die logische Beziehung eine andere, die man mit der ersten in Übereinstimmung bringen will und die Notwendigkeit gewährt. Laut Maimon besteht keine Möglichkeit herauszufinden, wie eine allgemeine Regel des Urteilens wirklich in Bezug auf bestimmte Objekte angewandt werden kann. Aus der Tatsache, dass 78 79

Vgl. VT, S. 436. Siehe Kant, AA IV, S. 301, Anm. A

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man weiß, dass die Objekte im Allgemeinen in einer kausalen Beziehung stehen können, die über ein hypothetisches Urteil ausgedrückt wird, folgt nicht, dass einige, bestimmte Ereignisse, wie das Feuer und die Erwärmung des Steines, die wir als in der Zeit aufeinander folgend wahrnehmen, zwangsläufig nach dem Gesetz der Kausalität zusammenhängen müssen. Denn es ist immer möglich zu denken, dass es nicht so ist und, dass das Feuer und die Erwärmung des Steines zufällig und nicht notwendigerweise zusammenfallen. Daraus folgt, dass die Wechselbeziehung zwischen dem Denken der logischen Notwendigkeit (im hypothetischen Urteil ausgedrückt) und der notwendigen Verbindung, die wir den Ereignissen zuschreiben, die faktisch in der Zeit ablaufen, eine Annahme ist, aber Nichts, was wir mit Sicherheit wissen oder begreiflich machen können. Dieser Analyserichtung folgend gelangt Maimon zu der Formulierung des folgenden Dilemmas: (I) Entweder ist das Faktum an sich (daß wir die Form der hypothetischen Urteile von empirischen Objekten gebrauchen) falsch, und die angeführten Beispiele beruhen auf Täuschung der Einbildungskraft, wie ich schon mehrermal gezeigt habe, die Kategorien haben alsdann gar keinen Gebrauch; oder es ist an sich wahr, und dann hat es keinen erkennbaren Grund, und die Kategorien bleiben nach ihrer mühsamen Deduktion und Schematismus, wie vor, bloße Formen, die keine Objekte bestimmen können. (VnL, S. 192)

Maimon bringt den ersten Teil dieses Dilemmas mit der quid factiFrage und den zweiten mit der quid juris-Frage in Zusammenhang. Das bedeutet, dass er auf die erste Frage eine negative Antwort gibt, weil er den empirischen Gebrauch der Kategorien nicht akzeptiert. Im Gegensatz dazu akzeptiert er aber, dass sie einen Erkenntnisgebrauch in Bezug auf formelle, konstruierbare Objekte, wie die der Mathematik, hätten. Nur in diesem Bereich ist eine Antwort auf die quid juris-Frage möglich. Bei näherer Betrachtung wird man sehen, dass das zitierte Dilemma aus der Unmöglichkeit entspringt, begreifbar zu machen oder zu erkennen, dass die Kategorien einen Bezug auf empirisch gegebene (also nicht konstruierte) Objekte besitzen. Und jene Unmöglichkeit steht in Zusammenhang mit der Tatsache, dass, was die Bedingungen der Fassbarkeit bildet (die Kategorien), nicht auf empirisch gegebene Inhalte bezogen werden kann, weil es sich dabei um zwei vollkommen heterogene Dinge handelt. Wenn dagegen die Bedingungen der Fassbarkeit als Bedingungen der epistemischen Bestim300

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mung in Bezug auf rein formelle Objekte verstanden werden, oder auch als Bedingungen der Konstruktion, dann ist ihr Gebrauch ohne Zweifel denkbar. Denn in diesem Fall würde das Problem der wechselseitigen Beziehung zwischen Heterogenen bzw. die quid juris-Frage nicht auftreten: Die Beziehung der Bestimmbarkeit liegt in einem rein ideellen Bereich, um es so zu sagen. Das ist, was Maimon im zweiten Teil des Dilemmas ausdrückt. Betrachtet man das von Maimon vorgestellte Dilemma in Bezug auf die Unmöglichkeit zu verstehen, wie sich die Kategorien bzw. die Bedingungen der Begrifflichkeit auf empirisch gegebene Objekte beziehen, so sollte man besser die folgende Formulierung wählen: Entweder findet jener Bezug statt, oder jener Bezug findet nicht statt. Wenn das Erste zutrifft, da man nicht begreifen kann, wie jener Bezug stattfindet, kann er auch eingebildet sein, d. h. durch die Einbildungskraft hervorgebracht. In diesem Fall könnte man, in strengem Sinne, nicht von einem objektiven Bezug der Kategorien auf empirische Inhalte sprechen. Genau das meint Maimon, wenn er etwas radikaler behauptet, dass, wenn jener »Gebrauch selbst unerwiesen [ist], so ist auch diese Form ohne alle Realität« (GW IV, S. 440). 80 Trifft jedoch das Zweite zu, so sprechen wir von rein formellen Sätzen der Bestimmbarkeit, deren Bezug auf empirische Inhalte nicht relevant ist. Auch wenn diese zweite Möglichkeit die Bestimmung von empirischen Objekten ausschließt, muss sie nicht zwangsläufig skeptisch sein, da sie als eine allgemeine Charakterisierung der formellen Erkenntnis oder der Erkenntnis durch Konstruktion verstanden werden kann. Was jedoch in Maimons Philosophie wirklich skeptisch ist, steckt im ersten Teil des Dilemmas: Mein gegründter Skeptizismus leugnet nicht, was die kritische Philosophie behauptet, er nennt nicht Irrtum, was jene für Wahrheit ausgiebt; sondern er bezweifelt bloß, was jene als Faktum des Bewußtseins ausgiebt, indem er dieses Faktum für eine Täuschung erklärt. Ich nehme den negativen (antidogmatischen) Teil der kritischen Philosophie an, verwerfe aber den positiven Teil derselben (den vorausgesetzten Erfahrungsgebrauch synthetischer Erkenntnis a priori) und setzte den Grundsatz der Bestimmbarkeit als Prinzip des reellen und zugleich reinen Denkens a priori fest. (GW V, S. 53, Anm.)

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Er bezieht sich hierbei wieder auf die Form der hypothetischen Sätze. A

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Und in den Kritischen Untersuchungen über den menschlichen Geist sagt Philates zu Criton: Auch stimme ich mit Ihnen in dem Begriffe von Erfahrung überein, daß nur durch die Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen, Erfahrung als eine objektive Erkenntnis möglich ist. Hingegen kann ich aus meinen Grundsätzen beweisen, daß dieser Begriff keine objektive Realität haben kann, und daß der vermeinte Gebrauch dieses Begriffs auf einer Täuschung beruht. (GW VII, S. 150)

