Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts 9783495998427, 9783495480533


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Vorwort
Der Gott der biblischen Offenbarung und der Gott der Philosophen
Ist der Gott der Philosophen tot?
Die Bedeutung der Metaphysik für Glauben und Wissen
Hermeneutische » Phänomenologie Problem der Vielfalt der Religionen
Was bedeutet »die Frage nach Gott« heute? Religionsphilosophische und religionswissenschaftliche Überlegungen
Negative Theologie - auch heute ein philosophischer Sprechversuch über Gott
Nachwort
Personenregister
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Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts
 9783495998427, 9783495480533

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Hans Michael Baumgartner Hans Waldenfels (Hrsg.)

Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

ALBER PHILOSOPHIE

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Zu diesem Buch: Die Philosophie heute ist in gewissem Sinne ­atheistische¬ Philosophie, jedenfalls, was ihre kontinentalen und angloamerikanischen Hauptstræmungen betrifft. Das heiût, die Frage nach Gott spielt in ihrem ­Mainstream¬ keine nennenswerte Rolle mehr. Am Ende des 20. Jahrhunderts ist Gott der Philosophie irgendwie abhanden gekommen. Sie hat ihn vergessen. Der vorliegende Band stellt sich zwei Fragekomplexen: erstens, wie es zu verstehen sei, daû sich die Philosophie heute nicht mehr auseinandersetzt mit Gott, diesem ihrem åltesten Thema, das zugleich den Menschen in seiner endlichen Existenz betrifft; und zweitens, ob dies notwendig so sein mçsse oder ob es Mæglichkeiten gebe, auch heute in der Philosophie noch authentisch von Gott zu reden. Die Konzeption des Bandes geht auf die Tagung der Sektion fçr Philosophie der Gærres-Gesellschaft zurçck, die 1998 unter Leitung der beiden Herausgeber wåhrend der Generalversammlung dieser Gesellschaft in Gættingen stattgefunden hat. About this book: Today's philosophy is, in a certain sense, an »atheistic« philosophy; at least as far as its continental and Anglo-American mainstreams are concerned. This means that the question of God does not play any significant role anymore in this philosophy's »mainstream«. At the end of the 20th century God has somehow been misplaced by philosophy. Somehow this philosophy has forgotten him. This volume deals with two question-complexes: Firstly, how is one to understand today's philosophy, which does not concern itself with God anymore? This being one of its oldest subjects, which, at the same time, affects the human being in his finite existence. Secondly, must this necessarily be the case or does the possibility still exist that philosophy can talk authentically about God? The conception of this volume occurred at a conference of the Department of Philosophy of the Gærres-Society, which was conducted under the auspices of both publishers in 1998 in Gættingen. Die Herausgeber: Hans Michael Baumgartner (1933±1999), zuletzt Professor fçr Philosophie an der Universitåt Bonn, war (u. v. a.) seit 1978 Leiter der Sektion Philosophie der Gærres-Gesellschaft. ± Hans Waldenfels, geb. 1931, em. Professor fçr Fundamentaltheologie und Religionsphilosophie an der Universitåt Bonn, ist (u. v. a.) Leiter der Abteilung ­Religionswissenschaft¬ dieser Sektion.

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Baumgartner / Waldenfels (Hrsg.) Die philosophische Gottesfrage

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Alber-Reihe Philosophie

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Hans Michael Baumgartner und Hans Waldenfels (Hrsg.)

Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts Mit Beitrågen von Bernhard Casper, Freiburg Br. Konrad Cramer, Gættingen Ludger Honnefelder, Bonn Willi Oelmçller, Bochum Wolfgang Ræd, Innsbruck Heinz Robert Schlette, Bonn

Sonderdruck Verlag Karl Alber Freiburg / Mçnchen

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Texterfassung: in der Verantwortung der Herausgeber Redaktion: Petra Kolmer, Bonn STUDIENAUSGABE Gedruckt auf alterungsbeståndigem Papier (såurefrei) Printed on acid-free paper Alle Rechte vorbehalten ± Printed in Germany ° Verlag Karl Alber GmbH Freiburg/Mçnchen 1999 Einbandgestaltung: Eberle & Kaiser, Freiburg Einband gesetzt in der Rotis SemiSerif von Otl Aicher Satzherstellung: SatzWeise, Trier Inhalt gesetzt in der Aldus und Gill Sans Herstellung: Customized Business Services GmbH, Erfurt ISBN 978-3-495-48053-3

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Inhalt

Hans Michael Baumgartner, Bonn Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Konrad Cramer, Gættingen Der Gott der biblischen Offenbarung und der Gott der Philosophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wolfgang Ræd, Innsbruck Ist der Gott der Philosophen tot? . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ludger Honnefelder, Bonn Die Bedeutung der Metaphysik fçr Glauben und Wissen . . .

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Bernhard Casper, Freiburg Br. Hermeneutische »Phånomenologie der Religion« und das Problem der Vielfalt der Religionen . . . . . . . . . . . . . .

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Heinz Robert Schlette, Bonn Was bedeutet »die Frage nach Gott« heute? Religionsphilosophische und religionswissenschaftliche Ûberlegungen . . . .

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Willi Oelmçller, Bochum Negative Theologie ± auch heute ein philosophischer Sprechversuch çber Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hans Waldenfels, Bonn Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Der vorliegende Band versammelt die Beitråge zu einer Tagung der Sektion fçr Philosophie der Gærres-Gesellschaft, die unter dem Leitthema »Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts« 1998 in Gættingen stattfand. Er sucht zunåchst eine Antwort auf die Frage zu geben, wie es zu verstehen sei, daû sich die Philosophie in der zweiten Hålfte des 20. Jahrhunderts ihrem Mainstream nach, d. h. speziell als Analytische Philosophie und naturalistisch orientierte Philosophy of Mind, nicht mehr mit der Frage nach Gott befaût und schon gar nicht mit dem Problem auseinandersetzt, ob Gott existiere und, gegebenenfalls, welchen Wesens er sei, welche Bestimmungen man ihm zuzuschreiben vermæge. Und er stellt sich sodann der Frage, ob dies notwendig so sein mçsse ± oder ob es Mæglichkeiten gebe, auch in der Philosophie noch authentisch von Gott zu reden. Zunåchst freilich kænnte man in Anlehnung an den Sprachgebrauch neuerer Theologie sagen: Die Philosophie heute ist atheistische Philosophie, jedenfalls, was ihre kontinentalen und angloamerikanischen Hauptstræmungen betrifft. Aber, so wåre dem sogleich hinzuzufçgen, sie ist dies nicht in dem polemischen Sinne, daû sie sich ausdrçcklich gegen die Problemstellung, gegen die Frage, ob es Gott gebe und wie er denn beschaffen sei, richtete. Die Philosophie ist atheistisch in dem Sinne, daû sie Gott schlicht vergessen hat. Man kænnte dabei an die Szene erinnern, die Nietzsche im 125. Aphorismus der Fræhlichen Wissenschaft beschreibt: Der »tolle Mensch« auf dem Marktplatz schreit unaufhærlich, er suche Gott, worauf ihm die Menge, die nicht mehr an Gott glaubt, unter groûem Gelåchter erwidert, ob Gott denn verlorengegangen oder verreist sei, ob er sich verlaufen oder versteckt habe. Und der »tolle Mensch« gibt die Antwort, Gott ist tot und wir haben ihn getætet. Demgegençber hat die Philosophie ± wie wir sie im Ausgang des 20. Jahrhunderts mit allerlei wichtigen Dingen beschåftigt und mehr oder weniger scharfsinnig sehen, ohne noch wenigstens in weiten Teilen ein wirkliches, die Menschen in ihrer endlichen Existenz beDie philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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Vorwort

treffendes Problem zu haben ± Gott nicht getætet. Aber sie hat ihn zweifellos vergessen. Gott ist der Philosophie irgendwie abhanden gekommen. Und wenn es auch gegenwårtig natçrlich noch vereinzelte Bestrebungen gibt, die Frage nach Gott zu stellen, so scheinen die Religionskritik des 19. Jahrhunderts und der religiæse Atheismus, der daraus folgte, sowie die zeitgeschichtliche (und eigentlich geistesgeschichtlich-metaphysikgeschichtliche) Diagnose Nietzsches, daû Gott tot sei, doch dahingehend gewirkt zu haben, daû man es jetzt fçr unnætig, ja sogar fçr låstig erachtet, noch çber Gott zu reden ± in der Gesellschaft wie in der Philosophie. Daher stellt sich neben der Frage, ob und wie es nach dem Tode Gottes, den das 19. Jahrhundert in religiæser Hinsicht ausgerufen hat, noch Religion geben kænne (»Atheistisch an Gott glauben« etwa ist einer der in diesem Zusammenhang einschlågigen Buchtitel von Dorothee Sælle), auch die speziellere Frage, ob und wie nach dem Tode Gottes, den Nietzsche erfolgreich im Blick auf die europåische Denkgeschichte ausgerufen hat, noch einmal eine Philosophie mæglich und legitim sei, die wieder von Gott ± und damit von einem ihrer klassischen Themata (neben »Seele« und »Welt«) ± handelt, ohne sogleich den Verdacht auf sich zu ziehen, hier wçrde nur Vergangenes wiederholt, wçrden nur wider besseres Wissen Traditionsbestånde erneut in den Mittelpunkt gestellt. In der Tradition der europåischen Philosophie war, um dies kurz zu erinnern, von Gott in mehreren Zusammenhången und Disziplinen die Rede: erstens im Rahmen einer Ontologie, die auf ein hæchstes und oberstes Seiendes zu sprechen kam; zweitens in einer Kosmologie, der der aristotelischen Gedanke zugrundelag, daû Gott das proton kinoun akineton, das erste Unbewegte, aber Bewegende, sei. Drittens gab es den zugleich erkenntnistheoretischen und ontologischen Ansatz Platons bei der Idee des Guten, gefolgt von Plotins Gedanken des Absoluten, des hen, des Einen, das gegençber demjenigen Einen, das dem Vielen entgegengesetzt ist, das Ûber-Eine, das hyper-hen, ist, welches zugleich der Ursprung, das Prinzip des Einen wie des Vielen ist. Platonische, aristotelische und neuplatonische Philosophietraditionen, in denen Gott als das hæchste Seiende (als das ens realissimum) oder als das erste Bewegende (als die causa prima) oder als die Einheit von Einheit und Vielheit resp. von Sein und Denken etc. bestimmt worden ist, haben in der europåischen Geschichte fortgewirkt ± wenn sie auch immer wieder zu negativen Philosophien gefçhrt haben, in denen Gott zwar als denknotwendige Idee kon10

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Vorwort

zipiert werden muûte, sich jedoch jeder weiteren Bestimmung seines Wesens entzog. Die Denker der Neuzeit wie Descartes, Spinoza, Leibniz, auch Kant und die Denker des Deutschen Idealismus hielten an der traditionellen Einheit von Erkenntnistheorie, Kosmologie und Ontologie fest. Doch rçckte Gott nun im Zusammenhang einer gleichsam transzendentalphilosophischen Reflexion auf die Bedingungen der Mæglichkeit unseres Wissens von Welt çberhaupt in den Blick, die jetzt als der mægliche ± sei es spekulative oder nichtspekulative ± Zugang zu jenem Prinzip angesehen wurde, das als das Absolute allem zugrunde liegt. Es wåre nun zu fragen, was die verschiedenen Erfahrungsfelder waren, von denen her diese Disziplinen ihren Sinn gewonnen hatten. Zu nennen wåre an erster Stelle sicher die Erfahrung bzw. der sich auf Erfahrung stçtzende Gedanke, daû die Welt ein kontingenter Zusammenhang ist ± sowie die Intention, den Zufall denken, die Kontingenz als solche begreifen und eben dieses Begreifen noch systematisch bewåltigen zu kænnen. Zu nennen wåre zweitens aber die spezifische Erfahrung, daû wir, soweit wir in die Welt des Lebendigen und von der Welt des Lebendigen auch auf die Welt des Physikalischen blicken, alles in einer interessanten und auffålligen, aber auch staunenswerten Weise geordnet finden ± sowie die Intention, ein Prinzip fçr diese Wohlordnung des Kosmos und der Welt des Lebendigen angeben zu kænnen. Zu nennen wåre drittens schlieûlich auch die Frage nach der Art der Gçltigkeit unseres Denkens, das ein Denken in Begriffen ist ± eine Frage, die sich gerade dann stellt, wenn Gott zum Gegenstand unseres Denkens wird. Diese drei Erfahrungsfelder sind es nun zugleich gewesen, auf die sich auch Kant in seiner Kritik der Gottesbeweise bezogen hat: in seiner Kritik des kosmologischen Gottesbeweises, der auf den Gedanken der Kontingenz rekurriert; des physikotheologischen Beweises, der sich auf die Ordnungsstruktur der Wirklichkeit bezieht; und des sogenannten »ontologischen« Gottesbeweises ± wir kænnten auch sagen: des Anselmianischen Beweises auf der einen, des Cartesischen auf der anderen Seite ± mit der ihm zugehærigen Schluûweise, daû die Existenz Gottes aus dem Begriff des Vollkommenen folge und eingesehen werden kænne, da das Vollkommene als solches notwendigerweise existieren muû. Nun ergibt sich allerdings gerade im Blick auf Kant noch ein viertes Erfahrungsfeld, von dem her der Gottesgedanke philosophisch zu erærtern wåre, nåmlich das Feld der Erfahrung sittlicher Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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Vorwort

Verbindlichkeit sowie ± im Anschluû etwa an die Philosophie von Emmanuel Levinas ± die Erfahrung des Du, des Anderen. Diese Erfahrungsfelder ± die Welt in ihrer Kontingenz und ihrer Ordnung, das Denken an ihm selbst genommen und das Sittliche (unter Einschluû der Begegnung mit dem anderen Menschen) ± sind die Punkte gewesen, von denen ausgehend in der Philosophie von Gott gesprochen wurde. Die Frage, die sich uns hier und heute stellt, låût sich in diesem Zusammenhang nunmehr wie folgt formulieren: Gibt es auf diesen oder auf mæglichen anderen Feldern Erfahrungshorizonte, die uns trotz allen Einspruchs des Zeitgeistes und trotz allen Desinteresses des Mainstreams der Philosophie dennoch philosophisch dazu nætigen, den Gedanken eines existierenden Gottes sei es im Spiel zu halten, sei es neu zu denken, um damit der Philosophie eines ihrer Themen zurçckzugeben, die sie im Laufe des 20. Jahrhunderts verloren hat? Es ist diese Frage, auf die die Beitråge, die der vorliegende Band versammelt, je auf ihre Weise eine Antwort zu geben versuchen. Zum Schluû darf ich ein Wort des Dankes sagen: an meinen Freund und Kollegen Hans Waldenfels, mit dem ich den Gesamtplan des Projektes erærtern konnte und der das Nachwort zum Band verfaût hat; an die Vortragenden, die bereit waren, sich der schwierigen Thematik zu stellen; und schlieûlich an meine wissenschaftliche Mitarbeiterin Frau Dr. phil. Petra Kolmer M.A., die wegen meiner schweren Erkrankung die Hauptlast der redaktionellen Betreuung und Fertigstellung des vorliegenden Bandes zu tragen hatte. Bonn, im Mårz 1999

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Der Gott der biblischen Offenbarung und der Gott der Philosophen*1 Von Konrad Cramer, Gættingen

Eingenåht in das Gewand des Toten entdeckte man ein Pergament und in dieses eingefaltet ein Papier. Auf dem Papier steht in franzæsischer Sprache zu lesen: »Jahr der Gnade 1654. Montag, den 23. November [¼]. Seit ungefåhr abends zehn ein halb bis ungefåhr eine halbe Stunde nach Mitternacht. ± Feuer. ± »Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs«, nicht der Gott der Philosophen und Gelehrten [¼]. Gott Jesu Christi [¼]. Vergessen von der Welt und von allen, auûer Gott. Nur auf den Wegen, die das Evangelium lehrt, ist er zu finden [¼]. Freude, Freude, Freude und Trånen der Freude [¼]. Ich habe mich von ihm getrennt, ich habe ihn geflohen, mich losgesagt von ihm, ihn gekreuzigt. Mæge ich nie von ihm geschieden sein. Nur auf den Wegen, die das Evangelium lehrt, kann man ihn bewahren. Vollkommene und liebende Entsagung. Vollkommene und liebende Unterwerfung unter Jesus Christus. Ewige Freude fçr einen Tag geistiger Ûbung auf Erden. Non obliviscar sermones tuos. Amen.« Bei dem Papier handelt es sich um das berçhmte sogenannte Mmorial des Blaise Pascal. Von solcher Wichtigkeit war ihm das ihm in einer Novembernacht zuteil gewordene, durch den Ausruf ­Feuer¬ markierte Erweckungserlebnis, daû er dessen Notat stets bei sich fçhrte, nicht offenliegend und dem Zugriff anderer ausgesetzt, sondern dem Blick, auch seinem Blick, entzogen, eingenåht in sein Gewand, durch die acht Jahre hindurch, die ihm noch zu leben verblieben. Der Ort der Aufbewahrung mag selber als Sinnbild fçr den von Pascal in dieser Nacht erfahrenen Gott aufgefaût werden: In seiner Offenbarung verbirgt er sich, in seiner Verborgenheit ist er of* Der hier veræffentlichte Text ist mit dem des Vortrags identisch, der am 5. Oktober 1998 auf der Jahrestagung der Gærres-Gesellschaft in Gættingen innerhalb der Sektion Philosophie gehalten wurde. Eine erweiterte Fassung, die auch die Originaltexte pråsentiert und weitere Beweise liefert, wird in der Berliner Theologischen Zeitschrift erscheinen. Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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fenbar. Deus vere revelatus atque absconditus. Diese Dialektik zu befestigen in dauernden Gedanken hat sich Pascal seit jener Nacht auf den Weg gemacht. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, nicht der Gott der Philosophen und Gelehrten, von denen er selber, der berçhmte Mathematiker und Physiker, einer war. Was besagt diese Entgegensetzung? Zunåchst: Der Ausruf ­Feuer¬ und das, was ihm folgt, weist noch auf etwas anderes hin. Pascal hat sein Erweckungserlebnis als Entsprechung zu der Theophanie gedeutet, die nach Exodus Kap. 3 Mose zuteil wurde. Im brennenden aber nicht verbrennenden und deshalb Moses Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Dornbusch erscheint Gott Mose und er spricht zu ihm: »Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.« Diese Auskunft gençgt Mose bekanntlich nicht. Doch nicht dies, sondern etwas anderes ist fçr die soeben gestellte Frage von Wichtigkeit. Das Mmorial låût nåmlich keinen Zweifel daran, daû dieser Gott derselbe ist wie der Gott des Jesus von Nazareth, der der Christus ist. Wie viele vor ihm und nach ihm hat Pascal den Gott des Alten Testaments, den Gott, der mit Abram einen Bund schlieût und ihm eine Verheiûung ausspricht und damit zugleich einen neuen Namen ± Abraham ± gibt, den Gott, der diesen Bund und diese Verheiûung mit und gegençber dessen Nachkommen Isaak und Jakob, der Israel heiûen wird, erneuert, den Gott des alten Bundes also mit dem Gott Jesu Christi, dem Gott des neuen Bundes identifiziert, mit dem Gott, der den alten Bund durch Christi Geburt, Kreuzestod und Auferstehung besiegelt und eben damit die Verheiûung wahr gemacht hat. Der Gott des alten Bundes ist, so Pascal, nur auf den Wegen zu finden, die das Evangelium lehrt. Der Sinn der alten Verheiûung erschlieût sich allein durch das Evangelium, durch die Menschwerdung Gottes, sein Leben, sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung. Dem so verstandenen Gott, dem Gott des Neuen Testaments als Interpret des Alten, setzt Pascal den Gott der Philosophen entgegen. Wer den Gott des Neuen und darin allein den des Alten Bundes findet und bewahrt, der findet und bewahrt nicht den Gott der Philosophen. Genauer: Der Gott, den die Philosophen finden, ist nicht der Gott des Jahres der Gnade. Daher schreibt Pascal in seinen Penses: »Und deshalb will ich hier weder die Existenz Gottes, noch die Dreieinigkeit, noch die Unsterblichkeit der Seele, noch irgend etwas von dieser Art durch natçrliche Schlçsse zu beweisen unternehmen, nicht nur, weil ich mich nicht stark genug fçhle, irgend etwas in der 14

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Der Gott der biblischen Offenbarung und der Gott der Philosophen

Natur zu finden, was verhårtete Atheisten çberzeugen kænnte, sondern auch, weil solche Erkenntnis ohne Jesus Christus nutzlos und unfruchtbar ist.« Genau deswegen will sich Pascal nicht dem Geschåft derer anschlieûen, die die Existenz Gottes durch natçrliche Schlçsse zu beweisen unternehmen. Eben dies aber ist das Geschåft der Philosophen. Der Gott der Philosophen ist Gott, insofern seine Existenz und seine Eigenschaften durch natçrliche Schlçsse unter Beweis gestellt werden sollen. Eine solche Absicht geht von der Ûberzeugung aus, daû es auûer der Theologie der Offenbarung, derjenigen, die das in der Heiligen Schrift geoffenbarte Wort Gottes denkend zu durchdringen sucht, noch eine andere Theologie gibt. Diese andere Theologie heiût im Unterschied zur Theologie der Offenbarung ± der theologia revelata ± natçrliche Theologie ± theologia naturalis. Die natçrliche Theologie, so lautet die lapidare Bestimmung ihres Begriffs, ist eine Wissenschaft von Gott, sofern er ohne Glauben erkannt werden kann. Gott ohne Glauben zu erkennen, das heiût: durch den bloûen Gebrauch der Kråfte der menschlichen Vernunft, durch das natçrliche Licht ± das lumen naturale ± eine Erkenntnis des Daseins und des Wesens Gottes zu erlangen, die der skeptischen Einrede des Atheisten standhålt, und zwar im Unterschied zu der nur durch den Glauben zu erlangenden Gewiûheit in das geoffenbarte Wort Gottes. Der Atheist, der das Dasein Gottes leugnet, glaubt auch nicht. Der Glåubige kann gegen den Atheisten nichts ausrichten, weil dieser seinen Glauben nicht teilt. Vielleicht will er gegen ihn auch gar nichts ausrichten. Der Glaube ist, das wissen wir, vor Hochmut nicht gefeit. Wer aber davon çberzeugt ist, daû das Dasein und das Wesen Gottes ohne Glauben, durch das Licht der Vernunft, erkannt werden kann, wendet gegen den Atheisten ein, daû dieser etwas leugnet, was auch er wissen kann. Der Atheist, so hat es Leibniz formuliert, ist eben deshalb ein Feind der Logik. Diese çberaus starke These setzt voraus, daû es Beweise fçr das Dasein Gottes gibt, deren Kraft niemand widerstehen kann. Es ist zudem leicht zu sehen, daû das Schicksal einer natçrlichen Theologie an der Beweisbarkeit der Existenz Gottes hångt. Denn auf Gott stoûen wir in unserem Gang durch die Welt nicht als etwas, was es in der Welt gibt, nicht als etwas, was wir sinnlich wahrnehmen kænnen. Er ist kein Gegenstand einer uns mæglichen auf Sinnesdaten gestçtzten Erfahrung. Denn er ist nichts in Raum und Zeit. So muû seine Existenz allererst erschlossen werden. Und da eine Wissenschaft erst dann eine solche ist, wenn sie sich der Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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Existenz ihres Gegenstandsbereiches vergewissert hat, muû es die erste Aufgabe der natçrlichen Theologie sein, die Existenz ihres Gegenstandes zu sichern. Diese Funktion çbernehmen die Gottesbeweise. Der Gott der Philosophen ist daher in erster Ordnung der Gott der Gottesbeweise. Es ist von erheblicher Bedeutung fçr die zweitausendjåhrige Geschichte der abendlåndischen Versuche der Bestimmung des Verhåltnisses von Glauben und Wissen, Offenbarung und Vernunft, daû der græûte Teil derjenigen, die behaupteten, daû es eine rein rationale Gotteserkenntnis gåbe, auch Christen, also Glåubige gewesen sind und sogar gerade als Christen die Sache der natçrlichen Theologie verfochten haben. Als Christen aber konnten sie die Legitimation fçr ihr Unternehmen gerade aus dem Text entnehmen, an den sie als Gottes geoffenbartes Wort glaubten, dem Neuen Testament selbst. Der locus classicus findet sich in den Versen 19 bis 21 des Ersten Kapitels des Briefs des Apostels Paulus an die Ræmer. Paulus schreibt hier: »Denn was man von Gott weiû, ist den Menschen offenkundig; denn Gott hat es ihnen kund gemacht, damit, daû Gottes unsichtbares Wesen, das ist, seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen, so man des wahrnimmt, an den Werken, nåmlich an der Schæpfung der Welt; also daû die Gottlosen keine Entschuldigung haben, dieweil sie wuûten, daû ein Gott ist, und haben ihn nicht gepriesen, als einen Gott, noch gedanket.« Die Gottlosen, das sind hier diejenigen, welche die Existenz eines einigen Gottes nicht anerkennen. Man kann aber, so der Apostel, von diesem Gott etwas wissen; und das, was man von Gott wissen kann, liegt auch fçr die Gottlosen offen zutage, so daû sie keine Entschuldigung haben, wenn sie in Ihrer Gottlosigkeit ± asebeia ± verharren. Denn seines nicht durch sinnliche Wahrnehmung kennbaren Wesens, seiner ewigen Kraft und Gættlichkeit wird man gewahr, wenn man sie durch das erkennt, was sein Werk ist, nåmlich die von ihm geschaffene Welt. Es ist wichtig, sich klar vor Augen zu stellen, daû der Apostel an dieser Stelle von Gottes Heilswerk noch gar nicht spricht, wenngleich seine Aussagen im Zusammenhang mit seiner Rede von diesem stehen. Denn Gottes Heilswerk kennen die Gottlosen ohnehin nicht. Das Evangelium muû ihnen ja erst verkçndet werden. Solange das nicht durch die Ausfçhrung des apostolischen Auftrags ± »gehet hin in alle Welt und lehret alle Vælker« (Matthåus 28. 19) ± geschehen ist, sind die Gottlosen nicht gottlos, weil sie das Evangelium verschmåhen, sondern weil sie sich nicht gemåû einer auch ihnen zu 16

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Der Gott der biblischen Offenbarung und der Gott der Philosophen

Gebote stehenden Einsicht verhalten. Diese Einsicht ist die Erkenntnis des Daseins Gottes als der auûerweltlichen Ursache der Existenz der sichtbaren Welt und all dessen, was in ihr sichtbar ist. Eben diese Erkenntnis ist jedermann ohne Glauben an das geoffenbarte Wort Gottes mæglich. Das ist der Sinn der Aussage des Apostels. Noch 1870 erklårt das Vatikanische Konzil unter ausdrçcklichem Hinweis auf die Ræmerbriefstelle, daû Gott, aller Dinge Ursprung und Ziel, durch das natçrliche Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen mit Sicherheit erkannt werden kann. »Invisibilia enim eius, a creatura mundi, per ea quae facta sunt, intellecta, conspiciuntur.« Der nicht sichtbare Gott wird gewahrt, indem er durch das, was geworden ist, erkannt wird, dergestalt, daû man alles, was geworden ist, die Welt, als seine Schæpfung erkennt. Und noch 1910 bekråftigt dies Rom unter erneutem Bezug auf den Ræmerbrief durch den sogenannten Antimodernisteneid: Jeder glåubige Katholik und insbesondere diejenigen, die die Lehre der Kirche verwalten, haben fçr wahr zu halten, daû Gott, der Ursprung und das Ziel aller Dinge, durch das natçrliche Licht der Vernunft auf der Grundlage dessen, was geworden ist, das heiût durch die sichtbaren Werke der Schæpfung, als die Ursache durch ihre Wirkungen mit Gewiûheit erkannt und also auch bewiesen werden kann. Die Mæglichkeit einer natçrlichen Theologie ist also approbierte Doktrin, wenngleich natçrlich noch nicht Dogma der katholischen Kirche; und diese låût auch keinen Zweifel daran, daû der Gott, dessen Existenz durch Vernunft allein ± sola ratione ± bewiesen werden kann, mit dem Gott der biblischen Offenbarung identisch ist. Allerdings ist damit nicht behauptet, daû das, was die Offenbarung von Gott lehrt, auch durch die Vernunft als solche und allein zur Einsicht kommen kænnte. Es gåbe vielmehr einerseits eine Kenntnis des Gættlichen, die allen durch die Kraft der natçrlichen Einsicht ± naturalis intelligentia ± gemeinsam ist, andererseits eine von dieser Einsicht unterschiedene Kenntnis des Gættlichen, die durch den Heiligen Geist im Glauben ± und in diesem allein ± aufgenommen wird. Durch letztere Kenntnis werden uns in Christus diejenigen Mysterien offenbart, die alle Philosophie çbersteigen. Damit wendet sich die ræmische Kirche gegen die Auffassung, daû alle Lehrinhalte der christlichen Religion ohne Unterschied Gegenstand der natçrlichen Wissenschaft oder der Philosophie sind, daû also die menschliche Vernunft durch den bloûen Einsatz ihrer natçrlichen Kråfte zu einer wahren Wissenschaft aller spezifisch christlichen Lehren gelangen Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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kann, sofern diese nur von der Vernunft thematisiert werden. Dies besagt: der Gott der Philosophen ist zwar kein anderer als der Gott der biblischen Offenbarung, bloûe Vernunft kann den Gott der Philosophen jedoch nicht als den Gott der biblischen Offenbarung erkennen. Das kann nur durch den Glauben geschehen. Allerdings kann die Vernunft dem Glauben und der Glaube der Vernunft auch nicht widerstreiten. Denn wenngleich der Glaube die Vernunft çbersteigt, kann es einen Dissens zwischen Glauben und Vernunft deswegen nicht geben, weil derselbe Gott, der dem Menschen durch seine Offenbarung seine Mysterien bekannt gemacht und den Glauben einflæût, dem menschlichen Geist durch seinen Schæpfungsakt die Vernunft gegeben hat. Gott kann sich nicht selbst verneinen, derart, daû er die Vernunft verneinen låût, was er durch den Glauben offenbart. Das Wahre kann dem Wahren nicht widersprechen. Dieses Konsensprinzip wendet sich gegen das »Credo quia absurdum«, das Prinzip: Gerade weil das, was ich glaube, gegen alle Vernunft ist, glaube ich es. Der Kirchenvater Tertullian schreibt: »Gottes Sohn ist geboren. Dessen schåme ich mich nicht, weil man sich dessen schåmen muû. Und Gottes Sohn ist gestorben. Das ist genau deswegen vællig glaubhaft, weil es ungereimt ist. Und begraben ist er auferstanden. Das ist gewiû, weil es unmæglich ist.« Der in solchen Aussagen bekråftigte Widerspruch zwischen vernçnftigem Wissen und christlichem Glauben, der zudem die eigentliche Wçrde des Glaubens an die Inkarnation, den Tod und die Auferstehung Christi gerade in seiner Vernunftwidrigkeit erblickt, ist also nicht Lehrmeinung der katholischen Kirche. (Ich entscheide hier nicht, ob man einigen reformatorischen Theologen eine solche Lehrmeinung zuschreiben kann.) Zugleich aber schrånkt die katholische Kirche ± wiederum unter ausdrçcklicher Bezugnahme auf Ræmerbrief I, 20 ± die Beweisbarkeit der Existenz Gottes auf einen bestimmten Beweistyp ein, denjenigen nåmlich, der aus der Existenz dessen, was in der sichtbaren Welt vorfållt, auf Gott als die nicht sichtbare Ursache all dessen, was in ihr vorfållt, schlieût. Darin folgt sie der Autoritåt des Thomas von Aquin, einem ihrer Heiligen. Thomas hat in seiner im dreizehnten Jahrhundert geschriebenen Summa Theologica fçnf Wege unterschieden, auf denen die menschliche Vernunft zur Gewiûheit von Gottes Dasein gelangen kann. Die ersten beiden Wege zur rationalen Erkenntnis Gottes entwickelt Thomas unter ausdrçcklicher Berufung auf die Physik und 18

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die Metaphysik des Aristoteles und die dort gelieferten Gottesbeweise. Diese Berufung auf »den Philosophen«, wie Thomas Aristoteles stets nennt, hat zumindest auch den Zweck, die Christen darauf aufmerksam zu machen, daû es eine natçrliche Theologie lange vor und ganz unabhångig von den Aussagen des Evangeliums çber Gott gegeben hat. Ich skizziere hier nur den Grundgedanken des zweiten dieser fçnf Wege, mit dem die Aussage des Ræmerbriefes eine eindeutige Interpretation erfåhrt. Gottes Existenz wird in ihm dadurch erschlossen, daû alles, was geworden ist ± ea quae facta sunt ± als Wirkung von Ursachen aufgefaût wird, die ihrerseits geworden sind, also selber als Wirkungen von ihnen vorausliegenden Ursachen aufgefaût werden mçssen. Dieser durchgångige Kausalnexus des Geschehens in der Welt kann aber als ein solcher nur dann begriffen werden, wenn man eine erste Ursache ± causa prima ± in Anschlag bringt, die ihrerseits nicht mehr Wirkung einer ihr vorausgehenden Ursache ist und die eben deshalb nicht etwas innerhalb des Bereichs des Gewordenen sein kann. Sie muû eine auûerweltliche Ursache sein, von der die Welt als ganze in ihrem Dasein ursprçnglich abhångt; und diese Ursache wird sodann mit Gott identifiziert. Diese Identifikation fçhrt in weiteren Gedankenschritten zu den wesentlichen Attributen Gottes. Er ist unbewegt und ewig, des Leidens unfåhig, nicht zusammengesetzt, sondern einfach, kein Kærper, er hat keine zufålligen Bestimmungen, ist vollkommen, Einer, unendlich, vollkommene Selbsterkenntnis und vollkommene Erkenntnis von allem, was mit ihm nicht identisch ist, Wahrheit, Wille, Liebe, Leben, Glçckseligkeit. Wie verhålt sich nun der Gott dieses Gottesbeweises, den die Philosophiegeschichte auch den kosmologischen nennt, weil er bei der Erschlieûung der Existenz Gottes von dem Faktum der Existenz der Welt und der in ihr erfahrbaren Grundstrukturen ausgeht, zu dem Gott der biblischen Offenbarung? Thomas hat festgestellt, daû die Existenz Gottes und alles, was durch die Vernunft allein von Gott erkannt werden kann, nicht Glaubensartikel, sondern Pråambel der Glaubensartikel ± non articuli fidei, sed praeambula ad articulos ± sind. Mit dieser Unterscheidung ergibt sich eine Frage, deren Beantwortung von der græûten Bedeutung fçr die Bestimmung des Verhåltnisses von Wissen und Glauben, Vernunft und Offenbarung, natçrlicher Theologie und Offenbarungstheologie ist. Ist das dem heiligen Thomas oft zugeschriebene hermeneutische Prinzip des »intelligo ut credam« ± ich erkenne, um Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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zu glauben, ± so zu verstehen, daû eine rein rationale Erkenntnis des Daseins und des Wesens Gottes fçr den Glauben an sein geoffenbartes Wort in dem Sinne vorausgesetzt werden muû, daû man an dieses Wort nur dann glauben kann, wenn man eine solche rein rationale Erkenntnis besitzt? Folgt aus diesem Prinzip, daû keiner das Evangelium annehmen kann, der sich nicht schon unabhångig von diesem der Existenz Gottes und seines unsichtbaren Wesens versichert hat? Das wçrde zwar noch nicht bedeuten, daû die eigentlich so zu nennenden Glaubensartikel des Christentums aus der Vernunft ableitbar sind. Immer noch mag es dabei bleiben, daû der Glaube hæher ist als alle Vernunft. Wohl aber wåre der Glaube als solcher nur auf der Grundlage vernçnftiger Einsicht zu haben. Kein Gott der biblischen Offenbarung also ohne den Gott der Philosophen. Dieser Auffassung sind Thomas und mit ihm andere Lehrer der Kirche nicht gewesen. Ausdrçcklich hat er erklårt, daû nichts hindert, daû das, was wirklich beweisbar und daher wiûbar ist, von demjenigen, der den Beweis nicht versteht, als glaubwçrdig ± credibile ± angenommen wird. So ist zwar behauptet, daû die Existenz Gottes unter Absehung von der Offenbarung und ohne die Hilfe der Gnade, die den Glauben schafft, auf natçrlichem Wege erkannt werden kann. Damit ist aber nicht behauptet, daû der Glaube an die gættliche Offenbarung nur unter der Voraussetzung solcher natçrlicher Einsicht mæglich ist. Genau diese Behauptung aber gehært zum rationalen Pathos dessen, was man Aufklårung nennt, derjenigen Aufklårung zumindest, die die Sache Gottes gegen die Atheisten noch verfochten hat oder doch zumindest den Anschein zu erwecken versucht hat, dies noch zu tun. Hierfçr ein Beispiel. Im Jahr 1733 stellt der wenig spåter als erster Professor der Logik und Metaphysik an die neugegrçndete Universitåt Gættingen berufene Samuel Christian Hollmann ± damals der »berçhmte Hollmann« und heute vollkommen vergessen ± in seinem Ûberzeugenden Vortrag von Gott und der Schrift ± ein Vortrag von beilåufig çber 700 Seiten Långe ± die Frage, woher eigentlich die wahrhaft lebendige Ûberzeugung vom Dasein Gottes in einem Herzen herrçhre. Er wolle doch nicht hoffen, daû man ihm auf diese Frage mit einigen so ungereimt antworten werde, daû diese lebendige Ûberzeugung aus Gottes Wort herrçhre. Denn man mçsse ja vorher wissen, daû ein Gott sei, ehe man wissen kænne, daû es ein Wort Gottes, das ist eine Offenbarung, die von Gott herkomme, gebe. Wenn man dieses nun nicht aus Gottes Wort wissen kænne, sondern 20

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notwendig schon vorher wissen mçsse, wodurch sei man denn hiervon çberzeugt worden, wenn nicht durch vernçnftige Grçnde, die einen Teil der Weltweisheit, das heiût der Philosophie ausmachen. So sei die Lehre von der Existenz Gottes auch mitnichten der christlichen Religion eigen, sondern derselben mit allen Religionen der Welt gemein und mçsse daher bei dem Beweis der Wahrheit der christlichen Religion schon vorausgesetzt werden. »Derjenigen ihr wunderlicher Einfall, die da meinen, daû die Existenz Gottes aus der Schrift mçsse erwiesen werden, ist« ± so schreibt Hollmann ± »auf gewisse Maûe so einfåltig, daû sie gar keine Widerlegung einmal verdienet«. Der Beweis der aus der Schrift fçr die Existenz Gottes hergenommen wird, ist zu verwerfen, und zwar genau insoweit, wie man daraus beweisen will, daû ein Gott sei, weil es die Schrift mit ausdrçcklichen Worten sagt! Denn dieses ist ein offenbarer Zirkel. Die Lehre von der Existenz Gottes ist die erste Grundwahrheit der natçrlichen Theologie, wie die Lehre von der Gættlichkeit der Schrift die erste Grundwahrheit der christlichen und geoffenbarten Gotteslehre ist. Weil nun niemand eine gættliche Offenbarung glauben kann, wofern er nicht vorher çberzeugt ist, daû ein Gott sei, so kann der erste Grundsatz der geoffenbarten ohne den ersten Grundsatz der natçrlichen »nicht vællig demonstriert werden«. Wenn dies so ist, muû es freilich um den Glauben ziemlich verzweifelt stehen, dann nåmlich, wenn die erste Gewiûheit der natçrlichen Theologie, die Existenz Gottes, nicht vællig demonstriert werden kann. Wir sahen, daû die katholische Kirche bis heute dieser Unmæglichkeit widerspricht. Tatsåchlich aber favorisiert sie nicht nur den Beweis der Existenz Gottes aus seinen Wirkungen in der Welt, sie folgt der Autoritåt des Heiligen Thomas auch darin, daû sie einen anderen Beweis ausdrçcklich verwirft, den sogenannten ontologischen Gottesbeweis, den Anselm von Canterbury, auch er einer ihrer Heiligen, im 11. Jahrhundert in seinem Proslogion erstmals entwickelt hat. Anselm folgte nicht dem Prinzip des »intelligo ut credam«, dessen radikale Fassung wir soeben bei Hollmann verfolgt haben, sondern dem ihm wærtlich entgegengesetzten Prinzip des »credo ut intelligam« ± ich glaube, um Einsicht zu erlangen ±, dem Prinzip der »fides quaerens intellectum«, des Glaubens, der nach Einsicht nicht in der Absicht sucht, den Glauben vor der Vernunft zu rechtfertigen, sondern in der Absicht, das, was im Glauben und nur im Glauben schon pråsent ist, vernçnftiger Einsicht zuzufçhren. »Ich suche« ± so schreibt Anselm ± »nicht Einsicht, um zu glauben, sonDie philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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dern ich glaube, um Einsicht zu gewinnen, und auch dies glaube ich, daû ich nicht einzusehen vermæchte, wenn ich nicht glaubte.« Im Verfolg dieser Intention hat Anselm ein Argument fçr das Dasein Gottes entwickelt, das weit radikaler und weit voraussetzungsloser ist als das der Aussage des Apostels im Brief an die Ræmer folgende kosmologische Argument. Ich teile die ihresgleichen suchende Gedankenkaskade, in der Anselm sein Argument entfaltet, im Wortlaut mit: »Wir glauben aber, daû Du, Herr, etwas bist, çber das hinaus Græûeres nicht gedacht werden kann. Aber gibt es etwa derartiges gar nicht? Spricht doch der Tor in seinem Herzen: Es ist kein Gott. Wenn aber der Tor hært, was ich sage, nåmlich »etwas, çber das hinaus Græûeres nicht gedacht werden kann«, dann versteht er, was er hært, und was er versteht, ist in seinem Verstande, auch wenn er nicht einsieht, daû es in Wirklichkeit existiert. Aber gewiûlich kann das, çber das hinaus Græûeres nicht gedacht werden kann, nicht nur im Verstande sein. Wenn es nåmlich nur im Verstande ist, kann gedacht werden, daû es auch in Wirklichkeit existiert, was græûer ist. Wenn also das, çber das hinaus Græûeres nicht gedacht werden kann, nur im Verstande ist, so ist das, çber das hinaus Græûeres nicht gedacht werden kann, etwas, çber das hinaus Græûeres gedacht werden kann. Das aber ist nicht mæglich. Es existiert also ohne Zweifel etwas, çber das hinaus Græûeres nicht gedacht werden kann, sowohl im Verstande als auch in der Wirklichkeit. Und zwar so, daû nicht einmal gedacht werden kann, daû es nicht existiert. Denn es låût sich denken, daû es etwas gibt, das nicht als nichtexistierend gedacht werden kann, und das ist græûer als das, was als nichtexistierend gedacht werden kann. Wenn daher das, çber das hinaus Græûeres nicht gedacht werden kann, als nicht existierend gedacht werden kann, so ist eben das, çber das hinaus Græûeres nicht gedacht werden kann, nicht das, çber das hinaus Græûeres nicht gedacht werden kann. Und das kann nicht angehen. Derart also existiert etwas, çber das hinaus Græûeres nicht gedacht werden kann, daû nicht gedacht werden, daû es nicht existiert. Und das bis Du, Herr, unser Gott.« Der entscheidende Punkt dieses faszinierenden Gedankenganges ist, daû er ± wie man sich spåter ausgedrçckt hat ± aus dem bloûen Begriff von dem, çber das hinaus Græûeres nicht gedacht werden kann, auf die Existenz von etwas, das diesem Begriff entspricht, schlieût und daraus folgert, daû seine Nichtexistenz nicht einmal gedacht werden kann, weil dieser Gedanke ein in sich widersprçchlicher Gedanke wåre. So hat bereits Anselm den Satz des Leibniz, daû der 22