So wie im transzendentalen genauso wie im dogmatisch-rationalistischen Aspekt seiner Philosophie Maimons skeptische Position unweigerlich zum Vorschein kommt, und zwar so, dass man behaupten kann, dass seine Philosophie auf keinem der drei isolierten philosophischen Standpunkte ausruhen kann, so sollte auch gezeigt werden, dass das Verständnis seines Skeptizismus unbedingt das Verständnis der Verknüpfung mit den anderen beiden Aspekten seiner Philosophie voraussetzt. Das lässt sich anhand des antinomischen Ausdrucks veranschaulichen, den sein Skeptizismus annimmt, und anhand der Lösung, die sich, laut Maimon, im Inneren dieser Antinomie halten soll. Das oben zitierte Dilemma (I), das man zweifelsohne als einen Beweis für antinomisches Denken verstehen kann, ist ein eindeutiger Ausdruck der Spannung, in der sich der transzendentale und der skeptische Aspekt der Philosophie Maimons befinden. Nach der Auffassung, die Maimon von der mathematischen Erkenntnis, d. h. der Erkenntnis durch Konstruktion in VnL vertritt, könnte man annehmen, dass in Bezug auf den zweiten Teil dieses Dilemmas die skeptische Tendenz seiner Philosophie zur Ruhe kommen könnte: In Bezug auf die mathematische Erkenntnis könnte man tatsächlich von vollständiger Erkenntnis sprechen, da es sich bei den zu erkennenden Objekten um nach bestimmten Regeln konstruierte Objekte handelt, und in demselben Maße kann der Erkenntnisakt, der in einem notwendigen mathematischen Urteil ausgedrückt wird, sehr wohl begriffen werden. Trotzdem zeigt Maimon an anderen Stellen, dass auch hier das für seine philosophische Erklärung der Erkenntnis so charakteristische Bedürfnis, interne Spannungen antinomischer Art zu suchen, nicht aufhört. Der Vorläufer – um es so zu nennen – zu dieser Antinomie, die zwangsläufig entsteht, wenn man die mathematische Erkenntnis (oder Erkenntnis durch Konstruktion) zu erklären versucht, versteckt sich hinter dem, was Maimon als »materielle 302

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Unvollständigkeit« dieses Erkenntnistyps bezeichnet und die er im Zusammenhang mit der »formellen Unvollständigkeit« vorstellt. Die formelle Unvollständigkeit der mathematischen Erkenntnis besteht darin, dass uns die Wahrheit der Axiome der Mathematik »aufgedrängt wird«, ohne dass sie für uns nachvollziehbar wäre. In der Mathematik kommt wiederum materielle Unvollständigkeit vor, wenn die Konstruktion »den Bedingungen des Begriffs nicht völlig (indem er sich aufs Unendliche erstreckt) entsprechen kann« (GW III, S. 188). 81 Aufgrund dieser beiden Arten von Unvollständigkeit der mathematischen Erkenntnis ergibt sich eine Antinomie, (II) indem von der einen Seite die Vernunft uns befehlt, dem Begriffe keine Realität beizulegen, als nur insofern er konstruiert werden kann, weil die Realität dessen, was nicht konstruiert werden kann, bloß problematisch ist. Auf der anderen Seite hingegen fordert die Vernunft, dass der Satz [der synthetische mathematische Satz a priori – LEH] bloß vom vollständigen Begriffe, wie er vom Verstande gedacht, nicht aber vom Unvollständigen, wie er von der Einbildungskraft konstruiert wird, gelten soll. (GW IV, S. 438)

Dieses Problem entsteht aus der Tatsache, dass man Standards der »Begrifflichkeit« fordert, die nicht immer durch die mathematische Konstruktion erfüllt werden können. Sie können erfüllt werden, wenn der Begriff, der das zu konstruierende Objekt beschreibt, vollkommen mit diesem übereinstimmt und folglich zur selben Zeit konstruiert wird: die Konstruktion findet so statt und ist begrifflich nachvollziehbar. Das ist der Fall des Begriffs vom rechteckigen Dreieck. Wenn dies nicht der Fall ist, wenn wir an unendliche Größen denken, stehen wir vor der Diskrepanz zwischen dem, was von der Einbildungskraft konstruiert werden kann, und dem, was in einem Begriff verstanden wird. Und da nur ein mathematischer Begriff, der konstruiert werden kann, als vollständig verständlich betrachtet werden kann, hätten wir damit hier einen Begriff, der nicht durch Konstruktion verstanden wird, oder der kein reeller mathematischer Begriff ist. Die Lösung dieser Antinomie könnte in einer Annäherung der Konstruktion an eine ideelle Grenze bestehen. Dieses Beispiel eines antinomischen Denkens könnte als Ergebnis einer bestimmten philosophischen Übung angesehen werden, die zur skeptischen Unentscheidbarkeit (isostheneia) führt. Und zwar 81

Siehe GW IV, S. 438. A

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immer, wenn man ein bestimmtes Muster der Verständlichkeit (in diesem Fall hinsichtlich der mathematischen Erkenntnis) als vorausgesetzt festhält, was jedoch nicht erfüllt werden kann. Maimon beharrt nicht auf eine Antinomie der mathematischen Erkenntnis, so dass diese entsteht und gelöst wird, wie bereits dargestellt wurde. Viel interessanter und typischer für die skeptische Ader, die Maimons Denken durchdringt, ist aber die Antinomie, zu der jeder Versuch führen muss, die empirische Erkenntnis zu verstehen. Unter dem Namen der »Antinomie des Denkens« gelangt Maimon tatsächlich zur reichhaltigsten Formulierung der gegenseitigen Spannung zwischen dem dogmatisch rationalistischen und dem skeptischen Aspekt seiner Philosophie. Diese Antinomie steht mit dem Problem des Dinges an sich oder mit dem materiell Gegebenen im Denken eines Objektes der empirischen Erkenntnis in Zusammenhang. Die so genannte »Antinomie des Denkens« lautet: (III) Das Ding an sich ist … eine Vernunftidee, die von der Vernunft selbst zur Auflösung einer allgemeinen Antinomie des Denkens überhaupt gegeben ist. Denn das Denken überhaupt besteht in Beziehung einer Form (Regel des Verstandes) auf eine Materie (das ihr subsumierte Gegebene). Ohne Materie kann man zum Bewußtsein der Form nicht gelangen, folglich ist die Materie eine notwendige Bedingung des Denkens, d. h. zum reellen Denken einer Form oder Verstandesregel muß notwendig eine Materie, worauf sie sich bezieht, gegeben werden; auf der anderen Seite hingegen erfordert die Vollständigkeit des Denkens eines Objekts, daß nichts darin gegeben, sondern alles gedacht werden soll. Wir können keine dieser Forderungen als unrechtmäßig abweisen, wir müssen also beiden Genüge leisten, dadurch, daß wir unser Denken immer vollständiger machen, wodurch die Materie sich immer der Form nähert bis ins Unendliche, und dieses ist die Auflösung dieser Antinomie. (GW III, S. 186 f.)

Eine andere wichtige Formulierung zu diesem Widerspruch ist die Folgende: (IIIa) [D]ie Vernunft fordert, daß man das Gegebene in einem Objekt nicht als etwas seiner Natur nach unveränderliches betrachten muß, sondern bloß als eine Folge der Einschränkung unseres Denkvermögens. Die Vernunft gebietet uns daher einen Fortschritt ins Unendliche, wodurch das Gedachte immer vermehrt, das Gegebene hingegen bis auf ein unendlich Kleines vermindert wird. Es ist hier die Frage nicht, wie weit wir hierin kommen können, sondern bloß, aus welchem Gesichtspunkt wir das Objetkt betrachten müssen, um darüber richtig urteilen zu können? Dieser (Gesichtspunkt) ist aber

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nichts anderes als die Idee des allervollkommesten Denkvermögens, wozu wir uns immer nähern müssen bis ins Unendliche. (GW IV, S. 443)

Die »Antinomie des Denkens« zeigt, dass, wenn man für die intellektuelle Bestimmung eines empirischen Objekts die Anpassung einer Denkform an einen gegebenen Inhalt verlangt, diese Bestimmung nicht möglich sein kann, da es unmöglich ist, zwei Dinge, die toto genero distinctas sind, oder eben heterogen, aneinander anzupassen. So wie man entweder davon ausgeht, dass unsere Erkenntnis Konstruktion ist, oder man anerkennt, dass wir uns in unserer Erfahrung der Erkenntnis auf etwas Gegebenes beziehen, so ist in keiner Weise eine Kombination dieser beiden Alternativen möglich, ohne in eine Aporie zu verfallen. Wenn wir uns allerdings für das Erste entscheiden würden, hätten wir keine Möglichkeit, auf die Tatsache zu antworten, dass unsere empirische Erkenntnis wirklich mit einem Inhalt ausgestattet ist, und nicht bloß eine Konstruktion wie ein Spinnennetz ist. Würden wir also das Erste annehmen, bestünde keine Möglichkeit herauszufinden, worauf wir uns beziehen. Das Gegebene ist für Maimon epistemologisch nicht relevant, genauso wenig wie der Begriff einer Realität an sich Relevanz besitzen könnte. In diesem gesamten Kapitel über Maimon habe ich immer wieder auf diesen Punkt hingewiesen. 82 Diese Spannung stellt die ausgeprägteste skeptische Situation dar, wenn man unter Skeptizismus nicht einfach eine Verneinung von etwas versteht, sondern vielmehr eine Übung von antinomischem bzw. aporetischem Denken. Maimon hält jedoch, wenn er die »Antinomie des Denkens« vorstellt, im selben Moment fest, dass diese schon den Keim zu ihrer Lösung in sich trägt. 83 Die epistemologische Irrelevanz des »Gegebenen« und des »metaphysischen Realismus«, wie sie in den letzten Jahren von Autoren wie Sellars (1968) und McDowell (1996) eingeführt wurde, schließt gewiss auch das transzendentale Projekt Maimons mit seinem bekannten Widerstand gegen das Gegebene laut den kantischen Begriffen mit ein. Ein Weiteres könnte sich natürlich auch über Davidsons Idee sagen, nach der sich der metaphysische Realismus von der Epistemologie trennt (Davidson: 1983, S. 426). Die (kantische) Auflehnung gegen die epistemologische Relevanz des metaphysischen Realismus ist auch, wie man weiß, für Putnams Ansatz (1981: bes. Kap. 3) charakteristisch. 83 Bransen (1989), der am stärksten auf die Bedeutung der »Antinomie des Denkens« als Schlüssel zur Interpretation von Maimons Werk insistiert hat, vernachlässigt die Tatsache, dass der besagte Widerspruch für Maimon an sich schon seine Lösung beinhaltet; eine Lösung nämlich, die eng mit der spekulativen Dimension seiner Philosophie verknüpft ist. Da Bransens Interesse nicht ausschließlich exegetisch ist, kann dieses Vorgehen sehr gut gerechtfertigt werden, da er Maimon auf die Spielfläche der gegenwär82

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In der ersten Formulierung der Antinomie (III) wird die Idee einer Annäherung der materiellen und der formellen Komponente eines empirischen Objektes zur Bestimmung durch das Denken in der Erkenntnis als Lösung hervorgehoben. Und zwar sollte diese Annäherung bis zum Punkt des geringsten Unterschieds zwischen beiden durchgeführt werden. Diese Lösung erinnert natürlich an die Theorie der Differenziale der Empfindung. In der zweiten Formulierung der »Antinomie des Denkens« tritt dieses Element wieder auf, wird aber der Begriff des »Standpunktes« einer unendlichen Intelligenz hinzugefügt. Für diese unendliche Intelligenz steht dasjenige, was uns als endliche Intelligenzen heterogen erscheint, uno acto im Verhältnis. Für den unendlichen Verstand stimmen die Form des Denkens und der durch jene Form in der Erkenntnis bestimmte Inhalt unmittelbar miteinander überein. Das einzige, was uns als endliche Intelligenzen objektiv zu urteilen erlauben würde, wäre die Annahme eines unendlichen Standpunktes. Das ist aber nur, wie schon gesagt, für den Fall des rein formellen Denkens möglich, ein Fall, in dem unsere Intelligenz von der göttlichen qualitativ nicht verschieden wäre. Für den Fall des Denkens, das sich auf empirische Inhalte bezieht, ist uns nur die ad infinitum Annäherung an jenen göttlichen Standpunkt möglich. Das Grundlegende an diesem antinomischen Charakter, den Maimons Skeptizismus annimmt, liegt nicht in jener Lösung, von der er glaubt, dass sie im Innern des Problems selbst steckt. Was man aber an diesem »begründeten Skeptizismus« hervorheben sollte, und was zu einer antinomischen Situation führt, ist vielmehr etwas Anderes: Was hier die Ansätze zu einer Lösung der Antinomie verspricht, liegt tatsächlich tief im Innern dieses selben enthalten, jedoch nicht als Lösung sondern als Ursprung des Problems. Genauso wie die Idee eines »unbridgeable gap« (Atlas: 1964, S. 260) zwischen den tigen epistemologischen Debatte ziehen will, auf der das Problem der Beziehung zwischen »dem Denken und seinen Objekten« diskutiert wird. Diese Debatte steht in Zusammenhang mit der Entscheidung zwischen zwei Alternativen: Entweder akzeptieren wir, dass wir mit Hilfe unserer (objektiven) Urteile »die Welt bedeutsam machen« (oder sei es, über ein Objekt zu urteilen, bedeutet, es in einem »Begriffsgerüst« einzuordnen), oder wir glauben, dass wir mit Hilfe unserer Urteile »die Welt bedeutsam finden« (d. h. über ein Objekt zu urteilen, bedeutet, seine »wirkliche Eigenschaften« festzulegen) (siehe Bransen: 1989, S. 2; vgl. auch die Kap. 1–3 des ersten Teils). Gegenüber einer solchen Alternative gilt es einzig und allein den widersprüchlichen Aspekt in Maimons Denken auszuschöpfen. Damit würde man ihn wirklich aktuell finden.

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begrifflichen Formen, die die Erkenntnis eines Objektes und seines Inhalts ermöglichen, so ist wie auch – und vor allem – die Annahme eines göttlichen Standpunktes, um die Vollständigkeit der Erkenntnis abzuwägen, ein Grund, der Zweifel in Bezug auf die Möglichkeit der empirischen Erkenntnis für den endlichen Verstand aufkommen lässt. Der Standard der Erkenntnis, nach dem sich Maimon richtet, wird durch den dogmatisch rationalistischen Aspekt seines Denkens vorgegeben. Und aus jener Voraussetzung muss schlicht und einfach eine skeptische Position hervorgehen, da der endliche Verstand diesen Standard nicht erfüllen kann. Etwas ganz Ähnliches geschieht mit der transzendentalen Dimension der maimonschen Philosophie. Der Satz der Bestimmbarkeit ist der Grundsatz, der das objektive Denken regiert. Maimon geht davon aus, dass dieser Grundsatz die Art und Weise erklärt, in der sich die transzendentalen Gründe der objektiven Bestimmung – so wie sie von Kant vorgeschlagen wurden – tatsächlich auf Erfahrungsobjekte im Allgemeinen beziehen können, obwohl nicht gezeigt werden kann, dass sie als Grundsätze der Bestimmbarkeit von konkreten Erfahrungen gelten. Die Standards der objektiven Bestimmbarkeit stimmen also nicht mit der einzelnen und konkreten Bestimmung überein, so dass diese nur dann erklärt werden kann, wenn man sie als induktives Verfahren der Erkenntnis denkt. Damit ist gemeint, was für Maimon die »angewandte Philosophie« sein muss. 84 Auch wenn wir dank der Transzendentalphilosophie mit den Sätzen der (kleinst möglichen) objektiven Bestimmbarkeit rechnen, so folgt daraus trotzdem nicht, dass diese sich jedes Mal für jeden konkreten Fall bestätigen würden. Tatsache ist aber, dass sich auch zwischen der Aufstellung der Sätze des objektiven Denkens im Allgemeinen, die von der Transzendentalphilosophie ausgeht, und der konkreten Anwendung dieser Sätze auf einzelne Objekte ein Abgrund befindet: Die Philosophie … hat noch keine Brücke aufbauen können, wodurch der Übergang vom Transzendentalen zum Besonderen möglich gemacht würde. Bleibt man beim transcendentalen stehen, so hat man freilich einen festen Posten; man kann aber hier bloß verteidigungsweise agieren, indem man nicht zugiebt, dass man sich der Formen a priori über die allgemeine Bedingungen ihres Gebrauchs in Beziehung auf ein Objekt der Erfahrung überhaupt zur Bestimmung besonderer Objekte bedienen soll. Verlässt man die84