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Atheist ein Feind der Logik ist, auf der Grundlage seines »credo ut intelligam« zu bewahrheiten versucht. Nun hat Thomas von Aquin diesen Gottesbeweis verworfen, und zwar mit dem Argument, daû er zwar wohl auf die Existenz Gottes, aber nur auf die Existenz Gottes innerhalb unseres Gedanken von ihm, nicht aber auf dessen Existenz auûerhalb aller unserer Gedanken von ihm zu schlieûen vermag, nicht also auf seine »wirkliche« Existenz im Unterschied zu seiner »bloû gedachten« Existenz. Aber eben darauf kåme es an! Seine Kirche hat sich diesem Einwand angeschlossen und eben deshalb die Mæglichkeit von Gottesbeweisen auf die aus seinen Wirkungen beschrånkt. Nun ist der Einwand des Heiligen Thomas, wenn man sein Argument gegen Anselm so liest, wie soeben geschehen, allerdings verfehlt. Rne Descartes konnte in seinen Meditationes de Prima Philosophia von 1641 den ontologischen Gottesbeweis des Anselm gerade deswegen kraftvoll erneuern und die groûen Ontotheologen des 17. Jahrhunderts, Spinoza und Leibniz, von seiner Gçltigkeit çberzeugen, weil er in der Lage war, den Einwand des Heiligen Thomas abzuwehren. Der Beweis des Anselm scheitert nicht aus dem von Thomas angegebenen, sondern aus einem ganz anderen Grunde, deshalb nåmlich, weil es grundsåtzlich unmæglich ist, aus dem bloûen Begriff von etwas auf das Dasein von etwas, das diesem Begriff entspricht, zu schlieûen, und sei dieser Begriff auch der von dem Inbegriff aller Vollkommenheiten, der Begriff des »ens perfectissimum«, oder, in Anselms Sprache, der Begriff von »id, quo maius cogitari nihil potest«. In der Sprache der Tradition des ontologischen Gottesbeweises gesprochen heiût das: Dasein oder Existenz ist keine Vollkommenheit unter anderen Vollkommenheiten Gottes, nicht Merkmal des Begriffs von Gott als des vollkommensten Wesens, sondern genau das, ohne das es weder Vollkommenheiten noch Unvollkommenheiten gibt. Mit der Anerkennung des kosmologischen bei gleichzeitiger Ablehnung des ontologischen Gottesbeweises, der, ohne von irgendwelchen Fakten auszugehen, aus dem bloûen Begriff von Gott auf sein Dasein schlieûen will, bringt sich jedoch die Kirche des Heiligen Thomas seit dem Erscheinen von Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft im Jahre 1781 in eine prekåre Situation. In seiner hier entwickelten Kritik aller natçrlichen Theologie hat Kant nachzuweisen unternommen, daû alle in der Tradition vorgeschlagenen Beweise vom Dasein Gottes von der Gçltigkeit des ontologischen Beweises Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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abhången, daû also, da dieser nicht gilt, auch der kosmologische nicht gelten kann. Der kosmologische Gottesbeweis muû nåmlich, so lautet Kants Argument, die Gçltigkeit des ontologischen Beweises voraussetzen, um çberhaupt verståndlich machen zu kænnen, daû der Grundbegriff, von dem der kosmologische Beweis ausgeht, eine angebbare Bedeutung besitzt. Der kosmologische Beweis schlieût aus der Existenz von etwas, das kraft einer ihm vorausliegenden Bedingung, nåmlich einer Ursache, notwendigerweise existiert, auf eine erste Ursache, von der zu fordern ist, daû sie im Unterschied zu dem, fçr was sie als eine solche Ursache erschlossen wird, etwas ist, was schlechterdings notwendig, also nicht mehr nur unter einer ihm vorausliegenden Bedingung, notwendig existiert. Die erste Ursache ist »ens necessarium«. Fragt man nun, wie man eigentlich verstehen soll, daû etwas ein schlechterdings notwendig existierendes Wesen ist, muû man sagen: Ein schlechterdings notwendig existierendes Wesen ist im Unterschied zu allem, was nur unter einer vorausliegenden Bedingung notwendig existiert, genau dasjenige, dessen Nichtexistenz ohne Widerspruch nicht einmal gedacht werden kann. Das aber bedeutet: Ein schlechterdings notwendig existierendes Wesen ist genau dasjenige, aus dessen bloûem Begriff auf sein Dasein geschlossen werden kann, mithin das, fçr dessen Existenz ein ontologischer Beweis geliefert werden kann. Da dies niemals der Fall sein kann, wissen wir nicht, was wir eigentlich meinen, wenn wir im kosmologischen Beweis auf das Dasein eines schlechterdings notwendigen Wesens schlieûen und dieses alsdann mit Gott identifizieren. Alle weiteren, vom kosmologischen Beweis noch zu unterscheidenden Gottesbeweise aber setzen die Gçltigkeit des kosmologischen Arguments voraus. Kants Konklusion aus dieser denkwçrdigen Analyse lautet: Natçrliche Theologie als Wissenschaft von Gott, sofern er ohne Glauben erkannt werden kann, ist unmæglich. Fçr Kant selber war dieses Ergebnis seiner Kritik der reinen Vernunft freilich kein destruktives, sondern in Wahrheit ein befreiendes. Sein berçhmtes Wort hat gelautet, daû er das Wissen einschrånken muûte, um dem Glauben Platz zu schaffen. Das heiût: es gibt keine praeambula fidei, und eben daher ist der Glaube schlechthin autonom. Nicht alle Philosophen nach Kant sind dieser seiner Grundçberzeugung gefolgt, Hegel nicht und andere nach Hegel auch nicht. Freilich waren auch sie der Ûberzeugung, daû sich die Rationalitåt der Motive, die einmal zur natçrlichen Theologie gefçhrt hatten, nur auf 24

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der Grundlage einer vælligen Verånderung der Theoriegestalt der Philosophie selber bewahren lassen kænnte, daû also eine Rçckkehr zu den alten Formen der Gottesbeweise nach Kants Kritik an diesen unmæglich geworden sei. In diesem Vortrag muû offen bleiben, ob es so etwas wie eine Vernunfteinsicht in die Existenz und das Wesen Gottes geben kann und welcher Begriffsform diese Einsicht zu gençgen håtte. Was aber wåre die Folge einer solchen Einsicht? Noch einmal rufe ich zu Schluû meiner Ûberlegungen Pascal auf. Pascal hatte nicht behauptet, daû es keine gçltigen Gottesbeweise gebe. Wohl aber hatte er behauptet, daû solche Beweise ohne Christus unfruchtbar und unnçtz seien. Das ist nach seiner Einsicht deswegen so, weil der Gott der Philosophen, gesetzt, seine Existenz sei bewiesen, nicht als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs bewiesen ist, der der Gott Jesu Christi ist. Denn der Gott der Philosophen tritt als solcher noch gar nicht in dasjenige Grundverhåltnis von Gott und Mensch ein, in welchem der Mensch weiû, daû er Gottes bedçrftig ist. Die Reduktion der Beziehung zwischen Gott und Mensch auf ein Wissen, welches den Menschen zusammen mit der Welt, in der er lebt, als durch Gott bewirkt auffaût, mochte Pascal schon der Philosophie des Descartes nicht verzeihen. »Descartes«, so schreibt Pascal in den Penses, »håtte in seiner ganzen Philosophie Gott am liebsten gar nicht bemçht; er konnte es aber nicht vermeiden, ihn der Welt, um sie in Bewegung zu setzen, einen Nasenstçber versetzen zu lassen, danach hatte er nichts mehr mit Gott zu tun.« Der Gott der Philosophen, fçr welche hier der Name Descartes' steht, ist als Ursache der Existenz der Welt noch nicht der Gott der Verheiûung, der diese durch die Heilstat Christi wahr gemacht hat. Gott als den Gott Jesu Christi zu begreifen, das setzt eine von allen Gottesbeweisen und von der Entscheidung çber ihre Mæglichkeit unterschiedene Erkenntnis voraus. Diese Erkenntnis betrifft uns selbst und lautet, so Pascal: Wir leben im Elend. Und eben deshalb sind wir der Erlæsung bedçrftig. Es ist diese Erkenntnis, zu der Pascal in seiner Novembernacht erweckt worden ist. In ihrem Besitze konnte er schreiben: »Es ist fçr den Menschen gleich gefåhrlich, von Gott zu wissen, ohne sein Elend zu erkennen, wie sein Elend zu wissen, ohne den Erlæser zu kennen, der ihn davon zu heilen vermag. Kennt man nur das eine, so fçhrt das entweder zu dem Dçnkel der Philosophen, die Gott kannten und nicht ihr Elend, oder zur Verzweiflung der Atheisten, die ihr Elend kannten und nicht den Erlæser.« Der Dçnkel der Philosophen, die Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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Gott, aber nicht ihr Elend kennen, besteht, so Pascal, darin, daû sie meinen, mit ihrer Gotteserkenntnis schon etwas ausgerichtet zu haben fçr das Verståndnis des Grundverhåltnisses, in dem der Mensch zu Gott steht. Sie wåhnen dann, so schreibt Pascal weiter, daû die christliche Religion einfach in der Verehrung eines Gottes besteht, den man als groû, måchtig und ewig ansieht, also als genau den, dessen Existenz sie bewiesen haben, wenn sie etwas bewiesen haben. Aber dieser Wahn ist von der christlichen Religion fast ebenso weit entfernt wie der Atheismus, ihr genaues Gegenteil. Wohl kann man Gott kennen, ohne vom eigenen Elend zu wissen, und der so gekannte Gott ist der Gott der Philosophen. Ebenso kann man sein Elend kennen, ohne den Erlæser zu kennen, und das ist die Situation des Atheisten. Aber man kann Jesus Christus nicht kennen, ohne sowohl Gott als auch sein Elend zu kennen. »Jesus Christus ist der Inhalt von allem und der Mittelpunkt, wohin alles zielt. Wer ihn kennt, der versteht den Grund aller Dinge.« So sind fçr den religiæsen Denker Pascal die Wege, auf denen der Philosoph Gott sucht, mçûige und bedeutungslose Wege, und zwar gerade dann, wenn sie ihn ins Ziel fçhren. Wer Gott ohne Christus, und das heiût, ohne sein eigenes Elend und ohne das Elend des Gekreuzigten kennt, der kennt den Grund der Dinge nicht. Stets hat groûe Philosophie sich aufgemacht, den Grund der Dinge zu erkennen. Stets muû sie, so Pascals Ûberzeugung, in diesem Unternehmen scheitern, solange sie den Grund der Dinge aus Vernunftgrçnden zu erkennen strebt. Ihr Unternehmen kommt allein im Glauben in ihr Ziel. Der Glaube aber folgt nicht dem »ordre d'esprit«, sondern dem »ordre du coeur«, nicht dem Gesetz der Vernunft, sondern dem Gesetz des Herzens. Der Glaube hat mit der Liebe dies gemeinsam, daû er nicht geboten werden kann. Er ist wie die Liebe Gnade. Es bedçrfte dieser nicht, wenn wir wissen kænnten, daû der Gott der Philosophen der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs und der Gott ist, zu dem Christus am Kreuz ruft: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« In der vollkommensten Unkenntlichkeit, an einem ehrlos machenden Hinrichtungswerkzeug hångend, hat er sich dem Christen offenbart: Deus vere absconditus. Und in der Glorie seiner Auferstehung ± Deus vere revelatus ± verbirgt er sich wieder. »Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.« Er ist bei den Jçngern, die Jçnger aber nicht bei ihm. Denn sie mçssen in der Erwartung seiner 26

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Wiederkehr leben. Er bei mir, ich aber nicht bei ihm, auch das ist noch das Elend. So Pascal. Ûber ein solches Verhåltnis Gottes zu den Menschen und der Menschen zu Gott vermag die Philosophie nichts Begrçndendes zu sagen. Sie kann den Glauben daran weder befærdern noch verwerfen. Sagt die Philosophie, daû dieser Glaube vor dem Forum der Vernunft unverståndlich sein und bleiben muû, antwortet ihr der Glåubige mit dem »Credo quia absurdum«. Sagt die Philosophie, daû sie aus Vernunftgrçnden dartun kann, was der Gott der christlichen Offenbarung zumindest auch sein muû, um der Gott der Offenbarung sein zu kænnen, sagt der Glaube, daû damit noch gar nichts gesagt ist. Denn das »Credo in unum Deum« besagt nicht, daû der Glåubige kundtut, daû er fçr ihn selbst subjektiv hinreichende Grçnde dafçr hat, den Satz, daû ein Gott existiert, fçr wahr zu halten. Es besagt vielmehr, daû der Glåubige auf diesen Gott vertraut, genauer: auf ihn baut. Der Philosoph aber lebt, als solcher, nicht im Stande der Gnade. Er ist auf Vernunft verpflichtet. Er weiû jedoch, daû das in die Kontingenz der Welt eingelassene Vernunftwesen Mensch gegençber den Fragen, die der Glaube auf fçr den Glåubigen unçberbietbare Weise beantwortet, Desinteresse nur heucheln kann. Auch das ist eine der entscheidenden Einsichten Kants gewesen, die viele, die ihm folgten, vergessen haben. So muû es auch dem Philosophen eine Frage bleiben, ob er nicht auch dann, wenn er die christliche Botschaft nicht vernimmt, ein solches in letzten Gedanken zu stabilisierendes Verhåltnis zu sich selbst zu gewinnen vermag, in dem er die Grunderfahrung auch seines bewuûten Lebens, das Elend, aus einem der Vernunft vorausliegenden und daher unverfçgbaren Grunde begreift, in dem noch Rettung liegt. Vielleicht vermag das Gewicht der Vernunft selbst in einen Abgrund zu ziehen, auf dessen Boden kein Verderben wohnt. Doch steht die Apokalypse der Vernunft aus. Es ist nur ihr Gewicht auf dem Wege zu ihrem Ursprung, das wir spçren.

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Ist der Gott der Philosophen tot? Von Wolfgang Ræd, Innsbruck

Nietzsches bekanntes Dictum, auf das der Titel anspielt, bezieht sich, wenn nicht ausschlieûlich, so doch in erster Linie auf das Schwinden des religiæsen Gottesglaubens. Vom Gott der Religion soll aber nicht die Rede sein, sondern nur vom Gott der Philosophen; es soll gefragt werden, warum die philosophische Gottesidee bis ins 19. Jahrhundert in vielen philosophischen Systemen eine wesentliche Rolle spielte und warum sie die Funktion, die sie frçher hatte, eingebçût hat. Auch im Hinblick auf die Methode sind die folgenden Ûberlegungen nicht von Nietzsche, der das Verblassen des Gottesglaubens mit psychologischen Mitteln zu erklåren versuchte, abhångig. Ihm schwebte eine der chemischen vergleichbare Analyse vor, 1 durch welche die religiæsen, moralischen und åsthetischen Vorstellungen auf ihre natçrlichen Elemente zurçckgefçhrt und naturalistisch erklårt werden sollten. So wird nach Nietzsche der Gottesglaube am wirksamsten dadurch widerlegt, daû man zeigt, wie er entstehen konnte; ein Gegenbeweis soll damit çberflçssig werden. 2 Bei Nietzsche gibt es allerdings auch Ansåtze einer Kritik an den metaphysischen Voraussetzungen der Idee eines Philosophen-Gottes, insbesondere gegen die Annahme einer transzendenten Wirklichkeit, einer Welt hinter der Erfahrungswelt, einer »Hinterwelt«. Nietzsche wollte dieser Annahme dadurch den Boden entziehen, daû er die Unterscheidung von Erscheinung und An-sich als hinfållig bzw. die Idee einer wahren Wirklichkeit als Fiktion erwies. Letzten Endes mçndete aber seine Kritik an der Idee einer wahren Wirklichkeit, somit auch die Kritik an der Idee eines gættlichen Grundes dieser Wirklichkeit, in eine psychologische Analyse: Nietzsche ging es weniger um philosophische Kritik, als vielmehr um Kritik der (als Metaphysik verstandenen) Philosophie. 1 2

F. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, Bd. I, 1. Nietzsche, Morgenræte, I. Buch, 95.

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Von Nietzsches psychologischer Betrachtungsweise unterscheiden sich die folgenden Ûberlegungen also dadurch, daû sie nicht die Motive metaphysischer Auffassungen betreffen, sondern den Zusammenhang metaphysischer Gedanken, in dem die Gottesidee eine Rolle spielt. Im Folgenden geht es um eine immanente Erærterung der philosophischen Gottesidee, d. h., es soll untersucht werden, welche Bedeutung sie in der neuzeitlichen Metaphysik von Descartes bis Hegel hatte und aus welchen philosophischen Grçnden sie diese Bedeutung spåter eingebçût hat. Vom Tode Gottes hat, an Nietzsche anknçpfend, aber von einem ganz anderen Standpunkt aus, auch Heidegger gesprochen, der die Abkehr von der Idee des Philosophen-Gottes mit dem Ende der Metaphysik in Verbindung brachte. Die Metaphysik, deren Zu-EndeGehen er feststellen zu kænnen meinte, ist im Kern Ontologie, das heiût, in ihrem Mittelpunkt steht die Frage nach dem Seienden als solchem. 3 Vom Standpunkt dieser Metaphysik aus wird auch Gott als Seiendes, freilich als hæchstes Seiendes, aufgefaût; das Sein geråt dagegen in Vergessenheit. Mit dem Ende der Metaphysik endet auch die Geschichte des als Seiendes betrachteten Gottes, des Gottes der Philosophen. Heidegger hatte offenbar eine Metaphysik vor Augen, wie sie von Aristoteles oder Thomas von Aquin vertreten wurde, nicht jedoch die Metaphysik, die Descartes, Kant und spåtere Vertreter des Kritizismus im Gegensatz zur traditionellen Ontologie entwickelten. Obwohl ihm zuzustimmen ist, wenn er auf die Verbindung zwischen der Idee des Philosophen-Gottes und der neuzeitlichen Metaphysik hinwies, kann seine Auffassung im einzelnen nicht çberzeugen, weil sie den Charakter der neuzeitlichen Metaphysik, die nicht primår Ontologie ist, verfehlt. Die typisch moderne Philosophie fragt nicht nach dem Seienden als solchem, sondern sie sucht begreiflich zu machen, wie Gegenstånde erfahren bzw. erkannt werden kænnen. Mit Heidegger wird im folgenden die Abhångigkeit der Idee des Philosophen-Gottes von der Metaphysik, genauer: von einer Metaphysik bestimmter Art hervorgehoben; im Unterschied zu ihm wird dabei aber nicht an die Abhångigkeit von ontologischen Konzeptionen gedacht. M. Heidegger, Nietzsches Wort ­Gott ist tot¬, in: Holzwege, Frankfurt/M. 3 1957, 193: »Metaphysik ist im folgenden çberall als die Wahrheit des Seienden als solchen im Ganzen gedacht [¼]«.

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Die Gottesidee wird somit nicht als Idee der Theologie, sondern nur als philosophische Idee erærtert, nåherhin als gedankliches Konstrukt, das innerhalb einer Metaphysik bestimmter Art erzeugt wurde und das nur innerhalb dieser Metaphysik Bedeutung hat. Die so aufgefaûte Idee eines Philosophen-Gottes ist gegençber dem religiæsen Gottesglauben neutral, wie sich schon darin zeigt, daû in den metaphysischen Systemen, die auf diese Idee angewiesen waren, statt »Gott« ohne weiteres andere Ausdrçcke verwendet werden kænnen und auch tatsåchlich verwendet wurden, z. B. »absolut unendliche Substanz«, »Urmonade«, »absolute Idee«. Von dem so verstandenen Gott soll zu zeigen gesucht werden, daû er tot ist und daû sein Tod als Ergebnis einer Entwicklung begriffen werden muû, in deren Verlauf die Metaphysik, in der die philosophische Gottesidee ihren Ort hatte, ihre frçhere Bedeutung eingebçût hat.

1. Der Begriff »Gott der Philosophen« Bevor gezeigt werden kann, warum die Gottesidee innerhalb gewisser philosophischer Konzeptionen unentbehrlich war und warum sie mit deren Preisgabe ihre Funktion verlor, muû gesagt werden, was der Ausdruck »Gott der Philosophen« bedeutet. Hierzu gençgt es nicht, dem Gott der Philosophen den Gott Abrahams, Jakobs und Isaaks 4 gegençberzustellen, denn auf diese Weise wird nur festgestellt, was man nicht meint ± nåmlich nicht den persænlichen Gott der Bibel. So wertete schon Tertullian den »Gott der Philosophen« ab, indem er ihm den Gott des christlichen Glaubens gegençberstellte, 5 und åhnlich hatte fçr Pascal nach seiner Wende von Wissenschaft und Philosophie zur Religion nur noch der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, nicht mehr der Gott der Philosophen und Gelehrten Bedeutung. 6 Will man den Gott der Philosophen, wie es bei einer philosophischen Erærterung der Gottesidee nætig ist, in positiver Weise bestimmen, dann bieten sich die traditionellen Definitionen Gottes als unendliche Substanz, als Causa sui, als Ens perfectissimum an. Daû diese Definitionen nicht unproblematisch sind, ist bekannt. Wenn 4 5 6

Diese Wendung steht Exodus 3, 15. Tertullian, Gegen Marcion, II 27,6. Siehe Pascals Mmorial, z. B. in: Penses, hrsg. v. Ch.-M. Des Granges, Paris 1955, 71.

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»Gott« z. B. als »Ursache seiner selbst« definiert wird und dies verstanden wird als »etwas, dessen Wesenheit die Existenz einschlieût«, dann ist zu fragen, ob es çberhaupt Wesenheiten gibt, welchen Status sie, wenn es sie gibt, haben, was es heiût, daû eine Wesenheit die Existenz einschlieût, und ob daraus, daû »Existenz« als Moment einer Wesenheit aufgefaût wird, folgt, daû diese Wesenheit aktualisiert ist. Selbst wenn jemand diese Fragen bejahen sollte, wird er schwerlich umhinkænnen, die Mæglichkeit anderer Ansichten einzuråumen. Ebenso stæût man auf verwickelte Probleme, wenn man Gott als »vollkommenstes Wesen« definiert und dies als »Inbegriff aller Vollkommenheiten« expliziert. Hier muû gefragt werden, ob der Inbegriff aller Vollkommenheiten widerspruchsfrei ist und ob, wie immer wieder angenommen wurde, die Existenz als eine zu diesem Inbegriff gehærende Vollkommenheit gelten kann. Selbst wenn die durch diese Fragen angedeuteten Schwierigkeiten çberwunden werden kænnten, håtte man es mit Nominaldefinitionen zu tun, die solange ungençgend bleiben, als nicht die Funktion des definierten Begriffs in dem metaphysischen System, dem er angehært, berçcksichtigt wird. Mit der metaphysischen Gottesidee verhålt es sich åhnlich wie mit konstruierten Begriffen der Physik, deren Bedeutung vom Zusammenhang, in dem sie eine Rolle spielen, abhångig ist. Auch die Gottesidee der rationalistischen Metaphysik ist ein Konstrukt, dessen Bedeutung vom systematischen Kontext abhångig ist. Die genaue Bedeutung von Ausdrçcken wie »vollkommenstes Wesen« ergibt sich daher erst, wenn man darauf achtet, in welchem Zusammenhang sie eingefçhrt wurden und welche Funktion sie innerhalb des Systems haben. Eine ausfçhrliche Erærterung der Funktion der Gottesidee in der neuzeitlichen Metaphysik ist auf knappem Raum selbstverståndlich nicht mæglich; einige Hinweise mçssen gençgen. Dabei soll nicht nur die Funktion der Gottesidee in der Erkenntnismetaphysik, sondern auch ihre Funktion in der Ethik berçcksichtigt werden, denn der philosophische Gottesbegriff hatte in der Neuzeit nicht nur die Aufgabe, Erfahrung ± insbesondere vollkommen sichere Erfahrung bzw. Erkenntnis von Zçgen der denkunabhångigen Wirklichkeit ± als mæglich zu begreifen, sondern mit seiner Hilfe sollte auch die Einheit der menschlichen Person in der Polaritåt von Naturgebundenheit und Freiheit begreiflich gemacht werden. Die erkenntnismetaphysische Funktion der philosophischen Gottesidee, die zuerst ins Auge gefaût werden soll, bestand darin, 32

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Wirklichkeitserkenntnis als mæglich zu erweisen. Um das Problem, mit dem die Metaphysik der Erkenntnis jahrhundertelang rang, zu verstehen, muû man die Voraussetzungen berçcksichtigen, unter denen es sich stellte. In erster Linie ist hier an die Annahme zu denken, daû es perfekte, einer Korrektur weder bedçrftige noch fåhige Erkenntnis der Wirklichkeit an sich gebe, und zwar nicht nur in der Naturphilosophie, wo man z. B. meinte, das Wesen der Materie ein fçr allemal erkennen zu kænnen, sondern auch in der Physik, wo man die allgemeinsten Prinzipien, etwa die Stoûgesetze, fçr evident hielt. Auûerdem war fçr die Diskussion des Erkenntnisproblems die Annahme wichtig, daû wir unmittelbar nur von Inhalten unseres Bewuûtseins, insbesondere von Ideen, Kenntnis haben, nicht aber von Dingen jenseits der Ideen. Obwohl wir dieser Ansicht nach von manchen Ideen çberzeugt sind, daû sie etwas von ihnen Verschiedenes repråsentieren, låût sich diese Ûberzeugung nicht durch Analyse des Inhalts von Ideen rechtfertigen. Von den Dingen selbst gibt es aber voraussetzungsgemåû kein unmittelbares Wissen, weshalb sich nicht mit Sicherheit entscheiden låût, ob unsere Ideen unter Umstånden eine denkunabhångige Wirklichkeit repråsentieren. Daher bedarf es eines Prinzips jenseits des Bereichs der Ideen, wenn der Anspruch, etwas von der Wirklichkeit selbst erfassen zu kænnen ± zum Beispiel mit Hilfe physikalischer Theorien ± , gerechtfertigt werden soll. Da das den Vertretern der fraglichen Art von Metaphysik klar war, konstruierten sie, um die beanspruchte Ûbereinstimmung von (distinkten) Ideen mit Gegenstånden der Auûenwelt begreiflich zu machen, den Begriff einer Instanz, die die objektive Gçltigkeit von Ideen garantieren kann. Als solche Instanz kam nur ein Wesen in Betracht, das Ursprung sowohl unseres Denkens als auch der Dinge ist, nåmlich Gott bzw. ein Absolutes, von dem die Ideen ebenso abhången wie die Dinge. Wenn Ideen und Wesenheiten der Dinge einen gemeinsamen Ursprung haben, dann darf angenommen werden, daû zwischen ihnen Ûbereinstimmung besteht. Die Ûbereinstimmung von Ideen und Dingen an sich wurde natçrlich nicht fçr alle Ideen beansprucht; nur adåquate Ideen, vor allem die Begriffe der Naturphilosophie und die Grundbegriffe der Naturwissenschaft, sollten als Repråsentanten der Wirklichkeit erwiesen werden, nicht jedoch Phantasievorstellungen (wie die Vorstellung eines geflçgelten Pferdes) oder Fiktionen (wie die Vorstellung der Erdscheibe). Wie die Abhångigkeit der Ideen und der Dinge inhaltlich bestimmt wird, ist, verglichen mit dem allgemeinen GeDie philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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danken, daû Denk- und Seinsordnung in eine umfassende vernçnftige Ordnung eingebettet sind, sekundår. Ob Denk- und Seinsordnung als von Gott geschaffen oder als notwendige Folge des gættlichen Wesens gelten sollen, war stets kontrovers; gemeinsam war aber den Vertretern der vorkantischen Metaphysik der Gedanke, daû beide Ordnungen auf Grund ihrer Abhångigkeit von Gott verbunden sind, so daû ihre Ûbereinstimmung verbçrgt ist. Der Gott der rationalistischen Philosophen ist der gedachte, die Mæglichkeit von Wirklichkeitserkenntnis verbçrgende Grund der Ûbereinstimmung von vernçnftigem Denken und Sein. Wenn Descartes von der gættlichen Wahrhaftigkeit sprach und Gott als Garanten der Ûbereinstimmung von distinkten Ideen und Wesenszçgen der Wirklichkeit auffaûte, hatte er die erkenntnismetaphysische Funktion der Gottesidee vor Augen. Spinoza war von derselben Intention geleitet, wenn er den Satz, daû die Ordnung und der Zusammenhang der Ideen und die Ordnung und der Zusammenhang der Dinge einander entsprechen, auf die Abhångigkeit beider Ordnungen von der absolut unendlichen, gættlichen Substanz zurçckfçhrte; und Leibniz war dem gleichen Begrçndungsschema verpflichtet, wenn er die objektive Gçltigkeit unserer adåquaten Ideen auf die Annahme stçtzte, daû solche Ideen auf Grund ihrer Abhångigkeit von Gott das All widerspiegeln. Das skizzierte Argumentationsmuster låût sich auch noch bei Hegel erkennen, bei dem das Absolute, »die sich selbst denkende Idee« 7 , die Funktion hat, Wissen im vollen Wortsinn, d. h. absolut sichere Erkenntnis als Ûbereinstimmung des Denkens mit dem Gedachten, als mæglich erscheinen zu lassen. Hegel wollte zeigen, daû nicht nur in der Selbsterkenntnis Gewiûheit und Wahrheit zusammenfallen, sondern daû allen Vernunftbegriffen etwas Wirkliches entspricht, da sich in den Begriffen wie in der Wirklichkeit das Absolute manifestiert. Die Funktion des Gottes der Philosophen tritt in allen diesen Fållen deutlich zutage: Mit Hilfe der Gottesidee soll bewiesen werden, daû der Mensch, wenn er die Wirklichkeit vernçnftig erkennt, ein Wissen besitzt, das dem gættlichen Wissen entspricht; er sieht dann die Wirklichkeit gleichsam mit den Augen Gottes. Der Gott der Philosophen hat letzten Endes die Funktion, den Philosophen G. W. F. Hegel, System der Philosophie, I, § 236; Jubilåumsausgabe, Bd. VIII, 446. Die im Text zitierte Wendung låût an die Aristotelische Noesis noeseos denken.

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zum Teilhaber am gættlichen Wissen zu machen. Das heiût selbstverståndlich nicht, daû der Mensch an der Fçlle des gættlichen Wissens teilhat, sondern nur, daû er, wenn er evident, d. h. auf Grund adåquater Ideen, urteilt, Zçge der Wirklichkeit nicht anders erkennt, als sie vom gættlichen Verstand erfaût werden. In letzter Konsequenz stellt sich von diesem Standpunkt aus die Erkenntnis als Schau des Wesens der Dinge in Gott dar. 8 Wie sehr sich die Philosophie unserer Zeit von der vorkantischen Metaphysik entfernt hat, zeigt die Ablehnung, auf die der Anspruch, die Wirklichkeit unter Umstånden gleichsam mit den Augen Gottes sehen zu kænnen, heute stæût. Diese Andeutungen dçrften ausreichen, um die oben aufgestellte These, daû es in der typisch neuzeitlichen Philosophie nicht primår um Fragen der Ontologie, sondern um das Problem der Erkenntnis ging, zu illustrieren und zu zeigen, welche Rolle die Gottesidee bei den Versuchen, dieses Problem zu læsen, spielte. Im vorkantischen Rationalismus, aber auch im nachkantischen spekulativen Idealismus ist die Vorherrschaft erkenntnismetaphysischer Fragen bzw. das Zurçcktreten ontologischer Fragen deutlich zu sehen. Dazu kommt, daû die Abwendung von der Ontologie bei den Vertretern des Kritizismus noch offenkundiger ist, so daû sich die typisch neuzeitlichen metaphysischen Systeme als Theorien der Erfahrung bzw. der Erkenntnis von Dingen charakterisieren lassen. In der Neuzeit wird der Metaphysik zusehends deutlicher die Aufgabe zugewiesen, Bedingungen anzugeben, unter denen begreiflich gemacht werden kann, wie (sicheres) Wissen von Zçgen der objektiven Wirklichkeit mæglich ist. Bei den Vertretern des Rationalismus und des spekulativen Idealismus geschah das, wie gesagt, mit Hilfe der Annahme, daû es einen Grund der Ûbereinstimmung von Denken und Sein gebe, nåmlich Gott, verstanden als Gott der Philosophen.

2. Der Gott der Kantischen Ethik Kant berief sich zur Begrçndung von Erkenntnisansprçchen nicht mehr auf Gott, wies aber der Gottesidee die Aufgabe zu, gewisse Zusammenhånge im moralischen Bereich begreiflich zu machen. N. Malebranche, De la recherche de la vrit, hrsg. v. G. Lewis, Paris 1946, Bd. III (Xe †claircissement), 85: »[¼] c'est en Dieu [¼] que l'on voit tout ce que l'on connaÑt par lumi re ou ide claire«. 8

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Die Rolle, die der Gott der Philosophen in der Ethik spielte, darf daher nicht çbergangen werden. Kant hat sich vom Gott der rationalistischen Philosophie ± dem Gott eines Descartes, eines Spinoza, eines Leibniz, eines Wolff ± insofern abgewendet, als er leugnete, daû der Ausdruck »Gott« ein erkennbares Wesen bezeichne. Unter seinen Voraussetzungen kann man daher Gott nicht als Garanten von Erkenntnisansprçche betrachten. Gleichzeitig aber wies er der Gottesidee eine Funktion in der Ethik zu, die sich im Hinblick auf den Rechtfertigungscharakter mit ihrer Funktion in der rationalistischen Erkenntnismetaphysik vergleichen låût. So wie in der rationalistischen Metaphysik die Annahme der Ûbereinstimmung von vernçnftigem Denken und Sein auf die Gottesidee gestçtzt wurde, so fållt bei Kant der unter Berufung auf den Primat der (ethischen) Praxis eingefçhrten Gottesidee die Aufgabe zu, den Zusammenhang zwischen dem, was der Mensch an sich ist ± nåmlich ein freies, der Naturkausalitåt enthobenes Wesen ± , und dem, als was er erscheint ± als kausal determiniertes Naturwesen ± , begreiflich zu machen. Nach Kant ist der Mensch Bçrger zweier Reiche: des Reichs der Natur und des Reichs der Freiheit, das heiût, die menschliche Person hat zwei Seiten, eine noumenale und eine empirische. Als Wesen in Raum und Zeit verlangt der Mensch nach Glçck, ist Trieben unterworfen und folgt Neigungen; als freies Vernunftwesen ist er Adressat eines unbedingten Sollens und als solcher unabhångig von empirischen Motiven. Kants Ethik soll diese beiden Aspekte zur Einheit der menschlichen Person verbinden, und dabei spielt die Gottesidee eine entscheidende Rolle. Dies ist kurz zu erlåutern, damit deutlich wird, in welchem Sinne auch in bezug auf Kant noch von einem Gott der Philosophen gesprochen werden kann. Die Ethik hat es, formal åhnlich wie die Theorie der Erfahrung, mit einem Faktum zu tun, das als mæglich zu begreifen ist, nåmlich dem Faktum des unbedingten Sollens. Sie muû aber nach Kant auch der Tatsache Rechnung tragen, daû wir nicht reine Vernunftwesen, sondern zugleich Angehærige der empirischen Wirklichkeit sind und als solche von unseren Handlungen Befriedigung erwarten. Dies gilt nicht nur von Handlungen auf Grund von empirischen Motiven, sondern auch von Handlungen, die aus Achtung vor dem Sittengesetz erfolgen. Wir handeln zwar nicht deshalb sittlich, weil wir glçcklich werden wollen, aber wir wçrden etwas vermissen, wenn die Erfçllung der sittlichen Pflicht mit dauerhaftem Unglçck verbun36

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den wåre. Zu sagen, der Mensch hoffe, daû sich mit der Tugend die Glçckseligkeit verbinden werde, ist wohl nicht die beste Formulierung des hier Gemeinten, wie Kant selbst bemerkt zu haben scheint, wenn er anstatt von »Glçckseligkeit« von »Selbstgenugsamkeit« sprach und damit einen Zustand meinte, der der Autarkie des hæchsten Wesens analog ist. 9 Die Moralitåt als solche ist somit nach Kant nicht das Hæchste; hæher steht die mit dem Gefçhl der Genugtuung verbundene Tugend: Sie ist das hæchste Gut. Die Idee des hæchsten Gutes hat es mit der menschlichen Person als intelligiblem wie als empirischem Wesen zu tun; in ihrem Licht erkennt man, daû die beiden Aspekte der menschlichen Person nicht auseinanderfallen, sondern verbunden sind. Ihr Zusammenhang wåre jedoch unbegreiflich, wenn er nicht auf Gott als Grund bezogen wçrde. Nur unter der Voraussetzung, daû die moralische und die empirische Welt aufeinander abgestimmt sind, 10 låût sich begreifen, daû dem sittlichen Bemçhen, durch das wir glçckswçrdig werden, eine diesem Bemçhen angemessene Glçckseligkeit oder Genugtuung entspricht. Gott wird somit auch von Kant als Garant in Anspruch genommen ± aber nicht mehr, wie von Descartes, als Garant der objektiven Gçltigkeit von Urteilen, sondern als Garant der Entsprechung von Moralitåt und Glçckseligkeit. Kant hat aber, anders als die Vertreter der vorkantischen Metaphysik, dem Prinzip der angenommenen Ûbereinstimmung kein An-sich-Sein zugeschrieben. Wir sind seiner Ansicht nach nicht berechtigt, der Idee eines Urhebers der Ûbereinstimmung zwischen dem moralischen und dem empirischen Bereich ein wirkliches Wesen zuzuordnen. Die im Rahmen der Ethik konzipierte Gottesidee ist daher nicht die Idee von etwas an sich WirkKant, Kritik der praktischen Vernunft, Akad.-Ausg. V, 118 [im folgenden wird stets nach der Akademieausgabe zitiert]; vgl. Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, VIII, 395 f., Anm., wo die dem Handeln [als Motiv] vorhergehende Lust als pathologisch, die auf das Handeln aus Achtung vor dem Sittengesetz folgende Lust als moralisch bezeichnet und betont wird, daû die Glçckseligkeit nicht als Triebfeder moralischer Handlungen in Betracht kommt. Vgl. Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, Vorr., VI, 377: Der Mensch, der seine Pflicht getan hat, findet sich in einem Zustand »der Seelenruhe und Zufriedenheit, den man gar nicht Glçckseligkeit nennen kann, in welchem die Tugend ihr eigener Lohn ist«. Kant wies auch hier die Eudåmonie zurçck und forderte an ihrer Stelle Eleutherologie (VI, 378). 10 Nach Kant, Kritik der praktischen Vernunft, V, 125, ist das Dasein einer Ursache der Natur, auf welche die Ûbereinstimmung von Sittlichkeit und Glçckseligkeit beruht, zu postulieren. 9

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lichem. Zwar hielt Kant, åhnlich wie die rationalistischen Metaphysiker, diese Idee fçr unentbehrlich, aber aus ihrer Unentbehrlichkeit folgerte er nicht das An-sich-Sein Gottes. Wenn er der Gottesidee Realitåt zuschrieb, meinte er lediglich, daû wir ihrer bedçrfen, wenn wir uns als sittliche Wesen verstehen wollen. Der Ausdruck »Realitåt« bezieht sich hier nicht auf Gott selbst, sondern auf die Funktion der Gottesidee in der Ethik und im sittlichen Leben; die »Realitåt in praktischer Hinsicht« ist in theoretischer Hinsicht Irrealitåt. Diese neuartige Position in der philosophischen Gotteslehre kommt nicht in allen Øuûerungen Kants vællig klar zum Ausdruck. Manchmal drçckte er sich so aus, als meine er »Realitåt« im çblichen Sinne als denkunabhångige Wirklichkeit. Es scheint dann, als habe er sagen wollen, wir kænnten zwar Gott nicht als real erkennen, mçûten ihn aber im Interesse der Moral als real anerkennen. An anderen Stellen vertrat er aber eine radikalere Auffassung. So erklårte er in einem Aufsatz von 1796, die moralisch-praktische Realitåt, die den im Rahmen der Ethik konzipierten Ideen ± also auch der Gottesidee ± zukommt, bestehe darin, daû wir uns so verhalten, als ob ihre Gegenstånde gegeben wåren. 11 Am deutlichsten brachte er seine Auffassung im Opus postumum zum Ausdruck, wo es zum Beispiel heiût: »Gott ist nicht ein auûer mir bestehendes Ding, sondern mein eigener Gedanke. Es ist ungereimt zu fragen, ob ein Gott sei.« 12 Kant hielt zwar die Bildung der Gottesidee fçr notwendig, aber das åndert nichts daran, daû er sie, wie Ideen im allgemeinen, 13 als ein von uns geschaffenes Denkgebilde ± Kant sprach von »Dichtung« ± betrachtete.

3. Der Tod des Philosophen-Gottes Obwohl Kant der Idee des Philosophen-Gottes in der Ethiko-Theologie Asyl gewåhrte, hat er doch zu ihrer Verdrångung aus dem Mittelpunkt der Philosophie beigetragen, indem er die Auffassung vertrat, daû mit »Gott« nichts Erkennbares gemeint sein kænne. Dies folgt aus seinen Voraussetzungen, nach denen Erkenntnis nur inner11 Kant, Verkçndigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie (1796), VIII, 416. 12 Kant, Opus postumum, XXI, 153. 13 Ebda., XXI, 89.

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halb des Bereichs mæglicher Erfahrung mæglich ist. Da unter »Gott« etwas verstanden wird, das nicht unter Bedingungen der Erfahrung steht, kann es Gotteserkenntnis nicht geben. Dabei meinte er nicht, wie die radikalen Empiristen, daû der Ausdruck »Gott« sinnlos sei; die Idee Gottes kann seiner Ansicht nach nicht nur gebildet werden, sie muû sogar gebildet werden, aber als Idee låût sie sich nicht als Begriff von einem Gegenstand betrachten. Von der Gottesidee gilt, wie fçr Ideen im allgemeinen, daû sie nicht »realisiert« werden dçrfen. 14 Erst recht dçrfen sie nicht hypostasiert, d. h. als Begriffe von etwas Substantiellem aufgefaût werden. Wenn die Gottesidee nicht als Begriff aufzufassen ist, unter den reale Seiende fallen kænnen, ist es auch nicht mæglich, mit Hilfe von Aussagen çber Dinge auf die Existenz Gottes zu schlieûen. Auch im Rahmen der Ethik spielt die Gottesidee nicht mehr jene Rolle, die ihr von den Anhångern der vorkantischen Metaphysik zugedacht worden war. Wenn »Gott« nur einen Gedanken bedeutet, den wir konzipieren, um uns als sittliche Wesen verstehen und sinnvoll nach sittlicher Vervollkommnung streben zu kænnen, dann wird die Gottesidee auf eine bestimmte Ethik relativiert und zugleich der Weg zu ihrer pragmatistischen Auffassung geæffnet. Låût man Kants Annahme eines absoluten Sollens fallen, dann wird es mæglich, Gott als Gegenstand eines Willens zum Glauben zu betrachten, wie es W. James tat. Kants Ethiko-Theologie war eine Rçckzugsposition, die nicht auf Dauer gehalten werden konnte. Das heiût nicht, daû die Gottesidee aus der Philosophie verschwunden wåre; aber sie wurde, wo man noch an ihr festhielt, aus dem Mittelpunkt des philosophischen Denkens verdrångt. Der Gott der Philosophen wurde natçrlich auch durch die Kritik in Frage gestellt, die sich auf die Voraussetzungen der Metaphysik, in der er beheimatet war, richteten. Weist man z. B. den Anspruch, zu perfektem Wissen von Dingen an sich gelangen zu kænnen, zurçck, dann bedarf es auch keiner Rechtfertigung durch Berufung auf Gott. Erst recht verliert die Gottesfrage ihre Bedeutung, wenn man mit den konsequenten Vertretern des Empirismus nur Erfahrungsbegriffe zulåût; einen Begriff von Gott als transzendentem Wesen kann es von diesem Standpunkt aus nicht geben. Obwohl die empiristische Kritik an der herkæmmlichen Gottesauffassung radikaler zu sein scheint als die Kantische, hat diese doch 14

Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 643.

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nachhaltiger gewirkt. Den empiristischen Einwånden konnten die Vertreter der Metaphysik nåmlich entgegenhalten, daû sie am Kern der metaphysischen Auffassung vorbeigingen und diese daher nicht wirklich treffen kænnten. Demgegençber war Kant von der empiristischen Einseitigkeit frei; er wollte die Metaphysik nicht schlechthin çberwinden, sondern nur ihre ungerechtfertigten Ansprçche zurçckweisen. Wenn er fand, daû Gott zwar gedacht, nicht aber erkannt und als an sich wirklich erwiesen werden kænne, dann stellte er dem metaphysischen Denken nicht ein vællig andersartiges gegençber, sondern er zog das Fazit aus einer internen Auseinandersetzung mit der ålteren Metaphysik, die er eben darum wirksamer kritisierte als die Anhånger empiristischer Auffassungen. Die spekulative Metaphysik war mit der Kantischen Kritik nicht sogleich çberwunden; sie lebte eine Zeitlang weiter, wie die Hegelsche Philosophie besonders deutlich zeigt. Aber sie war doch im Kern getroffen, und mit ihr der Gott der Philosophen. Die Entwicklung, deren Resultat als der Tod des PhilosophenGottes bezeichnet wird, war im wesentlichen nicht die Folge atheistischer oder anti-religiæser Tendenzen. Descartes, Kant oder Hegel waren keine Gegner der Theologie und erst recht keine Feinde der Religion; sie glaubten im Gegenteil, mit ihren Auffassungen den Theologen entgegenzukommen. Descartes ging dabei von einer Unterscheidung zwischen der metaphysischen und der theologischen Auffassung Gottes aus, der zufolge die Metaphysik die Existenz Gottes zu beweisen hat, jedoch keine Aussagen çber die Trinitåt, die Menschwerdung Gottes und åhnliches machen kann. Kant und besonders Hegel gingen weiter: Sie wollten die religiæse Gottesidee durch die philosophische ersetzen bzw. sie in diese »aufheben«. Håtte sich die Theologie darauf eingelassen, håtte sie einen hohen Preis zu entrichten gehabt: Sie håtte darauf verzichten mçssen, Gott Bestimmungen beizulegen, die mit der philosophischen Gottesidee nicht vereinbar sind. Der Gott der Religion håtte sich in den Gott der Philosophen verwandeln mçssen. Die namentlich von Hegel proklamierte Aufhebung der Religion in die absolute Philosophie håtte fçr die Religion den Verlust ihrer Selbståndigkeit bedeutet. Es ist daher verståndlich, daû viele Theologen der von Hegel gewiesenen Richtung nicht folgten, ganz zu schweigen von religiæsen Denkern wie Kierkegaard, die sich mit einem Gott der Philosophen nicht begnçgen wollten, weil sie fanden, daû man zu ihm nicht beten und von ihm keinen Trost erwarten kænne. Die philosophische Got40

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tesidee scheint ja bestenfalls den Verstand, nicht aber das Herz ansprechen zu kænnen. Aus Protest gegen den Versuch, den religiæsen Glauben in vernçnftiges philosophisches Denken aufzulæsen, sprach Kierkegaard dem Glauben alle Vernçnftigkeit ab; er hielt am Gottesglauben fest, betrachtete ihn aber als irrational, als paradox, als absurd. Als etwas Absurdes kann der Gottesglaube nicht Element der Philosophie sein; er kann nur noch in einer sich nicht mehr an die Vernunft bindenden Theologie, wie es zum Beispiel in unserem Jahrhundert die Dialektische Theologie ist, eine Rolle spielen. Der Gott einer solchen Theologie ist nicht mehr der Gott der Philosophen. Letzten Endes war aber auch nicht die Reaktion von seiten der Religion bzw. der Theologie fçr das Schicksal des Philosophen-Gottes entscheidend, sondern die Entwicklung der Philosophie selbst, die zu Konzeptionen fçhrte, in denen die Gottesidee, anders als in der rationalistischen Metaphysik oder in der Kantischen Ethik, keine wesentliche Rolle mehr spielte. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war das bereits nicht mehr zu çbersehen: Positivistische, materialistische und naturalistische Auffassungen waren im Vordringen und zogen selbst Angehærige der Hegelschen Schule, wie z. B. Feuerbach, an. Die Kritik betraf hier allerdings nicht mehr nur den Gott der Philosophen, sondern auch den Gott der Religion. Es ist aufschluûreich, daû Nietzsche zwischen beiden Gottesauffassungen nicht mehr klar unterschieden hat. Er sprach vom Tode Gottes und vom »Sieg des Atheismus« im allgemeinen und im gleichen Zusammenhang vom »Niedergang des Glaubens an den christlichen Gott« als demselben gesamteuropåischen Ereignis. 15 Was sich in der zweiten Hålfte des 19. Jahrhunderts abzuzeichnen begann, ist in der Gegenwart unbestreitbare Wirklichkeit geworden. Zwar sind die neopositivistischen Versuche, metaphysische Fragen, also auch die Gottesfrage, als sinnlos zu erweisen, nicht mehr aktuell, aber die analytische Philosophie, die Nachfolgerin des Neopositivismus, hat im allgemeinen kein Interesse am Gottesproblem. Wo die Gottesfrage berçhrt wird, geht es nicht um die Frage, ob Gott existiere oder ob sein Wesen erkennbar sei, sondern um Sprachspiele, in denen der Ausdruck »Gott« vorkommt, und um die Lebensform, mit der solche Sprachspiele zusammenhången. Auch in anderen wichtigen philosophischen Richtungen hat die Gottesidee keine Funktion mehr. So hat zwar Husserl viele Gedanken 15

Nietzsche, Die fræhliche Wissenschaft, 357.

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Descartes' aufgenommen, nicht aber die fçr den Cartesianismus wesentliche Gottesidee. Husserls Phånomenologie ist Egologie, nicht philosophische Theologie: In ihrem Mittelpunkt steht das Ich, nicht Gott. 16 Heidegger, der von Theologie her zur Philosophie kam, hat die Ontotheologie zu çberwinden gesucht bzw. gemeint, daû ihre Ûberwindung im Gange sei. Ob die Seinsspekulation des spåteren Heidegger etwas mit ålteren Auffassungen von Gott zu tun hat, ist schwer zu sagen; doch selbst wenn man einen solchen Zusammenhang annehmen wollte, mçûte man einråumen, daû zwischen Heideggers Sein und dem Gott der Philosophen ein wesentlicher Unterschied besteht: Das Sein ist nicht, wie bei Descartes und anderen, Garant der Wahrheit, und aus ihm folgt nicht, wie z. B. nach Spinoza, die Ordnung der Dinge und der Ideen. Eher låût sich das Umgreifende, von dem bei Jaspers die Rede ist, als Nachfolger des PhilosophenGottes betrachten; aber in dieser Form ist die åltere Auffassung so verdçnnt, daû sie systematisch kaum mehr Gewicht hat. Tatsåchlich hat Jaspers viel stårker durch seine Lehre vom eigentlichen Existieren, das in Grenzsituationen zu erreichen sein soll, gewirkt, als durch die Lehre von den Chiffren, von denen er meinte, daû sie, richtig gedeutet, auf das Umgreifende hinweisen. Wçrden andere, weniger prominente philosophische Richtungen ins Auge gefaût, wçrde der angedeutete Befund noch unterstrichen, weil viele Auffassungen auch jener Philosophen, die Gottes Existenz entweder beweisen oder wenigstens wahrscheinlich machen zu kænnen meinen, von der Gottesidee unabhångig sind. Logik und Ontologie, in deren Rahmen çber die Existenz Gottes gesprochen wird, sind autonom, wåhrend in der Metaphysik des 17. und teilweise noch des 18. Jahrhunderts alle wichtigen philosophischen Fragen mit der Gottesidee in Verbindung gebracht wurden Ð man denke nur an die Logik, deren notwendige Wahrheiten in der einen oder der anderen Weise mit der Gottesidee verknçpft wurden. Sofern die Gottesfrage noch eine Rolle spielt, steht sie nicht mehr, wie in der ålteren Metaphysik, im Mittelpunkt des philosophischen Denkens, sondern ist, wenn schon keine Randfrage, nur noch eine Frage unter anderen. Auch wo man Gottesbeweise fçr mæglich hålt, werden aus ihrem Ergebnis meist keine Konsequenzen in bezug auf die Erkenntnislehre Siehe Husserl, Pariser Vortråge, Husserliana I (1950), 12, wo die Egologie als Fundament der Philosophie im cartesianischen Sinne als universaler Wissenschaft bezeichnet wird.

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und die Ethik gezogen. Håufig gilt das Interesse eher den Problemen der Beweise als dem zu Beweisenden. Der Charakter der Gegenwartsphilosophie wçrde sich daher nicht wesentlich åndern, wenn von der Gottesidee çberhaupt nicht mehr die Rede wåre.

4. Gottesglaube statt Gotteserkenntnis Wenn der Gott der Philosophen, der Gott Descartes' und Leibnizens, Kants, Schellings und Hegels mit dem Zusammenbruch jener Metaphysik, fçr die er unentbehrlich war, die Daseinsberechtigung verlor, dann erhebt sich die Frage, welche Bedeutung die Philosophie fçr die Gottesfrage noch haben kann. Eine Antwort auf diese Frage soll abschlieûend skizziert werden; sie låuft darauf hinaus, daû die Philosophie zwar keinen unmittelbar-positiven, wohl aber einen mittelbaren und sozusagen limitativen Beitrag zur Diskussion der Gottesproblematik leisten kann, und zwar im Rahmen einer Philosophie, die die Kantische Auffassung, daû Gegenstånde innerhalb eines raum-zeitlich-kategorialen Rahmens erscheinen, in Form der These çbernimmt, daû Gegenstånde stets von Deutungen abhången und in diesem Sinne auf einen Deutungsrahmen zu relativieren sind. 17 Kant hat das Erkenntnisproblem, d. h. das Problem, wie Ûbereinstimmung von Denken und Wirklichkeit mæglich ist, nicht mehr mit Hilfe der Annahme eines gættlichen Grundes von Denk- und Seinsordnung zu læsen gesucht, sondern mit Hilfe der Annahme, daû »die Bedingungen der Mæglichkeit der Erfahrung çberhaupt [¼] zugleich Bedingungen der Mæglichkeit der Gegenstånde der Erfahrung« seien. 18 Die Bedingungen, von denen hier die Rede ist, sind Anschauungs- und Denkformen, die den als Erscheinungen aufgefaûten Gegenstånden ebenso zugrunde liegen wie den Grundsåtzen, die den Rahmen der Gegenstandserkenntnis bilden. Die Gottesidee gehært nicht zu diesen Bedingungen.

17 Zur Deutungs- bzw. Interpretationstheorie vgl. G. Abel, Interpretationswelten. Gegenwartsphilosophie jenseits von Essentialismus und Relativismus, Frankfurt/M. 1993; H. Lenk, Interpretationskonstrukte. Zur Kritik der interpretatorischen Vernunft, Frankfurt/M. 1993; G. Prauss, Die Welt und wir, II/1, II/2, Stuttgart 1990/1993; W. Ræd, Erfahrung und Reflexion. Theorien der Erfahrung in transzendentalphilosophischer Sicht, Mçnchen 1991. 18 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 197; III, 145.

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Sieht man von Kants speziellen Auffassungen des Raumes, der Zeit und der Kategorien, die zeitbedingt waren, ab, dann låût sich als Kern seiner Philosophie der Gedanke festhalten, daû alles, was wir erfahren, von Deutungen abhångig ist, und daû es den Bereich, in dem wir Dinge erfahren bzw. zu erklåren suchen, ohne Deutungen nicht gåbe. Die Welt, in der wir leben, ist Ergebnis von Deutungen auf Grund von Begriffen, die wir nicht der Beobachtung entnehmen, sondern die wir erzeugen, um Daten zu Gegenstånden und Gegenstandszusammenhången vereinheitlichen zu kænnen. Solche Begriffe dienen, wie Kant es ausdrçckte, dazu, »Erscheinungen zu buchstabieren, um sie als Erfahrung lesen zu kænnen«. 19 Die Deutungs- oder Interpretationstheorie kann fçr den Glauben leisten, was Kant in dieser Hinsicht mit der Kritischen Philosophie erreichen wollte, nåmlich zum Glauben Platz zu bekommen. Dies geschieht mit Hilfe der sich aus dem Interpretationismus ergebenden Konsequenz, daû Deutungen und die von ihnen abhångigen Auffassungen stets relativ sind. Diese Auffassung wird zur Geltung gebracht, um dem Unbedingtheitsanspruch von Konzeptionen, die den Glauben an eine nicht-materielle Wirklichkeit, somit auch den Gottesglauben als unmæglich erscheinen lassen, entgegenzutreten. Hier ist vor allem an jene Auffassungen zu denken, die sich mit dem Namen »Naturalismus« zusammenfassen lassen und die die Anerkennung einer nicht-materiellen Wirklichkeit ausschlieûen. Der Naturalismus wird oft so vertreten, als gåbe es zu ihm keine Alternative. Wenn aber die wissenschaftliche Erfahrung, wie die Erfahrung im allgemeinen, deutungsabhångig ist und daher nicht Gegenstand absoluten, endgçltigen und unkorrigierbaren Wissens sein kann, dann kænnen auch jene wissenschaftlichen und philosophischen Auffassungen, die auûer materiellen, naturwissenschaftlich erklårbaren Tatsachen keine Wirklichkeit, namentlich keine geistige Wirklichkeit, anerkennen und daher auch keinen Platz fçr den Gottesglauben lassen, nicht als unbedingt wahr gelten; sie mçssen als Ausdruck von Deutungen betrachtet werden, die, wie alle Deutungen, nicht als endgçltig anzusehen sind. Der Interpretationismus hebt nicht, wie Kant sagte, das Wissen auf; er hebt nur den Anspruch vollkommen sicheren Wissens von Tatsachen auf. Dies bedeutet zwar einerseits den Verzicht auf Ver19

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Kant, Prolegomena, § 30, IV, 312.

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Ist der Gott der Philosophen tot?

suche, sicheres Wissen von einer transzendenten Wirklichkeit haben zu kænnen, aber andererseits werden auch Auffassungen, die den Glauben eine von der materiellen Welt verschiedene Realitåt ausschlieûen, in die Schranken gewiesen. Die Vertreter der naturalistischen Auffassung sind heute in der Gemeinschaft der Wissenschaftler und darçber hinaus in der Gesellschaft im allgemeinen in einer so starken Position, daû sie es kaum mehr nætig haben, ihre Einstellung zu rechtfertigen, sondern die Beweislast der Gegenseite zuschieben zu kænnen meinen. Tatsåchlich ist es aber nicht so, daû nur jemand, der an eine Wirklichkeit jenseits der Welt materieller Dinge glaubt, zur Begrçndung seiner Ansicht verpflichtet wåre; auch die naturalistische Auffassung ist nicht selbstverståndlich. Es gibt eine Alternative zu dieser Auffassung, und fçr sie sprechen gute Grçnde. Die angedeutete Position ist schwåcher als die Kantische. Wenn Kant erklårte, er habe das Wissen aufheben mçssen, um zum Glauben Platz zu bekommen, 20 dann meinte er die Aufhebung des Anspruchs, etwas von Dingen an sich wissen zu kænnen. Wo Wissen nicht mæglich ist, da kann auch kein Wissen behauptet werden, das dem Glauben entgegensteht, verstanden als vernçnftiger Glaube im Sinne der von der Ethik geforderten metaphysischen Annahmen. Ein solcher inhaltlich bestimmter Glaube ist hier nicht gemeint; man braucht nur einzuråumen, daû die Wirklichkeit nicht in dem aufgeht, was die Naturwissenschaft çber sie sagt, um den Glauben an einen nicht-materiellen Aspekte der Wirklichkeit fçr mæglich zu halten. Eine solche Position bleibt auch hinter Heideggers Ansicht zurçck, daû das religiæse Denken ohne Onto-Theo-Logik freier fçr den gættlichen Gott sei und daû sich der religiæse Gottesglaube angemessener entfalte, wenn er vom Einfluû des Gottes der Philosophen befreit ist. 21 Nicht durch Destruktion des metaphysischen Denkens, wie Heidegger meinte, sondern durch die kritische Einschrånkung von Erkenntnisansprçchen wird eine Auffassung der Wirklichkeit mæglich, mit der der Glaube an Gott vertråglich ist. Selbstverståndlich wird der Gott der Philosophen durch die Einschrånkung der naturalistischen Auffassung nicht wieder zum Leben erweckt; es wird nur die Mæglichkeit einer Wirklichkeitsauffassung

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Kant, Kritik der reinen Vernunft, B XXX; III, 19. M. Heidegger, Identitåt und Differenz, Pfullingen 1957, 70 f.

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festgestellt, in deren Rahmen Platz fçr den Glauben ist. Diese Antwort mag sich dçrftig ausnehmen, doch sie låût sich vermutlich leichter verteidigen als jene Betrachtungsweise, die zur Idee eines Philosophen-Gottes fçhrte.

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Die Bedeutung der Metaphysik fçr Glauben und Wissen Von Ludger Honnefelder, Bonn Emerich Coreth gewidmet Wenn es zum Menschen gehært, sich zu sich selbst zu verhalten und dieses Selbstverhåltnis auf Gewiûheit zu grçnden, dann stellen Glauben und Wissen als die beiden Grundgestalten der existentiellen und der epistemischen Gewiûheit Grundvollzçge des Menschen dar. Als solche mægen sie eine implizite Metaphysik im Sinn jener ontologia naturalis enthalten, die Christian Wolff als inneres Element unseres lebensweltlichen Sprechens von der Welt betrachtete; 1 Metaphysik in Form methodisch betriebener Philosophie gehært ohne Zweifel nicht zu ihren Voraussetzungen. Wie aber steht es um die Gestalten der methodischen Vergewisserung von Wissen und Glauben, wie sie uns in Form von Philosophie und Theologie begegnen? In welcher Weise sind sie als reflexiv-kritische Disziplinen bei der gesuchten Vergewisserung dessen, was wir wissen und was wir glauben, auf Metaphysik verwiesen? Und was hångt von der Antwort auf diese Frage fçr Wissen und Glauben selbst ab, wenn der in der kulturellen Entwicklung erreichte Modus der Selbstverståndigung die methodische Vergewisserung zum Element oder zur Bedingung jeglicher existentieller und epistemischer Gewiûheit hat werden lassen? Um diese Fragen einer Antwort zuzufçhren, ist im folgenden zunåchst zu fragen, was unter Metaphysik als derjenigen Disziplin zu verstehen ist, als die sie von Aristoteles ursprçnglich konzipiert worden ist, nåmlich als einer ersten Philosophie (I). Anschlieûend sollen dann Funktion und Stellenwert einer so verstandenen Metaphysik fçr die Vergewisserung des Wissens und des Glaubens (II±IV) skizziert werden, bevor abschlieûend gefragt werden kann, wie Me1 Vgl. Chr. Wolff, Philosophia prima sive ontologia, § 21, ed. J. †cole, Ges. Werke (2. Aufl. 1736), II. Abt., Bd. 3, 12 (ND Hildesheim 1971). Vgl. dazu L. Honnefelder, Scientia transcendens. Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realitåt in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit (Duns Scotus ± Su—rez ± Wolff ± Kant ± Peirce), Hamburg 1990, 300 (= Paradeigmata 9).

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taphysik die ihr damit zugewiesene Aufgabe ± sollte sie sich als unverzichtbar erweisen ± unter den Bedingungen heutiger Philosophie zu erfçllen vermag (V).

I. Unter den Namen, mit denen Aristoteles die spåter als Metaphysik bezeichnete Disziplin im Corpus der unter dem Titel der Metaphysik versammelten Schriften benennt, besitzt der einer ersten Philosophie oder ersten Wissenschaft 2 ohne Zweifel den systematischen Vorrang, macht er doch den Gegenstand der Disziplin ebenso deutlich wie ihren Ursprung und ihr Ziel. In der ersten Disziplin der Philosophie ± so der Anfang des ersten Buches des Corpus metaphysicum 3 ± muû das, was die Philosophie ausmacht, nåmlich methodische Gestalt des Strebens nach Weisheit zu sein, ihre Vollendung finden. Das aber geschieht nur durch ein Wissen, das sich durch besondere Merkmale auszeichnet: es muû ein Wissen um das Ganze sein, das nicht notwendig Wissen von jedem einzelnen ist, also Wissen vom Allgemeinen darstellen, und es muû Wissen von der ersten Ursache und dem zuhæchst Erkennbaren, also Wissen vom Ersten sein. Als dieses Wissen wird es nicht um anderer Ziele wegen, sondern um seiner selbst willen gesucht. Daû es eine erste Philosophie gibt und geben muû, so wird deutlich, ist Konsequenz der Tatsache, daû es Philosophie gibt. Philosophie aber bedeutet, jene beiden Fragen zu stellen, die innerhalb der normalen lebensweltlichen Praxis gewæhnlich nicht gestellt werden, nåmlich die Fragen, was etwas ist und warum es so ist, wie es ist. Es sind die Frage nach dem Allgemeinen (»Was ist das ± die Tugend?«) und die Frage nach den Ursachen und Grçnden, in die der platonische Sokrates seine Gespråchspartner verwickelt und die den mit der Philosophie einsetzenden Schritt vom Mythos zum Logos kennzeichnen. Will man auf die Frage nach dem Schicksal der Seele nicht mit einem der Ûberprçfung entzogenen Mythos antworten, sondern mit einem auf Grçnde sich stçtzenden Wissen, um ein auf wahres Wissen und nicht Meinung gegrçndetes Leben zu fçhren, dann muû nach Platons Phaidon çber die Hypothesen (logoi), die zur Erklårung 2 3

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Vgl. Aristoteles, Met. VI 1, 1026a 23±32. Vgl. Met. I 2, 982a 6±11.

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der Phånomene gesetzt werden, mit Hilfe von Wissen ± fçr Platon: das Wissen von den Ideen ± entschieden werden kænnen, das den Anspruch auf unbedingte Wahrheit zu erheben vermag. 4 Fçr den homo faber, der am Nutzen interessiert ist, ist das Streben nach solchem Wissen verzichtbar; fçr den homo sapiens, der wissen will und sich deshalb auf die Fragebewegung der Philosophie einlåût, ist sie notwendig. Denn wenn Begrçndung erst vollståndig ist, wenn sie auf abschlieûende Gedanken zurçckgefçhrt werden kann, bliebe Philosophie ohne ihre erste Disziplin ein Fragment. Erst im Wissen des zuhæchst Wiûbaren und Wissenswerten begegnet jenes abschlieûende Wissen, in dem das Streben nach Orientierung in der Wahrheit an sein Ziel kommt, und das deshalb um seiner selbst willen gesucht wird. Mit Hilfe der formalen Charakteristik kann zugleich der Gegenstand der ersten Philosophie gekennzeichnet werden: Es ist das Erste in dem doppelten Sinn des epistemologisch und des ontologisch Ersten, nåmlich des Ersterkannten, in dessen Horizont alles andere erkannt wird, und des Ersten, das als das ausgezeichnet Seiende die Ursache aller anderen Seienden ist. Was die Notwendigkeit einer ersten Philosophie begrçndet, låût freilich zugleich deren Mæglichkeit zum Problem werden. Denn wenn das Erklårende etwas anderes sein muû als das Erklårte und die Bedingung der Gegenståndlichkeit nicht selbst ein Gegenstand sein kann, ebensowenig wie die Ursache einer ganzen Reihe nicht selbst Glied der Reihe sein kann, dann kænnen das Ganze im Sinn des Umfassenden und das Erste im Sinn der Ursache des Ganzen nicht unter dem Begriff eines Gegenstandes gedacht werden. Platon formuliert daher im Phaidon nicht nur das Programm einer ersten Philosophie, sondern macht in der Politeia auch deren Grenzen deutlich, wenn er der menschlichen Vernunft den god's eye view, den Gottesstandpunkt abspricht, der zur Erkenntnis des Ganzen und des Ersten erforderlich wåre, das Erste als etwas bezeichnet, das »jenseits der Dinge« 5 liegt, und die Erkennbarkeit der Bedingungen der Erkenntnis und der Dinge an ein apriorisches Wissen bindet, fçr das er auf den Mythos von der Anamnesis verweist. Auch Aristoteles sieht keine Mæglichkeit, das Ganze im Modus Vgl. dazu H. Wagner, Platos Phaedo und der Beginn der Metaphysik als Wissenschaft, in: ders., Kritische Philosophie, Wçrzburg 1980, 175±189. 5 Vgl. Politeia VI, 509b. 4

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eines Begriffs zu erfassen, der nicht Gattungsbegriff wåre und deshalb nicht ernsthaft Begriff des Ganzen sein kann. 6 Der Begriff »Seiend« gewinnt daher fçr ihn die alles umfassende Einheit seiner Bedeutung nur in Form der Paronymie, also von der Erkenntnis des ersten ausgezeichnet Seienden her. Metaphysik ist erste Philosophie als Ontotheologie. 7 Dies entzieht die Disziplin der Gattungsaporie, setzt sie aber dem Verdacht aus, eine im Blick auf die Grenzen des menschlichen Verstandes »çberschwengliche« 8 Erkenntnis in Anspruch zu nehmen. Wie wenig damit çber die Mæglichkeit der Metaphysik als einer ersten Philosophie entschieden ist, zeigt der weitere Fortgang der Disziplin. Die in der Fragebewegung der Philosophie enthaltene Frage nach dem Ersterkannten im Sinn der Bedingungen der Mæglichkeit unserer Erkenntnis von Welt çberhaupt låût sich so wenig stillstellen, daû sie im zweiten Anfang der Metaphysik im 13./14. Jahrhundert 9 bei Johannes Duns Scotus die Bindung der ersterkannten Begriffe an das Gattungsschema sprengt und die Konzeption einer ersten Philosophie als einer Wissenschaft von den unsere Mæglichkeit der Welterkenntnis vorzeichnenden transkategorialen Begriffe, einer scientia transcendens 10 erlaubt. Es ist dieses formale

6 Vgl. dazu nåher L. Honnefelder, ­Einheit der Realitåt¬ oder ­Realitåt als Einheit¬ ± Metaphysik als Frage nach der Welt im ganzen, in: O. Marquard (Hrsg.), Einheit und Vielheit. XIV. Deutscher Kongreû fçr Philosophie Gieûen, 21. ± 26. 9. 1987, Hamburg 1990, 72±85. 7 Vgl. nåher L. Honnefelder, Mæglichkeit und Formen der Metaphysik, demnåchst in: L. Honnefelder/G. Krieger (Hrsg.), Philosophische Propådeutik, Bd. 3: Metaphysik, Paderborn. 8 Zum Sprachgebrauch vgl. I. Kant, KrV, B 703/A 675 (AA III, 446); KpV, AA V, 48. 9 Vgl. dazu L. Honnefelder, Der zweite Anfang der Metaphysik. Voraussetzungen, Ansåtze und Folgen der Wiederbegrçndung der Metaphysik im 13./14. Jahrhundert, in: J. P. Beckmann, u. a. (Hrsg.), Philosophie im Mittelalter. Entwicklungslinien und Paradigmen, Hamburg: Meiner 1987 (= Festschrift W. Kluxen), 155±186. 10 Vgl. Johannes Duns Scotus, In Metaph. prol. n. 18; Opera Philosophica (St. Bonaventure, 1998 ff.) III, 9: [¼] necesse est esse aliquam scientiam universalem, quae per se consideret illa transcendentia. Et hanc scientiam vocamus metaphysicam, quae dicitur a ­meta¬, quod est ­trans¬, et ­ycos¬ ­scientia¬, quasi transcendens scientia, quia est de transcendentibus. Vgl. dazu L. Honnefelder, Ens inquantum ens. Der Begriff des Seienden als solchen als Gegenstand der Metaphysik nach der Lehre des Johannes Duns Scotus, Mçnster 2 1989, 99±100 (= BGPhMA NF 16); ders., Scientia transcendens (Anm. 1), XIV±XV.

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Konzept, an das I. Kant in seiner Grundlegung der Metaphysik durch Transzendentalphilosophie anknçpft. 11 Zweierlei an dieser Entwicklung von Aristoteles zu Kant ist von Bedeutung: Das Projekt einer ersten Philosophie scheitert in seiner grundsåtzlichen Mæglichkeit nicht an den von Kant formulierten erkenntniskritischen Bedingungen. Im Gegenteil, es ist gerade der kritische Anspruch an die Begrçndung der Wahrheitsansprçche unserer Erkenntnis von Welt, der die erste Philosophie als Transzendentalwissenschaft erzwingt. Und diese Transzendentalwissenschaft bleibt unvollståndig, wenn nicht die Frage nach den leitenden Ideen unserer auf Wahrheit abzielenden Erkenntnis gestellt wird. Damit veråndert sich nicht nur der Zusammenhang zwischen der Erkenntnis des Ersten und der des Ersterkannten zugunsten eines Vorrangs der zweiten Frage, das Erste ± so wird nun vollends deutlich ± tritt nicht in unsere Erkenntnis als eine gegenståndliche Græûe, sondern als Korrelat der abschlieûenden Gedanken in Form der regulativen Ideen, ohne die der Zusammenhang, der Begrçndung ermæglicht, nicht als vollståndig gedacht werden kann.

II. Wenn die formale Charakteristik der Metaphysik als einer ersten Philosophie, wie sie sich von Aristoteles bis Kant durchhålt, zutrifft, dann ist sie der Ort, in der çber den Anspruch des Wissens als Wissen entschieden wird. Denn wenn Wissen sich von Meinung dadurch unterscheidet, daû der mit Wissen verbundene Wahrheitsanspruch gerechtfertigt ist und Wissen in der Idealform von Wissenschaft ± wie Aristoteles in den Zweiten Analytiken deutlich macht 12 ± eine Rechtfertigung fordert, die sich nicht auf die Angabe beliebiger Grçnde begrenzen låût, sondern auf eine vollståndige Begrçndung hinauslåuft, dann gehært es zum Projekt eines Wissens in Form von Wissenschaft, den Anspruch des Wissens als Wissen nicht unreflektiert zu lassen, sondern in einer ersten Philosophie zu thematisieren. Denn Wissen, wie es in den theoretischen Wissenschaften als Antwort auf die Fragen begegnet, was der Fall ist und warum es der Vgl. dazu und zum Folgenden L. Honnefelder, Scientia transcendens (Anm. 1), 403±486. 12 Vgl. Aristoteles, An. Post. I 2, 71b17±22; Eth. Nic. VI 3, 1139b 31±35. 11

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Fall ist, ist Wissen mit dem Anspruch auf Wahrheit. Folgt man Aristoteles und Kant, dann ist dieser Anspruch im Sinn einer nichtepistemischen Wahrheit zu verstehen, d. h. im Sinn eines Anspruchs, daû es sich so verhålt, wie es behauptet wird, und zwar unabhångig von unserem Wissen. Und beide halten diesen Anspruch aufrecht, ohne ihn mit der Behauptung zu verbinden, wir verfçgten çber einen Gottesgesichtspunkt. So ordnet Kant auch dem Begriff eines ens realissimum objektive Realitåt zu, nicht aufgrund gegenståndlicher Erkenntnis, deren Pråtendierung er als çberschwenglich ablehnt, sondern aufgrund des im begrçndeten Wissen selbst gelegenen Anspruchs. 13 Nicht ohne Grund hat sich deshalb in der modernen Wissenschaftstheorie die Position einer fundamentalen Metaphysikkritik, wie sie etwa der frçhe Carnap formulierte 14, nicht halten lassen, und einer Debatte çber die Art des Realismus Platz gemacht, der mit dem Wahrheitsanspruch wissenschaftlichen Wissens verbunden ist. An dieser Debatte sind fçr unsere Frage nicht nur die Grçnde und Gegengrçnde interessant, sondern die grundsåtzliche Alternative, auf die sie hinauslaufen. Folgt man der Kritik, wie sie paradigmatisch M. Dummett vorgetragen hat 15 , dann muû eine realistische Interpretation des Wahrheitsanspruchs unserer weltkonstatierenden wissenschaftlichen Såtze aus erkenntnistheoretischen und sprachphilosophischen Grçnden scheitern: Denn eine Metaphysik vom Gottesgesichtspunkt, wie sie in dieser Interpretation unterstellt wird, ist nach Dummett widersprçchlich und zirkulår (a). Von den genannten Såtzen kann nicht gezeigt werden, daû sie eine Referenz in Form von entsprechenden sprachunabhångigen Sachverhalten besitzen (b). Und unsere Sprachverwendung zeigt, daû wir auch Såtze mit einem unentscheidbaren Wahrheitsanspruch verstehen kænnen (c). Vgl. KrV, B 693/A 665 (AA III, 440); vgl. dazu Honnefelder, Scientia transcendens (Anm. 1), 450 ff. 14 Vgl. R. Carnap, Ûberwindung der Metaphysik durch die logische Analyse der Sprache, in: Erkenntnis 2 (1931±1932), 219±241. 15 M. Dummett, Realism, in: ders., Truth and Other Enigmas, Cambridge/Mass. 1978, 146±165; ders., The Philosophical Basis of Intuitionistic Logic, in: Truth and Other Enigmas, 215±247. Vgl. hierzu und zum folgenden ausfçhrlicher L. Honnefelder, Die Frage nach der Realitåt und die Mæglichkeit von Metaphysik, in: H. Lenk/H. Poser (Hrsg.), Neue Realitåten ± Herausforderung der Philosophie. XVI. Deutscher Kongreû fçr Philosophie, Berlin, 20. ± 24. September 1993, Berlin 1993, 405±423. 13

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Wie die Diskussion gezeigt hat, ist diese Kritik ihrerseits erfolgreich kritisierbar: Der unterstellte starke Realismus und der mit ihm verbundene Gottesgesichtspunkt ergibt sich nåmlich nur, wenn man, wie Dummett dies tut, (1.) mit Wittgenstein annimmt, daû die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks allein durch die Analyse des Gebrauchs aufzuklåren ist, damit (2.) die These Freges verbindet, der Satz sei der Tråger der Bedeutung und nicht dessen unverbundene Teile, und (3.) diese beiden Annahmen mit der Forderung verbindet, alle deklarativen Såtze mçûten entscheidbar wahr oder falsch sein. 16 Teilt man diese starken Annahmen nicht, entfållt auch die behauptete Widersprçchlichkeit. Auch die Zirkularitåt, mit der bei der Einfçhrung der tarkischen Konvention der Wahrheit als Korrespondenz das Wahrheitsprådikat bereits vorausgesetzt wird, ist ebenso unvermeidbar wie unproblematisch. Und schlieûlich kann gezeigt werden, daû Wahrheitswertlçcken einer realistischen Deutung unserer deklarativen Sprache keineswegs entgegenstehen. 17 Vor allem aber erweist sich die als Alternative angebotene Position eines Antirealismus als problematisch. Kann man tatsåchlich die begrçndete Behauptbarkeit einer Aussage, wie sie Dummett an die Stelle der Wahrheit setzt, ihrerseits ohne Bezug auf die Behauptung der Wahrheit explizieren und kann unter dieser Bedingung die von der Wissenschaft in Anspruch genommene Differenz zwischen dem Wahren und dem fçr wahr Gehaltenen noch angemessen expliziert werden? Fçr H. Putnam ist die Notwendigkeit, an dieser Differenz festzuhalten, der Grund, um zwar einen externen Realismus abzulehnen, an einem internen Realismus aber festzuhalten. Die von den deklarativen Såtzen der Wissenschaft geltende Wahrheit ist fçr ihn die »Eigenschaft einer Aussage, die sie nicht verlieren kann«. 18 Des16 Vgl. dazu L. Ræska-Hardy, Realismus und das bedeutungstheoretische Argument von Michael Dummett, in: Forum fçr Philosophie Bad Homburg (Hrsg.), Realismus und Antirealismus, Frankfurt/M. 1992, 149±195; W. R. Kæhler, Realismus, Antirealismus und Zweiwertigkeit, in: Realismus und Antirealismus, 196±223. 17 Vgl. dazu W. Kçnne, Bolzanos blçhender Baum. Plådoyer fçr eine nichtepistemische Wahrheitsauffassung, in: Realismus und Antirealismus (Anm. 16), 224±244; W. Franzen, »Vernunft nach Menschenmaû« ± Hilary Putnams neue Philosophie als mittlerer Weg zwischen Absolutheitsdenken und Relativismus, in: Philosophische Rundschau 32 (1985), 161±197; F. v. Kutschera, Bemerkungen zur gegenwårtigen Realismus-Diskussion, in: W. L. Gombocz u. a. (Hrsg.),Traditionen und Perspektiven der analytischen Philosophie, FS R. Haller, 491±521. 18 H. Putnam, Vernunft, Wahrheit und Geschichte, Frankfurt/M. 1982, 82 f.

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halb kann Wahrheit nicht schlechthin, sondern nur unter »erkenntnismåûig idealen Bedingungen« mit der Rechtfertigbarkeit identisch sein. 19 Um eine Metaphysik vom Gottesgesichtspunkt zu vermeiden, hålt Putnam jedoch daran fest, daû sich auch Rechtfertigbarkeit unter idealen epistemischen Bedingungen als Rechtfertigbarkeit fçr uns zeigen muû. Das aber schlieût die Konsequenz ein, daû auch eine unter idealen epistemischen Bedingungen gerechtfertigte Aussage falsch sein kann. Wie aber soll dann Wahrheit die Eigenschaft einer Aussage sein, »die sie nicht verlieren kann«? Angesichts der Mæglichkeit eines solchen Einwands scheint es konsequenter zu sein, wie W. V. O. Quine den im Wahrheitsanspruch gelegenen Realitåtsbezug von Satz und Wort abzulæsen und auf Theorien als ganze zu beziehen. 20 Gewinnen aber Zeichen ihre Bedeutung allererst im Rahmen einer Theorie und sind Theorien unterschiedlich konstruierbar und nicht ineinander çbersetzbar, dann ist die Festlegung der Entitåten, »auf die die gebundenen Variablen referieren kænnen mçssen, damit die Aussagen der Theorie wahr sind« 21 eine Sache der Wahl. Ontologie reduziert sich auf die Aufzåhlung derjenigen Entitåten von allen, auf die die jeweilige Theorie Bezug nimmt; die Frage nach der Realitåt, die die Zugehærigkeit zur Allheit begrçndet, d. h. nach der Realitåt als Realitåt, wird ± wie Quine einråumt ± »unerforschlich« 22 . Was aus der Reduktion der ontologischen Frage auf die interne Existenz folgt, hat Carnap deutlich ausgesprochen. Wenn »wirklich sein im wissenschaftlichen Sinn bedeutet, ein Element eines Systems zu sein [¼], kann dieser Begriff nicht sinnvoll auf das System selbst angewendet werden«. 23 Aus der ehedem theoretischen Frage nach dem Kriterium der externen Exi-

H. Putnam, Realism and Reason, Philosophical Papers Bd. 3, Cambridge/Mass. 1983, 167. 20 W. V. O. Quine, Zwei Dogmen des Empirismus, in: ders., Von einem logischen Standpunkt, Frankfurt/M. 1979, 27±50, 46. Vgl. G. Læhrer, Semantik, Ontologie und Metaphorik. Ûberlegungen im Ausgang von Carnap und Quine, in: Philosophisches Jahrbuch 102 (1995), 293±310, 301. 21 Quine, Was es gibt, in: Von einem logischen Standpunkt (Anm. 20), 9±25, 20. 22 Quine, Ontologische Relativitåt und andere Schriften, Stuttgart 1975, 41±96, 74. 23 R. Carnap, Empirismus, Semantik und Ontologie, in: ders., Bedeutung und Notwendigkeit. Eine Studie zur Semantik und modalen Logik, Wien ± New York 1972, 257±278, 260; vgl. dazu nåher L. B. Puntel, Metaphysikkritik bei Carnap und Heidegger: Analyse, Vergleich, Kritik, in: Logos. Zeitschrift fçr systematische Philosophie N.F. 4 (1997), 294±332. 19

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stenz wird »eine Sache der praktischen Entscheidung betreffs der Struktur unserer Sprache«. 24 Was bleibt, ist ein Pragmatismus, der nur noch ± wie bei Quine ± naturalistisch erklårt oder ± wie bei Rorty 25 ± kulturrelativistisch ausgelegt werden kann ± eine Konsequenz, die sich auch anhand von Theoremen der an Nietzsche und den spåten Heidegger anknçpfenden franzæsischen Postmoderne aufzeigen lieûe. Wåre die Kritik, die zu dem skizzierten Pragmatismus fçhrt, zwingend, mçûte zu Recht von einem Ende der Metaphysik gesprochen werden, jedenfalls derjenigen Metaphysik, wie sie Aristoteles und Kant verstanden haben. Gerade im Licht der Fragestellung, wie sie von beiden Autoren unter dem Titel der Metaphysik pråzisiert worden ist, zeigt sich jedoch, daû die Kritik selbst noch einmal voraussetzt, was sie bestreitet und damit das Kritisierte nicht zum Verschwinden bringt, sondern vielmehr in ihr Recht setzt. Da es kein gemeinsames, den verschiedenen Theorien gegençber neutrales Schema der Zeichenverwendung gibt, so die erwåhnte These Quines, 26 kann die Frage nach der Realitåt als Realitåt und damit die Frage nach der Welt im ganzen nicht sinnvoll gestellt werden. Nun setzen aber die generellen assertorischen Såtze, die allein Quine zulassen mæchte, auch im Zusammenhang von Theorien zu ihrer Bewahrheitung singulåre prådikative Såtze voraus. Sind sie als eine Behauptung zu verstehen, die »dann wahr ist, wenn der generelle Terminus auf den Gegenstand zutrifft, fçr den der singulåre Terminus steht« 27 , dann gehært zum Wahrheitsbezug notwendig ein Gegenstandsbezug. In unseren Wahrnehmungssituationen kann ± deiktisch, durch Namen oder durch Kennzeichnungen ± aber nur das identifiziert werden, was durch ein Sortalprådikat charakterisiert und in bezug auf Raum und Zeit lokalisiert werden kann. Damit ist es aber mæglich, Realitåt als Realitåt formal zu bestimmen: Sie kommt demjenigen zu, das als ein bestimmtes Was von anderen Washeiten abgegrenzt und raumzeitlich anwesend sein, d. h. existieren kann. Bemerkenswert ist nun, daû dieser in den singulåren prådikativen Ebda. R. Rorty, Putnam and the Relativist Menace, in: The Journal of Philosophy 90 (1993), 443±461. 26 Vgl. Anm. 20. 27 E. Tugendhat/U. Wolf, Logisch-semantische Propådeutik, Stuttgart 1983, 146. ± Vgl. dazu und zum folgenden L. Honnefelder, ­Einheit der Realitåt¬ (Anm. 6). 24 25

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Såtzen vorliegende sprachliche Realitåtsbezug sowohl einen Selbstals auch einen Weltbezug impliziert. Sprachliche Identifikation ist nur mæglich auf das in der ersten Person Singular zum Ausdruck kommende Selbst, sprachliche Charakterisierung nur in der Weise, daû eines von allen anderen abgegrenzt und damit auf die Gesamtheit von allen Bezug genommen wird. Die Mittelbarkeit, in der beide Bezugsgræûen allererst in Erscheinung treten, macht freilich deutlich, daû wir es hier mit anderen als mit gegenståndlichen Begriffen zu tun haben. Øhnliches ergibt sich, wenn wir Carnaps Unterscheidung zwischen interner und externer Existenz folgen 28 , zugleich aber an der ± von Carnap selbst betonten ± Forderung festhalten, daû die Annahme oder Verwerfung eines Sprachsystems, dem gemåû die interne Existenz festgelegt wird, nicht beliebig erfolgen kann, sondern einer Rechtfertigung bedarf. Ohne Zweifel kænnen die Rechtfertigungskriterien, die innerhalb des gewåhlten Sprachsystems gelten und die Reichweite der internen Existenz bestimmen, nicht noch einmal auf die Wahl dieses Sprachsystems und die Rechtfertigung der externen Existenz angewandt werden. Was Wittgenstein fçr das Regelfolgen festgestellt hat, gilt auch fçr das Regelsetzen. 29 Doch folgt daraus keineswegs eine Regellosigkeit der Wahl der internen Existenz bzw. eine Regellosigkeit in der Rechtfertigung der Kriterien der externen Existenz, sondern nur, daû die Regeln bzw. Kriterien anderer Art sein mçssen als die der internen Existenz. Eben dies aber ist die These der Metaphysik als einer ersten Philosophie. Sie entzieht die Ontologie dem Dezisionismus und macht ihre Wahl der kritischen Befragung zugånglich. Wie Aristoteles und Kant deutlich machen, kann dies fçr eine Metaphysik, die sich nicht auf dem Gottesgesichtspunkt weiû, nur so geschehen, daû zugleich die Grenze unseres Wissens gewahrt wird. Der Wahrheitsanspruch deklarativer Såtze ist deshalb nichtepistemisch zu verstehen, aber epistemisch einzulæsen, die Frage nach dem Ganzen zu wahren, aber nur im Modus einer Grenzbetrachtung. Oder mit Kant zu sprechen: Dem Interesse der Vernunft ist Rechnung zu tragen, doch kann dies

R. Carnap, Empirismus, Semantik und Ontologie (Anm. 23), 259. L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 201, in: Schriften 1, Frankfurt/M. 1969, 382. Vgl. dazu Læhrer, Semantik, Ontologie und Metaphorik (Anm. 20), 302±308.

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nur geschehen, indem dem Hang der Vernunft Grenzen gezogen werden. 30

III. Damit wird deutlich, inwiefern sich jede Vergewisserung des religiæsen Glaubens, die die Form der Wissenschaft beansprucht, auf die Metaphysik als erste Philosophie beziehen muû, und zwar gerade dann, wenn sie das Eigene dieses Glaubens wahren will. Gewiû ist ± wenn wir uns an die groûen Offenbarungsreligionen halten ± Glauben etwas anderes als Wissen. Doch kann diese Differenz vom Anspruch der Rechtfertigung nur dispensieren, wenn mit ihr die starke These verbunden wird, daû die der Theologie vorgegebenen Såtze der Offenbarung keine deklarativen Såtze enthalten bzw. des kognitiven Charakters entbehren. 31 Dies ist unter Berufung auf den performativen Charakter der auf Heil bezogenen Offenbarungsrede immer wieder geltend gemacht worden, im Blick auf den performativ geåuûerten Anspruch aber kaum zu halten. Denn was der Einschrånkung der Offenbarung auf eine nichtkognitive Intention entgegensteht, ist gerade der von ihr proklamierte Gott. Denn ein Gott, von dem verkçndet wird, daû er die universale Wahrheit ist und das Heil aller Menschen will, muû von jedermann verstehbar und als Wahrheit frei annehmbar sein. Glaube, in dem die Wahrheit als Wahrheit angenommen wird, kann nicht blind erfolgen, sondern muû vor der Vernunft verantwortbar sein. Nur so kann die Forderung des 1. Petrusbriefes 3,15 eingelæst werden, die vom Glaubenden verlangt, daû er çber diesen Glauben vor jedermann Rechenschaft ablegen mæge. Und wenn der Kern dieses Glaubens das Bekenntnis zu dem einen, einzigen und universalen Gott ist, der zugleich Ursprung der Vgl. KrV, B 825/A 797 (AA III, 518). Vgl. dazu und zum folgenden ausfçhrlicher L. Honnefelder, Die Wissenschaftlichkeit der Theologie als Problem der Philosophie, in: W. Oelmçller (Hrsg.), Philosophie und Wissenschaft, Paderborn 1988, 127±137, bes. 128±133 (= Kolloquien zur Gegenwartsphilosophie 11; Uni-Taschenbçcher 1513); ders., Wissenschaftliche Rationalitåt und Theologie, in: L. Scheffczyk (Hrsg.), Rationalitåt. Ihre Entwicklung und ihre Grenzen, Freiburg ± Mçnchen 1989, 289±314, bes. 290±293 (= Grenzfragen 16). ± Auf die Deutung A. Plantingas, religiæse Ûberzeugungen seien basale Meinungen im Sinn von manifestion beliefs kann hier nicht nåher eingegangen werden; vgl. zu der diesbezçglichen Diskussion den Ûberblick bei W. Læffler, Bemerkungen zur zeitgenæssischen »Christlichen Philosophie« in Nordamerika, in: Theologie und Philosophie 73 (1998), 405±414.