Vgl. GW IV, S. 36. A

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sen hohen Posten hingegen, so kann man bloß die leichten Truppen, Induktion, Analogie, Wahrscheinlichkeit, u. d. g. einige Streifereien im Gebiete der Wahrheit machen; aber gewiß keine sichere Eroberungen. Doch sind diese Methoden nicht nur nicht ganz zu verwerfen, sondern selbst im praktischen Leben von großer Wichtigkeit; und hat denn Induktion u. s. w. keinen objektiven Grund? (GW IV, S. 38)

In diesem Sinne kann Maimons Kritik an der theoretischen Philosophie Kants, die – wie schon gesagt – einen der zentralen Punkte seines Skeptizismus bildet, wie folgt aufgefasst werden: Die transzendentalen Gründe der objektiven Bestimmbarkeit (und sogar auch der Satz der Bestimmbarkeit) sind sehr minimale Grundsätze der Bestimmbarkeit, die aber in sozusagen »weniger minimalen« Fällen, oder besser, in konkreten und kontingenten Fällen, keine Garantie der Bestimmbarkeit mit sich bringen. Die Kontingenz und die Faktizität der Erfahrung verlieren aber nicht ihre Eigentümlichkeiten durch die Tatsache, dass wir über Bedingungen der objektiven Bestimmung verfügen, die einigen unserer Urteile und Denkformen Allgemeingültigkeit verleihen. Das Gegenteil zu denken, d. h. dass die Erfahrung ihren kontingenten und faktischen Charakter verliert, weil es allgemeine Sätze und Urteile von allgemeiner Gültigkeit gibt, die sich auf sie beziehen, würde bedeuten zu glauben, dass diese Sätze nicht die Erfahrung im Allgemeinen bestimmen oder sich auf sie beziehen, sondern dass sie auf einzelne objektive Fälle bzw. Situationen ausgerichtet sind. Und diese letzte »Tatsache« ist nicht haltbar. Sie ist eine reine Annahme der kantischen theoretischen Erkenntnisphilosophie. Von dem skeptischen und antinomischen Gesichtspunkt her betrachtet, den Maimons Philosophie annimmt, sollten seine »Lösungen« der »Antinomie des Denkens« und der die empirische Erkenntnis betreffenden Antinomie, so wie sie in VnL (I) auftritt, nicht als Lösungen einer skeptischen philosophischen Position, sondern vielmehr als eine Aussöhnung mit dem endlichen und kontingenten Charakter der menschlichen Erkenntnis verstanden werden. Diese Aussöhnung wird in der Rolle sichtbar, die die Induktion in diesem Zusammenhang spielt. So gesehen hätten wir hier einen epistemologischen Skeptizismus, der sich nicht sehr von einem Skeptizismus unterscheidet, den man »wissenschaftlich-naturalistischen Skeptizismus« nennen könnte. 85 85

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Vgl. Craig (1993: 126 ff.). Für Craig ist das beste Modell des »wissenschaftlich-natu-

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Die Versöhnung mit dem unvollständigen Charakter der menschlichen Erkenntnis kann auch in der Rolle gesehen werden, die Maimon – indem er die allbekannte Idee Hans Vaihingers »einer Philosophie des Als Ob« vorwegnimmt – den Fiktionen oder Hypothesen zuschreibt. 86 Viele von ihnen erfüllen tatsächlich eine heuristische Funktion, die zum Verständnis der Erscheinungen beiträgt. Das ist der Fall beim Begriff der Monade. Das Gleiche lässt sich natürlich auch über die Idee bzw. die Fiktion des unendlichen Verstandes oder über die der vorher bestimmten Harmonie sagen. Die Wahrnehmung, die Maimon von Leibniz hat, ist eigentlich die eines großen genialen Philosophen, der sich, um das in der Welt der Erscheinungen Beobachtbare zu erklären, der »Lehre von den Fiktionen« bedient hat. Die Infinitesimalrechnung genauso wie die Monadologie sind typische Beispiele für diese Methode. Die erste – aus der Mathematik nicht mehr wegzudenken – hilft uns, die Art und Weise zu verstehen, wie die Menge zusammengesetzt ist oder wie sie aus unteilbaren Teilen besteht. Das ist zum Beispiel bei der Linie der Fall, wenn man sie sich als aus unteilbaren Punkten zusammengesetzt vorstellt. Allerdings scheint die Idee, dass ein bestimmtes quantum aus unteilbaren Punkten besteht, einen Widerspruch in sich einzuschließen. Wenn aber jene nicht teilbaren Punkte als reine erklärende Fiktionen oder ideale Hypothesen mit heuristischem Wert verstanden werden, verschwindet der Widerspruch, da das, was behauptet wird, nicht unbedingt heißt, dass eine Linie die Summe von

ralistischen Skeptizismus« Poppers Auffassung von der Erkenntnis als Mutmaßung und Wahrscheinlichkeit. Obwohl Poppers Ablehnung der Induktion mit der »Aussöhnung«, die Maimon in Bezug auf den endlichen Charakter der empirischen Erfahrung aufstellt, nicht vereinbar sein könnte, wäre es nicht unangemessen, bei beiden Forderungen der Rolle der »leichten Truppen« in der »Streiferei« um die »Wahrheit« eine ähnliche Prägung anzunehmen. Man sollte trotzdem berücksichtigen, dass, auch wenn Maimons Position in einer Abhängigkeitsbeziehung hinsichtlich eines göttlichen Standpunktes (der in gleicher Weise in der modernen Debatte über den Skeptizismus präsent ist, wie das von Craig trefflich erkannt wird, s. ders.: a. a. O., S. 121 ff.) einzuordnen ist, so kann sie doch als eine beachtliche Idee desjenigen betrachtet werden, was für Popper eine typische Schwachstelle der subjektivistischen Erkenntnistheorie ist (die er auch zweideutig als »Erkenntnistheorie des gesunden Menschenverstandes« nennt). Das heißt also, dass er die Erkenntnis als ein Paradigma jeder Erkenntnis als beweisbar annimmt, und dass jener Standard der einzige sei, der dazu dient, die »wahre und gewisse« und von der »bloßen Meinung« mit Hilfe von »zureichenden Gründen« zu unterscheiden. Siehe Popper (1972). 86 Vaihinger (1920) spielt in seinem Werk mehrmals auf Maimon an. A