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Schæpfung und Urheber der Offenbarung ist, dann muû seine Offenbarung nicht nur im Medium von Sprache und Vernunft, vernehmbar sein, sondern auch gegen die konkurrierenden im Namen der Vernunft vorgetragenen Weltdeutungen vor der Vernunft zur Geltung gebracht werden kænnen. Es ist daher der eigene Anspruch, der die Vertreter der christlichen Botschaft unter den Bedingungen einer philosophisch bzw. wissenschaftlich sich auslegenden Vernunft dazu zwingt, die Rechenschaftsablage im Medium der Wissenschaft zu vollziehen. Ûbersetzung im Medium der Wissenschaft erfordert die Reflexion zwischen dem vorgegebenen und nie adåquat Auszusagenden und der je begrenzten Aussage, also Auslegung; Rechtfertigung die Einråumung der Mæglichkeit der Wahrheit anderer Aussagen, also Prçfung und Begrçndung. Nur so kann das Ureigene zum Verståndnis und die proklamierte Wahrheit zur Geltung gebracht werden. 32 Wie wenig Theologie, die solches als Wissenschaft zu tun versucht, ohne den Bezug auf Metaphysik als erste Disziplin auskommt, machen die Minimalforderungen von Wissenschaftlichkeit deutlich, die H. Scholz in seiner Kontroverse mit K. Barth çber die Wissenschaftlichkeit der Theologie reklamiert hat 33 , nåmlich das Satz-, das Kohårenz- und das Kontrollierbarkeitspostulat: Denn wenn die Såtze der Theologie Behauptungen çber Wirkliches implizieren und es zu solchen Behauptungen nicht nur gehært, daû das Behauptete von der Behauptung unabhångig ist, sondern zur Ûberprçfung des Wahrheitsanspruchs der Behauptung auch unabhångig von dieser Behauptung zugånglich sein muû, dann muû die Mæglichkeit der geglaubten Wahrheit der betreffenden Såtze durch Bezug auf eine von ihnen unabhångige Wahrheit geprçft werden kænnen. Ausschlaggebend fçr diese Prçfbarkeit aber sind unter den kognitiven theologischen Såtzen die von der Theologie als zentral beVgl. J. Simon, Zur philosophischen Ortsbestimmung theologischer Wissenschaft von ihrem Gegenstand her, in: Theologische Quartalschrift 157 (1977), 204±207; ders., Zum wissenschaftsphilosophischen Ort der Theologie, in: Zeitschrift fçr Theologie und Kirche 77 (1980), 435±452. ± Zur Frage nach der Art des Wahrheitsbegriffs in Philosophie und Theologie vgl. auch L. B. Puntel, Der Wahrheitsbegriff in Philosophie und Theologie, in: Zeitschrift fçr Theologie und Kirche, Beiheft 9 (1995), 16±45. 33 Vgl. hierzu K. Barth, Kirche und Theologie, in: G. Sauter (Hrsg.), Theologie als Wissenschaft. Aufsåtze und Thesen, Mçnchen 1971, 152±175; H. Scholz, Wie ist eine evangelische Theologie als Wissenschaft mæglich?, in: Theologie als Wissenschaft, 221±264; ders., Was ist unter einer theologischen Aussage zu verstehen?, in: Theologie als Wissenschaft, 265±278. 32

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trachteten Såtze çber Gott. 34 Sind diese Såtze nicht als Behauptungen çber Gegenstånde unserer Welterfahrung zu verstehen, dann kann die Mæglichkeit ihrer Wahrheit nur aufgezeigt werden, wenn sie sich auf Såtze beziehen lassen, die sich ihrerseits als Implikationen von Såtzen erweisen, die unter Rekurs auf Erfahrung prçfbar sind. Såtze solcher Art aber sind die Såtze, in der die Metaphysik als erste Philosophie vom Ganzen und seinem Ursprung spricht. Damit wird deutlich, warum sich Theologie auf Metaphysik beziehen muû: Will sie die Rede von Gott dem Verdacht der Leere entziehen und von mythologischer Rede unterscheiden und den in dieser Rede sich åuûernden Anspruch auf Totalitåt gegen die Usurpation durch das Totalitåre geltend machen, muû sie auf jene Dimension Bezug nehmen, deren Intention keine andere ist, als die Frage nach dem Ganzen und seinem ersten Grund kritisch zu thematisieren, nåmlich die einer Metaphysik als erster Philosophie. Wenn es die Aufgabe dieser Philosophie ist, die Kriterien zu formulieren, denen sich jede Antwort auf die Frage nach dem Ganzen und seinem ersten Grund aussetzen muû, die nicht am Verdacht der Vergegenståndlichung scheitern will, dann kann Theologie, die auf der Differenz ihres Gegenstandes besteht, des Bezugs auf diese Philosophie nicht entbehren. Mit Recht hat man deshalb gesagt, daû die Gottesbeweise nicht primår oder nicht allein Beweise fçr die Existenz des Gegenstandes der Theologie sind, sondern Kriterien, denen sie ihre Rede von diesem Gegenstand kritisch aussetzen muû, soll sie dem doppelten Anspruch kritischer Rechtfertigung gerecht werden.

IV. Dies alles betrifft die kognitiven Implikate der Glaubenssåtze und ihre wissenschaftliche Vergewisserung. Glaube selbst aber ist mehr als seine kognitiven Gehalte. Er ist seinem Selbstverståndnis nach ein Lebensvollzug, nåmlich eine durch die Zusage Gottes ermæglichte und den ganzen Menschen in Anspruch nehmende spezifische Praxis, weshalb nicht wenige der mittelalterlichen Denker sie angesichts der aristotelischen Wissenschaftslehre nicht als theoretische, sondern als Vgl. L. Honnefelder, Die Wissenschaftlichkeit der Theologie als Problem der Philosophie (Anm. 31), 131; W. Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie, Frankfurt/M. 1973, 329±348. 34

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praktische Wissenschaft (scientia practica) begriffen haben. 35 Doch ist es gerade der performative Charakter des Glaubens, der seinen Vollzug auf die Dimension der Metaphysik verwiesen sein låût. Als theoria ist Metaphysik nach aristotelischem Verståndnis ja selbst noch einmal praxis, nåmlich Vollzug jener Lebensweise, die in emphatischer Weise den vernçnftigen Selbst- und Weltbezug hervortreten låût, der in der Lebensweise des bçrgerlichen Lebens als das spezifische Moment seiner Vernçnftigkeit hervortritt. Metaphysik ist ± um Kants Charakterisierung der Philosophie aufzugreifen 36 ± Weisheit auf dem Weg der Wissenschaft, wissender Selbst- und Weltbezug; Theorie die Weise, in der sich die Vernunft zu sich selbst entschlieût. 37 D. Henrich hat diese Weise die »Grundverfassung des bewuûten Lebens« genannt und an jenem Verståndnis der Metaphysik als Weisheit angeknçpft, in dem Weisheit als die Form eines Lebens begriffen wird, das seine »Form ganz aus der Einsicht in die Wahrheit einer Lebensdeutung gewonnen hat«. 38 Aus dieser Lebensform ± so die These Henrichs ± gewinnt die Bewuûtseinslage der Moderne ihre Charakteristika: sich gegençber allen Vorgaben reflektiert zu verhalten, um seine Stellung unter allem, was wirklich ist, zu wissen und sich frei zu dem zu verhalten, was fçr ein Leben verbindlich ist, das nicht geschieht, sondern zu leben ist. 39 Es ist diese Orientierung des Lebens an der Wahrheit, die in der Tat den homo sapiens vom homo faber unterscheidet und die seine Freiheit begrçndet. »Keinen Grund zu wissen« ± so heiût es bei H. Krings ±, »bedeutet einen Entzug von Freiheit«. 40 M. Theunissen spricht von der Selbstverwirklichung durch vernçnftige Allgemeinheit. 41 Wissenschaft, die sich als bloûes Resultat pragmatischer Wahl begreift, hat demgegençber ihr spezifisches Verhåltnis zur Selbstver35 Vgl. etwa Duns Scotus, Ord. prol. p. 5 q. 1±2 n. 314; ed. Vat. I, 207±208; vgl. dazu L. Honnefelder, Ens inquantum ens (Anm. 10), 22±29. 36 Vgl. KrV, B 878/A 850 (AA III, 549). 37 Vgl. L. Honnefelder, Weisheit durch den Weg der Wissenschaft. Theologie und Philosophie bei Augustinus und Thomas von Aquin, in: W. Oelmçller (Hrsg.), Philosophie und Weisheit, Paderborn 1989, 74. 38 D. Henrich, Fluchtlinien. Philosophische Essays, Frankfurt/M. 1982, 13. 39 Vgl. ebda, 12. 40 H. Krings, Vom Sinn der Metaphysik oder çber den Unterschied von Ursache und Begrçndung, in: Philosophisches Jahrbuch 92 (1985), 98±109, 99. 41 M. Theunissen, Selbstverwirklichung und Allgemeinheit. Zur Kritik des gegenwårtigen Bewuûtseins, Berlin ± New York 1982, 45 ff.

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ståndigung des Menschen aufgegeben und kann ± wie Feyerabend in bezug auf ein solches Wissenschaftsverståndnis zu Recht festgestellt hat 42 ± von beliebigen anderen Gestalten des Weltverhåltnisses nicht unterschieden werden. »Was die Menschen als Rechtfertigung gelten lassen ± zeigt, wie sie denken und leben« 43 . Nun mægen vielleicht die Wissenschaften die Reflexion auf die Art des Wahrheitsanspruches, die ihre Såtze erheben, sich selbst çberlassen kænnen; die Vergewisserung eines religiæsen Glaubens, der sich als obsequium rationabile 44, als freie Antwort auf einen universalen Wahrheitsanspruch versteht, kann dies unter den Bedingungen eines reflektierten Selbstverhåltnisse nicht. Die unaufgebbare Beziehung zur Selbstverståndigung des Menschen, die den Glauben ± zumindest der Hochreligionen ± zu allen Formen natçrlichen Weltverhaltens Distanz einnehmen låût, bringt ihn nicht nur in eine Nachbarschaft zur Philosophie, sondern låût nach dem Gesagten gar nichts anderes zu, als unter den Bedingungen entwickelter Philosophie von deren kritischem Instrumentarium Gebrauch zu machen. 45 Nicht ohne Grund macht sich daher das frçhe Christentum nach Eintritt in die philosophisch geprågte Kultur des Hellenismus zu allererst die philosophische Kritik der Volksreligion zu eigen, um die Differenz des eigenen Anspruchs deutlich zu machen. Wenn die skizzierten Verhåltnisse zutreffen, ist es primår die kritische Funktion der ersten Philosophie, die die christliche Lehre von der Metaphysik Gebrauch machen låût. 46 Nicht »Grundfeste« der Religion ± und wie wir ergånzen kænnen: der Wissenschaft ± nennt sie daher Kant am Ende der Kritik der reinen Vernunft, sondern »Schutzwehr«; denn es ist die in ihr begegnende »vællig einleuchtende Selbsterkenntnis, die Vgl. P. Feyerabend, Wider den Methodenzwang. Skizze einer anarchistischen Erkenntnistheorie, Frankfurt/M. 1976. 43 L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 325, in: Schriften 1, Frankfurt/M. 1969, 410. 44 Vgl. die Vulgata-Fassung von Ræm 12, 1. 45 Vgl. dazu und zum Folgenden L. Honnefelder, Christliche Theologie als »wahre« Philosophie, in: C. Colpe/L. Honnefelder/M. Lutz-Bachmann (Hrsg.), Spåtantike und Christentum. Beitråge zur Religions- und Geistesgeschichte der griechisch-ræmischen Kultur und Zivilisation der Kaiserzeit, Berlin 1992, 55±75, bes. 61±64; W. Pannenberg, Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs als dogmatisches Problem der frçhchristlichen Theologie, in: ders., Grundfragen der systematischen Theologie, Gættingen 2 1971, 296±346. 46 Vgl. ebda. 42

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Verwçstungen abhålt, welche eine gesetzlose spekulative Vernunft sonst ganz unfehlbar, in Moral sowohl als Religion anrichten wçrde«. 47

V. Mit all dem, so lieûe sich einwenden, ist aber bloû die Notwendigkeit der Metaphysik als einer ersten Philosophie fçr die Vergewisserung von Wissen und Glauben unter den Bedingungen eines reflektierten Bewuûtseins dargetan, nicht aber auch deren Mæglichkeit. Doch wenn sich die Notwendigkeit aus der Aufgabe der Kritik ergibt, deren Inanspruchnahme Wissen von Meinung und Glauben von beliebigen Annahmen unterscheidet, dann ist mit der Mæglichkeit der Kritik auch die der Metaphysik als einer ersten Philosophie vorgezeichnet, und sei es ± wie in der Moralphilosophie ± im Modus der offenen Frage. Freilich heiût dies, daû Metaphysik allererst Kritik der Metaphysik ist, nåmlich jener ± wie Kant ihn nennt ± »regressive« Teil der Metaphysik, die er vom »progressiven« Teil unterscheidet. 48 Er meint damit die Freilegung der Grundbegriffe und Grundannahmen, die in einer Theorie bezçglich des Ganzen und seines Ursprungs angenommen oder aus der »auûer- oder vorwissenschaftlichen Weltsicht« 49 vorausgesetzt werden im Unterschied zum progressiven Teil, der die zur abschlieûenden Begrçndung jeweils entwickelten Hypothesen enthålt. Gewiû ist die regressive Metaphysik eine metafisica povera 50 , doch nennt sie Kant mit Recht die »Metaphysik von der Metaphysik«. 51 Denn sie ist es, die die Frage nach der Totalitåt offenhålt und die eben damit die Grenzen sichtbar macht. Gegen das, was Kant Dogmatismus und Indifferentismus nennt, 52 also die Kritiklosigkeit der Berufung auf einen privilegierten Erkenntniszugang und KrV, B 877/A 849 (AA III, 549). KrV, B 438/A 411 (AA III, 284). 49 H. Poser, Metaphysik und die Einheit der Wissenschaften, in: W. Oelmçller (Hrsg.), Metaphysik heute?, Paderborn 1987, 202±242, 207. 50 Zu diesem Begriff vgl. W. Hogrebe, Metaphysik und Mantik. Die Deutungsnatur des Menschen (Syst me orphique de Ina), Frankfurt/M. 1992, 21±24. 51 I. Kant, An Marcus Herz, nach dem 11. Mai 1781, AA X, 252. 52 Vgl. I. Kant, KrV, B XXXV (AA III, 21); B 884/A 856 (AA III, 552); A 338±339 (AA IV, 243). 47 48

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die Beliebigkeit eines pragmatisch bestimmten Konventionalismus, ist der Rekurs auf das Formale der einzige Weg, Totalitåtsbezug und Grenzbewuûtsein zugleich zu wahren. Und es versteht sich von selbst, daû eine so verstandene Metaphysik von unterschiedlichen Ausgangspunkten aus mæglich ist und stets unabgeschlossen, fragmentarisch und fallibel bleibt. In diesem Sinn hat Platon der Metaphysik die Erkenntnis der Ideen zugeordnet, aber fçr ihren Zugang nicht den Gottesgesichtspunkt, sondern die Dialektik in Form der Analyse unserer sprachlichen Unterscheidungen in Anspruch genommen. In diesem Sinn hat auch Aristoteles die Metaphysik mit Hilfe der Wissenschaftstheorie der Zweiten Analytiken als erste Philosophie konzipiert, sie aber zugleich als die »gesuchte Wissenschaft« 53 bezeichnet und als resolutive Kritik unserer Sprach- und Erkenntnisformen durchgefçhrt. In diesem Sinn schlieûlich haben die Theologen des 13./14. Jahrhunderts die Metaphysik wiederentdeckt 54 und sie als kritisches Instrument gegen den Nezessitarismus der griechisch-arabischen Gestalt der Metaphysik und als Regulativ ihres eigenen Sprechens von Gott verwendet. Nichts belegt dies so sehr wie die Stelle der Gottesbeweise: Bei Thomas von Aquin erscheinen sie kurz und wie im Zitat zu Beginn der Summa Theologiae, um auf die Offenbarungsunabhångigkeit des Referenzobjekts der theologischen Rede von Gott hinzuweisen, bei Johannes Duns Scotus ist der Beweis das Resultat einer Explikation unseres transkategorialen Begreifens von Welt, die sich dem Anspruch der Vollståndigkeit aussetzt. Der Gottesbeweis ist in dieser Tradition der Metaphysik weder praeambula, die zum Glauben fçhrt, noch Garantie der Triftigkeit von Erkenntnis, sondern kritisches Instrument, das die Frage nach dem Ganzen offenhålt und die Mæglichkeit einer Rede vom Ersten kritisch sichert. Metaphysik ist ± wie spåter bei Kant ± »System der Vorsicht und Selbstprçfung« 55 , und zwar eine solche, die von der der Theologie aufgegebenen Sache gefordert wird. Deshalb dient sie dem »Orientierungsbedçrfnis« nur, sofern sie dem »Erkenntnisbedçrfnis« dient. 56 Dementsprechend ist ihr stårkstes Argument der Nachweis, daû jede prinzipielle Bestreitung ihrer Mæglichkeit selbstwidersprçchlich ist, da sie zwangslåufig 53 54 55 56

Vgl. Met. I 2, 983a 21; Met. XI 1, 1059b 19 ff. L. Honnefelder, Der zweite Anfang der Metaphysik (Anm. 9). KrV, B 739/A 711 (AA III, 468). H. Poser, Metaphysik und die Einheit der Wissenschaften (Anm. 49), 203.

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Hypothesen hinsichtlich der Grundbegriffe und Grundannahmen von Theorien und Weltsichten enthålt, die selbst den Status einer ± freilich unkritischen ± Metaphysik besitzen. Eine derartige sich als Kritik solcher Metaphysik verstehende Metaphysik ist weit entfernt, sich an die Stelle von Wissenschaft oder Glauben zu setzen. Wollen wir jedoch daran festhalten, die Erweiterung unseres Wissens mit einer gleichzeitigen Prçfung seiner Gçltigkeit zu verbinden und Glauben als einen freien Akt der Zustimmung zu begreifen, werden wir nicht umhin kænnen, die kritische Frage der ersten Philosophie auch in Zukunft als eine oder die zentrale Frage der Philosophie zu betrachten. Eine solche Metaphysik ist, wie Kant in seinen Reflexionen zur Metaphysik vermerkt, »befremdend bitter, weil sie den eitelen Stolz niederschlågt und eingebildet Wissen weg nimmt« 57 ; doch nur von ihr gilt: »Sie macht unsere Besitze sicherer, aber zum Eintrag der eingebildeten«. 58

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I. Kant, Reflexionen zur Metaphysik, § 4284, AA XVII, 495. Ebda.

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Hermeneutische »Phånomenologie der Religion« und das Problem der Vielfalt der Religionen Von Bernhard Casper, Freiburg Br.

Wer heute von »Religionsphånomenologie« spricht, wird dabei zunåchst vor allem die an Chantepie de la Saussaye orientierten und sich als Teil der Religionswissenschaften verstehenden Werke etwa Friedrich Heilers, Gerardus van der Leeuws, Geo Widengrens u. a. vor Augen haben. Der 1992 im 8. Band des Historischen Wærterbuchs der Philosophie erschienene Artikel »Religionsphånomenologie« von Gçnter Lanczkowski kennt »Religionsphånomenologie« nur in dieser Bedeutung 1 ; und åhnlich stellt sich deren Verståndnis in Jacques Waardenburgs Artikel »Religionsphånomenologie« in der TRE von 1997 dar. 2 Das Werk Husserls hingegen und die Frage, ob sich nicht mit den Mitteln der Phånomenologie, die als Methode im philosophischen Kontext vor allem diesen Namen bekommen hat, ein Zugang zu Religion gewinnen lasse, wird in die Ûberlegungen nicht miteinbezogen. Und erst recht werden die Zugånge, die etwa Heidegger zu dem Heiligen zu gewinnen suchte, ausgeblendet; wie denn konsequenterweise auch die Zugånge, die in der franzæsischen Phånomenologie in den letzten 50 Jahren zu Religion gesucht wurden, also etwa im Oeuvre von Levinas, Ricoeur, Jean Greisch, Jean-Luc Marion oder auch Michel Henry. Es lohnt sich aber, so scheint mir, gerade angesichts eines durch unsere geschichtliche Situation erzwungenen neuen Fragens nach Religion diesem ganz offenbar vernachlåssigten Problem nachzugehen, wie denn in jener philosophischen Phånomenologie, die mit Husserl beginnt, das Urphånomen des Religiæsen sich zeige ± oder nicht zeige ± ; um dann in einem zweiten Schritt auch danach zu fragen, wie sich von hier aus, noch weit vor aller christlich gesehen sicher notwendigen Theologie der Religionen die Vielfalt der faktiVgl. Historisches Wærterbuch der Philosophie, hrsg. v. J. Ritter und K. Grçnder, Bd. 8, Darmstadt 1992, 747. 2 TRE, Bd. XXVIII, hrsg. v. G. Mçller u. a., Berlin ± New York 1997, 731±749. 1

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schen geschichtlichen Religionen und ihr Verhåltnis zueinander darstellen kænne. Ein weiterer Schritt kænnte darin bestehen, zu fragen, wie sich der so eræffnende philosophische Horizont zu den einzelwissenschaftlich-vergegenståndlichenden Forschungen verhalte, als welches sich die Religionswissenschaften darstellen. Dieser Schritt kann in dem unseren Darlegungen gesteckten Rahmen nicht mehr erærtert werden. Man wird aber davon ausgehen dçrfen, daû sich die philosophisch-phånomenologische Besinnung zu den positiven Einzelwissenschaften åhnlich verhålt, wie dies Heidegger in »Phånomenologie und Theologie« 3 fçr das Verhåltnis von Phånomenologie als philosophischem Fragen und Theologie als positiver Wissenschaft dargelegt hat.

I. Von Husserl zu Levinas a) Husserl Um zu zeigen, was Phånomenologie der Religion auf dem Boden des von Husserl begrçndeten philosophischen Fragens bedeuten kænne, darf zunåchst einmal daran erinnert werden, daû dieses sich als Ursprungsforschung versteht, ± Ursprungsforschung, welche gerade durch die Einklammerung jeder schon bestehenden Setzung zu dem, was sich an sich selbst zeigt, zu gelangen sucht; dies aber derart, daû dieses Vorgehen sich als Korrelationsforschung oder Intentionalitåtsanalyse begreift. Was durch den phånomenologischen Zugang fçr das Denken deutlich wird, ist nichts anderes als das Verhåltnis selbst, in dem es sich schon findet. In die Relation des ego ± cogito ± cogitatum ist deshalb alles, was sich ursprçnglich sehen und zu Bewuûtsein bringen låût, eingeschlossen. Die Bewuûtseinsmonade weiû die Welt. Und dies freilich in der Intersubjektivitåt der Monadengemeinschaft, wie Husserl zu betonen nicht mçde wird. Das ursprçngliche Bewuûtsein muû als transzendentales Bewuûtsein notwendig intersubjektives sein. Transzendentalitåt und Intersubjektivitåt bedingen einander. Fragt man sich, wie in dieser durch die Husserlsche PhånomeM. Heidegger, Phånomenologie und Theologie, Frankfurt/M. 1970. Vgl. im çbrigen auch unten Anm. 53 und den dort gegebenen Verweis auf J. Greisch.

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nologie erschlossenen Helle des Bewuûtseins das religiæse Verhåltnis sich zeigen kænne, so wird deutlich, daû es sich nur in der Bewegung der Vernunft in ihrer Korrelation mit der Wirklichkeit selbst als einer teleologischen Bewegung zeigen kann. »Das Gottesproblem enthålt offenbar das Problem der ­absoluten¬ Vernunft als der teleologischen Quelle aller Vernunft in der Welt, des ­Sinnes¬ der Welt«, so heiût es im § 3 der Krisisschrift 4 . Die Korrelation mit dem Unbedingten zeigt sich als die letzte Konsequenz einer sich als radikale Ursprungsforschung verstehenden Phånomenologie. »Eine autonome Philosophie [¼] kommt notwendig zu einer Teleologie und philosophischen Theologie [¼] ± als inkonfessioneller Weg zu Gott [¼] ±«, wie Husserl in dem Manuskript E III 10 S. 18 schreibt 5 . Und ebenso versteht F I 14 S. 43 »Die Philosophie als Idee, als Korrelat der Gottesidee, als Wissenschaft von der Gottheit und als Wissenschaft von absolut existierendem Sein [¼]« 6 . Phånomenologie ist also nach Husserls eigenem Verståndnis durch sich selbst schon Religionsphånomenologie. Wobei denn der ethische Charakter des durch die phånomenologische Korrelation erschlossenen transzendentalen Seins fçr Husserl durchaus entscheidend ist. Der phånomenologische Zugang zur Wirklichkeit soll zu einem »Menschsein in generativ und sozial verbundenen Menschheiten« fçhren mit dem Ziel, daû die »ganze Menschheit Vernunftmenschheit« sei 7 , ± ein Gedanke, der sich in den Briefen an Ingarden bis zu dem Gedanken der »Selbsterlæsung der Menschheit« steigern kann 8 . Obwohl derart im Sinne Husserls die Phånomenologie in sich selbst qua Teleologie Religionsphånomenologie ist, bleibt es nun aber denkwçrdig, daû sich im Schoûe der phånomenologischen Bewegung im Anschluû an Husserl zunåchst keine ausgearbeitete Religionsphå-

E. Husserl, Die Krisis der europåischen Wissenschaften und die transzendentale Phånomenologie. Eine Einleitung in die phånomenologische Philosophie, hrsg., eingeleitet und mit Registern versehen v. E. Stræker, Hamburg 2 1982, 8. 5 Vgl. dazu A. Diemer, Edmund Husserl. Versuch einer systematischen Darstellung seiner Phånomenologie, Meisenheim 1956, 378, Anm. 11. 6 Ebda. 7 Husserl, Die Krisis der europåischen Wissenschaften, a. a. O., 15. 8 Husserl, Briefe an Roman Ingarden. Mit Erlåuterungen u. Erinnerungen an Husserl, hrsg. v. R. Ingarden, Den Haag 1968, 26. 4

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nomenologie entwickelt hat, ± sieht man einmal von Ansåtzen im Werk Adolf Reinachs und Jan Herings ab. 9 Dies ist andererseits allerdings wiederum nicht verwunderlich, weil die von der Husserlschen Phånomenologie angezielte Autonomie der transzendentalen Subjektivitåt, verstanden als Intersubjektivitåt, zwar auf einen Weg zu der Idee Gottes als einer von Husserl so genannten Polidee fçhrt 10 , keineswegs aber zu faktischer konkreter religiæser Erfahrung. b) Heidegger In der Geschichte der phånomenologischen Bewegung war Heidegger derjenige, der dies schon zu Beginn der 20er Jahre in aller Deutlichkeit bemerkte. Die Vorlesung vom WS 1920/21 »Einleitung in die Phånomenologie der Religion«, die wir seit drei Jahren in ihrer Rekonstruktion aus den Mitschriften kennen, ist dafçr der nachdrçckliche Beleg. Ja es ist sogar so, daû Heideggers Abkehr von einer bloûen reflektierenden Bewuûtseinsphånomenologie und seine Entdeckung der Phånomenologie des endlich sich zeitigenden Daseins hier ihren eigentlichen Sitz im Leben hat. Denn bereits im WS 1919/20 hatte Heidegger dargelegt, daû es »eine der innersten Tendenzen der Phånomenologie« sei, von dem Prozeû »radikal loszukommen«, durch welche die »inneren Erfahrungen des Christentums in die Ausdrucksformen der antiken Wissenschaft gespannt wurden« 11 , d. h. in das Verståndnis von Sein als Anwesenheit und zeitloser Transzendentalitåt. Der Heidegger zu seinem Philosophieren erweckende Satz des Aristoteles »to on pollachos legetai« und der Mitvollzug des Husserlschen Grundsatzes, daû Phånomenologie Korrelationsforschung sei und sich das Sein des Seienden folglich nur in seiner Relationalitåt zeige, fçhren Heidegger zu seiner eigenen Kierkegaard aufnehmenden Entdeckung, daû »Ausgang wie Ziel der Philosophie die faktische Lebenserfahrung« ist 12 . Das Wahrnehmen von Sein in seinem J. Hering, Phnomnologie et philosophie religieuse. Etude sur la thorie de la Connaissance religieuse, Paris 1926; A. Reinach, Såmtliche Werke. Kritische Ausgabe in zwei Bånden, hrsg. v. K. Schuhmann und B. Smith, Mçnchen 1989. 10 Vgl. dazu A. Diemer, Edmund Husserl, a. a. O., 375±376. 11 M. Heidegger, Grundprobleme der Phånomenologie (1919/20), hrsg. v. H.-H. Gander, Frankfurt/M. 1993 (GA 58), 61. 12 Heidegger, Phånomenologie des religiæsen Lebens, hrsg. v. M. Jung/Th. Regehly/ C. Strube, Frankfurt/M. 1995 (GA 60), 15: »Bisher waren die Philosophen bemçht, ge9

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ursprçnglichsten Bedeuten geschieht in der Zeitigung des Daseins. Und diese trågt sich immer zugleich als Zeitigung von Selbstwelt, Mitwelt und Umwelt zu. D. h. die Beziehung zu der Wahrheit erscheint nun nicht mehr bloû als ein kognitives, sondern als ein veritatives Verhåltnis 13. Der Ort der Wahrheit ist letztlich nicht der Satz, »sondern das Dasein« 14 . Husserls Phånomenologie des transzendentalen Bewuûtseins schlågt bei Heidegger um in eine hermeneutische Phånomenologie der Zeitigung des Daseins 15. Dies trågt sich aber, es ist wichtig dies von Anfang an festzuhalten, immer zugleich als In-der-Welt-sein und Dasein mit anderem Dasein zu. »Im Unterschied von Wahrheit çber Vorhandenes ist Wahrheit çber Existierendes Wahrheit fçr Existierendes. Diese Wahrheit besteht nur im Wahr-sein qua Existieren. Und dementsprechend ist auch das Fragen zu fassen: nicht als Nachfragen-çber, sondern als Fragen-fçr, worin schon gefragt wird, wie es mit dem Fragenden bestellt ist« 16 . Auf der ersten Stufe dieser hermeneutischen Phånomenologie, die ihre Ursprçnge, das wurde in den letzten Jahren vollends deutlich, sehr wesentlich gerade in dem religionsphilosophischen Anliegen hat, und die ihren literarischen Hæhepunkt in »Sein und Zeit« erreicht, entwickelt Heidegger nun allerdings trotz der Einleitungsvorlesung von 1920/21 ebenfalls keine eigene Religionsphånomenorade die faktische Lebenserfahrung als selbstverståndliche Nebensåchlichkeit abzutun, obwohl doch aus ihr gerade das Philosophieren entspringt und in einer ± allerdings ganz wesentlichen ± Umkehr wieder in sie zurçckspringt.« Der Anfang dieser Feststellung Heideggers låût Marxens 11. These çber Feuerbach in Erinnerung treten. Der Fortgang nimmt Kierkegaards »Krankheit zum Tode« auf: »[¼] das Geheimnis des Begreifens in der Spekulation ist eben das Nåhen ohne das Ende festzumachen und ohne den Knoten in den Faden zu schlingen, und daher kann sie, oh wunderbar, fortfahren zu nåhen und zu nåhen, d. h. den Faden durchzuziehen« (S. Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode, Dçsseldorf 1954, 92±93). Heidegger spielt auf diesen Satz auch in Sein und Zeit (Tçbingen 15 1979; abgekçrzt: SuZ), 38 und 436 an. 13 Vgl. Heidegger, Einleitung in die Philosophie, hrsg. v. O. Saame/I. Saame-Speidel, Frankfurt/M. 1996 (GA 27), 62 ff. 14 GA 27, 109. Und zwar derart, so darf durchaus mit Hildegard Feick die sich hier findende Klammerbemerkung »oder gar umgekehrt« interpretiert werden, »daû der Wesensort des Daseins die Wahrheit als Unverborgenheit ist«. 15 Nåherhin vgl. dazu F.-W. von Herrmann, Der Begriff der Phånomenologie bei Husserl und Heidegger, Frankfurt/M. 1981; ders., Weg und Methode. Zur hermeneutischen Phånomenologie des seinsgeschichtlichen Denkens, Frankfurt/M. 1990. 16 M. Heidegger, Metaphysische Anfangsgrçnde der Logik im Ausgang von Leibniz, hrsg. v. K. Held, Frankfurt/M. 1978 (GA 26), 239. Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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logie. Wohl aber entwickelt er eine Verhåltnisbestimmung zwischen Phånomenologie und Theologie 17 . Diese Verhåltnisbestimmung begreift die Theologie als positive Wissenschaft, die ihren eigenen Ursprung und damit auch ihre eigene Direktion hat. Die Phånomenologie kann hingegen nur »das formal anzeigende ontologische Korrektiv des ontischen, und zwar vorchristlichen Gehaltes der theologischen Grundbegriffe« sein 18 . Von einer eigenen hermeneutischen Phånomenologie des religiæsen Geschehens kann man meiner Ansicht nach nun allerdings in Heideggers Denken nach der Kehre sprechen ± jenem Denken, das zunåchst in den Hælderlinvortrågen und -vorlesungen zutage trat und das nun in seiner ganzen Differenziertheit in der Nachlaûtrilogie der »Beitråge zur Philosophie. Vom Ereignis« (GA 65) und in den beiden Bånden »Besinnung« (GA 66) und »Die Geschichte des Seyns« (GA 69) zugånglich ist. 19 Denn in diesem seinem spåten Denken, das etwa mit dem Jahre 1936 einsetzte, fragt Heidegger nach der Fundierung der Zeitigung des Daseins. Diese Fundierung aber trågt sich zu im Ereignis. Phånomenologie als Korrelationsforschung geschieht fçr Heidegger als Sich-Einlassen mit dem sich zeitigenden Zirkel von sich selbst in seiner Freiheit aufgegebenem Da-sein und dem Sinn von Sein. In der Sprache des Spåtwerkes: sie geschieht als die Besinnung auf die »Fuge«. In dieser, ± und man darf dabei durchaus auch den musikalischen Sinn von Fuge mithæren ± , kommen der in die Not der Seinsfrage gestellte und durch diese Not erst menschlich seiende Mensch und das, was sich in dieser Not verweigert, zusammen. Das »sein« von Geschichte, das nicht substanzhaft, sondern durch und durch verbal verstanden werden muû, in seinem Geschehen selbst, trågt sich je wieder »korrelativ« zu zwischen; nåmlich zwischen dem sterblichen menschlichen Da-sein und dem ihm unbedingt den Sinn Gebenden. Heidegger bençtzt hier die Sprache Hælderlins und spricht von dem, was sich zwischen Sterblichen und Unsterblichen zu trågt. Denn sofern das Gestalt gewinnt, was dem sterblichen Dasein im Ereignis des Heiligen unbedingt sein Da gewåhrt, kann ± mythisch ± von den Gættern gesprochen werden. Vgl. dazu M. Heidegger, Phånomenologie und Theologie, Frankfurt/M. 1970. Heidegger, Phånomenologie und Theologie, a. a. O., 31. 19 Heidegger, Beitråge zur Philosophie (Vom Ereignis), hrsg. v. F.-W. von Herrmann, Frankfurt/M. 1989 (GA 65); ders., Besinnung, hrsg. von F.-W. von Herrmann, Frankfurt/M. 1997 (GA 66); ders., Die Geschichte des Seyns, hrsg. von P. Trawny, Frankfurt/M. 1998 (GA 69). 17 18

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In diesem Ereignis des Einander-Gegençber von Sterblichen und Unsterblichen eræffnet sich die »Gegnis« 20 ; zugleich mit dieser aber Welt als der Spielraum von Welt und Erde, d. h. von horizontaler Gelichtetheit und der Dunkelheit, die durch das Weltphånomen gelichtet wird. Das Ereignis ereignet sich aber so ursprçnglich je neu und je wieder als »die sich ermittelnde und vermittelnde Mitte« 21 . Das Ereignis als Ursprungsgeschehen von »sein« stellt den Menschen als geschichtliches Da-sein in das, was seine Not ausmacht, d. h. wovon er gebraucht wird, d. h. je in sein Eigenes. Und es låût damit auch das je Eigene von geschichtlicher Welt aufgehen. Und innerhalb der derart in das Ereignisdenken hinein fortgeschriebenen Existentialanalytik kann dann auch phånomenologisch ausgewiesen von den Gættern gesprochen werden und von »dem Gott« und schlieûlich dem »letzten« oder dem »åuûersten« Gott. Die Gætter und der Gott, schlieûlich auch der »letzte Gott«, werden fçr das Denken freilich nicht in sich und fçr sich zugånglich, sondern jeweils nur in der Korrelation von Anspruch und Entsprechung, von »Zuruf« und »Zugehær«, von »Brauchen« 22 , welches nur korrelativ zu denken ist. Sie werden zugånglich im »Erwarten«, welches in seiner Fundierungsrichtung gedacht sich nicht als das Warten des Menschen auf den Gott, sondern vielmehr als das Warten Gottes auf den Menschen zeigt 23 . Meiner Ansicht nach hat Heidegger hier eine an die Wurzel gehende Phånomenologie des religiæsen Verhåltnisses als des nur im Dasein des geschichtlichen Menschen mæglichen gegeben. Die Forschung hat in den letzten Jahren begonnen, sich dieser Phånomenologie ausdrçcklich zuzuwenden 24 . Man kann diese Phånomenologie zusammenfassen in den Såtzen der Beitråge »Das Seyn west als das GA 69, 123. GA 65, 73. Deshalb kann man das Ereignis auch nicht von auûen als ein »objektives« thematisieren. Vielmehr kann man es nur von innen her erschlieûen als das, dem ich selbst çbereignet bin. Vgl. GA 65, 3. 22 Vgl. GA 65, 251, 403, 413 u. 416. 23 GA 65, 417. 24 Wichtige Schritte dazu unternehmen die folgenden drei Arbeiten: St. Bohlen, Die Ûbermacht des Seins. Heideggers Auslegung des Bezugs von Mensch und Natur und Hælderlins Dichtung des Heiligen, Berlin 1993; P. Coriando, Der letzte Gott als Anfang. Zur ab-grçndigen Zeit-Råumlichkeit des Ûbergangs in Heideggers ­Beitrågen zur Philosophie¬, Mçnchen 1998; S. Ziegler, Heidegger, Hælderlin und die Aletheia. Martin Heideggers Geschichtsdenken in seinen Vorlesungen 1934/35 bis 1944, Berlin 1991. 20 21

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Ereignis. Dies ist der Grund und Ab-grund der Verfçgung des Gottes çber den Menschen und kehrig des Menschen fçr den Gott. Diese Verfçgung aber wird nur ausgestanden im Da-sein.« 25 Und hinsichtlich des in dem jeweiligen geschichtlichen Ursprungsereignis aufgehenden Raumes von Welt kann man zur anschaulichen Verståndigung auf das Schema zurçckgreifen, das Heidegger auf S. 310 der Beitråge gibt. Welt

!

" Mensch

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Gætter (Da)

# Erde Seyn erweist sich in diesem im Ereignis aufgehenden »Gegen-einander-çber« 26 als Schenkung, d. h. als Gabe 27. Hingewiesen werden muû hier freilich darauf, ohne daû hier eine Abhångigkeit behauptet wçrde, daû der erste, der derart die »Wirklichkeit« aus dem Ereignis heraus zu denken versuchte, in welchem Gott, Welt und Mensch frei zusammenkommen, nicht Martin Heidegger war, sondern Franz Rosenzweig. In dem 1918/19 geschriebenen, 1921 veræffentlichen »Stern der Erlæsung« stellt Rosenzweig ja dar, in welcher Weise sich in dem »ereigneten Ereignis« nicht die Correlation (Rosenzweig mochte diesen Begriff des spåten Cohen nicht) 28 , sondern der Bund zwischen den Urphånomenen Gott, Mensch und Welt zutrågt. Entscheidend ist dabei, daû diese antinomischen und somit in der reinen Phånomenalitåt verbleibenden, als GA 65, 256. M. Heidegger; Unterwegs zur Sprache, Pfullingen 1959, 211 ff.; vgl. auch: ders., Vortråge und Aufsåtze, Pfullingen 1954, 152. 27 GA 65, 405±406. Und andere wichtige Grundzçge des nur in seinem geschichtlichen Geschehen zu denkenden religiæsen Verhåltnisses scheinen mir zu sein: Die nur responsorisch zu denkende Nåhe (vgl. etwa GA 65, 413) und dies, daû die Nåhe sich nur im Vorçbergang gibt (GA 65, 413). 28 Vgl. dazu B. Casper, Korrelation oder ereignetes Ereignis? Zur Deutung des Spåtwerkes Hermann Cohens durch Franz Rosenzweig, in: Hermann Cohen's Philosophy of Religion. International Conference in Jerusalem 1996, Hildesheim 1997, 51±69. 25 26

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reine åuûerste Verstehensschemata zu denkenden sog. Urphånomene jeweils fçr sich unwirklich sind und als wirklich erst in ihrem Zusammentreten im geschichtlichen »ereigneten Ereignis« 29 von Offenbarung zugånglich werden. Und diese ist fçr Rosenzweig ± der hermeneutische Phånomenologe muû mit Notwendigkeit den eigenen geschichtlichen Ort ins Spiel bringen, er kann sich aus dem Spiel nicht drauûen halten ± die biblische Offenbarung. c) Levinas Von demselben Ansatz her denkt aber auch Levinas, der sich ja ausdrçcklich auf Rosenzweig beruft 30 , jedoch, geschult an Husserl und Heidegger und zugleich im Rçckgang auf Kant, die Faktizitåt des religiæsen Verhåltnisses in dem verwurzelt, was sich zwischen dem einen und dem anderen Menschen als ihnen selbst zutrågt. Was fçr Levinas in einer, wie ich meine, jetzt erst im eigentlichsten Sinne hermeneutischen Phånomenologie, in das Zentrum der denkerischen Besinnung tritt, ist nicht Religion als vorliegendes und derart von dem »eidenai«, nach dem alle Menschen streben (Metaphys. 1,1), wahrzunehmendes Verhåltnis, das repråsentierend als Substanz vorgelegt werden kænnte. Sondern es ist die »situation religieuse« 31 , die »religiosit« selbst 32 in ihrem Geschehen. Es ist der diachron geschehende rapport, der sich als religion ereignet 33 . 29 F. Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk, Gesammelte Schriften, hrsg. v. R. u. A. Mayer, Dordrecht ± Boston ± Lancaster 1979±1984, Bd. 2, 191; vgl. 203. In welchem Verhåltnis das »ereignete Ereignis« bei Rosenzweig und das Ereignis in Heideggers Spåtwerk stehen, habe ich an anderer Stelle ausfçhrlich dargestellt (B. Casper, La concezione dell'«evento« nella Stella della redenzione di Franz Rosenzweig e nel pensiero di Martin Heidegger, in: Teoria XI (1991/2), 47±64; = Ereignis (acaecimiento) en la conception de Franz Rosenzweig y en el pensiamento de Martin Heidegger, in: Escritos de Filosofia (Buenos Aires), n. 29/30, identidad y si-mismos 15 (1996), 3±20; der Aufsatz wird demnåchst in der FS fçr Stphan Moses auch deutsch erscheinen. 30 E. Levinas, Totalit et infini. Essai sur l'exteriorit, Den Haag 1961, XVI (abgekçrzt: Ti) (dt.: Totalitåt und Unendlichkeit. Versuch çber die Exterioritåt, Freiburg ± Mçnchen 1987, 31; abgekçrzt: TU). 31 E. Levinas, Autrement qu'žtre ou au del™ de l'essence, Den Haag 1978, 155, Anm. 25 (abgekçrzt: AQ). 32 AQ 150. 33 Ti, 207; und ders., Le temps e l'autre, Montpellier 1979, 8 (abgekçrzt: TA). In meinem Werk Das Ereignis des Betens. Grundlinien einer Hermeneutik des religiæsen Geschehens, Freiburg 1998, habe ich versucht, von diesem Ereignis als dem Grundphånomen des religiæsen Verhåltnisses auszugehen.

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Dieser rapport wird fçr Levinas aber nur inkarnatorisch zugånglich. Levinas hat nie einen Zweifel daran gelassen, wieviel er Heidegger und dessen in der Entdeckung der Zeitigung des Daseins verwurzelten und in diesem Sinne zu denkenden hermeneutischen Phånomenologie verdankt. Aber das Ereignis des nur in seinem endlichen Leben wirklichen Da-seins als des In-der-Welt-seins geschieht fçr Levinas nicht einfachhin als Dasein zum Tode. Sondern es geschieht als Da-sein im Angesicht anderen sterblichen Daseins. Dies wird von Levinas als eigenes Grundproblem ausgearbeitet. Wie fçr Rosenzweig ist fçr Levinas dabei das Paradigma fçr diese allem anderen vorausgehende Befindlichkeit des Menschen das Geschehen von Sprache: Dire, welches immer zwischen dem Anderen und mir geschieht, die wir fçreinander in einem ursprçnglichen und strengen Sinne die Ungleichzeitigen sind. In dieser Ursituation, die ich nicht wåhle, sondern die ich in einer allem meinem Sein-kænnen vorausgehenden Passivitåt 34 erleide, finde ich mich durch den mir in seiner Fremdheit uneinholbaren Anderen vorgeladen in die Menschlichkeit. Diese Vorladung ist die Vorladung, die Herausforderung, die Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten thematisiert hat 35 . In der Tiefe alles meines Sagens, welches in der Diachronie des Ereignisses des Sprechens zu dem Anderen und des Hærens auf ihn in einem besteht, finde ich mich von dieser Herausforderung angegangen. Indem ich auf diese Herausforderung achte, wird aber jede in meinem Kænnen wurzelnde Intentionalitåt umgekehrt. Sie wird zu der »unintentionalen Intentionalitåt« 36 der reinen Aufmerksamkeit, in der ich mich von dem Anderen, mir nicht Verfçgbaren angegangen finde. Insofern ich mich aber mit dieser Aufmerksamkeit als dem Kantisch gesprochen åuûersten Interesse der Vernunft als der reinen praktischen einlasse, werde ich des Geschehens eines Verhåltnisses Vgl. dazu E. Levinas, Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Phånomenologie und Sozialphilosophie, Freiburg ± Mçnchen 1983, 317 f. (abgekçrzt: SpA) (= Revue philosophique de Louvain, 1968, 500 f.) u. æ.: »passivit plus passive que toute passivit« und »passivit an-archique«. 35 Levinas gibt den kategorischen Imperativ håufig mit der (biblisch aus Verbot und Gebot bestehenden) Kurzformel wieder: »Tæte mich nicht« und zugleich: »Laû mich in meiner Sterblichkeit nicht allein« Vgl. u. a. Levinas, Humanismus des anderen Menschen, Hamburg 1989, 136. Nåherhin vgl. zu diesem Urphånomen der Nicht-Indifferenz E. Levinas, Wenn Gott ins Denken einfållt. Diskurse çber die Betroffenheit von Transzendenz, Freiburg 1985, 213 f. (abgekçrzt: WG). 36 Vgl. SpA 225. 34

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inne, das sich als unauslotbar und unvollendbar zugleich zeigt und das sich phånomenologisch çberhaupt nur in seiner Zeitlichkeit selbst zur Sprache bringen låût: als Vorçbergang ± oder: schon Vorçbergegangensein der »Herrlichkeit des Unendlichen«. 37 Das Verhåltnis, in welches ich derart hineingerate, erweist sich als das eigentlich religiæse Verhåltnis. Die geschehende Zeit erweist sich in der diachronen Begegnung als »Nåhe des Abwesenden« 38 . Mein Dasein zum Tode, welches nicht ein Vermægen des Todes bedeutet, sondern das Unvermægen zu kænnen schlechthin, verwandelt sich in die Chance, daû mein sterbliches Dasein in der An-nahme und Ûbernahme der Herausforderung des »žtre Ötage pour l'autrui« fruchtbar wird. Durch die Diachronie dieses Ereignisses gerate ich aber in die »Spur« (la trace) der Herrlichkeit des Unendlichen. Ich gerate in die Spur, das meint: Ich finde kein Vestigium, das mich als transzendentales Bewuûtsein auf ein wie auch immer geartetes repråsentierbares Unendliches schlieûen lieûe. Sondern ich »gerate« mit meinem eigenen sterblichen Mich-zeitigen »in die Spur« ± ein Geschehen, das man auch mit der biblischen Rede von der »Nachfolge« anzeigen kann. Die Spur, in deren Zug ich gerate, erweist sich als die »Spur ± eine Beziehung zur Illeitåt, die durch keine Einheit der Apperzeption umfaût wird [¼] ± Beziehung oder Religion ± , die die Psychologie des Glaubens und des Glaubensverlustes çberschreitet ± sie beauftragt mich auf eine an-archische Weise gerade, ohne sich gegenwårtig zu machen ± oder je gemacht zu haben ± und ohne zur Enthçllung eines Anfangs oder ersten Grundes zu werden« 39 . Entscheidend ist, daû das religiæse Verhåltnis hier als Verhåltnis

Zu »Herrlichkeit des Unendlichen« vgl. Levinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, Freiburg ± Mçnchen 1992, 316 f. u. æ. (abgekçrzt: JdS). 38 Vgl. dazu L. Wenzler, Zeit als Nåhe des Abwesenden. Diachronie der Ethik und Diachronie der Sinnlichkeit nach Emmanuel Levinas. Nachwort zu: E. Levinas, Die Zeit und der Andere, çbersetzt u. mit e. Nachwort von L. Wenzler, Hamburg 1984, 67±92; und ders., Berçhrung durch Trennung. Die Zeitstruktur des religiæsen Verhåltnisses bei E. Levinas, in: Philosophisches Jahrbuch 100 (1993), 301±316. 39 JdS 365 = AQ 214. Vgl. dazu auch TU 46/Ti 10; TU 84/Ti 34, TU 110/Ti 52; SpA 113; TA 8; WG 219 f. (= De Dieu qui vient ™ l'ide. Paris 1982, 250 f.). Auûerdem B. Casper, Illit. Zu einem Schlçssel»begriff« im Werk von Emmanuel Levinas, in: Philosophisches Jahrbuch 91 (1984), 273±288. 37

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der geschichtlichen Freiheit durch eine Hermeneutik seiner Zeitigung selbst zugånglich gemacht wird. 40 Im Hinblick auf diese nur in seiner Zeitigung selbst geschehen kænnende Erschlieûung des religiæsen Verhåltnisses steht Levinas, trotz seines scharfen Widerspruches gegen Heidegger in den 50er Jahren, dessen damals so noch nicht bekanntem Ereignisdenken nahe. Allerdings geschieht die Erschlieûung der Betroffenheit durch die Herrlichkeit des Unendlichen nicht durch das, wie offen auch immer verstandene Ereignis von Sein. Sondern sie geschieht in der durch die nicht mehr durch einen als Anwesenheit vorverstandenen Horizont von Sein zu vermittelnde Vorladung angesichts des Anderen. Diese »autrement qu'žtre« geschehende Vorladung gibt mir als dem sterblich-leiblich Sich-Zeitigenden die Chance, Bçrge fçr den anderen sterblichen Menschen zu werden. Der »ethische Widerstand«, den ich angesichts des Anderen als der anderen Freiheit erfahre, »ist die Anwesenheit des Unendlichen« 41 . Angesichts des Anderen »kann ich nicht mehr kænnen« 42 . Dieses mein endliches Zeithaben, der ståndige Aufschub meines Todes, in welchem ich allein als der leibhaftig SichZeitigende da bin, offenbart mir aber mein Verlangen nach Gerechtigkeit. Es schlieût mir meine Ungerechtigkeit auf, insofern ich als bloûe Monade in der Synchronie meines conatus essendi existiere. In dieser ersten unmittelbaren reinen »Erfahrung ohne Begriff« 43 kehrt sich die mir gewohnte Struktur meines Bewuûtseins um in die Wahrnahme der unendlichen Herausforderung zur Gerechtigkeit. Derart liegt im »Antlitz des Anderen [¼] der eigentliche Anfang der Philosophie«. 44 In diesem Anfang aber ist zugleich die religiæse Erfahrung gegeben 45 . Wollte man sehr schematisch sprechen, so kænnte man sagen, daû der Grundsatz der Metaphysik »quod primo intellectus concipit quasi notissimum et in quo omnes conceptiones resolvit est ens« 46 Deshalb kann Levinas denn auch wiederholt betonen: »Es gibt keine natçrliche Religion«. Vgl. TU 81 u. 163. 41 SpA 199. 42 SpA 199. 43 SpA 206. 44 SpA 207. 45 »Gott erteilt Befehle allein durch die Vermittlung der Menschen, die unseres Handelns bedçrfen« (SpA 207). 46 Thomas von Aquin, De veritate I,1 ± dort zitiert aus der Metaphysik des Avicenna I, cap. IX. 40

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(und in deren Horizont trotz der Verzeitlichung des Verståndnisses von Sein fçr Levinas auch noch das Denken Heideggers einzuordnen ist), sich umkehrt in das Axiom: Was als erstes verstanden wird, ist die Andersheit der anderen Freiheit angesichts derer und mit derer ich mich zeitige als ein in die Gerechtigkeit Vorgeladener. Was als erstes verstanden wird, ist die Heiligkeit 47 , die in ihrer Herkunft wie dem inneren Wesen ihrer mich in-die-Zukunft fçhrenden Vorladung nach unendlich ist, ± und die sich in der Fruchtbarkeit eines gerechten Lebens, das diese Herausforderung annimmt, als wirkmåchtig erweist. Bei græûter Nåhe zu Heideggers Entdeckung der Zeitigung des Daseins in Selbstwelt, Mitwelt, Umwelt, wird hier zugleich doch ein entschiedenes Hinausgehen çber Heidegger deutlich, das sich denkgeschichtlich gesehen auf das von Kant aufgedeckte hæchste Interesse der Vernunft als einer reinen praktischen beruft. 48 Kehren wir nach dieser Klårung nun aber zu unserer Frage nach einer genuinen hermeneutischen Phånomenologie des religiæsen Verhåltnisses zurçck. Was Rosenzweig, Heidegger und Levinas verbindet, ist meiner Ansicht nach dies, daû sie alle drei das religiæse Verhåltnis als ein korrelatives Ereignis geschichtlichen menschlichen Daseins verstehen, in welchem in einem und zugleich der sich zeitigende geschichtliche Mensch als er selbst in seinem Gegençber zu dem unendlich gættlich ihn Einfordernden und das Aufgehen einer Welt offenbar werden. In dem »ereigneten Ereignis« der Offenbarung treten fçr Rosenzweig die antinomischen Urphånomene des Gottes, des sich selbst aufgegebenen metaethischen Menschen und der metalogischen Welt in ein augenblickliches Verhåltnis zusammen, das dann je wieder zum Quellpunkt fçr die wirklich geschehende Geschichte wird. Heidegger versteht dies in den »Beitrågen« ganz analog. Aber auch fçr Levinas eræffnet der im Angesicht des Anderen unter dem Geheiû der Vorladung durch die Herrlichkeit des Unendlichen geschehende Ursprung von Sagen (dire) jeweils eine Welt von Gesagtem (dit). Dieses Insgesamt von Gesagtem als Welt steht zwar in der ståndigen Versuchung, sich zu verabsolutieren und idolisch zu werden, ± sofern es nåmlich nicht durch das de-dire in das Ursprungsereignis des Dire Vgl. dazu JdS 140 = AQ 76. SpA 118 sagt Levinas, daû er sich der praktischen Philosophie Kants »besonders verwandt« fçhle.

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zurçckgeholt wird. Daû die Grundstruktur des Ereignisses des religiæsen Verhåltnisses bei Levinas aber ganz analog zu der von Rosenzweig und Heidegger zugånglich gemachten gedacht wird, daran kann m. E. kein Zweifel sein bei allen zugleich geltend zu machenden Differenzen 49 . Alle drei Verståndnisse einer Phånomenologie des religiæsen Verhåltnisses bringen nun aber den Vorteil mit sich, daû sie es erlauben, Religion als geschichtliches menschliches Ereignis nicht von auûen, von einem fiktiven geschichtslos verstandenen Subjekt her zu erschlieûen, sondern als je fçr geschichtliche Menschen sich ereignende Korrelation. Zu dieser habe ich allerdings auch wiederum nur als selbst in einem ± wie auch immer gearteten ± religiæsen Verhåltnis Stehender Zugang. Nur wer selbst ± in welcher Weise auch immer ± religiæs ist, wird zu fremder Religiositåt den Zugang eines Verstehens finden und sich ihr ± wie anfånglich und unvollståndig auch immer ± verståndlich machen kænnen. Nur der Beter versteht den Beter und kann von ihm verstanden werden.

II. Die hermeneutische Begegnung zwischen den Religionen Hat man das vor Augen, so erscheint es nicht unmæglich, auf dem Boden einer so verstandenen Hermeneutik des religiæsen Geschehens nach einer hermeneutischen Begegnung zwischen faktisch existierenden Religionen zu suchen. Diese kann methodisch meiner Ansicht nach nur als je wieder neuer Versuch einer Ûbersetzung geschehen ± mit all den sattsam Rosenzweig und Levinas verstehen ihr Denken im Dienste einer biblischen fides quaerens intellectum. Heidegger bleibt hingegen ganz bewuût auf dem Boden einer in das Ereignisdenken hinein sich kehrenden Phånomenologie in der Zeitigung des Daseins, welche auch hier ± in gewandelter Weise ± gleichsam nur die Existenzialien der Existenz ausarbeitet, das bloûe Schema, in dem das Ereignis sich je wieder ereignet, wenn es sich denn ereignet. Die Grundposition von Phånomenologie und Theologie hat Heidegger auch in dem Ereignisdenken nicht aufgegeben. Fçr Heidegger bedeutet Hermeneutik »Analytik der Existenzialitåt der Existenz« (SuZ 38). Rosenzweig und Levinas hingegen lassen sich mit der in jedem Sprechen gegebenen hermeneutischen Ursituation des »Bedçrfens des Anderen und, was dasselbe ist, des Ernstnehmens der Zeit« (F. Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk, Gesammelte Schriften, a. a. O., Bd. 3, 151±152) ein, um darin auf das Hineingeraten in die Herrlichkeit der Spur des Unendlichen aufmerksam zu werden, in deren Licht sie die biblische Botschaft auslegen und zugleich das ereignete Ereignis von Religion als menschliches Urgeschehen begreifen. 49

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bekannten Problemen, die ja schon das Geschehen einer Ûbersetzung aus einer Sprache in eine andere mit sich bringt. Il traduttore   sempre anche il traditore. Kann ich je ganz in den existentiellen Vollzugssinn einer anderen Sprache hineinkommen? Und doch kann ich sie verstehen und durch solches Verstehen bereichert oder auch in eine Krisis gefçhrt werden. Um den mir zur Verfçgung stehenden Raum nicht zu çberschreiten, will ich am Ende lediglich eine Reihe von Thesen aufstellen, die sich meiner Ansicht nach aus dem dargelegten Verståndnis von hermeneutischer Phånomenologie im Hinblick auf eine ± nennen wir dies einmal so ± hermeneutische Begegnung oder auch hermeneutische Konfrontation von faktischen Religionen ergeben. 1. Geschichtliche Religionen grçnden in dem »ereigneten Ereignis«, in dem Gættliches und Menschliches und der damit zugleich gegebene Aufgang von Welt unvermischt und ungetrennt zueinandertreten. Eine Vielfalt solcher Ereignisse ist aber prinzipiell nicht auszuschlieûen. Denn sie kænnen sich ja nur der unendlichen Freiheit des Gættlichen selbst verdanken. »Religionen haben ihren Ursprung in der Erfahrung einer Gotteszuwendung«, so bemerkt mit Recht Ratschow 50. Oder, so der spåte Schelling, sie verdanken sich der Erfahrung des »aktiven Gottes« 51 . Dieser fordert allerdings den Menschen als einen vernçnftigen heraus. Daû Gott »polymeros kai polytrÕpos« gesprochen hat (Hebr. 1,1) und spricht, darf hier durchaus auch vor- und auûerbiblisch verstanden werden. 2. Solches Sprechen und das von ihm ernætigte menschliche Antworten sind aber nur hermeneutisch zugånglich, d. h. nicht in transzendentaler Deduktion, sondern nur in dem Versuch der verstehenwollenden Ûbersetzung, und zwar derart, daû der sich um das Verstehen Bemçhende sich selbst in einem ursprçnglichen religiæsen Vollzug befindet. 3. Insofern sich das Ereignis des Religiæsen in seiner åuûersten Formalitåt als das In-Beziehung-Geraten des Gættlichen und des Menschlichen und der Eræffnung von Welt darstellt, wird es in dem Versuch, fremder Religiositåt zu begegnen, um den Versuch des çbersetzenden Verstehens dieser alle Wirklichkeit einbegreifenden triadischen Ereignisrelation gehen. D. h. es wird in der BeZitiert nach Historisches Wærterbuch der Philosophie, a. a. O., Bd. 8, 710. F. W. J. Schelling, Einleitung in die Philosophie der Mythologie, Darmstadt 1957, 568.

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gegnung mit fremder Religiositåt nicht um einen Begriff des Gottes an sich noch um die institutionalisierten Gestalten von Religion als solche, sondern um die nur in ihrem Vollzugssinn zugånglich werdende Religiositåt in einer bestimmten geschichtlichen Religion gehen. 52 Das Geschehen der Begegnung mindert den Unbedingtheitsanspruch, der fçr mich in meinem religiæsen Vollzug gegeben ist, nicht. Wohl aber kænnen sich in der hermeneutischen Begegnung mit fremder Religiositåt in deren Gestalten, Symbolen und Begehungen Analogien oder Familienåhnlichkeiten zu meiner Religion und zu jeweils anderen Religionen zeigen. An deren Erschlieûung kænnen im Sinne der von J. Greisch jçngst geforderten »Conversation triangulaire« 53 Philosophie, Theologie und die Wissenschaften, die sich je in ihrem Horizont mit Religionen beschåftigen, beteiligt sein. Insofern es in fremder Religiositåt um ein ursprçngliches religiæses Verhåltnis geht, bedeutet der Versuch, diesem im Ernste hermeneutisch gerecht zu werden, selbst einen religiæsen Akt; ± eine von der Herrlichkeit des Unendlichen selbst provozierte Begegnung mit dem Anderen. Daraus ergibt sich dann auch die Aufgabe der Entwicklung eines nicht nur negativen, sondern im Vollzug der hermeneutischen Begegnung positiven Verståndnisses von Toleranz. 54 Die hermeneutische Begegnung zwischen Religionen schlieût jedoch die Frage nach wahrerer Religiositåt nicht aus; oder auch umgekehrt: sie schlieût das kritische Fragen nach Verfallsformen von Religiositåt in deren Umschlag in Idolatrie notwendig mit ein. Zugleich mit einer hermeneutischen Phånomenologie des religiæsen Verhåltnisses muû deshalb eine Pathologie des Religiæsen ent-

P. Ricoeurs Versuch, biblische Ûberlieferung nicht nur im Sinne einer exegetischen Hermeneutik, sondern einer umfassenderen religionsphånomenologischen Hermeneutik zugånglich zu machen, kann hier vorbildlich sein. 53 J. Greisch, Phnomnologie de la religion et sciences religieuses. Plådoyer pour une »Conversation triangulaire«, in: Sciences thologiques et religieuses. Collection diriges par J. Dor, Paris 1997, 218. 54 Dafçr, daû gerade auch das Verståndnis von Toleranz sich nur in seiner geschichtlichepochalen Differenziertheit konkret darstellt, vgl. das aufschluûreiche, von A. Patschovsky und H. Zimmermann hrsg. Sammelwerk: Toleranz im Mittelalter, Sigmaringen 1998. 52

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wickelt werden 55 . Dabei kommen nicht nur den inneren Kriterien der Angemessenheit, sondern als Abgrenzungskriterien auch den Wahrheitskriterien, die Kant als die der reinen praktischen Vernunft entwickelt hat, entscheidende Bedeutung zu. 8. Es gibt ± das ist die letzte Konsequenz aus dem Ausgefçhrten ± also keinen Vergleich der geschichtlichen Religionen im Horizont eines in erschæpfender Weise zeitlos vorhandenen transzendentalen Wesens von Religion. In einem solchen Horizont, welche Religion mit Hegel als »Wissen des absoluten Geistes von sich selbst als absolutem Geiste« begreifen mçûte 56, kænnten die einzelnen Religionen nur entweder als evolutive Stufen hin zu der absoluten Religion oder als superstitio 57 begriffen werden. Wohl aber scheint mir das Bekenntnis zu der eigenen endlichen Freiheit als der geschichtlich sich im Dasein mit anderem Dasein verwirklichen mçssenden und gerade darin von dem unbedingten und unendlichen Anspruch herausgeforderten mæglich zu sein. Aus diesem seiner Intentionalitåt nach in seinem Vollzug selbst religiæsen Bekenntnis aber ergibt sich ± heute mehr denn je ± die Notwendigkeit der hærenden und zugleich fragenden und kritischen Begegnung mit dem fremden Ereignis von Religion; ± und zugleich mit der eigenen religiæsen Herkunft.

Ich habe solche Kriterien im § 12 von Das Ereignis des Betens. Grundlinien einer Hermeneutik des religiæsen Geschehens, a. a. O., 137±152, auszuarbeiten versucht. Vgl. dazu auch den § 17 von B. Welte, Religionsphilosophie, Frankfurt/M. 5 1997. Heidegger hat in den Beitrågen (GA 65) eine ganze Reihe von Kritierien entwickelt, die das ursprçngliche, aber sich im nur wieder je neuen Fragen zutragende Ereignis des Heiligen kennzeichnen. Das Verhåltnis zu diesem zeichnet sich z. B. durch die Haltungen der Gelassenheit, der Verhaltenheit und der Scheu aus. 56 G. F. W. Hegel, Philosophie des Geistes, in: ders., Gesammelte Werke, Akademieausgabe Bd. 8, Hamburg 1976, 280. 57 F. D. E. Schleiermacher, Ûber die Religion. Reden an die gebildeten unter ihren Veråchtern, in: Kritische Gesamtausgabe I,2, hrsg. v. G. Meckenstock, Berlin ± New York 1984, 199 und 216±218. 55

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Was bedeutet »die Frage nach Gott« heute? Religionsphilosophische und religionswissenschaftliche Ûberlegungen Von Heinz Robert Schlette, Bonn Hans Saner gewidmet Mit irgend etwas muû man anfangen. Ich mæchte zuerst auf das Wærtchen »heute« eingehen, das ich wegen des Rahmenthemas in den Titel aufgenommen habe. Selbstverståndlich ist es hochproblematisch und letzten Endes unmæglich, das »Heute« allseits zufriedenstellend zu bestimmen, und deshalb ist es auch im Grunde aussichtslos, in bezug auf die Frage nach Gott, bzw. die »Gottesfrage«, eine Verschiebung der Akzente (um es vorsichtig auszudrçcken) aufzuweisen, die die gegenwårtige Situation zweifelsfrei von frçheren abgrenzen kann. »Heute« bzw. »das Ende des 20. Jahrhunderts« ± das ist ja weniger eine punktuelle Festlegung und meint also nicht einen Zeit-Punkt; auch die Expo 2000 ist, wie mir im Unterschied zu anderen scheint 1 , kein Datum, das ein trefflicher Anlaû sein kænnte, die religionsphilosophische Gesamtlage zu pråzisieren. »Heute« ± das meint doch wohl eher eine Zeitstrecke, einen Zeitverlauf, so daû man sich fragen kann, ob zu diesem Heute nicht auch noch die Religionskritik von Voltaire, Marx, Nietzsche und Freud gehært, wenngleich z. B. zwei Såtze Heideggers und ein Satz Adornos von besonderer Brisanz sein dçrften. In »Identitåt und Differenz« von 1957 schrieb Heidegger: »Wer die Theologie, sowohl diejenige des christlichen Glaubens als auch diejenige der Philosophie, aus gewachsener Herkunft erfahren hat, zieht es heute vor, im Bereich des Denkens von Gott zu schweigen.« 2 Im Spiegel-Interview von 1966 steht jedoch der Satz: »Nur noch ein Gott kann uns retten.« 3 Und im Schluûkapitel von Adornos 1966 Vgl. Die spekulative Philosophie der Weltreligionen. Ein Beitrag zum Gespråch der Weltreligionen im Vorfeld der EXPO 2000 Hannover, hrsg. v. P. Koslowski, Wien 1997. 2 Pfullingen 1957, 51. 3 Der Spiegel vom 31. Mai 1976 (30. Jg., Nr. 23), 209. 1

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erschienener »Negativen Dialektik« findet man, erheblich konkreter, einen nicht minder radikalen Satz: »Kein vom Hohen getæntes Wort, auch kein theologisches, hat unverwandelt nach Auschwitz ein Recht.« 4 In Anbetracht der Autoritåt derartiger Aussagen, die natçrlich durch eine Vielzahl weiterer Aussagen und Zeugnisse zeitgenæssischer Autoren aus den unterschiedlichsten Bezirken menschlicher Artikulation und Kreativitåt beståtigt, ergånzt und auch modifiziert werden kænnen, fållt es nicht leicht, çber die Dramatik zu sprechen, die offenbar darin liegt und auch daraus folgt, daû die Frage nach Gott mit der Zeitdeutung und der Zeitgenossenschaft verknçpft ist. Wie wçrde sich die Problematik eigentlich darstellen, wenn wir çber »die Frage nach Gott« am Ende des 16. Jahrhunderts, des 18. oder des 19. Jahrhunderts nachdåchten? Hat sich denn, so muû man doch auch fragen, das philosophische oder wenn man will: das religionsphilosophische Nachdenken çber die »Frage nach Gott« wesentlich veråndert, ja, kann eine Frage wie diese sich çberhaupt veråndern, handelt es sich, wenn çberhaupt irgendwo, nicht gerade hier um eine Frage, die keinen Zeitindex trågt, die sich stets gleich bleibt? Aber låût nicht schon die flçchtige Erinnerung an die Problemkonstellation frçherer Jahrhundert- oder gar Jahrtausendwenden deutlich werden, daû man sich auf sehr verschiedene Art um dieses Problem bemçht hat, das mæglicherweise dasselbe war? Ich mæchte hier indes auf die damit angedeutete, auûerordentlich vielschichtige und komplizierte historische Seite des Themas nicht eingehen, sondern in Kçrze auf einige Gesichtspunkte hinweisen, die es als plausibel erscheinen lassen, heute von einer zumindest dramatischer und radikaler gewordenen Denksituation angesichts der sog. Gottesfrage zu sprechen. Diese verstehe ich, wie angedeutet, als eine wirkliche Frage nach Gott, bei der allerdings nicht klar ist, wonach sie eigentlich fragt, also jedenfalls nicht im Sinne mehrdeutiger Genitiv-Kombinationen wie z. B. Gotteskrise, Gottespassion u. å., von denen heute die Rede ist, jedoch auch nicht im Sinne eines nivellierten Gebrauchs des Wortes »Frage« zu der bloûen Bedeutung von »Thema« wie z. B. in Formulierungen wie »die soziale Frage«, »die Frauenfrage« und åhnlichen. Was nun die heutige Philosophie und/oder Religionsphilosophie angeht, so spielt die çberkommene Frage nach Gott als die Frage nach seiner »Existenz« trotz mancher Publikationen zu diesem Thema 4

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m. E. kaum noch eine Rolle. Die Grçnde dafçr ergeben sich aus den differenzierteren erkenntnistheoretischen Ansprçchen, einer weitverbreiteten Allergie gegençber der alten, »groûen« Metaphysik, aber auch aus der praktischen Erfahrung, daû die in dieser Hinsicht unternommenen argumentativen Bemçhungen praktisch niemanden çberfçhren oder gar religiæs motivieren. Der »mainstream« der heutigen Philosophie versteht sich nach meiner Einschåtzung zwar nicht mehr als explizit atheistisch, wohl jedoch als skeptisch-agnostisch. Daû Vertreter einer sog. »christlichen Philosophie« die Szene anders beurteilen wçrden, ist mir bekannt, doch kann ich dem nicht folgen, weil es mir stets um eine klare Grenzziehung zwischen Philosophie und ± christlicher ± Theologie geht. Freilich kann nicht ausgeschlossen werden, daû der mainstream der Philosophie sich irrt, aber ich persænlich kann ein derartiges Urteil in bezug auf die Gottesfrage bereits aus den angedeuteten Grçnden nicht nachvollziehen. Eine ganz besondere Rolle spielt bei der Bestimmung des Heute im Hinblick auf unsere Frage die extreme Radikalitåt des Bæsen, die im 20. Jahrhundert Wirklichkeit geworden ist. Sie hat zu einer erheblichen Verschårfung des Theodizeeproblems gefçhrt. In diesem Zusammenhang hært man heute zumindest zwei divergierende Ansichten, die nicht nur philosophisch, sondern auch kulturell und politisch brisant sind. Manche erklåren, die metaphysische und auch die religionsphilosophische Problematik des Wesens und der Entstehung des Sittlich-Bæsen und damit der »Zulassung« dieses Bæsen durch einen transzendenten und personalen Gott um der menschlichen Freiheit willen sei unabhångig von der Quantitåt des Bæsen; sie kænnen sich hierfçr sogar auf einen Zeugen wie Dostojewskij berufen, dessen Iwan Karamasoff dem frommen Aljoscha das Eingeståndnis abnætigt, er kænnen das Leiden eines einzigen unschuldigen Kindes niemals akzeptieren, auch nicht um eines eschatologischen Glçcks willen. Andere verweisen mit groûer Eindringlichkeit auf jene Realitåten, fçr die der Ortsname »Auschwitz« steht, um die Einmaligkeit des Unmaûes und der Exzesse des Bæsen zum Anlaû zu nehmen, das Ende der Theodizee zu proklamieren, sei es im Sinne eines doch noch durchgehaltenen Vertrauens auf den unbegreiflichen Gott wie bei Levinas, sei es in einer neo-dualistischen Verwerfung der Geschichte wie etwa bei Cioran. Wie immer man aber die Abgrçndigkeit des Bæsen oder eben, mit Teilhard de Chardin, das »Ûbermaû« des Bæsen, das auch um der Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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Evolution willen nicht zu rechtfertigen ist 5 , empfinden oder gar aus einem metaphysischen Gesamtkonzept heraus beurteilen mag, wenn man sich weigert, das Bæse zu einem bloû Negativen in einem durch Harmonie charakterisierten Weltganzen aus Licht und Schatten zu depotenzieren und damit zu beseitigen, verschårft die uralte Frage nach der mæglichen Verantwortlichkeit eines gættlichen Wesens fçr das Bæse gerade in diesem Jahrhundert die Frage nach »Gott« bis zur Unkenntlichkeit. Auûerdem sei, um die heutige Situation gegençber der Frage nach Gott zu kennzeichnen, noch auf eine zwar weniger provokative, jedoch åuûerst verbreitete Ansicht hingewiesen, nåmlich auf den sog. Pluralismus. Wenn es denn wahr sein sollte, daû es, sehr im Unterschied zur Zeit Platons und zum Mittelalter, heute in der Philosophie nur noch um einen Streit um die besser zu begrçndende, um die plausiblere geht, so ist gerade auch fçr die sog. Frage nach Gott nicht zu çbersehen, daû hier zahlreiche religiæse und weltanschauliche Meinungen nebeneinander stehen, daû also keine Eindeutigkeit hinsichtlich dessen besteht, was man unter dem Wort »Gott« çberhaupt verstehen oder gar denken kann, und aus dieser Unsicherheit ergibt sich zwangslåufig, daû auch nicht klar sein kann, wonach die »Frage nach Gott« eigentlich fragt. Wir leben eben nicht mehr in der Zeit Anselms, in der dieser voraussetzen konnte, jeder, der die Vokabel Gott hære, denke sich darunter »id quo maius cogitari nequit.« 6 Es kann heute sein, daû man sich çberhaupt nichts unter diesem Wort denkt, weil es neopositivistisch nur ein Scheinproblem anzeigt, daû man sich darunter ein transzendentes, schweigendes Ungeheuer oder einen ethischen Weltpolizisten vorstellt ± »ein Auge ist, das alles sieht [¼]« ± , daû man sich einen noch græûeren oder auch besseren Gott denkt, der uns das Bæse erspart håtte, daû man ihn fçr einen guten, aber schwachen, ohnmåchtigen und selbst leidenden Gott hålt, dem mæglicherweise doch ein bæser Gott im gnostischen Sinn entgegensteht, daû man sich ihn irgendwie mit Welt und Mensch als schwer zu begreifende Einheit denkt, »kosmotheandrisch«, wie Panikkar das nennt 7 , oder daû man ihn einfach braucht und in AnVgl. P. Teilhard de Chardin, Der Mensch im Kosmos, Mçnchen 1959 (frz. 1954 [posthum]), 310. 6 Proslogion, c. 2. 7 Vgl. hierzu im einzelnen F. Podgorski, The Cosmotheandric Intuition: The Contemplative Catalyst of Raimon Panikkar, in: The Intercultural Challenge of Raimon Panikkar, hrsg. von J. Prabhu, Maryknoll, New York 1996, 106±118. 5

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spruch nimmt als einen Garanten fçr sittliche und gesellschaftliche Werte, auch wenn man sich religiæs vielleicht gar nicht fçr ihn interessiert. Noch weitere Auffassungen mægen in Umlauf sein, die von der traditionellen »groûen« Metaphysik ± und erst recht von der Theologie ± als unangemessen oder falsch zurçckgewiesen werden kænnen, ganz abgesehen davon, daû man die vielen Fragen nach Gott durch den Hinweis auf das Geheimnis, das Gott sei, ruhigstellen kann. Wenn man aus diesen Ûberlegungen folgern darf, daû es philosophisch, aber auch soziologisch und psychologisch gesehen heute einfach nicht klar ist, was die Frage nach Gott çberhaupt bedeutet, so legt sich die Vermutung nahe, es kænne vielleicht doch in einer Zeit, in der die Wissenschaft nahezu alles regelt, auch eine Wissenschaft geben, die uns darçber informieren kann, wie aus dem beschriebenen Dilemma herauszukommen ist. Diese nunmehr vielleicht schon abenteuerlich wirkende Vermutung bezieht sich natçrlich auf die sog. Religionswissenschaft. Ich mæchte daher kurz auf sie eingehen, bevor ich auf die religionsphilosophischen Reflexionen zurçckkomme. Die Religionswissenschaft bzw. die Wissenschaft, die sich noch so nennt, obwohl ihre Spezialisierung dies oft nicht mehr zulåût, versteht sich, nicht nur in Deutschland, bis auf den heutigen Tag vorwiegend als eine historisch-deskriptive Disziplin mit verschiedenen Unterabteilungen. Seit einiger Zeit ist es çblich und beliebt, Religion in die Nåhe von »Kultur« und Religionswissenschaft in die der Kulturwissenschaften zu rçcken. Wie immer hier die Relationen im einzelnen aufgefaût und interpretiert werden, man ist nicht ohne Grund daran interessiert, die Religionswissenschaft als eine empirisch registrierende und auf diese Weise auch verstehende und vergleichende Wissenschaft zu betreiben bzw. zu etablieren, d. h. sie nicht unter die sog. »Normen« einer bestimmten Religion oder auch Philosophie geraten zu lassen. Dieses Bestreben, das sich, wie man weiû, in erster Linie aus dem mçhsamen Prozeû der Emanzipation der Religionswissenschaft von den christlich-kirchlichen Theologien erklårt, hat dazu gefçhrt, daû die Religionswissenschaft einen gewissen, wenngleich zumeist åuûerst gelehrten und insofern Anerkennung verdienenden »Positivismus« praktiziert; ob und inwieweit dieser Deskriptionismus wirklich keiner Norm unterliegt oder nicht doch philosophisch einem unkritischen Rationalismus, ja vielleicht sogar einer Art von Kultur-Materialismus folgt, und auch einem relativiDie philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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stischen Dogma oder zumindest einer relativistisch-pluralistischen Grundstimmung, wåre anhand der methodischen Darlegung der Vertreter dieses recht eigenartigen Faches im einzelnen zu untersuchen. Jedenfalls ist es durchaus kein Geheimnis, daû alle Bemçhungen, religionsphilosophische Reflexionen, die Erforschung der Religionskritik oder auch die Analyse traditionell als religiæs angesehener Erfahrungen wie etwa der des Heiligen innerhalb der Religionswissenschaft zur Geltung zu bringen, in dieser Disziplin weithin nicht geschåtzt und als Rçckfall in die Zeit normativer Ûbergriffe oder gar in den sog. Irrationalismus abgelehnt werden. Einige Autoren, die sich trotzdem innerhalb der Religionswissenschaft mit diesen Themen zu befassen wagen, gelten als Auûenseiter, wenn nicht gar als Schwårmer. Obwohl es nçtzlich sein kænnte, angesichts dieser immer noch virulenten methodischen Querelen auf die Habilitationsschrift von Wolfgang Gantke mit dem Titel »Der umstrittene Begriff des Heiligen. Eine problemorientierte religionswissenschaftliche Untersuchung« 8 nåher einzugehen, in der die verschiedenen Aspekte jenes Streits zusammengestellt sind, mæchte ich mich auf die hier im Mittelpunkt stehende Frage beschrånken und die vielleicht ebenso çberraschende, wie letzten Endes triviale These vertreten, daû wir (auch) von der Religionswissenschaft nicht erfahren kænnen, was die »Frage nach Gott« heute bedeutet, zumal die Religionswissenschaft diese Frage gar nicht stellt und gemåû dem in ihr vorherrschenden Selbstverståndnis auch gar nicht zu stellen braucht. Freilich ist in der Religionswissenschaft von »Gott« nicht selten die Rede. Wir hæren , was in den Religionen von »Gott« geglaubt und gesagt wird, wie man ihn in vergangenen Zeiten erfahren oder erlebt hat, ob man ihn personal, dreipersonal, apersonal oder metapersonal auffaût, ob man in der Form der negativen Theologie çber ihn redet, ob man sich ihn månnlich, weiblich oder metageschlechtlich vorstellt, ob man çberhaupt von einem »Gott« spricht und dergleichen mehr. Dies alles referiert uns die Religionswissenschaft auf hochinteressante Weise, doch ist das offenbar nicht »die Frage nach Gott«, wie sie aus groûer Verunsicherung heute philosophisch oder sagen wir einfach und altmodisch: existentiell gestellt wird. Allenfalls informiert uns die Religionswissenschaft auch noch darçber, daû in der såkularisiert-aufgeklårten Moderne von manchen, vielleicht an den Rån8

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dern der Religionen, die Frage nach Gott tatsåchlich aufgeworfen wird, aber die Religionswissenschaft als solche stellt diese Frage nicht. Ja, sie vermag uns auch nicht zu sagen, was diese Frage inhaltlich bedeutet, denn der religionswissenschaftlich auszubreitende Befund verweist auf derart divergierende Traditionen und Meinungen, daû Eindeutigkeit in bezug auf die Bedeutung dieser Frage bis auf den heutigen Tag nicht gegeben ist und auch nicht erreichbar sein dçrfte. Immerhin wird uns die Religionswissenschaft speziell daran erinnern kænnen (sofern diese Erinnerung denn nætig sein sollte), daû im Judentum und im Christentum danach gefragt wurde und wird, warum Gott nicht in den Gang der Dinge eingreift, warum er zægert, warum er schweigt oder, wie schon im christlichen Mittelalter gefragt wurde, warum er erst so spåt Mensch geworden sei; aber einerseits fragt die Religionswissenschaft wie gesagt diese Fragen nicht selbst, sondern notiert sie nur, und andererseits sind diese Fragen nach Gott auf der jeweiligen religiæs-spirituellen Ebene angesiedelt, auf der nicht »Gott« selbst fraglich geworden ist, sondern die Weisen seines sog. Handelns bzw. Nicht-Handelns. Mutatis mutandis gilt fçr die in verschiedenen Religionen anzutreffende »negative Theologie« das gleiche; sie ist dort immer noch eine durchaus affirmative »Theologie«, denn sie ist nicht aus der Verunsicherung, aus der die Frage nach Gott »heute« hervorgeht, entstanden, sondern im Gegenteil aus besonderem Respekt vor dem immer schon akzeptierten »Gott«, von dem sie allerdings in einer ihm angemesseneren Weise zu sprechen sucht, indem sie Analogien bzw. Anthropomorphismen vermeidet oder umgeht. Insofern zu der umfassenden Thematik der Religionswissenschaft auch die Mystik der Religionen gehært, wird man hierzu gewiû historisch mitteilen, daû manche Mystiker nicht die personale oder impersonale »unio mystica« erlebt haben, sondern eine Mystik der Abwesenheit oder auch des Sich-Entziehens Gottes; man wird hier z. B. an Johannes vom Kreuz oder im Bereich des Judentums an den Gedanken des Zimzum, der Selbstbeschrånkung Gottes, bei dem Kabbalisten Isaak Luria (1534±1572) denken kænnen und an die Formulierung åhnlicher religiæser Erfahrungen und Reflexionen in neuerer Zeit bei der Philosophin Simone Weil oder auch einem Zeugen der Shoah wie Elie Wiesel. 9 Es låût sich nicht bestreiten, daû Vgl. des nåheren G. Scholem, Die jçdische Mystik in ihren Hauptstræmungen, Frankfurt/M. 1957, 285±290; M. Vetæ, La Mtaphysique religieuse de Simone Weil, Paris

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derartige mystische Erfahrungen mit der heutigen Frage nach Gott vergleichbar sind, etwa was die Abwesenheit Gottes oder die Metaphorik der Dunkelheit und des Nichts betrifft, aber wenn und insofern diese Erfahrungen als mystische anzusehen sind, ist ihre Verunsicherung in einem åuûersten, wenngleich schwersten Prçfungen ausgesetzten Vertrauen aufgehoben, und die Formulierung »die Frage nach Gott« wçrde hier zweifellos nicht dasselbe bedeuten wie dann, wenn sie mit dem Vermerk »am Ende des 20. Jahrhunderts« versehen ist und sich so offenbar nicht auf Spezialprobleme der Mystik bezieht. Selbst wenn man in der Religionswissenschaft die Rede von der religiæsen Erfahrung als der Erfahrung des sog. »Heiligen« zulieûe und damit auch die Frage nach dem Heiligen, seiner Eigenart und seiner Erfahrbarkeit çberhaupt, wåre zu beachten, daû diese Frage nicht mit der Frage nach Gott gleichzusetzen ist. Es ginge ja bei ihr um die Mæglichkeit einer spezifischen Phånomen-Erfahrung, die vielleicht als die Vorbereitung der Erfahrung Gottes oder des Gættlichen angesehen werden kann ± wie bei Heidegger ± und in diesem Sinne vielleicht auch als ein Anlaû, aus der Verunsicherung der sogenannten Normalitåt bzw. der Unterbrechung der alltåglichen Ablåufe, die die Erfahrung des Heiligen bedeuten mag, die Frage nach Gott als solche zu stellen. Im çbrigen ist es natçrlich nur allzu richtig, wie Gantke hervorhebt, daû die Rede vom »Heiligen« umstritten ist, und eben deshalb halte ich mich, ohne dies hier im einzelnen entfalten zu kænnen, an eine religionsphilosophische Autoritåt wie Guardini; er schrieb, als 78jåhriger, in einem sehr offenen und deutlichen Brief an seinen Freund Josef Weiger vom 18. Dezember 1963, »das Religiæse« ± und er meinte hier zweifellos, wie die ausdrçckliche Nennung von Rudolf Otto beståtigt, die Erfahrung des Heiligen ± sei »ein psychologisch-kulturelles Moment, das sich ± als solches ± auch mit der Geschichte veråndert, und zwar so, daû es, wenn ich recht sehe, beståndig abnimmt.« 10 Er spricht von der »verfliegenden religiæsen Erfahrung«. 11 Doch wie dem auch sei, die Frage nach dem Heiligen bzw. nach der Erfahrbarkeit des Heiligen, wie immer man 1971, 19±43, spez. 20, Anm. 8; R. Boschki, Der Schrei. Gott und Mensch im Werk von Elie Wiesel, Mainz 1994, 96±98, 200±204 u. æ.; E. Wiesel, Macht Gebete aus meinen Geschichten. Essays eines Betroffenen, Freiburg ± Basel ± Wien 1986, 23. 10 R. Guardini, Theologische Briefe an einen Freund. Einsichten an der Grenze des Lebens, Mçnchen ± Paderborn ± Wien 1976, 41. 11 Ebda, 44.