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unteilbaren Teilen, Punkte genannt, sei, sondern dass sie sich so verhält, als ob sie es wäre. Nichts Anderes kann man über den Begriff der Monade im Bereich der philosophischen Erklärung des zusammengesetzten Körpers sagen. Man geht davon aus, dass der unendlich teilbare Körper aus Monaden besteht, die wiederum unteilbare Elemente sind. Also noch einmal, wenn der Begriff der Monade als Fiktion mit erklärendem Wert nicht verstanden werden würde, so müsste man in einen Widerspruch geraten: die körperliche (teilbare) Verbindung besteht aus nicht teilbaren Grundbestandteilen. So macht die Monadologie den Begriff des körperlich Zusammengesetzten begreifbar, da sie ihn so annimmt, als ob er tatsächlich aus unteilbaren Teilen bestehen würde. Würde man diese Hypothese nicht heranziehen, wäre es nicht nachvollziehbar, wie das unendlich Teilbare einen bestimmten Körper bilden kann. 87 Es besteht sicherlich kein Zweifel darüber, dass der Leibnizsche und spekulative Aspekt der Philosophie Maimons als Anwendung der »Methode der Fiktionen« zur Lösung des Problems der Heterogenität (der questio juris) betrachtet werden kann (und vielleicht sogar sollte). Das bedeutet, dass wir bestätigen können, dass es nicht darum geht, dass das Denken das Gegebene durch Annäherung an eine ideelle Grenze bildet, da wir das wahrscheinlich nie direkt wissen können, sondern dass man diese Bildung so annehmen könnte, als ob sie tatsächlich stattfände. Selbstverständlich rechtfertigt sich an dieser Stelle die Frage, ob die transzendentale Methode des Beweises, die sich an einer (regressiven) Gültigmachung der Voraussetzung orientiert, von der ausgegangen wird, auch als ein Beispiel für die Anwendung der »Methode der Fiktionen« betrachtet werden kann. Ich glaube, die Antwort sollte zustimmend sein. Und so kann man auch die folgende Textpassage verstehen: Die Bedeutung der Frage: quid juris? bei Kant aber ist diese: wir wissen aus der Erfahrung, dass wir bestimmte Formen des Denkens a priori mit bestimmten Gegenständen a posteriori auf eine notwendige Art verknüpfen, so lange wir aber an den Gegenständen nichts a priori ausfindig machen, ist dieses unmöglich, und daher diese notwendige Verknüpfung eine bloße Illusion. (VT, S. 363) Diese Interpretationslinie der leibnizschen Philosophie als höchstes Beispiel der »Methode der Fiktionen« kann man vor allem in GW IV, S. 51–54 sehen.

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Kritischer Skeptizismus

Maimon spricht hier mit starkem Nachdruck. Es könnte sich aber auch genauso gut um den Vorschlag zu einer unumgänglichen Illusion zum Verständnis der Erfahrung (von der man ausgeht und die man in einer bestimmten Art und Weise denkt) handeln. So wie das Verfahren, das die Monaden unumgänglich macht, seine Realität nicht beweist, genauso könnte behauptet werden, dass das regressive Verfahren, das das transzendentale Prinzip unumgänglich macht, seine Realität nicht beweist. In beiden Fällen handelt es sich um erklärende Fiktionen, die in Abhängigkeit von der hypothetischen Annahme einer Tatsache stehen. Das wird noch deutlicher in dem Moment, in dem Maimon bezüglich der Erklärung, die er von der Funktion der Fiktionen in der Philosophie gibt, über die transzendentalen Grundsätze das Folgende sagt: Die transzendentalen Prinzipien haben nicht nur an sich, sondern auch als Bedingungen zur Möglichkeit der Erfahrung (die allerdings zugegeben werden kann) ihre Realität. Da aber die Wirklichkeit der Erfahrung (der wirkliche Gebrauch dieser Prinzipien von Gegenständen der Wahrnehmung) noch immer in Zweifel gezogen werden kann, so haben sie als Prinzipien bloß eine hypothetische Gültigkeit oder Realität. (GW IV, S. 225, Anm.)

In Maimons Versuch, die Erkenntnis zu erklären, und in der widersprüchlichen Ausdrucksweise, die er notwendigerweise annimmt, bleiben nur zwei Optionen zur Auswahl: nämlich entweder die erwähnte Versöhnung mit dem endlichen und kontingenten Charakter unserer Erfahrung oder die Bestätigung der Unmöglichkeit, etwas zu erkennen, aufgrund der von einem transzendentalen und dogmatisch rationalistischen Standpunkt aus geforderten Standards. 88 Die erste Option ist vor allem viel versprechend, da sie zu einer Änderung der Idee der Erkenntnis und in diesem Maße zur bedenkenlosen Aufgabe der erwähnten Standards führt. Maimon ist es meiner Meinung nach nicht gelungen, eine dieser beiden Möglichkeiten vollständig zu artikulieren. Trotzdem zeigt seine Philosophie, dass man sich entweder für die erste entscheidet oder im besten aller Fälle, die Erklärung der Erkenntnis in einer Sackgasse vorfindet.

»Wird keine absolute, sondern eine bloß komparative Allgemeinheit angenommen, so gibt es keine Erfahrung oder notwendige Verknüpfung der Wahrnehmungen. Wird aber die absolute Allgemeinheit supponiert, so kann es zwar Sätze, die sich auf die Möglichkeit der Erfahrung beziehen, aber keine Erfahrungssätze geben. In beiden Fällen ist der Gebrauch des Begriffs von Erfahrung unmöglich« (GW VII, S. 152 f.).

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Sekundärliteratur – (1945): Die Deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung. Tübingen: Mohr. Zubersky, Albert (1925): Salomon Maimon und der kritische Idealismus. Leipzig.

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Namenregister

Adickes, E. 101, 168, 170 Adorno, Th. 30 Aenesidemus 100, 110, 111 Albert, H. 65, 135 Allison, H. 170, 174, 182, 192, 240 Ameriks, K. 49 Arkesilaos 115 Aristoteles 72, 103 Aschenberg, R. 49, 58, 66 Atlas, S. 231, 237, 244, 270, 273, 275, 291, 306 Ayer, A. J. 98, 182 Bacon, F. 133 Barnes, J. 111 Batscha, Z. 28, 29, 30, 226 Baum, G. 74, 75, 103, 107, 116, 120 Baum, M. 48, 58, 66 Baumann, P. 12 Baumanns, P. 102 Beck, L. W. 70 Beck, S. 101, 102, 166 Beiser, F.C. 17, 18, 20, 64, 88, 89, 101, 115, 162 Bergman, S. H. 231, 244, 273, 288 Berkeley, G. 92, 166, 168, 199–203, 230 Berlin, I. 41 Bindewald, E. 13 Bindewald, H. 13 Bondeli, M. 17, 20, 31, 53, 81, 84, 85, 88, 91 Boullart, K. E. 103, 104 Bowie, A. 222 Brandt, R. 12, 72, 74, 113 Bransen, J. 229, 237, 305, 306 Breazeale, D. 20, 23 Brochard, V. 111 Bubner, R. 66