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Was bedeutet »die Frage nach Gott« heute?

sie heute deutet oder umdeutet, ist nicht die Frage, um die es geht, wenn man fragt, was die Frage nach Gott heute bedeutet. Die Religionen haben also, religionswissenschaftlich gesehen, zu Gott, sofern sie auf irgendeine Weise çberhaupt von einem Gott, dem Gott oder dem Gættlichen bzw. dem Transzendenten sprechen, immer schon ein affirmatives Verhåltnis. In ihnen wird die Frage nach Gott, von der Problematik der Mystik und auch der durch Såkularisierung zerfransten Rånder der Religionen abgesehen, nicht gestellt. Dies vermag zwar die Religionswissenschaft ebenfalls zu referieren, aber sie stellt offenbar nicht selbst eine Frage, die nicht einmal in den Religionen oder von den Religionen gestellt wird. Ja, man gewinnt den Eindruck, die Religionswissenschaft selbst sei ein weiterer wichtiger Beleg dafçr, daû nicht mehr eindeutig zu sagen ist, was die Frage nach Gott heute bedeutet, sofern sie çberhaupt noch gefragt wird. Wenn also weder philosophisch noch religionswissenschaftlich geklårt werden kann, was die »Frage nach Gott« heute bedeutet, und wenn man dennoch der keineswegs leichtfertigen Meinung ist, mit dem Titel »die Fragen nach Gott« werde irgend etwas fçr die Menschen åuûerst Relevantes angesprochen oder angezeigt, so legt es sich nahe, darçber nachzudenken, ob es so etwas wie eine Verwandlung, eine Metamorphose der Frage nach Gott gibt. Ich erinnere an den zu Anfang zitierten Satz Adornos, »(k)ein vom Hohen getæntes Wort, auch kein theologisches,« habe »nach Auschwitz« »unverwandelt [¼] ein Recht«. Ohne darauf eingehen zu wollen, ob die Formulierung »kein von Hohem getæntes Wort« eine klare Formulierung ist und wie Adorno selbst die hier anvisierte und vielleicht sogar geforderte Verwandlung verstanden hat, mæchte ich doch sein Stichwort aufgreifen und einige Ûberlegungen darçber anstellen, was die Frage nach Gott heute bedeutet, wenn man ± philosophisch-religionsphilosophisch, aber immer auch psychologisch, gesellschaftlich und allgemein-kulturell betrachtet ± die Mæglichkeit ihrer Verwandlung in den Blick nimmt. Diese Verwandlung kann m. E. in einer ersten Annåherung als eine gedankliche Ûbersetzungsbemçhung aufgefaût werden, die angesichts aller Einwånde und Skrupel gegençber der »Frage nach Gott« sozusagen den »heiûen Kern« dieser Frage zu retten sucht, oder anders gesagt: die nach einer Mæglichkeit fragt, den Absturz in den Nihilismus zu vermeiden, und also »etwas« ± in Anfçhrungszeichen ± zu finden und zu benennen sucht, das trotz aller SchwierigDie philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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keiten »die Welt im Innersten zusammenhålt«. Die Frage so zu stellen, låût freilich bereits græûtes Miûtrauen aufkommen: Bedeutet die Frage nach Gott in verwandelter Weise heute wirklich das, was mit dieser formaler gefaûten Frage angezeigt wird, ja, ist diese Frage wirklich besser, nçtzlicher oder vertrauenswçrdiger als jene? Nun, man kann die sich abzeichnende, neue Frage durchaus noch um einiges deutlicher formulieren, indem man sie mit einem heute vielfach in Umlauf befindlichen Wort als die Sinnfrage bezeichnet. Damit kann freilich in unserem Zusammenhang, in unserer Fragekonstellation nur die Frage nach dem Sinn von schlechterdings allem gemeint sein. Es geht also jetzt nicht um die Frage nach speziellen Sinn-Bestimmungen, sondern eben um die Frage nach »Sinn çberhaupt«, und dies stets in Gegençberstellung zu der Meinung, solchen »Sinn çberhaupt« gebe es gar nicht oder er sei unerkennbar, vielmehr gebe es nur »Un-Sinn«, entweder verstanden in dezidiert nihilistischer Weise oder aber in der sprachphilosophisch empfohlenen Fassung von »Nicht-Sinn«, d. h. als Unzugånglichkeit. Wenn also die Frage nach Gott heute philosophisch nicht mehr gestellt werden kann, mag sie sich verwandeln in die Frage nach »Sinn çberhaupt«, d. h. in die Frage danach, ob es mit philosophischer und intellektueller Redlichkeit zu verantworten ist, an etwas festzuhalten, das man zwar nicht mehr »Gott« nennen kann, das aber antinihilistisch als Idee, als Orientierungspunkt, als Leitstern çber schlechthin allem schwebt und eine gewisse Ordnung, Werthaftigkeit und Konsistenz in allem, was ist, und damit letztlich eine Vertrauenswçrdigkeit gegençber dem, was ist, legitimiert. Nach einem solchen »Sinn çberhaupt« kann meiner Ansicht nach durchaus gefragt werden. Wie das geschehen kann, hat z. B. Bernhard Welte in einer eindringlichen phånomenologischen Reflexion aus dem Jahre 1971, allerdings unter dem Titel »Versuch zur Frage nach Gott«, dargelegt. Welte bahnt hier in mehreren gedanklichen Schritten, von der durch den Tod evozierten Erfahrung des Nichts oder doch der Mæglichkeit des Nichts ausgehend, den Weg zu der Einsicht, die Menschen kænnten nicht anders, als um ihres durch das Nichts bedrohten Daseins willen immer wieder nach Sinn zu fragen, um der Verzweiflung und dem Chaos des Nihilismus zu entgehen. Er gelangt so zu einem »Sinnpostulat«, das seinerseits zu einem »ethischen Grundpostulat« wird und eine »ethische Grundentscheidung« fordert. Welte fåhrt dann fort: »Man kann sie (gemeint ist die ethische Grundentscheidung, Anm. H. R. S.) mit dem 92

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Satze aussprechen: Alles hat Sinn. Denn man darf den Unterschied zwischen Gut und Bæse nicht preisgeben. Es muû daran festgehalten werden, daû Liebe einen Sinn hat. Daû der Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit einen Sinn hat. Daû das Leiden der Leidenden einen Sinn hat. Das unverzichtbare ethische Grundpostulat ist geltend zu machen gegen die absolute Bedrohung mit absoluter und universaler Sinnlosigkeit, die von der konsequent durchgehaltenen Erfahrung des Nichts ausgeht.« 12 Die Ûbertragung der Sinnfrage und Sinnproblematik auf die Ethik verdient ihrer Intention nach natçrlich Zustimmung. Sie ist gesellschaftlich und politisch einleuchtend, wie viele Debatten am Ende dieses Jahrhunderts beståtigen. Die Mæglichkeit, nach »Sinn çberhaupt« zu fragen, also çber das Ethische hinaus, bleibt jedoch bestehen, und Welte selbst fçhrt diese Frage in Richtung auf die Gottesfrage weiter, obwohl in dem erwåhnten Aufsatz trotz des Titels nur ganz kurz die Rede davon ist. 13 Ich mæchte hier offen lassen, wieweit der Theologe Welte damit dem Religionsphilosophen einen Weg gewiesen hat. Die Annahme eines Interesses des Menschen an seinem Dasein und damit an Sinn çberhaupt, aus dem die alles umgreifende Sinnfrage immer wieder entsteht, kann ja von harten Rationalisten und Nihilisten als Relikt einer frçheren, vielleicht religiæsen Bewuûtseinsstufe, als neurotische Fixierung oder sonstwie erklårt bzw. geleugnet werden, und ich glaube auch nicht, daû ihnen gegençber so etwas wie ein »Sinnbeweis« gefçhrt werden kænnte. Zwar liegt auch in der nihilistischen Sinnbestreitung ein Ûberschuû an Sicherheit, doch kann zugunsten der Erfahrung der Sinn- und Bedeutungslosigkeit von »allem« bekanntlich sehr vieles vorgebracht werden, und das nicht erst am Ende des 20. Jahrhunderts. So gibt es doch sehr zu denken, daû der evangelische Alttestamentler Diethelm Michel in seinem Qohelet-Buch (1988) die dort zu lesende Disqualifizierung von »allem« nicht mehr durch das deutsche Wort »eitel« wiedergibt. Auch das lateinische »vanitas vanitatum« (Koh 1,2 [Vulgata]) und z. B. deren ausfçhrliche Beschreibung in dem Kommentar des Hugo von St. Viktor bewegen sich allzusehr auf der moralischen

B. Welte, Versuch zur Frage nach Gott, in: Die Frage nach Gott, hrsg. v. J. Ratzinger (Quaestiones disputatae 56), Freiburg ± Basel ± Wien 2 1973, 25. 13 Vgl. ebda, 26. 12

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Ebene. 14 Deswegen ist es richtig, daû Michel das hebråische håbål mit ausdrçcklicher Berufung auf Camus 15 durchgehend mit »absurd« çbersetzt, so daû man etwa liest: »Vollkommen absurd, sprach Qohelet, vollkommen absurd ± alles ist absurd.« (Koh 1,2 sowie 12,8) 16 Die Frage, ob dies wirklich so ist oder ob es in und hinter »allem« ± man beachte stets diese Generalisierung ± doch Sinn gebe, ist also nicht gerade neu, aber ihr erkenntnistheoretischer und religionsphilosophischer Ort hat sich bis zum heutigen Tag offenbar erheblich veråndert. Wie schon angedeutet, wurde und wird die Ansicht, die Sinnfrage als durchaus berechtigte Frage fçhre çber sich hinaus zur Gottesfrage und werde durch deren Bejahung beantwortet, oft vertreten; philosophisch gesehen stellt sich die Problematik heute jedoch umgekehrt dar: Die nicht mehr nachvollziehbare Frage nach Gott verwandelt sich zu der Frage nach »Sinn çberhaupt«. Dabei bleibt allerdings offen, ob die so verstandene Sinnfrage heute mit græûerer Aussicht auf eine Antwort gefragt werden kann als die Gottesfrage. Dies ist meiner Ansicht nach keineswegs der Fall. Abgesehen davon, daû die Sinnfrage nach etwas fragt, dessen Konturen und Inhalt nur formal und unbestimmt als ein irgendwie zu Affirmierendes oder Positives angezeigt werden kænnen, lassen sich gegen dieses so Erfragte wenn auch nicht alle, so doch nicht wenige der Einwånde vorbringen, die bereits die Frage nach Gott dekonstruierten. Die Annahme eines »Sinns çberhaupt« muû trotz aufzeigbarer Segmente und Fragmente von Sinn, wie sie im Bereich des Ethischen und auch des Østhetischen aufweisbar sind, einerseits in Anbetracht des Unmaûes des Bæsen und andererseits an der skandalisierenden Widersprçchlichkeit der Welt im ganzen scheitern. Jean Amery bezeugt aus eigener Erfahrung, daû der von Carnap so genannte »logische Aufbau der Welt«, sollte er als solcher denn einen universellen Sinn anzeigen wollen, angesichts des Terrors, den Menschen einander zufçgen, zusammenbricht. 17 Jeder kennt aus seiner eigenen Lebenserfahrung Phånomene und Ereignisse, die dazu her14 Vgl. H. R. Schlette, Die Nichtigkeit der Welt. Der philosophische Horizont des Hugo von St. Viktor, Mçnchen 1961, 67±101. 15 Diese Bezugnahme auf Camus bedarf jedoch einer gewissen Modifizierung bzw. Ergånzung; vgl. etwa: Die Gegenwart des Absurden. Studien zu Albert Camus, hrsg. v. A. Pieper. (Basler Studien zur Philosophie, Bd. 3), Tçbingen ± Basel 1994. 16 Vgl. D. Michel, Qohelet (Ertråge der Forschung, Bd. 258), Darmstadt 1988, 127, 167 u. æ. 17 Vgl. J. Amry, Die scheinbaren Scheinfragen, in: J. A., Unmeisterliche Wanderjahre,

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ausfordern, die Frage nach Sinn in ihrer allgemeinen und åuûersten Form zu stellen, die es aber als aussichtslos erscheinen lassen, sie affirmativ zu beantworten. Philosophisch miûlingt nicht nur die Theodizee, vielmehr scheitert jede Art von Dizee, d. h. jeder Versuch der Rechtfertigung des Weltzustands mit den Mitteln und vor den Ansprçchen eines Denkens, das auf so etwas ausgerichtet ist wie die Erkenntnis und die Verwirklichung von »Sinn çberhaupt«. Hier scheint nun jedoch eine Differenzierung und Pråzisierung erforderlich. Von Theodor Lessing stammt die vielzitierte Formel von der »Sinngebung des Sinnlosen«. 18 Sie besagt zunåchst, daû »Sinn çberhaupt« nicht als etwas Vorgegebenes erkannt werden kann, sondern von uns erfunden, »gegeben« oder, wenn man will: »gesetzt« werden muû, also stets nur ein sog. »Konstrukt« ist. Mit dieser Auffassung kann man sich natçrlich angesichts der Abwesenheit von Sinn und des gleichzeitig sich regenden Bedçrfnisses nach Sinn fçrs erste weiterhelfen. Das Problem dieser Formel liegt aber in der Bedeutung des Wortes »das Sinnlose«. Ist damit der Nihilismus gemeint oder aber die Nichterkennbarkeit eines Sinns? Je nachdem erhålt die sog. Sinngebung und ihr vorauf die Sinnfrage eine andere Valenz. Sinnfrage und Sinngebung haben selbst nur Sinn, wenn das Sinnlose nicht nihilistisch aufgefaût wird. Gegençber einem metaphysisch-nihilistischen Wissen, das sich nicht begrçnden kann, ist es erkenntnistheoretisch legitim, das Sinnlose als das AporetischØnigmatische zu verstehen, das als solches Sinngebung çberhaupt erst mæglich macht und nicht von vornherein als leer und nichtig erscheinen låût. Die an die Stelle der Frage nach Gott getretene Frage nach Sinn enthålt von hier aus ihre innere Berechtigung, auch wenn ihre Beantwortung wegen des Scheiterns einer jeden Dizee unmæglich ist. Die Gottesfrage kann sich also am Ende des 20. Jahrhunderts verwandeln in die Sinnfrage, welche zwar nicht zu einem allseits zufriedenstellenden, inhaltlichen Resultat fçhrt, jedoch ein nicht geringes Maû an Berechtigung und Plausibilitåt fçr sich in Anspruch nehmen kann. Da sie aber dennoch an dem Dizee-Problem Schiffbruch erleidet, fragt es sich, ob nach der Gottesfrage, die zur Sinnfrage mutierte, noch eine weitere Frage mæglich ist, die die Essenz oder,

Stuttgart 1971, 32±54; sowie ders., Jenseits von Schuld und Sçhne. Bewåltigungsversuche eines Ûberwåltigten, Stuttgart 2 1980 (zuerst Mçnchen 1966), 55 f. 18 Vgl. Th. Lessing, Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen, Mçnchen 1919. Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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wenn Sie wollen, den »heiûen Kern« dieser Fragen bewahren oder retten kann. Wenn man in der skizzierten Weise annehmen darf, daû die Frage nach »Sinn çberhaupt« trotz groûer methodischer und sachlicher Probleme eine sinnvolle Frage ist oder doch sein kann, so liegt in dieser Annahme bereits ein gewisses Moment von Hoffnung. Dies darf als ein Anlaû und ein Anstoû dazu verstanden werden, hinter die Sinnfrage zurçckzugehen bzw. çber sie hinaus und damit die Verwandlung der alten metaphysischen Affirmation noch jenseits der Sinnfrage weiterzuverfolgen zu der Frage nach der Mæglichkeit der Verwandlung jener beiden Fragen in die Frage nach »Hoffnung çberhaupt«. Wie immer es sich mit der Verzahnung von Sinnfrage und Hoffnungsfrage verhalten mag, ich mæchte dieses Problem hier çbergehen, da es uns in begriffliche und methodische Subtilitåten verstricken kænnte, bei denen aus dem Blick geråt, wonach hier unter dem Titel, was die »Frage nach Gott« heute bedeutet, gefragt wird. Was bedeutet also in unserem Zusammenhang die Hoffnungsfrage, wenn es sich bei ihr ebenfalls um eine Verwandlung der çberkommenen Gottesfrage handeln soll? Um diese Frageweise richtig zu verstehen, ist es nçtzlich, sich wenigstens kurz die gelåufige Form des Sprechens çber die Hoffnung in religiæser Hinsicht zu vergegenwårtigen und zu diesem Zweck einen Blick auf die Religionswissenschaft und auch auf die Philosophie bzw. Religionsphilosophie zu werfen. Da die Religionswissenschaft ihrem vorherrschenden Selbstverståndnis zufolge die Frage nach Gott nicht stellt, wird sie ebenso wie die Frage nach Sinn auch die Frage nach »Hoffnung çberhaupt« ihrerseits nicht stellen. Dies ist auch nicht ihre Aufgabe, wenn man diese Frage als philosophische oder religionsphilosophische ansieht. Die Religionswissenschaft berichtet freilich von den Hoffnungen in den verschiedenen Religionen, d. h. von den Aussagen und Bildern, die man in bezug auf die vertikale Hoffnung dort findet. So ist die Rede von einer neuen Welt, von Auferstehung, von dem kçnftigen Paradies, von der Unsterblichkeit der Seelen ± auch der Platonismus war fçr lange Zeit eine Religion 19 ±, von der visio beatifica, vom Nirwana, vom Offenbarwerden der Einheit von Atman und BrahVgl. H. Dærrie, Die Andere Theologie. Wie stellten die frçhchristlichen Theologen des 2. ± 4. Jahrhunderts ihren Lesern die »Griechische Weisheit« (= den Platonismus) dar? In: Theologie und Philosophie 56 (1981), 1±46.

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man, von ewigem Frieden usw. Mit all diesen Erwartungen ist so oder so eine Inhaltlichkeit verbunden, die einen Ausgleich, eine Kompensation, die Ûberwindung des Bæsen und des Leids, eine Erfçllung und also Heil und Glçck, in welcher Form auch immer, jedoch von auûerhalb der Menschen her, in Aussicht stellt. Es geht hier ganz wesentlich um die Vertikalitåt der Hoffnung, nicht um deren Horizontalitåt, d. h. um Hoffnung auf gelungene Zukunft in der menschlichen Geschichte. Ich lasse hier offen, ob in der jçdisch-prophetischen Rede vom Umschmieden der Schwerter in Pflugscharen (Jes 2,4) und in åhnlichen Aussagen nicht doch eine horizontale Hoffnung auf weltlichen Frieden gemeint oder impliziert ist, oder ob es sich auch hier um eine allegorisch zu interpretierende Bildlichkeit handelt. 20 Jedenfalls hången alle vertikalen Hoffnungsweisen untrennbar mit Vorstellungen von Gott oder dem Gættlichen zusammen; dies gilt, wenn auch in schwer einsehbarer Weise, auch fçr den strengen Buddhismus; dessen »Nichts« ist ja, wie Hans Waldenfels in seinem bekannten Werk mit dem bezeichnenden Titel »Absolutes Nichts« unterstrichen hat, durchaus ein Positivum. 21 Parallel zu jeweils im Westen dominierenden atheistischen oder nihilistischen Tendenzen hat man, wie Roger-Pol Droit in seinem Buch »Le Culte du nant. Les philosophes et le Bouddha« 22 ausfçhrlich dargestellt hat, das Nirwana gern negativistisch-nihilistisch interpretiert, offenbar zu Unrecht. Schlieûlich ist hier noch zu erwåhnen, daû die Hoffnungsvorstellungen zumindest in den abrahamitischen Religionen ± anders als in manchen æstlich-asiatischen Religionen ± sich auf jedes einzelne Individuum, auf jede Person bzw. jede Seele beziehen und nicht als eine nur gattungsartige oder substanzhafte Fortdauer mit Verlust der Individualitåt und vor allem des individuellen Bewuûtseins zu verstehen sind. Wie dem auch sei, alle diese inhaltlichen Hoffnungsvorstellungen kænnen auf der Reflexionsebene unserer Frage nach der Hoffnung als einer Verwandlung der Gottes- und Sinnfrage lediglich in Erinnerung gerufen werden; sie scheitern nicht nur an den Grenzen Auf die Problematik der allegorischen Schriftauslegung, die angesichts der Erkenntnisse der Exegese einerseits und der Bibelzitation in religiæs-theologischen Texten andererseits inzwischen noch brisanter geworden ist, als sie immer schon war, sei in diesem Zusammenhang lediglich hingewiesen. 21 Vgl. H. Waldenfels, Absolutes Nichts. Zur Grundlegung des Dialogs zwischen Buddhismus und Christentum, Freiburg ± Basel ± Wien 3 1980. 22 Seuil, Paris 1997. 20

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unserer Erkenntnis in bezug auf alles Postmortale, sondern auch an dem Einwand, die Opfer oder, mit Iwan Karamasoff, der »Preis« fçr diesen so oder so in Aussicht stehenden eschatologischen Ausgleich seien zu hoch. Warum diese unendlichen Leiden, die Leiden der Unschuldigen, die Abgrçnde des Terrors, der Brutalitåt, des Bæsen schlechthin? Angesichts dieser Bedenken gegen die Hoffnung çberhaupt kann natçrlich auch die Religionsphilosophie keine zufriedenstellende Antwort geben. Sie vermag angesichts der Behauptungen des Nihilismus keine Grçnde fçr eine irgendwie inhaltlich geartete, das Leid und das Bæse rechtfertigende Hoffnung vorzubringen, ja nicht einmal fçr die Unsterblichkeit oder Unzerstærbarkeit der menschlichen Einzelseele çberhaupt. Dies war nicht nur die Auffassung Kants, sondern auch schon die des Platonischen Dialogs Phaidon, wie Hans Michael Baumgartner kçrzlich in Erinnerung gerufen hat. 23 Eine Hoffnung, die Grçnde nennt 24 , wåre ohnehin keine Hoffnung; Hoffnung bleibt immer ein Risiko. Die Frage muû aber lauten, ob sie als ein solches Risiko nicht doch am Ende des Verwandlungsprozesses çber Gottesfrage und Sinnfrage hinaus festgehalten werden kann, so daû man sagen darf, die Frage nach Gott heute bedeute mehr noch als die Sinnfrage die Frage nach Hoffnung çberhaupt. Fçr diese These lassen sich m. E. nur dann einige Indizien und Fingerzeige aufweisen, wenn man »Hoffnung çberhaupt« nicht mehr »inhaltlich« versteht. Zwar wuûte man in bezug auf die traditionellen Hoffnungsvorstellungen in und auûerhalb der Religionen durchaus, daû ihre Bildlichkeit und Terminologie unangemessen bzw. inkommensurabel waren, aber man akzeptierte diese Deutungen dennoch als Mæglichkeiten, die Inhaltlichkeit der Hoffnung zu umschreiben. Offenbar schåtzte man hier das Erkenntnis- und Sprachproblem ebenso ein wie in der sog. negativen Theologie, die aber letztlich eine affirmative Theologie blieb. Da aber solche Affirmationen scheitern, kann man gegençber der philosophischen Kritik allenfalls noch eine ungegenståndliche, auf Inhalte verzichtende und in diesem Sinne negative Hoffnung verteidigen. Sie kann sich zwar 23 Vgl. H. M. Baumgartner, Ist der Mensch absolut vergånglich? Ûber die Bedeutung von Platons Argumenten im Dialog »Phaidon« (Bonner philosophische Vortråge und Studien, Bd. 2), Bonn 1998. 24 Gemåû 1 Petr 3,15 Rechenschaft çber die Hoffnung abzulegen, sollte (nebenbei gesagt) nicht kurzschlçssig mit der Bereitstellung philosophischer Argumente gleichgesetzt bzw. als Aufforderung zu apologetischer Philosophie oder zu »Fundamentaltheologie« verstanden werden.

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ebensowenig selbst begrçnden, wie sich die Sinnhaftigkeit der Sinnfrage begrçnden kann; sie kann aber, und das verbindet sie mit der Fragesituation auf der Ebene der Sinnproblematik, die Sicherheit der Nihilismus-Behauptung bezweifeln und auf Partikel der Welt- und Lebenserfahrung verweisen, die zumindest die Frage nach »Hoffnung çberhaupt« gestatten, ja gebieten, notabene als Frage nach einer negativen Hoffnung, also nach einer Hoffnung, çber die wir philosophisch bzw. religionsphilosophisch in inhaltlicher Hinsicht nichts wissen. Zu den Indizien und Fingerzeigen, die fçr diese negative Hoffnung sprechen und nicht fçr die Verzweiflung und den Nihilismus, mægen Erfahrungen ethischer Art gehæren, wie Welte sie mit Blick auf die Sinnfrage vortrug, doch spielen insbesondere åsthetische Erfahrungen hier eine wichtige Rolle. Ich nenne als Beispiel den sehr skeptischen Cioran, demzufolge die Geschichte das »Werk des Teufels« ist und es besser wåre, wenn wir nicht existierten. 25 Ebendieser Cioran erkennt jedoch das Aufblitzen von Lichtfunken und damit von Hoffnungsfragmenten an, wie sich vor allem an seinen Øuûerungen çber die Musik nachweisen låût. 26 Anderen werden andere Erfahrungen vergleichbarer Art zugånglich sein. Das Denken Ciorans scheint mir ein sehr gutes Beispiel dafçr zu sein, daû trotz eines prinzipiellen, vielleicht muû man sogar sagen: eines metaphysischen Dissenses gegençber dem, was ist, und trotz der Verweigerung der Affirmation bzw. des Einverståndnisses mit dem, was ist, »Hoffnung çberhaupt« in Gestalt der negativen Hoffnung mæglich ist. Vergegenwårtigt man sich all die Objektionen und alle damit verbundene Not der Menschen angesichts der frçheren und der heutigen Fragen nach Gott und nach Sinn, so ist in Anbetracht der Aporien und Widersprçche, der Zumutungen, Zynismen und Blasphemien auf dem Felde der Philosophie und der Religionen die negative Hoffnung m. E. das einzige, was man »heute« philosophisch angesichts des Nihilismus noch retten kann. Damit wåre zugleich eine Rehabilitierung des elementaren Wçnschens, aber auch eine Verteidigung des Rechts auf Kritik, auf Dissens und auf einen Weltvor25 Vgl. Entretien avec L. Gillet (1982), in: E. M. Cioran, Entretiens, Gallimard, Paris 1995, 65; sowie ders, Vom Nachteil, geboren zu sein, Wien ± Mçnchen ± Zçrich 1977 (frz. 1973), 5, 11 u. æ. 26 Vgl. z. B. E. M. Cioran, Ein Gespråch mit Sylvie Jaudeau, Erker, St. Gallen 1992, 24±26.

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behalt verbunden, auch eine gewisse Verteidigung der Individualitåt bzw. der Subjektivitåt, obwohl negative Hoffnung inhaltlich auch in bezug auf diese Frage nichts weiû. »Unser Wissen und Verstand ist mit Finsternis umhçllet.« Negative Hoffnung låût sich auf der existentiellen Ebene schlieûlich als ein Harren und ein Murren charakterisieren, deren Zusammenspiel so aussåhe: »Das Harren ohne das Murren wåre ahnungslos und peinlich naiv, das Murren ohne das Harren aber wåre blind gegençber den Erfahrungen des Erfreulichen, des Schænen, der Freundschaft, der Gçte und ist letztlich zu Frustration und Depression verurteilt.« Eine Philosophie der negativen Hoffnung als Philosophie immer auch des Harrens und des Murrens wçrde den Einwånden des Nihilismus und einer entsprechenden Religionskritik »weder recht geben noch sie unbeachtet lassen«. 27 Negative Hoffnung als das, was heute die Frage nach Gott angesichts der åuûersten Herausforderungen philosophisch bzw. religionsphilosophisch noch zu bedeuten scheint, ist zweifellos den einen zu wenig, den anderen aber, an die ich hier vor allem gedacht habe, immer noch zu optimistisch. Auch diesem clair-obscur ist nicht zu entkommen auûer durch ein Risiko, das freilich nicht beliebig und insofern fundamentalistisch eingegangen werden darf, sondern sich bis an die Grenzen des philosophisch Mæglichen zu legitimieren hat.

H. R. Schlette, Harren und Murren. Ûber die Grenze zwischen Philosophie und Religion, in: ders., Konkrete Humanitåt. Studien zur Praktischen Philosophie und Religionsphilosophie, hrsg. v. J. Brosseder/N. Klein/E. Weinzierl, Frankfurt/M. 1991, 452. 27

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Negative Theologie ± auch heute ein philosophischer Sprechversuch çber Gott Von Willi Oelmçller, Bochum

Drei Vorbemerkungen Jeder kænnte auf verschiedenen Ebenen Beispiele dafçr nennen, daû Gott heute fçr Menschen keine ernsthafte letzte Frage ist. Bei einer Umfrage entschied sich nach der ­Zeit¬ vom 30. 7. 1998 die mit Abstand kleinste Gruppe bei den zur Beurteilung gestellten Werten fçr Gott: 27 % in West-, 9 % in Ostdeutschland. Nach der FAZ vom 1. 9. 1995 lautete das Thema der Jahrestagung der ­Europåischen Gesellschaft fçr katholische Theologie¼ »Gott ± ein Fremder in unserem Haus« der Kirche und Theologie, »der ecclesiologische Atheismus«. Thema war dabei die oft diskutierte Frage: Warum beschåftigen sich die christlichen Kirchen und Theologien mit so vielen Fragen und Krisen, z. B. mit denen der Religionen und Kirchen, aber nicht mit der Gottesfrage und Gotteskrise? Vorweg und erlåuterungsbedçrftig nenne ich kurz drei Voraussetzungen meiner Thesen und Ûberlegungen: 1 ± Wenn es den einen nicht von Menschen gemachten Gott, z. B. den der Juden, Christen und Muslime, gibt, dann hat das radikale Konsequenzen nicht nur fçr das Denken und Sprechen der Menschen, sondern auch fçr ihr Handeln, Leiden und Hoffen. ± Wenn Menschen in einer Welt, als ob es Gott nicht gåbe, auf diesen Gott setzen, dann dçrfen sie çber diesen Gott nicht immer nur schweigen und verstummen; dies wåre oft der Beginn ihres Abschieds von Gott. ± Negative Theologie war und ist keine Negation Gottes: sie war und ist auch heute neben anderen menschlichen Sprechversuchen einer çber Gott auf dem Wege der Negation aller Gott selbst notwendig Zur Begrçndung der Thesen und Ûberlegungen s. W. Oelmçller, Negative Theologie heute. Ein philosophischer Sprechversuch çber Gott, Mçnchen 1999; W. Oelmçller/ R. Dælle-Oelmçller, Grundkurs. Religionsphilosophie, UTB 1959, Mçnchen 1997.

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inadåquaten menschlich ± allzu menschlichen Sprechversuche. Das vierte Laterankonzil (1215) bestritt bekanntlich die Mæglichkeit der adåquaten Gotteserkenntnis: »weil zwischen Schæpfer und Geschæpf keine Øhnlichkeit festgestellt werden kann, so daû zwischen ihnen eine græûere Unåhnlichkeit festgestellt werden muû«. Und Levinas sprach so vom »Gott der Bibel, dessen Wege unbekannt sind«, »dessen Anwesenheit in Abwesenheit besteht und dessen Abwesenheit sich als Anwesenheit aufdrångt«. Zur Vorbereitung einer Diskussion çber die Frage, ob negative Theologie auch heute ein philosophischer Sprechversuch çber Gott ist, formuliere ich einige Thesen und Ûberlegungen zu vier Themen: 1. Philosophisches Sprechen çber Gott bei gegenwårtigen Diskussionen çber das biblische Bilderverbot, den biblischen Monotheismus und die negative Theologie; 2. Philosophisches Sprechen çber Gott angesichts des gegenwårtigen Zusammenlebens von verschiedenen religiæsen und nichtreligiæsen Menschen und Gruppen, von Menschen und Gruppen, die auf Gott setzen, sowie von solchen, die nicht auf Gott setzen, in den verschiedenen Rechtsstaaten Europas; 3. Philosophisches Sprechen çber Gott angesichts der Erfahrungen von Leiden und Katastrophen, von Tod und Untergang; 4. Vier Kennzeichen eines philosophischen Sprechens çber Gott in der negativen Theologie heute.

1. Punkt: Philosophisches Sprechen çber Gott bei gegenwårtigen Diskussionen çber das biblische Bilderverbot, den biblischen Monotheismus und die negative Theologie. ± Bei den gegenwårtigen Diskussionen çber die drei Begriffe Bilderverbot, Monotheismus und negative Theologie, vor allem çber die letzten beiden, interessiert mich ein Phånomen, das fçr unsere gegenwårtige Situation am Ende des Jahrhunderts kennzeichnend ist: Auf der einen Seite stehen Arbeiten, in denen sich Menschen die Frage stellen: Wie kænnen wir auf dem Wege der Negation glaubwçrdig sprechen vor und zu dem einen nicht von Menschen gemachten Gott (z. B. der Juden, Christen, Muslime)? Auf der anderen Seite stehen Arbeiten, in denen sich Menschen die Frage stellen: Wie kænnen wir heute auf dem Wege der Negation glaubwçrdig sprechen ohne, ja gegen den Gott der Juden, Christen und Muslime? 102

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1.1 Das biblische Bilderverbot Bei gegenwårtigen Diskussionen çber Bilderverbote geht es oft ± zumindest auf den ersten Blick ± nicht wie beim biblischen Bilderverbot um das Verhåltnis des Menschen zu Gott. Dafçr zwei Beispiele: Wenn Eltern und Erzieher, religiæse und nichtreligiæse Institutionen Kindern und Erwachsenen bestimmte technologische Bilder in Filmen und im Internet verbieten, mæchten sie die schlimmen Folgen dieser Bilder fçr die Betrachter verhindern. Wenn Kunstwissenschaftler und Kçnstler bei der Bestimmung des spezifischen Gegenstandes der Kunstwissenschaft bzw. eines modernen Bildes çber das biblische Bilderverbot und seine Konsequenzen sprechen, dann geht es oft um mehr als um wissenschaftsinterne Diskussionen. Das zeigen etwa die verschiedenen Thesen von G. Boehm und H. Belting çber die Folgen des biblischen Bilderverbots. Boehm sieht etwa eine positive Konsequenz des biblischen Bilderverbot »in der negativen Theologie des Christentums und in einer negativen Østhetik«. 2 Fçr Belting dagegen besteht die »Ohnmacht der Theologie« darin, daû diese mit den gedanklichen Bildern und intellektuellen Glaubenssåtzen die Macht der Bilder und ihre Identitåtsstiftung fçr die Kirche und Gesellschaft nicht ernsthaft disziplinieren kann. Bilder fallen daher fçr ihn erst dann in die »Kompetenz der Kunsthistoriker«, wenn die Identitåt der Kirchen und der Gesellschaft, die durch die religiæse und politische Macht der Bilder stabilisiert wurde, zerbrochen ist. 3 Aufgrund der gegenwårtigen Diskussionen verstehe ich wie andere unter dem biblischen Bilderverbot fçnf zusammenhångende Verbote, die man thesenhaft so formulieren kann: 1. Das Verbot des Gottes Israels, fremde Gætter zu verehren, anzubeten und von ihnen Hilfe zu erbitten. 2. Das Verbot, die von Menschen z. B. aus Holz und Metall geschaf»Die Theologie des Verbotes erneuert sich spåter in der negativen Theologie des Christentums und in einer negativen Østhetik, die modernen ikonoklastischen Strategien nahesteht, insbesondere jenen Entgrenzungsbemçhungen des Bildes, die darauf zielen, ein Erhabenes erfahrbar zu machen«: G. Boehm, Die Bilderfrage, in: ders. (Hrsg.), Was ist ein Bild? Mçnchen 1994, 325±343, hier: 330±331. 3 »Bilder waren nie allein Sache der Religion, sondern immer auch Sache der Gesellschaft, welche sich in und mit der Religion darstellte. Die Religion war viel zu zentral, um nur, wie in der Moderne, eine persænliche oder eine Angelegenheit der Kirchen zu sein«: H. Belting, Die Macht der Bilder und die Ohnmacht der Theologen, in: Orthodoxes Forum (1987) Nr. 1, 253±260, hier: 254±255. 2

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fenen sichtbaren Werke und Bildwerke als Andachts-, Wunderund Gnadenbilder zu verehren, als Gott anzubeten und von ihnen Hilfe zu erbitten und zu erhoffen. Beispiele hierfçr aus der Bibel sind die Geschichte vom Goldenen Kalb (2 Mose 33) und die vom Holzschnitzer (Jesaja 44,9±20). 3. Das Verbot, beim Sprechen von Wortbildern und Namen Gottes anzunehmen, die menschliche Sprache habe die Macht, die Unverfçgbarkeit Gottes direkt und unmittelbar verfçgbar zu machen, Gottes Unbegreiflichkeit und Namenlosigkeit festzulegen, das Wesen Gottes und seine Eigenschaften zu offenbaren, zu zeigen, abzubilden. 4. Das Bilderverbot fordert nach den gegenwårtigen Diskussionen, auch im Blick auf die bisherigen geschichtlichen Erfahrungen des Judentums, des Christentums und des Islam, Bilder und den Namen Gottes nicht zu miûbrauchen zur direkten und unmittelbaren Legitimierung und Stabilisierung von geschichtlich vorgegebenen und kontingenten, geschichtlich ånderbaren und verbesserungsbedçrftigen sozialen, rechtlichen, politischen, aber auch religiæsen Institutionen und Organisationen. 5. Das Verbot verstehen Theologen und Philosophen, Kçnstler, Musiker und Schriftsteller heute auch so: Weil der Mensch Bild Gottes ist, darf er sich weder von sich selbst, noch von seinen Mitmenschen, noch von dem Menschen ein Bild machen. Dies legitimiere in der Geschichte und heute immer wieder die Verfçgung, die Verletzung, ja, die Vernichtung von Menschen. Bei Diskussionen çber das biblische Bilderverbot verwendet man gegenwårtig æfter auch den Begriff negative Theologie. Das hat verschiedene Grçnde. 4 Eine Gemeinsamkeit zwischen biblischem BilderJ. Kroth begrçndet dies in seinem Beitrag Negative Theologie und Bilderverbot (in: M. J. Rainer/H.-G. Janûen, Hrsg., Bilderverbot, Mçnster 1997, 308±314) so: »Obgleich nicht unbedingt einer groûen Konjunktur sich erfreuend, mehren sich innerhalb der philosophischen ± interessanterweise nicht der theologischen ± Diskussionen die Rekurse auf die Traditionen negativer Theologie. Daû die Theologie hieran keinen groûen Anteil hat, mag viele Ursachen haben: die restaurative Abschottungstendenz gegençber den Herausforderungen der Zeit, die Immunisierung durch transzendentalphilosophisch reflektiertes Offenbarungswissen, die Weigerung, die fundamentale Krise von Theologie und Kirche zur Kenntnis zu nehmen, u. v. m. Um so bedeutsamer ist, daû gerade in der zeitgeschichtlich interessierten Philosophie diese Rçckgriffe stattfinden. Auch hier mægen die Ursachen vielschichtig sein; sie schulden sich vermutlich nicht zuletzt einer fundamentalen Orientierungskrise nach dem Scheitern eines sozialistischen Alternativversuchs zur kapitalistischen Gesellschaftsformation« (308).

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verbot und negativer Theologie sehe ich darin: Beide suchen auf dem Wege der Negation Sprech- und Darstellungsmæglichkeiten çber den einen nicht von Menschen gemachten Gott. Die Diskussionen çber das biblische Bilderverbot in der Geschichte und Gegenwart innerhalb und zwischen Judentum, Christentum und Islam schwanken zwischen zwei Extremen. Auf der einen Seite: Im Ikonoklasmus, in Bilderstçrmen und bei Bilderzerstærungen vernichten religiæse und nichtreligiæse Menschen und Gruppen Bilder und Bildworte Gottes, weil diese nicht bloû eine ­spirituelle¬ Bedeutung haben, sondern eine reale soziale, rechtliche, politische und religiæse Herrschaft und Macht legitimieren und stabilisieren. Auf der anderen Seite: Menschen suchen immer wieder in der Geschichte, in der eigenen Lebensgeschichte wie in der Bibel je nach ihrer Lebenslage solche Bilder, Bildworte und Namen Gottes, die zugleich die Unverfçgbarkeit und Namenlosigkeit dieses Gottes sichtbar und hærbar machen. Menschen, die auf Gott setzen und setzen mæchten, kænnen çber diesen Gott nicht endgçltig schweigen und verstummen. 1.2 Der biblische Monotheismus Die Bandbreite der Verwendung des Begriffs Monotheismus seit dem 17. Jahrhundert ist sehr groû. 5 Auf der einen Seite stehen z. B. Menschen, die ausgehen von dem Glauben an den gemeinsamen monotheistischen Gott der drei Offenbarungsreligionen der Juden, Christen und Muslime, die von Moses, Jesus und Mohammed gestiftet wurden. Sie kennen dabei natçrlich die groûen Unterschiede und ungelæsten Konflikte zwischen diesen drei Religionen in der Geschichte und heute. Auf der anderen Seite stehen Menschen, die unterstellen, der Monotheismus dieser Religionen gehære geschichtlich zu einem durchschauten und çberwundenen Stadium. Dazwischen lokalisiert man oft Aufklårer und Philosophen, die sich allein mit einem von Menschen selbst gemachten Gott beschåftigen, weil sie, wie man sagt, die wahre Kirche, die wahre Bibellektçre und den wahren Glauben an Jesus Christus und Gott, seinen Vater, nicht kennen und anerkennen. Wenn ich aus der genannten philosophischen Perspektive beim Sprechen çber Gott den Begriff Monotheismus verwende, so 5 S. G. Lanczkowski/R. Hçlsewiesche, Monotheismus, in: Historisches Wærterbuch der Philosophie, Stuttgart 1971 ff., 6, 142±146.

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verstehe ich diesen ausdrçcklich nicht als eine Alternative zum Gott der Offenbarungsreligionen, nicht als eine Unterscheidung oder gar als Entgegensetzung zum Gott der geoffenbarten monotheistischen Religionen, wie dies der Deismus tat oder wie dies die von Assmann in seinem Buch ­Moses der Øgypter¬ 6 rekonstruierte »Gedåchtnisgeschichte« des Monotheismus des ågyptischen Echnaton zu zeigen versucht. Der im 17. und 18. Jahrhundert nicht immer gleich verwendete Begriff Deismus 7 blieb bei einem Bekenntnis zu einer ­natçrlichen Religion¬ bzw. zu einem ­vernçnftigen Christentum¬ stehen, ging von einem allen Menschen gemeinsamen rational fundierten Glauben an das Dasein Gottes aus, der als vollkommener Konstrukteur in das Funktionieren der Welt nicht einzugreifen braucht. Nicht immer bestritt der Deismus die Mæglichkeit einer Offenbarungsreligion. Er war der Sache nach die Vergegenståndlichung und Vergættlichung der menschlichen Erkenntnisse çber Gottes Dasein, die der Deismus allein aus der allen Menschen gemeinsamen »gesunden Vernunft« glaubt entwickeln und begrçnden zu kænnen. Den Deismus kann man sich ein wenig aus der damaligen geschichtlichen Situation in Europa verståndlich machen. Die verschiedenen Bçrgerkriege der Kirchen und Sekten und die gegenseitigen Unterdrçckungen mit Hilfe des Staates nach der Reformation waren beendet, und die mit der Franzæsischen Revolution beginnenden sozialen und politischen, wissenschaftlichen und religiæsen Umbrçche Alteuropas standen noch bevor. Schon Lessing schrieb zu dem »vernçnftigen Christentum« des Deisten Reimarus: »Schade nur, daû man so eigentlich nicht weiû, weder wo ihm die Vernunft, noch wo ihm das Christentum sitzt.« 8 Jan Assmann sucht wie Blumenberg eine humane Alternative zu dem intoleranten biblischen Monotheismus und seinen schlimmen Folgen in den monotheistischen Offenbarungsreligionen der Juden, Christen und Muslime. In seinem in diesem Jahr veræffentlichten Buch ­Moses der Øgypter¬ rekonstruiert er die »Gedåchtnisgeschichte und Diskursgeschichte« 9 des Vergessens, des Erinnerns 6 J. Assmann, Moses der Øgypter. Entzifferung einer Gedåchtnisspur, Mçnchen ± Wien 1998. 7 S. hierzu G. Gawlick, Deismus, in: Historisches Wærterbuch der Philosophie, a. a. O., 2, 44±47. 8 G. E. Lessing, Gesammelte Werke, hrsg. v. P. Rilla, 10 Bde., Berlin 1954±1958, 7, 671. 9 J. Assmann, Moses der Øgypter, a. a. O., 35±37.

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und der Wandlungen des kulturellen Gedåchtnisses und des kollektiven Unterbewuûtseins des ursprçnglichen und åltesten toleranten Monotheismus der Øgypter, der in der europåischen Geschichte bis heute pråsent sei und der die anderen Religionen toleriere. Die »Gedåchtnisgeschichte« der Erinnerungen dieses Monotheismus in der Antike, in der Renaissance und in der Aufklårung, bei den Freimaurern und den Romantikern sowie bei Freud unterscheidet sich radikal von den Methoden und Verfahren der historischen Wissenschaften, auch von denen der wissenschaftlichen Øgyptologie. 10 Assmann hofft, gegen die »verhångnisvolle Unterscheidung zwischen Geschichte und Mythos« ± auch in der Geschichtswissenschaft und Øgyptologie ± die »mythischen Qualitåten der Geschichte« sichtbar zu machen. »Geschichte verwandelt sich in Mythos, sobald sie erinnert, erzåhlt und ­bewohnt¬, d. h. eingewoben wird in das Gewebe der Gegenwart«. 11 Mit der Herrschaft der modernen Wissenschaften, auch in der Øgyptologie, zerbrach fçr Assmann das »Paradigma der Erinnerung«. »Geschichte trat an die Stelle des Gedåchtnisses. Die Kette der Erinnerung, die hier abriû, ist das Band, das die Vergangenheit an die Gegenwart und an das Selbstbild des erinnernden Subjekts ± sei es eine Gruppe oder ein Individuum ± bindet und das nur soviel Vergangenheit erschlieût, wie von der Gegenwart gebraucht wird.« 12 Es geht Assmann ± kurz zusammengefaût ± um drei Thesen: 1. Die ursprçngliche und ålteste monotheistische ågyptische Religion des Echnaton aus dem 14. Jahrhundert v.Chr. verkçndete einen Monotheismus, der die Vielheit der anderen Gætter, Religionen und Kulturen neben sich tolerierte. Diese in der Antike und Renaissance sowie in der europåischen Aufklårung verschieden benannte ågyptische Weisheit (z. B. Kosmotheismus, Hen kai pan, Deus sive natura) zielte auf die »Idee der Natur als der Gottheit eines ursprçnglichen, nicht offenbarten Monotheismus« 13 . Diese Gottheit ist, so Assmanns Behauptung, bis heute »nie aus dem kulturellen Gedåchtnis des Abendlandes verschwunden« 14 . »Es geht mir nicht um historische Verifikation, sondern um die Formen und Transformationen kollektiver Erinnerung. [¼] Meine Frage, noch einmal, ist nicht, ­wie es eigentlich gewesen¬, sondern was aus den Erinnerungen wurde, die es gegeben haben muû, in der Form individueller Erinnerungen und kollektiver Tradition« (ebda, 68±69). 11 Ebda, 33. 12 Ebda, 13±214. 13 Ebda, 41. 14 Ebda, 76. 10

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2. Moses war mit den Hebråern in ågyptischer Gefangenschaft, wo er auch in die Geheimlehren des ågyptischen Monotheismus von Echnaton eingefçhrt wurde. Auf der Flucht mit den Hebråern aus dem Sklavenhaus Øgyptens verånderte Moses radikal diesen toleranten Naturmonotheismus in den intoleranten biblischen Offenbarungsmonotheismus des einen Gottes, der keine anderen Gætter neben sich duldete. Diese »Mosaische Unterscheidung« zwischen der einzig wahren Offenbarungsreligion und den falschen Religionen der Natur, die Gætzendienst trieben, fçhrte in der Geschichte der monotheistischen Offenbarungsreligionen der Juden, Christen und Muslime bis heute zu den grauenhaften Religionskriegen, Gewalt und Unterdrçckung im Namen der allein wahren Religion. »Der Gegensatz von Kosmotheismus und Monotheismus, oder von Natur und Offenbarung, wurde nie gelæst, sondern nur verdrångt durch die triumphale Entfaltung der christlichen Kirche. Seine Wiederkehr in der Renaissance und seine spannungsreiche Geschichte in der Entstehung der Moderne bilden den Subtext der Debatte çber Moses den Øgypter.« 15 »Echnatons Monotheismus« grçndet »ganz im Bewuûtsein einer Versæhntheit mit Gott und Welt.«. »Dieser moralische Optimismus« unterscheidet ihn nach Assmann radikal von dem durch die »Mosaische Unterscheidung« ermæglichten Bewuûtsein von Sçnde, Schuld und ­schlechtem¬ Gewissen sowie von Sehnsucht nach Erlæsung im »jçdischen und christlichen Monotheismus«. »Von Øgypten aus betrachtet sieht es so aus, als sei mit der Mosaischen Unterscheidung die Sçnde in die Welt gekommen.« Der letzte Satz des Buches lautet: »Wer Gott in Øgypten entdeckt, hebt diese Unterscheidung auf.« 16 3. Heideggers andenkendes Denken erwartete durch den Sprung in die frçheste Frçhe vom Seyn, das nicht ­ist¬, sondern »west« und vom »Anfang des letzten Gottes« 17 eine Umkehr des Irrwegs der Geschichte des Denkens. In åhnlicher Weise erhofft auch Assmann durch Erinnerung an die ursprçngliche Einheit des toleranEbda, 82. Ebda, 281±282. 17 »Nun ist aber das græûte Ereignis immer der Anfang, und sei es der Anfang des letzten Gottes«: M. Heidegger, Beitråge zur Philosophie. Vom Ereignis, Gesamtausgabe Bd. 65, Frankfurt/M. 1989, 57. S. hierzu W. van Reijen, Der Schwarzwald und Paris. Heidegger und Benjamin, Mçnchen 1998, darin vor allem: Der letzte Gott und der Messias, 49±90. 15 16

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ten Naturmonotheismus der Øgypter eine Alternative zu den schlimmen Folgen des intoleranten Monotheismus von Moses und den drei Offenbarungsreligionen. Statt des Kampfes der Religionen und Kulturen gegeneinander und der »interkulturellen Verfremdung« kænne die Erinnerung an die »ursprçngliche Einheit« »die verschiedenen Kulturen einander transparent und kompatibel« 18 machen und »verschçttete Fragen wieder freilegen«. Assmann arbeitet gegen »den ­westlichen Kanon¬ mit den biblischen und klassischen Ûberlieferungen« »mit der mehr oder weniger uneingestandenen Hoffnung auf Einsichten in die Grundlagen moralischer und religiæser Orientierung«. 19 »In dieser Hinsicht« hofft er, »auch zu einer historischen Analyse des Antisemitismus beitragen zu kænnen.« 20 Assmanns interessante, kenntnis- und geistreiche »Gedåchtnisgeschichte«, die heute viel diskutiert und gepriesen wird, låût sehr viele Fragen offen, zu den Einzelgeschichten (z. B. zu Lessing und Freud), zur Verwendung der zentralen Bilder, Metaphern und Begriffe (z. B. Erinnerung, Diskurs, Kultur, Geschichte). Ich beschrånke mich auf zwei Fragen: 1. Kann man nach den modernen kosmologischen Erkenntnissen çber das immer græûer und fremder werdende Weltall noch im Ernst wie von der Antike bis ins 18. Jahrhundert von der Pråsenz der Kosmotheologie des ursprçnglichen und åltesten ågyptischen Naturmonotheismus im »kulturellen Gedåchtnis des Abendlandes« sprechen? 2. Kænnen wir im Ernst fçr die Bewåltigung unserer Ûberlebensund Lebenskonflikte von der angeblich toleranten Naturgottheit der frçhen Øgypter neue »Einsichten in die Grundlagen moralischer und religiæser Orientierung« erwarten? 1.3 Negative Theologie 1. Die verschiedenen inhaltlichen und sprachlichen philosophischen Versuche, çber Gott im Denkrahmen einer negativen Theologie zu sprechen, lassen sich weder in der Geschichte noch heute auf einen einzigen Begriff, eine einzige Methode, ein einziges System 18 19 20

Ebda, 20. Ebda, 43. Ebda, 23.