Cassirer, E. 18, 30 Clarke, Th. 95 Craig, E. 308, 309 Cramer, K. 192 Crawford, P. 58 Crusius, C. A. 103, 104 Davidson, D. 121, 256, 305 Descartes, R. 90, 95, 105, 114, 141, 181, 182, 199 Dehlan, K. 13 Díaz, J. A. 12 Düsing, K. 124, 214, 215 Eberhard, J. A. 22, 166 Engfer, H-J. 31, 49 Engstler, A. 102, 116, 123, 227, 229, 236, 238–240, 273, 279, 285, 298 Epstein, K. 17 Erdmann, J. E. 17, 20, 102, 103 Feder, J. G. H. 22, 103, 106 Fermandois, E. 12 Feyerabend, P. 135 Fichte, J. G. 23, 50, 81, 84, 99, 100, 101, 108, 115, 116, 119, 120, 142, 143, 162, 164, 210, 230, 231, 247, 272 Fischer, E. 103 Fischer, K. 20, 102, 230–232 Forster, M. 23, 102 Förster, E. 175 Frank, M. 18, 20, 50, 88, 91, 95, 101, 111, 231, 236, 238, 241, 272 Franks, P. 50 Fries, J. F. 104 Fulda, H. F. 102 Galilei, G. 133 Garve, Chr. 106, 166 Gawlick, G. 115 A

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Namenregister Gawoll, H-J. 120 Giovanni, G. di 107, 120 Gliwitzky, H. 27 Grundmann, Th.116 Gueroult, M. 18, 23, 231, 244 Guyer, P. 175 Hamann, J. G. 31, 36, 37, 40, 41, 120 Hankinson, R. J.111 Hartmann, N. 102 Hegel, G. W. F. 10, 23, 102, 105, 115, 116, 121–124, 128, 136, 162, 208, 211–215, 222, 231 Heine, H. 139 Henrich, D. 189 Herbart, J. F. 104 Hermias 142 Herz, M. 74, 178, 295 Hinske, N. 17, 31 Horkheimer, M. 30 Horstmann R.-P. 102, 156, 161, 170, 175, 247 Hoyos, L.E. 26, 30, 31, 41, 66, 92, 95, 106, 107, 117, 132, 137, 166, 168, 175, 206, 239, 285 Hume D. 10, 11, 21–23, 40, 41, 59, 60, 66, 100, 105, 107, 110, 113, 116, 123, 149, 162, 180, 182, 195, 198–200, 216, 220, 222, 226, 228, 230, 285– 288, 296, 299 Husserl, E. 52 Isabel de Castilla 62, 64 Jacobi, F. H. 18, 22, 25, 31, 36, 37, 40, 41, 103, 105, 107, 119, 120, 124, 139, 152, 168, 169, 203, 215, 235 Joseph II 28 Kant, I. 9–12, 16–19, 21, 22, 25–28, 31–34, 36–39, 41–43, 46, 48, 49, 52, 55–58, 60, 61, 63–74, 77–83, 89, 91, 92, 94, 96, 99–103, 105, 109, 113,119, 120, 131–134, 140–142, 152, 154–156, 160–164, 166, 168– 170, 173–182, 184–187, 189–195, 197, 199, 201–206, 209, 210, 226– 231, 235, 236, 238–240, 243, 244,

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246, 253, 254, 261, 262, 271, 273, 274, 280–287,295–299, 305, 307, 308, 310 Katz, B. 267 Katzoff, Ch. 244 Kepler, J. 133 Kim, M. 135 Klemme, H. 113 Klemmt, A. 20, 30, 52, 90 Kiesewetter, J. G. C. Ch. 239 König, A.P. 71, 73, 80, 81 Körner, S. 59 Kopernicus, N. 244 Kreimendahl, G.115 Kroner, R. 30, 102 Krüger, L. 74 Kuehn, M. 107, 120 Kuntze, F. 231, 236, 244, 272, 288 Lauth, R. 18 Leclair, A. von 115 Leibniz, G. W. 22–24, 45, 113, 142, 226–228, 270, 276, 277, 282, 286, 293, 309, 310 Lenk, H. 156 Lessing, G. E. 139 Lewis, C. I. 69, 70, 191 Liebmann, O. 101 Locke, J. 22, 23, 45, 46, 107, 113, 131, 142, 181, 182 Lutz-Bachmann, M. 12 Maimon, S. 12, 21, 23, 24, 42, 59, 60, 101, 102, 105, 108, 162, 176, 192, 225–311 Maimonides 270, 291 McDowell, J. 186, 222, 285, 305 Meist, K. R. 103 Mendelssohn, M. 18, 22, 25, 288 Mensen, B. 84 Moiso, F. 231 Münchhausen, Baron von 65, 81, 84, 85, 135, 246 Müller-Lauter, W. 120 Nagel, Th. 95 Nebrija, A. de 62, 64 Newton, I. 62, 82, 242–244

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Namenregister Obereit, J. H. 119 Oittinen, V. 18 Parra, L. 12 Pascal, B. 8 Platon 30, 31 Pollok, K. 13 Popper, K. R. 135, 309 Ptolomäus 244 Prauss, G. 174, 253 Pupi, A. 20, 71, 101, 108 Putnam, H. 270, 305 Quine, W. V. O. 208 Reich, K. 72–74 Reid, T. 107, 109, 120, 123, 167, 168, 200, 216, 220, 287 Reinhard, F. V. 103, 104 Reinhold, E. 27 Reinhold, K. L. 11, 12, 15–98, 100– 106, 108, 110, 113, 115–117, 128, 132, 134, 138–142, 144, 145, 149, 150, 152–156, 162, 164, 167, 195, 203, 230, 231, 240, 241, 245–247, 288 Rescher, N. 170 Ricken, F. 60, 111, 135 Röttges, H. 215 Röttgers, K. 26, 102 Rorty, R. 132 Schelling, F. W. J. 100, 102, 103, 231 Schneiders, W. 17 Scholz, H. 17 Schopenhauer, A. 65, 90, 101, 103, 187 Schöndörffer, O. 239 Schröder, W. 103 Schulze, G. E. (Aenesidemus) 12, 18, 21, 22–24, 42, 50, 59, 66, 91, 99–223, 230, 240, 241, 247, 268, 288 Sellars, W. 186. 222, 305

Selle, Ch. G. 239 Serrano, G. 12 Sextus Empiricus 65, 98, 110–112, 115, 135, 156, 157, 163, 214, 253 Shaftesbury, A. A. C. 232 Shaper, E. 59, 66 Sokrates 30, 31 Spinoza, B. 22, 37, 41, 65, 103, 226 Stamm, M. 17 Stephani, H 99 Stolzenberg, J. 91 Stough, Ch. L. 111 Strawson, P. F. 49, 58, 62, 65, 98, 157, 161, 171, 235, 249 Striker, G. 111 Stroud, B. 95, 122, 182 Süß, Th. 119 Teichner, W. 18, 20, 37, 80 Tennemann, W. G. 23 Tetens, J. N. 106 Tiedemann, D. 107 Tieftrunk, J. H. 259, 261, 262, 264, 267 Timm, H. 17, 18, 25, 119 Tonelli, G. 113, 253 Trendelenburg, A. 174, 239, 240 Vaihinger, H. 101, 174, 240, 309 Verra, V. 101, 119, 226, 231 Vleeschauwer, H. J. de 18 Walker, R.C.S 256 Watkins, J. 59, 125 Wiegershausen, H. 102, 104, 106, 107 Wieland, Ch. M. 26, 27 Williams, M. 95 Windelband, W. 104 Wittgenstein, L. 15, 132 Wolff, Ch. 259, 260, 282, 286, 293 Wundt, M. 103, 104, 107 Zubersky, A. 273

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Sachregister

Anschauung 70, 71, 73, 123, 147–149, 159–161, 176, 177, 188–190, 193, 204, 206, 216, 220, 227, 239, 247, 262, 271, 274, 276, 278– 280, 282, 284, 286, 289, 290, 295, 296 Antinomie des Denkens 237, 304– 306, 308 Aufklärung 10, 12, 16, 17, 22, 24, 25, 27–33, 37, 125, 126, 130, 138, 139 Argument –, der Illusion 98, 182, 183 –, transzendentales 48, 50, 58, 59, 65, 66, 79, 109, 134, 155, 161, 164, 205, 297 –, Traum- 182 Atheismus 22, 29, 41, 137 Begründung 16, 18, 19, 21, 22, 25, 31, 34, 42, 51, 60, 61, 68, 80, 81, 84, 85, 98, 103, 106, 108, 113, 116, 117, 125, 141, 142, 144, 149, 150, 155, 158, 161, 164, 165, 169, 172, 175, 190, 205, 210, 213, 215, 230 –, Letztbegründung 17, 18, 30, 35, 47, 49, 51, 57, 60, 65, 88, 105, 110, 136, 140, 165 Bewusstsein (s. auch Satz des Bewusstseins) 30, 51, 52–56, 66–71, 73, 75, 77–81, 85–87, 91, 96, 111, 119, 136, 143–149, 157, 161, 167, 176–182, 184, 188–191, 194, 197, 202, 203, 206, 207, 212, 215, 218, 220, 233, 235, 238, 242, 243, 245, 247–252, 256–260, 271, 274, 276, 277, 283, 287–290, 292, 296 Cartesianismus 18

Denken –, Formales (bzw. formelles; s. auch logisches) 235 247, 248, 258, 266, 306 –, reelles (s. auch objektives) 233–235, 242, 247–252, 255, 256, 265, 267, 268, 273, 291, 304, 307 –, willkürliches 234, 250–252 Diallele (s. Zirkularität) 48, 53, 57, 60, 63, 64, 85, 156, 205, 247, 253, 254 Differenziale 227, 276–279, 286, 287, 293, 306 Ding an sich 55, 57, 93, 94, 101, 105, 116, 132, 140, 151, 169, 172–174, 176, 184, 204, 235–237, 239, 243, 245, 272–274, 304 Dogmatismus 23, 24, 29, 110, 115– 118, 125–127, 130, 133, 134, 137, 138, 151, 209, 212, 213, 237, 240, 241, 273 Elementarphilosophie 17, 18, 20–22, 24, 25, 27, 29–34, 46, 49, 52, 56, 57, 61, 64, 68, 74, 75, 79, 81, 83, 84, 88, 91, 92, 94, 100, 102, 105, 108, 117, 134, 140, 141, 143, 145, 146, 149– 155, 168, 231, 246 Empirismus 22, 24, 45, 149 –, deutscher 106, 107 Erfahrung 11, 19, 21, 23, 24, 26, 49, 57–60, 65, 66, 69, 70, 82, 113, 114, 128, 130, 132, 143, 146, 147, 149, 161, 164–166, 172, 173, 176–179, 181–186, 189, 190, 192–194, 197, 198, 203–205, 207, 209, 210, 214, 215, 221, 227–229, 233, 245, 252, 262, 270, 280, 282–287, 291, 295– 299, 301, 302, 305, 307–311 Erkenntnis 11, 17, 18, 21–23, 25, 31– 35, 40, 43, 45–48, 51, 52, 55–57, 61, 65, 67, 72, 73, 80, 82, 87, 90, 92–95, A

Der Skeptizismus und die die Transzendentalphilosophie https://doi.org/10.5771/9783495997239 .

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Sachregister 97, 98, 104–108, 113, 114, 116–125, 127, 128, 130–136, 140–143, 147– 150, 154–159, 161, 163–165, 168, 170, 172, 173, 175–177, 179, 180, 182, 185–193, 195, 196, 198, 199, 202–217, 219–223, 225–228, 234, 235, 237, 238, 240–245, 249–259, 261, 263–276, 279–282, 284, 291, 293–296, 300–309, 311 Erkenntnistheorie (s. auch Erkenntnisphilosophie) 11, 12, 21, 47, 70, 93, 98, 104, 106, 108, 109,112–114, 117– 120, 122–125, 129, 131, 132, 141, 142, 149, 153–155, 158, 159, 161, 162, 165, 167, 170, 173, 175, 177, 178, 195, 196, 207, 208, 210–213, 216, 228, 243, 256, 267, 280, 308, 309 Erkenntnisvermögen 24, 32, 33, 43, 46, 56, 97, 116, 129, 134, 196, 235, 236, 239, 241, 245, 246,273, 289 Erscheinung 112, 113, 132, 152, 158, 169–176, 193–195, 197, 202–206, 228, 235, 236, 239, 243, 244, 272, 273, 276–278, 284, 296, 309 Formalismus 119, 120, 161 Gemüt 27, 45, 97, 114, 116, 134, 143, 150, 156–160, 177, 179, 182, 189, 195, 198, 199, 201, 202, 206, 209, 210, 217, 223 Gegenstand (s. Objekt) 34, 39, 43, 45– 47, 51–57, 60, 67, 68, 70, 71, 73, 75– 80, 87, 90–98, 105, 108, 110, 112– 114, 116, 118, 120–124, 130, 133, 135, 141, 144–150, 152–158, 160, 161, 166–183, 185, 187–191, 194– 204, 206, 207, 209, 210, 216–222, 228, 231, 233, 234, 235, 237–239, 242–246, 248–265, 267–270, 276– 280, 282, 284, 287, 289–292, 294, 296, 298–307, 310, 311 Glauben 18, 25–29, 32, 35, 37–43, 112, 127, 131, 137, 138, 214 Idealismus 30, 79, 88, 91–93, 95, 101, 119, 120, 152, 168, 169, 180, 199–

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202, 205, 207, 209, 210, 234, 237, 256, 259, 262, 272, 288 –, absoluter (s. auch Totalidealismus) 168, 236, 272 –, deutscher 9, 19, 22–24, 34, 101–103, 105, 106, 108–110, 119, 232, 271, 272 –, formaler (bzw. formeller) 185, 210 –, kosmotetischer 210 –, morphothetischer 160, 209 –, ontothetischer 210 –, produktiver 286, 290–293 –, subjektiver 90, 94, 206 –, transzendentaler 101, 110, 152, 166, 168, 170–175, 190, 209–211, 234, 270, 272, 280, 290 Identität 90, 92, 93, 98, 110, 121, 122, 124, 140, 154, 166, 180, 188, 189, 231, 249, 257, 267 Identitätsphilosophie 91, 102, 103, 119 Induktion 308, 309 Kausalität 35, 103, 150, 153, 156, 161, 170, 187, 195, 197–199, 203–205, 299, 300 Kohärentismus 119, 256, 258, 261 Konstruktivismus 261, 265, 268 Logik 46, 72, 78, 80, 137, 231, 233, 234, 253–255 –, formale 117, 132, 135, 163, 196, 233, 253, 255 –, transzendentale 253, 261, 262 Materie 65, 143, 166, 198, 204, 210, 217, 234, 238, 239, 260, 266, 267, 281, 283, 284, 293, 304 Materialismus 22, 215 Methode 10, 52, 112, 113, 131, 135, 181, 182, 208, 277, 278, 293, 308– 310 –, analytische (regressive) 48–50, 84, 164, 165 –, synthetische (progressive) 48–50, 52, 82, 164, 165 Metaphysik 22, 25, 29, 36, 40, 41, 43, 46, 48, 52, 60, 66, 122, 131, 154, 155, 170, 208–210, 241, 243, 244

ALBER PHILOSOPHIE

Luis Eduardo Hoyos https://doi.org/10.5771/9783495997239 .