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bringen. Wo immer Philosophen mit Metaphern, Symbolen, Geschichten, Erzåhlungen sowie mit Begriffen, Reflexionen, Dialogen und Abhandlungen çber den einen Gott zu sprechen versuchen, sprengen sie die in ihrer Zeit çblichen oder festgelegten Denkmodelle und erfahren deren Grenzen. Die chassidische Erzåhlung vom ­Furchtbaren Vielleicht¬ zeigt, warum ein Rabbi im Disput mit einem Aufklårer auf Gott setzt und warum am Ende der Aufklårer çber seine bisherigen Entlarvungsversuche Gottes nachdenklich wird. 21 Zur negativen Theologie gehært »der Bruch des kohårenten Diskurses« (Levinas). Levinas bringt die wesentliche Differenz zwischen dem philosophischen Sprechen çber den einen Gott in einer negativen Theologie auf der einen Seite und dem Sprechen çber Gætter in den Mythen und bei Arbeiten an neuen Mythen auf der anderen Seite so auf den Punkt: »Die Gætter, wenn sie auch auf Gipfeln wohnen, sind im philosophischen Diskurs pråsent. Sie bleiben es, auch nach ihrem Rçckzug auf jene mythischen Ståtten, in dem Maûe, wie der philosophische Diskurs die Mythen einkleidet oder sich in sie flçchtet. Der Gott der Bibel, dessen Wege unbekannt sind, dessen Anwesenheit in Abwesenheit besteht und dessen Abwesenheit sich als Anwesenheit aufdrångt, dem der Glåubige gleichzeitig treu und untreu ist, an den er glaubt und gleichzeitig nicht glaubt, offenbart sich dagegen im Bruch des kohårenten Diskurses. Und doch stimmt der westliche Mensch, unverbesserlicher Philosoph, der er ist, dieser Trennung zwischen Glauben (oder dessen Restbestand) und Philosophie nicht zu. Er will einen Diskurs, der auch noch diesen Bruch in sich aufnimmt.« 22 Levinas unterscheidet beim Sprechen çber die Anwesenheit und Abwesenheit Gottes aus seiner Perspektive einer Ethik des Anderen, des Nåchsten und Fremden, der der Gerechtigkeit und des Schutzes bedçrftig ist, den positiv verwendeten Begriff des Monotheismus von dem »archaischen« Monotheismus in der Geschichte, auch in der Geschichte des Judentums, der z. B. vom Zorn des Gottes Israels spricht, der die Feinde Israels, die Gottlosen, auch Frauen und Kinder, vernichtet. 23 Levinas kritisiert die alten und neuen Mythologien: »Das M. Buber, Die Erzåhlungen der Chassidim, Zçrich 12 1992, 363±364. E. Levinas, Auûer sich. Meditationen çber Religion und Philosophie, Mçnchen ± Wien 1991, 79. 23 Levinas, Jenseits des Buchstabens. Talmud-Lesungen Bd. 1, çbers. v. F. Miething, 21 22

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mache ich nicht mit, Bibel und Talmud, Prophetie und kritische Vernunft bedeuten gerade den Bruch mit den Mythologien.« Deshalb plådiert er auch gegen »die poetische Sprache« von Ricoeur und dessen »Denken çber Symbole«. Er entscheidet sich fçr den »strengen Monotheismus« und fçr ein Denken »zwischen Tora und Diskurs, [¼] das ­ålter¬ ist als das von poetischer Phantasie lebende Denken.« 24 An zwei sachlich und geschichtlich verschiedenen Aussagen zur negativen Theologie låût sich dieser »Bruch des kohårenten Diskurses« beim Sprechen çber Gott zeigen: an denen von Dionysios Areopagita und von Karl Rahner. Weder aus der Lebensgeschichte und den Arbeiten der beiden Autoren noch aus der ihnen jeweils geschichtlichkulturell vorgegebenen Lebenswelt kann man diesen Bruch zureichend erklåren. 1. Der Begriff negative Theologie wird zuerst von dem Neuplatoniker Dionysios Areopagita im 5. Jahrhundert gebildet. Dionysios schreibt çber Gott und das Eine, den letzten Grund aller Dinge, durch Verneinungen z. B.: »Und so ist undenkbar fçr alles Denken das çber dem Denken stehende Eine, und ist unaussprechlich fçr jederlei Wort das çber alle Worte erhabene Gute, [¼] der unaussprechbare Geist, das unaussprechbare Wort, das Unsagbare, Undenkbare, Unnennbare, das nicht so ist wie irgendein Wesen, und doch allen Wesen Grund ihrer Wesenheit ist.« 25 Eine Konsequenz aus diesen Ûberlegungen lautet fçr Dionysios Areopagita: »So kommt der çber allem seienden Ursache von allem sowohl die Namenlosigkeit zu als auch alle Namen.« 26 Ein Bild, das die Unåhnlichkeit Gottes mit dem Menschen zeigt, d. h. figçrlich darstellt (z. B. nach 5 Mose 4,18 als einen Wurm), ist fçr Dionysios çberzeugender als ein tåuschendes Bild, das eine Øhnlichkeit von Frankfurt/M. 1996, 17: »Ich denke, daû der Monotheismus, der nicht archaisch ist, in der Verantwortung fçr den Anderen, die er gebietet, uns daran erinnert, nicht zu vergessen, daû meine Familie und mein Volk, trotz ihrer besitzanzeigenden Pronomen, fçr mich ­Andere¬ sind, wie die Fremden, und daher der Gerechtigkeit und des Schutzes bedçrfen. Liebe zum Anderen ± Liebe zum Nåchsten. Die mir Nahestehenden sind auch meine Nåchsten.« 24 Ebda, 87, 132. 25 Dionysios Areopagita, Von den Namen Gottes 1, in: Dionysios Areopagita, Von den Namen zum Unnennbaren, Auswahl und Einleitung v. E. von Ivanka, Einsiedeln 1957. Zur Geschichte des Begriffs negative Theologie s. J. Hochstaffl, Negative Theologie. Zur Geschichte des patristischen Begriffs der negativen Theologie, Mçnchen 1976. 26 Ebda, 7. Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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Gott und Mensch unterstellt (z. B. als einen gekrænten Kænig). Es ist daher fçr ihn der Weg çber die Unåhnlichkeit, die »unwahrscheinliche« oder »unvernçnftige« Bilder erzeugt, »die unseren Geist besser emporfçhren als jene, die man nach der Øhnlichkeit mit ihrem Gegenstand gestaltet«. Daher kann ein christlicher Maler zwischen der Bildlosigkeit und dem Idol ein Bild konzipieren, das nicht zum Gætzendienst verleitet. 27 2. Karl Rahner hat 1984 in seinem letzten Vortrag einige Wochen vor seinem Tod von der unaufhebbaren Ûberforderung eines Menschen gesprochen, wenn er çber die »Unbegreiflichkeit Gottes reden muû«: »Das vierte Laterankonzil 28 sagt ausdrçcklich, man kænne çber Gott von der Welt aus, also von jedwedem denkbaren Ausgangspunkt der Erkenntnis aus nichts an Inhaltlichkeit positiver Art sagen, ohne dabei eine radikale Unangemessenheit dieser positiven Aussage mit der gemeinten Wirklichkeit selbst anzumerken. Aber im praktischen Betrieb der Theologie vergessen wir das immer wieder. Wir reden von Gott, von seiner Existenz, von seiner Persænlichkeit, von drei Personen in Gott, von seiner Freiheit, seinem uns verpflichtenden Willen usf.; wir mçssen dies selbstverståndlich, wir kænnen nicht bloû von Gott schweigen, weil man dies nur kann, wirklich kann, wenn man zuerst geredet hat. Aber bei diesem Reden vergessen wir dann meistens, daû eine solche Zusage immer nur dann einigermaûen legitim von Gott ausgesagt werden kann, wenn wir sie gleichzeitig auch immer wieder zurçcknehmen, die unheimliche Schwebe zwischen Ja und Nein als den wahren und einzigen festen Punkt unseres Erkennens aushalten.« 29 Philosophisches Sprechen çber Gott auf dem Wege der Negation unterscheide ich radikal von Verwendungen von Traditionen der negativen Theologie in der Philosophie, die sich ausdrçcklich als Wege der Negation ohne, ja, gegen Gott verstehen. Dafçr als Beispiel drei Theoreme von Adorno, Habermas und Blumenberg, die in der Phi27 Dionysios Areopagita, Ûber die himmlische Hierarchie, çbers. v. G. Heil, Stuttgart 1986, 32. S. hierzu: G. Didi-Huberman, Fra Angelico. Unåhnlichkeit und Figuration, çbers. v. A. Knop, Mçnchen 1995. 28 Das vierte Laterankonzil (1215) verneint die Mæglichkeit der adåquaten Erkenntnis Gottes, »quia inter creatorem et creaturam non potest similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda«. 29 K. Rahner, Erfahrungen eines katholischen Theologen, in: A. Raffelt (Hrsg.), Karl Rahner in Erinnerung, Dçsseldorf 1994, 134±148, hier: 135±136.

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losophie, Theologie, Kunst und Literatur immer wieder diskutiert werden. 1. Adornos Verwendung der Methode der Negation in seiner ­Dialektik der Aufklårung¬, seiner negativen Metaphysik, seiner negativen Dialektik und negativen Østhetik: Adornos Methode der Negation ist ± darin stimmen heute viele çberein ± abhångig von seinen Gegenwartsdiagnosen nach dem Ende der Erfahrungen totalitårer Systeme. Sie lauten vereinfacht: Wir leben in einer sozial und politisch nicht verånderbaren Welt des »totalen Verblendungszusammenhangs«, und es ist dem Menschen in dieser Welt unmæglich, den »Bannkreis des Daseins« zu çbersteigen. Wie Adorno Traditionen der negativen Theologie verwendet und veråndert, zeigen zwei Aussagen çber die »vollendete Negativitåt« in der letzten »Reflexion aus dem beschådigten Leben« der ­Minima Morali¬ 1. »Philosophie, wie sie im Angesicht der Verzweiflung einzig noch zu verantworten ist, wåre der Versuch, alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlæsung aus sich darstellten. Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlæsung her auf die Welt scheint: alles andere erschæpft sich in der Nachkonstruktion und bleibt ein Stçck Technik.« 2. »Aber es ist auch das ganz Unmægliche, weil es einen Standort voraussetzt, der dem Bannkreis des Daseins, wåre es auch nur um ein Winziges, entrçckt ist.« 30 2. Anders als Adorno arbeitete eine Zeitlang auch Habermas bei seinen Gegenwartsdiagnosen und verschiedenen Begrçndungen der Geltungsansprçche seiner Diskurs- und Kommunikationsethik mit einer um das Gottesproblem reduzierten Vorstellung von negativer Theologie. In seinem ­Nachmetaphysischen Denken¬ befçrchtete er noch, in einer posttraditionellen Gesellschaft ohne die Aneignung der »Substanz des heilsgeschichtlichen Denkens jçdisch-christlicher Herkunft« oder »ohne eine philosophische Transformation irgendeiner der groûen Weltreligionen kænnte eines Tages dieses semantische Potential [fçr unsere ethischen Begriffe] unzugånglich werden« 31 und Diskurse veræden. Sein Aufsatz ­Kommunikative Freiheit und negative Theologie¬, in dem er Th. W. Adorno, Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschådigten Leben, Frankfurt/M. 1964, 333±334. 31 J. Habermas, Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsåtze, Frankfurt/M. 1988, 23. 30

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sich kritisch mit Theunissens Deutung der negativen Theologie und des Verhåltnisses von Philosophie und Glauben auseinandersetzt, 32 endet so: »Wenn freilich, was Theunissen fçr gegeben hålt, die Anomalien selber zur Norm geworden sind, beginnen die Phånomene zu verschwimmen. Um die relevanten Phånomene çberhaupt noch zu Gesicht zu bekommen, mag es dann angebracht sein, Philosophie in der Art, aber doch nur in der Art einer negativen Theologie zu betreiben.« 33 Weil fçr Habermas nach wie vor moderne Philosophie als wissenschaftliche Philosophie »methodischer Atheismus« sein muû, spricht er konsequenterweise von »der Art einer negativen Theologie«. Inzwischen spricht er bei seiner Gegenwartsdiagnose und bei einer neuen Begrçndung der Geltungsansprçche der Diskurs- und Kommunikationsethik in dem Aufsatz ­Richtigkeit vs. Wahrheit. Zum Sinn der Sollgeltung moralischer Urteile und Normen¬ nicht mehr von negativer Theologie und in anderer Weise von dem Zusammenhang der Geltungsansprçche seiner Diskurs- und Kommunikationsethik mit der Substanz und Tradition der Weltreligionen. Seine These lautet vereinfacht: »Unter Bedingungen des modernen Weltanschauungspluralismus« und des »Zerfalls der starken Traditionen« gibt es fçr die Anerkennung der Vernçnftigkeit und Glaubwçrdigkeit moralischer Urteile, Geltungsansprçche und Gesetze keine transzendente Instanz, keine ontologischen oder religiæsen Wahrheitsansprçche. Daher mçssen wir uns mit ­Richtigkeit¬ begnçgen; denn »­Wahrheit¬ ist ein rechtfertigungstranszendenter Begriff«. 34 Notwendig sei heute nur noch der nicht»Wie Heidegger bemçht sich Theunissen um eine Dekonstruktion der Geschichte der Metaphysik. Dabei hat er aber nicht das ­archåologische¬ Ziel vor Augen, mit einem Sprung aus der Moderne hinter Jesus und Sokrates zurçckzukehren. Theunissen zielt vielmehr auf eine philosophisch begrçndete negative Theologie ab, die eine mit sich zerfallende Moderne aus ihrer Zerstreuung zurçckrufen und fçr die unverståndlich gewordene Heilsbotschaft doch noch sensibel machen soll«: J. Habermas, Kommunikative Freiheit und negative Theologie, in: E. Angehrn u. a. (Hrsg.), Dialektischer Negativismus. Michael Theunissen zum 60. Geburtstag, stw 1034, Frankfurt/M. 1992, 15±34, hier: 19. 33 Ebda, 34. 34 J. Habermas, Richtigkeit vs. Wahrheit. Zum Sinn der Sollgeltung moralischer Urteile und Normen, in: DZPhil 46 (1998) 2, 179±208, hier: 188, 207, 188. Um in einem herrschaftsfreien Diskurs verantwortlicher und aufrichtiger Subjekte die unbedingte Geltung von moralischen Normen zu erkennen und das ­Reich der Freiheit¬ fçr alle Menschen zu antizipieren, brauchen wir Richtigkeit, nicht Wahrheit: »­Richtigkeit¬ [¼] in 32

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dezisionistische und nichtexistentialistische »Entschluû«, »den moralischen Kerngehalt des entglittenen Traditionswissens aus eigener Kraft und Einsicht zu rekonstruieren« und die verpflichtende Kraft moralischer Normen »durch ein wahrheitsanaloges Verståndnis moralischer Geltung çber den Zerfall der starken Traditionen hinaus zu retten.« 35 Fçr meine Verwendung des Begriffs negative Theologie bedeutet dies 1.: Wenn ich wie andere unter negativer Theologie einen philosophischen Sprechversuch çber Gott auf dem Wege der Negation verstehe, dann unterscheide ich diesen radikal z. B. von Adorno und Habermas und den im Anschluû an sie in der Philosophie und Theologie rezipierten und verwendeten reduzierten Vorstellungen von negativer Theologie ohne oder gegen Gott. 3. Ein philosophischer Sprechversuch çber Gott auf dem Wege der Negation kann und wird auch heute neben Begriffen auch Metaphern, Symbole, Geschichten, Erzåhlungen usw. verwenden. Er muû sich dabei jedoch von der gegenwårtigen harmlosen und gefåhrlichen neuen Mythenfreundlichkeit auf allen Ebenen, auch in den Kirchen und Theologien sowie von solchen Arbeiten unterscheiden, die sich ausdrçcklich wie die z. B. von Blumenberg und in åhnlicher Weise wie die von Assmann als Alternative zum intoleranten jçdisch-christlichen Willkçrgott sowie zu den Traditionen der negativen Theologie verstehen, die auf Gott setzen. Blumenberg versteht 1. seine Arbeit am Mythos und an Metaphern als »strikte Gegenposition« zum jçdisch-christlichen Monotheismus und zum biblischen Bilderverbot. Seine Thesen lauten: Arbeit am Mythos kann in Gegensatz zu Logos und Wissenschaft sowie zum einen Gott der monotheistischen Religionen Freiråume fçr Menschen eræffnen durch »imaginative Ausschweifung anthropomorpher Aneignung der Welt und theomorpher SteigeAnalogie zur rechtfertigungstranszendenten Wahrheit«. »Um uns der kategorischen Verbindlichkeit moralischer Gebote zu vergewissern, brauchen wir nicht den Kontakt zu einer Welt jenseits des Horizonts unserer Rechtfertigungen aufzunehmen. Es gençgt, den ­weltlosen¬ Raum des Diskurses auszuschreiten, weil wir uns aus der Teilnehmerperspektive am Bezugspunkt einer inklusiven Gemeinschaft wohlgeordneter interpersonaler Beziehungen orientieren« (205). Unter den heutigen Lebensbedingungen geht Habermas bei seiner neuen, wie er sagt, »pragmatischen Auffassung« von Geltungsansprçchen also nicht von transzendenten Instanzen und der »rechtfertigungstranszendenten Wahrheit« aus, sondern von dem »Funktionieren von Wahrheitsansprçchen innerhalb der Lebenswelt« (191). 35 Ebda, 208, 207. Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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rung des Menschen«. Durch Mythologie kænnen »die Enttåuschungen und Verluste rationaler Sachbewåltigung kompensiert oder gar rçckgångig gemacht werden«. Monotheismus und Bilderverbot »ist die eigentliche und strikte Gegenposition zu aller Mythologie und ihrer Leichtigkeit«. 36 »Der Mythos læst die Aporie des Logos auf.« 37 Blumenberg versteht 2. seine Arbeiten, vor allem nach seinen postum veræffentlichten Bçchern ­Die Vollzåhligkeit der Sterne¬ und ­Ein mægliches Selbstverståndnis¬ 38 ausdrçcklich als Gegenposition zur negativen Theologie, die in Traditionen des biblischen Bilderverbots auf Gott setzt. Er deutet diese negative Theologie so: Das biblische Bilderverbot der Juden, das einen abstrakten, gestaltlosen Gott forderte, befriedigte nicht mehr das menschliche »Gemçtsbedçrfnis, Gott mit menschlichem Antlitz zu denken«. 39 Dieses Bedçrfnis befriedigt das Christentum, als der Logos im Stall von Bethlehem ein menschliches Antlitz annahm. 40 Auch nach dem Abschied von Gott hat nach Blumenberg der Mensch bis heute »das Bedçrfnis nach einem Zeugen, nach einem Zuschauer, nach einer Instanz der Aufhebung von Einsamkeit« 41 . Die Aufklårung durchschaute dieses Bedçrfnis zwar immer wieder als »Anthropomorphismus« und »Projektion des Bewuûtseins auf die Welt«, aber sie konnte dieses Bedçrfnis H. Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff und Wirkungspotential des Mythos, in: M. Fuhrmann (Hrsg.), Terror und Spiel. Probleme der Mythenrezeption, Poetik und Hermeneutik IV, Mçnchen 1971, 14±17. Zu Blumenbergs Arbeit am Mythos und mit Mythen s. W. Oelmçller/R. Dælle-Oelmçller, Grundkurs. Religionsphilosophie, UTB 1959, 66±75, 192±202. 37 H. Blumenberg, Hæhlenausgånge, Frankfurt/M. 1989, 112. 38 H. Blumenberg, Die Vollzåhligkeit der Sterne, Frankfurt/M. 1997; ders., Ein mægliches Selbstverståndnis. Aus dem Nachlaû, Stuttgart 1996. S. hierzu die Rezension dieser Bçcher von R. Dælle-Oelmçller, in: Zeitschrift fçr Didaktik der Philosophie und Ethik (1998) H. 3, 206±208. 39 Die Vollzåhligkeit der Sterne, a. a. O., 138. 40 »Dem Christentum ist Erfolg beschieden gewesen mit der Aufteilung der Bedçrfnisse: Menschliches Antlitz hatte der Logos im Stall von Bethlehem angenommen, und deshalb konnte dem Gesetzesgott vom Sinai, zu dem nun Abba, ­Vater¬ gesagt werden durfte, die gebotene Bildlosigkeit gewahrt werden. Eine ganze Welt ­negativer Theologie¬, alle Vorstellungen aufhebender Mystik blieb oder wurde erst dadurch mæglich, daû die Bilderwelt des Jesuslebens sanktioniert war. Das Gemçt hatte keine Schranken, und die Vernunft redete sie sich aus.« »Als die Aufklårung Gott auf das Minimum zu reduzieren befahl, [¼] bekam die Gestaltlosigkeit einen neuen Gehalt.«; es »konnte ein neuer Prozeû der Reduktion, der Minimierung von Bildlichkeit, ein neuer Gang auf der Via negationis einsetzen« (ebda, 138±139). 41 Ebda, 139. 36

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nicht beseitigen 42 . Nach den gegenwårtigen Erkenntnissen der kosmologischen Wissenschaften wird das Weltall immer græûer und fremder, und die »kosmische Einsamkeitsangst« 43 des Menschen wåchst. Der Mensch kann sich nach Blumenberg heute das Weltall im Ernst nicht mehr als geordnete und verlåûliche Welt vorstellen, z. B. griechisch als Kosmos ± der »Pathosformel fçr Ordnung und Zierde, Disziplin und Beståndigkeit ±, aber auch Totalitåt und Geschlossenheit« 44 oder jçdisch-christlich als Schæpfung eines allmåchtigen, fçr die Menschen sorgenden gçtigen Gottes. Mit dem Abschied von Gott wandelt sich fçr Blumenberg notwendig der Weg der Negation zum Weg des ­Als ob¬. Es wird seitdem »nicht mehr die Sprache der Negation, sondern die des Als ob gesprochen, wie erstmals in Epikurs Garten: Handle so, als ob Epikur dir zusåhe!« 45 Fçr meine Verwendung des Begriffs negative Theologie bedeutet dies 2.: Wenn ich wie andere unter negativer Theologie einen philosophischen Versuch verstehe, auf dem Wege der Negation çber Gott zu sprechen, so unterscheide ich diesen Weg der Negation radikal nicht nur von dem von Adorno und Habermas, sondern auch von dem Blumenbergs.

2. Punkt: Philosophisches Sprechen çber Gott angesichts des gegenwårtigen Zusammenlebens von verschiedenen religiæsen und nichtreligiæsen Menschen und Gruppen, von Menschen und Gruppen, die auf Gott setzen, sowie von solchen, die nicht auf Gott setzen, in den verschiedenen Rechtsstaaten Europas. ± Bei diesem Punkt interessiert mich nicht an erster Stelle, was Sie zu meiner Diagnose des gegenwårtigen Zusammenlebens sagen. Mich interessiert, was Sie zu den gegenwårtigen Diskussionen zu drei verSchon der Aufklårer Epikur, der die Gætter in die Intermundien versetzte, wo sie unter sich waren und in das Leben nicht eingreifen konnten, hatte in einem Brief seinen Schçlern in dem Schulgarten geraten: »Sic fac omnia, tamquam spectet Epikurus! Frei und in Anlehnung an Kants Formular des kategorischen Imperativs çbersetzt heiût das: Handle so, daû die Maxime deines Handelns von Epikur gebilligt wçrde!« (ebda, 129). 43 Ebda, 144. 44 Ein mægliches Selbstverståndnis, a. a. O., 51. 45 Die Vollzåhligkeit der Sterne, a. a. O., 140. 42

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schiedenen Formen des Gebrauchs bzw. Miûbrauchs des Namens Gottes sagen und zu dem, was Menschen dazu sagen kænnen, wenn sie sich dessen bewuût sind, daû Gott fçr Menschen nicht verfçgbar ist. Am Ende des Jahrhunderts mçssen wir in Europa nach dem Zusammenbruch der faschistischen, nationalsozialistischen und marxistischen gesellschaftlichen politischen Systeme mit sehr verschiedenen Religionen in sehr verschiedenen Staaten zusammenleben. Wir mçssen zusammenleben mit verschiedenen alten und neuen, harmlosen und gefåhrlichen Religionen, mit Religionen mit Gott, Religionen ohne Gott und Psychokulten sowie mit vielen verschiedenen nichtreligiæsen Menschen und Gruppen. Ich beschrånke mich auf vier Wandlungen des gegenwårtigen Religionsbegriffs. 1. Die neue Religions- und Mythenfreundlichkeit kann man kurz so kennzeichnen: Gott: nein ± Religionen ohne Gott: ja. Statt des Himmels und der Hælle im Jenseits oder nach dem Ende des Lebens und der Geschichte suchen Menschen heute jenseits des Alltags und der Rationalitåt auf der Erde das Reich des Geheimnisvollen, des Irrationalen. Esoterik sucht mystische Synthesen von Westlichem und Ústlichem. Der eine monotheistische Gott der Juden, Christen und Muslime wird heute kaum noch von ­A-Theisten¬ aus wissenschaftlichen, logischen oder moralischen Grçnden bekåmpft, abgelehnt, fçr unglaubwçrdig gehalten oder fçr tot erklårt. Gott ist einfach abhanden gekommen, ohne daû Menschen dies bemerkt håtten. 2. Kennzeichnend fçr viele Religionen mit oder ohne Gott ist die Funktionalisierung der Religionen und religiæsen Systeme sowie ihre Austauschbarkeit, ihre funktionale Øquivalenz. Wenn Religion nichts anderes ist als »Kontingenzbewåltigungspraxis« (Lçbbe), dann fallen darunter ununterscheidbar monotheistische Religionen der Juden, Christen und Muslime, aber auch jeder moderne Psychokult. 3. Neben harmlosen Religionen und ihren funktionalen Øquivalenten oder Kompensaten gibt es heute auch solche Religionen, die das Zusammenleben der Menschen in Rechtsstaaten bedrohen. Das Ziel solcher Systeme ist die mehr oder weniger radikale Beseitigung der anderen Religionen und die Abschaffung des modernen Rechtsstaates, der die Unterscheidung von Religion und Staat voraussetzt und die Religions- und Gewissensfreiheit in der Verfassung festgeschrieben hat (z. B. Scientology und der religiæse 118

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Fundamentalismus im Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus). Der Ausgangspunkt religiæser Fundamentalisten ist, darin sind sich fast alle Experten einig, nicht die Rçckbesinnung auf ­heilige Texte¬, sondern der ­heilige Krieg¬ und Terror gegen die Verånderungen der Lebensformen durch westliche Modernisierungsprozesse, der ­heilige Krieg¬, auch der mit westlichen Techniken, Medien und Waffen, gegen die angeblich nur westlichen Ideen der Menschenrechte und Demokratie. 4. Neben den Anhångern der neuen harmlosen und gefåhrlichen Religionen arbeiten heute auch Menschen daran, wie sie trotz aller grauenhaften Leiden in einer Welt, als ob es Gott nicht gåbe, in einer glaubwçrdigen Weise çber und zu Gott sprechen kænnen. 46 Sie wissen um die Zerstærungen der Bedingungen des Ûberlebens und Lebens, um die Zerstærungen der natçrlichen Lebensbedingungen, um Mafia und Drogen, um die Korruptionen sowie um die Grenzen der bisherigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Institutionen und Systeme. Diese Menschen steigen deshalb jedoch nicht aus der Moderne aus in die Prå- oder Postmoderne. In dieser Situation haben u. a. drei in der modernen Geschichte entwickelte Modelle zum Thema Staat und Religion ihre Orientierungskraft fçr unser Denken und Handeln verloren. Die Grundannahmen dieser drei Modelle çber Gott und Welt, Natur und Geschichte, die Græûe und das Elend der Menschen waren zu naiv und utopisch sowie çber sich und ihre Grenzen nicht kritisch und selbstkritisch genug. Ich kennzeichne diese Modelle kurz so: 1. Am Beginn der Moderne forderten Staatstheoretiker, z. B. Hobbes und Rousseau: Zur Beendigung der religiæsen Unterdrçckung und der konfessionellen Bçrgerkriege muû der Souverån des Einzelstaates zur Sicherung des friedlichen Zusammenlebens festlegen, welche Zivilreligion allein in seinem Einzelstaat von allen Bçrgern æffentlich anerkannt werden darf und muû. Wir leben heute jedoch nicht in autonomen Einzelstaaten, und zwischen diesen Staaten herrscht nicht der Krieg aller gegen alle. 2. Bçrgerliche und sozialistische Fortschrittstheoretiker im 19. JahrS. hierzu Kap. 7: Wie sprechen çber Widerfahrnisse von Leiden, wenn man darçber nicht schweigen kann? und Kap. 8: Wie sprechen çber und zu Gott in einer Welt, als ob es Gott nicht gåbe? in: W. Oelmçller, Philosophische Aufklårung. Ein Orientierungsversuch, Mçnchen 1994, 119±167.

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hundert, z. B. Comte und Marx, gingen davon aus: Religion und Staat sind als çberwundene Stadien der Vorgeschichte der Menschheit durchschaut, sie werden absterben, und es beginnt jetzt die Vollendung der Geschichte der Menschen in der von positiven Wissenschaftlern und Managern geleiteten Gesellschaft des humanen Atheismus bzw. in der klassenlosen Gesellschaft. 3. Ihre Orientierungskraft fçr das Denken und Handeln der Menschen haben in den letzten Jahrzehnten in Europa ideenpolitisch gebrauchte Modelle verloren, die unterstellten, nach dem Ende totalitårer Weltanschauungen, Ideologien und politischer Systeme gebe es eine neue Homogenitåt, Gleichheit und Gemeinschaftlichkeit aller verschiedenen Menschen in modernen pluralen Staaten und Gesellschaften. Gibt es gegenwårtig in unseren multireligiæsen und multikulturellen europåischen Gesellschaften und Staaten zur Læsung der rechtlichen, politischen, religiæsen und weltanschaulichen Unterschiede und Konflikte innerhalb und zwischen den Staaten tatsåchlich die unterstellte Homogenitåt und Identitåt, die Solidaritåt, die gemeinsamen Wir-Gefçhle? Der æffentliche Streit çber Verteidigung, Weiterentwicklung oder Ende von staatskirchlichen, staatsreligiæsen und zivilreligiæsen Elementen in einigen Verfassungen in den Einzelstaaten sowie die æffentliche Auseinandersetzung çber die Grund- und Menschenrechte, die Religions- und Gewissensfreiheit ist weder innerhalb und zwischen den Kirchen und Religionen noch durch die hæchsten Gerichte der Einzelstaaten und der Europåischen Union entschieden noch offensichtlich entscheidbar. Wie çberzeugend ist in dieser Situation der Satz: »Der moderne Staat grçndet auf vorneuzeitlichen Voraussetzungen und steht im Kontinuum der europåischen Staats-ethik, die von Antike und Christentum ausgeht?« 47 Was leistet da die Beschwærung von Traditionen der nationalen Kultur und von anderen sozialen Identitåten? Was bedeutet da die Homogenitåt stiften sollende »Idee des Abendlandes«, eine Idee, von der man nach dem Artikel ­Abendland¬ im ­Staatslexikon¬ erst seit dem Augenblick am Beginn des 19. Jahrhunderts spricht, als das ­Heilige Ræmische Reich Deutscher Nation¬ endgçltig untergegangen war? Was heiût da die Berufung auf gemeinsame materiale Werte und Grundwerte, vor deren poJ. Isensee, Staat, in: Staatsslexikon, hrsg. von der Gærres-Gesellschaft, Freiburg ± Basel ± Wien 7 1989, 5,141.

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litischer Miûbrauchbarkeit in multireligiæsen Staaten inzwischen Staatsrechtler, Bischæfe und Theologen eindringlich warnen? 48 In dieser Situation sind vier oft æffentlich erærterte neue Leitbilder und Orientierungen zu weit entfernt von der Wirklichkeit und fçr die notwendigen neuen konkreten Handlungsforderungen und Handlungsentscheidungen der Menschen nicht hilfreich: ± das angeblich allen Religionen gemeinsame »Weltethos« der Forschergruppe von Hans Kçng, ± die angeblich allen Menschen gemeinsamen »Menschenpflichten« der Forschergruppe um Helmut Schmidt, die die universalen Menschenrechte ergånzen sollen, ± die im Anschluû an Dostojewskij und Kolakowski oft formulierte zu einfache Gegenwartsdiagnose: Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt, ± die in eine åhnliche Richtung zielende oft zitierte geschichtsphilosophische These des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Bæckenfærde: »Der freiheitliche, såkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.« Dieser freiheitliche moderne Staat, der aus den konfessionellen BçrgerkrieS. hierzu E.-W. Bæckenfærde, Rechtsstaat, in: Historisches Wærterbuch der Philosophie, a. a. O., 8, 332±342, hier 339±340: »Werden ethisch-politische Postulate oder materiale Werte çber die Sicherung der gleichen Freiheit aller und die Grunderfordernisse eines geordneten Zusammenlebens hinaus mit Rechtsverbindlichkeit ausgestattet, folgt daraus mit Notwendigkeit ein Abbau individueller Freiheit und Autonomie; sie wird, zumal in einer geistig-ethisch pluralistischen Gesellschaft, der Herrschaft derjenigen unterstellt, die das Interpretationsmonopol fçr diese Postulate oder Werte innehaben bzw. sich zu eigen machen. Das gilt bei der Berufung auf materiale Werte in besonderem Maûe, weil Werte aus sich heraus ethisch-sittliche Gehalte nicht rational begrçnden, vielmehr nur einen behaupteten oder postulierten Konsens bezeichnen, dessen Notwendigkeit und Gehalt offensteht und praktisch durch subjektives Erleben, Evidenzerfahrung und Weltanschauung substituiert wird. Damit stellt sich die Frage, ob die Einigkeit çber das Unabstimmbare, die ein politisches Gemeinwesen nicht entbehren kann, vom R.[echtsstaat] her gesehen nicht vorausgesetzt werden muû und der R.[echtsstaat] selbst in Erosion geråt, wenn er diese Einigkeit durch Verfassungs- und Rechtsgebot, das im Streitfall von der Mehrheit ausgeht, schaffen oder festhalten will.« K. Lehmann, Grundwerte, in: Staatslexikon, a. a. O., 1131±1137, hier: 1135±1136: Eine einzige Religion darf sich in einem modernen freiheitlichen pluralen Staat »nicht in die Rolle des letzten Garanten der Moralitåt in der såkularisierten Gesellschaft drången lassen«. »Die innersten christlichen Wahrheiten [¼] sind selbst keineswegs G.[rundwerte] im strengen Sinn des Wortes (vgl. Bergpredigt, Demut, Feindesliebe).« Die Kirchen dçrfen »von den anderen gesellschaftlichen Gruppen und vom Staat nicht dazu benutzt werden, [¼] zu ethischen Stabilisatoren der Gesellschaft und zu Handlangern des Staates zu degradieren.«

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gen hervorgegangen sei, falle in totalitåre Strukturen zurçck, wenn es ihm nicht gelinge, die Freiheit »von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenitåt der Gesellschaft zu regulieren.« 49 Hilfreicher zu einer Beschreibung und Diskussion der gegenwårtigen Orientierungen der Menschen im Denken und Handeln kænnen folgende Ûberlegungen sein: Religiæse und nichtreligiæse Menschen und Gruppen, Menschen und Gruppen, die auf Gott setzen, und solche, die nicht auf Gott setzen, orientieren sich heute in ihrem Denken und Handeln, wenn auch aus verschiedenen Grçnden, so doch oft gemeinsam: 1. an den kodifizierten Menschen- und Grundrechten zwischen und innerhalb der Staaten, wenn sie auf der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ebene ungerechte Verhåltnisse kritisieren und Gerechtigkeit fordern, 2. an der Durchsetzung und Verteidigung von Religions- und Gewissensfreiheit, wenn sie den Miûbrauch der Religionen kritisieren und glaubwçrdige Religionen fordern, 3. an der ungeheuren Græûe, dem ungeheuren Elend und der Hilfsbedçrftigkeit des Menschen, des Nåchsten und Fremden, wenn sie nicht mehr çberzeugende politische und religiæse Leitbilder und Antworten ablehnen und neue çberzeugende suchen. Ein gewaltloses Zusammenleben von religiæsen und nichtreligiæsen Menschen und Gruppen in den Staaten Europas ist sehr voraussetzungsreich und in der Geschichte und Gegenwart die groûe Ausnahme. In die zukçnftige Geschichte sind wir »nicht eingeweiht« (Burckhardt), auch nicht in die Zukunft der Religionen in Europa. Fast tågliche gibt es Informationen und æffentliche Diskussionen çber den Gebrauch, d. h. den Miûbrauch des Namens Gottes. Den Gebrauch des Namens Gottes fçr menschlich ± allzu menschliche Zwecke verstehe ich als Miûbrauch. Ich beschrånke mich auf drei Formen des Miûbrauchs. 1. Bei der ersten Form des Miûbrauchs des Namens Gottes geht es um die unmittelbare und direkte Rechtfertigung von Terror, ­Heiligen Kriegen¬ und Gewalt, etwa zur Errichtung eines Gottesstaates und zum Kampf und zur Unterdrçckung der Feinde. Natçrlich E.-W. Bæckenfærde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Såkularisierung (1967), in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsstaat, stw 163, Frankfurt/M. 1976, 42±64, hier: 60.

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geht es hierbei heute, wie wir wissen, oft auch und vor allem um wirtschaftliche, soziale, nationale und kulturelle Probleme (z. B. um Kampf gegen ­såkulare¬ westliche Kultur). Einen solchen Miûbrauch des Namens Gottes gab es auch in der Geschichte (z. B. bei den Kreuzzçgen, Ketzer- und Hexenverfolgungen). Bei der Kritik dieses Miûbrauchs und bei Auseinandersetzungen mit diesem arbeiten heute oft verschiedene religiæse und nichtreligiæse Menschen und Gruppen zusammen, deren letzte Grçnde dabei verschieden sind. Bei der Kritik dieser Form des Miûbrauchs des Namens Gottes kann man sich heute auch auf die kodifizierten Menschenrechte berufen. 2. Eine zweite Form des Miûbrauchs des Namens Gottes kann man so beschreiben: die unmittelbare und direkte Rechtfertigung, Stabilisierung, Sakralisierung geschichtlich nach Raum und Zeit kontingenter sozialer und politischer Herrschaftsformen und Herrschaftsordnungen als Abbild der gættlichen Ordnung und des Willens Gottes sowie das Verståndnis des jeweiligen Herrschers als Repråsentanten und Statthalters Gottes auf Erden. Ebach zeigt çberzeugend, wie Gott auf die Bitte von Moses reagiert, er mæge ihm fçr sein Volk doch seinen Namen nennen. Gott nennt ihm einen Namen, der zugleich verbietet, daû Menschen diesen zu menschlich ± allzu menschlichen Zwecken gebrauchen, d. h. miûbrauchen dçrfen. 50 Die Geschichte der politischen Theologie von der Spåtantike, der Gegenaufklårung und Gegenrevolution seit dem 19. Jahrhundert, z. B. in Spanien, Frankreich und Deutschland, bis heute zu den rechten und linken Anhångern der politischen Theologie von Carl Schmitt liefert Beispiele dafçr, wie Menschen geschichtlich kontingente Ordnungen als vollkommene Staaten, als Abbild gættlicher Ordnung und des Willens Gottes stabilisiert und sakralisiert haben. Ebach nennt auch aus der Kirchengeschichte verschiedene Beispiele des Miûbrauchs des Namens Gottes: »Zu den gelåufigsten Bild-Worten çber Gott gehært das Wortfeld des Herrschens, z. B. Kænig, Herrscher, der Hæchste. Was bedeutet es, Gott als Kænig, als Hæchsten zu bezeichnen, ihn so zu sehen? Das kann prinzipiell zweierlei bedeuten, und fçr beide Sehweisen/Lesarten gibt es in der KirchenJ. Ebach, Gottesbilder im Wandel. Biblisch-theologische Aspekte, in: M. J. Rainer/ H.-G. Janûen, Bilderverbot, Jahrbuch Politische Theologie Bd. 2, Mçnster 1997, 22±35, hier: 28±29.