Sachregister Monade 277, 309–311 Moral 17, 25, 29, 35–39, 46, 126, 128, 135, 137 Naturalismus 105 Nihilismus 119, 120 Noumenalismus 272, 274 –, kausaler 152, 170, 203, 204, 235, 236, 238, 240, 245, 269, 272 –, kantischer 170, 273, 274 –, semantischer 170 Pantheismusstreit 17, 18, 22 Objekt (s. Gegenstand) –, reelles gedachtes 234, 251, 264, 279, 284 –, logisches (s. objectum logicum) 234, 265 Objektivität 94, 106, 114, 148, 166, 168, 169, 176–178, 180, 181, 184– 192, 194, 197, 199, 205, 206, 220, 227, 228, 233, 242, 243, 247, 252, 256, 257, 260, 268–271, 287, 298 Quid facti 102, 225, 228, 229, 267, 295, 297, 300 Quid juris 227, 229, 230, 271, 273, 274, 279, 280, 282–284, 286, 293, 295, 298, 300, 301, 310 Rationalismus 18, 22, 24, 45, 132, 135, 137, 227 Realismus 95, 98, 100, 105, 118, 120, 124, 125, 166, 176, 203, 209, 263, 264, 288 –, direkter 107, 109, 120, 148, 181– 183, 185, 186, 198, 200, 207, 215, 287, 288, 292 –, empirischer 107, 185, 203, 204, 206, 207, 215, 223 –, metaphysischer (s. auch transzendentaler) 264, 270, 272, 274, 305 Religion 17, 26, 28, 29, 34–39, 42, 126, 128, 136–138 Religionskritik 25, 29, 32 Relativismus 135, 182, 216 Repräsentationalismus 90–92, 107,

109, 110, 120, 123, 132, 145, 167– 169, 177, 181, 183, 184, 187, 199– 201, 206, 207, 216–218, 263, 264, 280, 286, 287, 288, 290 Satz der Bestimmbarkeit 233, 234, 247–249, 256, 257, 259, 273, 279, 286, 301, 307, 308 Satz des Bewusstseins (SB) 51–57, 63, 67–69, 82, 83, 85–87, 91, 142–149, 246, 247 Sinnlichkeit 54, 56, 61, 74, 83, 91, 151, 155, 161, 169, 170, 171, 182, 184, 204, 240, 270, 271, 279, 280, 282, 192,–294, 296 Skeptizismus 10–12, 16, 22–24, 29, 34, 40, 48, 59, 65, 66, 87, 90, 94, 95, 98, 99, 101, 102, 105–108, 110–118, 121, 123, 124, 126–133, 135, 136, 138, 141, 142, 149, 151, 165–167, 180, 186, 192, 195, 211–216, 225, 227, 228, 230–232, 237, 238, 240, 241, 253, 254, 256, 267, 268, 295, 297–299, 302, 305, 306, 308, 309 –, begründeter 228, 301, 306 –, kritischer 42, 60, 101, 228, 295, 297 –, dialektischer (s. räsonierender) 110, 113, 114, 137, 207 –, dogmatischer 22, 23, 40, 42, 43, 93, 94, 130 –, philosophischer 21, 47, 59, 92, 95, 100, 105, 109, 111, 121, 122, 125, 126, 129, 132, 140, 141, 143, 144, 166, 167, 223 Spekulation 32, 131, 225, 232, 270, 280 Spiritualismus 22 Supernaturalismus 21, 22, 41 Theismus 21, 22, 33–35, 39–43 Transzendentalphilosophie 9–12, 16, 19, 21, 22, 24, 32, 34, 35, 46–48, 52, 57–60, 62, 64–72, 79–85, 87, 88, 92, 99, 101, 102, 105, 108–110, 114, 117, 118, 120, 126, 130, 134, 140–143, 145, 149, 150, 154, 156, 160–162, 164, 168, 195, 196, 203, 205–207,

A

Der Skeptizismus und die die Transzendentalphilosophie https://doi.org/10.5771/9783495997239 .

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Sachregister 212, 214, 225–235, 240–242, 244, 247, 251, 258, 268, 297, 307 Vernunft 17, 18, 24, 25, 29, 31–46, 48, 52, 54, 60, 61, 85–87, 91, 120, 126, 127, 129–135, 137, 138, 151, 154, 157, 161, 165, 171, 173, 190, 198, 204, 208, 209, 211, 214, 215, 221, 230, 277, 279, 284, 303, 304 Vernunftglauben 18, 43 Verstand (s. auch Menschenverstand) 31, 36, 38, 41, 54, 56, 61, 71–73, 75– 77, 80, 91, 94, 96, 100, 107, 109, 126–128, 132, 133, 135, 151, 155, 171, 173, 178–181, 183, 184, 187, 190, 193, 197–200, 204, 206, 215, 219, 221, 227, 270, 271, 277, 279, 280, 282, 284, 287, 290–294, 296, 303, 304, 309 –, endlicher 260, 264, 278, 282, 290– 292, 294, 307 –, undendlicher 230, 260, 270, 271, 274–276, 282, 285, 290–294, 306, 309 Vorstellung 24, 34, 51–58, 60, 61, 63, 67–70, 75, 77, 80, 81, 85–98, 101, 114, 117–124, 126, 127, 132, 140, 143–157, 160, 166–172, 177–186, 188–191, 194, 195, 197, 199–202, 204–207, 209, 210, 215–221, 236,

332

237, 239, 241–243, 245–247, 256– 259, 262–265, 267–269, 274, 280, 282, 288, 290, 295–198, 302 Vorstellungsvermögen (bzw. -kraft) 17, 34, 54–56, 60, 61, 91, 97, 104, 116, 150, 151, 156, 162, 194, 201, 210, 241 Wahrheit 17, 20, 24–26, 32, 34, 36–38, 40, 41, 44, 45, 114, 118, 119, 121, 125, 129, 132, 133, 138, 149, 153, 156, 177, 190–192, 214, 215, 220, 221, 233, 236, 252–269, 273, 301, 303, 308, 309 Wahrnehmung 58–60, 82, 120, 123, 148, 172, 173, 177–180, 182–184, 186,187, 192, 197–201, 204–206, 215–222, 239, 247, 262, 270, 275, 278, 286–290, 299, 302, 309, 311 Wissen 17, 19, 22, 25, 26, 28, 29, 31, 34, 35, 37, 95, 114, 117, 118, 125, 127, 141, 172, 213–215, 221, 245, 246 Wissenschaft 39, 46, 47, 49, 57, 61, 62, 64, 65, 72, 78, 82, 84, 87, 103, 104, 108, 112, 121, 128, 133, 135, 161, 212–215, 231, 234 Zirkularität (s. diallele) 48, 53, 57, 60, 63, 64, 85, 156, 205, 247, 253, 254

ALBER PHILOSOPHIE

Luis Eduardo Hoyos https://doi.org/10.5771/9783495997239 .