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geschichte eine wirkungsgeschichtliche Linie. Gott ist der hæchste Herrscher ± das konnte bedeuten, daû sich von seiner Herrschaft her alle anderen legitimieren. Von Gott çber Papst und Kaiser, die Kænige, Fçrsten, Bischæfe, Edelleute, Gutsherren çber die Pfarrund Lehrherren bis zu den Eltern entsteht eine Deszendenz legitimierter Herrschaft ­von Gottes Gnaden¬. Was dabei wirklich gemeint ist, kam vor gut einem Jahrhundert unfreiwillig und unnachahmlich in einer Zeitungsnotiz zum Ausdruck, in der von der Einweihung des Kælner Doms unter Anwesenheit des deutschen Kaiserpaares die Rede war. In der Zeitung war nåmlich am Tag nach dem feierlichen Ereignis zu lesen: Die Allerhæchsten begaben sich in den Dom, um den Hæchsten zu ehren. Daneben und dagegen gab und gibt es aber auch eine andere Weise, aus Gottes Herrschaft Konsequenzen fçr die irdischen Herrschaften zu ziehen. Sie ist in den Friedenskirchen Praxis, indem z. B. ein Mennonit weder vor dem Richter noch vor der Fahne den Hut abnimmt, weil er das nur in der Kirche tut. Gott als den Herrn anzuerkennen bedeutet hier, keine andere Herrschaft anzuerkennen. So kann dasselbe ­Gotttesbild¬ ganz unterschiedliche Konsequenzen zeitigen. Es kann legitimieren und delegitimieren, es kann affirmativ und kritisch sein, beståtigend und subversiv wirken.« 51 Daû es manchmal auch merkwçrdige Dinge gibt, zeigt der gerade beendete Wahlkampf in Deutschland. Die ­Partei der christlichen Mitte¬ stritt dabei gegen die Zunahme des Islam in Deutschland »fçr ein Deutschland nach Gottes Geboten«, in dem im Gegensatz zu den Menschen- und Grundrechten moderner Rechtsstaaten »das Grundgesetz des Lebens die zehn Gebote sind«. 3. Bei der dritten Form des Miûbrauchs des Namens Gottes beschrånke ich mich auf die drei monotheistischen Religionen. Man kann diesen Miûbrauch des Namens Gottes so beschreiben: Im Streit um das Selbstverståndnis der Anhånger der drei Offenbarungsreligionen, ihrer jeweils verschiedenen Konfessionen, ihrer Synagogen, Kirchen und Moscheen, ihrer verschiedenen Glaubensaussagen und Kulte, hålt jeder seine geschichtlich verschiedenen menschlichen Wahrnehmungen des Religiæsen fçr die Wirklichkeit Gottes selbst. Menschen unterstellen, daû alle geschichtlichen religiæsen Vorgaben direkt von Gott gegrçndet und geschaffen sind und daû Religionen und Konfessionen direkt 51

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im Namen und Auftrag Gottes handeln. 52 Sicher wird inzwischen, wie z. B. in der katholischen Kirche nach dem 2. Vatikanischen Konzil, nicht mehr behauptet, es gebe nur eine einzige allein seligmachende monotheistische Religion oder Kirche. Eines wird heute vielen Menschen, auch Juden, Christen und Muslimen immer deutlicher: Wenn es den einen nicht von Menschen gemachten Gott gibt, dann sind die von Menschen verursachten Spannungen und Konflikte der drei monotheistischen Religionen und ihrer jeweiligen Konfessionen ein Skandal, ein Ørgernis. Beispiele dafçr sind gegenwårtig etwa der Streit çber die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Rechtfertigungslehre, çber Sçnde und Gnade zwischen der katholischen Kirche und den lutherischen Kirchen sowie der Streit zwischen Rom und den europåischen Bischofskonferenzen çber die Gewissensfreiheit und anderes sowie der Streit zwischen Rom und der asiatischen Bischofskonferenz darçber, wie Katholiken angesichts der sog. Inkulturation der Zwei Beispiele aus jçngster Zeit fçr die radikale Kritik dieses Miûbrauchs von bekannten Vertretern der drei Offenbarungsreligionen: Der katholische Theologie Schillebeeckx sagte bei einem Vortrag in der Katholischen Akademie in Bayern çber ­Religion und Gewalt¼ »Es stimmt etwas nicht mit der Annahme, daû die Beziehung zum Absoluten einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Wahrung einer etablierten Ordnung oder (als faktische aber seltenere Alternative) mit einer religiæsen Berufung auf Revolution hat.« Grundsåtzlich fordert Schillebeeckx zur Vermeidung des Miûbrauchs des Monotheismus zur Legitimation von Herrschaft und Gewalt anzuerkennen, daû die »unmittelbare Verbindung Gottes mit uns immer vermittelt« ist: E. Schillebeeckx, Religion und Gewalt, in: zur debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern, 27. Jg., Nr. 4, Juli/August 1997, 18±20. Der muslimische Mullah und iranische Staatspråsident S. M. Chatami schrieb (am 26. September 1998 in seinem Beitrag fçr die FAZ ­Keine Religion ist im Besitz der absoluten Wahrheit. Das Haupt des Menschen ragt in den Himmel, aber seine Fçûe stehen auf der Erde¬, Nr. 224, S. 35), daû »niemand beanspruchen kann, çber die absolute Wahrheit zu verfçgen. [¼] Die essentielle Schwierigkeit einer Gemeinschaft von Glåubigen ist also, daû sie zwar an Wahrheiten und Wirklichkeiten glaubt, die absolut, erhaben und heilig sind, ihr eigenes Leben und ihr Geist jedoch relativ sind. Damit ist auch ihr Verhåltnis zu jenen absoluten Wahrheiten und Wirklichkeiten relativ. Solange sich diese Gemeinschaft ihrer Grenzen und Begrenztheiten bewuût ist, wird dieser Widerspruch nicht zum Verhångnis. Zur Katastrophe kommt es in einer Gemeinschaft von Glåubigen erst, wenn sie die Absolutheit und Heiligkeit der Religion auf die relativen, fehlerhaften, zeitlich und råumlich gebundenen Wahrnehmungen des Menschen von der Religion çbertrågt; wenn die Auffassungen, zu denen der Mensch in seiner Begrenztheit gelangt ist, fçr die Religion selbst gehalten werden, und wenn die Idee aufkommt, daû nur ein Glåubiger ist, wer sich genau diese Auffassung zu eigen macht. Der Grund, daû Menschen zu Sçndern und Ketzern erklårt oder Kriege gefçhrt werden, ist in vielen Fållen hier zu suchen.«

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Christen in Asien çber das Verhåltnis von Jesus und Gott, seinem Vater, sprechen sollen. Wie sich die drei monotheistischen Religionen, ihre religiæsen Organisationen und jeweiligen Konfessionen zu dem Skandal und den Ørgernissen fçr viele Menschen verhalten, ist vor allem deren Problem. Eine Philosophie, die von der unaufhebbaren Nåhe und Ferne Gottes, der Anwesenheit des nicht verfçgbaren Gottes in seiner Abwesenheit weiû, kann zu den geschichtlich kontingenten, von Menschen geschaffenen Spannungen und Konflikten der monotheistischen Religionen und ihren jeweiligen Konfessionen und Organisationen vielleicht dies sagen: Menschen, Juden, Christen und Muslime, kænnen und dçrfen aus ihren geschichtlich verbesserungsbedçrftigen Vorgaben nicht ­aussteigen¬. Ein geschichtsloser, religions-, konfessions- und kirchenloser biblischer Monotheismus ist fçr sie in der Geschichte eine unmægliche Utopie. Sie mçssen, so weit wie ihnen mæglich, mithelfen bei der Verbesserung der geschichtlichen Vorgaben sowie kritisch, selbstkritisch und vor allem geduldig umgehen mit vorletzten Dingen und zweit- und drittwichtigen Fragen. Die Koransure 5,48 formuliert das ± åhnlich wie Lessing in Nathans ­Ringparabel¬ ± in ihrer Sprache so: »Einem jeden Volke gaben wir Religion und einen offenen Weg. Wenn Allah nur gewollt håtte, so håtte er euch allen nur einen Glauben gegeben; so aber will er euch in dem prçfen, was euch zuteil geworden ist. Wetteifert daher in guten Werken, denn ihr werdet alle zu Allah heimkehren, und dann wird er euch çber das aufklåren, worçber ihr uneinig wart.«

3. Punkt: Philosophisches Sprechen çber Gott angesichts der Erfahrungen von Leiden und Katastrophen, von Tod und Untergang. ± Auch aus Zeitgrçnden kann ich in diesem Zusammenhang zwei Themen nicht erærtern: 1. unglaubwçrdige philosophisch-theologische Theodizeespekulationen, 2. unglaubwçrdige religiæse und nichtreligiæse Erklårungen und Træstungen, auch solche aus der Bibel. Ich kann nur einige Thesen formulieren zu drei Themen: 1. Seit dem Beginn der menschlichen Geschichte sind Menschen in vielfåltiger Weise als Tåter und Opfer in Widerfahrnisse von Leiden und Schuld, in Katastrophen und Zerstærungen verstrickt, 126

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und sie mçssen sich hiermit auseinandersetzen, wenn sie leben und çberleben wollen. Seit dem Beginn ihrer Geschichte wissen Menschen, daû das Paradies, das goldene Zeitalter, das Schlaraffenland fçr sie eine Utopie der Vergangenheit ist. Als Tåter und Opfer sind sie in Leiden und Schuld, in Katastrophen und Zerstærungen verstrickt, die auch fçr sie mit Tod und Untergang enden. Die Widerfahrnisse von Leiden sind geschichtlich und je nach Lebenssituationen sehr verschieden. Gegen die lebensfeindlichen Kråfte und Zerstærungen der Natur suchen sich Menschen durch Dåmme und Håuser, durch alte und neue Techniken zu schçtzen. Gegen Gewalt und Kriege im geschichtlichen Zusammenleben errichten sie soziale und politische Institutionen und Systeme. Von der årztlichen Kunst erhoffen sie Linderung und Heilung. Vom Fortschreiten der Wissenschaften und der Techniken erhoffen sie Verbesserungen ihrer Lebens- und Ûberlebensbedingungen. Von Mythen und Religionen erwarten sie Erklårungen fçr die nicht begreifbare ungeheuerliche Natur und Geschichte sowie fçr die noch græûere Ungeheuerlichkeit des Menschen (Sophokles, Antigone). Doch gegen die Ûbermacht der auûermenschlichen Måchte, gegen Erdbeben und Unwetter, waren und sind sie ohnmåchtig. Von Mythen und Religionen erhoffen sie vor allem Hilfe und Trost. So war es, und so ist es bis heute. 2. Sobald fçr Menschen die çberlieferten oder selbstgemachten Gætter und Måchte der Mythen und Religionen fragwçrdig, ja unglaubwçrdig werden und sie çber den nicht von Menschen gemachten einen Gott zu denken und zu sprechen versuchen, sobald sie diesen Gott dann noch als einen der Welt gegençber freien, allmåchtigen und allgçtigen Schæpfer und Erhalter der Welt und der Menschen sowie als Herrn und Lenker der Geschichte denken, stehen sie wie der biblische Hiob vor der heute so genannten ungelæsten und unlæsbaren Theodizeefrage. Unter dieser Theodizeefrage verstehen Philosophen und Theologen heute den Inbegriff der Fragen und Anklagen, der Bitten und Klagen, die Menschen in einer Welt, als ob es Gott nicht gåbe, an und gegen den einen Gott richten, wenn sie trotz allem auf ihn als letzte fçr alles verantwortliche Instanz setzen und wenn sie dabei aufrichtig und ohne Selbst- und Fremdbetrug sowie ohne »Trug fçr Gott« (Hiob 13,7) çber Gott und vor Gott sprechen und wenn sie von ihm allein Hilfe und Rettung erwarten. Die so verstandenen Theodizeefragen lauten heute etwa so: Warum miûlang diesem Gott seine Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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Schæpfung so sehr? Wenn Gott die Israeliten aus dem Sklavenhaus Øgypten gefçhrt hat, wie die Bibel berichtet, warum fçhrte er die Juden und Håftlinge nicht auch aus Auschwitz? Warum hat seine Erlæsung durch Menschwerdung, Tod und Auferstehung seines Sohnes, von dem die Christen sprechen, Leiden und Schuld, Ungerechtigkeit und Unheil bisher nicht weggenommen? Wie kann der Gott, der doch gut und nicht bæse und neidisch sein soll, all das zulassen? Wenn der eine Gott im Ernst als der allmåchtige Schæpfer, Erhalter und Lenker der ganzen Wirklichkeit, als die letzte fçr alles entscheidende Instanz gedacht wird, dann kann es fçr ihn doch keine Gewaltenteilung mit dem Satan und dåmonischen Måchten geben, keinen ewigen Dualismus des Lichts und des Dunkels, des guten und des bæsen Prinzips. Woher aber kommen dann die zerstærerischen Måchte und das Bæse, woher Schuld und Tod, und warum nimmt dieser Gott, wie schon Epikur fragte, all das nicht weg, wenn er das doch will und kann? 53 Die europåische Geschichte beginnt um 500 v.Chr. in der griechischen und jçdischen Aufklårung mit der Kritik der in Griechenland und im vorderen Orient vorgegebenen mythischen Vorstellungen von Gættern und Måchten. Zu dieser Geschichte gehært die Ausbildung der monotheistischen Religionen der Juden, Christen, Muslime und damit die Geschichte der Versuche, wie Menschen in ihren verschiedenen geschichtlichen Lebenssituationen, im alltåglichen Leben, in den Wissenschaften sowie in Gebeten und Kulten çber den einen Gott sprechen bzw. nicht sprechen kænnen. Unvermeidlich gehært zu dieser Geschichte auch die Geschichte der unlæsbaren Theodizeefragen und ihrer verschiedenen Antwortversuche. Das biblische Buch Hiob und Hiobdarstellungen, Hiobdeutungen in der Kunst und Literatur, in der Philosophie und Theologie sowie in Gebeten und Kulten liefern hierfçr bis

S. hierzu und zum folgenden die Ergebnisse von vier Kolloquien: W. Oelmçller (Hrsg.), Leiden, Kolloquien zur Gegenwartsphilosophie 9, Paderborn 1986; M. M. Olivetti (Hrsg.), Teodicea oggi? Archivio di Filosofia 56, Padova 1988; W. Oelmçller (Hrsg.), Theodizee ± Gott vor Gericht?, Mçnchen 1990; ders., Worçber man nicht schweigen kann. Neue Diskussionen zur Theodizeefrage, Mçnchen 2 1994 (hier vor allem das autorisierte Protokoll der Schluûdiskussion 161±199). S. ferner die Beitråge von J. Ebach, H. M. Baumgartner und E. Nordhofen in: F. Hermanni/V. Steenblock (Hrsg.), Philosophische Orientierung. Festschrift zum 65. Geburtstag von Willi Oelmçller, Mçnchen 1995.

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heute Beispiele. 54 Der Hiob im Hiobbuch der Bibel ist ein reicher, angesehener und frommer Mann, der plætzlich seinen ganzen Besitz, seine Sæhne, sein Ansehen unter seinen Freunden verliert und, von Krankheit geschlagen, in Staub und Asche in der Nåhe des Todes lebt. Seine Freunde wollen ihn mit ihren frommen Reden træsten. Der Grundgedanke ihrer Reden ist der in der Weisheitstradition unterstellte sog. Tun-Ergehens-Zusammenhang als Tauschgeschåft. Diese Vorstellung ist bis heute bei vielen frommen Menschen lebendig: Wenn sich der Mensch wohl verhålt, sorgt Gott fçr sein Wohlergehen; wenn der Mensch leidet, hat er vorher schlecht gehandelt und ist ein Frevler. Hiob streitet mit seinen Freunden und mit Gott, weil er in seinem schuldlosen Leiden diese fromm gemeinte Weisheitslehre und diese Gottesvorstellung als Heuchelei ablehnen muû. Hiob kann Gott, der fçr ihn die letzte Instanz fçr die Welt und die Menschen ist, nicht einfach aus seiner Verantwortung fçr die Widerfahrnisse von Leiden entlassen wie Epikur, der erklårt hatte: Die Gætter leben selig unter sich in den Intermundien und kçmmern sich nicht um die Welt und die Menschen. Fçr Hiob bleibt Gott allein Erhalter und Retter. Er sagt: »Wenn nicht Er, wer tut es denn?« (9,24). Gott lobt am Ende Hiob, der ohne Schuld, aber ohne Einsicht çber ihn und seine Welt gesprochen habe, und er verurteilt die Freunde, die von ihm nicht richtig gesprochen håtten. Aber, so muss man im Blick auf die Geschichte der Theodizeefragen und Antwortversuche fragen: Hat Gott in den ­Gottesreden¬ des biblischen Buches dem Hiob ± und seinen Freunden ± wirklich eine Antwort gegeben auf ihre Theodizeefragen nach dem Grund von Hiobs schuldlosen Leidens? Gibt das Hiobbuch der Bibel çberhaupt die Antwort auf Leiden und Katastrophen, auf Tod Untergang, die Menschen in der Geschichte und heute je nach ihrer Lage gestellt haben und stellen? 3. Am Ende unseres Jahrhunderts leben wir nicht nur in Europa angesichts der grauenhaften Leiden, z. B. der Opfer des Faschismus und Kommunismus, der ethnischen Såuberungen, der Kriege und des Hungers, in einer Welt, als ob es Gott nicht gåbe. S. hierzu: J. Ebach, Streiten mit Gott. Hiob, Teil 1 und 2, Neukirchen-Vluyn 1995±1996 (Zitate aus dem Buch Hiob im folgenden aus diesem Buch in der Ûbersetzung von J. Ebach); G. Langenhorst, Hiob unser Zeitgenosse. Die literarische Hiob-Rezeption im 20. Jahrhundert als theologische Herausforderung, Mainz 1993.

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In dieser Situation sehe ich auf dem Weg der Negation grundsåtzlich bei gegenwårtigen Menschen, bei Menschen und Gruppen, die nicht auf Gott setzen, und bei solchen, die auf Gott setzen, zwei verschiedene Orientierungen beim Umgang mit Widerfahrnissen von Leiden. 1. Vieles spricht dafçr, daû die Zahl derjenigen wåchst, die nicht mehr wie Hiob auf Gott setzen bzw. setzen kænnen. Wenn man bei der Frage, warum Menschen heute nicht mehr auf Gott setzen (kænnen), von dem Selbstverståndnis der Menschen ausgeht, dann sind Unterscheidungen und Differenzierungen notwendig. Dafçr einige Beispiele: Georg Bçchners These am Beginn des 19. Jahrhunderts lautete: Das Leiden, das »einen Riû in der Schæpfung von oben bis unten« macht, ist »der Fels des Atheismus« 55 . Diese These ist zur Diagnose unserer Gegenwart, auch zur Unterscheidung von Menschen innerhalb und auûerhalb der Kirchen, viel zu ungenau. Das gilt auch fçr Nietzsches Diagnose nach dem sog. »Tod Gottes«: »Es scheint mir, daû zwar der religiæse Instinkt måchtig im Wachsen ist ± daû er aber gerade die theistische Befriedigung mit tiefem Miûtrauen ablehnt.« 56 Auch Menschen, die heute nicht mehr auf Gott setzen oder setzen kænnen, verstehen sich selbst oft ausdrçcklich nicht als Atheisten oder Agnostiker, zumindest nicht in dem Sinne, daû sie mit Hilfe der Wissenschaft, der menschlichen Vernunft die Existenz Gottes glauben widerlegen zu kænnen oder die grundsåtzliche Nichterkennbarkeit Gottes glauben beweisen zu kænnen. Wer heute wie Iwan Karamasow Gott wegen des Leidens unschuldiger gequålter und getæteter Kinder seine Eintrittskarte in das kçnftige Paradies zurçckgibt, der kann oft zu Recht auf keinen Fall anerkennen, daû im Himmel diese Leiden einfach vergessen sind. Eine andere Antwort auf die gegenwårtige Situation des Menschen nach den Grausamkeiten des Faschismus, Kommunismus und der ethnischen Såuberungen stellt in den letzten Jahren der Jude und Kroate Aleksandar Tisma immer wieder in seinen Werken dar, z. B. in seinen Romanen ­Das Buch Blam¬ (1995) und in

G. Bçchner, Dantons Tod, 3. Akt, in: Werke und Briefe, Stuttgart ± Wien ± St.Gallen o. J., 54. 56 F. Nietzsche, Jenseits von Gut und Bæse, § 53, in: Werke in drei Bånden, hrsg. v. K. Schlechta, Mçnchen 6 1969, 2, 615. 55

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dem Buch ­Kapo¬ 57 . Fçr die Juden, die Auschwitz çberlebt haben und die als Opfer und Tåter in Unheil und Schuld verstrickt waren, gibt es kein neues Leben, das diese qualvollen Verstrickungen vergessen kann. Fçr den Antihiob Blam, der am Ende in der leeren Synagoge sitzt, die, weil es keine Juden mehr gibt, in einen Konzertsaal umgewandelt wurde, bedeutet das: »Geblieben ist ihm nur dieses Ûberleben in der Lçge, dieses Delirium jenseits des Todes, aber auch, jenseits des Lebens. Er ist deprimiert. Verschwunden ist das Bedçrfnis, zu rebellieren, zu schreien, weil keine Vereinigung mæglich ist. Es gibt auch kein drittes Auge mehr, das ihn betrachtet.« 58 2. Vier Aussagen von Menschen, die trotz allem auch heute auf Gott setzen und die in den Kolloquien çber Widerfahrnisse von Leiden und Katastrophen, Tod und Untergang oft zitiert werden, zeigen, wie Menschen gegenwårtig auf dem Wege der Negation çber Gott zu sprechen versuchen. Fçr Hans Jonas ist nach Auschwitz Gott nicht mehr als der allmåchtige, sondern nur als der ohnmåchtige Gott denkbar. Gott ist, damit seine Schæpfung gelingt und damit er selbst am Ende bestehen kann, auf die guten Werke der 36 Gerechten angewiesen. Jonas versucht eine neue Antwort auf die »Hiobsfrage« zu geben, die »seit je die Hauptfrage der Theodizee« war. Seine Antwort ist nicht wie im biblischen Buch Hiob die Berufung der »Machtfçlle des Schæpfergottes«, sondern die dieser entgegengesetzte, die »seiner Machtentsagung«. Jonas nennt seine »Antwort«, ganz im Sinne der negativen Theologie, »ein Stammeln vor dem ewigen Geheimnis«. »Jede Antwort auf die Hiobsfrage kann nicht mehr als das sein.« Trotzdem muû, auch nach Jonas, die Hiobsfrage als die Hauptfrage der »allgemeinen [Theodizee] wegen der Existenz des Ûbels in der Welt« immer wieder neu gestellt und neu beantwortet werden, von dem, der »vom Gottesbegriff nicht einfach lassen will ± und dazu hat selbst der Philosoph ein Recht.« 59 Elie Wiesel, der Auschwitz çberlebt hat, betont immer wieder, Auschwitz sei weder mit Gott noch ohne Gott zu verstehen. Er 57 A. Tisma, Das Buch Blam (1985), Mçnchen ± Wien 1995; Kapo (1987), Mçnchen ± Wien 1997. 58 Das Buch Blam, a. a. O., 236. 59 H. Jonas, Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jçdische Stimme, Frankfurt/M. 1987, 7, 14.

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kænne als Jude nicht mehr wie die jçdische Tradition von einem »beinahe sakralen Charakter« 60 des Wortes ausgehen. »Ebenso wie in der Kabbala die Rede von jenen ­zerbrochenen Gefåûen¬ anlåûlich der Schæpfung ist, mçssen wir heute die Mæglichkeit eines åhnlichen Bruches ins Auge fassen und zwar in einem ebenso gewaltigen Maûstab, wie es beim ersten der Fall war und der das gesamte Sein umfaût. Ein Bruch zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Schæpfung und Schæpfer, zwischen dem Menschen und seinesgleichen, zwischen dem Menschen und seiner Sprache, zwischen den Worten und dem Sinn, den sie enthalten. Aber, werden sie mir sagen, was bleibt uns dann noch? Die Hoffnung trotz allem und uns zum Trotz? Vielleicht die Verzweiflung? Oder der Glaube? Es bleibt uns nur die Frage.« 61 Auch die Aussagen von christlichen Theologen im Angesicht ihres Todes zeigen, daû es bei der Theodizeefrage um mehr als Fragen auf der Ebene des Wissens und Erkennens geht. Dietrich Bonhoeffer schrieb 1944 aus dem Gefångnis kurz vor seiner Ermordung durch die Nationalsozialisten: »Wir kænnen nicht redlich sein, ohne zu erkennen, daû wir in der Welt leben mçssen ± ­etsi deus non daretur¬. Und eben dies erkennen wir ± vor Gott! [¼] Vor und mit Gott leben wir ohne Gott.« 62 Von der Gottesferne und Gottesverlassenheit, von der nach den biblischen Texten Hiob und Jesus am Kreuze sprachen, sprach auch Romano Guardini nach dem Bericht von Walter Dirks çber seinen Besuch bei dem vom Tode Gezeichneten: »Er werde sich im Letzten Gericht nicht nur fragen lassen, sondern auch selber fragen; er hoffe in Zuversicht, daû ihm dann der Engel die wahre Antwort nicht versagen werde auf die Frage, die ihm kein Buch, auch die Schrift selber nicht, die ihm kein Dogma und kein Lehramt, die ihm keine ­Theodizee¬ und Theologie, auch die eigene nicht, habe beantworten kænnen: Warum, Gott, zum Heil die fçrchterlichen Umwege, das Leid der Unschuldigen, die Schuld?« 63 60 E. Wiesel, Macht Gebete aus meinen Geschichten. Essays eines Betroffenen, Basel ± Freiburg ± Wien 2 1986, 12. 61 Ebda, 23. 62 D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, Mçnchen 1970, 394. 63 Bericht von Walter Dirks çber seinen Besuch bei dem bereits vom Tode gezeichneten Romano Guardini, in: E. Biser, Interpretation und Verånderung, Paderborn 1979, 132±133.

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4. Punkt: Vier Kennzeichen eines philosophischen Sprechens çber Gott in der negativen Theologie heute. ± Menschen, Juden, Christen und Muslimen, die auf Gott setzen, sind, wie ich zu zeigen versuchte, drei Einsichten gemeinsam: 1. Die drei Offenbarungsreligionen verfçgen nicht çber ihren gemeinsamen einen Gott, der nicht von Menschen gemacht ist und der fçr sie die letzte Instanz ist fçr ihr Denken und Handeln, Leiden und Hoffen. Sie besitzen ihn nicht als absolute Wahrheit; sie besitzen fçr ihren einen gemeinsamen Gott nicht einmal einen gemeinsamen unwandelbaren Namen. 2. Ihre von Menschen gemachten Religionen, Konfessionen, religiæsen Institutionen und Kulte sind geschichtlich nach Raum und Zeit kontingent, wandelbar und verbesserungsbedçrftig. 3. Der Umgang mit der letzten und vorletzten Wirklichkeit, mit letzten und vorletzten Fragen unterscheidet sich radikal. Was ist das Philosophische an dem philosophischen Denken und Sprechen çber Gott in Traditionen des biblischen Bilderverbots, des biblischen Monotheismus und der negativen Theologie, auf das ich an einigen Beispielen hinweisen wollte? Ich beschrånke mich abschlieûend auf vier erlåuterungsbedçrftige Stichworte zu dieser Frage: 1. Dieses Denken und Sprechen setzt an diesseits von »kohårentem Diskurs«, einem Wissenschaftsideal der neuzeitlichen Philosophie, und »Sprung«, d. h. diesseits von zwei fçr die neuzeitliche Geschichte der Philosophie typischen Verfahrensweisen. Zum »Bruch des kohårenten Diskurses« habe ich entscheidende Aussagen von Levinas zitiert. Erst in der neuzeitlichen Philosophie wird die Metapher und der Begriff Sprung zu einer zentralen Kategorie des Denkens und der letzten Fragen des Denkens. Hierbei wird von Anfang an bis heute auf der einen Seite der Sprung im Denken, der Sprung in der Natur und Geschichte, der Sprung aus dem Bereich der Wissenschaft und Vernunft in den Bereich religiæsen Glaubens und zu dem auûerweltlichen Gott gefordert und auf der anderen Seite verurteilt. Beispiele hierfçr liefern etwa Jacobi, Hegel, Kierkegaard, Jaspers, Heidegger, Benjamin, Barth und die Auseinandersetzung mit ihnen. 64 S. hierzu G. Scholtz, Sprung, in: Historisches Wærterbuch der Philosophie, a. a. O., Bd. 9, 1547±1550; W. van Reijen, Der Schwarzwald und Paris, a. a. O.

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2. Dieses Denken und Sprechen setzt an im Gespråch mit Anhångern und Vertretern von Religionen und Kirchen diesseits von »Fackel vorantragen« oder »Schleppe nachtragen«. Nach meinen Erfahrungen erwarten viele Anhånger und Vertreter der Religionen und Kirchen dies auch heute nicht mehr. Wenn einige dies doch erwarten ± vor allem, wenn sie erwarten, daû die Philosophie immer noch ancilla theologiae ist, ± sollte eine Philosophie in den Traditionen der negativen Theologie kritisch und gelassen mit ihnen umgehen. 3. Ein Denken und Sprechen, das um die unaufhebbare Unterscheidung von Gott und Mensch weiû, wird, wenn es zur Bezeichnung der Einsichten, die es nicht beliebig zur Diskussion stellt, die Begriffe Wahrheit und Hoffnung gebraucht, Differenzierungen verwenden, etwa die von Pascal und Paulus: »Wir sind ohnmåchtig etwas zu beweisen, was unwiderleglich den Dogmatikern wåre. Wir haben einen Begriff von Wahrheit, die vællig unwiderleglich dem Skeptizismus bleibt.« 65 »Eine Hoffnung, die man sieht, ist keine Hoffnung; denn, was einer sieht, weshalb hofft er noch? Wenn wir dagegen hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf mit Geduld« (Ræmerbrief 8, 24±25). 4. Ein Denken und Sprechen çber Gott, das von der Anwesenheit Gottes in seiner Abwesenheit sowie von der Abwesenheit Gottes in seiner Anwesenheit weiû, wird die in der Geschichte und Gegenwart der Philosophie çblichen Dualismen vermeiden, etwa die von Diesseits und Jenseits, Immanenz und Transzendenz, Natçrlichem und Ûbernatçrlichem, Profanem und Heiligem. Wie die Erzåhlungen der Chassidim solche Dualismen kritisieren, zeigt etwa der Satz in einer Erzåhlung: »Auch die Vælker der Erde glauben, daû zwei Welten sind; ­in jener Welt¬, sagen sie. Der Unterschied ist dies: sie meinen, die zwei seien voneinander abgehoben und abgeschnitten, Israel aber bekennt, daû beide Welten im Grunde eine sind und daû sie eine werden sollen.« 66

B. Pascal, Ûber die Religion und çber einige andere Gegenstånde (Penses), çbers. v. E. Wasmuth, Heidelberg 7 1972, Pense 395. 66 M. Buber, Die Erzåhlungen der Chassidim, a. a. O., 841. 65

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Die Frage nach Gott ist philosophisch nicht tot. Das ist das eindeutige Ergebnis der Gættinger Veranstaltungen, zu denen die Sektion Philosophie der Gærres-Gesellschaft 1998 unter der Leitung von Hans Michael Baumgartner eingeladen hatte. Dabei durfte die Abteilung Religionswissenschaft auf ihre Weise mitreden. Gott mag, wenn man heutigen Philosophen çber die Schulter schaut, vergessen sein oder verschwiegen werden. Doch hat ganz offensichtlich Nietzsche ± wie es sich bei Wolfgang Ræd zeigte ± mit seiner Verkçndigung des toten, von uns Menschen getæteten Gottes nicht mehr das letzte Wort. Ûber Nietzsche hinweg erinnern wir uns heute wieder an Blaise Pascal und sein provokatives Wort, das Konrad Cramer gleich zu Beginn der Tagung zitierte: »Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Gott der Philosophen und Gelehrten.« In diesem Bekenntnis Pascals låût sich ein doppelter Umgang mit dem, den wir »Gott« nennen, erkennen: der denkerische Weg der Gottsuche und das Zeugnis von Gottbegegnungen, die sich im Leben geschichtlich nennbarer Menschen ereignet haben. Ludwig Wittgenstein hat auf seine einprågsame Weise den Blick auf die Sprache gelenkt und uns zur Frage gefçhrt: Woher kommt eigentlich der Begriff »Gott«? Auch hier bieten sich zwei Antworten an: (1) Die Gott-Definition bzw. der Gottes-Begriff ist Resultat der aktiv tåtigen menschlichen Vernunft. Es fragt sich dann: Begriff ± wovon? Antworten waren im Laufe der abendlåndischen Denkgeschichte: Erst-Ur-Sache, Anfang und Ende, Sinn und Ziel, Vollkommenheit, Absolutheit, aber dann auch Funktion, die dort wirksam wird, wo der Mensch mit seinem Vermægen zu Ende ist, am Ende Funktion, die der Mensch selbst einsetzt, entwirft, projiziert und Ausdruck seiner Aporie ist. Hier verkehren sich dann schlieûlich die Verhåltnisse: Der, der religiæs als Schæpfer verehrt wurde, wird zum menschlichen Geschæpf. Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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(2) Die andere Mæglichkeit, die in der Geschichte vielfach bezeugt wird, sieht in der Gottes-Idee den Ausdruck einer dem Menschen bzw. seiner Vernunft widerfahrenen Wirklichkeit. Ohne daû ein moderner Urheber der Rede genannt werden kænnte, wird im Gegensatz und Widerspruch zur gott-losen bzw. gott-freien såkularisierten Welt, aber auch im Widerspruch zur Kantischen Kritik heute fast schon inflationår von »Gotteserfahrung« und »Gotteserfahrungen« gesprochen. Ort dieser Erfahrungen ist ± wie gesagt ± die Geschichte, zumal die Geschichte der Religionen. Daû sich die Philosophie hier heute vor eine neue Herausforderung gestellt sieht, signalisiert auf eigene Weise die Tatsache, daû schon vor unserer Gættinger Tagung die Arbeitsgemeinschaft deutschsprachiger Philosophiedozenten im Studium der Katholischen Theologie die »Religion als Gegenstand der Philosophie« thematisiert hat. Wie die von Georg Wieland besorgte Dokumentation (Paderborn 1997) aber hinreichend zeigt, ging es auch auf der Tagung mehr um eine Begegnung der Religionswissenschaft mit der Philosophie als um einen Disput zwischen Philosophen und Theologen. Zwischen Philosophie einerseits und Religionswissenschaften und Theologie andererseits besteht aber ein wichtiger Unterschied. Waren die traditionellerweise als Gottes-»Beweise« gekennzeichneten Denkwege Versuche, zu einer umfassenden Deutung unserer Lebenswirklichkeit zu gelangen, und bildete ± wie es in der neuzeitlichen Philosophie immer deutlicher ins Bewuûtsein trat ± das menschliche Subjekt dabei den Ausgangspunkt des Weges, so resultiert der religionswissenschaftliche (wie auch der theologische) Umgang mit derselben Wirklichkeit wesentlich aus den Beobachtungen der Geschichte. Die Geschichte der Religionen lehrt aber dann, daû Gottes-»Erfahrungen« weniger mit der ordnenden Vernunft zu tun haben als mit den Reaktionen auf die Erfahrung zerstærerischer wie auch helfender Måchte, die sich im Ablauf der Zeiten in der Natur zeigen, ± Måchte, denen der Mensch hilflos, verzweifelnd und hoffend gegençbersteht. Anders als in der Philosophie, reagiert der Mensch hier einerseits fasziniert mit Dank und Verehrung, anderseits in seiner Angst mit Opfer und Gebet. Bernhard Casper, einer der beiden von der Abteilung Religionswissenschaft eingeladenen Referenten, hat jçngst eindrucksvoll das »Ereignis des Betens« (Freiburg/Mçnchen 1998) in seiner hermeneutischen Bedeutung fçr das Verståndnis des religiæsen Geschehens bedacht. An dieser Stelle darf angemerkt werden, daû die christliche 136

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Theologie, insofern sie selbst wesentlich von der Philosophie und inzwischen auch von den Ergebnissen religionsgeschichtlicher Forschungen geprågt ist und im Gespråch mit diesen und anderen Wissenschaften ihre Sprache findet, eingehend ihre eigenen geschichtlichen Wurzeln reflektieren muû. Weil der Grçnder des Christentums eine historische Gestalt und ein Jude ist, gehært die Geschichte, die das Christentum mit der Geschichte Israels und der Welt des Alten Testaments, aber darin auch mit den Religionen der Umwelt, mit Babylon, Assur, Øgypten u. a. verbindet, zu diesen Wurzeln. Zum anderen kommt das Christentum mit seinem Anspruch, in der Menschheitsgeschichte etwas Allgemeinverbindliches zu sagen zu haben, an den Sprachen und Denksystemen der Welt nicht vorbei. Schon frçh war es deshalb mit der Philosophie verbunden, die sich ihrerseits abendlåndisch bis heute der doppelten Verwurzelung des Christentums bewuût ist: der Verwurzelung in dem, was christlicherseits Offenbarung Gottes heiût, und in dem, woraus Menschen ± unabhångig von einer bestimmten religiæsen Zugehærigkeit ± ganz allgemein in ihrem Denken und Wollen geprågt sind. Daran muû auch dann erinnert werden, wenn sich heute die Begegnung der Philosophie mit der Religion nicht mehr einfach auf das Christentum beschrånkt, sondern sich statt dessen ein neuer Brçckenbau zwischen Philosophie und Religion auf der Basis der Geschichte der Religionen anbahnt; hier erhålt dann auch die Gottesfrage eine neue Prågung. Daû sich das Christentum in dieser Stunde nicht einfachhin von der gesellschaftlichen wie auch wissenschaftlichen Bçhne verabschiedet, beweist die Tatsache, daû im selben Monat, in dem die Gættinger Tagung stattfand, die Enzyklika Johannes Pauls II. Fides et ratio der Weltæffentlichkeit vorgestellt wurde. Nach wie vor geht es in dem hier verhandelten Diskurs um das, »was alle ­Gott¬ nennen«. Es geht um die Ergebnisse menschlichen Denkens, aber auch um dessen Grenzen und dessen Scheitern. Es geht aber auch, wie vor allem die Religionen bekunden, um den Umgang mit den »Måchten« und damit um die Bewåltigung der Frage nach Gut und Bæse, sodann, wo es vor allem um das Bæse geht, um die Ûberwåltigung der tædlichen Bedrohungen des Bæsen. Daû die heutige Religionswissenschaft in ihren wertfreien Vergleichen hier ihrerseits an Grenzen stæût, machen die beiden Beitråge zur gemeinsamen Fragestellung deutlich. Auch hierzu waren bewuût Philosophen eingeladen, freilich solche, die sich im Gesamtbereich der Religionsforschungen, in der Religionsphilosophie, aber auch in der Die philosophische Gottesfrage am Ende des 20. Jahrhunderts

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Religionswissenschaft und Religionstheologie, auskennen und ausgewiesen haben. Heinz Robert Schlette weist ausdrçcklich darauf hin, daû die Religionswissenschaft zwar von »Gott« berichtet, jedoch die »Gottesfrage« als solche nicht stellt, ± nicht zuletzt deshalb, weil diese im Rahmen der Forschungsergebnisse dieser Wissenschaft immer schon affirmativ beantwortet erscheint. Ein gçltiger Zugang zur Frage fçhrt nach ihm heute çber die Frage nach »Sinn çberhaupt«. Wo diese nicht selbst als sinnlos preisgegeben wird, hålt sie den Raum fçr Hoffnungen offen, ± freilich inhaltlich nicht zu fçllende Hoffnungen. Entsprechend fçhrt Schlette den Begriff der »negativen Hoffnung« als Gespråchsbeitrag ein. Bernhard Casper benutzt philosophisch das in der hermeneutischen Philosophie von Husserl çber Heidegger bis zu Levinas entwickelte Instrumentarium, um sich mit dessen Hilfe dem Phånomen des religiæsen Grundverhåltnisses zu nåhern. Wo es gelingt, erneut ein Verståndnis fçr das Ereignis von Religion zu entwickeln, kann dann auch die heute brennende Frage nach dem Sinn religiæser Vielfalt erærtert werden. Diese findet neue Anregungen, wo das Fremde als das Andere in Erscheinung tritt. Die Widerståndigkeit des Andersseins, damit auch die Úffnung des Du çber die Vordergrçndigkeit des Nicht-Ich hinaus werden hier zu einem neuen Ausgangspunkt, der anthropologisch beginnt und am Ende doch theologisch offen ist. Entscheidend ist, daû das Negative, das, wenn man auf die Gættinger Tagung zurçckblickt, dort immer stårker an Profil gewann, am Ende eher als offener Horizont, nicht als abschlieûend-verschlieûende Wand in Erscheinung tritt. Mit dem Eindruck von Offenheit und unabgeschlossener Rede, nicht einfach mit dem Aufruf zum Schweigen und Lassen, wenn schon, dann eher mit der Einladung zu stammeln, endete die Tagung. Zu Recht nennt Willi Oelmçller in seinem Beitrag, der mit guten Grçnden den Band beschlieût, die negative Theologie »auch heute einen philosophischen Sprechversuch çber Gott«. Als ich dieses Nachwort im Mårz 1999 niederschrieb, lebte Hans Michael Baumgartner noch. Mit einem Dank an ihn, dessen Hellsichtigkeit und Sinn fçr das, was in der Zeit ansteht, die Tagung wesentlich geprågt haben, hatte ich geschlossen. Bedankt hatte ich mich meinerseits bei Frau Dr. phil. Petra Kolmer M.A., die in groûer Umsicht und Loyalitåt dem vorliegenden Band die abschlieûende Gestalt gegeben hat. Nun aber ist aus diesem Band ein Stçck Vermåchtnis 138

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geworden. Hans Michael Baumgartner ist am 11. Mai 1999 von seinem schweren Leiden befreit worden und den Weg vom Glauben zum Schauen gegangen. Von Romano Guardini wird berichtet, daû er vor seinem Tod geåuûert haben soll, er werde sich in seinem neuen Leben mit Gott nicht damit zufrieden geben, dessen Wort zu hæren, sondern daû er auch in der Ewigkeit Gottes seine eigenen Rçckfragen in das Geheimnis Gott hinein weiter stellen wolle. Ich kann mir gut denken, daû auch Hans Michael Baumgartner dort, wo sein Leben am Ziel ist, nicht aufhæren wird zu fragen, zu denken, zu hæren, zu schauen und zu staunen, weil Gott immer græûer bleibt, als Menschen es erahnen. Daû das Suchen und Fragen Hans Michael Baumgartners in Gott Antwort und Erfçllung finden, mæchte ich ihm in Dankbarkeit wçnschen. Dçsseldorf, im Juni 1999

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Personenregister

Abel, G. 43 Adorno, Th. W. 83, 91, 112 f., 115, 117 Amery, J. 94 f. Anselm v. Canterbury 11, 21-23, 86 Aristoteles 19, 30, 34, 47 f., 51 f., 55 f., 59 f., 63 Assmann, J. 106-109, 115 Avicenna 76 Barth, K. 58, 133 Baumgartner, H. M. 98, 128, 135, 138 f. Belting, H. 103 Benjamin, W. 133 Blumenberg, H. 106, 112, 115±117 Bæckenfærde, E.-W. 121 f. Boehm, G. 103 Bohlen, St. 71 Bonhoeffer, D. 132 Boschki, R. 90 Buber, M. 110, 134 Bçchner, G. 130 Burckhardt, J. 122 Camus, A. 94 Carnap, R. 52, 54, 56, 94 Casper, B. 72 f., 75, 136, 138 Chardin, T. de 85 f. Chatami, S. M. 125 Cioran, E. M. 85, 99 Cohen, H. 72 Comte, A. 120 Coriando, P. 71 Cramer, K. 135 Descartes, R. 11, 23, 25, 30, 34, 36 f., 40, 42 f. Didi-Huberman, G. 112 Diemer, A. 67 f.

Dionysios Areopagita 111 f. Dirks, W 132 Dælle-Oelmçller, R. 101, 116 Dærrie, H. 96 Dostojewskij, F. M. 85, 121 Droit, R.-P. 97 Dummett, M. 52 f. Duns Scotus, Johannes 50, 60, 63 Ebach, J. 123 f., 128 f. Epikur 117, 128 f. Feick, H. 69 Feuerbach, L. 41 Feyerabend, P. 61 Franzen, W. 53 Freud, S. 83, 107, 109 Gantke, W. 88, 90 Gawlick, G. 106 Greisch, J. 65 f., 80 Guardini, R. 90, 132, 139 Habermas, J. 112-115, 117 Hegel, G. W. F. 24, 30, 34, 40 f., 43, 81, 133 Heidegger, M. 30, 42, 45, 55, 65 f., 68± 73, 76±78, 81, 83, 90, 108, 114, 133, 138 Heiler, F. 65 Henrich, D. 60 Henry, M. 65 Hering, J. 68 Herrmann, F.-W. v. 69 Hobbes, Th. 119 Hochstaffl, J. 111 Hogrebe, W. 62 Hælderlin, F. 70 Hollmann, S. Chr. 20 f.

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Personenregister Honnefelder, L. 47, 50 ff., 55, 57, 59, 60 f., 63 Hugo v. St. Viktor 93 Hçlsewiesche, R. 105 Husserl, E. 41 f., 65, 66±68, 69, 73, 138 Ingarden, R. 67 Isensee, J. 120 Jacobi, F. H. 133 James, W. 39 Jaspers, K. 42, 133 Johannes Paul II. 137 Johannes vom Kreuz 89 Jonas, H. 131 Kant, I. 11, 23±25, 27, 30, 35±41, 43±45, 50±52, 55 f., 60±64, 73 f., 77, 81, 98, 117, 136 Kierkegaard, S. 40 f., 41, 68 f., 133 Kæhler, W. R. 53 Kolakowski, L. 121 Kolmer, P. 12, 138 Krings, H. 60 Kroth, J. 104 Kçng, H. 121 Kçnne, W. 53 Kutschera, F. v. 53 Lanczkowski, G. 65, 105 Langenhorst, G. 129 Leeuws, G. van der 65 Lehmann, K. 121 Leibniz, G. W. 11, 14, 22 f., 34, 36, 43 Lenk, H. 43 Lessing, G. E. 106, 109, 126 Lessing, Th. 95 Levinas, E. 12, 65 f., 73±78, 85, 102, 110 f., 133, 138 Læffler, W. 57 Læhrer, G. 54 Luria, I. 89 Malebranche, N. 35 Marion, J.-L. 65 Marx. K. 83, 69, 120 Michel, D. 93 f. Moses, St. 73

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Nietzsche, F. 9, 10, 29, 30, 41, 55, 83, 130, 135 Nordhofen, E. 128 Oelmçller, W. 101, 119, 138 Otto, R. 90 Panikkar, R. 86 Pannenberg, W. 59, 61 Pascal, B. 13, 14, 25±27, 31, 134±135 Paulus 16, 134 Plantingas, A. 57 Platon 10, 48 f., 63, 98 Plotin 10 Podgorski, F. 86 Poser, H. 62 f. Prauss, G. 43 Puntel, L. B. 54, 58 Putnam, H. 53 f. Quine, W. V. O. 54 f. Rahner, K. 111 f. Ratschow, C. H. 79 Reijen, W. van 108, 133 Reimarus, H. S. 106 Reinach, A 68 Ricoeur, P. 65, 80, 111 Ræd, W. 43, 135 Rorty, R. 55 Rosenzweig, F. 72±74, 77 f. Ræska-Hardy, L. 53 Rousseau, J. J. 119 Saussaye, Ch. de la 65 Schelling, F. W. J. 43, 79 Schillebeeckx, E. 125 Schleiermacher, F. D. E. 81 Schlette, H. R. 94, 100, 138 Schmidt, Helmut 121 Schmitt, Carl 123 Scholem, G. 89 Scholtz, G. 133 Scholz, H. 58 Simon, J. 58 Sælle, D. 10 Sophokles 127 Spinoza, B. de 11, 23, 34, 36, 42

Hans Michael Baumgartner und Hans Waldenfels (Hrsg.)

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Personenregister Tertullian 31 Theunissen, M. 60, 114 Thomas v. Aquin 18±21, 23, 30, 63, 76 Tisma, A. 130 f. Tugendhat, E. 55 Vetæ, M. 89 Voltaire, F. M. 83 Waardenburg, J. 65 Wagner, H. 49 Waldenfels, H. 12, 97

Weiger, J. 90 Weil, S. 89 Welte, B. 81, 92 f., 99 Wenzler, L. 75 Widengrens, G. 65 Wieland, G. 136 Wiesel, E. 89 f., 131 f. Wittgenstein, L. 56, 61, 135 Wolf, U. 55 Wolff, Chr. 36, 47 Ziegler, S. 71

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Petra Kolmer und Harald Korten (Hg.)

Recht ± Staat ± Gesellschaft Facetten der politischen Philosophie ± Hans Michael Baumgartner gewidmet 1999. 176 Seiten. ISBN 3±495±47948±1 Vor dem Hintergrund des 50jåhrigen Bestehens der Bundesrepublik Deutschland thematisieren renommierte Autoren aus Philosophie, Rechtswissenschaft, Geschichtswissenschaft, Deutscher Literaturwissenschaft und Realpolitik Facetten und Probleme des Politischen einst und jetzt ± von Staat und Recht ebenso wie von Gesellschaft, die seit dem 19. Jahrhundert zunehmend als Gegençber des Staates begriffen wird. Aus dem Inhalt:  Petra Kolmer/Harald Korten, Einfçhrung  Josef Isensee, Die alte Frage nach der Rechtfertigung des Staates ± Stationen in einem laufenden Prozeû  Reinhard Brandt, Institution ± Institution in Antike und Neuzeit ± Institution bei Kant. Eine Skizze  Wolfgang Kersting, Verteilungsgerechtigkeit oder politische Solidaritåt? Ûber die Schwierigkeiten einer philosophischen Sozialstaatsbegrçndung  Wolfgang Kluxen, Ûber ethische Grundlagen der Demokratie  Dieter Wellershoff, Die Pflicht zu fçhren  Helmut Berding, Die provisorische Reichszentralgewalt in der deutschen Revolution von 1848/49  Wolfgang Frçhwald, Erinnerung und Gedåchtnis. Anmerkungen zur historischen Vernunft  Volker Gerhardt, Animal rationale. Das Tier, das seine Grçnde hat  Hans Michael Baumgartner, Europa als Thema und Herausforderung der Philosophie  Klaus Konhardt, Die »Conditio humana« und der Staat  Auswahlbibliographie von Hans Michael Baumgartner  Personenverzeichnis

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Verlag Karl Alber Freiburg / Mçnchen

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